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Full text of "Preussen im Kampfe gegen die französische Revolution bis zur zweiten Teilung Polens"

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From  the  Library  of 

Henry    Tresawna    Gerrans 

Fellow  of  Worcester  College^  Oxford 


l882-ip2I 


Given  /o Un\Vev$\tv  o^ Toronto  Lib ttm 
'By  Tis  Wife  O 


PREUSSEN 


IM  KAMPFE 


GEGEN  DIE  FRANZÖSISCHE  REVOLUTION 


BIS  ZUR  ZWEITEN  TEILUNG  POLENS 


VON 


KURT  HEIDRICH 


STUTTGART  UND  BERLIN  1908 
J.  G.  COTTA'SCHE  BUCHHANDLUNG  NACHFOLGER 


Alle  Rechte  vorbehalten 


Druck  der  Union  Deutsche  Verlagsgesellschaft  in  Stuttgart 


MEINEN  ELTEEN 


Vorwort 

Die  vorliegende  Arbeit  sucht,  besonders  auf  Grund  der  Akten 
des  Königlich  Preußischen  Geheimen  Staatsarchivs  zu  Berlin, 
die  preußische  Politik  an  einem  ihrer  Wendepunkte  zu  verfolgen. 
Es  schien  geboten,  in  einer  einleitenden  Übersicht,  für  die  ich 
mich  nur  auf  gedrucktes  Material  berufen  kann,  die  Vorgänge 
von  der  Konvention  von  Reichenbach  bis  zum  Anfang  des  Jahres 
1792  darzustellen.  Sie  bilden  die  notwendige  Voraussetzung 
für  das  Verständnis  der  Ereignisse,  die  ich  darauf  genauer  zu 
schildern  habe. 

Dabei  war  meine  Absicht,  den  Nachweis  zu  erbringen,  daß 
die  preußische  Politik  nicht  so  sehr  von  persönlichen  als  von 
sachlichen  Momenten  bestimmt  und  daß  ihr  vielfacher,  oft  jäher 
Wechsel  durch  die  allgemeine  Lage  bedingt  Wurde. 

Die  gedruckte  Literatur  habe  ich  wegen  ihres  sehr  beträcht- 
lichen Umfanges  nicht  ganz  in  dem  Maße  herangezogen,  wie  es 
vielleicht  wünschenswert  gewesen  wäre.  So  ist  vor  allem  die 
Publizistik  fast  gar  nicht  berücksichtigt.  Die  Verwertung  des 
Politischen  Journals  soll  bloß  beweisen,  daß  manches  nicht 
erst  aus  den  Akten  geholt  zu  Werden  braucht,  sondern  bereits 
gedruckt  ist.  Aber  eine  wirklich  klare  Erkenntnis  kann  aus 
so  vielfach  sich  widersprechenden  Zeitungsnachrichten  nicht 
gewonnen  werden,  von  denen  wir  noch  dazu  sehr  selten  fest- 
stellen können,  woher  sie  stammen.  Das  Verständnis  des  Zu- 
sammenhanges kann  sich  im  letzten  Sinne  eben  nur  aus  dem 
Studium  der  Akten  ergeben.  Doch  auch  diese  habe  ich  nicht 
vollständig  durchgesehen,  nur  das  Berliner  Archiv  benützt. 
Die  militärischen  Vorgänge  sind  nur  insoweit  behandelt,  als 
sie  in  dem  Bilde  nicht  fehlen  durften.     Die  Grundlage  für  ihre 


VI  Vorwort 

Schilderung  bilden  die  Arbeiten  Chuquets,  an  denen  nur  gering- 
fügige Änderungen  oder  Ergänzungen  vorzunehmen  waren. 

Wenn  so  die  Arbeit  noch  manche  Lücken  aufweist,  so  glaube 
ich  doch,  daß  auch  bei  dieser  beschränkten  Kenntnis  der  Quellen 
die  Hauptfrage  sicher  beantwortet  werden  konnte:  Wie  stand 
Preußen  zu  dem  revolutionären  Frankreich  und  zu  Polen? 
Auch  ist  es  von  besonderem  Interesse  für  die  Erkenntnis 
des  damaligen  politischen  Getriebes,  zu  beobachten,  wann  und 
wie  jene  beiden  Fragen  miteinander  verknüpft  wurden. 

Herrn  Geheimrat  Lenz,  der  mich  zu  dieser  Arbeit  angeregt 
und  sie  in  jeder  Beziehung  gefördert  hat,  sage  ich  auch  an  dieser 
Stelle  ergebensten  Dank.  Desgleichen  danke  ich  der  Direktion 
des  Königlich  Preußischen  Geheimen  Staatsarchivs  zu  Berlin 
für  die  Erlaubnis  zur  Benützung  der  Akten  und  im  besonderen 
Herrn  Archivar  Dr.  M.  Klinkenborg  für  die  mir  dabei  gewährte 
liebenswürdige  Unterstützung.  Die  beiden  ersten  Kapitel  des 
I.  Abschnittes  sind  mit  Zustimmung  der  philosophischen  Fakul- 
tät der  Berliner  Universität  als  Dissertation  gedruckt  worden. 

B  e  r  1  i  n  ,  den  5.  Juli  1908. 

Kurt  Hcidrich 


Inhaltsverzeichnis 


Seite 
I.  Abschnitt.    Bis  zum   Eintritt  Preußens  in    den 
Kampf  gegen  die  französische  Revo- 
lution      1 

1.  Kapitel.    Von  Reichenbach  bis  Pillnitz 1 

I.  Reichenbach 1 

IL  Das     Suchen    Preußens    nach    einem    neuen 

Bündnis 7 

ni.   Die     Annäherung     an     Österreich     und     die 

Intervention  in  Frankreich 16 

2.  Kapitel.    Preußen  und    Österreich   bis   Ende   März   1792  25 

3.  Kapitel.    Österreich  und  Frankreich  im  März  und  April  42 

I.  Offizielle  Verhandlungen      . 42 

II.  Geheime  Verhandlungen.     . 47 

4.  Kapitel.    Die  Offensive  von  Preußen  und  Österreich  gegen 

die  französische  Revolution 53 

I.  Preußens  Bedingungen 53 

IL    Österreichs  Zustimmung 70 

III.  Preußens  Eintritt  in  den  Kampf      ....  76 

IL  Abschnitt.  DieVorbereitung  zum  Kampfe.     .  89 

1.  Kapitel.    Französische     Politik     und     Kriegführung     im 

Frühjahr  1792 89 

I.  Kriegführung 89 

LI.  Politik     (mit     besonderer    Berücksichtigung 

Preußens) 106 

2.  Kapitel.    Manifeste 118 

I.  Das  Konzert  der  europäischen  Mächte      .     .  118 

IL  Besondere  Manifeste    der    deutschen  Mächte  127 

III.  Das  Manifest  des  Herzogs  von  Braunschweig  136 

3.  Kapitel.    Kriegskostenentschädigung 156 

I.  Grundzüge  und  Vorbereitungen 156 

IL  Die  polnische  Frage 165 

A.  Polen  und  seine  Nachbarn 165 

B.  Rußlands  Vorstoß 177 

C.  Die  gemeinsame  Deklaration  von  Österreich 

und  Preußen 199 


V III  Inhaltsverzeichnis 

Seite 
D.  Das     Bündnis     zwischen     Rußland    und 

Preußen 206 

III.  Die    Verbindung    der     polnischen     mit     der 

französischen  Frage 219 

A.  Schulenburg  und  Spielmann 219 

B.  Die     Konferenzen     von    Frankfurt     und 
Mainz 237 

C.  Ergebnislose    Verhandlungen    bis    Anfang 
September 245 

HI.  Abschnitt.     DerKampf       262 

1.  Kapitel.    Deutsche  Rüstungen 262 

I.  Der  Feldzugsplan 262 

II.  Heereszahlen 276 

2.  Kapitel.    Von  Koblenz  bis  Valmy 282 

I.  Bis  zur  Einnahme  von  Verdun 282 

II.  Ergebnisse  und  Aufgaben  für  die  Politik.     .  298 

in.  Valmy   , 313 

3.  Kapitel.    Verhandlungen  mit  Dumouriez 323 

4.  Kapitel.    Der  Rückzug 342 

L  Bis  Verdun 342 

II.  Über  Luxemburg  an  den  Rhein       ....  349 

5.  Kapitel.    Der  Konvent  und  Europa 360 

I.  Der  Einfall  Custines 360 

IL  Die  Eroberung  Belgiens 367 

III.  Der  Konvent  und  Preußen 372 

rV  Abschnitt.    Polens  zweite  Teilung 390 

1.  Kapitel.    Merle 390 

I.  Die  Note  von  Merle 390 

IL  Spielmanns  erfolgreicher  Kampf  dagegen.     .  402 

2.  Kapitel.    Wien 411 

I.  Die  österreichische  Regierung  im  September 

und  Oktober 411 

II.  Scheinbare    Genehmigung     der     preußischen 

Forderung 420 

3.  Kapitel.    Petersburg 441 

I.  Preußens  Forderung 441 

IL  Rußlands  Entscheidung       454 

Schluß 479 


Vollständige   Titel  der   abgekürzt  zitierten  Bücher 


A.D.B.    =   Allgemeine  Deutsche  Biographie,  hrsg.  von  der  Historischen 

Kommission  bei  der  Kgl.  Akademie  der  Wissenschaften  (zu  München), 

redig.  von  R.  v.  Liliencron  und  F.  X.  v.  Wegele.     Leipzig  1875  ff. 
Ä  k  e  s  o  n  =  Nils  Äkeson,  Gustafs  III.  förhällande  tili  franska  revolutionen. 

Lund.  1885/86. 
d' Angeberg    =    Comte  d' Angeberg,   Recueil  des  traites,  Conventions 

et  actes  diplomatiques  concernant  la  Pologne  1762 — 1862.  Paris  1862. 
A  r  n  e  t  h  =  Marie  Antoinette,  Joseph  II.  und  Leopold  II.  Ihr  Briefwechsel. 

Hrsg.  von  Alfred  Ritter  v.  Arneth.     Leipzig-Paris -Wien  1866. 
A  u  1  a  r  d  =  Recueil  des  actes  du  comite  du  salut  public  avec  la  corre- 

spondance  des  representants   en   mission   publ.  par  Aulard.  Tome  I. 

Paris  1889. 

Bacourt-Städtler  =  Briefwechsel  zwischen  dem  Grafen  von 
Mirabeau  und  dem  Fürsten  A.  von  Arenberg,  Grafen  von  der  Mark. 
Nach  der  französischen  Ausgabe  des  Herrn  Ad.  v.  Bacourt  deutsch 
bearbeitet  von  J.  Ph.  Städtler.     Brüssel  und  Leipzig  1851/52. 

Bain  =  NisbetBain,  The  second partition of  Poland  (1793)  in:  The  English 
Historical  Review.  Vol.  VI.  London  1891. 

Beer  =  Leopold  IL,  Franz  IL  und  Katharina.  Ihre  Korrespondenz 
nebst  einer  Einleitung:  Zur  Geschichte  der  Politik  Leopolds  IL  Hrsg. 
von  Adolf  Beer.     Leipzig  1874. 

Blum,  Sievers  =  Karl  Ludwig  Blum,  Ein  russischer  Staatsmann.  Des 
Grafen  Jakob  Johann  Sievers  Denkwürdigkeiten  zur  Geschichte  Ruß- 
lands.   Leipzig  und  Heidelberg  1857/58. 

Boguslawski  =  A.  v.  Boguslawski,  Das  Leben  des  Generals  Dumouriez. 
Berlin  1879. 

Borgnet  =  Ad.  Borgnet,  Histoire  des  Beiges  ä  la  fin  du  dix-huitieme 
siecle.     Bruxelles  1844. 

Bouille,  Memoires  =  Memoires  du  Marquis  de  Bouille  publ.  par  MM. 
Berville  et  Barriere.     2.  edition.     Paris  1822. 

Souvenirs  de  Bouill6  =  Souvenirs  et  fragments  pour  servir  aux 
memoires  de  ma  vie  et  de  mon  temps  par  le  marquis  de  Bouille  (Louis- 
Joseph-Amour)  1769 — 1812  publ.  pour  la  societe  d'histoire  contempo- 
raine  par  P.  L.  de  Kermaingaut.  Tome  I.  1769  —  Mai  1792.  Paris  1906. 
Der  2.  Band  erschien  zu  spät,  um  noch  benützt  werden  zu  können. 

Essai  sur  Bouille  =  Essai  sur  la  vie  du  Marquis  de  Bouille  (Francois- 
Claude-Amour)  par  son  petit-fils  Rene  de  Bouille.    Paris  1853. 


X  Vollständige  Titel  der  abgekürzt  zitierten  Bücher 

Brunetiere  =  F.  Brunetiere,  Le  manifeste  de  Brunswick  in :  Revue 
politique  et  litteraire  (Revue  bleue).  III.  Serie.  Tome  VIII.  Tome  XXIV 
de  la  collection.    21.  annee  —  2.  semestre.    Paris  1884. 

B  u  c  h  e  z  e  t  R  o  u  x  =  B.-J.-B.  Buchez  et  P.-C.  Roux,  Histoire  par- 
lementaire  de  la  revolution  fran9aise  ou  Journal  des  Assemblees  Natio- 
nales depuis  1789  jusqu'en  1815.     Paris  1834  ff. 

Carisien  =  Svenska  beskickningars  berättelser  om  främmende  makter 
ar  1793.  I.  Preußen,  II.  Polen.  Utgifna  af  C.  E.  B.  Taube.  Stockholm 
1893. 

Clapham  =  J.H.  Clapham,  The  causes  of  the  war  of  1792  (=  Cambridge 
Historical  Essays  No.  XI).     Cambridge  1899. 

Ch.J.P.   =  Arthur  Chuquet,  La  premiere  invasion  prussienne  (11  Aoüt  — 

2.  Septembre  1792).     Paris. 

Ch.V.   =  Arthur  Chuquet,  Valmy.     Paris. 

Ch.R.  =  Arthur  Chuquet,  La  retraite  de  Brunswick.    Paris. 

Diese  drei  Bände  bilden  Bd.  1 — 3  des  Sammelwerkes:  Les  guerres  de 
la  revolution  des  genannten  Verfassers.  Auf  die  beiden  weiteren  Bände: 
„L'expedition  de  Custine"  und  „Jemappes  et  la  conquete  de  la  Belgique" 
sei  hier  wenigstens  hingewiesen,  da  auf  sie  unten  bei  der  kurzen  Be- 
handlung der  genannten  Fragen  nicht  weiter  Bezug  genommen  worden  ist. 

Dampmartin,  evenements  =  A.  H.  Dampmartin,  Evenements  qui 
se  sont  passes  sous  mes  yeux  pendant  la  revolution  francaise.  Berlin  1799. 

Dampmartin,  quelques  traits  =  A.  H.  Dampmartin,  Quelques  traits 
de  la  vie  privee  de  Frederic  Guillaume  II,  roi  de  Prusse.    Paris  1811. 

Daudet,  Coblentz  =  Ernest  Daudet,  Histoire  de  1' Emigration  III. 
Coblentz  1789—1793.     Paris. 

DaudetI  =  Ernest  Daudet,  Histoire  de  1' Emigration  pendant  la  revo- 
lution francaise.  I.     De  la  prise  de  la  Bastille  au  dix-huit  Fructidor. 

3.  ed.  Paris  1907. 

Dembinski  =  Bronislas  Dembinski,  Documenta  relatifs  ä  l'histoire 
du  2.  et  3.  partage  de  la  Pologne.    Tome  I.  1788—1791.    Leopol  1902. 

Dumouriez  =  La  vie  et  les  memoires  du  general  Dumouriez  publ. 
p.  MM.  Berville  et  Barriere.     Paris  1822. 

Ephraim  =  B.  V.  Ephraim,  De  ma  detention  et  de  quelques  autres 
evenements  de  ma  vie.    2.  ed.  1808. 

F.B.P.G.  =  Forschungen  zur  Brandenburgischen  und  Preußischen  Ge- 
schichte, hrsg.  von  R.  Koser  bezw.  A.  Naude  bezw.  O.  Hintze.  Leipzig 
1888  ff. 

F.D.G.  =  Forschungen  zur  Deutschen  Geschichte,  hrsg.  durch  die  Histo- 
rische Kommission  bei  der  Kgl.  Akademie  der  Wissenschaften  (zu 
München).      Göttingen  1862  ff. 

Fersen  =  Le  comte  de  Fersen  et  la  cour  de  France  publ.  p.  le  Baron 
R.  M.  de  Klinckowström.    Paris  1877/78. 

Feuillet  de  Conches  =  Louis  XVI.,  Marie -Antoinette  et  Madame 
Elisabeth.  Lettres  et  documents  inedits  publ.  p.  Feuillet  de  Conches. 
Paris  1864  ff. 

Flammermont  —  Jules  Flammermont,  Negociations  secretes  de 
Louis  XVI.  et  du  Baron  de  Breteuil  avec  la  cour  de  Berlin  (Decembre 


Vollständige  Titel  der  abgekürzt  zitierten  Bücher  XI 

1791 — Juillet  1792)  zuerst  in  Bulletin  mensuel  de  la  Faculte  des  Lettres 

de  Poitiers).     Paris  1885. 
Forneron  =  H.  Forneron,  Histoire  generale  des  Emigres  pendant  la 

revolution  francaise.    Tome  I.    Paris  1884. 
FoucartetFinot  =  Paul  Foucart  et  Jules  Finot,  La  defense  nationale 

dans  le  Nord  de  1792  ä  1802.    Tome  I.    Lille  1890. 

Girtanner,  Historische  Nachrichten  =jChristoph  Girtanner,  Historische 
Nachrichten  und  politische  Betrachtungen  über  die  französische  Re- 
volution.   2.  Auflage.    Berlin  1792  ff. 

G  1  a  g  a  u  =  Hans  Glagau,  Die  französische  Legislative  und  der  Ursprung 
der  Revolutionskriege  1791—1792.  Berlin  1896  (=  Historische  Stu- 
dien, veröffentlicht  von  E.  Ebering,  Heft  1). 

Gronau  =  W.  Gronau,  Christian  Wilhelm  v.  Dohm  nach  seinem  Wollen 
und  Handeln.     Ein  biographischer  Versuch.     Lemgo  1824. 

H  ä  u  ß  e  r  =  Ludwig  Häußer,  Deutsche  Geschichte  vom  Tode  Friedrichs 
des  Großen  bis  zur  Gründung  des  Deutschen  Bundes.  3.  Auflage.  Berlin 
1861. 

H  e  i  g  e  1  =  K.  Th.  Heigel,  Deutsche  Geschichte  vom  Tode  Friedrichs 
des  Großen  bis  zur  Auflösung  des  alten  Reiches.  Stuttgart  1899  ff. 
(in:  Bibliothek  Deutscher  Geschichte,  hrsg.  von  H.  v.  Zwiedineck- 
Südenhorst). 

H  e  i  g  e  1,  Manifest  =  K.  Th.  Heigel,  Das  Manifest  des  Herzogs  von  Braun- 
schweig vom  25.  Juli  1792.  In:  Sitzungsberichte  der  philosophisch- 
philologischen und  der  historischen  Klasse  der  k.  b.  Akademie  der 
Wissenschaften  zu  München.    Jahrgang  1896.    München  1897. 

H.A.  =  E.  Herrmann,  Die  östreichisch-preußische  Allianz  vom  7.  Februar 
1792  und  die  zweite  Teilung  Polens.    Gotha  1861. 

H.E.B.  oder  H.E.Bd.  =  E.  Herrmann,  Diplomatische  Korrespondenzen 
aus  der  Revolutionszeit  1791 — 1797.  Gotha  1866  ( =  Ernst  Herrmann, 
Geschichte  des  russischen  Staates.     Ergänzungsband). 

H  ü  f  f  e  r  =  Hermann  Hüffer,  Die  Kabinettsregierung  in  Preußen  und 
Johann  Wilhelm  Lombard.    Leipzig  1891. 

Hüffer,  Zwei  Quellen  =  Hermann  Hüffer,  Zwei  neue  Quellen  zur  Ge- 
schichte Friedrich  Wilhelms  III.  Aus  dem  Nachlaß  Johann  Wilhelm 
Lombards  und  Girolamo  Lucchesinis.  Universitätsprogramm.  Bonn 
1882. 

H.V.  =  Historische  Vierteljahrsschrift. 

H.Z.    =   Historische  Zeitschrift. 

Journal  d'u  ne  bourgeoise  =  Journal  d'une  bourgeoise  pendant 
la  revolution  1791 — 1793,  publ.  p.  son  petit-fils  Eduard  Lockroy. 
Paris  1881. 

K  e  i  t  h  =  R.  M.  Keith,  Memoirs  and  correspondances.     1849. 

K  o  s  e  r  =  Reinhold  Koser,  Die  preußische  Politik  von  1786  bis  1806  in: 
„Deutsche  Monatsschrift  für  das  gesamte  Leben  der  Gegenwart".  Be- 
gründet von  Julius  Lohmeyer,  hrsg.  von  O.  Hötzsch.  6.  Jahrgang, 
Januar  und  Februar  1907. 

Krauel,  Prinz  Heinrich  =  R.  Krauel,  Prinz  Heinrich  von  Preußen  als 
Politiker.   Berlin  1902  ( =  Quellen  und  Untersuchungen  zur  Geschichte 


XII  Vollständige  Titel  der  abgekürzt  zitierten  Bücher 

des  Hauses  Hohenzollern.     Hrsg.  von  Ernst  Berner.     Bd.  4,  3.  Reihe, 

Einzelschriften  2). 
Krieg  gegen  die  Revolution   =   Krieg  gegen  die  französische 

Revolution    1792—1797.       Bearbeitet    von    der    kriegsgeschichtlichen 

Abteilung  des  k.  und  k.  Kriegsarchivs,   Bd.  1  und  2.    Wien  1905  (in 

„Kriege  unter  der  Regierung  des  Kaisers  Franz.   Hrsg.  von  der  Direktion 

des  k.  und  k.  Kriegsarchivs"). 
Lafayette    =    Memoires,   correspondances  et  manuscrits  du  general 

Lafayette  publ.  p.  sa  famille.     Paris-Londres  1837. 
Laugier-Carpentier  =  A.  Laugier  et  Carpentier,  Vie  anecdotique 

de  Louis-Philippe,  Roi  des  Francais.     Paris  1837.     Extrait  de  la  „Vie 

des  Souverains".     Paris  1837/38. 
Laukhard  =F.  Ch.  Laukhard,  Merkwürdiges  Leben  und  Schicksale, 

von  ihm  selbst  beschrieben.    Halle  bezw.  Leipzig  1792 — 1802. 
Lauzun-Serignan  =  Un  duc  et  pair  au  Service  de  la  revolution. 

Le  Duc  de  Lauzun  (general  Biron)  1791 — 1792.    Correspondance  intime 

publ.  p.  le  Comte  de  Lort  de  Serignan.    Paris  1906. 
Lelevel  =  Joachim  Lelevel,  Histoire  de  Pologne.    Tome  IL    La  Pologne 

sous  le  regne  de  Stanislav-Auguste  Poniatovski.    5.  edition.    Paris-Lille 

1844. 
Lescure    =    Correspondance   secrete   inedite   sur   Louis   XVI.,   Marie- 

Antoinette,  la  cour  et  la  ville  de  1777  a  1792  publ.  par  M.  de  Lescure. 

Paris  1866. 
Lettres  sur  Dumouriez  =  Lettres  sur  l'ouvrage  intitule  la  vie  du 

general  Dumourier.    A.  Londres  1795. 
M  a  1 1  e  t  =«  Memoires  et  correspondances  de  Mallet  du  Pan  recueillis  et 

mis  en  ordre  par  A.  Sayous.     Paris  1851. 
Malouet   =  Memoires  de  Malouet  publ.  p.  son  petit-fils  le  baron  de 

Malouet.     Paris  1868. 
M  a  n  s  o    =   J.   C.   F.   Manso,   Geschichte  des  preußischen   Staates  vom 

Frieden  von  Hubertusburg  bis  zur  zweiten  Pariser  Abkunft.    3.  Ausgabe. 

Leipzig  und  Frankfurt  a.  M.  1839. 
M  a  r  t  e  n  s  ,   Traites-Russie    oder  Martens  =  Recueil  des  traites   et 

Conventions  conclus  par  la  Russie  avec  les  puissances  etrangeres.  ed. 

p.  F.  Martens.     St.  Petersbourg  1874  ff. 
Marwitz  =  Friedrich  August  Ludwig  v.  der  Marwitz ,  Ein  märkischer 

Edelmann   im   Zeitalter   der   Befreiungskriege.      Hrsg.    von   Friedrich 

Meusel.    Bd.  1.    Berlin  1908. 
Massenbach  =  v.  Massenbach,  Memoiren  zur  Geschichte  des  preu- 
ßischen  Staates  unter  den  Regierungen  Friedrich  Wilhelms  IL   und 

Friedrich  Wilhelms  III.     Bd.  1.     Amsterdam  1809. 
Minerva  =  Minerva.    Ein  Journal  historischen  und  politischen  Inhalts 

von  D.  Friedrich  Bran.   Jena.    Hier  besonders  der  4.  Bd.  für  das  Jahr 

1837  (Bd.  184)  mit  dem  auch  besonders  erschienenen  (Jene  1837):  Frag- 
ment des  Memoires  inedits  du  Comte   de  Haugwitz,  Ministre  d'Etat 

et  du  Cabinet  de  S.  M.  le  Roi  de  Prusse. 
Minutoli  =  v.  Minutoli,  Militärische  Erinnerungen  aus  dem  Tagebuche. 

Berlin  1845. 
Montrol  =  M.  F.  de  Montrol,  Histoire  de  l'Emigration  (1789—1825). 

Paris  1825. 


Vollständige  Titel  der  abgekürzt  zitierten  Bücher  XIII 


Nesselrode  =  Chancelier  Comte  de  Nesselrode,  Lettres  et  papiers 
1760 — 1850  publ.   p.  le  Comte  de  Nesselrode.    Tome  I.    Paris  1904. 

Notes  de  Topino-Lebrun  =  Notes  de  Topino-Lebrun  sur  le 
proces  de  Danton  et  sur  Fouquier-Tinville  publ.  p.  J.  F.  E.  Chardoillet. 
Paris  1875.     In:  Documenta  pour  servir  ä  l'histoire  de  la  revolution. 

O  g  i  n  s  k  i  =  Memoires  de  Michel  Oginski  sur  la  Pologne  et  les  Polonais 
depuis  1788  jusqu'ä  la  fin  de  1815.    Tome  I.    Paris-Geneve  1826. 

P  a  1 1  a  i  n   =   Correspondance  diplomatique  de  Talleyrand.     La  mission 

de  Talleyrand  ä  Londres  1792.     Par  G.  Pallain.     Paris  1889. 
P  e  1 1  i  e  r,  dernier  tableau  =  J.  Peltier,  dernier  tableau  de  Paris  ou  recit 

historique  de  la  revolution  du  10  aoüt.    Tome  I.     1792. 
Pfeiffer    =  Heinrich   Pfeiffer,   Der  Feldzug  Luckners  in  Belgien  im 

Juni  1792.    Dissertation.    Leipzig  1897. 
des  Portes,  Conde  =  Rene  Bitard  des  Portes,  Histoire  de  l'armee  de 

Conde  pendant  la  revolution  frangaise  (1791 — 1801).  s  Paris  1896. 

Raigecourt-Bombelles  =  Correspondance  du  Mis  et  de  la 
Mise  de  Raigecourt  avec  le  Marquis  et  la  Marquise  de  Bombelles  pendant 
l'emigration  publ.  d' apres  les  originaux  pour  la  societe  d'histoire  contem- 
poraine  par  Maxime  de  la  Roche terie.     Paris  1892. 

Ranke  =  Leopold  v.  Ranke,  Ursprung  und  Beginn  der  Revolutionskriege 
1791  und  1792.   2.  Auflage.   Leipzig  1879  (=  Sämtliche  Werke  Bd.  45). 

Ranke  46  bezw.  47  =  Leopold  v.  Ranke,  Sämtliche  Werke,  Bd.  46 
bezw.  47.     Leipzig  1879—1880. 

R.  d.  d.  m.   =  Revue  des  deux  mondes.     Paris. 

R.  mil.  =  Revue  militaire  redigee  ä  l'Etat-Major  de  1' Armee.  2.  partie. 
Archives  historiques.      Paris. 

R.  Q.H.    =   Revue  des   Questions  Historiques.      Paris. 

Salomon,  Pitt  =  Felix  Salomon,  William  Pitt  der  Jüngere.  Bd.  1, 
2.  und  3.  Teil.    Leipzig  und  Berlin  1906. 

Salomon,  Teilung  =  Felix  Salomon,  Das  politische  System  des 
jüngeren  Pitt  und  die  zweite  Teilung  Polens.  Leipziger  Habilitations- 
schrift.    Berlin  1895. 

S  b  o  r  n  i  k  =  Sbornik  russkawo  istoritscheskawo  obsthtschestwa.  Bd.  23. 
1878. 

Schlieffen  =  Nachricht  von  einigen  Häusern  des  Geschlechts  der 
von  Schlieffen  oder  Schlieben.  Bd.  2.  Einige  Betreffnisse  und  Erlebungen 
Martin  Ernsts  v.  Schlieffen.    Berlin  1840. 

Schütter  =  Kaunitz,  Philipp  Cobenzl  und  Spielmann.  Ihr  Brief- 
wechsel 1779—1792.     Hrsg.  von  Hanns  Schütter.     Wien  1899. 

Schlosser  =  F.  C.  Schlosser,  Geschichte  des  achtzehnten  Jahrhunderts 
und  des  neunzehnten  bis  zum  Sturz  des  französischen  Kaiserreichs. 
Bd.  5,  4.  Auflage.    Heidelberg  1856. 

Segur  =  L.  P.  Segur,  Histoire  des  principaux  evenements  du  regne 
de  Frederic  Guillaume  II,  Roi  de  Prusse,  et  tableau  historique  de 
l'Europe  depuis  1786  jusqu'en  1796  ou  l'an  4  de  la  republique.  A  Paris 
1800. 

S  m  i  1 1  =  Friedrich  v.  Smitt,  Suworow  und  Polens  Untergang.  Leipzig 
und  Heidelberg  1858. 


XIV  Vollständige  Titel  der  abgekürzt  zitierten  Bücher 

Sorel  =  Albert  Sorel,  L'Europe  et  la  revolution  francaise.    Paris  1885  ff. 
Ssolowjoff  =   S.  Ssolowjoff,  Geschichte  des  Falles  von  Polen  (nach 

russischen  Quellen).    Übersetzt  von  J.  Spörer.    Gotha  1865. 
Süßheim  =  K.  Süßheim,  Preußens  Politik  in  Ansbach-Bayreuth  1791 

bis    1806.      Berlin    1902     (=    Historische    Studien   veröffentlicht   von 

E.  Ebering.     Heft  33). 
S  y  b  e  1  =  Heinrich  v.  Sybel,  Geschichte  der  Revolutionszeit  1789 — 1800. 

Wohlfeile  Ausgabe.     Stuttgart  1897—1900. 

Ternaux  =  Mortimer  Ternaux,  Histoire  de  la  terreur  1792 — 1794. 
Tome  IV— VI.    Paris  1864  ff. 

Vaissiere  =  Pierre  de  Vaissiere,  Lettres  d'„aristocrates"  —  La  revo- 
lution racontee  par  des  correspondances  privees  1789 — 1794.   Paris  1907. 

Valentini  =  Erinnerungen  eines  alten  preußischen  Offiziers  aus  den 
Feldzügen  von  1792,  1793  und  1794  in  Frankreich  und  am  Rhein.  Glogau 
und  Leipzig  1833. 

Vaudreuil  =  Correspondance  intime  du  Comte  de  Vaudreuil  et  du 
Comte  d'Artois  pendant  l'emigration  1789 — 1815  publ.  p.  Leonce 
Pingaud.     Paris  1889. 

Vie  privee  ■=  Vie  privee,  politique  et  militaire  du  Prince  Henri  de 
Prusse,  Frere  de  Frederic  II.     A  Paris  1809. 

Vivenot  =  Quellen  zur  Geschichte  der  deutschen  Kaiserpolitik  Öster- 
reichs während  der  französischen  Revolutionskriege.  Hrsg.  von  Alfred 
Ritter  v.  Vivenot  bezw.  Heinrich  Ritter  v.  Zeißberg.  Wien  1873  ff. 
Ich  zitiere  nach  Nummern. 

Vivenot,  zur  Genesis  =  Alfred  Ritter  v.  Vivenot,  Zur  Genesis  der 
zweiten  Teilung  Polens.  1792—93.  Wien  1874.  (Ergänzungsheft  zu  Bd.  2 
der  vorher  genannten  Publikation.) 

Wassiltchikow  =  Alexandre Wassiltchikow,  les  Razoumowski.  Edition 
francaise  par  Alexandre  Brückner.  Tome  IL  Le  Comte  Andre  Razou- 
mowski.   1.  et  4.  partie.    Halle  a.  S.  1894. 

Wittichen,  Polnische  Politik  =  P.  Wittichen,  Die  polnische  Politik 
Preußens  1788—90.     Göttingen  1899. 

Worontzow  =  Archives  du  Prince  Worontzow.  Tome  VIII  ff.  Moskau 
1876  ff. 

Zeißberg,  Karl-Hohenlohe  =  H.  R.  v.  Zeißberg,  Erzherzog  Karl  und 
Prinz  Hohenlohe-Kirchberg.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Feldzuges 
in  der  Champagne  1792.  Wien  1888.  In:  Archiv  für  österreichische 
Geschichte,  Bd.  73,  1.  Hälfte. 

Zeißberg,  2  Jahre  =  H.  R.  v.  Zeißberg,  Zwei  Jahre  belgischer  Geschichte 
(1791—1792)  2.  Teil.  Vom  Tode  Kaiser  Leopolds  IL  bis  zum  Ende  der 
Statthalterschaft  der  Erzherzogin  Maria  Christine.  In:  Sitzungsberichte 
der  philosophisch-historischen  Klasse  der  kaiserlichen  Akademie  der 
Wissenschaften,  Bd.  124.    Wien  1891. 

1793  =  Das  Jahr  1793.  Urkunden  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  der 
Organisation  Südpreußens.  Hrsg.  unter  der  Redaktion  von  Rodgero 
Prümers  (=  Sonderveröffentlichungen  der  Historischen  Gesellschaft 
für  die  Provinz  Posen  III).    Posen  1895. 


Abkürzungen  der  Eigennamen  in  den  Anmerkungen 


A.   =  Alvensleben. 

Bisch.   =  Bischoffwerder. 

Br.   =  Der  Herzog  Karl  Wilhelm  Ferdinand  von  Braunschweig. 

F.   =  Finckenstein. 

F.W.   =  Friedrich  Wilhelm  II. 

H.   =  Haugwitz. 

L.   =  Lucchesini. 

M.   =  Möllendorff. 

S.   =   Schulenburg. 


I.  Abschnitt 

Bis  zum  Eintritt  Preußens  in  den  Kampf  gegen  die 
französische  Revolution 


1.  Kapitel 

Ton  Reichenbach  bis  Pillnitz 

I. 

Bis  zur  Konvention  von  Reichenbach  hatte  die  französische 
Revolution  auf  die  preußische  Politik  fast  nur  befreiend  gewirkt. 
Sie  hatte  das  trotz  aller  Spannungen  immer  noch  bestehende 
Versailler  Bündnis  zwischen  Österreich  und  Frankreich  von 
1756/57  tatsächlich  zerrissen,  und  Frankreich  schien  eine  innere 
Krisis  durchzumachen,  die  seine  Kraft  nach  außen  für  die  nächste 
Zeit  zu  fesseln  versprach.  Damit  war  von  Preußen  also  in  jedem 
Falle  eine  Last  genommen,  die  jahrzehntelang  auf  ihm  gelegen, 
die  es  in  seiner  Bewegungsfreiheit  gehemmt  hatte  oder  zu  Allianzen 
hatte  nötigen  helfen,  die  sich  schließlich  als  unvorteilhaft  für 
Preußen  erwiesen  hatten.  Denn  seit  dem  Bestehen  des  Fürsten- 
bundes war  den  Preußen  der  natürliche  Exerzierplatz  ihrer  Politik 
mehr  als  jemals  verschlossen,  wenn  sie  nicht  die  deutschen  Mittel- 
und  Kleinstaaten  allesamt  in  das  österreichische  Lager  treiben 
wollten.  Nur  wenn  Österreich  und  Preußen  zusammenstanden, 
konnten  sie  hoffen,  eine  Gesundung  dieser  verrotteten  Verhält- 
nisse herbeizuführen,  die  sich  mit  rechtlichen  Mitteln  nicht  mehr 
erreichen  ließ.  Der  Versuch  dazu  wurde  im  Jahre  1792  gemacht 
und  erwies  sich  sofort  als  undurchführbar. 

Solange  aber  Preußen  und  Österreich  sich  als  Erbfeinde 
gegenüberstanden,  mußte  Preußen,  wenn  es  nicht  in  der  defen- 
siven Stellung  verharren  wollte,  die  die  Politik  der  letzten  Jahre 
Friedrichs  des  Großen  kennzeichnet,  sich  in  der  Richtung  weiter- 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution  1 


2  I.  Abschnitt 

bewegen,  die  mit  der  ersten  polnischen  Teilung  energisch  auf- 
genommen worden  war,  und  die  eine  so  entscheidende,  aber  in 
gewisser  Weise  auch  verhängnisvolle  Bedeutung  für  den  preußi- 
schen Staat  erlangt1)  hat.      Niemand  konnte  die  Unfertigkeit 
des  damaligen  Zustandes  von  Preußen  verkennen.     Zwar  hatte 
es  die  so  lange  ersehnte  Verbindung  seiner  getrennten  Provinzen 
für  den  Osten  durch  die  Erwerbung  von  Westpreußen  erreicht. 
Noch  aber  waren  Danzig  und  Thorn  polnisch,  und  namentlich 
das  polnische  Danzig  war  der  preußischen  Politik  und  Wirtschaft 
ein  sehr  unbequemes  Hemmnis.    Aber  man  hatte  es  bisher,  vor- 
nehmlich infolge  des  Eingreifens  der  stark  interessierten  Eng- 
länder, immer  noch  nicht  beseitigen  können.     Als  England  es 
nun  versuchte,  Danzig  den  Preußen  durch  einen  Handelsvertrag 
mit  Preußen  und  Polen  zu  verschaffen,  bei  dem  die  ihm  lästigen 
Weichselzölle  gefallen  wären,  da  scheiterten  die  Verhandlungen 
an  dem  Widerstände  der  Polen,  die  bei  dieser  Gelegenheit  feier- 
lich beschlossen,  den  Besitzstand  der  Republik  unverletzt  zu  er- 
halten.    Dazu  kam  nun  noch  für  Preußen  der  Keil  polnischen 
Landes,  der  dicht  bis  vor  die  Tore  von  Küstrin  reichte  und  in 
einem  Kriege  Rußlands  gegen  Preußen,  in  dem  Polen  auf  russi- 
scher Seite  stand  wie  im  Siebenjährigen  Kriege,  die  preußischen 
Provinzen  östlich  der  Elbe  mit  einer  Teilung  in  zw?i,  ja  in  drei 
Stücke  bedrohte. 

An  Aufgaben  fehlte  es  hier  also  nicht,  und  gestützt  auf  das 
Bündnis  mit  den  Seemächten  (England  und  Holland)  hatte 
Preußen  ihre  Lösung  seit  1788  in  Angriff  genommen.  Nicht  mit 
Rußland  und  Österreich  gegen  Polen  wollte  man  Danzig  und 
Thorn  wie  den  Anteil  in  der  ersten  polnischen  Teilung  erwerben, 
sondern  —  zunächst  jedenfalls  —  gegen  die  Kaisermächte,  die 
ihre  Kraft  in  dem  •Türkenkriege  verwenden  mußten,  und  im  Ein- 
verständnis mit  Polen,  das  der  russischen  Herrschaft  müde  ge- 
worden war  und  an  eine  politische  Regeneration  dachte,  ohne 
doch  die  Kraft  zu  ihrer  Durchführung  zu  besitzen. 

Seit  dem  Ausbruch  der  französischen  Revolution,  die  in 
Belgien  den  Aufruhr  von  neuem  entzünden  half,  war  in  der  Tat 
die  Lage  für  eine  Aktionspolitik  Preußens  im  Osten  hervorragend 
günstig.  Ungenützt  aber  ging  dieser  Augenblick  vorüber.  Poli- 
tisch ließ  zwar  Preußen  die  stärksten  Minen  springen  —  man 
denke  bloß   an   die  Neutralisierung  Dänemarks   1788,   an   das 


*)  F.  C.  Wittichen  in  H.V.  IX  (1906)  176  und  179. 


Von  Reichenbach  bis  Pillnitz 


O 


Projekt  einer  Kaiserwahl  des  Herzogs  Karl  von  Zweibrücken, 
an  die  Unterstützung  der  Revolution  in  Belgien  und  in  Lüttich, 
in  Galizien  und  in  Ungarn  —  aber  zu  militärischem  Vorgehen 
konnte  sich  Friedrich  Wilhelm  II.  im  Sommer  1789  nicht  ent- 
schließen. Wenn  man  sich  nach  dem  Grunde  für  diese  auffallende 
Erscheinung  fragt,  so  wird  man  ihn  doch  wohl  in  dem  Gegensatz 
zwischen  dem  König  und  Hertzberg  finden,  die  mit  verschiedenen 
Mitteln  nicht  ganz  gleiche  Ziele  verfolgten.  In  Hertzbergs  Plan 
lag  ein  Krieg  nicht.  Er  dachte  ganz,  wie  wir  es  später  bei  Kaunitz 
wiederfinden  werden,  nur  an  politische  Repressalien,  an  mili- 
tärische Demonstrationen,  wozu  ja  auch  wohl  noch  der  Ein- 
marsch in  feindliches  Gebiet  zu  rechnen  ist.  Aber  an  einen  wirk- 
lichen Krieg  mit  Einsetzung  der  Macht  des  ganzen  Staates  für 
ein  großes  Ziel,  wo  der  Erfolg  vielleicht  nicht  ganz  den  Einsatz 
gelohnt  hätte,  wie  er  meinte,  dachte  er  nicht;  denn  vor  einem 
kühnen  Wagnis  scheuen  diese  politischen  Rechner  ängstlich 
zurück.  Er  verkannte  dabei  ganz,  daß  an  eine  Verwirklichung 
so  weitgehender  preußischer  Forderungen  nur  bei  Aufgebot  aller  Y~ 
Kräfte  zu  denken  war,  daß  es  nicht  genügte,  Europa  Gesetze  zu 
diktieren,  wenn  man  ihre  Durchführung  erzwingen  weder  konnte 
noch  im  letzten  Grunde  wollte.  So  erklärt  sich  das  Umbiegen 
der  Hertzbergschen  Politik,  die  die  Entwicklung  bis  zu  einem 
gewissen  Punkte  treibt,  sie  dann  aber  hemmen  will  und  damit 
schließlich  den  Erfolg  aller  Mühen  aufs  Spiel  setzt. 

Und  dazu  stand  nun  nicht  einmal  der  König  hinter  dem  Plane 
seines  Ministers.  Er  ließ  ihn  Politik  treiben  und  weigerte  sich 
nicht,  seine  Unterschrift  unter  die  betreffenden  Aktenstücke  zu 
setzen;  aber  er  begann  bereits,  daneben  eine  andere  durch  Ver- 
treter ohne  offiziellen  Charakter  zu  betreiben,  mit  denen  er  direkt 
durch   sein  Kabinett  verkehrte1).      Friedrich  Wilhelm  glaubte 


J)  Das  scheint  mir  das  schwerste  Bedenken  zu  sein,  das  man  gegen 
seine  Politik  geltend  machen  kann.  Und  noch  mehr  muß  das  für  das  letzte 
Jahr  von  Hertzbergs  ministerieller  Tätigkeit  gelten,  wo  es  bis  zu  der  Ab- 
surdität kam,  daß  Friedrich  Wilhelm  ihn  im  Amte  behielt,  zugleich  aber 
befahl,  ihm  die  wichtigen  diplomatischen  Angelegenheiten  zu  verbergen. 
Erst  als  er  davon  hörte,  zog  Hertzberg  die  Konsequenz  aus  dem  Verhalten 
des  Königs :  er  bat  um  seinen  Abschied,  der  ihm  sofort  in  ehrenvoller  Weise 
gewährt  wurde.  An  Versuchen,  seine  alte  Stellung  wiederzugewinnen,  hat 
es  aber  Hertzberg  nicht  fehlen  lassen.  Immer  wieder  trat  er  an  den  König 
heran  mit  dem  Versprechen,  die  verfahrene  preußische  Politik  wieder  in 
das  rechte  Geleise  zu  bringen,  und  keine  noch  so  kühle  Abfertigung  hat 


4  I.  Abschnitt 

wohl  von  vornherein  nicht  an  das  Gelingen  eines  so  weit  angelegten 
doktrinären  Planes,  wie  es  der  Hertzbergsche  in  allen  seinen  zahl- 
reichen Abarten  doch  immer  blieb,  der  den  Preußen  allein  wirk- 
lich nennenswerte  Vorteile  zu  bringen  versprach,  ohne  doch  bis 
zum  Äußersten  zu  gehen,  zu  dem  Kriege  mit  ganzer  Macht. 
In  ihm  hoffte  der  König  für  seinen  Staat  wenigstens  etwas  sicher 
zu  erreichen,  und  auf  ihn  arbeitete  er  hin.  Nur  so  scheint  mir 
sein  Verhalten  vom  August  1789  bis  zum  Sommer  1790  erklär- 
bar, der  Abschluß  der  Bündnisse  mit  der  Türkei  und  mit  Polen, 
die  Rüstungen,  das  Drängen  auf  raschen  Abschluß  der  Verhand- 
lungen, und  als  Österreich  sich  in  jede  seiner  schon  stark  herab- 
geminderten Forderungen  fügte,  um  der  Gefahr  eines  Krieges 
mit  Preußen  zu  entgehen,  der  Friede  ohne  voraufgegangenen 
Krieg. 

So  kam  Friedrich  Wilhelm  wenigstens  aus  der  unerträglichen 
Doppelstellung  heraus,  in  die  ihn  dies  Doppelspiel  ministerieller 
und  königlicher  Politik  gebracht  hatte.  Von  seinen  Verbündeten 
hatte  er  eine  Unterstützung  seiner  Absichten  nicht  erwarten 
dürfen,  im  Gegenteil,  ihr  Widerstand  war  ihm  sicher.  England 
hatte  nicht  daran  gedacht,  Preußen  die  Erwerbung  polnischer 
Gebietsteile  zu  erleichtern1).  Polen  wehrte  sich  dagegen  seit  dem 
Bekanntwerden  der  preußischen  Absicht  so  deutlich,  daß  der 
Vertrag  mit  Preußen  seine  Integrität  garantierte.  Galizien  hätte 
es  zwar  gern  zurückerhalten,  aber  seine  Stellung  an  der  Ostsee 
wollte  es  trotzdem  nicht  aufgeben.  Von  der  Türkei  —  von 
Schweden  kann  ich  hier  absehen  —  war  ein  freiwilliges  Eingehen 
auf  die  umfassende  Veränderung  der  Karte  von  Europa,  bei  der 
es  allein  die  Kosten  tragen  sollte,  nicht  zu  erwarten2).  Sollten 
nun  Rußland  und  Österreich  auf  einen  Tausch  eingehen,  bei  denen 
ihre  Gewinn-  und  Verlustrechnung  doch  ziemlich  gleichstand, 
während  sie  nach  den  Ergebnissen  des  letzten  Feldzuges  auf  Vor- 
teile, mochten  sie  auch  gering  sein,  rechnen  durften?  Nur  die 
Gewalt  der  Waffen  konnte  ihnen  dies  demütigende  Zugeständnis 
abringen,  und  unter  dem  Druck  der  preußischen  Drohung  war 
Österreich  geneigt,  sich  darein  zu  rinden  —  Rußland  nicht.  Ohne 
Krieg  war  also  dieser  Plan  nicht  durchzuführen,  bei  dem  sich 

ihn  von  erneuten  Versuchen  gleicher  Art  abhalten  können.  Eine  krankhaft 
übertriebene  Eitelkeit  und  Selbstüberschätzung  verleitete  ihn  zu  dem  Glau- 
ben, er  allein  vermöge  Preußen  aus  diesem  Sumpfe  zu  retten. 

1 )  S  a  1  o  m  o  n,  Teilung  28  ff.  und  S  a  1  o  m  o  n  ,  Pitt  I  2,  447  ff. 

2)  C  ar  i  s  i  e  n  110. 


Von  Reichenbach  bis  Pillnitz  5 

Preußen  seine  Freunde  verfeinden  mußte  und  doch  seine  Feinde 
nicht  in  Freunde  verwandeln  konnte.  Daher  gab  Friedrich  Wil- 
helm den  Plan  auf  und  wählte  als  Basis  den  status  quo  ante 
stricte.  Weigerte  sich  Österreich,  darauf  einzugehen,  so  war  der 
Krieg  vollauf  berechtigt.  Von  Frankreich  war  nach  dem  Auf- 
treten des  von  dem  preußischen  Gesandten  Goltz  unterstützten 
Petion  und  von  Mirabeau  kein  Krieg  mehr,  seit  dem  15.  Mai, 
zu  befürchten.  Zum  zweiten  Male  befreite  ihn  die  französische 
Revolution  von  der  Furcht,  seine  Politik  durch  ein  Vorgehen 
Frankreichs  gestört  zu  sehen.  Konnte  Friedrich  Wilhelm  für 
einen  Angriff  auch  nur  auf  seine  eigenen  Kräfte  bauen,  so  war  er 
der  wohlwollenden  Neutralität  der  Seemächte  bei  einer  derartigen 
Haltung  doch  versichert;  es  war  das  mindeste,  was  er  erwarten 
durfte.  Ging  er  mit  seinen  Forderungen  darüber  hinaus,  so  hätte 
er  sich  völlig  isoliert,  da  er  auch  von  Polen  keinesfalls  mehr  als 
Neutralität  sich  versprechen  konnte.  In  einem  Kriege  gegen 
Österreich  (und  Rußland)  stand  aber  für  Preußen  ein  Landgewinn, 
gleichviel  auf  wessen  Kosten,  in  sicherer  Aussicht;  denn  niemand 
zweifelte  an  dem  Siege  der  preußischen  Truppen.  Ob  der  Erfolg 
dem  entsprochen  hätte,  ist  eine  Frage,  die  nicht  zu  entscheiden 
ist,  und  die  für  Erkenntnis  und  Beurteilung  der  Politik  der  Mächte 
auch  nichts  ausmacht.  Jedenfalls  konnte  sich  auch  Österreich 
dem  Gewicht  der  preußischen  Gründe  nicht  verschließen.  Es 
ging  auf  die  Bedingungen  des  Königs  ein  und  raubte  diesem 
damit  die  Möglichkeit,  einen  Krieg  zu  führen,  den  er  vor  Europa 
als  berechtigt  hätte  hinstellen  und  bei  dem  er  daher  die  Forderung, 
seine  Kriegskosten  ersetzt  zu  erhalten,  hätte  erheben  dürfen. 
Es  war  sein  größter  Wunsch  in  dieser  ganzen  Zeit. 

So  hatte  Preußen  den  Lohn  für  alle  seit  1788  aufgewandten 
Mühen  und  Kosten  nicht  erlangen  können.  Es  hatte  die  Ver- 
wirklichung der  Hoffnungen,  die  es  in  der  Türkei,  in  Ungarn 
und  in  Polen,  in  Lüttich  und  in  Belgien  erregt  hatte,  unmöglich 
gemacht.  Nur  seine  Verbündeten  hatten  ihr  Ziel  erreicht,  und 
sein  Hauptgegner  Österreich  hatte  trotz  der  tatsächlichen  Unter- 
werfung unter  den  Willen  Preußens  doch  den  größten  Vorteil 
von  der  Konvention.  Es  war  aus  dem  Kriege  gegen  die  Türkei 
ausgeschieden  und  hatte  damit  dem  österreichisch-russischen 
Bündnisse  seine  Hauptbedeutung  für  die  Seemächte  genommen, 
und  die  Türkei  ging  in  ihrem  Besitzstande  fast  ungeschmälert 
aus  dem  Kriege  hervor,  der  ihr  so  starke  Verluste  in  Aussicht 
gestellt  hatte.    Rußland  allerdings  war  noch  mit  ihr  im  Kampfe, 


(5  I.  Abschnitt 

aber  auch  diese  Macht  hofften  die  englischen  Staatsmänner  mit 
preußischer  Hilfe  zu  einem  Frieden  zu  zwingen,  der  ihr  nichts 
einbrachte.  Ging  es  auch  nicht  ganz  so,  wie  sie  wollten,  im  all- 
gemeinen setzten  sie  ihre  Forderung  doch  durch.  Zwar  hatte 
Österreich  seinen  Landbesitz  nicht  erweitern  können,  aber  es 
gelang  ihm  nun  wenigstens,  seine  aufständischen  Untertanen 
wieder  zu  unterwerfen  trotz  der  preußischen  Quertreibereien, 
besonders  in  Belgien,  und  auch  die  Wahl  Leopolds  zum  Kaiser 
fand  nach  dem  Ausscheiden  des  Hauptgegners  aus  dem  Kampfe 
nur  noch  unbedeutende  Hemmnisse. 

Preußen  mußte  sich  jetzt  für  seine  Politik  eine  neue  Basis 
suchen,  da  sich  die  alte,  die  Verbindung  mit  England  und  Holland, 
als  so  wenig  nützlich  für  seine  Ziele  erwiesen  hatte1).  Denn  mochte 
vielleicht  unter  günstigen  Umständen  Preußen  stark  genug  sein, 
um  im  Frieden  seine  Stellung  durch  eigene  Kraft  zu  behaupten2), 
so  brauchte  es  für  eine  aktive  Politik  unbedingt  die  Unterstützung 
durch  eine  andere  Macht.  Das  aber  stand  für  Friedrich  Wilhelm 
ebenso  fest  wie  für  Hertzberg,  daß  Preußen  sich  mit  seinem 
gegenwärtigen  Besitzstand  nicht  begnügen  könne,  und  es  fragte 
sich  nur,  welche  Macht  ihm  am  besten  zu  Schutz  und  Land- 
erwerb verhelfen  konnte.  Der  König  gab  die  Allianz  mit  Eng- 
land durchaus  noch  nicht  auf  —  das  trat  erst  nach  der  Wiener 
Konvention  vom  25.  Juli  1791  ein  —  aber  er  erkannte,  daß  sie 
ihm  nur  einen  Rückhalt  gegen  Angriffe  gewähren  konnte,  ebenso 
wie  dazu  noch  der  Fürstenbund,  Polen,  Schweden,  allenfalls 
wohl  auch  die  Türkei.  Aber  auf  diese  kleinen  Mächte  zählte  er 
nicht  sonderlich.  Gerade  daß  er  eine  Allianz  darüber  hinaus 
suchte,  scheint  mir  der  beste  Beweis  für  den  offensiven  Charakter 
seiner  Politik  zu  sein. 

Drei  Wege  standen  ihm  da  offen:  nach  Frankreich  —  Polen 
ist  nur  als  dessen  Anhängsel  zu  betrachten  —  nach  Rußland, 
nach  Österreich.  Alle  drei  sehen  wir  ihn  gleichzeitig  versuchen, 
großenteils  geheim  vor  Hertzberg,  auf  dessen  Billigung  doch  nicht 
zu  rechnen  war,  so  daß  die  preußische  Politik  während  der  folgen- 
den Monate  bis  zum  August  1791  in  der  Tat  auf  den  ersten  Blick 
verworren  genug  erscheint3).     Überhaupt  hat  der  Abschluß  der 

')  Caris  ien  111. 

2)  Winke  über  das  Staatsinteresse  der  Preußischen  Monarchie.  1792, 
S.  6—7. 

8)  L.  S  e  v  i  n,  Das  System  der  preußischen  Geheimpolitik  vom 
August  1790  bis  zum  Mai  1791.  Heidelberg  1903,  S.  15—19;  W  i  1 1  i  c  h  e  n, 


Von  Reichenbach  bis  Pillnitz  7 

verschiedensten ,  sich  teilweise  widersprechenden  Bündnisse 
Preußen  in  dieser  Zeit  oft  in  recht  schwierige  Lagen  gebracht 
(Carisien  108  u.  123).  Es  ist  eine  Politik  des  Tastens,  die  nach 
allen  Seiten  ihre  Fühlhörner  ausstreckt,  und  ich  möchte  daher 
auf  die  Chronologie  dieser  Versuche  nicht  gar  zu  großes  Gewicht 
legen,  d.  h.  nicht  unbedingt  eine  ursächliche  Verbindung  her- 
stellen wollen  zwischen  der  Ablehnung  eines  preußischen  An- 
trages auf  einer  Seite  und  der  Stellung  eines  neuen  bei  einer 
anderen  Macht.  Es  kann  nicht  meine  Absicht  sein,  das  einzelne 
dieser  Verhandlungen  hier  auszuführen;  ich  beschränke  mich 
darauf,  die  Grundlinien  zu  kennzeichnen. 

II. 

Betrachten  wir  zunächst  die  Verhandlungen  mit  Rußland  und 
Österreich,  dann  di#  mit  Frankreich.  Seit  dem  Sommer  1789 
hatten  in  Berlin  hinter  dem  Rücken  von  Hertzberg,  zwischen 
Alopeus1)  und  Bischoffwerder,  dem  Generaladjutanten  Friedrich 
Wilhelms,  Besprechungen  stattgefunden,  die  auf  eine  Verständi- 
gung, vielleicht  sogar  auf  eine  Erneuerung  des  russisch-preußischen 
Bündnisses  hinzielten.  Doch  war  der  Erfolg  so  gering,  daß  Ende 
September  1790  der  König  überzeugt  war,  man  müsse  Rußland 
mit  Gewalt  zur  Anerkennung  des  Status  quo  zwingen,  die  Öster- 
reich in  Reichenbach  sich  hatte  abringen  lassen,  und  rasch  ver- 
schwanden neu  aufgetauchte  Hoffnungen  wieder,  ja  ein  Krieg 
schien  bevorzustehen2).  Umsomehr  mußte  Preußen  versuchen, 
sich  andere  Allüerte  zu  verschaffen.  Den  nächsten  Versuch  dieser 
Art  machte  es  bei  Österreich. 

Friedrich  Wilhelm  hatte  schon  in  einer  Audienz  am  6.  August 
zu  dem  Fürsten  Reuß,  der  Österreich  bei  ihm  vertrat,  gesagt, 
er  glaube  aus  seinen  Äußerungen  schließen  zu  dürfen,  daß  Öster- 
reich auch  an  ein  vertrautes  Einverständnis  mit  Preußen  denke, 
wozu  er  gern  die  Hände  bieten  werde.  Dazu  hatte  Bischoffwerder, 


Polnische  Politik  74—75;  F.  C.  Wittichen  in  F.B.P.G.  XVII  260;  F.  C. 
W  i  1 1  i  c  h  e  n  ,  Preußen  und  die  Revolutionen  in  Belgien  und  Lüttich 
1789—1790.    Göttingen  1905,  S.  100—102. 

1)  Er  war  an  die  Seite  des  immer  bedeutungsloser  werdenden  Grafen 
Nesselrode  als  russischer  Gesandter  getreten,  und  durch  seine  Hände  gingen 
seitdem  alle  wichtigen  Geschäfte,  obwohl  er  nicht  formell  beglaubigt 
worden  war  (vgl.  unten). 

2)  Martens,  Traites-Russie  VI  142—145;  Sybel  I  346—347; 
Dembinski  I  83—89,  319—328,  332—338,  340—344. 


8  L  Abschnitt 

der  in  Schönwalde,  unterstützt  von  Lucchesini,  noch  an  Einfluß 
gewonnen  zu  haben  scheint1),  nachher  viel  von  künftiger  Freund- 
schaft gesprochen.  Die  Ankunft  eines  Vertreters  der  französischen 
Emigranten  in  Breslau,  des  Baron  Roll,  gab  dem  König  die  er- 
wünschte Gelegenheit,  gegen  Österreich  weiter  mit  der  Sprache 
herauszugehen.  Bisher  hatte  er  die  Emigranten  abgewiesen2). 
Wir  sahen,  daß  er  die  französische  Revolution  für  Preußen  nur 
als  negativ  wirksam  betrachtete.  Jetzt,  wo  die  Hauptfrage  im 
Osten  vorläufig  geregelt  war,  ging  er  auf  den  Vorschlag  der 
Prinzen  ein,  aber  zwei  Bedingungen  stellte  er  sofort,  und  wir 
werden  sehen,  daß  er  an  ihnen  konsequent  festhält :  Allein  kann 
Preußen  sich  an  ein  derartiges  Unternehmen,  die  Wiederherstel- 
lung der  königlichen  Macht  in  Frankreich,  nicht  machen;  Öster- 
reich muß  mit  dabei  sein.  Ferner :  Preußen  muß  für  seine  Kriegs- 
kosten entschädigt  werden.  Das  hatten  am  10.  September  Bischoff- 
werder und  am  13.  der  Erbprinz  von  Hohenlohe-Ingelfingen,  der 
das  preußische  Hilfskorps  kommandieren  sollte,  dem  österreichi- 
schen Gesandten  zu  eröffnen3).  Dieser  verhielt  sich  zunächst 
passiv,  und  es  dauerte  nicht  lange,  da  hatte  er  die  schroff  ab- 
lehnende Antwort  von  Kaunitz,  der  sich  eben  mit  dem  Frei- 
herrn v.  Jacobi,  dem  Vertreter  Preußens  in  Wien,  heftig  über 
die  Auslegung  der  Konvention  von  Reichenbach  stritt4).  Zwar 
desavouierte  Leopold  ihn  bald  darauf  in  einem  Gespräch  mit 
Goertz  in  Frankfurt  und  hätte  sich  darüber  beinahe  mit  Ruß- 
land entzweit 5) ;  aber  so  viel  war  doch  sicher,  daß  für  preußische 
Bundesanträge  in  Wien  der  Boden  noch  zu  heiß  war.  Mehr  als 
einen  Versuchsballon  wird  man  in  diesem  preußischen  Antrag 
auch  kaum  sehen  dürfen,  jedenfalls  keine  Parteinahme  für  die 
französische  königliche  Familie  wegen  der  Auflösungstendenzen 
der  französischen  Revolution  oder  etwa  wegen  des  königlichen 


')VivenotINr.  375,  S.  534  und  536. 

2)  Bai  Heu  in  der  Historischen  Zeitschrift  Bd.  74,  S.  259—262; 
F.  C.  Wittichen  in  F.B.P.G.  XVII  254. 

3)  Krieg  gegen  die  Revolution  I  16 — 18;  Adolf  Beer,  Leopold  IL, 
Franz  IL  und  Katharina  36— 37;  W  i  1 1  i  c  h  e  nin  F.B.P.G.  XVII 256— 261; 
S  y  b  e  1 1  350;  S  o  r  e  1 II 160;  H  e  i  g  e  1 1  398.  Gegenüber  den  von  P.  Wit- 
tichen (Polnische  Politik  73 — 74) herangezogenen  Stellen  von  Schlieffen 
(II  371,  388,  565)  ist  hervorzuheben,  daß  schon  die  Erwähnung  des  Breis- 
gaus beweist,  daß  Preußen  mit  Österreich  zusammen  vorgehen  wollte. 

*)  Sybel  I  344—345;  Heigel  I  375—376;  Ranke  7;  Dem- 
b  i  n  s  k  i  I  89—91,  329,  331—332,  334,  338,  340. 

5)  A.  Beer,  Leopold  IL,  Franz  IL  und  Katharina  33 — 34. 


Von  Reichenbach  bis  Pülnitz  9 

Gemüts1),  das  sich  ja  am  14.  September  in  entgegengesetztem 
Sinne  so  entschieden  betätigte.  Wäre  Österreich  auf  den  preußi- 
schen Antrag  eingegangen,  so  hätte  nach  der  damaligen  Ansicht 
über  die  französische  Revolution  von  einem  Wagnis  keine  Rede 
sein  können,  umsomehr  hätte  man  aber  gewinnen  können.  Wir 
erfahren  hier  auch  schon,  was  Friedrich  Wilhelms  Ehrgeiz  er- 
strebte :  Jülich  und  Berg  sollte  ihm  der  Bayer  abtreten,  um  selbst 
dafür  im  Elsaß  entschädigt  zu  werden2).  Der  König  sah  in  der 
Bekämpfung  der  Revolution  eben  nur  ein  Mittel,  durch  einen 
Krieg  gegen  sie  für  seinen  Staat  einen  Gebietszuwachs  zu  er- 
halten. Diesmal  hätte  er  sich  mit  den  Emigranten  ans  Werk 
gemacht.  Er  trug  kein  Bedenken,  sich  1792  der  Politik  der 
Tuilerien  anzuschließen,  ohne  dabei  die  Emigranten  ganz  aus- 
schalten zu  wollen,  und  verband  sich  mit  Österreich,  das  im  Ein- 
verständnis mit  den  Feuillants  handelte.  Von  einem  prinzipiellen 
Eintreten  Friedrich  Wilhelms  gegen  die  französische  Revolution3) 
kann  also  jetzt  ebensowenig  wie  später  die  Rede  sein,  mochte 
er  auch  über  das  brutale  Vorgehen  der  Jakobiner  zürnen  und  die 
unglückliche  königliche  Familie  bedauern.  Aber,  wie  schon  ge- 
sagt, Österreich  lehnte  vorläufig  einen  Kampf  gegen  die  Revo- 
lution wie  ein  Bündnis  mit  Preußen  ab. 

So  versuchte  der  König  denn  endlich  die  dritte  Möglichkeit, 
ein  Bündnis  mit  dem  revolutionären  Frankreich  selbst.  Schon 
daß  der  Versuch  erst  jetzt  erfolgt,  scheint  mir  ein  Beweis  für  die 
Annahme  zu  sein,  daß  man  sich  hiervon  in  Berlin  weniger  Vor- 
teil versprach  als  von  einer  Verbindung  mit  Rußland  oder  Öster- 
reich4). War  die  französische  Politik  denn  noch  eine  einheitliche 
zu  nennen?  Schon  in  der  absoluten  Monarchie  sehen  wir  ver- 
schiedene Parteien  am  Werke,  ihre  Pläne  gegenseitig  zunichte 
zu  machen.  Wieviel  mehr  mußte  die  Zerklüftung  in  einem  Lande 
sich  zeigen,  wo  die  Nationalversammlung,  das  ganze  Volk  und 
seine  Vertreterin,  die  Presse,  sich  einen  stets  wachsenden  Ein- 
fluß eroberten,  um  dem  als  reaktionär  erscheinenden  Hofe  die 
Mittel  zu  entziehen,  seine  Pläne  durchzusetzen. 

Zwei  Richtungen  können  wir  hier  also  vornehmlich  unter- 
scheiden, wenn  wir  von  den  Emigranten  absehen,  zunächst  die 

»)  P.  W  i  1 1  i  c  h  e  n,  Polnische  Politik  73  und  109;  H  e  i  g  e  1  I  398; 
S  y  b  e  1  I  350. 

2)  Vgl.  auch  F.  C.  W  i  1 1  i  c  h  e  n  in  F.B.P.G.  XVII  258. 

3)  Sybel  II  172—173. 

4)  Sorel  II  159. 


10  I.  Abschnitt 

Politik  des  Königspaares,  das  bis  jetzt  weit  davon  entfernt  war, 
«ine  Annäherung  an  Preußen  zu  suchen,  sich  vielmehr  streng 
an  die  Verbindung  mit  Österreich  und  auch  mit  Spanien  hielt. 
Hiergegen  Front  zu  machen,  war  seit  dem  Ausbruch  der  Revo- 
lution die  vornehmste  Sorge  Preußens  gewesen,  und  so  blieb  es 
bis  zur  Flucht  des  französischen  Königspaares  und  bis  zum  Ab- 
schluß der  Wiener  Konvention.  Das  beste  Mittel  dazu  bot  die 
Verbindung  mit  der  radikalen  Partei,  den  Jakobinern.  Eifrig 
sehen  wir  den  Vertreter  Preußens,  Goltz,  am  Werke,  zunächst 
nicht  so  sehr  ein  Bündnis  Frankreichs  mit  Preußen  zu  stände 
zu  bringen,  als  die  Schwäche  Frankreichs  zu  erhalten1);  denn  auf 
die  Festigkeit  der  Parteiverhältnisse  wie  der  Regierung  in  Frank- 
reich zu  zählen,  hatte  man  wirklich  keine  Veranlassung.  Mehr 
und  mehr  aber  tritt  bei  Goltz  mit  dem  Anwachsen  der  Macht 
der  Nationalversammlung  der  Wunsch  hervor,  für  Preußen  in 
dem  revolutionären  Frankreich  einen  Bundesgenossen  zu  er- 
werben2). Es  galt  also,  aus  der  Oppositionspartei  die  Regierung 
zu  machen  und  für  Frankreichs  Konsolidierung  zu  wirken.  Dem 
französischen  Minister  des  Auswärtigen,  Montmorin,  waren  Ge- 
danken an  eine  Allianz  mit  Preußen  ja  auch  nicht  fremd.  Vor 
Reichenbach  hatte  die  Rücksicht  auf  England  diesem  Bestreben 
Preußens  stark  geschadet,  denn  an  einen  Eintritt  in  das  Bündnis 
zwischen  England,  Holland  und  Preußen  dachten  die  französi- 
schen Revolutionäre,  besonders  seit  der  Affäre  von  Nootkasund, 
ebensowenig  wie  die  Engländer;  sie  sahen  in  ihm  den  alten  Feind 
Frankreichs.  Nur  die  größte  Not  hätte  sie  dazu  zwingen  können3). 
Jetzt,  nach  Reichenbach,  war  Goltz  davon  befreit,  seit  dem 
August  konnte  er  positiv  arbeiten.  Ein  preußisch-französisches 
Sonderbündnis  lag  auch  deshalb  ganz  in  der  Richtung  der  fran- 
zösischen Revolution,  weil  sich  Anzeichen  für  die  Absicht  einer 
Gegenrevolution  bei  Österreich  bemerkbar  zu  machen  schienen 
(daß  sie  diesem  nur  von  den  Emigranten  untergeschoben  wurden, 
macht  hierfür  ja  nichts  aus).  Goltz  verstand  es  auch,  die  Schuld 
an  der  Wiedereroberung  Belgiens  den  Engländern  in  die  Schuhe 
zu  schieben.  So  schien  die  Annäherung  zwischen  Preußen  und 
Frankreich  im  besten  Zuge  zu  sein. 

Aber   Friedrich  Wilhelm  glaubte   doch,   mit   dem   offiziellen 
Gesandten  in  Paris  allein  nicht  weiterkommen  zu  können.     Er 


1 )  S  o  r  e  1  II  69,  vgl.  auch  I  525. 

2)  Vgl.  auch  F.  C.  W  i  1 1  i  c  h  e  n  in  F.B.P.G.  XVII  254  ff. 

3)  Sevin  34  ff. 


Von  Reichenbach  bis  Pillnitz  1  \ 

schickte  ihm  daher,  ohne  ihn  jedoch  ganz  einzuweihen,  in  dem 
Kommissionsrat  Ephraim  einen  Helfershelfer,  der  nicht  immer 
nach  den  Wünschen  von  Goltz  verfuhr  (14.  September  1790). 
Offiziellen  Charakter  trug  die  Sendung  Ephraims  nicht.  Ging 
er  zu  weit  vor  oder  änderte  sich  die  Lage,  so  konnte  er  leicht 
desavouiert  werden.  Aber  dieser  preußische  Versuch  sollte  der 
Sache  nur  schaden,  denn  Ephraim  scheint  doch  in  der  Unter- 
stützung der  radikalen  Partei  des  Guten  zu  viel  getan,  die  da- 
malige Lage  für  ein  Bündnis  in  der  Tat  nicht  für  geeignet  ge- 
halten zu  haben1).  Da  Montmorin  schon  von  vornherein  be- 
fürchtete, Preußen  wolle  bloß  mit  der  Möglichkeit  einer  Allianz 
mit  Frankreich  den  Österreichern  zeigen,  wie  wenig  diese  auf 
Frankreich  zählen  könnten,  ohne  daß  es  doch  Preußen  Ernst  mit 
dem  Versuche  sei2),  wie  schon  die  ganze  Art  des  preußischen 
Vorgehens  anzudeuten  schien,  so  kam  er  von  Anfang  an  den 
Preußen  nur  mißtrauisch  entgegen.  Freilich  wurde  der  anti- 
österreichische Herr  v.  Moustier,  der  die  preußische  Allianz  für 
Frankreich  erstrebte  und  einige  Monate  später  sogar  bereit  war, 
Frankreichs  alten  Verbündeten  Polen  zu  opfern3),  nach  Berlin 
geschickt,  und  Ende  Dezember  traf  er  mit  Bischoffwerder  zu- 
sammen vermittels  eines  Empfehlungsbriefes  an  Frau  Ephraim, 
den  ihr  Mann  Montmorin  in  die  Hände  zu  spielen  verstanden 
hatte.  Aber  Montmorin,  den,  ganz  abgesehen  von  der  merk- 
würdigen Wahl  des  preußischen  Vermittlers,  auch  dessen  Tiraden 
gegen  die  Königin  vor  den  Kopf  stießen,  wie  Moustier  hielten  sich 
zurück,  und  so  wurde  aus  diesem  Plane  nichts.  Preußen  ließ  ihn 
spätestens  im  Februar  1791  fallen,  als  Bischoffwerder  nach  Öster- 
reich ging,  um  dort  einen  neuen  Ansturm  zu  machen4).   Denn  das 


*)  So  behauptet  er  in  einer  Denkschrift  vom  Jahre  1797  (Rep.  XI  89 
Frankreich.  Varia  1790 — 1796),  so  wiederholt  er  es  in  seiner  Biographie 
(B.  V.  Ephraim,  De  ma  detention  et  de  quelques  autres  evenements 
de  ma  vie,  2.  ed.  1808)  S.  104—105. 

2)  S  o  r  e  1  II  156 — 157  nimmt  diese  Ansicht  auf. 

3)  Dembinski  I  138—142. 

4)  Nichtsdestoweniger  blieb  es  durch  Goltz  mit  den  Radikalen  in 
enger  Fühlung,  bereit,  die  Fäden  eventuell  später  wieder  aufzunehmen. 
Das  entsprach  ganz  der  Ansicht  Ephraims,  der  vorläufig  ein  passives  Ver- 
halten gegenüber  Frankreich  empfahl.  Er  und  Goltz  mißbilligten  die 
Wendung  gegen  Frankreich  aufs  allerschärfste.  Der  eine  drückte  dies  in 
seinen  Denkschriften  und  seinen  Briefen  an  Bischoffwerder,  der  andere  in 
seinen  Berichten  aus,  ohne  zu  erkennen,  daß  für  jetzt  derartige  Ratschläge 
nichts  nützen  konnten.  Doch  ist  zu  beachten,  daß  die  früheren  Radikalen 
stark  von  links  nach  rechts  gerückt  waren. 


12  I.  Abschnitt 

war  ja  klar,  daß  die  Allianz  mit  Österreich  oder  Rußland  be- 
deutend mehr  wert  war  als  eine  solche  mit  Frankreich,  dem  man 
erst  zur  Konsistenz  hätte  verhelfen  müssen.  Da  ein  Krieg  gegen 
Rußland  scheinbar  vor  der  Tür  stand,  so  mußte  man  sich  zum 
mindesten  von  seiten  Österreichs  den  Rücken  freihalten.  Von 
einer  Unternehmung  gegen  Frankreich  ist  jetzt  keine 
Rede,  und  mit  Recht  bemerkt  Sorel1),  daß  von  der  französischen 
Revolution  in  diesen  Verhandlungen  eigentlich  keine  Rede  ist. 
Viel  näher  lag  jetzt  die  andere  Sorge.  Man  versuchte  es  also 
von  neuem  dort,  wo  man  früher  so  wenig  Erfolg  gehabt  hatte. 
Der  Zeitpunkt,  in  dem  zuerst  wieder  in  Berlin  der  Gedanke 
des  Bündnisses  mit  Österreich  ausgesprochen  wurde,  scheint  mir 
beachtenswert2).  Ende  Dezember  1790  hatte  Moustier  sich  gegen- 
über den  geheimen  preußischen  Anträgen  so  zurückhaltend  be- 
nommen, und  Ephraim  war  nicht  für  ein  Bündnis  eingetreten; 
dagegen  konnte  Goltz  nichts  ausrichten.  Nur  ein  voller  und 
ganzer  Anschluß  Frankreichs  an  Preußen  konnte  dessen  Wün- 
schen genügen.  Frankreichs  Neutralität  nützte  ihm  nichts,  ihrer 
war  man  auch  ohne  Bündnis  sicher,  und  nötigenfalls  hätte  der 
Druck  Englands  ausgereicht,  um  im  Einklang  mit  dem  Volks- 
willen eine  Diversion  Frankreichs  gegen  Preußen  zu  verhindern. 
Ist  es  nun  Zufall,  daß  am  7.  Januar  1791  Bischoffwerder  mit 
Bündnisangeboten  an  Reuß  und  Alopeus  herantrat?  Ganz  un- 
begründet waren  sie  nicht b).  Das  französische  Bündnis  war  für 
Preußen  nur  noch  die  zweite  Sehne  am  Bogen;  man  ließ  es  ganz 
fallen,  sowie  man  das  österreichische  ernsthaft  betrieb  und  so- 
wie das  französische  hinderlich  wurde4).  Sofort  traten  dabei  die 
alten  Wünsche  wieder  hervor,  deren  Erfüllung  das  preußische 
Staatsinteresse  forderte,  unabhängig  von  der  Gruppierung  der 
Mächte;  nur  die  Mittel  zu  ihrer  Ausführung  wechselte  man. 
Bei  Rußland  war  jedoch  vorläufig  noch  nichts  zu  erreichen, 
trotzdem  Preußen  der  russischen  Erwerbung  von  Oczakow  nicht 
mehr  so  ablehnend  gegenüber  stand,  vorausgesetzt  daß  es  dabei 
selbst  etwas  in  Polen  erhalten  hätte.  Und  hatte  Bischoffwerder 
bei  Reuß   vor  allem  über  England  geklagt,   Preußen  brauche 


x)  Sorel  II  163—164;  Hei  gel  I  401. 

2)  Häußer  I  297;  Sybel  I  350  ff.;  Ranke  14  ff.;  Heigel  I 
398  ff. 

3)  Dembinski  353—354. 

4)  A.  Beer,  Leopold  IL,  Franz  IL  und  Katharina  37  ff. ;   S  y  b  e  1, 
Vorträge  und  Aufsätze  181  und  Sybel  I  350. 


Von  Reichenbach  bis  Pillnitz  13 

einen  Ersatz  für  das  drückende  Bündnis  mit  dieser  Macht1),  so 
trat  auch  dieser  damit  zusammenhängende  Gedanke  ebenso  wie 
der  vorige  mehr  in  den  Hintergrund  bei  den  Besprechungen 
Bischoffwerders  in  Wien.  Der  Wendung  zu  Österreich  wollte 
Preußen  im  Februar  vor  allem  eine  Spitze  gegen  Rußland  geben. 

Unter  dem  Schein  eines  Zerwürfnisses  mit  dem  Könige  ver- 
ließ Bischoffwerder  den  Hof  und  reiste  heimlich  als  Kommissions- 
rat  Buschmann  nach  Wien2).  Seine  Hauptforderung  war,  Öster- 
reich solle  in  die  Tripelallianz  eintreten;  er  deutete  sie  erst  vor- 
sichtig an,  dann  ging  er  deutlicher  mit  der  Sprache  heraus. 
Mochte  sich  nun  auch  Leopold  in  dem  Bündnis  mit  Rußland 
nicht  so  wohl  fühlen,  wie  Joseph  es  bei  dessen  Abschluß  erhofft 
hatte,  er  dachte  ebensowenig  wie  Kaunitz  daran,  es  preiszugeben. 
Sie  forderten  vielmehr  gerade  den  Eintritt  Rußlands  in  den  Bund, 
dem  Preußen  eine  Spitze  gegen  Rußland  geben  wollte.  .Nur  so 
schien  Österreich  der  Gefahr  eines  Krieges  gegen  Rußland  oder 
einer  russisch-preußischen  Übereinkunft  auf  Kosten  Polens  vor- 
beugen zu  können.  Doch  dachte  Leopold  nicht  an  einen  Abbruch 
der  Verhandlungen,  und  Bischoffwerder  hielt  den  Abschluß  so- 
gar schon  für  gesichert.  Sein  diplomatischer  Dilettantismus  er- 
wies sich  doch  im  Kampfe  mit  so  gewiegten  Diplomaten,  wie  die 
Österreicher  es  waren,  als  gefährlich  für  Preußen.  Er  hielt  den 
preußischen  Standpunkt  jetzt  und  im  Sommer  ebensowenig 
energisch  fest  wie  ein  Jahr  später.  Der  König  mußte  ihn  rekti- 
fizieren; auf  solche  Bedingungen  konnte  er  nicht  eingehen. 
BischofEwerder  erhielt  hier  in  Manstein,  der  mit  dem  Herzog  von 
Braunschweig  und  mit  Möllendorff  seine  Reise  zuerst  begünstigt 
hatte,  einen  gefährlichen  Gegner. 

Bei  diesem  Bunde  hätte  Preußen  gar  nichts  erlangt.  Hat  man 
später  die  österreichisch-preußische  Allianz  als  monströs  be- 
zeichnet3), so  wäre  ein  Bündnis  zwischen  Preußen,  Österreich, 
den  Seemächten  und  Rußland  in  sich  schon  ein  Unding  gewesen, 
das  zu  praktischer  Betätigung  bei  dem  Auseinandergehen  der 
Interessen  der  einzelnen  Bundesglieder  absolut  unfähig  gewesen 
wäre,  gesetzt  den  Fall,  daß  es  überhaupt  zu  stände  kam.  Preußen  - 
speziell  erhielt  keine  Zusage  für  eine  Vergrößerung  seines  Besitz- 
standes,  und  doch  versprach  Bischoflwerder  den    Österreichern 


*)  A.  Beer  39;  Dembinski  I  107—108  und  112;  Härtens, 
Traites-Russie  VI  146. 

2)  Dembinskil  114—117,  120—121,  443;  S  c  h  1  i  e  f  f  e  n  II  366. 

3)  Vgl.  z.  B.  C  a  r  i  s  i  e  n  108—109  und  114. 


14  I.  Abschnitt 

die  preußische  Zustimmung  zum  Erwerb  von  Teilen  Bayerns, 
scheinbar  ohne  dazu  ermächtigt  zu  sein,  wenn  Preußen  Danzig 
und  Thorn,  Ansbach  und  Bayreuth,  dafür  später  im  Austausch 
die  Lausitzen  erhalte.  Ebensowenig  verpflichtete  sich  Öster- 
reich zu  raschem  Abschluß  in  Sistowa,  wozu  allerdings  Bischoff- 
werder selbst  die  Veranlassung  gab,  um  für  Preußen  die  Möglich- 
keit einer  polnischen,  für  Österreich  die  einer  türkischen  Er- 
werbung offen  zu  halten.  Endlich  versprach  Österreich  auch 
nicht  seine  Neutralität  im  preußisch-russischen  Kriege,  das 
wenigste,  was  man  zu  erlangen  gehofft  hatte.  Friedrich  Wilhelm 
billigte  daher  durchaus  den  ablehnenden  Vorschlag  Mansteins 
und  Finckensteins.  Es  bedurfte  eines  neuen  Anstoßes,  um  die  ins 
Stocken  geratenen  Verhandlungen  wieder  in  Fluß  zu  bringen. 
England  gab  ihn  mit  dem  Versuche,  sich  Österreich  direkt  zu 
nähern,  nachdem  es  die  Erhaltung  des  status  quo  stricte  durch 
einen  Krieg  gegen  Rußland  infolge  des  Widerspruchs  der  Nation 
hatte  aufgeben  müssen1).  Es  schien  doch  keine  Lebensfrage  für 
England  auf  dem  Spiel  zu  stehen,  die  ein  so  gefährliches  Wagnis 
wie  einen  Krieg  gegen  Rußland  hätte  rechtfertigen  können.  Ja 
es  bleibt  wohl  immer  noch  dahingestellt,  ob  nicht  auch  Pitt  ähn- 
lich wie  Hertzberg  mehr  eine  Demonstration  als  einen  Krieg  auf 
Tod  und  Leben  beabsichtigte. 

Damit  drohte  England  die  Preußen  bei  Österreich  zu  über- 
holen, und  das  mußte  auf  jeden  Fall  vermieden  werden.  Außer- 
dem war  ein  Krieg  mit  Rußland  immer  noch  möglich;  es  galt 
also  von  neuem,  Österreichs  Neutralität  dafür  zu  erlangen.  In 
all  diese  Verhandlungen  war  Hertzberg  nicht  eingeweiht  worden, 
und  auch  Leopold  hatte  seinerseits  Kaunitz  möglichst  aus  dem 
Spiel  gelassen.  Aber  hier  zeigt  sich,  wie  viel  fester  doch  die 
Stellung  des  letzteren  als  die  Hertzbergs  war.  Man  kam  schließ- 
lich doch  immer  wieder  zu  ihm  und  holte  sich  Rat.  Auch  Preußen 
konnte  daher  nicht  darum  herumkommen,  ihn  jetzt  in  den 
Bündnisplan  einzuweihen.  Hertzberg  aber  wurde  auf  ausdrück- 
lichen Befehl  des  Königs  in  seiner  Unwissenheit  belassen  und 
schied  kurz  darauf  am  5.  Juli  aus  dem  Amte  eines  Kabinetts- 
ministers. Wir  können  ihn  daher  für  die  folgenden  Ereignisse 
als  toten  Mann  betrachten.   Schon  waren  die  Erben  auf  dem  Plan. 


1 )  S  y  b  e  1  I  355—357;  Heigell  401  ;Ranke  20—21 ;  E.  Herr- 
m  a  n  n  in  F.D.G.  V  242—243;  Dembinskil  143—144,  375,  444-^47, 
449_452;  S  a  1  o  m  o  n,  Teilung  53—54  und  S  a  1  o  m  o  n ,  Pitt  I  2,  516  ff. 


Von  Reichenbach  bis  Pillnitz  15 

Am  1.  Mai  hatte  der  König  den  Grafen  Friedrich  Wilhelm 
von  der  Schulenburg-Kehnert  und  den  Freiherrn  von  Alvens- 
leben  zu  Kabinettsministern  ernannt ;  sie  stellen  in  der  folgenden 
Zeit  bei  dem  Alter  und  der  vorsichtigen  Zurückhaltung  Fincken- 
steins  das  treibende  Element  in  dieser  Behörde  dar.  Alvenslebens 
produktive  Tätigkeit  erreichte  freilich  Ende  Juli  dieses  Jahres  mit 
der  völligen  Schwenkung  Friedrich  Wilhelms  von  England  zu 
Österreich  ein  rasches  Ende.  Fortan  bildete  er  die  Oppositions- 
partei in  dem  Trifolium.  Doch  glaubte  er  seine  Pflicht  und 
Schuldigkeit  getan  zu  haben,  wenn  er  bei  preußischen  Schritten, 
die  er  nicht  hatte  hindern  können,  seinen  Protest  zu  den  Akten 
gab.  Er  verdammte  sich  damit  selbst  zu  der  Tätigkeit  eines 
Handlangers,  und  es  paßt  sehr  gut  dazu,  wenn  ihm  eine  gewisse 
Trägheit  vorgeworfen  wird1).  Glücklicher  war  sein  Genosse 
Schulenburg,  der  sich  bald  entschloß,  der  Wendung  seines  könig- 
lichen Herrn  zu  folgen,  um  die  Zügel  nicht  aus  der  Hand  geben 
zu  müssen,  ja  sie  eigentlich  erst  zu  ergreifen,  bis  er,  den  An- 
strengungen des  Amtes  auch  körperlich  nicht  mehr  gewachsen, 
es  infolge  mancher  Meinungsverschiedenheiten  mit  dem  Könige 
gerade  in  dem  Augenblick  abgeben  mußte,  in  dem  der  Lohn  für 
seine  einjährige  .Tätigkeit  Preußen  zuzufallen  schien.  Nur  die 
Verhandlungen  über  die  zweite  Teilung  Polens  führte  er  noch 
zu  Ende,  um  dann  aus  dem  Kabinettsministerium  gänzlich  aus- 
zuscheiden. 

Ihrer  Ansicht  nach2)  sollte  Preußen  versuchen,  Österreich 
ganz  von  Rußland  zu  trennen  und  es  zu  Preußen  und  den  See- 
mächten hinüberzuziehen.  Der  rasche  Abschluß  in  Sistowa  war 
ihnen  wie  dem  Könige  ein  Hauptpunkt.  An  ein  Aufgeben  des 
Bündnisses  mit  England  dachten  sie  also  nicht;  dazu  waren  sie 
in  die  vorangegangenen  geheimen  Unterhandlungen  oder  wenig- 
stens in  die  letzten  Absichten  des  Königs  wohl  nicht  tief  genug 
eingeweiht.  Sie  hielten  sich  an  die  allgemein  bekannten  Tat- 
sachen, wollten  jedoch  mit  Österreich  abschließen  und  dann  erst 
die  Seemächte  zuziehen,  so  daß  für  Preußen  hier  in  der  Tat  ein 
doppeltes  Verhältnis  geschaffen  worden  wäre,  von  dem  Preußen 
den  Vorteil  gehabt  hätte.     Als  entscheidend  kann  ich  trotzdem 


1 )  R.  Krauel,  Graf  Hertzberg  als  Minister  Friedrich  Wilhelms  IL 
Berlin  1899,  S.  73. 

2)  Der  Bericht  an  den  König  ist  von  Finckenstein  und  Schulenburg 
unterzeichnet,  Alvensleben  wurde  erst  nachher  ins  Vertrauen  gezogen,, 
vertrat  dann  aber  durchaus  dieselbe  Politik  (Sybel  I  356 — 357). 


16  I.  Abschnitt 

die  am  12.  Mai  nach  Wien  erlassene  preußische  Anfrage  nicht 
betrachten.  Erst  Bischoffwerders  Sendung  führte  die  wirklich 
für  die  nächsten  Jahre  bedeutende  Wendung  Preußens  zu  Öster- 
reich herbei  und  damit  auch  die  gegen  Frankreich.  Die  Frage  ist 
nur :  Warum  erfolgte  sie,  wo  man  doch  zwischen  Berlin  und  Wien 
schon  verhandelte? 

III. 

Die  Anregung  ist  diesmal  (am  9.  Mai)  von  Leopold  aus- 
gegangen1); verschiedene  Gründe  bestimmten  ihn  dazu.  Zwar 
war  es  nicht  die  Anerkennung  des  neuen  gekräftigten  Polen,  die 
er  damit  zu  erreichen  hoffte.  Umsomehr  aber  mochte  ihn  die 
drohende  Lage  in  Frankreich  dazu  veranlassen,  sich  für  den  Fall 
der  Not  hier  Genossen  zu  sichern,  auf  deren  Hilfe  er  wirklich 
rechnen  konnte.  Von  Rußland  erwartete  er  in  dieser  Frage  nichts. 
Um  die  Hände  im  Westen  frei  zu  haben,  gab  er  den  bestimmten 
Befehl  zum  Abschluß  in  Sistowa.  Er  setzte  sich  damit  in  direkten 
Widerspruch  zu  seinem  Ministerium,  das  die  türkische  Frage  noch 
verschleppen  wollte  und  Forderungen  an  die  Türkei  stellte,  die 
der  preußischen  Auffassung  der  Konvention  von  Reichenbach 
widersprachen.  Er  sah,  daß  im  Osten  nach  der  türkischen  die 
polnische  Frage  der  Erledigung  harrte.  Auch  hier  hatte  er  wichtige 
Interessen  zu  wahren  und  wollte  mit  Rußland  eventuell  gegen 
die  verdächtigen  preußischen  Pläne  Front  machen.  An  ein  Auf- 
geben des  Bundes  mit  Rußland  dachte  er  also  nicht.  Aber  um 
den  Frieden,  dessen  Erhaltung  er  so  sehnlich  wünschte,  im  Westen 
zu  wahren,  mußte  er  sich  den  Seemächten  und  vor  allem  Preußen 
nähern.  So  wollte  er  mit  halb  Europa  zugleich  im  Bunde  stehen, 
um,  je  nachdem  es  die  Umstände  erfordern  würden,  im  Osten 
oder  im  Westen  einzugreifen.  Gern  dachte  er  an  die  letztgenannte 
Aufgabe  wirklich  nicht.  Eben  darum  verhielt  er  sich  gegenüber 
den  englischen  Vorschlägen  wohlwollend  und  berief  selbst  den- 
jenigen preußischen  Vertreter  zu  sich,  auf  dessen  Entgegen- 
kommen er  zählen  durfte. 

Das  preußische  Ministerium,  dem  die  Ansicht  des  öster- 
reichischen natürlich  besser  bekannt  war  als  die  Leopolds,  war 
durchaus   nicht    erfreut,     als   Friedrich   Wilhelm   die    Sendung 


1)  S  y  b  e  1 1  372  ff.;  H  e  r  r  m  a  n  n  in  F.D.G.  V  247  ff.,  H.E.B.  18  ff. ; 
Beer,  Leopold  II.,  Franz  II.  und  Katharina  102—103 ;  H  ä  u  ß  e  r  I  305  ff. ; 
Hei  gel  I  403  ff.;  Ranke  69—71. 


Von  Reichenbach  bis  Pillnitz  17 

Bischoffwerders  genehmigte.  Es  gab  ihm  wenigstens  eine  In- 
struktion mit,  die  den  ministeriellen  Ansichten  entsprach,  und 
vor  allem  die  Bedingung  stellte,  Bischoffwerder  dürfe  nicht 
abschließen,  ohne  vorher  die  Genehmigung  dazu  eingeholt  zu 
haben.  Von  Frankreich  war  darin  überhaupt  keine  Rede.  Diese 
Tatsachen,  verbunden  mit  der  damals  erfolgten  Anerkennung  der 
neuen  polnischen  Verfassung  sprechen  deutlich  genug  dafür,  daß 
das  Bündnis  sich  nach  dem  Willen  des  preußischen  Ministeriums 
gegen  Rußland  richten  sollte. 

Es  ist  wohl  kein  Zweifel  daran  möglich,  daß  Friedrich  Wil- 
helm auf  Bischoffwerders  Sendung  einging,  um  den  Abschluß 
wirklich  herbeizuführen.  Denn  von  Kaunitz  ließ  sich  nach  seinem 
bisherigen  Verhalten  nicht  viel  erwarten,  Philipp  Cobenzl  und 
Spielmann  waren  auch  nicht  entgegenkommender,  Leopold  aber 
hatte  sich  von  Anfang  an  versöhnlich  gezeigt,  und  daß  er  jetzt 
selbst  den  erwähnten  Wunsch  aussprach,  gab  dem  Könige  die 
besten  Hoffnungen  für  die  Zukunft.  So  ließ  er  denn  wieder 
doppelte  Verhandlungen  führen.  Die  ministeriellen  führten  zu 
Rüstungen  und  Truppenmärschen,  die  einen  Krieg  mit  Öster- 
reich wahrscheinlich  machten;  die  vertraulichen  führten  zum 
Abschluß  der  Wiener  Konvention,  die  zwar  nicht  zwei  Jahre 
später  Europa  gegen  die  Revolution  ins  Feld  führte,  wohl  aber 
den  Boden  für  die  erste  Kampagne  gegen  Frankreich  bereiten 
half,  damit  auch  in  gewissem  Sinne  für  die  zweite  Teilung  Polens. 

Ende  Mai  reiste  Bischoffwerder  nach  Oberitalien  ab,  wo  sich 
Leopold  damals  aufhielt.  Schon  am  11.  Juni  hatte  er  die  erste 
Audienz  beim  Kaiser.  Die  Verhandlung  erhielt  durch  Leopold 
sofort  eine  Wendung,  an  die  man  in  Berlin  überhaupt  nicht  ge- 
dacht hatte.  Die  französische  Revolution  hatte,  wie  schon  aus 
Lord  Elgins  Depeschen  hervorgeht,  direkt  aber  auch  aus  Leo- 
polds eigenen  Briefen  zu  erkennen  ist,  diesen  mit  wachsender 
Besorgnis  erfüllt.  Hinter  der  französischen  trat  für  ihn  die  pol- 
nische Revolution  weit  an  Bedeutung  zurück,  besonders  seit  er 
darüber  beruhigt  war,  daß  sie  mindestens  nicht  Preußens  Werk 
sei  und  Preußen  nicht  mit  ihrer  Hilfe  Danzig  habe  erlangen 
wollen.  Das  hätte  ja  gegen  den  Status  quo  verstoßen,  dessen 
Beobachtung  die  Seemächte  und  Preußen  so  beharrlich  von 
Österreich  gegenüber  der  Türkei  forderten.  Die  polnische  Revo- 
lution sollte  für  Leopold  jetzt  nur  ein  Mittel  werden,  um  im  Osten 
Ruhe  zu  schaffen  und  den  russisch-preußischen  Erweiterungs- 
gelüsten einen  Riegel  vorzuschieben,   damit  den    Österreichern 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution  2 


18  I.  Abschnitt 

aber  einen  außerordentlichen  Vorteil  zu  verschaffen.  Wider- 
willig genug  waren  sie  an  die  erste  Teilung  Polens  herangegangen, 
bei  der  zweiten  ließen  sie  Preußen  und  Rußland  aus  dem  Spiel, 
und  an  der  dritten  nahmen  sie  nur  teil,  um  bei  dem  Geschäft 
nicht  wieder  so  leer  auszugehen  wie  bei  der  zweiten,  wo  die  ihnen 
von  Rußland  und  Preußen  gegebenen  Versprechungen  schließ- 
lich zu  Wasser  geworden  waren.  Polen  durch  seine  neue  Ver- 
fassung mit  der  Erbmonarchie  zu  konsolidieren,  das  ist  die  pol- 
nische Politik  Österreichs  seit  Ende  Mai  1791;  es  galt,  Preußen 
und  Rußland  dafür  zu  gewinnen1). 

Leopold  fand  bei  Preußen  einiges  Entgegenkommen,   denn 
dieses  wollte  sich  nicht  dem  einmal  ohne  sein  Zutun  geschehenen 
Ereignis  widersetzen,  das  in  einem  Kriege  gegen  Rußland  —  er 
war  ja  immer  noch  nicht  ganz  ausgeschlossen  —  hätte  von  Vor- 
teil sein  können.   Es  sah  in  einer  Verbindung  Sachsens  mit  Polen, 
die  nicht  durch  die  Thronerblichkeit  verewigt  würde,  jetzt  nichts, 
was  den  preußischen  Interessen  widersprach2);  es  glaubte  end- 
lich den  Österreichern  damit  einen  Gefallen  zu  tun.    Der  russische 
Widerstand  war  dagegen  von  vornherein  beschlossene  Sache.    Je 
mehr   Österreich  hier  drängte,  umsomehr  trieb  es  die  Russen, 
deren   Schweigen  eine  beredte  Antwort  war,   zu  den  Preußen 
hinüber,  die  schon  am  8.  August  1791  geradezu  erklärten,  an  eine 
Garantie  der  neuen  polnischen  Verfassung  nicht  zu  denken ; 
auch  in  der  Instruktion  für  Bischoffwerder  hatte  nichts  Derartiges 
gestanden;  nur  hindern  wollte  Preußen  das  neue  Werk  nicht3). 
Doch  dieser  Punkt  trat  vorläufig  zurück  hinter  die  scheinbar 
in  nächste  Nähe  gerückte  Intervention  in  Frankreich.      Dazu 
mußte  Leopold  vor  allem  mit  Preußen  abschließen,   das  ihm 
durch  Bischoffwerder  weiter  entgegenkam  als  England,  dessen 
Vertreter,  Lord  Elgin,  fest  auf  der  Ablösung    Österreichs  von 


J)  L  i  s  k  e  in  der  Historischen  Zeitschrift  Bd.  30,  284—285;  S  y  b  e  1, 
Vorträge  und  Aufsätze  183  ff. ;  Beer,  Leopold  II.,  Franz  II.  und  Katha- 
rina 102—115. 

2)  Herrmann  in  F.D.G.  IV  423—424. 

3)  Mit  dieser  feinen  diplomatischen  Unterscheidung,  die  ein  Jahr 
darauf  Preußens  Anschluß  an  Rußland  bemänteln  half,  glaubte  es  sich 
beide  Wege  offen  halten  zu  können.  Der  Erfolg  bei  der  Masse  des  Volkes 
war  hier  ebenso  gering  wie  bei  dem  entsprechenden  Vorgang  in  Pillnitz. 
Derartige  Feinheiten  existierten  nur  für  den  Diplomaten.  Beide  Male 
wurde  aus  den  Erklärungen  etwas  herausgelesen,  was  die  Verfasser  nicht 
hatten  hineinlegen  wollen.  Häußerl  320;  H  e  i  g  e  1 1  441 ;  S  a  1  o  m  o  n, 
Pitt  I,  2,  527. 


Von  Reichenbach  bis  Pillnitz  \Q 

Rußland  bestand  und  dabei  doch  nicht  so  viel  zu  bieten  hatte 
wie  sein  Rivale.  Dieser  ließ  sich  gleich  bereitfinden,  dem  Kaiser 
nach  Wien  zu  folgen  und  dort  die  österreichisch-preußische  Kon- 
vention abzuschließen,  der  dann  die  Seemächte  und  Rußland 
beitreten  sollten.  Er  sah  wie  gewöhnlich  die  Sache  im  rosigsten 
Lichte.  Zwei  preußische  Hauptforderungen  hatte  er  ja  genehmigt 
erhalten  (als  Verdienst  wird  man  ihm  das  nicht  anrechnen 
dürfen):  den  Abschluß  Österreichs  mit  der  Türkei  und  ein 
Bündnis  zwischen  Österreich  und  Preußen,  dem  die  Seemächte 
beitreten  sollten.  Dafür  nahm  er  den  Beitritt  Rußlands  und  die 
Beteiligung  an  der  Intervention  in  Frankreich  in  den  Kauf.  Er 
gab  damit  der  preußischen  Politik  eine  völlig  veränderte  Grund- 
lage. 

Nun  scheiterte  aber  der  Fluchtversuch  der  französischen 
Königsfamilie.  Hatte  Leopold  bisher  stets  betont,  daß  gegen 
Frankreich  nur  etwas  auszurichten  sei,  wenn  die  europäischen 
Mächte  sich  einigten,  so  war  er  jetzt  umsomehr  davon  überzeugt. 
Österreich  durfte  sich  nicht  allein  an  die  Lösung  dieser  Aufgabe 
machen,  die  durch  das  Scheitern  der  Flucht  nur  noch  gefähr- 
licher geworden  war.  Bischoffwerder  war  schon  vorher  auf  Leo- 
polds Vorschlag  eingegangen,  sich  mit  ihm  über  Frankreich  zu 
verständigen.  Er  hatte  gleich  am  11.  Juni  versprochen,  alle  öster- 
reichischen Schritte  gegen  Frankreich  zu  unterstützen;  allein 
werde  Preußen  nichts  tun,  vor  allem  nichts  für  die  Emigranten, 
die  Leopold  abgewiesen  hatte.  Es  ist  nicht  genau  festzustellen, 
wie  der  Fluchtversuch  und  sein  Scheitern  auf  ihn  eingewirkt 
haben.  Man  darf  aber  wohl  annehmen,  daß  sie  ihn  in  seiner 
Richtung  nur  noch  bestärkten,  die  durch  das  Eingehen  auf  diese 
österreichische  Forderung  den  raschen  gesonderten  Abschluß  her- 
beizuführen bezweckte  und  dem  neuen  Bund  sofort  die  entschei- 
dende Richtung  gegen  Frankreich  gab1).  Ohne  aus  Berlin  die 
Ermächtigung  einzuholen  (hat  der  König  sie  ihm  etwa  mündlich 
geheim  erteilt,  eventuell  auch  schriftlich?)  und  ohne  den  Ab- 
schluß in  Sistowa  abzuwarten,  schloß  er  in  Wien  am  25.  Juli  die 
Konvention  mit  Österreich  ab,  die  auch  die  Einladung  Rußlands 
zum  Beitritt  vorsah  und  eine  Verständigung  von  Österreich  und 
Preußen  über  ein  Zusammenwirken  gegen  die  französische  Revo- 
lution ankündigte,  ganz  abgesehen  von  den  übrigen  für  Preußen 
recht  ungünstigen  Bedingungen. 

1 )  Auf  die  defensiven  Absichten  Österreichs  werde  ich  jedoch  noch  oft 
hinzuweisen  haben. 


20  I.  Abschnitt 

Alles  kam  darauf  an,  wie  sich  der  König  dazu  stellte ;  denn  das 
Ministerium  hatte  an  seiner  Mißbilligung  durch  seine  voran- 
gegangenen Weisungen  keinen  Zweifel  gelassen  und  protestierte 
energisch  in  corpore  dagegen  beim  König  und  bei  Bischoffwerder. 
Aber  es  nützte  ihm  nichts.  Der  König  hatte  noch  Ajifang  Juni 
Anträge  der  Emigranten  auf  eine  Gegenrevolution  abgelehnt. 
Vor  dem  Frieden  zwischen  Österreich  und  der  Türkei  und  vor 
seiner  Einigung  mit  Österreich  traute  er  diesem  nicht  über  den 
Weg.  Auch  neigte  er  nicht  so  sehr  zu  der  Ansicht  der  Emigranten ; 
seine  Minister  glaubten  jedoch  schon  ein  stärkeres  Mitgefühl  mit 
der  Lage  des  französischen  Königspaares  bei  ihm  wahrnehmen 
zu  können.  Als  er  von  der  Verhaftung  Ludwigs  hörte,  soll  er 
ausgerufen  haben:  „Welch  schreckliches  Beispiel!"  Aber  dabei 
blieb  es  zunächst1).  Nur  lehnte  er  im  Gegensatz  zu  seinem  Mini- 
sterium ein  gemeinsames  Einschreiten  in  Frankreich  für  später 
nicht  ab.  Die  Hauptsache  war  für  Bischoffwerder  und  wohl  auch 
für  ihn  der  Abschluß  des  Bündnisses  mit  Österreich,  durch  das 
der  englischen  Diktatur  ein  Ende  bereitet  werden  sollte,  die  sich 
im  Frühjahr  wieder  so  unangenehm  fühlbar  gemacht  hatte2). 
Mochten  dann  die  Seemächte  und  Eußland  beitreten,  es  blieb 
immer  das  österreichisch-preußische  Bündnis,  das  Preußen  die 
lange  entbehrte  Sicherheit  gewährte,  und  das  man  als  Basis  zu 
neuem  Vorgehen  benutzen  konnte.  Darin  liegt  die  Berechtigung 
der  so  viel  geschmähten  Konvention3),  deren  Bedingungen  ein 
geschickterer  Unterhändler,  als  Bischoffwerder  es  war,  für  Preußen 
wohl  hätte  günstiger  gestalten  können.  Nach  Sistowa  und  Galatz 
gegen  die  Russen  Front  zu  machen,  lag  für  Friedrich  Wilhelm 
kein  Anlaß  mehr  vor.  Österreich  von  Eußland  abzulösen,  schien 
durch  den  Vertrag  tatsächlich  ebenso  gelungen  zu  sein  wie  die 
Emanzipation  Preußens  von  den  Seemächten.  Trat  jetzt  die 
Möglichkeit  oder  gar  die  Notwendigkeit  in  Frankreich  einzu- 
greifen hervor  —  Friedrich  Wilhelm  war  bereit,  da  er  hoffte, 
für  seinen  Staat  dabei  eine  Gebietserweiterung  herauszuschlagen4). 
Er  betrieb  sie  außer  bei  Österreich  auch  bei  den  Emigranten,  die 


*)  S  o  r  e  1  II  239 — 240.  Auch  von  anderer  Seite  wird  ähnliches  be- 
richtet.   Souvenirs  de  Bouille  I  303. 

2)  S  y  b  e  1,  Vorträge  und  Aufsätze  187. 

3)  C  a  r  i  s  i  e  n  86—87. 

4)  Vgl.  auch  S  a  1  o  m  o  n,  Pitt  I  2,  533  ff.,  der  die  Eroberungsabsichten 
Preußens  schon  scharf  betont,  aber  wohl  den  Charakter  des  Königs  noch 
etwas  verzeichnet;  C  a  r  i  s  i  e  n  86. 


Von  Reichenbach  bis  Pillnitz  21 

zum  mindesten  durch  ihr  Stillschweigen  die  Ansicht  rechtfertigten, 
daß  sie  nichts  dagegen  einzuwenden  hätten.  Daß  diese  Forderung 
hervortrat,  sowie  Österreich  seinen  Antrag  auf  Unterstützung 
seiner  Schritte  bei  Preußen  stellte,  scheint  mir  doch  bemerkens- 
wert genug  zu  sein,  und  man  wird  kaum  fehlgehen,  wenn  man 
das  auf  Einwirkung  des  Königs  zurückführt,  ebenso  wie  das  Ver- 
langen: keine  Deklaration  ohne  ein  bereitstehendes  Heer,  um 
bei  einer  Ablehnung  durch  die  Revolutionäre  den  Worten  die  Tat 
auf  dem  Fuße  folgen  zu  lassen1).  Das  Ministerium  freilich  ver- 
klausulierte alle  diese  kräftigen  Maßregeln  durch  die  Bedingung 
des  Zutrittes  der  anderen  Mächte,  vor  allem  Englands,  da  es  an 
dem  Bündnis  mit  den  Seemächten  ja  noch  festhielt.  Da  dies  aber 
passiv  bleiben  wollte,  so  kam  die  preußische  Antwort  einer  Ab- 
lehnung gleich.  Friedrich  Wilhelm  jedoch  war  anderer  Meinung. 
Er  gab  es  als  unnötig  seit  der  Verbindung  mit  Österreich  auf 
und  war  bereit,  auch  ohne  England  nur  mit  Österreich  gegen 
Frankreich  vorzugehen.  Der  König  wurde  zum  treibenden  Ele- 
ment in  der  neuen  Verbindung.  Sein  persönliches  Mitgefühl  mit 
dem  französischen  Königspaar  wird  niemand  bestreiten,  aber  er 
hielt  es  so  lange  in  Schranken,  bis  die  politischen  Forderungen 
erfüllt  waren,  die  er  an  seine  Betätigung  knüpfte.  Daß  er  sich 
nicht  von  der  Sorge  bedrückt  fühlte,  seine  Untertanen  könnten 
dem  französischen  Beispiel  folgen,  das  berichtet  derselbe  fran- 
zösische Diplomat,  der  den  oben  zitierten  Ausruf  Friedrich  Wil- 
helms meldete,  Herr  von  Moustier2).  Eine  unmittelbare  Kollision 
französischer  und  preußischer  Interessen  war  durch  die  räum- 
liche Trennung  beider  Staaten  so  gut  wie  ausgeschlossen3).  Alles 
zwingt  dazu,  das  preußische  Vorgehen  als  Offensive  zu  bezeichnen. 
Friedrich  Wilhelm  ratifizierte  jedenfalls  gleich  nach  dem  Ein- 
laufen der  Nachricht  des  Abschlusses  in  Sistowa  am  12.  August 
die  Konvention.  Er  war  entschlossen,  es  auf  den  Bruch  mit 
England  ankommen  zu  lassen.  Das  war  der  Abschluß  seiner  fast 
ausschließlich  im  Osten  sich  betätigenden  Politik,  die  sich  seit 
der  Konvention  von  Reichenbach  bereits  in  einem  Übergangs- 
stadium zu  einer  neuen  Grundlage  und  zu  neuen  Zielen  befunden 
hatte.  Jetzt  wandte  er  sich  energisch  dem  Westen  zu,  der  für 
seine  Betätigung  ein  so  reiches  Feld  zu  bieten  schien.  Er  kam  den 
Emigranten  entgegen,  berief  den  Marquis  Bouille  zu  der  geplanten 

1)  Carisien  89. 

2)  Sorel  II  240. 

3)  Revue  Historique  25  (Paris  1884)  S.  74;  V  o  1  z in  F.B.P.G.  XVII 161. 


22  I-  Abschnitt 

Zusammenkunft  mit  dem  Kaiser,  um  sich  Vorschläge  über  den 
Feldzugsplan  machen  zu  lassen.  Es  fragte  sich  nur,  ob  er  seinen 
Genossen  zum  Eingehen  auf  seine  Pläne  werde  gewinnen  können, 
die  scharf  zu  formulieren  er  sich  wohl  hütete. 

Schon  bei  seinem  ersten  Aufenthalt  in  Wien  hatte  Bischoff- 
werder  eine  persönliche  Zusammenkunft  zwischen  den  beiden 
Monarchen1)  angeregt  und  Leopolds  Zusage  für  eine  solche  im 
Juni  in  Böhmen  erhalten.  Am  11.  Juni  einigte  er  sich  nun  mit 
Leopold,  sie  in  Pillnitz  stattfinden  zu  lassen,  um  gleichzeitig  mit 
dem  Kurfürsten  von  Sachsen  über  die  polnische  Frage  eine 
Einigung  herbeizuführen.  Aber  nach  den  Vorgängen  des  Juni 
und  Juli  stand  sie  doch  vorwiegend  unter  dem  Zeichen  der  fran- 
zösischen Revolution.  Nicht  daß  Leopold  die  Absicht  gehabt 
hätte,  dagegen  vorzugehen2).  Er  hatte  die  Antworten  von  Preußen 
und  Spanien  erhalten  und  sah  in  ihnen  eine  Ablehnung  seines 
Planes.  Ferner  hörte  er  aus  England,  daß  es  sich  gegenüber  der 
französischen  Revolution  durchaus  neutral  verhalten  wolle.  Das 
war  für  ihn  schon  Grund  genug,  das  europäische  Konzert  als 
gescheitert  anzusehen,  und  ein  ostensibler  Brief  seiner  Schwester 
(den  geheimen  ließ  er  unbeachtet)  gewährte  ihm  die  Möglichkeit, 
sein  Einverständnis  mit  ihren  Absichten  laut  zu  betonen.  Auch 
schien  ja  die  Drohung  allein  die  Franzosen  genügend  eingeschüch- 
tert zu  haben;  kriegerischer  Maßregeln  bedurfte  es  also  gar  nicht 
mehr3).  So  hatte  die  Deklaration  von  Pillnitz  vom  27.  August 
in  dieser  Beziehung  für  ihn  überhaupt  keine  Bedeutung,  und  mit 
der  Annahme  der  Verfassung  durch  Ludwig  schien  ihm  diese 
Frage  geregelt  zu  sein.  Die  Deklaration  wäre  wohl  überhaupt 
nicht  erlassen  worden  ohne  das  Drängen  des  plötzlich  ohne  Ein- 
ladung erschienenen  Grafen  Artois,  der  den  Mächten  einen  ganz 
anders  gearteten  Plan  vorlegte.  Er  fand  damit  bei  Leopold  keine 
bessere  Aufnahme,  als  er  eine  Abtretung  Lothringens  an  Öster- 
reich in  Aussicht  stellte.  Was  konnte  er  denn  versprechen?4) 
Mit  der  Annahme  dieses  Planes  hätte  man  ja  die  schärfste  Gegen- 
revolution proklamiert.  Schon  zur  Abwehr  derartiger  Vorschläge, 
dann  aber  auch  zur  Dämpfung  des  Übermutes  der  französischen 


J)  R  a  n  k  e  76  ff. ;  S  y  b  e  1  I  354. 

2)  Carisien  88  ff. 

3)  Ranke  85;  Glagau  28—29;  Sorel  II  243—244. 

4)  Immerhin  hielt  das  preußische  Ministerium  diese  Nachricht  für 
äußerst  beachtenswert.  H  äußer  I  322;  H.E.B.  68;  Hei  gel  I  432; 
Sorel  II  252. 


Von  Reichenbach  bis  Pillnitz  23 

Demokraten  erging  die  erwähnte  Deklaration,  die  für  die  tätige 
Einmischung  in  Frankreich  die  Einigung  aller  europäischen 
Mächte  forderte1),  und  dieser  Fall  bestand  nicht  mehr. 

Damit  traf  Leopold  zwar  ganz  die  Ansicht  des  preußischen 
Ministeriums,  das  die  fremden  Diplomaten  noch  ausdrücklich 
auf  die  Klauseln  aufmerksam  machte.  Aber  Friedrich  Wilhelm 
war  mit  ganz  anderen  Gesinnungen  nach  Pillnitz  gekommen. 
Aus  allen  Quellen  hören  wir,  daß  er  noch  in  diesem  Jahre  hat 
aktiv  vorgehen  wollen.  Ohne  das  Ministerium  genau  von  seinen 
Ansichten  in  Kenntnis  zu  setzen,  das  voller  Sorge  dieser  neuen 
Verwicklung  entgegensah,  ging  er  mit  dem  Kronprinzen,  dem 
Prinzen  von  Hohenlohe,  der  schon  im  Vorjahre  für  das  Kom- 
mando gegen  Frankreich  in  Aussicht  genommen  worden  war2), 
Bischoffwerder  und  Manstein  nach  Pillnitz  —  also  nur  Offiziere, 
keiner  der  leitenden  Diplomaten  wurde  zugezogen.  Mag  es  nun 
auch  wahr  sein,  daß  bei  näherer  Berührung  mit  Artois  und 
Calonne  Friedrich  Wilhelm  und  Bischoffwerder  in  ihrer  Freund- 
schaft für  die  Emigranten  abgekühlt  wurden,  entscheidend  war 
doch  die  Haltung  des  Kaisers.  Friedrich  Wilhelm  sah  keine  Mög- 
lichkeit, ihn  aus  seiner  Untätigkeit  aufzurütteln.  Vergeblich 
bemühte  sich  Hohenlohe  Mitte  September  in  Prag,  mit  dem 
Kaiser  militärische  Maßregeln  beider  Mächte  zu  verabreden  für 
den  Fall,  daß  ein  Eingreifen  nötig  werde.  Dem  König  blieb  nichts 
anderes  übrig,  als  an  Moustier  am  1.  Oktober  zu  erklären:  da  der 
Kaiser  sich  passiv  verhalte,  könne  Preußen  jetzt  nichts  tun. 
Auch  der  endgültige  Abschluß  des  Bündnisses  mit  Österreich 
(die  Konvention  war  nur  als  provisorische  Einigung  gedacht) 
kam  trotz  des  preußischen  Drängens  nicht  zu  stände.  Spiel- 
mann vertröstete  Bischoffwerder  auf  ruhigere  Zeiten.  Leopold 
hatte  ja,  was  er  brauchte;  sollte  er  sein  Werk  durch  die  miß- 
gestimmten Berliner  Diplomaten  verderben  lassen  und  Rußland 
noch  mehr  vor  den  Kopf  stoßen?  Außerdem  hatte  sich  der  poli- 
tische Himmel  aufgeklärt,  und  die  Nachricht  von  der  Annahme 
der  neuen  französischen  Verfassung  durch  Ludwig  konnte  nur 
dazu  beitragen,  Leopold  in  dieser  Ansicht  zu  bestärken;  jetzt 
blieb  ihm  offenbar  nichts  mehr  zu  tun  übrig3).    Wurde  die  Lage 


*)  Carisien  89—90. 

2)  Den  Herzog  von  Braunschweig  hinderte  Krankheit  an  der  Reise. 
S  c  h  1  i  e  f  f  e  n  II  371  und  558—559. 

3)  Clapham  228. 


24  I-  Abschnitt 

aber  wirklich  bedrohlich,  so  kostete  es  ihn  bloß  ein  Wort,  und 
Preußen  war  bereit. 

So  war  dieser  preußische  Ansturm  gescheitert.  Friedrich 
Wilhelm  mußte  abwarten,  ob  sich  in  der  Tat  Leopolds  für  den 
Frieden  so  günstige  Ansicht  bestätigte.  Seine  Ansichten  aber 
blieben  dieselben,  und  wir  werden  darauf  wohl  den  „besorgten" 
Ton  der  Depeschen  des  Fürsten  Reuß  aus  Berlin  zurückführen 
können1).  Der  König  war  ja  entschlossen,  sich  hierin  genau  auf 
derselben  Linie  zu  halten  wie  Leopold2),  besonders  bei  militä- 
rischen Maßregeln.  Daraus  hat  man  bisher  auf  seinen  Wunsch 
geschlossen,  diese  Sache  friedlich  zu  regeln;  aber  nur  die  äußerste 
Vorsicht  wird  man  darin  sehen  dürfen.  Den  Grund  für  sie  haben 
wir  weniger  in  dem  Glauben  zu  suchen,  Preußen  sei  zu  schwach, 
um  die  Revolution  allein  zu  bändigen,  als  vielmehr  in  der  Furcht, 
sich  kräftig  an  ein  Unternehmen  zu  machen,  wenn  es  den  Rücken 
nicht  frei  hatte.  War  auch  kein  Angriff  Rußlands  oder  gar  Öster- 
reichs zu  befürchten,  so  war  jetzt  nach  der  Beendigung  des  Türken- 
krieges doch  die  polnische  Frage  zu  regeln  —  das  war  ein  offenes 
Geheimnis.  Hieran  teilzunehmen,  mußte  sich  Preußen  auf  jeden 
Fall  vorbehalten.  Ging  es  allein  gegen  Frankreich  vor,  so  konnten 
die  beiden  Kaisermächte  leicht  eine  Entscheidung  über  seinen 
Kopf  hinweg  herbeiführen.  War  es  dagegen  Österreichs  durch 
dessen  Teilnahme  am  Kriege  gegen  die  Revolution  sicher,  so 
brauchte  es  sich  nicht  so  sehr  von  Truppen  an  der  Ostgrenze 
zu  entblößen,  und  zu  zweien  konnte  man  politisch  wie  militärisch 
ein  ganz  anderes  Gewicht  in  die  Wagschale  werfen.  Unter  dieser 
Bedingung  konnte  Preußen  daran  denken,  die  polnische  gleich- 
zeitig mit  der  französischen  Frage  zu  lösen  —  ein  Unternehmen, 
das  sich  dem  rückblickenden  Beschauer  als  riesengroß  darstellt, 
das  aber  damals  in  seiner  Bedeutung  wohl  von  niemandem  recht 
gewürdigt  worden  ist3). 

Lange  brauchte  Friedrich  Wilhelm  nicht  zu  warten;  denn  an 
demselben  Tage,  an  dem  er  sich  so  mißmutig  gegenüber  Moustier 
aussprach,  trat  in  Paris  die  legislative  Versammlung  zusammen. 
Mit  ihren  Dekreten  gegen  Emigranten,  Priester  und  Reichsfürsten 
schuf  sie  eine  Lage,  aus  der  sich  —  mindestens  anfangs  ohne  ihren 
Willen  —  der  Krieg  als  letzte  Auskunft  ergab.    Rankes4)  Wort: 


»JHäußerl  324. 

2)  C  a  r  i  s  i  e  n  92—93. 

3)  Vgl.  F.  C.  W  i  1 1  i  c  h  e  n  in  H.V.  IX  (1906)  175—177. 

4)  S.  82. 


Preußen  und  Österreich  bis  Ende  März  1792  25 

„Die  Politik  suchte  den  Frieden,  die  universalen  Gegensätze 
stellten  den  Krieg  in  Aussicht "  ist  immer  noch  der  beste  Ausdruck 
für  diese  Lage,  wenn  man  es  für  Preußen  in  der  angegebenen 
Weise  abändert. 


2.  Kapitel 

Preußen  und  Österreich  bis  Ende  März  17921) 

Den  revolutionären  Institutionen  waren  in  ihrem  Heimat- 
lande die  erbittertsten  Gegner  erstanden,  vornehmlich  in  Klerus 
und  Adel,  die  nicht  nur  ihrer  Privilegien  beraubt  worden  waren, 
sondern  auch  in  ihrer  Gewissensfreiheit  sich  beeinträchtigt 
fühlten,  wie  die  Priester,  und  in  ihrem  persönlichen  Eigentum 
direkt  geschädigt  worden  waren,  wie  der  Adel.  Offen  oder  geheim 
suchten  sie  daher  mit  allen  Mitteln  die  Durchführung  des  neuen 
Zustandes  zu  verhindern.  Diese  Reaktion  unmöglich  zu  machen, 
war  eine  der  vornehmsten  Aufgaben  der  legislativen  Versamm- 
lung, gerade  weil  sogar  ein  Teil  der  Vertreter  der  Revolution  von 
der  Notwendigkeit  einer  Rückwärtsrevision  der  Verfassung  über- 
zeugt war.  Schien  doch  die  Revolution  mit  der  Annahme  der 
Verfassung  durch  Ludwig  XVI.  beendigt  zu  sein,  nur  um  deren 
Erhaltung  schien  es  sich  in  der  Hauptsache  noch  zu  handeln. 
Wenn  aber  die  Vertreter  der  Revolution  großenteils  auch  gewisse 
Abänderungen  für  nötig  hielten,  so  wollten  sie  sich  doch  von 
ihrem  Hauptziele  um  keinen  Schritt  abdrängen  lassen.  Bei  dem 
einmal  aufgestellten  Prinzip  der  Souveränität  der  Nation  mit  all 
den  daraus  sich  ergebenden  Folgerungen  beharrten  sie;  die  Ver- 
fassung war  der  Hort,  um  den  sie  sich  scharten.  So  war  hier  der 
Kampf  in  voller  Schärfe  proklamiert,  und  es  fragte  sich  nur, 
wer  die  Macht  haben  würde,  den  Gegner  unter  das  Joch  zu  zwingen. 

Am  29.  bezw.  9.  November  ergingen  die  Dekrete  der  Legis- 
lative gegen  die  eidweigernden  Priester  und  die  Emigranten. 
Man  sieht  gerade  dem  erstgenannten  deutlich  das  Entgegenkommen 
an,  den  Wunsch,  den  Kampf  womöglich  zu  vermeiden,  und  bei 
dem  zweiten  wird  man  die  Schärfe  nur  begreifen  können,  wenn 
man  erwägt,  daß  der  Revolution  schlechterdings  kein  anderes 


1 )  Für  das  Folgende :  R  a  n k  e  95  ff . ;  L  e n  z  in  „Preußische  Jahrbücher" 
Bd.  78,  S.  1  ff.  und  255  ff . ;  G  1  a  g  a  u ;  T  h.  Ludwig,  Die  deutschen 
Reichsstände  im  Elsaß  (Straßburg  1898). 


26  I-  Abschnitt 

Mittel  blieb,  die  ins  Ausland  gegangenen  Adligen  zum  Gehorsam 
zu  zwingen1).  Es  war  die  Kriegserklärung  an  die  Emigranten 
oder  besser  die  Antwort  auf  deren  Manifest  vom  10.  September. 
Sie  waren  ja  von  den  kleinen  deutschen  Reichsfürsten  als  Leidens- 
genossen aufgenommen  worden.  Auch  diese  waren  durch  die 
Abschaffung  aller  feudalen  Rechte  seit  dem  4.  August  1789  aufs 
schwerste  geschädigt  worden,  soweit  sie  im  Elsaß  Besitzungen 
hatten,  die  nach  den  Bestimmungen  des  westfälischen  Friedens 
und  den  Verträgen  einzelner  Fürsten  mit  Frankreich  im  18.  Jahr- 
hundert unter  französischer  Souveränität  standen.  Sie  hörten 
nicht  auf,  den  Kaiser  mit  Bitten  zu  bestürmen,  gegen  diesen 
Umsturz  aller  Rechtsverhältnisse  Protest  zu  erheben  und  nötigen- 
falls mit  Waffengewalt  ihnen  ihr  Recht  zu  verschaffen.  Mit  der 
Unterstützung  der  Emigranten  taten  sie  jetzt  den  ersten  Schritt 
zur  gewaltsamen  Reaktion. 

Wir  sahen  schon,  wie  wenig  Leopold  zu  einer  Einmischung 
in  Frankreich  geneigt  war.  Er  fühlte  sich  doch  zunächst  als 
Herrscher  über  die  Lande  der  österreichisch-ungarischen  Mo- 
narchie und  wollte  sich  von  dem  Reiche  keine  Verpflichtungen 
auferlegen  lassen,  die  ihn  an  der  Durchführung  der  erstgenannten 
Aufgabe  gehindert  hätten.  Ein  schwächlicher  Protest  nach  seiner 
Kaiserkrönung,  das  war  bisher  die  Abschlagszahlung  an  die 
Reichsfürsten  dafür  gewesen,  daß  sie  ihn  gewählt  hatten.  Nun 
hatte  zwar  der  Reichstag  am  6.  August  1791  ein  Gutachten  ab- 
gegeben, das  sich  zu  ihren  Gunsten  aussprach,  also  gerade  in  den 
Tagen,  als  Leopold  selbst  nach  der  mißglückten  Flucht  seiner 
Schwester  notgedrungen  an  eine  Intervention  dachte,  aber  die 
weitere  friedliche  Entwicklung  ließ  es  Leopold  für  nicht  angezeigt 
halten,  durch  seine  kaiserliche  Bestätigung  das  Gutachten  zum 
Beschluß  zu  erheben  und  damit  dem  eben  erst  erstickten  Brande 
neue  Nahrung  zuzuführen. 

Diese  Lage  änderte  sich  jedoch,  als  die  Legislative  den  Dekreten 
gegen  Priester  und  Emigranten  auch  einen  Vorstoß  gegen  die- 
jenigen deutschen  Reichsfürsten  folgen  ließ,  welche  die  Emi- 
granten in  ihre  Territorien  aufgenommen  und  sie  sich  hatten 
bewaffnet  versammeln  lassen.  Zu  der  Durchführung  der  ihnen 
angedrohten  Maßregeln  zog  Frankreich  an  der  Ostgrenze 
150  000  Mann  zusammen.  Das  war  für  diese  Kleinfürsten  gleich- 
bedeutend mit  einer  Kriegserklärung,  der  sie  so  gut  wie  nichts 


1 )  Vgl.  auch  Lescure,  Corr.  secrets  II  571 — 572  (2.  Januar  1792). 


Preußen  und  Österreich  bis  Ende  März  1792  27 

entgegenzusetzen  hatten,  wenn  die  deutschen  Mächte,  vor  allem 
der  Kaiser,  nicht  hilfreich  eingriffen.  An  Österreich  und  Preußen 
ergingen  von  dem  besonders  bedrohten,  da  besonders  gegen- 
revolutionären, Kurfürsten  von  Trier  Hilfsgesuche.  Der  Kaiser 
sah  sein  System  durch  dies  Überwuchern  des  Einflusses  der  vor- 
wärtsdrängenden Richtung  in  Frankreich  gefährdet  und  hielt 
jetzt,  noch  ehe  er  offiziell  Kenntnis  von  den  Vorgängen  in  der 
Legislative  vom  14.  Dezember  hatte1),  die  Zeit  für  gekommen, 
den  Franzosen  eine  Lektion  zu  geben.  Er  benützte  den  Anlaß, 
den  ihm  die  höfliche  Requisition  seines  Beistandes  gegen  die 
Kurfürsten  von  Mainz  und  Trier  durch  die  französische  Regierung 
bot,  am  10.  Dezember  das  erwähnte  Gutachten  zu  bestätigen. 
Er  wollte  damit,  sowie  kurz  darauf  (21.  Dezember)  mit  der  Er- 
klärung, einen  Einfall  der  Franzosen  in  Reichsgebiet  als  Kriegs- 
erklärung zu  betrachten2),  einen  Beweis  seiner  patriotischen  Ge- 
sinnung geben  und  die  Franzosen  durch  möglichst  energische 
Drohungen,  ganz  wie  in  den  Monaten  Juli  und  August,  mit  Her- 
vorhebung des  Konzertes  der  Mächte  von  ihrem  unverschämten 
Vorhaben  abbringen.  Das  ängstliche  Gebaren  der  Feuillants, 
die  den  Krieg  durch  Verhandlungen  zu  verhindern  suchten,  be- 
stärkte ihn  nur  in  seiner  Ansicht.  Der  Anlaß  zum  Streite,  Emi- 
granten- und  Fürstenfrage,  treten  jetzt  zurück;  um  das  Konzert 
der  europäischen  Mächte  handelt  es  sich  in  dem  folgenden  Kampf, 
d.  h.  um  den  Kampf  gegen  das  von  Frankreich  in  Anspruch  ge- 
nommene Recht  der  nationalen  Selbstbestimmung.  Je  mehr  die 
Franzosen  das  Konzert  zurückweisen  und  je  schärfere  Maßregeln 
sie  treffen,  umsomehr  glaubt  Leopold  auf  dem  einmal  ein- 
geschlagenen Wege  beharren  zu  müssen  in  völliger  Verkennung 
der  neuen  Zeit,  die  sich  hier  ankündigte. 

Zu  dieser  innerfranzösischen  und  der  reichsständischen  Oppo- 
sition gegen  das  neue  Frankreich  kommt  nun  als  drittes  Moment, 
das  den  Krieg  des  neuen  mit  dem  alten  Europa  entzünden  half, 
die  Tätigkeit  derjenigen  französischen  Partei  (es  sind  die  Feuil- 
lants), die  ihr  Ziel,  die  Herstellung  eines  konstitutionellen  Frank- 
reich, nur  durch  die  Einwirkung  eines  europäischen  Kongresses 
erreichen  zu  können  meinte,  und  die  sich  in  dem  Mittel  mit  der 
Königin  Marie  Antoinette  zeitweise  zusammenfand,  nie  aber  in 
dem  Ziel.    Sie  und  nicht  ihr  Gemahl  war  ja  hieran  die  treibende 

*)  Clapham  229—230. 

2)  Die  Bedingung  für  die  Gewährung  des  Schutzes  übersahen  die 
erregten  Franzosen.     C  a  r  i  s  i  e  n  93. 


28  I.  Abschnitt 

Kraft.  Sie  erstrebte  die  Herstellung  oder  besser  die  Schöpfung 
einer  wirklich  absoluten  Monarchie  in  Frankreich,  wie  sie  dort 
noch  nicht  bestanden  hatte.  Auf  geheimem  Wege  ließ  sie  ihrem 
Bruder  wieder  und  wieder  die  Notwendigkeit  des  Einschreitens 
vorstellen  oder  tat  es  selbst.  Als  sie  bei  ihm  auf  direktem  Wege 
nichts  ausrichten  zu  können  meinte,  da  versuchte  sie  es  auf  den 
Rat  ihres  Vertrauten  Fersen  auf  indirektem  Wege1)  und  erreichte 
hiermit,  unterstützt  von  dem  Vorgehen  der  Nationalversamm- 
lung, in  der  Tat  ein  schärferes  Vorgehen  von  Leopold.  Aber  er 
wie  Kaunitz  dachten  nicht  daran,  auf  ihre  Absichten  wirklich 
einzugehen.  Er  folgte  tatsächlich  den  Vorschlägen  der  Feuillants, 
genauer  der  Lameths,  da  sie  mit  seinen  Interessen  überein- 
stimmten, wie  er  glaubte.  Indem  er  immer  lauter  mit  dem  Ein- 
schreiten des  europäischen  Konzerts  droht  zur  Unterdrückung 
des  gemeingefährlichen  Treibens  der  Jakobiner,  treibt  er  den 
Nationalstolz  der  Franzosen  nur  immer  höher.  So  steigert  sich 
die  Spannung  von  Woche  zu  Woche,  bis  sie  in  der  Kriegserklärung 
von  Frankreich  an  den  König  von  Ungarn  und  Böhmen  ihre 
Lösung  findet.  Ich  brauche  auf  das  einzelne  der  Ereignisse  bis 
zum  Februar  1792  hier  nicht  näher  einzugehen.  Nur  auf  das  Ver- 
halten Preußens  in  dieser  Zeit  kommt  es  mir  an;  ihm  müssen 
wir  uns  jetzt  genauer  zuwenden,  namentlich  der  Frage,  ob  Preußen 
lediglich  mitgegangen  ist,  oder  ob  es  selbständig  auf  die  Ereig- 
nisse eingewirkt  hat  zur  Erreichung  ganz  bestimmter  politischer 
Ziele.    Das  Urteil  kann  nicht  zweifelhaft  sein. 

Wir  sahen  oben,  daß  das  preußische  Kabinettsministerium 
gegen  die  Absicht  einer  bewaffneten  Intervention  in  Frankreich 
und  gegen  den  Beitritt  Rußlands  sich  vergebens  gewehrt  hatte. 
Der  König  war  über  diesen  Protest  hinweggegangen  und  hatte 
die  eingeschlagene  Richtung  weiter  verfolgt,  bis  Leopold  ihm  die 
Möglichkeit  dazu  nahm.  So  blieb  er  notgedrungen  stehen,  bereit, 
jeden  Augenblick  erneut  zum  Schwert  zu  greifen.  In  dieser  Zeit 
aber  vollzog  sich  im  Kabinettsministerium  ein  bedeutungsvoller 
Gesinnungswechsel2).  Schulenburg  und  Finckenstein,  die  von 
Alvensleben  zu  dem  Protest  gegen  Bischoffwerders  Politik  mit- 
gerissen worden  waren,  gingen  zum  König  über.  Nur  Alvensleben 
blieb  damit  in  einer  unfruchtbaren  Oppositionsstellung,  so  daß 


')  Vgl.    auch  die    Schritte    Gustavs  III.   bei   Friedrich  Wilhelm    II. 
(A  k  e  s  o  n  157,  187  ff.  und  237  ff.);  C  a  r  i  s  i  e  n  94. 

2)  F.D.G.  V  278  ff.;  R  a  n  k  e  268  ff.;  K  o  s  e  r  469. 


Preußen  und  Österreich  bis  Ende  März  1792  29 

er  noch  am  3.  Juni  1793  an  Lucchesini  schreiben  muß1):  „Meine 
Stimme  gilt  noch  immer  zu  wenig,  um  sehr  in  Rechnung  gestellt 
zu  werden."  Mag  man  über  die  innerliche  Begründung,  die  sitt- 
liche Berechtigung  jenes  Schrittes  denken,  wie  man  will  —  je- 
doch ohne  den  heute  üblichen  Maßstab  anzulegen!  —  sicher  ist, 
daß  die  beiden  Minister  damit  die  einzige  Möglichkeit  wählten, 
bei  der  ein  fruchtbares  Arbeiten  noch  möglich  war2).  Bei  Fincken- 
steins  Alter  und  seiner  vorsichtigen  Zurückhaltung  bekam  so 
Schulenburg  allmählich  die  Leitung  der  Geschäfte  in  die  Hände. 
Damit  beginnt  die  preußische  Politik  wieder  ein  festes  mini- 
sterielles Gepräge  zu  erhalten  im  Gegensatz  zu  dem  früheren 
raschen  Wechsel  verschiedener  Bewegungsmöglichkeiten,  denen 
ein  so  schwerfälliges  Instrument  wie  das  kollegialisch  organisierte 
Kabinettsministerium  nicht  folgen,  denen  es  nicht  gerecht  werden 
konnte. 

Nur  einige  Wochen  brauchte  sich  Schulenburg  in  der  Kunst, 
zu  warten,  zu  üben;  denn  schon  am  17.  November  beantragte 
Reuß  in  Berlin  die  Fortsetzung  der  Verhandlungen  über  die 
Allianz3).  Wieder  werden  wir  uns  fragen  müssen,  ob  diesem  Zeit- 
punkt besondere  Bedeutung  zukommt.  Am  12.  November  hatte 
Kaunitz  einen  Zirkularerlaß  an  die  Gesandtschaften  in  Peters- 
burg, Madrid,  Berlin,  Neapel  und  Stockholm,  also  an  d  i  e  Höfe 
versandt4),  die  dem  Plan  einer  Intervention  in  Frankreich  mehr 
oder  weniger  ihre  Hilfe  zugesagt  hatten.  In  ihm  hatte  er  wie 
schon  in  dem  vertraulicheren  Erlasse  an  Mercy  vom  Tage  vorher5) 
infolge  von  Ludwigs  Verfassungsannahme  für  die  Folge  das 
Konzert  der  Mächte  zu  lediglich  passiver  Bedeutung  bestimmt. 
Nur  die  bedrohliche  Haltung  der  Legislative  veranlaßte  ihn,  es 
nicht  gleich  als  ganz  aufgehoben  zu  bezeichnen.  Er  hoffte  sie 
durch  seine  Fortdauer  doch  in  gewisse  Schranken  zurückweisen 
zu  können.  Preußen  stimmte  dem  selbstverständlich  zu.  Hier 
also  scheint  mir  kein  Anlaß  zu  liegen,  gerade  jetzt  die  Verhand- 
lungen über  das  Bündnis  wieder  aufzunehmen,  wohl  aber  in  einer 
gleichzeitigen  Weisung  an  den  Grafen  Ludwig  Cobenzl  nach 
Petersburg,  die  energisch  für  die  Anerkennung  der  neuen  pol- 

J)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  Nr.  23. 

2)  Vgl.  auch  B  a  i  1 1  e  u  in  der  Deutschen  Rundschau  Bd.  20  (1879), 
S.  277. 

3)  Sybel  II  171. 

4)  V  i  v  e  n  o  1 1  Nr.  206,  Nr.  204  und  207;  vgl.  Cl  a  p  h  a  m  228—229. 

5)  V  i  v  e  n  o  t  I  Nr.  397;  C  a  r  i  s  i  e  n  92. 


30  I.  Abschnitt 

nischen  Verfassung  eintritt1).  Unmöglich  konnte  sich  Kaunitz 
verhehlen,  daß  Katharina  einem  erneuten  derartigen  Schritt 
nicht  günstig  gegenüberstehen  konnte2).  Was  lag  nun  näher, 
als  die  neugewonnene  Verbindung  mit  Preußen  dazu  auszunützen, 
hier  einen  alten  Wunsch  der  österreichischen  Politik  zu  verwirk- 
lichen, wozu  sich  jetzt  so  unerwartet  die  beste  Gelegenheit  ge- 
boten hatte.  Preußen  ging  sofort  auf  den  österreichischen  Vor- 
schlag ein  (20.  November  1791),  und  dachte,  dabei  mancher 
wichtigen  Frage  eine  für  Preußen  günstige  Lösung  zu  geben,  da 
Österreich  seines  Entgegenkommens  bedurfte b).  Es  schlug  die 
Stipulierung  einer  vertragsmäßigen  Hilfe  von  20  000  Mann  vor, 
als  Reuß  danach  fragte,  d.  h.  8000  Mann  mehr  als  gewöhnlich 
in  solchen  Verträgen  festgesetzt  wurde,  die  höchste  Zahl,  die 
überhaupt  vorkam.  Das  war  ganz  im  Sinne  des  Königs,  der 
eher  noch  weiter  gegangen  wäre. 

Aber  der  Wunsch  von  Kaunitz,  im  Westen  den  Frieden  zu 
erhalten,  um  im  Osten  sein  Schäfchen  ins  Trockene  zu  bringen, 
wurde  durch  das  energische  Vorgehen  der  Legislative  undurch- 
führbar. Als  er  am  20.  Dezember  von  neuem  auf  den  Abschluß 
drängte,  da  hatte  auch  für  ihn  die  französische  Frage  schon  sehr 
an  Bedeutung  gewonnen.  Preußen  sollte  ihm  helfen,  die  Jako- 
biner durch  gleichlautende  Erklärungen  einzuschüchtern,  nötigen- 
falls mit  Waffengewalt;  aber  daß  es  dahin  kommen  würde,  hielt 
er  für  ganz  ausgeschlossen.  Friedrich  Wilhelms  Haltung  ent- 
sprach nach  außen  ganz  den  österreichischen  Wünschen.  Sein 
Gesandter  in  Paris  mußte  eher  noch  schärfer  auftreten  trotz 
dessen  persönlichen  Widerstrebens,  als  der  österreichische  Ge- 
schäftsträger Herr  von  Blumendorff.  Das  fiel  umsomehr  auf, 
als  Leopold  zunächst  nicht  als  der  mit  Preußen  verbundene  Be- 
herrscher Österreichs,  sondern  als  Kaiser  vorging.  Aber  das 
Verhalten  des  preußischen  Königs  bereitete  den  Österreichern  in 
den  Vertragsverhandlungen  doch  manche  Sorge,  da  er  sich 
durchaus  nicht  zu  der  so  heiß  begehrten  Garantie  der  neuen 
polnischen  Verfassung  bereitfinden  lassen  wollte.  Fallen  ließ 
zwar  Österreich  die  polnische  Frage  durchaus  nicht,  sie  sollte 
im  Vertrage  im  Sinne  Österreichs  geregelt  werden,  und  gleich- 
zeitig suchte  man  in  Sachsen  den  Kurfürsten  durch  Landriani 


•)VivenotI  208—209. 

2)  Beer  112  ff. 

3)  Ranke  115—117. 


Preußen  und  Österreich  bis  Ende  März  1792  31 

zur  Annahme  der  Krone  zu  bestimmen;  würde  sich  Rußland  der 
Vereinigung  dieser  drei  Mächte  zu  widersetzen  wagen?1)  Aber 
nur  die  Notwendigkeit,  Preußens  gegen  Frankreich  sicher  zu  sein, 
ließ  die  Österreicher  zum  Abschluß  des  Vertrages  schreiten,  ohne 
die  gewünschte  Fassung  des  Polen  betreffenden  Artikels  erlangt 
zu  haben.  Ferner  mußten  sie  darauf  verzichten,  bei  inneren  Un- 
ruhen in  Belgien,  also  gerade  dem  Lande,  wo  es  am  ersten  dazu 
kommen  konnte,  die  Bundeshilfe  von  Preußen  zu  verlangen. 
Beide  Artikel  berichtigten  das  Werk  Bischoffwerders  für  Preußen 
in  sehr  erfreulicher  Weise.  Der  zweite  erscheint  mir  deshalb  be- 
sonders wichtig,  weil  es  sich  damit  der  Teilnahme  an  einer  Art 
Exekution  gegen  widerspenstige  Untertanen  entzog,  für  den 
Fall  eines  auswärtigen  Angriffs  aber  sofort  zur  Stelle  war2). 

Jetzt  nach  dem  Abschluß  des  Bundes  konnte  Leopold,  auf 
Preußen  gestützt,  noch  kräftigere  Drohungen  als  bisher  an  die 
Franzosen  richten3).  Preußen  seinerseits  arbeitete  an  der  Aus- 
nützung der  Allianz  für  den  Krieg  gegen  die  Revolution4),  und 
auch  in  die  Öffentlichkeit  sickerte  von  seiner  derartigen  Haltung 
etwas  durch5).  Wollte  es  Österreich  dafür  gewinnen  —  eine 
Kriegserklärung  der  Franzosen  erwartete  man  ja  nicht  —  so 
mußte  es  schon  besondere  Anstrengungen  in  Wien  selbst  machen. 
Leopold  hatte  den  Wunsch  ausgesprochen,  den  Freund  Öster- 
reichs, Bischoffwerder,  nach  dem  Abschluß  des  Vertrages  nach 
Wien  geschickt  zu  sehen0),  um  mit  ihm  die  eventuellen  Maßregeln 
zur  Verwirklichung  des  Konzertes,  die  er  jetzt  doch  für  möglich 
hielt,  zu  besprechen.  Diese  Mission  sollte  nun  für  Preußen  ein 
Mittel  werden,  um  Österreich  auf  der  Bahn  des  Eingreifens  in 


1 )  V  i  v  e  n  o  1 1  Nr.  219,  220,  221,  223 ;  F.D.G.  IV  400-403. 

2)  Ranke  117—123  und  277;  S  y  b  e  1 II 173—181;  C 1  a  p  h  a  m  158. 
3)HäußerI  335;  Ranke  134. 

4)  Natürlich  sagte  es  das  seinen  Vertretern  an  den  Höfen  außer  Wien 
nicht,  und  da  findet  man  etwa  Stellen  wie  folgende  in  dem  Erlaß  an  Goltz 
in  Petersburg  vom  5.  Januar  1792:  L' attention  principale  est  maintenant 
tournee  du  cöte  de  la  France  oü  les  demeles  de  Passemblee  nationale  avec 
les  princes  refugies  et  avec  ceux  de  1' Empire  qui  protegent  les  emigre3  sont 
encore  dans  les  memes  termes  sans  qu'on  en  viendra  j'espere  ä  des  ex- 
tremites  apres  les  declarations  que  le  Comte  de  Goltz  a  ete  chargees  de 
faire  ä  Paris  en  mon  nom  et  auxquelles  le  ministre  de  l'Empereur  aura 
indubitablement  recu  ordre  d'acceder  (Rep.  XI  Rußland  133  A). 

5)  Politisches  Journal  1792.  Januar:  Briefe  aus  Berlin  20.  und  23.  Ja- 
nuar 1792;  Februar:  Briefe  aus  Berlin  10.  und  18.  Februar  1792. 

6)  Vivenotl  219,  230,  248,  266,  267;  H.E.B.  149. 


32  I-  Abschnitt 

Frankreich  zu  raschen  energischen  Taten  fortzuziehen.  Wir 
müssen  dabei  noch  etwas  zurückgreifen  und  uns  kurz  Verhand- 
lungen vergegenwärtigen,  die  zwischen  Ludwig  XVI.  bezw. 
seinem  Bevollmächtigten  Breteuil  und  Preußen  stattgefunden 
hatten. 

Ludwig  hatte  am  3.  Dezember  1791  auch  nach  Preußen  ge- 
schrieben, um  es  zur  Teilnahme  an  einem  bewaffneten  Kongreß 
zu  veranlassen1).  Erst  sehr  spät,  am  12.  Januar,  erhielt  Friedrich 
Wilhelm  den  Brief.  Er  ließ  sich  aus  seiner  vorsichtigen  Haltung 
nicht  herauslocken,  die  nach  außen  zu  spielen  er  jetzt  für  nötig 
hielt.  Zwar  antwortete  er  am  14.,  er  sei  zum  Einschreiten  bereit, 
aber  er  fügte  wieder  die  bekannten  beiden  Forderungen  dazu: 
der  Kaiser  muß  vorangehen,  deshalb  will  er  sich  mit  ihm  ins 
Einvernehmen  setzen,  und  er  muß  sich  für  die  Ausgaben,  die  dem 
Interesse  seines  Staates  fremd  sind,  schon  jetzt  den  Anspruch  auf 
spätere  Entschädigung  vorbehalten. 

Selbstverständlich  sprach  er  dabei  nur  von  Geld2).  Das  er- 
kannte Breteuil  am  1.  Februar  als  durchaus  berechtigt  an;  nur 
bat  er  um  günstige  Bedingungen  für  die  Rückzahlung  der  Kriegs- 
kosten. Er  sprach  die  Hoffnung  aus,  daß  Österreich  mit  dem 
Kongreß  nun  endlich  Ernst  machen  werde.  In  Berlin  war  man 
dessen  durchaus  nicht  so  sicher,  und  Schulenburg  gab  nur  die 
Ansicht  von  Kaunitz  weiter,  wenn  er  am  13.  Februar  antwortete : 
es  sei  nicht  so  eilig;  ein  Kongreß  in  Aachen  bedeute  nur  eine 
Gefahr  für  Ludwig,  man  müsse  ihn  in  Wien  abhalten.  Das  hieß : 
es  sollte  nur  ein  diplomatisches,  nicht  auch  ein  militärisches 
Manöver  werden,  w  e  n  n  es  überhaupt  dazu  kam.  Für  die  Ent- 
schädigungen wünschte  Schulenburg  noch  eine  Ratifikation  der 
Versprechungen  Breteuils,  die  ihm  vorläufig  genügten,  von  dem 
König  zu  erhalten3).  Hiernach  mußte  Breteuil  diesen  Sturm  auf 
Preußen  als  abgeschlagen  ansehen.  Er  wandte  sich  erst  wieder 
Ende  März  mit  einer  besonderen  Bitte  an  Preußen  durch  seinen 


*)  Schlosser  V  324— 325;  H  äußer  I  327—328;  Sybel  II 
21—22;  H.E.B.  127—128;  Eanke  106  ff.;  Feuillet  IV  269  und 
VI  15;  Fersen  II  11,  128—130,  144—145,  149—151 ;  Ssolowjoff 
365;Flammermont  1—16;  S  o  r  e  1  II  329  ff. ;  H  e  i  g  e  1  I  467— i68 
und.  523 ;  A  k  e  s  o  n  174  ff. ;  C  a  r  i  s  i  e  n  94. 

2)  H.E.B.   163—164. 

3)  Flammermont  16 — 17.  Den  dort  fehlenden  Schluß  des  Briefes 
von  Schulenburg  an  Breteuil  vom  13.  Februar  1792  siehe  in  Rep.  XI  89 
Frankreich.     Secretissima. 


Preußen  und  Österreich  bis  Ende  März  1792  33 

Vertreter,  den  Vicomte  de  Caraman,  der  sich  Anfang  Februar 
nach.  Berlin  begeben  hatte  mit  dem  Auftrage,  Preußen  in  seiner 
Ludwig  günstigen  Gesinnung  möglichst  zu  bestärken.  Denn  es 
galt  ihm  als  ausgemacht,  daß  Preußen  sich  nur  mit  Bedauern 
der  von   Österreich  angenommenen  Haltung  fügte1). 

In  der  Tat  dürfen  wir  die  Absichten  Preußens  nicht  in  dem 
Briefe  Schulenburgs  an  Breteuil  suchen.  Nur  nach  außen  gab 
man  vor,  mit  Österreich  völlig  einig  zu  sein,  um  sich  nicht  zu 
kompromittieren,  um  sich  nicht  allein  an  die  Lösung  dieser  Frage 
zu  machen2).  Unter  dieser  Decke  arbeitete  man  aber  umso 
eifriger  an  dem  Zustandekommen  kräftiger  Maßregeln,  bei  denen 
man  für  Preußen  immer  einen  Gewinn  herauszuschlagen  hoffte. 
Wir  haben  für  diese  Gesinnungen  von  König  und  Ministerium 
ein  unwiderrufliches  Zeugnis  in  der  Instruktion  Bischoffwerders 
vom  18.  Februar,  die  er  für  die  neuen  Verhandlungen  in  Wien 
erhielt.  Noch  war  der  Krieg  nicht  gewiß,  aber  Preußen  wollte 
ihn  herbeiführen3). 

Für  Leopold  war  ein  besserer  preußischer  Unterhändler  nicht 
denkbar.  Das  Ministerium  konnte  dieser  neuen  Mission,  die  ohne 
sein  Zutun  versprochen  worden  war4),  nur  wenig  erfreut  gegen- 
überstehen. Auf  jeden  Fall  mußte  der  General  eine  genaue  In- 
struktion erhalten.  Machte  er  dann  wieder  Seitensprünge,  so 
kam  alles  darauf  an,  ob  der  König  ihm  oder  dem  Ministerium 
folgen  würde;  dies  war  jedenfalls  gedeckt  und  suchte  seine  Stel- 
lung noch  dadurch  zu  verstärken,  daß  es  Jacobi  beauftragte, 
alle  an  ihn  gelangenden  Weisungen  auch  dem  Generaladjutanten 
mitzuteilen,  so  wie  sie  ihm  die  an  Bischoffwerder  ergehenden 
mitteilten.  Das  erste  war  doch  eigentlich  selbst  verständlich ; 
denn  Bischoffwerder  war  besser  als  Jacobi  in  die  Politik  seines 
Herrn  eingeweiht.  Er  konnte  also  nichts  Besonderes  erfahren, 
eher  schon  Jacobi.  Es  war  nur  eine  Maßregel  zur  Aufrechterhaltung 
der  Einheitlichkeit  der  preußischen  Politik5).     Aber  gleichzeitig 


1)  Flammermont  11—16;  Fersen  II  135;  Sorel  II  368. 

2)  H.E.B.  148—149. 

3)  Rep.  XI  89  b  Frankreich.  Schulenburg:  Schulenburg  an  Braun- 
schweig 21.  Februar;  Braunschweig  an  Schulenburg  26.  Februar;  Rep.  92 
Lucchesinis  Nachlaß  Nr.  37,  Schulenburg  an  Lucchesini  27.  Februar; 
C  1  a  p  h  a  m  170,  203—204  und  233;  C  a  r  i  s  i  e  n  95. 

4)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  37:  Schulenburg  an  Lucchesini  31.  De- 
zember 1791. 

3)  Rep.  I  169  die  Minister  an  Jacobi  4.  März. 
Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution  3 


34  I.  Abschnitt 

etwa  erhielt  er  den  Auftrag,  unabhängig  von  Bischoffwerder  über 
alle  Vorgänge  zu  berichten1),  da  nur  der  Vergleich  der  Berichte 
von  beiden  Gesandten  es  erlaube,  einen  Schluß  auf  die  wahren 
Absichten  des  Wiener  Hofes  zu  ziehen2).  Wie  berechtigt  das 
Mißtrauen  des  Ministeriums  war,  sollte  sich  bald  zeigen. 

Die  Instruktion3)  also  haben  wir  diesmal  als  den  Ausdruck 
der  Willensmeinung  von  König  und  Ministerium  anzusehen4) 
(von  Alvenslebens  persönlicher  Stellungnahme  sehe  ich  hier  ab); 
die  sonstigen  Äußerungen  des  Königs  wie  des  Ministeriums 
stimmen  durchaus  mit  ihr  überein.  Sie  bezieht  sich  fast  aus- 
schließlich auf  die  Intervention  in  Frankreich.  Denn  die  Be- 
merkungen über  Polen  sind  nur  gemacht  zur  Klarlegung  des 
preußischen  Standpunktes,  wenn  die  Österreicher  darauf  zu 
sprechen  kommen  sollten,  und  das  deutlich  genug.  Wir  kennen 
ihn  bereits :  Preußen  wollte  die  neue  Verfassung  nicht  schützen, 
wollte  Polen  vielmehr  vor  allen  Dingen  schwach  erhalten,  lehnte 
also  die  dauernde  Verbindung  von  Sachsen  und  Polen  ab. 
Nur  im  Notfalle  könne  sich  Preußen  die  augenblickliche 
Verbindung  gefallen  lassen,  da  der  Kurfürst  von  Sachsen  bei 
dem  Fehlen  männlicher  Nachkommenschaft  dann  immer  noch 
der  beste  Kandidat  sei5).  Die  Hauptforderung  bleibt  aber  das 
Einverständnis  mit  Rußland.  Preußen  hatte  in  diesem  Augen- 
blick bereits  die  Nachricht,  die  die  Verhandlungen  über  die  zweite 
Teilung  Polens  in  Fluß  brachten0),  d.  h.  Österreich  stand  in  der 
polnischen  Frage  allein,  wie  es  das  schon  beim  Abschluß  des 
Berliner  Vertrages  gefürchtet  hatte.      Auch  in  Dresden  hatte 


1 )  Er  hatte  sich  am  6.  März  auf  den  Bericht  von  Bischoff werder  be- 
zogen, ebenso  am  9.  März. 

2)  An  Jacobi  12.  März. 

3)  Ranke  278—285;   Sybel  II  184—185;  Hei  gel  I  502—503. 

4)  Der  König  hatte  am  17.  Februar  an  Schulenburg  Fingerzeige  für 
ihre  Anfertigung  gegeben  Rep.  96,  147  G.  I  F. S.A.  Au  Roi  18.  Febr.  Auch 
von  Braunschweig  wissen  wir,  daß  er  in  Potsdam  einen  Entwurf  (Precis) 
dazu  gebilligt  hat.    Rep.  XI  89  b.  Schulenburg  an  Braunschweig  21.  Febr. 

5)  Das  war  wohl  eine  weiter  nichts  besagende  Höflichkeit  gegenüber 
den  Österreichern  und  den  Sachsen;  Bischoffwerder  reiste  ja  über  Dresden. 

6)  Es  verdient  aber  bemerkt  zu  werden,  daß  schon  am  8.  März,  also  vor 
dem  Eintreffen  der  entscheidenden  zweiten  Nachricht  aus  Petersburg 
(vgl.  unten),  an  Jacobi  eine  Weisung  erging,  aus  der  deutlich  zu  ersehen  ist, 
daß  für  Preußen  das  eigentliche  Interesse  war,  das  Zustandekommen  der 
neuen  Verfassung  mit  ihrer  besonders  gefährlichen  Bestimmung  über  die 
Thronerblichkeit  zu  verhindern;  es  wagte  nur  nicht,  offen  dagegen  auf- 
zutreten, sondern  versteckte  sich  hinter  Rußland. 


Preußen  und  Österreich  bis  Ende  März  1792  35 

Bischoffwerder  das  zu  erklären.  Es  bedurfte  aber  kaum  mehr 
seines  Mahnens,  um  den  zögernden  Kurfürsten  vollends  von  der 
Annahme  des  Danaergeschenkes  der  polnischen  Krone  abzu- 
halten, da  auch  sein  Vertreter  in  Warschau,  Herr  von  Essen, 
ihn  über  die  wahre  preußische  Meinung  unterrichtete,  die  die  in 
Dresden  befindlichen  Polen  vergeblich  zu  verdunkeln  suchten1). 

Dieser  Artikel  der  Instruktion  betraf  also  lediglich  eine  Er- 
klärung, die  eventuellen  Verhandlungsversuchen  sofort  ein  Ende 
machen  sollte.  Die  übrigen  waren  der  französischen  Angelegen- 
heit gewidmet.  In  zwei  Sätze  kann  man  ihren  Hauptinhalt  zu- 
sammenfassen: Wenn  etwas  geschieht,  dann  soll  es  auch  kräftig 
sein,  und  für  diesen  Fall  verlangt  Preußen  Entschädigung 
für  seine  Kosten.  Daß  die  Österreicher  wirklich  etwas  tun 
wollten,  war  den  Preußen  durchaus  nicht  sicher.  Der  Plan  für 
das  zu  errichtende  Konzert  war  ja  eben  zwischen  beiden  Mächten 
vereinbart  worden,  d.  h.  Preußen  hatte  die  österreichischen  Grund- 
sätze durchaus  angenommen  und  nur  für  die  Aktion  selbst  in  dem 
unten  angegebenen  Sinne  Änderungen  vorgeschlagen,  die  Österreich 
nur  zum  kleinen  Teile  genehmigte.  Nun  war  aber  das  Zustande- 
kommen des  Konzertes  durchaus  nicht  gesichert.  Rußland, 
Schweden  und  Spanien  begünstigten  die  Emigranten,  Österreich 
wollte  sie  an  der  Intervention  überhaupt  nicht  teilnehmen  lassen. 
Wie  nun,  wenn  es  zu  keinem  Konzerte  kam?  Österreich  und 
Preußen  sollten  sich  nach  dessen  Ansicht  auch  für  diesen  Fall 
einigen,  und  wenn  etwas,  so  ist  dieser  Punkt  charakteristisch 
für  den  Wunsch  Preußens,  einzuschreiten.  Denn  war  das 
preußische  Kabinett  wirklich  so  friedliebend,  wie  man  vielfach 
angenommen  hat2),  so  bleibt  es  völlig  unerklärlich,  warum  es 
die  Bundesfreundlichkeit  und  die  Selbst entäußerung  so  weit  trieb, 
den  Österreichern  auch  für  diesen  Fall  seine  Hilfe  zuzusichern. 
Etwas  anderes  oder  besser  weniger  kann  ja  der  preußische 
Antrag  nicht  bedeuten3). 

In  der  Entschädigungsfrage  machte  Preußen  jetzt  schon  ganz 
bestimmte  Vorschläge,  auf  die  ich  noch  in  anderem  Zusammen- 
hange zurückkommen  muß4).    Preußen  will  sich  zwar  mit  Geld 


1 )  Berichte  Lucchesinis   4.  und  28.  Januar  1792  in  Rep.  9,  27. 

2)  Ranke  145—153;  Sybel  II  172—192;  Heigel  I  535—536. 

3)  Vivenot  I  263  und  279. 

4)  Hier  möchte  ich  nur  darauf  hinweisen,  daß  ein  leiser  Nachklang 
der  patriotischen  Begeisterung  des  deutsch-französischen  Krieges  Ranke 
bestimmt  zu  haben  scheint  (S.  145 — 146  und  153),  den  preußischen  Ent- 


36  !•  Abschnitt 

begnügen,  wenn  es  nur  zu  Rüstungen  kommt;  im  Kriegsfalle 
aber  verlangt  es  Landbesitz:  Jülich-Berg  für  Preußen,  Elsaß- 
Lothringen  für  Österreich  bezw.  Bayern  und  die  kleineren  Reichs- 
fürsten. Vergegenwärtigen  wir  uns  nun  kurz  die  Tendenzen  der 
österreichischen  Politik,  um  uns  dann  nach  dem  Ergebnis  der 
Mission  Bischoffwerders  und  den  Vorgängen  zu  fragen,  die  zur 
französischen  Kriegserklärung  führten. 

Wir  sahen,  daß  am  12.  November  1791  Kaunitz  das  Konzert 
der  europäischen  Mächte  zur  Passivität  gegenüber  Frankreich 
verurteilt  hatte,  wie  aber  Emigranten,  Reichsfürsten  und  Legis- 
lative, endlich  das  Vorgehen  Marie  Antoinettes  ihm  nicht  lange 
Zeit  ließen,  diese  Ruhe  zu  genießen.  Nach  langen  Vorbereitungen 
beschloß  endlich  am  17.  Januar  eine  Staatskonferenz  in  Wien, 
die  Aktivierung  des  Konzertes  in  die  Wege  zu  leiten,  wenn  man 
jetzt  auch  nicht  mehr  den  König  als  nicht  frei  bezeichnen  konnte 
und  die  Forderungen  auf  einen  erträglichen  Zustand  mit  Hilfe 
der  neuen  Verfassung  beschränken  mußte.  Dieser  Beschluß  wurde 
von  Leopold  bestätigt1).  Das  erste  Erfordernis  für  die  Durch- 
führung dieser  Maßregel  war,  die  preußische  Zustimmung  zu  ge- 
winnen, und  wir  sehen  hier,  wieviel  Wert  Österreich  auf  den 
raschen  Abschluß  der  Allianz  mit  Preußen  legen  mußte.  Dies 
war  in  der  Tat  die  einzige  Macht,  auf  die  sich  Österreich  im 
Kampfe  gegen  die  Revolution  wirklich  stützen  zu  können  schien. 
Denn  mehr  und  mehr  stellte  es  sich  heraus,  daß  sein  alter  Bundes- 
genosse Rußland   in   dieser   Frage   wieder   einmal  zum  großen 


Schädigungsansprüchen  eine  Richtung  zu  geben,  die  als  national  beab- 
sichtigt erscheint.  Er  verkennt  dabei,  daß  die  Eroberung  von  Elsaß-Loth- 
ringen für  Preußen  nur  das  Mittel  war,  um  außer  der  Entschädigung  der 
Reichsfürsten  auch  die  für  Österreich  und  für  Pfalzbayern  zu  erlangen, 
damit  Preußen  Jülich  und  Berg  erhalten  konnte.  Wir  sehen  hier,  mit 
welchen  Schwierigkeiten  eine  Ausdehnung  Preußens  auf  deutschem  Gebiet 
verknüpft  war,  eine  Begleiterscheinung  der  Fürstenbundspolitik,  die  nicht 
zu  gering  angeschlagen  werden  darf. 

x)  Gern  gingen  die  Österreicher  nicht  an  das  Geschäft.  So  schreibt 
Leopold  an  Reuß  am  4.  Januar  (Vivenot  I  219),  die  Nachrichten  würden 
wohl  nichts  anderes  übrig  lassen,  als  eine  ernsthafte  Partei  gegen  Frank- 
reich zu  ergreifen  —  und  noch  vorsichtiger  am  gleichen  Tage  Kaunitz  an 
Reuß  (Vivenot  I  221):  Nötigenfalls  muß  dann  die  Existenz  und  der 
Ernst  des  gemeinschaftlichen  Konzerts  durch  angemessene  Beweise  (als 
z.  B.  mittels  eines  gemeinschaftlichen  Vereinigungsaktes,  welcher  die  hypo- 
thetischen Fälle  der  Realisierung  des  Konzerts  eventualiter  bestimmte) 
öffentlich  konstatiert  werden.  Vgl.  auch  L  e  n  z  in  Preuß.  Jahrb.  78,  302  ff. ; 
Glagau  157—170. 


Preußen  und  Österreich  bis  Ende  März  1792  37 

Ärger  der  Österreicher  durchaus  selbständig  seinen  Weg  ging1). 
Schweden,  Spanien,  Neapel,  wohl  auch  Sardinien  waren  nun  mit 
Rußland  in  der  Hauptsache  einig,  auf  ihre  Mitwirkung  beim 
Konzert,  wie  es  Österreich  plante,  konnte  also  nicht  gerechnet 
werden,  oder  sie  schadete  mehr,  als  sie  nützte.  Von  England, 
Holland,  Dänemark  und  den  kleinen  deutschen  wie  italienischen 
Staaten  war  eine  nennenswerte  Hilfe  von  vornherein  nicht  zu 
erwarten.  Auf  Preußen  also  kam  alles  an.  War  man  mit  diesem 
einig,  so  war  die  Basis  für  das  Konzert  gegeben.    Schlössen  sich 


1)  Am  25.  Dezember  1791/5.  Januar  1792  schlug  es  im  Einverständnis 
mit  Spanien  den  Mächten  einen  Plan  vor,  nach  dem  die  Hauptaktion  den 
Emigranten  zufallen,  die  Truppen  der  Mächte  nur  als  Hilfskorps  erscheinen 
sollten.  (Minnen  ur  Sveriges  nyare  Historia.  Sambade  af  B.  von  Schinkel. 
Bihang  utgifvit  af  S.  J.  Boethius.  Upsala  I  138—143.)  Die  Pflicht  Frank- 
reichs, für  die  Kriegskosten  aufzukommen,  wurde  darin  als  selbstverständ- 
lich anerkannt  —  für  Preußen  ein  Avichtiges  Zugeständnis,  auf  das  es  sich 
nachher  oft  beruft,  bei  dessen  allgemeiner  Fassung  es  sich  aber  vorläufig 
beruhigt,  da  das  weitere  Sache  späterer  Vereinbarung  sei.  Von  Polen 
war  auch  hier  mit  keinem  Worte  die  Rede.  Preußen  lehnte  aber  den  russi- 
schen Plan  als  Ganzes  doch  sehr  höflich  einfach  mit  der  Bemerkung  abr 
daß  es  mit  Österreich  in  Verhandlungen  über  das  Konzert  stehe  und  bald 
nähere  Mitteilungen  werde  machen  können.  Am  10.  Februar  tat  Preußen 
dann  seinen  Gegenzug  (der  König  wünschte  ausdrücklich,  möglichst  rasch 
Goltz  instruiert  zu  sehen :  Cette  instruction  au  Cte.  Goltz  etait  tres  necessaire 
et  je  vous  [die  drei  preußischen  Kabinettsminister  sind  gemeint]  la  renvoie 
de  bonne  heure  pourqu'elle  parte  le  plus  tot  le  mieux)  mit  der  Instruktion 
von  Goltz  für  gemeinsames  Vorgehen  mit  Ludwig  Cobenzl  in  der  Konzert- 
frage. Ja  sogar  wenn  der  Plan  Österreichs  nicht  genau  mit  dem  von  Preußen 
skizzierten  übereinstimme,  solle  Goltz  ihn  unterstützen,  da  Österreich  nur 
so  weit  vorgehen  werde,  als  die  Vorsicht  es  erlaube.  Als  dies  im  Begriffe 
war,  seinen  Plan  nach  Petersburg  mitzuteilen,  erhielt  Goltz  erneute  An- 
weisung in  diesem  Sinne  (26.  Februar  cf.  Vivenot  I  263,  vgl.  an  Goltz 
1.  März).  Bis  zum  12./13.  April  hat  Österreich  dann  den  Erlaß  noch  hin- 
gezögert; der  Tod  Leopolds  ist  doch  nur  eine  schwache  Entschuldigung 
für  den  fehlenden  guten  Willen  (an  Goltz  8.  März,  13.  und  18.  April. 
Bericht  Goltz  9./20.  April).  An  Preußen  also  lag  es  wirklich  nicht,  daß 
der  Versuch  bei  Rußland  nicht  eher  gemacht  worden  ist  (vgl.  auch  an  Goltz 
10.  Februar,  wonach  er  eventuell  sogar  ohne  Instruktion  mit  L.  Cobenzl 
vorgehen  soll).  Goltz  hielt  allerdings  bei  Cobenzls  Bestreben,  der  Verbin- 
dung zwischen  Österreich  bezw.  Rußland  und  Preußen  zu  schaden,  ein  ge- 
meinsames Vorgehen  nicht  für  ausführbar.  Das  Kabinettsministerium 
tröstete  ihn  aber  mit  der  Bemerkung,  jener  werde  wohl  gezwungen  wer- 
den, die  Politik  seines  Hofes  mitzumachen  (Bericht  10.  21.  Februar,  an 
Goltz  8.  März).  Vgl.  Ostermann  an  Alopeus  25.  Dezember  1791/5.  Ja- 
nuar 1792  (Auszug  mit  Beilage).  F. S.A.  Au  Roi  19.  Januar,  Note  für  Alo- 
peus (19.  Januar),  an  Goltz  19.  Januar,  alles  in  Rep.  XI,  Rußland  133  A. 
An  Haugwitz  13.  Juni  1792  in  Rep.  I  170. 


38  I-  Abschnitt 

andere  Mächte  wenigstens  äußerlich  an,  so  reichte  das  für  die 
geplante  Demonstration  aus,  und  an  einen  Krieg  glaubte  man 
ja  noch  immer  nicht.  Wenn  nun  aber  das  Konzert  nicht  zu  stände 
kam  und  der  Krieg  auch  nicht  von  den  Franzosen  erklärt  wurde, 
dann  konnte  Österreich  auf  seine  Bemühungen  hinweisen  und  die 
Schuld  an  dem  Scheitern  auf  andere  Mächte  wälzen  —  ein  sehr 
wesentlicher  Grund  für  die  Österreicher,  überhaupt  den  Versuch 
zu  machen,  die  Theorie  des  Gleichgewichtes  der  europäischen 
Mächte  und  des  allgemein  geltenden  Völkerrechtes  praktisch 
geltend  zu  machen1). 

Preußen  hatte  nur  geringe  Ausstellungen  an  dem  Plane  zu 
machen,  den  Reuß  ihm  auf  Befehl  vom  25.  Januar  vorzulegen 
hatte.  Sie  lassen  sich  sämtlich  aus  dem  Wunsche  ableiten,  ganz 
und  rasch  das  zu  tun,  was  es  überhaupt  angreift,  deshalb  nicht 
nur  zu  drohen,  sondern  auch  die  Mittel  bereitzustellen,  um  der 
Drohung  eventuell  sofort  die  Tat  folgen  zu  lassen2)  und  sich  Ent- 
schädigungen zu  sichern. 

Dieser  modifizierte  österreichische  Plan  hatte  in  der  Haupt- 
sache folgenden  Inhalt.  Nach  der  Bildung  des  Konzertes  der 
europäischen  Mächte  sollte  dies  von  Frankreich  fordern:  1.  die 
Zurückziehung  der  drei  Armeen  von  der  Reichsgrenze,  2.  die 
Einsetzung  der  Reichsfürsten  in  ihre  Rechte  und  Besitzungen, 
3.  die  Rückgabe  von  Avignon  und  Venaissin  an  den  Papst,  4.  per- 
sönliche Sicherheit  der  königlichen  Familie,  5.  monarchische 
Regierungsform,  6.  Gültigkeit  aller  Verträge3).     Die  Frage  der 


1 )  MaTtens,  Traites-Russie  VI  160.  H.E.B.  158—161.  Fersen 
II  115—116,  118—127,  136—139,  146—149;  Vi  veno  t  I  262—264,  257. 
Krieg  gegen  die  Revolution  I  52. 

2)  Preußen  verlangte  dementsprechend  Erhöhung  der  Truppenzahl 
von  40  000  auf  50  000  Mann,  Vereinbarung  über  eine  gemeinsame  Deklaration, 
der  man  —  wie  sich  herausstellen  sollte  —  eine  übertriebene  Bedeutung 
beimaß,  und  über  eine  eventuelle  Spaltung  unter  den  am  Konzert  teil- 
nehmenden Mächten.  Vgl.  H.E.B.  148  und  191.  An  wirklich  kräftige 
militärische  Maßregeln  dachten  jetzt  aber  weder  Preußen  noch  Österreich. 
Wozu  auch?  An  einen  französischen  Angriff  glaubte  man  nicht,  und  wenn 
er  erfolgen  sollte,  so  war  die  Furcht  davor  wirklich  nicht  besonders  groß. 
Sollte  man  sich  endlich  unnütz  in  Kosten  stürzen,  die  man  nicht  zurück- 
erstattet erhielt? 

3)  Preußen  wollte  hiervon  Nr.  4  und  5  weglassen  als  gefähr  lieh  für 
die  königliche  Familie,  dagegen  als  Nr.  7  hinzufügen  die  Forderung,  die 
aufrührerischen  Schritte  der  Jakobiner  zu  unterbinden,  damit  die  Revolution 
sich  nicht  auch  auf  andere  Länder  ausdehne  (Preußen  aber  fürchtete 
nichts  für   sich!).     H.E.B.  161—163.    Rep.  XI  Rußland  133  A.  an  Goltz 


Preußen  und  Österreich  bis  Ende  März  1792  39 

Entschädigung  für  die  Kriegskosten  wollte  Österreich  von  anderen 
Mächten  anregen  lassen  (man  erwartete  ein  Vorgehen  Preußens 
in  dieser  Richtung),  um  seinem  Vorgehen  den  Anstrich  der  Un- 
eigennützigkeit  geben  zu  können.  Noch  hoffte  Österreich,  seine 
Forderungen  lediglich  durch  politische  Demonstrationen  durch- 
zudrücken, wollte  aber  eventuell  auch  militärische  anwenden  und 
bestimmte  dazu  ursprünglich  40000  Mann,  auf  Preußens  An- 
regung 50  000,  abgesehen  von  den  in  den  Niederlanden  befind- 
lichen Truppen.  Diese  Zahl  wurde  so  hoch  gegriffen  —  so  erschien 
es  wenigstens  den  deutschen  Mächten  —  weil  man  damit  die 
anderen  Mächte  zu  entsprechend  hohen  Leistungen  heranzu- 
ziehen hoffte,  die  Einschränkung  ergebe  sich  bei  der  Realisierung 
ja  von  selbst  —  wieder  ein  Beweis,  wie  bei  dem  Konzert  alles  auf 
den  Schein  gestellt  wurde.  Nur  die  Absendung  von  6000  Mann 
nach  Vorderösterreich  wurde  beschlossen;  selbstverständlich 
sollte  nun  Preußen  auch  so  viel  an  den  Niederrhein  schicken1). 
Die  Verhandlungen  über  die  Bildung  des  Konzertes  versprachen, 
eine  lange  Zeit  in  Anspruch  zu  nehmen2).  Österreich  durfte  aber 
so  lange  die  Antwort  auf  die  Forderung  der  französischen  Regie- 
rung vom  21.  Januar  und  vor  allem  auf  die  scharfen  Beschlüsse 
der  Nationalversammlung  vom  25.  Januar  nicht  aufschieben. 
Sie  wurde  mit  Preußen  vereinbart3).  Kaunitz  ergriff  die  Gelegen- 
heit, scharf  gegen  das  Treiben  der  Jakobiner  zu  wettern  und  den 
gutgesinnten  Teil  des  französischen  Volkes,  der  an  der  Verfassung 
festhalte,  seines  Beistandes  zu  versichern.  Sollte  sich  aber  diese 
Partei  weiter  die  Herrschaft  anmaßen  und  gar  zum  Angriff 
schreiten,  so  drohte  er  mit  der  Intervention  des  europäischen 
Konzertes4).  Er  ließ  seinen  Noten  die  weiteste  Verbreitung  geben, 


10.  Februar  1792.  Kaunitz  lehnte  das  ab,  da  die  sechs  Punkte  nur  die 
Grundlage  für  das  Konzert,  nicht  für  die  Deklaration  sein  sollten.  Über  sie 
müsse  man  sich  später  einigen. 

l]  Vi  veno  t  I  235,  240,  263. 

2)  Vi  veno  t  I  262  und  263. 

3)  Johann  August  Reuß,  Teutsche  Staatskanzley  Bd.  35 
(Ulm  1797),  S.  164.  Allgemein  war  damals  die  Ansicht  verbreitet,  daß 
Preußen  sich  von  Wien  aus  leiten  lasse.  Correspondance  diplomatique  du 
Baron  de  Stael-Holstein  publ.  p.  L.  Leouzon  Le  Duc.  Paris  1881.  Nr.  244 
(26.  Januar  1792).  —  A.  Geffroy,  Gustave  III  et  la  cour  de  France. 
2.  ed.  (Paris  1867).    II  463  ff. 

4)  Das  war  ganz  im  Sinne  der  Feuillants.  V  i  v  e  n  o  t  I  257,  258, 
264;  Ranke  134  ff. ;  Lenz  309—310;  G  lag  au  168—177;  H.E.B. 
157—158. 


40  I-  Abschnitt 

um  dadurch  die  gewünschte  Einschüchterung  der  radikalen  Partei 
zu  erreichen1).  Gerade  das  Gegenteil  davon  trat  ein.  Nur  mit 
Worten,  nicht  mit  Waffengewalt,  hoffte  er,  das  Ziel  zu  erreichen. 
Gefahrdrohender  als  je  erschien  ihm  und  seinen  Genossen  ein 
Krieg  gegen  die  Revolution2). 

Man  sieht,  die  österreichischen  Tendenzen  waren  von  den 
preußischen  außerordentlich  verschieden.  Fragt  man  sich  nun, 
ob  es  Bischoffwerder  gelungen  ist,  die  preußischen  Forderungen 
ganz  oder  zum  Teil  durchzusetzen,  so  wird  man  mit  einem  Nein 
beinahe  in  jeder  Beziehung  antworten  müssen^).  In  der  pol- 
nischen Frage  gab  er  den  noch  in  Dresden  festgehaltenen  Stand- 
punkt bei  dem  ersten  österreichischen  Ansturm  preis.  Ich  glaube, 
er  hoffte  durch  diese  Nachgiebigkeit  in  einer  Sache,  deren  weit- 
tragende Bedeutung  er  gar  nicht  zu  erkennen  schien,  Österreich 
zu  Konzessionen  in  der  französischen  Frage  herumzubekommen. 
Aber  der  Erfolg  entsprach  dem  nicht.  Wohl  ließen  sich  Kaunitz 
und  auch  Spielmann  zuerst  allerlei  Äußerungen  entlocken,  die, 
verbunden  mit  der  scheinbar  etwas  größeren  Neigung  des  neuen 
Königs,  des  späteren  Kaisers  Franz  II.,  in  den  Krieg  einzutreten, 
gute  Hoffnungen  zu  rechtfertigen  schienen.  Aber  bald  zeigte  es 
sich,  daß  alles  nur  Strohfeuer  war.  Die  österreichische  Politik 
blieb  im  März  in  der  Hauptsache  dieselbe  wie  unter  Leopold. 
Bis  Ende  Mai  haben  wir  immer  noch  trotz  Bischoffwerders 
mannigfacher  gegenteiliger  Äußerungen  Kaunitz  als  ihren  Leiter 
zu  betrachten.  Preußen  wünschte,  daß  die  Einladungen,  seinem 
Bunde  mit  Österreich  beizutreten,  an  England,  Holland,  Sachsen 
und  Rußland  schnell  ergingen.  Österreich  zögerte  den  Erlaß  bis 
Mitte  April  hin.  Dasselbe  geschah  mit  der  Aufforderung,  dem 
geplanten  Konzert  der  europäischen  Mächte  beizutreten.  Mili- 
tärische Maßregeln  in  preußischem  Sinne  wurden  vor  Bischoff- 
werders  Abreise  noch  nicht  getroffen.  Kurz,  wohin  man  blickt, 
es  ist  die  alte  österreichische  Politik,  die,  wenn  irgend  möglich, 
den  Bruch  mit  Frankreich  zu  vermeiden  sucht.  Nun  wird  man 
allerdings  die  Schuld  an  dem  Scheitern  der  preußischen  Pläne 
nicht  allein  auf  die  Unfähigkeit  von  Bischoffwerder  schieben 
dürfen.  Auch  ein  besserer  Diplomat  hätte  sich  wohl  an  der 
Lösung  dieser  Aufgabe  umsonst  abgemüht.      Ich  möchte  hier 


1 )  C  1  a  p  h  a  m  230—231. 

2)  H.E.B.   152—156,  191—193,  196—200. 

3)  Clapham  239. 


Preußen  und  Österreich  bis  Ende  März  1792  41 

nicht  die  Tätigkeit  von  Jacobi  zum  Vergleich  heranziehen,  da 
er  bei  den  Österreichern  zu  schlecht  angeschrieben  war,  um  wirk- 
lichen Einfluß  ausüben  zu  können1).  Er  war  eigentlich  doch  nur 
Berichterstatter,  dies  allerdings  in  bestem  Sinne,  ohne  selb- 
ständige Bedeutung.  Wohl  aber  ginge  es  an,  die  Versuche  von 
Haugwitz,  der  ja  manche  Ähnlichkeit  mit  Bischoffwerder  zeigt, 
im  Sommer  und  Herbst  dieses  Jahres  mit  dessen  Tätigkeit  zu  ver- 
gleichen. Namentlich  für  den  November  und  Dezember  wird 
man  doch  Haugwitz  die  Anerkennung  nicht  versagen  können, 
daß  er  alles,  was  in  seinen  Kräften  stand,  für  die  Durchsetzung 
der  preußischen  Forderungen  getan  hat.  Trotzdem  war  der  Er- 
folg beinahe  noch  geringer  als  jetzt  im  März,  da  Österreich  sie 
zwar  öffentlich  genehmigte,  geheim  aber  ihre  Ausführung  zu  ver- 
hindern suchte.  Zu  solchen  Künsten  brauchten  die  Österreicher 
Bischoff werder  gegenüber  ihre  Zuflucht  jedoch  nicht  zu  nehmen. 
Er  ließ  sich  leichter  zu  der  Ansicht  bringen,  daß  Österreich  auch 
für  die  preußischen  Interessen  sorge.  Er  erfaßte  sie  nicht  scharf 
genug  in  ihrer  Eigenart  und  verstand  es  daher  auch  nicht,  sie 
im  Kampfe  mit  gewandteren  Gegnern  zur  Geltung  zu  bringen. 
Für  die  österreichischen  Rüstungen  vor  der  französischen  Kriegs- 
erklärung, ja  zum  Offensivkriege  gegen  die  Revolution  im  Bunde 
mit  Preußen,  bevor  sie  in  Wien  bekannt  wurde,  scheint  mir  daher 
die  Tätigkeit  Bischoffwerders  von  gar  keiner  Bedeutung  zu  sein. 
Nur  die  Wahl  des  Herzogs  von  Braunschweig  zum  Oberbefehls- 
haber über  die  Truppen  beider  Mächte  erhielt  die  österreichische 
Zustimmung  durch  seine  Vermittlung.  Ich  wage  nicht  einmal, 
ihm  das  als  Verdienst  anzurechnen.  Vor  allem  —  mochte  diese 
Tatsache  nachher  von  so  verhängnisvoller  Bedeutung  sein, 
jetzt  erschien  die  Nachgiebigkeit  Österreichs  doch  nur  als  be- 
deutungsloser Gefallen,  den  es  dem  hochgespannten  Stolze  Fried- 
rich Wilhelms  auf  seine  Armee  erwies,  und  die  Österreicher  wie 
den  Herzog  selbst  werden  wir  bald  am  Werke  sehen,  sie  in  ihrer 
Bedeutungslosigkeit  zu  kennzeichnen,  diese  noch  zu  vermehren. 
Wir  werden  uns  also  auf  einer  anderen  Seite  nach  Gründen  oder 
besser  nach  Anlässen  für  den  Ausbruch  des  Krieges  umsehen 
müssen,  und  es  kann  kein  Zweifel  daran  sein,  woher  der  Anstoß 
kam,  von  Frankreich  selbst,  und  zwar  auf  doppeltem  Wege, 
öffentlich  und  geheim. 

1)  A.  Beer,  Joseph  II.,  Leopold  II.  und  Kaunitz,  S.  378—379; 
Ranke,  Sämtliche  Werke  47,  275;  W  i  1 1  i  c  h  e  n,  Polnische  Politik 
27  und  102. 


42  !•  Abschnitt 

3.  Kapitel 

Österreich  und  Frankreich  im  März  und  April 


Die  österreichische  Note  hatte  den  entgegengesetzten  Erfolg 
gehabt,  als  Kaunitz  erwartet  hatte1).  Statt  die  Konstitutionellen 
zu  stärken  und  die  Jakobiner  zu  schwächen,  hatte  sie  den  Sturz 
des  Ministeriums  Delessart  herbeiführen  helfen.  Delessart  selbst 
hatte  zwar  noch  gleich  am  1.  März  darauf  geantwortet2)  und  die 
Aufhebung  des  Konzertes  verlangt,  war  aber  sonst  noch  so  ent- 
gegenkommend wie  möglich  gewesen  und  hatte  die  für  Frank- 
reich verletzenden  Bemerkungen  der  österreichischen  Note  bei- 
nahe gänzlich  totgeschwiegen.  „Der  König  hat  es  mit  der  Würde 
und  der  Unabhängigkeit  der  Nation  für  nicht  vereinbar  gehalten, 
sich  in  Erörterungen  über  Gegenstände  einzulassen,  die  nur  die 
innere  Lage  des  Königreiches  betreffen."  Das  war  alles,  was  er 
den  Angriffen  von  Kaunitz  auf  die  Jakobiner  entgegenzusetzen 
hatte.  Dafür  klammerte  er  sich  an  jedes  Wort,  das  ein  Entgegen- 
kommen Österreichs  verraten  konnte.  Er  versprach  die  Erneue- 
rung der  Allianz ;  sowie  Österreich  sich  zur  Abrüstung  verpflichtet 
habe,  werde  auch  Frankreich  alle  kriegerischen  Maßregeln  ein- 
stellen und  rückgängig  machen.  Mit  diesem  Tone  konnte  er  natür- 
lich den  Österreichern  nicht  imponieren.  Kaunitz  beharrte  nur 
umsomehr  in  seiner  Richtung3).  Er  bezog  sich  am  18.  März  nach 
einer  scharfen  Zurückweisung  des  ihm  imputierten  Vertrauens- 
bruches durchaus  auf  seine  vorige  Note.  Die  Rüstungen  in  den 
Niederlanden  seien  rein  defensiver  Natur  und  mit  denen  der 
Franzosen  gar  nicht  zu  vergleichen.  König  Franz  lasse  sich  dar- 
über außerdem  keine  Vorschriften  machen,  was  er  für  die  Sicher- 
heit seiner  Staaten  zu  tun  habe.  Das  Konzert  könne  er  umso- 
weniger  auflösen,  als  er  dazu  der  Zustimmung  der  Mächte  bedürfe, 
die  jetzt  kaum  zu  erlangen  sein  werde;  denn  die  für  seine  Er- 
richtung maßgebenden  Gründe  beständen  noch  ungeschwächt 
fort.  Und  nun  folgt  ein  Angriff  auf  die  stets  wachsende  Wut  der 
Jakobiner,  die  alle  gesetzliche  Ordnung  zu  beseitigen  trachteten, 


1 )  Ranke  140  ff. ;  G  1  a  g  a  u  195  ff. 

2)  Vivenot  I  287. 

3)  Ranke  151—152  und  167—168;  G  1  a  g  a  u  261—262;  Vivenot 
293. 


Österreich  und  Frankreich  im  März  und  April  43 

wie  man  sich  ihn  schärfer  kaum  denken  kann.  Der  verständige 
Hauptteil  der  französischen  Nation  werde  selbst  danach  trachten, 
sich  der  Tyrannei  dieser  Sekte  zu  entziehen  und  als  trostreiche 
Aussicht  auf  Unterstüztung  das  Bestehen  eines  Konzertes  be- 
trachten, dessen  Ziele  sein  Vertrauen  verdienten  bei  der  wichtig- 
sten Krisis,  die  jemals  die  gemeinsamen  Interessen  von  Europa 
betroffen  habe. 

Wir  sahen  schon,  welche  Absichten  Kaunitz  mit  einer  der- 
artigen Sprache  verfolgte.  Aber  hatte  er  bisher  wenigstens  noch 
das  französische  Ministerium  auf  seiner  Seite  gehabt,  so  verlor 
er  jetzt  auch  diesen  Vorteil,  das  neue  stand  durchaus  im  revo- 
lutionären Lager.  Am  15.  März  übernahm  Dumouriez  die  Ge- 
schäfte des  Ministeriums  des  Auswärtigen.  Man  hat  wohl  ver- 
sucht, sein  Vorgehen  aus  seiner  Vergangenheit  zu  erklären,  und 
darin  die  Politik  eines  Abenteurers  sehen  wollen,  der  daran 
scheitert,  daß  er  die  Revolution  vom  Standpunkte  des  ancien 
regime  beurteilt  —  wie  mir  scheint,  mit  Unrecht.  Gerade  hier 
zeigt  sich  deutlich,  wie  die  Lage  die  persönlichen  Ansichten  be- 
herrscht ,  verändert.  Wenn  seine  politischen  Ansichten  ebenso 
rasch  wechselten  wie  die  Farbe  eines  Chamäleons,  so  erklärt  sich 
das  daraus,  daß  sie  ihm  nicht  das  Wesentliche,  nicht  Herzens- 
sache, sondern  nur  Mittel  waren,  um  an  das  Ziel  zu  kommen,  zu 
einer  starken  französischen  nationalen  Monarchie,  in  der  er  eine 
leitende  Stellung  eingenommen  hätte.  Sein  Scheitern  hat  wohl 
hauptsächlich  zum  Grunde,  daß  er  einen  starken  Monarchen 
brauchte,  der  ihm  völlig  vertraute,  und  daß  er  der  Revolution 
Grenzen  setzen,  sie  eindämmen  wollte1). 

Mirabeau  nämlich  sollte  recht  behalten  mit  seiner  Prophe- 
zeiung, daß  ein  jakobinisches  Ministerium  selbst  die  Schwäche 
der  königlichen  Gewalt  erkennen,  seinen  einseitigen  Parteistand- 
punkt aufgeben  werde2).  Schon  am  18.  März  erging  eine  Note 
des  neuen  Ministers,  die  zwar  nicht  so  klar  und  selbstbewußt, 
wie  man  bisher  angenommen  hat,  aber  doch  energischer  als  die 
letzten  Delessarts,  verlangte,  Österreich  solle  seine  Rüstungen 
einstellen ;  dann  werde  auch  Frankreich  seine  Heere  zurückziehen ; 
die  deutschen  Kleinstaaten  würden  dem  Beispiel  der  großen 
folgen  müssen ;  die  Emigranten  würden  sich  zu  zerstreuen  genötigt 


*)  S  o  r  e  1  II  403 — 408,  vgl.  damit  Sorel  in  Revue  des  deux  mondes 
64  (1884)  302  ff. ;  C  h  u  q  u  e  t,  Valmy  9—23. 
2)  S  o  r  e  1  II  40;  G  1  a  g  a  u  241—242. 


44  I-  Abschnitt 

werden;  über  die  Schadloshaltung  der  geschädigten  deutschen 
Reichsfürsten  könne  man  sich  friedlich  einigen,  und  das  Konzert 
würde  dann  von  selbst  zu  bestehen  aufhören,  da  es  keine  Auf- 
gabe mehr  hätte.  Österreich  würde  auch  bei  dem  Versuche,  es 
ins  Leben  zu  rufen,  zu  seinem  Schaden  merken,  daß  es  selbst 
isoliert  sei.  Das  sind  Ansichten  und  Vorschläge,  die  man  als 
friedlich  anerkennen  muß.  Selbst  die  Zurückweisung  der  Ein- 
mischung der  Mächte  in  das  innere  Leben  der  französischen 
Nation  ist  nicht  so  scharf,  wie  man  annehmen  sollte.  Kurz, 
diese  erste  Kundgebung  ist  alles  andere  als  ein  Kriegsmanifest, 
als  ein  Ultimatum,  und  über  den  eventuellen  Krieg  spricht  er 
sich  darin  nicht  etwa  siegessicher  aus.  Er  sucht  nur  den  Beweis 
dafür  zu  erbringen,  daß  Österreich  in  jedem  Fall  Nachteil  habe, 
ob  es  nun  siege  oder  geschlagen  werde.  Das  alles  wird  ruhig, 
aber  ohne  Furcht  und  ohne  das  scheinbare  Verlangen,  sich  zu 
entschuldigen,  auseinandergesetzt  und  paßt  durchaus  zu  Du- 
mouriez'  Worten  in  der  Nationalversammlung,  in  denen  er 
Kaunitz'  Apostrophe  an  den  vernünftigen  Teil  der  Nation  mit 
den  Worten  zurückwies,  sie  gehe  wohl  nur  die  Aristokraten  etwas 
an ;  denn  man  könne  nicht  glauben,  daß  ein  Franzose  den  Landes - 
feind  unterstützen  werde1). 

Diese  Note  kreuzte  sich  mit' der  am  18.  März  von  Wien  er- 
lassenen. Dumouriez  und  die  Nationalversammlung  wollten  aber 
die  Antwort  abwarten,  die  Österreich  auf  seine  Noten  geben 
werde.  Er  hatte  ja  am  27.  März  der  ersten  eine  neue  folgen  lassen, 
die  nun  schon  einen  wesentlich  schärferen  Ton  anschlug  und  bis 
zum  15.  April  den  Verzicht  auf  das  Konzert  verlangte;  der  Zu- 
sammenhang mit  dem  Beschluß  vom  25.  März,  den  Krieg  zu 


%)  S  y  b  e  1  II  79—80;  Ranke  154;  G  1  a  g  a  u  262—264;  Häußer 
I  339—340;  S  o  r  e  1  II  402  ff.;  C  1  a  p  h  a  m  192—193;  F  e  u  i  1 1  e  t  V  332 
und.  468 — 469 ;  L  e  s  c  u  r  e,  Corr.  secrete  II  586.  Vgl.  auch  Dumouriez' 
Memoiren  II  142 — 143,  wo  er  diesen  Punkt  durchaus  richtig  darstellt, 
aber  gleichzeitig  nachzuweisen  versucht,  er  habe  damals  besonderen  Wert 
darauf  gelegt,  einen  Krieg  mit  England  zu  vermeiden.  Er  sprach  in  seiner 
Note  in  der  Tat  davon,  aber  immer  nur  nebenher,  wie  sich  das  auch  in 
einem  nach  Wien  gesandten  Schriftstück  gehörte.  Mochte  er  es  in  der  nach 
London  gerichteten  Depesche  stärker  betonen,  die  Hauptsache  war  damals 
die  Vermeidung  des  Krieges  mit  Österreich.  Von  England  fürchtete  er  nicht 
so  sehr  eine  Teilnahme  am  Kriege,  als  er  vielmehr  versuchte,  es  für  Frank- 
reich zu  gewinnen,  womöglich  ein  Bündnis  mit  ihm  zu  schließen.  Man 
erkennt  deutlich  die  Tendenz,  den  Jakobinern  ihre  Schuld  an  dem  Kriege 
mit  England  vorzuwerfen. 


Österreich  und  Frankreich  im  März  und  April  45 

eröffnen,  ist  augenscheinlich1).  Der  französische  Vertreter  in 
Wien,  Noailles,  war  nun  aber  nicht  der  Mann,  sein  Auftreten 
dem  Tone  derartiger  Noten  anzupassen.  Er  suchte  einen  Bruch 
möglichst  zu  verhindern  und  brachte  seine  Aufträge  zaudernd  nur 
mündlich  vor  mit  der  Anfrage,  ob  Österreich  seiner  Note  vom 
18.  März,  die  in  Paris  noch  nicht  bekannt  gewesen  sei,  noch  etwas 
hinzuzusetzen  habe.    Er  erhielt  darauf  die  Antwort:  Nein2). 

Diese  Ablehnung  entschied  in  Paris  für  die  Kriegserklärung, 
deren  Einzelheiten  ich  hier  übergehen  kann.  Es  blieb  den  Fran- 
zosen kein  anderer  Ausweg,  wenn  sie  nicht  die  wichtigste  Er- 
rungenschaft der  Revolution,  das  Recht  der  nationalen  Selbst- 
bestimmung, preisgeben  wollten.  Sie  und  ihre  Gegner  verstanden 
sich  nicht  mehr,  sie  atmeten  gleichsam  in  verschiedenen  geistigen 
Atmosphären3).  Aber  von  Überstürzung,  besonderer  Begeiste- 
rung oder  dem  Wunsche,  für  eine  bestimmte  Idealverfassung 
Propaganda  zu  machen,  war  bei  diesem  Beschluß,  wenn  über- 
haupt, wohl  nur  bei  wenigen  Leuten  die  Rede,  jedenfalls  nicht 
bei  der  Regierung J).  Ja,  es  fanden  sich  sogar  sieben  Abgeordnete, 
die  dem  Beschluß  teils  nur  bei  der  Abstimmung,  teils  aber  auch 
in  längerer  Rede  zu  widersprechen  wagten,  mit  Gründen,  deren 
schwerwiegende  Bedeutung  allen  bekannt  war.  Man  setzte  sich 
trotzdem  darüber  hinweg  und  glaubte  dabei  wie  Friedrich  der 
Große  zu  handeln,  als  er  1756  seinen  Gegnern  mit  dem  Angriff 
zuvorkam,  um  sich  für  den  Krieg  entscheidende  Vorteile  zu 
sichern5).   So  trifft  denn  tatsächlich  auf  die  meisten  Franzosen  das 


*)  Ich  vermag  nicht  genau  festzustellen,  was  bei  Dumouriez  den 
Entschluß  zur  Reife  gebracht  hat,  den  Angriff  vorzubereiten  und  Österreich 
zu  überrumpeln.  Waren  es  die  besonders  von  Biron  vorgespiegelten  gün- 
stigen Aussichten  ?  War  es  eine  Meldung  aus  Wien  oder  Brüssel  über  das 
kriegerische  Auftreten  von  Franz  —  relativ  zu  nehmen  gegenüber  der 
Haltung  Leopolds  —  oder  war  es  endlich  die  Rücksicht  auf  die  innere  Lage, 
die  ihm  eine  Versöhnung  als  ausgeschlossen  erscheinen  ließ?  (Vgl.  auch 
de  la  Rocheterie  et  de  Beaucourt,  Lettres  de  Marie  Antoi- 
nette  II  391—392).  Lescure,  Corr.  secrete  II  571,  585,  587—589; 
Clapham  194—195. 

2)  S  o  r  e  1  II  425—429;  V  i  v  e  n  o  t  I  306—307. 

3)  Bacourt-Städtler  III  319;  Ranke  141,  150,  157—158; 
G  1  a  g  a  u  265—273. 

4)  Häußer  I  340  und  344;  S  y  b  e  1  II  83;  Ranke  170—171 ; 
Sorel  I  15. 

5)  D  u  m  o  n  t,  Souvenirs  sur  Mirabeau  417 — 418;  Sorel  I  29 — 30, 
II  361;  Glagau  93. 


46  !•  Abschnitt 

Wort  Marie  Antoinettes  zu:   „Sie  sind  unverschämt  aus  über- 
großer Furcht"i). 

Ich  verkenne  dabei  durchaus  nicht,  daß  auch  andere  Strö- 
mungen in  der  Nationalversammlung  vertreten  waren,  wie  die 
idealistische  durch  Condorcet,  die  fanatisch  aggressive  durch 
Merlin,  die  friedlich  radikale  durch  Robespierre.  Dumouriez  war 
durchaus  nicht  sicher,  daß  die  Nationalversammlung  nach  seinem 
Vorschlag  den  Krieg  beschließen  werde2).  Aber  für  die  Masse 
trifft  die  oben  gegebene  Charakteristik  sicher  zu,  noch  mehr  für 
das  Ministerium,  und  dessen  Absichten  zu  erkennen  muß  ja  stets 
die  erste  Aufgabe  sein.  Es  beantragte  selbst  den  Krieg,  den  es 
nicht  mehr  mit  Ehren  vermeiden  zu  können  oder  zu  dürfen 
meinte3).  Selbst  eine  so  eifrige  Vertreterin  der  Revolution  wie 
Madame  de  la  Dröme,  deren  Briefwechsel  gedruckt  vorliegt,  so- 
weit er  erhalten  ist  (wir  haben  leider  eine  große  Lücke  für  den 
Winter  1791  92  zu  beklagen),  vermag  sich  mit  dem  Kriege  nicht 
zu  befreunden.  Wir  finden  bei  ihr  viele  Argumente  Robespierres, 
so,  daß  ein  Krieg  die  innere  Entwicklung  beeinträchtigen  würde. 
Dazu  fürchtet  sie  den  Verrat  der  Generale  und  die  Anstrengungen 
der  Mächte,  über  die  sie  sich  im  August  des  vorigen  Wahres  so 
leicht  hinweggesetzt  hatte,  weil  Frankreich  damals  einig  zu  sein 
schien.  Nur  ihr  unverwüstlicher  Glaube  an  den  Sieg  der  Revo- 
lution hilft  ihr  über  diese  schweren  Stunden  hinweg4).  Dabei  ist 
aber  eins  zu  erwägen.  Nicht  eine  militärische,  sondern  eine  poli- 
tische Notwendigkeit  trieb  Dumouriez  in  den  Krieg.  Daß  er 
militärisch  der  Angreifer  gewesen  ist,  steht  außer  Zweifel. 
Ich  habe  davon  noch  zu  sprechen6). 

Nur  eine  Frage  haben  wir  hier  noch  zu  erörtern :  Glaubte  man 
in  Wien  noch  an  die  Erhaltung  des  Friedens,  als  man  an  Noailles 
die  erwähnte  Antwort  gab?    Mir  scheint:  Nein. 


1 )  S  o  r  e  1  II  365;  Arneth,  Marie  Antoinette  244. 

2)  Le  duc  de  Lauzun  publ.  par  Serignan  242. 

3)  Sorel  II  319—320  und  433;  Glagau  90  ff. 

4)  Journal  d'une  bourgeoise  ed.  Lockroy,  Paris  1881,  29 — 43,  68 — 70. 
Vgl.  ähnliche  Äußerungen  von  anderem  Parteistandpunkte  aus  bei  V  a  i  s- 
s  i  e  r  e  416,  424,  428,  430,  502. 

6)  Vgl.  Rep.  96, 147  G.  I  S.  Au  Roi  25.  April  1792  ...  Ces  gens  veulent  la 
guerre  et  ne  la  veulent  pas,  ils  la  desirent  pour  se  tirer  d'affaires  et  la  craig- 
nent  tout  ä  la  fois,  ils  poussent  donc  le  temps  avec  les  epaules  esperant 
que  quelque  evenement  les  tirera  de  l'incertitude  oü  ils  se  trouvent  sur 
ce  qu'ils  doivent  faire.  Ebenso  dachte  Reuß:  Rep.  I  171,  Reuß  an  Schulen- 
burg 29.  April  1792. 


Österreich  und  Frankreich  im  März  und  April  47 

II. 

Denn  auf  geheimem  Wege  war  in  Wien  bereits  die  Nachricht 
eingetroffen,  Frankreich  denke  nicht  nur  an  die  Kriegserklärung, 
sondern  auch  an  sofortigen  Einfall  in  das  Reich;  ja  es  war  sogar 
schon  von  einem  Einfall  in  die  Niederlande  die  Rede.  Der  letztere 
konnte  bei  der  dort  herrschenden  Gärung  die  schlimmsten  Folgen 
haben,  und  jetzt  rächte  sich  die  abwartende  Haltung  Leopolds, 
der  ja  für  die  Stärkung  seiner  militärischen  Stellung  in  den 
Niederlanden  so  gut  wie  gar  nichts  getan  hatte.  Man  fühlte  sich 
fast  wehrlos  einem  Einfall  preisgegeben,  als  die  Nachricht  kam, 
die  Franzosen  beabsichtigten  ihn1). 

Am  9.  März  hatte  Fersen  auf  die  Nachricht  vom  Tode  Leo- 
polds der  Königin  empfohlen,  an  Franz  zu  schreiben,  um  ihn  in 
seinem  Kriegseifer,  der  zweifellos  vorhanden  sei,  zu  bestärken, 
gleichzeitig  aber  einen  offiziellen  Brief  in  dem  üblichen  Tone  ab- 
zuschicken, um  jeden  Verdacht  zu  vermeiden2).    Das  französische 
Königspaar  zog  es  jedoch  vor,  seinem  Boten,  Baron  Goguelat, 
der  bei  Varennes  im  Dienste  des  fliehenden  französischen  Königs- 
paares zweimal  verwundet  worden  war  und  nach  der  Annahme 
der  Verfassung,  die  seine  Befreiung  aus  dem  Gefängnis  in  sich 
schloß,  ziemlich  oft  zu  derartigen  Diensten  gebraucht  wurde,  nur 
einen  kleinen  vom  13.  März  datierten  Beglaubigungszettel  mit- 
zugeben, ihn  im  übrigen  mündlich  zu  instruieren  und  noch  an 
Breteuil  zu  verweisen3).    Erst  am  15.  scheint  Goguelat  von  Paria 
abgereist  zu  sein.    Er  ging  zur  Sicherheit  über  England  nach 
Brüssel,  wo  er  am  23.  Mittags  ankam  und  mit  Fersen,  Breteuil 
und  Mercy  Besprechungen  hatte.    Am  25.  Mittags  ein  Uhr  reiste 
er  nach  Wien  weiter,  wo  er  am  30.  März  mit  Philipp  Cobenzl 
sprach,  nachdem  er  bei  Franz  gewesen  war4).    Jener  erstattete 
am  30.  selbst  noch  seinem  Herrn  Bericht  darüber.    Es  war  das 
alte  Lied,  das  er  zu  hören  bekommen  hatte.     Marie  Antoinette 
verlangte  rasche  Hilfe  durch  die  Mächte,  zunächst  durch  Öster- 
reich und  Preußen,  deren  Truppen  noch  vor  der  geplanten  Er- 


x)  Zeißberg,  2  Jahre,  70  ff. 

2)  F  e  r  s  e  n  II  11  und  202—203;  Zeißberg,  2  Jahre,  4—7. 

3)  F  e  r  s  e  n  II  13—14;  A  r  n  e  t  h  258—259;  Flammermont20; 
Ranke  166—167;  Sorel  II  330—331  und  401—402;  Memoire  de 
Goguelat  (1823)  32 — 35;  G  1  a  g  a  u  245;  Memoires  de  Madame  de  Campan 
II  200. 

4)VivenotI  302. 


48  I.  Abschnitt 

klärung  der  am  Konzert  teilnehmenden  Mächte  am  Rhein  auf- 
marschieren sollten,  aber  mit  Ausschluß  der  Emigranten.  Nur 
dann  werde  sich  die  Masse  der  französischen  Bevölkerung  an  den 
König  anschließen,  um  die  Verfassung  zu  erhalten.  Sie  billigte 
ausdrücklich  die  Note  vom  17.  Februar  mit  ihrem  Versprechen, 
die  Verfassung  nicht  anzutasten,  und  ihren  Ausfällen  gegen  die 
Jakobiner,  die  allgemein  verhaßt  seien.  Sie  hätten  ja  die  Absicht, 
den  Thron  umzustürzen  und  den  Krieg  in  Sardinien  und  am 
Rhein  zu  beginnen;  aber  diesem  Plane  Luckners  würden  sich 
wohl  Rochambeau  und  Lafayette  widersetzen.  Rochambeau 
fürchte  die  österreichische  Armee  in  den  Niederlanden,  denke 
daher  dort  an  keinen  Einfall,  und  Lafayette  wolle  sich  nicht  weit 
von  der  Grenze  entfernen,  um  sich  rasch  des  Königs  bemächtigen 
zu  können. 

Noch  war  Franz  nicht  bereit,  sich  auf  kriegerisches  Eingreifen 
einzulassen,  wie  die  Antwort  an  Simolin  beweist,  der  schon  am 
1.  Februar  von  Marie  Antoinette  bei  ihrem  Bruder  Leopold  be- 
glaubigt worden  war1)  und  am  25.  einen  ähnlichen  Auftrag  an 
ihn  auszurichten  gehabt  hatte  wie  jetzt  Goguelat.  Sie  erging  erst 
in  diesen  Tagen,  durch  Kaunitz  noch  besonders  verzögert,  und 
war  ganz  nichtssagend;  ja  sie  eröffnete  mit  der  Versicherung, 
Franz  wolle  ganz  in  den  Bahnen  von  Leopold  wandeln,  geradezu 
schlechte  Aussichten2).  Goguelat  wurde  noch  hingehalten.  Der 
Grund  scheint  mir  darin  zu  liegen,  daß  die  französischen  Kriegs- 
pläne zwar  als  von  den  Jakobinern  beabsichtigt  bezeichnet 
worden  waren,  daß  aber  Marie  Antoinette  noch  nichts  Bestimmtes, 
nichts  Beschlossenes  hatte  mitteilen  können,  da  erst  am  15.  März 
Dumouriez'  ministerielle  Tätigkeit  begann,  und  der  Angriff  sollte 
ßich  gegen  Sardinien  und  das  Gebiet  rechts  des  Rheins  richten. 
Wohin  hier  der  Stoß  bestimmt  war,  blieb  unbekannt;  am  nächsten 
lag  ein  Vorstoß  von  Straßburg,  wo  der  alte  Luckner  alle  mög- 
lichen, mitunter  komisch  anmutenden  kriegerischen  Anstalten  traf 3 ) . 


1 )  A  r ne  th  243—244  und  260—261 ;  A.  B  e  e  r ,  Joseph  IL,  Leopold  IL 
und  Kaunitz  427—428;  Feuillet  V  308  ff.;  Fersen  II  230—231 ; 
Flammermont  24;  G  1  a  g  a  u  167 — 168.  Rep.  I  169  Berichte  Jacobis 
28.  und  31.  März. 

2)  Es  bleibt  fraglich,  ob  Simolin  schon  am  30.  März  die  Antwort  er- 
halten hat.  Ich  möchte  auch  auf  das  Zusammenfallen  mit  der  Audienz 
von  Goguelat  kein  Gewicht  legen,  da  die  Antwort  schon  eher  beschlossen 
worden  war. 

3)  Zeitschrift  für  Geschichte  des  Oberrbeins,  Neue  Folge  Bd.  22  (1907), 
-336—339. 


Österreich  und  Frankreich  im  März  und  April  49 

Jedenfalls  schienen  die  Niederlande  noch  nicht  ernstlich  bedroht 
zu  sein  —  eine  wichtige  Feststellung.  Wohl  aber  wurde  nun  der 
erste  Schritt  dazu  getan,  das  Konzert  zu  verwirklichen,  was  auch 
schon  der  Sturz  des  Feuillantministeriums  hatte  geraten  erscheinen 
lassen1).  BischofEwerder  erhielt  das  Zirkular  an  die  Mächte  am 
3.  April  Abends  kurz  vor  seiner  Abreise. 

Aber  bald  hörte  Franz  von  Marie  Antoinette  durch  Mercy 
und  vielleicht  auch  durch  Metternich,  daß  das  Ministerium  die 
Pläne  der  jakobinischen  Partei  zu  den  seinigen  gemacht  habe. 
Gerade  der  Angriff  auf  die  Niederlande  wurde  jetzt  proklamiert; 
wir  dürfen  ja  Lüttich  hier  mit  den  Niederlanden  als  eins  be- 
trachten2). Am  1.  April  gab  Mercy  die  Mitteilungen  der  Königin 
vom  26.  März  nach  Wien  weiter,  Metternich  andere  wesentlich 
gleichen  Inhalts  schon  am  30.  nach  Berlin.  Sie  scheinen  dem  Faß 
den  Boden  ausgeschlagen  zu  haben,  ohne  sie  hätte  sich  Österreich 
wohl  nie  zu  energischen  Maßregeln  bestimmen  lassen3).  Auch 
jetzt  erst,  d.  h.  am  10.  April,  läßt  sich  aus  Jacobis  Depeschen 
eine  Änderung  der  österreichischen  Politik  herauslesen4).    Jetzt 


1 )  V  i  v  e  n  o  t  I  300. 

2)  S  y  b  e  1  II  69  und  76;  H  e  i  g  e  1  I  529—530;  A  r  n  e  t  h  259—260; 
Flammermont  23;  Dumont,  Souvenirs  sur  Mirabeau  411 — 413; 
G  1  a  g  a  u  310.  Der  Beschluß  des  französischen  Ministerrates  vom  25.  März, 
den  Marie  Antoinette  am  26.  weitergab,  scheint  also  nur  dem  Beschluß 
der  Girondisten  das  Siegel  aufgedrückt  zu  haben. 

3)  Rep.  1171  Metternich  an  Reuß  30.  März.  Rep.  1 172,  S.  AuRoi  5.  April: 
que  sans  cet  evenement  la  Cour  de  Vienne  n'aurait  jamais  rien  fait  et 
que  d' apres  la  politique  ordinaire  eile  gagnait  du  temps  en  donnant  des 
esperances  qu'elle  ne  voulait  jamais  realiser,  und  an  Bischoffwerder  5.  April; 
vgl.  Ranke  288—289;  Vi  veno  t  I  320—321. 

*)  Ich  wage  es  nicht,  die  Antwort  Philipp  Cobenzl's  an  Noailles  vom 
7.  April  auf  die  Nachricht  von  den  französischen  Angriffsplänen  zurück- 
zuführen. Sie  erklärt  sich  auch  so  zur  Genüge  aus  der  Unmöglichkeit 
für  Österreich,  seine  Stellung  zu  verlassen,  ohne  seine  ganze  bisherige 
Politik  preiszugeben,  obwohl  Kaunitz  zu  erkennen  schien,  daß  seine 
Politik  den  neuen  Anschauungen  gegenüber  Schiffbruch  erlitten  hatte; 
ferner  aus  der  Bitte  von  Noailles  selbst  um  eine  mündliche  Antwort. 
Wenn  Franz  auch  am  7.  an  Hohenlohe  schreibt  (Vivenot  I  308), 
die  Franzosen  könnten  unsinnig  genug  sein  anzugreifen  und  in  Nieder- 
lande oder  Reichsgebiet  einzufallen,  so  glaubt  er  an  diese  Möglichkeit 
wohl  noch  weniger  als  Duminique,  von  dessen  Vorschlägen  für  diesen 
Fall  Jacobi  am  gleichen  Tage  berichtet.  Erst  am  10.  erfuhr  Jacobi  von 
Goguelat  und  dem  französischen  Angriffsplan,  und  am  11.  weiß  er  zu  be- 
richten, Kaunitz  spreche  davon  nach  Meldungen  aus  Frankreich  und  den 
Niederlanden. 

Hei dr ich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution  4 


50  I-  Abschnitt 

erhält  am  9.  April  Goguelat  seine  Antwort1),  am  10.  erfährt 
Jacobi  von  dessen  Mission,  am  12.  begann  Österreich  mit  der 
Einladung  der  Mächte  zum  Konzert2)  und  zu  der  österreichisch- 
preußischen Allianz,  aber  am  12.  übersandte  es  auch  seinen 
polnischen  Plan  nach  Petersburg3);  am  13.  endlich  wurden  die 
ersten  Rüstungen  beschlossen,  da  man  die  französische  Kriegs- 
erklärung oder  den  Angriff  stündlich  erwartete4)  und  sich  freute, 
daß  nun  wenigstens  die  Franzosen  die  Angreifer  sein  würden. 
Nun  hat  man  wohl  davon  gesprochen,  daß  Österreich  jetzt 
auf  den  preußischen  Offensivplan  eingegangen  sei  und  seine 
Defensivmaßregeln  nur  durch  die  allgemeine  Ungunst  der  Lage 
veranlaßt  worden  seien;  wenn  die  Truppen  sich  an  Ort  und  Stelle 
befänden,  sollten  sie  offensiv  vorgehen 5).  Weder  die  bekannten 
österreichischen  Akten  noch  die  Berichte  des  preußischen  Ge- 
sandten können  zur  Begründung  dieser  Ansicht  herangezogen 
werden.  Besonders  das  Protokoll  der  Konferenz  vom  13.  April 
beweist  das,  trotz  des  scheinbaren  Eingehens  auf  den  Offensiv- 
plan  des  Herzogs  von  Braunschweig,  der  die  Sammelpunkte  der 
Truppen  ja  auch  so  schön  passend  für  die  Verteidigung  der  öster- 
reichischen Landesteile  festgesetzt  hatte.  Denn  wie  soll  man 
ernstlich  gemeinte  Angriffsabsichten  mit  der  Tatsache  vereinigen, 
daß  die  ersten  15  000  Mann  spätestens  in  einem  Monat  abgehen 
sollten,  die  übrigen,  wenn  sie  marschfertig  seien?  Drei  Monate 
sollten  also  noch  vergehen,  ehe  der  erste  Bruchteil  aktionsbereit 
an  der  Grenze  war,  und  über  den  Zeitpunkt,  an  dem  die  ganze 
Armee  kampffertig  sein  werde,  war  man  stillschweigend  hinweg- 
gegangen. Ferner  sollten  die  in  den  österreichischen  Vorlanden 
befindlichen  Truppen  und  die  auf  dem  Marsch  befindlichen 
6000  Mann,  die  Anfang  Mai  dort  ankamen6),  auf  die  von  Preußen 
ausbedungenen  50  000  Mann  voll  in  Anrechnung  kommen.    Nun 


1 )  F 1  a  m  m  e  r  m  o  n  t  24:  Fersen  II  233.  Bericht  Jacobis  10.  April 
(H.E.B.  210—211). 

2)  Der  Kurier  ging  jedoch  erst  am  13.  Abends  ab  und  nahm  noch  das 
Protokoll  der  Konferenz  vom  13.  mit  (P.S.  zum  Bericht  Jacobis  vom 
14.  April).  S  y  b  e  1  II  83  verschiebt  die  Chronologie  und  kommt  damit  zu 
unhaltbaren  Anschauungen. 

3)  Vivenot  I  311—314. 
i)  Vivenotl  313. 

5)  S  o  r  e  1  II  426 — 427.  Krieg  gegen  die  Revolution  I  59.  G  1  a  g  a  u 
257  ff.  Jacobis  Bericht  14.  April  mit  P.S.  (cf.  H.E.B.  211—212  und  Rep. 
I  169).    C 1  a  p  h  a  m  196  und  204.    Vgl.  auch  C  a  r  i  s  i  e  n  96. 

6)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  8. 


Österreich  und  Frankreich  im  März  und  April  §\ 

hat  aber  die  Erfahrung  nur  zu  gut  bewiesen,  daß  Österreich  nicht 
daran  dachte,  seine  Grenzländer  ganz  von  Truppen  zu  entblößen. 
Schon  hiernach  wäre  also  die  österreichische  Armee  weder  voll- 
zählig noch  an  einem  bestimmten  Termin  zur  Stelle  gewesen. 
Was  sollte  nun  Preußen  inzwischen  tun?  Man  forderte  die  ge- 
naueste Reziprozität,  die  sich  wieder  einmal  als  völlig  ungerecht 
erwies.  Da  die  österreichischen  Truppen  in  den  Niederlanden 
auf  die  50  000  Mann  nicht  in  Anrechnung  kamen,  sollte  Preußen 
die  seinigen  in  Westfalen  auch  nicht  mitrechnen.  Vergeblich 
sucht  man  nach  einem  stichhaltigen  Grund  dafür.  Denn  es  ist 
klar:  die  österreichischen  Niederlande  bedurften  einer  starken 
Besatzung  nicht  bloß  zur  Verteidigung  gegen  einen  Angriff  der 
Franzosen,  sondern  auch  zur  Niederhaltung  der  Bewohner,  die 
man  wirklich  nicht  als  gut  österreichisch  gesinnt  bezeichnen  dürfte. 
Der  Streit  der  Brabanter  Stände  mit  dem  Statthalterpaar  spricht 
allein  schon  deutlich  genug  dagegen.  Es  ist  der  alte  ständische 
Partikularismus,  der  sich  darin  zeigt.  Ich  leugne  nicht,  daß  es 
eine  österreichische  Partei  gab,  aber  ebenso  sicher  gab  es  eine 
starke  französische,  und  sie  überwog  mit  dem  Rückhalt  an  Frank- 
reich stark  die  erstgenannte.  War  nun  aber  in  Westfalen  auch 
ein  Einfall  der  Franzosen  oder  gar  Aufruhr  zu  besorgen?  Keines 
von  beiden  kam  überhaupt  in  Frage.  Im  Herbst  1792  ist  es  ja 
wohl  anläßlich  des  Einfalls  von  Custine  zu  einigen  Unruhen  ge- 
kommen (man  sprach  damals  ja  sogar  von  dessen  Einmarsch  in 
Berlin,  aber  was  faselte  man  damals  nicht  alles).  Es  zeigte  sich 
rasch,  daß  sie  doch  keinen  Grund  in  dem  Volke  hatten;  es  bedurfte 
keiner  großen  Anstrengungen,  sie  niederzuwerfen.  Von  einem 
Einfalle  der  Franzosen  konnte  im  Frühjahr  noch  weniger  die 
Rede  sein.  An  den  Franzosen  —  welcher  Partei  sie  angehören 
mochten,  ist  dabei  völlig  gleichgültig  —  lag  es  wahrhaftig  nicht, 
wenn  Preußen  nicht  ihr  Bundesgenosse  oder  wenigstens  neutral 
war. 

Weshalb  stellte  dann  aber  Österreich  seine  Forderung?  Die 
Reziprozität  konnte  es,  ganz  abgesehen  von  allem  anderen,  doch 
nur  mit  ziemlich  künstlicher  Auslegung  des  Sachverhaltes  zur 
Begründung  heranziehen.  Denn  die  österreichischen  Truppen  in 
Vorder  Österreich  wurden  jetzt  doch  darauf  angerechnet.  Nur 
eine  Erklärung  hilft  weiter :  Österreich  wollte  die  preußischen 
Truppen  so  rasch  und  so  stark  wie  möglich  zur  Verteidigung 
von  Luxemburg,  Lüttich  und  damit  der  Niederlande  überhaupt 
heranhaben   wegen   des   drohenden   französischen   Angriffes,   zu 


52  I-  Abschnitt 

dessen  Abwehr  neu  abgesandte  österreichische  Truppen  selbst- 
verständlich zu  spät  gekommen  wären1).  Sollte  der  Versuch  aber 
auch  fehlschlagen,  so  stellten  jene  Truppen  immer  eine  Reserve 
dar,  auf  die  Österreich  zu  seinem  Vorteil  stets  wollte  zurück- 
greifen können.  Vorläufig  aber  versuchte  man  mit  allen  Mitteln, 
sie  für  die  Niederlande  zu  erhalten.  Das  war  ja  nun  bloß  als  zeit- 
weilige Verwendung  bezeichnet,  sowie  auch  die  der  ersten  öster- 
reichischen Truppen  in  den  Vorlanden  zu  den  dringlichsten  Ver- 
teidigungsmaßregeln. Aber  von  einer  Beendigung  dieses  Zu- 
standes  und  von  den  ihm  folgenden  offensiven  Maßregeln  war 
keine  Rede.  Man  schwieg  sie  einfach  tot.  Wenn  Preußen  den 
Plan  annahm,  hatte  Österreich  eine  Verwendung  der  preußischen 
Truppen  erreicht  zu  lediglich  österreichischen  Zwecken  unter  der 
Maske  durchaus  bundesmäßigen  Vorgehens. 

Dazu  proklamierte  Österreich  nun  in  einem  Zirkularerlaß2), 
bis  zum  Zustandekommen  des  Konzertes  seien  alle  österreichi- 
schen Maßregeln  rein  defensiv.  Wenn  Reuß  auch  erklärte,  das 
sei  nur  die  auf  die  anderen  Mächte  berechnete  Erklärung,  sie 
tue  den  preußisch-österreichischen  Abmachungen  keinen  Ab- 
bruch3), so  wird  man  es  doch  Preußen  nicht  verargen  können, 
wenn  es  sich  an  die  offiziell  bekanntgegebene  österreichische 
Politik  hielt,  mit  der  die  tatsächlichen  Maßregeln  völlig  überein- 
stimmten, und  nicht  an  eine  geheime  Erklärung,  die  bisher  noch 
keine  Folgen  gezeitigt  und  deren  Erlaß  bei  Österreich  durchzu- 
setzen große  Mühe  gekostet  hatte,  wie  Preußen  sehr  wohl  wußte. 
Eins  aber  dürfen  wir  dabei  nicht  vergessen:  Böser  Wille  war 
es  bei  Österreich  nicht,  sondern  in  gewisser  Weise  der  Zwang  der 
Umstände,  der  sie  dazu  trieb,  ein  so  verstecktes  Spiel  mit  Preußen 
zu  treiben.  Sie  glaubten  nicht  anders  handeln  zu  können  schon 
aus  Mangel  an  Mitteln  und  um  nicht  in  eine  Richtung  hineinzu- 
geraten, die  sie  von  ihren  Zielen  ganz  abzog4).  Nur  die  äußerste 
Not  hat  also  die  Österreicher  veranlaßt,  kriegerische  Maßregeln 
vor  der  französischen  Kriegserklärung  zu  treffen.  Nur  zur  Ver- 
teidigung, besonders  der  Niederlande,  traf  man  sie,  in  der  be- 
stimmten Annahme,  sie  würden  zu  spät  kommen,  und  man  werde 
die  Niederlande  eventuell  zurückerobern  müssen.    Wenn  die  An- 


x)  Berichte  Jacobis  11.  und  14.  April. 

2)  Vivenotll  405  und  406,  auf  den  12. — 28.  April  zu  datieren. 

3)  Vi  veno  t  I  317. 

4)  Berichte  Jacobis  14.  April  und  P.S.  zum  18.  April. 


Die  Offensive  von  Preußen  und  Österreich  53 

gäbe  Dumouriez'1)  richtig  ist  —  und  ich  sehe  keinen  Anlaß, 
daran  zu  zweifeln2)  —  so  hat  Österreich  selbst  noch  in  dieser 
Zeit  einen  letzten  Versuch  gemacht,  durch  die  geheime  Sendung 
eines  geschickten  Mannes  von  Brüssel  nach  Paris  den  Krieg  zu 
verhindern.  Noch  war  es  keineswegs  bereit,  ohne  das  Konzert 
einen  Angriffskrieg  gegen  die  französische  Revolution  zu  führen, 
und  ob  dann  —  man  glaubte  nicht  an  die  Verwirklichung  dieses 
Falles  —  ist  doch  immer  noch  sehr  zweifelhaft3).  Eben  auf  den 
Angriffskrieg  aber  arbeitete  Preußen  hin. 


4.  Kapitel 

Die  Offensive  von  Preußen  und  Österreich  gegen  die 
französische  Revolution 


Ich  habe  bereits  oben  darauf  hingewiesen,  daß  Marie  Antoinette 
den  Wiener  Hof  auch  von  der  Peripherie  her  bearbeitete,  um  ihn 
endlich  zum  bewaffneten  Kongreß  fortzureißen,  und  mit  wie 
gutem  Erfolge.  Ein  Analogon  dazu  bildet  jetzt  das  Verfahren 
Breteuils  bei  Preußen4).  Seit  dem  Februar  war  Caraman  als  sein 
Vertreter  in  Berlin.  Dieser  wußte  sich  seiner  Aufgabe  geschickt 
zu  entledigen  und  das  Vertrauen  von  Schulenburg  und  Reuß, 
eine  zunächst  auffallende  Zusammenstellung,  zu  gewinnen.  Frei- 
lich, das  positive  Ergebnis  seiner  Tätigkeit  war  bis  Ende  März 
gleich  Null.  Schulenburg  versicherte  ihm  fortwährend,  wie  vor- 
her schriftlich  an  Breteuil,  ohne  Österreich  denke  Preußen  gar 
nicht  an  eine  bewaffnete  Intervention;  es  teile  durchaus  dessen 
politischen  Standpunkt,  und  wir  wissen  ja,  wie  wenig  Hoffnung 


1)  Memoires  II  198—199. 

2 )  Gegen  S  o  r  e  1 II  427,  der  darin  nur  eine  österreichische  Finte  sieht. 

3)  P.S.  zum  Bericht  Jacobis  vom  14.  April:  En  attendant  suivant  mes 
notions  je  dois  persister  ä  croire  que  quoiqu'il  en  arrive  la  cour  d'ici  ne 
pensera  qu'a.  la  defensive  jusqu'ä  ce  que  le  concert  sera  realise. 

4)  Von  den  Versuchen  bei  den  anderen  Mächten  kann  ich  hier  als  nicht 
so  wesentlich  fast  ganz  absehen.  Es  kommen  vor  allen  Dingen  noch  Rußland 
und  Schweden  in  Betracht.  Aber  dies  schied  durch  Gustavs  Tod  ganz  aus 
der  Reihe  der  gegen  die  Revolution  tätigen  Mächte  aus,  und  Rußland  ließ 
sich  auch  jetzt  nicht  mehr  als  schöne  Worte  und  Geld  für  die  Emigranten 
entlocken. 


54  I-  Abschnitt 

man  Ende  März  in  Berlin  auf  eine  rasche  Entscheidung  Öster- 
reichs für  den  Krieg  hegte. 

In  diese  etwas  müde  Haltung  brachte  nun  die  Meldung  Bre- 
teuils  von  der  Mission  Goguelats  frisches  Leben  hinein.  Weniger 
er  als  vielmehr  Fersen  scheint  wieder  der  geistige  Vater  dieses 
Ansturmes  auf  Preußen  gewesen  zu  sein1).  Caraman  erhielt  am 
23.  März  den  Befehl,  Friedrich  Wilhelm  zu  anfeuernden  Schritten 
in  Wien  aufzustacheln.  Am  31.  teilte  er  an  Schulenburg  für  den 
König  den  Brief  Breteuils  mit,  schilderte  ausführlich  die  gefahr- 
volle Lage  der  königlichen  Familie,  und  es  scheint,  als  ob  er  seinen 
Kollegen  Baron  Roll,  den  Vertreter  der  Emigranten,  zu  einem 
ähnlichen  Schritte  veranlaßte.  Dieser  war  am  26.  schon  wieder 
einmal  wegen  der  Erhaltung  der  Mirabeauschen  Legion  und  eines 
Sübsidienvertrages  der  Emigranten  mit  dem  Landgrafen  von 
Hessen-Kassel  vorstellig  geworden.  Jetzt  rückte  er  natürlich  die 
Forderungen  der  Emigranten  in  den  Vordergrund,  d.  h.  er  ver- 
langte vor  allem  Freiheit  für  ihre  Rüstungen2).  Diesen  Wunsch 
Rolls  lehnte  Friedrich  Wilhelm  ab.  Schulenburg  bemerkte,  er 
sei  unvereinbar  mit  dem  allgemein  angenommenen  Plane;  auch 
die  jetzige  Lage  Frankreichs,  das  Fehlen  des  Konzertes,  wirkten 
in  derselben  Richtung.  Dagegen  entsprach  der  Wunsch  Caramans 
ganz  der  bisherigen  preußischen  Politik.  Der  Kenig  ging  also 
darauf  ein,  aber  Schulenburg  hielt  dem  Franzosen  gegenüber 
noch  vorsichtig  zurück.  Es  ist  doch  etwas  wenig,  wenn  er  ihn 
am  2.  April  auf  Befehl  des  Königs  des  „lebhaften  Interesses" 
des  Königs  für  Ludwig  und  Marie  Antoinette  versichert;  Preußen 
werde  die  Entscheidung  Österreichs  zu  beschleunigen  suchen, 
wie  es  das  schon  bisher  getan  habe.  Dieser  häusliche  Zwist  zwi- 
schen Österreich  und  Preußen  gehörte  wohl  nach  seiner  Ansicht 
nicht  vor  die  Augen  eines  dritten,  soweit  es  überhaupt  möglich 


1)  Fersen  II  14—15. 

2)  Flammermont  20—22;  Hei  gel  I  527—528.  Rep.  96, 
147  G.  I.  S.  Au  Roi  26.  März  und  1.  April;  Ergänzungen  dazu  in  Rep.  XI91  a 
varia.  Rep.  XI  89  a  Secretissima.  Roll  an  Schulenburg  31.  März.  Caraman 
an  Friedrich  Wilhelm  31.  März.  J'ose  donc  enfin  supplier  V.  M.  de  ne  pas 
tarder  de  presser  de  nouveau  S.  M.  le  Roi  de  Hongrie  avec  toute  la  chaleur 
qu'exigent  les  circonstances,  ä  eile  seule  appartient  d'exprimer  ä  cet  egard 
son  voeu  de  maniere  ä  lever  tout  obstacle  s'il  pouvait  en  exister,  et  ce  sont 
ses  resolutions  qui  ranimeront  le  calme  de  l'esperance  pres  de  ceux  dont  les 
malheurs  ont  depuis  longtemps  fletri  les  sensation3,  et  le  seul  bien  qui  leur 
reste  est  la  confiance  sans  borne  que  leur  a  inspire  avec  tant  de  raison  la 
noblesse  des  sentiments  que  V.  M.  a  bien  voulu  leur  faire  connaitre. 


Die  Offensive  von  Preußen  und  Österreich  55 

war,  ihn  diesem  zu  verbergen1).  Nach  Wien  ging  einen  Tag  darauf 
ein  drängender  Brief  Schulenburgs  an  Bischoffwerder  ab  —  man 
beachte,  wie  schnell  die  preußische  Diplomatie  zu  arbeiten  ver- 
stehta). 

Preußen  ließ  es  also  auch  jetzt  schon  wirklich  nicht  an  sich 
fehlen,  aber  seine  Tätigkeit  erhielt  einen  noch  weit  stärkeren 
Anstoß  durch  die  Nachricht  aus  Brüssel,  die  Franzosen  planten 
binnen  einem  Monat  einen  Einfall  in  Belgien,  wie  Metternich  an 
Reuß  am  30.  März  gemeldet  hatte3).  Danach  mußte  der  Krieg 
als  unvermeidlich  erscheinen,  und  Preußen  verlangte  nun  mehr 
als  je  eine  rasche  energische  Entscheidung  Österreichs.  Aber  in 
demselben  Augenblick  erhebt  es  seine  alte  Forderung,  sich  für 
die  Kriegskosten  entschädigt  zu  wissen,  von  neuem,  und  mit  um- 
somehr  Recht,  als  jetzt  die  Franzosen  die  Angreifer  sein  sollten4). 
Wenn  es  sie  noch  nicht  genauer  formuliert,  so  ist  diese  Zurück- 
haltung zweifellos  auf  den  Mißerfolg  BischofEwerders5)  in  diesem 
Punkte,  auf  den  Wunsch  zurückzuführen,  die  österreichische  Be- 
gehrlichkeit nicht  unnötig  zu  reizen  und  der  Zukunft  alles  zu 
überlassen6). 

Die  Nachrichten,  welche  Preußen  erhalten  hatte,  waren  auch 
den  Österreichern  zugekommen.  Neues  hatte  es  ihnen  also  nicht 
mitzuteilen,  und  in  den  Beschlüssen  vom  13.  April,  die  auf  alle 


*)  Flammermont  16—17  und 22.  Rep.  96, 147  G.  I.  S.  AuRoi  1.  April 
.  .  .  en  lui  (Caraman)  renouvelant  l'expression  du  vif  interet  qu'Elle  prend 
ä  la  Situation  malheureuse  de  leurs  Majestes  Tres  Chretiennes  qu'Elle 
n'avait  cesse  de  faire  tout  ce  qui  dependra  d'Elle  pour  accelerer  les  reso- 
lutions  du  Roi  de  Hongrie  retardees  apparemment  par  la  multitude  des 
affaires  du  changement  de  regne;  mais  qu'Elle  continuerait  ä  apporter 
tous  les  soins  pour  häter  la  decision  et  qu'Elle  venait  de  donner  les  ordres 
precis  pour  cet  objet.  Der  König:  J'approuve  la  proposition  de  reponse 
que  le  Cte.  de  Schulenburg  veut  faire  ainsi  que  les  informations  addressees 
a  ce  sujet  ä  la  Cour  de  Vienne,  je  souhaite  seulement  que  celle-ci  se  determine 
ä  des  mesures  vigoureuses  et  serieuses,  il  sera  necessaire  de  marquer  au 
G.  de  Bischoffwerder  d'appuyer  sur  ce  point  et  je  lui  en  ecrirai  encore  moi- 
meme  par  la  poste  de  demain. 

2)  Infolge  von  Bischoffwerders  Abreise  blieb  der  Brief  ohne  Bedeutung. 

3)  Rep.  1171.  Arneth259— 260;F  e  r  s  enII221— 223;  Flammer- 
mont 23. 

4)  An  Jacobi  12.  und  16.  April. 

5)  Er  hatte  die  Österreicher  nicht  zu  einer  Aussprache  darüber  bringen 
können. 

6)  An  Jacobi  5.  April.  An  Bischoffwerder  wird  bezeichnenderweise 
dieser  Auftrag  nicht  mehr  erteilt. 


56  I-  Abschnitt 

jene  Nachrichten  begründet  wurden,  vermag  ich  ein  Eingehen 
auf  die  besonderen  preußischen  Forderungen  nicht  zu  erblicken. 
Wird  sich  nun  Preußen,  das  ist  die  Frage,  von  seiner  bisherigen 
Haltung  abbringen  und  auf  die  österreichische  Seite  ziehen  lassen, 
d.  h.  wird  es  statt  eines  Offensivkrieges  gegen  die  Revolution  den 
Österreichern  helfen,  ihr  Land  zu  verteidigen? 

In  den  Tagen,  die  bis  zum  Bekanntwerden  dieses  österreichi- 
schen Beschlusses  in  Berlin  (17.  April)  vergingen,  liefen  dort  noch 
andere  wichtige  Nachrichten  ein.  Zunächst  eine  aus  Brüssel  vom 
2.  April1),  wonach  der  Angriff  auf  die  Niederlande  schon  am 
16.  April  erfolgen  sollte.  Aber  der  österreichische  Generaladjutant 
bei  Herzog  Albert  in  den  Niederlanden,  Seckendorf2),  glaubte 
selbst  nicht  recht  an  die  Möglichkeit,  und  diese  Anschauung  wurde 
in  Berlin  geteilt;  so  verrückt  würden  die  Franzosen  doch  nicht 
sein3).  Man  hielt  es  aber  für  gut,  von  diesem  Zweifel  nicht  zu  viel 
nach  Wien  mitzuteilen4),  um  nicht  den  Erfolg  aller  Mühen,  die 
dadurch  recht  eigenartig  beleuchtet  werden,  aufs  Spiel  zu  setzen, 
und  schließlich  schien  man  doch  den  Franzosen  alles  zutrauen 
zu  können.  Preußen  stieß  vielmehr  ganz  in  das  Hörn  von  Metter- 
nich  und  Reuß5),  die  in  großer  Sorge  um  die  Niederlande  waren 
und  —  gegen  die  ihnen  bekannten  Intentionen  ihres  Herrn  und 
Meisters  Kaunitz,  der  nicht  einmal  um  preußische  Truppen  ge- 
beten haben  wollte6)  —  eine  Verwendung  der  Emigranten  zum 
Schutze  dieses  Gebietes  anregten.  Dazu  natürlich  forderten  sie 
(wie  konnte  ein  Österreicher  anders  handeln!)  die  schleunige 
Sendung  preußischer  Truppen  aus  Westfalen.  Selbstverständlich 
wies  Preußen,  wie  schon  vorher  in  ähnlicher  Weise,  die  zweite 
Forderung  zurück  und  suchte  den  Österreichern  die  Pille  nur 
mit  der  Bemerkung  etwas  zu  versüßen,  den  undisziplinierten 
französischen    Horden    würden    die    geübten    österreichischen 


1 )  Rep.  I  171.  Metternich  an  Reuß  2.  April. 

2)  Zeißberg,  2  Jahre,  76—77. 

3)  Rep.  96,  147  G.  I.  S.  Au  Roi  9.  April.  Rep.  I  171.  Kgl.  Entscheidung 
vom  10.  April.    Zeißberg,  2  Jahre,  70,  zum  21.  April. 

4)  An  Jacobi  9.,  14.,  16.  April.     Dagegen  an  Jacobi  12.  April. 

6)  Fersen  II  226—229.  An  Jacobi  12.  und  16.  April.  Bericht  Jacobis 
21.  April.  Das  wird  in  der  Emigrantenfrage  aber  nicht  besonders  er- 
wähnt. 

6)  Daß  Metternich  mit  der  Bitte  um  preußische  Truppen  ganz  im 
Sinne  von  Kaunitz  gehandelt  hatte,  beweist,  daß  von  Wien  aus  fort- 
während nach  Berlin  gleiche  Anträge  abgingen,  z.  B.  Vivenotl  318, 
13.  IV. 


Die  Offensive  von  Preußen  und  Österreich  57 

Truppen  ja  leicht  widerstehen  können1).  Tatsächlich  fürchtete 
man  in  Berlin,  durch  die  Absendung  eines  kleinen  Korps  die 
preußische  Waffenehre  leicht  gefährden  zu  können,  und  begründete 
eine  nochmalige  spätere  Ablehnung  mit  dem  Bemerken,  die 
preußischen  Truppen  in  Westfalen  dürften  ebensowenig  ge- 
schwächt werden  wie  die  österreichischen  im  Breisgau. 

Auf  besonderen  Wunsch  des  Königs  geht  es  nun  zurück, 
wenn  Preußen  wieder  die  Gelegenheit  benützt,  um  endlich  eine 
Entscheidung  Österreichs  in  dem  von  ihm  gewünschten  Sinne 
zu  erhalten2).  Die  Minister  ließen  sich  das  nicht  zweimal  gesagt 
sein,  und  der  Erlaß  an  Jacobi  vom  12.  April  übertrifft  an  Schärfe 
noch  weit  den  vom  5.  Reuß  hatte  noch  angefragt,  ob  Preußen 
bei  dem  französischen  Angriff  auf  die  Niederlande  den  casus 
foederis  als  gegeben  betrachte.  Das  war  eine  große  Unvorsichtig- 
keit gewesen.  Denn  er  lieferte  damit  den  Preußen  das  Material 
für  den  Vorwurf,  die  Österreicher  wollten  das  Konzert  fallen 
lassen,  dessen  Plan  man  eben  am  9.  aus  Berlin  zurückgeschickt 
und  den  man,  um  ja  nicht  zu  spät  zu  kommen,  außer  nach  Peters- 
burg auch  schon  nach  Madrid,  Turin  und  Stockholm  geschickt 
hatte3).  Seine  Bestimmungen  waren  nun  viel  schärfer  als  die 
des  Vertrages.  Nach  diesem  hätte  Preußen  nur  20  000  Mann 
und  nur  zur  Verteidigung  zu  stellen  gehabt ,  nach  jenem  aber 
50  000  Mann  zum  Angriff.  Hieran  gerade  wollte  es  festhalten4). 
Und  wenn  wir  uns  nun  noch  einmal  fragen,  ob  Bischoffwerder 
in  Wien  etwas  erreicht  hat  und  ob  er  in  Berlin  beim  Kabinetts- 


*)  Preußen  blieb  in  der  Ablehnung  konsequent  und  ließ  sich  selbst  nicht 
durch  einen  Brief  Metternichs  herauslocken,  nach  dem  man  bei  preußischer 
Passivität  in  dieser  Frage  überhaupt  nicht  an  sein  aktives  Vorgehen  glauben 
wollte.  Noch  am  14.  Juli  mußte  es  ein  gleiches  österreichisches  Gesuch 
ablehnen  (an  Jacobi  12.  und  25.  April.  Bericht  Jacobis  14.  Mai  und  Metter- 
nich  an  Kaunitz  3.  Mai.  S  y  b  e  1  II  202.  Rep.  96,  147  G.  I:  S.  Au  Roi 
9.  April). 

2)  Rep.  I  171  Kgl.  Entscheidung  vom  10.  April  1792. 

3)  Fersen  II  226—227,  an  Jacobi  9.  April. 

4)  Fersen  II  237.  An  Jacobi  12.  April.  On  lui  a  temoigne  qu'on  ne 
supposait  point  que  la  Cour  de  Vienne  jugerait  de  son  interet  de  regarder 
une  teile  attaque  comme  le  casus  foederis  de  notre  alliance  sur  le  nieme 
pied  que  le  serait  l'aggression  de  toute  autre  puissance  et  qu'on  croyait 
plutöt,  qu'elle  prefererait  d'en  rester  aux  stipulations  et  engagements  bien 
plus  etendus  du  concert.  Es  klingt  ordentlich  wie  Hohn,  wenn  man  den 
Österreichern  preußische  Truppen  gegen  Bezahlung  der  Kosten  anbot; 
man  wußte  doch  ganz  genau,  wie  sehr  gerade  hier  die  Österreicher  der 
Schuh  drückte. 


58  !•  Abschnitt 

ministerium  und  in  Potsdam  beim  König1)  den  Glauben  zu  er- 
wecken verstand,  daß  wenigstens  Franz  und  Spielmann  für  den 
Krieg  seien,  so  werden  wir  doch  sagen  müssen,  daß  er  mit  seiner 
Ansicht  nicht  durchdrang.  Man  hielt  sich  ganz  mit  Recht  nicht 
an  die  unverbindlichen  Äußerungen  des  Monarchen,  die  nur  münd- 
lich gemacht  wurden,  oder  des  Staatsreferendars,  sondern  an  die 
schriftlichen  Weisungen  von  Kaunitz,  der  noch  ebenso  vorsichtig 
wie  bisher  zurückhielt,  ganz  wie  man  auch  schon  an  Bischoff- 
werder im  März  aus  Berlin  geschrieben  hatte.  Bischoff werder 
bildete  mit  seinem  Vertrauen  auf  Österreich  eine  Ausnahme2). 
In  diesen  Tagen  hat  auch  die  antiösterreichische,  d.  h.  die 
englische  Partei  in  Berlin  noch  einen  Versuch  gemacht,  den 
König  ganz  von  dem  Kriege  abzuziehen,  gestützt  auf  das  sonder- 
bare Verhalten  Österreichs.  Es  heißt,  man  wollte  Schulenburg 
und  Bischoff werder  entzweien3).  Wir  wissen  bisher  leider  zu 
wenig  von  diesen  Versuchen,  als  daß  sich  ein  scharfes  Bild  zeichnen 
ließe4).     Zwar  hat  es  Ranke  versucht,  die  Persönlichkeit  von 


1 )  Am  9.  April  Vormittags  war  Bischoffwerder  in  Potsdam  beim  König, 
am  8.  Abends  war  er  in  Berlin  angekommen.  Fersen  II  226  ff.  An 
Jacobi  9.  April. 

2)  Der  König  entscheidet  auf  Schulenburgs  Bericht  vom  9.  April  (Rep. 
96,  147  G.  I)  in  folgenden  Worten  (Rep.  I  171):  J'approuve  la  reponse 
(que)  vous  proposez  de  faire  au  Prince  de  Reuss  qui  est  parfaitement 
adaptee  aux  circonstances,  vous  pourrez  encore  aj  outer  que  ma  volonte 
serait  encore  infiniment  plus  animee,  si  l'on  voulait  ecouter  enfin  la  raison 
que  je  n'ai  cessee  d'alleguer  pour  des  resolutions  promptes  et  vigoureuses. 

3)  Wir  sahen  eben,  wie  wenig  diese  Ansicht  zutrifft.  Nur  für  den  Krieg 
waren  sie  beide.  Vgl.  Wittichen,  Polnische  Politik  55;  C  a  r  i  s  i  e  n  91. 

4)  Man  wird  den  Hauptansturm  wohl  in  die  Tage  bis  zum  20.  April  zu 
verlegen  haben,  und  eventuell  Bischoffwerders  Eintreten  für  die  Sinnes- 
änderung Friedrich  Wilhelms  verantwortlich  machen  dürfen,  von  der  unten 
die  Rede  ist.  Hiermit  möchte  ich  ein  merkwürdig  herabgestimmtes  Schreiben 
von  Schulenburg  an  den  Herzog  von  Braunschweig  vom  20.  April  in  Zusam- 
menhang bringen  (Rep.  XI  89  b):  je  n'ai  en  effet  aucune  influence  quant  ä 
ces  objets  (militärische  Fragen)  et  tres  peu  sur  les  autres.  Je  la  supplie  de 
ne  point  regarder  cet  aveu  comme  une  espece  de  plainte  puisque  je  sens 
parfaitement  que  je  n'ai  aucun  droit  d'y  pretendre.  Er  beklagt  sich  nun, 
daß  Preußen  sich  der  defensiven  Haltung  Österreichs  anschließe,  noch 
bevor  der  französische  Angriff  erfolgt  sei.  Preußen  werde  sich  damit  kom- 
promittieren. Die  einzige  Rettung  aus  dieser  unangenehmen  Lage  könne 
jener  Angriff  und  die  Verwirklichung  des  Konzertes  bringen,  aber  beides 
schien  nur  noch  Zukunftsmusik  zu  sein.  Man  sieht,  wie  wenig  Schulenburg 
mit  der  Haltung  des  Königs  einverstanden  ist,  auch  als  dieser  schon  nach- 
gegeben hatte.  Erst  am  24.  konnte  Schulenburg  an  den  Herzog  schreiben, 
daß  er  den  König  von  seiner  österreichfreundlichen  Haltung  abgebracht 


Die  Offensive  von  Preußen  und  Österreich  59 

Haugwitz  als  eines  Mannes,  der  allein  es  wagte,  dem  König  ent- 
gegenzutreten, in  den  Mittelpunkt  zu  stellen,  aber  spätere  Dar- 
stellungen sind  ihm  in  diesem  Punkte  mit  Recht  nicht  gefolgt; 
denn  die  Audienz,  die  Haugwitz  Mitte  April  etwa1)  beim  König 
gehabt  haben  soll,  setzt  er  lange  vor  Niederschrift  seiner  Me- 
moiren, nämlich  am  6.  Mai  1793,  auf  den  8.  Mai  fest  und  be- 
zeichnet sie  ausdrücklich  als  die  einzige,  die  er  beim  Könige  vor 
seiner  Abreise  nach  Wien  gehabt  habe,  und  wir  werden  an  diesem 
Datum  auch  deshalb  festhalten  müssen,  weil  sich  eine  Instruktion 
für  Haugwitz  in  der  polnischen  Frage  gefunden  hat  —  wenn  auch 
nur  in  einer  Abschrift  —  die  vom  9.  Mai  datiert  und  auf  be- 
sonderen Wunsch  von  Haugwitz  ausgefertigt  worden  ist.  Liegt 
es  nicht  nahe,  anzunehmen,  daß  Haugwitz  in  der  Audienz  davon 
gesprochen  hatte  und  sie  dann  besonders  außer  der  Haupt- 
instruktion vom  6.  Mai  (die  ich  noch  nicht  habe  finden  können), 
auf  Veranlassung  des  Königs  angefertigt  wurde2)?  Wenn  Haug- 
witz damals  auch  noch  einen  Versuch  gemacht  haben  sollte, 
Friedlich  Wilhelm  vom  Kriege  fernzuhalten,  was  ich  nicht  für 
ausgeschlossen  halte3),  so  war  es  jedenfalls  von  gar  keiner  Be- 
deutung mehr  und  hatte  mit  den  oben  erwähnten  Versuchen 
kaum  etwas  zu  tun.  Haugwitz  selbst  hat  die  Erfolglosigkeit 
seines  Bemühens  zugegeben.  Preußen  hatte  sich  bereits  nach 
allen  Seiten  zum  Offensivkriege  gegen  die  Revolution  verpflichtet, 
dem  es  nur  den  Anschein  der  Verteidigung  zu  geben  bemüht  war, 
und  seine  Rüstungen  waren  in  vollem  Gange.    Hier  also  müssen 


habe,  stark  unterstützt  von  seinem  Brief  vom  22.,  der  nur  die  Ansichten 
Schulenburgs  wiederholt.  (.  .  .  pour  agir  dans  cette  importante  occasion 
avec  la  circonspection  necessaire  ä  l'egard  des  intentions  et  des  vues  toujours 
fort  protegees  de  la  Cour  de  Vienne  qui  ne  sont  pas  en  tout  sens  absolument 
conformes  ä  nos  interets.  Dieser  Hinweis  auf  Bischoffwerder  ist  wohl  mit 
Händen  zu  greifen.) 

1 )  Anfang  April  soll  er  nach  Berlin  gekommen  sein.  Ranke  159  ff. 
Vgl.  auch  v.  M  i  n  u  t  o  1  i,  Der  Graf  von  Haugwitz  und  Job  von  Witzleben 
(Berlin  1844)  S.  8  und  22.  Die  Angaben  gehen  auf  Haugwitz  selbst  zurück, 
sind  also  dessen  Memoiren  nachzustellen.  Vgl.  diese  in  Minerva  Bd.  184 
S.  4  und  bei  Ranke. 

2)  Rep.  96,  147  G.  II,  F. S.A.  Au  Roi  6.  Mai.  Rep.  XI  89  c,  Kopie  der 
besonderen  Instruktion  vom  9.  Mai  (F.  S.  A.  ad  contras.).  Rep.  96, 147  H,  F.  H. 
Au  Roi  6.  Mai  1793.    Ranke,  Sämtliche  Werke  47,  276  und  290. 

3)  Ranke  (S.  163)  bemerkt  mit  Recht,  daß  Haugwitz  doch  nicht 
in  die  eigentliche  Politik  eingeweiht  war.  Er  vertrat  nur  die  öffentliche 
Meinung  ohne  ein  eigentlich  selbständiges  System  (Minerva,  1838  Jena, 
Bd.  185,  S.  181—186). 


60  I-  Abschnitt 

wir  ein  Stück  aus  der  Erzählung  hinausweisen;  aber  an  gewich- 
tigen Beratungen  über  Preußens  Teilnahme  am  Kriege  hat  es 
trotzdem  nicht  gefehlt.    Welche  Bedingungen  stellte  es? 

Am  17.  April  wurden  in  Berlin  die  österreichischen  Beschlüsse 
vom  13.  und  durch  Reuß  die  Verhandlungen  mit  Goguelat  be- 
kannt1). Man  kann  wohl  sagen,  wie  eine  Bombe  schlugen  diese 
Nachrichten  ein.  Schon  die  völlige  Zurückhaltung  der  Emi- 
granten von  den  Operationen  deckte  sich  weder  mit  dem,  was 
Caraman  in  Berlin  als  Wunsch  des  französischen  Königspaares 
nach  Breteuils  Aufträgen  hingestellt  hatte,  noch  mit  den  Wün- 
schen von  Reuß  und  Metternich,  noch  endlich  mit  den  Wünschen 
Preußens  selbst.  Einmütig  erhoben  sie  lauten  Protest  gegen  das 
österreichische  Verfahren;  alle  Mittel  wandten  sie  an,  um  es  zu 
durchkreuzen.2) 

Aber  das  war  doch  für  Preußen  immer  nur  ein  nebensächlicher 
Punkt,  die  Hauptsache  blieben  die  Beschlüsse  der  Konferenz  vom 
13.  April.    Nun  nach  den  französischen  Kriegsnachrichten3),  so 


x)  Fersen  II  234.  In  Rep.  I  171  die  am  17.  präsentierten  Schrift- 
stücke aus  Wien.  Rep.  96,  147  G.  I:  F. S.A.  Au  Roi  18.  April.  Reuß  wurde 
auf  die  Bitten  Spielmanns  in  dem  Glauben  gelassen,  er  mache  in  Berlin 
die  erste  Mitteilung  über  Goguelat.  Bericht  Jacobis  10.  April,  an  Jacobi 
16.  April.  Vivenot  1302  und  310.  Bericht  Jacobis  12.  April,  in  dem  er 
ziemlich  ungläubig  von  den  Versicherungen  spricht,  die  Goguelat  im 
Namen  Ludwigs  XVI.  über  die  Haltung  der  Franzosen  beim  Einmarsch 
der  Mächte  gemacht  hatte,  und  ein  Privatbrief  an  die  Minister.  In  diesem 
heißt  es :  II  serait  temeraire  de  ma  part,  de  vouloir  dans  la  position  presente 
des  affaires  soutenir  que  la  Cour  d'ici  ne  sera  pas  encore  bien  pressee  pour 
des  mesures  actives;  cependant  il  m'est  revenu  de  tres  bonne  part  certains 
propos  que  le  Comte  de  Cobenzl  a  tenu  au  Prince  Galitzin  lesquels  ne  me 
semblent  pas  indiquer  une  resolution  bien  positive  de  mettre  d'abord 
beaucoup  de  troupes  en  mouvement  ni  de  pousser  les  Operations  au  delä 
de  la  defensive  avant  d'avoir  bien  realise  le  concert;  sans  connaitre  au 
reste  bien  exactement  les  intentions  des  deux  cours  pour  les  dedommage- 
mente  des  frais,  j'ose  avouer  que  suivant  mes  notions  on  craindra  toujours  ici 
d'executer  de  pareils  arrangements.  Trotz  der  Beschlüsse  des  13.  bbeb 
Jacobi  bei  seiner  Ansicht,  Österreich  werde  über  Defensivmaßregeln  nicht 
hinausgehen.  Vgl.  die  oben  bereits  angeführte  Stelle  aus  dem  P.S.  zu 
seinem  Berichte  vom  14.  April.  Dabei  hielt  er  die  Beschlüsse  schon  für 
sehr  kriegerisch. 

2)  Fe  r  s  e  n  II  234—237  und  242.     Flammermont  25—28. 

3)  Auch  jetat  glauben  die  preußischen  Minister  ebensowenig  wie  am 
9.  an  ihre  Bewahrheitung,  man  möchte  sagen,  sie  bedauern  es:  Rep.  96, 
147  G.  I,  F. S.A.  Au  Roi  18.  April  . . .  dans  le  cas  que  les  esprits  plus  sages 
parviennent  ä  moderer  la  fougue  jacobine  et  a  detourner  l'attaque  ce  qui 
ne  nous  parait  pas  invraisemblable. 


Die  Offensive  von  Preußen  und  Österreich  Q\ 

hatte  man  in  Berlin  gehofft,  würden  sich  die  Österreicher  doch 
zu  aktivem  Vorgehen  entschließen  müssen.  Statt  dessen  wurden 
alle  bisherigen  Ergebnisse  in  Frage  gestellt.  König  und  leitender 
Minister  waren  sich  bisher  durchaus  einig  gewesen  in  der  Forde- 
rung, entweder  energisch  Krieg  zu  führen  oder  überhaupt  nicht1), 
in  richtiger  Erkenntnis  der  Konstruktion  des  preußischen  Staates. 
Man  fürchtete  ganz  mit  Recht,  Österreich  wolle  nur  seine  Nieder- 
lande schützen,  der  Entwicklung  der  Dinge  in  Frankreich  aber 
untätig  zusehen,  indem  es  die  Versammlung  aller  Truppen  durch 
irgendwelche  Scheinverhandlung2)  zu  verhindern  suche,  Franz 
werde  seine  aktiveren  Pläne  (an  deren  Existenz  man  also  jetzt 
in  Berlin  glaubt)  nicht  durchsetzen.  Österreich  hatte  ja  erklärt, 
ohne  das  Konzert  in  Frankreich  nichts  tun  und  sich  bei  einem 
etwa  erfolgenden  französischen  Angriff  defensiv  verhalten  zu 
wollen3).  Über  das  Zustandekommen  des  Konzertes  war  aber 
in  Berlin  nur  eine  Meinung:  man  glaubte  nicht  daran,  noch 
weniger  an  ernstliche  Maßregeln  desselben.  Der  französische  An- 
griff endlich  schien  auch  nicht  so  rasch  zu  erfolgen,  wie  man  ge- 
hofft, nicht  etwa  gefürchtet  hatte.  Der  geforderte  Marsch  von 
preußischen  Truppen  wäre  also  nur  der  österreichischen  Ver- 
teidigung zu  gute  gekommen,  und  von  einer  Entschädigung  für 
die  Kosten  wäre  dann  wohl  auch  keine  Rede  mehr  gewesen.  Dazu 
fürchtete  Preußen  auch  bei  einer  gezwungenen  Untätigkeit  seiner 
Truppen  seinen  militärischen  Ruf  zu  gefährden.  Ganz  anders  war 
das  bei  der  Aktion4). 

Das  Ministerium  unterbreitete  deshalb  am  18.  dem  Könige 
zwei  Vorschläge,  ohne  selbst  einen  von  ihnen  besonders  zu  befür- 
worten5).   Sie  unterscheiden  sich  eigentlich  nur  durch  ein  Wort. 


*)  ib.  .  .  .  ces  inesures  (Österreichs)  pourraient  amener  une  defensive 
tres  contenue,  ä  laquelle  V.  M.  d' apres  ces  ordres  precedents  nous  a  declare 
absolument  ne  pas  vouloir  se  preter . . .  und  an  Jacobi  28.  April  (Rep.  1 169) . . . 
Le  seul  principe  que  j'ai  constamment  contenu  et  dont  je  ne  saurai 
me  departir  c'est  qu'il  faut  ou  ne  pas  se  meler  des  affaires  de  ce  royaume 
ou  y  aller  avec  vigueur  et  energie  et  c'est  en  consequence  de  ce  Systeme 
que  je  me  suis  abstenu  d'entrer  dans  des  mesures  simplement  defensives 
qui  ne  peuvent  remplir  le  but  et  qui  sont  entierement  contraires  ä  mes 
interets. 

2)  Fersen  II  236. 

3)  V  i  v  e  n  o  t  I  317,  II  405,  406,  410.  F. S.A.  Au  Roi  18.  April.  Rep. 
96,  147  G.  I. 

4)  F  e  r  s  e  n  II  236  und  251. 

5)  Schulenburg  hatte  den  Bericht  selbst  entworfen  und  sich  am  Schluß 
zu  Gunsten  des  zweiten  Vorschlags  ausgesprochen  (Rep.  I   171)  —  wir 


62  !•  Abschnitt 

Nach  dem  ersten  sollte  der  preußische  Mobilmachungsbefehl  wie 
der  Marschbefehl  erst  nach  der  Erklärung  Österreichs  über  den 
Termin  der  Aktionsfähigkeit  seiner  Truppen  zu  offensivem  Vor- 
gehen auch  ohne  Beteiligung  anderer  Mächte,  ohne  französischen 
Angriff  und  mit  Rückerstattung  der  Kosten  gegeben  werden  — 
nach  dem  zweiten  sofort  im  Vertrauen  auf  die  früheren  Er- 
klärungen von  Franz,  aber  dann  nur  der  Mobilmachungsbefehl; 
der  Marschbefehl  sollte  auch  hier  erst  nach  der  befriedigenden 
österreichischen  Antwort  erfolgen.  Beide  Vorschläge  sahen  je- 
doch die  gleichzeitige  Mobilmachung  der  ganzen  50  000  Mann 
vor.  Alles  oder  nichts,  ist  die  Parole.  Dabei  ist  Schulenburg 
für  den  Krieg,  Alvensleben  für  den  Frieden;  beide  sind  aber  eher 
zu  einer  gänzlichen  Schwenkung  als  zu  halben  Maßregeln  bereit1). 
Diese  scheinbar  so  geringfügige  Differenz  wird  jetzt  zur  Kern- 
frage für  die  preußische  Politik.  Nahm  Friedrich  Wilhelm  den 
zweiten  Vorschlag  an,  so  wäre  der  Gedanke  nicht  ohne  weiteres 
von  der  Hand  zu  weisen,  daß  ihn  die  stets  gefährlicher  lautenden 
Nachrichten  von  dem  Schicksal  des  französischen  Königspaares 
vorwärts  trieben,  ihn  die  bisher  stets  beobachtete  vorsichtige 
Zurückhaltung  vergessen  ließen.  Es  wäre  der  erste  Schritt  von 
dem  lange  befolgten  Wege  gewesen.  Dann  aber  mochten  sich  die 
Österreicher  auch  sagen,  werde  der  Marschbefehl  schließlich  auch 
noch  ohne  die  österreichische  Zustimmung  zu  den  preußischen 
Forderungen  ergehen. 

Aber  Friedrich  Wilhelm  entschied  sich  wider  Erwarten  der 
Minister  und  Caramans  nicht  einmal  für  die  mildere  erste  Fassung, 
und  man  wird  doch  nur  in  gewissem  Sinne  sagen  dürfen,  daß  er 
damit  konsequenter  verfuhr  als  das  Ministerium2).  Er  wollte 
allen  vorangegangenen  Forderungen  zum  Trotz  tatsächlich  auf  die 
von  Österreich  vorgeschlagene  Defensive  eingehen,  bis  der  An- 
griff der  Franzosen  oder  eine  offizielle  französische  Reklamation, 
wie  man  das  ja  schon  vereinbart  hatte,  die  Offensive  begründen 
konnten.    Nur  die  Furcht,  die  Sache  sonst  eventuell  allein  aus- 


sehen daraus  wieder,  wie  sehr  er  den  Krieg  jetzt  wünschte  und  wie  sehr  er 
glaubte,  daß  die  Österreicher  durch  die  Gewalt  der  Umstände  sich  der 
Erfüllung  der  preußischen  Bedingungen  nicht  würden  entziehen  können  — 
ganz  wie  Caraman  (Fersen  II  237 — 238);  aber  ob  er  nun  dem  König 
nicht  vorgreifen  wollte,  oder  ob  Alvensleben  dagegen  opponiert  hat,  er 
strich  den  Passus  wieder  durch. 

x)  Vgl.  F  e  r  s  e  n  II  237.  Rep.  96,  147  G.  I.  F.  S.A.  Au  Roi  18.  April. 

2)  Rep.  I  171.    Potsdam  18.  April  1792. 


Die  Offensive  von  Preußen  und  Österreich  63 

fechten  zu  müssen,  noch  dazu  ohne  Aussicht  auf  Entschädi- 
gungen1), kann  ihn  dazu  bestimmt  haben.  Er  schloß  sich  also 
äußerlich  dem  österreichischen  Verhalten  an  und  wollte  auch 
seinerseits  15  000  Mann  mobil  machen.  Aber  dabei  sich  nun  zu 
beruhigen,  war  nicht  seine  Absicht.  Nach  außen  konnte  man  es 
ja  so  darstellen,  als  wollte  man  sich  ohne  das  Konzert  auf  die 
Verteidigung  beschränken.  Aber  unter  diesem  deckenden  Schleier 
sollte  Preußen  die  Österreicher  antreiben,  den  Rest  der 
50  000  Mann  rasch  mobil  zu  machen,  um  bei  der  ersten  sich 
bietenden  Gelegenheit  von  der  Defensive  zu  der  ersehnten  Offen- 
sive übergehen  zu  können,  und  den  Zeitpunkt  dafür  wollte  Fried- 
rich Wilhelm  wissen.  Den  präsumtiven  Oberkommandanten,  den 
Herzog  von  Braunschweig,  benachrichtigte  er  sofort  von  den 
österreichischen  Vorschlägen  und  den  preußischen  Beschlüssen. 

Er  schlug  also  einen  Mittelweg  ein.  Gewiß,  er  wollte-  nicht 
allein  in  den  Krieg  gehen  und  legte  darum  dem  Eifer  seiner 
Minister  Zügel  an2),  aber  er  wollte  ebensowenig  den  Krieg  durch 
eine  übertriebene  Zurückhaltung  (als  solche  erschien  ihm  wohl 
der  erste  Vorschlag)  unmöglich  machen.  Denn  mußte  nicht  die 
absolute  Weigerung  Preußens,  vor  Eintreffen  einer  befriedigen- 
den Antwort  aus  Wien,  die  Österreicher  vor  den  Kopf  stoßen? 
Würde  dann  nicht  doch  in  Wien  die  Friedenspartei  wieder  die 
Oberhand  gewinnen?  Nur  durch  ein  vorläufiges  Eingehen  auf 
die  österreichischen  Vorschläge  schien  man  weiterkommen  zu 
können;  Bischoffwerder  hatte  in  Wien  sich  ja  auch  mit  den 
Österreichern  über  ein  defensives  Verhalten  am  Anfang  be- 
sprochen. Seine  Ansichten  scheinen  mir  in  diesem  Augenblick 
den  König  bestimmt  zu  haben3).  Verkennen  wir  nicht  die  Gefahr 
der  Lage.  Ein  so  entgegenkommendes  Verhalten  setzte  die  Mühen 
der  ganzen  bisherigen  Zurückhaltung  aufs  Spiel.  Preußen  tat 
damit  einen  Schritt  vom  Wege. 

Nach  diesen  Weisungen  des  Königs  sollten  die  Minister  die 
Antwort  an  Reuß  aufsetzen4).    Das  geschah  am  19.  Vormittags. 


1 )  ib.  .  .  .  Outre  cela  la  Cour  de  Vienne  ne  peut  m'induire  ä  aucune 
marche  risquante  ou  desavantageuse.  /)  .      * 

2)  Sorelll  367.  J>«      L^v^AW^. 

3)  Fersen  II  240—241 ;    Ranke  159  ff. 

4)  Es  ist  interessant,  das  Verhalten  der  beiden  Minister  in  diesen 
Tagen  zu  beobachten,  die  sich  feindlich  gegenüberstanden:  Schulenburg 
und  Alvensleben  (für  Finckenstein  habe  ich  kein  Material  finden  können; 
er  hielt  sich  wohl  wie  auch  sonst  vorsichtig  zurück).  Für  beide  ist  natürlich 


' 


64  I.  Abschnitt 

Doch  ihr  Entwurf  wurde  von  einem  zweiten  königlichen  Befehl 
überholt,  der  aus  der  abwartenden  Haltung  des  Königs  vom  18. 


mit  der  Entscheidung  des  Königs  jede  weitere  Beratung  überflüssig  (Rep.  I 
171,  Schulenburg  19.  April  .  .  .  l'affaire  etait  une  fois  faite  et  il  ne  s'agissait 
plus  de  deliberer  mais  d'obeir  ä  la  resolution  que  le  Roi  a  prise).  Alvens- 
leben freut  sich,  daß  er  seine  entgegengesetzte  Ansicht  dem  König  ein- 
gereicht hat  (er  scheint  der  Urheber  des  milderen  Vorschlages  vom  18.  April 
zu  sein).  Damit  ist  er  jeder  weiteren  Verantwortung  gegenüber  König 
und  Staat  überhoben,  das  Geschäft  kann  also  weitergehen,  und  er  arbeitet 
mit,  als  ob  nichts  geschehen  wäre,  unter  Schulenburg  bezw.  Haugwitz, 
die  auf  die  Wünsche  des  Königs  eingegangen  waren  (Rep.  I  172,  Denk- 
schriften vom  3.  und  9.  März  1794).  In  der  zweiten  will  er  notre  maniere 
de  penser  ad  Acta  geben,  qui  je  le  sens  ne  saurait  rien  changer  au  parti 
pris  et  aux  ordres  du  Roi,  auxquels  j'obeirai  avec  la  meme  exactitude 
et  travaillerai  avec  le  meme  zele  ä  leur  execution  comme  tout  bon  sujet 
doit  le  faire,  quand  meme  le  resultat  serait  en  contradiction  avec  sa  propre 
conviction.  Rep.  I  171  Alvensleben  19.  April:  S.  M.  en  fixant  avec  tant  de 
precision  l'essentiel  de  la  reponse  contraire  au  premier  plan  adopte  par 
Elle-meme  nous  dispense  de  toute  responsabilite  vis-ä-vis  d'  Elle-meme  et 
vis-ä-vis  de  l'Etat  qui  par  les  suites  incalculables  decette  marche  precipitee, 
dans  laquelle  nous  sommes  entraines  par  l'Autriche  (sie!,  Alvensleben 
kann  nur  an  die  Vorgänge  im  Sommer  1791  denken,  vgl.  oben)  (au  fond 
vous  lui  assurez  la  possession  des  Pays-Bas)  ne  laissent  pas  que  d'etre 
les  plus  graves.  Rep.  I  172,  Denkschrift  vom  1.  Okt.  1793.  Devais  je  m' ele- 
ver individuellement  contre  l'opinion  du  ministere  en  corps?  et  tandisque 
celui-ci  gardait  le  silence  et  craignait  de  se  mettre  a  la  breche,  pouvais-je 
combattre  seul  le  projet  favori  du  Roi  au  risque  d'etre  aecuse  peut-etre 
de  demoeratisme  comme  l'ont  ete  plusieurs  de  ceux  qui  prevoyant  le  danger 
de  la  guerre  ne  pouvaient  prendre  sur  eux  d'y  applaudir  et  il  n'en  fallait 
pas  davantage,  je  pense,  pour  me  reduire  au  silence  et  pour  me  consoler 
par  le  temoignage  que  me  rendait  ma  conscience.  (Diese  stets  nutzlose  Oppo- 
sition ohne  weitere  Folgen  als  die,  daß  sein  Protest  zu  den  Akten  kam, 
scheint  er  darnach  beinahe  als  eine  Art  Sport  betrieben  zu  haben. )  Schulen- 
burg dagegen,  dessen  Wünschen  allerdings  die  zweite  königliche  Entschei- 
dung schon  näher  kam  (vgl.  unten),  schloß  sich  ihr  an  und  richtete  nach 
ihr  seine  Pläne  ein.  Ein  Prinzipienreiter  ist  er  durchaus  nicht,  er  rechnet 
mit  den  gegebenen  Größen.  Zwar  hält  er  seine  Ansicht  für  die  bessere, 
aber  auch  mit  der  des  Königs  hofft  er  weiterzukommen,  und  sein  Ehrgeiz 
mag  wohl  nicht  wenig  dazu  beigetragen  haben,  ihn  zur  Zurückstellung 
der  eigenen  Ansichten  zu  veranlassen.  (Carisien  91.)  Als  später  in  der 
Emigrantenfrage  der  König  doch  gegen  seinen  Rat  entschied,  da  schreibt 
er  zwar  auch  an  Finckenstein  und  Alvensleben  am  13.  August  [Rep.  XI 
89  g]:  „Salvavi  animam  meam";  aber  das  ist  nun  für  ihn  nicht  ein  Akt 
persönlicher  Genugtuung,  sondern  er  sorgt  sich  doch  weiter  und  wird 
dabei  kränker  und  kränker,  so  daß  er  Anfang  September  als  gebrochener 
Mann  nach  Berlin  zurückkehren  muß  in  dem  Augenblicke,  in  dem  alles 
gewonnen  zu  sein  schien.  Auch  die  kleinen  Mittelchen  verschmähte  er 
dabei  nicht.    In  dem  erwähnten  Briefe  vom  19.  April  findet  sich  ein  P.S. 


Die  Offensive  von  Preußen  und  Österreich  65 

wieder  zu  einer  kräftigeren  überführte,  die  der  ganzen  früheren 
besser  entsprach.  Ob  der  König  selbst  ohne  äußeren  Anlaß  dazu 
kam  oder  nicht,  läßt  sich  mit  Hilfe  des  vorliegenden  Materials 
nicht  entscheiden1).  Mir  ist  am  wahrscheinlichsten,  daß  er  bei 
nochmaliger  Lektüre  des  Berichtes  der  Minister  selbst  von  der 
passiven  Rolle  nicht  befriedigt  wurde,  die  er  sich  damit  zu- 
gewiesen hatte.  Er  verlangte  daher  am  19.  den  genauen  Zeit- 
punkt der  Aktionsbereitschaft  der  österreichischen  Truppen  zu 
wissen ;  erst  dann  wollte  er  nicht  nur  15  000,  sondern  die  ganzen 
50  000  Mann  mobil  machen. 

Nach  der  Absendung  des  Entwurfs  einer  Antwortnote  an 
Reuß  kam  dieser  Befehl  Schulenburg  zu,  der  damit  zwar  durch- 
aus noch  nicht  zufrieden  war,  aber  davon  nichts  merken  ließ2). 
Um  keine  Zeit  zu  verlieren,  setzte  er  rasch  eine  zweite  Note  für 
Reuß  auf,  und  sie  fand  am  20.  ganz  die  Billigung  des  Königs, 
dessen  Sprache  sie  an  Schärfe  noch  etwas  übertraf.  Die  Super- 
lative sind  darin  sogar  für  diese  Zeit  ungewöhnlich  zahlreich. 
Sie  wurde  auf  noch  besonders  drängenden  Befehl  des  Königs1') 


folgenden  Inhalts:  J'ai  täche  pourtant  de  mettre  dans  la  Note  au  Prince 
Reuss  quelques  chevilles  qui,  si  les  circonstances  en  fournissent  l'occasion, 
pourront  nous  aider  a  sortir  d'embarras.  Ich  möchte  hierbei  noch  erwähnen, 
daß  die  chronologische  Einordnung  aller  dieser  Schriftstücke  vom  18.  und 

19.  einige  Schwierigkeiten  macht.  Ich  deute  die  Briefe  Schulenburgs  und 
Alvenslebens  so,  daß  sie  nach  der  ersten  königlichen  Entscheidung  geschrie- 
ben sind,  und  daß  der  König  dem  einen  (Alvensleben)  zu  weit,  dem 
anderen  (Schulenburg)  noch  nicht  weit  genug  geht;  denn  es  ist  unmöglich, 
Schulenburgs  Worten  den  Sinn  beizulegen,  er  habe  den  Krieg  vermeiden 
wollen.  Er  stellte  nur  scharf  seine  Bedingungen,  um  Klarheit  zu  gewinnen 
und  sich  dann  für  Krieg  oder  Frieden  zu  entscheiden.  Die  Haltung  des 
Königs  gefiel  ihm  durchaus  nicht  (an  Br.  20.  April  Rep.  XI 89  b).  Die  Klauseln, 
von  denen  er  spricht,  möchte  ich  darin  sehen,  daß  in  dem  Entwurf  zu  der 
ersten  Note  an  Reuß  die  österreichische  Antwort  als  Bedingung  für  die  Aus- 
führung des  preußischen  Truppenmarsches  erscheint,  ohne  die  Bemerkung, 
daß  Preußen  15  000  Mann  mobil  machen  und  marschieren  lassen  wollte.  Fried- 
rich Wilhelm  scheint  das  nicht  beabsichtigt  zu  haben.  Schulenburg  hielt  sich 
eben  an  den  zweiten  Teil  des  königlichen  Befehls  (er  hatte  vor  seinem  Ein- 
treffen ganz  im  Sinne  des  zweiten  Vorschlages  mit  Caraman  gesprochen. 
Fersen  II  237).  Dieser  von  Schulenburg  redigierte  Passus  erscheint  ab- 
geschwächt auch  noch  in  dem  zweiten  vom  König  gebilligten  Entwurf. 

M  Fersen  II  236—241. 

2)  Fersen  II  239. 

3)  La  Note  verbale  est  entierement  conforme  ä  mes  idees  et  vous 
pourrez  la  donner  au  Prince  de  Reuss  le  plus  tot  le  mieux.  Ein  Datum  hat 
der  König  nicht  angegeben,  dem  Ministerium  lag  diese  Genehmigung  am 

20.  April  vor  (Rep.  1 171).    An  Jacobi  20.  April.   Bericht  Jacobis  28.  April. 
Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Kevolution  5 


66  I.  Abschnitt 

am  20.  Reuß  übergeben.  Friedrich  Wilhelm  konnte  sich  nun  sagen, 
daß  von  Österreich  überhaupt  nichts  zu  erreichen  war,  wenn  es 
auf  diese  Anfrage  hin  sich  nicht  deutlich  erklärte.  Es  war  ge- 
wissermaßen die  Vertrauensfrage,  die  er  damit  stellte.  Denn  der 
König  verlangte  in  der  Note,  mit  der  ich  jedoch  gleich  die  Forde- 
rungen kombiniere,  die  mir  in  dem  Bericht  von  Reuß  geäußert 
worden  zu  sein  scheinen1),  ganz  wie  Schulenburg  erwartet,  aber 
Caraman  gegenüber  nicht  genauer  ausgeführt  hatte,  bestimmte 
Auskunft  über  den  Marsch  und  den  Termin  der  Aktionsfähig- 
keit der  15  000  Mann  und  des  Restes  der  Armee,  bevor  er  seinen 
Truppen  die  Befehle  zum  Marschbeginn  und  zur  Mobilmachung 
zugehen  lasse;  ferner  ein  SpezialVerzeichnis  der  zur  ganzen  Armee 
von  50  000  Mann  gehörenden  Truppenkörper2).  Endlich  bat  er, 
sehr  bezeichnend,  den  österreichischen  General  Hohenlohe,  wo- 
möglich schon  vor  dem  12.  Mai,  wie  er  am  17.  an  Franz  geschrieben 
hatte3),  nach  Potsdam  zur  Konferenz  mit  dem  Herzog  von  Braun- 
schweig zu  schicken,  um  mit  diesem  nicht  eigentlich  über  den 
Feldzugsplan  selbst,  sondern  vor  allem  über  die  Verpflegung 
beider  Heere  sich  schlüssig  zu  machen.  Dort,  so  durfte  er  hoffen, 
würden  sich  auch  die  Differenzen  über  die  Verwendung  der  Emi- 
granten mehr  in  preußischem  Sinne  regeln  lassen.  Gleichzeitig 
mit  dieser  Note  verbale  an  Reuß  erging  an  Jaccbi  der  Befehl, 
auch  seinerseits  darauf  zu  drängen,  daß  Österreich  endlich  den 
Zeitpunkt  angebe,  an  dem  seine  Truppen  kämpf  fertig  seien. 
Dazu  schrieb  nun  noch  Reuß  an  Spielmann  privatim,  wie  schon 
vorher  einmal.  Am  23.  endlich  erhielt  Reuß  in  einer  zweiten 
Note  verbale  Mitteilung  von  den  soeben  erlassenen  Befehlen  an 
die  preußischen  Regimenter,  sich  bereit  zu  halten,  mit  einem 
Verzeichnis  der  für  die  50  000  Mann  ausgewählten  Truppenteile 
und  einem  Marschtableau  für  das  eine  später  aus  Schlesien  durch 
Böhmen  ziehende  Korps,  jedoch  ohne  Angabe  von  Daten4). 

Caraman  glaubte  noch  ein  übriges  tun  zu  sollen,  um  den 
Wiener  Hof  zur  Aktion  fortzureißen.     Er  schrieb  an  den  Ver- 


1)  Vi  veno  t  II  410. 

2)  Wie  nötig  das  war,  werden  wir  noch  sehen.  Schon  am  1.  April  hatte 
Bischoff werder  ein  Verzeichnis  erhalten,  wonach  es  56  135  Mann  sein  sollten, 
aber  die  Preußen  hatten  allen  Anlaß,  dem  nicht  zu  trauen.  V  i  v  e  n  o  t 
II  410;  F  e  r  s  e  n  II  236—240. 

3)  Vivenot  I  323. 

4)  Rep.  I  171,  F.  S.A.  an  Reuß  23.  April.  Rep.  I  169  an  Jacobi 
23.  April. 


Die  Offensive  von  Preußen  und  Österreich  67 

treter  Breteuils  in  Petersburg,  Baron  Bombelles,  Roll1)  an  den 
Prinzen  von  Nassau- Siegen,  der  dort  ohne  besonderen  Auftrag 
außer  dem  Grafen  Esterhazy  die  Sache  der  Emigranten  vertrat 
und  bei  Katharina  persönlich  ja  viel  vermochte.  Endlich  schrieb 
der  russische  Gesandte  Alopeus  an  die  Kaiserin  selbst,  alle  drei 
in  der  Absicht,  wie  wenigstens  der  erstgenannte  angibt  (für  ihn 
und  Roll  sicher  mit  Recht),  Katharina  zur  Annahme  des  Zirkulars 
zu  bestimmen  und  die  Aktion  durch  den  Abmarsch  ihrer  eigenen 
Truppen  in  Gang  zu  bringen,  in  der  Erwartung,  daß  die  Preußens 
und  Österreichs  schon  auf  dem  Marsche  seien.  Noch  immer  also 
glaubte  Caraman  an  die  Absicht  Katharinas,  für  die  Wiederher- 
stellung des  französischen  Königtums  tatkräftig  einzutreten. 
Bombelies,  der  direkt  an  der  Quelle  saß,  hatte  schon  Ende 
Februar  Zweifel  an  der  Echtheit  dieser  Gesinnungen  ausgesprochen, 
und,  wie  sich  bald  zeigen  sollte,  mit  vollem  Rechte2).  Alle 
diese  Maßnahmen  beweisen  deutlich  genug,  wie  wenig  Kriegs- 
eifer man  in  Berlin  bei  den  Österreichern  vermutete.  Aber  so 
lange  brauchten  die  Preußen  nun  doch  nicht  mehr  auf  Österreich 
zu  warten. 

Nach  der  Entscheidung  des  Königs  trat  also  Preußen  nach 
außen  noch  völlig  der  von  Österreich  angenommenen  Haltung 
bei:  Offensive  Maßregeln  nur  beim  Zustandekommen  des  Kon- 
zertes, namentlich  Teilnahme  Rußlands;  bis  dahin  rein  defen- 
sives Verhalten11).  Aber  es  traf  doch  inzwischen  bis  zum  Ein- 
treffen der  Nachricht  aus  Wien  alle  Maßregeln,  um  sofort  mit 
der  Mobilmachung  und  möglichst   bald   auf   neuen   Befehl   mit 


1)  Wieder  wirken  die  Vertreter  der  beiden  französischen  Parteien 
zusammen. 

2)  Feuillet  V  385  ff.  und  399  ff.  etc. 

3)  Rep.  XI  89  an  Goltz  in  Paris  26.  April:  Je  viens  en  consequence  de 
prendre  des  arrangements  dans  mon  armee  pour  que  cinquante  mille 
hommes  de  mes  troupes  arment  et  se  tiennent  prets  a  marcher  au  premier 
ordre.  (Ist  das  etwa  auch  ein  Versuch,  Frankreich  durch  die  bloße  Tat- 
sache der  Rüstung  einzuschüchtern?  Ich  glaube  nicht  daran;  das  war 
sonst  auch  nur  Österreichs  Sache  gewesen.)  Le  Roi  de  Hongrie  s'occupe 
en  meme  temps  de  son  cote  ä  rendre  un  pareil  nombre  de  ses  propres  troupes 
mobiles  et  pretes  ä  se  mettre  en  marche  au  premier  signal.  Ces  arrangements 
ne  sont  ä  la  verite  encore  que  defensifs  et  je  souhaite  qu'il  puissent  rester 
provisoires,  mais  je  puis  m'attendre  aussi  que  le  Roi  de  Hongrie  mon  Allie, 
que  l'Europe  eclairee  et  bien  instruite  en  reconnaitra  la  necessite  et  la 
justice.  Vgl.  an  Goltz  in  Petersburg  26.  April,  an  Görtz  und  Lucchesini 
26.  April,  an  Jacobi  25.  und  26.  April,  an  Marval  ebenso,  der  den  Bei- 
tritt der  Schweiz  zu  dem  Konzert  herbeiführen  sollte.    F  e  r  s  e  n  II  249  ff. 


68  I.  Abschnitt 

dem  Inmarschsetzen  seiner  Truppen  beginnen  zu  können.  Es 
wollte  nicht  schuld  daran  sein,  daß  auch  nur  ein  Tag  verloren 
ging.  Am  24.  wurde  das  Gefolge  des  Königs  ernannt,  die  Liefe- 
ranten erhielten  Befehle,  sich  bereit  zu  halten,  die  französischen 
Deserteure  sollten  in  den  für  den  Feldzug  bestimmten  Regi- 
mentern durch  Preußen  ersetzt  werden1).  Auch  an  Jacobi  werden 
am  26.  die  preußischen  Rüstungen  mitgeteilt,  den  Marschbefehl 
aber  will  man  erst  geben,  wenn  Österreich  den  Zeitpunkt  fest- 
gesetzt habe,  an  dem  seine  50  000  Mann  kampfbereit  an  der 
Grenze  seien;  defensives  Verhalten  sei  den  preußischen  Interessen 
durchaus  entgegen2).  Endlich  teilte  Preußen  auch  einen  Versuch 
Dumouriez'  nach  Wien  mit,  Preußen  von  Österreich  zu  trennen, 
als  Beweis,  wie  groß  die  Angst  der  Franzosen  sei  und  wie  leicht 
man  sie  werde  besiegen  können  (vgl.  unten).  Genau  das  gleiche 
Verfahren  wird  in  den  Niederlanden  von  den  Österreichern  an- 
gewandt. Sie  hatten  aber  auch  guten  Grund  dazu;  denn  seit 
dem  23.  war  in  Brüssel  die  Kriegserklärung  bereits  bekannt,  Zeit 
also  wirklich  nicht  mehr  zu  verlieren,  zumal  man  ja  von  den 


1)  Man  suchte  ja  überhaupt  die  besten  Truppen  zum  Feldzuge  aus 
(Carisien  96). 

2)  An  Jacobi  25.,  26.,  28.  April.  Auf  den  ersten  Blick  scheint  eine  gewisse 
Unsicherheit  darüber  zu  herrschen,  wie  weit  die  preußischen  Befehle  vor 
der  österreichischen  Erklärung  schon  gingen.  Aber  am  28.  erhält  Jacobi 
folgende  Nachricht:  Quoiqu'il  en  soit  je  persiste  invariablement  ä  ne  pas 
armer  decidemment  et  surtout  ä  ne  pas  faire  marcher  mes  troupes  avant 
d'etre  positivement  instruit  du  temps  du  depart  des  differents  corps 
autrichiens  et  principalement  du  terme  precis  oü  l'ensemble  des  50  mille 
hommes  sera  rendu  au  lieu  de  sa  destination  et  en  etat  de  commencer  les 
Operations,  indication  qu'il  me  faut  necessairement  precise  et  sans  reticences 
ni  chevilles  quelconques  .  .  .  und  am  5.  Mai:  Je  vais  donner  sans  delai 
ä  mes  troupes  les  derniers  ordres  pour  s'  armer  et  se  mettre  en  mouvement .  .  . 
und  eine  Nachschrift  zu  dem  Briefe  Schulenburgs  an  den  Herzog  von 
Braunschweig  vom  24.  April  beseitigt  wohl  die  letzten  Zweifel,  daß  es  sich 
nur  um  Vorbereitungsmaßregeln  handelte,  daß  die  eigentliche  Mobilmachung 
erst  nach  dem  5.  Mai  begann:  J^i  reussi  ä  l'engager  (den  König)  ä  se  borner 
pour  le  present  aux  ordres  prealables  qui  vont  etre  donnes  ä  tous  les  re- 
giments  qui  composeront  l'armee  des  50  mille  hommes  de  se  tenir  prets 
ä  etre  rendus  mobiles.  Das  kostet  nichts,  meint  Schulenburg  weiter,  nützt 
im  Bedarfsfalle  8 — 10  Tage,  und  den  Österreichern  hofft  er  damit  zu  ge- 
nügen, da  sie  ja  durch  solch  eine  Nachricht  den  Franzosen  wie  den  Bra- 
bantern  zu  imponieren  und  abzuwiegeln  hofften.  Man  sieht  deutlich,  wie 
schwer  es  Schulenburg  geworden  ist,  den  König  bei  der  alten  Politik  fest- 
zuhalten, insofern  sie  auf  dem  Grundsatz:  Alles  oder  nichts!  beruhte.  Aber 
man  muß  anerkennen,  daß  der  König  einen  fruchtbaren  Gedanken  dazu- 
gebracht  hat.     0 1  a  p  h  a  m  239—240. 


Die  Offensive  von  Preußen  und  Österreich  69 

Angriffsabsichten    der   Franzosen    im    allgemeinen    unterrichtet 
war1). 

Am  25.  April  glaubte  das  Kabinettsministerium  bereits  nach 
den  Depeschen  Jacobis  vom  18.  und  20.  dem  Könige  versprechen 
zu  können,  nun  sei  alles  gewonnen;  Österreich  sehe  ein,  daß 
Preußen  sich  nicht  auf  Defensivoperationen  einlassen  wolle,  und 
sei  scheinbar  zu  energischem  Vorgehen  entschlossen ;  man  brauche 
bloß  noch  die  Angabe  des  Termins  der  Aktionsbereitschaft  zu 
erwarten.  Der  König  nahm  davon  mit  Vergnügen  Kenntnis,  aber 
wartete  natürlich  ab2).  Preußen  konnte  sich  mit  Recht  sagen, 
daß  seine  Truppen  zur  selben  Zeit  wie  die  Österreichs  an  den 
verabredeten  Sammelplätzen  (Koblenz  und  Umgebung  für  die 
Preußen)  sein  würden,  da  die  preußische  Mobilmachung  die  öster- 
reichische an  Schnelligkeit  bedeutend  übertraf3).  Die  Minister 
hielten  jene  österreichische  Bereitwilligkeit  wohl  für  eine  Folge 
der  preußischen  Note  vom  12.  April  an  Reuß,  die  gleichzeitig  mit 
dem  erwähnten  Erlaß  an  Jacobi  ergangen  war4).  Von  den  preußi- 
schen Ministern  stammte  wohl  auch  die  Kenntnis  Caramans,  als 
er  am  28.  an  Breteuil  meldete,  nun  seien  auch  in  Wien  alle  Wider- 
stände behoben,  der  Herzog  von  Braunschweig  habe  von  Franz 


1 )  F  e  r  s  e  n  II  242,  245,  247—248. 

2)  Rep.  96,  147  G.  I,  F. S.A.  Au  Roi  25.  April  mit  Kgl.  Entscheidung. 
An  Jacobi  25.  April,  Schulenburg  an  Jacobi  29.  April  (Rep.  I  169):  Le  Roi 
attend  avec  impatience  que  la  Cour  oü  vous  vous  trouvez  veuille  fixer  le 
terme  connu  dont  dependent  toutes  nos  mesures  .  .  .  und  mit  bemerkens- 
werter Schärfe  in  einem  Ministerialschreiben  vom  Tage  vorher  anläßlich 
eines  französischen  Versuches,  Preußen  von  der  Koalition  abzuziehen: 
.  .  .  une  invasion  des  Francais  comme  de  la  derniere  invraisemblance  .  .  . 
j'ai  lieu  de  croire  que  c'est  la  rösolution  fermement  annoncee  de  ma  part 
de  ne  point  vouloir  me  laisser  aller  ä  des  mesures  defensives  contraires 
a  mes  interets  qui  a  surtout  oblige  cette  cour  (Österreich)  ä  montrer 
plus  de  vigueur  .  .  .  vgl.  oben  .  .  .  Au  reste  la  maniere  dont  la  Cour  de 
Vienne  envisagera  et  traitera  l'insinuation  venue  par  le  Sr.  de  Benoit  nous 
devoilera  ses  veritables  dispositions.  Elle  se  tromperait  beaucoup  si  eile 
croyait  que  mon  intention  est  de  la  pousser  ä  la  guerre  contre  la  France. 
Le  seul  principe  que  j'ai  conetamment  soutenu  et  dont  je  ne  saurais  me 
departir  c'est  qu'il  faut  ou  ne  pas  se  meler  des  affaires  de  ce  royaume  ou 
y  aller  avec  vigueur  et  energie,  et  c'est  en  consequence  de  ce  Systeme  que 
je  me  suis  abstenu  d'entrer  dans  des  mesures  simplement  defensives 
qui  ne  peuvent  remplir  le  but  et  qui  sont  entierement  contraires  a  mes 
interets. 

3)  An  Jacobi  25.  April. 

*)  Die  Note  vom  12.  April  in  Rep.  1171.  Bericht  Jacobis  18.  April.  H.E.B. 
212—215. 


19 


70  I-  Abschnitt 

völlig  freie  Hand  für  die  Operationen  bekommen1),  die  ersten 
15  000  Mann  seien  wahrscheinlich  schon  auf  dem  Marsche2). 
Nur  die  Festsetzung  des  Terrnines  für  den  Beginn  der  Operationen 
und  eine  günstige  Erklärung  Rußlands,  die  Preußen  über  Polen 
sichere  und  Rußlands  Teilnahme  am  Konzert  sicherstelle3),  fehle 
noch;  dann  könne  der  Krieg  beginnen.  Ist  das  richtig?  Wir 
müssen  noch  einmal  unsere  Blicke  nach  Wien  lenken,  um  zu 
sehen,  wie  Österreich  sich  zu  den  letzten  Forderungen  Preußens 
stellte,  um  damit  die  Äußerungen  der  preußischen  Minister  und 
Caramans  zu  vergleichen  und  —  namentlich  letztere  —  zu  be- 
richtigen. 

II. 

Schon  am  18.  April  hatte  Spielmann  gegenüber  Jacobi  einen 
drängenden  Brief  von  Reuß  an  ihn  erwähnt.  Nun  erhielt  er  wohl 
gleichzeitig  mit  der  preußischen  Note  vom  20.  ein  zweites  Schreiben, 


1)  Diese  Nachricht  entstammt  dem  Berichte  Jacobis  vom  20.  April 
und  veranlaßte  den  König,  Jacobi  zu  befehlen,  nun  den  Österreichern 
kein  Mißtrauen  mehr  zu  bezeigen  (eigenhändiger  Zusatz  zum  Erlaß  vom 
28.  April.    Rep.  I  169). 

2)  Das  Politische  Journal  wollte  sogar  wissen  (April  l792  S.  371  ff.), 
die  50  000  Mann  hätten  schon  Befehl  erhalten,  sich  in  Bewegung  zu  setzen. 
Es  dementierte  sich  noch  in  demselben  Monat  selbst  (23.  April  Brief  aus 
Berlin),  nur  Mobilmachungsarbeiten  seien  im  Gange,  ein  Marschbefehl  sei 
noch  nicht  ergangen,  und  im  Mai  durch  die  Meldung,  im  Laufe  dieses 
Monats  würden  sich  15  000  Mann  in  Bewegung  setzen. 

3)  Das  sei  für  Preußen  eine  conditio  sine  qua  non,  versichert  Caraman 
nach  den  Äußerungen  Schulenburgs,  mit  dem  zu  sprechen  er  ja  häufig 
genug  Gelegenheit  hatte.  Man  erkennt  hieraus,  daß  der  preußische  Minister 
sich  wohl  hütete,  dem  Franzosen  seine  ganze  Politik  zu  entschleiern.  Eine 
russische  Erklärung  über  Polen  hat  Preußen  zwar  am  13.  März  gefordert 
und  am  4.  Mai  auch  erhalten  (vgl.  unten),  aber  es  wäre  durchaus  irrig, 
die  preußische  Entscheidung  vom  5.  Mai  als  dadurch  bedingt  anzusehen. 
In  den  Berichten  des  Kabinettsministeriums  an  den  König  und  dessen 
Entscheidungen  findet  sich  für  diese  Monate  nicht  die  Spur  eines  Anhaltes 
dafür,  daß  Preußen  in  den  Krieg  gegen  die  französische  Revolution  ein- 
getreten sei,  um  an  einer  neuen  Teilung  Polens  teilnehmen  zu  können. 
Noch  gehen  in  der  preußischen  Politik  die  beiden  Reihen  nebeneinander 
her.  Wir  werden  bald  sehen,  wie  sie  sich  verschlingen  (vgl.  Fersen  II 
244 — 245).  —  An  eine  tatsächliche  Mitwirkung  russischer  Truppen  im 
Kriege  gegen  die  Revolution  hat  aber  Schulenburg  ebensowenig  mehr 
geglaubt  wie  der  englische  Gesandte  in  Berlin,  Morton  Eden,  der  das  Ca- 
raman prophezeite  (Fersen  II  249).  Indes  hielt  e3  Schulenburg  wohl 
für  gut,  den  Glauben  daran  vorzugeben. 


Die  Offensive  von  Preußen  und  Österreich  71 

das  eher  noch  schärfer  war1).  Er  drückte  ihm  sein  Erstaunen 
darüber  aus,  daß  man  in  Berlin  noch  Zweifel,  ja  Mißtrauen  wegen 
des  offensiven  Vorgehens  von  Österreich  hege,  und  ließ  sich  von 
Jacobi  durchaus  nicht  davon  abbringen.  Man  merkt  schon  an 
dem  Eifer  der  Verteidiger,  daß  der  Österreicher  sich  hier  im 
Innersten  getroffen  fühlte2).  Er  mußte  ja  den  Anschein  zu  er- 
wecken suchen,  als  gehe  Österreich  in  preußischem  Sinne  vor, 
und  tat  nun  auch  das  Seinige  dazu.  Denn  auf  seinen  Vorschlag 
wurden  die  beiden  Konferenzen  vom  28.  und  29.  April  abgehalten. 
Sie  sollten  ihm  zugleich  die  Verantwortung  abnehmen  für  den  Ent- 
schluß, in  den  Offensivkrieg  einzutreten  —  nominell  wenigstens. 
Vergegenwärtigen  wir  uns  kurz  ihre  Beschlüsse,  die  noch  vor  dem 
Bekanntwerden  der  französischen  Kriegserklärung  gefaßt  wurden 3). 
Zunächst  sollte  Preußen  das  gewünschte  Verzeichnis  aller  zu 
den  50  000  Mann  gehörenden  Truppenteile  erhalten.  Aber  Reuß 
sollte  dem  Erstaunen  seines  Hofes  Ausdruck  darüber  geben,  daß 
Preußen  noch  keine  Rüstungen  veranstalte,  obwohl  bereits 
10  000    Österreicher  an  Ort  und   Stelle  und   10  000  weitere  in 


x)  Fersen  II  235  und  238.  Nach  Jacobi  (28.  April)  sprach  Spielmann 
nur  von  einem  Berichte  des  Fürsten.    Ich  halte  mich  an  Caraman. 

2)  Einen  dauernden  Erfolg  hatte  Jacobi  beim  ersten  Male  noch  nicht 
feststellen  zu  können  geglaubt.  Am  17.  Abends  hatte  zwar  Spielmann  auf 
sein  Drängen  sich  nach  einigem  Überlegen  dahin  geäußert,  qu'il  croyait 
effectivement  que  desormais  rien  ne  devait  plus  arreter  les  deux  Cours 
a  aller  en  avant  .  .  .  le  projet  de  la  Cour  d'ici  n'etait  pas  de  rester  sur  la 
defensive.  Aber  Jacobi  hielt  das  nicht  für  die  wahre  Meinung,  denn  in 
einem  Brief  an  die  Minister  vom  21.  April  heißt  es:  Je  ne  puis  pas  me  de- 
fendre  de  nourrir  encore  des  doutes  sur  la  ferme  resolution  de  la  Cour 
d'ici  de  suivre  tout  de  bon  un  plan  offensif  contre  la  France;  tout  ce  qu'on 
fait  et  fera  ä  cet  egard  n'est  et  ne  sera  que  pas  deference  pour  la  Prusse 
et  parcequ'on  espere  fortement  que  les  choses  n'en  viendront  pas  ä  l'ex- 
tremite.  II  me  parait  toutefois  qu'on  pourrait  se  tromper  dans  son  calcul. 
Je  ne  l'ecris  pas  ä  la  legere  quand  j'ose  assurer  que  des  personnes  en  place 
ici  et  tres  capables  d'en  juger  regardent  une  guerre  contre  la  France  comme 
le  plus  grand  malheur  qui  puisse  arriver  ä  l'Autriche.  Etwas  abgeschwächt 
finden  wir  diese  Ansicht  auch  in  dem  P.S.  zum  Bericht  vom  21.  April,  wo 
er  noch  besonders  auf  die  Möglichkeit  einer  Vermittlung  von  England 
und  Spanien  hinweist. 

3)  Erst  am  30.  Abends  erfuhr  Jacobi  durch  Spielmann  davon;  ein 
Kurier  aus  Brüssel  hatte  sie  gebracht.  Als  er  am  30.  seinen  Hauptbericht 
schrieb,  wußte  er  nur  allgemein  von  dem  Gerüchte  aus  Brüssel,  am  23.  (!) 
habe  Ludwig  den  Entschluß  zur  Kriegserklärung  in  der  Nationalversamm- 
lung bekannt  gegeben.  (Bericht  30.  April  mit  P.S.  Tatsächlich  war  ja  am 
23.  schon  in  Brüssel  die  Kriegserklärung  bekannt.)  C 1  a  p  h  a  m  201  und 
206—207  und  231—232  und  233—235. 


72  I-  Abschnitt 

vollem  Marsche  seien.  Österreich  könne  und  wolle  nur  genau 
so  viel  und  zu  gleicher  Zeit  tun  wie  Preußen.  Der  Termin  der 
Aktionsbereitschaft  wurde  für  die  ersten  15  000  Mann  auf  Ende 
Juni,  für  die  ganzen  50  000  auf  Ende  Juli  festgesetzt.  Aber  das 
Verlangen  Preußens  sei  doch  sehr  merkwürdig,  da  Österreich  ja 
alle  Vorbereitungen  getroffen  habe  und  seine  Truppen  nun  wohl 
ebenso  schnell  wie  die  preußischen,  die  noch  nicht  einmal  den 
Mobilmachungsbefehl  erhalten  hätten,  an  Ort  und  Stelle  sein 
würden.  Nun  aber  kam  die  Hauptfrage:  Würde  Österreich  auch 
ohne  die  anderen  Mächte  nur  mit  Preußen  einen  Offensivkrieg 
gegen  die  französische  Revolution  beginnen?  Auch  dieser  preu- 
ßische Wunsch  wurde  genehmigt,  aber  weshalb?  Preußen  werde 
sonst  nicht  zur  Realisierung  seiner  Truppenhilfe  zu  vermögen 
sein,  und  für  die  Niederlande  brauche  Österreich  die  preußischen 
Truppen  dringend.  Also  weil  man  sich  verteidigen  will  und  es 
nicht  allein  kann,  stimmt  man  einem  Angriffsplan  zu,  läßt  sich 
aber  doch  ab  und  zu  noch  Äußerungen  entwischen,  die  ein  Fest- 
halten am  alten  Plan  erkennen  lassen,  so  daß  man  auf  die  ge- 
flissentlich zur  Schau  getragene  neue  Absicht  nichts  geben  kann1). 
Jetzt  erging  der  österreichische  Mobilmachungsbefehl2),  aber  von 
ernsthaft  gemeinten  offensiven  Absichten  Österreichs  kann  man, 
glaube  ich,  nicht  sprechen. 

Preußen  hatte  ferner  den  von  dem  Herzog  von  Braunschweig 
angefertigten  Entwurf  zu  einer  Instruktion  für  sich  selbst  ein- 
geschickt mit  dem  Bemerken,  der  Herzog  ziehe  seiner  Tätigkeit 
wohl  zu  enge  Grenzen3). 

Auf  den  Vorschlag  von  Lacy,   der  ja  von  vornherein  gegen 


1)  Bericht  Jacobis  25.  April:  100  000  Mann  Österreicher  und  Preußen 
seien  genug,  pour  en  imposer  ä  l'assemblee  nationale. 

2)  Krieg  gegen  die  Revolution  I  59  und  II  108—109. 

3)  Schulenburg  scheint  Braunschweigs  Verfahren  gebilligt  zu  haben; 
der  König  aber  war  damit  nicht  einverstanden,  hoffte  vielmehr,  Österreich 
werde  die  Machtsphäre  des  Herzogs  erweitern  (Rep.  XI  89  b.  Schulenburg 
an  Braunschweig  17.  und  20.  April,  Friedrich  Wilhelm  an  Braunschweig 
19.  April).  Vgl.  zunächst  Braunschweig  an  Friedrich  Wilhelm  13.  April 
und  Braunschweig  an  Schulenburg  13.  April  und  ein  Memoire  Braun- 
schweigs vom  13.  April,  das  eine  Vorarbeit  zu  der  Instruktion  bildet.  Der 
wichtigste  Artikel  daraus  ist  der  letzte  (5.):  „Würde  Endesunterzeichneter 
in  Absicht  der  österreichischen  Armeen  keine  andere  Verantwortung  über 
sich  nehmen  können  als  mit  dem  Herrn  Grafen  (sie!)  von  Hohenlohe  das- 
selbe alles  aufs  pünktlichste  zu  verabreden  und  sowohl  die  Anlegung  der 
Magazine  nach  Maßgabe  des  zu  verfolgenden  Planes  und  die  General- 
verlegung der   Truppen   als   auch   den   Zeitpunkt  des  Anfangs  der  Ope- 


Die  Offensive  von  Preußen  und  Österreich  73 

den  Oberbefehl  des  Herzogs,  ja  gegen  den  Krieg  überhaupt  ge- 
wesen war,  und  der  jetzt  die  Gelegenheit  ergriff,  das  doch  nicht 
zu  Ändernde  wenigstens  möglichst  unschädlich  zu  machen, 
billigte  Österreich  diese  Instruktion  vollkommen1),  mochte  sich 


rationen  in  Gemäßheit  der  politischen  Verhältnisse  sowohl  als  der  mili- 
tärischen Rücksichten  zu  bestimmen.  Übrigens  würde  jede  der  beiden 
Armeen  während  der  Operationen  die  ihr  sich  darbietenden  Vorteile  für 
sich  zu  benützen  suchen,  jedoch  einander  von  allem  Nachricht  geben 
und  bei  wichtigen  unerwarteten  Vorfällen  alles  sorgfältig  konzertieren." 

Am  16.  April  überschickte  der  Herzog  dem  Könige  den  Entwurf  einer 
Instruktion  für  sich  und  Hohenlohe,  da  ihn  seine  Verantwortlichkeit 
immer  schwerer  zu  drücken  schien  (les  limites  de  ma  responsabilite  ne 
sauraient  etre  assez  clairement  enoncees)  und  die  französischen  Prinzen 
ihm  auch  Sorge  machten,  wovon  ich  unten  noch  des  öfteren  zu  sprechen 
habe.    Ich  teile  hier  nur  die  wichtigsten  Artikel  2  und  3  mit: 

Art.  2.  „Da  wir  nun  beschlossen  haben,  nach  einem  mit  Sr.  Aposto- 
lischen Majestät  verabredeten  Plan  zu  agieren,  welcher  dem  Herrn  Fürsten 
von  Hohenlohe  bereits  bekannt  gemacht  und  dem  N.  N.  (der  Herzog  meint 
sich  selbst!)  nicht  unbekannt  geblieben  ist  (!),  so  werden  beide  Generale 
über  die  Ausführung  solches  Planes  sich  auf  das  Genaueste  zu  konzertieren 
haben  (vgl.  Krieg  gegen  die  Revolution  II  97 — 98).  Und  ob  zwar  das 
Generalkommando  beider  gegen  Frankreich  bestimmter  Armeen  dem 
N.  N.  insoweit  übertragen  ist,  daß  die  Anlegung  der  Magazine  und  die 
detaillierte  Exekution  des  angenommenen  Planes  einmütig  verabredet 
und  zwischen  beiden  Generals  alles  dieserhalb  in  Erwägung  gezogen  und 
bestimmt  worden  —  so  wird  jedoch  dem  Herrn  Fürsten  von  Hohenlohe 
einzig  und  allein  obliegen,  die  Führung  der  Armee  Sr.  Apostolischen  Maje- 
stät zu  übernehmen,  für  deren  Disziplin  einzig  und  allein  zu  sorgen,  auch 
während  des  Laufes  des  Feldzuges  aller  günstigen  Gelegenheiten  sich  zu 
bedienen,  um  den  erwünschten  Zweck  der  Wiederherstellung  der  Ordnung 
und  Ruhe  in  Frankreich  zu  befördern,  jedoch  von  allen  Vorfallenheiten 
den  N.  N.  zu  benachrichtigen,  welches  dieser  gegen  den  Herrn  Fürsten 
von  Hohenlohe  auf  das  Genaueste  zu  erwidern  haben  wird. 

Art.  3.  Sollten  wichtige  Abänderungen  in  dem  Plan  des  Feldzuges 
unentbehrlich  werden,  durch  feindliche  Unternehmungen  oder  andere 
unerwartete  Vorfälle,  so  wird  N.  N.  mit  dem  Herrn  Fürsten  von  Hohenlohe 
über  die  vorzunehmenden  Abänderungen  sich  zu  konzertieren  haben  ..." 

Der  Herzog  hatte  in  den  letzten  Tagen  des  April  mehr  als  je  gehofft, 
das  Gewölk  werde  sich  zerstreuen  und  sein  Kommando  damit  hinfällig 
werden.  Da  kam  die  französische  Kriegserklärung,  und  nichts  konnte  wohl 
kleinmütiger  sein  als  seine  Haltung.  Er  unterwarf  sich  den  Befehlen  des 
Königs,  aber  die  ganze  Welt,  besonders  auch  Österreich,  sollte  wissen,  wie 
eng  die  Grenzen  seiner  Verantwortlichkeit  gezogen  seien  (Braunschweig 
an  Schulenburg  4.  Mai  in  Rep.  XI  89  b  wie  alle  die  vorher  benützten  Akten- 
stücke.    S  c  h  1  i  e  f  f  e  n  II  384  und  562.     An  Jacobi  21.  April). 

1)  P.S.  zum  Bericht  Jacobis  30.  April,  25.  April;  P.S.  zum  2.,  12.  und 
19.  Mai.  Rep.  I  172  Bericht  Bischoffwerders  17.  März.  Krieg  gegen  die 
Revolution  II  96—97.    VivenotII411  und  417.    An  Jacobi  9.  Mai. 


74  !•  Abschnitt 

auch  Spielmann  gegen  Jacobi  sehr  für  das  Oberkommando  des 
Herzogs  aussprechen,  die  Instruktion  an  Hohenlohe  erging  doch 
nach  dem  Muster  der  von  diesem  entworfenen.  Das  veranlaßte 
die  Preußen,  nochmals  kräftig  das  von  dem  Herzog  selbst  bei- 
nahe preisgegebene  Oberkommando  zu  betonen. 

Österreichs  Geldmittel  endlich  waren  in  geradezu  kläglicher 
Verfassung1).  Nicht  einmal  für  die  laufenden  Ausgaben  war 
sicher  gesorgt.  Nach  alledem  kann  ich  an  ernstgemeinte  öster- 
reichische Offensivabsichten  auch  für  diese  Zeit  noch  nicht  glauben. 
Man  gab  den  preußischen  Wünschen  nach,  weil  ohne  das 
Österreich  in  dem  Kriege,  dessen  Ausbruch  nun  doch  mehr  oder 
weniger  nahe  vor  der  Tür  zu  stehen  schien,  trotz  des  gerühmten 
Konzertes  ganz  allein  gewesen  wäre2).  Besonders  für  die  be- 
drohten Niederlande  sollten  die  Preußen  schnell  Hilfe  schaffen. 
Mit  den  dort  zu  Operationen  verfügbaren  35  000  Mann  meinte 
man  aber  doch  die  Verteidigung  absolut  nicht  durchführen  zu 
können.  Die  starke  Desertion  drohte  auch  das  Heer  noch  weiter 
herabzubringen;  schon  hatte  man  ihretwegen  die  Zahl  der  Kom- 
panien herabsetzen  müssen3).  Auch  das  werden  sich  die  Öster- 
reicher wohl  gesagt  haben,  daß  eine  Diversion  der  Verbündeten 
ins  Innere  von  Frankreich  am  besten  Luft  schaffen  konnte;  daß 
Österreich  nicht  zu  viel  tat,  dafür  zu  sorgen,  sollte  ihnen  nicht 
schwer  werden.  Dazu  zog  nun  noch  im  Osten  das  Gewitter  auf. 
Allein  dem  russischen  Ansturm  zu  widerstehen,  ja  ihn  auch  nur 
abzuschwächen  in  seiner  für  Polen  Vernichtung  verheißenden 
Gewalt,  konnte  Österreich  nicht  hoffen.  Preußen  sollte  auch  in 
dieser  Frage  sein  Gefährte  sein.  Wo  aber  sind  nun  die  Interessen 
Europas  an  der  Erhaltung  des  Gleichgewichts  in  Europa,  speziell 
in  der  französischen  Verfassung,  des  Lebens,  der  Freiheit  und 
einer  ausreichenden  Macht  des  französischen  Königspaares? 
Nicht  europäische,  sondern  ganz  eng  begrenzte  österreichische 
Interessen  vertrat  Spielmann,  als  er  versprach,  mit  Preußen  offensiv 
gegen  die  französische  Revolution  vorzugehen4). 

1)  Bericht  Jacobis  14.  April:  .  .  .  Quoi  qu'il  en  soit  je  suis  persuade 
que  si  la  Cour  d'ici  n'est  pas  bien  pressee  ä  pousser  ses  preparatifs  guerriers, 
il  y  a  plus  d'embarras  de  moyens  que  de  mauvaise  volonte.  Vgl.  C  1  a  p  h  a  m 
230—231. 

2 )  S  o  r  e  1 II 469 — 470  für  den  Gegensatz  zwischen  Österreich  und  Preußen. 

3)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  9 — 13.  Zeißberg,  2  Jahre,  72; 
Schlosser  V  348. 

4)  Vgl.  dagegen  z.  B.  Krieg  gegen  die  Revolution  I  59.  Chuquet, 
la  premiere  invasion  prussienne  13 — 14. 


Die  Offensive  von  Preußen  und  Österreich  75 

Gegen  Preußen  aber  schlug  er  natürlich  einen  möglichst  hohen 
Ton  an.  Schon  in  dem  Konferenzprotokoll  sind  die  entsprechen- 
den Fingerzeige  für  den  Erlaß  an  Reuß  gegeben1).  Man  erklärte 
es  ja  beinahe  mit  dürren  Worten  für  eine  Unverschämtheit,  nach 
so  vielen  Versicherungen  noch  an  der  Ehrlichkeit  der  österreichi- 
schen Gesinnung  zu  zweifeln.  Dazu  wurden  nun  alle  preußischen 
Forderungen  genehmigt,  und  wenn  man  sehr  im  Widerspruch  zu 
der  sonstigen  stolzen  Haltung  wieder  und  wieder  um  ein  paar 
tausend  Mann  preußischer  Truppen  bettelte,  so  konnte  Preußen 
ja  ebenso  konsequent  diese  Bitte  ablehnen.  Es  hatte  aber  schlechter- 
dings keinen  Grund  mehr,  nun  noch  länger  mit  dem  Erlaß  der 
Befehle  für  Mobilmachung  und  Marsch  seiner  eigenen  Truppen 
zu  zögern2).  Nach  der  ersten  kurzen  Nachricht  von  den  öster- 
reichischen Beschlüssen  vom  28.  und  29.  April,  die  Jacobi  in 
seinem  Bericht  vom  30.  gab,  und  die  in  der  Nacht  vom  4..  zum 
5.  Mai  in  Berlin  eintraf3),  ergingen,  noch  bevor  man  in  Berlin 
genau  die  österreichischen  Beschlüsse  aus  der  Depesche  an  Reuß 


1)  Vivenot  II  417—418. 

2)  Auch  Jacobi  gab  jetzt,  nachdem  er  genauere  Kenntnis  von  den 
Beschlüssen  der  Konferenzen  (nicht  von  deren  Begründung) 
durch  die  Depesche  an  Reuß  vom  2.  Mai  Kenntnis  erhalten  hatte,  seine 
vorsichtige  Haltung  ziemlich  preis  mit  der  Bemerkung,  Österreich  scheine 
jetzt  tatsächlich  offensiv  mit  Preußen  vorgehen  zu  wollen.  Bei  dem  be- 
kannten Übelwollen  Jacobis  gegen  Österreich  konnte  Friedrich  Wilhelm 
das  für  eine  Bestätigung  seiner  Ansicht  halten;  aber  die  Entscheidung 
wurde  dadurch  nicht  mehr  beeinflußt,  sie  war  schon  gefallen  (Rep.  I  169 
Bericht  2.  Mai.    Rep.  96,  155  D  Immediatbericht  4.  Mai). 

3)  Der  Bericht  Jacobis  trägt  den  Präsentationsvermerk:  5.  Mai  92, 
vgl.  an  Goltz  in  Petersburg  5.  Mai  P.S.  (Rep.  XI  Rußland  133  A).  F  e  u  i  1- 
letVI31;FersenII  259.  Rep.  I  169  an  Jacobi  5.  Mai :  Je  recois  dans 
ce  moment  votre  depeche  du  30  d'avril  au  depart  de  laquelle  je  vois  qu'on 
venait  d'etre  informe  de  la  declaration  de  guerre  de  la  France.  Je  ne  doute  pas 
que  le  courrier  qu'on  allait  expedier  au  Prince  Reuss  m'arrivera  incessamment 
et  qu'il  m'apporte  toutes  les  Communications  qu'on  vous  a  promises.  En 
attendant  convaincu  comme  je  le  suis  intimement  des  dispositions  ener- 
giques  de  S.  M.  Apostolique  et  de  l'acceleration  des  mesures  qu'Elle  va 
prendre,  je  vais  donner  sans  delai  ä  mes  troupes  les  derniers  ordres  pour 
s' armer  et  se  mettre  en  mouvement.  Je  n'en  desire  pas  moins  cependant 
de  recevoir  le  plus  tot  possible  l'indication  du  terme  de  l'arrivee  des  troupes 
autrichiennes  et  pour  cet  effet  leur  March-Route,  teile  que  vous 
l'avez  propose  au  Cte  de  Cobenzl  afin  de  regier  en  consequence  la  marche 
des  miennes.  Je  serai  charme  aussi  de  connaitre  l'instruction  dont  sera 
muni  le  Prince  de  Hohenlohe  ainsi  que  les  changements  qu'on  pourrait 
avoir  juge  ä  propos  de  faire  ä  celle  du  Duc  de  Brunsvick  et  je  crois  pouvoir 
me  livrer  ä  l'esperance  la  mieux  fondee  qu'au  moyen  de  cet  accord  parfait 


76  I.  Abschnitt 

kannte1),  nach  allen  Richtungen  die  lange  genug  vorbereiteten 
Befehle.  Denn  nur  die  Haltung  Österreichs  hat  den  Eintritt 
a  Preußens  in  den  Kampf  gegen  die  französische  Revolution  be- 
stimmt, nicht  die  französische  Kriegserklärung  oder  der  Angriff 
auf  die  Niederlande  oder  Rücksichten  auf  Erwerbungen  in  Polen 
(vgl.  oben)  oder  allgemeineuropäische  Interessen.  Prüfen  wir 
nacheinander  diese  verschiedenen  Möglichkeiten. 


III. 

Bereits  am  29.  April  war  in  Berlin  die  französische  Kriegs- 
erklärung bekannt2).  Nun  sagte  zwar  am  1.  Mai  Schulenburg 
zu  Custine,  Preußens  Eintritt  in  den  Krieg  sei  sicher3);  Friedrich 
Wilhelm  sagte  am  28.  April,  früh  5  Uhr,  zu  dem  jungen  Bouille, 
er  warte  nur  auf  die  Kriegserklärung  (gegen  Österreich?),  um 
mit  50  000  Mann  zu  handeln4).  Der  englische  Gesandte  in  Berlin 
erhielt  Mitteilung  von  dem  österreichisch-preußischen  Plane,  je 
50  000  Mann  an  die  französische  Grenze  zu  werfen5).  Das  ist 
alles  ganz  richtig,  weil  man  jetzt  in  Berlin  in  der  Tat  allen  Anlaß 
hatte,  ein  weiteres  Zögern  Österreichs  für  ausgeschlossen  zu 
halten.  Warum  wartete  aber  Preußen  mit  den  Befehlen  an  seine 
Truppen  und  seine  Gesandten  noch  ein  paar  Tage,  die  es  doch 
so  gern  gewonnen  hätte,  wenn  die  französische  Kriegserklärung 


de  nos  demarches  le  succes  repondra  conipletement  ä  leur  promptitude 
et  ä  leur  energie. 

Berlin  le  5.  Mai  1792. 

ad.  mand.  Finckenstein.  Schulenburg.  Alvensleben. 

Das  in  dem  letzten  Satz  enthaltene  Urteil  kann  man  nur  unterschreiben. 

1)  Den  Österreichern  wurde  das  wieder  als  besonderer  Vertrauens- 
beweis seitens  Preußen  angeschrieben  (an  Jacobi  7.  Mai). 

2)  Die  Minister  an  Jacobi  29.  April.  Rep.  1 171:  Reuß  an  Schnlenburg 
29.  u.  30.  April.  F  e  r  s  e  n  II  253 — 254.  Die  Meldung  durch  Metternich  vom 
23.  aus  Brüssel  kam  einen  Tag  darauf  am  30.  an.  Allerdings  hatte  man 
am  29.  nur  den  Bericht  von  Goltz,  der  den  Vorschlag  der  Kriegs- 
erklärung in  der  Nationalversammlung  meldete,  aber  das  Ministerium  hielt 
dessen  Annahme  für  absolut  sicher  (Die  Minister  an  Jacobi  29.  April.  Rep.  I 
169).     Zeißberg,  2  Jahre,  49. 

3)  Sorel  II  446;  Clapham  200. 

4)  Souvenirs  de  Bouille  I  476,  dazu  Vie  privee  du  Prince 
Henri  de  Prasse  291  und  294  (nach  Vo  1  z  in  F.B.P.G.  XIX  424—425  der- 
selbe Verfasser):  Die  Verträge  zwangen  Friedrich  Wilhelm  zum  Ein- 
greifen; Essai  sur  Bouille  par  Rene  de  Bouille  399 — 400  desgleichen. 

5)  Pallain,  Talleyrand  a  Londres  XXI— XXII.  H.E.B.  216—217. 


Die  Offensive  von  Preußen  und  Österreich  77 

wirklich  diese  Bedeutung  für  seinen  Entschluß  gehabt  hätte?1) 
Außerdem,  sie  richtete  sich  nicht  gegen  Preußen,  nicht  gegen  das 
Reich,  nur  gegen  den  König  von  Ungarn  und  Böhmen.  Was  ging 
Preußen  der  Krieg  dieser  Mächte  an?  so  fragte  oft  genug  noch 
der  preußische  Gesandte  in  Paris,  Baron  Goltz. 

Nun  war  ja  Preußen  mit  Österreich  im  Bunde  und  bei  einem 
Angriff  zur  Stellung  von  20  000  Mann  verpflichtet.  Auch  dieser 
Grund  mag  Schulenburg  zu  der  erwähnten  Äußerung  an  Custine 
bestimmt  haben2).  Aber  kein  Diplomat  in  Berlin  scheint  in 
den  Tagen  vom  29.  April  bis  zum  5.  Mai  ernstlich  hieran  gedacht 
zu  haben3).  Schon  am  12.  April  war  Reuß  mit  einer  derartigen 
Anfrage  scharf  abgewiesen  worden.  Von  hier  rückwärts  schauend 
wird  man  diese  Tatsache  als  wertvolle  Bestätigung  für  die  Auf- 
fassung des  Bundes  vom  7.  Februar  annehmen,  die  den  Schwer- 
punkt nicht  in  die  Sicherung  des  Besitzstandes  von  Preußen, 
sondern  in  die  offensiven  Absichten  zu  dessen  Erweiterung  legt. 
Preußen  stützte  sich  bei  den  folgenden  Verhandlungen  aber  stets 
auf  die  Abmachungen,  die  die  Basis  für  das  europäische  Konzert 
bilden  sollten. 

Man  könnte  ja  aber  den  preußisch-österreichischen  Vertrag 
dahin  interpretieren,  daß  der  casus  foederis  noch  nicht  mit  der 
Kriegserklärung  gegeben  sei,  sondern  erst  mit  dem  Angriff  selbst. 
An  Beispielen  in  der  Geschichte  fehlte  es  ja  nicht  für  die  Tat- 
sache, daß  ein  geschickter  Diplomat,  der  den  Krieg  will,  seinen 
Gegner  zwingt,  ihn  selbst  zu  erklären  und  sich  damit  vor  der 
Welt  ins  Unrecht  zu  setzen.  Was  dann,  wenn  nun  die  Franzosen 
nicht  angegriffen  hätten?4)      Hierfür  genügt  aber  eine  einzige 

1)  Rep.  XI  89  b  Schulenburg  an  Braunschweig  1.  Mai  92:  S.  M.  ne 
nous  a  point  encore  fait  connaitre  les  resolutions  qu'Elle  prendra  sur  cet  in- 
cident  (Kriegserklärung),  mais  je  juge  de  ce  silence  que  le  Roi  attend  l'in- 
dication  demandee  ä  Vienne  du  terme  precis  oü  les  troupes  autrichiennes 
seront  rendues  ä  leur  destination  et  en  etat  de  commencer  les  Operations 
pour  continuer  l'armement  effectif  et  Parrivee  de  V.  A.  S.  pour  determiner 
le  jour  de  la  marche  des  Siennes.  Fersen  II  254  und  270.  An  Jacobi 
30.  April. 

2)  Besonders  Ranke  (S.  173 — 174)  vertritt  die  Ansicht,  der  casus 
foederis  sei  für  Preußen  entscheidend  gewesen.  Vgl.  H  ü  f  f  e  r  in  der 
Deutschen  Revue  1883  Bd.  I  S.  238,  S  o  r  e  1  II  446. 

3)  Über  die   Stellung  von  Haugwitz  vgl.  oben. 

4)  So  schreibt  ja  das  Kabinettsministerium  an  Goltz  nach  Paris  am 
7.  Mai:  Les  Francais  ayant  ainsi  formellement  commence  les  hostilites,  je 
viens  de  donner  mes  derniers  ordres  pour  rarmement  et  la  marche  de  l'armee 
de  cinquante  mille  hommes. 


78  I.  Abschnitt 

Feststellung.  Die  Nachricht  von  dem  Einfall  der  Franzosen  in 
die  Niederlande  kam  erst  am  5.  Mai  Abends  in  Berlin  an1).  Auch 
diese  Möglichkeit  ist  uns  also  versperrt,  und  wir  dürfen  dazu- 
setzen,  daß  auch  in  den  Tagen  nach  dem  5.  Mai  an  den  entscheiden- 
den Stellen  von  dem  casus  foederis  als  von  einer  Veranlassung 
für  Preußen,  in  den  Krieg  einzutreten,  keine  Rede  war.  Eine  Tat- 
sache scheint  dem  zu  widersprechen.  Ranke2)  hat  sich  auf  einen 
Erlaß  des  preußischen  Ministeriums  nach  Paris  berufen,  in  dem 
der  Angriff  tatsächlich  als  Kriegsgrund  angeführt  worden  ist. 
Aber  man  wird  wohl  sagen  müssen,  daß  er  seine  Quelle  damit 
unglücklich  gewählt  hat.  Dieser  Erlaß  ist  vom  7.  Mai,  vielleicht 
erst  am  8.  vom  König  unterzeichnet  worden.  An  diesem  Tage 
hatte  jedenfalls  die  Hof  Staatskasse  schon  Anweisung,  an  Goltz 
tausend  Dukaten  zur  Bezahlung  seiner  dringendsten  Schulden 
auszuzahlen3).  Am  7.  Mai  hatte  man  in  Berlin  aber  auch  schon 
genaue  Nachricht  von  den  Beschlüssen  der  beiden  österreichischen 
Konferenzen,  da  Reuß  den  Erlaß  von  Kaunitz  mitgeteilt  hatte4). 
Jeder  Zweifel  schien  behoben  zu  sein.  Wenn  dieser  Grund  in  dem 
Erlaß  an  Goltz  überhaupt  nicht  erscheint,  wohl  aber  ein  anderer 
dafür  eingesetzt  ist,  so  kann  das  nur  den  Grund  haben,  daß 
das  Ministerium  den  ersten  an  Goltz  nicht  mitteilen  konnte  oder 
wollte.  Er  wußte  ja  von  all  diesen  geheimen  Verhandlungen 
mit  Österreich  nichts,  und  das  Ministerium,  das  mit  ihm  auf 
Kriegsfuß  stand  und  ihm  beinahe  in  jedem  Erlaß  einen  Rüffel 
erteilte,  griff  daher  den  willkommenen  Vorwand  auf,  ähnlich  wie 
später  in  dem  preußischen  Kriegsmanifest,  eine  ganz  geringfügige 


1)  Fersen II 259.  Rep.  XI  89b  Schulenburg  an  Braunschweig  6.  Mai, 
wo  Schulenburg  erfreut  ausdrücklich  dazu  bemerkt,  heute  hätten  die 
preußischen  Truppen  schon  den  Befehl,  sich  in  Marsch  zu  setzen. 

2)  Ranke  174—175  und  177. 

3)  Goltz  hatte  am  20.  April  Abends,  noch  bevor  er  die  Tatsache  der 
Kriegserklärung  melden  konnte,  darum  gebeten,  da  der  Fall  einer  plötz- 
lichen Abreise  ja  leicht  eintreten  könne.  Der  König  genehmigte  auf  einen 
ministeriellen  Bericht  hin  die  Bitte,  aber  mit  dem  Zusätze,  das  Geld  erst 
zugleich  mit  dem  Abberufungsschreiben  zu  schicken  (il  ne  faudra  lui 
envoyer  cette  somme  qu'avec  la  lettre  de  rappel  et  pas  autrement).  Er 
kannte  seine  Leute.  Im  Winter  hatte  er  dann  doch  noch  eine  große  Menge 
Schulden  von  Goltz  zu  bezahlen  (Rep.  96,  147  G.  I.  F.  S.  A.  Au  Roi  mit  Kgl. 
Entscheidung  30,  IV).     L  e  s  c  u  r  e,  Corr.  secrete  II  596. 

4)  Rep.  I  169  Bericht  Jacobis  2.  Mai.  Rep.  I  171  Auszug  aus  einer  De- 
pesche von  Kaunitz  an  Reuß  vom  2.  Mai,  der  am  7.  Mai  von  Schulenburg 
mit  Bemerkungen  versehen  worden  ist,  dazu  andere  am  7.  Mai  präsentierte 
Schriftstücke  aus  Wien.    Fersen  II  270. 


Die  Offensive  von  Preußen  und  Österreich  79 

Verletzung  des  Gebietes  des  Baseler  Fürstbischofs,  das  ja  immer 
noch  trotz  der  Lostrennung  der  Stadt  zum  Keich  gehörte,  einen 
erwünschten,  aber  sonst  vergeblich  gesuchten  Vorwand  bot,  um 
Preußens  Angriff  auf  Frankreich  als  Reichsverteidigung  zu  be- 
zeichnen. Auch  die  Abberufung  von  Goltz  ist  also  keine  Folge 
der  französischen  Kriegserklärung  an  sich1). 

Wie  steht  es  endlich  mit  den  Rücksichten  auf  Europa  und 
auf  den  inneren  Zustand  von  Frankreich,  insbesondere  auf  die 
königliche  Machtstellung?2)  Jeder  führte  diese  Schlagworte  da- 
mals im  Munde,  und  oft  genug  wird  deshalb  auch  noch  in  neueren 
Geschichtswerken  von  einem  Kreuzzuge  der  Könige  gegen  die 
Revolution  gesprochen.    Man  macht  sich  damit  eine  Anschauung 


1)  Rep.  96,  147  G.  I  und  II,  F.  S.A.  Au  Roi  30.  April  u.  7.  Mai.  Rep.  I 
169  an  Jacobi  7.  Mai.  Goltz  freilich  war  mit  dieser  Haltung  seines  Hofes 
durchaus  nicht  zufrieden.  Die  Franzosen  hatten  den  Krieg  ja  nur  an  Franz 
erklärt  und  suchten  sich  geflissentlich  mit  Preußen  auf  guten  Fuß  zu  stellen. 
Es  wiederholt  sich  hier  die  Erscheinung,  die  wir  noch  besser  bei  dem  Fürsten 
Reuß  beobachten  können,  daß  ein  Gesandter  seine  Ansichten  leicht  denen 
des  Hofes  annähert,  an  dem  er  weilt  (Bacourt-Städtler  III  349, 
Berichte  von  Goltz  20.  u.  28.  April,  11.  Mai  in  Rep.  XI  89).  Am  liebsten 
wäre  er  in  Paris  geblieben.  Unter  diesen  Verhältnissen  wollte  er  aber 
wenigstens  eine  Verlängerung  seines  Aufenthaltes  in  Brüssel  durchsetzen, 
wohin  zunächst  zu  gehen  er  Weisung  erhielt.  Selbst  darum  zu  bitten, 
scheute  er  sich  offenbar  (es  liegen  mir  leider  nur  seine  offiziellen  Depeschen 
vor),  aber  er  verstand  es  auch  ohne  das,  seinen  Wunsch  dem  Ministerium 
nahezubringen.  Mercy  und  Metternich,  ja  sogar  die  Statthalter  in  selbst 
behandelten  ihn  mit  größter  Auszeichnung  und  wünschten,  ihn  dort  zu 
behalten,  so  berichtet  er  mehrfach.  Sein  stiller  Gedanke  war  wohl,  ähnlich 
wie  bei  Mercy,  von  Brüssel  aus  bald  wieder  mit  Frankreich  anknüpfen 
zu  können  (Bericht  vom  7.  u.  11.  Juni),  ganz  im  Sinne  Dumouriez',  wenn 
Goltz  wohl  auch  mehr  an  die  Feuillants  gedacht  hat.  Das  Ministerium 
machte  ihm  aber  rasch  durch  diese  Rechnung  einen  gewaltigen  Strich  mit 
dem  kurzen  Bescheid  vom  3.  Juni,  er  werde  vom  1.  August  ab  pensioniert 
und  habe  sich  sofort  nach  Berlin  zu  begeben.  Der  Anlaß,  einen  unbe- 
quem gewordenen  Vertreter,  der  beständig  an  einer  früheren  Richtung  der 
preußischen  Politik  festhielt,  beiseite  zu  schieben,  war  ja  auch  zu  günstig. 
Und  wenn  es  zur  Wiederanknüpfung  politischer  Beziehungen  mit  Frankreich 
kam,  so  dachte  man  in  Berlin  wohl  an  jeden  anderen  eher  als  an  Goltz, 
den  schon  seine  Vergangenheit  bei  dem  französischen  Königspaar  kom- 
promittiert, d.  h.  unbrauchbar  gemacht  hatte.  Friedrich  Wilhelm  hatte 
auch  schon  für  Goltz  einen  Nachfolger  ausgesucht:  Lucchesini  war  der 
Glückliche,  dem  der  Boden  in  Warschau  unter  den  Füßen  zu  heiß  zu  werden 
begann.  Am  29.  Juli  erhielt  er  den  Befehl,  sich  zur  Armee  zu  begeben, 
um  zur  Hand  zu  sein,  wenn  man  ihn  brauchen  sollte.  Die  Zeit  bis  dahin 
schien  nur  noch  nach  Wochen  zu  zählen. 

2)  Vgl.  z.  B.  Ranke  172. 


80  !•  Abschnitt 

zu  eigen,  die  namentlich  in  dem  späteren  Verlauf  des  Krieges 
den  französischen  Revolutionären  geläufig  war1).  Allerdings  gibt 
schon  die  Tatsache  zum  Nachdenken  Anlaß,  daß  die  Politik  der 
Mächte  sich  mit  dieser  Annahme  durchaus  nicht  vereinbaren 
lassen  will.  Man  hat  daher  zu  der  Aushilfe  gegriffen,  den  Kreuz- 
zug gegen  den  Jakobinismus  sich  allmählich  in  einen  Krieg  der 
Interessen  und  der  Eroberungssucht  umwandeln  zu  lassen2),  wie 
mir  scheint,  mit  ebenso  geringem  Recht.  Ja,  ich  möchte  eher 
umgekehrt  sagen,  daß  sich  der  Beutezug  vom  August  ab  infolge 
der  Suspension  des  Königs,  infolge  seiner  Absetzung  und  der 
Erklärung  der  Republik  in  eine  Art  Rachezug  zu  verwandeln 
schien3).  Gestehen  wir  es  uns  ruhig  ein:  Mehr  als  Worte  waren 
es  auch  kaum,  womit  die  Mächte  ihre  eigenen  Interessen,  die 
untereinander  so  vielfache  Abweichungen  aufwiesen,  zu  allgemein 
europäischen  zu  stempeln  suchten.  Die  sogenannte  Ansteckungs- 
gefahr bestand  damals  nach  der  Ansicht  der  preußischen  Staats- 
männer für  Preußen  sicher  noch  nicht4).     Custine  urteilte  nur 


1)  A.  C  h  u  q  u  e  t,  la  retraite  de  Brunswick  (zitiert  als  Ch.  R.)  p.  151. 

2)  Man  so,  1229—230;  SchlosserV  311—313,  322,  327,  329; 
H  äußer  I  349,  398  und  430^31;  Sybel  II  194;  Sorel  I  1—3, 
180—181,  II  240,  370—378,  414,  443,  494,  559,  565,  III 130—131,  317—318; 
C  h  u  q  u  e  t,  la  premiere  invasion  prussienne  (zitiert  Ch.  J.  P. )  130:  H  e  i  g  e  1 
II  16—17  und  49;  Prutz  Preußische  Geschichte  Bd.  III  (1901)  302; 
Koscr  in  Deutsche  Monatsschrift  für  das  gesamte  Leben  der  Gegen- 
wart. Herausgegeben  von  Otto  Hötzsch  6.  Jahrg.  (Januar  1907)  S.  477  ff. 
Ch.  R.  263. 

3)  Rep.  89  h  Reck  an  Schulenburg  15.  August,  Schulenburg  an  Reck 
22.  August:  Votre  nouvelle  des  Jacobins  (die  Jakobiner  hatten  angeblich 
drei  Millionen  gezeichnet,  um  die  Monarchen  aller  Länder  ermorden  zu 
lassen)  fait  frernir.  Si  eile  se  realisait,  il  faudrait  precher  une  croisade  pour 
exterminer  cette  abominable  race  de  scelerats  jusqu'au  dernier  de  ses 
suppots.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  Bd.  III  Memoire  (Lucchesinis, 
vom  27.  September  vermutlich):  Que  les  puissances  de  la  terre  ne  s'y  trom- 
pent  pas.  La  revolution  francaise  ne  porte  aucun  des  caracteres  des  autres 
revolutions;  c'est  l'ouvrage  de  la  sceleratesse,  c'est  Fapologie  des  plus  de- 
testables  maximes  et  crimes,  et  non  Contents  d'avoir  tout  detruit  chez 
eux,  ils  ont  jure  d'en  faire  de  meme  au  dehors.  Ils  ont  anime  la  multitude 
qui  n'a  rien  ä  perdre  contre  le  moins  nombreux  proprietaire ;  ils  ont  egare 
la  raison  et  gangrene  les  coeurs  par  les  appas  les  plus  dangereux  pour  le 
peuple,  et  si  on  ne  parvient  ä  remettre  cette  nation  sous  le  joug  de  la  loi 
divine,  morale  et  civile,  toute  l'Europe  est  perdue.  Que  personne  ne  se 
flatte  de  sa  force,  aucun  n'y  6chappera,  les  uns  plus  tot,  les  autres  plus 
tard,  mais  au  moins  de  dix  ans  tout  est  suborne. 

4)  Gab  es  doch  sogar  eine  starke  Partei  in  Preußen,  die  den  Krieg 
gegen   die   Revolution   scharf   verurteilte,    eine    bewaffnete   Vermittlung 


Die  Offensive  von  Preußen  und  Österreich  81 

nach  den  offiziellen  Unterredungen  mit  den  preußischen  Ministern, 
wo  natürlich  dieser  Punkt  geflissentlich  betont  wurde,  oder  nach 
allgemeinen  Gerüchten1).  Frankreich  erschien  noch  nicht  als  der 
Vulkan,  der  das  Bestehen  seiner  Kachbarstaaten  und  ihrer  Dy- 
nastien bedroht,  wie  es  nach  den  Pariser  Ereignissen  vom  August 
und  September  und  dem  Rückzug  der  Preußen  mit  gutem  Grunde 
der  Fall  war2)  —  dazu  fehlte  vorläufig  schon  die  Ordnung  der 
vorhandenen  Kräfte.  Nur  wenigen  genialen  Staatsmännern  wie 
Mirabeau  war  es  beschieden,  die  revolutionäre  K  r  a  f  t  zu  ahnen, 


Englands  wünschte  (Vie  privee  du  prince  Henri  295),  die  die  preußische 
Regierung  so  sehr  fürchtete,  und  sich  mit  ihrem  Protest  an  die  Öffent- 
lichkeit wagte,  sachlich  im  Einverständnis  mit  Dumouriez,  daß  Preußen 
und  Frankreich  sich  gegen  Österreich  verbünden  müßten,  statt  daß  Preußen 
gegen  Frankreich  zu  Felde  ziehe.  An  der  Spitze  dieser  Partei  stand  Prinz 
Heinrich,  der  Oheim  des  Königs,  dessen  Intriguen  man  in  Berlin  weniger 
als  an  anderen  Höfen  fürchtete  (Vivenot  II  461;  Krauel,  Prinz 
Heinrich  von  Preußen  als  Politiker  55  ff. ;  Sbornik  XXIII  569—575; 
Vie  privee  du  Prince  Henri  291  ff. ;  H  ä  u  ß  e  r  I  349;  S  y  b  e  1 II  194—195; 
Ch.J.P.  130—132;  Souvenirs  de  Bouille  I  485  ff.;  M  a  s  s  e  n  b  a  c  h, 
Historische  Denkwürdigkeiten  5  ff.;  Derselbe,  Memoiren  I  21  ff.  und 
332  ff.  [vgl.  dazu  Rep.  XI  89  Brief  von  Taxeira-Gorani] ;  Dampmartin, 
Quelques  traits  de  la  vie  privee  de  Frederic  Guillaume  II  60 — 61,  87,  96), 
den  dazu  verletzte  Eitelkeit,  aber  auch  die  ehrliche  Überzeugung  veran- 
laßte,  er  sei  der  Mann,  Preußen  aus  dieser  gefährlichen  Lage  zu  retten, 
und  nur  allzu  gern  träumte  er  sieb  in  diesen  Gedanken  nach  dem  Scheitern 
der  Unternehmung  immer  mehr  hinein  (Memoires  du  duc  des  Cars  DI  224 
und  281),  Da  er  den  Krieg  verhindern  wollte,  so  stellte  er  jetzt  den  Krieg 
als  noch  gefährlicher  dar,  als  er  selbst  wohl  glaubte  (Souvenirs  de  Bouille 
I  466).  Er  hatte  seine  Versuche  zur  Erhaltung  des  Friedens  bezw.  zu  seiner 
Herbeiführung  so  oft  und  so  deutlich  gemacht,  daß  er  im  Winter  1791/92 
angeblich  beinahe  nach  Spandau  gekommen  wäre  (Sbornik  XXIII 
573 — 574).  Custine,  Bouffiers  waren  bei  ihm  in  Rheinsberg  gern  gesehene 
Gäste,  und  der  junge  Bouille  stand  mit  seinen  antirevolutionären  An- 
sichten völlig  isoliert  da;  man  ließ  ihn  reden,  hörte  aber  nicht  auf  ihn 
(Souvenirs  de  Bouille  I  352,  466 — 474;  Fornero n,  Histoire  des  Eini- 
ges I  369.  Vie  privee  289  ff.  Rep.  96,  147  G.  II,  S.  AuRoi  17.  Juni,  Breteuil 
an  Schulenburg  11.  Juni).  Tatsächlich  war  der  Unterschied  zwischen 
der  offiziellen  Politik  und  der  eben  gekennzeichneten  Parteiansicht  ja  viel 
geringer.  Nur  weil  die  wirklichen  preußischen  Pläne  nicht  bekannt  waren, 
eiferte  man  so  stark  gegen  diesen  Kreuzzug,  der  scheinbar  nur  den  Öster- 
reichern Vorteil,  immer  aber  den  Preußen  Schaden  bringen  werde. 

1)  S  o  r  e  1  II  366—367,  442  und  443—446;  H  e  i  g  e  1  II  14;  C  a  r  i- 
sien  91  und  122;  Clapham  171—172,  185—186,  200—203  (nicht 
einheitlich);  Taine,  les  origines  de  la  France  contemporaine  III  136. 
Man  erkennt  deutlich  die  Verlegenheit  Schulenburgs,  der  eben  keinen  an- 
deren Grund  findet,  um  Preußens  Vorgehen  zu  rechtfertigen. 

2)  Heigel  II  43. 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution  6 


82  I-  Abschnitt 

wo  alle  Welt  nur  Anarchie  sah1).  Nein,  es  schien  ein  großer  leerer 
Fleck  auf  der  Karte  von  Europa  zu  sein2),  als  ein  Chaos,  das 
durch  das  Fehlen  einer  starken  Zentralgewalt  Anlaß  zu  Unruhen 
gab,  denen  man  durch  die  Wiederherstellung  der  Ordnung  den 
Boden  entziehen  wollte3).  Den  Diplomaten  des  ancien  regime 
war  die  Anschauung  durchaus  geläufig,  daß  eine  Revolution  stets 
die  Kraft  eines  Staates  lahmlege,  daß  dieser  Zustand  durch  die 
Einführung  einer  demokratischen  Verfassung  verewigt  werde, 
wofür  England  und  die  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  als 
Beispiele  zu  dienen  pflegten,  und  daß  eine  Revolution  den  Nach- 
barmächten die  beste  Gelegenheit  gebe,  sich  einzumengen  und 
im  trüben  zu  fischen4).  So  galt  damals  Frankreich  für  ein  zweites 
Polens). 

Nun  hielt  Preußen  das  Konzert  der  Mächte  für  unausführ- 
bar6). Man  war  sich  in  Berlin  durchaus  darüber  klar,  daß  Öster- 
reich und  Preußen  allein  den  Krieg  würden  führen  müssen7),  daß 
also  von  der  Gemeinsamkeit  der  europäischen  Interessen  keine 
Rede  war.  Sollte  aber  nun  die  Herstellung  der  alten  königlichen 
Macht  oder  gar  einer  stärkeren,  als  sie  bisher  dort  bestanden 
hatte,  das  Hauptziel  sein?  Sicher  nicht.  Friedrich  Wilhelm 
erklärte  jetzt  mehrfach8),  er  habe  an  dem  französischen  Königs- 


*)  Sorel  II  42-AZ. 

2)  Sorel  II  28;  Laf  ayette  III  264. 

3)  Dumouriez,  Memoires  II  179;  Carisien  99. 
*)  Sorel  I  15—16,  55,  331,  343—349;  II  21  ff. 

6)  ib.  II  409^10. 

6)  Schulenburg  an  Braunach weig  17.  April  (Rep.  XI  89  b):  il  me 
parait  plus  qu'invraisemblable  que  jamais  ce  concert  prendra  une 
Constitution  solide  ä  moins  d'une  attaque  de  la  part  des  Francais. 
Damals  wollte  Schulenburg  den  Angriff  für  wahrscheinlich  halten  nach 
Meldungen  aus  Paris,  Brüssel,  Wien  und  Turin. 

7)  An  Jacobi  30.  April. 

8)  Anfangs  stand  er  auch  auf  einem  anderen  Standpunkte,  etwa  auf 
dem  Georgs  III.  von  England,  der  zwar  Ludwig  XVI.  bedauerte,  sich  aber 
über  den  Fall  der  französischen  Monarchie  freute  und  immer  nur  die  In- 
teressen seines  Landes,  nicht  aber  seine  Gefühle  für  die  Politik  in  Rechnung 
zog.  Friedrich  Wilhelm  war  nur  dann  Legitimist,  -wenn  er  sich  davon 
einen  politischen  Erfolg  versprach  (daß  er  sich  in  seinen  Erwartungen 
täuschte,  ist  davon  ganz  unabhängig).  Eine  Trennung  zwischen  seinen 
Ansichten  und  denen  seiner  Minister  halte  ich  nach  allem  für  unzutreffend; 
die  bisherige  Überschätzung  des  Einflusses  von  Rosenkreuzern  und  II- 
luminaten,  seinen  Günstlingen,  auf  ihn  scheint  mir  ganz  dementsprechend 
einer  starken  Einschränkung  zu  bedürfen;  vgl.  auch  Carisien  124; 
S  o  r  e  1  in  R.  d.  d.  m.  Bd.  55  (1883)  S.  300—301  [ein  Aufsatz,  den  er  an- 


Die  Offensive  von  Preußen  und  Österreich  83 

paar  nur  ein  persönliches  Interesse,  und  dies  war  nicht  so  stark, 
daß  es  ihn  in  einen  Krieg  hineingezogen  hätte,  der  ihm  nichts 
einbrachte.  Das  Gefühl,  die  europäischen  Dynastien  bildeten 
eine  einzige  große  Familie,  bei  der  eine  Schädigung  eines  Gliedes 
auch  zugleich  alle  anderen  treffe  und  gemeinsam  bestraft  werden 
müsse,  mochte  sich  zwar  bei  derartigen  Anlässen  wie  der  Hin- 
richtung Ludwigs  XVI.  zeigen,  wo  die  preußischen  Minister  nicht 
erst  die  offizielle  Nachricht  abwarteten,  sondern  sofort  die  Königin 
veranlaßten,  den  Befehl  für  die  vierwöchentliche  Hoftrauer  zu 
erlassen,  wie  sie  beim  Tode  gekrönter  Häupter  üblich  war;  aber 
bis  dies  Gemeingefühl  politisch  wirksam  wurde,  dazu  war  doch 
noch  ein  weiter  Weg.  Nun  erwartete  man  zwar  in  Preußen,  nach 
der  raschen  Herstellung  geordneter  Zustände  in  Frankreich,  an 
der  man  nicht  zweifelte,  werde  sich  das  mit  preußischer  Hilfe 
restaurierte  Königtum  nicht  so  ausschließlich  mit  Österreich  ver- 
bünden wie  bisher  unter  dem  Einfluß  von  Marie  Antoinette1 ), 
so  daß  Preußen  hier  einen  Freund  gewonnen  oder  mindestens 
einen  Feind  weniger  hätte,  wobei  ihm  auch  noch  zu  statten 
kommen  mußte,  daß  es,  wenn  sein  Plan  gelang,  nichts  von  den 
französischerseits  abzutretenden  Gebietsteilen  einheimsen  sollte, 
wohl  aber  Österreich2).  Man  wird  die  preußische  Begründung 
für  diese  Ansicht  nicht  einfach  ablehnen  dürfen.  Es  dachte  eben- 
sowenig wie  Österreich  an  eine  Abschaffung  der  Verfassung,  nur 
das  französische  Königspaar  und  die  Emigranten  verfolgten  noch 
dies  Ziel  mit  verschiedenen  positiven  Ersatzplänen.  Preußen 
wollte  nur  die  notwendigsten  Verbesserungen  an  ihr  vorgenommen 
wissen,  um  sie  überhaupt  ausführbar  zu  machen.  Wie  es  das  aber 
verstand,  geht  aus  der  Äußerung  Schulenburgs  gegen  Lucchesini 
hervor,  man  werde  nach  der  Befreiung  Ludwigs  neue  General- 
stände berufen  müssen  und  dann  an  der  Abfassung  einer  neuen 
Verfassung  zu  arbeiten  haben  unter  der  Aufsicht  der  inter- 
venierenden Mächte  und  dem  Schutze  eines  Truppenkorps,  auf 


läßlich  von  Philippsons  Buch  geschrieben  hat].  Wie  könnte  es  auch  gerade 
hier  anders  sein,  wo  sich  Preußen  und  Frankreich  noch  bis  vor  kurzen» 
feindlich  gegenübergestanden  hatten  (1787  in  Holland,  Ephraim  und  Goltz 
in  Paris  1789 — 1791)  und  Marie  Antoinette  infolgedessen  noch  1791  preußi- 
sche Intriguen  überall  am  Werke  zu  sehen  glaubte  (S  o  r  e  1  I  180 — 181, 
474—496,  531,  II  26—29,  52,  71,  181—182,  240;  H  e  i  g  e  1  II  16;  Ch.J.P. 
132;  Salomon,  Pitt  I,  2,  538). 

M  Sorel  II  280. 

2)  ib.  II  442—443;  Sybel,  Vorträge  und  Aufsätze  187—188. 


84  I.  Abschnitt 

dessen  Treue  man  zählen  könne1).  Mit  der  österreichischen  An- 
sicht hatte  diese  also  nichts  gemein,  am  ersten  noch  mit  der  der 
Emigranten.  Von  einer  rechten  Würdigung  der  Revolution  ist 
keine  Rede.  Österreich  wollte  ein  schwaches  konstitutionelles 
Frankreich  schaffen,  da  die  Wiederherstellung  des  ancien  regime 
ihm  mit  Recht  als  unmöglich  erschien  und  das  revolutionäre 
Frankreich  in  Österreich  seinen  größten  Feind  erblickte,  wie 
Kaunitz  wohl  sah.  Er  durfte  also  jene  Macht  nicht  zu  Kräften 
kommen  lassen  und  seinem  „Verbündeten"  Preußen  nicht  in  ihr 
einen  kräftigen  Bundesgenossen  erstehen  lassen2).  Die  Verfassung 
sollte  das  Mittel  dazu  werden,  einen  erträglichen  Zustand  in  Frank- 
reich herzustellen  —  nicht  mehr.  Preußen  seinerseits  fürchtete 
von  einer  Wiederherstellung  des  ancien  regime  schlechthin,  die 
man  hier  nicht  für  so  völlig  ausgeschlossen  gehalten  zu  haben 
scheint,  ein  Überwuchern  des  Einflusses  von  Marie  Antoinette, 
d.  h.  der  Verbindung  mit  Österreich.  Ein  zweites  Mal  wollte  es 
sich  aber  nicht  so  wie  in  Holland  um  den  Erfolg  seiner  Mühe 
bringen  lassen3),  und  wehrte  sich  deshalb  im  Bunde  mit  Öster- 
reich, und  doch  gegen  dies,  gegen  die  Wiederherstellung  des 
früheren  Zustandes4).  Auch  ihm  sollte  die  Verfassung  dazu 
helfen.  Ein  konstitutionelles  Frankreich  würde  solche  Pläne 
ohne  weiteres  unmöglich  machen.  Preußen  wußte,  daß  es  bei 
einer  Festigung  der  Verhältnisse  auf  die  Freundschaft  Frank- 
reichs, wenn  nicht  auf  noch  mehr,  zählen  konnte.  Es  wollte  also 
im  eigenen  Interesse  im  Gegensatz  zu  Österreich  nicht  die  fran- 
zösischen Kräfte  sich  paralysieren  lassen  durch  die  Einführung 
der  Konstitution,  sondern  die  Ordnung  wiederherstellen,  um  den 
Franzosen  die  Möglichkeit  zu  geben,  nach  außen  kräftig  aufzu- 
treten, und  um  durch  einen  Bund  mit  dieser  Macht  selbst  davon 
Vorteil  zu  ziehen  ). 

Dazu  bot  sich  noch  ein  anderes  Mittel,  um  am  Pariser  Hofe 
selbst  den  Österreichern  Terrain  abzugewinnen:  die  Unter- 
stützung der  Emigranten,  die  zwar  von  Preußen  nicht  so  gut 
behandelt  worden  waren  wie  von  Rußland  oder  von  einigen 
kleinen  deutschen  Höfen,  aber  doch  weit  besser  als  von  öster- 

x)  Rep.  I  170  an  Haugwitz  16.  Juni.    Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß 
37.  Schulenburg  an  Lucchesini  8.  Juni  92.    Rep.  I  169  an  Jacobi  16.  April. 

2)  S  o  r  e  1  II  280. 

3)  Rep.  XI.  89  b  Schulenburg  an  Braunschweig  23.  April. 

4)  Braunschweig  an  Schulenburg  30.  Juni.     Schulenburg  an  Braun- 
schweig 4.  Juli. 

B)  S  o  r  e  1  II  442—443;  H  e  i  g  e  1  II  17. 


Die  Offensive  von  Preußen  und  Österreich  85 

reich,  und  daher  in  Preußen  ihren  natürlichen  Schirmherrn  sehen 
mußten,  wenn  es  galt,  eine  Wahl  zwischen  den  beiden  Mächten 
zu  treffen1).  Diese  Anhänglichkeit  an  Preußen  ging  ja  so  weit, 
daß  sie  die  preußischen  Moden  nachahmten2).  Nun,  das  mochte 
eine  harmlose  Spielerei  sein,  aber  daß  sie  ein  Bündnis  mit  Preußen 
predigten,  war  es  weniger.  Man  begreift  die  schwierige  Lage,  in 
der  sich  der  preußische  Vertreter  in  Brüssel,  Baron  Reck,  befand, 
als  ihm  im  Sommer  von  allen  Seiten  derartige  Vorschläge  ge- 
macht wurden3).  Sie  hofften  ja,  in  Frankreich  die  erste  Zeit 
nach  der  Intervention  die  Politik  in  den  Händen  zu  haben,  und 
wollten  geheim  mit  Friedrich  Wilhelm  anknüpfen,  um  bei  einer 
eventuellen  Ablehnung  sich  nicht  zu. kompromittieren  und  auch 
erst  nach  der  Wiederherstellung  der  alten  Monarchie  das  preußische 
Bündnis  an  die  Stelle  des  verhaßten  österreichischen  zu  setzen. 
Man  begreift  daher  die  Besorgnis  eines  so  gut  —  und  doch  nach 
der  Ansicht  Marie  Antoinettes  nicht  hinreichend  —  königlich 
gesinnten  Mannes  wie  Montmorin  vor  Emigranten  wie  Preußen4). 


1 )  Minutoli,  Erinnerungen  13;  Bacourt-Städtler  III 
329;  Fersen  I  236  etc. ;  Ranke  176  und  225—226;  S  o  r  e  1  III  43; 
H  e  i  g  e  1  II  16. 

J)  ChJ.P.  276—277. 

3)  Rep.  XI  89  h  Reck  an  Schulenburg  31.  August  92.  Je  me  tue  de 
leur  dire  que  si  au  bout  de  20  ans  ils  auraient  repris  la  forme  d'une  nation 
civilisee  on  y  penserait  (Reck  ist  sehr  emigrantenfeindlich). 

* )  S  o  r  e  1  II  505 — 508 ;  P  i  n  g  a  u  d ,  l'invasion  austro  -  prussienne 
9 — 10  (Langerons  Memoire  vom  2.  Juni  92);  Bacourt-Städtler  III 
370—371.  Rep.  XI 89  b  Schulenburg  an  Braunschweig  23.  April  92 :  Schulen- 
burg schickt  ihm  das  ausgezeichnete  Memoire  über  Frankreich  zurück. 
Der  Verfasser  gehört  aber  zur  Partei  Breteuils ,  da  er  den  Einfluß  der 
Königin  sichern,  die  Prinzen  ausschließen  will.  On  ne  saurait  etre  plus  per- 
suade  que  moi  que  l'idee  la  plus  chimerique  que  Ton  pourrait  suivre,  serait 
de  vouloir  retablir  l'ancien  regime  et  je  conviens  avec  l'auteur  que  tout  ce 
que  les  puissances  reunies  pourraient  obtenir,  serait  le  retablissement 
d'une  autorite  limitee  du  Roi.  Je  suis  encore  de  son  avis  quant  au  danger 
qu'il  y  aurait  de  donner  lieu  a  une  coalition  de  toute  la  nation  contre  les 
efforts  des  cours  intervenantes  et  que  celle-ci  n'ont  ä  attendre  un  succes 
permanent  de  leur  interposition  qu'autant  que  la  partie  saine  et  raisonnable 
de  la  nation  penchera  du  moins- secretement  en  faveur  de  la  cause  qu'elles 
protegeront,  mais  quand  il  insiste  sur  un  entier  eloignement  des  Princes  et 
des  Emigres,  je  crois  qu'il  propose  une  chose  egalement  impraticable  et 
peu  conforme  meme  aux  interete  de  la  Prasse.  Ce  n'est  pas  qu'on  ne  puisse 
et  qu'on  ne  doive  meme  ä  mon  avis  les  ecarter  de  toute  participation  aux 
negociations  dont  il  pourra  etre  question,  et  qu'il  ne  soit  encore  essentiel 
de  tenir  leur  corps  entierement  separe  de  nos  armees,  mais  les  empecher 
tout  ä  fait  d'agir,  comment  y  parviendrait-on  avee  la  bouillante  impatience 


86  I.  Abschnitt 

Trotz  des  also  vorhandenen  starken  Gegensatzes  zwischen  den 
Plänen  Österreichs  und  Preußens  über  die  fernere  Gestaltung 
des  Zustandes  von  Frankreich  kamen  sie  praktisch  zunächst  doch 
auf  dasselbe  hinaus,  und  es  hätte  sich  nur  gefragt,  welche  Macht 
mit  ihren  Folgerungen  recht  behalten  würde  —  wenn  es  über- 
haupt zur  glücklichen  Ausführung  des  ersten  gemeinsamen  Teiles 
ihrer  Pläne  gekommen  wäre1). 

Derartige  allgemeine  Erwägungen  waren,  ich  wiederhole  es, 
auch  auf  preußischer  Seite  vorhanden,  aber  in  den  Krieg  hätten 
sie,  soweit  ich  zu  sehen  vermag,  Preußen  nicht  getrieben. 
Nur  selten  ist  in  den  österreichisch-preußischen  Verhandlungen 
davon  die  Rede  —  das  könnte  man  begreifen,  schon  weil  es  sich 
hier,  um  bei  der  Sprache  der  damaligen  Diplomaten  zu  bleiben, 
nicht  mehr  um  die  quaestio  an,  sondern  nur  noch  quomodo 
handelte,  oder,  anders  ausgedrückt,  nicht  um  prinzipielle  Er- 
örterungen, sondern  um  die  Ausführung  eines  bereits  beschlos- 
senen Planes.  Aber  auch  in  den  geheimen  preußischen  Akten 
findet  sich  nur  selten  ein  Hinweis  hierauf.  Wem  nun  dies  argu- 
mentum e  silentio  nicht  genügt,  der  mag  sich  an  den  positiven 
Beweis  halten,  daß  Preußen  in  den  Krieg  eintrat,  vornehmlich 
um  als  Entschädigung  dafür  territoriale  Vorteile  zu  erlangen,  wie 
jede  Monarchie  es  damals  beabsichtigte  und  wie  es  Montesquieu 


qui  les  caracterise  relativement  ä  une  cause  qui  les  touche  de  si  pres?  II 
semble  qu'il  faudrait  un  corps  uniquement  destine  ä  les  contenir  ou  qu'il 
faudrait  risquer  en  les  laissant  en  arriere  d'avoir  pour  ainsi  dire  un  nouvel 
ennemi  ä  dos.  Quant  au  nouveau  gouvernement  qu'il  s'agira  d'etablir  en 
France,  j'ose  soumettre  aux  lumieres  sup6rieures  de  V.  A.  S.  s'il  ne  serait 
pas  ä  desirer  pour  les  interets  memes  de  notre  etat  qu'ils  y  conservassent 
quelqu'influence.  Qu'Elle  daigne  jeter  les  yeux  en  arriere  sur  l'exemple 
de  la  Hollande.  A  peine  sauvee  par  la  valeur  et  les  talents  de  V.  A.  S. 
des  dangers  qui  l'entouraient,  cette  republique  est  allee  se  remettre  sous 
son  ancienne  dependance  de  1'  Angle terre.  Si  dans  le  nouvel  ordre  de  choses 
en  France  la  Reine  conserve  seule  une  influence  exclusive,  ne  sera-ce  pas 
toujour3  la  Cour  de  Vienne  qui  y  dominera  et  pourrons-nous  compter 
sur  quelque  reconnaissance  solide  pour  les  efforts  par  lesquels  nous  aurons 
tire  ce  royaume  de  l'abime?  Je  crois  pouvoir  admettre  aussi  qu'on  exagere 
beaucoup  l'aversion  de  la  nation  pour  les  Princes  et  les  Emigres.  Suivant 
des  notions  que  j'ai  Heu  de  croire  assez  authentiques,  c'est  moins  encore 
sur  eux  que  sur  la  reine  que  cette  aversion  se  porte,  et  un  bien  haut 
degre  d'autorite  de  cette  Princesse  serait  peut-etre  ce  que  la  Nation 
dans  ses  dispositions  actuelles  serait  le  moins  capable  de  supporter. 

x)  Man  erinnere  sich  aber  der  entgegenkommenden  Haltung  Frank- 
reichs (welche  Partei  hier  am  Ruder  war,  macht  dafür  nichts  aus)  gegenüber 
Preußen  bis  zum  Jahre   1805! 


Die  Offensive  von  Preußen  und  Österreich  87 

in  der  pointierten  französischen  Art  formuliert  hat:  „L'esprit 
de  la  monarehie  est  la  guerre  et  ragrandissement".  Es  han- 
delte sich  nur  noch  darum,  diesem  Gewaltakte  äußerlich  eine 
Form,  eine  Erklärung  zu  geben,  die  ihn  als  notwendig  für  die 
Menschheit,  als  Fortschritt  der  Zivilisation  kennzeichnet  oder 
wie  diese  Phrasen  sonst  heißen  mögen,  die  Sorel  mit  Recht  als 
„clauses  de  style"  bezeichnet1).  Diese  territorialen  Vorteile  aber 
schon  genauer  zu  bezeichnen,  hütete  sich  Preußen  wohl,  da  sich 
bereits  außer  der  Verwicklung  im  Westen  eine  andere  im  Osten 
geltend  zu  machen  begann,  da  also  außer  Jülich-Berg,  womit  es 
zuerst  gerechnet  »hatte,  auch  polnische  Gebietsteile  in  Frage 
kamen.  Sie  sich  unabhängig  von  dem  Ausgang  des  Krieges  zu 
sichern  —  man  bezeichnete  sie  ja  als  Kostenersatz  —  war  sein 
lebhaftestes  Bestreben,  und  auch  Österreich  hatte  derartige  An- 
wandlungen2). Den  Beweis  dafür  habe  ich  unten  genauer  zu 
erbringen. 

So  bietet  sich  uns  ein  eigentümliches  Schauspiel:  Zwei  Groß- 
mächte gehen  in  den  Krieg,  den  mindestens  ihre  Regierungen 
nicht  gewollt  haben,  und  den  möglichst  rasch  zu  beendigen,  ohne 
an  Eroberungen  zu  denken,  ihr  größter  Wunsch  war  oder  noch 
ist.  Daneben  sehen  wir  die  jüngste  europäische  Großmacht, 
Preußen,  den  Ausbruch  des  Krieges  herbeiwünschen  und  an  seiner 
Beschleunigung  arbeiten,  um  für  seine  eigenen  Zwecke  daraus 
möglichst  viel  Kapital  zu  schlagen3).  Der  erste  Teil  seines  Wun- 
sches war  erfüllt,  der  Krieg  war  da.  Wird  es  ihm  nun  aber  gelingen, 
seinen  Plan  auch  weiter  durchzuführen,  soweit  von  einem  Plan 
hier  überhaupt  die  Rede  sein  kann?  Werden  sich  nicht  unbekannte 
Kräfte  der  Invasion  widersetzen?  Wird  sich  nicht  doch  der  Zwie- 
spalt zwischen  den  preußischen  und  den  österreichischen  Inter- 
essen als  stärker  als  die  augenblicklich  zur  Vereinigung  treiben- 
den Kräfte  erweisen?  Wird  die  alliance  monstrueuse  die  Feuer- 
probe bestehen?    Nur  zu  rasch  brach  sie  tatsächlich  zusammen. 

1)  Sorel  I  1—35,  speziell  20,  dazu  40  und  50. 

2)  Vivenot  II  540.  Rep.  XI  89  b:  Schulenburg  an  Braunschweig 
6.  Mai.  Ranke  193;  Sorel  II  501;  Kos  er  461—466.  Wie  unter- 
geordnet die  Geldfrage  gegenüber  der  Territorialfrage,  der  eigentlich 
politischen,  war,  beweist  die  Behandlung  Struensees,  der  unter  diesen 
Umständen  sich  mit  Hertzberg  und  den  Gesandten  von  England  und 
Holland  verband.  Man  hörte  seine  Bedenken  nicht,  sondern  wies  ihn  ein- 
fach an,  Geld  zu  beschaffen,  vgl.  z.  B.  Fersen  II  271. 

3)  Vgl.  das  zugespitzte  Urteil  von  Sorel  in  La  question  d' Orient 
au  18.  siecle.     Avant-Propos  IL 


88  I.  Abschnitt 

Die  zweite  Teilung  Polens  machte  ihr  den  Garaus.  Bis  zu  ihr  will 
ich  die  preußische  Politik  verfolgen.  Ganz  von  selbst  gliedert 
sich  der  Stoff  in  drei  Abschnitte:  die  diplomatische  Vorbereitung 
für  den  Kampf,  der  Kampf  selbst,  die  Verhandlungen  mit  Öster- 
reich und  Rußland  über  Polens  zweite  Teilung. 

Denn  bis  zum  Beginn  des  Kampfes  schien  den  Franzosen  ja 
noch  eine  Galgenfrist  gewährt  zu  sein.  Wir  sahen,  wie  wenig 
oder  gar  nicht  bei  den  deutschen  Mächten  bisher  von  militärischen 
Vorbereitungen  die  Rede  gewesen  war.  Noch  sind  wir  im  Zeit- 
alter des  alten  Staates.  Noch  bedarf  die  Mobilmachung  und  der 
Marsch  der  Truppen  einer  unverhältnismäßig  langen  Zeit,  die 
politisch  auszunützen  sich  auch  der  Gegner  nicht  nehmen  ließ. 
Betrachten  wir  daher  zunächst  die  französische  Politik  und  ihre 
Versuche,  den  Krieg  rasch  zu  beendigen,  die  sich  nach  jeder 
Richtung  hin  als  gescheitert  erweisen  sollten. 


II.  Abschnitt 

Die  Vorbereitung  zum  Kampfe 


1.  Kapitel 

Französische  Politik  und  Kriegführung  im  Frühjahr  1792 

I. 

Dumouriez  hatte  von  seinem  Vorgänger  Delessart  eine  Erb- 
schaft übernommen,  die  seine  Politik  bestimmte:  den  drohenden 
Krieg  mit  Österreich.  Er  hatte  seinen  Ausbruch  trotz  anfäng- 
lich,en  Bemühens  nicht  mehr  verhindern  können.  Sowie  er  dessen 
gewiß  war,  sehen  wir  ihn  alle  Mittel  ergreifen,  um  dieser  Sache 
einen  für  Frankreich  möglichst  günstigen  Ausgang  zu  sichern. 
Es  stand  ihm  fest,  daß  das  ein  rascher  Friede  sei,  und  in  dem 
Wunsche  danach  begegnete  er  sich  mit  einem  großen  Teile  der 
französischen  Nation.  Man  hat  wohl  davon  gesprochen,  daß  er 
die  Rheinlinie  für  Frankreich  habe  erobern  wollen;  er  habe  das 
verhängnisvolle  Wort  von  den  natürlichen  Grenzen  zuerst  wieder 
ausgesprochen1),  er  habe  sich  auch  hier  wie  in  seinem  ganzen  Leben 
wieder  als  Abenteurer  gezeigt.  Die  tiefsten  Quellen  zeigen  uns 
ein  ganz  anderes  Bild2),  an  denen  alle  späteren  Behauptungen 
nichts  mehr  zu  ändern  vermögen3).    Oder  wie  läßt  sich  mit  Er- 


1 )  Sy  b  e  1 II  72—76  und  84;  B  o  g  u  s  1  a  w  s  k  i  I  123—127;  H  e  i  g  e  1 
II  6  und  I  521 ;  S  o  r  e  1  II  403-^04;  Ch.J.P.  1—15;  dazu  Ranke  173; 
Clapham   184  ff. 

2)  Pallain,  Lauzun-  Serignan. 

3)  Bacourt-  Städtler  III  410—411.  Gewiß  war  die  Forde- 
rung der  natürlichen  Grenzen  in  Frankreich  bereits  Jahrhunderte  alt  und 
fand  gerade  damals  weder  ihre  Vertreter.  Jedoch  an  ihre  praktische  Ver- 
wirklichung dachten  sie  zunächst  nicht,  mindestens  nicht,  die  dazu  berufen 
gewesen  wären,  daran  zu  arbeiten.  Es  war  ein  Ideal,  mehr  nicht,  und 
Dumouriez  hat  sich  mehr  als  andere  französische  Staatsmänner  freizu- 
halten gewußt,  sich  davon  blenden  zu  lassen,  im  Anschluß  an  die  gemäßigte 


90  IL  Abschnitt 

oberungsabsichten  die  Furcht  vor  dem  europäischen  Konzert, 
vor  dem  Einmarsch  der  Mächte  vereinigen?  Wie  der  oft  genug 
wiederholte  Versuch,  den  Deutschen  ihre  besten  Generale  ab- 
spenstig zu  machen  oder  sie  wenigstens  für  sich  zu  gewinnen1)? 
Oder  der  andere,  Preußen  von  dem  Bündnis  mit  Österreich  ab- 
zulösen, die  übrigen  Mächte  neutral  zu  erhalten?  Wie  die  Er- 
kenntnis von  der  Unfertigkeit  der  französischen  Rüstungen,  der 
Zerrüttung  innerhalb  des  französischen  Heeres?  Wie  der  über- 
hastete Einfall  in  die  Niederlande,  an  deren  dauernde  Behaup- 
tung gegen  die  vereinigten  österreichisch-preußischen  Armeen, 
ja  auch  nur  gegen  eine  starke  österreichische  Armee  er  gar  nicht 
denken  konnte? 

Nein,  er  wollte  den  Frieden  rasch  zurückführen,  und  an  Er- 
oberungen für  Frankreich  dachte  er  nicht,  und  es  rächt  sich  hier 
der  Versuch,  Dumouriez'  Verhalten  lediglich  psychologisch  zu 
erklären.  Hätte  man  ihn  nicht  isoliert,  sondern  die  Lage  dazu 
genommen,  in  die  er  eintrat,  so  hätte  man  zu  einer  derartigen 
Auffassung  wohl  gar  nicht  kommen  können.  Die  Mittel,  die  er 
ergriff,  um  dieses  Ziel  zu  erreichen,  sind  von  doppelter  Art: 
militärischer  und  politischer.  Denn  daran  ist  gar  nicht  zu  zwei- 
feln, daß  e  r  es  war,  der  sich  seit  Ende  März  für  den  Einfall  in 
die  Niederlande  und  die  in  Trier  und  in  Savoyen  mit  ganzer 
Kraft  einsetzte.  Der  Kriegsminister  de  Grave  war  nur  ein  ge- 
fügiges Werkzeug  in  seiner  Hand;  er  dachte  nicht  an  eigene  Ent- 
schlüsse und  hätte  den  Angriff  am  liebsten  verhindert.  Von  den 
Generalen  an  der  Grenze,  die  diese  ersten  Stöße  führen  sollten, 
war  einer,  und  zwar  der  angesehenste,  der  Marschall  Rochambeau, 
entschieden  gegen  den  Angriff  aufgetreten;  die  beiden  anderen, 


Politik  Vergennes'  oder  die  Gedanken  Mirabeaus,  die  ein  Föderativsystem 
erstrebten,  das  Frankreich  mehr  als  Eroberungen  hätte  nützen  können. 
Sie  alle  glaubten  zu  erkennen,  daß  Frankreich  zu  Eroberungen  zu  schwach 
sei,  daß  es  sich  bei  dem  Versuch,  sie  zu  machen,  nur  die  Feindschaft  aller 
anderen  Mächte  zuziehen  werde.  Nicht  auf  die  militärische,  sondern  auf 
die  diplomatische  Aktion  legten  sie  den  Nachdruck,  und  ganz  in  ihrem 
Sinne  war  das  Dekret  vom  22.  Mai  1790  anläßlich  des  Streites  um  den 
Nootkasund  erlassen  worden,  demzufolge  Frankreich  einen  Eroberungskrieg 
nicht  führen  wollte,  wenn  es  auch  schon  in  zwei  wichtigen  Fragen  durch- 
brochen worden  war  (Elsaß  und  Avignon- Venaissin).  S  o  r  e  1  I  245 — 246, 
310—318,  II  44,  84—91  etc. 

1 )  S  o  r  e  1  in  R.H.  I  154  ff.  (Custine  in  Braunschweig)  und  Schlief- 
fen  II  393 — 398  und  567 — 568  (er  sollte  nach  seiner  Entlassung  aus 
preußischen  Diensten  noch  im  Herbst  1792  in  französische  treten,  lehnte 
jedoch  ab). 


Französische  Politik  und  Kriegführung  im  Frühjahr  1792  91 

Luckner  und  Lafayette,  dachten  wohl  an  Einfälle  von  kurzer 
Dauer  in  Feindesland,  aber  auch  nicht  mit  der  Energie  und  der 
Konsequenz  in  der  Durchführung  wie  Dumouriez.  Sie  hätten 
nach  allem  den  Angriff  nicht  durchgesetzt1). 

Dumouriez  wußte,  daß  seine  Gegner  nicht  gerüstet  waren, 
und  darauf  begründete  er  seinen  Plan.  Schnell  mußte  er  handeln, 
wenn  er  überhaupt  etwas  erreichen  wollte.  Er  wollte  vor  allem 
die  Niederlande  überrumpeln,  die  einem  französischen  Angriffe 
keinen  Festungsgürtel  mehr  entgegenzusetzen  hatten.  Er  hoffte, 
daß  sich  hier  nicht  nur  zahlreiche  Deserteure  seinen  Truppen  an- 
schließen würden,  die  er  dann  in  Paris  spazieren  zu  führen  ge- 
dachte2), um  in  diesem  so  unangenehmen  Kriege  dem  Pariser 
Volke  rasch  einen  Erfolg  zu  zeigen,  mit  deutlichem  Hinweis  auf 
die  Werbekraft  der  revolutionären  Idee,  und  dadurch  zugleich 
aus  der  verfahrenen  Lage  im  Innern  Frankreichs  herauszukom- 
men3). Nein,  er  rechnete  auf  viel  größere  Erfolge,  auf  den  Abfall 
des  ganzen  Landes,  wo  es  ja  stark  gärte4),  von  der  österreichischen 
Herrschaft  mit  Hilfe  der  zahlreichen,  teils  schon  militärisch 
organisierten  belgischen  Emigranten  unter  Graf  Bethune 
Charost5).  Hatte  ihn  auch  seine  Sendung  nach  Belgien  im  Jahre 
1790  gründlich  von  der  Ansicht  geheilt,  daß  hier  eine  ähnliche 
Bewegung  im  Gange  sei  wie  in  Frankreich,  so  war  für  seine  Zwecke 
eine  Identität  zwischen  französischen  und  belgischen  Prinzipien 
auch  durchaus  nicht  erforderlich,  da  er  an  die  Einverleibung  der 
Niederlande  nicht  gedacht  hat6).  Es  reichte  völlig  aus,  wenn 
die  Niederlande  von   Österreich  abfielen  und  damit  von  selbst 


1 )  Lauzun-Serignan  246 ;  Ganniers  (=  Serignan) 
in  Revue  des  deux  mondes  (=  R.  d.  d.  m.)  Bd.  154  (1899)  899—901;  Revue 
militaire  red.  ä  1' Etat-Major  de  1' Armee  — 2e  partie,  Archives  historiques 
(=  R.  mil.)  1899  p.  432;  Memoires  deRochambeau  (1809)  I  394—399. 

2)  Lauzun-Serignan   217 — 218. 

3)  ib.   197. 

4)  R.  d.  d.  m.  ßd.   154,  908—910;  Zeißberg,  2  Jahre,  73-74. 

5)  ib.  54  ff. 

6)  S  o  r  e  1  II  413;  F  o  u  c  a  r  t  et  F  i  n  o  1 1  90;  Z  e  i  ß  b  e  r  g,  2  Jahre, 
56,  58,  67 — 68  etc.  Es  ist  bemerkenswert,  daß  nicht  einmal  in  dem  von 
Limon  verfaßten  „Manifeste  de  tous  les  peuples  contre  la  revolution  fran- 
caise"  von  Eroberungsabsichten  der  französischen  Regierung  gesprochen 
wird,  sondern  nur  von  dem  Versuch,  Belgien  zu  überschwemmen  (siehe 
ein  gedrucktes  Exemplar  in  Rep.  67  B.  n.  la).  Daß  Limon  nicht  an  die 
Möglichkeit  der  französischen  Eroberung  glaubte,  macht  dabei  nichts 
aus;  hatte  er  doch  die  Absicht,  die  sogen.  Regierung,  d.  h.  die  Partei  der 
Jakobiner,  möglichst  schlecht  zu  machen. 


92  EL  Abschnitt 

auf  die  französische  Seite  traten.  Im  Laufe  der  Zeit  wurde  auch 
der  Gegensatz  der  ständisch  gesinnten  Belgier  zu  den  immer 
demokratischer  werdenden  Franzosen,  wie  Dumouriez  wohl  er- 
kannte, nur  noch  größer,  und  die  sich  jetzt  erst  durch  den  fremden 
Zuzug  stärker  ausbildende  französische  Partei  vermochte  noch 
nicht,  wirklich  feste  Wurzeln  in  dem  Lande  zu  schlagen,  obwohl 
sie  es  an  Rührigkeit  nicht  fehlen  ließ1).  Dumouriez  steckte  sich 
also  vorläufig  kein  zu  weites  Ziel.  Gelang  es,  Belgien  von  Öster- 
reich loszureißen,  so  hatte  er  damit  ein  Faustpfand,  mit  dem  in 
der  Hand  er  seine  Forderungen  stellen  konnte,  um  diesen  Krieg 
möglichst  rasch  zu  beendigen,  aber  zugleich  doch  ehrenvoll. 

Wollte  er  aber  so  weit  gelangen,  so  mußte  er  rasch  handeln, 
über  jeden  Widerspruch  gegen  seine  Ansicht  rücksichtslos  hin- 
wegschreiten; denn  er  wußte  oder  glaubte  zu  wissen,  daß  die 
Franzosen  den  kampfgeübten  österreichischen  Truppen  nicht 
gewachsen  waren,  wenn  diese  erst  einmal  fertig  und  zur  Stelle 
waren.  Mit  Rochambeau  konnte  er  deshalb  nicht  arbeiten2), 
ebensowenig,  eher  noch  weniger  mit  Lafayette,  der,  ganz  ab- 
gesehen von  seinem  militärischen  Urteil,  politisch  mit  Dumouriez 
durchaus  nicht  an  dem  gleichen  Strange  zog3).  Dumouriez  über- 
trug daher  geheim  vor  dem  erstgenannten  einem  von  seinen 
Untergeneralen  den  Befehl  über  das  Korps,  das  den  Hauptstoß 
nach  den  Niederlanden  führen  sollte,  an  Biron,  dessen  Namen 
sonst  nicht  gerade  einen  guten  Klang  hatte  (es  ist  der  Herzog 
von  Lauzun),  auf  den  er  sich  aber  in  dieser  Beziehung  völlig 
verlassen  konnte.  Schon  lange  trugen  sich  ja  die  belgischen  Emi- 
granten mit  solchen  Plänen1).  Biron  hatte  von  seinem  Stand- 
quartier Valenciennes  von  der  Grenze  aus  auf  dasselbe  hin- 
gearbeitet und  die  besten  Aussichten  dafür  versprochen.  Ich 
halte  es  für  sehr  wahrscheinlich,  daß  er  Dumouriez  zu  der  tat- 
sächlichen Ausführung  dieser  Idee  bestimmt  hat5).  Erst  als  alle 
Befehle  gegeben  waren,  wurde  Rochambeau  am  23.  April  ins 
Geheimnis  gezogen.    Dieser  echte  Edelmann  ließ  zwar  an  seiner 


1 )  ib.  62  ff.  und  69  ff. 

2)  Dumouriez  II  232;  R.  d.  d.  na.  154,  912;  Ganniers  in 
R.Q.H.  Bd.  63  (1898)  436—447. 

3)  Nur  kurze  Zeit  dauerte  das  Einvernehmen  zwischen  ihnen.  G  1  a- 
gau  in  H.Z.  82,  244  ff.;  Ch.J.R  24;  R.  mil.  1900  S.  670—672. 

4)  Zeißberg,  2  Jahre,  56  ff. ;  L  e  s  c  u  r  e  II  571. 

5)  Lauzun-Serignan  144—152  und  204  ff.,  163—164;  P  a  1- 
lain  170;  R.  d.  d.  m.  154,  891,  899—901,  905,  911;  Ganniers  in 
R.Q.H.  65  (1899)  500—501  und  63  (1898)  436  ff.;  Hei  gel  II  5. 


Französische  Politik  und  Kriegführung  im  Frühjahr  1792  93 

abweichenden  Meinung  keinen  Zweifel  und  hatte  scheinbar  schon 
in  abweichendem,  d.  h.  defensivem  Sinne  zu  handeln  begonnen1), 
tat  aber  jetzt  trotzdem  alles,  was  der  Ausführung  der  nun  einmal 
befohlenen  Sache  nützen  konnte.  Als  der  Erfolg  nur  zu  sehr 
seinen  Befürchtungen  entsprach,  reichte  er  seinen  Abschied  ein, 
und  ließ  sich  jetzt  auch  durch  keine  Vorstellungen,  die  jetzt 
sogar  von  Birons  Seite  gemacht  wurden,  von  seinem  Vorhaben 
abbringen.  Seinen  Sohn,  der  mit  Biron  im  Komplott  gewesen 
war,  veranlaßte  er,  gleichfalls  seinen  Abschied  zu  nehmen2). 
Nun,  sein  Protest  war  zunächst  Dumouriez  gleichgültig,  er  glaubte 
ja  an  sicheren  Erfolg.  Die  anderen  Generale  trieb  er  unablässig 
zur  Eile  an  und  bestimmte  den  28.  April  für  den  Angriff  auf  die 
Niederlande,  der  von  vier  Seiten  zugleich  erfolgen  sollte. 

Wüßten  wir  es  nicht  schon  aus  anderen  Quellen,  so  müßten 
uns  die  Instruktionen  an  die  Generale  für  den  Einmarsch  dar- 
über belehren,  was  er  damit  wollte  und  wie  er  sich  seine  Aus- 
führung dachte3).  Alle  Mahnungen  und  Klagen  der  Generale 
über  die  Unfertigkeit  der  Rüstungen  schlug  er  in  den  Wind  — 
wir  wissen  warum  —  und  verlangte  nur,  daß  der  Einmarsch 
erfolgte ;  wie  er  erfolgte,  war  ihm  zunächst  gleichgültig.  Er 
rechnete  ja  damit,  kaum  Widerstand  zu  finden,  und  gab  deshalb 
den  Generalen  den  Befehl,  bei  ernstem  Widerstand  wieder  zurück- 
zugehen. Doch  die  Österreicher  waren  noch  durchaus  nach  dem 
alten  Kordonsystem  an  der  Grenze  verteilt,  nach  dem  auch  die 
Franzosen  ihre  Truppen  aufgestellt  hatten.  Mehr  als  35  000  Mann 
waren  im  ganzen  an  Feldtruppen  überhaupt  nicht  vorhanden, 
und  da  war  an  jedem  der  zahlreichen  wichtigen  Grenzübergänge 
immer  nur  ein  kleines  Korps  zur  Stelle.  Das  war  Dumouriez 
wohl  bekannt,  schon  durch  die  Nachrichten  von  den  belgischen 
Emigranten4).  Er  konnte  ihnen  also  in  jeder  Angriffskolonne 
ein  der  Zahl  nach  überlegenes  Korps  entgegensetzen.  Er  wußte 
ferner,  daß  starke  Desertion  die  Reihen  der  Österreicher,  be- 
sonders der  wallonischen   Bataillone,   lichtete.     Mußte  sich  das 


1 )  Zeißberg,  2  Jahre,  S.  92  will  darin  mit  Unrecht  nur  eine  Finte 
sehen.     R.  d.  d.  m.   154,  918;  Mem.  de  Rochambeau  I  404. 

2)  R,  mil.  (1900)  52—56;  Lauzun-Serignan  240—242,  259 
und  265. 

3)MathieuDumas  Souvenirs  (Paris  1839)  II  508—516;  R.  mil. 
(1899)  573—575;  R.  mil.  (1900)  27  ff.,  48,  242—256;  R.  d.  d.  m.  154,  918 
bis  919;  Lauzun-Serignan  249 — 251 ;  V  a  i  s  s  i  e  r  e  420. 

4)  Zeißberg,  2  Jahre,  58  und  61—62, 


94  II.  Abschnitt 

nicht  steigern,  wenn  französische  Heere  einfielen  und  den  Belgiern 
versprachen,  das  drückende  österreichische  Joch  abzuschütteln? 
Es  fehlte  auch  wahrlich  nicht  an  Leuten,  die  Dumouriez  in  dieser 
Ansicht  bestärkten1).  Es  ist  eine  eigentümliche  Tatsache,  daß 
wir  den  Vertreter  der  Eevolution  in  demselben  Wahn  befangen 
sehen,  wie  nachher  die  deutschen  Mächte  und  die  Emigranten2). 
Jede  Partei  rechnet  mit  der  Werbekraft  ihrer  Ideen,  der  Schwäche 
der  feindlichen  und  der  Unzufriedenheit  im  Lager  des  Gegners. 
Nach  den  allernotdürftigsten  Vorbereitungen  also  erfolgte  vom 
27.  Abends  an  der  Angriff  in  tiefstem  Geheimnis3).  Aber  die  Aus- 
führung entsprach  nicht  der  kühnen  Intention  Dumouriez'.  Viel- 
leicht daß  der  Plan  geglückt  wäre,  wenn  er  selbst  sich  an  die 
Spitze  jeder  der  Angriffskolonnen  hätte  stellen  können.     Seinen 


1 )  Lauzun-Serignan  92  ff.  Man  wird  das  nicht  einfach  als 
Erfindung  von  Biron,  als  Roman  bezeichnen  dürfen  (149  und  253),  der  sich 
damit  den  Angriff  auf  Brabant  sichern  wollte.  Noch  ehe  überhaupt  von 
einem  Angriff  die  Rede  war,  und  noch  mehr,  ehe  Lafayette  den  Befehl 
hatte,  den  Hauptstoß  zu  führen,  predigte  Biron  laut  genug  seine  Ansichten 
in  gutem  Glauben  an  ihre  Richtigkeit.  Vgl.  dagegen  auch  R.  d.  d.  m. 
154,  911. 

2)  Foucart  et  Finot  I  130?  Lescure  II  592—594. 

3)  Um  die  Österreicher  ganz  sicher  zu  überraschen,  gab  er  deren 
Geschäftsträger  Blumendorff  die  Pässe  für  einen  Kurier  erst  am  27.  April, 
so  daß  offiziell  die  französische  Kriegserklärung  erst  am  29.  in  Brüssel 
bekannt  sein  konnte.  Noailles  erhielt  Befehl,  sie  in  Wien  erst  dann  mit- 
teilen zu  lassen,  wenn  er  die  österreichische  Grenze  überschritten  habe. 
Die  Folge  dieses  nutzlosen  Vorgehens  (gleichzeitig  mit  Maison  kam  ja  ein 
Kurier  aus  den  Niederlanden  mit  der  Kriegserklärung  in  Wien  an,  Feuillet 
V  469)  war,  daß  Noailles  und  sein  Personal  in  Wien  trotz  aller  Bemühungen 
festgehalten  wurden,  bis  man  Blumendorff  in  Sicherheit  wußte  (V  i  v  e  n  o  t 
II  426,  437,  438,  439;  dazu  reiches  Material  in  Rep.  I  171  und  Rep.  I  169, 
Berichte  Jacobis).  Nach  Dumouriez'  Ansicht  sollten  die  Österreicher 
gar  keine  Zeit  mehr  behalten,  sich  auf  den  Angriff  vorzubereiten  —  ein 
etwas  kindliches  Verfahren,  da  die  Kriegserklärung  ja  durch  die  Zeitungen 
bekannt  wurde.  Am  23.  war  sie  schon  in  Brüssel,  am  27.  glaubte  man  dort 
auch  schon  an  einen  französischen  Angriff,  am  29.  früh  war  der  Plan  be- 
kannt. Denn  außer  den  offiziellen  allgemein  verbreiteten  Nachrichten 
trafen  in  Brüssel  zahlreiche  geheime  ein,  die  die  Entschlüsse  Dumouriez' 
zum  Teil  enthüllten.  Aber  davon  abgesehen  übersah  Dumouriez'  Intrigue 
im  alten  Stil  ganz  die  veränderte  Lage.  Nur  bei  der  Kabinettspolitik  hatten 
sich  Einfälle  wie  die  Friedrichs  des  Großen  in  Schlesien  oder  in  Sachsen 
bewerkstelligen  lassen,  ohne  vorher  bekannt  zu  werden.  Die  Revolution 
räumte  mit  solcher  Geheimniskrämerei  doch  recht  stark  auf.  (Rep.  I  171 
Blumendorff  an- Mercy  22.,  23.,  27.  April;  Fersen  II  242,  247,  252.) 
Über  Graviere  in  Brüssel  siehe  Zeißberg,  2  Jahre,  64 — 67  und  Lauzun- 
Serignan  passim. 


Französische  Politik  und  Kriegführung  im  Frühjahr  1792  95 

Unterführern  aber  fehlte  die  Energie  zur  Durchführung,  und  sie 
verstanden  seinen  Plan  nur  halb.  Keiner  von  ihnen  dachte  so 
recht  an  die  politische  Seite  der  Aufgabe,  alle  klebten  sie  ängst- 
lich am  Buchstaben  der  Instruktion.  Der  Vorstoß  von  Carle  aus 
Dünkirchen  hatte  auch  bei  Dumouriez  nichts  weiter  heißen  sollen 
als  eine  Demonstration.  Aber  hat  es  wirklich  seinen  Absichten 
entsprochen,  daß  Carles  Abteilung  noch  am  selben  Tage  nach 
Dünkirchen  zurückkehrte,  als  sie  keinen  Feind  getroffen  und  ihre 
Proklamationen  verteilt  hatte?1)  Die  Abteilung  unter  Theobald 
Dillon  ging  von  Lille  vor,  stieß  dabei  bald  auf  feindliche  Pa- 
trouillen. Als  Dillon  nun,  zu  genau  der  Instruktion  folgend,  den 
Befehl  zum  Rückzuge  gab,  zeigte  es  sich,  wie  verhängnisvoll  ein 
derartiges  Verfahren  war.  Die  französischen  Truppen  hatten  sich 
in  den  letzten  Jahren  daran  gewöhnt,  ihre  Offiziere  als  Verräter 
an  der  Sache  des  Vaterlandes  zu  betrachten,  wie  es  Lafayette 
später  selbst  zugibt,  ohne  zu  merken,  wie  bitter  er  sein  eigenes 
Verfahren  damit  ironisiert2).  Einer  nach  dem  anderen,  ja  bei- 
nahe ganze  Offizierkorps  waren  zu  den  Prinzen  nach  Turin  oder 
Koblenz  gegangen.  Man  hat  berechnet,  daß  von  9000  etwa  6000 
ihre  Posten  verließen.  Wenn  es  auch  wahr  sein  mag,  daß  die 
Emigration  im  letzten  Grunde  für  die  Armee  von  großem  Nutzen 
war  und  die  entstehenden  Lücken  rasch  ausgefüllt  wurden,  so 
war  zunächst  doch  eine  gefährliche  Übergangszeit  durchzumachen, 
und  nur  um  diese  handelt  es  sich  hier3).  Dazu  war  in  die  Reihen 
der  Soldaten  selbst  das  Mißtrauen  eingedrungen.  Überall  war 
der  Parteigeist  am  Werke,  die  Bande  zu  lösen,  welche  Kamerad- 
schaft und  Disziplin  geschlungen  hatten4).  Nun  dieser  Rück- 
zugsbefehl !  Mußte  es  ihnen  nicht  als  Verrat  erscheinen,  wenn  der 
oberste  Führer  beim  ersten  Auftauchen  des  Feindes  kehrt  machte? 
Sie  selbst  waren  den  Krieg  nicht  gewohnt,  und  als  nun  die  Öster- 
reicher, ermutigt  durch  das  sonderbar  furchtsame  Benehmen, 
dessen  Ursache  sie  nicht  kannten,  die  Verfolgung  aufnahmen, 
brach  eine  Panik  aus,  alles  wälzte  sich  in  wirrem  Strom  nach 
Lille  zurück,  der  unglückliche  Führer  Theobald  Dillon  wurde  von 
seinen  eigenen  Soldaten  erschossen  und  seine  Leiche  verunglimpft. 
Vor  diesem  Schicksal  ist  Biron  vielleicht  nur  durch  die  Vor- 


1 )  S  v  b  e  1  II  86  ff. ;  Krieg  gegen  die  Revolution  II  27—28. 

2)  Ch.J.P.   41—42. 

3)  Ch.J.P.  40  und  67—68.    Vgl.  auch  Bertrandde  Moleville, 
Histoire  de  la  revolution  francaise  VIII  (Paris)  38 — 39. 

4)  Ch.J.P.  42—44. 


96  H-  Abschnitt 

sichtsmaßregeln  seines  Chefs  Rochambeau  und  der  Behörden  von 
Valenciennes  bewahrt  worden.  Er  rückte  mit  einem  verhältnis- 
mäßig stattlichen  Heere  von  12  000  Mann  von  Valenciennes  nach 
Mons  vor.  Alles  schien  ganz  nach  Wunsch  zu  gehen.  Man  kam- 
pierte die  erste  Nacht  auf  feindlichem  Gebiet.  Aber  die  erhofften 
Deserteure  blieben  hier  wie  überall  aus,  und  von  dem  Abfall  der 
Bevölkerung  war  auch  nichts  zu  spüren.  Wie  konnte  man  auf 
Desertionen  rechnen,  wenn  man  einem  Kampf  ängstlich  aus- 
wich! Das  tat  ja  auch  Biron,  als  die  schwachen  österreichischen 
Truppen  anrückten  und  er  die  Nachricht  vom  Scheitern  des 
Dillonschen  Unternehmens  erhielt,  nur  daß  er  zu  der  Aufnahme 
seiner  bereits  gelockerten  Verbände  frische  von  Rochambeau  ge- 
schickte Truppen  in  Quievrain  vorfand,  die  der  österreichischen 
Verfolgung  oder  besser  dem  österreichischen  Folgen  rasch  ein 
Ende  machten. 

Das  vierte  Korps  unter  Lafayette  endlich  hatte  von  Givet 
nach  Namur  vorstoßen  sollen.  Die  Hauptaufgabe,  der  Angriff 
auf  Lüttich,  war  ihm  damit,  vielleicht  aus  Rücksicht  auf  die  er- 
hoffte Neutralität  des  Reiches1),  genommen  worden;  nur  als 
Elankendeckung  für  Biron  hatte  er  operieren,  Streitkräfte  auf 
sich  ziehen,  ebenso  wie  Carle  und  Dillon  Aufruhr  und  Desertion 
herbeiführen  sollen.  Aber  auch  diese  bescheidene  Aufgabe  scheint 
Lafayette  nur  widerwillig  übernommen  zu  haben;  er  sei  auch 
noch  nicht  fertig,  es  fehle  ihm  noch  dies  und  das.  Zögernd  ging 
er  ein  kleines  Stück  vor,  und  bei  der  ersten  Nachricht  von  Birons 
Rückzug  ging  auch  er  eiligst  wieder  in  sein  befestigtes  Lager  bei 
Givet  zurück. 

So  war  dieser  Plan  also  durchaus  gescheitert.  Weder  Truppen 
noch  Generale  hatten  sich  zur  Durchführung  als  geeignet  er- 
wiesen2). Den  Schlachtruf  der  Franzosen:  „Vaincre  ou  mourir!" 
parodierten  jetzt  die  Österreicher  in  „Vaincre  ou  courir!"3) 
Gewiß,  Dumouriez  hat  nachher  denselben  Plan  mit  Erfolg  durch- 
geführt und  damit  bewiesen,  daß  er  i  h  m  auf  den  Leib  zuge- 
schnitten worden  war4);  aber  man  wird  ihn  von  der  Schuld  an 
dem  Scheitern  doch  nicht  ganz  freisprechen  können5).    Er  hatte 

1)  Lescure  II  592 — 593.     Vgl.  auch  unten. 

2)  Sybel  II  88—89;  Boguslawski  I  132;  Dumouriez  II 
231  und  238  ff. 

3)  Heigel  II  6  und  47.  Eine  andere  Version  siehe  bei  Worontzow 
IX  237. 

4)  Dumouriez  II  231,  344—375. 

5)  G  lag  au  H.Z.  82,  252. 


Französische  Politik  und  Kriegführung  im  Frühjahr  1792  97 

den  Zustand  von  Volk  und  Heer  in  Belgien  mehr  nach  seinen 
Wünschen  als  nach  der  wirklichen  Lage  beurteilt,  und  sein  Plan 
war  im  Grunde  doch  auf  Überrumpelung,  auf  Spiegelfechterei  zu- 
geschnitten gewesen,  nicht  auf  wirklichen  Kampf.  Er  hatte  durch 
die  Instruktion  selbst  den  Generalen  das  Mittel  in  die  Hand  ge- 
geben, seine  Durchführung  zu  durchkreuzen.  Als  er  im  Herbst 
vor  dem  Kampf  nicht  zurückscheute  —  wie  er  sich  im  Frühjahr 
benommen  hätte,  wäre  eine  müßige  Frage  —  da  entsprach 
der  Erfolg  auch  seinen  Mühen. 

Was  wollte  es  demgegenüber  besagen,  daß  die  Engen  von 
Porrentruy  (Pruntrut)  im  Schweizer  Jura  widerstandslos  von 
den  Franzosen  zur  gleichen  Zeit  besetzt  worden  waren  (die  Öster- 
reicher waren  in  der  Nacht  vorher  mit  dem  Baseler  Bischof  ab- 
gezogen)1)! Gewiß  war  den  Emigranten  damit  im  Osten  ein  Weg 
nach  Frankreich  versperrt,  aber  es  gab  doch  andere  genug,  und 
auch  diesen  hätte  man  leicht  erobern  können,  wenn  die  Schweiz 
nicht  so  ängstlich  ihre  Neutralität  hätte  wahren  wollen  bis  zu 
dem  Augenblick,  wo  die  deutschen  Heere  siegreich  in  Feindes- 
land standen  und  alle  Gefahr  für  das  teure  Vaterland  verschwun- 
den war2).  Dafür  bot  diese  Besetzung  aber  Preußen  den  er- 
wünschten Anlaß,  seine  Teilnahme  am  Kriege  gegen  Frankreich 
auch  mit  dieser  Verletzung  des  Reichsgebietes  zu  begründen. 

Nach  diesem  Scheitern  seines  Planes  hätte  Dumouriez,  sollte 
man  meinen,  seinen  Plan  aufgeben  müssen.  Das  Gegenteil  davon 
ist  der  Fall3).  Er  und  seine  Genossen  blieben  bei  dem  Prinzip 
durchaus  stehen.  Sie  glaubten  nach  wie  vor  an  die  Möglichkeit, 
die  Niederlande  zum  Abfall  von  Österreich  zu  bringen,  an  starke 
Desertionen  unter  den  feindlichen  Truppen.  Selbst  nach  dem 
Scheitern  dieses  zweiten  Versuches  bildete  der  inzwischen  aus 
dem  Minister  wieder  zum  General  gewordene  Dumouriez  in  seinem 
befestigten  Lager  zu  Maulde  eine  belgisch-batavische  Legion,  in 
dieser  Hoffnung  ganz  einig  mit  der  Nationalversammlung,  wie 
deren  Beschlüsse  vom  28.  auf  29.  Juli  und  vom  2.  auf  3.  August 
beweisen4). 

1)  Auch  dieser  Vorgang  liefert  einen  Beweis  für  den  Wunsch  der 
Franzosen,  den  Frieden  mit  den  Reichsstaaten  und  den  anderen  Mächten 
zu  erhalten  (H.  Buser,  Das  Bistum  Basel  und  die  französische  Revolution. 
Diss.  Basel  1896,  S.  37—39  und  52—53). 

2)FoucartetFinotI46;  Ganniersin  R.Q.H.  63,  457  ff. 

3)  Borgnet,  Histoire  des  Beiges  II  22  ff. ;  Ganniersin  R.Q.H. 
63,  436—447 ;  Lauzun-Serignan  262—264  und  270—272. 

4)  FoucartetFinotl  110  und  124. 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution  7 


98  n-  Abschnitt 

Nur  die  Art  des  Angriffes,  meinten  sie,  sei  verfehlt  gewesen. 
Deshalb  sollte  er  möglichst  bald  wiederholt  werden.  Dumouriez 
holte  sich  dazu  einen  neuen  Mann  heran,  den  Marschall  Luckner, 
der  bisher  das  Kommando  der  Rheinarmee  gehabt  hatte  und  sich 
als  kühner  Husarenführer  schon  im  Siebenjährigen  Kriege  einen 
Namen  gemacht  hatte.  Höhere  Bedeutung  hatte  er  nicht.  Viel- 
leicht war  er  deshalb  einer  der  wenigen  Generale  gewesen,  die 
den  Ausbruch  des  Krieges  herbeigewünscht  hatten.  Noch  Ende 
April  hatte  er  sich  für  den  Angriff  ausgesprochen.  Dazu  besaß 
er  in  Frankreich  wohl  infolge  seines  derben  Auftretens,  das  stets 
einen  komischen  Anflug  hatte,  große  Popularität  —  ein  nicht  zu 
unterschätzender  Faktor1).  Er  erhielt  also  vom  15.  Mai  ab  die 
Stelle  Rochambeaus,  der  sich  durchaus  nicht  mehr  halten  lassen 
wollte.  Ein  Kriegsrat  vom  19.  Mai,  an  dem  Luckner,  Rochambeau 
und  Lafayette  teilnahmen,  setzte  fest,  nach  einem  schon  früher 
geäußerten  Plane  Rochambeaus,  daß  Luckner,  unterstützt  von 
Lafayette  auf  seiner  rechten  Flanke,  in  Flandern  einfallen  sollte, 
wo  man  nur  wenige  feindliche  Truppen  und  dazu  eine  günstige 
Stimmung  der  Bewohner  zu  finden  hoffte.  Militärische  Gründe 
sind  für  die  Wahl  des  Angriffspunktes  nur  in  zweiter  Linie  von 
Bedeutung  gewesen;  die  Hauptsache  war  die  politische  Be- 
deutung2). Auch  Luckner  erhielt  den  Befehl,  sich  vor  überlegenen 
feindlichen  Truppen  zurückzuziehen  und  das  Heer  nicht  der 
Gefahr  einer  Niederlage  auszusetzen.  Es  war  durchaus  dasselbe 
Spiel  wie  Ende  April,  nur  besser  vorbereitet  und  mit  größeren 
Mitteln. 

Er  hatte  23  000  Mann  zu  seiner  eigenen  Verfügung  für  die 
Offensive ;  die  übrigen  15  000  Mann  wurden  zum  Grenzschutz 
gebraucht,  vornehmlich  als  Besatzungen  für  die  festen  Plätze 
oder  die  befestigten  Lager.  Dazu  standen  unter  Lafayette 
18  000  Mann3).  Wenn  Dumouriez  aber  erwartet  hatte,  Luckner 
werde  energisch  vorgehen,  so  hatte  er  sich  völlig  getäuscht. 
Dieser  war  wohl  zum  Freischarenführer  geeignet  gewesen  mit 
kecken  Husarenstreichen,  aber  zum  Feldherrn  scheint  ihm  doch 
beinahe  alles  gefehlt  zu  haben.     Einen  großen  Plan  zu  fassen, 

1)  Pfeiffer,  S.  27—28,  65— 70  und  73  ff . ;  G  anni  er  s  in  R.Q.H. 
63,  447  ff.;  Ch.J.P.  192—193;  R.  mil.  (1899)  432—433;  Dumouriez 
II  334—335. 

2)  Pfeiffer  31—33;  G  anni  er  s  457—467;  Foucart  et 
F  i  n  o  t  I  73;  Krieg  gegen  die  Revolution  II  45 — 46;  Lescure  II  594. 

3)  R.  mil.   (1900)  682—683. 


Französische  Politik  und  Kriegführung  im  Frühjahr  1792  99 

danach  zu  handeln  und  selbst  die  Initiative  zu  ergreifen,  das  war 
nicht  seine  Sache.  Er  schob  die  Verantwortung  gern  anderen  zu 
und  stellte  sich  nur  an  die  zweite  Stelle1).  Schon  vor  dem  Beginn 
machte  er  tausend  Schwierigkeiten.  Man  wird  dabei  nicht  ein- 
mal annehmen  dürfen,  daß  er  mit  dem  Hinweis  auf  den  schlechten 
Stand  der  Vorbereitungen  ganz  im  Unrecht  war;  aber  jedenfalls 
ist  von  der  Kühnheit  des  Husarenobersten  nichts  mehr  zu  merken2). 
Der  Kriegsminister  Servan,  der  de  Grave  gefolgt  war  und  auch 
wirklich  die  Geschäfte  führte,  mußte  ihn  mehr  als  einmal  zum 
Vorgehen  drängen,  ja  ihm  endlich  am  8.  Juni  geradezu  den  Be- 
fehl dazu  erteilen3),  darin  zweifellos  eines  Sinnes  mit  Du- 
mouriez.  So  der  Verantwortung  in  jeder  Weise  überhoben  — 
denn  auch  den  Plan  hatte  er  ja  nicht  gemacht  —  rückte  Luckner 
endlich  vor,  kurz  vor  Ankunft  des  königlichen  Befehls  vom 
8.  Juni.  Energische  Kriegführung  lag  also  gar  nicht  in  seiner 
Absicht;  man  darf  sich  deshalb  nicht  nachher  über  ihr  Aus- 
bleiben wundern4). 

Mit  leichter  Mühe  nahm  er  Menin  und  durch  persönliches  Ein- 
treten für  seinen  bereits  in  den  Kampf  verwickelten  Unterführer 
Jarry  Courtray  am  18.  Juni.  Hier  aber  blieb  er  stehen  und  war 
nicht  zu  weiterem  Vorgehen  zu  bewegen.  Es  bedurfte  gar  nicht 
erst  der  Nachricht  vom  20.  Juni,  um  ihn  in  seinem  Vormarsch 
zum  Einhalten  zu  bringen5).  Er  fürchtete,  so  sagte  er  wenigstens, 
von  seiner  Rückzugslinie  abgeschnitten  zu  werden  und  die  Ver- 
bindung mit  Lafayette  zu  verlieren.  Bedeutende  feindliche  Kräfte 
ständen  ihm  gegenüber,  und  schon  hatte  das  Herannahen  der 
österreichisch-preußischen  Heere  Lafayette  zum  Vorwand  ge- 
dient, ein  weiteres  Vorgehen  für  unmöglich,  den  Rückzug  für 
unvermeidlich  zu  erklären6).  Ja,  Luckner  selbst  äußerte,  schon 
einen  Tag  bevor  er  in  Courtray  einzog,  den  Wunsch,  sich  bald 
zurückzuziehen,  wenn  die  erwarteten,  von  dem  Pariser  Mini- 
sterium und  dem  belgischen  Revolutionskomitee  ihm  geradezu 

1 )  Krieg  gegen  die  Revolution  II  35  und  45;  Pfeiffer  34 — 37. 
Vgl.  auch  seine  Stellung  zu  den  Ereignissen  vom  10.  August  (Foucart 
et  F  i  n  o  t  I  134). 

2)  Vgl.  dagegen  GanniersinR.  Q.H.  63,  488—489  und  D  u  m  o  u- 
r  i  e  z  II  335. 

3)  R.  mil.  (1900)  686—694;  FersenII289;Zeißberg,2  Jahre,  87. 
*)  R.  mil.  692;  R.Q.H.  63,  480—484;  Foucart  et  Finot  I  98 

und  103. 

5)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  59 — 60. 

6)  Pfeiffer  47—50;  R.  mil.  (1900)  322  ff. 


100  II.  Abschnitt 

versprochenen  österreichischen  Deserteure  und  der  Abfall  der 
Bewohner  von  der  österreichischen  Herrschaft  weiter  ausblieben1). 
Dazu  hatten  nun  die  Österreicher  ihm  gegenüber  vorzügliche 
Offiziere,  die  ihr  Handwerk  verstanden.  Sie  belästigten  die 
Franzosen  durch  geschickte  Benützung  jeder  vorhandenen 
Deckung  unaufhörlich;  sie  nisteten  sich  schließlich  in  den  Vor- 
städten von  Courtray  ein;  weit  waren  sie  überhaupt  nie  zurück- 
gegangen. Jarry,  der  an  dieser  Stelle  kommandierte,  sah  sich 
schließlich  gezwungen,  weitere  Angriffe  durch  Anzünden  der 
Vorstädte  unmöglich  zu  machen2).  Das  war  aber  ganz  gegen  den 
Wunsch  Luckners.  Dieser  sah  jetzt  die  Gewinnung  der  Ein- 
wohner für  die  französische  Sache  als  aussichtslos  an,  ganz  mit 
Recht3),  und  beschleunigte  den  schon  vorher  ohne  eigene  poli- 
tische Gründe  gegen  Dumouriez'  Absicht  geplanten  Rückzug 
noch  über  Gebühr.  Noch  am  29.  gab  er  den  Befehl  dazu4).  Am 
3.  Juli  war  er  mit  all  seinen  Truppen  in  Valenciennes  und  den 
alten  Quartieren5). 

So  war  auch  dieser  Plan  Dumouriez'  völlig  gescheitert.  Er 
selbst  war  nicht  mehr  an  leitender  Stelle.  Wenn  wir  alle  diese 
Gefechte  und  Scharmützel,  Märsche  und  Gegenmärsche  in  der 
Zeit  bis  zum  Einmarsch  der  deutschen  Hauptarmee  in  Frankreich 
überschauen,  so  werden  wir  sagen  müssen,  daß  der  Vorteil  nur 
auf  der  Seite  der  Österreicher  lag.  Fast  stets  waren  sie  es  ge- 
wesen, die  gesiegt  oder  das  Schlachtfeld  behauptet  hatten. 
Waren  sie  aber  doch  einmal  zurückgegangen,  so  hatten  sie  sich 
sagen  können,  daß  sie  nur  der  Übermacht  gewichen  waren,  wie 
besonders  bei  Courtray.    Sie  hatten  ihre  Aufgabe,  die  Niederlande 


x)  R.  mil.  (1900)  322,  337—341,  686,  696;  Pfeiffer  42-^5  und 
51—54;  SorelH481;Lauzun-Serignan  283—284;  Z  e  i  ß  b  e  r  g, 
2  Jahre,   100  und  104—105;  Vaissiere  469. 

2)  An  verräterische  Absichten  Jarrys  vermag  ich  trotz  allem  nicht 
eher  zu  glauben,  als  der  Beweis  dafür  nicht  positiv  erbracht  wird.  Die 
militärische  Begründung  seines  Vorgehens  scheint  mir  durchaus  am  Platze 
zu  sein  (Krieg  gegen  die  Revolution  II  60 — 61;  Ganniers  in  R. Q.H. 
67,  532—533  und  540  ff.;  Ch.J.P.  198.  In  Paris  glaubte  man  jetzt  wie  Ende 
April  natürlich  gleich  an  Verrat  der  Generale  [Journal  d'une  bourgeoise 
168—171  und  197]). 

3)  Auch  die  Bewilligung  einiger  Millionen  für  die  geschädigten  Ein- 
wohner durch  die  Nationalversammlung  vermochte  daran  nichts  zu  ändern. 

*)  R.Q.H.  63,  491^97;  Pfeiffer  65—70  und  54  und  45;  Gan- 
niers in  R. Q.H.  65,  503  ff.;  Krieg  gegen  die  Revolution  II  61. 

8)  R.  mil.  (1900)  322—323;  Ganniers  in  R.Q.H.  63,  491  ff.;  in 
R.Q.H.  65,  498—503. 


Französische  Politik  und  Kriegführung  im  Frühjahr  1792        101 

zu  schützen,  wider  Erwarten  lösen  können1),  hatten  selbst  sogar 
auf  besonderen  Wunsch  des  Herzogs  Albert  den  Feind  oft  genug 
im  eigenen  Lande  beunruhigt2).  Ihr  System  schien  sich  durch- 
aus bewährt  zu  haben.  Kann  man  sich  wundern,  daß  sie  es  bei- 
behielten, als  sie  sich  im  Herbst  gegen  Dumouriez  selbst  zu  ver- 
teidigen hatten? 

In  Frankreich  sah  man  in  angstvoller  Spannung  dem  tat- 
sächlichen Angriff  entgegen.  Nach  den  Unglücksfällen  vom  Ende 
April  hatte  man  sich  zwar  mit  echt  französischer  Leichtlebigkeit 
rasch  getröstet3).  Aber  noch  kannte  man  die  Kraft  der  Revo- 
lution nicht  und  redete  sich  nur  selbst  vor,  daß  nach  einigen 
Niederlagen  die  Franzosen  daraus  lernen  und  die  Feinde  wieder 
aus  dem  Lande  vertreiben  würden4).  Ein  schöner  Trost!  Und 
auch  an  ihn  glaubte  man  nicht.  Die  Truppen  desertierten  regi- 
menterweise und  widerlegten  damit  am  besten  die  pompösen 
Deklarationen  der  Generale5).  Die  wildesten  Gerüchte  tauchten 
auf  und  wurden  geglaubt6).  Zu  den  Generalen  hatten  die  Sol- 
daten, das  ganze  Volk  kein  Vertrauen.  Sie  schienen  sich  mehr 
um  den  Zustand  in  Frankreichs  Innerem  als  um  den  Schutz  der 
Grenze  zu  bekümmern  und  gaben  selbst  die  traurigsten  Nach- 
richten7). Mochte  das  auch  für  Luckner  nicht  zutreffen  (oder 
wenn  doch,  so  war  er  sicher  nur  der  Geschobene)8),  für  Lafayette 
stand  es  außer  allem  Zweifel.  Nur  so  gewinnt  das  scheinbar 
sinnlose,  dabei  äußerst  gefährliche  Hin-  und  Hermarschieren  der 
Truppen  an  der  Grenze  angesichts  des  Feindes  —  man  hat  es 


1 )  G  1  a  g  a  u  in  H.Z.  82,  451—452. 

2)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  42  und  75.  Einen  ..Vorwurf"  kann 
man  ihnen  aus  der  allgemeinen  Defensive  nicht  machen  (ib.  II  31  ff.).  Sie 
hatten  Befehl  dazu  und  fürchteten  auch,  sich  bei  ihrer  geringen  Truppen- 
zahl leicht  eine  Schlappe  zu  holen,  wenn  sie  sich  zu  weit  vorwagten.  Das 
aber  wollten  sie  unter  allen  Umständen  vermeiden.  Sie  waren  ebenso  ängst- 
lich wie  die  Preußen  um  ihre  Waffenehre  besorgt  und  wollten  den  Franzosen 
nicht  unnötig  Triumphe  verschaffen.  Es  konnte  ja  nicht  mehr  lange  dauern, 
dann  war  die  österreichisch-preußische  Hauptarmee  heran,  und  dann 
sollten  die  Franzosen  einmal  sehen,  was  die  alten  Mächte  leisten  könnten. 
Vgl.  auch  R.  mil.  (1900)  678—679. 

3)  Vatel,  Vergniaud  (1873)  I  164. 

4)  Massenbach  I  332  ff.  Brief  Goranis. 

6)  Rep.  XI  89  Bericht  von  Goltz  Paris  18.  Mai. 

6)  Vaissiere  460,  461,  464,  467—468,  493,  537,  550. 

7)  Ch.J.P.  26—27;  Glagau  356—357;  Sorel  II  488. 

8)  Dumouriez  II  348. 


102  II.  Abschnitt 

ein  chasse-croise  genannt  —  eine  Erklärung1).  Man  kann  das  von 
militärischer  Seite  wohl  totschweigen,  aber  nicht  leugnen. 

Lafayette  wollte  für  den  Fall  eines  Bürgerkrieges  seine  eigenen 
Truppen  behalten,  deren  er  sicher  zu  sein  glaubte.  Den  Frieden 
mit  den  Mächten  wollte  er,  sobald  wie  irgend  mit  Ehren  möglich, 
herbeiführen2).  Wir  werden  aber  noch  sehen,  daß  er  darunter 
ganz  etwas  anderes  verstand  als  Dumouriez.  Auch  das  diesem 
unterstellte  Korps  im  Lager  von  Maulde  hätte  nach  den  Verein- 
barungen zwischen  Lafayette  und  Luckner  nach  Metz  abmar- 
schieren sollen.  Aber  Dumouriez  hatte  durchaus  keine  Lust, 
seine  relative  Selbständigkeit  aufzugeben  und  noch  weniger, 
unter  Lafayette  zu  dienen.  Er  machte  ihm  durch  seine  Rechnung 
mit  seiner  Eigenmächtigkeit  einen  Strich  und  gewann  die  Re- 
gierung für  sich.  Er  behauptete  nämlich,  aus  Maulde  noch  nicht 
abmarschieren  zu  können,  da  sonst  die  niederländische  Grenze 
ungeschützt  den  Einfällen  der  Österreicher  preisgegeben  sei.  Daß 
die  Rheingrenze  damit  an  Stärke  verlor,  schien  er  nicht  zu  be- 
achten3). Es  ist  nicht  zu  bestreiten,  daß  er  sich  eine  Reihe  von 
groben  Pflichtverletzungen  zu  schulden  kommen  ließ,  und  für 
ausgeschlossen  kann  ich  es  nicht  halten,  daß  auch  er  vor  allem 
in  der  Nähe  von  Paris  bleiben  wollte,  um  eventuell  seinen  poli- 
tischen Freunden  helfen  zu  können4).  Er  gewann  jedoch  die 
Soldaten  und  vor  allem  die  Nationalversammlung  für  sich,  gegen 
deren  Willen  weder  Generale  noch  Minister  etwas  zu  tun  wagten5), 
und  wurde  dann  der  Nachfolger  Lafayettes,  der  Sieger  bei  Valmy, 
der  nur  durch  sein  Stillstehen  siegte. 

Jedoch,  sein  Verhalten  schien  eine  Ausnahme  zu  bilden,  und 
er  befand  sich  vor  allem  im  Juli  noch  in  untergeordneter  Stellung. 
Lafayette  aber  war  bis  zu  seinen  Schritten  gegen  Kommune  und 
Jakobiner  Ende  Juni  der  Abgott  des  Volkes  gewesen;  ihm  hätte 
man  vielleicht  sogar  außerordentliche  diktatorische  Gewalt  über- 
tragen, um  das  Vaterland  zu  retten.  Sein  Abfall  von  der  Sache 
der  Nation,  sein  Übergang  zu  den  Aristokraten  —  denn  an  ehrlich 


1)  Glagau  in  H.Z.  82,  448  ff.;  Krieg  gegen  die  Revolution  II  35; 
Dumouriez  11331  ff.  und  346  ff.;  Ch.J.P.  49  und  64—65;  Ganniers 
in  R.Q.H.  65,  513  ff.;  R.  mil.  (1900)  311  und  714—715. 

2)  R. Q.H.  65,  508  ff. ;  Memoires  de  Rochambeau  I  423—424; 
Krieg  gegen  die  Revolution  II  68—73. 

3)  R.Q.H.  65,  513  ff.;    Dumouriez  II  340—343,  354  ff.  und  388. 

4)  Glagau  in  H.Z.  82,  451—452;  Ch.J.P.  49—51. 

5)  G  a  n  n  i  e  r  s  in  R,  Q.H.  65,  533  ff. ;  D  u  m  o  u  r  i  e  z  II  360. 


Französische  Politik  und  Kriegführung  im  Frühjahr  1792        103 

gemeinte  Unterstützung  der  Verfassung  glaubte  man  nicht  mehr 
—  mußte  deshalb  umso  schwerer  wirken.  Dieser  Mann  hatte 
dazu  das  beste  Heer  Frankreichs  in  seiner  Gewalt  und  stand  mit 
dem  Hofe1)  in  engster,  vertraulichster  Verbindung,  wie  man 
wähnte.  Diese  inneren  Feinde  fürchtete  man  mehr  als  die  äußeren. 
War  man  der  ersten  ledig,  so  glaubte  man  der  anderen  schon 
eher  Herr  werden  zu  können.  Freilich  zu  heiter  darf  man  sich 
diesen  Glauben  nicht  vorstellen;  denn  wenn  nur  ein  Wunder 
Frankreich  aus  der  Gefahr  retten  konnte,  so  mußte  sie  doch 
auch  nach  der  Beseitigung  der  inneren  Feinde  noch  recht  groß 
sein.  Sie  lag  nur  nicht  so  nahe,  und  die  deutschen  Mächte  hatten 
zu  wenig  getan,  um  die  Angst  davor  dauernd  auf  der  gleichen 
Höhe  wie  anfangs  zu  halten.  Der  10.  August  löste  die  erste 
dringendste  Aufgabe.  Nur  die  Herrschaft  der  Jakobiner  konnte 
den  Franzosen  ihre  Verfassung  sichern.  Die  zweite  blieb  dem 
Zusammenwirken  von  Dumouriez  mit  dem  Herzog  von  Braun- 
schweig vorbehalten2). 

Bei  den  deutschen  Mächten  endlich  konnten  diese  militärischen 
Leistungen  nur  die  Ansicht  hervorrufen  oder  vielmehr  sie  darin 
bestärken,  daß  sie  es  mit  einem  in  der  Auflösung  befindlichen 
Staate  und  seinem  Heere  zu  tun  hatten3).  Der  so  gefürchtete 
Einfall  in  die  Niederlande  war  gescheitert,  ohne  daß  es  von 
deutscher  Seite  großer  Anstrengungen  bedurft  hätte.  An  der 
Saar  war  zwar  Kellermann  aufmarschiert  und  hielt  die  deutschen 
Kleinfürsten  in  Angst,  aber  auf  Befehl  aus  Paris  tat  er  doch  nichts 


*)  Von  seiner  Schuld,  von  seiner  verräterischen  Verbindung  mit  dem 
Auslande  war  man  mehr  und  mehr  überzeugt,  mochten  auch  die  Beweise 
dafür  durch  die  Schlauheit  der  Teilnehmer  an  dem  Komplott  nicht  vor- 
handen sein.  Sein  Verhalten  schien  deutlich  genug  dafür  zu  sprechen, 
daß  er  die  Verfassung  nicht  ehrlich  anerkannte.  Nur  mit  der  größten 
Mühe  wurden  ihm  einige  Zugeständnisse  abgerungen,  die  zu  durchkreuzen 
er  sich  eifrigst  angelegen  sein  ließ.  Gerade  die  Verfassung  war  aber  das 
Banner,  um  das  sich  die  Franzosen  scharten,  soweit  sie  überhaupt  ehrlich 
für  die  Revolution  eintraten.  Wie  sollte  man  sie  behaupten  im  Kampfe 
gegen  äußere  u  n  d  innere  Feinde  zugleich  ? 

2)  Journal  d'une  bourgeoise  passim.  Bei  der  Bewertung  dieser  Schrift- 
stücke ist  zu  berücksichtigen,  daß  die  Verfasserin  von  dem  geheimen 
Parteigetriebe  nichts  weiß  und  durch  ihren  begeisterten  Glauben  an  die 
Revolution  sich  häufig  noch  leichter  als  die  verantwortlichen  Staatsmänner 
über  die  sich  auftürmenden  Schwierigkeiten  hinwegsetzt. 

3)  G  lag  au  in  H.Z.  82,  244  ff.;  Hermann  Hüffer,  Die  Ka- 
binettsregierung in  Preußen  und  Johann  Wilhelm  Lombard,  Leipzig  1891 
S.  17;  Rep.  I  169  an  Jacobi  21.  Mai. 


104  II.  Abschnitt 

weiter,  um  die  Annahme  aufrecht  zu  erhalten,  Frankreich  führe 
nur  mit  Österreich  Krieg,  nicht  mit  dem  Reiche.  Entsprechende 
Aufträge  erhielten  die  französischen  Diplomaten  an  diesen  Höfen1). 
Frankreich  tat  wirklich  alles,  um  den  Krieg  auf  den  Waffengang 
mit  Österreich  zu  beschränken.  Als  schließlich  doch  —  aus  Not- 
wehr, wie  man  zugeben  muß  —  Reichsgebiet  verletzt  wurde,  um 
den  deutschen  Heeren  den  Einmarsch  in  Frankreich  unmöglich 
zu  machen  oder  wenigstens  zu  erschweren,  da  geschah  es  mit  so 
unzureichenden  Mitteln,  daß  der  gewünschte  Erfolg  ausblieb. 
Die  Franzosen  entschuldigten  sich  noch  höflich  bei  den  betreffen- 
den Reichsständen,  der  Schritt  richte  sich  nicht  gegen  sie,  nur 
gegen  Österreich  und  Preußen.  Jenen  gegenüber  sollte  es  bei 
dem  Neutralitätssystem  verbleiben. 

Von  dem  geplanten  Einfall  in  Savoyen2)  konnte  füglich  erst 
die  Rede  sein,  wenn  nicht  nur  ein  General,  sondern  auch  eine 
Armee  zur  Stelle  war,  und  sie  zu  beschaffen  machte  einige 
Schwierigkeit.  Als  sie  wirklich  da  war,  erwies  sie  sich  noch  einige 
Zeit  als  unbrauchbar  für  einen  Einfall  in  Feindesland.  An  allen 
drei  Stellen  war  also  der  französische  Angriff  gescheitert,  oder 
es  war  bei  Worten  geblieben.  Die  Desertionen  häuften  sich. 
Zweiundeinhalb  Regimenter  gingen  Anfang  Mai  zu  den  Prinzen 
über.  Die  Offiziere  schienen  sich  vielfach  verabredet  zu  haben, 
nach  und  nach  ins  Ausland  zu  gehen,  um  die  Verlegenheit  ihrer 
Vorgesetzten  zu  steigern,  Kenntnis  von  dem  Feldzugsplan  zu 
erlangen  und  den  bereits  verschwundenen  Kameraden,  deren 
Abwesenheit  noch  nicht  offiziell  festgestellt  war,  ihren  Sold  nach- 
zuschicken3). Alle  Anzeichen  schienen  dafür  zu  sprechen,  daß 
man  nicht  einen  eigentlichen  Feldzug,  sondern  eine  militärische 
Promenade  vor  sich  habe,  daß  die  deutschen  Heere  mehr  als 
ausreichend  zur  Niederwerfung  des  Widerstandes  seien  und  man, 
Gott  sei  Dank,  der  Hilfe  der  anderen  Mächte,  wie  etwa  Schwedens, 
entraten  könne4).    Niemand,  selbst  nicht  die  dem  Krieg  so  ab- 


*)  Vgl.  z.  B.  Rep.  96,  170  L.  Bericht  Steins  11.  Mai. 

2)  S  y  b  e  1  II  84,  89  und  330—331;  S  o  r  e  1  II  450;  Dumouriez 
II  326—327;  ßousset,  les  volontaires  59—61. 

3)  Ch.J.P.  41. 

4)  Hüff  er  in  Deutsche  Revue  1883  I  238  und  243;  Minutoli, 
Erinnerungen  13,  21  und  141;  Massenbach  I  24—28  und  267;  Krieg 
gegen  die  Revolution  I  57;  S  y  b  e  1  II  286;  Ranke  47,  276;  S  o  r  e  1  II 
493  und  442—443;  Politisches  Journal  1792  (April)  371  ff.,  Mai:  Brief 
aus  Wien  16.  Mai;  H  äußer  I  348—349;  Ch.J.P.  20;  Clapham  240; 
Rep.  XI  89  Bericht  Goltz  (Paris)  18.  Mai;  Rep.  96,  170  L.  Berichte  Steins 


Französische  Politik  und  Kriegführung  im  Frühjahr  1792        105 

geneigten  Prinz  Heinrich  und  Kaunitz1),  zweifelten  an  der  raschen 
Beendigung  dieser  Aufgabe,  zumal  man  in  den  Emigranten  eine 
Bevölkerungsklasse  schon  für  sich  habe,  die  weniger  militärisch, 
als  vielmehr  durch  ihren  alten  sozialen  Einfluß  in  Frankreich 
wirken,  die  Erhebung  der  Hofpartei  herbeiführen  sollte  in  dem 
Augenblicke,  in  dem  die  Armeen  an  den  Grenzen  angelangt 
seien2).  Unter  den  Emigranten  selbst  gab  es  sogar  Leute,  wie 
den  Marschall  v.  Broglie,  der  sich  zu  dem  Ausspruch  hinreißen 
ließ3),  man  brauche  die  Unterstützung  der  Mächte  nicht  und 
sei  allein  Manns  genug,  die  Revolutionäre  zu  züchtigen  und  zur 
Vernunft  zu  bringen.  Aber  das  war  doch  mehr  ein  Bonmot  als 
wirklich  ernsthaft  gemeint.  Vor  der  Gewalt  der  Tatsachen 
hielten  solche  Rodomontaden  nicht  stand,  und  einige  Emigranten 
glaubten  schon  zu  erkennen,  daß  der  Krieg  im  Norden  zwar  rasch 
mit  einem  Siege  der  Verbündeten  enden  werde,  daß  er  aber  dann 
im  Süden  aufflammen  könne,  und  wünschten  dafür,  besonders 
als  noch  die  Angst  vor  einer  Verschleppung  Ludwigs  nach  dem 
,  Süden  dazukam,  die  Mitwirkung  Spaniens  und  Sardiniens.  Sie 
sollten  Frankreich  wirklich  retten4).  Sicher  war  jedenfalls  der 
Sieg  der  Verbündeten.  „Die  Tragödie  wird  hoffentlich  nicht  lange 
dauern,"  schrieb  Schulenburg  an  Lucchesini  am  11.  Mai,  „und 
man  darf  annehmen,  daß  Verhandlungen  rasch  dem  WafEengange 
folgen  werden,  wenn  es  auch  nach  meiner  Ansicht  wesentlich  ist, 
sie  ihm  nicht  vorangehen  zu  lassen,"  und  etwa  einen  Monat 
darauf  (8.  Juni):  „Die  Gewaltmaßregeln,  welche  die  Höfe  von 
Berlin  und  Wien  gegen  Frankreich  anzuwenden  im  Begriffe  stehen, 
können   nicht    verfehlen,    eine   außerordentlich   rasche    (rapide) 


3.,  8.,  11.,  14.,  20.,  21.,  23.  Mai.  Vgl.  auch  das  Urteil  von  dessen  Bruder, 
dem  berühmten  Karl,  bei  Max  Lehmann,  Freiherr  v.  Stein  Bd.  I  140. 
Doch  scheint  mir  die  von  Lehmann  abgelehnte  Deutung  einer  Briefstelle 
durchaus  zu  Recht  zu  bestehen.  Rep.  I  170  Bericht  Haugwitz  9.  Juni, 
an  Haugwitz  12.  Juni;  Carisien  99 — 104. 

1)  Vie  privee  du  prince  Henri  295 — 296  (nachher  wollte  Heinrich  den 
schlechten  Ausgang  natürlich  vorausgewußt  haben,  ib.  299,  300 — 301, 
296—297);  Souvenirs  de  Bouille  1466;  Rep.  I  169  Berichte  Jacobis 
2.-4.  Mai. 

2)  Rep.  96,  147  G.  II,  S.  Au  Roi  25.  und  28.  Mai  mit  Beüagen,  F. S.A. 
Au  Roi  21.  Mai;  Ranke  190;  Vi  veno  t  II  516. 

3)  Souvenirs  de  Bouille  I  477;  Essai  sur  Bouille  405 — 406. 

4)  Vaudreuil  II  94—96,  106.  Vgl.  auch  A.  L  a  u  g  i  e  r  et  C  a  r- 
p  e  n  t  i  e  r,  Vie  anecdotique  de  Louis  Philippe  (Paris  1837)  52  und  66; 
M  o  n  t  r  o  1,  Histoire  des  Emigres  116;  Forneron  I  328 ;  Lescure 
II  596  und  610. 


106  tt  Abschnitt 

Veränderung  im  Innern  von  Frankreich  herbeizuführen"1).  Im 
Osten  gab  Katharina  II.  den  Mächten  Gelegenheit  zuzusehen, 
wie  man  ein  derartiges  Unternehmen  mustergültig  inszenierte. 
Alle  Welt  war  überzeugt,  in  Frankreich  werde  es  der  Herzog  von 
Braunschweig  ebenso  machen  wie  sie  in  Polen  mit  Hilfe  ihrer 
drei  Generale.  Wir  müssen  uns  nur  hüten,  dies  Urteil  auch  zu 
dem  unserigen  zu  machen2). 

II. 

Auch  die  politische  Tätigkeit  der  Franzosen  konnte  die 
deutschen  Mächte  nur  zu  derselben  Anschauung  führen.  Der 
Krieg  mit  Österreich  hatte  sich  nicht  mehr  verhindern  lassen. 
Dumouriez  dachte  trotzdem  nicht  daran,  die  diplomatischen  Be- 
ziehungen nun  wirklich  abzubrechen.  Zwar  wollte  er  sie  nicht 
durch  die  Gesandten  aufrechterhalten  lassen,  aber  die  alte 
Diplomatie  verstand  es,  auf  geheimem  Wege  dasselbe  Ziel  zu 
erreichen.  So  hatte  er  allerdings  Noailles  bei  der  Kriegserklärung 
abberufen.  Der  Überbringer  dieser  Mitteilungen  aber,  ein  Herr 
v.  Maison,  sollte  noch  einige  Zeit  in  Wien  bleiben,  um  eventuelle 
Eröffnungen  der  Österreicher  entgegenzunehmen.  An  Dumouriez 
lag  es  gewiß  nicht,  daß  man  auf  diesem  Wege  nicht  weiter  kam3). 
Er  hätte  auch  die  Abreise  des  österreichischen  Geschäftsträgers 
Blumendorff  aus  Paris  gern  verhindert.  Als  sie  doch  erfolgte, 
auf  strikten  Befehl  aus  Wien,  da  sprach  er  —  freilich  vergebens, 
wie  ihm  Blumendorff  sofort  bedeutet  haben  soll  —  den  Wunsch 
aus,  er  solle  möglichst  wenig  Gepäck  mitnehmen,  denn  Dumouriez 
hoffe,  ihn  bald  seine  amtlichen  Funktionen  wieder  aufnehmen  zu 
sehen.  Mit  ausgesuchter  Höflichkeit  ließ  er  ihn  und  den  gleich- 
zeitig abreisenden  preußischen  Gesandten  bis  zur  Grenze  be- 
gleiten, um  jeden  Zwischenfall  von  vornherein  unmöglich  zu 
machen4). 

Es  ist  nun  interessant  zu  beobachten,  daß  ähnliche  Stim- 
mungen dem  Wiener  Hofe  anfangs  nicht  fremd  waren.  Der 
Mann,  der  gegenüber  dem  Staatskanzler  Kaunitz  eine  schärfere 


x)  Rep.  92;  Lucchesinis  Nachlaß  37. 

2)  Smitt  II  308,  314,  366. 

3)  Sorel  II  429-430. 

4)  Bacourt-Städtler  III  349;  S  o  r  e  1  II  450;  Z  e  i  ß  b  e  r  g, 
2  Jahre,  67;  Lesen  re  II  590;  Rep.  XI  89  Goltz  18.,  21.  und  26.  Mai; 
Rep.  I  170  an  Haugwitz  28.  Mai;  Rep.  XI  89  b  Schulenburg  an  Braun- 
schweig 29.  Mai. 


Französische  Politik  und  Kriegführung  im  Frühjahr  1792        107 

Richtung  in  der  österreichischen  Politik  befürwortete  und  be- 
trieb, der  Staatsreferendar  Spielmann,  sprach  sich  im  Mai  dahin 
aus,  Verhandlungen  mit  Frankreich  könnten  ja  bald  den  Frieden 
herbeiführen.  Auch  er  dachte  eben  nicht  an  einen  Prinzipien- 
krieg ;  er  hatte  aber  auch  nicht  die  großartige  Anschauungsweise 
des  Fürsten  Kaunitz.  Wenn  er  im  April  auf  den  Krieg  hingedrängt 
hatte,  so  war  es  in  der  Erkenntnis  geschehen,  der  Krieg  sei  nicht 
mehr  zu  vermeiden,  und  der  französische  Angriff  auf  die  Nieder- 
lande stehe  unmittelbar  bevor.  Er  setzte  zunächst  eine  Ver- 
stärkung der  österreichischen  Truppen  durch  und  bat  um  preu- 
ßische Hilfe.  Nun  erfolgte  der  Angriff  der  Franzosen.  Er  wurde 
zwar  überall  zurückgeschlagen,  aber  wie  bald  konnte  ein  neuer 
erfolgen!  Den  französischen  Massen  und  den  fanatisierten  Ein- 
wohnern, die  man  mehr  zu  fürchten  schien  als  die  Franzosen 
selbst,  konnten  die  wenigen  österreichischen  Regimenter  auf  die 
Dauer  kaum  widerstehen1).  Immer  erneut  baten  sie  bei  Preußen 
um  rasche  Truppenhilfe,  ja  sie  selbst  schickten  aus  den  Vorlanden 
vier  Bataillone  und  ein  Kavallerieregiment  dorthin.  Preußen  aber 
blieb  harthörig  und  berief  sich  dafür  auf  das  ablehnende  Votum 
von  Hohenlohe  und  von  dem  Herzog  von  Braunschweig2).  Spiel- 
mann ließ  den  Kopf  hängen,  wie  Jacobi  schreibt. 

Dazu  kam  noch  eins :  Spielmann  trug  sich  mit  dem  Gedanken 
des  Austausches  der  Niederlande  gegen  Bayern.  Der  ganze  Plan 
wurde  hinfällig,  wenn  sie  nicht  mehr  österreichischer  Besitz 
waren.  Schon  bei  so  unsicherer  Lage  war  es  sehr  zweifelhaft,  ob 
der  Bayer  darauf  eingehen  werde.  Die  Furcht,  die  Niederlande 
zu  verlieren,  ließ  also  Spielmann  zu  einem  ähnlichen  Gedanken 
kommen  wie  Dumouriez.  Er  wollte  trotz  allem  mit  der  Revo- 
lution paktieren.  Auch  die  den  Preußen  so  verhaßte  Vermittlung 
Englands  scheint  er  nicht  haben  ablehnen  zu  wollen3).  Die  Eng- 
länder hielten  sich  jedoch  völlig  im  Hintergrund,  und  auch  sonst 
wurde  nichts  aus  all  diesen  Versuchen,  dem  rollenden  Rade  in 
die  Speichen  zu  greifen.  Der  Grund  dafür  wurde  schon  angedeutet. 


1)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  43;  Rep.  I  169  Berichte  Jacobis 
7.,  11.,  12.  Mai;  Rep.  I  170  Haugwitz  6.  Juni. 

2)  P.S.  zum  Bericht  Jacobis  19.  Mai,  an  Jacobi  19.  Mai. 

3)  Berichte  Jacobis  9.  Mai,  16.  Mai  P.S.  II,  19.  Mai  mit  P.S.,  30.  Mai, 
an  Jacobi  21.  Mai,  24.  Mai,  4.  Juni,  an  Haugwitz  7.  Juni.  Vgl.  auch  Bericht 
Steins  aus  Mainz  3.  Mai  in  Rep.  96,  170  L.;  Bericht  Jacobis  28.  Mai  P.S. 
tout  ce  que  lui  paraitrait  exiger  un  certain  nerf  et  des  mesures  vigoureuses 
et  decisives  Peffraie  et  le  rend  vacillant,  de  sorte  qu'il  faut  venir  ä  son 
secours  par  des  determinations  precises.     Ähnlich  30.  Mai. 


108  n.  Abschnitt 

Die  alten  Mächte  stellten  gewisse  Forderungen,  die  die  französi- 
schen Unterhändler  für  ihre  Person  vielleicht  gleich  und  für 
später  wohl  geheim  bewilligt  hätten;  sie  aber  gleich  und  öffent- 
lich zu  genehmigen,  waren  sie  nicht  im  stände.  Sie  hätten  die 
Interessen  von  fast  ganz  Frankreich  gegen  sich  gehabt  und  sich 
mit  den  von  der  Revolution  verkündeten  Grundsätzen  in  vollen 
Widerspruch  gesetzt. 

Das  alles  sind  aber  nur  Akzidenzien.  Denn  wir  haben  bessere 
Beweise  dafür,  wie  schwer  Dumouriez  an  dem  Kriege  trug,  und 
wie  er  seinen  Feinden  überall  das  Wasser  abzugraben  suchte. 
Ich  kann  mich  an  dieser  Stelle  darauf  beschränken,  auf  seine 
Versuche  in  dieser  Richtung  bei  den  Höfen  von  Turin,  Madrid, 
London,  Stockholm1)  und  bei  den  deutschen  Kleinstaaten  hin- 
zuweisen2), auf  seine  Wühlarbeit  in  Warschau  und  in  Konstanti- 
nopel. Aber  bei  den  großen  Mächten  scheiterten  seine  Versuche. 
Wir  sehen  sie  den  Sendungen  Dumouriez'  und  seiner  Nachfolger3) 
gegenüber  zwar  eine  verschiedene  Haltung  einnehmen,  aber  doch 
eigentlich  nirgends  eine  freundliche.  Frankreich  hatte  keinen 
Bundesgenossen.  Auch  dort,  wo  es  ihn  in  völliger  Verblendung 
am  eifrigsten  und  am  ausdauerndsten  suchte4),  wurden  seine 
Anträge  rundweg  abgelehnt,  ich  meine  in  Berlin. 

Preußens  Neutralität,  womöglich  sein  Bündnis  zu  gewinnen, 
war  der  Wunsch  aller  französischen  Regierungen;  seit  Dumouriez' 
Ministerium  ist  daran  gar  kein  Zweifel  mehr  möglich.  Dem  ersten 
vorsichtigen  Angebot  des  Bündnisses  um  die  Jahreswende  1790/91 
folgte  eine  längere  Pause.  Vom  Ende  1791  aber  reißt  die  Kette 
kaum  ab  bis  zum  Baseler  Frieden,  ja  bis  1805.  Die  ersten  sind 
Segur  und  Jarry5).  Es  folgen  Custine,  Benoit,  Rivals,  Bays, 
Naillac,  Mettra,  Mandrillon,  Desportes  und  wie  sie  alle  heißen 
mögen ü).   Es  wird  genügen,  wenn  ich  hier  eine  der  Verhandlungen 


x)  Vgl.  hierfür  die  besonders  interessanten  Ausführungen  von  S.  J. 
Boethiusin  Historisk  Tidskrift  utgifna  af  Svenska  Historiska  föreningen 
genom  E.  Hildebrand.     Stockholm  1888,  S.  95  ff.  und  177  ff. 

2)  In  Petersburg  scheint  keiner  gemacht  worden  zu  sein,  da  aussichts- 
los und  ohne  besondere  Bedeutung. 

3)  Diese  verfolgten  ja  genau  die  gleiche  Politik,  da  sie  in  der  Lage 
vorgezeichnet  war;  ich  werde  das  für  Preußen  noch  nachzuweisen  ver- 
suchen. 

*)  Glagau  310. 

5)  Vgl.  jedoch  Glagau   151—152. 

6)  Vgl.  für  die  späteren  Versuche  vom  Jahre  1793  an  besonders  A  u  1  a  rd 
in  La  Revolution  franeaise  18  (1890),  232  ff. 


Französische  Politik  und  Kriegführung  im  Frühjahr  1792       109 

aus  dem  Frühling  ausführlich  darstelle,  da  die  Prinzipien  für  alle 
dieselben  sind. 

Vom  9.  April  ist  nach  Sybel1)  das  Billett  datiert,  das  Du- 
mouriez  an  General  Heymann2)  nach  Berlin  schrieb  über  die 
Sendung  eines  Herrn  Benoit3).  Eine  Woche  später  soll  dieser  in 
Berlin  eingetroffen  sein.  Das  entspricht  etwa  der  Reisegeschwin- 
digkeit eines  Kuriers,  und  es  liegt  kein  Grund  zu  der  Annahme 
vor,  daß  Benoit  langsamer  reiste.  Sorel  hat  nun  den  Ankunfts- 
termin  Benoits  in  Berlin  nach  den  Pariser  Akten  auf  den  24. 
festlegen  können.  Das  ergibt  einen  Unterschied  von  einer  Woche 
gegenüber  Sybel.  Wir  hätten  seine  Abreise  etwa  auf  den  16. 
festzulegen,  wo  die  letzte  österreichische  Antwort  schon  in  Paris 
bekannt,  der  Krieg  dort  beschlossen  war.  Die  Mission  Benoits 
rückt  damit  in  ein  bedeutend  schärferes  Licht  als  bisher  an- 
genommen worden  ist.  Während  an  Österreich  der  Krieg  erklärt 
und  aus  Berlin  der  Botschafter  Moustier  endlich  formell  ab- 
berufen  wird4),   sucht   man   Preußen   seinem   Verbündeten   ab- 


1)  II  76;  Sorel  II  416  ff.  und  R.  d.  d.  m.  64,  315  und  331—332, 
wo  die  Hauptsache  noch  fehlt. 

2)  Dieser  General,  ein  elsässischer  Baron  (Sorel  II  289),  war  nach 
Sybel  ein  Emigrant  liberalerer  Richtung  (vgl.  auch  Schlosser  V  405). 
Er  verstand  sich  mehr  aufs  Intrigieren  als  aufs  Kriegführen,  hatte  den 
Ruf,  in  Berliner  diplomatischen  Kreisen,  zu  denen  man  ja  auch  die  bei 
Friedrich  Wilhelm  in  Gunst  stehenden  Damen  zu  rechnen  pflegte,  gut 
Bescheid  zu  wissen  und  besonders  Bisch  off  werder  gut  zu  kennen,  ebenso 
wie  der  Herzog  von  Lauzun,  der  sich  General  Biron  nannte  (Sorel  II 
58 — 59;  Souvenirs  de  Bouille  I  300).  Er  hatte  zu  diesem  und  dem 
Herzog  von  Orleans,  aber  auch  zu  Mirabeau  und  zu  Dumouriez  nahe  Be- 
ziehungen (ib.  239 — 242).  Mit  Bouille,  unter  dem  er  marechal  du  camp 
gewesen  war,  hatte  er  zuerst  in  russische  Dienste  treten  wollen,  wo  man 
ihnen  gute  Stellen  bereit  hielt;  aber  wie  Bouille  in  schwedische,  so  war 
er  doch  in  preußische  getreten,  wo  sie  beide  rascher  ans  Ziel  ihrer  Wünsche 
zu  kommen  hofften,  d.  h.  zur  Teilnahme  am  Kriege  gegen  die  Revolution 
(Sbornik  XXIII  544—549;  Ch.J.R   119—120). 

3)  Es  ist  wohl  derselbe,  der  zwei  Jahre  später  geheim  mit  Mercy  zu 
verhandeln  hatte.  Biographie  universelle,  nouvelle  edition  Bd.  3  (Paris 
1843)  660—662. 

4)  Er  weilte  ja  schon  seit  Anfang  Oktober  1791  nicht  mehr  in  Berlin, 
wurde  aber  erst  am  16.  April  abberufen  (Bericht  Goltz  20.  April,  an  Goltz 
3.  Mai).  Deutlich  zeigt  sich  Frankreichs  Bestreben  bei  Preußen,  die  Ab- 
berufung der  Kriegserklärung  vorangehen  zu  lassen,  noch  dazu  da  der 
Gesandte  doch  nichts  nützte  —  er  war  ja  nach  seiner  persönlichen  An- 
schauung ein  gemäßigter  Emigrant.  Umso  ausgiebiger  konnten  geheime 
Gesandtschaften  das  Feld  bearbeiten.  Moustier  erhielt  auf  Finckensteins 
Vorschlag  von  Friedrich  Wilhelm,  der  ihn  stets  persönlich  geschätzt  hatte, 


HO  II .  Abschnitt 

spenstig,  ja  es  zum  Vermittler  zwischen  Ludwig  und  seinem 
Volke  zu  machen,  nur  um  den  Frieden  zu  erhalten  oder  rasch 
wiederherzustellen,  da  man  ihn  notgedrungen  brechen  muß1). 
Um  aber  bei  Preußen  womöglich  den  Gedanken  an  eine  ursäch- 
liche Verbindung  zwischen  der  Unvermeidlichkeit  des  Krieges 
und  dem  französischen  Vermittlungsvorschlag  nicht  erst  auf- 
kommen zu  lassen,  datierte  wohl  Dumouriez  das  Billett  auf  den 
9.  April  vor.  Marie  Antoinette  scheint  zwar  von  dieser  Mission 
nichts  gewußt  zu  haben;  aber  sie  war  doch  im  allgemeinen  so 
weit  in  die  Pläne  des  Ministeriums  eingeweiht,  daß  sie  schon  am 
19.  an  Fersen  schreiben  konnte,  morgen  werde  man  an  Öster- 
reich den  Krieg  erklären,  hoffe  dadurch  jedoch  Furcht  zu  er- 
regen und  in  drei  Wochen  zu  verhandeln;  Preußen  werde  man 
trotz  seiner  kriegerischen  Haltung  nicht  angreifen2). 

Heymann  wandte  sich,  angeblich  durch  Bischoffwerder3),  an 
Schulenburg.  Dieser  lehnte  eine  mündliche  Besprechung  mit 
Benoit  zwar  ab4),  ließ  sich  aber  von  Heymann  seine  Vorschläge 
schriftlich  mitteilen5).      Sie  gingen  weit  genug,  und  mündliche 


das  übliche  Abschiedsgeschenk,  ein  reich  verziertes  Kästchen  für  1200  Taler, 
das  man  bei  dem  Juden  Ephraim  kaufte,  bei  dem  derartige  Einkäufe  sehr 
häufig  gemacht  wurden.  (Rep.  96,  147  G.  I  und  II,  F.  Au  Roi  30.  April 
und  4.  Mai;   Sorel  II  280  und  339.) 

1 )  In  diesem  Lichte  erscheint  ßenoits  Mission  auch  bei  Goltz  in  seinen 
Berichten  vom  27.  und  28.  April,  wenn  ich  darauf  auch  kein  besonders 
großes  Gewicht  legen  möchte.  Benoit  sei  Hals  über  Kopf  (precipitamment) 
abgereist  nach  der  Entscheidung  für  den  Krieg  gegen  Österreich  (depuis 
la  levee  de  bouclier  contre  le  Roi  de  Hongrie.  Goltz  meint  damit  sicher 
die  Kriegserklärung).  Für  ihn  steht  also  diese  ursächliche  Verbindung  fest. 
Ein  Datum  gibt  er  leider  für  Benoits  Abreise  nicht  an.  An  ernsthafte 
politische  Verhandlungen  glaubt  er  gar  nicht,  dazu  schätzt  er  scheinbar 
Benoit  zu  gering  ein  (vgl.  unten  Caramans  Urteil).  Mit  Bestechungsver- 
suchen werde  er  ans  Ziel  zu  kommen  suchen,  aber  Heymann  werde  dies 
Komplott  wohl  selbst  angeben.  Goltz  ereifert  sich  also  nur  gegen  das 
Mittel.  Als  er  von  Preußens  offensivem  Vorgehen  hört,  zeigt  sich  so  recht, 
daß  er  das  Ziel  Dumouriez'  gebilligt,  ja  ein  Eingehen  Preußens  darauf 
fast  für  selbstverständlich  gehalten  hatte  (Berichte  vom  27.,  28.  April, 
11.  Mai,  Rep.  XI  89). 

2)  Fersen  II  234.  Vgl.  dazu  auch  die  interessanten  aber  sehr  vor- 
sichtig gehaltenen  Bemerkungen  Dumouriez'  in  seinen  Memoiren  II  195  ff. 
und  vor  allem  Lauzun-Serignan  242. 

3)  Lettres  sur  Dumouriez  101  (vgl.  unten  genauer  über  dies  Werk). 

4)  Er  wollte  den  König  nicht  durch  den  Verkehr  mit  diesen  Elenden 
(miserables)  kompromittieren. 

5)  Heymann  hatte  Benoit  zu  deren  Niederschrift  veranlaßt,  doch  wohl 
auf  Schulenburgs  Betreiben,  wenn  das  auch  nirgends  gesagt  wird.     Viel 


Französische  Politik  und  Kriegführung  im  Frühjahr  1792       \\\ 

Äußerungen  Benoits  ließen  ein  noch  weiteres  Entgegenkommen 
erwarten.  Ich  verbinde  im  folgenden  beides.  Zunächst  gab  er 
ohne  weiteres  zu,  daß  Frankreich  alle  Ursache  habe,  den  Krieg 
zu  fürchten.  Besonders  wenn  die  preußischen  Truppen  dabei 
seien,  werde  die  neue  schwache  französische  Regierung  dem 
ersten  Anlauf  erliegen1).  Ebensosehr  wie  die  Erhaltung  des 
äußeren  wünsche  man  die  Herstellung  des  inneren  Friedens. 
Preußen  stehe  ja  dem  Kriege  fern  und  könne  durch  sein  Ansehen 
und  seine  Popularität  in  Frankreich  ebensoviel  erreichen  wie 
andere  Mächte  durch  Krieg.  Es  solle  sich  daher  zunächst  in  der 
Frage  der  geschädigten  Reichsstände  zum  Vermittler  machen2). 
Ludwig  werde  seine  Vorschläge  befürworten,  und  diese  würden 
dann  glatt  genehmigt  werden.  Daraus  ergebe  sich  die  Möglich- 
keit einer  zweiten  Intervention  in  der  Frage  der  Rückkehr  der 
Emigranten,  die  er  für  ebenso  wünschenswert  wie  notwendig 
halte3).  Daran  würden  sich  dann  ganz  natürlich  preußische 
Wünsche  auf  eine  Abänderung  der  Verfassung  schließen.  Sei  erst 
einmal  die  Kriegsgefahr  und  die  Furcht  davor  beseitigt  (das  sei 
also  die  nächste  Sorge),  so  werde  sich  die  Zustimmung  zu  jenen 
Wünschen  in  Frankreich  von  selbst  ergeben,  da  man  auch  hier 
ähnliche  hege.  Aber  das  sei  sicher:  je  weiter  sich  die  Änderungen 
von  der  bestehenden  Verfassung  entfernten,  umso  schwieriger 
werde  ihre  Durchführung.  Die  Wiederherstellung  einer  privi- 
legierten Adelskaste  und  großer  Beamtenkörper  (grands  corps  de 

Mühe  wird  ihn  das  kaum  gekostet  haben.  Rep.  I  169  an  Jacohi  28.  April, 
Rep.   XI  89  a.  S.  Au  Roi  28.  April. 

1 )  Lauzun-Serignan  73  ( Biron  an  Talleyrand  18.  Dezember  1791 ) : 
„L'assemblee  a  peur  du  Roi  de  Prusse  et  de  la  guerre. "  Ein  ganz  geheimes 
Schriftstück ! 

2)  Benoit  hatte  infolge  einer  sofort  deutlich  ablehnenden  Antwort 
an  Heymann  schon  die  früher  gehegte  Hoffnung  einer  Allianz  mit  Preußen 
aufgegeben  —  ob  diese  Angabe  Benoits  ganz  aufrichtig  ist,  lasse  ich  hier 
dahingestellt,  dieser  Plan  fällt  eigentlich  nie  zu  Boden.  Ja  man  schien 
nicht  einmal  mehr  an  eine  Trennung  Preußens  von  Österreich  zu  glauben. 
Daß  Frankreich  dem  Krieg  mit  beiden  Mächten  zugleich  sicher  nicht 
gewachsen  sei,  war  die  Überzeugung  aller  urteilsfähigen  Leute,  und  sie 
trösteten  sich  nur  mit  der  schwachen  Hoffnung,  allmählich  werde  auch  das 
französische  Heer  sich  an  den  Krieg  gewöhnen  und  die  Feinde  in  einem 
zweiten  Feldzuge  wieder  aus  dem  Lande  herausschlagen.  Dumouriez 
freilich  baute  auf  diese  Hoffnung  nicht  sehr.  Er  war  dann  sicher  nicht 
mehr  am  Ruder,  und  dies  persönliche  Moment  wird  man  nicht  ganz  ver- 
nachlässigen dürfen.  Er  tat  daher  sein  möglichstes,  um  wenigstens  den 
Krieg  gegen  zwei  furchtbare   Gegner  zugleich  zu  verhindern. 

3)  H  e  i  g  e  1  I  530  dreht  das  um. 


112  II.  Abschnitt 

magistrature)  und  die  Rückgabe  der  geistlichen  Güter1)  werde 
niemals  ohne  Gefahr  vorgeschlagen,  noch  ohne  Widerstand  an- 
genommen werden.  Eine  Stärkung  der  Krongewalt  liege  jedoch 
durchaus  im  Rahmen  des  Erreichbaren. 

Noch  eins  sei  wichtig:  man  dürfe  mit  diesen  Forderungen 
nicht  gleich  und  nicht  öffentlich  hervortreten,  sondern  erst  all- 
mählich. Auf  so  eine  langsame  Entwicklung  ist  der  ganze  Plan 
zugeschnitten.  Wir  erkennen  in  ihm  das  Bestreben,  die  von  der 
Revolution  geschaffenen  Grundlagen  festzuhalten.  Eine  Wieder- 
herstellung des  korporativen  Lebens,  der  Privilegien  des  ancien 
regime  mußte  Dumouriez  also  ausschließen.  Und  wenn  er  an  der 
Unmöglichkeit  festhielt,  die  geistlichen  Güter  zurückzugeben2), 
so  wußte  er,  daß  er  einen  großen,  stets  wachsenden  Teil  der  Nation 
hinter  sich  hatte,  den  diese  Maßregel  ruiniert  und  deshalb  in  die 
schärfste  Opposition  getrieben  hätte.  Umso  nachgiebiger  zeigte 
er  sich  dafür  in  anderen  Fragen  von  nebensächlicher  Bedeutung. 
So  hatte  Benoit  mündlich  gegen  eine  Wiederherstellung  des 
Adels  nichts  einzuwenden.  Die  Stärkung  der  monarchischen 
Gewalt  entsprach  ganz  Dumouriez'  eigenen  Absichten.  Er  per- 
sönlich wäre  den  Mächten  wohl  gern  auch  noch  weiter  entgegen- 
gekommen; denn  nach  allem,  was  wir  von  ihm  wissen,  ist  er 
nicht  der  Mann  gewesen,  der  sich  die  Durchführung  des  neuen 
Prinzips  zur  Lebensaufgabe  gemacht  hat,  der  innerlich  gebrochen 
ist,  als  dieser  Plan  scheitert.  Nur  auf  das  Wesentliche,  die  Macht, 
kam  es  ihm  an,  nicht  auf  eine  bestimmte  Regierungsform. 

Sybel3)  sieht  in  diesem  Plane  Übereinstimmung  mit  den 
Wünschen  von  Kaunitz  und  Marie  Antoinette.  Heigel4)  folgt 
ihm  darin  nicht  ganz,  da  Marie  Antoinette  nichts  davon  gewußt 
habe,  bezeichnet  aber  nachher  den  Plan  als  nicht  ehrlich  ge- 
meint. Ich  kann  mich  dem  nicht  anschließen.  Die  abweichende 
Meinung  von  Kaunitz  wie  von  Marie  Antoinette  ist  uns  gut 
genug  bekannt.  Sie  wünschte  einen  energischen  Krieg,  um  sich 
für  alle  Beleidigungen  rächen  zu  können,  und  freute  sich  daher 
über  die  Kriegserklärung5).  Die  Gründe  für  die  Annahme, 
Dumouriez  habe  es  ehrlich  mit  diesem  Versuch  gemeint,  brauche 


1)  Sorel  II  447. 

2)  Benoit   betonte   das   noch   besonders   in   seiner   Besprechung   mit 
Heymann. 

3)  II  78. 
*)  I  531. 
6)  Fersen  II  234. 


Französische  Politik  und  Kriegführung  im  Frühjahr  1792       H3 

ich  hier  aber  wohl  nicht  mehr  zu  wiederholen.  Sein  ganzes  poli- 
tisches System  würde  in  einem  anderen  Lichte  erscheinen,  wenn 
er  nicht  ehrlich  gewesen  wäre.  Nach  meiner  Ansicht  lassen  sich 
die  Quellen  nur  in  dem  angegebenen  Sinne  deuten. 

Schulenburg  teilte  diese  Vorschläge  dem  Könige  mit1).  Dieser 
lehnte  sie  auf  seinen  Antrag  nicht  ganz  ab.  Denn,  so  argumen- 
tierte Schulenburg,  solange  Dumouriez  einige  Hoffnung  auf  Er- 
folg habe,  seien  Ludwig  und  seine  Familie  in  Sicherheit2),  und 
hierfür  zu  sorgen,  hielt  er  doch  für  eine  Hauptaufgabe.  Sollte 
er  ferner  wirklich  die  Möglichkeit  einer  Anknüpfung  mit  der 
revolutionären  Partei  von  der  Hand  haben  weisen  wollen?  Eine 
Verbindung,  die  Preußen  nicht  bloßstellen  konnte,  war  doch  in 
jedem  Falle  gut.  Er  wie  sein  Nachfolger  Lucchesini  haben  jeden- 
falls diese  Haltung  angenommen,  die  ihnen  noch  immer  die  Mög- 
lichkeit zu  Verhandlungen  offen  ließ.  Natürlich  dürfe  man  die 
Vorschläge  auch  nicht  annehmen.  War  man  gegenüber  Breteuils 
Mitteilungen  manchmal  etwas  skeptisch,  so  war  man  es  hier 
völlig3).  Was  für  eine  Autorität  besaß  der  Minister  und  sein  un- 
beglaubigter Vertreter?  Das  Königspaar  vertrat  diesen 
Standpunkt  sicher  nicht.  Es  war  also  nur  der  einer  französischen 
Partei.  Welche  Macht  stand  hinter  ihr  ?  Wer  garantierte  Preußen, 
daß  das  Ministerium,  mit  dem  man  sich  heute  in  Verhandlungen 
einließ,  morgen  noch  am  Ruder  war?  Würde  dann  ein  neues 
dem  alten  Wege  folgen?  Wer  bürgte  Preußen  ferner  dafür,  daß 
die  Vorschläge  wirklich  ehrlich  gemeint  waren?  Kamen  sie  doch 
von  einem  Manne,  der  äußerlich  schärfer  als  irgend  einer  seiner 
Kollegen  und  noch  mehr  als  einer  seiner  Vorgänger  die  Forde- 
rungen der  Revolution  vertrat.  Konnte  es  nicht  bloß  eine  Finte 
sein,  um  Preußen  von  dem  Kriege  fernzuhalten  oder  wenigstens 
Zeit  zu  gewinnen4)? 


M  Sybel  II  78;  Sorel  II  447-448. 

2)  Schulenburg  meinte,  Dumouriez  wolle  sich  damit  zugleich  ein  Ver- 
dienst um  die  königliche  Familie  erwerben. 

3)  Vgl.  S  o  r  e  1  II  444—446. 

4)  Reuß,  der  gleich  am  29.  noch  vor  dem  Bekanntwerden  der  Kriegs- 
erklärung durch  Schulen  bürg  davon  erfuhr,  faßte  die  Mission  Benoits  in 
diesem  Sinne  auf.  Bisher  hatte  er  mit  Schulenburg  das  französische  Ver- 
halten unerklärlich  gefunden.  Die  Franzosen  wollten  den  Krieg  und  wollten 
ihn  doch  wieder  nicht.  Jetzt  schienen  ihm  alle  Zweifel  behoben.  Sie  wollten 
bloß  Zeit  gewinnen  und  die  Fortschritte  der  Mächte  hemmen,  ihren  Lands- 
leuten Sand  in  die  Augen  streuen  und  sich  selbst  eine  Nottür  sichern  für 
den   Fall  eines  siegreichen  Vordringens  der  deutschen  Heere  und  ihres 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution  8 


114  II.  Abschnitt 

Denn  das  stand  Schulenburg  von  vornherein  fest,  und  die 
Kriegserklärung  bestärkte  ihn  nur  noch  in  seiner  Ansicht,  es  war 
ein  Zeichen  der  Furcht.  Wir  werden  ihm  darin  durchaus  beizu- 
stimmen haben.  Können  wir  uns  dann  aber  seiner  Folgerung 
versagen,  daß  die  Franzosen  gar  nicht  im  Ernst  an  einen  Angriff 
dachten,  daß  Defensivmaßregeln  ganz  unnötig,  nur  Offensiv- 
maßregeln angebracht  seien?  Das  waren  doch  sehr  berechtigte 
Einwände  von  preußischer  Seite.  Daraus  ergab  sich  dann  für 
die  Antwort  die  Notwendigkeit,  die  äußerste  Vorsicht  zu  beob- 
achten. Seine  Kollegen  pflichteten  Schul enburgs  Ansicht  durch- 
aus bei. 

Benoit  erhielt  deshalb  durch  Heymann  nur  mündlich  eine 
Antwort,  die  man  diesem  jedoch  sicherheitshalber  schriftlich  mit- 
gab1). Preußen  könne  nur  mit  den  konzertierenden  Mächten 
und  vor  allem  mit  den  verbündeten  Österreichern  zusammen  vor- 
gehen, um  den  geschädigten  Reichsfürsten  zu  ihrem  vertrags- 
mäßigen Rechte  zu  verhelfen,  die  Ordnung  in  Frankreich  wieder- 
herzustellen und  die  Anarchie  zu  beseitigen,  die  die  anderen 
Länder  beeinflusse  und  das  europäische  Gleichgewicht  störe. 
Solange  die  gesetzliche  Macht  in  Frankreich  nicht  wieder- 
hergestellt sei,  mit  der  man  allein  auf  sicherer  Grundlage  (avec 
sürete)  verhandeln  könne,  sei  beim  besten  Willen  an  Verhand- 
lungen nicht  zu  denken.  Benoit  bemerkte  sehr  wohl,  daß  das 
keine  absolute  Ablehnung  war,  aber  noch  mehr,  daß  Preußen 
sich  für  jetzt  von  seinem  Bündnis  mit  Österreich  nicht  ab- 
bringen lassen,  sondern  mit  den  Waffen  für  die  Herstellung 
einer  festen  Regierung  in  Frankreich  sorgen  werde.  Wenn 
Caraman  recht  berichtet  ist,  wie  man  annehmen  darf,  wurde 
auch,  aber  wohl  nur  nebenher,  die  Wiederherstellung  des 
alten  Besitzstandes  vor  der  Revolution  gefordert,  also  gerade 
das,  was  Benoit  als  eine  fast  unmögliche  Forderung  hatte  be- 
zeichnen müssen.  Es  ist  eine  wichtige  Differenz  von  dem  von 
Kaunitz   geplanten   Verfahren,   aber   auch   nicht   mehr   als   ein 


Sturzes,  wie  schon  vorher  durch  die  —  nur  geplante  —  Sendung  Mauldes 
nach  Wien.  Reuß  warf  die  Frage  auf,  ob  Benoit  bei  seiner  Abreise  schon 
von  der  Kriegserklärung  gewußt  habe.  Vielleicht  könne  man  der  Antwort 
an  ihn  einen  Satz  darüber  einfügen,  daß  man  sie  schon  kenne  und  die 
Franzosen  dadurch  aufklären.  Sein  Vorschlag  konnte  jedoch  keine  Berück- 
sichtigung mehr  finden.  (Rep.  I  171  zwei  Briefe  von  Reuß  an  Schulenburg 
29.  April  1792.  Rep.  96,  147  G.  I.  S.  Au  Roi  25.  April;  Rep.  XI  89  b. 
Schulenburg  an  Braunschweig  29.  Mai). 
*)  Fersen  II  253. 


Französische  Politik  und  Kriegführung  im  Frühjahr  1792        H5 

Symptom  für  die  Ansichten  beider  Mächte  über  die  Neugestaltung 
Frankreichs  nach  dem  Kriege,  die  nachher  zu  so  lebhaften  Feder- 
kämpfen führte. 

Man  wird  die  Antwort  daher  nicht  als  höflich  ausweichend 
bezeichnen  dürfen;  für  jetzt  bedeutete  sie  doch  den  Abbruch 
aller  Verhandlungen.  Benoit,  erkannte,  daß  erst  nach  dem  Ein- 
marsch der  fremden  Heere  in  Frankreich  eine  Wiederaufnahme 
Erfolg  haben,  ihr  Plan  gelingen  könne1).  Er  traf  damit  ganz  die 
Ansicht  Schulenburgs,  der  die  Verhandlungen  dem  Einmarsch 
nicht  vorangehen,  ihm  aber  gleich  folgen  lassen  wollte2).  Am 
30.  April  reiste  Benoit  ab3)  mit  einem  Billett  Heymanns  an 
Dumouriez,  in  dem  jener  versichert,  aus  seinen  Unterhaltungen 
mit  dem  preußischen  Minister  (Schulenburg  ist  natürlich  gemeint) 
nicht  mehr  zu  wissen,  als  er  Benoit  mitgeteilt  habe.  Aber  er  gab 
ihm  mündlich  den  Rat,  Feindseligkeiten  zu  vermeiden,-  eine 
feste  Regierung  einzurichten  und  auf  Preußen  Rücksicht  zu 
nehmen4). 

Caraman  triumphierte.  Er  hatte  ja  gleich  die  Ablehnung  von 
solchen  PseudoVerhandlungen  (demi-negociations)  gefordert ;  seine 
ganze  Überhebung  tritt  deutlich  zu  Tage5).  Aber  seines  Drängens 
hat  es  wahrlich  nicht  mehr  bedurft,  um  Preußen  bei  der  Stange 
zu  halten.  Es  schlug  aber  sofort  für  seine  Zwecke  Kapital  aus 
dieser  Episode.    Es  teilte  die  Vorgänge  nach  Wien  an  Jacobi  mit 


1)  Lettres  sur  Dumouriez  101—102;  S  o  r  e  1 II 448;  Rep.  96,  147  G.  II, 
F.  S.A.  Au  Roi  28.  Mai. 

2)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  37,  Schulenburg  an  Lucchesini  11.  Mai. 
Rep.  XI  89  b  Schulenburg  an  Braunschweig  29.  Mai.  Wenn  Schulenburg 
die  Wiederaufnahme  der  Verhandlungen  mit  Benoit  für  den  Juni  scharf  ab- 
lehnte, so  findet  das  seine  Erklärung  vor  allem  in  dem  Umstände,  daß  durch 
Bischoffwerder,  vielleicht  auch  den  Herzog  von  Braunschweig,  der  Marquis 
Bouille  ins  Geheimnis  gezogen  worden  war.  Diesem  Manne  wollte  Schulen- 
burg eine  so  gefährliche  Sache  auf  keinen  Fall  anvertraut  wissen.  Die 
Geschwätzigkeit  der  Emigranten  im  allgemeinen  war  ja  bekannt.  (Rep.  96, 
170  L.  Bericht  Steins  8.  Mai.)  Bouilles  Verhalten  bei  der  Flucht  des  fran- 
zösischen Königspaares  schien  dazu  deutlich  genug  seine  Unfähigkeit  für 
solche  Aufgaben  zu  beweisen.  Außerdem  habe  man  ja  die  Möglichkeit, 
in  jedem  Augenblick  durch  Heymann  mit  Dumouriez  wieder  anzuknüpfen. 
(Rep.  XI  89  a  Bischoffwerder  an  Schulenburg  und  Schulenburg  an  Bischoff- 
werder 16.  Juni.  Rep.  XI 91  I  Friedrich  Wilhelm  an  Schulenburg  30.  Mai  ( ?). 
Bouille  an  Stein  12.  Juni.  Rep.  I  171  Braunschweigs  Note  vom  30.  Mai. 
Bouille,  Memoires  348—349.) 

3)  Sorel  II  448. 

4)  Rep.  XI  89  a;  S  o  r  e  1  II  448. 

5)  Fersen  II  251. 


116  II.  Abschnitt 

als  Beweis  der  Bundestreue1).  Zwar  fürchtete  man  auch,  Öster- 
reich könne  auf  anderem  Wege  von  der  Geschichte  erfahren,  und 
Preußen  mußte  gerade  jetzt  jeden  Schatten  eines  Mißverständ- 
nisses ängstlich  zu  vermeiden  suchen2).  Noch  war  die  öster- 
reichische Erklärung  für  den  Angriffskrieg  nicht  erfolgt.  Aber 
jene  Rücksicht  war  für  Preußen  doch  nur  ein  nebensächlicher 
Grund3).  So  sentimental  dachte  es  wirklich  nicht.  Abgesehen 
davon,  daß  es  sich  mit  Österreich  über  gleiche  Behandlung  ähn- 
licher späterer  Anträge  einigen  wollte,  die  es  mit  Recht  voraus- 
sah, wenn  auch  nicht  gerade  Maulde  zum  Überbringer  von 
Friedensvorschlägen  wurde,  wie  es  zuerst  glaubte4),  hoffte  es  in 

x)  Heigel  1530;  Rep.  I  169. 

2)  Der  Erfolg  blieb  auch  nicht  aus.  Franz  sagte  zu  Spielmann:  „Da 
muß  man  doch  wahrhaftig  sehen,  daß  der  König  von  Preußen  ein  ehrlicher 
Mann  ist,"  und  er  wollte  nun  das  Seinige  tun,  Preußen  zu  überzeugen, 
„daß  er  ein  ehrlicher  Gerl  (sie!)  sei".  Rep.  96,  153  C  Immediatbericht 
Jacobis  4.  Mai. 

3)  Ich  will  damit  nicht  bestreiten,  daß  das  preußische  Verfahren  ein 
gut  Teil  ehrlicher  war  als  das  gleichzeitige  der  Österreicher  ( V  i  v  e  n  o  t  II 410). 

*)  Hier  haben  wir  einen  fundamentalen  Irrtum  auf  preußischer  Seite 
festzustellen.  Man  glaubte  in  der  Tat  an  die  Möglichkeit,  daß  Dumouriez 
in  Wien  ähnliche  Eröffnungen  machen  werde  wie  in  Berlin.  Aber  daran 
hat  er  überhaupt  nicht  gedacht.  Mauldes  Sendung  soRte  einen  durchaus 
anderen  Charakter  haben.  Fragen,  die  die  französischen  inneren  Ver- 
hältnisse betrafen,  mußten  hier  geflissentlich  übergangen  werden,  wenn 
Dumouriez  darüber  nicht  ebenso  stürzen  wollte  wie  Delessart.  Nein,  so 
erwünscht  der  Friede  mit  Österreich  ohne  voraufgegangenen  Krieg  Du- 
mouriez gewesen  wäre,  und  so  sehr  er  auch  wünschte,  den  diplomatischen 
Verkehr  mit  Österreich  aufrechtzuerhalten  —  die  Tatsache,  daß  Österreich 
an  dem  Konzert  festhielt,  und  seine  schroffe  Sprache  wider  die  Jakobiner 
nahmen  ihm  jede  Möglichkeit  zur  Verständigung.  Für  den  Augenblick 
verzweifelte  er  an  der  Erhaltung  des  Friedens  und  suchte  nur  Preußen 
von  Österreich  zu  sich  hinüberzuziehen;  denn  auffallend  genug  ist  es,  daß 
Dumouriez-Benoit  von  dem  Konzert  überhaupt  nicht,  von  dem  Krieg 
doch  nur  wenig  sprachen.  Sie  sahen  wohl  ein,  daß  hier  Hopfen  und  Malz 
verloren,  an  Vermittlung  nicht  zu  denken  war.  Vielmehr  wurde  eine  für 
Preußen  äußerst  verlockende  Perspektive  gezeichnet.  Es  sollte  eine  Stellung 
wirklich  einnehmen,  die  es  in  Reichenbach  nur  dem  Scheine  nach  gehabt 
hatte.  Es  sollte  Schiedsrichter  in  einer  großen  europäischen  Frage  und 
damit  langsam  aber  sicher  von  Österreich  abgelöst  und  zu  Frankreich 
hingezogen  werden,  so  daß  als  natürlicher  Abschluß  dieser  Entwicklung 
ein  preußisch-französisches  Bündnis  erscheinen  mußte.  So  wollte  Du- 
mouriez Österreich  diplomatisch  isolieren  und  es  zugleich  militärisch  über- 
rumpeln (G  1  a  g  a  u  309 — 310).  Man  fühlt  sich  versucht,  Benoits  Mission 
als  letzten  verzweifelten  Versuch  zu  betrachten  —  und  doch,  es  war  nicht 
der  letzte.  Auf  immer  neuen  Wegen  erfolgten  die  französischen  Anläufe 
auf  Preußen.    Nur  die  Wege  wechselten,  das  Ziel  blieb  dasselbe. 


Französische  Politik  und  Kriegführung  im  Frühjahr  1792        \\7 

Wien  auch  den  Eindruck  zu  machen,  daß  der  Krieg  keine  großen 
Schwierigkeiten  bieten,  Kaunitz  sich  also  leichter  darauf  ein- 
lassen werde.  Es  sollte  also  noch  ein  kleiner  Ansturm  gegen  die 
österreichische  Friedensliebe  sein,  aber  er  kam  erst  nach  der 
Entscheidung  Österreichs  für  den  Angriffskrieg  zur  Wirkung; 
wenn  er  also  auch  an  ihr  keinen  Anteil  mehr  hatte,  so  löste  er  doch 
bei  Kaunitz  ähnliche  Gedanken  aus1). 

Die  Wiederholung  derartiger  Versuche  der  Franzosen,  Preußen 
von  Österreich  abzulösen,  konnte  nur  jenes  in  seiner  Ansicht 
bestärken,  daß  Frankreich  mit  der  größten  Sorge  dem  Kampfe 
entgegensehe.  Wir  kommen  hier  also  zu  demselben  Ergebnis  wie 
bei  der  Betrachtung  der  militärischen  Vorgänge  und  Zustände. 
Eine  dritte  Reihe  wirkte  in  demselben  Sinne  auf  die  Mächte  ein. 
Die  Zerklüftung  in  dem  französischen  Parteileben  brachte  es 
mit  sich,  daß  sich  einige  von  den  Parteien  an  das  Ausland  mit 
der  Bitte  um  Unterstützung  auch  jetzt  noch  wandten,  ohne 
natürlich  von  den  erwähnten  geheimen  Versuchen  ihrer  eigenen 
Regierung  zu  wissen.  So  versuchte  es  namentlich  in  dieser  Zeit 
Lafayette  wiederholt  durch  einen  Abt  Lambinet  in  Brüssel2), 
desgleichen  die  Feuillants  durch  Masson  de  Saint  Amand,  so 
Montmorin  und  Mallet  du  Pan,  dieser  persönlich  in  Frankfurt 
und  scheinbar  gestützt  auf  Ludwig  XVI.,  über  dessen  wahre  Ge- 
sinnungen die  Mächte  doch  besser  unterrichtet  waren  als  er. 
Denn  noch  immer  ging  der  geheime  Briefwechsel  Marie  Antoinettes 
mit  Fersen  weiter,  und  die  wichtigsten  Nachrichten  gingen  den 
Mächten  auf  diesem  Wege  zu.  Also  nicht  nur  die  Emigranten 
riefen  die  Anschauung  von  dem  Bevorstehen  einer  militärischen 
Promenade  hervor  —  alles  kam  vielmehr  zusammen,  um  die 
Mächte  zu  der  Ansicht  zu  bringen,  die  Revolutionäre  hätten  vor 
dem  Kriege  die  größte  Angst,  ihre  militärische  Macht  sei  in  der 
Auflösung  begriffen;  aber  ein  großer  Teil  des  Volkes  wünsche 
den  Einmarsch  und  warte  nur  auf  ihn,  um  sich  den  Mächten  offen 
anzuschließen  und  mit  ihrer  Hilfe  Ruhe  und  Ordnung  in  Frankreich 
wiederherzustellen.  Das  mußte  von  dem  größten  Einfluß  auf  die 
Mittel  sein,  welche  die  Mächte  zur  Erreichung  ihres  Zieles  wählten. 
Ihren  Maßregeln  müssen  wir  uns  daher  jetzt  zuwenden. 

1 )  V  i  v  e  n  o  t  II  419. 

2)  Auch  andere  Gesinnungsgenossen  waren  hierbei  tätig.  Von  einer 
genaueren  Schilderung  kann  ich  hier  absehen,  da  sie  bereits  in  verschiedenen 
Werken  vorliegt.  Zeißberg,  2  Jahre,  92  ff. ;  G  1  a  g  a  u  318—321  und 
360—365  und  G  1  a  g  a  u  in  H.Z.  82,  259  ff.  und  445—452;  Krieg  gegen  die 
Revolution  II  35;  Lescure  II  611  etc. 


118  II.  Abschnitt 

2.  Kapitel 

Manifeste 

I. 

Auch  die  deutschen  Mächte  begnügten  sich  nicht  mit  der  An- 
wendung von  militärischen  Zwangsmaßregeln,  sie  ließen  ihnen 
vielmehr  diplomatische  Schritte  vorangehen,  die  den  Heeren  die 
Arbeit  erleichtern  sollten.  Zugleich  konnten  sie  so  die  Zeit  nutz- 
bar machen,  die  bis  zu  dem  Beginn  der  militärischen  Operationen 
doch  noch  verstreichen  mußte.  Da  steigt  zunächst  die  Frage  auf, 
was  aus  dem  Konzert  der  europäischen  Mächte  eigentlich  ge- 
worden ist.  Es  war  ja  bisher  noch  nie  durch  gemeinsame  Schritte 
—  welcher  Art  sie  hätten  sein  können,  ist  hier  gleichgültig  — 
wirklich  ins  Leben  getreten1).  Im  April  hatte  Franz  nun  endlich 
die  Initiative  ergriffen  durch  die  Versendung  der  Einladung  an 
die  Mächte,  ihren  Beitritt  zu  erklären  und  sich  über  gemeinsame 
Maßregeln  schlüssig  zu  werden2). 

Keine  von  den  großen  Mächten  war  dabei  übergangen  worden 
(die  Türkei  selbstverständlich  ausgenommen).  Selbst  die  kleinen 
wollte  man  nach  Möglichkeit  heranziehen,  etwa  Venedig;  ja  man 
spekulierte  auf  die  tatkräftige  Mitwirkung  der  größeren  deutschen 
Reichsstände  (Bayern,  Sachsen,  Mainz,  Trier),  die  zum  Teil  selbst 
geschädigt  worden  waren  und  anfangs  am  lautesten  um  Hilfe 
gerufen  hatten3). 


x)  V  i  v  e  n  o  t  II  404.  Vgl.  auch  Clapham  171  ff.,  204—205  und 
208—209. 

2)  Vivenot  I  311—314,  317,  324—325,  II  403—406. 

3)  Vgl.  die  Listen  bei  Vi  ve  n  o  t  II  405  und  407;  Ch.J.P.  140.  In 
diesen  Rahmen  gehört  auch  die  Unterstützung  der  Wünsche  des  Land- 
grafen von  Hessen-Kassel  nach  der  9.  Kur  durch  Preußen.  Ich  übergehe 
hier  diese  Frage  gänzlich,  da  sie  mich  zu  weit  vom  Thema  abführen  würde; 
ebenso  die  Wahl  und  Krönung  von  Franz  zum  Kaiser.  Neue  Momente 
ergeben  sich  bei  ihnen  nicht.  Sie  sind  durchaus  bestimmt  von  der  Einigung 
zwischen  Österreich  und  Preußen,  das  den  Fürstenbund  völlig  preisgegeben 
hatte  (C  a  r  i  s  i  e  n  114).  Diese  veranlaßte  die  Österreicher,  die  großen 
und  kleinen  Reichsstände  härter  als  nötig  zu  behandeln  und  es  beinahe 
als  eine  Gnade  hinzustellen,  wenn  Franz  die  Wahl  überhaupt  annehme 
(Bericht  Jacobis  2.  Mai  P.S.  I).  Ebenso  machten  sie  es  in  anderen  Fragen, 
namentlich  in  der  des  Krieges  gegen  Frankreich.  Manche  Kleinstaaten 
bereiteten  dem  Marsch  der  österreichischen  Truppen  an  den  Rhein  mög- 
lichst viel  Hindernisse;  die  österreichischen  Regressivmaßregeln  gingen 
jedoch  so  weit,  daß  das  preußische  Kabinettsministerium  Jacobi   besonders 


Manifeste  119 

Wenn  man  von  den  letztgenannten  auch  nicht  den  Beitritt 
zum  Konzert  erwartete,  so  doch  die  Bildung  einer  Assoziation 
der  vorderen  Reichskreise1),  die  bis  zur  Vollendung  der  Rüstungen 
der  großen  Mächte  die  Reichsgrenzen  decken  sollten  zusammen 
mit  den  österreichischen  und  preußischen  Truppenteilen,  die  schon 
zur  Stelle  waren2).  Tatsächlich  ist  jedoch  aus  der  Assoziation 
nichts  geworden.  Die  Reichsfürsten  fürchteten  mit  einem  solchen 
Schritt  gerade  den  Angriff  der  Franzosen  heraufzubeschwören, 
zu  dessen  Durchführung  französische  Truppen,  vornehmlich  unter 
Kellermann  und  Custine,  an  der  Grenze  bereit  standen.  Sie  taten 
deshalb  so,  als  wenn  sie  auf  die  französischen  Friedens  vorschlage 
eingingen  —  vielen  von  ihnen  war  es  damit  sogar  voller  Ernst 
—  gewannen  damit  Zeit,  und  als  die  österreichisch-preußischen 
Truppen  zur  Stelle  waren,  traten  sie  den  Franzosen  gegenüber 
fester  auf  und  wiesen  auf  die  Vorstellungen  der  deutschen  Groß- 
mächte, doch  immer  noch  nicht  ganz  freiwillig,  wie  ich  glaube, 
die  französischen  Vertreter  aus.  Ein  Teil  von  ihnen  schloß  Kon- 
ventionen über  die  Stellung  von  Truppen  zur  Koalitionsarmee 
ab  oder  suchte  sich  sonst  ein  Verdienst,  d.  h.  ein  Anrecht  auf 
Entschädigung  zu  erwerben,  wie  das  anfangs  so  steifnackige 
Württemberg.  Aber  nur  kurze  Zeit  dauerte  dieser  schöne  Traum, 
der  einigen  von  ihnen  nicht  nur  die  Rückgabe  des  Verlorenen, 
sondern  sogar  Erweiterung  ihrer  Macht  versprochen  hatte.  Nach 
dem  Rückzug  aus  der  Champagne  und  dem  Einfall  Custines  lagen 
sie  alle  vor  der  Revolution  auf  dem  Bauche,  und  wer  wird  ihnen 
einen  Vorwurf  daraus  machen?  Ihre  Existenz  stand  auf  dem 
Spiele.  Erst  die  Einnahme  von  Frankfurt  und  der  Vormarsch 
der  Verbündeten  im  Frühjahr  1793  befreite  sie  aus  dieser  Ge- 
fahr3). Ich  kann  diese  Entwicklung  hier  natürlich  nur  andeuten, 
da  sie  durchaus  bestimmt  ist  von  den  Beziehungen  der  großen 


befehlen  mußte,  nicht  dagegen  aufzutreten,  da  eine  scharfe  Sprache  das 
beste  Mittel  sei,  die  widerspenstigen  Glieder  des  Reiches  zur  Vernunft  zu 
bringen  (Bericht  Jacobis  9.  Mai  mit  P.S.,  an  Jacobi  14.  Mai). 

1)  Hei  gel  I  537—539. 

2)  V  i  v  e  n  o  1 1  309  und  319,  II  409,  433,  458;  Rep.  96,  170  L.  Bericht 
Steins  8.  Mai;  Rep.  9— 272,  F.A.  Au  Roi  20.  Juli;  Rep.  XI  89  g1  Schulen- 
burg an Finckenstein und  Alvensleben 20.  Juli;  Rep.  98  B 10  Schulenburg  an 
Cesar  10.  August;  Rep.  98  B  17  Schulenburg  an  Sacken  und  Görtz  14.  Juli; 
Rep.  XI  89  K  Schlick  an  Stein  16.  Juli,  Stein  an  Schulenburg  17.  Juli; 
Hei  gel  II  43—44  und  86;  Vivenot  II  576  und  578. 

3)  Vgl.  hierfür  noch  A  u  1  a  r  d  in  La  revolution  francaise  18  (Paris 
1890)  S.  349  ff. 


1 20  II.  Abschnitt 

Mächte  zueinander  und  selbst  kaum  eine  Rückwirkung  darauf 
ausgeübt  hat. 

Betrachten  wir  nun  das  Programm  für  das  Konzert,  das 
Kaunitz  den  Mächten  entwickelte.  Zunächst  sollten  die  fremden 
Vertreter  oder  besonders  ernannte  Personen  (vgl.  Bischoffwerder) 
sich  in  Wien  über  den  Plan  einigen.  Das  schien  also  eine  weit- 
angelegte diplomatische  Aktion  werden  zu  sollen.  Wenn  man 
in  Wien  auch  noch  so  sehr  auf  Beschleunigung  drängte,  so  war 
man  doch  überzeugt,  daß  vor  Ablauf  von  8 — 10  Wochen  nichts 
erfolgen  könne1).  Man  wollte  von  Frankreich  die  Abstellung  von 
Übelständen  fordern,  die  hier  als  gemeinsame  Angelegenheit 
(cause  commune)  aller  Mächte  erscheinen  und  die  wir  in  zwei 
Gruppen  teilen  können:  1.  Die  Bedrohung  des  Auslandes  durch 
die  Revolution,  die  sich  äußerte  in  der  Zusammenziehung  von 
starken  Heeren  und  in  Kriegsvorbereitungen,  in  der  sich  nach 
anderen  Staaten  ausbreitenden  revolutionären  Propaganda  und 
in  der  Verletzung  der  Verträge,  besonders  hinsichtlich  der  deut- 
schen Reichsfürsten  im  Elsaß  und  des  Papstes  in  Avignon  und 
Venaissin.  2.  Das  Interesse  der  Mächte  an  der  Wiederherstellung 
der  gesetzlichen  Macht  des  Königtums  und  seiner  Freiheit,  die 
durch  die  Umtriebe  der  Jakobiner  gefährdet  oder  illusorisch 
gemacht  worden  sei,  ja  an  der  Wiederherstellung  eines  geord- 
neten, regelmäßigen,  ruhigen  und  festen  Zustandes  überhaupt. 
Nun  hätten  aber  die  Mächte  nicht  ohne  weiteres  das  Recht,  der 
französischen  Nation  vorzuschreiben,  was  sie  zu  tun  und  zu  lassen 
habe.  Sowie  der  König  frei  sei  und  sich  über  die  Verfassung  mit 
den  gesetzlichen  Vertretern  der  Nation  geeinigt  habe,  hätten  die 
Mächte  das  anzuerkennen.  Um  nicht  die  Nation  gegen  sie  auf- 
zubringen und  zu  einigen,  dürften  sie  keine  völlige  Gegenrevo- 
lution proklamieren,  wie  sie  etwa  die  Prinzen  wollten.  Die  Mächte 
müßten  sich  mit  solchen  Maßnahmen  begnügen,  die  Haltbarkeit 
versprächen  auch  für  die  Zeit,  wo  die  fremden  Heere  nicht  mehr 
zu  ihrer  Aufrechterhaltung  in  Frankreich  weilten.  Daraus  ergebe 
sich  die  Notwendigkeit,  den  „vernünftigeren,  bescheideneren  und 
mäßigeren  Teil  der  Nation"  möglichst  zu  schonen,  seine  positive 
Mitarbeit  zu  gewinnen. 

Dies  die  Aufgaben  und  das  Ziel.  Zur  Durchführung  müßten 
sehr  beträchtliche  Streitkräfte  aufgebracht  werden,  da  man  ja 
nicht  nur  defensiv,  sondern  nötigenfalls  auch  offensiv  verfahren 


*)  Vi  veno  t  I  308. 


Manifeste  121 

müsse1).  Halbe  Maßregeln  würden  nur  Schaden  stiften,  nämlich 
die  Mächte  kompromittieren  und  das  Ziel  doch  nicht  erreichen. 
Die  Emigranten  müsse  man  von  der  Aktion  ausschließen,  um  den 
Endzweck  nicht  zu  gefährden,  da  sie  bei  einem  großen  Teile  der 
Nation  äußerst  verhaßt  und  ihre  Pläne  nicht  als  durchführbar 
anzusehen  seien.  Bei  dem  gleichen  Interesse  aller  Mächte  ver- 
stünden sich  gleiche  Aufwendungen  von  selbst.  Wenn  die  nächst- 
gelegenen Staaten  mehr  Truppen  stellten,  als  ihnen  verhältnis- 
mäßig zukomme,  so  könnten  sich  die  weiter  abgelegenen  durch 
Geldzahlungen  beteiligen,  durch  die  den  erstgenannten  ihre  Mehr- 
aufwendungen vergütet  würden.  Österreich  und  Preußen  hätten 
sich  über  die  Stellung  von  je  50  000  Mann  geeinigt.  Die  Absendung 
von  je  6000  Mann  sei  schon  beschlossen,  und  neuere  Nachrichten 
hätten  den  Beschluß  hervorgerufen,  weitere  15  000  Mann  abzu- 
senden2). Aber  bis  zum  Zustandekommen  des  Konzertes,  seien 
das  lediglich  defensive  Maßregeln,  erst  danach  könne  von  offen- 
siven die  Rede  sein3).  Um  die  Maßregeln  möglichst  zu  beschleu- 
nigen, sollte  in  Wien  über  alle  diese  Vorschläge  beraten  und 
Beschluß  gefaßt  werden4).  Sei  das  Konzert  zu  stände  gebracht, 
die  Armeen  zur  Stelle,  die  gemeinsame  Erklärung  gegen  Frank- 
reich erlassen,  und  ergebe  sich  dann  die  Notwendigkeit  eines 
armierten  Kongresses,  so  sei  dazu  nicht  Wien,  sondern  eine  nahe 
an  Frankreich  gelegene  Stadt  zu  wählen. 

Das  Konzert  erscheint  hier  also  als  diplomatisch-militärisches 
Pressionsmittel  der  in  ihren  gemeinsamen  Interessen  bedrohten 
europäischen  Mächte  gegenüber  der  Revolution5).  Von  eigent- 
lichen kriegerischen  Unternehmungen  ist  in  fundamentalem 
Gegensatze  zu  den  Forderungen  von  Marie  Antoinette  noch  keine 
Rede.  Die  Österreicher  hatten  gute  Gründe,  sich  darüber  aus- 
zuschweigen.      Sie  glaubten  nicht,  daß  das  Konzert  jemals  zu 


1 )  ...  au  cas  qu'il  devienne  necessaire  d'y  einployer  les  voies  extremes 
(Vivenot  II  404  S.  3). 

2)  Beide  Angaben  trafen  nur  für  Österreich  zu. 

3)  Vivenot  II  406. 

4)  Das  hätte  bedeutet,  daß  Österreich  die  Leitung  des  Konzertes  in 
die  Hand  bekommen  hätte  unter  dem  Anschein  ganz  uneigennützigen 
Vorgehens. 

5)  Es  war  der  Versuch  der  Konstituierung  einer  Art  europäischer 
Republik  oder  Staatenfamilie,  wie  sie  sich  schon  Voltaire  im  Geiste  vor- 
gestellt hatte,  die  ein  widerstrebendes  Glied  zur  Einhaltung  einer  bestimmten 
Bahn  zwingen  sollte,  wie  sie  nach  allen  vorangegangenen  Ereignissen  da- 
mals unmöglich  war  (S  o  r  e  1  I  9—10  und  71,  II  233;  Ranke  173). 


122  II.  Abschnitt 

aktiven  Maßregeln  im  stände  sein  werde.  Sie  rechneten  immer 
noch  mit  der  Möglichkeit1),  daß  sich  Frankreich  der  Gefahr  einer 
gemeinsamen  Aktion  einiger  europäischer  Mächte2)  nicht  erst 
aussetzen  werde.  Kaunitz  glaubte  es  mit  einem  zweiten  Polen 
zu  tun  zu  haben  und  verkannte  so  mit  ganz  Europa  den  Charakter 
der  französischen  Revolution3).  Der  diplomatische  Druck,  ge- 
stützt auf  österreichisch-preußische  Truppen,  werde  ausreichen, 
der  gemäßigten  Partei  in  Frankreich  den  Sieg  zu  verschaffen, 
damit  das  Konzert  gegenstandslos  zu  machen.  Das  scheint  mir 
die  einzige  Erklärung  zu  sein,  die  man  dem  österreichischen  Ver- 
fahren geben  kann. 

Die  Ergebnisse  des  Versuches  waren  noch  weit  geringer,  als 
man  in  Wien  und  in  Berlin  angenommen  hatte4).  Den  Beitritt 
lehnten  von  vornherein  ab,  wenn  auch  erst  nach  mehr  oder 
weniger  langem  Zögern,  das  deutlich  genug  sprach:  England  — 
also  auch  Holland  —  Dänemark,  Schweden  unter  dem  Regenten5), 
Spanien  unter  Arandaü),  Portugal,  Neapel,  Venedig.  Es  blieben 
also  nur  Rußland  und  Sardinien  (Preußen  stets  ausgenommen). 
Sardinien  war  zwar  durch  die  engsten  Familienbande  mit  dem 
französischen  Königshause  verknüpft.  Zwei  Brüder  Ludwigs  XVI. 

1 )  Diese  Maßregeln  wurden  vor  der  Einigung  mit  Preußen  und  vor  der 
französischen  Kriegserklärung  vorgeschlagen. 

2)  Daß  nicht  alle  Mächte  dabei  sein  würden,  dessen  war  man  in  Wien 
von  vornherein  sicher. 

3)  Sorel  I  457,  543,  II  20—21,  91—95  etc. 
*)VivenotI  301,  II  410;  Sorel  II  502—503;  Ch.J.P.   139  ff. 

Auch  Preußen  urteilte  alles  andere  eher  als  hoffnungsfreudig.  Es  hatte 
schon  im  Februar  auf  eine  eventuelle  Spaltung  unter  den  zum  Konzert 
einzuladenden  Mächten  bei  Österreich  hingewiesen.  Jetzt  wiederholte 
es  das  nur  noch  stärker  und  zählte  die  einzelnen  Mächte  her,  auf  die  man 
—  nicht  rechnen  könne.  Da  blieb  tatsächlich  kaum  eine  übrig  nach 
dem  Ausscheiden  von  Schweden  infolge  von  Gustavs  Ermordung  und  von 
Spanien  infolge  des  Sturzes  von  Florida  Bianca.  ...  de  sorte  qu'il  devient  de 
plus  en  plus  important  de  pouvoir  juger  jusqu'a  quel  point  d' apres  les  idees 
de  la  Cour  de  Vienne  la  defection  de  teile  ou  autre  puissance  fera  tomber 
entierement  le  concert  propose  d'autant  plus  que  la  Cooperation  de  la 
Sardaigne  sera  tout  au  moins  tres  faible  et  que  celle  de  la  Russie  ne  laisse 
pas  que  d'etre  problematique  depuis  les  evenement  qui  attireront  une 
partie  de  son  attention  sur  la  Suede  (an  Jacobi  20.  April,  vgl.  auch  30.  April). 

8)  Als  Vorwand  diente  das  Ausbleiben  der  von  Spanien  und  Rußland 
versprochenen  Subsidien. 

6)  Hermann  Baum  garten,  Geschichte  Spaniens  zur  Zeit  der 
französischen  Revolution.  Berlin  1861.  S.  380 ff.  Leonce  Pingan d,  un 
agent  secret  sous  la  revolution  et  Pempire.  Le  comte  d'Antraigues  (Paris 
1893)  S.  100—102. 


Manifeste  123 

waren  mit  zwei  Töchtern  von  Viktor  Amadeus  verheiratet.  Hier 
hatten  daher  auch  die  Emigranten,  Graf  Artois  an  der  Spitze, 
zuerst  Aufnahme  gefunden.  Aber  als  die  Lage  politisch  bedroh- 
lich zu  werden  begann,  da  hatten  die  Emigranten  doch,  nicht 
ganz  freiwillig,  hier  das  Feld  räumen  müssen.  Jetzt  erklärte 
Sardinien  sich  für  außer  stände,  ohne  österreichische  Hilfe  mehr 
zu  leisten  als  die  Verteidigung  seines  eigenen  Landes.  Selbst 
dazu  wollte  es  Verstärkung  durch  österreichische  Truppen  aus 
der  Lombardei  haben,  die  es  dann  auch  erhielt,  aber  erst  nach 
langem  Zögern  Österreichs.  Das  gab  jenem  Veranlassung,  die 
Schuld  dafür,  daß  es  nicht  kräftig  handele,  von  sich  ab  auf  Öster- 
reich zu  wälzen.  Endlich  wollte  es  für  seine  Leistungen  auch  noch 
entschädigt  werden,  und  zwar  durch  Land,  wie  es  deutlich  genug 
zu  erkennen  gab.  Praktisch  war  also  die  Beteiligung  Sardiniens 
für  Österreich  beinahe  ein  Minus1). 

Rußland  endlich  erklärte  sich  nach  all  seinen  pompösen  De- 
monstrationen zu  Gunsten  des  Königtums  und  der  Emigranten 
bereit2)  zur  Stellung  von  —  15  000  Mann3),  von  denen  es  nach 
dem  österreichisch-russischen  Vertrage  von  1789,  der  im  Sommer 
1792  erneuert  wurde,  nach  dem  französischen  Angriffe  ohne 
weiteres  12  000  Mann  stellen  mußte.  Diese  außer  den  15  000  Mann 
noch  zu  stellen,  war  es  keineswegs  gewillt4).  Deren  Abmarsch 
sollte  sich  ferner  nach  dem  Verlaufe  der  polnischen  Angelegen- 
heit richten:  für  die  Mächte  hieß  das  ein  Hinausschieben  der 
Ankunft  der  russischen  Truppen  auf  dem  Kriegsschauplatze  bis 
in  den  Herbst,  d.  h.  also  bis  zu  dem  Zeitpunkt,  an  dem  man 
bereits  in  Paris  zu  sein  dachte,  und  wo  sowieso  nach  damaligem 
Kriegsbrauch  von  entscheidenden  Operationen  keine  Rede  mehr 
war.  Die  Russen  wären  also  tatsächlich  ohne  jede  eigene  Leistung 
davongekommen5).  Der  preußische  Gesandte  in  Petersburg 
konnte  sich  nicht  enthalten,  seiner  Entrüstung  über  ein  der- 
artiges Vorgehen  lauten  Ausdruck  zu  verleihen.    Er  wurde  mehr- 


1 )  Vivenot  II   468,   474,   486.      Berichte   von  Jacobi,   Haugwitz 
und  Cesar  mit  den  entsprechenden  Erlassen. 

2 )  An  der  Absicht,  dem  Angebote  die  Tat  folgen  zu  lassen,  wird  man 
doch  noch  stark  zweifeln  dürfen.    Vgl.  S  o  r  e  1  II  503. 

3)  H.A.  63—64  und  69—70;  H.E.B.  234—235;  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  29—30; 
F  e  r  s  e  n  II  267—269. 

4)  Berichte  von  Goltz  14./25.  und  18./29.  Mai,  15./26.  Juni. 

5)  Stornik  XXIII  577;  Vivenot  II  457  und  471;  an   Goltz 
21.   August;  an  Haugwitz  12.  Juni. 


124  II.  Abschnitt 

fach  stärker  als  Ludwig  Cobenzl  selbst1)  bei  Ostermann  vor- 
stellig, Rußland  solle  das  Korps  vergrößern2),  natürlich  ohne 
Erfolg.  In  Berlin  hatte  man  sich  von  vornherein  den  Kopf  freier 
gehalten  und  so  gut  wie  gar  nicht  auf  Rußlands  militärische  Mit- 
wirkung gerechnet.  Man  war  daher  mit  der  generellen  Zustim- 
mung Katharinas  zufrieden,  befahl  dem  Gesandten,  keine  weiteren 
Schritte  mehr  zu  tun,  um  Katharina  nicht  zu  reizen  und  sie  zur 
Verweigerung  jeder  Hilfe  zu  veranlassen.  Man  fand  zwar  in 
ihrer  Voranstellung  der  Emigranten  das  preußische  Interesse 
ebensowenig  gewahrt  wie  in  deren  gänzlichem  Ausschluß  nach 
österreichischem  Rezept,  aber  die  Russen  konnten  mit  ihrem 
Plan  doch  dazu  beitragen,  den  preußischen  Plan  als  Mittellinie 
zur  Durchführung  zu  bringen3).  Dazu  rechnete  man  in  Berlin 
und  Wien  damit4),  daß  die  Ankündigung  des  Marsches  von 
15  000  Mann  in  Paris  großen  Schrecken  hervorrufen,  also  gerade 
in  der  Richtung  wirken  werde,  die  Preußen  selbst  so  eifrig  ver- 
folgte, und  verzichtete  auf  eine  Mitwirkung  der  Russen  am  Feld- 
zuge von  vornherein,  die  sogar  noch  wegen  des  verschiedenen 
politischen  Systems  Verlegenheiten  hätte  hervorrufen  können5). 
Nun  kennen  wir  schon  die  traurige  Lage  der  österreichischen 
Finanzen,  und  wissen  auch,  wie  unangenehm  den  Österreichern 
die  Unterstützung  der  Emigranten  durch  Katharina  war.  Bei 
dem  Erscheinen  des  russischen  Hilfskorps  waren  alle  Versuche, 
sie  zurückzuhalten,  schon  dadurch  allein  undurchführbar  ge- 
worden0). Österreich  machte  deshalb  nach  der  Entscheidung 
von  Franz7),  mit  Einwilligung  Preußens,  das  bei  der  schlechten 
russischen  Finanzlage  zwar  nicht  an  diese  Umwandlung  glaubte, 
aber  gern  für  die  Emigranten  noch  aus  besonderen  Gründen  Geld 
herausgeschlagen  hätte,  um  das  sie  ja  wieder  und  wieder  baten8), 
gestützt  auf  die  Bestimmungen,  nicht  des  Vertrages,  der  für 
Österreich  zu   ungünstig   sei9),   sondern   des   Konzertplanes   an 


1)  Erst  am  21.  Juni  erhielt  er  Befehl  mehr  zu  fordern,  gleichzeitig 
aber  um  die  Umwandlung  der  Truppen  in  Geld  zu  bitten.  Vivenot  II 
471;  Rep.  XI  Rußland  133  A.  Au  Roi  27.  Juni. 

2)  Berichte  14./25.  und  18./29.  Mai,  21.  Mai/1.  Juni. 

3)  An  Goltz  10.,  14.,  16.  Juni. 
*)  Vivenot  II  457. 

5)  An  Goltz  14.  Juni. 

6)  Bericht  von  Haugwitz  9.  Juni. 

7)  V  i  v  e  n  o  t  II  457. 

8)  An  Haugwitz  16.  Juni;  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  39—44  und  50—52. 

9)  Bericht  von  Haugwitz  14.  Juni;  Vivenot  II  457. 


Manifeste  125 

Rußland  den  Vorschlag,  zwar  möglichst  laut  seine  aktive  Mit- 
wirkung am  Konzert  zu  verkünden,  um  damit  den  Franzosen  zu 
imponieren,  sie  einzuschüchtern,  damit  sie  womöglich  noch  vor 
der  Aktion  die  Forderungen  der  Mächte  bewilligten1)  —  also  ganz 
wie  Preußen  —  aber  Heber  Geld  als  Truppen  zu  stellen,  das  dann 
natürlich  mit  Preußen  geteilt  werden  müßte2).  Katharina  stellte 
sich  darüber  erst  etwas  befremdet,  willigte  dann  aber  ein,  froh, 
so  billigen  Kaufes  dieser  lästigen  Sache  ledig  geworden  zu  sein3). 
Aber  wie  überrascht  waren  die  Verbündeten,  als  Katharina 
es  mit  der  polnischen  Verwicklung  begründete,  daß  sie  nur 
400  000  Rubel  hergeben  könne.  So  viel  mußte  sie  schon  nach  dem 
Vertrage  mit  Österreich  zahlen,  so  daß  Preußen  in  der  Tat  hier- 
bei leer  ausging.  Rußland  war  damit  aus  der  Reihe  der  krieg- 
führenden Mächte  ausgeschieden,  in  dem  Augenblicke,  wo  es 
sich  darum  handelte,  den  Worten  Taten  folgen  zu  lassen.4). 

Man  fühlt  sich  wirklich  versucht,  hierbei  von  dem  Erstehen 
einer  Maus  nach  dem  Erzittern  von  Bergen  zu  reden.  Gesprochen 
hatte  wohl  jeder  Diplomat  damals  von  dem  europäischen  Kon- 
zert5), an  wirksame  Maßregeln  desselben  geglaubt  kaum  einer. 
Die  ganze  Hohlheit  dieser  diplomatischen  Formen  kommt  hier 
so  deutlich  zur  Erscheinung  wie  sonst  nie,  zugleich  die  Tatsache, 
daß  jede  Macht  ihre  Schritte  nach  den  eigenen  Interessen  richtet 
und  nicht  nach  denen,  die  man  ihr  als  die  ihrigen  vorzuspiegeln 
versucht.  An  Bemühungen  hatten  es  weder  die  Emigranten, 
noch  Marie  Antoinette  mit  Fersen  und  Breteuil  und  deren  ganzem 
Stab  von  Mitarbeitern  fehlen  lassen,  noch  endlich  die  Öster- 
reicher, Mercy  und  Kaunitz  an  der  Spitze.  Die  ganze  Chimäre 
ging  in  Rauch  auf,  als  es  sich  darum  handelte,  mehr  zu  tun  als 
diplomatische  Noten  anzufertigen.  Mochte  auch  bei  einigen 
Fürsten  tatsächlich  der  Wunsch  vorhanden  sein,  zu  Gunsten 
Ludwigs  zu  intervenieren6),  sie  fragten  sich  doch  alle,  was  sie 

1)  An  Haugwitz   12.  und  16.  Juni;  an   Goltz  2.   August. 

2)  V  i  v  e  n  o  t  II  468,  471,  473,  474;  an  Goltz  20.  und  27.  Juni;  Bericht 
von  Haugwitz  14.  Juni. 

3)  Fersen  II  36—37,  375,  380,  384;  an  Goltz  11.  März. 

4)  Vivenot  II  550,  559,  568.  Bericht  von  Goltz  17./28.  August 
und  24.  August/4.  September.  An  Goltz  14.  und  21.  September.  Minnen 
ur  Sveriges  nyare  Historia.  Sambade  af  B.  von  Schinkel.  Bihang  utgifvit 
af  S.  J.  Boethius.  Upsala.     I  167  ff. 

6)  Hei  gel  II  55. 

6)  Ich  möchte  hier  außer  Friedrich  Wilhelm  doch  aucb  Katharina  II. 
nennen,  aus  deren  Briefen  an  Grimm  sich,  wie  mir  scheint,  deutlich  ihre 
wahre  Anschauung  ergibt. 


126  n-  Abschnitt 

dafür  bekämen  oder  was  sie  sonst  damit  erreichen  könnten, 
bezw.  welchen  Gefahren  sie  sich  damit  aussetzten,  und  als  die 
Rechnung  ein  Minus  für  sie  ergab,  da  blieben  sie  zu  Hause.  In- 
sofern ist  also  von  einem  Prinzipienkrieg  keine  Rede. 

Nur  Österreich  und  Preußen  blieben  übrig.  Welche  Ten- 
denzen sie  bei  dem  Kriege  hatten,  sahen  wir  schon1).  Sie  hatten 
ja  nun  zu  ihrem  Bunde  vom  7.  Februar,  entsprechend  dem 
Artikel  72),  Mitte  April  endlich3)  die  Mächte  zum  Beitritt  dazu 
eingeladen,  über  die  sie  sich  im  Vertrag  geeinigt  hatten:  Eng- 
land, Holland,  Sachsen  und  Rußland4).  Aber  England,  also  auch 
Holland5),  lehnten  den  Beitritt  ab,  da  sie  damit  in  den  Krieg 
gegen  Frankreich  eintreten  würden.  Nichts  lag  ihnen  ferner  als 
eine  Provokation  Frankreichs,  das  sie  im  Frieden  besser  beerben 
zu  können  meinten,  als  im  Kriege.  So  ist  es  zu  verstehen,  wenn 
Georg  III.  in  seiner  Antwort  an  Franz  betont,  auch  die  Interessen 
seines  Landes  verböten  ihm  den  Eintritt  in  die  Allianz6).  Eng- 
land wollte  nur  für  sich  existieren7).  Sachsen  wollte  die  Bestim- 
mungen so  stark  verändern,  daß  Preußen  wie  Österreich  auf 
seinen  Beitritt  verzichten  mußten  als  ihren  Interessen  wider- 
sprechend. Der  Vorteil  wäre  lediglich  auf  sächsischer  Seite  ge- 
wesen8). Rußland  endlich  machte  wegen  des  Separatartikels 
über  Polen  Schwierigkeiten  beizutreten,  und  schloß  dann  mit 
beiden  Mächten  Sonderbündnisse,  über  deren  Bedeutung  ich 
noch  zu  sprechen  habe.     Auch  in  diesem  beschränkten  Kreise 


*)  Den  preußischen  Diplomaten  war  es  nicht  einmal  unangenehm, 
daß  sich  die  Zahl  der  Teilnehmer  an  dem  Geschäft  verringerte,  umsoweniger 
Schwierigkeit  werde  nachher  die  Entschädigungsfrage  machen  (Fersen 
II  334—335). 

2)  SmittII460. 

3)  Die  Schuld  an  der  Verzögerung  lag  nur  bei  Österreich.  An  Lucche- 
sini  11.  April. 

4)  Vi  veno  t  II  284,  324,  325,  327. 

5)  Es  war  ja  notorisch,  daß  Holland  dem  großen  Verbündeten  folgte. 
(Politisches  Journal  1792  Mai.    Haag  15.  Mai.) 

6)  S  o  r  e  1  II  29,  III  212—213.  Die  Russen  witterten  freilich  hinter 
diesen  Gründen  andere,  die  ihrer  Anschauung  von  Pitts  Charakter  besser 
entsprachen;  aber  dabei  entfernten  sie  sich  nur  immer  mehr  von  der  Wahr- 
heit.   (W  o  r  o  n  t  z  o  w  XI  209  und  296—297,  IX  257—258.) 

7)  S  a  1  o  m  o  n,  Pitt  I,  2,  536  ff.  und  570. 

8)  V  i  v  e  n  o  t  II  559  und  560;  Rep.  XI  89  g1,  Finckenstein  und  Al- 
vensleben  an  Schulenburg  12.  August,  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Al- 
vensleben  18.  August,  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  21.  Au- 
gust; Rep.  96,  147  G.  II,  F.A.  Au  Roi  11.  August,  S.  Au  Roi  18.  August; 
Rep.  XI  89  c  Friedrich  Wilhelm  an  Schulenburg  II.  August. 


Manifeste  127 

litten  die  Bestrebungen  der  Mächte,  andere  in  den  Krieg  gegen 
die  Revolution  hineinzuziehen,  völlig  Schiffbruch.  Erst  der 
Konflikt  Frankreichs  mit  England  führte  Österreich  und  Preußen 
aus  ihrer  Isolierung  im  Kampfe  heraus. 

Nur  etwas  ist  von  dem  europäischen  Konzert  schließlich 
übrig  geblieben,  das  ist  das  Manifest  des  Herzogs  von  Braun- 
schweig, das  er  in  seiner  Stellung  als  Oberbefehlshaber  des  öster- 
reichisch-preußischen Heeres  vor  Beginn  der  Operationen  ver- 
öffentlichte. Es  war  jedoch  nicht  das  erste,  das  von  der  Seite  der 
Verbündeten  erging.  Ein  besonderes  österreichisches  und  ebenso 
ein  preußisches  wurden  vorher  veröffentlicht,  bezw.  nur  ab- 
gefaßt, um  dann  ziemlich  gleichzeitig  mit  dem  erstgenannten 
veröffentlicht  zu  werden.  Ihnen  müssen  wir  uns  zunächst  zu- 
wenden, um  das  des  Herzogs  in  seinem  von  allen  anderen  ab- 
weichenden Inhalte  richtig  würdigen  zu  können. 

II. 

Die  Veröffentlichung  von  Manifesten  zählte  im  18.  Jahr- 
hundert ebenso  zu  den  Kriegsmitteln  wie  die  Operationen  der 
Armee.  Man  denke  nur  an  die  zahlreichen  Staatsschriften,  die 
während  der  Kriege  Friedrichs  des  Großen  offiziell  oder  offiziös 
oder  inoffiziell  von  allen  Parteien  veröffentlicht  worden  waren1). 
Das  Ziel  aller  dieser  Elaborate  war,  das  Vorgehen  des  eigenen 
Hofes  zu  rechtfertigen  und  den  Gegner  vor  der  Welt  ins  Unrecht 
zu  setzen,  ja  ihm  nicht  nur  die  moralische,  sondern  womöglich 
auch  die  politische  Unterstützung  seiner  Bundesgenossen  oder 
solcher,  die  es  werden  wollten,  zu  entziehen.  Vergleichen  wir 
nun  damit  die  österreichische  Gegenerklärung,  die  auf  die  fran- 
zösische begründete  Kriegserklärung  antwortete.  Diese  hatte  die 
Schuld  an  dem  Kriege  auf  Österreich  geschoben.  Es  habe  durch 
die  Unterstützung  französischer  Rebellen,  durch  sein  Festhalten 
am  europäischen  Konzert,  durch  die  Ablehnung  des  französischen 
Abrüstungsvorschlages  und  durch  die  Begünstigung  der  Forde- 
rungen der  elsässischen  Reichsfürsten  die  Verträge  und  die  fran- 
zösische Souveränität  verletzt,  in  Frankreich  den  Bürgerkrieg  zu 
entzünden  versucht  und  den  Unzufriedenen  die  Hilfe  des  euro- 
päischen Konzertes  versprochen2). 

1)  Preußische  Staatsschriften  aus  der  Regierungszeit  Friedrichs  II. 
Herausgeg.  von  J.  G.  Droysen  und  M.  D  u  n  c  k  e  r,  Berlin  1877,  Bd.  I 
Einleitung. 

2)  Vivenot  I    329;  Dumouriez  II  436—438.     Vgl.  auch  die 


128  II.  Abschnitt 

Diese  Beschuldigungen  waren  dann  in  einem  Expose,  das 
Condorcet  verfaßt  hatte  und  das  noch  am  20.  April  genehmigt 
worden  war,  genauer  wiederholt  oder  besser  philosophisch  ver- 
tieft worden1);  denn  nicht  auf  die  Feststellung  von  Tatsachen, 
sondern  auf  deren  Erfassung  ging  Condorcet  aus  und  suchte  so 
die  österreichischen  Forderungen  oder  Behauptungen  als  wider- 
sinnig, als  Lüge  zu  kennzeichnen.  Die  Franzosen  sagten  sich  ja 
mit  Recht,  daß  Österreich  aus  der  Tatsache  ihres  Angriffes 
Kapital  schlagen,  sich  selbst  als  den  Friedfertigen  hinstellen 
werde.  Dem  sollte  das  Expose  vorbeugen.  Der  Hauptsatz,  auf 
dem  sein  ganzes  Gebäude  beruht,  ist  der  von  dem  Selbstbestim- 
mungsrecht der  Nation2)  gegenüber  der  Idee  einer  Gemeinschaft 
der  europäischen  Staaten,  die  ein  widerspenstiges  Glied  auch  mit 
Gewalt  zum  Gehorsam  bringen  wollen.  Damit  widerlegt  er  die 
Behauptung,  Frankreich  bedrohe  mit  seiner  Verfassung  die 
anderen  Staaten  ■ —  denn  was  gehe  sie  Frankreichs  Verfassung 
an?  —  oder  wolle  erobern  und  verbreite  aufrührerische  Grund- 
sätze. Damit  weist  er  auch  die  Ansprüche  von  Reichsfürsten 
und  Papst  zurück,  die  in  ihrer  Stellung  als  Privilegierte  dem 
Wohle  der  Gesamtheit  nicht  im  Wege  stehen  dürften  und  nur 
das  Recht  auf  eine  billige  Geldentschädigung  für  ihren  Verlust 
hätten;  endlich  die  Annahme,  nur  eine  Partei  beherrsche  das 
Volk  —  denn  die  Verfassung  sei  allgemein  angenommen,  und  die 
verfassungsmäßigen  Organe  brächten  den  Willen  der  Nation 
zum  Ausdruck.  Wenn  aber  andere  Staaten  für  ihre  Ruhe  fürch- 
teten, weil  die  Franzosen  die  Grundsätze  der  Freiheit  predig- 
ten ,  so  sei  das  nur  ein  Beweis  dafür ,  daß  ihre  Verfassung 
schlecht  sei.  Die  ganze  Menschheit  strebe  ja  nach  Freiheit, 
nicht  nur  eine  Partei.  Und  der  König?  Er  sei  nur  an  die  Ge- 
setze gebunden.  Wollte  er  sie  verletzen,  so  wäre  das  nicht 
Freiheit,  sondern  ein  Verbrechen.  So  verteidige  die  National- 
versammlung den  Frieden  und  die  Freiheit  der  Nation,  und 
eine  merkwürdige  Anschauung  sei  es,  den  als  Angreifer  zu  be- 
zeichnen, der  seinem  Gegner  nicht  die  Zeit  lasse,  sich  zur  Ver- 
nichtung vorzubereiten  (vgl.  1756!).  Auf  der  einen  Seite  stehe 
das  ancien  regime  mit  all    seinen  Mißbräuchen  und  Schäden, 


interessanten,  aber  völlig  verkehrten  Bemerkungen  in  Lettres  sur  Dumouriez 
S.   36—38. 

1 )  Dumouriez  II  438^44. 

2)  Chaque  nation  a  seule  le  pouvoir  de  se  donner  des  lois  et  le  droit 
inalienable  de  les  changer. 


Manifeste  129 

auf  der  anderen  die  Freiheit.    Jetzt  gelte  es,  sie  bis  zum  Tode 
zu  verteidigen. 

Österreich  konnte  das  nicht  auf  sich  sitzen  lassen.  Es  mußte 
diesem  flammenden  Proteste  der  Revolution  gegen  das  alte 
Staatsrecht  seine  Anschauung  entgegenstellen.  Preußen  trieb 
es  an,  dem  Gegner  die  Schuld  an  dem  Bruch  in  die  Schuhe  zu 
schieben,  und  ihm  bald  den  Entwurf  mitzuteilen,  damit  es  sein 
eigenes  Manifest  danach  einrichten  könne1).  Dessen  bedurfte 
es  nicht2).  Schon  früh  fühlte  Österreich  die  Notwendigkeit,  sich 
vor  Europa  zu  rechtfertigen3),  und  der  Verzögerung  der  Publi- 
kation4) liegt  keine  weitere  Absicht  zu  Grunde.  Bereits  am 
21.  Juni  teilte  Kaunitz  das  Schriftstück  an  L.  Cobenzl  mit5). 
Am  5.  Juli  erschien  diese  von  dem  Hofrat  Collenbach  verfaßte 
österreichische  Gegenerklärung6).  Sie  suchte  zunächst  Punkt 
für  Punkt  die  französischen  Anschuldigungen  zu  widerlegen. 
Man  wird  zugeben  müssen,  daß  dieser  Versuch  hinsichtlich  der 
Emigranten  und  der  österreichischen  Rüstungen  durchaus  ge- 
lungen ist.  Österreich  hatte  jene  in  der  Tat  nicht  begünstigt, 
und  kriegerische  Maßregeln  waren  fast  nur  auf  der  französischen 
Seite  ergriffen  worden.  Umso  schwächer  steht  es  aber  mit  dem 
Versuch,  das  Konzert  als  rein  defensive  Maßregel  darzustellen. 
Wenn  es  auch  richtig  ist,  daß  Österreich  nicht  hat  offensiv  vor- 
gehen wollen,  so  hat  es  doch  nach  außen  gerade  in  dieser  Frage 
eine  Haltung  eingenommen,  die  nicht  anders  als  offensiv  er- 
scheinen konnte.  Auch  in  der  Sache  der  elsässischen  Fürsten  ist 
es  nicht  so  friedliebend  verfahren,  wie  es  jetzt  gern  glauben 
machen  möchte.  Der  französische  Abrüstungsvorschlag  vom 
1.  März  wurde  nur  als  Vorwand  bezeichnet.  Mit  seiner  Ableh- 
nung, die  selbstverständlich  habe  erfolgen  müssen  wegen  des 
Zustandes  von  Frankreich,  habe  sich  Frankreich  einen  Grund 
zum  Angriff  sichern  wollen.  So  schließt  der  Österreicher  denn 
diesen  Teil  mit  der  Behauptung  ab,  von  den  französischen  Be- 
schwerden gegen  Österreich  bestehe  keine  zu  Recht. 


1)  An  Jacobi  9.  Mai  und  4.  Juni. 

2)  Clapham  231. 

3)  Politisches  Journal  1792  Mai:  Wien  9.  Mai  und  Rep.  I  169  Jacobi 
an  die  Minister  9.  Mai ;  V  i  v  e  n  o  t  II  432. 

*)  Politisches  Journal  1792  Juni:  Wien  9.  Juni. 

5)  Vi  veno  t  II  471. 

6)  ib.  I  330,  II  426;  Clapham  217—218;  Buchez  et  Boux 
XVI  287—292;  Politisches  Journal  1792  S.  716  ff.;  Bericht  Jacobis  I.  Mai; 
an  Jacobi  16.  und  18.  Mai;  Rep.  I  170  Bericht  Cesars  7.  Juli. 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution         9 


130  II.  Abschnitt 

Nun  aber  kehrt  er  den  Spieß  um.  Nicht  Frankreich  habe  Ge- 
nugtuung zu  fordern,  sondern  Österreich  von  den  augenblick- 
lichen französischen  Machthabern.  Österreich  habe  die  fran- 
zösischen Emigranten  nicht  unterstützt,  wohl  aber  Frankreich 
die  belgischen  Emigranten  in  ihren  Verschwörungen.  Es  habe 
ferner  die  Reichsfürsten  in  alten,  durch  Verträge  geheiligten 
Rechten  geschädigt,  über  deren  Abänderung  es  einseitig  als 
Diktator  habe  verfügen  wollen.  Österreich  habe  trotz  der  fran- 
zösischen Rüstungen  und  der  Klagen  seiner  Beamten  keine 
Rüstungen  zum  Schutze  seiner  abgelegenen  Landesteile  vor- 
genommen. Das  Konzert  sei  endlich  sogar  zum  eigenen  Schutze 
schon  notwendig,  da  sich  das  Gift  des  französischen  Aufruhrs 
nun  auch  schon  nach  anderen  Ländern  verbreite.  „Der  König 
von  Ungarn  und  Böhmen,"  so  schließt  dies  Schriftstück1),  „ist 
also  berechtigt,  den  Zorn  und  die  Unterstützung  von  ganz 
Europa  herauszufordern  in  einer  Sache,  die  die  Ehre  und  die 
Sicherheit  aller  Regierungen  betrifft,  und  er  macht  die  Urheber 
eines  so  ungerechten  und  hassenswerten  Angriffes  vor  dem  Richter- 
stuhl des  Weltalls  und  der  Nachwelt  für  alle  Leiden  verantwort- 
lich, die  die  unvermeidlichen  Folgen  dieses  Krieges  sind." 

Wir  haben  also  hier  Schriftstücke  von  der  eben  charakteri- 
sierten Art  vor  uns2),  nur  mit  dem  Unterschiede,  daß  auch  hier 
getreu  dem  österreichischen  System  die  Jakobiner  verdammt  und 
der  vernünftige  Teil  des  französischen  Volkes  gelobt  wird.  Aber 
das  tritt  hier  nur  als  Akzessorium  auf.  Ich  möchte  sagen,  es  ver- 
stand sich  von  selbst.  Die  Gegenerklärung  ist  eben  nicht  so  sehr 
an  die  Franzosen  gerichtet,  als  vielmehr  an  ganz  Europa,  Fürsten 
wie  Völker3).  Den  Franzosen  wollte  man  schon  noch  ein  andermal 
zu  Gemüte  führen,  was  sie  täten  und  was  sie  zu  erwarten  hätten. 
Man  schob  diese  Lektion  nur  bis  zu  dem  Augenblicke  auf,  wo 
die  Heere  zum  Einmarsch  in  Frankreich  bereit  stünden. 

Dies  österreichische  Manifest,  oder  bleiben  wir  lieber  bei  dem 
offiziellen  Titel,  diese  Gegenerklärung  war  vor  ihrer  VeröfEent- 

1 )  Der  bei  B  u  c  h  e  z  gegebene  Text  weicht  in  der  Form  erheblich  von 
dem  bei  Vivenot  vorliegenden  ab. 

2)  Zu  vergleichen  sind  hier  etwa  noch  die  Proklamation  des  öster- 
reichischen Statthalterpaares  in  den  Niederlanden  vom  29.  April  (Borgnet, 
Histoire  des  Beiges  II  13 — 14;  Zeißberg,  2  Jahre,  73)  und  natürlich 
auch  die  verschiedenen  Deklarationen  bei  den  polnischen  Teilungen  als 
durchaus  wesensverwandt  (Sorel,  la  question  d' Orient  au  18.  siecle 
272—274). 

8)  C  a  r  i  s  i  e  n  97—98. 


Manifeste  ]  3  \ 

lichung  Preußen  mitgeteilt  worden.  Von  diesem  war  in  dem 
Schriftstücke  keine  Rede,  und  doch  trat  es  in  den  Krieg  ein, 
der  es  offiziell  doch  nur  indirekt  anging1).  Die  preußischen 
Minister  hielten  daher  die  Veröffentlichung  eines  Schriftstückes 
für  nötig,  das  die  Gründe  aufzählte,  die  Preußen  veranlaßten, 
in  den  Krieg  einzutreten,  umsomehr,  als  man  nicht  recht  wußte, 
ob  Österreich  noch  ein  besonderes  Manifest  (außer  der  ge- 
meinsamen Deklaration,  wohlverstanden!)  erlassen  werde.  Man 
hielt  es  in  Preußen  für  selbstverständlich,  daß  die  Mächte  jede 
ein  besonderes  Manifest  veröffentlichten,  und  war  über  den  Inhalt 
der  österreichischen  Gegenerklärung  einigermaßen  überrascht, 
da  sie  nur  Beschuldigungen  abwehre  (vgl.  aber  oben!),  ohne  ein 
positives  Programm  zu  entwickeln.  Daher  kommt  es,  daß 
man  in  Preußen  ein  zweites  österreichisches  Manifest  nicht  für 
ausgeschlossen  hielt,  aber  man  glaubte  nicht  recht  an  seine,  Ver- 
öffentlichung2). 

Wieder  gibt  uns  gleich  der  Titel  den  Hauptinhalt  des  preußi- 
schen Manifestes  an.  Er  lautet:  Expose  succinct  des  raisons 
qui  ont  determine  S.  M.  le  Roi  de  Prusse  de  prendre  les  armes 
contre  la  France3).  Sehen  wir  uns  nun  seinen  Inhalt  genauer  an4). 
Preußen  geht  von  der  Tatsache  aus,  daß  Österreich  zu  Unrecht 
von  Frankreich,  d.  h.  der  dort  herrschenden  Partei,  angegriffen 
worden,  Preußen  also  nach  seinem  Vertrage  schon  zur  Teilnahme 
an  diesem  Kriege  verpflichtet  sei.  Auch  das  Reich  sei  durch  die 
Einfälle  in  Belgien,  das  ja  unzweifelhaft  zu  ihm  gehöre,  in  Lüttich 
und  in  Basel  angegriffen5),  und  die  Franzosen  würden  sich  nicht 


x)  Erst  am  6.  Juli  erklärte  Frankreich  an  Preußen  den  Krieg  (S  o  r  e  1 
II  490). 

2)  Nur  einmal  macht  Haugwitz  (30.  Juni)  eine  Bemerkung,  die  auf 
den  Erlaß  eines  zweiten  besonderen  österreichischen  Manifestes  gedeutet 
werden  muß.  Vgl.  dazu  Bericht  von  Haugwitz  15.  Juni,  an  Haugwitz 
16.,  20.,  23.  Juni. 

3)  An  Jacobi  9.,  16.,  18.  Mai.  Bericht  Jacobis  14.  Mai.  Buchez 
et  Roux  XVI  282—287,  deutsch  im  Politischen  Journal  1792  Juli  802  ff. 
nach  der  Berliner  Hofzeitung  ohne  Datum.     Carisien  97—98. 

4)  Ich  bemerke  hierzu,  daß  Alvensleben  an  dem  Entwurf  noch  einige 
Änderungen  vornahm,  die  nur  als  Verschärfungen  angesehen  werden 
können  (Rep.  67  B  n  la  Acta  betreffend  das  Expose  über  die  Motive  zum 
Kriege  gegen  Frankreich  und  das  Manifest  des  Herzogs  von  Braunschweig). 
Er  ließ  sich  also  durch  seine  abweichende  Anschauung  nicht  daran  hindern, 
im  Sinne  seines  Kollegen  Schulenburg  zu  arbeiten. 

5)  Etwas  Angenehmeres  konnte  den  Preußen  natürlich  nicht  passieren 
(Rep.  I  169  Zirkulardepesche  vom  16.  Mai;  Rep.  XI  89  Bericht  von  Goltz, 


132  II-  Abschnitt 

scheuen,  an  anderer  Stelle  Reichsgebiet  zu  verletzen,  wenn  es 
ihnen  passe.  Preußen  habe  laut  und  oft  genug  seinen  Standpunkt 
den  Franzosen  klargelegt,  um  Blutvergießen  zu  verhindern.  Aber 
sie  hätten  ja  nicht  hören  wollen.  Jetzt  gehe  Preußen  in  den 
Kampf  für  eine  Sache,  deren  Gerechtigkeit,  wenn  das  noch  nötig 
sei,  durch  die  österreichischen  Aktenstücke  erwiesen  werde,  in 
der  doppelten  Stellung  als  Verbündeter  von  Österreich  und  als 
Reichsstand  infolge  der  französischen  Angriffe. 

Aber  noch  auf  zwei  andere  Angelegenheiten  hätten  sich  die 
preußischen  Anstrengungen  zu  konzentrieren.  Die  eine  sei  die 
Verletzung  der  Verträge,  soweit  sie  die  elsässischen  Fürsten  be- 
träfen —  die  andere  der  durch  die  Revolution  erschütterte  Zu- 
stand der  Ruhe  von  Europa.  Denn  die  französischen  Unruhen 
schalteten  einmal  das  französische  Reich  als  Glied  des  europäischen 
Staatensystems  tatsächlich  aus,  störten  also  das  europäische 
Gleichgewicht  und  vernichteten  ferner  das  altgeheiligte  König- 
tum; sie  bedrohten  dadurch  auch  die  Ruhe  der  anderen  Staaten 
und  ihre  Fürsten.  Für  Frankreich  und  für  Europa  sei  also  die 
Herstellung  der  Ruhe  und  einer  festen  gesetzlichen  Macht  für 
Frankreich  in  der  Form  einer  Monarchie  das  Ziel  der  Unterneh- 
mung, die  die  beiden  Mächte  nicht  nur  mit  der  Zustimmung  der 
europäischen  Mächte  begännen,  sondern  mit  der  aller  Menschen, 
die  wahrhaft  für  das  Glück  des  Menschengeschlechtes  einträten1). 
Nicht  ganz  Frankreich  sei  an  diesem  unglücklichen  Kriege  schuld, 
nur  eine  kleine  Partei,  die  aber  augenblicklich  die  Schritte  des 
Staates  leite.  Sie  zu  beseitigen  hoffe  man  mit  Hilfe  des  größeren 
Teiles  der  französischen  Nation,  der  sich  ja  nur  ungern  ihrer 
Herrschaft  füge.      Nur  sie  sei  für  das  Blut  verantwortlich  zu 


Brüssel  4.  Juni).  Doch  täuschten  sie  sich  hier  über  die  Rechtsfrage.  Denn 
nach  den  Verträgen  war  das  Vorgehen  der  Franzosen  nicht  anzugreifen 
(H.  Buser,  Das  Bistum  Basel  und  die  französische  Revolution  1789 — 1793. 
Basel  1896,  S.  20—21  und  37—39  und  52—53;  Karl  Brommer,  Der 
Durchzug  der  Kaiserlichen  im  Jahre  1791  und  die  Neutralität  Basels  während 
des  ersten  Koalitionskrieges.    Basel  1903  S.  42  ff.). 

*)  Dabei  ist  eine  Stelle  bemerkenswert,  die  sich  gegen  die  National- 
versammlung wendet  und  sie  nicht  als  die  gesetzliche  Vertretung  Frank- 
reichs anerkennen  will.  Das  erregte  in  Petersburg  große  Freude  (Berichte 
von  Goltz  23.  Juli/3.  August  und  30.  Juli/10.  August).  Wir  wissen  nun  auch 
noch,  daß  Preußen  nicht  nur  aus  Konnivenz  gegen  Rußland  (Fersen  II 
23;  Fersen  nahm  gerade  an  dem  erwähnten  Satze  Anstoß;  er  sei  den  Preußen 
von  den  Österreichern  eingegeben)  die  Absicht  hatte,  nach  erfolgreicher 
Intervention  Generalstände  zu  berufen  (vgl.  oben).  Preußens  Pläne  gingen 
also  doch  viel  weiter  als  die   Österreichs. 


Manifeste  133 

machen,  das  infolge  ihrer  verbrecherischen  Taten  bald  fließen 
werde. 

Dürfen  wir  diese  Begründung  für  die  Teilnahme  Preußens  am 
Kriege  als  zu  Recht  bestehend  anerkennen1)?  Ich  glaube,  die 
obige  Darstellung  rechtfertigt  zur  Genüge  ein  ablehnendes  Ver- 
halten2). *  Schon  in  der  österreichischen  Gegenerklärung  ist  der 
wirkliche  Tatbestand  nicht  zu  finden,  noch  weniger  in  dem 
preußischen  Manifest.  Beides  sind  zunächst  diplomatische 
Parteischriften,  wie  Schulenburg  selbst  zugibt3).  Dieser  Charakter 
tritt  bei  der  preußischen  dadurch  noch  besonders  stark  hervor, 
daß  ihre  Grundlage  ein  Zeitungsartikel  geworden  war,  den  man 
im  preußischen  Kabinettsministerium  ausgearbeitet  hatte,  um  — 
dem  österreichischen  Drängen  nachgebend4)  —  die  preußischen 
Rüstungen  und  zugleich   ihre   Bestimmung   zu  veröffentlichen. 


1 )  Heigel  I  564.  Die  preußischen  Minister  schreiben  am  25.  Juni 
ganz  einfach  an  den  König  (Rep.  96,  147  G.  II,  S.A.  Au  Roi) . . .  Nous  avons 
donc  cru  rencontrer  les  intentions  de  Votre  Majeste  en  faisant  dresser  un 
expose  aussi  succinct  que  possible  des  raisons  qui  la  determinent  a  entrer 
en  campagne  contre  la  France  et  nous  le  presentons  tres  humblement 
ci-joint  a  sa  gracieuse  approbation  .  .  .  Keine  Bemerkung,  daß  das  nur 
Vor  wände  sind! 

2)  Dieselben  Minister  hatten  am  18.  April  mit  Finckenstein  einen 
ganz  anderen  Bericht  an  den  König  abgeschickt.  Es  kann  kein  Zweifel 
sein,  wie  sie  wirklich  dachten. 

3)  Rep.  XI  91  varia  Schulenburg  an  Breteuil  16.  Juli. 

4)  Metternich  schrieb  aus  den  Niederlanden,  wenn  Preußen  jetzt  nicht 
gleich  etwas  tue,  so  erhalte  das  überall  umgehende  Gerücht  neue  Nahrung, 
Preußen  werde  sich  überhaupt  nicht  aktiv  an  den  Operationen  beteiligen. 
Das  veranlaßte  Spielmann,  bei  Preußen  zu  bitten,  es  solle  in  den  Gazettes 
de  Cleves  einen  Artikel  über  Stärke  und  Marsch  der  preußischen  Truppen 
erscheinen  lassen  (contenant  l'expose  succinct  et  energique  des  forces 
considerables  qu'elle  emploierait  conjointement  avec  le  Roi  de  Hongrie 
pour  mettre  les  Francais  ä  la  reserve  et  qu'on  pourrait  meme  ajouter  qu'une 
partie  de  ses  troupes  etaient  dejä  en  marche  vers  le  Rhin  [P.S.  zum  Bericht 
Jacobis  14.  Mai,  16.  Mai;  Metternich  an  Kaunitz  3.  Mai;  Rep.  I  169]).  So 
beharrlich  Preußen  nun  auch  die  beschleunigte  Sendung  eines  kleinen 
Truppenkorps  nach  den  Niederlanden  zur  Verteidigung  ablehnte,  wobei 
es  sich  sogar  auf  die  Zustimmung  des  Österreichers  Hohenlohe  berufen 
konnte  (an  Jacobi  13.  und  19.  Mai),  hiergegen  hatte  es  nichts  einzuwenden 
und  versprach  dem  Redakteur  der  Clevischen  Zeitung  einen  Artikel  zur 
Veröffentlichung  zu  schicken.  Am  30.  Mai  berichtet  Jacobi  schon  von  dem 
Entzücken  Spielmanns  über  diesen  Artikel  für  die  niederrheinischen  Zei- 
tungen (gazettes  du  Bas-Rhin),  der  fast  ohne  Änderungen  als  preußisches 
Manifest  erscheinen  könne.  Bezieht  sich  etwa  auf  ihn  die  Bemerkung  in 
Lescure  II  609  (13.  Juli)? 


134  H.  Abschnitt 

Er  war  in  der  Cle vischen  Zeitung  veröffentlicht  worden1).  Jetzt 
hatte  man  ihn  in  der  Eile  (denn  schnell  sollte  der  Entwurf  fertig 
sein,  um  möglichst  bald  nach  Wien  abgehen  zu  können)  auf- 
genommen, etwas  zurechtgestutzt,  und  das  Expose  war  fertig. 

In  der  Zeitung  pflegt  man  nun  nicht  gerade  immer  die  eigenen 
politischen  leitenden  Gedanken  auszusprechen.  Preußen  gab 
sich  nur  ebenso  wie  Österreich  den  Anstrich  des  friedliebendsten 
Staates,  den  man  sich  denken  kann,  der  nur  durch  die  Revo- 
lution in  seiner  Ruhe  gestört  wird,  der  nun  aber  auch  volle  Ver- 
geltung von  dem  Friedensbrecher  zu  fordern  berechtigt  ist.  Man 
sollte  denken,  seine  eigene  Vergangenheit  hätte  es  sofort  Lügen 
strafen  sollen.  Wohl  für  die  letzten  Jahre  Friedrichs  des  Großen, 
aber  schlechterdings  nicht  für  die  ersten  Friedrich  Wilhelms  II. 
trifft  diese  Charakteristik  zu.  Was  es  mit  den  Gründen,  die  Preußen 
hier  aufführt,  für  eine  Bewandtnis  hat,  habe  ich  schon  oben  be- 
sprochen. Ich  wiederhole  nur  noch  einmal,  daß  defensive  Rück- 
sichten durchaus  nicht  entscheidend  waren.  Preußen  wollte  einen 
Angriffskrieg  führen,  wollte  Eroberungen  machen.  Aber  davon 
konnte  oder  wollte  es  natürlich  der  Welt  nichts  mitteilen.  Nur 
der  Versuch,  dies  Verfahren  diplomatisch  zu  bemänteln,  liegt 
hier  vor  uns. 

Aber  das  Expose  war  einen  Schritt  weiter  gegangen  als  die 
österreichische  Gegenerklärung.  Hatte  diese  im  Tone  verhältnis- 
mäßig ruhigen  historischen  Berichtes  mit  zahlreichen  Zitaten  aus 
früheren"  Noten  den  Beweis  zu  führen  gesucht  für  Österreichs 
Unschuld  am  Kriege,  so  bezeichnete  Preußen  offen  die  Jakobiner 
als  die  allein  Schuldigen.  Sie  habe  man  für  das  Blut  verantwort- 
lich zu  machen,  das  nun  bald  fließen  werde.  Es  ist  kein  Zufall, 
daß  gerade  damit  das  Expose  schließt.  Wir  sehen,  der  Schritt 
zu  dem  Manifest  des  Herzogs  von  Braunschweig  ist  nicht  mehr 


1)  Der  Name  der  Zeitung  ist  nicht  einheitlich  angegeben  (vielleicht 
waren  es  auch  mehrere).  Jedenfalls  handelt  es  sich  um  eine  am  Niederrhein 
erscheinende  Zeitung,  speziell  für  Oleve,  wohl  der  Courrier  du  Bas-Rhin, 
an  dessen  Redakteur,  den  Abbe  Manzon,  am  20.  Juli  auch  ein  Exemplar 
des  Exposes  zur  Veröffentlichung  abgesandt  wurde,  ebenso  am  28.  eins 
vom  Manifest  des  Herzogs  von  Braunschweig  (Rep.  67  B  n  la  Acta  be- 
treffend das  Expose  über  die  Motive  zum  Kriege  gegen  Frankreich  und 
das  Manifest  des  Herzogs  von  Braunschweig.  Bericht  Jacobis  30.  Mai. 
An  Jacobi  4.  Juni,  an  Haugwitz  23.  und  27.  Juni).  In  dem  letztgenannten 
Erlaß  an  Haugwitz  ist  hinzugefügt,  daß  auch  die  preußische  Antwort  an 
Benoit,  die  Österreich  ja  gebilligt  habe,  hineingearbeitet  worden  sei.  Worauf 
sich  das  beziehen  soll,  weiß  ich  nicht. 


Manifeste  135 

sehr  groß,  aber  er  ist  doch  noch  zu  machen.  Die  Entscheidung 
des  Königs  über  den  Entwurf,  den  die  Minister  ihm  vorlegten, 
scharrt  uns  in  diesem  Punkte  volle  Klarheit.  Er  billigte  ihn  und 
befahl  die  Übersendung  nach  Wien,  setzte  aber  hinzu:  „Diesem 
Schriftstück  wird  man  indessen  noch  ein  anderes  folgen  lassen 
müssen,  das  die  französischen  Untertanen  betrifft,  wenn  erst  die 
Heere  sich  in  Bewegung  setzen;  in  ihm  wird  man  die  Gefahren 
zum  Ausdruck  bringen  müssen,  denen  Bürger  und  Bauer  sich 
aussetzen,  welche  die  Waffen  ergreifen1).  Jeder,  der  Widerstand 
leistet,  wird  hiernach  also  zur  jakobinischen  Partei,  d.  h.  zum 
Feinde  gerechnet,  als  Eebell  behandelt.  Aber  bemerken  wir 
auch  einen  prinzipiellen  Unterschied.  Nirgends  war  bisher  die 
Rede  davon,  daß  die  französischen  Volksvertreter  und  Behörden 
schlechthin  für  das  Leben  des  Königspaares  haftbar  gemacht 
werden  sollten.  Das  ist  eine  fremde  Zutat2).  Am  27.  Juni  wurde 
der  von  Friedrich  Wilhelm  gebilligte  Entwurf  an  Haugwitz  ge- 
schickt3). Die  Österreicher,  ebenso  wie  später  die  Russen  (vgl. 
oben),  waren  von  dieser  Art  der  Beweisführung  entzückt.  Spiel- 
mann bedauerte  nur,  die  verstümmelte  österreichische  Gegen- 
erklärung publizieren  zu  müssen.  Das  preußische  Expose  sei 
viel  besser;  es  enthalte  kein  Wort  zu  viel,  keins  zu  wenig4).  Es 
blieb  also  unverändert  und  wurde  kurz  vor  dem  Manifest  des 
Herzogs  von  Braunschweig  publiziert.  Das  Datum  des  26.  Juni 
ist  das  der  Genehmigung  durch  den  König5).    Es  hat  dazu  ver- 

1)  Rep.  XI  91  varia  (und  Rep.  96,  147  G.  II)  S.  Au  Roi  25.  Juni  mit 
königlicher  Entscheidung  .  .  .  cette  piece  .  .  devra  cependant  encore  etre 
suivie  d'une  autre  qui  regardera  les  sujets  francais  quand  les  armees  se 
mettront  en  mouvement  ou  il  faudra  faire  sentir  les  dangers  auxquels  le 
bourgeois  et  le  paysan  s'exposent  qui  auront  pris  les  armes.  Dazu  Schulenburg 
an  Breteuil  16.  Juli,  Breteuil  an  Schulenburg  4.  Juli  (Flammermont  29). 

2)  H.E.B.  665  Instruktion  Rolls  vom  21.  Mai  1791.  Die  erste  Nachricht, 
die  ich  in  den  Akten  des  preußischen  Kabinettsministeriums  finden  kann, 
ist  der  Erlaß  an  Haugwitz  vom  13.  Juni. 

3)  Am  23.  Juni  war  er  ihm  nach  Eingang  der  österreichischen  Gegen- 
erklärung angezeigt  worden. 

i)  Worauf  sich  die  Verstümmelung  beziehen  soll,  weiß  ich  nicht,  da 
die  Änderungsvorschläge  von  Franz  sich  nicht  in  der  Richtung  auf  das 
preußische  Expose  zu  bewegen  (Vivenot  II  449  und  471;  Berichte 
Jacobis  26.  und  30.  Mai;  Rep.  I  169).  Rep.  I  170  Bericht  von  Haugwitz 
1.  Juli,  von  Cesar  7.  Juli;  Rep.  67  B  n  la  Kaunitz  an  Cesar  6.  Juli. 

5)  Vgl.  de  Flassan,  Histoire  generale  et  raisonnee  de  la  diplomatic 
francaise  ou  de  la  politique  de  la  France  depuis  la  fondation  de  la  monarchie 
jusqu'a  la  fin  du  regne  de  Louis  XVI.  2.  edition  (Paris  1811)  VII  512. 
H  e  i  g  e  1  I  564  und  H  e  i  g  e  1,  Manifest  675;  C  1  a  p  h  a  m  218. 


136  -  II.  Abschnitt 

leitet,  auch  die  Veröffentlichung  in  diese  Zeit  zu  verlegen.  Schon 
die  Entstehungsgeschichte  macht  es  unmöglich.  Wir  wissen  aber 
auch  aus  den  preußischen  Akten,  daß  es  zwischen  dem  20.  und 
22.  Juli  den  fremden  Diplomaten,  den  preußischen  Gesandten, 
Residenten,  Konsuln  und  Agenten  außerhalb  Frankreichs,  den 
preußischen  Zentralbehörden1)  mitgeteilt  worden  ist2).  Am 
Dienstag  den  24.  Juli  erschien  es  in  den  Zeitungen  in  deutscher 
Übersetzung3). 

Dieser  Zeitpunkt  der  Veröffentlichung  entspricht  auch  durch- 
aus seinem  Inhalt.  Gerade  Preußen  hatte  sich  immer  dagegen 
gesträubt,  papierene  Drohungen  in  die  Welt  gehen  zu  lassen, 
wenn  keine  Macht  dahinter  stand,  um  sie  zu  verwirklichen4)  — 
so  auch  jetzt.  Es  wähnte,  endlich  die  Maske  abwerfen  zu  können, 
die  es  so  lange  aus  Vorsicht  getragen  hatte,  und  kurze  Zeit  darauf 
in  Paris  Gesetze  zu  diktieren.  Eine  gemeinsame  Deklaration5) 
sollte  noch  dazu  dienen,  den  Mächten  den  Weg  nach  Frankreich 
durch  die  Beruhigung  des  gemäßigten  Teiles  der  französischen 
Nation  über  die  Furcht  vor  einer  Wiederherstellung  des  ancien 
regime  und  durch  die  Einschüchterung  der  Aufrührer  zu  ebnen. 

III. 

Der  Gedanke  einer  gemeinsamen  Erklärung  aller  europäischen 
Mächte  an  Frankreich6)  bildete  ein  Glied  in  dem  Plane  des  euro- 


x)  Ebenso  wurde  es  dann  am  28.  mit  dem  Manifest  des  Herzogs  von 
Braunschweig  gemacht. 

2)  Fersen  II  334.  An  Lucchesini  15.  Juli;  an  Haugwitz  27.  Juni 
und  7.  Juli;  an  Cesar  15.  Juli;  an  Schulenburg  10.  Juli;  Cesars  Bericht 
28.  Juli;  Rep.  XI  91  varia  1792,  an  Wöllner  20.  Juli;  Rep.  96,  147  G.  II 
Au  Roi  25.  Juni. 

3)  Rep.  67  B  n  la  Acta  betreffend  das  Expose  über  die  Motive  zum 
Kriege  gegen  Frankreich  und  das  Manifest  des  Herzogs  von  Braunschweig. 
Herr  v.  Müller,  der  als  Gesandtschaftsrat  in  Brüssel  der  Nachfolger 
des  abberufenen  Goltz  geworden  war,  erhielt  200  Exemplare,  die  er  nach 
Frankreich  versenden  sollte,  dazu  sollten  Mercy  und  Metternich  je  ein 
Exemplar  erhalten  und  bei  Gelegenheit  auch  die  Gesandten  Englands  und 
Hollands  als  solche  verbündeter  Staaten.  Groß  war  die  Freundschaft  also 
nicht  mehr. 

*)  Vgl.  etwa  an  Jacobi  28.  Juli  1791  in  Vivenot  I  154. 

6)  Vgl.  Rep.  96,  147  G.  II  Au  Roi  25.  Juni;  Rep.  I  170  an  Haugwitz 
27.  Juni. 

6)  Außer  der  ausführlichen  Darstellung  Heigels  in  seiner  Abhandlung 
und  dem  Auszug  daraus  in  seiner  deutschen  Geschichte  (I  563 — 568)  ver- 
weise ich  für  diesen  Abschnitt  noch  besonders  auf  den  Aufsatz  von  B  r  u- 


Manifeste  137 

>äischen  Konzertes  sofort,  als  man  ihn  gefaßt  hatte.  Die  Er- 
klärung sollte  ergehen,  wenn  das  Konzert  gebildet  sei.  Bleibe 
sie  ohne  Erfolg,  d.  h.  füge  sich  Frankreich  den  in  ihr  gestellten 
Forderungen  nicht,  so  habe  die  militärische  Exekution  zu  be- 
ten.    In  diese  Reihe  fallen  dann  auch  die  österreichischen 

Irklärungen  vom  21.  Dezember  1791  bis  zum  7.  April  1792,  die 
das  Konzert  als  bestehend  behandeln,  um  mehr  Eindruck  zu  er- 
zielen1). Mit  dem  Plane  der  Wirksamkeit  des  Konzertes  wandelte 
sich  auch  der  der  Deklaration.  Sie  sollte  erst  von  dem  bestehen- 
den Armiertenkongreß  aus  erlassen  werden,  bezw.  wenn  Öster- 
reich-Preußen zum  Handeln  bereit  seien2).  Eine  Hauptaufgabe 
sollte  auch  sein,  das  Gerücht  zu  zerstören,  als  wollten  die  Mächte 
das  ancien  regime  herstellen,  da  ja  nach  preußischer  Ansicht  die 
Emigranten  an  der  Expedition  teilnehmen  sollten3). 

Nach  der  französischen  Kriegserklärung  und  den  sie  be- 
gleitenden Vorgängen  erübrigte  sich  eine  Rechtfertigung  des 
Vorgehens  der  zum  Konzert  vereinten  Mächte,  wie  man  sie  ge- 
plant hatte.  Man  würde  sich  bloß  die  Hände  binden,  und  die 
deutschen  Mächte  könnten  jede  ihr  besonderes  Manifest  erlassen, 
Österreich  als  zu  Unrecht  angegriffener  Teil,  Preußen  als  Stand 
des  ebenfalls  betroffenen  Reiches4).  Österreich  fügte  dem,  an 
frühere  preußische  Vorschläge  anknüpfend,  sofort  einen  Absatz 
hinzu,  der  den  Gedanken  einer  völligen  Gegenrevolution  im  Sinne 
der  Emigranten  abwies5).  Preußen  stimmte  dem  bereitwillig  zu 
und  wollte  seinerseits  noch  die  Forderungen  der  elsässischen 
Reichsfürsten  hervorgehoben  wissen6).  Wir  sahen  bereits,  welche 
Ergebnisse  diese  Vorschläge  hatten.  Seit  der  französischen  Kriegs- 


netiere  (Revue  politique  et  litteraire  [Revue  bleue]  III.  Serie,  Tome 
VII  [1884]),  S.  104  ff. ;  S  o  r  e  1 II  475  ff .  und  508  ff . ;  R  a  n  k  e  196—200; 
S  y  b  e  1  II  125  und  220  ff.;  B  u  c  h  e  z  et  R  o  u  x  XVI  276  ff. 

1 )  H.E.B.  150—151 ;  H  ä  u  ß  e  r  I  334—338. 

2)  Schütter,  Kaunitz,  Ph.  Cobenzl  und  Spielmann  58;  Berichte 
Jacobis  20.  und  30.  April;  V  i  v  e  n  o  t  II  410  und  417,  I  263. 

3)  An  Jacobi  16.  April. 

4)  An  Jacobi  18.  Mai. 

5)  Vivenot  II  432.  Sie  hatten  eben  einen  langen  Brief  über  ihre 
Ansichten  eingesandt  und  wollten  ihn  auch  veröffentlichen.  Das  wurde 
ihnen  von  Österreich  untersagt,  obwohl  Kaunitz  sachlich  nichts  Rechtes 
dagegen  einzuwenden  hatte.  Sie  hätten  sonst  eine  Zurückweisung  zu 
gewärtigen  und  könnten  ihre  Ansicht  später  in  ihrem  Manifeste  auseinan- 
dersetzen (Schütter,  60—61.  Berichte  Jacobis  16.  Mai  P.S.  I  und 
23.  Mai). 

6)  An  Jacobi  21.  Mai. 


138  II-  Abschnitt 

erklärung1)  war  die  Hauptaufgabe  der  gemeinsamen  Deklaration 
vom  politischen  auf  das  militärische  Gebiet  verschoben  worden, 
wie  man  sie  ja  häufig  beim  Beginn  der  Operationen  erließ2). 
Nur  vorübergehend  hat  Kaunitz  daran  gedacht,  sie  eher  zu  ver- 
öffentlichen, von  der  Hoffnung  bestimmt,  den  Krieg  doch  noch 
vermeiden  zu  können,  mit  dem  Säbelrasseln  allein  auszukommen3). 

So  wäre  von  den  Mächten  vielleicht  gar  keine  gemeinsame 
Erklärung  von  politischer  Bedeutung  mehr  gegen  Frankreich  er- 
lassen worden.  Sie  hatten  ihre  Absichten  klar  genug  ausge- 
sprochen, ihr  Verhalten  gerechtfertigt,  und  das  Konzert,  die 
Voraussetzung  für  jene  Deklaration,  mußte  als  gescheitert  be- 
trachtet werden.  Aber  da  kamen  aus  Paris  bezw.  Mainz  Alarm- 
nachrichten, die  die  größten  Besorgnisse  für  das  Leben  des  fran- 
zösischen Königspaares  bei  den  Mächten  entstehen  ließen.  Preußen 
gab  auf  die  Nachricht  davon  aus  Mainz  den  ihm  damit  zugekom- 
menen Vorschlag  billigend  weiter,  ein  Manifest  mit  einer  scharfen 
Drohung  gegen  die  Pariser  zu  erlassen,  ihre  Stadt  ihnen  von 
Grund  aus  zu  zerstören,  wenn  sie  es  wagen  sollten,  das  Leben 
des  Königs  und  seiner  Familie  anzutasten.  Die  verständigen 
Leute  würden  sich  sofort  vereinigen,  um  den  Jakobinern  Wider- 
stand zu  leisten,  die  so  viel  Unglück  über  Frankreich  herein- 
brechen lassen  wollten.  Österreich  solle  ein  derartiges  Manifest 
entwerfen,  und  zwar  schleunigst;  Preußen  werde  sofort  zu- 
stimmen4). Die  Österreicher  ließen  sich  mit  der  Beantwortung 
Zeit,  zumal  Franz  und  Spielmann  zur  Krönung  nach  Ofen-Pest 
verreist  waren.  Österreich  stimme  sachlich  durchaus  zu,  wolle 
aber  einen  Abschnitt  dieses  Inhaltes  in  die  gemeinsame  Erklärung 
aufnehmen,  deren  Hauptzweck  sein  sollte,  den  vernünftigen  Teil 
der  französischen  Nation  zum  Anschluß  an  die  Mächte  zu  veran- 
lassen5). 

Woher  war  den  Preußen  diese  Nachricht  zugekommen?  Nach 
Wien  schrieben  sie :  aus  Mainz.  Das  erscheint  auffällig,  weil  dort 
bisher  kein  Zentralpunkt  für  die  Verhandlung  mit  den  Tuilerien 
gewesen  war.  Es  lag  zwar  die  Vermutung  nahe,  hierin  die  Folge 
von  Schritten  Mallet  du  Pans  zu  sehen,  der  ja  in  dieser  Zeit  in 


1)  Bericht  Jacobis  30.   April;  an  Jacobi  9.  Mai. 

2)  Vivenot  II  417;  Rep.  96,  147  G.  II,  F.  Au  Roi  13.  Mai. 

3)  Vivenot  II  419  und  432.     Berichte    von  Haugwitz    15.,    16., 
30.  Juni.     An  Haugwitz  23.  und  27.  Juni,  5.  und  7.  Juli. 

4)  Häußer  I  363;  Rep.  I  170  an  Haugwitz  13.  Juni. 

5)  Berichte  von  Haugwitz  30.  Juni  und  4.  Juli. 


Manifeste  139 

Frankfurt  weilte  und  die  Mächte  in  seinem  Sinne  zu  beeinflussen 
suchte1).  Aber  wir  haben  hier  doch  eine  von  ihm  unabhängige 
direkte  Verbindung  mit  Paris,  die  ihren  Anfang  in  der  nächsten 
Umgebung  des  Königspaares  hat.  Der  Freiherr  Johann  Friedrich 
von  Stein,  ein  Bruder  des  großen  Reformators  des  preußischen 
Staates,  vertrat  damals  Preußen  in  Mainz  und  bei  den  umliegen- 
den Höfen.  Ihm  teilte  Frau  von  Chabannes  einen  Brief  ihres 
Onkels  von  Boisgelin,  des  Erzbischofs  von  Aix,  mit,  der  seine 
Nachrichten  von  einer  Hofdame  Marie  Antoinettes,  der  Her- 
zogin von  Ossan,  hatte.  Später  schrieb  sich  zwar  Stein  die  Idee 
des  Manifestes  selbst  zu,  aber  wir  werden  wohl  auch  sie  bereits 
in  dem  Briefe  aus  Paris  zu  suchen  haben2).  Die  Angaben  schienen 
nur  zu  gut  mit  einer  wenige  Tage  vorher  aus  Brüssel  eingelaufenen 
Pariser  Nachricht  übereinzustimmen,  die  Emigrantenkreisen  zu 
entstammen  scheint,  wonach  der  König  mit  der  Absetzung  be- 
droht sei,  die  Royalisten  in  Paris  selbst  nichts  mehr  machen 
könnten,  d.  h.  die  einzige  Hilfe  in  dem  Einmarsch  der  Mächte 
liege3). 

Auch  Mallet  du  Pan  vertrat  derartige  Ansichten.  Man  hat 
ihn  häufig  als  Vertreter  der  geheimsten  Ansichten  Ludwigs  be- 
trachtet, entsprechend  seinen  eigenen  Angaben  und  einem  kleinen 
Beglaubigungszettel  von  Ludwigs  Hand4).  Aber  es  ist  Sorel 
nicht  entgangen5),  daß  die  anderen  Vertreter  des  französischen 
Königspaares,  Fersen  und  Breteuil,  eine  andere  Stellung  ein- 
nahmen. Sie  forderten  nur  kräftiges  Auftreten,  von  einem  ver- 
söhnlichen versprachen  sie  sich   keinen  Erfolg.     Nun   ist   kein 


*)  Rep.  XI  91  varia,  Note  sommaire,  zweifellos  von  Mallet;  sie  ist 
nicht  hier  einzureihen,  da  die  in  Anführungsstriche  gesetzten  Worte  sich 
darin  nicht  so  finden.  Ein  preußischer  Entwurf  zu  einem  Manifest  scheint 
zwar  von  Schulenburgs  Hand  dagewesen  zu  sein.  Dieser  soll  ihn  Caraman 
gezeigt  haben,  aber  ich  habe  ihn  noch  nicht  finden  können  (Fersen  II 
23).  Im  Geiste  Mallets  war  er  nicht,  sondern  eine  Vereinigung  der  Ansichten 
der  Emigranten  und  der  Königin  (Generalstände).  Er  ist  spurlos  zu  Boden 
gefallen  vor  dem  besseren  Limons,  den  Schulenburg  und  Bischoffwerder 
völlig  billigten. 

2)  Rep.  96,  170  L.  Berichte  Steins  7.,  26.,  29.,  30.  Juni;  H  e  i  g  e  1, 
Manifest  649;  Rep.  XI  91  varia  Schulenburg  an  Breteuil  16.  Juli. 

3)  Rep.  96,  147  G.  II,  S.  Au  Roi  10.  VI.  mit  Lettre  confidentielle  de 
Paris  30.  Mai. 

4)  Häußer  I  362;  Mallet  I  282—284  und  427  ff. ;  Clapham 
211.  Vgl.  auch  Bertrand  de  Molleville,  Histoire  de  la  revolution 
francaise  VIII  39   ff. 

5)  II  508—509. 


140  II.  Abschnitt 

Zweifel  daran  möglich,  daß  sie  über  die  wirklichen  Pläne  Marie 
Antoinettes  am  besten  unterrichtet  waren1).  Eine  abweichende 
Haltung  Mallets  kann  daher  nur  den  Grund  haben,  daß  er  nicht 
so  weit  eingeweiht  war  wie  sie.  Er  war  ja  im  Grunde  Republi- 
kaner und  erst  in  letzter  Zeit  für  das  konstitutionelle  Königtum 
in  Frankreich  eingetreten.  An  der  Lauterkeit  seines  Charakters 
war  ein  Zweifel  gar  nicht  möglich.  Er  erschien  den  Feuillants, 
speziell  den  Monarchisten2),  als  der  geeignete  Mann,  ihre  An- 
sichten bei  den  Mächten  zu  vertreten.  Denn  nicht  von  Ludwig, 
sondern  von  Malouet  ist  der  Plan  ausgegangen,  ihn  diplomatisch 
zu  verwenden,  da  seine  Abreise  sich  als  unvermeidlich  heraus- 
gestellt hatte  nach  seinem  scharfen  Eintreten  für  das  konstitutio- 
nelle Königtum  in  Frankreich  in  seinem  „Mercure  de  France", 
den  er  jetzt  eingehen  ließ3).  Montmorin  und  Bertrand  de  Molle- 
ville  waren  mit  im  Geheimnis,  und  dieser  sollte  auf  dem  Umwege 
über  England  seine  Beglaubigung  nach  Mainz  durch  seinen 
Bruder  bringen  lassen4). 

Es  wäre  jedoch  wohl  nicht  richtig,  anzunehmen,  Ludwig  habe 
diese  Mission  im  Gegensatz  zu  Marie  Antoinette  gebilligt,  die 
vorher  ihre  Ansichten  in  einem  Brief  an  Mercy  niedergelegt  habe5). 
Ein  solcher  Gegensatz  bestand  nicht6).  Wenn  Ludwig  hier  als 
der  Handelnde  hervortritt,  so  hat  das  darin  seinen  Grund,  daß 
er  sich  durch  seine  nachgiebige,  alles  andere  als  impulsive  Natur 
besser  dazu  eignete  als  Marie  Antoinette,  die  auf  diese  „factieux" 

1 )  Vgl.  etwa  Fersen  II  295  Marie  Antoinette  an  Fersen  7.  Juni 
1792.  Das  gilt  mutatis  mutandis  auch  für  Mallet  (cf.  II  325  11.  Juli).  Ja 
selbst  in  diesen  Briefen  muß  man  zwischen  chiffrierten  und  nicht  chiffrierten 
Abschnitten  unterscheiden,  z.  B.  Fersen  II  339 — 341:  1.  August.  Vgl. 
auch  die  Ableugnung  von  Breteuils  Vollmachten  durch  den  König  (B  e  r- 
trand  VIII  41—42). 

2)  Scharf  organisiert  ist  namentlich  diese  Masse  als  Partei  nicht, 
eher  schon  die  anderen  vorwärtsstrebenden,  Girondisten  und  Jakobiner. 
Sie  hatte  kein  festes  Programm  und  war  in  sich  vielfach  zerklüftet  (z.  B. 
zu  vergleichen  M  a  1  o  u  e  t  II  115  ff.  cap.  XVIII  La  Legislative). 

3)Bacourt-Städtler  III  347—348;  Mallet  I  268—270, 
280;  Malouet  II  134  und  146 — 147,  dabei  ein  chronologischer  Irrtum. 

4)  Die  Erkrankung  dieses  Bruders  ließ  diesen  Plan  nicht  zur  Aus- 
führung kommen, 

e)  Mallet  I  288—291  und  304—305;  H  e  i  g  e  1,  Manifest  644; 
Brunetiere  105 — 106;  Ranke  176 — 179;  A  r  n  e  t  h,  Marie  Antoinette 
263—264. 

6)  Lettres  de  Marie-Antoinette.  Publ.  pour  la  societe  d'histoire  contem- 
poraine  par  Maxime  de  la  Roche terie  et  le  Marquis  de  Beaucourt.  Paris 
1896.     II  396—397. 


Manifeste  141 

mit  leidenschaftlichem  Haß  herabblickte,  für  die  es  ein  Opfer, 
vielleicht  sogar  eine  Gefahr  gewesen  wäre,  selbst  das  Wort  zu 
führen.  Ich  möchte  deshalb  hier  nicht  genau  abzugrenzen  wagen, 
wieviel  von  Bertrand,  Malouet  und  Genossen,  wieviel  von  Ludwig 
bei  diesen  Aufträgen  für  Mallet  stammt.  Jener  genehmigte  den 
ihm  vorgelegten  Plan1). 

Eins  scheint  mir  dabei  aber  außer  allem  Zweifel  zu  sein. 
Auch  Ludwig  versprach  sich  von  dieser  Mission  für  sein  Ziel 
einen  Vorteil.  Mallet  hatte  zwei  Aufgaben  zugewiesen  erhalten. 
Er  sollte  die  Emigranten  von  —  militärischer  wie  politischer  — 
Betätigung  möglichst  zurückhalten,  um  zu  verhindern,  daß  sich 
alle  Parteien  zur  Abwehr  dieser  gefährlichsten  Landesfeinde  ver- 
einten2), und  die  Haltung  der  Mächte  gegenüber  den  französi- 
schen inneren  Verhältnissen  beeinflussen,  wie  sie  sich  in  dem  Mani- 
fest zeigen  mußte3).  Nur  für  den  zweiten  Punkt  ist  ein  Gegen- 
satz zwischen  Ludwig  und  den  Feuillants  vorhanden.  Ludwig 
wie  Mallet  sahen  die  Gefahr  für  seine  Person  als  wirklich  bestehend 
an  und  forderten  Gewaltmittel.  Während  dieser  sie  aber  nur 
aushilfsweise  als  nicht  zu  umgehen  anwenden  wollte  zur  Unter- 
stützung seiner  Partei,  hielt  der  König  sie  für  die  Hauptsache 
und  wollte  mit  ihr  alle  Parteien  nach  und  nach  zum  Gehorsam 
bringen.  Wenn  Ludwig  jetzt  scheinbar  auf  die  ihm  so  wider- 
wärtigen Absichten  der  Feuillants  einging,  so  blieben  ihm  doch 
noch  Mittel  und  Wege  genug,  um  seine  eigentlichen  Absichten 
zu  erreichen,  und  mit  seiner  Konnivenz  sicherte  er  sich  die  Unter- 
stützung der  Feuillants,  bis  er  sich,  gestützt  auf  die  Mächte, 
ihnen  als  Herrn  zeigen,  ihnen  heimzahlen  konnte,  was  sie  ihm 
angetan  hatten.  Dem  Königspaar  wie  den  Emigranten  erschienen 
ja  die  „monarchiens "  als  die  gefährlichsten  Feinde,  gegen  die 
man  sich  auf  keinen  Fall  nachgiebig  zeigen  dürfe.  Das  rührt 
wohl  nicht  zum  wenigsten  daher,  daß  sie  Pläne  verfolgten,  die 
ihren  Gegnern  für  ausführbar  galten,  was  sie  von  dem  Programm 
der  Radikalen  für  ganz  ausgeschlossen  hielten.  Diese  waren  also 
nur  vorübergehend,  jene  aber  dauernd  die  Feinde  des  Königs- 
paares4). 

1 )  S  o  r  e  1  II  476. 

2)  Bacourt-Städtler    III    353—354,    340,    349;    Glagau 
280—281. 

3 )  Erinnern  wir  uns  dabei  noch  einmal,  daß  noch  kein  Manifest 
der  deutschen  Mächte  bekannt  war. 

4)  Vgl.  etwa  A.  Geff  roy,  Gustave  III  et  la  cour  de  France.  2.  ed.  II 
(1867)  463  ff.;  Fersen  II  179—183. 


142  II.  Abschnitt 

Einig  aber  war  es  mit  den  Feuillants  in  dem  Wunsche,  die 
Tätigkeit  der  Emigranten  möglichst  zu  neutralisieren.  Man  konnte 
ja  diese  Gefahr  nicht  oft  genug  beschwören.  Am  21.  Mai  reiste 
Mallet  nach  Genf  ab1)  mit  dem  Entwurf  zu  einem  Manifeste  der 
Mächte,  einer  genauen  Instruktion  und  einem  Memoire  versehen, 
das  er  den  Mächten  vorlegen  sollte2).  Ich  übergehe  hier  den  die 
Emigranten  betreffenden  Abschnitt  und  halte  mich  an  das  Mani- 
fest selbst.  Es  sollte  sich  nicht  gegen  die  Nation  und  den  König, 
sondern  allein  gegen  die  Partei  richten,  die  die  Herrschaft  in  den 
Händen  habe,  die  Ruhe  Frankreichs  und  Europas  störe,  jetzt 
sogar  die  durch  die  Verfassung  geheiligte  monarchische  Regierung 
zu  stürzen  suche.  Sie  gelte  es  zu  halten,  den  König  mit  seiner 
Familie  zu  befreien  und  ihn  in  die  Ausübung  seiner  gesetzlichen 
Rechte  wieder  einzusetzen.  Vorher  könne  man  auf  keine  Ver- 
handlungen eingehen  und  erst  nach  Erreichung  dieses  Ziels  die 
Waffen  niederlegen.  Dem  Volke  wird  Schutz  versprochen.  Aus- 
genommen sind  davon  jedoch  die  Rädelsführer  der  Gegenpartei, 
deren  Anwesenheit  allein  schon  die  Ruhe  stören  würde.  Sie  allein 
haben  den  Krieg  hervorgerufen,  auf  sie  allein  muß  auch  die 
Strafe  dafür  fallen3).  Für  neue  Angriffe  auf  die  königliche  Familie 
werden  Bürger,  Nationalversammlung,  Nationalgarde  und  Offi- 
ziere, staatliche  und  städtische  Behörden,  die  Hauptstadt  verant- 
wortlich gemacht.  In  diesem  Falle  werde  sie  in  Flammen  auf- 
gehen und  den  Soldaten  zur  Plünderung  überliefert  werden.  Die 
Gemäßigten  aber  will  man  durch  das  Versprechen,  der  König 
werde  ihnen  verzeihen,  er,  nicht  die  Emigranten  oder  die  Mächte, 
werde  überhaupt  das  Schicksal  der  Parteien  bestimmen,  von  den 
Jakobinern  abtrennen  und  zu  Bundesgenossen  machen.  So  sollte 
das  Manifest  zu  gleicher  Zeit  den  einen  Schrecken  (Jakobiner), 
den  anderen  Schrecken  und  Vertrauen  (Gemäßigte)  einflößen. 
Nur  so  werde  man  einen  Erfolg  erreichen,  der  Dauer  verspreche 
auch  über  die  Zeit  der  Anwesenheit  der  feindlichen  Armeen  in 
Frankreich  hinaus1).  Nur  so  schien  man  auch  den  gefürchteten 
Bürgerkrieg  auf  das  geringstmögliche  Maß  beschränken  zu 
können. 


1)  Sorel  II  479. 

2)  Mallet  I  284  ff.,  305—306,  309—315,  446—449,  427  ff.;  Ber- 
trand VIII  44  ff.  Vgl.  auch  Rep.  XI  91  varia  die  am  17.  Juli  an  Haug- 
witz  übergebene  Note  sommaire. 

3)  Mallet  I  436. 

4)  M  a  1 1  e  t  I  428  und  437—438. 


Manifeste  143 

Wir  sehen,  es  ist  die  alte  Vorstellung,  die  durch  Goltz  auch 
nach  Berlin  weitergegeben  wurde1),  durch  die  Zweiteilung  der 
Nation  den  Mächten  sofort  in  Frankreich  Bundesgenossen  zu 
gewinnen  und  die  Gegenpartei  nur  durch  den  Schrecken  nieder- 
zuschlagen. Bemerkenswert  scheint  es  zu  sein,  daß  von  der 
Verfassung  nur  nebenher  die  Rede  ist,  viel  mehr  von  den  Rechten 
der  Krone,  ein  Beweis  dafür,  wie  die  Feuillants  immer  mehr  von 
ihren  revolutionären  Tendenzen  zurückkamen  und  zufrieden 
wären,  wenn  sie  aus  dem  Schiffbruch  ihrer  Ideen  nur  einige 
Trümmer  retten  könnten.  S'e  wollten  ein  konstitutionelles 
Regiment  mit  Verstärkung  der  Krongewalt  gegenüber  der  Ver- 
fassung2), Das  beweist  auch  die  Instruktion  für  Mallet,  die  es 
ausdrücklich  ablehnt,  die  zukünftige  Verfassung  schon  vorher 
festzulegen.  Was  davon  überhaupt  erwähnt  wurde,  sollte  nur 
dazu  dienen,  den  gemäßigten  Teil  der  Franzosen  über  eine  Gegen- 
revolution zu  beruhigen3). 

Bei  den  Emigranten  kam  Mallet  mit  seinem  Plane  vor  ver- 
schlossene Türen.  Er  erreichte  direkt  bei  ihnen  gar  nichts  und 
auch  die  Haltung  der  Mächte  beeinflußte  er  ihnen  gegenüber 
kaum.  Dagegen  schien  es  ihm  bei  diesen  mit  seinem  Manifest- 
plan zuerst  ganz  nach  Wunsch  zu  gehen.  Zwar  nicht  so  schnell, 
wie  er  wohl  gehofft  hatte;  denn  als  er  am  12.  Juni  nach  Frank- 
furt kam,  traf  er  da  weder  Franz  noch  Friedrich  Wilhelm  und 
mußte  mit  seinen  Konferenzen  dank  dem  österreichischen  Zaudern 
bis  zum  15.  Juli  warten.  Philipp  Cobenzl,  Haugwitz  und  Hey- 
mann nahmen  daran  teil4).  Es  genügt  hier  die  Feststellung,  daß 
die  Vertreter  beider  Staaten  völlig  auf  seine  Ansichten  eingingen. 
Bei  dem  Österreicher  kann  man  sich  darüber  nicht  weiter  wundern. 
Seine  Absichten  stimmten  beinahe  völlig  mit  denen  Mallets 
überein,  nur  hätte  er  sich  wohl  ganz  gern  auch  mit  einer  ge- 


1)  Rep.  XI  89  Berichte  vom  7.  und  18.  Mai. 

2)  Vgl.  dazu  die  zwei  Monate  später  geäußerten  Gedanken  Mont- 
morins,  die  damit  übereinstimmen  bis  auf  einen  Punkt:  die  Verfassung  will 
auch  er  jetzt  schon  aus  dem  Spiel  lassen  und  vor  allem  die  Freiheit  des 
Königs  und  der  Regierung  fordern.  Das  ist  wohl  die  Folge  der  Szene  vom 
7.  Juli,  wo  sich  der  Appell  an  die  Verfassung  nur  einen  Augenblick  als 
wirksam  erwiesen,  bald  aber  die  entgegengesetzte  Wirkung  gehabt  hatte, 
die  Jakobiner  nur  noch  mehr  aufzustacheln  (Bacourt-  Städtler  III 
347—348,  363  und  369—370;  G  lag  au  335;  Journal  d'une  bourgeoise 
172  ff.). 

3)  M  a  1 1  e  t  I  284—286  und  435. 

4)  Mallet  I  306—309. 


144  H.  Abschnitt 

ringeren  Macht  der  Krone  in  Frankreich  begnügt.  Mehr  muß 
man  sich  schon  über  Heymann  wundern,  der  bei  Preußen  die 
Sache  der  Emigranten  zu  vertreten  hatte,  allerdings  nicht  von 
diesen,  sondern  von  Friedrich  Wilhelm  selbst  dazu  ausgesucht 
worden  war.  Er  schwieg  zuerst  und  mußte  nachher  sogar  Mallet 
noch  besonders  die  Zufriedenheit  der  Mächte  bestätigen  —  ein 
Beweis,  wie  wenig  selbständig  er  handeln  durfte.  Haugwitz  end- 
lich war  in  dieser  Zeit,  wie  wir  noch  sehen  werden,  von  einer 
beneidenswerten  Vertrauensseligkeit  in  die  Österreicher.  Er  gab 
die  Führung  ganz  aus  der  Hand,  zum  Teil,  weil  er  in  die  preußische 
Politik  nicht  tief  genug  eingeweiht  war. 

So  schien  alles  in  schönster  Ordnung  zu  sein,  und  doch  fand 
nicht  Mallets  Entwurf,  sondern  der  Limons  Verwendung,  und  die 
Emigranten  wurden  nicht  von  den  Operationen  ausgeschlossen, 
sondern  nahmen  daran  teil1). 

Wie  ist  es  dazu  gekommen? 

Das  französische  Königspaar  hatte  nicht  an  Mallet  seine 
letzten  Absichten  mitgeteilt,  sondern  Fersen  und  Breteuil  waren 
seine  Vertreter.  Marie  Antoinette  führte  diese  Korrespondenz 
weiter  und  hatte  gerade  wieder  in  den  Tagen  der  Kriegserklärung 
auf  den  Erlaß  eines  Manifestes  gedrängt2).  Man  hat  nun  diesen 
Brief  an  Mercy  wohl  so  aufgefaßt,  daß  sie  darin  Angaben  für  das 
Manifest  aller  Mächte  gemacht  habe.  Davon  steht  aber  nichts  in 
dem  Brief.  Sie  spricht  nur  von  dem  Manifest  des  Wiener  Hofes. 
Mit  einiger  Kunst  könnte  man  ja  daraus  interpretieren,  Öster- 
reich sei  die  Macht  gewesen,  die  das  Konzert  angeregt  und  ge- 
leitet habe.  Aber  dann  müßte  doch  von  dem  Konzert  irgendwie 
die  Rede  sein.  Das  Manifest  dagegen  soll  nur  das  Vorgehen 
Österreichs  rechtfertigen.  Es  ist  also  mit  der  österreichischen 
Gegenerklärung  zu  verbinden,  nicht  mit  dem  Manifest  des  Her- 
zogs von  Braunschweig.  Österreich  solle  sich  möglichst  von  den 
Emigranten  trennen  und  mäßigend  auf  sie  einwirken.  Es  solle 
seinen  Wunsch,  den  Frieden  zu  erhalten,  hervorheben;  auch  jetzt 
sei  es  noch  dazu  bereit.  Vom  König  solle  möglichst  wenig  die 
Rede  sein,  um  ihn  nicht  zu  Schritten  zu  zwingen,  die  seinem 
Interesse  zuwider  seien,  und  um  nicht  das  Volk  für  den  Krieg  zu 
begeistern.     Gerade  mit  der  französischen  Nation  in  Frieden  zu 


x)  Clapham  221  etc. 

2)  Arneth  263—265;  Ranke  176—177;  de  la  Rocheterie 
et  de  Beaucourt,  Lettres  de  Marie- Antoinette  II  396 — 397;  Clap- 
ham 210. 


Manifeste  145 

leben,  sei  Österreichs  größter  Wunsch.  In  innere  französische 
Angelegenheiten  endlich  solle  sich  Österreich  nicht  einmischen, 
das  könne  nur  schaden.  So  wünschenswert  auch  ein  Vergleich 
zwischen  den  verschiedenen  Parteien  sei,  so  wenig  dürfe  man 
davon  sprechen.  Jede  Intervention  würde  der  außerordentlich 
gesteigerte  Nationalstolz  der  Franzosen  zurückweisen  lassen,  und 
der  König  müßte  sich  dem  anschließen. 

Das  sind  alles  Gedanken,  wie  wir  sie  tatsächlich  in  der  öster- 
reichischen Gegenerklärung  finden.  Nur  der  Gedanke  der  Ver- 
nichtung der  Jakobiner  kam  bei  Marie  Antoinette,  die  davon  nur 
indirekt  sprach1),  viel  schwächer  zum  Ausdruck  als  bei  Öster- 
reich. Ich  möchte  nun  nicht  behaupten,  daß  die  Österreicher 
zu  dem  Erlaß  ihrer  Gegenerklärung  von  Marie  Antoinette  veran- 
laßt worden  seien.  Daß  aber  ihr  Brief  darauf  eingewirkt  hat, 
geht  außer  der  tatsächlichen  Übereinstimmung  des  Inhaltes  auch 
daraus  hervor,  daß  der  Brief  mehrfach  an  Preußen  mitgeteilt 
wurde,  man  ihm  also  große  Bedeutung  beimaß.  Wenn  wir  noch 
berücksichtigen,  daß  Marie  Antoinette  an  Mercy  so  schrieb, 
d.  h.  an  den  offiziellen  Vertreter  der  österreichischen  Politik, 
von  dem  sie  ein  Eingehen  auf  ihre  Ziele  nicht  erwarten  konnte, 
daß  sie  deshalb  von  guten  Absichten  Leopolds  sprechen  mußte, 
von  denen  sie  im  Gespräch  mit  vertrauten  Personen  schlechter- 
dings nichts  wissen  wollte2),  so  wird  uns  klar,  daß  wir  auch  hier 
nicht  ihr  letztes  Wort  zu  suchen  haben.  Sie  hätte  sonst  ihre 
ganze  vorherige  Politik  desavouiert,  und  ihre  folgende  Tätigkeit 
würde  unverständlich  sein.  Sie  wollte  zunächst  nur  der  öster- 
reichischen Politik  unmöglich  machen,  ihr  zu  schaden,  und  ferner 
möglichst  großen  Nutzen  aus  ihr  ziehen.  Deshalb  schrieb  sie 
ihr  den  Inhalt  ihres  Manifestes  vor3). 

Wir  haben  also  bei  ihr  einen  ähnlichen  Schritt  wie  bei  Ludwig 
gegenüber  Mallet  festzustellen.  Bei  dieser  Erklärung  fällt  die 
schon  oft  bemerkte  Schwierigkeit  fort,  daß  sie  und  Ludwig  an- 

x)  Sie  spricht  aber  doch  ganz  unverkennbar  von  den  Jakobinern. 
Sie  sucht  dem  in  der  Revolution  bahnbrechenden  nationalen  Gegensatz 
gegen  Österreich  das  Wasser  abzugraben  und  erkennt  dabei  nicht,  daß 
die  —  fingierte  —  Einmischung  von  Europa  der  Revolution  ebenso  ver- 
haßt sein  muß. 

2)  Fersen  II  179—183. 

3)  Der  Brief  ist  nach  dem  20.,  aber  wohl  vor  dem  30.  April  geschrieben. 
Mercy  schickte  ihn  erst  am  16.  Mai  nach  Wien,  da  er  ihn  über  England 
erhalten  hatte.  V  i  v  e  n  o  t  II  447 — 448  und  Rep.  I  171:  Kaunitz  an  Reuß 
26.  Mai.     Mercy  an  Kaunitz  16.  Mai. 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Kevolution       10 


146  IL  Abschnitt 

geblich  nicht  gleichartig  vorgehen,  daß  sie  nachher  selbst  andere 
Forderungen  als  am  Anfang  stellt.  Ich  halte  es  für  ausgemacht, 
daß  sie  auch  schon  Ende  April  für  ihre  Sicherheit  gefürchtet  hat 
und  deshalb  den  Absatz  in  das  Manifest  der  Mächte  gern  hinein- 
gebracht hätte.  Sie  selbst  sprach  diese  Besorgnis  auch  kurze 
Zeit  hinterher  aus,  ohne  daß  sich  in  der  Zwischenzeit  besonders 
erschwerende  Ereignisse  abgespielt  hätten;  selbst  für  die  Zeit 
vorher  fehlt  es  nicht  an  Belegen  dafür1).  Nach  dem  20.  Juni 
nun  gar  hielt  sie  jeden  Aufschub  für  äußerst  gefährlich.  Die 
Briefe  vom  23.  und  26.  Juni  lassen  uns  das  durch  den  Schleier 
erkennen,  den  sie  darüber  gezogen  hat.  Dabei  hatte  sie  wenig 
Hoffnung,  daß  es  bald  zu  einer  Lösung  in  ihrem  Sinne  kommen 
werde.  Am  4.  Juli  endlich  machte  sie  einen  neuen  Ansturm  auf 
Mercy  und  teilte  das  Fersen  vorher  mit,  damit  er  in  demselben 
Sinne  auf  ihn  wirke2).  In  all  diesen  Briefen  ist  nur  von  Gewalt 
die  Rede,  nicht  von  Paktieren.  Das  hätte  sie  ja  mit  Lafayette 
haben  können  und  auch  mit  der  Gironde.  Beide  Parteien  ver- 
suchten im  Juni  und  Juli  vergeblich,  den  König  für  sich  zu  ge- 
winnen3). Alle  Parteien  erschienen  Marie  Antoinette  gleich 
hassenswert.  Die  auswärtigen  Mächte  sollten  ihr  helfen,  sie  zu 
zügeln.  Das  Manifest  sollte  daher  die  Nationalversammlung  und 
Paris  für  das  Leben  des  Königs  und  seiner  Familie  verantwort- 
lich machen,  dessen  sie  keinen  Augenblick  mehr  sicher  zu  sein 
glaubte,  besonders  des  ihren,  seit  Anfang  Juli  aber  auch  des- 
jenigen von  Ludwig4).  Kein  Augenblick  sei  zu  verHeren.  Von 
seiner  Publikation  erwartete  man  den  sofortigen  Anschluß  eines 
großen  Teiles  des  Volkes  an  den  König5). 

So  fällt  der  ganze  Abschnitt  über  die  inneren  Parteiverhält- 
nisse von  Frankreich,  auf  den  besonders  Österreich  so  großen 
Wert  legte,  für  sie  einfach  weg,  soweit  er  positive  Vorschläge 
hatte  enthalten  sollen6).      Mercy  war  deshalb  damit  natürlich 


1 )  H  e  i  g  e  1,    Manifest    644;    Brunetiere    105 — 106 ;    Fersen 

II  220—221. 

2)  Fersen  II  317. 

3)  Glagau  in  H.Z.  82,  436—460;  D  u  m  o  ur  i  e  z  II  422— 426; 
V  a  t  e  1,  Vergniaud  II  121—125. 

*)  Fersen  II  318—319. 

5)  Fersen  II  332—333  und  339—340;    Bacourt-Städtler 

III  364—367. 

6)  Weder  auf  eine  Kontrerevolution  im  Sinne  der  Emigranten  noch 
auf  eine  Kontrekonstitution  also  war  es  abgesehen,  sondern  auf  die  Her- 
stellung einer  starken  königlichen  Macht,  wie  sie  in  Frankreich  noch  nicht 


Manifeste  147 

icht  einverstanden.  Er  hatte  sich  nur  mühsam  die  Fiktion 
rauben  lassen,  daß  das  Königspaar  selbst  nicht  ernstlich  ge- 
fährdet sei.  Er  kann  ja  die  Tatsache  gar  nicht  mehr  übersehen 
laben,  er  wollte  sie  nur  in  einem  anderen  Lichte  sehen,  das  den 
Interessen  seines  Hofes  besser  entsprach1).  Am  9.  Juli  schrieb 
2r  daher  an  Marie  Antoinette,  er  wolle  in  dem  Manifeste  dem 
gemäßigten  Teil  der  Franzosen  Hoffnung  lassen.  Vor  allen 
Dingen  mußte  er  noch  bis  Anfang  August  Zeit  gewinnen,  da 
die  Heere  von  Österreich-Preußen  nicht  eher  heran  waren. 
Das  zweite  billigte  auch  Fersen,  gegen  das  erste  konnte  er 
nur  protestieren.  Er  verließ  sich  auf  die  baldige  Ankunft  des 
Herzogs  von  Braunschweig  und  Friedrich  Wilhelms  und  auf 
ihre  Absicht  und  sogar  Friedrich  Wilhelms  Versprechen,  kräftig 
zu  handeln2). 

Fersen  also  hatte  durch  Limon,  den  er  jedoch  nicht  be- 
sonders schätzte3),  ein  Manifest  in  dem  von  Marie  Antoinette 
gewünschten  Sinne  entwerfen  lassen4).  Mercy  erhielt  es,  ohne 
zu  ahnen,  daß  Fersen  dahinter  steckte,  was  ihn  vielleicht  zu 
größerer  Vorsicht  veranlaßt  hätte.  Limon  gab  es  am  17.  Juli  in 
Frankfurt  an  Ph.  Cobenzl  weiter,  wohl  vor  der  noch  zu  besprechen- 
den Konferenz,  in  der  sein  Entwurf  schon  zu  Grunde  gelegen  zu 
haben  scheint5).  Dieser  zeigte  es  in  Frankfurt  am  19.  Juli 
Schulenburg,  der  nach  seiner  drei  Tage  vorher  zu  Breteuil  ge- 


bestanden hatte  (Ranke  198;  Glagau  HZ.  82,  264—271;  Rep.  XI  91 
varia,  Breteuil  an  Schulenburg  4.  Juli  1792  .  .  .  les  nouveaux  crimes  des 
factieux  envers  le  Roi  [20.  Juni]  fönt  encore  plus  sentir  l'avantage  d'arriver 
au  moment  oü  les  puissances  qui  prennent  la  defense  du  Roi  feront  voir 
dans  leur  manifeste  tout  ce  que  ces  miserables  ont  ä  attendre  de  leur  ven- 
geance,  si  les  atrocites  qu'ils  osent  annoncer  avaient  le  moindre  effet.  Les 
deux  Rois  sentiront  sürement  egalement  combien  il  est  digne  d'eux  et 
necessaire  ä  tous  les  thrones  de  tenir  dans  cet  ecrit  le  langage  qui  peut 
seul  les  assurer  tous  en  montrant  la  resolution  de  retablir  le  Roi  dans  son 
entiere  liberte  .  .  .  Breteuil  an  Schulenburg  14.  Juli  ib.  über  Waffenstill- 
stand). 

*)  Fersen  II  20—21  und  323—324;  Arneth  266;  Feuillet 
VI  205—206;  Brunetiere  106;  Hei  gel,  Manifest  645. 

2)FersenII  322—324,  329,  336,  338. 

3)  Fersen  II 18  und 25,  329 u.  336;  Häußer  I  365;  Br  u  n  e  ti  er  e 
107;  H  e  i  g  e  1,  Manifest  649;  Massenbachl  236;  S  o  r  e  1 II  509—510; 
Ch.JP.  148  und  154—155;  M  a  1 1  e  t  I  315  ff. 

4)  Preußen  wußte  jetzt  noch  nichts  davon.  Als  Limon  später  seine 
Entschädigungsforderungen  geltend  machte,  sprach  er  nur  von  Mercy 
und  Metternich  (Hei  gel,  Manifest  667—668). 

5)  V  i  v  e  n  o  t  II  497. 


148  II.  Abschnitt 

äußerten  Ansicht  im  ganzen  nur  zustimmen  konnte1),  der  es  aber 
vorher  nicht  gekannt,  mit  Limon  überhaupt  nichts  zu  tun  gehabt 
hatte2).  Man  ließ  die  Einleitung  weg,  die  nicht  an  ihrem  Platze 
war,  da  nur  Österreich  und  Preußen,  nicht  die  europäischen 
Mächte  insgesamt,  wie  darin  angenommen  war,  in  den  Krieg 
zogen,  und  traf  einige  unwesentliche  Änderungen,  mit  denen  sich 
Limon  nachher  ohne  Schaden  für  die  Sache  abfinden  konnte3). 
Am  20.  wurde  es  von  den  österreichisch -preußischen  Staats- 
männern endgültig  genehmigt,  ohne  daß  es  auch  nur  einer  von 
ihnen  für  nötig  gehalten  hätte,  diese  Wahl  besonders  zu  be- 
gründen. Sie  legten  diesen  innerfranzösischen  Streitigkeiten  doch 
nicht  die  richtige  Bedeutung  bei,  sie  interessierten  sich  zunächst 
für  ganz  andere  Fragen4).    Gleichwohl  bleibt  dieser  Gesinnungs- 


1)  Rep.  XI  91  varia  Ansbach  16.  Juli  1792  .  .  .]  Manifeste,  'qui 
doit  etre  repandu  en  France  au  moment  oü  nous  commencerons  nos  Ope- 
rations militaires.  II  s'agit  de  le  concerter  encore  avec  la  Cour  de  Vienne 
et  on  aura  lieu  d'etre  content  du  ton  energique  dont  il  portera  l'empreinte 
et  les  factieux  y  trouveront  de  quoi  se  convaincre  que  les  puissances  alliees 
ne  sont  guere  disposees  a  se  laisser  amuser  par  des  propositions  insidieuses. 
H  e  i  g  e  1 ,  Manifest  654. 

2)  Ch.J.P.  148  und  Fersen  II  25. 

3)  Hei  gel,  Manifest  634  ff.;  Fersen  II  24—25  und  336—338, 
341.  Fersen  war  durchaus  mit  dem  Manifest  zufrieden.  Das  von  Limon 
nachher  veröffentlichte  Manifeste  de  tous  les  peuples  contre  la  revolution 
francaise  (vgl.  ein  gedrucktes  Exemplar  in  Rep.  67  B  n  la.  Darauf  die 
Bemerkung:  Pieee  faite  ä  Bruxelles  sans  la  participation  des  Cours)  ist 
übrigens  nicht  so  blutrünstig,  wie  man  von  vornherein  annehmen  möchte. 
Fs  will  aufklären  zunächst  über  die  Absichten  der  Mächte,  dann  über  die 
Revolution,  an  der  nur  wenige  wirklich  schuld  seien.  Sie  müßten  bestraft 
Werden.  Die  Aufgabe  sei  die  Herstellung  eines  gesetzlich  geordneten  Zu- 
standes  mit  einem  freien  König  an  der  Spitze,  der  es  seine  erste  Aufgabe 
sein  lassen  werde,  die  geschädigten  Fürsten  zu  entschädigen.  Er  werde 
dem  durch  die  revolutionäre  Propaganda  wertlos  gemachten  Verzicht 
auf  Eroberungen  erst  wahren  Wert  verleihen  und  werde  ein  mächtiges 
Frankreich  herstellen,  das  für  das  europäische  Gleichgewicht  so  notwendig 
sei  und  auch  Garantien  dafür  bieten  könne,  daß  die  Verträge  gehalten 
würden.  Der  Schluß  berührt  sich  vielfach  mit  dem  Manifest  des  Herzogs 
von  Braunschweig,  ist  aber  viel  kürzer  gehalten.  Das  schadete  nichts, 
weil  Limon  ja  noch  hinterher  das  Manifest  und  die  Zusatzerklärung  des 
Herzogs  ganz  abdruckte.  Es  wurde  vielfach  als  offiziöse  Kundgebung  der 
Mächte  betrachtet  (H e i  g e  1 ,  Manifest  659  und  Girtanner,  Historische 
Nachrichten  VIII  498  ff.). 

* )  Wenn  die  in  Berlin  zurückgebliebenen  preußischen  Kabinettsminister 
ihre  Unzufriedenheit  mit  dem  Manifest  äußerten,  so  betraf  sie  nicht  den 
eigentlichen  Inhalt,  sondern  das  Versprechen  der  uneigennützigen  Inter- 
vention.   Sie  fürchteten  nun  entweder  die  Entschädigung  zu  verlieren  oder 


Manifeste  149 

Wechsel  doch  auffallend.  Eine  Erklärung  dafür  ist  noch  nichb 
gegeben   worden1).      Außer   der   Tätigkeit   von   Fersen-Breteuil 

für  wortbrüchig  zu  gelten,  bis  sie  sich  mit  einer  von  Schulenburg  an  die 
Hand  gegebenen  kunstvollen  Distinktion  aus  der  Schlinge  zu  ziehen  ver- 
standen. Eine  Entschädigung  sei  mit  dem  Prinzip  der  uninteressierten 
Intervention  sehr  wohl  vereinbar;  denn  dabei  wolle  man  ja  nichts  erobern, 
und  auf  Frankreich  solle  die  Last  der  Entschädigung  nur  zum  kleinsten 
Teile  fallen.  V  i  v  e  n  o  t  II  502,  503,  509,  511,  519;  Rep.  XI  89  g1  Schulen- 
burg an  Finckenstein  und  Alvensleben  26.  Juli,  2.  August;  Finc kenstein  und 
Alvensleben  an  Schulenburg  27.  Juli,  2.  August;  Alvensleben  (ohne  Datum, 
wohl  27.  Juli);  Sy  bei  III  168.  —  Bei  Beginn  der  militärischen  Operationen 
sollte  es  veröffentlicht  werden.  Ganz  genau  hielt  man  sich  nicht  daran,  viel- 
mehr erfolgte  die  Veröffentlichung  einige  Tage  vor  ihm.  Am  24.  Abends  waren 
die  ersten  Exemplare  fertig  gedruckt.  Limon  bat  sich  einige  Exemplare 
aus,  um  sie  nach  Brüssel  mitzunehmen  und  wenigstens  durch  den  Druck 
die  Änderungen  zu  erfahren,  die  man  an  seinem  Entwurf  vorgenommen 
hatte  (Rep.  XI  89  i  Limon  an  Schulenburg  25.  Juli,  Schulenburg  an  Limon 
25.  Juli).  Die  Kosten  beliefen  sich  auf  162  fl.  für  den  Druck,  272  fl.  36  kr. 
für  das  Papier,  3  Karolinen  zu  je  Hfl.  für  4  Mann  vom  Regiment  von 
Gymnich,  die  vom  21. — 28.  Juli  in  die  Druckerei  kommandiert  worden 
waren,  im  ganzen  also  467  fl.  36  kr.  Preußen  und  Österreich  teilten  sich 
auch  diese  Ausgabe.  Dazu  kamen  dann  noch  einige  Geschenke  an  die 
Vertreter  der  Mächte  (ganz  wie  bei  dem  Abschluß  von  Verträgen,  Rep. 
XI  89  Frankreich  varia  1790 — 1796).  Nach  Berlin  erging  die  Anweisung, 
es  sofort  in  die  Zeitung  zu  bringen,  natürlich  in  deutscher  Sprache,  und  es 
an  die  Gesandten  zu  versenden.  Am  Dienstag  den  31.  Juli  sollte  es  in  den 
Berliner  Zeitungen  erscheinen  und  nach  dem  Druck  sofort  dem  diploma- 
tischen Korps  mitgeteilt  werden.  Die  Zusatzerklärung  wurde  nicht  offiziell 
mitgeteilt  (Rep.  XI  89  g1  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben 
21.  Juli;  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  27.  Juli,  6.  August. 
Ranke  292 — 293.  Der  Abdruck  des  Briefwechsels  zwischen  Schulenburg 
und  seinen  Berliner  Kollegen  weist  doch  so  starke  Lücken  auf,  daß  ich  stets 
auf  die  Akten  verweisen  muß).  —  Fersen  berichtet  von  österreichischer 
Unzufriedenheit.  Sie  kann  sich  nur  auf  Mercy  und  etwa  noch  La  Mark 
beziehen,  da  in  Mainz  eine  Spaltung  zwischen  den  Österreichern  in  dieser 
Frage  nicht  zu  Tage  tritt  und  Preußen  hierin  sicher  dem  Vorgehen  Öster- 
reichs nur  einfach  gefolgt  ist  (Fersen  II  23  und  25,  337—341;  Z  e  i  ß- 
b  e  r  g,  2  Jahre,  113  ff  und  145 — 147).  —  So  eifrig  man  es  auch  sonst  ver- 
teilen und  verbreiten  ließ  (das  Manifest  wurde  ja  auch  in  Plakatform 
gedruckt  mit  etwas  abgeänderter  Einleitung.  Vgl.  Rep.  63,  86  A  1),  so 
vergaß  man  doch  ganz,  es  offiziell  den  Franzosen  mitzuteilen  (denn  die 
Möglichkeit,  daß  man  etwa  die  französische  Regierung  durch  dies  Übersehen 
als  nicht  rechtmäßig  kennzeichnen  wollte,  wird  durch  das  spätere  Verhalten 
ausgeschlossen).  Fersen  und  Breteuil,  Limon  und  Caraman  schoben  einen 
großen  Teil  der  Schuld  an  seiner  verfehlten  Wirkung  hierauf  und  ver- 
anlaßten  Schulenburg,  den  Fehler  nachträglich,  so  gut  es  eben  gehen 
wollte,  wieder  gutzumachen.  Ein  Erfolg  blieb  natürlich  auch  jetzt  aus 
(F  e  r  s  e  n  II  343;  Rep.  XI  89  i  Limon  an  Schulenburg  8.  und  15.  August, 
Schulenburg  an  Limon  8.,   10.  und   12.  August;   cf.    H  e  i  g  e  1,  Manifest 


150  II.  Abschnitt 

scheint  auch  die  der  Emigranten  groß  gewesen  zu  sein.  Wir 
wissen  von  dem  Marquis  de  Lambert,  der  bei  dem  Herzog  von 
Braunschweig  die  Prinzen  vertrat,  und  in  einer  Weise,  die  ihm 
das  Lob  des  Herzogs  wie  Fersens  eintrug2),  daß  er  nach  dem 
Bekanntwerden  der  Nachricht,  die  Mächte  planten  ein  Paktieren 
mit  der  Revolution,  sofort  Lärm  beim  Herzog  schlug;  das  sei 
allen  bisherigen  Versprechungen  entgegen.  Eine  Verbindung 
solcher  Einflüsse  mit  der  mangelhaften  Kenntnis  und  Würdigung 
der  französischen  inneren  Verhältnisse  scheint  zu  dem  Beschluß 
vom  20.  Juli  geführt  zu  haben3). 

Brunetiere  und  Heigel  geben  sich  nun  große  Mühe,  das  fran- 
zösische Königspaar  von  dem  Verdacht  zu  reinigen,  das  Manifest 
sei  in  den  Tuilerien  ausgearbeitet  worden4).  Sie  sind  zweifellos 
soweit  im  Recht,  als  sie  behaupten,  daß  die  endgültige  Form 
erst  in  Frankfurt  und  Mainz  festgestellt  worden  ist,  daß  Fersen 
sie  erst  am  28.  Juli  gekannt  hat.  Aber  darauf  kommt  es  nicht 
an.  Die  Hauptsache  ist,  daß  von  dem  französischen  Königspaar 
die  Forderung  eines  Manifestes,  das  nichts  verspricht  und  den 
factieux  mit  den  schärfsten  Strafen  droht,  erhoben  worden  ist 
und  daß  man  ihr  nachkam.  Ich  glaube  nun  zwar  nicht,  daß  die 
Annahme  von  Mallets  Entwurf  einen  wesentlich  anderen  Ein- 
druck in  Frankreich  erzielt  hätte.  Denn  auch  er  enthält  den 
entscheidenden  Abschnitt  von  der  eventuellen  Bestrafung  von 
Paris  u.  s.  w.,  in  dem  in  der  Tat  die  ganze  Bedeutung  des  Mani- 
festes beruht5).  Wenn  wir  etwas  aus  der  Geschichte  der  voran- 
gegangenen Monate  lernen  können,  so  ist  es  gerade  das,  daß  die 
Rechnung  des  Auslandes,  insbesondere  Österreichs,  auf  die 
französische  Parteiung  und  der  Versuch,  sie  für  seine  Zwecke 
auszunützen,  scheitert.  Gerade  die  österreichischen  Noten  dieser 
Art  hatten  den  Krieg  entscheiden  helfen.  Die  Unterschiede  end- 
lich, um  die  es  sich  bei  den  Entwürfen  von  Mallet  und  Fersen 
handelte,  waren  doch  zu  fein  und  setzten  diplomatisch  geschulte 


655—659;  Rep.  XI  89  k  Schulenburg  an  Tauenzien  12.  August;  Rep.  XI 
89  b  Schulenburg  an  Braunschweig  12.  und  19.  August). 

1)  Ranke  197. 

2)  Fersen  II  22  und  329;  Rep.  XI  89  b  Braunschweig  an  Schulen- 
burg 18.  Juni  1792. 

3)  Rep.  XI  89  b  Lambert  an  Braunschweig  20.  Juli;  Mallet  I  315 
und  317;  Fersen  II  336. 

4)  Brunetiere  108;  H  e  i  g  e  1,  Manifest  650;  Forneron  I  344; 
Fersen  II  21  und  323. 

5)  Brunetiere  106;  H  e  i  g  e  1,  Manifest  648;  Mallet  I.  316  ff. 


Manifeste  151 

Leser  und  die  Ruhe  einer  Studierstube  für  iure  rechte  Würdigung 
voraus.  Die  in  fieberhafter  Erregung  befindliche  Masse  mußte 
sich  an  die  deutlich  ausgesprochenen  Drohungen  halten1).  Wenn 
auch  der  obigen  Feststellung  kein  großes  Gewicht  beigelegt 
werden  darf,  so  ist  doch  der  Versuch,  die  Verantwortlichkeit  für 
das  Manifest  so  zu  verteilen,  daß  schließlich  keine  Stelle  mehr 
als  von  entscheidender  Bedeutung  erscheint,  nachdrücklich  ab- 
zulehnen. Die  Anregung  kam  aus  Frankreich,  besonders  aus  den 
Tuilerien,  und  die  Mächte  nahmen  sie  nur  auf,  in  der  Hoffnung, 
damit  etwas  zu  erreichen.  So  erscheint  mir  die  Übereinstimmung 
aller  Beteiligten  in  der  Forderung  eines  starken  Manifestes  mit 
dem  berüchtigten  Drohparagraphen  nicht  etwas  von  vornherein 
Gegebenes  zu  sein,  sondern  hervorgerufen  durch  die  französischen 
Einwirkungen  auf  die  Mächte. 

Am  25.  Juli  endlich  wurde  es  veröffentlicht,  da  nun  der.  Ein- 
marsch in  Frankreich  in  wenigen  Tagen  zur  Tatsache  werden 
konnte2).  Dem  Herzog  von  Braunschweig  hat  es  in  der  Geschichte 
der  Revolutionszeit  eine  nur  allzu  traurige  Berühmtheit  ver- 
schaffen helfen.  Als  Machwerk  der  Emigranten  hat  es  in  den 
nicht  eingeweihten  Kreisen  während  der  ersten  Jahre  auch  durch- 
aus gegolten3).  Aber  man  würde  sehr  irren,  wenn  man  darin  den 
getreuen  Ausdruck  ihrer  Stimmung  suchen  wollte.  Sie  hatten 
eigentlich  nichts  dagegen  einzuwenden,  aber  es  fehlte  nach  ihrer 
Anschauung  doch  das  eigentlich  Positive  darin.  Daß  sie  dem- 
zufolge ganz  anders  dachten  und  sprachen,  habe  ich  noch  an 
anderer  Stelle  genauer  festzustellen4).  Der  Herzog  selbst  hatte 
keinen  Einfluß  auf  den  Erlaß  oder  auf  den  Inhalt  des  Manifestes 
ausgeübt;  ja  er  hätte  es  bei  seiner  Ängstlichkeit  wohl  auch  nicht 
gewagt,  ihn  geltend  zu  machen.  Er,  der  nominelle  Oberfeldherr 
der  vereinigten  Heere,  hatte  nur  seinen  Namen  zur  Deckung 
dieses  Machwerkes  herzugeben5),  mochte  sein  Zorn  darüber  auch 


*)  Sorel  II  478^179. 

2)  Politisches  Journal  1792,  840  ff. ;  S  e  g  u  r  II  362—369;  Mansol 
240;  Girtanner,  Historische  Nachrichten  VIII  487  ff.;  Fersen 
II  323. 

3)  Hei  gel,  Manifest  636  ff. 

4)  H  äußer  I  365;  Hü  ff  er  in  der  Deutschen  Kevue  1883  Bd.  I 
240—241 ;  Brunetiere  105;  Heigel,  Manifest  643;  Ranke  197; 
Laukhard,  Leben  und  Schicksale  III  58;  Girtanner,  Historische 
Nachrichten  VIII  496  ff.;  Raigecourt-Bombelles  zum  29.  Juli 
1792. 

6)  Schlieffen  II  395;  H  e  i  g  e  1,  Manifest  637—647. 


152  H.  Abschnitt 

noch  so  groß  sein,  an  dessen  Existenz  man  nicht  wird  zweifeln 
können1). 

Sorgfältig  war  in  dem  Manifest  jeder  Hinweis  auf  die  zu- 
künftige Verfassung  Frankreichs  vermieden.  Nur  die  Wieder- 
herstellung der  gesetzlichen  Macht  des  Königtums  sei  das  Ziel. 
Den  vernünftigen  Teil  der  französischen  Nation  forderte  man 
zur  Mitwirkung  auf.  Jeder  aktive  oder  selbst  nur  passive  Wider- 
stand dagegen  werde  als  Bebellion  bestraft  werden.  Soweit 
bewegte  sich  das  Manifest  ganz  in  den  ausgetretenen  Bahnen 
des  18.  Jahrhunderts2).  Nun  aber  kommt  das  Neue,  Einzigartige, 
wovon  auch  in  dem  Manifeste  Ludwigs  XVI.  vom  20.  Juni  noch 
keine  Rede  gewesen  war,  wo  überhaupt  die  Negation  das  Feld 
beherrscht  hatte,  wo  nur  dürftige  Andeutungen  über  die  Ab- 
sichten des  Königspaares  gemacht  worden  waren3).  Wohl  aber 
hatte  Marie  Antoinette  ähnliche  Gedanken  gehabt,  wie  sie  jetzt 
das  Manifest  aussprach,  ein  Beweis,  wie  konsequent,  aber  auch 
wie  verblendet  sie  an  ihrem  Plan  festhielt.  Nationalversammlung, 
Munizipalitäten,  Nationalgarde  werden  für  die  Sicherheit  der 
königlichen  Familie  haftbar  gemacht  und  der  Stadt  Paris  Plün- 
derung und  Zerstörung  angedroht,  wenn  der  königlichen  Familie 
ein  Leid  geschehen  sollte.  Das  war  in  der  Tat  ein  Ton,  der  mehr 
den  Anschauungen  von  Vandalen  als  von  Generalen  des  18.  Jahr- 
hunderts entsprach4).  Man  hat  wohl  gemeint,  daß  von  vorn- 
herein nicht  beabsichtigt  worden  sei,  diese  Drohungen  wahr  zu 
machen5).  Das  ist  insofern  richtig,  als  hier  absichtlich  der  Mund 
etwas  voll  genommen  wird,  um  mit  Drohungen  womöglich  das- 
selbe zu  erreichen  wie  mit  Gewalt  und  damit  das  —  unnütze  — 
Opfer  von  kostbaren  Menschenleben  zu  sparen.  Wenn  aber  die 
Drohungen  trotz  ihrer  Ergebnislosigkeit  größtenteils  nicht  aus- 
geführt wurden,  so  liegt  die  Ursache  in  dem  aufgeklärten  Geiste 
der  preußischen  Offiziere,  besonders  des  Herzogs  von  Braun- 
schweig, die  großenteils  nur  mit  halbem  Herzen  bei  der  Sache 
waren  und  den  Franzosen  kaum  feindseliger  gegenüberstanden 
als  den  Österreichern,  und  denen  jedes  Blutvergießen  trotz  ihrer 

x)  Massenbach  I  267.  Europäische  Annalen  1809,  I  270—272. 
Auf  den  König  darf  man  das  aber  nicht  übertragen  (Dampmartin,  quel- 
ques   traits  117 — 118;    Rep.    I    170  Berichte  Cesars  8.  und  15.  August). 

2)  Sorel  I  82—83,  II  178—179,  227,  274;  H  äußer  I  317—318; 
Ranke  64;  Feuillet  II  477. 

3)  L  e  n  z  in  Preuß.  Jahrb.  78,  255—257. 

4)  Montrol,  Histoire  de  1' Emigration  108. 

5)  M  i  n  u  t  o  1  i,  Militärische  Erinnerungen  19;  H  e  i  g  e  1,  Manifest  635. 


Manifeste 


153 


persönlichen  Tapferkeit  ein  Greuel  war1).  Alle  Mahnungen 
Fersens,  der  immer  deutlicher  erkannte,  daß  nur  von  der  Gewalt 
etwas  zu  erwarten  sei,  die  Drohungen  wahr  zu  machen  und  ein 
Exempel  zu  statuieren,  fruchteten  nichts2).  Wieder  tritt  uns 
der  Gegensatz  zwischen  Wort  und  Handlung  schroff  entgegen. 
Es  ist  aber  durchaus  irrig,  daß  die  Mächte  sich  ihrer  Schwäche, 
ja  der  Unmöglichkeit  bewußt  gewesen  seien,  ihren  Drohungen 
auch  die  Tat  folgen  zu  lassen.  Wir  müssen  uns  hüten,  derartige 
Urteile  a  posteriori  als  maßgebend  für  den  Erlaß  des  Manifestes 
zu  betrachten.  Nur  die  Urteile  der  Diplomaten  vor  Bekannt- 
werden der  französischen  Erregung  können  uns  Aufschluß  über 
die  Absichten  geben,  und  aus  ihnen  gewinnen  wir  ein  durchaus 
anderes  Bild3).  Am  27.  Juli  erschien  auf  das  Drängen  der  Emi- 
granten, deren  Besorgnis  über  den  angeblichen  Plan  Mallets  und 
seiner  Genossen,  den  König  aus  Paris  wegzuführen  und  mit  den 
Mächten  womöglich  einen  Waffenstillstand  zu  schließen,  jetzt 
praktische  Bedeutung  erhält4),  gegen  den  Rat  Schulenburgs  eine 
von  Moustier,  dem  früheren  französischen  Vertreter  in  Berlin6), 
verfaßte  Zusatzerklärung,  daß  im  Falle  der  Abführung  Ludwigs 
nach  dem  Süden  die  schärfsten  Strafmaßregeln  angewandt  werden 
würden.  Nur  sie  wurde  gleich  anfangs  von  den  Diplomaten  gemiß- 
billigt6).   Sie  hat  tatsächlich  keine  besondere  Bedeutung  erlangt. 


M  Ch.J.P.  99—100,  155,  290—291. 

2)  Fersenll  361—362,  365—367. 

3)  Erst  post  festum  arbeitete  Mercy  selbst  einen  Manifestentwurf 
aus,  der  gegen  die  feindliche  Partei  die  Drohungen  zwar  nicht  ausführt, 
aber  dafür  so  genau  von  ihren  Schandtaten  spricht,  daß  er  vermutlich 
auch  keinen  besseren  Eindruck  als  das  Manifest  des  Herzogs  auf  den  ver- 
nünftigen Teil  des  französischen  Volkes  gemacht  haben  würde.  Es  ist 
kein  Zweifel  daran  möglich,  daß  auch  Mercy  fürs  erste  nur  noch  auf  die 
Wirkung  der  Gewalt  rechnete  (vgl.  Bacourt-StädtlerHI  372 — 380; 
Fersen  II  37). 

4)  "Bacourt-Städtler  III  372  Anmerkung  Städtlers. 

5)  Sorel  II  280;  Bacourt-Städtler  III  282,  287—288, 
291—292.     Biographie  universelle,  nouvelle  edition  29,   482—483. 

6)  Ranke  199  und  292—293;  Hei  gel,  Manifest  656—657;  Les- 
cure, Rivarol  373  ff.  Jedoch  ist  dabei  folgendes  zu  berücksichtigen. 
Breteuil  und  Limon  kannten  schon  die  Stellung  der  Pariser  zum  Haupt- 
manifest und  standen  zu  den  um  die  Prinzen  gescharten  Emigranten  in 
keinem  freundlichen  Verhältnis.  Deren  Eingreifen  konnte  sie  also  nur 
unangenehm  berühren.  Schulenburgs  Haß  gegen  die  Emigranten  nahm 
in  den  Kämpfen  dieser  Tage,  wie  wir  noch  sehen  werden,  stark  zu,  daher 
bezeichnete  er  die  Zusatzerklärung  als  Rodomontade.  Einckenstein  und 
Alvensleben  brauchten  also  seine  Ansicht  nur  zu  wiederholen,  wenn  ich 


154  II.  Abschnitt 

Die  Wirkung  des  Manifeste  in  Frankreich  widersprach  von 
neuem  allen  Erwartungen  der  Vertreter  der  alten  Staaten.  Denn 
diese  waren  einig  in  seiner  Billigung,  mochte  es  nun  in  Mainz, 
Bingen,  Berlin,  Regensburg,  Wien  oder  Petersburg  sein1). 

Katharina  II.,  die  sich  schon  ein  Jahr  vorher  für  den  Erlaß 
eines  Manifestes  ausgesprochen  hatte,  das,  wenn  man  es  unter- 
stütze, nach  den  ersten  Siegen  ganz  Frankreich  von  selbst  zur 
Unterwerfung  bringen  werde2),  schrieb  an  ihren  Vertrauten 
Grimm  mit  der  ganzen  souveränen  Verachtung  der  Pariser  Revo- 
lutionäre, die  sie  vom  Anfang  der  Bewegung  an  an  den  Tag 
gelegt  hatte3):  „Ich  finde  das  Manifest  vom  Papa  (der  Herzog 
von  Braunschweig!)  energisch  und  klar;  so  muß  man  sprechen, 
besonders  zu  den  Lumpen,  wenn  sie  es  sich  beikommen  lassen, 
zu  politisieren"4). 

In  Paris  war  es  schon  am  28.  Juli  bekannt5),  ohne  daß  man 
sich  darüber  besonders  zu  wundern  brauchte.  Die  Mächte  wünsch- 
ten ja  eine  möglichst  schleunige  Verbreitung,  und  von  Mainz 
nach  Paris  sind  drei  Tage  für  die  Beförderung  mehr  als  aus- 
reichend. Gleichzeitig  erhielt  die  Nationalversammlung  Kenntnis 
von  der  österreichischen  Gegenerklärung  und  dem  preußischen 
Expose.    Sie  fielen  gegenüber  dem  Manifest  fast  ganz  unter  den 


auch  keinen  Augenblick  daran  zweifele,  daß  sie  gegen  die  Emigranten 
und  den  Krieg  überhaupt  weit  erbitterter  waren  als  Schulenburg.  Das 
Hauptmanifest  verurteilten  sie  erst,  als  seine  schlechte  Wirkung  schon 
bekannt  war,  und  auch  dann  schlagen  sie  vor  allem  auf  die  Zusatzerklärung 
los  (Rep.  XI  89  g1  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  1.  Au- 
gust; Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  27.  Juli,  6.  und  12.  Au- 
gust; Ranke  292—293). 

1)  Feuillet  VI  241—244.  Vgl.  auch  oben.  Hei  gel,  Manifest 
675;  Rep.  XI  Rußland  133  B  Bericht  von  Goltz  30.  Juli/10.  August; 
V  i  v  e  n  o  t  II  513,  541,  547;  Ranke  47,  278.  Die  Angabe  der  Haug- 
witzschen  Memoiren  scheint  mir  für  Kaunitz  durch  die  Urkunden  bei 
Vivenot  widerlegt  zu  sein.  Aber  da  sich  Kaunitz  in  dieser  Zeit  in  schärfster 
Opposition  zu  seiner  Regierung  befand  (vgl.  unten),  so  wird  man  dem 
kein  zu  großes  Gewicht  beilegen  dürfen.  —  Die  Billigung  durch  die  deutschen 
Kleinstaaten  darf  nicht  zu  dem  Schluß  verleiten,  sie  seien  sehr  kriegseifrig 
gewesen;  sie  glaubten  im  Gegenteil  an  eine  rasche  Beendigung  des  Krieges 
gerade  durch  das  Manifest. 

2 )  S  b  o  r  n  i  k  XXIII  555  und  559—560. 

3)  ib.  479—485,  488,  493^94,  500—502,  508—511,  520—522,  526, 
534—537,  539,  541,  543—546,  550—556,  560,  563—567,  570—571. 

4)  ib.  573—574;  Sorel  II  511. 

5)  G  1  a  g  a  u  in  H.Z.  82  S.  467;  vort.  aber  auch  G  1  a  g  a  u  365;  F  e  r  s  e  n 
II  339—341  ff. ;  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  244. 


Manifeste  15  5 

Tisch.  Dessen  Drohungen  erregten  zwar  auch  Furcht,  aber  vor 
allem  den  nationalen  Stolz  und  beschleunigten  die  Suspension 
Ludwigs  vielleicht  noch  um  einige  Zeit.  Die  Hauptsache  war  in 
diesen  Tagen  den  Franzosen  doch  die  Frage,  ob  Lafayette  in 
Anklagezustand  versetzt  und  Ludwig  suspendiert  werden  sollte. 
Nur  in  diesem  Zusammenhange  wirkte  das  Manifest.  Seine  Freunde 
halfen  Ludwig  sein  Grab  graben,  und  er  selbst  gab  ihnen  unbewußt 
die  Anweisungen  dazu1).  Denn  das  Manifest  schien  (und  wie 
wir  wohl  jetzt  sagen  dürfen,  mit  Recht)  einen  neuen  Beweis  für 
die  hochverräterische  Verbindung  des  Hofes  mit  den  feindlichen 
Mächten  zu  liefern,  und  die  Versuche  Ludwigs,  sich  als  den  Ver- 
treter der  Nation  hinzustellen,  scheiterten  völlig2).     Kurz  nach 


1 )  Häußerl  365—366;  Ranke  205—206;  S  o  r  e  1  II  513;  M  o  n- 
trol  108—109;  Brunetiere  108—109;  Hei  gel,  Manifest  676  und 
D.G.  II  49;  Ch.J.P.  150—156;  Glagau  357  und  365—368;  Lescure 
II  612.  Ich  vermag  dem  Urteil  Heigels  also  nicht  zu  folgen.  Über  den  Brief 
an  Mallet  (I  322 — 323)  kann  man  doch  nicht  hinweg,  und  Limon  konnte 
seine  Nachrichten  nur  aus  Kreisen  haben,  die  eine  einschüchternde  Wirkung 
des  Manifestes  -wünschten  (vgl.  auch  Vaissiere  430 — 431,  464,  470, 
476,  498 — 499,  508).  Auf  sie  kam  es  aber  gar  nicht  an,  und  die  Beweise 
anderer  Gesinnung  für  die  Gegenpartei  sind  zu  zahlreich,  um  weggedeutet 
zu  werden.  Endlich,  auch  in  dem  Journal  d'une  bourgeoise  findet  sich 
kein  Hinweis  auf  das  Manifest.  Das  Hemd  ist  diesen  Leuten  doch  näher 
als  der  Rock,  d.  h.  die  inneren  Feinde  fürchteten  sie  viel  mehr  als  die  noch 
so  weit  entfernten  und  sich  nur  sehr  langsam  nähernden  feindlichen  Heere. 
Vgl.  eine  ähnliche  Entwicklung  der  Ansichten  bei  dem  unbekannten  Ver- 
fasser der  Briefe  in  Lescure  II  571  ff.  für  1792;  nur  ist  die  Anschauung 
nicht  so  scharf  ausgesprochen  wie  in  der  erstgenannten  Quelle,  wohl  ab- 
sichtlich. Der  Verfasser  scheint  übrigens  den  ,.monarchiens "  nahegestanden 
zu  haben.  Vgl.  auch  Clapham  221.  Immerhin  schien  mir  die  Frage 
doch  der  Untersuchung  wert  zu  sein  (Schlosser  V  345). 

2)  Feuillet  VI  244—248;  Ranke  209;  Hei  gel,  Manifest  678 
bis  680;  V  a  t  e  1,  Vergniaud  I  165:  An  seinen  Bruder  31.  Juli  1792  .  .  nous 
vivons  dans  une  agitation  continuelle  et  extremement  fatiguante  pour  la 
sante.  J'ai  ete  incommode  quelques  jours.  II  y  a  continuellement  des 
scenes  au  Palais-Royal  ou  ailleurs.  La  plus  grande  fermentation  regne  dans 
les  tetes,  et  nous  ne  savons  trop  oü  olle  s'arretera:  nous  entrons  dans  le  mois 
oü  doivent,  dit-on,  se  passer  de  grands  evenemente,  oü  les  armees  ctrangere? 
entreront  sur  notre  territoire.  Jamais  les  patriotes  n'eurent  besoin  de 
plus  d'union  de  plus  de  courage.  La  conduite  toujours  equivoque  du  Roi 
augmente  nos  dangers  et  preparera  peut-etre  s'il  ne  se  prononce  pas  d'une 
maniere  deeidee  quelque  grande  catastrophe:  on  assure  qu'il  vient  aujourd- 
hui  ä  l'assemblee.  II  a  maintenant  des  efforts  bien  extraordinaires  ä  faire 
pour  preeipiter  dans  l'oubli  toutes  les  fausses  demarches  qui  ont  irrite 
contre  lui  parce  qu'on  les  regarde  comme  autant  de  trahisons  et  qui  oserait 
af firmer  qu'en  effet  nous  ne  sommes  pas  trahis?  ..."  Vgl.  auch  II 121 — 125. 


156  II-  Abschnitt 

Verlesen  seiner  Botschaft  an  die  Nationalversammlung  brachte 
Petion  seinen  Antrag  auf  Suspension  des  Königs  ein,  und  acht 
Tage  darauf  erzwangen  sich  die  Sektionen  der  Pariser  Vorstädte 
die  lange  genug  verweigerte  Zustimmung  der  Nationalversamm- 
lung. Die  politische  Notwendigkeit  verband  sich  mit  den  vor- 
wärts drängenden  Tendenzen  der  Republikaner,  um  die  älteste 
Dynastie  Europas  vom  Throne  zu  stoßen,  bald  darauf  die  Republik 
zu  erklären  und  endlich  auch  Ludwig  den  Kopf  abzuschlagen1). 


3.  Kapitel 

Kriegskostenentschädigung 

I. 

So  schien  nun  endlich  alles  bereit  zu  sein,  um  den  Plan  der 
Mächte  —  soweit  man  da  von  einer  Einheit  überhaupt  reden 
darf  —  zur  Ausführung  zu  bringen.  Es  erscheint  daher  durchaus 
natürlich,  daß  sie  sich  jetzt  kurz  vor  Eintritt  in  den  Krieg,  den  sie 
so  rasch  und  glücklich  zu  beendigen  wähnten,  endgültig  darüber 
einigen  wollten,  worin  der  Lohn  für  ihre  Mühe  bestehen  sollte. 
Die  Zeit  bis  zur  Beendigung  des  Feldzuges  wollten  sie  zu  den 
diplomatischen  Schritten  und  Verhandlungen  benutzen,  die  zu 
der  Ausführung  des  Planes  noch  erforderlich  waren.  Denn  wenn 
Friedrich  Wilhelm  auch  damals  schon  von  der  Teilung  des  Felles 
eines  Bären  gesprochen  hat,  der  noch  nicht  erlegt  sei2),  so  bezog 
er  das  doch  nicht  auf  den  Ausgang  des  Feldzuges,  sondern  auf 
die  unsicheren  russischen  Pläne  in  Polen.  Man  wird  die  Berech- 
tigung der  Verhandlungen  auch  damit  nicht  beseitigen  können, 
daß  sie  auf  einer  völlig  falschen  Voraussetzung  beruhten.  Schon 
lange  hatte  man  ja  darüber  verhandelt,  aber  die  letzte  Hand 
sollte  erst  in  Mainz  ans  Werk  gelegt  werden.  Vergegenwärtigen 
wir  uns  zunächst  die  Vorstadien  dieses  Planes  mit  besonderer 
Berücksichtigung  Preußens. 

Österreich  hatte  unter  Leopold  eine  Haltung  eingenommen, 
zufrieden,  wenn  es  den  Besitz  behauptete  und  sich  aus  den  überall 
drohenden    Gefahren   glücklich   herauszog.      Das   war   ihm   bei 


1 )  Bacourt-Städtler  III  372;  S  o  r  e  1  III  189;  Max  Leh- 
mann, Freiherr  vom  Stein  I  140 — 141. 
2)HäußerI  359. 


Kriegskostenentschädigung  157 


auftauchenden  Fragen  über  das  Schicksal  Polens  und  Frank- 
reichs. Nicht  als  ob  es  hier  nicht  auch  seine  politischen  Absichten 
durchzuführen  versucht  hätte,  aber  sie  gingen  nicht  so  weit,  den 
Territorialbestand  Österreichs  zu  erweitern1). 

Gerade  das  aber  war  das  Bestreben  Preußens,  und  die  Frage 
der  Kriegskostenentschädigung  in  der  französischen  Angelegenheit 
ist  aufs  engste  verknüpft  mit  den  Eroberungsplänen  der  früheren 
Jahre.  Hertzbergs  Plan  in  seinen  verschiedenen  Abwandlungen 
war  darauf  gerichtet  gewesen,  den  polnischen  Besitz  Preußens 
zu  erweitern,  und  wie  fasziniert  hatte  er  all  sein  Denken  nur 
daran  gewandt,  eine  Möglichkeit  zu  finden,  doch  noch  dies  oder 
jenes  Trümmerstück  aus  seinen  Plänen  zu  retten.  Nach  Reichen- 
bach, nach  seinem  Sturze,  wurde  seine  Politik  insofern  nicht 
ganz  aufgegeben,  als  die  Lage  ja  beinahe  dazu  zwang,  für  Preußen 
eine  Abrundung  seines  Gebietes  in  Polen  zu  suchen.  Aber  das 
war  jetzt  nur  noch  eine  Sehne  am  Bogen,  man  spannte  auch 
andere  ein,  um  eventuell  andere  Ziele  erreichen  zu  können. 
Ich  habe  oben  näher  ausgeführt,  wie  vielgestaltig  sie  im  Winter 
1790/91  wechseln.  Es  ist  interessant  zu  beobachten,  daß  die 
Wendung  gegen  Rußland  jedesmal  sofort  den  Plan  einer  Er- 
werbung von  Danzig  und  Thorn,  wohl  auch  nur  von  Danzig  allein 
wieder  auftauchen  läßt2),  ja  daß  man  auch  im  Bunde  mit  Ruß- 
land ihn  schon  durchzuführen  gedachte,  daß  aber  die  Wendung 
gegen  Frankreich  einen  anderen,  noch  viel  älteren  Plan  der  Be- 
herrscher von  Brandenburg-Preußen  auftauchen  ließ,  den  der 
Erwerbung  von  Jülich  und  Berg. 

Man  kann  das  für  den  September  1790  zum  ersten  Male,  für 
den  Juli  1791  zum  zweiten  und  für  den  Februar  1792  zum  dritten 


1 )  S  y  b  e  1,  Vorträge  und  Aufsätze  181 — 182  etc. 

2)  Als  die  Lage  kritisch  zu  werden  begann,  regte  übrigens  Stanislaus 
selbst  die  Abtretung  Danzigs  oder  anderer  polnischer  Gebietsteile  bei 
Lucchesini  an  gegen  Handelsvorteile  für  Polen.  Er  kam  mehrfach  darauf 
zurück,  auch  in  Verbindung  mit  dem  Plane  eines  großen  Bundes  zwischen 
Preußen,  Polen  und  der  Türkei  (direkt  erwähnt  er  dabei  den  Abtretungs- 
gedanken nicht),  den  er  nur  durch  den  preußischen  Vertreter  in  Kon- 
stantinopel, Major  von  Knobelsdorff,  gehemmt  sein  lassen  wollte.  Aber 
Preußen  verhielt  sich  jetzt  ganz  passiv,  behauptete,  keine  Pläne  zu  haben, 
wollte  nur  eventuelle  Vorschläge  der  Polen  bezw.  der  Türken  entgegen- 
nehmen und  wiegelte  eher  ab,  da  es  bei  anderen  Verbindungen  mehr  zu 
gewinnen  hoffte  und  sich  vor  allem  noch  nicht  fesseln  wollte.  (Berichte 
Lucchesinis  7.  und  25.  Januar,  4.  und  8.  Februar;  an  Lucchesini  16.  Januar, 
12.  und  16.  Februar,  2.  März.) 


158  II.  Abschnitt 

Male  feststellen1).  Ich  will  auf  die  Zahlen  kein  Gewicht  legen, 
bei  genauerer  und  umfassenderer  Kenntnis  der  preußischen  Akten 
ließe  sich  diese  Reihe  vielleicht  noch  vervollständigen.  Die 
Hauptsache  ist  nur  die  ursächliche  Verbindung  dieser  Erwerbung 
mit  der  Intervention  in  Frankreich2).  Abgesehen  davon,  daß 
damit  die  Uneigennützigkeit  Friedrich  Wilhelms,  die  der  Pane- 
gyriker  Dampmartin  vergeblich  glaubhaft  zu  machen  versucht3), 
wegfällt,  wird  auch  die  Verbindung  der  zweiten  Teilung  Polens 
mit  der  Intervention  in  Frankreich  für  den  Anfang  als  nicht 
bestehend  gekennzeichnet4).  Es  findet  sich  in  den  Wintermonaten 
1791/92  bis  Mitte  März  nur  ein  Hinweis,  der  solch  eine  Ver- 
bindung rechtfertigte,  und  der  setzt  auch  nur  die  Teilung  als 
eine  Möglichkeit  neben  die  Erwerbung  von  Gebietsteilen,  die  in 
letzter  Linie  Frankreich  hergeben  müßte5).  Auch  in  den  Kom- 
binationen der  Diplomaten  spielt  die  Möglichkeit  einer  polnischen 
Erwerbung  für  Preußen  erst  nach  dem  Scheitern  des  Feldzugs 
eine  bedeutendere  Rolle6).  Die  polnische  Frage  näherte  sich 
zwar  infolge  des  Verhaltens  von  Rußland  mehr  und  mehr  dem 
kritischen  Punkte,  aber  Klarheit  war  darüber  aus  demselben 
Grunde  noch  nicht  zu  gewinnen.  Preußen  verhielt  sich  in  diesen 
Monaten  Polen  gegenüber  durchaus  passiv,  was  ich  noch  unten 
auszuführen  habe.  Es  wartet  ab,  um  dann  ein  gewichtiges  Wort 
mitreden  zu  können.  Aber  als  Störenfried  will  es  nicht  erscheinen, 
um  sein  Spiel  nicht  von  vornherein  zu  verderben. 

Also  nicht  um  in  Polen  zu  erobern,  ging  Preußen  in  den  franzö- 
sischen Krieg,  sondern  um  überhaupt  zu  erobern.    Dabei  hatte  es 


x)  Heigel  I  426;   H.E.B.    163—165;   Ranke  280—281. 

2)  Auch  Gustav  III.  wußte  schon  am  6.  Februar  durch  Carisien  von 
preußischen  Länderwünschen,  suchte  sie  aber  von  Frankreich  ab  und  auf 
Indien  zu  lenken,  wodurch  auch  ein  einheitliches  Vorgehen  von  Preußen 
und  Österreich  gehindert  werde.  (Minnen  ur  Sveriges  nyare  Historia. 
Sambade  af  B.  von  Schinkel.  Bihang  utgifvit  af  S.  J.  Boethius,  Upsala, 
I  136—137;  F  e  r  s  e  n  II  163;  A  k  e  s  o  n  184  und  205.)  Goltz  in  Paris 
bildete  am  25.  Mai  1790  freilich  einen  anderen  Plan  als  seine  Regierung. 
Man  sieht,  wie  hier  noch  alles  im  Fluß  ist,  und  es  scheint  mir  daher  nicht 
angemessen  zu  sein,  hier  schon  von  einer  bestimmten  Absicht,  Frankreich 
zu  verstümmeln,  zu  sprechen.   H  ä  u  ß  e  r  I  349;  S  o  r  e  1 II  72;  Ch.J.P.  134. 

3)  Quelques  traits  83. 

4)  Man  so  I  318—319;  Sorel  I  545,  II  443;  Kos  er  463—464; 
Ssolowjoff  279;  S  m  i  1 1  I  Vorbericht. 

6)  Massenbach  I  267. 

6)  Carisien  102—103,  107  und  127;  vgl.  aber  dazu  H.E.B.  284 
bis  285. 


Kr  iegskostenents  chädigung  159 


Jülich-Berg  als  nächstes  Objekt  ins  Auge  gefaßt1).  Aber  dies  für 
Preußen  zu  erwerben,  war  mit  einigen  Schwierigkeiten  verknüpft. 
Würde  es  der  alte  Besitzer,  Bayern,  ruhig  preisgeben?  Er  mußte 
jedenfalls  eine  gute  Entschädigung  erhalten.  Preußen  fand  sie 
in  Teilen  von  Elsaß  oder  Lothringen,  wo  es  mit  der  Abmessung 
genauer  Gleichheit  wohl  keine  Schwierigkeiten  gemacht  haben 
würde  —  ging  es  doch  nicht  auf  seine  Kosten.  Wenn  Preußen  aber 
etwas  erhielt,  dann  mußte,  das  stand  von  vornherein  fest,  Öster- 
reich auch  etwas  erhalten,  womöglich  genau  ebensoviel;  so  wollte 
es  die  Überlieferung  des  ancien  regime2).  Preußen  schlug  nun 
den  Österreichern  die  Wieder  er  ob  erung  ihrer  früheren  Rechte 
und  Besitzungen  im  Elsaß  vor  mit  einem  Zuschuß  in  Lothringen 
womöglich  und  in  einwandfreierer  Form,  als  sie  bis  1648  in  seinem 
Besitz  gewesen  und  an  Frankreich  abgetreten  worden  waren. 
Ebenso  sollte  es  mit  den  dort  geschädigten  Reichsfürsten  gemacht 
werden.  Alles  das  waren  aber  für  Preußen  nur  Mittel,  unr  allen 
Einwendungen  gegen  seinen  eigenen  Erwerbsplan  von  vornherein 
den  Boden  zu  entziehen.  So  äußerte  es  sich  vom  Januar  an  im 
Laufe  der  Verhandlungen  mit  Österreich,  allmählich  aus  seiner 
Zurückhaltung  heraustretend. 

Freilich  erscheint  dabei  diese  Territorialerwerbung  nur  als 
letztes  Mittel,  wenn  die  anderen  versagen  sollten.  Als  solches 
figurierte  vor  allem  der  Ersatz  der  Kosten  in  Geld  durch  den 
französischen  König,  wenn  es  zu  Rüstungen  und  eventuell  auch 
zum  Einschreiten  in  Frankreich  käme.  Jedesmal,  wenn  der  Krieg 
wieder  als  gesichert  erscheint,  macht  Preußen  erneut  seine  Ent- 
schädigungsforderungen geltend3).  Wenn  nun  aber  die  französi- 
schen Finanzen  eine  Rückzahlung  derselben  nicht  gestatteten, 
war  es  dann  nicht  am  einfachsten,  die  als  Pfand  besetzten  fran- 
zösischen Provinzen  dauernd  zu  behalten?  An  Preußen  sollte  es 
überhaupt  nicht  liegen,  wenn  der  Geldersatz  zur  Ausführung  kam. 
Es  schlug  ihn  bloß  vor,  um  sich  entgegenkommend  zu  zeigen 
und  Österreich  allmählich  in  seine  Bahnen  zu  ziehen.     Aber  es 


1)  So  stellt  sich  die  Sache  auch  in  Bischoffwerders  Instruktion  dar, 
zu  dessen  Aufgabe  die  polnische  Frage  direkt  gar  nicht  gehört  (Ranke 
282).  Nach  der  russischen  Erklärung  erwähnt  Friedrich  Wilhelm  am  12.  März 
gegen  seine  Minister  mit  keinem  Wort  die  französische  Intervention  und 
Jülich-Berg.  Nur  von  einer  Schwächung  Polens  ist  die  Rede.  Noch  also 
sind  die  polnische  und  die  französische  Frage  nicht  verbunden  (S  y  b  e  1  II 

J2Q=:B421J.   Vgl.  unten.  '  -. 

2)  Sorel  I  41  und  449. 

3)  An  Jacobi  5.  April  1792. 


160  II.  Abschnitt 

dauerte  doch  noch  bis  zum  Juni — Juli,  d.  h.  bis  zu  dem  Zeit- 
punkte, wo  man  mit  Österreich  über  eine  Territorialentschädigung 
in  der  Hauptsache  bereits  einig  zu  sein  glaubte,  bis  es  die  Unaus- 
führbarkeit  der  Geldentschädigung  offen  zugab1).  Nur  wenn  man 
Territorialerwerbungen  als  das  feststehende  Ziel  der  preußischen 
Politik  betrachtet  (mögen  die  Pläne  im  einzelnen  noch  so  sehr 
wechseln),  kommt  Zusammenhang  in  sie  hinein2).  Nur  so  er- 
klärt, sich  die  Ablehnung  aller  defensiven  Maßnahmen,  das  Drängen 
.  auf  einen  Offensivkrieg. 

Gegenüber  Ludwig  XVI.  war  natürlich  nur  von  Geld  die  Rede. 
Ihm,  d.  h.  Breteuil,  konnte  man  immer  noch  früh  genug  sein 
Schicksal  mitteilen.  Wenn  Fersen  daher  von  einer  glücklichen 
Abwendung  preußischer  Territorialforderungen  zu  berichten 
wußte,  so  sind  Carisien  und  Caraman  seine  Quellen  gewesen;  sie 
aber  schlössen  nur  auf  preußische  Gebietsforderungen  oder 
erfuhren  indirekt  davon,  da  allein  Österreich  bisher  von  Preußen 
ins  Geheimnis  gezogen  wurde.  Jene  Meldung  besitzt  daher  keinen 
großen  Wert  für  die  Erkenntnis  der  preußischen  Politik3).  Alle 
Diplomaten  wußten  aber,  daß  Preußen  auf  einer  Entschädigung 
für  seine  Kosten  bestand.  Zur  Begründung  konnte  es  anführen, 
daß  es  nicht  noch  einmal  großmütig  sein  Geld  für  fremde  Inter- 
essen —  als  solche  erschien  damals  allen  die  Intervention  in 
Frankreich  —  herzugeben  im  stände  sei;  seine  Mittel  seien  bei- 
nahe erschöpft.  So  suchte  es,  so  gut  es  ging,  seine  wahren  Ab- 
sichten zu  verhüllen.  Denn  so  richtig  die  angeführte  Tatsache 
war,  so  wenig  kann  doch  davon  die  Rede  sein,  daß  es  sich  mit 
Geld  begnügen  wollte.  Nicht  der  finanzielle,  sondern  der  politische 
Gesichtspunkt  ist  hier  wie  auch  später  entscheidend  gewesen.  War- 
um hätte  es  sich  sonst  überhaupt  so  eifrig  in  diese  Frage  gestürzt? 
Bei  Österreich  bedurfte  es  der  äußersten  Vorsicht,  solange 
der  alte  Kaunitz  hier  die  Zügel  führte.  Das  stand  auch  ihm  fest: 
wenn  Preußen  etwas  bekam,  dann  mußte  auch  Österreich  etwas 
erhalten,  und  zwar  ganz  genau  ebensoviel4).  Aber  er  wollte  diesen 
Fall  womöglich  überhaupt  vermeiden.  Er  rechnete  immer  noch 
mit  einer  Unterwerfung  Frankreichs  unter  den  Willen  der  Mächte 
ohne    kriegerisches    Einschreiten    und    kannte    außerdem    die 

1)  Ssolowjoff  294;  Rep.  XI  Rußland  133  B.     An  Goltz  9.  Juli 
mit  Pro  Memoria. 

2)  Sybel  II  172—173. 

3)  Fersen  II  163  und  182.   Vgl.  dazu  das  spätere  Urteil  von  Carisien 
in  seinem  zusammenfassenden  Bericht  S.   95 — 96. 

4)VivenotI242  und  247,  262;  Fersen  II  3. 


Kriegskostenentschädigung  \Q\ 

traurige  französische  Finanzlage.  Wenn  er  nun  auch  Mercy  be- 
auftragte, sich  von  Ludwig  XVI.  durch  Breteuil  nach  preußischem 
Muster  eine  schriftliche  Zusicherung  des  Kostenersatzes  geben  zu 
lassen1),  so  war  das  doch  nur  für  den  schlimmsten  Fall,  um  nach- 
her nicht  allein  der  Dumme  zu  sein.  Die  Anregung  dazu  wollte 
er  jedenfalls  seinem  Bundesgenossen  Preußen  oder  anderen 
Mächten  überlassen2).  So  erklärt  sich  der  zornige  Ausruf  Leo- 
polds: „Die  Franzosen  wollen  den  Krieg;  sie  sollen  ihn  haben, 
aber  die  Kosten  tragen!"3)  Von  Freude  an  der  Erwerbung  neuer 
Provinzen  ist  hier  wirklich  nichts  zu  finden.  Er  hielt  es  ganz  im 
Einverständnis  mit  Kaunitz  für  richtiger,  überhaupt  darauf  zu 
verzichten4).  Ich  weiß  nicht,  ob  sich  Kaunitz  dabei  auch  von  dem 
alles  andere  als  preußenfreundlichen  Gedanken  leiten  ließ,  der 
uns  im  Juli  bei  einigen  Österreichern  und  Preußen  begegnen  wird, 
Österreich  habe  so  viel  Schulden,  daß  es  auf  fünfzig  Millionen 
mehr  nicht  ankomme;  die  Vernichtung  des  preußischen  Staats- 
schatzes bedeute  dagegen  für  Österreich  ebensoviel  wie  die  Er- 
oberung einer  Provinz.  Mag  das  dahingestellt  bleiben.  Er  selbst 
begründete  seine  Haltung  damit,  daß  es  würdiger  sei,  auf  die 
Kosten  überhaupt  zu  verzichten.  Bischoffwerder  vermochte  ihn 
im  ganzen  doch  nicht  von  seiner  passiven  Haltung  abzubringen. 
Nur  spärlich  sind  auch  die  Bemerkungen  Jacobis  aus  dem  April 
darüber5).  Man  sieht,  die  Österreicher  warfen  ab  und  zu  einen 
Brocken  hin,  den  Preußen  begierig  auffing,  aber  Ernst  war  es 
ihnen  damit  noch  nicht. 

Ja  selbst  die  französische  Kriegserklärung  Heß  Kaunitz  das 
nur  modifizieren0).     Er7)  formulierte  am  4.  Mai  vier  Fälle:  der 

1)  Mercy  hatte  schon  ein  Jahr  vorher  darauf  hingewiesen,  daß  die 
Mächte  nichts  für  nichts  tun  würden,  und  nur  noch  von  Seiten  Österreichs 
uninteressierte  Hilfe  in  Aussicht  gestellt  (Sorel  II  183;  H.E.B.  143  und 
193;  G  lag  au  313). 

2)  V  i  v  e  n  o  t  I  235  und  242. 

3)  Sorel  II  372. 

4)  H.E.B.  142. 

5)  Vgl.  oben  und  Berichte  Jacobis  12.  und  18.  April  (H.E.B.  211—213). 

6)  Der  Krieg  ging  ihm  ja  ganz  wider  den  Strich,  schon  hier  zeigte 
sich  ein  wenig  der  Gegensatz  zu  Spielmann.  Umsomehr  drängte  Kaunitz 
natürlich  auf  entscheidende  Schläge  mit  ganzer  Kraft,  um  den  Krieg 
möglichst  rasch  zu  beendigen.  Die  Hauptlast  sollte  dabei  natürlich  Preußen 
tragen  —  bei  völliger  Gleichheit  der  Entschädigungen!  (Berichte  Jacobis 
11.  April  und  P.S.  zum  2.  Mai.) 

7 )  Nach  Jacobis  Meldung  hat  Spielmann  den  Erlaß  entworfen.  Münd- 
lich ging  dieser  jedenfalls  mit  der  Sprache  weiter  heraus  als  Kaunitz,  der 
in  der  Tat  mit  dem  Verfasser  des  Erlasses  an  Reuß  zu  identifizieren  ist. 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution        11 


162  H-  Abschnitt 

erste  war  Verzicht  überhaupt  als  Opfer  an  die  gemeinsame  Sache 
aller  Souveräne;  der  zweite,  daß  man  sich  mit  der  französischen 
Versicherung  der  Rückzahlung  begnüge;  der  dritte,  daß  man  als 
Pfand  dafür  Provinzen  besetzt  halte;  der  vierte  endlich,  daß  man 
sich  territorialen  Gewinn  sichere.  Aber  die  Schwierigkeiten  des 
letzteren  erschienen  ihm  so  groß,  daß  er  an  seiner  Durchführung 
fast  verzweifelte1).  Hier  also  war  für  Preußen  nichts  Rechtes  zu 
hoffen.  Nur  gezwungen  ging  er  mit  kleinen  Schritten  auf  das 
gefährliche  Gebiet,  auf  dem  er  eine  Übervorteilung  Österreichs 
durch  Preußen  befürchtete.  In  ihm  waren  jetzt  mehr  die  Über- 
lieferungen von  Maria  Theresias  und  Leopolds  Regierungen  als 
von  der  Josephs  lebendig;  die  defensiven  überwogen  die  offensiven, 
allerdings  ohne  irgendwelche  moralische  Bedenken2).  Wo,  so 
fragte  er  sich  wohl,  sollte  sich  denn  Österreich  erweitern?  Die 
Niederlande  waren  an  sich  schon  ein  gefährlicher  Besitz,  und  ihre 
Erweiterung  war  nicht  erwünscht.  Im  Elsaß  hätte  sich  Öster- 
reich eine  neue  gefährliche  Stellung  geschaffen.  Den  bayerischen 
Tausch  hielt  er  nicht  für  durchführbar,  und  auf  Polens  Kosten 
Österreich  zu  vergrößern,  ging  durchaus  gegen  seinen  Plan,  dies 
Reich  soweit  lebensfähig  zu  erhalten,  daß  es  sich  gegen  Rußland 
und  Preußen  wehren  und  seine  eigene  Ruhe  sichern  konnte. 
Er  sah  überall  nur  Schwierigkeiten  für  Österreich  auftauchen, 
wenn  man  an  dem  status  quo  rüttelte.  Ihn  zu  erhalten  war  daher 
seine  Hauptabsicht.  Mag  auch  jetzt  schon  bei  ihm  das  Bestreben, 
Preußen  vorangehen  zu  lassen,  wichtiger  geworden  sein  als  die 
Verhinderung  der  Entschädigungsaktion  überhaupt,  so  sprach  er 
Ende  Mai  doch  wieder  nur  von  einem  Ersatz  der  Kosten,  des- 
gleichen Anfang  Juni,  wo  er  auch  eine  Umwandlung  der  russischen 
Truppenhilfe  in  Geldzahlungen  befürwortete  —  deutliche  Finger- 
zeige für  seine  Auffassung  des  „Kostenersatzes"3). 

Aber  schon  war,  seit  dem  Tode  Leopolds  etwa,  eine  Bewegung 
im  Gange,  die  ihm  die  Verhandlungen  hierüber  und  bald  auch 
die  ganzen  Geschäfte  überhaupt  aus  der  Hand  nehmen  sollte. 
Ich  habe  schon  erwähnt,  daß  der  .Staatsreferendar  Spielmann 
vielfach  eine  Haltung  einnahm,  die  von  der  Kaunitzschen  weit 
abwich.  Er  kam  Preußen  weiter  entgegen,  ohne  jedoch  nun 
österreichische  Interessen  aufgeben  zu  wollen.     Er  verstand  sie 

x)  Vivenot  II  416  und  419;  Rep.  I  169  Berichte  Jacobis  vom 
2.  Mai  (H.E.B.  213—214)  und  3.  Mai. 

2)  SorelI449. 

3)  V  i  v  e  n  o  t  II  442  und  457. 


Kriegskostenentschädigung  1(33 

nur  anders  als  sein  Meister.  Er  ist  es  wahrscheinlich  gewesen,  der 
in  der  Vorlage  der  Staatskanzlei  am  12.  Januar  1792  den  Kon- 
ferenzmitgliedern den  Eintausch  Bayerns  gegen  die  Niederlande 
als  Ersatz  für  die  Unkosten  empfahl1),  ein  Plan,  den  Bischoff- 
rerder  schon  im  Februar  1791  wohl  von  sich  aus  empfohlen  hatte. 
Die  Konferenz  lehnte  nun  zwar  am  17.  Januar  den  Plan  ab  und 
hielt  es  überhaupt  für  richtiger,  daß  Österreich  keine  derartigen 
Vorschläge  mache,  um  nur  eventuell  nachher  auf  solche,  die  man 
i  h  m  mache,  einzugehen.  Aber  am  29.  Februar  wußte  Bischoff- 
werder doch  nach  seinem  ersten  Gespräch  mit  Spielmann  vom 
28.  nachmittags  zu  berichten2),  daß  bei  wirklich  großzügiger  Er- 
ledigung der  Geschäfte  man  hier  den  Tauschplan  wieder  auf- 
nehmen werde.  Auf  bestimmtere  Angaben  hat  sich  Spielmann 
zweifellos  nicht  eher  einlassen  wollen,  als  bis  die  französische 
und  die  polnische  Frage  ihrer  Entscheidung  nähergerückt  waren; 
vielleicht  wartete  er  auch  noch  auf  genauere  Vorschläge  Preußens. 
Unter  Franz  wurde  die  Bahn  für  ihn  etwas  freier.  Als  Preußen 
sich  die  österreichische  Auffassung  der  polnischen  Verhältnisse 
nicht  aneignen  wollte,  sondern  die  Annahme  der  russischen  Vor- 
schläge predigte,  da  war  es  Spielmann,  der  sich  bereit  erklärte, 
nun  die  Hand  zu  einem  neuen  Plan  über  Polen  zu  bieten3).  Das 
ließe  sich  allenfalls  noch  mit  den  Äußerungen  von  Kaunitz  ver- 
einen4). Aber  am  21.  März  schlug  Spielmann  an  Jacobi  direkt 
eine  neue  Teilung  Polens  vor.  Preußen  könne  sich  dabei  vorzüg- 
lich abrunden,  Österreich  allerdings  nicht;  deshalb  müsse  man 
für  dieses  anderswo  eine  Abrundung  suchen.  Da  bleibt  wirklich 
nichts  anderes  mehr  übrig,  als  der  Tausch  der  Niederlande  gegen 
Bayern5).  Daß  Rußland  sich  auch  ein  seinem  Hunger  entsprechen- 
des Stück  Polens  nehmen  würde,  verstand  sich  für  die  öster- 
reichisch-preußischen Staatsmänner  so  sehr  von  selbst,  daß  sie 
darüber  gar  kein  Wort  mehr  verloren.  Von  einer  Verbindung 
der  Kriegskostenentschädigung  mit  der  polnischen  Teilung  war 
hier  jedoch  noch  keine  Rede.  Wie  verhaßt  der  Teilungsgedanke 
Kaunitz  war,  ersieht  man  aus  dessen  Verhalten  im  Mai  und  Juni. 
Preußen  äußerte  sich  über  diese  neu  auftauchende  Möglichkeit, 
sich  mit  Österreich  über  Polens  Schicksal  zu  einigen,  sehr  erfreut, 

*)  Vivenot  I  236;  H.E.B.  143  und  150—152. 

2)  Hei  gel  I  506;  Rep.  I  172  Bericht  vom  29.  Februar  1792. 

3)  F.D.G.  IV  411—412. 

4)  Vivenotl  293. 

5)  P.S.  zum  Bericht  Jacobis  vom  21.  März  und  F.D.G.  IV  412. 


164  IL  Abschnitt 

betonte  aber  ausdrücklich,  nicht  aus  Eroberungsabsichten  habe 
;  es  den  ersten  österreichischen  Plan  abgelehnt  und  dementierte 
damals  wie  Ende  April  den  Gedanken  einer  Teilung;  ihm  sei 
nichts  davon  bekannt1),  man  dürfe  nur  Polen  nicht  zu  mächtig 
werden  lassen.  Das  erste  Wort  aber  wollte  Preußen  die  russische 
Kaiserin  sprechen  lassen.  War  diese  weit  genug  vorgegangen, 
um  sich  nicht  mehr  mit  Ehren  aus  der  Sache  ziehen  zu  können, 
so  konnte  Preußen,  gestützt  auf  Österreich,  seine  Forderungen 
stellen  und  sein  eigenes  Zugreifen  als  notgedrungen  darstellen. 
Aber  schließlich  zwang  Rußlands  Verhalten  doch  den  Preußen 
die  Initiative  auf,  da  die  Österreicher  hier  ruhiger  abwarten 
konnten.  So  ruhig,  wie  es  ihnen  vorzugeben  beliebte,  waren  sie 
allerdings  auch  nicht. 

Franz  versprach  am  27.  März,  eventuell  einen  geheimen 
Unterhändler  nach  Berlin,  speziell  für  die  polnische  Frage,  zu 
schicken2);  von  seinem  Wirken  ist  jedoch  nichts  bekannt  ge- 
worden, weil  er  überhaupt  nicht  abgereist  ist.  Man  fand  auch 
ohne  das  einen  Weg  zur  Verständigung  hinter  dem  Rücken  von 
Kaunitz.  Der  Gegensatz  dieser  neuen  Richtung  zu  der  des  alten 
Kanzlers  machte  sich  auch  manchmal  schon  recht  heftig  Luft. 
Spielmann  besonders,  später  aber  auch  Philipp  Cobenzl,  waren 
mit  ihm  gar  nicht  mehr  zufrieden3),  weil  er  zäh  an  dem  ein- 
mal ergriffenen  System,  besonders  gegenüber  Polen  und  Frank- 
reich, festhielt  und  sich  wohl  etwas  abhandeln  ließ,  aber  an  eine 
prinzipielle  Änderung  nicht  dachte.  Spielmann4),  der  ihm  ja  die 
Noten  dafür  ausgearbeitet  hatte,  betrachtete  diesen  Weg  nur  als 
einen  von  vielen,  den  man  unter  veränderten  Umständen  auch 
mit  einem  anderen  vertauschen  könne.  Man  wird  seine  Politik 
deshalb  nicht  einfach  als  verkehrt  verwerfen  dürfen5).  Daß  die 
preußenfeindliche  Partei  in  Österreich  schließlich  doch  überwog 
und  Forderungen  durchsetzte,  die  weder  Spielmann  noch  Philipp 
Cobenzl  billigten  und  die  sie  nur  gezwungen  vertraten,  wird  man 
ihnen  nicht  zum  Vorwurf  machen  können.  Die  möglichste 
Ausnützung  des  Bündnisses  mit  Preußen  unter  ehrlicher  An- 


i)  Rep.  I  172  an  Bischoffwerder  24.  März  und  1.  April;  Rep.  I  169 
Berichte  Jacobis  3.,  18.,  25.,  28.  April;  an  Jacobi  30.  März  und  30.  April. 

2)  Bericht  von  Bischoffwerder  27.  März;  Rep.  I  172. 

3)  Schütter  59—60  und  91— 92. 

4)  Ph.  Cobenzl  war  fürs  erste  zu  unselbständig,  um  besonders  mit- 
zuzählen. 

6)  S  y  b  e  1  II  208. 


Kriegskostenentschädigung  165 

erkennung  der   Berechtigung  gleicher  preußischer  Forderungen 
—  das  vertraten  sie  im  Sommer  1792. 

Noch  aber  bedurften  sie  des  Geheimnisses  dafür  vor  Kaunitz. 
In  Berlin  wußte  man  das  zu  würdigen.  So  wie  Reuß  im  April 
durch  Spielmann  auf  Kaunitz  und  Franz  zum  endlichen  Kriegs  - 
entschluß  gedrückt  hatte,  so  sollte  es  jetzt  auch  mit  der  Ent- 
schädigungsfrage werden.  Am  3.  Mai  hatte  sich  Spielmann  gegen 
Jacobi  schon  etwas  entgegenkommender  als  Kaunitz  über  Er- 
oberungen ausgesprochen.  Zwar  sprach  auch  er  noch  von  dem 
wunderlichen  Plane  eines  großmütigen  Verzichtes  auf  die  Ent- 
schädigung, den  Preußen  selbstverständlich  sofort  kräftig  zurück- 
wies. Aber  er  meinte  doch,  es  werde  leicht  sein,  sich  über  Er- 
oberungen zu  einigen1).  Seine  Ansichten  über  Polen  waren  in 
Berlin  schon  bekannt.  Sein  Einfluß  auf  Franz  endlich  schien  in 
stetigem,  raschem  Steigen  zu  sein2).  Es  war  also  kein  Wunder, 
daß  sich  Schulenburg  am  21.  Mai  durch  Reuß  gerade  an  ihn  mit 
einem  Plane  wandte,  der  für  die  folgenden  Verhandlungen  von 
der  größten  Bedeutung  geworden  ist,  so  gering  schließlich  auch 
das  Ergebnis  sein  sollte.  Er  betraf  die  Verbindung  der  Kosten- 
entschädigung für  die  Intervention  in  Frankreich  mit  der  zweiten 
polnischen  Teilung3).  Hier  aber  müssen  wir  einen  Augenblick 
innehalten,  um  uns  das  Verhältnis  der  Mächte  zu  Polen  zu  ver- 
gegenwärtigen. Erst  dann  können  wir  die  Bedeutung  der  öster- 
reichisch-preußischen Vereinbarungen  recht  verstehen. 

IL 

A.  Als  Rußland  im  Jahre  1787  in  den  Türkenkrieg  eintreten 
mußte,  begann  bei  den  Polen  die  Absicht  offener  hervorzutreten, 
die  russische  Herrschaft  völlig  abzuschütteln  und  dem  Staate 
seine  frühere  Kraft  und  Selbständigkeit  wiederzugeben.  Der 
König  trat  an  die  Spitze  der  Bewegung,  ohne  auf  seine  alte  Ver- 
bindung mit  Katharina,  der  er  alles  verdankte,  zu  achten,  und 
die  bisher  gewohnt  war,  in  ihm  nur  ein  Werkzeug  für  ihre  Politik 
zu  erblicken1).  Er  vertrat  jetzt  nur  die  polnischen  Interessen, 
ohne  die  Fähigkeit  zu  haben,  den  Plan,  ein  selbständiges  re- 

1)  Bericht  Jacobis  3.  Mai;  an  Jacobi  9.  Mai. 

2)  H.E.B.  215—216  und  217  ff.;  vgl.  auch  K  e  i  t  h,  Memoirs  II  515  ff. 

3)  Vgl.  dazu  die  merkwürdige  Anmerkung  von  Bain  339. 

4)  Smitt  II  87  ff.  und  486-487;  Sbornik  XXIII  577;  Sso- 
1  o  w  j  o  f  f  9  ff.,  44,  94,  228  ff. 


166  n-  Abschnitt 

generiertes  Polen  zu  schaffen,  wirklich  durchzuführen1).  Preußen 
schürte  die  Bewegung,  um  sich  einen  Bundesgenossen  zu  ge- 
winnen. Es  hoffte  ferner,  durch  ein  Tauschgeschäft  in  den  Besitz 
von  mindestens  Danzig  und  Thorn  zu  gelangen.  Das  Bündnis 
mit  Polen  vom  29.  März  1790,  die  Konvention  von  Reichenbach 
vom  27.  Juli  1790  und  der  Beschluß  des  polnischen  Reichstages 
vom  6.  September  1790,  die  Integrität  des  polnischen  Reichs- 
gebietes zu  wahren2),  machten  den  preußischen  Plänen,  im 
Bunde  mit  Polen  sich  auf  dessen  Kosten  zu  vergrößern,  ein 
Ende.  Nur  im  Bunde  mit  Österreich  oder  besonders  mit  Ruß- 
land konnte  für  Preußen  noch  von  polnischen  Erwerbungen  die 
Rede  sein.  Zwar  veranlaßte  im  Frühling  1791  der  drohende 
Krieg  mit  Rußland  Preußen,  noch  einmal  in  die  alte  Bahn  der 
Polenfreundschaft  einzulenken3)  und  als  erste  Großmacht  die 
neue  polnische  Verfassung  vom  3.  Mai  1791  anzuerkennen4), 
dem  letzten  verzweifelten  Versuch  der  Polen,  sich  auf  eigene 
Füße  zu  stellen,  als  von  einem  Kriege  Englands  und  Preußens 
gegen  Rußland  nicht  mehr  die  Rede  sein  konnte5);  aber  das  war 
nur  noch  eine  Episode.  Mit  der  Möglichkeit  des  russischen  Krieges 
(ja  selbst  der  gegen  Österreich  war  noch  nicht  als  ganz  aus- 
geschlossen zu  betrachten)  verflog  auch  die  Freundschaft  für 
Polen6).  Schon  am  1.  August  sprach  sich  Schulenburg  gegenüber 
dem  Vertreter  Englands,  Ewart,  dahin  aus,  daß  Österreich  ( !) 
doch  schließlich  dem  Drängen  Rußlands  werde  nachgeben  müssen, 
daß  also  eine  neue  polnische  Teilung  unvermeidlich  sei,  und  daß  sich 
Preußen  dann  dem  Vorgehen  dieser  Mächte  anschließen  müsse7). 


x)  Vgl.  dazu  die  einseitigen  Bemerkungen  Oginskis  passim.  Bei  den 
Polen  lag  also  die  Offensive  (L  e  1  e  v  e  1  II  152 — 153).  Die  russische 
Offensive  des  Jahres  1792  erscheint  demnach  nur  als  eine  um  4  Jahre  ver- 
zögerte Defensive. 

2)  Smitt  II  226;  Sorel  II  154—155. 

3)  Dembinski  I  441,  448—449;  Heigel  I  385  ff. 

4)  Für  ihre  Entstehung  ist  es  jedoch  nicht  verantwortlich  zu  machen, 
wie  Österreich  zuerst  glaubte,  da  sie  auf  die  Dauer  den  preußischen  In- 
teressen nur  schädlich  sein  konnte.  Vgl.  außer  den  Schriften  von  E.  Herr- 
mann und  Sybel  Dembinski  I  451 — 453;  Carisien  103  ff.;  Le- 
level  II  144—147. 

5)  S  m  i  1 1 II  336  ff. ;  S  s  o  1  o  w  j  o  f  f  245  ff. ;  O  g  i  n  s  k  i  I  156—160. 

6)  Heigel  I  570;  H.E.B.  244—245.  An  Lucchesini  15.  Juni  1792. 
Vgl.  Smitt  II  360—361  und  Sybel  II  180—181;  Lelevel  II  147 
und  150—152  und  162;  Salomon,  Teilung  64  ff.  und  S  a  1  o  m  o  n, 
Pitt  I,  2,  527—528. 

7)  H.A.  87;  H.E.B.  72. 


Kriegskostenentschädigung  167 

Seit  dem  August  hatte  daher  auch  der  preußische  Gesandte 
in  Warschau,  Marquis  Lucchesini,  beständig  die  Aufgabe,  den 
Polen  zu  erklären,  Preußen  habe  zwar  nichts  gegen  die  neue 
Verfassung  sagen  wollen;  zu  einer  Unterstützung  derselben  sei 
es  aber  nicht  verpflichtet,  da  sein  Bündnis  zeitlich  der  Revo- 
lution vom  3.  Mai  vorangehe  und  es  dieselbe  als  eine  rein  innere 
polnische  Angelegenheit  betrachte.  Dabei  kam  ihm  das  Vor- 
gehen der  Russen  sehr  zu  statten,  das  sich  zunächst  nur  gegen  die 
neue  Verfassung  richtete  und  als  Unterstützung  der  polnischen 
Gegenkonföderation  von  Targowice  ausgab.  Diese  preußische 
Erklärung  wurde  nun  möglichst  oft  wiederholt,  schon  mit  Rück- 
sicht auf  Rußland,  bei  dem  man  damit  einen  guten  Eindruck 
zu  machen  hoffte1).  Damit  war  das  Bündnis  von  1790  tatsäch- 
lich aufgehoben,  und  es  ist  zwecklos,  darüber  zu  streiten,  ob 
Preußen  sich  daran  noch  für  gebunden  erachtete2).  Jetzt  begann 
die  Isolierung  Polens,  man  kann  auch  sagen,  seine  Einkreisung. 
Sie  veranlaßte  Lucchesini  im  Januar  1792,  eine  Herstellung  der 
alten  russischen  Herrschaft  in  Polen  zu  erwarten,  und  zwar  noch 
im  Laufe  dieses  Jahres,  wenn  Österreich  und  Preußen  ruhig  zu- 
sähen3) und  wenn  Sachsen  die  Krone  ablehnte.  Da  er  nicht  an 
ein  militärisches  Einschreiten  der  Russen  glaubte,  so  legte  er 
diesem  Umstände  zu  große  Bedeutung  bei.  Als  er  nun  gar  von 
der  Unterstützung  Sachsens  durch  Österreich  hörte  und  allerlei 
Anzeichen  ihm  anzudeuten  schienen,  daß  Katharina  sich  mit  der 
neuen  Verfassung  lieber  abfinden  als  sie  mit  den  Waffen  um- 
stürzen wolle,  da  hielt  er  ihre  Existenz  für  ziemlich  gesichert; 
allein  sei  die  polnische  ihr  feindliche  Partei  zu  schwach  dazu. 
Lucchesini  beging  hier  den  Fehler,  Schritte  als  Zeichen  selbst- 
bewußter Stärke  zu  betrachten,  die  man  jetzt  nur  als  solche  der 
Verzweiflung  deutet4).  Angeblich  in  dem  Augenblicke  seiner 
fröhlichsten  Wiedergeburt  fiel  es  der  Wortbrüchigkeit  und  der 
Habgier  Preußens  und  Rußlands  und  der  Feigheit  seines  Königs 
zürn  Opfer.  Aber  es  wird  doch  dabei  bleiben  müssen,  daß"  die 
neue  Verfassung  in  Polen  nur  sehr  geteilte  Freude  erregte  und 
daß  es  an  der  Kraft,  ja  an  dem  Willen  zu  ihrer  Durchführung 


^  /. 


1)  Rep.  XI  Rußland  133  A  an  Goltz  1.  März  1792. 

2)  S  y  b  e  1  II  189—190;  H  e  i  g  e  1  I  571. 

3)  Bericht  Lucchesinis  4.  Januar  1792  RS. 

4)  Berichte  Lucchesinis  1.,  10.  Februar,  11.  März,  14.  März,  17.  April 
mit  Beilage,  18.  und  21.  April,  12.  und  16.  Mai;  an  Lucchesini  19.  Februar 
und  25.  Januar. 


'* 


168  H-  Abschnitt 

fehlte,  so  daß  der  russische  Einmarsch  in  der  Tat  beinahe  ein 
militärischer  Spaziergang  war.  Gerade  diese  eigene  Unfähigkeit, 
sich  politisch  zu  regenerieren,  wie  wir  das  Gegenteil  davon  in 
Frankreich  finden,  scheint  mir  doch  der  vornehmste  Grund  für 
Polens  Zerfall  zu  sein1). 

Jener  Schritt  ist  den  Preußen  damals  sehr  verargt  worden 
und  wird  es  auch  heute  noch2).  In  der  Tat,  Preußen  verließ  Polen, 
als  dies  von  ihm  die  Erfüllung  der  Bundespflichten  forderte.  Ein 
bundesmäßiges  Verhalten  war  das  nicht.  Aber  nicht  jener  Schritt 
selbst,  sondern  höchstens  das  Bündnis  mit  Polen  war  ein  Fehler, 
da  man  sich  damit  zu  etwas  verpflichtete,  was  man  auf  die  Dauer 
doch  nicht  halten  konnte  und  wollte.  Nur  gerade  die  Möglich- 
keit eines  Krieges  gegen  Rußland  konnte  Preußen  von  seiner 
traditionellen  Stellung  gegenüber  Polen  abbringen,  die  sich  jetzt 
wieder  sofort  in  aller  Schärfe  zeigt.  Wir  erkennen  hier  recht 
deutlich,  daß  sie  von  der  allgemeinen  Konstellation  beherrscht 
wird.  Denn  Preußen  sah  bereits  am  Horizonte  eine  Wolke  auf- 
tauchen, die  ihren  Inhalt  bald  in  der  Gestalt  von  drei  russischen 
Heeren  über  Polen  hereinbrechen  lassen  sollte.  Der  Abschluß 
des  russisch  -  türkischen  Präliminarfriedens  zu  Galatz  am 
11.  August  1791,  des  endgültigen  zu  Jassy  am  9.  Januar  des 
folgenden  Jahres  machte  Katharina  die  Hände  frei,  um  die 
Polen  für  ihr  Verhalten  in  den  letzten  Jahren  zu  züchtigen.  Sie 
hatte  nie  die  neue  polnische  Verfassung  anerkannt3).  Seit  dem 
August  1791  hatte  sie  die  französische  Frage  für  kurze  Zeit  in 
den  Vordergrund  gerückt,  um  damit  die  Aufmerksamkeit  der 
Mächte   von   ihren   polnischen  Plänen   abzulenken4);    denn   in- 


1)  Carisien  106 — 107 ;  Christoph  Girtanner,  Politische 
Annalen,  1793,  Bd.  I  25;  R  a  u  m  e  r,  Polens  Untergang  93—105,  123,  141 
und  71 ;  S  m  i  1 1  II  165—168,  264—265;  X.  L  i  s  k  e  in  H.Z.  30,  303—304; 
B  a  i  n  331  und  338  (er  weist  durch  seine  eigene  Erzählung  seine  These  zurück). 

2)  Lelevel  II  152  und  154—155;  S  o  r  e  1  II  68—69;  Segur  I 
240 — 241 ;  B  a  i  n  338;  Brandenburger  (Sammlung  Göschen), 
Polnische  Geschichte  169. 

3)  Sbornik  XXIII  534—535. 

*)  Wassiltchikow  II,  4,  152  fE.  und  155—158;  H.E.B.  113, 
115 — 127.  Die  Briefe  Markows  an  Rasumowski  sind  sicherlich  offiziös 
gefärbt.  Es  bleibt  nur  noch  die  Frage,  ob  Markow  selbst  die  wahre  Ab- 
sicht Katharinas  gekannt  hat.  Bei  seinen  nahen  Beziehungen  zu  Subow 
und  da  er  beständig  als  das  Arbeitstier  der  russischen  Kanzlei  hervortritt, 
glaube  ich  für  ihn  die  genaue  Kenntnis  der  Lage  in  Anspruch  nehmen  zu 
dürfen.  Bald  konnte  er  auch  diese  Maske  Rasumowski  gegenüber  als  unnötig 
abwerfen  (vgl.  Wassiltchikow  II,  4,  158 — 159,  dagegen  II,  1,  134). 


Kriegskostenentschädigung  j  QQ 

tischen  rüstete  sie  sich,  den  lange  ersehnten  Augenblick  der 
lache  zu  benützen1).  Der  Plan  dazu  war  von  ihr  schon  im  Mai 
L791  an  Potemkin  gesandt  worden,  als  von  einer  Intervention 
Frankreich  noch  gar  keine  Rede  war2).  Zwar  er,  dem  sie  die 
Lusführung  zugedacht  hatte,  war  kurz  vorher  in  der  Steppe 
zwischen  Jassy  und  Nikolajew  gestorben3),  aber  das  änderte  an 
dem  Plane  nichts.  Immer  mehr  polnische  Emigranten,  an  ihrer 
Spitze  Graf  Felix  Potocki,  kamen  nach  Jassy,  wo  Besborodko, 
der  Nachfolger  Potemkins  bei  den  Friedensverhandlungen,  mit 
ihnen  den  Plan  einer  Gegenkonföderation  feststellte,  doch  ohne 
daß  Lucchesini  und  nach  ihm  das  preußische  Kabinettsministerium 
an  aktive  russische  Unterstützung  glaubten4). 

Preußen  hielt  sich  für  alle  Fälle  bereit,  um  auch  seinerseits 
ein  Stück  von  der  Beute  ins  trockene  zu  bringen,  dessen  es  zur 
Abrundung    und    Verbindung    seiner    zersplitterten    Landesteile 


1)  Odhnerin  Svenska  Akademiens  Handlingar  ifrän  är  1886.  Nionde 
Delen.  Stockholm  1895,  S.  193  und  200—206;  Akeson  206  und  251; 
Boethius  in  Historisk  Tidskrift  utgifna  af  Svenska  Historiska  före- 
ningen  genom  E.  Hildebrand,  Stockholm  1888,  S.  112  und  123. 

2)  X.  L  i  s  k  e  in  HZ.  30,  281  ff.  und  39,  230  ff. ;  S  m  i  1 1 II  358—359; 
Ssolowj  off  256  ff. ;  Salomon,  Teilung  67.  Soviel  ich  sehe ,  war 
nur  ein  bedeutenderer  russischer  Diplomat  nicht  mit  dem  russischen  Vor- 
gehen gegen  Polen  einverstanden:  Woronzow  in  London.  Er  war  doch 
schon  zu  lange  der  Heimat  fern,  um  noch  das  richtige  Augenmaß  für  die 
Aufgaben  der  russischen  Politik  auf  dem  Kontinent  zu  haben.  Dazu  aber 
kam  als  besonders  wichtiges  Moment  sein  Haß  gegen  Preußen,  der  ihn 
überall  dessen  Umtriebe  gegen  Rußland  wittern  und  den  Vorteil  für  Ruß- 
land bei  einer  Teilung  Polens  ganz  übersehen  ließ.  Polen  war  in  seinen 
Augen  ja  schon  eine  Domäne  Rußlands,  jedes  von  Preußen  erworbene  Stück 
also  eine  direkte  Schädigung  seines  Staates.  Diese  Anschauung  berührt 
sich  vielfach  mit  derjenigen  von  Smitt  und  von  Ssolowjoff,  aber  auch 
mit  der  der  russischen  Staatsmänner  in  den  späteren  Jahren.  Diesen  galt 
die  Teilung  auch  nur  als  notwendiges  Übel,  das  man  später  unter  gün- 
stigeren Umständen  weder  werde  gutmachen  können,  indem  man  den 
Preußen  ihre  polnischen  Erwerbungen  wieder  abnahm.  Endlich  hat  sich 
Woronzow  noch  von  der  englischen  Begeisterung  für  Humanität  an- 
stecken lassen.  Er  sah  dabei  gar  nicht,  daß  Englands  politische  Inter- 
essen in  diesem  wie  in  den  früheren  Jahren,  wo  es  sich  um  Oczakow 
handelte ,  nicht  stark  genug  bedroht  wurden ,  daß  ein  Krieg  nötig 
gewesen  wäre,  der  doch  nicht  die  Zustimmung  der  Nation  gefunden  hätte 
(Worontzow  IX  193,  195—200,  202,  214—215,  231—232,  239—245, 
249,  252—254,  261—264,  283—294,  302—303). 

3)  S  m  i  1 1 II  41—42:  5./16.  Oktober  1791;  vgl.  auch  Worontzow 
VIII  37-^5,  53. 

4)  W  a  s  s  i  1 1  c  h  i  k  o  w  II,  1,  133.  Bericht  Lucchesinis  14.  Januar, 
an  Lucchesini  23.  Januar. 


170 


II.  Abschnitt 


7 


so  dringend  bedurfte1).  Man  hat  deshalb  in  ihm  den  Urheber 
der  zweiten  polnischen  Teilung  sehen  wollen,  und  insofern  mit 
Recht,  als  eine  Teilung  im  russischen  Interesse  nicht  lag. 
Katharina  hätte  sie  gern  vermieden.  Daher  zügelte  sie  das  allzu- 
stürmische Vorgehen  ihres  neuen  Gesandten  Rasumowski  in 
Wien  —  Galitzin  wurde  ja  seit  dessen  Ankunft  immer  bedeutungs- 
loser —  der  Jacobi  gar  zu  entgegenkommende  Versprechungen 
machte2).  Sie  hätte  herzlich  gern  ganz  Polen  ihrem  Reiche 
eingefügt,  wenn  auch  nicht  gleich  in  der  Form  der  einfachen 
Annexion  —  eine  entsprechende  Ansicht  den  Preußen  zuzu- 
muten, haben  selbst  die  begeistertsten  Russen  nicht  gewagt  — 
aber  sie  erkannte,  daß  das  nicht  möglich  sein  werde.  Sie  zer- 
brach sich  zwar  den  Kopf,  wie  sie  die  deutschen  Mächte  an  anderer 
Stelle  beschäftigen  könne3);  der  Krieg  gegen  Frankreich  kam  ihr 
deshalb  besonders  gelegen.  Aber  sie  maß  diesen  diplomatischen 
Künsten  doch  mit  Recht  keine  besondere  Bedeutung  bei.  Preußen 
und  Österreich  erkannten  ja  auch  nur  zu  gut,  wo  für  Katharina 
die  Entscheidung  lag,  und  ließen  sich  keinen  Augenblick  von 
diesem  Manöver  blenden,  zumal  die  russische  Tätigkeit  bei  dem 
eingereichten  Konzertplan  ebenso  fehlte  wie  bei  dem  bald  folgen- 
den spanischen4).  Katharinas  Eingreifen  in  Polen  ist  von  der 
Verwicklung  in  Frankreich  ganz  unabhängig,  ebenso  wie  von  den 
Wünschen  ihres  neuen  Günstlings  Subow5).  Der  Krieg  ermög- 
lichte ihr  nur,  den  Mächten  ungünstigere  Bedingungen  zu  stellen. 
Sie  also  ist  der  eigentlich  treibende  Teil  gewesen,  und  es  mutet 


1)  Heigel  I  573;  Schlosser  V  227. 

2)  Sybel  III  193  (offiziöse  Quelle);  Sorel  II  495-496;  Was- 
siltchikow  II  1,  138—139. 

3)  Chrapowicky,  Dnewnik  (Moskau  1901,  leider  russisch)  S.  226 
zum  14.  Dezember  1791.  Viel  zitiert,  z.  B.  Smitt,  Suworow  II  359; 
S  o  r  e  1  II  376. 

4)  Vivenotl  246— 247  und  262;  Rep.  XI  Rußland  133  A.  Ostermann 
anAlopeus  25.  Dezember  1791/5.  Januar  1792.  Finc  kenstein  17.  Januar. 
Alvensleben  17.  Januar:  La  Russie  n'est  pour  rien  dans  tout  cela,  et  si 
jamais  circonstance  peut  venir  ä  l'appui  de  Pidee  de  vouloir  detourner 
l'attention  de  PAutriche,  mais  particulierement  de  la  Prusse  de  ce  qui 
se  fait  en  Pologne,  c'est  bien  cette  note.  Dazu  Berichte  von  Goltz  3./14.  Fe- 
bruar 1792  u.  30.  Dezember  1791/10.  Januar  1792.  (Vgl.  auch  Sorels  zuge- 
spitzte These  [la  question  d' Orient,  Avant-Propos  II] :  La  Russie  fut,  des  trois 
[cours],  la  plus  ardente  ä  precher  cette  croisade  [gegen  die  Revolution], 
la  Prusse  la  plus  pressee  de  l'entreprendre,  PAutriche  la  plus  perseverante 
ä  la  soutenir.) 

6)  Sorel  II  459. 


Kriegskostenentschädigung  171 


um  den  Nachweis  bemühen,  Katharina  habe  Polen  vor  der 
preußischen  Habgier  schützen  müssen,  habe  in  Polen  nur  die  Ord- 
nung herstellen  wollen  und  sei  lediglich  durch  die  preußischen 
Forderungen  veranlaßt  worden,  nun  auch  seinerseits  ein  Stück 
zu  nehmen2). 

Auf  Preußen  fällt  bei  der  russischen  Darstellung  die  ganze 
Last,  da  Österreich  ja  eine  ganz  andere  Stellung  zur  polnischen 
Revolution  eingenommen  hatte.  Nach  einigen  Tagen  des  Schwan- 
kens hatte  es  den  neuen  Zustand  als  zu  Recht  bestehend  aner- 
kannt. Sein  größtes  Bemühen  wurde  es  nun,  die  Hilfe  der  Nach- 
barmächte zu  demselben  Ziele  zu  gewinnen,  der  Errichtung  eines 

x)  Smitt  I  Vorbericht,  II  156—157,  163,  198—199,  384,  478; 
Ssolowjoff  6 — 7,  25,  149 — 151  etc. ;  Märtens,  Traites  -  Russie 
VI  160 — 161.  Vgl.  auch  die  Kritik  E.  Herrmanns  von  Ssolowjoffs  Buch 
in  Göttingische  Gelehrte  Anzeigen  1866  S.  481 — 499  (28.  März). 

2)  Sie  scheint  algo  gleich  mit  dem  Plane  einer  Teilung  an  die  Re- 
gelung der  polnischen  Verhältnisse  herangegangen  zu  sein,  und  es  scheint 
mir  wohl  möglich,  daß  sie  zuerst  den  Gedanken  einer  Verbindung  der  pol- 
nischen und  der  französischen  Frage  gehabt  hat,  derart,  daß  Preußen  sich 
für  die  Kriegskosten  an  polnischem  Gebiet  schadlos  halten  sollte.  Es  war 
ihr  lange  bekannt,  daß  Preußen  ohne  Entschädigung  an  eine  Intervention 
nicht  denke,  und  ihr  späteres  Verhalten  bewegt  sich  ganz  in  dieser  Richtung. 
Was  sie  früher  nur  als  möglich  angenommen  hatte,  war  jetzt  zur  Tatsache 
geworden.  Sie  fand  sich,  ohne  viel  Schwierigkeiten  zu  machen,  damit  ab. 
Darnach  muß  uns  jetzt  die  preußische  Zurückhaltung  als  übertriebene 
Vorsicht  erscheinen.  Wenn  sie  natürlich  auch  nichts  tat,  um  die  Teilung 
herbeizuführen,  ja  sich  gefreut  hätte,  wenn  sie  sie  hätte  vermeiden  können, 
und  wenn  sie  Avirklich  im  Sommer  zeitweise  wieder  an  diese  Möglichkeit 
gedacht  haben  sollte,  so  möchte  ich  doch  auf  eine  so  vorübergehende  Er-  1  * 
scheinung  kein  großes  Gewicht  legen  (vgl.  Sorel  II  502 — 503;  vgl.  auch 
unten).  Die  Hauptsache  war  ihr  nur,  daß  nicht  sie  sich  zuerst  erklärte, 
sondern  die  Mächte,  und  daß  sie  mit  diesen  am  besten  einzeln  verhan- 
delte. Dabei  mußten  sich  für  Rußland  größere,  für  seine  Genossen  kleinere 
Vorteile  ergeben.  Vgl.  den  bekannten  Bericht  von  Goltz  vom  3.  Februar 
und  den  vom  20.  Februar/2.  März,  wonach  Markow  zu  Goltz  sagte:  .  .  .  il 
s'agit  simplement  de  connaitre  les  volontes;  car  le  reste  est  trop  facüe  pour 
meriter  de  longues  discussions.  Bei  dieser  Lage  der  Dinge  ist  es  dann 
ziemlich  gleichgültig,  ob  man  die  preußische  Politik  tadeln  zu  müssen 
glaubt  (H  e  i  g  e  1  I  573).  Genug,  wenn  die  Momente  festgestellt  sind, 
die  sie  in  diese  bestimmte  Bahn  trieben,  ohne  daß  spätere  Ereignisse  das 
Urteil  beeinflußten,  und  wenn  der  Gegensatz  zwischen  der  alten  Auffassung 
und  der  neuen,  die  sich  im  Westen  durchzusetzen  begann,  deutlich  zu 
Tage  tritt.  Vgl.  das  knappe  Urteil  Sorels  (la  question  d' Orient)  I:  Les 
ambitions  de  la  Prusse  et  de  la  Russie  ne  se  contrairaient  point,  ces  deux 
Etats  s'allierent,  et  durant  plus  d'un  siecle  ils  demeurerent  presque  con- 
stamment  allies. 


172  II.  Abschnitt 

polnischen  Mittelstaates,  der  nach  innen  zur  Erhaltung  der  Ord- 
nung gerade  stark  genug,  zur  Entfaltung  expansiver  Tendenzen, 
also  zur  Bedrohung  der  Ruhe  der  Nachbarstaaten,  die  ja  alle  drei 
Stücke  von  Polen  hatten  und  ihren  Verlust  mehr  oder  weniger 
hätten  beklagen  müssen,  zu  schwach  war.  Kaunitz  und  Leopold 
vertraten  damit  den  Hertzbergschen  ähnliche  Gedanken.  Nur 
waren  sie  völlig  von  dem  Wunsche  einer  Erwerbung  frei,  der 
dessen  Pläne  so  unliebsam  hatte  durchkreuzen  helfen1).  Es  ist 
kein  Zufall,  daß  beide  Pläne  gescheitert  sind.  Immer  von  neuem 
erfolgte  der  Ansturm  auf  Rußland,  in  dem  Österreich  ja  mit 
Recht  den  Hauptfeind  der  neuen  Verfassung  sah,  aber  dieses 
hüllte  sich  bis  zum  Februar  1792  in  ein  beredtes  Schweigen. 
Auch  bei  Preußen  versuchte  es  noch  in  dem  letzten  Augenblick 
seinen  Plan  endgültig  durchzusetzen2).  Aber  der  Vertrag  vom 
7.  Februar  garantierte  den  Polen  ausdrücklich  nur  die  Erhaltung 
einer  freien  Verfassung.  Damit  war  der  Interpretation  das 
Feld  freigegeben.  So  viel  stand  schon  jetzt  fest,  daß  sich  Preußen 
einer  Konsolidation  Polens  im  Sinne  Österreichs,  die  den  preußi- 
schen Annexionsbestrebungen  einen  festen  Riegel  vorgeschoben 
hätte,  eher  widersetzen  als  passiv  bleiben  werde.  Nur  versteckte 
es  sich  zunächst  noch  hinter  Rußland,  dessen  Erklärung  man 
noch  abwarten  müsse.  Das  war  deutlich  genug3).  Selbst  der 
Nächstbeteiligte,  der  Kurfürst  von  Sachsen,  ließ  sich  aus  seiner 
Zurückhaltung  nicht  herauslocken.  Er  wollte  erst  annehmen, 
wenn  er  der  Zustimmung  der  drei  Nachbarmächte  sicher  sei 
und  wenn  die  Polen  die  Verfassung  in  einigen  Punkten  nach 
seinen  Wünschen  abgeändert  hätten.  Man  wird  doch  wohl 
nicht  anders  können  als  die  Berechtigung  dieses  Verhaltens  aner- 
kennen4). 

So  war  tatsächlich  der  österreichische  Plan  gescheitert,  noch 
ehe  Rußland  ein  Wort  gesprochen  hatte.  Seine  drohende  Haltung 
allein  hatte  genügt,  die  Österreicher  zu  isolieren.     Ob  es  daher 

1 )  W  i  1 1  i  c  h  e  n,  Polnische  Politik  3,  45,  67—70. 
2)VivenotI  208—209,  221,  247,  250,  290,  293,  311—314. 

3)  H.E.B.  245;  Ranke  282—284;  Rep.  I  169.  An  Jacobi  8.  März: 
. . .  Mais  je  ne  m'opposerai  pas  non  plus  ä  son  etablissement  (neue  polnische 
Verfassung),  si  eile  peut  se  consolider  d'elle-meme;  mais  c'est  en  verite 
tout  ce  que  l'interet  majeur  de  mes  etats  me  permet  de  faire,  car  je  ne 
dissimule  point  que  cette  Constitution  et  la  succession  hereditaire  du 
throne  qui  en  fait  partie  conviennent  peu  aux  vrais  interets  des  voisins  de 
la  Pologne. 

4)  C  a  r  i  s  i  e  n  103—104. 


Kriegskostenentschädigung 


173 


jeopold  bei  längerem  Leben  gelungen  wäre,  Polens  Schicksal 
günstiger  zu  gestalten,  muß  doch  sehr  in  Frage  gezogen  werden1). 
Tetzt  aber  war  ein  Teil  der  russischen  Truppen  schon  auf  dem 
[arsch,  um  in  Polen  einzurücken.  Die  Zeit  war  gekommen,  die 
[aske  fallen  zu  lassen.  Sollte  aber  Rußland  dabei  die  deutschen 
[ächte  mit  gleicher  Vertraulichkeit  behandeln?  Die  Frage  war 
nicht  schwer  zu  beantworten.  Zwar  mit  Österreich  war  Rußland 
loch  verbündet,  aber  Leopolds  Politik  hatte  darein  Bresche 
gelegt.  Reichenbach,  Sistowa  und  namentlich  das  Vorgehen  in 
Polen  hatten  das  Bündnis  gesprengt.  Mit  bitterem  Groll,  dessen 
Berechtigung  man  nur  für  den  letzten  Punkt  wird  anerkennen 
können,  stand  Rußland  den  Österreichern  gegenüber.  Von 
Preußen  dagegen  war  ein  ernstlicher  Widerstand  in  dieser  Rich- 
tung nicht  zu  besorgen;  sein  Verhalten  in  der  zweiten  Hälfte  des 
verflossenen  Jahres  hatte  jeden  Zweifel  darüber  benommen ;.  nur 
die  Polen  wollten  nicht  klug  werden.  Mit  Preußen  zusammen, 
womöglich  unter  Ausschluß  von  Österreich,  die  polnischen  Ver- 
hältnisse zu  ordnen,  ist  das  Prinzip,  nach  dem  wir  von  nun  an 
Rußland  handeln  sehen. 

Goltz  wußte  daher  schon  Mitte  Dezember  1791  von  einer 
leisen  Besserung  in  dem  Verhalten  Rußlands  gegen  Preußen  zu 
berichten2).  Bald  darauf  sprach  Ostermann  in  vertraulichem, 
ja  herzlichem  Tone  mit  ihm.  Die  Kaiserin  redete  ihn  seit  langer 
Zeit  zum  ersten  Male  an,  der  Großfürst  kannte  ihn  wieder.  Goltz 
war  nun  freilich  nicht  der  Mann,  die  wachsende  russische  Ver- 
traulichkeit politisch  zu  verwerten.  Dazu  war  er  viel  zu  vor- 
sichtig, ja  ängstlich.  Er  glaubte  auch,  nicht  er,  sondern  Alopeus 
werde  die  Verhandlungen  mit  Preußen  zu  führen  haben3).  Immer 
witterte  er  noch  eine  Falle  und  ließ  deshalb  wohl  manche  günstige 
Gelegenheit  vorübergehen4).  Wenn  Katharina  gegen  Österreich 
einen  gereizten  Ton  anschlage,  so  brauche  sie,  meinte  Goltz,  gegen 
Preußen  doch  noch  nicht  aufrichtig  zu  sein5).    Mit  Österreich  zu 


x)  Oginski  I  170;  Schlosser  V  226;  Hei  gel  I  571. 

2 )  Rep.  XI 133  A.  Bericht  5./16.  Dezember  1791.  Dazu  für  das  Folgende : 
Berichte   16./27.    Dezember   1791,    30.    Dezember    1791/10.   Januar   1792, 

./13.  Januar,  9./20.  Januar,  30.  Januar/10.  Februar,  13./24.  Februar.    An 
Goltz  25.  Januar  1792. 

3)  Bericht  19./30.  Dezember  1791,  18./29.  Februar  1792,  9./20.  März, 
März/10.  April  1792.    Das  traf  nur  zum  kleineren  Teile  zu. 

4)  Manchmal  war  auch  die  Zurückhaltung  des  Kabinettsministeriums 
daran  schuld  (Bericht  23.  März/3.  April). 

5)  Bericht  19./30.  Dezember  1791.     An  Goltz  19.  Januar  1792. 


174  II.  Abschnitt 

brechen,  habe  sie  auch  nicht  die  Absicht.  Wir  begreifen,  daß 
ihm  in  dieser  Lage  sehr  viel  daran  liegen  mußte,  zu  erfahren,  ob 
das  weitverbreitete  Gerücht  von  einer  sehr  weitgehenden  Allianz 
zwischen  Österreich  und  Preußen  auf  Wahrheit  beruhe.  Das 
Ministerium  schwächte  das  geflissentlich  ab,  es  handle  sich  nur 
um  den  endgültigen  Abschluß  des  durch  die  Wiener  Konvention 
eingeleiteten  Vertrages.  Es  wollte  die  beginnende  Erwärmung 
zwischen  Rußland  und  Preußen  nicht  im  Keime  ersticken  durch 
allzustarke  Betonung  der  Verbindung  mit  Österreich1).  Deshalb 
beruhigte  es  auch  sofort  Goltz,  der  in  Sorge  darüber  war,  daß 
ein  zu  guter  Empfang  Segurs  dem  Verhältnis  zu  Rußland  schaden 
könne.  Preußen  hatten  ihn  schon  aus  anderen  Gründen  mehr  als 
kühl  behandelt2).  Nach  Österreich  mußte  es  ebenso  wieder  die 
Annäherung  an  Rußland  als  nebensächlich  und  als  nicht  von 
Preußen  ausgehend  bezeichnen.  Denn  sofort  bei  den  ersten  An- 
zeichen gaben  die  Österreicher  Mißtrauen  zu  erkennen3).  Das 
und  die  Erwerbung  von  Ansbach  -  Bayreuth  durch  Preußen 
veranlaßte  scheinbar  die  Russen,  in  ihren  Freundschafts- 
versicherungen gegen  Preußen  wieder  zurückhaltender  zu 
werden4). 

In  dieser  Zeit  entsprach  das  vorsichtige  Verhalten  von  Goltz 
ganz  den  Wünschen  seiner  vorgesetzten  Behörde.  Sie  hatte  ihn 
zwar  angewiesen,  besonders  in  der  polnischen  Frage  den  Russen 
mehr  Vertrauen  als  bisher  zu  erweisen,  aber  sie  fürchtete,  sich 
mit  Rußland  zu  kompromittieren,  wenn  sie  zu  große  Eile  zeigte, 
auf  seine  Wünsche  einzugehen  oder  gar  selbst  welche  zu  äußern. 
Die  Russen  hätten  damit  Material  in  die  Hand  bekommen,  um 
Preußen  bei  den  Polen  zu  verdächtigen  und  selbst  —  ganz  im 
Sinne  von  Smitt  und  Ssolowjoff  —  nur  den  großherzigen  Be- 
schützer des  Landes  zu  spielen,  das  sich  ihnen  ganz  in  die  Arme 
geworfen  hätte5).  Außerdem  wußte  man  in  Preußen  noch  nicht, 
was  Rußland  eigentlich  wolle.  Eine  Teilung  brauchte  es  durchaus 
nicht  zu  sein.  Rußland  hatte  es  früher  verstanden,  durch  rein 
diplomatische  Mittel  Polen  gänzlich  seiner  Führung  zu  unter- 
werfen.    Das  starke  Eintreten  Katharinas  für  die  Sache  aller 


1)  An  Goltz  25.  Januar  1792. 

2)  Bericht  6./17.  Januar  und  Erlaß  2.  Februar  1792. 

3)  An  Goltz  5.  Februar. 

*)  Bericht  10./21.  Februar.    An  Goltz  8.  März. 

5)  Häußerl  354.  An  Goltz  22.  April.  An  Haugwitz  13.  Juni.  Rep. 
96,  147  G.  II,  S.  Au  Roi  30.  Juni. 


Kriegskostenentschädigung  175 

Souveräne,  ihr  Zorn  über  das  laue  Verhalten  Leopolds1),  der  nur 
gezwungen  überhaupt  so  viel  tue,  ihre  Verhandlungen  mit  Spanien 
und  Schweden  über  eine  Aktion  im  Frühjahr,  eventuell  auch  ohne 
len  Kaiser,  zu  Gunsten  der  Emigranten,  legten  dem  preußischen 
resandten  in  Petersburg  ebenso  wie  dem  in  Warschau  (vgl.  oben) 
len  Gedanken  nahe,  Katharina  werde  gleichzeitig  in  Polen  nicht 
einschreiten2).  Wurde  die  alte  Verfassung  wieder  hergestellt, 
ie  herrschende  Partei  verdrängt  und,  soweit  nötig,  aus  dem 
jande  vertrieben,  so  konnten  sich  Zustände  erneuern  wie  die, 
wo  der  russische  Gesandte,  man  denke  an  Repnin,  der  ausschlag- 
gebende Mann  in  Warschau  gewesen  war  und  der  König  sich 
um  seine  Gunst  hatte  bemühen  müssen.  Ausgeschlossen  schien 
es  nicht,  daß  Rußland  sich  unter  solchen  Bedingungen  mit  Polen 
vertragen  könne,  obwohl  es  am  lautesten  die  Trommel  gerührt 
habe3).  Es  schien  auch  möglich,  daß  Rußland  allein  durch  seine 
Stellung  Gewehr  bei  Fuß  und  durch  kalte  Antworten  den  Kur- 
fürsten von  Sachsen  zur  Ablehnung  der  polnischen  Krone  veran- 
lassen und  mit  diesem  im  ganzen  nur  abwartenden  Verhalten 
das  ganze  Gebäude  zu  Fall  bringen  würde4),  ohne  einen  Schuß 
zu  tun.  In  der  Gewährung  von  Handelsvorteilen  hatte  es  auch 
ein  gutes  Mittel,  sich  die  Konnivenz  der  Polen  zu  sichern,  die 
dann  umsomehr  über  das  preußische  Verhalten  empört  sein 
mußten,  wenn  dabei  auch  keine  direkte  Konkurrenz  für  den 
durch  Preußen  gehenden  Handel  zu  befürchten  war.  Unter  den 
polnischen  Russenfreunden  gab  es  eine  starke  preußenfeindliche 
Partei,  die  sich  dieser  wie  jeder  anderen  Waffe  gern  bedient 
hättet). 

Militärische  Maßregeln  der  Russen  waren  noch  nicht  bekannt 
geworden  —  begreiflich,  da  der  Friede  mit  der  Türkei  erst  im 
Januar  geschlossen  wurde.  Als  Preußen  doch  etwas  davon  hörte, 
da  glaubte  es  oder  wollte  es  zunächst  glauben,  es  sei  lediglich 
auf  eine  Demonstration  an  den  Grenzen  abgesehen,  verbunden 
mit  Bestechungen  zu  Gunsten  von  Gegenkonföderationen  oder 
auf  ein  längeres  Verweilen  russischer  Truppen  auf  polnischem 

x)  Berichte  16./27.  Dezember  1791,  23.  Dezember  1791/3.  Januar  1792, 
26.  Dezember  1791/6.  Januar  1792.  «An  Goltz  15.,  19.,  22.  Januar  1792. 

2)  Häußerl  355. 

3)  Bericht  Goltz  3./14.  Februar  1792. 

4)  Berichte  Lucchesinis  7.,  14.  Januar,  29.  Februar,  3.  März.  An 
Lucchesini  16.  und  22.  Januar. 

6)  Berichte  Lucchesinis  18.  und  25.  Januar,  9.  Mai.  An  Lucchesini 
25.  Januar. 


176  H-  Abschnitt 

Boden,  den  sie  aus  der  Moldau  kommend  passieren  mußten1),  zumal 
die  Russen  es  natürlich  an  einem  offiziellen  Dementi  der  Nachricht, 
sie  wollten  in  Polen  einmarschieren,  anfangs  nicht  fehlen  ließen2). 
Rußland  hatte  im  Winter  1791/92  auch  sich  ruhig  die  Diä- 
tinen, die  zunächst  die  Richter  nach  dem  neuen  Gesetz  neu 
zu  wählen  hatten3),  versammeln  und  ihre  überwältigende  Mehr- 
heit sich  zu  Gunsten  der  neuen  Verfassung  aussprechen  lassen4). 
Nicht  einmal  Bestechungsversuche  waren  an  Abgeordneten  ge- 
macht worden5).  All  das  bestimmte  sowohl  Lucchesini  und  Goltz 
wie  das  preußische  Kabinettsministerium,  an  ein  militärisches 
Eingreifen  der  Russen  in  Polen  noch  nicht  zu  glauben  und  eine 
Demonstration  frühestens  bei  der  Räumung  der  Moldau  zu  er- 
warten6). Man  wird  dieser  Ansicht  eine  gewisse  Berechtigung 
nicht  absprechen  dürfen.  Preußens  Tätigkeit  richtete  sich  ferner 
auch  augenblicklich  nach  einer  anderen  Seite.  Die  österreichischen 
Absichten  über  Polen  waren  so  weit  von  den  preußischen  ver- 
schieden, daß  ein  einheitliches  Vorgehen  beider  Mächte  in  der 
polnischen  Frage  als  ausgeschlossen  erschien,  und  doch  war 
Preußen  durch  den  Vertrag  im  allgemeinen  an  Österreich  ge- 
bunden. Preußen  hielt  sich  deshalb  zurück,  wollte  weitgehende 
russische  Erklärungen  abwarten').  Goltz  sollte  sich  in  der  pol- 
nischen Frage  alles  anhören,  aber  selbst  nur  über  die  französische 
sprechen8).  Rußland  sollte  sich  zuerst  das  Maul  verbrennen,  wie 
es  in  anderem  Zusammenhange  kurz  darauf  Kaunitz  formuliert 
hat9).    Daß  dies  vor  Abschluß  des  Friedens  mit  der  Türkei  nicht 


1 )  Berichte  von  Goltz  20./31.  Januar  1792  und  6./17.  und  10./21.  Februar. 
Berichte  Lucchesinis  25.  Januar,  1.,  4.,  15.  Februar,  28.  März,  17.,  18., 
21.,  25.  April,  5.  Mai.  An  Goltz  5.,  22.,  26.  Februar.  An  Lucchesini  1., 
10.,  12.,  24.  Febr.  Berichte  von  Goltz  2./13.,  5./16.  März,  26.  März/6.  April, 
30.  März/10.  April.    An  Goltz  22.  März,  1.,  5.  und  11.  April. 

2)  An  Goltz  26.  Februar. 

3)  Bericht  von  Goltz  5./16.  Dezember  1791.  Bericht  Lucchesinis 
1.  Februar  1792.     Die  alten  Richter  waren  alle  abgesetzt  worden. 

i)  Nur  6  wagten  geradezu  zu  widersprechen.  Berichte  Lucchesinis 
25.  und  29.  Februar,  22.  und  18.  Februar.  An  Lucchesini  27.  Februar. 
An  Goltz  26.  Februar. 

6)  Die  Polen  waren  in  diesem  Punkte  eifriger.  Berichte  Lucchesinis 
25.  Januar  und  1.  Februar. 

6)  Berichte  Lucchesinis  18.  und  22.  Februar.  An  Lucchesini  27.  Fe- 
bruar und  3.  März. 

7)  An  Jacobi  26.   März. 

8)  An  Goltz  25.  und  29.  Januar. 

9)  V  i  v  e  n  o  t  II  434;  Schütter  61.    An  Goltz  22.  April. 


Kriegskostenentschädigung 


177 


erfolgen  werde,  hielt  man  für  sicher,  und  mit  ihm  ist  in  der  Tat 
der  Erlaß  der  „Insinuation  verbale"  vom  17./28.  Februar  be- 
ründet1).  Als  aber  zunächst  alles  ruhig  blieb,  da  setzte  man  sich 
jinen  anderen  Termin  mit  Rußlands  Antwort  auf  die  Einladung, 
lern  preußisch-österreichischen  Bündnis  beizutreten2),  deren  Ver- 
zögerung Rußland  lebhaft  zu  bedauern  vorgab3).  Aber  diese 
preußische  Zurückhaltung  konnte  doch  die  anderen  Höfe  nicht 
über  die  wahre  preußische  Absicht  täuschen.  Sie  erkannten,  daß 
Preußen  nur  auf  das  Zeichen  aus  Petersburg  wartete,  um  sich 
ungestört  an  die  Teilung  der  Beute  machen  zu  können4). 


B.  Auch  Rußland  sah  sich  vor.  Den  Türkenkrieg  hatte  es 
eben  durch  einen  Frieden  beendet,  der  den  Türken  unerwartet 
günstige  Bedingungen  geboten  und  daher  so  rasch  hatte  ab- 
geschlossen werden  können5).  So  hatte  Rußland  die  Hände  frei, 
aber  es  wollte  nicht  selbst  die  Teilung  anzuregen  scheinen,  um 
sich  durch  sein  späteres  Eingehen  auf  den  Vorschlag  der  Gegen- 
partei das  Recht  auf  einen  um  so  größeren  Teil  der  Beute  zu 
sichern.  Auf  bisher  noch  unbekannte  Weise  erhielt  der  preußische 
Gesandte6)  von  einer  Persönlichkeit  ohne  Bedeutung  flüchtigen 


1)  Politisches  Journal  1792  Januar:  Berlin  20.  Januar  1792;  Vi  ve  n  o  t 
I  247 ;  Ssolowjoff  307.  Durch  Nesselrode  wurde  der  Vertrag  am 
11.  März  in  Berlin  mitgeteilt.  Nur  solche  unbedeutenden  Sachen  wurden 
ihm  noch  übertragen  (Rep.  96,  147  G  I,  F.  S.A.  Au  Roi  11.  März).  Einen 
Tag  darauf  wurde  die  Polen  betreffende  Mitteilung  durch  Goltz  und  Alopeus 
bekannt.  An  Goltz  13.  März.  Vgl.  unten.  Berichte  von  Goltz  23.  Dezember 
1791/3.  Januar  1792,  2./13.  Januar  1792.    An  Lucchesini  1.  Februar  1792. 

2)  An  Goltz  1.  März  und  1.  April. 

3)  Bericht  12. /23.  März. 

4)  Sorel  II  369. 

5)  Worontzow  VIII  46^7. 

6)  Der  österreichische  Gesandte  in  Petersburg,  Ludwig  Cobenzl, 
erfuhr  natürlich  nichts  davon,  wohl  aber  der  englische  Vertreter  Lord 
Whitworth,  ob  mit  oder  ohne  Goltz,  lasse  ich  dahingestellt,  wenn  das  letztere 
auch  wahrscheinlicher  ist.  Er  suchte  dann  mit  Goltz  nach  weiteren  An- 
haltspunkten. Das  Ministerium  befahl  auf  eine  Anfrage  von  Goltz  hin, 
Whitworth  nicht  einzuweihen  und  auf  seine  zweite  Meldung  vorsichtiges 
Verhalten  ihm  gegenüber  für  die  Zukunft,  da  es  mit  Recht  befürchtete, 
die  Engländer  würden  Schwierigkeiten  machen,  an  deren  Durchführung 
sie  nachher  nur  der  Eintritt  in  den  Krieg  gegen  Frankreich  gehindert  hat. 
Protestiert  haben  sie  natürlich  auch  dann  noch.  (Berichte  vom  23.  Ja- 
nuar/3. Februar,  27.  Januar/7.  Februar,  30.  Januar/10.  Februar,  24.  Fe- 
bruar/6. März.  An  Goltz  15.  Februar.  H.A.  52—53;  H.E.B.  231—232; 
H  äußer  I  352;   Sybel  II  183.) 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution        12 


178  II.  Abschnitt 

Einblick  in  ein  Billett  Katharinas  an  ihren  Günstling  Piaton 
Subow,  mit  dem  sie  damals  unter  Ausschluß  des  Vizekanzlers 
Ostermann  [später  traten  noch  Besborodko  und  Marko w  dazu1)] 
die  polnische  Frage  regelte.  In  ihm  hieß  es,  Katharina  wolle 
jetzt  nach  dem  Frieden  in  Polen  einrücken  (der  Plan  dazu  wurde 
genau  entwickelt);  wenn  sich  die  deutschen  Mächte  widersetzten, 
wolle  sie  ihnen  Entschädigung  oder  Teilung  vorschlagen.  Zweifel- 
los haben  wir  es  hier  mit  einem  Versuchsballon  Rußlands  zu  tun, 
der  Preußen  aus  seiner  vorsichtigen  Zurückhaltung  hervorlocken 
sollte.  Ich  halte  es  sogar  für  möglich,  daß  das  Billett  nur  ge- 
schrieben wurde,  um  Goltz  gezeigt  werden  zu  können.  Die  russi- 
schen Minister  ließen  sich  nicht  ein  Wort  über  Polen  entschlüpfen 
und  hatten  wohl  absichtlich  für  jene  Mitteilung  sich  jemand  aus- 
gesucht, der  mit  völliger  Unkenntnis  der  Sache  auch  noch  Ängst- 
lichkeit und  Beschränktheit  verband2).  Aber  Goltz  und  sein 
Ministerium  waren  einig  in  der  Freude  über  dies  erste  gute  An- 
zeichen wie  in  der  Zurückhaltung  und  in  der  Ansicht,  niemandem 
etwas  davon  zu  sagen.  Wie  die  Katze  um  den  heißen  Brei,  ging 
man  daher  in  der  Instruktion  für  Bischoffwerder,  die  für  Öster- 
reich ostensibel  sein  sollte,  um  diesen  Punkt  herum3).  Nur  Jacobi 
und  Bischofrwerder  erfuhren  überhaupt  von  diesen  russisch- 
preußischen Verhandlungen.  Lucchesini4)  erfuhr  von  den  Ver- 
handlungen mit  Österreich  über  das  Konzert  und  mit  Frank- 
reich Wichtiges  nur  privatim  von  Schulenburg,  über  den  pol- 
nischen Plan  Österreichs  scheinbar  erst,  als  Österreich  ihn  hatte 
fallen  lassen,  über  den  russischen  Vorstoß  nur  spät  das  All- 
gemeinste, als  man  ihn  brauchte. 

Rußland  hatte  aber  nicht  mehr  viel  Zeit  zu  verHeren5).    Es 


1)  Besborodko  weilte  noch  im  Süden  wegen  des  Abschlusses  mit  der 
Türkei.  Vor  seiner  Rückkehr  wollte  Rußland  scheinbar  nicht  über  Polen 
genauer  verhandeln.  Am  11./22.  März  war  er  in  Petersburg.  Der  Prinz 
Nassau  hat  von  der  Hauptsache  wohl  zunächst  ebensowenig  erfahren  wie 
Ostermann  (Berichte  13./24.  Februar,  24.  Februar/6.  März,  5./16.  März, 
9./20.  März,  12./23.  März.    An  Goltz  11.  März.    Liske  in  H.Z.  30,  285). 

2)  Bericht  27.  Januar/7.  Februar:  le  personnage  peureux  et  borne 
qui  avait  fait  la  lecture  en  question  n'a  rien  su  ajouter  aux  notions  dejä 
communiquees. 

3)  Ranke  283.  Von  einer  eigentlichen  Eröffnung  war  in  der  Tat 
noch  keine   Rede  gewesen. 

4)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  Nr.  37.  Dazu  an  Lucchesini  1.,  6., 
7.,  11.,  19.  Aprü,  7.  und  17.  Mai,  10.  Juli.     Bericht  24.  März. 

5)  Smitt  II  361  ff.;  Ssolowjoff  266;  Hau  ß  er  I  352—353; 
S  y  b  e  1 II 187  ff. ;  H  e  i  g  e  1 1  571 ;  H.A.  53  ff. ;  F.D.G.  IV  109;  M  a  r  t  e  n  s, 


Kriegskostenentschädigung  179 

gab  jetzt  zu,  daß  die  polnischen  Angelegenheiten  ihm  bedeutend 
wichtiger  seien  als  die  französischen,  die  es  bisher  so  ungebühr- 
lich in  den  Vordergrund  geschoben  hatte1).  Schon  war  ein  Teil 
seiner  Truppen  auf  dem  Marsche  zur  Besetzung  Polens.  Am 
17./28.  Februar  erfolgte  nach  einer  Ankündigung,  die  wenige 
Tage  vorher  ergangen  war,  die  erste  wirklich  offizielle  Eröffnung 
Rußlands  an  Preußen  und  Österreich,  d.  h.  Ostermanns  an  Goltz 
und  L.  Cobenzl.  Er  las  ihnen  eine  insinuation  verbale  vor,  die 
Goltz  dann  auch  schriftlich  erhielt,  nach  der  Rußland  auf  einen 
Wunsch  Preußens,  in  dem  es  bei  der  fortschreitenden  Besserung 
des  russisch-preußischen  Verhältnisses  keine  bloße  Neugierde  zu 
erblicken  glaube,  seine  Ansichten  über  Polen  auseinandersetzte. 
Die  neue  Verfassung  mit  dem  Versuche  der  Konsolidation  Polens 
und  seiner  Verbindung  mit  Sachsen  sei  für  alle  Nachbarn  gefähr- 
lich, besonders  für  Preußen,  das  nun  von  zwei  Seiten  bedroht 
sei  und  für  seinen  Einfluß  in  Deutschland  fürchten  müsse.  Es 
handle  sich  jetzt  darum,  sich  über  die  Mittel  einig  zu  werden, 
die  dem  entgegenwirken  könnten2). 

Hier  war  nur  von  Rußland  und  Preußen,  mit  keinem  Worte 
von  Österreich  direkt  die  Rede.  Aber  auch  diesem  wurde  eine 
entsprechende  Mitteilung  gemacht.  Es  fragt  sich  nur,  ob  sie  den- 
selben Wortlaut  hatte,  wie  die  speziell  auf  Preußen  berechnete. 
Das  würde  heißen,  daß  man  von  vornherein  auf  eine  aktive  öster- 
reichische Mitwirkung  bei  der  Durchführung  des  russischen  Planes 
verzichtet  habe  und  dies  auch  habe  zu  verstehen  geben  wollen. 
In  der  Tat  scheint  jedoch  nach  Österreich  eine  vorsichtigere 
Fassung  abgegangen  zu  sein3).  Ostermann  sagte  zwar  auch  zum 
Schluß  zu  Goltz:  „Es  handelt  sich  nur  um  uns  drei;  sind  wir 
einig,  so  können  wir  über  alle  anderen  hinwegsehen"  (nous  mo- 


Traites-Russie  VI  161 — 162.  Man  braucht  gar  nicht  anzunehmen,  daß 
Rußland  die  Wirkung  des  ersten  Versuches  auf  Preußen  abgewartet 
habe,  um  weiter  mit  der  Sprache  herauszugehen.  Die  Zeit  hätte  da- 
zu auch  gar  nicht  ausgereicht.  Am  20.  Februar  war  aber  die  Ratifikation 
des  russisch-türkischen  Friedens  in  Petersburg  bekannt  geworden  (H.Z. 
30,  285). 

1 )  Wassiltchikow  II  4,  158—159. 

2)  Ostermann  schob  die  französische  Sache  gleichgültig  beiseite; 
sie  hatte  für  Rußland  ihren  Hauptdienst  schon  getan  (Berichte  18./29.  Fe- 
bruar, 5./16.  März,  16./27.  März,  9./20.  April).  Beim  nächsten  Male  wurde 
sie  überhaupt  nicht  erwähnt  (Bericht  13./24.  April.  An  Goltz  4.  Mai). 
X.  L  i  s  k  e  in  H.Z.  30,  285. 

3)  Bericht  20.  Februar/2.  März.     X.  L  i  s  k  e  in  H.Z.  30,  285  ff. 


180  IL  Abschnitt 

quer)1).  Aber  die  Einigung  mit  Preußen  scheint  ihm  nach  allem 
doch  die  Hauptsache  gewesen  zu  sein,  und  er  betonte  Österreich 
gegenüber  geflissentlich  die  befriedigende  preußische  Antwort. 
Ich  glaube  nicht  einmal,  daß  seine  Behauptung,  er  habe  eine 
preußische  Antwort  nicht  vor  der  Einigung  mit  Österreich  er- 
wartet, aufrichtig  gemeint  war2),  wohl  aber  die  andere,  eine 
schweigende  Zustimmung  Preußens  genüge  für  das  russische  Vor- 
gehen. Goltz  scheint  mir  mit  seiner  Annahme  im  Recht  zu  sein, 
daß  man  sich  in  diesem  Falle  ruhig  über  einen  Protest  Österreichs 
hinweggesetzt  hätte3).  Aber  im  Februar  wagte  er  nicht  einmal 
seine  Ansicht  darüber  zu  sagen,  nach  der  Ostermann  ihn  gefragt 
hatte,  sondern  hielt  sich  ganz  streng  an  seine  Instruktion,  d.  h.  er 
wiederholte  zum  so  und  so  vielten  Male  die  Versicherung,  Preußen 
sei  bei  der  neuen  polnischen  Verfassung  nicht  um  Rat  gefragt 
worden  und  habe  sich  auch  nicht  dafür  ausgesprochen.  Er  meinte, 
Alopeus  werde  wohl  mehr  zu  sagen  wissen,  besonders  würden 
russische  Eroberungspläne  nun  bald  folgen.  Es  sei  bloß  noch  die 
Frage,  was  Österreich  erhalten  solle  (von  Preußen  sprach  er  gar 
nicht  erst,  so  selbstverständlich  waren  ihm  dessen  Absichten), 
und  schon  deshalb  glaubte  Goltz  an  eine  Ablehnung  des  russischen 
Planes  durch  Österreich. 

Für  Preußen  aber  war  eine  schwierigere  Lage  kaum  denkbar. 
Auf  der  einen  Seite  diese  lockenden  Anerbietungen,  auf  der  anderen 
eine  Unternehmung,  die  auch  nicht  ergebnislos  zu  werden  ver- 
sprach, die  aber  Preußen  gegenüber  Frankreich  die  schwersten 
Fesseln  auferlegte,  und  mit  einer  Macht,  die  verglichen  mit  ihm 
Polen  in  eine  durchaus  antipreußische  Richtung  hineinzwingen 
wollte.  Man  hat  nun  gemeint,  Preußen  sei  mit  vollen  Segeln 
in  das  russische  Lager  übergegangen4).  Die  Akten  sagen  uns  da- 
von nichts.  Alle  preußischen  Kundgebungen  an  Rußland  tragen 
in  diesen  Monaten  bis  zum  September  etwa  hin  den  Stempel  der 
Verlegenheit  vielleicht  mehr  als  richtig  zur  Schau.  Es  entschuldigt 
seine  Zurückhaltung  und  bleibt  konsequent  bei  dem  österreichi- 

1)  Am  9./20.  April  konnte  Goltz  noch  einmal  davon  berichten,  daß 
er  von  einem  Konzert  der  drei  Mächte  gesprochen  habe;  aber  der  gleich- 
zeitige scharfe  Ausfall  Ostermanns  gegen  Österreich  machte  das  bedeu- 
tungslos.   Vgl.  S  o  r  e  1  II  377. 

2)  Bericht  26.  März/6.  April. 

3 )  Berichte  20.  Febr./12.  März,  9./20.  März,  16./27.  März,  26.  März/6.  April, 
6./17.  April;  H  ä  u  ß  e  r  I  354. 

4)  S  m  i  1 1  II  363;  S  s  o  1  o  w  j  o  f  f  266—267;  S  y  b  e  1  II  189—191; 
S  o  r  e  1  II  377—378;  Heigell  571;  Clapham  215. 


Kriegskostenentschädigung  \Q\ 

sehen  Bündnis.  Noch  ist  die  französische  Frage  die  Hauptsache, 
die  Lösung  der  polnischen  möchte  man  am  liebsten  noch  hinaus- 
schieben, bis  die  französische  geregelt  sei,  um  sich  ihr  dann  ganz 
zuwenden  zu  können;  aber  man  glaubte  sie  auch  so  nebenher 
ohne  besondere  Kraftanstrengung  vornehmen  zu  können,  aller- 
dings in  dem  beschränkten  Umfange,  daß  Rußland  sich  erst 
kompromittierte  und  Österreich-Preußen  nur  seinem  Vorgehen 
Grenzen  zogen.  Deshalb  mußte  Preußen  zunächst  die  österreichi- 
sche Ansicht  kennen,  eher  wollte  es  sich  auf  nichts  einlassen. 
Ja,  es  bat  in  Petersburg  um  genauere  Mitteilung  darüber,  wie 
der  russische  Plan  durchgeführt  werden  solle,  und  wollte  dann 
mit  Österreich  zusammen  vorgehen1). 

So  enthielt  die  preußische  Antwort  an  Alopeus  vom  13.  März, 
die  auch  an  Goltz  mitgeteilt  wurde,  eine  deutliche  Berichtigung 
der  russischen  Vorschläge  zwischen  den  Zeilen.  Man  blieb  zunächst 
bei  dem  Zustande  vorsichtiger  Zurückhaltung,  und  doch  wissen 
wir  schon  lange,  wie  weit  die  Absichten  Friedrich  Wilhelms  bei 
der  Mitteilung  aus  Rußland  gingen.  Nicht  weniger  als  ganz 
Polen  links  der  Weichsel  sollte  an  Preußen  fallen.  Er  rechnete 
dabei  scheinbar  nicht  einmal  mit  einer  gänzlichen  Aufteilung; 
um  so  auffallender  ist  diese  gewaltige  Forderung,  ohne  Rücksicht 
darauf,  daß  Preußen  diese  Ländermassen  dem  straffen  Rahmen 
seiner  Verfassung  und  Verwaltung  gar  nicht  werde  einfügen 
können.  Er  vernachlässigte  dabei  eine  der  elementarsten  poli- 
tischen Regeln  des  ancien  regime,  nur  so  viel  zu  nehmen,  als  man 
sich  assimilieren  und  als  man  behaupten  kann2)  —  aber  wie  ich 
gleich  hinzufügen  möchte,  nicht  ganz  freiwillig,  sondern  zu  diesen 
gewaltigen  Ansprüchen  bestimmt  durch  den  Zwang  der  poli- 
tischen Lage,  wie  dies  schon  aus  seinem  Briefe  hervorgeht.  Fried- 
rich Wilhelm  erkannte  auch  schon,  daß  man  Österreich  an  anderer 
Stelle  entschädigen  müsse.  Aber  er  war  weit  entfernt,  das  in  Zu- 
sammenhang mit  der  französischen  Frage  zu  bringen,  und  wurde 
natürlich  auch  nicht  zu  seiner  Entscheidung  durch  Delessarts 
Sturz  bestimmt3).     Seit  dem  August  1791  war  für  ihn  die  Ent- 

1)  Häußer  I  355;  H.A.  56. 

2)  Sorel  I  33  und.  öfter. 

3)  Sybel  II  189 — 190.  Ebensowenig  kann  davon  die  Rede  sein, 
daß  Leopolds  Tod  erst  die  Teilung  möglich  gemacht  hat  (H  e  i  g  e  1  I  571). 
Gewiß  verloren  die  politischen  Neuerer  in  ihm  einen  mächtigen  Beschützer 
ihres  Systems  (Bericht  Lucchesinis  7.  März),  und  die  Gegenpartei  hoffte  von 
Franz  eine  Annäherung  an  Rußland.  Aber  das  war,  ganz  abgesehen  von 
der  Richtigkeit  dieser  Beweisführung  und  Ansicht,  doch  nicht  entscheidend. 


182  II-  Abschnitt 

Scheidung  schon  gefallen.  Er  hatte  nie  daran  gedacht,  sich  dem 
russischen  Vorgehen  mit  Österreich  zu  widersetzen1).  Es  bedurfte 
gar  nicht  erst  des  österreichischen  Planes,  der  einen  Tag  vor  dem 
russischen,  am  11.  März,  in  Berlin  bekannt  war,  um  ihm  den  Gegen- 
satz klar  zu  machen.  Seine  Entscheidung  war  gefallen,  ehe  er  mit 
seinen  Ministern — Bischoffwerder  war  in  Wien — gesprochen  hatte. 
Schulenburg  scheint  es  nun  gewesen  zu  sein,  der  ihn  in  seiner 
bisherigen  Zurückhaltung  bestärkt  hat.  Denn  er  hat  dem  Könige 
am  13.,  etwa  10  Uhr  vormittags,  Vortrag  hierüber  gehalten2). 
An  Bischoffwerder  erging  ein  Schreiben  aus  dem  Kabinett,  das 
der  König  vermutlich  nach  der  Besprechung  mit  Schulenburg 
aufgesetzt  hatte,  dessen  Gedanken  wir  darin  wiederfinden.  Dazu 
ergingen  an  Bischoffwerder  und  Jacobi  am  14.  ministerielle 
Weisungen,  deren  Inhalt  der  König  in  derselben  Besprechung 
schon  gebilligt  hatte,  die  an  Deutlichkeit  nichts  zu  wünschen 
übrig  ließen.  Der  erst  auszugsweise  bekannte  österreichische  Plan 
wurde  rundweg  abgelehnt  und  das  Eingehen  auf  den  Rußlands 
vorgeschlagen.  In  Wien  glaubte  man  jedoch,  Rußland  gegenüber 
noch  an  seinem  Plane  festhalten  zu  sollen  bis  zu  der  bekannten 
Expedition  vom  12.  April,  ließ  gegenüber  Preußen  aber  doch 
schon  andere  Pläne  erkennen,  wonach  eine  Einigung  durchaus 
möglich  erschien.  Das  wurde  von  großer  Bedeutung  für  das 
weitere  Verhalten  von  Rußland  und  Preußen.  Jenes  erkannte 
nach  der  preußischen  Antwort3)  die  Unmöglichkeit,  die  deutschen 
Mächte  vorläufig  zu  tätigem  Vorgehen  oder  auch  nur  zum  un- 
tätigen Eingehen  auf  seine  Pläne  zu  gewinnen;  aber  es  sah  auch, 
daß  ihm  Hindernisse  von  preußischer  Seite  nicht  in  den  Weg 
gelegt  werden  würden.  Es  änderte  also  an  seinen  Dispositionen 
nichts  und  erwartete,  daß  sich  bei  der  weiteren  Entwicklung  der 
Dinge  die  Möglichkeit  bieten  werde,  sich  mit  den  Mächten  ab- 
zufinden. Genauere  Eröffnungen  verschob  es  daher  bis  zu  der 
Zeit  des  Einmarsches  seiner  Truppen  in  Polen  selbst4).  Immer 
aber  zeigte  es  sich  gegen  Preußen  entgegenkommender  als  gegen 
Österreich,  dessen  langes  Schweigen  über  Polen  die  schlechte 
russische  Stimmung  noch  verstärkte5),  wie  auch  die  Tatsache, 

1 )  Häußer  I  353. 

2)  An  Goltz  22.  April.     Rep.  I  169,  S.  Au  Roi  12.  März,  F.  S.A.  Au 
Roi  13.  März. 

3)  Berichte  5./16.  und.  12./23.  März. 

4)  Berichte  2./13.  März,  16./27.  März,  23.  März/3.  April. 

e)  Berichte  23.  März/3.  April,  30.  März/10.  April,  6./17.  April.    Oster- 
mann an  Alopeus  10./21.  April. 


Kriegskostenentschädigung  183 

daß  von  Österreich  aus  der  russische  Schritt  auch  in  Warschau 
bekannt  geworden  war  und  dort  natürlich  große  Aufregung  her- 
vorgerufen hatte1). 

Preußen  also  blieb  dabei,  nur  mit  Österreich  vereint  den 
Russen  gegenüberzutreten  und  die  Entscheidung  womöglich  noch 
hinauszuzögern,  da  es  auf  ein  großes  Revirement  der  österreichi- 
schen Ansichten  über  Polen  zu  rechnen  allen  Anlaß  hatte2),  bis 
ihm  die  österreichischen  Depeschen  vom  12.  April  bekannt  wurden. 
Trotzdem  schwenkte  es  nun  nicht  einfach  zu  Rußland,  sondern 
lehnte  nur  nochmals  den  österreichischen  Plan  ausdrücklich  ab. 
Nur  mit  Österreich  und  Rußland  wollte  es  die  polnischen  Ver- 
hältnisse ordnen3).  Dabei  wurde  die  Stellung  von  Goltz  in  Peters- 
burg besonders  schwierig.  Von  Cobenzls  Seite  war  trotz  des 
Bündnisses  von  irgendwelchem  Vertrauen  keine  Rede.  Im 
Gegenteil,  er  blieb  so  zugeknöpft  wie  bisher4),  wachte  mit  Argus- 
augen darüber,  daß  sich  Preußen  und  Rußland  auch  nicht  einen 
Schritt  weiter  als  notwendig  entgegenkamen.  Markow,  der  in 
dieser  Zeit  ja  die  Hauptarbeit  im  russischen  Ministerium  leistete5), 
scheute  sich  daher,  mit  Goltz  zusammen  einen  Gesellschaftssaal 
zu  betreten,  in  dem  sich  Cobenzl  befand.  Sollte  Goltz  nun  aber 
den  Russen  volles  Vertrauen  entgegenbringen?  Er  saß  wie  auf 
Kohlen  und  wünschte  sehnlichst  eine  entscheidende  Nachricht 
herbei,  die  ihn  aus  dieser  schwierigen  Lage  befreite6).  Rußland 
schien  ja  bloß  die  Einladung  zu  erwarten,  dem  österreichisch- 
preußischen Bündnis  beizutreten,  um  sich  mit  Preußen  völlig 
besonders  zu  verständigen7).  Aber  da  mußte  er  sich  an  Geduld 
gewöhnen.  Österreich  hatte  die  Mitteilung  des  Vertrages  noch 
immer  verzögert,  und  Preußen  wartete  erst  wieder  auf  die  Beant- 
wortung seiner  Antwort8).  Goltz  erhielt  zwar  den  Befehl,  sich 
Cobenzl  und  Markow  gegenüber  genau  ebenso  zu  verhalten,  wie 
sie  es  mit  ihm  machten,  und  den  Russen  suchte  man  kleine  Ge- 
fälligkeiten zu  erweisen.  So  ist  z.  B.  die  Mitteilung  des  Planes 
von   Jakobinern    aufzufassen,    unter    den    Souveränen   Europas 

1)  Berichte  9./20.  April  und  20.  April/1.  Mai.  Bericht  Lucchesinis 
28.  März.     An  Lucchesini  7.  April.     Berichte  4.  und  7.  April. 

2)  An  Goltz  22.  und  29.  März,  11.  April. 

3)  An  Goltz  18.  April  und  2.  Mai. 

4)  Berichte  20.  Februar/2.  März,   24.  Februar/6.  März,  16./27.  März. 

5)  Worontzow  VIII  52. 

6)  Bericht  23.  März/3.  April. 

7)  Bericht  20.  Februar/2.  März. 

8)  An  Goltz  18.  März,  8.,  11.,  18.,  22.,  26.  April,  2.  Mai. 


184  IL  Abschnitt 

durch  Gift  aufzuräumen1),  oder  die  des  französischen  Angriffs- 
plans vom  25.  März2)  oder  die  Entschuldigung  wegen  des  späten 
Ergehens  der  Einladungen,  dem  Konzert  und  dem  Bündnis  bei- 
zutreten3), oder  die  Mitteilung  von  Jablonowskis  Schritten  in 
Berlin  und  der  ihm  erteilten  Antwort4)  oder  die  der  Instruktion 
für  Lucchesini,  polnische  Bündnisforderungen  abzulehnen5), 
oder  die  Ablehnung  der  Bitte  der  Polen,  ihnen  den  General  Kaik- 
reuth oder  einen  anderen  zu  überlassen,  der  die  polnische  Armee 
als  General  en  chef  kommandieren  sollte  oder  wenigstens  die 
mittlere  Armee,  da  er  eventuell  mit  an  den  Rhein  gehen  solle6). 
Derartige  Versuche  finden  wir  in  der  folgenden  Zeit  auch  noch 
reichlich;  ich  begnüge  mich  jedoch  mit  diesen  Beispielen  aus 
einem  besonders  fruchtbaren  Abschnitt. 

Der  Hauptfrage  kam  man  damit  aber  um  keinen  Schritt 
näher.  Wenn  Preußen  nun  auch  kein  Interesse  daran  hatte, 
ihre  Regelung  zu  beschleunigen  —  im  Gegenteil  —  so  konnte 
Rußland  doch  nicht  mehr  warten.  Seine  Truppen  mußten  ver- 
tragsmäßig bis  zum  15./26.  Mai  das  Fürstentum  Moldau  räumen7). 
Dabei  konnte  es  zwei  Fliegen  mit  einer  Klappe  schlagen:  wenn 
es  die  Moldau  räumen  Keß,  sollten  die  frei  werdenden  Truppen 
sofort  in  Polen  einrücken,  und  zwar  nicht  nur,  weil  sie  eben  pol- 
nisches Gebiet  auf  dem  Marsche  nach  ihren  heimischen  Stand- 
orten passieren  mußten,  sondern  um  durch  ihre  Anwesenheit, 


1 )  An  Goltz  24.  März  und  9.  April.  Bericht  30.  März/10.  April.  Der 
König  hielt  es  nicht  für  überflüssig,  wegen  des  Erlasses  an  Goltz  hierüber 
eine  besondere  Kabinettsordre  zu  schicken. 

2)  An  Goltz  5.,  9.,  11.  April. 

3)  Vgl.    oben. 

4)  An  Goltz  11.  April.     H.E.B.  257—258. 
e)  Smitt  II  378—379,  aber  nicht  genau. 

6)  Berichte  Lucchesinis  14.,  17.,  18.,  21.  April.  Bericht  von  Goltz 
20./30.  April.  F.  S.A.  Au  Roi  26.  April.  An  Lucchesini  26.  April. 
An  Goltz  26.  April.  Smitt  II  353—354;  Ssolowjoff  272.  Am 
16.  April  war  in  Warschau  beschlossen  worden,  sich  bis  zu  drei  Generalen 
und  den  dazu  nötigen  Offizieren  für  Artillerie  und  Genie  zu  verschaffen. 
Das  wurde  am  20.  näher  bestimmt  auf  zwanzig  Offiziere  vom  Kapitän  bis 
zum  Obersten.  Die  polnischen  Beschlüsse  dieser  Tage  kennzeichnen  beson- 
ders gut  die  Hilflosigkeit  Polens  gegenüber  dem  russischen  Vorgehen.  Von 
imposanter  Einmütigkeit  kann  nur  der  reden,  der  dem  König  womöglich 
allein  die  Schuld  an  dem  Scheitern  der  polnischen  Reform  zuschieben  möchte 
(Oginski  I  171;  Schlosser  V  227,  235—236  etc.;  vgl.  auch  L  e- 
1  e  v  e  1  II  152—153). 

7)  Bericht  Lucchesinis  P.S.  zum  18.  Januar.  Ostermann  an  Alopeus 
10./21.  April  in  Rep.  XI  Rußland  133  A. 


Kriegskostenentschädigung  185 

lötigenfalls  auch  durch  Kampf  die  von  der  Kaiserin  gewünschte 
fcückwärtsrevision  der  Verfassung  mit  allem,  was  sich  dann  von 
selbst  ergab,  zu  erzwingen.  Sie  entschloß  sich  also  wohl  oder 
ibel,  den  Mächten  etwas  mehr  von  ihren  Ansichten  über  Polen 
ützuteilen  und  von  den  Mitteln,  die  sie  zu  ihrer  Ausführung 
mzuwenden  gedachte.  Diesmal  aber  wurde  nicht  Goltz  mit  der 
[auptmitteilung  beauftragt,  sondern  Alopeus  hatte  sie  direkt  in 
Berlin  zu  machen,  und  so  blieb  es  nun  bis  zum  Abschluß  des 
russisch-preußischen  Vertrages,  der  wieder  in  Petersburg  durch 
Goltz  erfolgte.  Ich  vermag  den  Grund  für  die  Änderung  in  dem 
russischen  Vorgehen  nicht  genauer  anzugeben,  glaube  aber,  daß 
Rußland  hoffte,  Preußen  durch  Alopeus  eher  zum  Sprechen 
bringen  zu  können,  besonders  da  er  mit  Schulenburg  eng  ver- 
bunden war. 

Nach  einer  kurzen  Andeutung,  die  Goltz  zu  Ohren  kam,  er- 
folgte am  4.  Mai  in  Berlin  und  in  Wien  der  Hauptschlag1).  Nicht 
ein  Office  hatte  Alopeus  zu  übergeben,  sondern  er  machte  eine 
einfache  mündliche  Mitteilung,  die  er  mit  einem  Auszuge  aus 
Ostermanns  Depesche  vom  10./21.  April  beglaubigte.  Danach 
war  das  Ziel  die  Herstellung  der  alten  republikanischen  Ge- 
sinnung. Da  die  in  Polen  herrschende  Partei  sich  gutwillig  nicht 
fügen  werde,  wie  die  letzten  Maßregeln  nur  zu  deutlich  bewiesen, 
so  würden  zur  Unterstützung  der  Konföderation  des  vernünftigen 
Teiles  des  polnischen  Volkes,  die  man  bilden  werde,  russische 
Truppen  einrücken,  die  aus  der  Türkei  kämen2).    Man  habe  auf 


1)  Berichte  9./20.,  13./24.,  10./21.  April.  Bericht  Jacobis  5.  Mai.  An 
Goltz  4.  und  13.  Mai.  An  Jacobi  6.  Mai.  Note  verbale  remise  ä  Mr.  d' Alopeus 
sans  date  ni  signature  (4.  Mai).  Die  Eröffnungen  bei  Österreich  und  Preußen 
scheinen  identisch  gewesen  zu  sein.  Geschah  das  etwa  nur  aus  Rücksicht 
auf  das  von  Preußen  so  stark  betonte  Einvernehmen  mit  Österreich? 
Für  die  erste  offizielle  Eröffnung  habe  ich  das  Gegenteil  angenommen. 
Preußen  bat  übrigens  in  Wien  lange  vergebens  um  Mitteilung  der  dort 
gemachten  russischen  Eröffnungen  (an  Jacobi  9.  und  16.  Mai.  Berichte 
Jacobis  9.,  14.,  23.  Mai.  Beer,  Leopold  II.,  Franz  II.  und  Katharina  172 
bis  174;  Martens  VI  161—162). 

2)  Bericht  20.  April/1.  Mai.  Wassiltchikow  II  1,  138—139. 
Rußland  duldete  deshalb  auch  den  Vertreter  Polens,  Herrn  von  Deboly, 
in  Petersburg,  bis  die  Aktion  durch  den  Beitritt  von  Stanislaus  zur  Kon- 
föderation ihr  vorläufiges  Ende  erreicht  hatte.  Jetzt  wurde  auch  aus  per- 
sönlichen Gründen  in  Petersburg  ein  Wechsel  gewünscht.  Am  15./26.  August 
verließ  Deboly  mit  seinem  Sekretär  diese  Stadt  (Bericht  17./28.  August 
und  Berichte  Tarrachs  aus  Warschau  1.  und  5.  September).  Bulgakow 
wurde  angewiesen,  Warschau  nur  dann  zu  verlassen,    wenn   er   dazu  ge- 


186  EL  Abschnitt 

die  österreichische  Antwort  nicht  mehr  warten  können,  wolle 
wenigstens  im  allgemeinen  über  sein  Vorgehen  unterrichten  und 
hoffe  auf  diplomatische  Unterstützung  in  Warschau,  die  zu  dem 
raschen  Erfolg  sehr  beitragen  könne.  Über  die  weiteren  Vor- 
gänge werde  es  Preußen  stets  auf  dem  laufenden  halten. 

Das  war  für  Preußen  ein  harter  Schlag.  Die  Ansicht,  an  der 
es  so  lange  festzuhalten  sich  gemüht  hatte,  Rußland  werde  in 
Polen  nicht  mit  Waffengewalt  vorgehen,  ehe  es  sich  nicht  mit 
Österreich  und  Preußen  geeinigt  habe,  war  damit  scheinbar  end- 
gültig beseitigt.    Aber  gerade  daß  Preußen  auch  jetzt  noch  die 


zwungen  werde  (Bericht  11./22.  Mai;  an  Goltz  6.  Juni),  was  dieser  zuerst 
nach  der  russischen  Erklärung  erwartete  —  mußten  ihn  doch  starke  Pa- 
trouillen vor  tätlichen  Angriffen  des  Volkes  schützen  (Bericht  Lucchesinis 
23.  Mai).  Aber  man  wagte  in  Warschau  schließlich  doch  nicht  diesen 
Schritt  zu  tun,  der  einer  offenen  Kriegserklärung  gleichgekommen  wäre, 
wie  man  überhaupt  diplomatisch  gegenüber  Rußland  möglichst  vorsichtig 
auftrat  (Bericht  Lucchesinis  30.  Mai.  An  Lucchesini  10.  Juni.  Das  zeigt 
sich  besonders  auch  in  der  polnischen  Gegenerklärung  gegen  das  russische 
Manifest,  wo  man  annahm,  daß  Katharina  ebenso  wie  ganz  Europa  von 
den  Emigranten  falsch  berichtet  worden  sei,  und  bei  einer  Richtigstellung 
ihres  Irrtums  das  umgestaltete  Polen  sofort  anerkennen  werde.  Nur  im 
entgegengesetzten  Falle  müßten  die  Polen  zur  Verteidigung  gegen  einen 
ungerechten  Angriff  zu  den  Waffen  greifen.  Vgl.  d' A  n  g  e  b  e  r  g  283 — 292 : 
Contre-declaration  de  la  Diete  Constituante  polonaise  ä  la  Declaration 
de  guerre  —  so  bezeichnete  man  das  russische  Manifest  —  de  la  Russie 
au  7./18.  Mai  et  qui  protegait  la  confederation  de  Targowice,  formee  sous 
les  auspices  de  Catherine  II,  Varsovie  1.  Juin  1792)  und  sich  mili- 
tärisch auch  absichtlich  noch  in  der  Defensive  hielt  (Berichte  Lucchesinis 
6.  Juni,  7.  Juli),  aus  der  Not  eine  Tugend  machend,  während  die  Prokla- 
mation an  das  polnische  Volk  vom  29.  Mai  mit  der  wahren  Ansicht  über  das 
russische  Vorgehen  und  noch  mehr  allerdings  über  die  polnischen  Kon- 
föderierten  nicht  mehr  hinter  dem  Berge  hielt,  da  man  auch  das  Volk  zum 
Widerstände  aufreizen  wollte  (Bericht  Lucchesinis  16.  Juni  mit  Beilage.- 
Universel  du  Roi  et  des  Etats  assembles  en  Diete  ä  la  nation  relativement 
a  l'etat  actuel  de  la  republique  in  der  Gazette  de  Varsovie  Nr.  VI.  Samedi 
16.  Juin  1792).  Rußland  suchte  das  kriegerische  Vorgehen  lediglich  als 
Folge  der  polnischen  Maßregeln  darzustellen.  Die  Truppen  hatten  Befehl 
zu  möglichst  schonendem  Vorgehen  (Bericht  21.  Mai/1.  Juni),  ja  Zusammen- 
stöße wurden  womöglich  überhaupt  in  Abrede  gestellt  (Berichte  18./29.  Mai, 
25.  Mai/5.  Juni,  18./29.  Juni,  22.  Juni/3.  Juli.~  Smitt  II  290).  Überall 
suchte  man  den  Anschein  zu  erwecken,  als  sei  von  einem  Krieg  keine  Rede, 
der  auch  formell  nicht  erklärt  worden  war  (Bericht  15./26.  Juni).  Die  Offiziere, 
die  sich  vor  dem  Feinde  auszeichneten,  erhielten  deshalb  auch  zunächst  nicht 
den  militärischen  Georgsorden,  sondern  den  Wladimirorden,  der  sonst  für 
Zivilisten  bestimmt  war  (Bericht  22.  Juni/3.  Juli),  bis  Katharina  das  schließ- 
lich doch  wohl  merkwürdig  vorkam.  Jedenfalls  ging  sie  im  Juli  davon  ab 
(Bericht  30.  Juni/10.  Juli.     Worontzow  VIII  51). 


Kriegskostenentschädigung  137 


Hoffnung  nicht  ganz  aufgab,  sondern  von  der  inzwischen  ein- 
gegangenen österreichischen  Antwort  und  der  neuen  preußischen 
Note  eine  Mäßigung  und  sogar  eine  Verzögerung  des  russischen 
Vorgehens  noch  für  möglich  halten  wollte,  bestärkt  mich  in  der 
Ansicht,  daß  Preußen  nicht  ganz  ehrlich  bei  diesen  Äußerungen 
war  und  sich  nur  hinter  diesem  Vorwande  auch  vor  seinem  eigenen 
Gesandten  verkroch,  um  nur  noch  nichts  tun  zu  müssen1). 

Denn  das  war  wieder  der  Hauptinhalt  der  preußischen  Ant- 
wort an  Alopeus  noch  vom  4.  Mai2).  Man  erwarte  weitere  Er- 
klärungen und  Forderungen  nach  Eingehen  der  österreichischen 
Antwort.  Preußen  habe  nach  den  ersten  Nachrichten  erwarten 
können,  daß  Rußland  sich  vor  der  Aktion  mit  den  deutschen 
Mächten,  besonders  mit  dem  hauptsächlich  interessierten  Preußen, 
verständigen  wolle3).  Man  hätte  dann  dem  polnischen  Reichstag 
energische  gleichlautende  Erklärungen  zustellen4)  und  die  immer 
mißliche  Anwendung  von  Gewaltmaßregeln  damit  vielleicht  ver- 
hindern können5).  Wäre  dieser  Schritt  ergebnislos  geblieben,  so 
hätte  sich  Preußen  an  den  weiteren  Maßregeln  beteiligen  können. 
Vielleicht  sei  es  aber  zu  dem  ersten  Schritt  noch  nicht  zu  spät6). 
Preußen  machte  von  dem  neuen  russischen  Vorgehen  sofort  durch 
Reuß  und  Jacobi  nach  Wien  Mitteilung  und  verharrte  in  seiner 
Passivität.  Noch  immer  wußte  es  nicht,  worauf  Rußland  hinaus- 
wollte, und  schien  von  der  früheren  Ansicht,  Rußland  wolle  eine 


1 )  Carisien  105. 

2)  Martens  VI  147;  Ssolowjoff  277—273. 

3)  In  dem  Berichte  von  Alopeus  findet  sich  sogar  eine  Bemerkung 
Schulenburgs,  man  dürfe  es  nicht  dulden,  daß  sich  die  Polen  einem  der  Nach- 
barn in  die  Arme  würfen.     Es  konnte  nur  Rußland  gemeint  sein. 

4 )  Man  fürchtete  sie  in  Warschau  ganz  besonders,  wo  die  demütigenden 
Vorgänge  des  Jahres  1772  noch  unvergessen  waren  (Bericht  Lucchesinis 
25.  April).  Aber  die  gemäßigten  Polen  hätten  sich  ihnen  leichter  unter- 
worfen, als  einer  unter  russischen  Auspizien  gebildeten  Gegenkonföderation, 
durch  die  Polen  wie  schon  früher  wieder  der  russischen  Diktatur  unter- 
worfen würde.  Sie  veranlaßte  sie,  einen  fruchtlosen  Kampf  aufzunehmen, 
den  sie  mit  Ehren  nicht  glaubten  vermeiden  zu  können  (Berichte  Lucchesinis 
16.  und  30.  Mai,  7.  und  18.  Juli). 

6)  Unter  diesen  Umständen  waren  natürlich  den  Preußen  die  ener- 
gischen, aber  zu  spät  kommenden  Beschlüsse  der  Polen,  die  nur  zum  klein- 
sten Teile  auch  ausgeführt  wurden,  sich  gegen  Rußland  zur  Wehr  zu  setzen, 
äußerst  unangenehm.  Carisien  105.  Sie  befürchteten  davon  eine 
Bestärkung  Katharinas  in  ihrem  nicht  gewollten  ( !)  kriegerischen  Vorgehen 
(an  Lucchesini  6.  Mai). 

6)  Vgl.  auch  V  i  v  e  n  o  t  II  434. 


188  H-  Abschnitt 

Teilung,  beinahe  ganz  zurückgekommen  zu  sein1).  Es  hielt  sich 
daher  alle  Wege  offen. 

Das  war  nun  aber  keineswegs  der  Sinn  der  russischen  Depesche 
gewesen.  Ostermann  meinte  wohl  auch,  eine  Einigung  der  drei 
Mächte  könne  die  Sache  noch  friedlich  beilegen;  aber  es  war 
ihm  nicht  so  wichtig,  daß  er  deswegen  die  russische  Aktion  auch 
nur  um  einen  Tag  verzögert  hätte.  Die  Mißstimmung  gegen 
Österreich  nahm  nach  der  Mitteilung  von  dessen  Depeschen  vom 
12.  April  eher  zu  als  ab.  Rußland  hoffte,  Preußen  werde  mit  ihm 
vorgehen  und  damit  Österreich  zur  Teilnahme  zwingen,  dessen 
Bündnis  mit  Rußland  ein  willkommener  Vorwand  war,  um  den 
Gedanken,  es  könne  sich  widersetzen,  ohne  weiteres  öffentlich 
abzuweisen.  Goltz  glaubte,  Anlaß  zu  der  Annahme  zu  haben, 
daß  Rußland  nach  preußischer  Zustimmung  mit  seinen  Erwerbs- 
plänen, zunächst  auf  die  Ukraine,  hervortreten  werde.  Das  ver- 
allgemeinerte Preußen  sofort  auf  Erwerbungen  aller  drei  Mächte, 
empfahl  aber  äußerste  Vorsicht2). 

Die  versprochenen  weiteren  russischen  Mitteilungen  erfolgten 
rascher  in  Berlin,  als  man  dort  erwartet  hatte.  Wieder  ging  ihnen 
eine  Ankündigung  um  einige  Tage  voraus3).  Von  neuem  konnte 
auch  Goltz  von  persönlicher  Liebenswürdigkeit  der  Kaiserin  ihm 
gegenüber  berichten,  sie  sprach  beim  letzten  Empfange  zweimal 
mit  ihm4).  Ihr  vertrauter  Berater  Besborodko  zeigte  sich  zu- 
gänglicher als  gewöhnlich;  ja  sogar  über  Friedrich  Wilhelm  sprach 
sich  Katharina  selbst  mit  bemerkenswerter  Hochachtung  aus5). 
Gleich  am  14.  Mai  informierte  Alopeus  den  preußischen  Minister, 
der  in  Sanssouci  weilte  (vgl.  unten),  von  der  Ankunft  der  De- 
peschen, und  am  15.  konnte  er  sie  ihm  mitteilen.  Es  war  vor 
allem  die  Ostermanns  vom  23.  April  bezw.  4.  Mai  mit  dem  Mani- 
feste Rußlands,  das  zwischen  dem  1.  und  10.  alten  Stils  in  Warschau 
übergeben  werden  sollte  und  den  Polen  nur  die  Wahl  Keß  zwischen 
einem  aussichtslosen  Kampfe  oder  bedingungsloser  Unterwerfung 
unter  die  russische  Diktatur6),  gleichzeitig  mit  dem  Einmarsch 

1 )  Instruktion  für  Haugwitz  vom  9.  Mai  über  Polen  in  Rep.  XI  89  c2. 

2)  Bericht  13./24.  April.    An  Goltz  9.  Mai. 

3)  Doch  war  sie  erst  zugleich  mit  der  Hauptnachricht  am  14.  in  Berlin. 
Bericht  20.  April/1.  Mai. 

*)  Bericht  23.  April/4.  Mai. 

5)  Bericht  27.  April/7.  Mai.  Wie  sie  aber  wirklich  über  ihn  dachte, 
ersieht  man  nur  zu  gut  aus  ihrer  Korrespondenz  mit  Grimm.  Vgl.  S  b  o  r  n  i  k 
XXIII  484—487,   510—511. 

6)  Bericht  Lucchesinis  19.  Mai. 


Kriegskostenentschädigung  Jg9 

ler  Truppen  in  polnisches  Gebiet1).  Alopeus  hatte  nun  um 
löglichst  rasche  Billigung  und  Unterstützung  dieses  Manifestes 
lurch  Preußen  in  Warschau  zu  bitten  und  schien  davon  eine 
jhnelle  Beendigung  des  polnischen  Widerstandes  zu  erwarten2). 
Über  die  französischen  Angelegenheiten,  hieß  es  darin  weiter, 
könne  sich  Rußland  noch  nicht  so  schnell  äußern,  aber  die  Ant- 
wort werde  ebenso  befriedigend  sein  wie  die  über  Polen3)  Nur 
für  die  Einladung  zu  dem  österreichisch-preußischen  Bunde 
dankte  es. 

Wieder  erklärte  Preußen  das  russische  Vorgehen  für  zu  stark. 
Das  Manifest  könne  es  in  Warschau  nur  unterstützen,  wenn  es 
sich  mit  Österreich  geeinigt  habe;  dazu  zwinge  es  der  zweite 
geheime  Separatartikel  seines  Bundes.  Auch  hätte  es  vor  dem 
Einmarsch  der  Truppen  von  allen  drei  Mächten  in  Polen  ergehen 
müssen4).  Preußen  verwies  daher  die  Russen  vorläufig  nur.  auf 
die  Erklärung  Lucchesinis  in  Warschau  nach  Befehlen  vom 
26.  April,  die  den  schon  oft  erwähnten  Inhalt  hatte,  und  bat  um 


1 )  Am  7./18.  Mai  abends  6  Uhr  übergab  Bulgakow  das  Manifest.  (Po- 
litisches Journal  1792  Juni  mit  der  polnischen  Antwort  vom  1.  Juni.  Berichte 
Lucchesinis  19.  und  23.  Mai.    An  Goltz  24.  Mai.) 

2)  Die  sonderbare  österreichische  Antwort  war  dabei  in  der  Depesche 
an  Alopeus  überhaupt  nicht  erwähnt  worden.  Ostermann  sagte,  sie  nehme 
am  Schluß  das  Prinzip  an,  das  sie  anfangs  ablehne  (Bericht  20.  April/1.  Mai. 
H.A.  62—63). 

3)  Das  veranlaßt«  Goltz  zu  der  Bemerkung,  Rußland  wolle  offen- 
bar die  polnische  Frage  mit  der  französischen  vereinigen  (Bericht 
20.  Apriljl.  Mai).  Am  Rande  der  Depesche  ist  dabei  mit  Rotstift  ein  „bon" 
vermerkt.  Das  gibt  zu  denken  und  ist  eins  der  ersten  Anzeichen  für  eine 
Bewegung,  die  uns  unten  zu  beschäftigen  hat.  Vorläufig  verriet  man 
freilich  an  Goltz  nichts  von  den  preußischen  Absichten,  über  die  Schulen- 
burg schon  mit  Alopeus  sprach,  sondern  stellte  sich  erstaunt.  Was  meine 
Rußland  mit  „Verbindung  dieser  beiden  Fragen"?  Goltz  solle  nur  genauer 
nachforschen.  (An  Goltz  17.  Mai  .  .  .  vous  me  dites  qu'elle  pourra  songer 
ä  les  [die  französischen  Angelegenheiten]  combiner  avec  celles  de  Pologne, 
mais  je  n'entrevois  pas  trop  la  connexion  qu'on  pretend  etablir  entre  ces 
deux  objets  et  vous  me  ferez  plaisir  d'approfondir  avec  plus  de  precision 
quels  sont  ä  cet  egard  les  vrais  principes  du  Cabinet  de  Petersbourg. 
Ssolowjoff  278. )  Daß  auch  Alopeus  sich  über  Frankreich  gänzlich 
ausschwieg,  erregte  in  Berlin  dabei  starkes  Mißtrauen.  An  Goltz  17.  Mai. 
Massenbach  I  267  und  Schulenburg  an  Braunschweig  6.  Mai.  Rep. 
XI  89  b.  ...  demembrement  .  .  .  un  tel  dessein  combine  peut  -  etre  avec 
la  tournure  ulterieure  des  affaires  de  France  presente  differentes  chances 
qui  peuvent  devenir  tre3  avantageuses  si  on  en  profite.  H.A.  62 — 63 
(falsch). 

4)  Bericht  Lucchesinis  19.  Mai.    S  m  i  1 1  II  374. 


190 


II.  Abschnitt 


weitere  russische  Eröffnungen  in  der  polnischen  Frage.  Dazu 
erhielt  Alopeus  noch  nur  mündlich  den  Bescheid,  Preußen 
wolle  es  nicht  hindern,  daß  sich  Rußland  den  alten  Einfluß  in 
Polen  sichere;  aber  auch  Preußen  und  Österreich  hätten  ein 
Recht  darauf  als  mitinteressierte  Nachbarn.  Durch  fortwähren- 
den Hinweis  auf  die  Notwendigkeit  eines  Konzerts  aller  drei  Höfe, 
wozu  der  Einmarsch  der  russischen  Truppen  in  Polen  nur  die 
Wege  ebne1),  hoffte  man  in  Preußen  zu  verhindern,  daß  sich 
Rußland  einen  gefährlichen  alleinigen  Einfluß  in  Polen  sichere. 
Es  schien  nur  bedauerlich  zu  sein,  daß  sich  Stanislaus  zu  kriege- 
rischen Maßnahmen  gegen  Rußland  hatte  fortreißen  lassen,  an- 
statt die  Intervention  von  Preußen  und  Österreich  rechtzeitig 
nachzusuchen2).  So  hoffte  man  Katharina  zufriedenzustellen, 
ohne  den  preußischen  Interessen  etwas  zu  vergeben3),  und  hielt 
sich  immer  noch  die  Möglichkeit  offen,  zwischen  Polen  und  Russen 
zu  vermitteln.  Nur  wurde  das  natürlich  vor  den  Polen  streng 
geheim  gehalten,  ihnen  jede  Hoffnung  genommen4). 

Noch  immer  war  man  nicht  ganz  sicher  darüber,  ob 
Katharina  an  eine  Teilung  denke  oder  nur  an  die  Wiederher- 
stellung der  alten  Verfassung.  Wenn  man  auch  aus  allen  mög- 
lichen Zeichen  schloß,  daß  sie  an  eine  Erwerbung,  wenigstens  der 
Ukraine,  denke5),  die,  wegen  der  neuen  russischen  Erwerbungen 
auf  Kosten  der  Türkei,  für  die  Verbindung  mit  dem  Stammlande 
sehr  erwünscht  sei6),  wie  auch  Goltz  schon  vermutet  hatte7)  und 
wie  man  durch  eine  scheinbar  ganz  harmlose  Anfrage8)  wegen 
der  preußischen  Remonten  aus  diesem  Lande  feststellen  wollte, 
so  wollte  man  direkt  doch  nichts  davon  verlauten  lassen.  In 
jedem  Falle  aber  schien  es  sicher,  daß  Preußen  und  Österreich 
zu  der  endgültigen  Regelung  der  Frage  von  Rußland  würden 
herangezogen  werden  müssen9).  Um  Rußland  allein  entgegen- 
zutreten, dazu  fühlte  sich  Preußen,  besonders  in  der  gegen- 
wärtigen Lage,  zu  schwach.  Österreich  sollte  ihm  daher  helfen. 
Es  galt,  zwischen  dem  noch  unbekannten  russischen  und  dem 

*)  An  Lucchesini  27.  Mai. 

2)  An  Lucchesini  24.  Mai. 

3)  An  Goltz  Add.  zum  17.  Mai  und  14.  Juni.    An  Jacobi  13.  Mai. 

4)  An  Lucchesini  17.  Mai. 

5)  An  Goltz  10.  Juni. 

6)  Bericht  Lucchesinis  23.  Juni. 

7)  Vgl.  oben.     Berichte  13./24.  April  und  15./26.  Juni. 

8)  An  Goltz  24.  Juni.     Berichte  15./26.  Juni  und  2./13.  Juli. 

9)  An  Lucchesini  10.  und  21.  Juni. 


Kriegskostenentschädigung  191 

5sterreichischen  Plan  den  preußischen  zur  Annahme  zu  bringen1); 
iber  Preußen  ließ  vorläufig  von  ihm  noch  nicht  mehr  verlauten, 
ils  Rußland  von  dem  seinen2).  Ein  gutes  Verhältnis  zu  Rußland 
n  d  Österreich  galt  jedenfalls  als  die  Voraussetzung  für  sein 
relingen3),  und  mehr  und  mehr  glaubte  Schulenburg,  auch  Ruß- 
md  von  der  Notwendigkeit  überzeugt  zu  haben,  Österreich  hin- 
zuzuziehen trotz  der  von  Goltz  geäußerten  Besorgnisse4).  Aber 
mehr  um  das  Einverständnis  mit  Österreich  als  um  das  mit 
Rußland  war  er  besorgt,  das  durch  die  gemeinsamen  Interessen 
und  Absichten  sich  nach  einer  vorübergehenden  Trübung  leicht 
wiederherstellen  ließ.  An  Entgegenkommen  ließ  Preußen  es  dabei 
nicht  fehlen.  Sogar  von  einer  Sendung  Bischoffwerders  nach 
Petersburg  war  die  Rede,  die  Rußland  im  Winter  vergeblich 
gewünscht  hatte  und  die  jetzt  anläßlich  des  Vertragsabschlusses 
erfolgen  konnte5).  Das  Einverständnis  mit  Österreich  aber 
suchte  Preußen  ängstlich  vor  jedem  störenden  Eingriff  zu  be- 
wahren und  rektifizierte  deshalb  sofort  die  Gesandten,  die  noch 
nicht  ganz  die  alte  Bahn  verlassen  hatten6).  Es  kann  gar  nicht 
oft  genug  hervorgehoben  werden,  daß  nicht  die  Verbindung  mit 

1)  Rep.  XI  Rußland  133  A.,  F.  S.A.  Au  Roi  16.  Mai  (auch  in  Rep.  96, 
147  G.  II)  mit  der  ersten  königlichen  Entscheidung  vom  17.  Alopeus  an 
Schulenburg  14.  Mai  mit  P.  S.  Ostermann  an  Alopeus  23.  April/4.  Mai.  An 
Goltz  17.  Mai.    Dazu  an  Lucchesini  17.  Mai  mit  Add.    An  Jacobi  18.  Mai. 

2)  Vgl.  königliche  Entscheidung  zum  Bericht  vom  16.  Mai.  J'approuve 
cette  reponse  ä  faire  au  memoire  russe  tout  ä  fait  conforme  ä  mes  vues 
dans  ce  moment-ci  (!). 

3)  Häußer  I  357—358. 

4)  Rep.  XI  89  g1  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  10.  Juli. 
Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  13.  Juli. 

6)  Vivenot  II  230;  Ssolowjoff  278.  Die  Russen  gewann 
Friedrich  Wilhelm  auch  schon  durch  sein  ablehnendes  Verhalten  gegenüber 
den  stets  erneuten  Forderungen  von  Stanislaus,  er  solle  seine  Bundespflichten 
erfüllen.  Schon  am  10.  April  hatte  Jablonowski  darum  nachgesucht,  aber 
eine  ablehnende  Antwort  erhalten,  da  die  neue  Verfassung  Preußen  nichts 
angehe  (Rep.  96,  147  G.  I,  F.  Au  Roi  10.  April  mit  königlicher  Entscheidung. 
An  Jacobi  12.  April).  Es  muß  wundernehmen,  daß  die  Polen  hier  auch  nur 
noch  die  geringste  Hoffnung  hatten,  da  Preußen  seit  dem  August  1791 
immer  schärfer  alle  polnischen  Forderungen  zurückgewiesen,  die  mit 
einer  Garantie  der  neuen  polnischen  Verfassung  etwas  zu  tun  hatten,  so 
wieder  am  26.  April  und  5.  Juni.  Rep.  96,  147  G.  I  und  II,  F.  S.A.  Au  Roi 
26.  April  mit  königlicher  Entscheidung.  S.  Au  Roi  5.  und  9.  Juni.  O  g  i  n  s  k  i 
I  175 — 177.  Dasselbe  gilt  für  die  Beziehungen  Preußens  zu  Kurland  (Rep. 
XI  89  g1  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  10.  Juli). 

6)  An  Jacobi  14.  und  16.  Mai.  Rep.  96,  147  G.  II,  F. S.A.  Au  Roi 
24.  Mai. 


192  II.  Abschnitt 

Rußland,  sondern  die  mit  Österreich  bei  den  Preußen  noch  im 
Vordergrunde  stand1).  Nach  allem  konnte  es  nicht  ihre  Ansicht 
sein,  sich  nun  dauernd  das  russische  Vorgehen  mitanzusehen, 
womit  sich  die  Österreicher  ja  begnügen  zu  wollen  schienen. 
Preußen  bat  daher  in  Wien  um  Angabe  von  Maßregeln,  die  beide 
Höfe  gemeinsam  ergreifen  könnten2). 

Das  aktive  Vorgehen  der  Russen,  über  das  aus  Warschau  wie 
aus  Petersburg  immer  bestimmtere  Nachrichten  einliefen,  schien 
aber  für  Preußen  noch  einen  anderen  Nachteil  zu  haben,  der  es 
näher  anging.  Überall  bildeten  sich  unter  dem  Einfluß  der  Targo- 
wicer  Konföderation  andere,  und  auch  dicht  an  der  preußischen 
Grenze  ging  diese  Spaltung  Polens  in  zwei  Heerlager  vor  sich3). 
Preußen  konnte  nun  mit  gutem  Grunde  versichern,  die  Ruhe 
seiner  Grenzprovinzen  sei  gefährdet,  und  es  müsse  Schutzmaß- 
regeln treffen,  um  ein  Übergreifen  des  Bürgerkrieges  auf  sein 
Gebiet  zu  verhindern.  Sonst  hätten  ja  die  Russen  bis  dahin  vor- 
rücken müssen;  das  ganze  Land  wäre  also  in  ihre  Gewalt  ge- 
kommen4). Das  galt  es  zu  verhindern  durch  aktive  Teilnahme 
Preußens,  der  man  den  Anstrich  gab,  als  sei  sie  ein  weiterer  Schritt 
zu  der  nötigen  Einigung  der  Mächte  über  die  polnischen  Ver- 
hältnisse  nach   Herstellung   der   Ordnung5).      Acht    Tage    dar- 

1)  Rep.  96,  147  G.  II,  S.  Au  Roi  30.  Juni. 

2)  An  Jacobi  19.   Mai. 

3)  Die  erste  Nachricht  davon  aus  Warschau  kam  in  einem  Bericht 
Lucchesinis  vom  16.  Mai  (praes.  22.  Mai),  wonach  in  Samogitien  eine 
Gegenrevolution  vorbereitet  werde.  Die  zweite  betraf  eine  Konföderation 
in  Großpolen  (Palatinate  Posen  und  Kaiisch)  unter  dem  Herrn  von 
Bninski  (Bericht  23.  Mai).  Mochten  die  Gerüchte  sich  auch  bald  als  über- 
trieben oder  falsch  herausstellen,  so  hatte  Preußen  doch  seinen  Vorwand. 

4)  Ein  vom  22.  Mai  datierter  Brief  im  Maiheft  des  Politischen  Journals 
weiß  zu  melden,  daß  unter  Möllendorff  eine  zweite  Armee  in  der  Bildung 
begriffen  sei,  um  nächstens  an  der  polnischen  Grenze  einen  Kordon  zu 
ziehen.  Die  Russen  würden  sicher  einrücken,  und  das  preußische  Staats- 
interesse müsse  gewahrt  werden;  aber  noch  seien  das  bloße  Vermutungen. 
Man  sieht,  Herr  v.  Schirach  hatte  gute  Quellen.  Er  erkannte  auch,  daß 
Preußen  ein  Interesse  an  der  Existenz  eines  schwachen  Polen  habe,  fügte 
aber  irrtümlich  auch  Österreich  hinzu,  von  dessen  geheim  gehaltenen 
Plänen  er  doch  nichts  wußte  (P.J.  Juni  684).  Aber  bald  wurde  es  davon 
wieder  still  (P.J.  Juli  751  ff.),  nur  Vorbereitungen  seien  im  Gange,  von 
einer  Mobilmachung  sei  noch  keine  Rede  (P.J.  August:  Berlin  18.  August). 
Das  ist  eine  Reihe,  che  durchaus  gleichen  Schritt  hält  mit  den  Absichten 
der  preußischen  Regierung. 

5)  Sowie  etwas  davon  in  Warschau  (oder  Wien,  de  Cache  sprach  davon) 
laut  wurde,  dachte  man  selbstverständlich  an  eine  neue  polnische  Teilung 
(Berichte  Lucchesinis  26.  Mai  und  9.  Juni).    Das  Gerücht  verstärkte  sich, 


Kriegskostenentschädigung  193 

auf1 )  verdichtete  sich,  diese  Bemerkung  schon  zu  dem  Vorschlage, 
einen  Grenzkordon  zu  ziehen,  und  da  die  preußische  Grenze  gar  zu 
lang  und  gewunden  sei,  müsse  man  eben  eine  kurze  Linie  durch 
das  polnische  Gebiet  ziehen2).  Beachten  wir  dabei,  daß  Preußen 
zwei  Tage  vorher  bei  Alopeus  und  durch  Goltz,  wenn  auch  nicht 
schriftlich,  gegen  den  russischen  Vorschlag  einer  uninteressierten 
Intervention  in  Frankreich  protestierte,  d.  h.  auch  den  Vorschlag, 
auf  Entschädigungen  zu  verzichten,  die  Markow  schon  mit  Recht 
anerkannt  habe3).  Verzichten  könne  Preußen  nicht,  das  habe 
es  von  Anfang  an  erklärt,  und  der  jetzige  Vorschlag  stehe  in 
merkwürdigem    Gegensatz    zu    jener    früheren    Anerkennung4). 


als  bekannt  wurde,  daß  Österreich  und  Preußen  im  Begriffe  seien,  mit 
Rußland  Allianzen  abzuschließen  (Bericht  Lucchesinis  1.  Juli),  noch  mehr, 
als  bei  der  Verteilung  der  russischen  Truppen  für  den  Winter  1792/93 
Katharina  ausdrücklich  die  Palatinate  Posen  und  Kaiisch  freiließ  (Bericht 
von  Buchholtz  10.  Oktober.  An  Buchholtz  19.  Oktober),  noch  mehr,  als 
die  Mobilmachung  von  neuen  preußischen  Regimentern  bekannt  wurde, 
denen  Preußen  öffentlich  vergebens  die  Aufgabe  zuschrieb,  nach  dem  Rhein 
gegen  Frankreich  abzurücken  (Berichte  von  Buchholtz  28.  November  und 
12.  Dezember.  An  Buchholtz  7.  Dezember).  Jetzt  stellte  Graf  Malachowski, 
der  Chreptowicz  in  der  Verwaltung  des  Departements  der  auswärtigen 
Angelegenheiten  ersetzt  hatte,  dem  preußischen  Gesandten  sogar  eine  Note 
darüber  zu  (12.  Dez.).  Antworten  mußte  Buchholtz,  um  nicht  durch  völliges 
Schweigen  das  Gerücht  gleich  zu  bestätigen.  Aber  um  seinen  König  nicht 
zu  kompromittieren,  schützte  er  absolute  Unkenntnis  vor  (Bericht  15.  Dez. 
mit  beiden  Noten.  Vgl.  auch  unten,  dazu  Christoph  Girtanner, 
Politische  Annalen  II  186 — 192).  Die  Einwohner  selbst  der  an  Österreich- 
Preußen  grenzenden  Provinzen  schienen  eine  Teilung  zu  wünschen,  um 
dem  Despotismus  der  Targowicer  Konföderation  zu  entgehen  und  endlich 
in  Ruhe  und  Frieden  zu  leben  (Berichte  Lucchesinis  11.  und  15.  August. 
Berichte  Tarrachs  18.  und  29.  August.  Bericht  von  Buchholtz  10.  Oktober). 
Auch  von  einem  österreichischen  Kordon  war  im  Juni  übrigens  in  Warschau 
nach  Briefen  aus  Galizien  die  Rede,  und  das  Gerücht  erhielt  sich  trotz 
eines  zweimaligen  Dementis  aus  Berlin,  da  Cache  es  nicht  dementierte 
(Berichte  Lucchesinis  9.,  20.  und  26.  Juni.  An  Lucchesini  21.  und  28.  Juni. 
An  Haugwitz  30.  und  31.  Mai). 

*)  Inzwischen  hatte  Katharina  den  Preußen  in  liebenswürdigster 
Form  ein  Sonderbündnis  vorgeschlagen,  da  sie  dem  österreichisch-preußi- 
schen Bunde  wegen  des  polnischen  Artikels  nicht  beitreten  könne. 

2)  An  Lucchesini  30.  Mai.    An  Goltz  2.  Juni. 

3)  Bericht  30.  April/11.  Mai.     An  Goltz  28.  Mai.    H.E.B.  239. 

4)  Vgl.  die  königliche  Entscheidung  vom  26.  Mai  zu  dem  ministeriellen 
Bericht  vom  25.  aus  Magdeburg  (Rep.  XI  Rußland  133  A)  —  ich  komme 
auf  ihn  noch  zu  sprechen:  Je  ne  puis  qu'etre  tres  satisfait  de  la  reponse 
que  vous  proposez  de  faire  aux  ouvertures  de  la  Cour  de  Russie  tant  par 
rapport  a  Palliance  proposee    que  touchant  les  affaires  de  France  dans 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution        13 


194  II.  Abschnitt 

Alopeus  beruhigte  die  Minister  sofort  hierüber,  Katharina  habe 
sich  ja  gleich  anfangs  unzweideutig  hierüber  ausgesprochen1). 
Wieder  ein  paar  Tage  später  erklärte  Preußen,  es  habe  zwar  das 
polnische  Verlangen,  die  vertragsmäßige  Hilfe  gegen  Rußland  zu 
stellen,  entschieden  abgelehnt,  aber  es  habe  sich  doch  eine  Tür 
offen  gelassen,  um  im  Falle  einer  polnischen  Bitte  um  Intervention 
ein  Konzert  der  Nachbarmächte  über  die  endgültige  Regelung 
der  polnischen  Frage  herbeizuführen2).  Das  bleibt  für  die  nächsten 
Monate  sein  Ziel,  bis  es  daran  verzweifelt,  sich  mit  Österreich 
über  die  Frage  der  Entschädigung  für  die  Kriegskosten  zu  einigen. 
So  hielten  sich  beide  Parteien  in  der  Hauptfrage  noch  respekt- 
voll zurück,  keine  wagte  geradezu  das  erste  Wort  auszusprechen. 
Jedesmal,  wenn  man  denkt,  nun  müsse  aber  die  Gewundenheit 
ein  Ende  haben,  entdeckt  der  Teil,  der  mit  der  Antwort  an  der 
Reihe  ist,  eine  neue  Möglichkeit,  dem  Gegner  die  Last  der  Eröff- 
nung zuzuschieben3).  Inzwischen  wurden  aber  von  Preußen  alle 
Vorbereitungen  getroffen,  um  gegebenenfalls  seine  Truppen  in 
Polen  einrücken  zu  lassen.  Möllendorff,  der  dem  französischen 
Kriege  auch  jetzt  noch  keinen  Geschmack  abgewinnen  konnte4) 
und  Preußens  Interesse  an  ganz  anderer  Stelle  auf  dem  Spiele 
stehen  sah,  war  dazu  ausersehen,  das  Korps  zu  kommandieren 
und  wurde  für  die  Einzelheiten  an  das  Departement  der  aus- 
wärtigen Angelegenheiten  verwiesen,  da  der  König  in  diesen 
Tagen  zur  Armee  an  den  Rhein  abreiste  und  jede  Verzögerung 
sich  gerade  in  der  polnischen  Frage  schwer  rächen  konnte5). 

Um  diese  Kordonfrage  drehen  sich  die  Verhandlungen  nun 
noch  längere  Zeit.  Ohne  ernsthaften  Grund  und  ohne  Rußlands 
Zustimmung  wagte  Friedrich  Wilhelm  nicht,  ihn  zu  ziehen6). 
Katharina  war  sich  der  Bedeutung  wohl  bewußt,  die  ihre  Zu- 
stimmung hatte.  Es  gelang  ihren  Truppen  im  ganzen  doch 
schneller,  als  man  erwartet  hatte,  das  Land  zu  unterwerfen,  ohne 
daß  man  zur  Erklärung  dieser  Tatsache  gerade  einen  —  damals 


lesquelles  la  Cour  de  Russie  semble  passer  avec  tant  de  legerete  sur  la  prise 
de  rindemnisation  que  je  ne  puis  voir  avec  indifference. 
J)  An  Goltz  28.  Mai. 

2)  An  Goltz  6.,  14.,  16.,  20.  Juni. 

3)  H  äußer  1357 — 358.     Friedrich.  Wilhelm  an  das  Kabinettsmini- 
sterium 4.  Juli  in  Rep.  XI  Rußland  133  B. 

*)  H.E.B.  284.    Vgl.  auch  S  c  h  1  i  e  f  f  e  n  II  passim. 

5)  1793  S.  1  und  18—19. 

6)  An  Lucchesini  7.  und  11.  Juni. 


Kriegskostenentschädigung 


195 


vielfach  behaupteten  —  Verrat  von  Stanislaus  annehmen  müßte1). 
Sein  schwacher  Charakter  und  die  gefährliche  Lage  reichen  völlig 
dazu  aus.  Der  Lohn  dafür  war  der  Haß  und  die  Verachtung 
seines  betrogenen  Volkes.  Mit  der  russischen  Eroberung  wurde 
das  Konzert  der  drei  Höfe  über  Polen  im  allgemeinen  und  der 
preußische  Kordon  im  besonderen  unnötig  zum  großen  Ärger  von 
Lucchesini2),  der  dem  König  zwar  auch  von  so  verzweifelten 
Mitteln  wie  dem  Kampf  gegen  die  Russen  bis  aufs  Messer 
oder  von  der  Flucht  ins  Ausland  abgeraten,  ebensowenig  aber 
den  bedingungslosen  Beitritt  zu  der  Konföderation  empfohlen 
hatte3),  durch  den  Stanislaus  tatsächlich  zu  Gunsten  des  Kon- 
föderationsmarschalls Felix  Potocki  abdankte4).  Lucchesini  hatte 
vielmehr  die  allmähliche  Annäherung  an  die  Konföderation 
geraten. 

Katharina  gab  nun  nach  einigem  Zögern  in  der  Depesche  von 
Ostermann  an  Alopeus  vom  10./21.  Juni  ihre  Zustimmung  zu 
dem  Kordon,  ja  sie  behauptete,  seine  Ausführung  werde  ihr  Ver- 
gnügen bereiten  infolge  der  dadurch  herbeigeführten  schnelleren 
Beruhigung  des  Landes5).  Aber  sie  verlangte  eine  gleichzeitige 
preußische  Erklärung,  in  der  die  von  Rußland  garantierte  Ver- 
fassung als  die  allein  wahre  anerkannt,  d.  h.  Rußlands  alleiniger 
Einfluß  in  Polen  festgestellt  wurde.  Dagegen  zu  wirken,  mußte 
Preußen  gerade  als  seine  Hauptaufgabe  betrachten6).  Wenn  man 
in  Berlin  auch  kühler  darüber  dachte  als  der  von  seinen  früheren 
Verhandlungen  mit  Polen  etwas  beeinflußte  Lucchesini,  der  die 
Verbindung  mit  einer  polnischen  Partei  in  ihrem  Werte  für 
Preußen  überschätzte,  so  wollte  man  sich  doch  auch  diesen  Weg 
offen  halten?).    Vor  allem,  auch  die  Verbindung  mit   Österreich 


1)  Berichte  Lucchesinis  18.,  21.,  28.  Juli.  An  Lucchesini  29.  Juli. 
L  e  1  e  v  e  1  155 — 159  etc.  Auf  russischer  Seite  wird  die  Besorgnis  vor  dem 
Ausgang  des  Kampfes  wieder  bloß  von  Woronzow  vertreten  (IX  239 — 241). 

2)  S  m  i  1 1  II  486—487.  Bericht  Lucchesinis  7.  Juni.  An  Lucchesini 
15.  Juli. 

3)  Berichte  Lucchesinis  18.  und  25.  Juli.  An  Lucchesini  26.  Juli  und 
2.  August.    P.A.  Au  Roi  27.  Juli  und  3.  August  in  Rep.  9— 272  I. 

4)  Berichte  Lucchesinis  11.  und  15.  August.  Bericht  von  Buchholtz 
19.  September. 

6)  Berichte  4./15.  und  8./19.,  11./22.  Juni.  Ostermann  an  Alopeus 
10./21.  Juni. 

6)  An  Goltz  1.  Juli. 

7)  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  20.  Juli.  Rep.  9 — 27 2 1. 
F.A.  Au  Roi  27.  Juli.  Rep.  XI  Rußland  133  B  und  E.  Ostermann  an 
Alopeus  10./21.  Juni,  Depesche  und  Brief. 


196  H.  Abschnitt 

zwang  jetzt  dazu,  von  einseitigen,  so  verfänglichen  Maßregeln  ab- 
zusehen. Endlich,  auch  durch  Reklamationen  der  polnischen 
Konföderierten  ließ  sich  der  Schritt  jetzt  nicht  rechtfertigen1). 
Daher  lehnte  Preußen  die  von  Katharina  zur  Sicherung  des 
preußisch-russischen  Postverkehrs  geforderte  Besetzung  des  pol- 
nischen Ortes  Polangen  ab2).  Katharina  hatte  eben  eine  unmög- 
liche Bedingung  gestellt  und  doch  scheinbar  zugestimmt3).  Da- 
mit erreichte  sie  alles.  Preußen  mußte  selbst  auf  den  Kordon 
verzichten,  obwohl  die  geplante  Beibehaltung  einer  polnischen 
Armee  mit  Hilfe  der  von  dem  neuen  Reichstage  eingeführten 
Steuern  ihm  Sorge  bereitete  und  es  nicht  aufhörte,  dagegen  bei 
Rußland  zu  protestieren  als  gegen  eine  Maßregel,  die  den  Inter- 
essen der  Nachbarhöfe  diametral  entgegengesetzt  sei4),  vor  allem, 
als  diese  Armee  nun  gerade  längs  der  preußischen  Grenze  ver- 
teilt wurde  und  Beunruhigung  in  Preußen  hervorrief5).  Da  die 
Russen  gehofft  hatten,  die  Armee  unter  ihre  Herrschaft  zu  be- 
kommen, das  aber  nicht  geglückt  und  Katharina  deshalb  sehr 
unzufrieden  war  und  äußern  ließ,  man  werde  wohl  lange  eine 
Armee  in  Polen  halten  müssen,  nahm  Preußen  auf  besondere 
Veranlassung  des  Königs  seinen  alten  Kordonplan  vorsichtig 
wieder  auf6),  um  Polen  ein  für  allemal  unfähig  zu  machen,  seinen 
Nachbarn  politisch  weiter  gefährlich  zu  werden7).  Lucchesini 
hatte  berichtet,  die  Russen  würden  in  Polen  bei  jedem  Schritt 
Widerstand  finden,  und  das  werde  Katharina  wohl  zur  Nach- 
giebigkeit in  der  Entschädigungsfrage  nach  den  preußischen  Vor- 
schlägen veranlassen8).    Nach  anderen  Nachrichten  hat  er  sogar 


x)  Rep.  96,  147  G  II,  S.A.  Au  Roi  3.  Juli. 

2)  Berichte  8./19.  und  11./22.  Juni.  An  Goltz  2.  Juli.  Worontzow 
IX  252 — 254.  Es  erging  für  den  Fall  einer  Requisition  durch  das  Postamt 
in  Memel  der  Befehl  an  das  Oberkriegskollegium  (Rep.  9 — 27.  S.A.  2.  Juli), 
den  General  von  Göcking  anzuweisen,  Polangen  mit  1  Offizier  und 
24  Husaren  zu  besetzen  zur  Wiederherstellung  und  Erhaltung  des  Posten- 
laufes. Man  wollte  sich  wegen  einer  so  kleinen  Sache  nicht  unnötig  kom- 
promittieren. 

3)  Bericht  13./24.  Juli. 

4)  An  Goltz  10.  und  13.  August  mit  P.S.  Bericht  16./27.  Juli.  Schulen- 
burg an  Haugwitz  15.  August.  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulen- 
burg 24.  August. 

5)  An  Goltz  31.  August  P.S.     Die  Russen  standen  im  Zentrum. 

6)  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  11.  und  12.  August. 
Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  19.  August. 

7)  Schulenburg  an  Haugwitz  15.   August  in  Rep.  XI  89  g1. 

8)  S  m  i  1 1  II  486 — 487.     Bericht  Lucchesinis  1.  August. 


Kriegskostenentschädigung 


197 


nicht  gezögert,  bei  den  Polen  die  Lust  zum  Widerstände  anzu- 
fachen1). 

Für  Preußen  konnte  es  natürlich  keine  schöneren  Aussichten 
geben  als  die,  daß  Katharina  Schwierigkeiten  finden  und  der 
preußischen  Hilfe  bedürfen  werde,  um  ihrer  Herr  zu  werden2). 
Schon  begannen  auch  in  erfreulicher  Weise  Grenzverletzungen 
von  Seiten  der  Polen  einzutreten3).  Preußen  wies  seinen  Gesandten 
Buchholtz  an,  nicht  etwa  Gegenmaßregeln  zur  Verhinderung 
solcher  Vorfälle  zu  ergreifen.  Nur  bei  Rußland  wollte  es  vor- 
stellig werden,  natürlich  sehr  vorsichtig,  daß  es  nicht  den  Russen, 
sondern  den  Preußen  zukomme,  in  den  zwischen  Preußen  und 
Schlesien  gelegenen  polnischen  Landesteilen  die  Ruhe  aufrecht- 
zuerhalten4). Zu  diesem  Zweck  schlug  es  vor,  längs  seiner  Grenze 
durch  seine  Truppen  allen  Ruhestörungen  entgegenzutreten5). 
Schon  im  Juli  hatte  es  sich  über  den  militärischen  und  politischen 
Zustand  von  Polen  durch  die  geheime  Entsendung  von  General- 
stabsoffizieren dahin  genauer  unterrichtet;  jetzt  wiederholte  sich 
dasselbe  Spiel.  Beide  Male  lauteten  die  Berichte  für  die  preußische 
Besetzung  sehr  günstig6).  Aber  noch  fehlte  die  Hauptsache,  die 
Zustimmung  Rußlands.  Zwar  behielt  sich  das  Kabinettsmini- 
sterium nach  Friedrich  Wilhelms  Befehlen  bei  polnischen  Pro- 
vokationen ihre  sofortige  Abwehr  vor7),  doch  erfolgte  nichts 
Besonderes,  was  eine  so  einschneidende  Maßregel  zur  Not  hätte 
rechtfertigen  können.  Wohl  aber  reizten  die  Polen  Katharina 
durch  einen  nur  allzu  begreiflichen  Widerstand  gegenüber  Forde- 
rungen der  russischen  Truppen,  durch  Versuche  der  Konföde- 
ration, sich  von  dem  russischen  Joche  etwas  zu  befreien,  wobei 
sie  ganz  von  selbst  auf  die  Reformversuche  des  vergangenen 
Jahres  zurückgriff,  ohne  aber  —  ebenso  natürlich  —  irgendwelche 
Fortschritte  dabei  zu  machen,  durch  Pamphlete,  durch  Demon- 
strationen auf  dem  Theater,  durch  gesellschaftliche  Kaltstellung 


1 )  H.E.B.  273—274  und  O  g  i  n  s  k  i  I  172  ff. ;  doch  kommt  hier  sicher 
die  preußische  Regierung,  wahrscheinlich  auch  Lucchesini,  zu  schlecht  weg. 

2)  An  Lucchesini  10.  August. 

3)  An  Tarrach  P.S.  zum  30.  August,  31.  August. 

4)  An  Buchholtz  4.,   6.,    11.,   21.   Oktober.    Berichte   vom   13.   und 
27.  Oktober. 

5)  An  Goltz  3.   September. 

6)  Vgl.  Rep.  9 — 272  Korrespondenz  mit  Möllendorff. 

7)  ib.  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  13.  September 
etc.,  dazu  an  Lucchesini  8.  Juli;  an  Goltz  1.  Oktober. 


198  H.  Abschnitt 

der  Russenfreunde,  die  man  angeblich  nicht  „riechen"  konnte1), 
durch  laute,  unkluge  Sympathiekundgebungen  der  Anhänger  der 
Verfassung  vom  3.  Mai  für  die  Franzosen,  von  deren  Fortschritten 
sie  eine  günstige  Rückwirkung  auf  die  eigenen  Zustände  er- 
warteten, besonders  als  dann  die  Sendung  einer  Deputation  der 
Konföderation  nach  Petersburg  so  ganz  ergebnislos  blieb,  ja  die 
Mitglieder  der  Konföderation  zu  glühendem  Haß  gegen  Katharina 
entflammte2),  so  daß  der  Zustand  von  Tag  zu  Tag  unhaltbarer 
wurde.  Der  russische  General  en  chef  Kachowski,  der  von  Katha- 
rina in  dieser  Zeit  mehr  hörte  als  Bulgakow,  ließ  sich  die  Be- 
merkung entschlüpfen,  dem  werde  man  nur  durch  eine  neue 
Teilung  abhelfen  können3).  Doch  für  jetzt  mußte  Preußen  noch 
warten,  noch  war  die  Entschädigungsfrage  nicht  einmal  mit 
Österreich  geregelt,  und  jenes  drängte  deshalb  von  neuem  auf 
die  Abschaffung  der  polnischen  Steuern,  um  auf  diese  Weise  die 
lästige  polnische  Armee  aus  der  Welt  zu  schaffen4). 

Jene  Entschädigungsfrage  wurde  nun  in  diesen  Monaten  für 
Preußen  brennend.  Während  Rußland  sich  mit  dem  Zustand 
einer  Besetzung  Polens  durch  seine  Truppen  ruhig  noch  länger 
hätte  abfinden  können  und  deshalb  mit  dem  Verhalten  Preußens 
recht  zufrieden  war5),  mußte  Preußen  sich  erst  in  den  Besitz 
seines  Anteils  setzen,  um  des  Anrechts  daran  nicht  verlustig  zu 
gehen.  So  wurde  Preußen  hierin  doch  gezwungen,  das  erste  Wort 
zu  sprechen  und  seinem  Partner  die  Möglichkeit  zu  überlassen, 
seine  Zustimmung  zu  den  preußischen  Wünschen  als  Konzession 
auszubeuten.  Aber  bis  in  den  September,  ja  teilweise  sogar  in 
den  Dezember,  dauert  dieser  unentschiedene  Zustand  des  Hin- 
und  Herlavierens.  Ich  gebe  den  Versuch  auf,  alle  Phasen  dieses 
Geplänkels  hier  wiederzugeben,  die  für  uns  auch  keine  Bedeutung 
haben.  Nur  einen  Versuch  Preußens,  die  Hilfe  Österreichs  für 
die  Durchführung  des  Kordons  zu  gewinnen,  muß  ich  noch  an- 
führen, da  ihm  oft  eine  andere  Erklärung  gegeben  worden  ist. 
Man  hat  dabei  eben  nur  das  Ergebnis,  nicht  aber  die  eigentliche 
preußische  Absicht  berücksichtigt. 

1 )  0  g  i  n  s  k  i  I  234—235. 

a)  An  Buchholtz  28.  Dezember.  Berichte  von  Goltz  19./30.  November 
und  5./16.  Dezember. 

3)  Berichte  von  Buchholtz  7.,  10.,  17.,  21.,  24.,  28.  November,  8.  und 
22.  Dezember.    An  Buchholtz  25.  und  30.  November. 

*)  An  Goltz  24.  September. 

5)  Berichte  21.  Mai/1.  Juni  und  1./12.  Juni  —  es  war  ja  die  gewünschte 
schweigende  Billigung  des  russischen  Vorgehens,  eher  noch  mehr. 


Kriegskostenentschädigung 


199 


C.  Wir  erinnern  uns  der  Depeschen  an  Ludwig  Cobenzl  vom 
12.  April,  in  denen  zwar  der  österreichische  Plan  nochmals  emp- 
fohlen worden  war,  aber  schon  ohne  rechte  Kraft  und  Hoffnung 
auf  Erfolg,  da  die  französische  Frage  ihre  Lösung  jetzt  nur  noch 
auf  kriegerischem  Wege  finden  zu  können  schien.  Kaunitz  hatte 
bloß  noch  die  Absicht,  Katharinas  Vorgehen  gegen  die  Polen 
möglichst  zu  verzögern  und  zu  mildern,  gleichzeitig  zu  verhindern, 
daß  sich  Rußland  wieder  den  alleinigen  Einfluß  in  Polen  sicherte, 
vermittels  der  Einigung  der  drei  Nachbarmächte  über  Polens 
Schicksal1).  Die  russische  Aktion  drohte  dem  ein  rasches  Ende 
zu  machen.  Was  lag  nun  näher,  als  Preußen  zu  gewinnen,  das 
zwar  den  eigentlichen  österreichischen  Plan  auch  abgelehnt  hatte, 
sonst  aber  mit  Österreich  vielfach  die  gleichen  Interessen  in 
Polen  zu  haben  behauptete,  und  gemeinsame  Vorstellungen  bei 
Katharina  zu  dem  angegebenen  Zwecke  zu  wagen?  Außerdem 
mußte  auf  die  weiteren  rassischen  Mitteilungen  doch  irgendeine 
Antwort  gegeben  werden.  Gleich  bei  dem  Eintreffen  der  zweiten 
Nachricht  aus  Rußland  schrieb  er  daher  am  4.  Mai  an  Philipp 
Cobenzl,  man  müsse  sich  in  das  Unabänderliche  fügen,  aber 
Katharina  dazu  bringen,  mit  Österreich  und  Preußen  eine  Kon- 
vention zu  schließen2),  in  der  sie  sich  verpflichte,  nur  gemeinsam 
mit  ihnen  vorzugehen,  was  dann  natürlich  auch  für  die  anderen 
Höfe  gelten  würde3).  So  ließ  er  auch  Spielmann  sich  gegen  Jacobi 
äußern,  obwohl  der  Staatsreferendar  deutlich  genug  seine  eigene 
Ansicht  zu  verstehen  gab,  daß  er  nichts  tun,  sondern  alles  ab- 
warten wolle4).  Am  16.  Mai  schlug  Kaunitz  offiziell  Jacobi  jene 
Konvention  vor5).  Praktisch  sollte  sie  in  der  Art  werden,  daß 
nicht  etwa  auch  Österreich  und  Preußen  ihrerseits  Truppen  in 
Polen  einrücken  ließen;  es  reichte  ja  aus,  wenn  Rußland  es  tat 
und  sich  dadurch  allen  Haß  zuzog.  Nur  durch  gemeinsame  Er- 
klärungen der  drei  Mächte  sollte  sie  in  Erscheinung  treten.  Ruß- 
land sollte  nun  die  Häupter  der  antikonstitutionellen  Partei  ver- 
anlassen, bei  Österreich  und  Preußen  dasselbe  Verlangen  zu 
zeigen,  wie  sie  es  bei  Rußland  bereits  getan  hatten,  nämlich  eine 
Verfassung  unter  dem  Schutze  aller  drei  Mächte  zu  bilden. 
So  war  also  der  Hauptgedanke  von  Kaunitz  das  Konzert  zu 


M  Vi  veno  t  I  311,  312,  313,  314;  II  471,  473,  474. 

2)  Häußerl  356;  S  y  b  e  1  II  212—213. 

3)  Schütter  59. 

4)  Bericht  5.  Mai. 

5)  Bericht  Jacobis  16.  Mai.     Vi  veno  t  II  432  und  450. 


200  H.  Abschnitt 

dreien,  dessen  diplomatische  Maßregeln  durch  Rußland  in  die 
Tat  umgesetzt  werden  sollten,  und  die  Herstellung  eines  Zustandes, 
bei  dem  Rußland  nicht  den  ausschließlichen  Einfluß  erhielt1). 
Aber  den  territorialen  Status  quo  wollte  er  beibehalten,  und  es 
hieße  ihn  völlig  mißverstehen,  wenn  man  ihm  Teilungsabsichten 
zuschreiben  wollte. 

Preußen  aber  hatte  ganz  andere  Absichten.  Auf  Deklarationen 
ohne  dahinterstehende  Kraft  gab  es  nichts.  Wie  konnte  es  außer- 
dem mit  Rußland  eine  gleiche  Erklärung  abgeben,  das  seinen 
Standpunkt  eben  klar  entwickelt  hatte,  ohne  die  deutschen 
Mächte  vorher  zu  fragen,  und  in  einer  Weise,  die  ihnen  den  Bei- 
tritt unmöglich  machte2)?  Nicht  eine  Einigung  zwischen  Öster- 
reich und  Preußen  mit  Rußland,  sondern  eine  solche  gegen 
Rußland  sah  es  vor.  Es  macht  hierfür  nichts  aus,  daß  dieser 
Gegensatz  nach  außen  möglichst  wenig  hervortreten  sollte3). 
Wenn  auch  Jacobi  zunächst  nur  von  einer  Deklaration  an  Ruß- 
land reden  wollte,  so  ging  das  preußische  Ministerium  doch  viel 
weiter  und  dachte,  wie  ich  schon  hervorgehoben  habe,  daran, 
einen  Kordon  durch  Polen  zu  ziehen,  in  engster  Verbindung  mit 
seinen  Entschädigungsplänen.  Von  diesen  wußten  aber  weder 
Jacobi  noch  Haugwitz  so  genau,  nur  spät  und  leise  klingt  in  den 
ministeriellen  Erlassen  diese  Saite  an.  Sie  hielten  sich  an  ihre 
Instruktionen  und  nahmen  daher  die  diplomatische  Aktion  auf, 
in  dem  Gedanken,  sie  eventuell  auch  tatkräftig  zu  unterstützen, 
ja  sie  gaben  ihr  ganz  gegen  die  Absicht  des  Ministeriums4)  den 
entscheidenden  Anstoß.  Besonders  der  eben,  am  22.  abends, 
angekommene  Haugwitz5),  der  Jacobi  ablösen  sollte,  entwickelte 
in  diesem  Punkte  einen  manchmal  recht  unbequemen  Feuereifer. 
Er  ließ  sich  durch  die  große  Liebenswürdigkeit  bestechen,  mit 
der  die  Österreicher  ihm  entgegenkamen6),  und  von  der  Meinung 
beeinflussen,  Österreich  mache  über  Polen  selbst  keine  Vorschläge 
mehr,  sondern  schließe  sich  nur  dem  preußischen  Vorgehen  an; 


x)  Berichte  Jacobis  16.  und  19.  Mai. 

2)  An  Jacobi  21.  und  24.  Mai.  Katharina  hatte  ihr  Vorgehen  auf  die 
alten  Verträge  zwischen  Rußland  und  Polen  begründet. 

3)  Rep.  96,  147  G  II,  S.  Au  Roi  30.  Juni  1792. 

4)  Rep.  I  170.    An  Haugwitz  31.  Mai.    An  Jacobi  3.  Juni. 

5)  Berichte  von  Jacobi  und  Haugwitz  vom  23.  Mai. 

6)  Haugwitz'  Bericht  28.  Mai:  Kaunitz  sagt:  Votre  Roi  gagne  de 
jour  en  jour  dans  mon  affection  pour  lui  et  je  puis  dire  que  c'est  un  homme 
secundum  cor  meum  .  .  .  quand  un  homme  comme  moi,  de  mon  experience 
et  surtout  de  ma  perspicacite( !)  prononce,  tout  homme  doit  en  etre  tres  flatte. 


Kriegskostenentschädigung  201 

Preußen  müsse  es  also  antreiben1).  Gestützt  auf  eine  besondere 
Instruktion  über  die  polnische  Frage,  die  er  sich  in  Berlin  kurz 
vor  seiner  Abreise  am  9.  Mai  ausgewirkt  hatte,  die  er  aber  in 
einem  Hauptpunkt  nicht  beachtete,  nämlich  immer  das  russische 
Vorgehen  abzuwarten  und  äußerst  vorsichtig  zu  sein2),  schlug  er 
mit  Jacobi  am  28.  Mai  nachmittags  bei  Spielmann  eine  Dekla- 
ration Österreichs  und  Preußens  in  Petersburg  vor,  die  Jacobi 
aufgesetzt  hatte3),  um  Rußland  zu  Konzessionen  zu  veranlassen. 
Es  scheint  mir  zwar  nicht  so  sicher  aus  dem  Wortlaute  des  preußi- 
schen Entwurfes,  der  ein  ganz  Teil  schärfer  ist  als  der  öster- 
reichische, als  vielmehr  aus  den  Depeschen  von  Haugwitz  her- 
vorzugehen, daß  er  und  Jacobi  auch  nicht  davor  zurückgeschreckt 
wären,  ihren  Forderungen  durch  eine  militärische  Demonstration 
gegenüber  Russen  und  Polen  Nachdruck  zu  verleihen4),  so  daß 
sie  schließlich  auf  Ähnliches  hinausgekommen  wären  wie  das 
Kabinettsministerium,  nur  daß  dies  gleich  damit  beginnen  wollte. 
Damit  hatte  nun  Haugwitz  bei  Spielmann  absolut  kein  Glück 
—  natürlich.  Dieser  lehnte  jeden  derartigen  Schritt  ab,  da  er 
bei  Katharinas  festem  Entschluß  nichts  nütze,  ja  vielmehr  schade, 
indem  er  sie  nur  gegen  die  Mächte  aufbringe,  und  diese  seien  doch 
wohl  nicht  geneigt,  zur  Durchführung  ihrer  Ansichten  Heere  in 
Polen  einrücken  zu  lassen,  wo  die  Rüstungen  gegen  Frankreich 
schon  so  viel  Geld  kosteten5).  Nur  die  Rücksicht  auf  Kaunitz 
preßte  ihm  schließlich  das  Geständnis  ab,  der  preußische  Vor- 
schlag bewege  sich  ganz  auf  der  von  Kaunitz  vorgezeichneten 
Linie6),  und  das  veranlaßte  wieder  Haugwitz,  in  Spielmann  einen 
Beförderer  dieses  Planes  zu  sehen?).  Um  so  besser  ging  es  gleich 
bei  Kaunitz.  Er  fand  in  dem  preußischen  Vorschlag  seine  alte 
Idee  in  veränderter  Form  wieder,  näherte  sie  seinem  eigenen  Plan 
wieder  an  und  empfahl  sie  dem  Kaiser  oder  richtiger  dem  Könige 
zur  Genehmigung.  Spielmanns  Einwände  gegen  die  Ausführbar- 
keit seien  durch  die  Tatsachen  widerlegt  und  rührten  nur  daher, 
daß  nicht  er,  sondern  Kaunitz  auf  diesen  Gedanken  gekommen 


1)  Haugwitz'  Bericht  6.  Juni. 

2)  Rep.  XI  89  c2.     Nur  in  Kopie;  an  der  Echtheit  ist  kein  Zweifel. 
Vgl.  oben. 

3)  Ein    längerer,    aber    wesentlich    inhaltlich    gleicher    Entwurf    von 
preußischer  Seite  befindet  sich  in  Rep.  XI  Rußland  133  A. 

4)  Berichte  Haugwitz'  2.  und  15.  Juni.     An  Haugwitz  7.  Juni. 

5)  Bericht  Jacobis  26.  Mai. 

6)  Berichte  Jacobis  28.  und  29.  Mai.    VivenotII451. 

7)  Haugwitz'  Bericht  2.  Juni. 


202  n-  Abschnitt 

sei1).  Er  hoffte,  hier  einen  selten  günstigen  Schlag  zu  führen,  und 
trieb  daher  zur  raschen  Genehmigung2).  Immer  beobachten  wir  die 
gleiche  Erscheinung,  daß  er  durch  diplomatische  Künste,  durch  No- 
ten und  durch  Drohungen  allein  womöglich  sein  Ziel  erreichen 
will,  ohne  die  ernstliche  Absicht,  ihnen  die  Tat  folgen  zu  lassen. 
So  schnell,  wie  er  und  Haugwitz  wollten,  ging  es  nun  aber 
doch  nicht.  Die  Reise  von  Franz  zur  Krönung  nach  Ofen  ver- 
zögerte die  Bestätigung  um  einige  Tage.  Sie  erfolgte  am  9.  Juni, 
obwohl  die  wahren  Absichten  von  Franz  schon  nach  ganz  anderer 
Richtung  hingingen3).  Da  gegenüber  dem  preußischen  Entwurf 
doch  von  den  Österreichern  so  starke  Änderungen  gemacht 
worden  waren,  daß  Kaunitz  nicht  sicher  war,  ob  Preußen  sie  in 
dieser  Form  annehmen  werde4),  konnte  die  Deklaration  aber 
auch  nach  der  Ansicht  von  Franz  kaum  etwas  schaden.  Zwar 
war  in  dem  zur  Annahme  gelangten  österreichischen  Entwurf  an 
den  Hauptforderungen  nichts  geändert  worden.  Aber  den  An- 
fang, der  den  Unwillen  beider  Mächte  über  das  isolierte  Vorgehen 
Katharinas  gegen  ihre  Versprechungen  ziemlich  stark  ausdrückte, 
ließ  Kaunitz  weg  und  stellte  an  seine  Stelle  einige  Sätze,  die  an 
Entgegenkommen  wirklich  nichts  zu  wünschen  übrig  ließen. 
Den  Entwurf  zu  einer  Konvention  nahm  er  schließlich  auch 
gleich  in  den  Text  auf5),  um  Rußland  möglichst  die  Hände  zu 
binden6).  Als  Konzession  Österreichs  für  den  Fall,  daß  Katharina 
die  beiden  Forderungen  genehmigte,  bot  er  eine  österreichische 
Erklärung  an,  die  der  russischen  beitreten  sollte,  soweit  sie  sich 
auf  die  Grundsätze  der  polnischen  Regierung  bezog.  Und  während 
der  preußische  Entwurf  am  Schluß  klipp  und  klar  den  Polen  mit 

1)  Vivenot  II  453. 

2)  Haugwitz'  Bericht  2.  Juni:  .  .  .  si  on  venait  ä  bout  d'obtenir  ce 
qu'on  s'etait  propose  par  cette  declaration,  ce  serait  un  de  ces  coups  de 
politique  comme  ils  s'en  fönt  peu. 

3)  Philipp  Cobenzl  bemerkte  kurz  darauf,  sie  sei  zwar  vor  der  Einigung 
mit  Preußen  über  den  Tausch  entstanden,  lasse  sich  aber  ganz  gut  mit  den 
Vorbereitungen  dazu  vereinigen  (Vivenot  II  486).  Ebenso  meinte 
Schulenburg,  Katharina  erhalte  nun  eine  neue  Veranlassung,  sich  über 
ihre  polnischen  Pläne  näher  auszusprechen  (Rep.  96,  147  G  II,  S.  Au  Roi 
30.  Mai).     Nur  schade,  sie  tat  es  nicht. 

4)  Haugwitz'  Bericht  11.  Juni.  Haugwitz  selbst  hatte  seinem  Könige 
Änderung  der  Ausdrücke  vorbehalten  (Bericht  2.  Juni)  und  spielt  das 
gegenüber  dem  Kabinettsministerium  als  besondere  diplomatische  Ge- 
schicklichkeit aus  —  man  merkt  den  Anfänger! 

B)  Vivenot  II  465  und  468;   Schütter  61—62. 
6)  Vivenot  II  475  und  482;  Schütter  62. 


Kriegskostenentschädigung 


203 


einer  Exekution  gedroht  hatte,  setzte  Kaunitz  an  diese  Stelle, 
ohne  viel  zu  ändern,  die  diplomatische  Pression.  So  glaubte  er 
sein  Ziel  zu  erreichen,  Rußland  nicht  zu  reizen,  ihm  die  Aktion 
zu  überlassen  und  doch  seinen  ausschließlichen  Einfluß  in  Polen 
nicht  zur  Herrschaft  kommen  zu  lassen.  Am  21.  Juni  ging  dieser 
österreichische  Entwurf  nach  Berlin  ab.  Wurde  er  hier  genehmigt, 
so  konnten  die  beiden  Gesandten  in  Petersburg  die  Deklaration 
übergeben.  • 

Was  sollte  man  nun  in  Berlin  tun?  Ganz  ohne  preußische 
Mitwirkung  war  der  Plan  nicht  ausgeheckt  worden,  aber  man 
hatte  ihm  in  Wien  die  preußischen  Spitzen  genommen  und  ver- 
sucht, ihn  den  österreichischen  Interessen  dienstbar  zu  machen. 
In  Berlin  hatte  man  in  dieser  Zeit  gerade  an  so  einen  diplomatischen 
Schritt  nicht  gedacht,  vielmehr  weitere  Schritte  Rußlands  und 
Polens  abwarten  wollen1).  Man  stimmte  darin  ganz  mit  Spiel- 
mann überein,  daß  ein  solcher  Schritt  Katharina  nur  nutzlos 
reizen  könne2).  Nur  an  eventuelle  militärische  Vorkehrungen, 
die  angeblich  die  Sicherung  der  preußischen  Grenze  erforderten, 
dachte  Preußen.  Tatsächlich  sollten  sie  sich  gegen  ein  allzu  weites 
russisches  Vorgehen  richten  und  ihm  seine  Kostenentschädigung, 
unabhängig  vom  Ausgang  des  Krieges,  gegen  die  Revolution 
sichern3).  Denn  wie  in  diesen  Tagen  Schulenburg  Alopeus  gegen- 
über andeutete,  auch  das  Entgegenkommen  Preußens  für  Ruß- 
land habe  seine  Grenzen.  Seinem  Könige  begründete  er  das 
damit,  daß  man  in  der  augenblicklichen  Lage  eben,  soweit  es 
gehe,  Rücksicht  auf  Rußland  nehmen  müsse4).  Preußen  beharrte 
auch  nach  dem  Sonderbündnis  mit  Rußland  noch  eine  Zeidang 
auf  dem  Standpunkt,  über  Polen  müßten  sich  die  drei  Mächte 
verständigen,  und  sicherte  in  einem  Vertragsartikel  daher  Öster- 
reich den  entsprechenden  Einfluß,  ohne  daß  dies  die  gleiche  Auf- 
merksamkeit für  Preußen  gehabt  hätte5). 

*)  An  Haugwitz  31.  Mai. 

2)  An  Jacobi  3.  Juni,  an  Haugwitz  7.  und  18.  Juni. 

3)  Das  geht  deutlich  aus  der  erwähnten  Instruktion  für  Haugwitz 
hervor  (Rep.  XI  89  c2). 

4)  Rep.  96,  147  G  II,  S.  Au  Roi  30.  Juni.  Je  n'ai  pas  manque  de  glisser 
cette  derniere  Observation  (daß  Rußland  sich  nicht  die  ausschließliche 
Macht  in  Polen  sichern  dürfe)  au  Sieur  Alopeus  afin  qu'on  ne  se  meprenne 
pas  ä  Petersbourg  sur  les  sentiments  de  Votre  Majeste  et  la  condescen- 
dance  qu'Elle  temoigne  dans  ce  moment  ä  l'Imperatrice,  condescendance 
necessaire  dans  le  moment  present,  mais  qui  doit  avoir  ses  bornes,  si  le 
Cabinet  de  Petersbourg  ne  chariait  pas  droit. 

5)  Rep.  96,  147  G  II,  S.A.  Au  Roi  3.  Juli.    F.A.  Au  Roi  16.  Juli. 


204 


II.  Abschnitt 


Der  Entwurf  von  Jacobi-Haugwitz  hatte  also  in  Berlin  wegen 
seiner  scharfen  antirussischen  Sprache  sehr  unangenehm  be- 
rührt. Bei  der  Ausführung  ihres  Planes  hätte  Preußen  den 
Erfolg  seines  bisherigen  Entgegenkommens  gegen  Rußland  völlig 
in  Frage  gestellt  und  seinen  eigenen  Erklärungen  nach  Petersburg 
arg  widersprochen.  Da  es  aber  glaubte,  Franz  habe  seine  Ge- 
nehmigung schon  erteilt,  so  wollte  es  wohl  oder  übel  in  der  Haupt- 
sache zustimmen  und  nur  die  Form  mildern.  Das  stellte  sich  dann 
als  irrig  heraus,  und  nun  wollte  es  am  liebsten  die  ganze  Sache 
noch  zu  Fall  bringen  mit  allen  Mitteln,  die  überhaupt  verfügbar 
waren1).  Ja,  Schulenburg  behauptete  jetzt  sogar,  die  preußischen 
Gesandten  seien  ohne  Instruktion  vorgegangen;  aber  sein  Zusatz, 
das  Prinzip  daran  sei  richtig,  läßt  erkennen,  daß  er  nur  die  Form, 
nicht  aber  das  Vorgehen  selbst  mißbilligte2).  Aber  es  war  zu 
spät.  Haugwitz  hatte  nach  dem  ersten  Befehl  vom  3.  Juni,  den 
er  gleichzeitig  mit  der  Billigung  von  Franz  erhielt,  bereits  zu- 
gestimmt, nur  eine  Abänderung  der  Ausdrücke  seinem  Hofe  vor- 
behalten. Das  erwies  sich  als  unnötig,  da  Österreich  selbst  eine 
möglichst  milde  Form  gewählt  hatte.  Ablehnen  wollte  Preußen 
jetzt  die  ganze  Deklaration  schon  deshalb  nicht,  um  dem  Ge- 
rüchte, Preußen  stehe  mit  Rußland  über  eine  neue  Teilung  Polens 
in  geheimer  Verhandlung,  nicht  neue  Nahrung  zuzuführen3). 
Es  ließ  jetzt  geflissentlich  den  österreichischen  Plan  unverändert4), 
um  nicht  durch  Abänderungen  die  Verantwortung  für  seine 
Redaktion  mit  zu  übernehmen. 

Am  27.  Juni  wurde  also  nach  Eintreffen  der  königlichen  Ge- 
nehmigung der  Befehl  an  Goltz  in  Petersburg  aufgesetzt,  die 
Deklaration  zu  übergeben,  aber  Ludwig  Cobenzl  durchaus  voran- 
gehen und  damit  die  österreichische  Initiative  möglichst  deutlich 
hervortreten  zu  lassen5),  während  Kaunitz  wieder  Preußen  dafür 
verantwortlich  machen  wollte6).  Der  Erfolg  eines  solchen  Vor- 
gehens war  denn  auch  gleich  Null.  Goltz  und  Cobenzl  wußten 
zuerst  gar  nicht  recht,  was  es  mit  der  Konvention  auf  sich  haben 
solle.  Sie  überreichten  am  12.  Juli,  auch  hier  im  unklaren,  auf 
Cobenzls  Wunsch,  der  nicht  hinter  Goltz  stehen  wollte,  aber  auf 


i)  Vivenot  II  461.     An  Haugwitz  7.  Juni. 

2)  Vivenot  II  461. 

3)  Bericht  Haugwitz'   11.  Juni.     An  Haugwitz  16.  Juni. 
*)  An  Haugwitz  18.  Juni.     An  Goltz  27.  Juni. 

8)  An  Haugwitz  20.  Juni. 

6)  Vivenot  II  468  und  473.     Bericht  Haugwitz'  15.  Juni. 


Kriegskostenentschädigung 


205 


Goltzens  Vorschlag1)  nur  ein  von  beiden  unterzeichnetes  Schrift- 
stück2). Besborodko  nahm  es  an  Stelle  des  verreisten  Oster- 
mann entgegen,  und  damit  war  es  in  den  Akten  begraben.  Die 
Minister  wollten  für  sich  nicht  recht  die  Notwendigkeit  einer  be- 
sonderen Konvention  nach  den  Verträgen  einsehen,  bezogen  sich 
aber  auf  die  noch  nicht  erfolgte  und  wohl  auch  nicht  so  bald  er- 
folgende Entscheidung  Katharinas.  Erst  am  20./31.  Juli  meldete 
Goltz,  der  nachgiebige  Ostermann  habe  eine  baldige  Antwort 
Rußlands  auf  die  Deklaration  versprochen,  und  zwar  an  jeden 
eine  besondere.  Das  veranlaßte  eine  erstaunte  preußische  Rück- 
frage und  die  Bemerkung,  sie  würden  aber  doch  identisch  sein3). 
Es  dauerte  auch  jetzt  noch  einige  Zeit,  ehe  sie  erfolgte,  so  daß 
Goltz  mit  seinem  Mißtrauen  recht  behielt4).  Mit  Worten  konnten 
die  Mächte  natürlich  bei  Katharina  nichts  ausrichten,  und  zu 
Taten  wollte  es  nicht  einmal  Kaunitz  kommen  lassen,  der  als 
einziger  ganz  hinter  dem  Plane  stand.  Sie  hüllte  sich  einfach 
wieder  einige  Wochen  in  Schweigen,  und  so  fiel  die  geplante 
Konvention  völlig  zu  Boden.  Die  Antwortnoten  Rußlands  an 
Österreich  und  Preußen  vom  14./25.  August  waren  durchaus 
bedeutungslos  und  sollten  nur  der  Form  genügen.  Natürlich 
war  darin  der  Gedanke,  Rußland  wolle  sich  den  ausschließlichen 
Einfluß  in  Polen  sichern,  von  der  Hand  gewiesen,  aber  auch  die 
Hauptforderungen  der  Mächte :  Rußland,  Österreich  und  Preußen 
sollten  eine  Konvention  schließen  und  die  Konföderierten  sollten 
Österreich  und  Preußen  um  ihre  Mitwirkung  bitten,  wurden  ab- 
gelehnt, da  nach  den  Verträgen  eine  besondere  Konvention  über- 
flüssig sei  und  die  Konföderation  sich  noch  nicht  vollzählig  ver- 
sammelt, ja  noch  nicht  einmal  einen  festen  Sitz  habe.  Erst  dann 
sei  der  gewünschte  Schritt  möglich,  und  Katharina  werde  auf 
ihn  hinwirken.  Zum  Schluß  fügte  sie  ihre  alte  Forderung  hinzu, 
die  Mächte  sollten  ihren  Beitritt  zu  den  russischen  Grundsätzen 
erklären,  dadurch  würden  sie  die  Pazifikation  Polens  beschleunigen 
—  natürlich  ohne  Erfolg.  Den  Mächten  blieb  nichts  anderes  übrig, 


1 )  Rep.  I  171  und  Rep.  XI  89  g2.  Ludwig  Cobenzl  an  Kaunitz 
21.  Juli. 

2)  Goltz  war  über  das  Vorangehen  der  Österreicher,  das  er  noch 
geflissentlich  betonte,  sehr  erfreut,  da  die  Russen  nun  den  Österreichern 
die  Schuld  daran  in  die  Schuhe  schieben  würden  (Berichte  30.  Juni/10.  Juli, 
2./13.,  6./17.,  9./20.  Juli). 

3)  An  Goltz  16.  August. 

4)  Berichte  30.  Juli/10.  August  und  6./17.  August. 


206  II.  Abschnitt 

als  sich  mit  der  Antwort  zufrieden  zu  geben1).  Auf  diesem  Wege 
kamen  sie  der  gewünschten  Regelung  der  polnischen  Verhältnisse 
in  ihrem  Sinne  nicht  einen  Schritt  näher. 

D.  Wenden  wir  uns  jetzt  einer  bedeutenderen  Frage  zu,  der 
des  Bündnisses  zwischen  Rußland  und  Preußen.  Zwar,  verglichen 
mit  dem  Berliner  Vertrage  zwischen  den  deutschen  Mächten  tritt 
seine  Bedeutung  ganz  in  den  Hintergrund,  aber  als  Vorstufe  zu 
der  zweiten  Teilung  Polens  ist  es  doch  wichtig  genug,  um  uns 
hier   seine  Entstehung  und  seinen  Wert  zu  vergegenwärtigen. 

Österreich  und  Preußen  hatten  am  12.  bezw.  16.  April  auch 
Rußland  eingeladen,  ihrem  Bunde  beizutreten2).  Dies  lehnte 
schon  Anfang  Mai  den  einfachen  Beitritt  ab3),  da  der  erste  geheime 
Separatartikel  seinen  Verpflichtungen  Polen  gegenüber  wider- 
spreche. Denn  darin  sei  von  der  Infantin  die  Rede,  d.  h.  der 
Tochter  des  sächsischen  Kurfürsten,  die  nach  seinem  Tode  den 
polnischen  Thron  erben  sollte,  und  das  setze  wieder  die  Aner- 
kennung der  neuen  Verfassung  voraus.  Nun  bestand  aber  zwischen 
Österreich  und  Rußland  schon  ein  Bündnis4).  Katharina  konnte 
also  in  ihrem  Briefe  an  Friedrich  Wilhelm  vom  3./14.  Mai5)  den 
Abschluß  eines  Sonderbündnisses  mit  Preußen  vorschlagen6),  um 
scheinbar  zu  demselben  Endziel  zu  kommen,  ohne  Österreich 
zu  verletzen,  und  sich  doch  Preußen  zu  nähern,  woran  ihm  am 
meisten  lag.  Aber  man  muß  doch  sagen,  daß  in  der  Depesche 
Ostermanns  an  Rasumowski  der  Hohn  aus  jeder  Zeile  spricht, 
in  der  von  dem  Bündnis  die  Rede  ist.  Die  Österreicher  merkten 
auch  gleich  die  Tücke  —  das  war  nach  den  Vorgängen  vom 
Februar  an  nicht  schwer.  Sie  machten  jedoch  gute  Miene  zum 
bösen  Spiel7)  und  suchten  es,  so  gut  es  gehen  wollte,  unschädlich 
zu  machen.  Jetzt  kam  ihnen  ihre  Zurückhaltung  gegenüber  den 
Polen  selbst  zu  gute8).     Schon  am  1.  Juni  erhielt  de  Cache  in 


1 )  Bericht  17./28.  August  mit  der  russischen  Note  vom  14./25.  August. 
Finckenstein  und  Alvensleben  an  Buchholtz  14.  September  (quoiqu'un  peu 
vague  est  pourtant  tres  polie  et  assez  satisfaisante).     Vivenot  II  559. 

2)  Beer  168—171;  Vivenot  I  311.  Rep.  XI  Rußland  133  A. 
An  Goltz  17.  April,  Friedrich  Wilhelm  an  Katharina  15.  April. 

3)  H.A.  64;  H.E.B.  234—235;  Beer  175—176.  Vgl.  auch  Clap- 
h  a  m  216. 

4)  Das  von  1781  war  1789  auf  acht  Jahre  erneuert  worden. 

5)  Rep.  XI  Rußland  133  A.   M  a  r  t  e  n  s  II  197. 

6)  S  o  r  e  1 II  464  gibt  ihm  ein  ganz  sonderbares  Ziel.   Vgl.  auch  II  497. 

7)  Bericht  von  Goltz  11./22.  Mai. 

8)  S  s  o  1  o  w  j  o  f  f  293—294;  Vivenot  II  460. 


Kriegskostenentschäxiigung  207 


reichisches  Einschreiten  zu  Gunsten  der  neuen  Verfassung  offiziell 
als  unbegründet  zu  bezeichnen,  und  wenige  Tage  darauf  gab 
Kaunitz  nach  Petersburg  entsprechende  Befehle.  Aber  freilich, 
die  diplomatischen  Formen  erwiesen  sich  als  durchaus  unzu- 
reichend. 

Österreich  schlug  jetzt  nämlich  auf  Anregung  Rasumowskis1) 
die  vorzeitige  Erneuerung  seines  Sonderbündnisses  mit  Rußland 
vor2).  Die  Russen  wunderten  sich  über  dies  seltsame  Begehren, 
aber  sie  gingen  ruhig  darauf  ein.  Schaden  konnte  es  sicher  nichts, 
vielleicht  noch  Österreich  in  der  polnischen  Frage  gefügiger 
machen3).  Da  so  von  beiden  Seiten  kein  Hinderungsgrund  vor- 
lag, vielmehr  Österreich  raschen  Abschluß  vor  der  Kaiserkrönung 
von  Franz  wünschte,  um  nicht  den  alten  Streit  über  den  Vor- 
rang des  Kaisers  vor  Katharina  zu  erneuern,  der  den  Abschluß 
eines  formellen  Vertrages  unter  Joseph  unmöglich  gemacht  hätte4), 
kam  das  Bündnis,  von  Ludwig  Cobenzl  eifrigst  betrieben5), 
rascher  zum  Abschluß  als  das  mit  Preußen.  Am  3./14.  Juli  war 
es  fertig6)  und  kennzeichnet  sich  gerade  durch  die  Geschwindig- 
keit seines  Abschlusses  gelegentlich  einer  Landpartie  von  Cobenzl 
mit  Besborodko7)  als  völlig  bedeutungslos,  mochte  auch  seitdem 
Cobenzl  im  engsten  Einvernehmen  mit  den  Russen  zu  stehen 
scheinen8).    Es  genügt  ja,  auf  die  Tatsache  hinzuweisen,  daß  die 


x)  Vi  venot  II471;  WassiltchikowII  1,  137—138.  Bericht 
Haugwitz'  14.  Juni. 

2)  Martens  II  197—198. 
3)HäußerI  396. 

4)  Vivenot  II  457  und  474;  Martens  II  198. 

5)  Bericht  30.  Juni/10.  Juli. 

6)  Smitt  (II  460-^62)  und  Sybel  (III  166)  bezeichnen  es  als 
fast  gleichlautend  mit  dem  preußisch-russischen.  Da  beide  Verträge  nach 
den  alten  der  betreffenden  Mächte  aufgesetzt  sind,  so  sind  sie  mit  diesen 
zu  vergleichen,  der  österreichische  mit  dem  von  1781  (Martens  II 
107—110;  Arneth,  Joseph  II.  und  Katharina  [Wien  1869]  72—90). 
Smitt  hat  nur  ihn  im  Auge. 

7)  Berichte  2./13.  und  6./17.  Juli.  Ostermann  unterzeichnete  es  dabei 
auf  seinem  Landgute. 

8)  Markow  erbot  sich  übrigens,  das  preußische  Bündnis  auf  den 
3./14.  Juli  zurückzudatieren.  Goltz  lehnte  das  dankend  als  zwecklos  ab.  — 
Der  Separatartikel  des  russisch-österreichischen  Vertrages  garantierte 
gerade  die  Integrität  Polens  (Martens  II  211).  Als  die  Preußen  das 
hörten,  waren  sie  zwar  etwas  verdutzt,  meinten  aber,  eine  solche  Verein- 
barung könne  leicht  durch  eine  andere  ersetzt  werden.  Rep.  96,  147  G  III, 
F. S.A.  Au  Roi  4.  November  1792. 


208  II-  Abschnitt 

zweite  Teilung  Polens  unter  dem  Ausschluß  von  Österreich  vor 
sich  gegangen  ist. 

So  glatt  ging  es  mit  Preußen  nicht.  Auch  dies  erkannte, 
daß  der  Abschluß  bei  den  Österreichern  Eifersucht  erregen  könne. 
Um  dem  vorzubeugen,  bat  es  Katharina,  den  Vertragsentwurf 
in  Petersburg  aufsetzen  zu  lassen.  Das  konnte  gleichzeitig  als 
Gefälligkeit  gegen  Katharina  erscheinen1)  wie  als  Zeichen  seiner 
Bundestreue  für  Österreich.  Aber  es  zog  doch  vor,  die  Depesche 
von  Ostermann  an  Alopeus  ebenso  wie  den  Brief  Katharinas  an 
Friedrich  Wilhelm  für  sich  zu  behalten;  sie  klangen  gar  zu  ent- 
gegenkommend2), und  ihre  Mitteilung  hätte  in  Wien  gerade  das 
Ergebnis  gehabt,  das  man  verhindern  wollte;  sie  hätte  notwendig 
die  Eifersucht  Österreichs  gesteigert.  Goltz  erhielt  daher  auch 
den  Auftrag,  an  Cobenzl  nur  die  anderen  Schriftstücke  mitzu- 
teilen3). Diese  Verhandlungen  sollten  Preußen  auch  weitere 
Aufklärung  über  Katharinas  Absichten  in  Polen  verschaffen4). 
Es  hoffte,  sie  noch  vor  der  Konferenz  mit  den  Österreichern  zu 


1)  An  Goltz  10.  Juni.    Bericht  1./12.  Juni. 

2)  In  der  Depesche  hieß  es:  qu'Elle  (Katharina)  prefere  encore  cette 
marche  parce  qu'elle  earacterise  encore  plus  parfaitement  le  retour  reci- 
proque  aux  anciennes  idees  qu'on  avait  sur  l'utilite  des  liaisons  entre  les 
deux  monarchies  et  qu'en  les  renouvelant  presentemen*  il  sera  plus  facile 
aux  deux  Cours  d'en  determiner  les  principes  et  les  bases  de  la  maniere 
la  plus  rapprochee  de  leurs  interets  permanents.  Les  traites  precedents 
qui  ont  subsiste  entre  elles  pourraient  servir  de  modele  ä  celui  dont  il  s'agit 
en  y  admettant  les  modifications  qu'exige  l'etat  actuel  des  choses  et  des 
affaires  .  .  .  Dagegen  nun  die  Depesche  an  Rasumowski:  S.  M.  proposera 
ä  ce  dernier  monarque  (Friedrich  Wilhelm)  de  vouloir  bien  contracter 
avec  Elle  des  liens  directs  et  separes,  qui  fondes  sur  les  memes  principes 
que  ceux,  qui  ont  servi  de  base  au  traite  de  Berlin  nouvellement  conclu, 
fussent  adaptes  encore  aux  interets  et  ä  la  convenance  propre  de  Leurs 
monarchies  respectives.  Damit  werde  der  Zweck  erfüllt  und  doch  das  Hin- 
dernis vermieden  .  .  par  consequent  S.  M.  J.  espere  que  le  Roi  Apostolique 
Son  Allie  n'y  trouvera  rien  qui  ne  lui  serve  de  nouvelle  preuve  de  l'intcntion 
constante  que  l'Imperatrice  nourrit  de  cultiver  et  de  resserrer  de  plus  en 
plus  les  noeuds  de  Palliance  et  de  l'intime  union  qui  les  attachent  Tun 
ä  l'autre.  Hier  ist  natürlich  von  dem  alten  russisch-preußischen  Bündnis 
nicht  die  Rede  und  nur  die  Übereinstimmung  mit  den  Grundsätzen 
des  Berliner  Vertrages  betont. 

3)  Rep.  XI  Rußland  133  A.  Ostermann  an  Rasumowski  4./15.  Mai, 
an  Alopeus  4./15.  Mai.  F.  S.A.  Au  Roi  25.  Mai  mit  königlicher  Entscheidung 
vom  26.  Mai.  An  Goltz  28.  Mai  mit  P.S.  Reponse  verbale  ä  Mr.  d' Alopeus. 
Ohne  rubrum  noch  datum.    Dazu  an  Jacobi  27.  Mai. 

4)  An  Goltz  14.  Juni.  Bericht  1./12.  Juni.  Rep.  96,  147  G  II,  S.  Au 
Roi  30.  Juni. 


Kriegskostenentschäd  ig  ung  209 

srhalten.  Da  es  dabei  noch  mehr  als  sonst  vertraulich  mit  Alopeus 
zu  tun  haben  werde,  so  bat  es  wiederholt  um  seine  formelle  Be- 
glaubigung1). Katharina  könne  ihn  sonst  auch  leicht  desavouieren, 
nachdem  sie  den  Preußen  ihre  Geheimnisse  entlockt  habe,  und 
sie  mit  deren  Veröffentlichung  kompromittieren.  Aber  erst  nach 
lern  Abschluß  des  Vertrages  erfolgte  sie2).  Nun  endlich  konnte 
Alopeus  der  Armee  mit  den  anderen  Diplomaten  folgen3).  Preußen 
ergriff  diese  Gelegenheit,  um  —  ein  ganz  ungewöhnlicher  Vor- 
gang —  den  Russen  für  dies  Vertrauen  zu  danken  und  dabei 
gleichzeitig  von  neuem  um  eine  deutliche  Antwort  in  der  pol- 
nischen Frage  zu  bitten4).  Für  den  Vertrag  selbst  kam  also  diese 
Willfährigkeit  der  Russen  zu  spät.  Wir  sahen,  daß  Preußen  den 
Russen  die  Aufsetzung  des  Entwurfes  zu  ihrer  großen  Freude 
zugeschoben  hatte.  Markow  fertigte  ihn  an5),  und  am  3.  Juli 
konnte  Alopeus  ihn  in  Berlin  überreichen  mit  verschiedenen  dies- 
bezüglichen Depeschen  von  Ostermann  an  ihn6).  Gleichzeitig 
ließ  Rußland  um  rasche  Erledigung  der  Sache  bitten.  Ostermann 
ging  inzwischen  auf  etwa  zehn  Tage  auf  Urlaub  auf  sein  Landgut. 
Damit  ging  er  zugleich  den  lästigen  Fragen  der  Deutschen  über 
Polen  und  Frankreich  aus  dem  Wege7). 

Die  Preußen  wollten  an  einer  Verzögerung  nicht  schuld  sein8). 
Goltz  erhielt  noch  einen  besonderen  Kurier  zur  Verfügung  ge- 
stellt, um  den  Vertrag  sofort  übersenden  zu  können9).  Sie  hatten 
auch  nur  wenige  Änderungen  daran  vorzunehmen.  Sie  scheuten 
sich  nicht,  sie  namhaft  zu  machen,  da  Ostermann  ihnen  aus- 


1 )  An  Goltz  5.  Mai  und  14.  Juni.  Bericht  18./29.  Juni.  Ranke 
291  und  Rep.  XI  89  g1.  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg 
27.  Juli. 

2)  Rep.  XI  Rußland  133  B.  Ostermann  an  Alopeus  30.  Juli/10.  Au- 
gust. 

3)  Rep.  XI  89  k.  Alopeus  an  Schulenburg  31.  Juli.  Schulenburg  an 
Alopeus   1.   August. 

*)  Rep.  XI  89  k.  Schulenburg  an  Goltz  9.  September.  Rep.  XI 
89  i.  Schulenburg  an  Friedrich  Wilhelm  9.  September.  In  der  Regel 
blieben  Beglaubigungsbriefe  unbeantwortet. 

B)  Bericht  4./15.  Juni. 

6)  Rep.  XI  Rußland  133  B,  C,  E.  Ostermann  an  Alopeus  10./21.  Juni 
(drei  Stücke).  S.A.  Au  Roi  2.  und  4.  Juli  mit  königlichen  Entscheidungen 
(vgl.  auch  Rep.  96,  147  G  II).  Instruktion  für  Goltz  vom  4.  Juli.  An  Goltz 
9.  Juli.     Bericht  4./15.  Juni. 

7)  Bericht  25.  Juni/6.  Juli. 

8)  An  Goltz  2.,  4.  und  9.  Juli. 

9)  An  Goltz  9.  Juli  RS.  II. 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Kevolution        14 


210  IL  Abschnitt 

drücklich,  ich  möchte  beinahe  sagen,  die  Erlaubnis  dazu  ge- 
geben hatte1).  «v, i*?J 

Der  eigentliche  Vertragskörper  blieb  ganz  unberührt.  Er  war 
von  den  Küssen  nach  dem  Vertrage  vom  12.  Oktober  1769  ent- 
worfen worden  unter  Ausmerzung  der  unnötigen  oder  auf  die 
jetzige  Lage  nicht  mehr  anwendbaren  Artikel2).  Nur  die  ge- 
heimen bezw.  Separatartikel  machten  Schwierigkeiten3),  be- 
sonders natürlich  der  zweite  über  Polen,  in  dessen  Fassung  sich 
die  russische  und  die  preußische  Auffassung  der  polnischen  Frage 
widerspiegelten4).  Es  entschlüpfte  den  preußischen  Ministern 
schon  der  Ausdruck,  die  polnische  Frage  sei  jetzt  für  die  beiden 
Höfe  die  wichtigste.  Die  Entschädigungsfrage  war  ja  mit  ihr 
verbunden;  sie  wurde  beharrlich  als  der  Hauptgegenstand  der 
preußischen  Politik  bezeichnet,  so  daß  diese  auf  den  ersten  Blick 
scheinbar  nur  auf  Rußland  berechnete  Fassung  ihre  volle  Be- 
rechtigung erhält5)  —  merkwürdig  deshalb,  weil  noch  zwei  Monate 
vorher  Schulenburg  ausdrücklich  die  französische  Unternehmung 
in  den  Vordergrund  gestellt  hatte6). 

Rußland  wollte  jetzt  Preußen  zur  völligen  Verleugnung  des 
Werkes  vom  3.  Mai  1791  und  zu  einer  Sondereinigung  mit  ihm 
über  die  Wiederherstellung  der  alten  Verfassung  bringen,  wie 
ihm  das  so  mit  Österreich  glückte.  Preußen  widersetzte  sich 
aber  dem  ersten  teilweise,  dem  zweiten  ganz.  Denn  für  eine  reine 
Wiederherstellung  der  alten  Verfassung  wollte  es  sich  nicht  ver- 
pflichten; etwas  Gutes  könne  man  ja  beibehalten.  Ein  so 
kompetenter  Beurteiler  der  Lage,  wie  Lucchesini  es  war,  hatte 
die  Verfassung  von  1775  als  diejenige  bezeichnet,  welche  der 
absoluten  russischen  Herrschaft   in  Polen   am  günstigsten  sei, 

*)  Rep.96,  147  G II,  S.A.  Au  Roi  3.  Juli.  Rep.  XI  89  g1.  Finckenstein 
und  Alvensleben  an  Schulenburg  10.  Juli  (zweimal). 

2)  Bericht  11./22.  Juli.    Rep.  96,  147  G  II,  S.A.  Au  Roi  3.  Juli. 

3)  Die  russische  Garantie  von  Ansbach  -  Bayreuth  fiel  weg,  ebenso 
die  preußische  Garantie  der  schwedischen  Verfassung.  Goltz  schlug  nun 
vor,  als  Gegenleistung  für  das  erste  die  Garantie  Holsteins  auszumerzen 
oder  von  Rußland  ein  Äquivalent  zu  fordern.  Das  Kabinettsministerium 
tat  das  letztere  mit  der  Einfügung  eines  Artikels  über  Kurland  (Bericht 
11./22.  Juni.  An  Goltz  1.  und  9.  Juli.  S.A.  Au  Roi  3.  Juli  in  Rep.  96,  147 
G  II). 

4)  Beide  Entwürfe  sind  gedruckt  in  S  m  i  1 1  II  zu  462,  die  endgültige 
Fassung  siehe  bei  M  a  r  t  e  n  s  VI  154  ff. 

5)  An  Goltz  4.  Juli. 

6)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  37.  Schulenburg  an  Lucchesini 
11.  Mai. 


Kriegskostenentschädigung 


211 


gegen  deren  Wiederherstellung  sich  also  Preußen  kräftig  wehren 
müsse1).  Preußen  wollte  sich  dadurch  die  Möglichkeit  offen 
halten,  mit  der  bestehenden  Regierung  zu  unterhandeln,  die  man 
nun  als  die  einzig  rechtmäßige  anerkannt  hatte,  und  es  ver- 
meiden, sich  mit  der  unter  rein  russischem  Einfluß  stehenden 
Targowicer  Konföderation  einzulassen2).  Der  Beitritt  von  Stanis- 
laus  zu  ihr  machte  diese  Unterscheidung  dann  unnötig  und  über- 
flüssig, drohte  aber  auch,  den  russischen  Wunsch  nach  ausschließ- 
licher Herrschaft  zu  erfüllen.  Preußen  hatte  nun  eben  seinen 
Gesandten  zu  dem  bevorstehenden  Kongreß  über  Frankreichs 
Schicksal  unter  dem  Vorwande  einer  Badereise  ins  Lager  schicken 
müssen3).  Um  den  russischen  Intriguen  entgegenzuarbeiten  und 
den  Polen  die  —  richtige  —  Ansicht  zu  rauben,  daß  sie  von 
Preußen  verlassen  seien4),  hielt  es  die  beschleunigte  Absendung 
eines  neuen  Gesandten  für  nötig5).  Es  wollte  dementsprechend 
auch  nur  „annähernd"  die  alte  Verfassung  wiederherstellen6),  es 
verlangte  ferner  die  Zuziehung  Österreichs  zu  den  Polen  betreffen- 
den Verhandlungen  auf  Grund  seines  Vertrages7).  So  wollte  es 
dauernd  einen  europäischen  Areopag  für  Polen  einrichten,  wie 


1)  Bericht  Lucchesinis  4.  April  1792. 

2)  Smitt  II  479;   S solo wj off  291. 

3)  Vgl.  unten.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12.  Friedrich  Wilhelm 
an  Lucchesini  29.  Juli. 

4)  Rep.  92.  Lucchesinis  Nachlaß  20:  Lucchesini  an  seine  Frau  23.  Au- 
gast. Finckenstein  und  Alvensleben  an  Tarrach  18.  August.  Während 
der  Abwesenheit  von  Lucchesini  und  Buchholtz  führte  der  Legationssekretär 
v.  Tarrach,  Lucchesinis  Schwager,  die  Geschäfte.  Die  Instruktion  für  ihn 
von  Lucchesinis  Hand  in  wahrhaft  väterlichem  Tone  ist  sehr  interessant, 
aber  bedeutungslos  (Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  III). 

6)  Rep.  96,  147  G  II,  FA.  Au  Roi  4.  und  12.  August.  S.  Au  Roi  IL, 
18.  August.  —  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  4.,  12., 
19.,  27.,  29.  August.  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben 
11.  und  22.  August  in  Rep.  XI  89  g1. 

6)  So  hatte  es  Goltz  vorgeschlagen,  und  das  Kabinettsministerium  gab 
das  weiter  (Bericht  11./22.  Juni.    Rep.  96,  147  G  II,  S.A.  Au  Roi  3.  Juli). 

7)  König  und  Minister  waren  durchaus  einig  in  der  Betonung  der 
Notwendigkeit  einer  engen  Verbindung  mit  Österreich.  (Rep.  96,  147  G  II 
Und  Rep.  XI  Rußland  133  B,  S.A.  Au  Roi  3.  Juli  mit  königlicher  Entschei- 
dung vom  4.  Juli.  F.A.  Au  Roi  16.  Juli.  An  Goltz  9.  und  15.  Juli.  Bericht 
15. /26.  Juni.  Rep.  XI  89  g1.  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulen- 
burg 10.  Juli.  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  13.  Juli. 
Rep.  XI  89  b  Schulenburg  an  Braunschweig  4.  Juli.)  Einmischungsgelüste 
der  Engländer  wurden  sofort  abgelehnt  (Rep.  XI  89  g1  Schulenburg  an 
Finckenstein  und  Alvensleben  16.  Juli.  Finckenstein  und  Alvensleben 
an  Schulenburg  23.  Juli.     S  a  1  o  m  o  n,      Pitt  I,  2,  569). 


212  IL  Abschnitt 

es  gar  nicht  in  Katharinas  Absicht  liegen  konnte.  Endlich  wollte 
es  die  lästige  Thronfolgerrage  gleich  durch  die  Bestimmung  einge- 
schränkt wissen,  daß  kein  Mitglied  der  regierenden  Häuser  gewählt 
werden  dürfe,  man  die  Wahl  zu  Gunsten  eines  anderen  Fürsten 
überhaupt  nicht  beeinflussen  wolle  oder,  wenn  Eußland  selbst 
es  vorschlage,  daß  nur  ein  Piast  zur  Herrschaft  kommen  dürfe. 
Da  Stanislaus  alt  und  gerade  jetzt  krank  war,  so  konnte  dieser 
Artikel  bald  praktische  Bedeutung  erlangen1).  Aus  Gefälligkeit 
für  Rußland  fügte  Preußen  endlich  einen  dritten  geheimen 
Separatartikel  bei,  um  Katharina  dadurch  zu  bestimmen,  nun 
auch  in  der  kurländischen  Frage  nachzugeben,  wo  Friedrich 
Wilhelm  persönlich  interessiert  war.  Hier  wollte  er  womöglich 
die  Erhaltung  der  bestehenden  Verfassung  garantiert  haben2), 
aber  ohne  daraus  eine  Kapitalfrage  zu  machen3).  Goltz,  der  in 
diesem  Punkte  voller  Hoffnung  war,  sollte  deshalb  zwar  möglichst 
viel  herauszuschlagen  suchen,  erhielt  aber  Vollmacht,  bei  russi- 
schem Widerstände  den  Artikel  nötigenfalls  auch  ganz  fallen  zu 
lassen4). 

In  der  polnischen  Frage  dagegen  bestand  Preußen  auf  seinen 
Vorschlägen  und  wollte  sich  bei  russischer  Ablehnung  über 
eventuelle  andere  erst  mit  Österreich  einigen.  Daraus  hätten 
sich  also  recht  langwierige  Verhandlungen  ergeben  können. 
Konnte  Rußland  nicht  auch  bei  der  preußischen  Fassung  seine 
Hauptabsicht  erreichen?  Preußen  hatte  jedenfalls  seine  Meinung 
deutlich  genug  ausgesprochen  und  bevollmächtigte  Goltz  darauf- 
hin am  5.  Juli  zum  Abschluß5).  Es  wartete  nun  von  einem  Tag 
zum  anderen  auf  eine  klare  russische  Antwort,  die  dem  Zustande 


x)  Berichte  Tarrachs  29.  August  und  8.  September.  An  Buchholtz 
7.  und.  17.  September.  An  Goltz  7.  und  16.  September.  Berichte  von  Goltz 
21.  September/2.  Oktober,  28.  September/9.  Oktober. 

2)  Sybel  III  166  bezeichnet  diesen  vierten  Artikel  irrig  als  von 
Rußland  vorgeschlagen. 

3)  Rep.  XI  89  g1.  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg 
10.  Juli  1792. 

4)  Bericht  25.  Juni/6.  Juli.  An  Goltz  22.  Juli.  Rep.  96,  147  G  II, 
F.A.  Au  Roi  16.  Juli.  Den  Abschluß  des  Vertrages  hielt  Preußen 
durch  alle  diese  Fragen  für  durchaus  nicht  gefährdet. 

5)  Rep.  XI  Rußland  133  C.  Die  genaue  Instruktion  ist  erst  vom 
9.  datiert  (F.A.  Au  Roi  9.  Juli).  Am  10.  ging  sie  nach  der  Unterzeichnung 
durch  den  König  sofort  mit  Kurier  nach  Petersburg.  (Rep.  XI  89  g1 
Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  10.  Juli.  Schulenburg  an 
Finckenstein  und  Alvensleben  13.  Juli.) 


Kriegskostenentschädigung 


213 


des  Abwartens  ein  Ende  machen  sollte1),  sowohl  über  die  öster- 
reichisch-preußische Deklaration  wie  den  Vertrag,  wie  das  manch- 
mal recht  zweideutige  Vorgehen  Rußlands  in  Polen2),  wie  endlich 
auch  über  die  Entschädigungsfrage,  deren  verschiedene  Möglich- 
keiten Schulenburg  mündlich  mit  Alopeus  nach  der  russischen 
Aufforderung  deutlicher  als  bisher  zu  erörtern  unternommen 
hatte.  Es  war  die  Hauptfrage.  War  Preußen  auch  sicher  darüber, 
daß  es  Rußland  mit  der  Defensivallianz  ehrlich  meine,  so  doch 
keineswegs  darüber,  daß  es  nun  auch  die  Beteiligung  von  Öster- 
reich-Preußen an  der  Regelung  der  polnischen  wünsche,  d.  h.  ob 
es  auf  eine  Teilung  eingehen  werde3),  ob  es  überhaupt  eine  solche 
beabsichtige.  Noch  waren  seine  Pläne  auf  die  Ukraine  nur  eine 
preußische  Hypothese4).  Aus  Österreich  kamen  ihm  bald  darauf 
Äußerungen  zu  Ohren,  die  geeignet  waren,  den  preußischen  Hoff- 
nungen einen  starken  Dämpfer  aufzusetzen.  An  russischer  Doppel- 
züngigkeit konnte  niemand  mehr  zweifeln.  Es  fragte  sich  bloß 
noch,  wer  der  Betrogene  war,  Preußen  oder  Österreich5).  Die 
russische  Antwort  auf  die  ersten  beiden  Fragen  sollte  den  Preußen 
nun  die  Wege  ebnen  helfen  für  eine  befriedigende  Regelung  der 
dritten.  Sie  hätte  es  übrigens  auch  im  Vertrauen  auf  Rußland 
geheim  mit  ihm  allein  provisorisch  geregelt,  ehe  es  offiziell  mit 
Österreich  gemeinsame  Erklärungen  darüber  machte6).  Man 
sieht,  wie  ängstlich  Preußen  einer  Ablehnung  seiner  Forderung 
durch  Rußland  gegenüberstand  und  wie  wenig  geklärt  ihm  die 

1)  Rep.  96,  147  G  II,  F.A.  Au  Roi  16.  Juli.  Rep.  9— 272  Rapport  I, 
P.A.  Au  Roi  20.  Juli  und  3.  August.  An  Goltz  22.  Juli,  5.  August,  3.,  12. 
und  20.  August.  Rep.  XI  89  g1  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvens- 
leben  10.  und  20.  August. 

2)  An  Goltz  2.  und  5.  August. 

3)  Rep.  XI  89  g1.  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben 
26.  Juli,  2.  und  10.  August.  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulen- 
burg 12.,  16.  und  21.  August.  Schulenburg  an  Haugwitz  30.  Juli  und 
2.  September.    Schulenburg  ad  contras.  an  Haugwitz  2.  September. 

4 )  Preußen  bemühte  sich  beinahe,  den  Russen  ihr  Interesse  daran 
und  die  preußische  Nachgiebigkeit  in  diesem  Punkte  klar  zu  machen. 
Rep.  XI  89  i  an  Reuß  15.  August.  Königliche  Entscheidung  zum  Bericht 
von  Schulenburg  an  Friedrich  Wilhelm  vom  14.  August.  Rep.  XI  89  g1 
Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  14.  August. 

5)  Rep.  XI  89  g1  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben 
14.  August,  16.  August,  Auszug  aus:  L.  Cobenzl  an  Kaunitz  21.  Juli  1792; 
S.  Au  Roi  14.  August;  Schulenburg  an  Haugwitz  15.  August;  Finckenstein 
und  Alvensleben  an  Schulenburg  24.  August;  Schulenburg  an  Finckenstein 
und  Alvensleben  2.  September. 

6)  An  Goltz  9.  Juli  P.S. 


214  IL  Abschnitt 

Lage  damals  erschien.  Bei  dem  kleinsten  Anzeichen  einer  anderen 
russischen  Gesinnung  fürchtete  es  für  alles,  d.  h.  für  seinen 
schönen  Entschädigungsplan,  so  z.  B.  als  ihm  die  Übersetzung 
des  Manifestes  der  Targowicer  Konföderation  vom  14.  Mai1) 
bekannt  wurde,  in  dem  feierlich  jeder  Gedanke  an  eine  polnische 
Teilung  abgeschworen  wurde2),  oder  als  es  aus  Warschau  davon 
hörte,  Katharina  habe  Stanislaus  vor  die  Alternative  gestellt: 
entweder  Beitritt  zur  Konföderation  oder  Teilung3). 

Die  preußische  Antwort  wurde  in  Petersburg  sehr  günstig 
aufgenommen.  Gegen  Änderungen  hatte-  man  absolut  nichts. 
Der  gesprächige,  aber  doppelzüngige  Markow  meinte  aber  zu 
Goltz,  am  besten  sei  die  direkte  Festsetzung,  daß  nur  ein  Piast 
gewählt  werden  könne,  da  Rußland  nicht  geradezu  darauf  ver- 
zichten wollte,  einen  Prinzen  seines  Herrscherhauses  dort  auf 
den  Thron  zu  setzen.  So  wurde  es  auch  festgesetzt,  Goltz  war  ja 
dazu  ermächtigt4).  Allgemeine  Verwunderung  erregte  in  Peters- 
burg das  bundestreue  Verhalten  Preußens  gegenüber  Österreich. 
Dies  zahle  nicht  mit  derselben  Münze5).  Das  wurde  Goltz  in  der 
ersten  Konferenz  von  Ostermann  und  Markow6)  bewiesen  durch 


*)  d'A  n  g  e  b  e  r  g  271  ff.  Lucchesini  übersandte  sie  mit  seinem  Be- 
richte vom  11.  Juli  (vgl.  auch  an  Lucchesini  20.  Juli  17&2). 

2)  Idee  d'un  demembrement  quelconque.  An  Goltz  22.  Juli.  Rep. 
9 — 27 2  Rapports  I,  F.A.  Au  Roi  20.  Juli.  Wenn  die  Polen  sich  den 
Russen  bedingungslos  in  die  Arme  warfen,  hofften  sie  wenigstens  die 
Gefahr  einer  neuen  Teilung  zu  vermeiden  (Bericht  Lucchesinis  16.  Juni). 
Preußen  Heß  sich  aber  von  Lucchesini  nicht  verleiten,  das  russische  Ent- 
gegenkommen als  eine  Falle  zu  betrachten,  um  Preußen  mit  Österreich 
zu  entzweien,  dazu  war  es  der  gemeinsamen  Interessen  beider  Mächte  doch 
zu  sicher.  Es  dachte  ja  gar  nicht  daran,  sich  von  Österreich  abziehen  zu 
lassen;  die  angenommene  Gefahr  bestand  also  in  keiner  Richtung  (Bericht 
Lucchesinis  11.  Juli,  an  Lucchesini  20.  Juli.  Rep.  XI  89  g1  Finckenstein 
und  Alvensleben  an  Schulenburg  20.  Juli;  Schulenburg  an  Finckenstein 
und  Alvensleben  26.  Juli).  —  Es  verdient  Beachtung,  daß  in  dem 
russischen  Manifest  nur  von  der  Freiheit  und  der  Unabhängigkeit  der 
Republik  die  Rede  war. 

3)  An  Goltz  16.  August, 

4)  Bericht  23.  Juli/3.  August. 

5)  Berichte  16./27.  Juli  und  23.  Juli/3.  August  1792. 

6)  Besborodko  war  angeblich  unwohl  und  nahm  nur  an  der  offiziellen, 
d.  h.  unbedeutenden  Schlußkonferenz  teil.  Da  Goltz  von  ihm  berichtete, 
er  sei  nicht  für  eine  Annäherung  an  Preußen,  so  hätten  wir  hier  wieder 
eine  Art  von  Schulkrankheit  anzunehmen  (Berichte  20./31.  Juli  und 
30.  Juli/10.  August).  Freilich  könnte  man  auch  seine  damals  viel  er- 
wähnte Faulheit  zur  Erklärung  heranziehen. 


Kriegskostenentschädigung  215 

die  Verlesung  des  betreffenden  Artikels  in  dem  österreichisch- 
russischen  Vertrage,  wo  von  Preußen  keine  Rede  war.  Die  Ein- 
beziehung von  Österreich  sei  also  unnötig.  Aber  Goltz  bestand 
auf  seiner  Instruktion,  und  da  gaben  die  Russen  nach,  da  es  un- 
verfänglich war1).  Vergebens  suchte  auch  noch  besonders  Ludwig 
Cobenzl  Zwietracht  zu  säen.  Solange  die  österreichische  Regie- 
rung an  dem  Bunde  ehrlich  festzuhalten  schien,  ließ  man  sich 
in  Preußen  durch  Einflüsterungen  Dritter  nicht  aus  dem  einmal 
eingeschlagenen  Wege  abbringen.  Nur  in  der  kurländischen  Frage 
glaubte  Goltz  ernste  Schwierigkeiten  zu  finden.  Rußland  werde 
die  letzte  Verfassung  nicht  garantieren  wollen,  weil  damit  im- 
plicite  auch  die  neue  polnische  anerkannt  würde,  gegen  die  sich 
die  ganze  russische  Aktion  richte.  Man  werde  den  Stand  von 
17882)  garantieren  wollen.  Goltz  nahm  sich  daher  vor,  eher  den 
ganzen  Artikel  fallen  zu  lassen,  als  etwas  dem  Herzog  Nach- 
teiliges zu  unterzeichnen3).  Er  hatte  damit  in  der  Tat  die  russische 
Ansicht  getroffen.  Weglassen  aber  wollten  die  Russen  den  Artikel 
auch  nicht,  der  ihnen  wohl  eine  bequeme  Handhabe  zur  Ein- 
mischung bot.  So  wurde  denn  von  Goltz  sub  spe  rati  die  Fassung 
angenommen,  die  den  Stand  von  1788  garantierte4). 

Unter  dieser  Bedingung  wurde  am  27.  Juli  bezw.  7.  August 
der  Vertrag  abgeschlossen.  Aber  das  war  in  der  Tat  nur  eine 
Form;  kein  Preuße  hätte  gewagt,  daran  eine  so  wichtige  Ab- 
machung scheitern  zu  lassen5).  Die  Minister  gaben  ihn  noch  am 
20.  August  schleunigst  an  den  König  weiter  mit  dem  Entwurf 
der  Ratifikation0),  da  sie  nichts  daran  zu  ändern  für  nötig  hielten. 
Die  kurze  Ratifikationsfrist  von  sechs  Wochen,  von  denen  drei 
Tage  noch  durch  die  auf  Ostermanns  Bitte  erfolgte  Verzögerung 
des  preußischen  Kuriers  verloren  gegangen  waren7),  hatte  doch 
ausgereicht.     Denn  auch  der  König  war  mit  der  von  Goltz  an- 


1 )  Bericht  23.  Juli/3.  August. 

2)  Bei  M  a  r  t  e  n  s  VI  158  steht  1787. 

3)  Berichte  13./24.,  16./27.,  20./31.  Juli. 

4)  Bericht  23.  Juli/3.  August, 

8)  Häußer  I  396.  An  Goltz  28.  September,  Ostermann  an  Alo- 
peus  30.  Juli/10.  August  (Auszug). 

6)  An  Goltz  20.  August.  Rep.  XI  Rußland  133  C  Ratifikationsent- 
wurf. Rep.  XI  89  g1  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg 
21.  August  1792.     Rep.  9— 272  F.A.  Au  Roi  20.  August. 

7)  Ostermann  wollte  ihm  sehr  wichtige  Briefe  an  Alopeus  mitgeben  — 
es  war  die  Beglaubigung  von  Alopeus  und  eine  Depesche  an  ihn  über  den 
Abschluß  des  Vertrages  (beides  in  Rep.  XI  Rußland  133  B). 


216 


II.  Abschnitt 


genommenen  Fassung  zufrieden  und  ratifizierte  den  Vertrag  am 
27.  August  im  Lager  von  Chenieres1).  Am  4.  September2)  gab 
ihn  das  Ministerium  weiter,  am  7./18.  September  erfolgte  der  Aus- 
tausch der  Exemplare3),  am  7.  Oktober  war  das  eine  in  Berlin4). 
Die  kurze  Frist  hatte  also  doch  dank  dem  schnellen  preußischen 
Arbeiten  ausgereicht.  Das  berührte  in  Petersburg  besonders 
angenehm  im  Vergleich  mit  dem  Verhalten  Österreichs,  das  bei- 
nahe vier  Wochen  früher  abgeschlossen  hatte  und  dessen  Rati- 
fikation noch  immer  nicht  eingetroffen  war5). 

Jetzt  stand  Preußen  hier  auf  festem  Grunde.   Alle  preußischen 
Gesandten  erhielten  den  üblichen  Befehl,  mit  den  russischen  jetzt 


x)  Rep.  XI  133  C.  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium 
27.  August  1792. 

2)  An  Goltz  4.  September. 

3)  Bericht  von  Goltz  14./25.  September.    An  Cesar  12.  Oktober. 
*)  An  Lucchesini  8.  Oktober. 

5)  Sie  war  erst  am  13.  September  in  Wien  erledigt  worden,  am  30.  Sep- 
tember war  sie  in  Petersburg,  am  9.,  vielleicht  sogar  erst  am  15.  Oktober, 
wurden  die  Exemplare  ausgetauscht.  (Berichte  31.  August/11.  September, 
7./18.  September,  14/25.  September,  21.  September/2.  Oktober,  28.  Sep- 
tember/9. Oktober.)  An  Haugwitz  11.  September,  an  Cesar  12.  Oktober, 
Berichte  Cesars  20.  Oktober,  3.  und  7.  November.  Vivenot  II  548, 
594,  647;  Wassiltchikow  II  4,  161 — 162.  —  In  aer  Bemessung  der 
Geschenke  an  die  russischen  Minister  ging  Preußen  genau  so  vor  wie  Öster- 
reich, um  nicht  hinter  diesem  zurückzustehen,  um  es  aber  auch  nicht  zu 
übertrumpfen  (Rep.  XI  89  g1  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulen- 
burg 21.  August.  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  27.  Aug. 
Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  3.  September.  Rep.  XI 
Rußland  133  D.  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Friedrich  Wilhelm 
5.  September.  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  28.  Sep- 
tember). Goltz  hatte  sich  bei  Ludwig  Cobenzl  unauffällig  erkundigen 
müssen  und  danach  genau  die  Höhe  der  Posten  und  die  Art  der  Ge- 
schenke angegeben.  Das  Kabinettsministerium  machte  demzufolge  seine 
Vorschläge,  die  vom  Könige  genehmigt  wurden  (an  Goltz  4.  Sep- 
tember). 59  508  Taler  8  Groschen  kostete  die  Preußen  diese  Höflich- 
keit. Sie  trösteten  sich  nur  damit,  daß  sie  nicht  zu  umgehen  sei  und 
daß  sie  dabei  noch  so  sparsam  wie  möglich  verfahren  seien.  Die  Russen 
gaben  an  Goltz  ebenso  ein  Kästchen,  wie  jeder  von  ihnen  es  von  Preußen 
erhielt,  dem  Sekretär  Wegener  ein  Kästchen  mit  1000  Rubeln,  jedem  der 
preußischen  Minister  ein  Porträtkästchen  im  Werte  von  etwa  je  3000  Talern, 
dazu  Schulenburg  noch  einen  Ring  von  etwa  gleichem  Werte,  und  der 
Kanzlei  1000  Dukaten.  Die  Russen  begnügten  sich  also  mit  geringeren 
Aufwendungen  (Bericht  14. /25.  September;  F. S.A.  Au  Roi  18.  Oktober, 
Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  28.  Oktober,  alles  in 
Rep.  XI  Rußland  133  B.  Rep.  9— 272  I,  F.  S.A.  Au  Roi  22.  De- 
zember). 


Kriegskostenentschädigung  217 

auf  vertrautestem  Fuße  zu  verkehren1).  So  sehr  man  in  Berlin 
gegen  den  französischen  Krieg  eiferte,  so  erfreut  war  man  über 
das  Bündnis  mit  Rußland2)  und  wollte  sich  nun  in  der  Haupt- 
frage nicht  mehr  länger  von  Österreich  hindern  lassen3),  das 
offensichtlich  keinen  anderen  Zweck  verfolgte,  als  die  Ent- 
scheidung über  die  polnische  Frage  in  die  Länge  zu  ziehen,  und 
das  diese  Anschauung  ja  auch  seinem  Verbündeten  einzuimpfen 
versuchte4),  sondern  allein  mit  Rußland  abschließen,  bei  dem  es 
mehr  Entgegenkommen  zu  finden  erwartete5).  Zugleich  mit  der 
Ratifikation  ging  aus  dem  Hauptquartier  die  Weisung  nach 
Berlin  ab,  nun  in  der  Entschädigungsfrage  in  Petersburg  vorzu- 
gehen, wo  Ludwig  Cobenzl  schon  ohne  Rücksicht  auf  Goltz  seine 
Eröffnungen  gemacht  habe6).  Man  hatte  gleichzeitig  mit  dem 
Vertrag  eigentlich  eine  russische  Erklärung  hierüber  erwartet7), 
zumal  auf  Ostermanns  Bitte  Goltz  den  preußischen  Kurier-  noch 
ein  paar  Tage  dort  behalten  hatte.  Groß  war  daher  die  Ent- 
täuschung, als  es  fast  nur  Höflichkeitsphrasen  über  den  Vertrag 
waren.  Aber  aufhalten  ließ  man  sich  nicht  mehr.  Durch  allerlei 
Gefälligkeiten  suchte  man  Rußland  in  guter  Stimmung  zu  er- 
halten oder  es  in  sie  zu  bringen,  so  durch  die  Zulassung  von 
Alopeus  zur  Armee,  noch  ehe  er  beglaubigt  war8),  durch  die  von 
Valerian  Subow,  dem  Bruder  des  mächtigen  Günstlings  Piaton, 
dem  einzigen  Freiwilligen9),  durch  die  Überreichung  eines  Käst- 
chens im  Werte  von  3000  Talern  an  Alopeus   gelegentlich   des 


1)  Rep.  XI  Rußland  133  C,  Berlin  12.— 20.  Oktober.  Der  Befehl  wurde 
jedoch  nicht  überall  so  rasch  und  vollständig  ausgeführt,  -wie  er  gegeben 
wurde.  Die  Persönlichkeit  der  Gesandten  spielte  dabei  eine  außerordent- 
lich wichtige  Rolle  (Worontzow  IX  261—264,  274—278,  283—294). 

2)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  20.  Lucchesini  an  seine  Frau  23.  Aug. 
Carisien  125—126. 

3)  V  i  v  e  n  o  t  II  549. 

4)  ibid.  und  II  604  u.  605. 

5)  An  Goltz  11.  September.  Rep.  XI  89  g1  Finckenstein  und  Alvens- 
leben  an  Schulenburg  10.   September. 

6)  Rep.  XI  Rußland  133  C.  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinetts- 
ministerium 27.  August,  Konzept  in  Rep.  XI  89  g2.     V  i  v  e  n  o  t  II  549. 

7)  Rep.  XI  89  g1.  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben 
27.  und  28.  August,  2.  September. 

8)  Rep.  XI  89  g2  und  Rep.  XI  Rußland  133  C.  Friedrich  Wilhelm 
an  das  Kabinettsministerium  27.  August. 

9)  Rep.  9 — 272  Rapports  I,  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Fried- 
rich Wilhelm  20.  August.  Auch  Österreich  bewilligte  das  ( V  i  v  e  n  o  t  II 
555). 


218  II.  Abschnitt 

Vertragsabschlusses,  um  den  er  offiziell  kein  Verdienst  hatte1), 
desgleichen  an  den  völlig  bedeutungslosen  Nesselrode,  durch  den 
Katharina  in  Berlin  die  Geschenke  hatte  überreichen  lassen2) 
durch  die  Antwort,  auf  die  Beglaubigungsbriefe  von  Alopeus3) 
durch  die  Erleichterung  der  Reise  der  zwei  badischen  Prinzes 
sinnen,  die  Katharina  zu  Bräuten  ihrer  Söhne  bestimmt  hatte4) 
durch  die  Dekorierung  von  Valerian  und  von  Piaton   Subow 
durch  die  Überreichung  eines  Kästchens  an  Valerian  für  Piaton5) 
oder  durch  die  Verweigerung  des  Urlaubs  an  den  Obersten  Götze 
der    nach    Konstantinopel    reisen    wollte,    bezw.    dessen    Heim 
berufung,  als  er  ohne  Urlaub  abgereist  war,  mit  den  nötigen  Er 
klärungen  in  Wien  und  Petersburg6),  durch  die  Nichtabsendung 
zweier  Ingenieure,  die  die  Türkei  hatte  haben  wollen7),  durch 
die   Auslieferung    einer    desertierten    Kosakenabteilung,    obwohl 
kein  Auslieferungsvertrag  bestand8). 

Durch  alle  diese  kleinen  Aufmerksamkeiten  wollte  man  es  für 
die  große  Frage  gefügig  machen.  Denn  am  10.  September  schlug 
das  Kabinettsministerium  dem  Könige  vor,  die  Größe  der  preußi- 
schen Entschädigungsforderung,  d.  h.  seines  polnischen  Loses  zu 


1 )  Rep.  9 — 272  Rapports  I,  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Friedrich 
Wilhelm  10.  September.  Rep.  XI  89  g1  Schulenburg  an  Finckenstein 
und  Alvensleben  18.  September.  Rep.  XI  89  k  Alopeus  an  Schulenburg 
22.  September. 

2)  Rep.  XI  Rußland  133  B.  F.  S.A.  Au  Roi  18.  Oktober.  Friedrich 
Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  28.  Oktober. 

3)  Rep.  XI  89  k  Schulenburg  an  Goltz  9.  September.  Rep.  XI  89  i, 
S.  Au  Roi  9.  September. 

4)  An  Goltz  21.  Oktober.     Bericht  2./ 13.  November. 

5)  Vgl.  unten. 

6)  Er  war  früher  Preußens  militärischer  Beirat  in  der  Türkei  gewesen. 
Seine  Reise  hätte  jetzt  in  Rußland  und  in  Österreich  falsch  ausgelegt 
werden  können  (D  u  n  c  k  e  r  in  H.Z.  Bd.  37,  S.  13;  R  a  n  k  e,  Die  deutschen 
Mächte  und  der  Fürstenbund,  2.  Ausgabe.  Leipzig  1875  [=  Sämtliche 
Werke  Bd.  31/32]  S.  407.  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg 
7.  September  in  Rep.  XI  89  g1 .  Finckenstein  und  Alvensleben  an 
Lucchesini  15.  Oktober,  Rep.  96,  147  G  III,  F. S.A.  Au  Roi  15.  Oktober; 
Berichte  Cesars  6.  Oktober  P.S.  und  13.  Oktober,  an  die  Minister 
13.  Oktober.  An  Cesar  15.  und  22.  Oktober  1792,  18.  Januar  und 
24.  Februar  1793.  An  Goltz  14.  Oktober  1792  und  15.  Januar  1793. 
Bericht  26.  Oktober/6.  November.  Bericht  Lucchesinis  10.  Januar  1793. 
Berichte  Cesars  3.  Januar,  16.  Februar,  14.  und  27.  April  1793). 

7)  Rep.  96,  147  G  III,  F. S.A.  Au  Roi  7.  September  1792. 

8)  Es  handelte  sich  um  2  Offiziere  und  40  Kosaken  (an  Goltz  28.  Sep- 
tember; Bericht  1./12.  Oktober). 


Kriegskostenentschädigung  219 

bestimmen1),  damit  Goltz  keine  günstige  Gelegenheit  aus  Mangel 
an  Instruktion  vorübergehen  zu  lassen  brauche.  Es  ist  eine  be-  i 
deutende  Wendung  in  der  preußischen  Politik,  und  wir  müssen 
uns  jetzt  den  Ereignissen  zuwenden,  die  sie  herbeigeführt  haben. 
Denn  wir  wissen  ja,  wie  großen  Wert  man  bisher  in  Preußen  auf  ^ 
ein  Einverständnis  mit  Österreich  gelegt,  wie  man  die  ganze 
Politik  darauf  begründet  hatte.  Wenn  trotzdem  jetzt  die  Schwen- 
kung vollzogen  wurde,  so  konnten  nur  die  schwerwiegendsten 
Gründe  sie  herbeigeführt  haben.  Sie  sind  nicht  in  den  Verhand- 
lungen mit  Rußland  zu  Sachen,  noch  weniger  in  solchen  mit 
Frankreich,  da  sie  nicht  bestanden,  sondern  in  denen  mit  Oster- 
reich, die  sich  um  die  Frage  der  Entschädigung  für  die  Kriegs- 
kosten drehten2).  Bis  jetzt  bildeten  die  Verhandlungen  mit 
Rußland  nur  den  Hintergrund  für  jene,  die  sich  umso  wirkungs- 
voller davon  abheben. 


III. 

A.  An  Reuß,  so  sahen  wir,  machte  Schulenburg  die  erste 
streng  vertrauliche  Eröffnung  über  den  preußischen  Entschädi- 
gungsplan3). Er  war  der  geeignete  Mann  dazu.  Schon  lange  hatte 
er  eine  engere  Verbindung  zwischen  Österreich  und  Preußen  an- 
gestrebt und  war  bei  dem  Abschluß  des  Berliner  Vertrages  den 
Preußen  sehr  entgegengekommen.  Im  April  hatte  er  ganz  im 
Sinne  der  preußischen  Regierung  einen  Druck  auf  die  seine  aus- 
zuüben versucht,  und  mit  Erfolg.  Da  er  so  selbst  das  größte  In- 
teresse daran  hatte,  diesen  Weg  fortzusetzen,  so  behandelten  ihn 
Friedrich  Wilhelm  und  Schulenburg  mit  größter  Zuvorkommen- 
heit. Dafür  ließ  er  ihnen  vielfach  Originale  offizieller  Depeschen 
zum  Abschreiben,  um  nicht  erst  Zeit  mit  der  Anfertigung  von 
Abschriften  zu  verlieren.  Dabei  kam  auch  manches  zur  Kenntnis 
der    preußischen    Diplomaten,    was    die    österreichische    Staats- 


1)  Rep.  XI  89  g1  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg 
10.  September.  Der  König  hatte  scheinbar  schon  vorher  seine  Befehle 
gegeben.    Vgl.  unten. 

2)  Von  Österreich  erwartete  man  nichts  Gutes  mehr  (Finckenstein 
und  Alvensleben  an  Schulenburg  10.  September:  ....  nous  avouons  at- 
tendre  tres  peu  de  Vienne,  pour  ne  pas  dire  que  nous  n'attendons  rien 
de  bon;  Rep.  XI  89  g1)- 

3)  Vgl.  für  das  folgende:  Häußer  I  356  ff.;  Sybel  II  207  ff.; 
S  o  r  e  1  II  405  ff. ;  H  e  i  g  e  1  I  557  ff. 


220  D.  Abschnitt 

kanzlei  ihnen  hatte  vorenthalten  wollen1).  An  ihm  sollte  es  nicht 
liegen,  wenn  Schwierigkeiten  auftauchten.  Er  gab  jetzt  ohne 
das  leiseste  Zeichen  des  Erstaunens  mit  großer  Freude  die  Er- 
öffnung weiter,  die  seinen  Minister,  Kaunitz,  stürzen  helfen 
sollte2).  Ja,  er  trieb  das  Entgegenkommen  gegen  Preußen  so  weit, 
daß  man  in  Wien  während  des  Feldzuges  sehr  unzufrieden  mit 
ihm  war  und  ernstlich  an  seine  Abberufung  dachte;  nur  aus 
Rücksicht  auf  Preußen  unterblieb  sie. 

Dieser  Mann  erschien  Schulenburg  als  der  geeignete  Ver- 
mittler bei  Spielmann  für  seinen  Versuch,  die  Entschädigungs- 
frage in  einem  für  Österreich  und  für  Preußen  gleich  befriedigen- 
den Sinne  zu  lösen.  Die  Veranlassung  dazu  war  das  energische 
Vorgehen  Katharinas  gegen  Polen  ohne  Rücksicht  darauf,  ob  die 
anderen  beiden  Mächte  mitkämen  oder  nicht,  besonders  die  An- 
kündigung des  Einmarsches,  die  am  4.,  und  seine  Rechtfertigung 
in  dem  Manifest,  das  am  15.  Mai  in  Berlin  bekannt  war.  Nun 
haben  wir  allerlei  Anzeichen  dafür,  daß  seit  Anfang  Mai  im  Zu- 
sammenhange hiermit  in  Berlin  der  Gedanke,  die  Entschädigung 
für  die  Kriegskosten  in  Polen  zu  suchen,  von  Schulenburg  end- 
gültig aufgenommen  worden  ist3).  Wir  haben  keine  Gewißheit 
darüber,  ob  er  oder  der  König  diese  Verknüpfung  der  polnischen 
mit  der  französischen  Frage  definitiv  vollzogen  hat,  die  damals 
in  fast  allen  Köpfen  spukte4).  Finckenstein  und  Alvensleben 
scheiden  ja  von  vornherein  aus5) ;  Haugwitz  erweist  sich  in  seinen 


1 )  Rep.  I  172  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  5.  März; 
Rep.  96,  147  G  I,  S.  AuRoi  9.  April;  Rep.  I  171,  S.  Au  Roi  1.  Juli;  Rep.  92 
Cesars  Nachlaß  21:  Lucchesini  an  Cesar  16.  April;  Cesar  an  Lucchesini 
2.  Mai  1793;  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  25:  Lucchesini  an  Cesar  16.  und 
23.  April  1793.  Dazu  an  Goltz  18.  April  1792;  Schlief  fen  II  362; 
Vivenotll  514  und  Rep.  XI  89  g1,  S.  Au  Roi  14.  August;  Schulenburg 
an  Finckenstein  und  Alvensleben  14.  August. 

2)  V  i  v  e  n  o  t  II  443  und  456. 

3 )  Bereits  im  Februar  war  er  erwähnt  worden  (Massenbach  I 
25,  267,  275—278).  Rep.  XI  89  c2  Instruktion  für  Haugwitz  vom  9.  Mai. 
Rep.  XI  89  b  Schulenburg  an  Braunschweig  6.  Mai ;  dazu  Depesche 
von  Goltz  vom  20.  April/1.  Mai  mit  jener  Randbemerkung. 

4)  H.E.B.  290,  Bericht  Haugwitz'  6.  Juni;  H  ä  u  ß  e  r  I  357. 

6)  In  den  ministeriellen  Berichten  an  den  König  aus  diesen  Wochen 
ist  von  dem  Plane  schlechterdings  keine  Rede.  Erst  vom  30.  Juni  ist  ein 
Bericht  von  Schulenburg  allein  an  den  König  hierüber  da  (der  König  hatte 
über  den  Stand  der  Frage  Bericht  gefordert).  In  ihm  findet  sich  folgender 
kurzer  Hinweis  auf  diese  Verhandlungen:  Ehe  (der  König)  daignera  se 
rappeler  qu'on  s'est  dejä  explique  confidentiellement,  mais  en  termes 
tres  clairs  sur  vos  intentions,  Sire,  a  cet  egard  envers  le  Baron  de  Spiel- 


Kriegskostenentschädigung  221 

Depeschen  ah  nicht  eingeweiht1).  Nur  Bischofiwerder  hat  von 
Anfang  an  darum  gewußt,  an  ihn  bestellt  Spielmann  auch  mehr- 
fach Grüße2).  Es  scheint  mir  sicher,  daß  sich  Schulenburg  nicht 
ohne  die  Genehmigung  des  Königs  bei  Reuß  so  weit  vorgewagt 
hätte.  Nach  den  Änderungsvorschlägen  Spielmanns  holte  er 
auch  erst  die  Genehmigung  des  Königs  ein;  dessen  Tätigkeit  in 
dieser  Frage  wird  man  eher  zu  hoch  als  zu  niedrig  einschätzen 
müssen3). 

Während  man  den   Österreichern  und  den  Russen  in  diesen 


mann,  1' nomine  de  confiance  du  Roi  de  Hongrie,  et  d' apres  la  maniere, 
dont  il  a  repondu  et  tous  les  propos  du  ministere  autrichien  en  general, 
il  n'y  a  pas  de  doute  que  ce  monarque  ne  consente  a  un  agrandissement  de 
Votre  Majeste  au  depens  de  la  Pologne  pourvu  que  lui-meme  soit  dedom- 
mage  d'un  autre  cöte.  Am  9.  Juni  hatte  Schulenburg  selbst  beantragt, 
die  Verhandlungen  ihres  vertraulichen  Charakters  zu  entkleiden  (V  i  v  e ji  o  t 
II  461).  Wann  seine  Kollegen  eingeweiht  wurden,  ist  nicht  festzustellen, 
von  besonderem  Widerstand  ist  danach  wohl  keine  Rede  gewesen.  Am 
3.  Juli  berichten  Schulenburg  und  Alvensleben  schon  gemeinsam  über  diese 
Frage  (Rep.  96,  147  G  II:  Cette  question  delicate  ayant  ete  entamee  dejä 
il  y  a  quelque  temps  dans  les  correspondances  particulieres  du  Prince 
Reuss  avec  le  Baron  de  Spielmann).  Das  entspricht  der  obigen  Annahme. 
Es  zeigt  sich  wieder  einmal,  daß  die  kollegialische  Organisation  des  Kabi- 
nettsministeriums nicht  etwa  die  drei  Minister  zu  gleicher  Arbeit  auf  gleiche 
Ziele  hin  veranlaßt«,  sondern  daß  diese  verschiedene  Parteien  vertreten, 
die  je  nach  der  Änderung  der  politischen  Lage  abwechselnd  zur  Herrschaft 
kamen  und  deren  Vertreter  dann  seine  Kollegen  zur  Handlangerarbeit 
herabdrückte,  bis  ihm  selbst  wieder  ein  Gleiches  geschah.  Das  Verdam- 
mungsurteil Katharinas  über  diese  Organisation  vermag  ich  daher  nur 
für  die  Zeit  als  berechtigt  anzuerkennen,  wo  Friedrich  Wilhelm  Hertz- 
berg im  Amte  ließ,  ohne  ihn  wirklich  als  leitenden  Minister  zu  verwenden 
(Sbornik  XXIII  533).  —  S  y  b  e  1  glaubte  sich  entschuldigen  zu  müssen, 
daß  die  Akten  sich  im  Berliner  Archiv  noch  nicht  gefunden  hätten.  Es 
erscheint  mir  ganz  natürlich,  daß  sich  bis  heute  auch  noch  nichts  gefunden 
hat.  Schulenburg  war  eben  so  vorsichtig,  an  Reuß  nichts  Schriftliches  zu 
geben.  Mit  dem  König  konnte  er  die  Sache  ja  mündlich  abmachen.  Er 
war  wegen  der  militärischen  Konferenzen  des  Herzogs  von  Braunschweig 
mit  Hohenlohe  noch  in  Potsdam,  als  Alopeus  ihm  die  Depesche  Oster- 
manns  vom  23.  April/4.  Mai  mitteilte.  Sein  Aufenthalt  scheint  sich  dort 
bis  zum  15.  Mai  vormittags  verlängert  zu  haben.  Es  ist  wohl  möglich, 
daß  in  dieser  Zeit  die  entscheidende  Beratung  mit  dem  König  stattgefunden 
hat.  (Rep.  XI  Rußland  133  A.  Alopeus  an  Schulenburg  14.  Mai;  Rep.  I 
169  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  13.  Mai;  Rep.  I  171 
Schulenburg  an  Reuß  14.  Mai.) 

1)  Minerva  Bd.  184  S.  5. 

2)  Vi  veno  t  II  451  und  456. 

3)  Massenbach  I  267.     Vgl.  auch  das  Verhalten  des  Königs  am 
12.  März.    V  i  v  e  n  o  t  II  456  u.  461. 


222  II.  Abschnitt 

Tagen  offiziell  von  der  Notwendigkeit  sprach,  einen  Kordon 
durch  Polen  zum  Schatze  der  preußischen  Grenze  zu  ziehen, 
und  während  man  die  von  Wien  ausgehende  diplomatische  Aktion 
aufnahm  und  zu  mäßigen  versuchte1),  ging  von  Berlin  der  Plan 
aus,  sich  über  die  Beute  zu  verständigen  und  über  die  Mittel, 
sich  ihren  Besitz  zu  sichern.  Es  war  für  Preußen  die  zentrale 
Frage,  und  wir  erkennen  jetzt  erst  ganz  die  Bedeutung  der  oben 
geschilderten  diplomatischen  Aktionen.  Nur  soweit  sie  der  Ent- 
schädigungsfrage günstig  waren,  hatte  sie  Preußen  beabsichtigt. 
Weil  die  gemeinsame  österreichisch-preußische  Deklaration  die 
guten  Beziehungen  zu  Rußland  zu  gefährden  drohte,  hätte  es  sie 
am  liebsten  verhindert  und  freute  sich,  als  ihr  schon  von  Kaunitz 
die  ursprüngliche  Schärfe  genommen,  sie  dadurch  zur  Unwirk- 
samkeit verurteilt  worden  war.  Umsomehr  mußte  Preußen  aber 
an  dem  Kordon  liegen.  Deshalb  war  es  auch  über  das  Sonder- 
bündnis mit  Rußland  so  erfreut.  Alles  das  sollten  vorbereitende 
Schritte  sein.  Die  Hauptaktion  sollte  folgen,  wenn  sich  Preußen 
mit  Österreich  über  Art  und  Größe  der  Entschädigung  geeinigt 
hätte;  aber  auch  dann  noch  wollte  Preußen  die  Russen  den  ersten 
Schritt  tun  lassen,  um  sie  erst  fest  engagiert  zu  wissen  und  danach 
die  Größe  seines  Anteils  genau  abmessen  zu  können.  Nur  die 
von  Reuß  und  Spielmann  vertretene  Richtung  der  österreichischen 
Politik  konnte  für  einen  Verständigungsversuch  in  Betracht 
kommen.  Da  Kaunitz  in  der  Hauptsache  das  Steuer  doch  noch 
fest  in  der  Hand  hielt,  mußte  ein  geheimer  Weg  die  erste  Ver- 
bindung vermitteln  helfen. 

Am  21.  Mai  teilte  Schulenburg  nur  mündlich  geheim,  als 
seine  Privatmeinung,  Reuß  folgenden  Plan  mit2):  Nach  dem 
energischen  Vorgehen  von  Katharina  in  Polen  sei  es  die  höchste 
Zeit  für  die  beiden  Mächte,  sich  über  gemeinsame  Maßregeln  zu 
einigen,  um  sich  den  entsprechenden  Einfluß  in  Polen  zu  sichern. 
Das  beste  Mittel  dazu  sei  der  Einmarsch  je  eines  Truppenkorps 
von  10 — 12  000  Mann  in  Polen,  wenn  Unruhen  entstünden3),  an- 
geblich nur  zur  eigenen  Sicherheit.    Da  Rußland  nun  allem  An- 

1 )  Der  Zorn  Schulenburgs  richtete  sich  vor  allem  gegen  das  ungeschickte 
Vorgehen  von  Jacobi  und  Haugwitz.  Deshalb  erhielt  auch  Jacobi  den 
Rüffel,  obwohl  Haugwitz  die  Geschäfte  schon  übernommen  hatte  und 
Jacobi  nur  noch  auf  dessen  Wunsch  dablieb,  um  ihn  etwas  in  die  Geschäfte 
einzuführen  (Rep.  I  170  an  Jacobi  3.  Februar;  Vi  veno  t  II  461). 

2)  V  i  v  e  n  o  t  II  443. 

3)  Man  rechnete  ja  mit  einem  ziemlich  langsamen  Vordringen  der 
Russen  und  war  von  dem  Gegenteil  sehr  unangenehm  überrascht. 


Kriegskostenentschädigung  223 


schein  nach  große  Lust  habe,  die  Ukraine  zu  behalten,  so  werde 
es  das  schließlich  sagen  müssen,  und  damit  den  Mächten  Ge- 
legenheit geben,  auch  ihrerseits  Forderungen  zu  stellen,  durch 
die  die  Kriegskosten  für  die  französische  Intervention  gedeckt 
werden  könnten.  Preußen  könne  sich  in  Polen,  Österreich  am 
Rheine  entschädigen;  denn  den  Österreichern  Erwerbungen  in 
Polen  vorzuschlagen,  konnte  Schulenburg  nach  dem  Verhalten 
Spielmanns  von  Ende  März  und  vom  April  nicht  mehr  wagen1). 
Man  sieht  den  preußischen  Plan,  Österreich  in  Polen  zu  einer 
Tätigkeit  mit  heranzuziehen,  von  der  es  nur  indirekt  Vorteil 
haben  soll.  Spielmann  erkannte  diese  Gefahr  sofort  und  suchte 
ihr  durch  eine  Änderung  des  Plans  vorzubeugen,  ohne  für  diesen 
Punkt  seine  wahren  Gründe  anzugeben.  In  der  Nacht  vor  seiner 
Abreise  nach  Ofen,  am  29.  Mai,  beantwortete  er  den  Brief  von 
Reuß,  nachdem  er  mit  Franz  darüber  konferiert  hatte2),  und  in 
einer  Weise,  die  an  seinem  guten  Willen  überhaupt  keinen  Zweifel 
erlaubte3).  Er  merkte,  daß  für  Preußen  nicht  die  geflissentlich 
so  breit  getretene  Beschränkung  des  russischen  Einflusses  in  Polen, 
sondern  die  so  nebenher  erwähnte  Entschädigungsfrage  die  Haupt- 
sache sei,  und  schaltete  daher  die  erstere  bei  seinen  Erörterungen 


*)  Spielmann  hat  nie  daran  gedacht,  in  Polen  für  Österreich  etwas 
zu  erwerben.  Abgesehen  von  dem  geringen  Vorteil,  den  es  davon  gehabt 
hätte,  wollte  er  auch  den  Preußen  und  den  Russen  das  Odium  allein  über- 
lassen, Polen  zerstückelt  zu  haben  (Sybel  II  209;  Vivenot  II  498). 
Erst  als  nichts  anderes  zu  haben  war,  suchte  er  zur  Erhaltung  des  Gleich- 
gewichtes ein  Stück  von  Polen  zu  erlangen. 

2)  Das  sagt  er  hier  natürlich  nicht.  Vivenot  II  451  u.  476.  Ob 
auch  Ph.  Cobenzl  gleich  eingeweiht  wurde,  lasse  ich  dahingestellt  (Sybel 
II  208;  SorelII466). 

3)  Nicht  erst  der  Vorschlag  Schulenburgs  hat  ihn  in  diese  Bahn  ge- 
trieben (S  y  b  e  1 II  207 — 208).  Sybel  scheint  mir  aber  mit  seiner  Annahme 
durchaus  im  Recht  zu  sein  (II  208;  Hei  gel  I  558 — 560;  Hüff  er  in 
A.D.B.  4,  365),  daß  bei  der  damaligen  Lage  der  Plan  von  Spielmann  immer 
noch  besser  als  der  von  Kaunitz  war.  Er  versuchte  wenigstens  etwas  für 
Österreich  zu  erlangen  —  und  darauf  kam  es  an  —  während  Kaunitz  un- 
tätig beiseite  stand.  Ob  Spielmanns  Plan  geglückt  wäre,  wenn  ihm  nicht 
noch  die  antipreußische  Partei  unter  den  Österreichern  einen  Knüppel 
zwischen  die  Beine  geworfen  hätte  —  wer  will  das  beweisen  ?  Ich  glaube 
nicht  an  die  Möglichkeit.  Zu  der  Ausführung  hätte  energisches  und  rück- 
sichtsloses Handeln  gehört,  davon  finden  wir  bei  Österreich  das  Gegenteil. 
In  dieser  Frage  sprach  man  nicht  einmal  davon,  wie  man  es  so  gern 
bei  den  militärischen  Vorgängen  machte.  Aber  gleichviel,  Spielmann  ver- 
suchte einen  neuen  Weg,  und  man  wird  das  sehr  begreiflich  finden.  Vgl. 
auch   Schütter  XXXIX. 


224  H.  Abschnitt 

fast  ganz  aus.  Er  wollte  jetzt  in  der  polnischen  Frage  überhaupt 
nichts  tun  als  abwarten  und  war  deshalb  mit  Kaunitz  in  heftigen 
Konflikt  gekommen  (vgl.  oben).  Nur  das  hob  er  hervor,  daß  ein 
Einmarsch  in  Polen  gerade  das  entgegengesetzte  Ziel  erreichen 
werde,  als  Schulenburg  beabsichtigte,  nämlich  das,  Katharina  zu 
reizen  und  die  alte  Erbitterung  gegen  Preußen  wachzurufen. 
Es  ist  auch  möglich,  daß  ihn  die  Furcht  beeinflußt  hat,  Katharina 
werde  bei  einem  Einmarsch  von  Österreichern  und  Preußen  sich 
überhaupt  nicht  an  der  Intervention  in  Frankreich  beteiligen. 
Eben  war  nun  von  Ludwig  Cobenzl  die  Nachricht  eingelaufen, 
sie  werde  wahrscheinlich  Geld  geben,  und  das  war  den  Öster- 
reichern das  Allererwünschteste.  Wozu  sollten  sie  sich  diese 
günstige  Aussicht  verderben?  Endlich:  nur  Preußen  hatte  den 
Vorteil  von  einem  Einmarsch  in  Polen,  und  das  war  entscheidend. 
Spielmann  sprach  also  nur  von  der  Entschädigungsfrage.  Hier 
gab  er  Polen  den  Preußen  und  den  Russen  preis.  Er  sah  wohl 
ein,  daß  ein  Widerstand  doch  nichts  nützen  werde,  wollte  dann 
aber  aus  seinem  Zugeständnis  möglichst  viel  Gewinn  heraus- 
schlagen. Eroberungen  am  Rhein  (man  hat  wohl  an  Teile  von 
Elsaß  und  Lothringen  zu  denken)  paßten  ihm  gar  nicht.  Schon 
die  Niederlande  waren  sehr  gefährdet;  sollte  man  sich  ein  neues 
Vorwerk  schaffen,  das  viel  kostete,  dabei  doch  wenig  nützte  und 
auch  noch  Österreich  endgültig  mit  Frankreich  verfeinden  mußte.? 
Er  lehnte  auch  von  vornherein  die  Möglichkeit  ab,  die  Nieder- 
lande durch  Eroberung  von  Flandern  und  Hennegau  zu  ver- 
größern und  zu  sichern,  wovon  Ph.  Cobenzl  in  diesen  Tagen  zu 
Haugwitz  sprach.  Dazu  müßte  der  ganze  Feldzugsplan  geändert 
werden,  die  Eroberung  der  zahlreichen  Festungen  würde  aber 
viel  Zeit  kosten  und  in  einer  Kampagne  nicht  zu  erreichen  sein1). 
Endlich  fehle  der  Hauptvorteil,  die  Arrondierung,  die  Preußen 
so  schön  in  Polen  erreiche.  Sie  aber  fand  er  für  Österreich  nur  in 
dem  Austausch  der  Niederlande  gegen  Bayern  und  die  Ober- 


*)  Man  sieht  wieder,  wie  wenig  Ernst  es  doch  den  Österreichern  im 
Grunde  genommen  mit  der  Versicherung  war,  Frankreich  werde  rasch 
unterworfen  werden.  Sie  wollten  sich  aus  ihrer  Ruhe  und  Zuversicht 
nicht  aufschrecken  lassen.  —  Wenn  Haugwitz  von  Ph.  Cobenzl  doch  Äuße- 
rungen für  jene  Vergrößerung  der  Niederlande  berichtet,  so  kann  es  auf 
Verabredung  mit  Spielmann  geschehen  sein,  um  die  Karten  nicht  zu  früh 
aufzudecken;  doch  ist  es  ebensogut  möglich,  daß  Cobenzl  selbst  noch  nichts 
von  dem  geheimen  Plan  gewußt  hat.  H.E.B.  290;  vgl.  oben.  Haugwitz 
wußte  jedenfalls  nichts  davon  (Minerva  Bd.  184  S.  5). 


Kriegskostenentschädigung  225 

pfalz1).  Sein  Brief  war  hauptsächlich  zur  Widerlegung  aller 
etwaigen  Einwände  gegen  den  Tausch  und  seine  Ausführbarkeit 
bestimmt.  Wir  können  sie  hier  übergehen,  wollen  aber  als  be- 
deutungsvoll feststellen,  daß  er  mit  keinem  Worte  darauf  zu 
sprechen  kommt,  Österreich  müsse  außerdem  noch  etwas  haben, 
um  gegenüber  Preußen  mit  seiner  Neuerwerbung  nicht  im  Nach- 
teil zu  sein;  eher  das  Gegenteil  war  der  Fall.  Die  Arrondierung 
oder,  wie  man  später  sagt,  der  Tausch  pure  et  simpliciter  erschien 


x)  Es  ist  wohl  die  Behauptung  aufgestellt  worden,  Österreich  sei  zur 
Wiederaufnahme  des  Tauschplanes  durch  Rasumowski  veranlaßt  worden 
(H  äußer  I  358;  S  y  b  e  1  II  209  ff.;  R  an  k  e  191).  H  e  i  g  e  1  (I  537) 
hat  aber  bereits  darauf  hingewiesen,  daß  dabei  ein  Anachronismus  vorliegt. 
Haugwitz,  auf  dessen  Berichte  sich  Sybel  bezieht  für  die  Behauptung, 
daß  jenes  Gespräch  so  früh  stattgefunden  haben  sollte,  wurde  erst  in  Frank- 
furt in  das  Geheimnis  eingeweiht.  Außerdem  ist  aber  zu  bemerken,  daß 
die  Beziehungen  zwischen  Österreich  und  Rußland  im  Mai  einen.  Grad 
der  Spannung  erreicht  hatten,  der  es  verbietet,  derartige  Eröffnungen 
Rasumowskis  in  dieser  Zeit  anzunehmen.  Er  eröffnete  ja  seine  Tätigkeit 
als  alleiniger  russischer  Gesandter  am  18.  Mai  mit  der  erwähnten  Er- 
klärung, mit  der  sich  Rußland  nach  dem  Ausdruck  von  Kaunitz  „das  Maul 
verbrannte".  Erst  die  Passivität  Österreichs  in  der  Entschädigungsfrage 
brachte  eine  vorübergehende  Besserung  darin  hervor.  Rußland  vermied 
es  ferner  in  den  ersten  Monaten  beharrlich,  sich  über  seine  eigenen  Ab- 
sichten deutlich  auszusprechen,  weil  es  damit  die  Ansprüche  seiner  Ge- 
nossen zu  steigern  fürchtete.  Erst  als  die  preußischen  und  damit  auch 
entsprechend  hohe  österreichische  Forderungen  im  allgemeinen  bekannt 
waren  (das  können  wir  wohl  noch  in  den  Mai  setzeli,  wenn  auch  Alopeus 
und  der  Prinz  Nassau  erst  Ende  Juni  genauer  darüber  berichten  konnten), 
da  ging  Rußland  etwas  aus  sich  heraus  und,  wohl  zu  bemerken,  nicht  bei 
Preußen,  das  in  Polen  etwas  haben  wollte,  sondern  bei  Österreich,  so  daß 
Preußen  bei  Rußland  immer  noch  den  ersten  Schritt  zu  machen  hatte. 
Das  Gespräch  zwischen  Rasumowski  und  Philipp  Cobenzl  scheint  mir 
danach  vor  dem  Juni  nicht  stattgefunden  zu  haben.  Die  Anregung  ist  als 
russischer  ballon  d'essai  aufzufassen  (vgl.  3.  Februar!),  wenn  sie  überhaupt 
gemacht  worden  ist,  woran  zu  zweifeln  ich  allerdings  bei  Rasumowskis 
Charakter  keinen  Anlaß  sehe.  Damit  fällt  dann  auch  die  Anregung  des 
Planes  nicht  den  Russen,  sondern  Spielmann  zu  (Ph.  Cobenzl  wurde  von 
diesem  angetrieben),  mit  dessen  Plänen  das  so  vorzüglich  übereinstimmte 
(vgl.  oben).  Ich  halte  demnach  die  Ansicht  für  die  richtige,  die  Goltz  in 
Petersburg  vertrat.  Vgl.  V  i  v  e  n  o  t  II  551 ;  S  o  r  e  1  II  467 ;  Ch.J.P.  138; 
WassiltchikowIIl,  139—140;  V  i  v  e  n  o  t  II  486  u.  492;  an  Goltz 
9.,  10.  und  31.  Juli  (H.E.B.  291—292),  30.  August;  Bericht  3./14.  August; 
Rep.  XI  89  g1  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  26.  Juli ;  an 
Haugwitz  30.  Juli.  Ich  glaube  nach  allem,  daß  Rasumowski  nach  einer 
Anregung  von  österreichischer  Seite  darauf  eingegangen  ist  und  damit 
den  Österreichern  den  erwünschten  Vorwand  für  ihren  Antrag  in  Peters- 
burg geboten  hat. 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution        15 


226  H.  Abschnitt 

ihm  mit  Recht  als  so  wichtig,  daß  er  allein  ausreichte,  um  dem 
preußischen  Vorteil  die  Wage  zu  halten.  Denn  auch  er  natürlich 
wollte  die  Gleichheit  zwischen  der  österreichischen  und  der  preußi- 
schen Erwerbung  gewahrt  wissen1).  Noch  weniger  war  deshalb 
natürlich  die  Rede  von  dem  später  hervorgezerrten  Ersatz  für 
den  finanziellen  Nachteil,  den  Österreich  bei  dem  Tausch  erleiden 
sollte,  wenn  Spielmann  auch  den  Vorteil  für  Pfalzbayern  in  das 
richtige  Licht  setzte.  Er  legte  eben  den  allergrößten  Wert  darauf, 
die  preußische  Zustimmung  zu  diesem  namentlich  unter  Hertz- 
berg so  erbittert  von  Preußen  bekämpften  Lieblingsplan  der 
österreichischen  Politik  zu  gewinnen.  Alle  anderen  Schwierig- 
keiten konnten  ihr  gegenüber  ihm  mit  Recht  als  untergeordnet 
erscheinen.  Er  wollte  den  günstigen  Augenblick  benützen  und 
nahm  nicht  ängstlich  eine  Goldwage  zur  Hand,  um  das  Gleich- 
gewicht mit  der  preußischen  Erwerbung  bis  zum  letzten  Tüpfel- 
chen peinlich  genau  festzustellen. 

Es  hätte  scheinbar  gar  nicht  seiner  langen  Ausführungen 
bedurft,  um  Preußen  zur  Annahme  dieser  Änderungen  zu  bringen. 
Schulenburg  stimmte  für  sich  sofort  zu.  Ja,  er  behauptete,  selbst 
von  Anfang  an  die  Sache  so  angesehen  zu  haben,  und  meinte, 
man  solle  vielleicht  die  Niederlande  durch  Eroberungen  noch 
etwas  vergrößern,  um  dem  Kurfürsten  den  Tausch  noch  an- 
genehmer zu  machen,  da  er  hauptsächlich  auf  erhöhte  Einnahmen 
Gewicht  legen  werde  —  also  auch  hier  kein  Gedanke  an  eine 
geringere  Bewertung  von  Bayern  gegenüber  den  Niederlanden2). 


1 )  S  o  r  e  1  I  41  u.  449. 

2)  Wenn  Alvensleben  in  einer  viel  zitierten,  aber  darum  nicht  wert- 
volleren Denkschrift  vom  1.  Oktober  1793  (Rep.  I  172)  die  Verantwortung 
für  die  Anregung  des  Tauschplanes  seinem  Kollegen  Schulenburg  zuschiebt, 
so  widerspricht  dem  Sehulenburgs  eben  erwähnte  Äußerung  und  der  Erlaß 
von  Ph.  Cobenzl  an  seinen  Vetter  vom  2.  Juli  (V  i  v  e  n  o  t  II  486),  in  dem 
es  ausdrücklich  heißt,  der  Gedanke  sei  in  Österreich  entstanden;  er  hätte 
sich  gewiß  keine  Gelegenheit  für  den  Hinweis  entgehen  lassen,  daß  Preußen 
die  Anregung  gegeben  habe.  Ich  sehe  auch  keinen  Grund,  an  Sehulenburgs 
Angabe  zu  zweifeln.  Die  Briefe  zwischen  Reuß  und  Spielmann  müßten 
dann  auch  schon  ostensibel  sein,  um  mit  den  Diplomaten  jener  Zeit  zu 
reden,  etwa  für  die  beiden  Monarchen.  Es  fehlt  aber  jeder  weitere  Anhalt 
für  eine  solche  Annahme,  und  die  Autorität  Alvenslebens  steht  gerade  in 
seinen  Denkschriften  nicht  hoch.  Er  verfolgt  in  ihnen  das  Ziel,  sich  von 
der  Schuld  an  der  verkehrten  Politik  rein  zu  waschen.  Er  habe  immer 
vergeblich  gewarnt,  der  König  und  Schulenburg  hätten  aber  auf  ihn  nicht 
hören  wollen  und.  unter  sich,  ohne  das  Kabinettsministerium  zu  fragen, 
die  Sachen  abgemacht.    (Das  trifft  in  der  Hauptsache  zu,  und  doch  braucht 


Kriegskostenentschädigung  227 

Es  hätte  hier  nahegelegen,  die  alten  preußischen  Pläne  auf 
Jülich-Berg  zu  erwähnen;  aber  sie  sind  wie  in  einer  Versenkung 
verschwunden.  Ich  bin  sogar  nicht  ganz  sicher,  daß  die  preußi- 
schen Gesandten  in  Wien  (Jacobi,  BischofEwerder,  Haugwitz) 
bisher  schon  direkt  davon  gesprochen  hatten1).  Als  auf  die  Ver- 
anlassung von  Haugwitz  jene  Forderung  wieder  hervorgezogen 
wurde,  da  dachte  er  nicht  an  die  gleichzeitige  Durchführung  von 
beiden  Plänen2),  sondern  nur  wenn  die  Erwerbung  in  Polen 
scheiterte,  sollte  man  auf  den  alten  Plan  zurückgreifen,  trotz  der 
geringeren  Vorteile,  um  nur  überhaupt  etwas  zu  erhalten.  Ebenso 
dachte  man  in  Preußen  über  die  österreichischen  Forderungen 
einer  Erweiterung  auf  Kosten  Frankreichs:  entweder  der  Tausch 
oder  Eroberungen  in  den  französischen  Niederlanden,  bezw.  im 
Elsaß,  und  entweder  polnische  Gebietsteile  oder  Jülich-Berg  für 
Preußen.  Aber  damals  war  dieser  Plan  schon  unannehmbar  für 
Österreich  geworden3). 

Auch  der  König,  dem  Schulenburg  an  der  Hand  eines  Aus- 
zuges aus  Spielmanns  Brief,  den  er  aber  Reuß  zurückgeben  mußte, 
Bericht   erstattete,   hatte  nichts  gegen   den   Tauschplan   einzu-    ' 
wenden.     Nur  wollte  er  gegen  Zweibrücken  keine  Gewalt  an- 


man  nicht  gleich  in  Alvenslebens  Verdikt  einzustimmen.)  Wenn  wir  dazu- 
nehmen,  daß  Alvensleben  den  Tausch  von  vornherein  verhindert,  Schulen- 
burg ihn  aber  unter  gewissen  Bedingungen  zugelassen  hätte,  und  daß 
Alvensleben  von  diesen  geheimen  Anfangsverhandlungen  vielleicht  nie 
etwas  Genaues  erfahren  hat,  so  erkennen  wir,  wie  Alvensleben  zu  seiner 
Anschauung  hat  kommen  können.  Die  neuerdings  aufgestellte  Behaup- 
tung, auch  Schulenburg  habe  nicht  ehrlich  an  die  Durchführung  des  Tausches 
gedacht,  muß  zurückgewiesen  werden.  Seine  ganze  Politik  beruhte  auf 
der  dauernden  Einigung  mit  Österreich.  Er  hätte  sich  also  selbst  das 
Wasser  mit  einer  derartigen  Hinterhältigkeit  abgegraben.  Daß  er  nicht 
gern  daranging,  ist  richtig;  dazu  war  das  Opfer  doch  auch  in  seinen  Augen 
zu  groß.  Aber  erst  als  die  Österreicher  mit  Forderungen  kamen,  von  denen 
sie  vorher  nicht  gesprochen  hatten,  und  von  ihrer  Erfüllung  die  Besetzung 
der  von  Preußen  beanspruchten  Gebietsteile  Polens  abhängig  machen 
wollten,  hätte  er  am  liebsten  den  Tausch  an  den  zahlreichen  Kuppen  bei 
dem  Versuche,  ihn  durchzuführen,  scheitern  sehen.  Er  und  seine  Kollegen 
taten  nichts  mehr,  um  den  Österreichern  ihr  Werk  zu  erleichtern,  aber  sie 
taten  auch  nichts  zu  seiner  Verhinderung.  Auf  die  ersten  Monate  darf  man 
aber  diese  Anschauung  nicht  übertragen  (Süßheim  69). 

*)  H.E.B.    164 — 165,    Finckenstein    und   Alvensleben    an   Haugwitz 
19.  August. 

2)  Ranke  192;  Sorel  II  498. 

3)  Rep.  96,  155  E  Haugwitz  an  Friedrich  Wilhelm  26.  Juli;  Rep.  I  170 
und  H.E.B.  292—296  Haugwitz'  Bericht  16.  August. 


228  II.  Abschnitt 

wenden,  um  nicht  alte  Verpflichtungen  zu  verletzen1).  Erst 
nachher  wurde  dieser  Vorbehalt  in  den  Verhandlungen  wichtig. 
Spielmann  hielt  ihn  jetzt  für  belanglos  in  der  ersten  Freude 
über  das  Gelingen  seines  Planes,  da  der  Tausch  für  Pfalzbayern 
ja  äußerst  günstig  sei2),  und  hatte  auch  seinerseits  nichts  dagegen, 
auf  französische  Kosten  noch  ein  Stück  dazuzufügen;  auf  Öster- 
reich wäre  dann  der  französische  Haß  nicht  gefallen.  Über  die 
Größe  der  preußischen  Forderungen  sagte  Schulenburg  nur  im 
allgemeinen,  sie  sollten  Schlesien  mit  Preußen  verbinden  und 
hingen  von  der  Größe  des  russischen  Anteils  ab3).  Gegenüber 
Polen  endlich  nahm  Preußen  ganz  die  österreichische  Ansicht  an, 
man  dürfe  Katharina  nicht  ärgern  —  sicher  schon  aus  dem  Grunde, 
daß  es  allein  doch  nichts  ausrichten  könne,  also  gute  Miene  zum 
bösen  Spiel  machen  müsse. 

Die  Mächte  schienen  also  über  alle  Fragen  volles  Einver- 
ständnis erzielt  zu  haben.  Preußen  wünschte  nun  möglichst 
bald  die  Sache  in  den  ministeriellen  Formen  abgemacht  zu  sehen, 
um  dann  mit  Österreich  vereint  bei  Katharina  vorstellig  zu 
werden,  deren  eigene  Forderungen  es  in  der  Zwischenzeit  zu  er- 
fahren hoffte.  Die  schon  längere  Zeit  geplante  Zusammenkunft 
Friedrich  Wilhelms  mit  Franz  oder  besser  ihrer  Minister  sollte 
die  Sache  zum  Abschluß  in  mündlicher  Besprechung  bringen. 
In  Preußen  war  da  nicht  viel  zu  machen.  Die  beiden  Kabinetts- 
minister erhielten  Mitteilung  von  den  Vorgängen  und  fügten  sich 
wie  üblich.  In  Wien  aber  war  es  nicht  so  einfach.  Dort  hatte 
man  es  bisher  ängstlich  vermieden,  das  Orakel  aller  Diplomaten 
mit  einem  Plane  vertraut  zu  machen,  der  seinen  Absichten  so 
schnurstracks  zuwider  war.  Aber  es  half  nichts,  einmal  mußte 
es  doch  geschehen.  Am  21.  Juni  schrieb  Franz  an  Kaunitz4) 
noch  aus  Ofen  in  der  liebenswürdigsten  Form5);  gleichzeitig  in- 

1 )  Das  ist  kein  Hinterpförtchen,  das  er  sich  offen  üeß  (H  e  i  g  e  1 1  558), 
sondern  der  Ausdruck  seiner  Persönlichkeit,  die  stets  eine  reservatio  men- 
talis, stets  Deckung  suchte,  wo  große  Männer  sich  nicht  scheuten,  offen 
den  Vertragsbruch  oder  Ähnliches  mit  der  Änderung  der  politischen  Lage 
zu  begründen. 

2)  Vi  veno  t  II  478. 

3)  VivenotH  456  und  461.  Wir  erkennen  dabei  wieder,  wie  wichtig 
es  den  Preußen  sein  mußte,  die  Russen  zuerst  ihre  Forderungen  bekannt 
geben  zu  lassen. 

*)Vivenot  H  476.  Vgl.  Ranke  195—196;  Sybel  II  213 
bis  215;  Sorel  II  468—469;  Heigell  558—559. 

5)  Man  braucht  ihm  nicht  die  Absicht  zuzuschreiben,  Kaunitz  zur 
Einreichung  seines  Abschiedsgesuches  zu  veranlassen;  es  hat  nachher  noch 


Kriegskostenentschädigung  229 

formierte  ihn  Spielmann  über  die  Einzelheiten  des  Planes1). 
Aber  die  Pille  war  zu  bitter.  Kaunitz  fiel  aus  allen  Wolken. 
Sein  Verhältnis  zu  Franz  und  zu  seinen  Helfern  war  zwar  schon 
längere  Zeit  gespannt  gewesen,  aber  er  hatte  sich  doch  noch  als 
Herrn  der  Lage  gefühlt.  Nun  hatte  Spielmann  mit  Erfolg  hinter 
seinem  Rücken  gerade  mit  dem  preußischen  Minister  angeknüpft, 
den  er  sich  ganz  ergeben  wähnte2).  Er  lehnte  ein  Eingehen  auf 
diesen  Plan  rundweg  ab  und  verurteilte  sich  selbst  damit  zur 
politischen  Untätigkeit.  Er  kanzelte  seinen  König  mit  einer 
Schärfe  ab,  die  sich  kaum  übertreffen  läßt;  er  behandelte  ihn 
wie  einen  Schulbuben,  und  nur  sein  Alter,  seine  Verdienste  und 
seine  politische  Erfahrung  können  ihn  zu  dieser  Philippika  ge- 
bracht haben3). 

Freilich,  wenn  er  das  Verhalten  gegenüber  Polen  als  unwürdig 
verurteilte,  so  müssen  wir  uns  daran  erinnern,  daß  er  selbst  die 
Grundsätze  der  Konvenienz  für  Polen  und  Frankreich  vertrat 
und  daß  hierin  ein  so  tiefgreifender  Unterschied  zwischen  ihm 
und  Spielmann  nicht  bestand4).  Was  er  aber  sonst  gegen  die 
Ausführbarkeit  des  ganzen  Planes  vorbrachte,  hat  sich  als  sehr 
berechtigt  erwiesen:  der  Zweifel  an  der  Einwilligung  von  Pfalz- 
bayern, der  Widerstand  der  Seemächte,  die  Nachteile  gegenüber 
Preußen.  Er  hoffte,  daß  aus  der  ganzen  Sache  nichts  werden 
würde,  und  hielt  mit  seiner  Unzufriedenheit  überhaupt  nicht 
hinter  dem  Berge5).  Das  scheint  mir  der  Hauptgrund  gewesen 
zu  sein,  weshalb  er  noch  im  Amte  blieb,  wo  er  vorläufig  so  wenig 
zu  sagen  hatte,  und  nur  nebenher  wird  ihn  der  Gedanke  beein- 
flußt haben,  daß  er  kurz  vor  der  Wahl  und  der  Krönung  von 
Franz  zum  Kaiser  nicht  gut  seinen  Abschied  nehmen  könne. 
Wichtige  Depeschen  wurden  ihm  jetzt  in  der  Tat  auf  besonderen 


verschiedener  Schritte  von  Kaunitz  bedurft,  um  ihm  die  Genehmigung 
dazu  zu  entlocken.  Franz  scheint  doch  der  Ansicht  gewesen  zu  sein,  daß 
Kaunitz  sich  dem  Gesinnungswechsel  seines  Herrn  einfach  anzuschließen 
habe,  daß  er  ein  Diener,  nicht  aber  der  Meister  sei  trotz  aller  Verdienste, 
die  Franz  ihm  gar  nicht  bestreiten  wollte.  So  war  er  im  August  etwas 
überrascht,  als  Kaunitz  tatsächlich  um  seinen  Abschied  bat. 

1 )  V  i  v  e  n  o  t  II  478. 

2)  ibid.  II  470  und  475. 

3)  Das  Verhalten  von  Franz  ihm  gegenüber  wurde  deshalb  jetzt  auch 
erheblich  kühler.  Vor  der  Abreise  nach  Frankfurt  besuchte  er  ihn  nicht 
mehr  (Bericht  Cesars  7.  Juli  1792). 

4)  Sorel  II  468. 

5)  Bericht  Cesars  25.  Juli. 


230  II.  Abschnitt 

Befehl  von  Franz  gar  nicht  mehr  mitgeteilt.  Wozu  auch?  Seines 
Widerspruchs  war  man  gewiß,  aber  hören  wollte  man  doch  nicht 
auf  ihn. 

In  dieser  Stimmung  sahKaunitz  den  Mainzer  Konferenzen 
entgegen.  Er  hoffte,  daß  sich  dabei  nichts  Besonderes  ergeben 
werde,  erwünschte  es  wenigstens1).  Da  berichtete  ihm  nun  Philipp 
Cobenzl  aus  Prag  endlich,  nachdem  er  aus  Mainz  über  Festlich- 
keiten geschrieben  und  so  nebenher  nur  die  Existenz  politischer 
Verhandlungen  erwähnt  hatte2),  über  den  Verlauf  und  das  Er- 
gebnis der  Konferenzen.  Er  teilte  ihm  auch  den  Erlaß  an  Ludwig 
Cobenzl  vom  2.  Juli  mit3),  den  Kaunitz  noch  nicht  kannte4). 
Philipp  Cobenzls  Bericht  war  etwas  rosiger  gefärbt,  als  er  verant- 
worten konnte.  Tatsächlich  war  in  Mainz  gar  nichts  entschieden 
worden,  und  in  ziemlicher  Verstimmung  war  man  voneinander 
gegangen.  Aber  Kaunitz  mußte  nach  all  den  ihm  übersandten 
Aktenstücken  annehmen,  daß  seine  Politik  endgültig  verlassen 
und  die  neue  Richtung  im  besten  Zuge  sei,  sich  fest  einzurichten. 
Seine  Hoffnung  schien  also  gescheitert  zu  sein,  und  die  Vermutung 
ist  wohl  nicht  zu  gewagt,  daß  diese  Enttäuschung  ihn  bestimmt 
hat,  sein  Abschiedsgesuch  wirklich  am  2.  August  einzureichen5). 
Auch  die  Fassung  des  Gesuches  gewährt  dafür  einigen  Anhalt. 
Nur  auf  sein  wiederholtes  Bitten  —  auch  eine  mündliche  Aus- 
sprache erwies  sich  als  erfolglos  —  gewährte  ihm  schließlich 
Franz  am  19.  August  in  den  ehrenvollsten  Formen6),  zur  großen 
Überraschung  der  weniger  eingeweihten  Kreise,  die  schon  eine 
Besserung  der  Beziehungen  sich  hatten  anbahnen  sehen7),  den 
Abschied8).  Franz  behielt  sich  immer  noch  vor,  seinen  Rat  ein- 
zuholen, aber  wirklichen  Einfluß  hat  er  direkt  doch  nicht  mehr 
ausgeübt;  erst  unter  Thugut  wurde  er  als  sein  Berater  noch  ein- 
mal auf  kurze  Zeit  wichtig.  Jetzt  wurde  Ph.  Cobenzl  sein  Nach- 
folger.     Heute   wissen    wir,    daß   gerade  die  in  Mainz  gestellte 


1)  Schütter  63. 

2)  Vivenotll  506.  Gerade  auf  den  Bericht  darüber  von  den  maß- 
gebenden Persönlichkeiten  hatte  ihn  Bartenstein  vertröstet  —  es  mußte 
Kaunitz  wie  Hohn  vorkommen  (ibid.  II  507). 

3)  ibid.  II  486. 

4)  ibid.  II  509. 

6)  ibid.  II  510.  Mehr  als  zwei  Tage  brauchte  ein  Kurier  von  Prag 
nach  Wien  keinesfalls. 

6)  An  Haugwitz  3.  September. 

7)  Berichte  Cesars  18.  und  19.  August. 

8)  V  i  v  e  n  o  t  II  510,  512,  521,  526,  527,  528,  529,  530. 


Kriegskostenentschädigung  231 

österreichische  Forderung  einen  Umschwung  in  dem  Verhältnis 
der  beiden  verbündeten  Staaten  zueinander  herbeiführte,  der  in 
der  zweiten  Teilung  Polens  und  in  der  Entlassung  von  Philipp 
Cobenzl  und  Spielmann  endigte,  d.  h.  in  dem  tatsächlichen  Bruch 
des  österreichisch-preußischen  Bündnisses  und  in  einer  Annähe- 
rung an  das  von  Kaunitz  befolgte  System.  Der  Abgang  von 
Kaunitz  erscheint  danach  gewissermaßen  als  tragische  Ironie. 

Nach  der  Ausschaltung  dieses  hemmenden  Gliedes  schienen 
die  Entschädigungs  Verhandlungen  rascher  vorwärtsgehen  zu 
können.  Von  beiden  Mächten  wurden  die  ersten  noch  sehr  vor- 
sichtigen Andeutungen  darüber  nach  Petersburg  weitergegeben, 
da  man  erst  die  definitive  Einigung  auf  der  Konferenz  zu  Koblenz1) 
—  es  war  nachher  Mainz  —  abwarten  wollte.  Ph.  Cobenzl  stellte 
den  bayerischen  Tausch  nur  als  einen  vorher  erst  entstandenen 
Gedanken  dar,  der  den  Russen  nur  mündlich  und  ganz  geheim 
mitzuteilen  sei,  ebenso  wie  die  Wünsche  Preußens.  Er  erteilte 
seinem  Vetter  den  Auftrag,  von  russischen  Entschädigungen 
überhaupt  nichts  zu  sagen,  da  Rußland  ja  am  französischen 
Kriege  nicht  teilnehme2),  aber  ebensowenig  eine  Abneigung  da- 
gegen spüren  zu  lassen.  Als  eventuelle  Konzession  für  die  Ein- 
willigung Rußlands  hielt  er  den  Verzicht  auf  das  gegen  Frank- 
reich bestimmte  russische  Truppenkorps,  von  dem  man  doch  nie 
etwas  zu  sehen  zu  bekommen  meinte,  oder  den  Geldersatz  bereit 
und  versprach  (wie  großmütig!),  Preußen  zu  bearbeiten,  daß  es 
gegen  die  Wiederherstellung  der  alten  Verfassung  in  Polen  nichts 
einwende3). 

Der  preußische  Hof  überließ  es  vorläufig  auch  den  Öster- 
reichern allein,  sich  seine  Kastanien  aus  dem  Feuer  zu  holen. 
Goltz  wurde  zwar  in  den  ganzen  Plan  eingeweiht,  sollte  aber 
eventuell  nur  von  preußischen  Erwerbungen  sprechen4)  — 
genug,  wenn  es  seine  Ansprüche  durchsetzte,  den  österreichischen 
nicht  hinderlich  war.  Am  liebsten  hätte  sich  Preußen  mit  Ruß- 
land allein  und  rasch  geeinigt.  In  Beantwortung  der  Depesche 
Ostermanns  an  Alopeus  vom  10./21.  Juni,  die  Entschädigungen 
für  den  Krieg  in  Frankreich  ablehnte,  das  Prinzip  selbst 


*)  Vivenot  II  486. 

2)  Österreich  wollte  Rußlands  Angebot  zur  Stellung  von  15  000  Mann 
als  Erfüllung  der  Vertragspflicht  auffassen. 

3)  V  i  v  e  n  o  t  II  486,  500,  511.     Dabei  ist  jedoch  zu  bemerken,  daß 
Österreich  auf  die  russische  allianzmäßige  Hilfe  nicht  verzichtete. 

4)  An  Goltz  9.  und  31.  Juli.    H.E.B.  291—292. 


232  IL  Abschnitt 

aber  anerkannte  und  damit  für  Preußen  wirklich  nur  noch  Er- 
oberungen in  Polen  übrig  ließ1),  so  daß  dies  mit  der  Eröffnung 
recht  zufrieden  war2),  äußerte  Schulenburg  gegen  Alopeus3),  nach- 
dem er  durch  eine  indirekte  Anfrage  die  Bitte  von  Alopeus  pro- 
voziert hatte,  sich  über  die  Entschädigungsfrage  auszusprechen4), 
Österreich  könne  sich  ja  einige  französische  Provinzen  aneignen. 
Das  werde  eine  so  starke  Macht  wie  Frankreich  wenig  schwächen, 
aber  das  werde  viel  Schwierigkeiten  machen.  Österreich  denke 
daher  an  den  Tausch  von  Belgien  gegen  Bayern.  Preußen  wolle 
seine  Zustimmung  nicht  versagen,  begehre  aber  Entschädigungen 
in  Polen,  und  Kußland  könne  gleichzeitig  die  polnische  Ukraine 
in  Besitz  nehmen5).  Nur  durch  eine  der  zahlreichen  übel  an- 
gebrachten Vertraulichkeiten  Bischoffwerders  erfuhr  der  Prinz 
Nassau  auf  seiner  Durchreise  durch  Berlin  von  dem  ganzen  Plan, 
über  den  ihm  Schulenburg  nur  mit  der  größten  Vorsicht  An- 
deutungen gemacht  hatte6),  wobei  sich  Nassau  das  Geständnis 
hatte  entreißen  lassen,  auch  Katharina  könne  unentgeltlich  große 
Aufwendungen  nicht  machen.  Der  Plan  Preußens  schien  also 
schon  fertig  zu  sein,  während  Preußen  nach  Rußland  nur  von 
der  Tatsache  der  Entschädigung  als  etwas  Festem,  dagegen  von 
allerlei  Möglichkeiten  sprach,  zu  diesem  Ziele  zu  gelangen7). 

Aus  einem  Promemoria  vom  9.  Juli,   das  Goltz  erhielt,   er- 
sehen wir,  wie  sich  Schulenburg  zu  Alopeus  ausgesprochen  hatte8). 


x)  Sybel  III  167. 

2)  Rep.  XI  89  b  Schulenburg  an  Braunschweig  4.  Juli. 

3)  Etwas  Schriftliches  zu  geben  hatte  der  König  noch  besonders 
untersagt.    Häußer  I  357 — 358. 

4)  Rep.  96,  147  G  II,  S.  Au  Roi  1.  Juli  mit  königlicher  Entscheidung 
(in  Rep.  XI  Rußland  133  B). 

5)  Ssolowjoff  294—295;  Härtens,  Traites-Russie  VI  161;  Rep. 
96,  147  G  II,  S.A.  Au  Roi  3.  Juli;  S  y  b  e  1 III  167—168. 

6)  Rep.  96,  147  G  II,  S.  Au  Roi  28.  Juni  (2  Berichte). 

7)  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  177—180.  Doch  fällt  mir  dabei  auf,  daß  noch  von 
der  Abtretung  einiger  Stücke  von  Elsaß-Lothringen  die  Rede  war  (vgl. 
auch  Martens  VI  160).  Es  handelte  sich  dabei  um  die  Reichsfürsten, 
wie  sich  aus  dem  gleich  zu  erwähnenden  Promemoria  an  Goltz  und  aus 
einem  Briefe  Schulenburgs  an  den  Herzog  von  Braunschweig  ergibt,  der 
den  Prinzen  die  Notwendigkeit  der  Entschädigung  klarmachen  sollte 
(Rep.  XI  89  b  Braunschweig  an  Schulenburg  17.  Juni;  Schulenburg  an 
Braunschweig  19.  Juni,  S.  Au  Roi  19.  Juni).  Von  einer  Zugabe  zu  den 
Niederlanden  für  Bayern  war  hier  keine  Rede,  noch  weniger  natürlich  von 
einer  solchen  für  Österreich. 

8)  Es  war  am  3.  Juli  von  Preußen  schon  beschlossen,  scheint  aber 
durch  das  österreichische  Vorgehen  beeinflußt  worden  zu  sein  (V  i  v  e  n  o  t 


Kriegskostenentschädigung  233 

Österreich,  Preußen  und  Rußland  hätten,  so  heißt  es  darin,  durch 
ihre  Aufwendungen  für  die  Intervention  in  Frankreich  das  Recht, 
Ersatz  der  Kosten  zu  verlangen1).  Nun  werde  es  zwar  auf  die 
Dauer  der  Intervention  und  die  weiteren  Umstände  ankommen, 
man  könne  also  die  Höhe  der  Forderungen  nicht  genau  festlegen ; 
aber  immerhin  könne  man  sich  doch  über  die  verschiedenen  Mög- 
lichkeiten einigen,  überhaupt  dazu  zu  gelangen.  Drei  wurden 
unterschieden.  Die  nächstliegendste  sei  natürlich  der  Ersatz  in 
Geld.  Aber  es  werde  eine  ganz  außerordentlich  große  Summe 
sein.  Wo  solle  Frankreich  das  Geld  zur  sofortigen  Bezahlung 
hernehmen?  Die  Umwandlung  in  eine  Nationalschuld  sei  zwar 
theoretisch,  nicht  aber  praktisch  möglich.  Dabei  würden  die 
Mächte  wenig  oder  überhaupt  nichts  erhalten,  und  außerdem 
würde  diese  Geldforderung  in  jedem  Falle  Frankreich  hindern, 
sich  aus  dem  Zustande  wieder  zu  erheben,  in  dem  es  sich  jetzt 
befinde.  Da  sei  dann  die  Abtretung  von  einigen  Landesteilen 
doch  bedeutend  vorzuziehen.  Österreich  könne  sich  nach  seinem 
Belieben  etwas  aussuchen,  Preußen  könne  Jülich-Berg  erhalten. 
Wie  aber  Rußland  etwas  bekommen  solle,  sei  schlechterdings 
nicht  zu  sehen.  Auch  dieser  Weg  scheine  also  schon  allein  aus 
dem  genannten  Grunde  ungangbar  zu  sein.  Es  gebe  aber  einen 
dritten,  der  die  Interessen  aller  drei  Mächte  in  gleicher  Weise 
berücksichtige.  Wenn  Österreich  seinen  alten  Plan,  die  Nieder- 
lande gegen  Bayern  umzutauschen,  wieder  aufnehme  und  sich 
dadurch  beträchtlich  stärke,  müsse  Preußen  eine  entsprechende 
Verstärkung  seiner  Macht  erhalten.  Sie  könne  es  nur  in  Polen 
finden,  in  den  Provinzen,  die  Schlesien  von  Preußen  trennten. 
Rußland  endlich  könne  sich  durch  die  Besetzung  der  Ukraine 
ebenfalls  eine  bessere  Grenze  schaffen.  Dadurch  werde  zugleich 
sein  Wunsch  erfüllt  —  Preußen  hätte  ihn  ebensogut  als  den 
seinen  bezeichnen  können  — ■  Polens  Macht  zu  beschränken. 
Dieser  Plan,  der  die  Kriegsentschädigung  auf  Polens  Kosten 
suche2),  ermögliche  es  auch,  Frankreichs  territorialen  Bestand, 


II  486;  Rep.  96,  147  G  I,  S.  Au  Roi  1.  Juni;  Rep.  XI  Rußland  133  B  an 
Goltz  9.  und  10.  Juli). 

1)  Preußen  übersah  dabei  absichtlich  die  Untätigkeit,  um  Rußland 
als  Teilhaber  an  einem  Plane  erscheinen  zu  lassen,  der  es  eigentlich  nichts 
anging,  und  um  zwei  ganz  verschiedene  Fragen  verbinden  zu  können. 

2)  Mit  keinem  Worte  wird  diese  Vergewaltigung  zu  begründen  ver- 
sucht, wie  es  nachher  in  so  reichem  Maße  geschehen  ist,  vermutlich  weil 
wir  ein  internes  politisches  Schriftstück  vor  uns  haben.  Umso  besser  zeigt 
sich  uns  die  damalige  Konvenienzpolitik  ohne  jede  Beschönigung. 


234 


II.  Abschnitt 


also  seine  politische  Macht,  außer  einigen  kleinen  Abtretungen  an 
die  geschädigten  deutschen  Reichsfürsten  und  eventuell  an  Sar- 
dinien unberührt  zu  erhalten  bezw.  wiederherzustellen,  und  da- 
mit einen  Wunsch  Rußlands1)  zu  erfüllen. 

So  etwa  sollte  sich  nun  auch  Goltz  aussprechen,  also  dem 
österreichisch- preußischen  Hauptplan  vorarbeiten,  der  schließ- 
lich als  einzige  Möglichkeit  übrig  gelassen  wurde.  Aber  auch  noch 
am  31.  Juli2)  schärften  ihm  die  Minister  größte  Vorsicht  ein  und 
teilten  ihm  nur  zu  seiner  Instruktion  die  Eröffnungen  Österreichs 
in  Petersburg  mit;  er  solle  nötigenfalls  völlige  Unwissenheit 
heucheln.  Aber  das  hatte  alles  keinen  Erfolg,  gegenüber  Preußen 
blieb  Rußland  stumm.  Ostermann  sagte  wohl  einmal,  die  Ent- 
schädigung durch  Geld  sei  schwierig,  brach  dann  aber  sofort  das 
Gespräch  ab.  Preußen  sollte  eben  selbst  kommen,  wie  er  ein 
andermal  sagte3),  trotz  der  ostentativen  Liebenswürdigkeit,  die 
der  ganze  russische  Hof,  von  Katharina  angefangen,  Goltz  be- 
wies. Ja  selbst  das  Manifest  des  Herzogs  von  Braunschweig 
wurde  herangezogen,  um  die  Entschädigungsansprüche  überhaupt 
—  wenn  auch  nicht  ernstlich  —  in  Frage  zu  stellen4).  Die  angezeigte 
österreichisch-preußische  Konferenz  mußte  ja  auch  bald  zu  ge- 
meinsamen Erklärungen  führen.  Aber  wir  werden  noch  sehen, 
wie  trügerisch  diese  Hoffnung  war. 

Sofort  begann  der  Versuch  in  verstärkter  Form,  mit  Rußland 
allein  einig  zu  werden,  dem  Preußen  die  Ukraine  schon  etwas 
aufdringlich  antrug5),  auf  Grund  des  Planes  vom  9.  Juli,  dessen 
erste  beide  Fälle  Preußen  jetzt  selbst  schon  preisgab6).  Der 
glückliche  Beginn  der  Intervention  in  Frankreich  drängte  Preußen 
in  derselben  Richtung  vorwärts.  Es  wollte  eine  feste  Basis  für 
die  Verhandlungen  in  Paris  haben,  die  in  so  große  Nähe  gerückt 
zu  sein  schienen7).  Trotz  der  preußenfeindlichen  Äußerungen 
Markows  zu  L.  Cobenzl  schienen  sich  die  preußisch-russischen 
Beziehungen  nach  dem  Abschluß  des  Vertrages  doch  in  erfreulicher 


1 )  Ähnliches  gilt  für  Preußen  und  mit  anderer  Begründung  wohl  auch 
für  Österreich. 

2)  H.E.B.  291—292;  Rep.  XI  133  B  Alvensleben  an  Finckenstein  und 
Finckenstein  an  Alvensleben  31.  Juli;  Rep.  XI  89  g1  Schulenburg  an 
Finckenstein  und  Alvensleben  26.  Juli. 

3)  Berichte  13./24.,  20./31.  Juli,  30.  Juli/10.  August. 

4)  Sy bei  III  168.    Bericht  30.  Juli/10.  August,  vgl.  oben. 

5)  An  Goltz  7.  September  und  5.  Oktober. 

6)  An  Goltz  16.  August. 

7)  An  Goltz  20.  August  mit  P.S.  und  1.  Oktober. 


Kriegskostenentschädigung  235 

Weise  gebessert  zu  haben.  So  drängte  Preußen  immer  mehr  auf 
das  einzige  Erfordernis  für  die  preußische  Besetzung  der  ge- 
wünschten Landstriche,  deren  Bewohner  darüber  sogar  erfreut 
sein  würden,  auf  die  Zustimmung  Rußlands1).  Goltz  jedoch 
wagte  noch  nicht,  mit  der  Sprache  herauszugehen,  da  ihm  Cobenzl, 
über  dessen  Heimtücke  er  sich  nicht  genug  beschweren  konnte2), 
seine  Unterredungen  mit  den  Russen  hierüber  verheimlicht 
hatte3)  und  da  der  österreichische  Vertrag  ausdrücklich  die 
Integrität  Polens  festsetzte,  so  daß  Rußland  sein  Abweichen 
davon  mindestens  immer  als  Gefälligkeit  geltend  machen  konnte4). 
Kühnheit  war  außerdem  nie  die  starke  Seite  von  Goltz  gewesen. 
Er  wollte  nach  dem  alten  Rezept  die  Russen  zu  Vorschlägen 
zwingen  und  Preußens  Eingehen  auf  sie  als  Gefälligkeit  aus- 
nützen5). Das  Kabinettsministerium  erklärte  das  für  zu  vor- 
sichtig, in  der  Annahme,  daß  Goltz  den  Plan  vom  9.  Juli  .mit- 
geteilt habe;  man  dürfe  daher  von  den  Russen  keine  Vorschläge 
erwarten  und  habe  auch  keine  Zeit  mehr  zu  verlieren6).  Goltz 
teilte  ihn  jedoch  erst  vertraulich  an  Ostermann  mit,  als  Cobenzl 
ihm  seine  auf  den  Mainzer  Konferenzen  fußenden  Instruktionen 
gab,  gegen  deren  hohe  Forderungen  für  Österreich  er  sofort  Lärm 
schlug.  Dafür  fand  er  die  Billigung  Rußlands.  Es  wünschte  nur 
noch  möglichst  rasch  die  Höhe  der  preußischen  Forderungen  zu 
kennen,  ja  die  der  Mächte  überhaupt.  Bisher  war  alles  nur  ver- 
trauliche Eröffnung  gewesen;  es  bedurfte  jetzt,  wo  das  Prinzip 
allgemein  gebilligt  war7),  der  offiziellen8).    Damit  war  von  russi- 

1)  An  Goltz  4.  und  7.  September. 

2)  Berichte  13./24.  August,  31.  August/11.  Septembei,  3./14.  September. 

3)  Bericht  30.  Juli/10.  August.  Erst  am  6./17.  August  wußte  er  allgemein 
davon,  aufmerksam  gemacht  durch  die  preußische  Nachricht  vom  31.  Juli, 
und  am  1 1./22.  teilte  ihm  Cobenzl  seine  neuen  Instruktionen  aus  Prag  nach  den 
Mainzer  Konferenzen  mit,  die  die  russische  Antwort  auf  die  erste  österrei- 
chische Anfrage  beantworteten  (Bericht  1 1./22.  August,  anGoltz  7.  September). 

4)  Bericht  30.  Juli/10.  August. 

5)  Bericht  3./14.  August. 

6)  An  Goltz  30.  August. 

7)  Doch  verlangte  Preußen  Abwägung  der  Gleichheit  nicht  allein  nach 
finanziellen,  sondern  nach  politischen  Gesichtspunkten,  durch  sein  Staats - 
interesse  zu  dieser  richtigen  Bewertung  gezwungen  (an  Goltz  14.  September), 
im  Gegensatz  zu  den  Österreichern,  die,  wie  es  fürchtete,  den  Russen  ihre 
unannehmbaren  Projekte  eingetrichtert  hätten  (an  Goltz  21.  September). 
Dem  konnten  nur  energische  Erklärungen  abhelfen.  Da  sie  von  allen 
Seiten  kamen,  so  hoffte  es  auch,  den  Russen  die  richtige,  d.  h.  preußische 
Ansicht  beizubringen  (an   Goltz   1.    Oktober,   Bericht  7./18.    September). 

8)  Bericht  17./28.  August. 


236  H.  Abschnitt 

scher  Seite  das  entscheidende  Wort  gesprochen.  An  eine  gemein- 
same österreichisch-preußische  Aktion  war  aber  nicht  mehr  zu 
denken.  Daher  mußte  Preußen  allein  und  nun  doch  zuerst  vor- 
gehen trotz  seines  Sträubens1).  Goltz  vertröstete  die  Russen  mit 
Erfolg  —  es  konnte  ihnen  auf  eine  kleine  Verzögerung  wirklich 
nicht  ankommen  —  auf  die  Ratifikation  des  Vertrages,  mit  der 
er  genaue  Instruktionen  zu  erhalten  erwartete2).  Das  Kabinetts- 
ministerium bedurfte  aber  der  Befehle  des  Königs  darüber3),  ob 
und  wie  weit  Preußen  vorgehen  solle,  und  regte  beim  Könige  an, 
Goltz  eine  genaue  Instruktion  über  das  Maß  der  preußischen 
Forderungen  zu  erteilen,  damit  er  keine  günstige  Gelegenheit  aus 
Mangel  an  Instruktion  vorübergehen  zu  lassen  brauche4).  Doch 
erwartete  es  von  Goltz,  daß  er  sich  inzwischen  mit  Ostermann 
genauer  ins  Einvernehmen  setzen  werde  auf  Grund  des  Planes 
vom  9.  Juli5).  Er  tat  es  nicht,  auch  aus  Rücksicht  auf  Cobenzl, 
der  ebenfalls  genauere  Instruktionen  erwartete  und  mit  dem  er 
noch  immer  gemeinsam  vorzugehen  gedachte6),  obwohl  er  von 
ihm  geheime  Verhandlungen  mit  den  Russen  befürchtete7). 

Diese  Maßregeln  der  preußischen  Regierung  tragen  unver- 
kennbar den  Charakter  der  Notwehr  zur  Schau.  Denn  im  Juli 
hatte  Österreich  von  Preußen  bei  einem  Festhalten  an  dem  alten 
Plane  keine  Schwierigkeiten  zu  erwarten8).  Rußland  hätte  sich 
einer  Einigung  beider  Mächte  sicher  nicht  widersetzt,  wenn  es 
auch  anfangs  über  die  Entschädigungsforderungen  etwas  ver- 
wundert tat.  Alles  kam  darauf  an,  ob  Österreich  den  neuen  Kurs 
innehielt.  Philipp  Cobenzl  und  Spielmann  meinten  es  ehrlich 
damit.  Ein  Erlaß  an  L.  Cobenzl  vom  16.  Juli  betont  noch  stärker 
als  der  erwähnte  vom  2.  Juli9)  das  Bündnis  Österreichs  mit 
Preußen  gegenüber  der  russischen  Tyrannei,  von  der  man  sich 
mit  seiner  Hilfe  allmählich  zu  befreien  trachtete10).     Er  wollte 

1)  An  Goltz  11.  September. 

2)  Berichte  24.  August/4.   September  und  7./18.   September. 

3)  An  Goltz  9.  September. 

4)  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  10.  September; 
Rep.  XI  89  g1. 

5)  Eep.  XI  Rußland  133  C  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinetts- 
ministerium 27.  August;  an  Goltz  21.  September. 

6)  Berichte  31.  August/11.   September  und  14./25.   September. 

7)  Bericht  3./14.   September. 

8)  Vivenot,  Zur  Genesis  17. 

9)  V  i  v  e  n  o  t  II  486  und  496. 
10)  Vgl.  auch  ähnliche  Äußerungen  Spielmanns  zu  Bischoffwerder  und 

Jacobi  (Ranke  285—288,  Berichte  Jacobis  21.  März  RS.  und  31.  März). 


Kriegskostenentschädigung  237 

diesen  Zustand  verstärken,  hielt  aber  ein  Abschwenken  Preußens 
für  möglich  —  am  Vorabend  der  Frankfurter  Konferenz.  Es  ist 
das  Hochgefühl  des  Sieges,  das  uns  hier  kurz  vor  dem  Umschlag 
entgegentritt.  Denn  Philipp  Cobenzl  und  Spielmann  waren  nicht 
die  einzigen,  die  die  Politik  Österreichs  bestimmten,  und  das, 
meine  ich,  sollte  das  Urteil  über  sie  nicht  gar  zu  scharf  werden 
lassen1).  Gerade  der  junge  Herrscher  hörte  mehr  als  seine  gereiften 
Vorgänger  auf  den  Rat  seiner  Umgebung.  In  seinen  Entschei- 
dungen spiegelt  sich  der  Einfluß  der  verschiedenen  Parteien  am 
Hofe  wider.  Es  läßt  sich  daraus  schon  beinahe  a  priori  sagen, 
daß  mit  einem  solchen  Zickzackkurse  nichts  zu  erreichen  sein 
werde.  Mochte  die  einmal  eingeschlagene  Richtung  auch  nicht 
die  beste  Ausnützung  der  Lage  sein,  so  versprach  ein  Beharren 
in  ihr  immer  noch  mehr  Erfolg,  als  ein  unruhiges  Hin-  und  Her- 
tasten, das  schließlich  zur  gröbsten  politischen  Heuchelei  führte 
und  mit  dem  man  doch  nichts  erreichte. 

B.  Erinnern  wir  uns  noch  einmal  an  den  Stand  der  Ent- 
schädigungsfrage. Spielmann  hatte  den  Tausch  der  Niederlande 
gegen  Bayern  und  die  Oberpfalz  gefordert.  Schulenburg  war 
darauf  eingegangen  und  hatte  die  Größe  des  preußischen  Loses 
in  Polen  nur  ganz  allgemein  angegeben.  Beide  Erwerbungen 
waren  als  Entschädigung  für  die  Kriegskosten  gedacht  und 
sollten  möglichst  gleichwertig  wie  die  Ausgaben  sein.  Doch  war 
bisher  noch  keine  Rede  davon  gewesen,  daß  Österreich  dabei 
Preußen  gegenüber  im  Nachteil  sei. 

Kaiser  Franz  IL,  wie  wir  von  jetzt  ab  sagen  müssen  —  er 
war  am  5.  Juli  gewählt  und  am  14.  gekrönt  worden  —  hielt  es 
doch  für  nötig,  vor  der  endgültigen  Vereinbarung  mit  Preußen 
noch  seine  Konferenzminister  zu  versammeln  und  ihr  Gutachten 
in  dieser  entscheidenden  Frage  einzuholen.  Am  17.  Juli  in  Frank- 
furt a.  M.  geschah  es2).  Da  ich  von  den  Beschlüssen  über  das 
Manifest  und  die  Emigranten  an  anderer  Stelle  spreche,  kann  ich 
mich  hier  auf  die  Entschädigungsfrage  beschränken.      Es  war 


Auch  hiernach  erscheint  Spielmann  als  der  spiritus  rector  dieser  Politik, 
Ph.  Cobenzl  als  der  Geschobene. 

1 )  H  e  i  g  e  1  I  559—560;  H  ü  f  f  e  r  in  A.D.B.  4,  365—366.  Allerdings 
bin  ich  weit  davon  entfernt,  Ph.  Cobenzl  „retten"  zu  wollen.  Vgl.  auch 
V  i  v  e  n  o  t  II  492  und  501. 

2)  V  i  v  e  n  o  t  II  497  und  499—500;  Häußer  I  358;  Sybel  II 
218;  R  a  n  k  e  189  ff. ;  S  o  r  e  1  II  498—500;  H  e  i  g  e  1  I  560. 


238  H.  Abschnitt 

die  Frage.  Der  Beschluß  entsprach  nicht  den  gemäßigten 
Wünschen  von  Spielmann  und  Philipp  Cobenzl.  Zwar  Kaunitz 
war  nicht  anwesend.  Er  nahm  in  den  letzten  Jahren  überhaupt 
nicht  an  den  Konferenzen  teil.  Aber  auch  andere  Österreicher 
teilten  seine  Abneigung,  sein  Mißtrauen  gegen  Preußen.  Sie 
stellten  dem  Kaiser  vor,  der  Austausch  allein,  den  Spielmann 
als  das  summum  bonum  für  die  österreichische  Monarchie  be- 
trachtete und  bezeichnete,  wiege  den  Vorteil  nicht  auf,  den 
Preußen  durch  die  Erwerbung  großer  polnischer  Provinzen  er- 
lange. Österreich  arrondiere  sich  nur  besser,  während  Preußen 
einen  stattlichen  Gebietszuwachs  erhalte.  Vor  allen  Dingen 
müsse  es  den  Verlust  ersetzt  erhalten,  den  es  noch  dazu  bei  dem 
Austausch  erleide,  da  die  bayerischen  Einnahmen  bedeutend  ge- 
ringer seien  als  die  niederländischen.  Diese  Zugabe  für  Öster- 
reich suchten  sie  zunächst  in  den  eben  preußisch  gewordenen 
Markgrafschaften  Ansbach  und  Bayreuth,  deren  Erwerbung 
durch  Preußen  den  Österreichern  ja  so  sehr  gegen  den  Strich 
gegangen  war1).  Sie  hätten  sie  gar  zu  gern  erst  genehmigt,  um 
das  als  Konzession  gegenüber  Preußen  auszubeuten.  Aber  gerade 
das  hatte  Preußen  verhindern  wollen,  als  es  Österreich  vor  eine 
vollzogene  Tatsache  stellte2).  Preußen  faßte  damit  festen  Fuß 
in  Süddeutschland  und  gewann  sogar  im  fränkischen  Kreise  eine 
beherrschende  Stellung.  Hardenberg,  der  die  Provinzen  verwaltete, 
hatte  schon  bewiesen,  daß  er  den  preußischen  Rechten  nichts 
vergeben  wollte.  Nur  die  augenblickliche  Notlage  hatte  im 
Winter  die  Österreicher  veranlaßt,  nicht  laut  gegen  das  preußische 
Vorgehen  zu  protestieren. 

Der  Moment  schien  jetzt  gekommen,  wo  alle  diese  Nachteile 
beseitigt  werden  konnten,  noch  dazu  mit  Preußens  eigener  Zu- 
stimmung. Sicher  war  man  ihrer  nicht.  Man  dachte  sie  sich  nur 
zu  erkaufen  durch  Konzessionen  in  anderen  Fragen.  So  haben 
wir  hier  eine  eigentümliche  Zwickmühle:  um  den  Verlust  bei 
dem  Tausch  für  Österreich  zu  beseitigen,  soll  Preußen  die  Mark- 
grafschaften abtreten,  dafür  aber  selbst  wieder  eventuell  von 
Österreich  entschädigt  werden.  So  sehr  Spielmann  in  Frankfurt 
und  später  dagegen  protestiert  hat,  die  Markgrafschaften  zu 
fordern,  so  hat  er  wohl  selbst  den  Anlaß  dazu  gegeben.  Denn 
den  finanziellen  Nachteil  hatte  er  schon  in  den  Briefen  an  Reuß 


1 )  V  i  v  e  n  o  t  I  265. 

2)  S  ü  ß  h  e  i  m  44. 


Kriegskostenentschädigung  239 

angedeutet,  und  da  auch  er  die  Ansicht  vertrat,  Österreich  müsse 
ebensoviel  wie  Preußen  bekommen,  ihm  hierbei  aber  Österreich 
zu  kurz  zu  kommen  schien,  so  wollte  er  ihn  jetzt  in  der  Weise 
nutzbar  machen,  daß  Preußen  versprechen  sollte,  Ansbach- 
Bayreuth  an  Österreich  abzutreten,  wenn  die  männliche  Linie 
des  sächsischen  Hauses  aussterbe  und  die  Lausitzen  damit  eigent- 
lich an  Österreich  zurückfallen  müßten.  Sie  wollte  er  dafür  an 
Preußen  geben  im  weiteren  Verfolg  der  Bestimmungen  des 
Berliner  Vertrages1). 

Aber  die  Konferenz  war  für  solche  Feinheiten  und  weitaus- 
schauende Entwürfe  nicht  empfänglich,  sie  verlangte  Barzahlung. 
Sollte  jedoch  der  preußische  Widerstand  zu  stark  sein,  so  hatte 
man  auch  schon  eine  Reihe  anderer  Vorschläge  bereit,  die  all- 
mählich bis  auf  Null  herabgingen,  so  daß  als  allerschlimmster 
Fall  immer  noch  der  Tausch  pure  et  simpliciter  angenommen 
werden  sollte.  Zwei  wichtige  Änderungen  wurden  aber  noch  an 
dem  Plane  vorgenommen.  Einmal  wollte  man  sich  vor  der  Ver- 
wirklichung des  Tausches  der  Zustimmung  von  England  ver- 
sichern; das  erforderte  Verhandlungen,  die  bei  Englands  Ab- 
neigung gegen  Österreich  und  im  besonderen  gegen  diesen  Tausch- 
plan sehr  langwierig  zu  werden  drohten;  ob  sich  die  augenblick- 
liche günstige  Lage  so  lange  halten  werde,  war  doch  zum  mindesten 
sehr  zweifelhaft.  Ferner  sollte  zwischen  österreichischer  und 
preußischer  Kriegsentschädigung  die  vollste  Parität  herrschen 
und  diese  Frage  von  der  des  Tausches  noch  ganz  unabhängig 
behandelt  werden.  Also  gerade  die  Verknüpfung  beider  „Ge- 
schäfte", auf  welche  Preußen  so  großen  Wert  gelegt,  die  ihm  den 
Plan  überhaupt  erst  annehmbar  gemacht  hatte,  war  man  bereit 
aufzugeben.  Alles  Widerreden  Cobenzls  und  Spielmanns,  der 
eine  neue  Denkschrift  entwarf2),  um  die  rasche  Benützung  des 
günstigen  Augenblicks  ohne  allzu  kleinliche  Abwägung  nochmals 
zu  empfehlen,  half  nichts.  Lacy,  Rosenberg,  Colloredo- Wallsee 
siegten  mit  ihren  Bedenken,  und  es  ist  mir  beinahe  unzweifelhaft, 
daß  Lacy  —  denn  er  war  der  Hauptgegner3)  —  sie  nur  aufgestellt 
hatte,  um  den  ganzen  Plan  zu  Fall  zu  bringen,  bei  dem  den 


1)  Rep.  96,  155  E  Haugwitz  an  Friedrich  Wilhelm  26.  Juli. 

2)  Vi  veno  t  II  498.  Zeißberg,  Karl-Hohenlohe  12  (danach 
gehörte  auch  Erzherzog  Karl  zur  antipreußischen  Partei)  und  Zeißberg, 
2  Jahre,  130—131. 

3)  Rep.  96,  155  E  Haugwitz  an  Friedrich  Wilhelm  26.  Juli  1792. 
Haugwitz  hatte  es  wohl  von  Spielmann  selbst  gehört. 


240  II.  Abschnitt 

Preußen  ein  so  schöner  Vorteil  zugedacht  war1).  Stets  findet 
man  ihn  Schwierigkeiten  erheben  und  nörgeln,  nie  positiv 
schaffen2).  Franz  genehmigte  den  Tauschplan  nur  mit  den  Ab- 
änderungen, die  Lacy  und  Genossen  vorgeschlagen  hatten  und 
die  ihm  selbst  seinen  Fall  wohl  schon  als  bevorstehend  erscheinen 
ließen.  Er  verlangte  ferner  für  die  Kriegskosten  völlige  Gleich- 
heit mit  Preußen.  Doch  geht  aus  seinen  Worten  nicht  klar  her- 
vor, ob  er  die  extreme  Anschauung  der  Mehrheit  geteilt  hat, 
daß  Tausch  und  Entschädigungen  von  vornherein  zu 
trennen  seien.  Wider  bessere  Einsicht  fügten  sich  Ph.  Cobenzl 
und  Spielmann  —  ihr  späteres  Verhalten  beweist  es  ebenso  wie 
ihr  Protest  in  diesen  Tagen.  Angeblich  hat  Spielmann  sogar 
um  seine  Entlassung  gebeten3).  Damit  gab  Österreich  den 
Sperling  in  der  Hand  preis,  um  der  Taube  auf  dem  Dache  nach- 
zujagen und  schließlich  ganz  ohne  jeden  Gewinn  dazustehen; 
natürlich  war  dann  das  böse  Preußen  daran  schuld.  Hier  muß 
man  wirklich  von  maßlosen  österreichischen  Plänen  reden,  die 
in  sich  selbst  den  Keim  des  Verderbens  trugen4).  Ich  will  nicht 
erörtern,  ob  der  Tausch  in  Sommer  1792  wirklich  durchgeführt 
worden  wäre,  wenn  Österreich  sich  mit  ihm  begnügt  hätte5); 
aber  eines  ist  sicher,  die  Einigung  mit  Preußen  wurde  jetzt  erst 
aufgeschoben,  dann  unmöglich. 

Denn  die  Frankfurter  Beschlüsse  hatten  ja  eine  ganz  neue 
Lage  geschaffen.  Wird  Preußen  auf  diese  Bedingungen  eingehen, 
die  seinen  Absichten  durchaus  widerstrebten? 

Während  die  Fürstlichkeiten  sich  in  Festen  nicht  genugtun 
konnten  und  noch  einmal  den  ganzen  Glanz  des  ancien  regime 
um  sich  verbreiteten6),  traten  ihre  Minister  und  ihre  Generale 


x)  Vivenot  II  499  und  500. 

2)  V  i  v  e  n  o  t  II  752. 

3)  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  30.  Juli. 

4)  Sorel  I  455. 

B)  S  y  b  e  1  II  217—220  und  III  260  ff. 

6)  Schon  bald  nach  Leopolds  Tod  war  der  Gedanke  einer  Zusammen- 
kunft zwischen  dem  neuen  Beherrscher  Österreichs  und  Friedrich  Wilhelm 
aufgetaucht.  Die  Reise  des  Königs  nach  Ansbach,  die  noch  vor  seiner 
Teilnahme  am  Feldzuge  geplant  war,  sollte  nun  benützt  werden,  um  Franz 
die  Sache  etwas  zu  erleichtern.  Er  mußte  zur  Kaiserkrönung  nach  Frank- 
furt fahren.  Als  Ort  wurde  zunächst  ein  beliebiger  Punkt  zwischen  Ans- 
bach und  Mainz,  etwa  Mergentheim,  angesetzt  (Zeißberg,  2  Jahre, 
129  ff. ;  Rep.  I  171  Schulenburg  an  Reuß  14.  Mai).  Doch  Zeit  und  Ort 
ließen  sich  schlecht  mit  der  Kaiserkrönung  vereinigen.  Franz  schlug  selbst 
vor,  zu  Friedrich  Wilhelm  zu  kommen,  wenn  dieser  bei  seiner  Armee  am 


Kriegskostenentschädigung  241 

zu  Besprechungen  zusammen,  die  entscheidend  werden  sollten. 
Über  die  beiden  ersten  Konferenzen  vom  20.  Juli  kann  ich  hin- 
weggehen, nur  die  dritte  vom  21.  vormittags  ist  hier  von  Wichtig- 
keit, da  auf  ihr  fast  ausschließlich  die  Entschädigungsfrage  be- 
sprochen wurde1).  Ph.  Cobenzl,  Spielmann  und  Schulenburg 
nahmen  daran  teil,  d.  h.  die  eigentlichen  Vertreter  der  Annähe- 


llhein sei  (Berichte  Jacobis  12.  und  14.  Mai;  V  i  v  e  n  o  t  II  432  und  450). 
Dieser  stimmte  zu  (an  Jacobi  19.  Mai).  Man  einigte  sich  auf  Koblenz  (Be- 
richt Haugwitz'  30.  Juni;  Vivenot  II  486),  von  wo  der  Marsch  der 
preußischen  Truppen  beginnen  sollte.  Aber  bei  näherem  Zusehen  fand 
Franz  doch  ein  Haar  in  der  Suppe.  Koblenz  war  zugleich  der  Sammel- 
punkt der  Emigranten,  mit  ihnen  wollte  er  nun  womöglich  nichts  zu  tun 
haben.  Überall  sonst,  bloß  nicht  in  Koblenz,  war  jetzt  die  von  Österreich 
ausgegebene  Losung  (Bericht  Haugwitz'  1.  Juli).  Daher  sollte  ein  Ort 
auf  dem  Wege  Friedrich  Wilhelms  von  Ansbach  nach  Frankfurt,  an  den 
Franz  dann  hätte  von  Frankfurt  zurückkommen  müssen,  gewählt  werden. 
Preußen  schlug  Aschaffenburg  und  den  18.  Juli  vor  (Rep.  XI  89  g1  Alvens- 
leben  8.  Juli;  Rep.  I  170,  S.  Au  Roi  7.  Juli.  An  Haugwitz  7.  Juli).  Jedoch 
lud  inzwischen  der  Kurfürst  von  Mainz  Franz  ein,  im  Anschluß  an  seine 
Reise  nach  Frankfurt  auch  ihm  in  Mainz  einen  Besuch  abzustatten.  Das 
schien  nun  den  Österreichern  sehr  zu  passen,  um  die  Zusammenkunft  dort 
in  aller  Bequemlichkeit  stattfinden  zu  lassen  trotz  der  Vorzüge,  die  das 
abgelegene  Aschaffenburg  bot  (Bericht  Haugwitz'  12.  Juli).  Sie  veran- 
laßten  also  eine  Einladung  des  Kurfürsten  an  den  König,  angeblich  noch 
ehe  Franz  den  Vorschlag  über  Aschaffenburg  in  den  Händen  hatte  (V  i- 
v  e  n  o  t  II  494.  Preußen  soll  sogar  in  letzter  Stunde  noch  versucht  haben, 
die  Zusammenkunft  doch  in  Koblenz  stattfinden  zu  lassen,  um  den  Herzog 
von  Braunschweig  nicht  von  der  Armee  zu  entfernen).  Friedrich  Wilhelm 
ging  bereitwillig  darauf  ein  —  ihm  machte  die  Änderung  keine  Ungelegen  - 
heiten  (V  i  v  e  n  o  t  II  490—491 ;  Rep.  XI  89  g1  Schulenburg  an  Fincken- 
stein  und  Alvensleben  13.  und  14.  Juli;  Finckenstein  und  Alvensleben  an 
Schulenburg  20.  Juli).  Aber  Franz  machte  damit  die  vorher  aufgewandte 
Mühe  nutzlos.  Denn  die  Emigranten  hatten  beim  Herannahen  der  Preußen 
Koblenz  räumen  müssen  und  hatten  in  Bingen  ihr  Hauptquartier  auf- 
geschlagen. Eine  große  Menge  von  ihnen  nahm  daher  an  den  Mainzer 
Feierlichkeiten  teil.  Wenn  man  auch  nicht  sagen  kann,  daß  sie  damals 
viel  erreicht  hätten,  weder  bei  Friedrich  Wilhelm  noch  bei  Franz  oder 
den  Ministern  —  etwas  eingewirkt  haben  sie  auf  die  dort  geführten  Ver- 
handlungen doch.  Deshalb  erscheint  mir  diese  Feststellung  von  Wert. 
(Vgl.  noch  Vivenot  II  491  und  494;  H  ü  f  f  e  r  in  „Deutsche  Revue" 
1883  I  S.  241;  Rep.  98  B  11.  An  Haugwitz  [Schulenburg  ad  contras.] 
14.  Juli.)  Am  19.,  nachmittags  5  Uhr,  kam  der  König  in  Mainz  an,  am  22. 
früh  um  5  Uhr  reiste  er  nach  Koblenz  weiter  (Rep.  XI  89  g1  Schulen- 
burg an  Finckenstein  und  Alvensleben  20.  und  21.  Juli;  Zeißberg, 
2  Jahre,  S.  147;  M  i  n  u  t  o  1  i  17—18). 

1)  Häußer  I  358—359;  Sybel    II   218—220;   Ranke  189—196; 
Sorelll  500—501;  H  e  i  g  e  1  I  560. 

H eidrieh,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution        16 


242  II.  Abschnitt 

rung  beider  Mächte.  Aber  sie  waren  durch  Instruktionen  ge- 
bunden1). Zwischen  ihnen  war  ein  Kompromiß  kaum  noch 
möglich. 

Eine  wenig  erfreuliche  Folge  hatten  diese  österreichischen 
Mehrforderungen  sofort  für  beide  Mächte.  Man  hatte  bisher 
gehofft,  in  Mainz  diese  Frage  endgültig  regeln  und  dann  vereint 
Katharina  seine  Wünsche  vorlegen  zu  können,  bezw.  den  be- 
teiligten deutschen  Fürsten  (Bayern  und  Zweibrücken)  und  Eng- 
land. Zwar  den  bayerischen  Tausch  betrachtete  man  in  Preußen 
bereits  als  entschieden,  und  Schulenburg  machte  daher  so  gute 
Miene  zum  bösen  Spiel,  daß  es  den  Österreichern  aufgefallen 
sein  soll2). 

Aber  Schulenburg  scheint  jetzt  doch  weniger  Zutrauen  zu 
dem  Gelingen  der  Verhandlung  gehabt  zu  haben  als  am  Anfang3). 
Er  übernahm  es,  nicht  bloß  bei  Zweibrücken  —  das  hatte  er 
schon  früher  zugesagt4)  —  sondern  auch  bei  England  wegen  des 
Tausches  vorstellig  zu  werden5).  Er  legte  jedoch  der  letztgenannten 
Verhandlung  gar  keine  Bedeutung  bei,  da  sich  bei  Einigkeit  von 
Österreich,  Preußen  und  Rußland  England  nicht  widersetzen 
könne.  Er  scheint  nichts  davon  gewußt  zu  haben  —  Cobenzl 
hatte  nur  ganz  oberflächlich  darüber  zum  Schluß  gesprochen  — 
daß  Franz  aus  der  Zustimmung  Englands  eine  conditio  sine  qua 
non  für  den  Tausch  gemacht  hatte.  Wenn  Schulenburg  hierin 
auch  nachgegeben  hatte,  so  war  trotzdem  ein  Abschluß  unmög- 
lich. Es  wurde  in  der  Tat  nichts  beschlossen6).  Schulenburg 
konnte  die  österreichische  Forderung  der  beiden  Markgrafschaften 
nur  völlig  überrascht  ad  referendum  nehmen,  sowie  die  Öster- 
reicher die  preußischen  Ansprüche  auf  Polen.  Schulenburg  mußte 
sie  seinen  Kollegen  und  vor  allem  dem  König  unterbreiten.  Die 
Österreicher  ihrerseits  waren  über  die  großen  preußischen  Forde- 
rungen erstaunt,  von  denen  sie  bisher  nur  ganz  allgemein  und 
unverfänglich  hatten  reden  hören  als  von  Danzig  und  Thorn 
und  einer  Verbindung  zwischen  (West-)Preußen  und  Schlesien. 
Jetzt  sprach  Schulenburg  —  angeblich  unter  der  Voraussetzung, 
daß   Österreich  auch  noch  die  Markgrafschaften  erhalte  —  von 


l)  Vivenot  II  511. 

3)  Fersen  II  25. 

3)  Ranke  289.    Man  bemerkt  den  Einfluß  seiner  Kollegen. 

*)  Vivenot  II  461. 

5)  V  i  v  e  n  o  t  II  503  und  511. 

6)  S  s  o  1  o  w  j  o  f  f  296—297. 


Kriegskostenentschädigung  243 

den  Palatinaten  Gnesen,  Posen,  Kaiisch,  einem  Teil  von  Siera- 
dien1), dazu  von  Kujavien,  das  selbst  wieder  in  mehrere  Gebiete 
zerfiel2).  Die  Berechtigung  der  Gleichheit  beider  Staaten  hin- 
sichtlich der  Entschädigung  und  einer  Zuwage  zu  dem  gegen  die 
Niederlande  finanziell  minderwertigen  Bayern  scheint  Schulen- 
burg gebilligt  zu  haben3),  vorausgesetzt,  daß  sich  die  österreichische 
Angabe  als  richtig  herausstellen  sollte;  er  behielt  sich  deshalb 
eine  Prüfung  vor4). 

Gegenüber  der  österreichischen  Forderung  der  Markgraf- 
schaften ließ  er  es  in  der  Konferenz  selbst  an  der  nötigen  Festig- 
keit fehlen.  Auch  in  seinen  eigenen  Berichten  gab  Schulenburg 
zu,  daß  er  erst  nach  reiflicher  Überlegung  nach  der  Konferenz  zu 
dem  Entschluß  gekommen  sei,  den  Vorschlag  als  unannehmbar 
abzulehnen5).  Sofort  abzulehnen  wagte  er  ihn  nicht,  da  Cobenzl 
und  Spielmann  dann  die  ganze  Entschädigung  für  unmöglich  er- 
klärten und  mit  dem  den  Preußen  so  verhaßten  alten  Projekt 
herauskamen,  dann  müsse  man  sich  eben  mit  Geldzahlungen  von 
Ludwig  XVI.  begnügen.  So  brauchten  sie  dank  ihrem  festen 
Auftreten,  das  sich  nicht  einmal  mit  ihrer  persönlichen  Über- 
zeugung deckte,  mit  den  anderen  Vorschlägen  gar  nicht  erst 
herauszurücken,  die  sie  zu  machen  berechtigt  waren.  Aber  je 
mehr  Schulenburg  sich  die  Sache  überlegte,  um  so  mehr  bereute 
er  seine  augenblickliche  Nachgiebigkeit,  und  um  so  bedenklicher 
kam  sie  ihm  vor.  Ja,  er  kam  schon  auf  den  Gedanken,  Österreich 
wolle  durch  diese  Forderung  die  ganze  Entschädigungsfrage  zu 
Fall  bringen  und  sich,  wie  Jacobi  in  Berlin  vor  seiner  Abreise 


1)  Vivenot  II  503;  Sybel  II  219  setzt  noch  Gnesen  besonders 
dazu,  dessen  größter  Teil  schon  seit  der  ersten  Teilung  zu  Preußen  gehörte. 
Ebenso  an  Goltz  28.  September. 

2)  Die  Palatinate  Inowrazlaw  (Hohensalza)  und  Brzesc,  das  Land 
Dobrzyn. 

3)  Vivenot  II  503  und  511.  In  seinem  eigenen  Bericht  sprach  er 
sich  über  sein  Verhalten  in  diesem  Punkte  nicht  so  klar  aus.  Er  bezeichnete 
das  Gespräch  überhaupt  als  un  des  plus  vagues  (Ranke  290). 

4)  Sie  fiel  durchaus  zum  Nachteil  der  Österreicher  aus  (Rep.  XI  89  k 
Renfner  an  Schulenburg  27.  Juli  1792). 

5)  Es  macht  nichts  aus,  daß  er  später  behauptet,  er  habe  nach  langer 
Erörterung  den  Vorschlag  sozusagen  stürmisch  abgelehnt.  Vgl.  Schulenburg 
an  Finckenstein  und  Alvensleben  14.  August  (Rep.  XI  89  g1):  Ph.  Cobenzl 
habe  nach  Petersburg  geschrieben:  que  dans  la  Conference  de  Mayence 
j'avais  pris  Paffaire  ad  referendum,  expression  tres  impropre  quand  il  s'agit 
d'une  longue  discussion  et  d'un  refus  donne  pour  ainsi  dire  d'emblee.  Vgl. 
Vivenot  II  517. 


244  H.  Abschnitt 

nach  Karlsbad  erklärt  haben  sollte,  als  den  Großmütigen  auf- 
spielen; denn  ihm  könne  es  auf  fünfzig  Millionen  Schulden  mehr 
oder  weniger  nicht  ankommen,  für  Preußen  aber  sei  der  Verlust 
des  Kriegsschatzes  eine  Lebensfrage1).  Gegen  seine  Kollegen 
sprach  er  sich  daher  schließlich,  noch  ehe  er  von  ihrer  Entrüstung 
wußte,  offen  dahin  aus,  die  Abtretung  der  Markgrafschaften  sei 
unerträglich  und  unzulässig  (insoutenable  et  inadmissible)2). 
Umsomehr  glaubte  er  aber,  auf  dem  Ersatz  der  Kriegskosten 
bestehen  zu  müssen  und  einigte  sich  mit  Haugwitz  über  eine  Ant- 
wort in  diesem  Sinne  an  Cobenzl  und  Spielmann3). 

Hier  bahnt  sich  der  Umschwung  an,  der  in  kurzem  von  so 
großer  Bedeutung  werden  soll.  Nicht  mehr  mit  Österreich  gilt 
es,  sich  zuerst  über  die  Entschädigung  zu  einigen,  sondern  mit 
Rußland,  von  dem  Schwierigkeiten  dieser  Art  nicht  zu  befürchten 
waren.  Schulenburg  war  darin  bei  weitem  vertrauensseliger  als 
seine  Berliner  Kollegen4).  Nur  vorübergehend  vermochte  ihn  die 
kühle  Haltung  Rußlands  von  dieser  Ansicht  abzubringen5). 
Damit  kam  er  auf  den  Weg  zurück,  den  schon  Friedrich  der  Große 
bei  der  ersten  Teilung  als  den  richtigen  erkannt  hatte6).  Wenn 
Preußen  sein  Los  habe,  dann  könne  es  den  Österreichern  ja  freie 


1 )  Ranke  290;  S  s  o  1  o  w  j  o  f  f  296;  vgl.  auch  S  c  h  1  i  e  f  f  e  n  II 
372;  Rep.  XI  89  g1  Schulenburg  an  Haugwitz  30.  Juli;  Rep.  96,  155  E 
Haugwitz  an  Friedrich  Wilhelm  26.  Juli;  Rep.  98  B  11  Haugwitz  an 
Schulenburg  16.  August. 

2)  Rep.  XI 89  g1  Schulenburg  an Finckenstein  und  Alvensleben  22.  Juli; 
Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  27.  Juli. 

3)  Ob  sie  wirklich  gegeben  worden  ist,  kann  ich  nicht  feststellen. 
Rep.  XI  89  g1  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  22.  Juli:  Que 
je  n'avais  pas  encore  en  occasion  de  voir  le  Roi  depuis  notre  Conference 
d'hier  ni  de  lui  en  faire  mon  rapport.  Que  plus  j'y  avais  reflechi,  plus 
j'entrevoyais  d'embarras  dans  la  proposition  dont  il  avait  ete  question, 
mais  toutefois  que  je  me  reservais  de  reprendre  la  matiere  des  que  j'en 
trouverais  la  possibilite.  Qu'en  attendant  il  etait  hors  de  doute  qu'il  nous 
fallait  une  juste  indemnisation  des  frais  de  la  guerre  que  nous  avions  pris 
les  armes  a  cette  seule  condition  et  que  nous  avions  annonce  d'avance 
comme  sine  qua  non  tant  a  la  Cour  de  Vienne  qu'au  Roi  de  France  et  ä 
l'Imperatrice  de  Russie.  Que  ce  principe  une  fois  invariablement  pose,  il 
ne  s'agirait  plus  que  de  trouver  les  moyens  et  qu'il  fallait  y  aviser  de  toute 
n^cessite  soit  d'une  facon,  soit  de  l'autre.  Finckenstein  und  Alvens- 
leben an  Schulenburg  27.  Juli. 

*)  Rep.  XI  Rußland  133  B  Finckenstein  und  Alvensleben  31.  Juli. 

5)  Rep.  XI  89  g1  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben 
10.  August  1792. 

6)  Sorel  II  378  und  la  question  d' Orient  168. 


Kxiegskostenentschädigung  245 

Hand  lassen  in  der  Ausführung  des  Tausches  und  darin,  sich  eine 
Zugabe  auf  Frankreichs  Kosten  zu  suchen.  Ausdrücklich  bat  er 
seine  Kollegen  noch,  ihn  in  dieser  schwierigen  Lage  mit  ihrem 
Rat  zu  unterstützen. 

C.  Er  hatte  in  der  Hauptsache  schon  ihr  Urteil  vorweggenom- 
men1); nur  schlugen  sie  sofort  den  schärfsten  Ton  gegenüber 
den  empörenden  österreichischen  Forderungen  an.  Schulenburg 
war  noch  stets  derjenige  unter  den  drei  Ministern  gewesen,  der 
am  meisten  einer  Annäherung  an  Österreich  das  Wort  geredet 
hatte.  Er  und  Bischoffwerder  waren  nicht  mehr  in  Berlin.  Das 
Feld  für  antiösterreichische  Umtriebe  war  scheinbar  frei.  Jacobi 
hatte  sich  noch  vor  seiner  Abreise  nach  Karlsbad  dahin  aus- 
gesprochen2), Österreich  wolle  scheinbar  die  ganze  Last  der 
Unterhandlung  Preußen  aufbürden  und  selbst  nur  gezwungen, 
wenigstens  scheinbar,  aus  seiner  Uneigennützigkeit  hervortreten3). 
Alvensleben  sprach  sich  beim  Einlaufen  der  Mainzer  Nachrichten 
in  schärfster  Form  gegen  Finckenstein  über  Österreichs  Verhalten 
aus,  der  ihm  sachlich  ganz  recht  gab,  aber  seine  Persönlichkeit 
nicht  mehr  so  stark  einsetzte.  In  Alvensleben  dürfen  wir  daher 
den  geistigen  Vater  der  Briefe  an  Schulenburg  sehen,  die  ihm 
und  dem  Könige  den  Rücken  stärken  sollten.  Diese  Überspannung 
der  österreichischen  Forderungen  kam  ihnen  scheinbar  sehr  ge- 
legen, um  die  Nachgiebigkeit  Preußens  gegenüber  Österreich  auf 
das  richtige  Maß  zurückzuführen.  Deshalb  machten  sie  dagegen 
Front,  daß  Preußen  das  Odium  der  Verhandlungen  in  Zwei- 
brücken wie  in  London  auf  sich  nehmen  solle.  Genug,  wenn 
Preußen  dem  Tausch  nicht  widersprach4),  ihn  allenfalls  befür- 
wortete und  den  Österreichern  behilflich  war,  sich  auf  Frank- 
reichs Kosten  eine  Zugabe  zu  verschaffen5).  Denn  sie  erkannten 
wohl,  daß  Preußen  mit  der  Zulassung  des  Tausches  sein  ganzes 
bisheriges  System  fallen  ließ,  auf  den  Einfluß  im  Reich  ver-  /  /u^  \ 
zichtete.  Dies  Opfer  müsse  dann  wenigstens  vergütet  werden. , 
Lieber  wäre  ihnen  aber  ein  Scheitern  des  Projektes  gewesen  — 
sie  deuteten  schon  an,  daß  der  Herzog  von  Zweibrücken  wohl 


*)  Süßheim  72. 

2)  Schulenburg  hat  ihn  vielleicht  mißverstanden.     Vgl.  oben. 

3)  H.E.B.  284—285;  Ranke  290. 

4)  Er  verlangte  schon  ein  so  großes  Opfer  von  Preußen  (Bericht  von 
Goltz  6./17.  August,  an  Goltz  3.  September). 

5)  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  27.  Juli — 4.  August. 


246  n.  Abschnitt 

protestieren  werde  —  und  für  diesen  Fall  sahen  sie  eine  Ent- 
schädigung Österreichs  auf  französische  Kosten  im  Elsaß  oder 
im  Hennegau  vor,  wogegen  nur  leider  der  erste  Artikel  des  Mani- 
festes des  Herzogs  von  Braunschweig  spreche,  den  sie  —  zu  viel 
Kunst  witternd  —  als  von  Österreich  herstammend  bezeichneten 
(vgl.  oben).  Den  Tausch  der  Markgrafschaften  lehnten  sie  für 
jetzt  rundweg  ab  und  beriefen  sich  dafür  auf  den  Berliner  Ver- 
trag, demzufolge  sie  nur  gegen  die  Lausitzen  beim  Aussterben 
der  männlichen  sächsischen  Linie  an  Österreich  abgetreten  werden 
könnten1).  Sie  würden  sich  selbst  sonst  für  Vaterlandsverräter 
halten  müssen. 

Aber  diese  Feindschaft  verleitete  sie  nun  nicht,  gegen  Ruß- 
land offener  mit  der  Sprache  herauszugehen.  Sie  begnügten  sich 
zunächst  damit,  bei  der  allgemeinen  Forderung  einer  Entschädi- 
gung, gleichviel  wo  sie  zu  haben  sei,  stehen  zu  bleiben2).  Schulen- 
burg war  ja  mit  Alopeus  persönlich  sehr  intim  geworden3);  aber 
Finckenstein  und  Alvensleben  sahen  in  ihm  doch  noch  stets 
den  nichtbeglaubigten  Vertreter  Rußlands,  den  dies  leicht  des- 
avouieren könne,  gegen  den  man  daher  mit  der  äußersten  Vor- 
sicht operieren  müsse4).  Sei  Rußland  aber  einmal  ehrlich  auf 
die  preußischen  Wünsche  eingegangen,  dann  allerdings  solle  sich 
Preußen,  ohne  weiter  auf  Österreich  zu  warten,  selbst  ohne  die 
formelle  Festsetzung  der  Grenzen  mit  Rußland  abzuwarten,  in 
Besitz  seines  polnischen  Anteils  setzen.  Das  sei  die  Bedingung 
für  die  Verwirklichung  des  Tausches  und  der  Zugabe,  gegen  die 


1)  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  4.  August. 

2)  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  22.  Juli  und  Fincken- 
stein zu  Alvenslebens Bemerkungen  (vom  27.  Juli?):  Le  mieux  sera  d'insister 
nettement  sur  une  indemnite  quelconque,  de  la  prendre  oü  nous  pourrons 
et  de  declarer  qu'il  ne  pourra  jamais  etre  question  de  la  cession  des 
marggraviats. 

3)  Rep.  XI  Rußland  133  B  Ostermann  an  Alopeus  25.  Dezember 
1791:  celui  de  les  ministres  (Schulenburg)  avec  lequel  vous  etes  le  plus 
dans  l'habitude  de  discuter  les  affaires  relatives  ä  la  France.  Das  kann 
man  ruhig  verallgemeinern.  In  der  polnischen  Frage  haben  wir  gleichfalls 
nur  für  einen  direkten  Verkehr  zwischen  Alopeus  und  Schulenburg  Beweise. 

4)  Besonders  Finckenstein  zweifelte  noch  stark  daran,  daß  Rußland 
ehrlich  Preußens  Wünsche  genehmigen  wolle  (Finckenstein  31.  Juli,  in 
Rep.  XI  Rußland  133  B:  Je  suis  toujours  bien  aise  de  voir  par  cette  lettre 
de  Mr.  le  C.  de  Schulenburg  [vom  26.]  qu'il  ne  se  croit  pas  tout  ä  fait  sür 
de  ces  affaires  et  je  le  souhaite  que  le  Roi  n'y  compte  pas  trop  non  plus 
jusqu'a  ce  qu'on  soit  certain  que  la  Cour  de  Russie  voudra  entrer  dans  les 
vues  au  sujet  de  la  Pologne,  ce  dont  je  doute  encore  beaucoup). 


Kriegskostenentschädigung  247 

also  auch  sie  dann  nichts  mehr  hätten  einwenden  können1). 
Nur  trat  mehr  und  mehr  ihre  Abneigung  auch  gegen  den  Tausch 
allein  zu  Tage2).  So  werde  Österreich  sich  wieder  von  Preußen 
fortziehen  lassen  wie  im  Jahre  1772  nach  dessen  Einigung  mit 
Rußland.    Der  Ansicht  sei  auch  Jacobi3). 

So  leicht  aber  ließ  sich  Schulenburgs  Fehler  nicht  wieder  gut 
machen4),  und  dazu  kam  noch  als  erschwerendes  Moment,  daß 
Friedrich  Wilhelm  selbst  zuerst  nicht  ganz  abgeneigt  war,  auf 
die  österreichischen  Forderungen  einzugehen,  wenn  er  für  die  ' 
Abtretung  anständig  entschädigt  werde  —  das  System  wird  also 
immer  komplizierter.  Auch  Haugwitz  wirkte  in  diesem  Sinne 
bis  Ende  August  auf  ihn  ein.    Er  und  Reuß  wurden  zur  Erleich- 


1 )  Rep.  XI  89  g1  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg 
27.  Juli  und  21.  August.    Ranke  291—293. 

2)  An  Goltz  9.  September. 

3)  Schulenburg  gab  ihnen  über  Rußland  und  Alopeus  im  allgemeinen 
recht,  ebenso  in  der  Entschädigungsfrage.  Er  hielt  nur  noch  die  Abtretung 
der  Markgrafschaften  für  den  Fall  einer  außergewöhnlich  großen  preußi- 
schen Erwerbung  offen  und  gab  zu  erwägen,  daß  sich  für  Österreich  außer 
dem  Tausch  sehr  schwer  eine  passende  Entschädigung  finden  lasse.  Er 
machte  also,  zweifellos  durch  das  Verhalten  des  Königs  bestimmt  (vgl. 
unten),  eine  neue  kleine  Schwenkung  auf  die  Seite  der  Österreicher 
(Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  2.  August).  Dazu  fürchtete 
er  jetzt  auch  ein  Beharren  der  Russen  auf  ihrem  bisherigen  Standpunkt, 
d.  h.  der  alleinigen  Regelung  der  polnischen  Frage.  Dann,  meinte  er,  müsse 
Preußen  sich  mit  Österreich  einigen  (also  auch  die  Markgrafschaften  preis- 
geben?!) und  von  Rußland  die  Zurückziehung  seiner  Truppen  von  pol- 
nischem Gebiete  fordern.  Man  wird  ihm  die  Erregung  des  Augenblicks  zu 
gute  halten  müssen;  denn  das  war  natürlich  eine  Chimäre.  Seine  Ber- 
liner Kollegen  dachten  mit  Recht  kühler  (Schulen bürg  an  Finckenstein  und 
Alvensleben  10.  August;  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg 
16.  und  21.  August),  und  auch  er  kam  bald  davon  zurück,  unter  der 
Einwirkung  der  Österreicher  selbst,  die  ihres  Sieges  sich  schon  allzu 
sicher  wähnten.  Der  früher  gebrauchte  Ausdruck  „insoutenable  et  in- 
admissible  "  wurde  von  ihm  wieder  aufgenommen.  Nur  gegen  die  Lausitzen 
sollten  Ansbach  und  Bayreuth  eventuell  später  eingetauscht  werden. 
Wenn  Österreich  den  einfachen  Tausch  nicht  wolle,  so  müßten  andere 
Wege  für  die  Entschädigung,  auf  Kosten  Frankreichs,  gefunden  werden; 
denn  Preußen  bestehe  auf  ihr  absolut.  (Schulenburg  an  Finckenstein 
und  Alvensleben  14.  August;  S.  Au  Roi  14.  August;  Schulenburg  an 
Haugwitz  15.  August.  Auszug  aus  L.  Cobenzls  Depesche  vom  21.  Juli. 
Ph.  Cobenzl  an  L.  Cobenzl  8.  August  [ganz  bei  Vivenot  II  514]. 
Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  18.  August;  Finckenstein 
und  Alvensleben  an  Schulenburg  24.  August.)  So  war  diese  leidige  Frage 
endlich  zur  Freude  von  Finckenstein  und  Alvensleben  geregelt. 

4)  Vgl.  H  e  i  g  e  1,  II  17—18. 


248  II-  Abschnitt 

terung  der  Verhandlungen,  die  man  in  Mainz  nicht  hatte  be- 
endigen können,  ins  Geheimnis  eingeweiht1).  Dort  war  man  ja 
bei  der  kurzen  Zeit  und  den  neu  auftauchenden  Schwierigkeiten 
über  ganz  allgemein  gehaltene  Besprechungen  nicht  hinaus- 
gekommen und  hatte  sich  mit  dem  Versprechen  getrennt,  noch 
recht  reiflich  nachzudenken2).  Haugwitz  entwickelte  nun  eine 
staunenswerte  Gewandtheit,  sich  den  Intentionen  des  Königs 
anzupassen.  Unter  dem  Schein,  sich  genaue  Befehle  für  sein 
Verhalten  in  der  Entschädigungsfrage  auszubitten3),  übte  er  doch 
einen  starken  Einfluß  in  dem  angegebenen  Sinne  aus.  Gewiß, 
er  behielt  diesem  die  Entscheidung  vor,  aber  er  stellte  den  Wert 
der  Markgrafschaften  für  Preußen  doch  als  so  gering  und  die 
Vorteile  einer  beträchtlichen  Erwerbung  in  Polen  doch  als  so 
groß  dar,  daß  kein  Zweifel  daran  möglich  war,  welche  Wahl  er 
treffen  würde.  Er  kam  dabei  so  sehr  in  das  Spielen  mit  den  ver- 
schiedensten Möglichkeiten  hinein,  daß  er  daran  dachte,  den 
Franzosen  das  Elsaß  abzunehmen,  es  von  dem  Kaiser  verwalten 
zu  lassen,  der  aber  einen  Teil  der  Einnahmen  an  Preußen  abzu- 
geben hätte,  bis  Preußen  durch  das  Aussterben  der  männlichen 
sächsischen  Linie  in  den  Besitz  der  Lausitzen  komme.  Er  hatte 
hierbei  keine  andere  Absicht,  als  Frankreich,  den  Friedensstörer, 
für  seine  Schuld  tüchtig  bluten  zu  lassen4)  und  für  Preußen  und 
Österreich  noch  etwas  mehr  herauszuschlagen,  ohne  daß  diese 
Absicht  in  einem  Zusammenhange  mit  dem  Hauptplan  stünde. 
Der  König  lehnte  sie  stillschweigend  ab6),  da  sie  dem  Haupt- 
prinzip widersprach,  demzufolge  man  nicht  gegen  Frankreich, 
sondern  gegen  die  Revolution  Krieg  führte.  Nur  wenn  der  Tausch- 

1 )  Das  gilt  für  Reuß  natürlich  nur  in  gewissem  Sinne.  Haugwitz  hatte 
bisher  noch  nichts  davon  gewußt.  Reuß  beglaubigte  sich  am  28.  Juli  als 
Vertreter  des  Kaisers  im  Lager  (Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvens- 
leben  RS.  vom  28.  zum  27.  Juli). 

2)  Vivenotllöll.  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben 
21.  Juli. 

3)  Er  hatte  mit  Schulenburg  schon  darüber  gesprochen,  und  dieser 
hatte  ihn  allerdings  auch  ersucht,  seine  Meinung  auszusprechen  (Rep.  XI 
89  k  Haugwitz  an  Schulenburg  26.  Juli). 

4)  Schulenburg  beruhigte  ihn  darüber  (Rep.  XI  89  g1  Schulenburg 
an  Haugwitz  30.  Juli:  personne  n'oubliera  de  faire  ses  comptes  quand  il 
sera  temps). 

6)  Schulenburg  tat  es  im  Einverständnis  mit  dem  König  noch  aus- 
drücklich (Schulenburg  an  Haugwitz  30.  Juli;  Schulenburg  an  Fincken- 
stein und  Alvensleben  30.  Juli;  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulen- 
burg 4.  August). 


Kriegskostenentschädigung  249 

plan  und  damit  die  preußische  Erwerbung  in  Polen  scheitere, 
solle  die  Entschädigung  auf  Frankreichs  Kosten  gesucht  werden, 
für  Preußen  in  Jülich-Berg.  Das  preußische  Interesse  galt  dann 
doch  mehr  als  das  allgemeine  Prinzip  —  eine  wichtige  Feststellung 
für  die  Beurteilung  der  preußischen  Politik  im  ganzen.  Aber 
sonst  war  Friedrich  Wilhelm  mit  Haugwitz  ziemlich  einer  Meinung. 
Freilich  fühlte  er  sich  als  Hohenzoller  doch  enger  mit  den  Mark- 
grafschaften verknüpft,  als  Haugwitz  gedacht  hatte,  dem  sie  bloß 
Material  waren  und  der  dabei  von  allen  ideellen  Größen  abgesehen 
hatte.  Aber  ihre  Abtretung  wollte  auch  der  König  nicht  rund- 
weg abschlagen.  Er  verlangte  dafür  einen  Teil  Polens  längs  des 
linken  Weichselufers  (vgl.  12.  März!)  und,  wenn  er  nicht  groß 
genug  bemessen  würde,  die  Lausitzen  beim  Aussterben  des 
sächsischen  Mannesstammes.  Er  sagte  hier  nicht,  daß  die  Mark- 
grafschaften nur  gleichzeitig  mit  der  preußischen  Erwerbung  abge- 
treten werden  sollten ;  doch  darf  man  ihm  wohl  aus  den  sonst  be- 
kannt gewordenen  Schriftstücken  diese  Forderung  zuschreiben. 
Aber,  so  setzte  er  dazu:  Es  heißt  um  das  Fell  des  Bären  streiten, 
wenn  wir  noch  nicht  sicher  sind,  daß  Rußland  wirklich  an  eine 
Teilung  Polens  denkt1).  Es  könne  sich  ja  einfach  mit  einer  Ver- 
fassungsänderung begnügen,  und  wie  solle  dann  Preußen  zu  seinem 
Anteil  kommen?  Österreich  müsse  sich  dann  im  Hennegau  oder 
(sie!)  im  Elsaß,  Preußen  in  Jülich-Berg  entschädigen,  und  Bayern 
müsse  auf  Frankreichs  Kosten  etwas  erhalten.  Von  einem  Schritt 
Preußens  bei  Zweibrücken  wollte  er  jetzt  nichts  mehr  wissen. 
Dazu  hatte  ihn  wohl  das  österreichische  Verfahren  zu  sehr  ge- 
reizt; vielleicht  hat  auch  der  in  Mainz  persönlich  anwesende 
Zweibrückener  auf  ihn  eingewirkt2). 

Diese  Haltung  des  Königs  und  seines  Gesandten  in  Wien  war 
Schulenburg  und  seinen  Kollegen  äußerst  unangenehm.  Er  wollte 
jetzt  von  der  Abtretung  der  Markgrafschaften  nichts  mehr  wissen. 
Der  Geheimrat  Renfner  hatte  ihm  nämlich  eine  Aufstellung  dar- 
über gemacht,  welche  Einnahmen  Österreich  früher  aus  den 
Niederlanden  bezogen  habe  und  wie  es  darum  in  Zukunft  bestellt 
sein  werde.  Dieser  war  dabei  zu  dem  Ergebnis  gekommen,  daß 
in  den  besten  Jahren  Josephs  zwei  Millionen  Gulden  nach  öster- 

1 )  Häußer  I  359. 

2)  Rep.  96,  155  E  Haugwitz  an  Friedrich  Wilhelm  26.  Juli;  Friedrich 
Wilhelm  an  Haugwitz  29.  Juli;  S  ü  ß  h  e  i  m  71—72.  Vgl.  auch  Rep.  40, 
14  a.  In  Zweibrücken  sollte  nach  den  anfänglichen  Abmachungen  Öster- 
reich die  Last  der  Eröffnung  auf  sich  nehmen. 


250  II.  Abschnitt 

reich  gegangen  seien,  daß  jetzt  aber,  selbst  nach  Wiederher- 
stellung der  Ruhe,  Österreich  noch  drei  bis  vier  Millionen  werde 
zuzahlen  müssen,  da  mehr  Truppen  im  Lande  gebraucht  würden. 
Das  beweise  sonnenklar,  daß  der  Kaiser  mehr  als  je  an  dem 
Tausch  der  Niederlande  interessiert  sei,  und  daß  seine  Minister 
eine  nur  scheinbar  richtige  Berechnung  aufstellten  mit  der  An- 
gabe, daß  die  österreichischen  Finanzen  durch  den  bayerischen 
Tausch  geschädigt  würden1).  Schulenburg  fürchtete  nun,  die 
Österreicher  würden  fest  auf  ihrem  Plan  beharren,  wenn  sie  von 
der  Nachgiebigkeit  Friedrich  Wilhelms  etwas  merkten,  wie  sie 
es  mit  so  gutem  Erfolge  in  Mainz  Schulenburg  selbst  gegenüber 
getan  hatten2).  Die  preußische  Genehmigung  einer  Reihe  von 
Wünschen  der  Emigranten  wirkte  eben  darauf  hin3).  Dann  hielt 
Schulenburg  alles  für  verloren. 

Jene  Nachgiebigkeit  mußte  ihnen  also  um  jeden  Preis  ver- 
heimlicht werden.  Es  war  gut,  daß  der  König  noch  nichts  davon 
hatte  verlauten  lassen,  und  vor  allem,  daß  Bischoffwerder  auf 
besonderen  Wunsch  von  Haugwitz,  der  schlecht  mit  ihm  stand4), 
überhaupt  nicht  eingeweiht  war5).  Schon  die  Depesche  an  Haug- 
witz ging  diesem  auf  seinen  eigenen  Vorschlag6)  nur  in  der  größten 
Heimlichkeit  zu.  Er  reiste  deshalb  besonders  von  Prag  nach 
Neiße7),  um  sie  in  Empfang  zu  nehmen8),  benützte  aber  auch 
die  Gelegenheit,  um  seinen  in  der  Nähe  liegenden  Gütern  einen 
Besuch  abzustatten.  Nicht  von  Neiße,  sondern  von  Rogau  bei 
Krappitz  an  der  Oder,  südlich  von  Oppeln,  schickte  er  deshalb 
seinen  Bericht.  Da  Schulenburg  an  dem  Entschluß  des  Königs 
nichts  mehr  hatte  ändern  können,  vielleicht  gar  nicht  erst  den 
Versuch  dazu  gemacht  hatte  —  Friedrich  Wilhelms  Brief  an 
Haugwitz   war   fertig   geschrieben,    ehe    Schulenburg    mit    dem 

1 )  Rep.  XI  89  k  Renf  ner  an  Schulen  bürg  27.  Juli ;  cf .  an  Goltz 
7.  September. 

2)  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  30.  Juni;  Fincken- 
stein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  4.  August. 

3)  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  13.  August. 

4)  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  11.  August. 

5)  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  30.  Juli,  7.  und 
11.  August;  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  4.  und 
19.  August. 

6)  Rep.  XI  89  k  Haugwitz  an  Schulenburg  26.  Juli;  Schulenburg 
an  Haugwitz  30.  Juli. 

7)  Der  preußische  Feldjäger  mußte  dort  beim  Postmeister  auf  ihn 
warten  (Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  30.  Juli). 

8)  R  a  n  k  e  47,  277.    Rep.  I  170.    Bericht  16.  August. 


Kriegskostenentschädigung  251 

Könige  darüber  sprach  —  so  gab  er  Haugwitz  dazu  Instruktionen, 
die  seine  Wirkung  abschwächen  sollten.  Haugwitz  solle  gegen 
Spielmann  möglichst  fest  auftreten,  den  Zorn  des  Königs  über 
die  neue  Forderung  betonen,  als  unumgänglich  für  ihre  eventuelle 
Bewilligung  die  preußische  Besitznahme  in  Polen  fordern.  Wenn 
die  bisherigen  Pläne  sich  als  nicht  ausführbar  erweisen  sollten, 
so  beharre  Preußen  doch  unweigerlich  auf  einer  Entschädigung 
für  die  ungeheuren  Kosten  einer  Unternehmung,  die  seinen 
Interessen  fremd  sei.  Nur  unter  der  Bedingung  des  Kosten- 
ersatzes sei  Preußen  in  den  Krieg  eingetreten.  Für  Haugwitz 
allein  fügte  er  noch  hinzu,  alles  komme  auf  Rußlands  Entschluß 
an,  das  sich  auf  die  Instruktionen  von  L.  Cobenzl  nach  den  Äuße- 
rungen Rasumowskis  (vgl.  oben)  und  von  Goltz',  die  vor  jenen 
erlassen  seien,  wohl  erklären  werde.  Mit  ihm  müsse  man  daher 
zunächst  einig  sein,  sich  dann  sofort  in  den  Besitz  des  preußischen 
Anteils  setzen  und  könne  die  österreichischen  Eröffnungen- ruhig 
abwarten.  Bei  einem  festen  Auftreten  Preußens  werde  Österreich 
sich  mit  dem  einfachen  Tausch  begnügen,  wie  Spielmann  selbst 
einmal  angedeutet  habe,  und  es  brauche  die  preußische  Zustim- 
mung nötiger  als  dies  die  seine1).  So  sehen  wir  die  preußischen 
Staatsmänner  nach  kurzem,  aber  verhängnisvollem  Schwanken 
wieder  in  der  Hauptsache  einig  den  Österreichern  gegenüber- 
treten.   War  es  nicht  schon  zu  spät  dazu? 

Zunächst  wandte  Österreich  alle  Mittel  an,  um  Preußen  und 
Rußland  für  seine  Absichten  zu  gewinnen2).  Dies  kam  ihm  sehr 
entgegen,  da  Österreich  ihm  blindlings  zu  folgen  schien  und  in 
Polen  nichts  sagen  wollte.  Um  so  ernstere  Bedenken  schien  natür- 
lich bei  Katharina  die  preußische  Forderung  zu  erregen.  Hier 
zeigte  sich  so  recht  die  Doppelzüngigkeit  der  Russen,  da  Markow 
zu  Goltz  etwa  in  dem  entgegengesetzten  Sinne  sprach;  aber  es 
kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  welches  die  wahre  russische 
Ansicht  war3).  Gleichviel,  für  Österreich  war  diese  Nachricht 
aus  Rußland  von  unschätzbarer  Bedeutung.     Während  es  den 


1)  Schulenburg  an  Haugwitz  30.  Juli;  Schulenburg  an  Finckenstein 
und  Alvensleben  27.  und  30.  Juli,  11.,  14.,  27.  August;  Finckenstein  und 
Alvensleben  an  Schulenburg  4.  und  21.  August;  Schulenburg  an  Haugwitz 
15.  August  und  2.  September;  Friedrich  Wilhelm  an  Haugwitz  (S.  ad  con- 
tras.)  2.  September;  an  Haugwitz  19.  August  (in  Rep.  I  170);  Fincken- 
stein und  Alvensleben  an   Schulenburg   10.   September. 

2)HäußerI  396—397. 

3)  Vgl.  oben  und  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg 
24.  August. 


252  II.  Abschnitt 

Russen  die  Vorteile  des  Tausches  für  ganz  Europa  klar  zu  machen 
suchte1),  gab  es  die  Petersburger  Meldungen  sofort  mit  den  ent- 
sprechenden Erläuterungen  an  Reuß  weiter.  Preußen  sollte  er- 
kennen, wie  sehr  es  von  Österreich  abhänge.  Rasch  sollte  es  in 
die  Abtretung  der  Markgrafschaften  willigen,  um  dann  mit  Öster- 
reich vereint  den  Russen  entgegenzutreten,  die  sich  den  Polen 
so  verdächtig  näherten.  Sonst  werde  aus  der  ganzen  Entschädi- 
gungsangelegenheit nichts,  und  man  müsse  zu  französischen  Geld- 
zahlungen seine  Zuflucht  nehmen.  Als  Haugwitz,  bei  dem  die 
Österreicher  denselben  Ton  anschlugen,  einzuwenden  wagte, 
man  müsse  erst  die  endgültige  russische  Antwort  abwarten,  da 
widersprach  Spielmann  dem  auf  das  lebhafteste.  Nur  bei  voran- 
gehender Einigung  zwischen  Österreich  und  Preußen  könne  der 
Plan  überhaupt  gelingen. 

Aber  so  leicht  ergab  sich  auch  Haugwitz  nicht.  Wenn  der 
Plan  nun  an  der  wahrscheinlichen  Weigerung  Preußens  scheitere, 
die  Markgrafschaften  abzutreten,  dann  müsse  man  eben  an 
anderer  Stelle  die  unumgänglichen  Entschädigungen  suchen. 
Da  schlug  er  für  Preußen  Jülich-Berg  vor.  Das  war  jetzt  für 
Österreich  noch  mehr  als  zuvor  unannehmbar  geworden.  Gerade 
die  Verbindung  dieser  Gebiete  mit  den  Niederlanden  sollte  dem 
Herzog  von  Zweibrücken  den  Tausch  erwünscht  machen.  War 
Jülich-Berg  erst  einmal  preußisch,  so  war  es  dauernd  mit  dem 
Tausch  vorbei.  Gerade  er  mußte  also  Österreich  veranlassen, 
diesen  preußischen  Plan  zu  Fall  zu  bringen.  Das  ließ  sich  am 
Ende  nur  durch  den  Verzicht  auf  die  Markgrafschaften,  durch 
den  Tausch  mit  einer  Zugabe  an  anderer  Stelle  oder  durch  den 
Verzicht  auf  die  Zugabe  überhaupt  ermöglichen.  So  wurde  die 
Forderung  von  Jülich-Berg  in  der  Hand  der  Preußen  zum  Mittel, 
um  die  Österreicher  zum  Nachgeben  zu  bewegen,  ohne  daß  sie 
noch  ernstlich  an  die  Erwerbung  jener  Herzogtümer  gedacht 
hätten2).  Wenn  Spielmann  dann  Geldersatz  durch  Frankreich 
vorschlug,  so  lehnte  Haugwitz  das  wieder  als  durchaus  unzu- 
reichend ab.  Kurz,  man  bewegte  sich  im  Kreise,  kein  Teil  wollte 
nachgeben3). 

Auch  Friedrich  Wilhelm  ließ  sich  nicht  einschüchtern.     Von 


1)  Vivenot  II  517—519. 

2)  Rep.  XI  89  k  Haugwitz  an  Schulenburg  30.   September. 

3)  Vi  v  e  n  o  t  II  514—515  und  517—519.  Berichte  Haugwitz'  6.,  8., 
16.  August.  Auszug  aus  L.  Cobenzls  Depesche  vom  21.  Juli  mit  P.S.  in 
Rep.  XI  89  g1. 


Kriegskostenentschädigung  253 

einer  Äußerung  Katharinas  hatten  die  Österreicher  nichts  zu 
sagen  gehabt;  die  Minister  hatten  alles  nur  ad  referendum  ge- 
nommen und  für  sich  persönlich  gesprochen.  Gegen  Goltz  hatten 
sie  sich  aber  auch  ganz  anders  ausgesprochen,  und  zwar  günstig 
für  Preußen.  Hier  lag  also  kein  Grund  zur  Besorgnis  vor,  zumal 
wenn  man  den  Russen  selbst  den  Gedanken  an  eine  eigene  Er- 
werbung an  die  Hand  gab,  um  die  Partie  gleichzumachen.  So 
kam  es  denn  zu  der  Meldung  von  Reuß,  Friedrich  Wilhelm  wolle 
vor  allen  Dingen  die  endgültige  Antwort  Katharinas  abwarten, 
lehne  aber  eine  Abtretung  oder  einen  Tausch  der  Markgrafschaften 
durchaus  ab,  da  der  Tausch  Bayerns  allein  gegen  die  Niederlande 
den  Österreichern  schon  außerordentliche  Vorteile  verschaffe. 
Der  König  verlange  bei  einem  Scheitern  dieses  Planes  eine  Ent- 
schädigung auf  Frankreichs  Kosten  oder  an  anderer  Stelle, 
worüber  man  sich  sofort  einigen  müsse.  Nur  wenn  er  in  den 
Besitz  der  ganzen  Lausitzen  komme,  könne  von  jener  Abtretung 
die  Rede  sein1). 

Die  Österreicher  mußten  erkennen,  daß  sie  auf  diesem  Wege 
nicht  weiter  kämen;  denn  von  einer  Abtretung  der  ganzen  Lausitz 
hatte  nach  ihrer  Ansicht  nie  die  Rede  sein  sollen,  und  der  Teil 
sollte  auch  erst  nach  dem  Aussterben  der  sächsischen  männlichen 
Linie  den  Preußen  zufallen2).  Spielmann  war  in  Verzweiflung. 
Er  schien  mit  seinem  Plane  völlig  gescheitert  zu  sein.  Er  wußte 
ja  nichts  davon,  daß  Friedrich  Wilhelm  und  Haugwitz  im  Grunde 
ihres  Herzens  für  die  Abtretung  der  Markgrafschaften  waren  — 
Friedrich  Wilhelm,  weil  er  dabei  einen  bedeutenden  Gewinn  vor 
Augen  sah  —  Haugwitz  in  der  Furcht,  die  Russen  könnten  zu 
viel  Schwierigkeiten  machen,  wenn  die  preußischen  Forderungen; 
nicht  von  Österreich  unterstützt  würden3),  so  daß  diese  einzig- 
artige Gelegenheit  zur  territorialen  Erweiterung  Preußens  un- 
genützt vorübergehen  werde4).    Dazu  kam  nun  die  Spaltung  im 

x)  V  i  v  e  n  o  t  II  525;  S  ü  ß  h  e  i  m  73;  Rep.  XI  89  g1  u.  i,  S.  Au  Roi 

14.  August;  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  14.  August; 
Schulen  bürg    an    Haugwitz     15.    August;    Antwort    an    Reuß:  Frisange 

15.  August;  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  18.  August; 
Rep.    98  B  11  an  Haugwitz  27.  August;   Rep.  I  170  Bericht  Haugwitz' 

16.  August. 

2)  Rep.  96,  155  E  Bericht  Haugwitz'  25.  August. 

3)  Rep.  XI  89  k  Haugwitz  an  Schulenburg  25.  August.  Berichte 
Haugwitz'  16.  August  und  4.  September;  Rep.  96,  155  E  Friedrich  Wil- 
helm an  Haugwitz  29.  Juli  und  Bericht  Haugwitz'  25.  August. 

4)  Rep.  98  B  11  Haugwitz  an  Schulenburg  16.  August.  Seine  zahl- 
reichen Berichte  erregten  in  Berlin  schon  die  Furcht,  der  König  werde 


254  IL  Abschnitt 

österreichischen  Lager.  Für  den  Tausch  waren  eigentlich  nur 
Spielmann,  Ph.  Cobenzl  und  Starhemberg,  dagegen  Kaunitz, 
Eosenberg  und  Lacy.  So  wollte  es  Haugwitz  von  Spielmann 
selbst  gehört  haben,  der  damit  natürlich  auch  einen  Druck  auf 
Preußen  auszuüben  meinte,  aber  das  Gegenteil  erreichte1).  Die 
Vertreter  des  Tausches,  d.  h.  zugleich  der  Einigung  mit  Preußen, 
mußten  alle  Kraft  zusammennehmen,  um  ihre  Gegner  niederzu- 
halten und  den  Monarchen  zu  bestimmen,  bei  Preußen  noch 
einen  letzten  Versuch  in  der  alten  Richtung  zu  machen2). 

Aber  auch  sie  selbst  waren  nicht  mehr  einig.  Spielmann  zwar 
beharrte  bei  seinem  alten  Plan.  Nur  der  Machtspruch  des  Kaisers 
veranlaßte  ihn,  bei  Haugwitz  auf  der  Abtretung  der  Markgraf- 
schaften zu  bestehen.  Sonst  hätte  er  diese  lästige  Mehrforderung, 
wenn  auch  ungern,  preisgegeben,  um  möglichst  rasch  den  so  er- 
sehnten Tausch  zu  verwirklichen  und  damit  allen  Einspruchs- 
gelüsten anderer  Mächte  eine  Tatsache  entgegenzustellen3). 
Sein  jetziger  Chef  Philipp  Cobenzl  aber4)  zeigte  auch  hier  die 
bekannte  Fügsamkeit,  die  erkennen  läßt,  wie  gering  doch  im 
Grunde  genommen  der  Anteil  war,  den  er  persönlich  an  diesen 
Dingen  nahm.  Nach  der  Frankfurter  Konferenz  machte  er  die 
Forderung  der  Zuwage  im  allgemeinen,  der  Markgrafschaften  im 
besonderen  zu  der  seinen  und  tat  sich  beim  Kaiser  darauf  noch 
etwas  zugute5).  Bei  der  Ängstlichkeit  Schulenburgs  und  den 
tatsächlich  den  seinen  entsprechenden  Anschauungen  von  Haug- 
witz schien  das  zunächst  nichts  weiter  auf  sich  zu  haben.  Noch 
hielt  aber  Cobenzl  daran  fest,  daß  die  Sache  vor  allen  Dingen 
zwischen  Österreich  und  Preußen  ins  reine  gebracht  werden 
müsse,  dann  erst  Katharina  eingeweiht  werden  dürfe;  die  anderen 
Mächte  könnten  dann  doch  nichts  mehr  hindern6).    Der  Bericht 


doch  schließlich  auf  die  Abtretung  der  Markgrafschaften  eingehen  (Fincken- 
stein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  21.  August). 

*)  Rep.  98B11  Haugwitz  an  Schulenburg  16.  August.  Colloredo 
fehlt  bei  den  Tauschgegnern. 

2)  Bericht  Haugwitz'  25.  August  und  ein  Blatt  in  Rep.  I  170  über  die 
Konferenz  vom  3.  September  1792. 

3)  Süßheim  76—77. 

*)  Am  19.  August  betraute  der  Kaiser  ihn  offiziell  mit  den  Amts- 
geschäften von  Kaunitz  (V  i  v  e  n  o  t  II  528). 

5)  Vi  veno  t  II  511. 

6)  Die  Denkschrift  Ph.  Cobenzls  an  den  Kaiser,  die  Vivenot  (II  501) 
noch  in  die  Frankfurter  Zeit  setzen  will,  gehört  als  Beilage  zu  dem  Bericht 
an  den  Kaiser  vom  3.  August  (II  511.    Vgl.  den  Schlußsatz  und  II  503). 


Kriegskostenentschädigung  255 

von  Reuß  vom  17.  August1)  und  das  immer  entschiedenere  Auf- 
treten von  Haugwitz  schreckten  ihn  aber  aus  dieser  zuversicht- 
lichen Meinung  auf,  und  seine  Gegner  ließen  es  an  Intriguen  nicht 
fehlen.  Haugwitz  begann  über  ein  Erkalten  des  österreichischen 
Entgegenkommens  zu  klagen2).  Den  Einwirkungen  dieser  tausch- 
feindlichen Partei  ist  es  wohl  zuzuschreiben,  wenn  Cobenzl  Ende 
August  —  den  25.  haben  wir  als  terminus  post  quem  anzunehmen 
—  sich  als  extremer  Anhänger  der  Zu  wage  entpuppte  und  lieber 
auf  den  Tausch  im  ganzen  als  auf  sie  verzichten3)  und  dann  die 
österreichische  Entschädigung  in  einer  Vergrößerung  der  Nieder- 
lande auf  Frankreichs  Kosten  suchen  wollte,  die  er  schon  Anfang 
Juni  im  Gespräch  mit  Haugwitz  gefordert  hatte4).  Aber  diese 
verärgerte  Stimmung  verließ  ihn  bald,  und  wieder  trat  der  be- 
herrschende Einfluß  von  Spielmann  hervor,  der  an  ein  Auf- 
geben des  Tausches  durchaus  noch  nicht  dachte,  nur  mit  ihm 
drohte,  um  Preußen  gefügiger  zu  machen5).  Da  sein  Herr  auf 
der  Zuwage  bestand,  so  mühte  er  sich  ab,  eine  ganze  Reihe  von 
Projekten  auszusinnen,  die  an  die  Stelle  des  bisherigen  treten 
sollten,  wenn  Preußen  auf  seiner  Ablehnung  bestand.  Denn 
mochte  es  sich  jetzt  auch  mehrfach  unzweideutig  in  diesem  Sinne 
ausgesprochen  haben,  so  ließen  sich  die  Folgen  der  ersten  Nach- 
giebigkeit nicht  so  leicht  verwischen.  Auch  Haugwitz  hatte  den 
Plan  nicht  gleich  ganz  abgelehnt,  sondern  nur  an  seine  Annahme 


Daß  sie  erst  nach  der  Mainzer  Konferenz  geschrieben  sein  kann,  ergibt 
sich  mit  besonderer  Deutlichkeit  aus  dem  Schluß.  Ob  sie  Ende  Juli  oder 
Anfang  August  geschrieben  ist,  lasse  ich  dabei  unentschieden;  es  kommt 
auch  nicht  darauf  an. 

*)  Vi  veno  t  II  525. 

2)  Bericht  Haugwitz'  4.  September  1792. 

3)  Vivenot  (zur  Genesis  42  ff.)  setzt  diese  Denkschrift  auch  in  die 
Frankfurter  Zeit,  aber  mit  Unrecht.  Hier  dagegen  läßt  sie  sich  einmal 
sachlich  gut  einreihen  (sie  bietet  zahlreiche  Berührungspunkte  mit  dem 
Auszuge  aus  dem  Bericht  von  Reuß  vom  17.  August;  er  war  am  25.  in  Wien 
bekannt.  Bericht  Haugwitz'  vom  25.  August  in  Rep.  96,  155  E,  und  dann 
wird  in  ihm  ausdrücklich  auf  ein  beikommendes  Promemoria  verwiesen 
[S.  174]).  Doch  scheint  mir  der  Unterschied  zwischen  Cobenzl  und  Spielmann 
klar  zu  Tage  zu  liegen.  Dieser  will  den  Tausch  als  summum  bonum  und 
macht  nur  beinahe  notgedrungen  allerlei  Vorschläge  zur  Ergänzung  bezw. 
zum  Ersatz,  jenem  aber  ist  die  Zuwage  schon  wichtiger  als  das  Ganze; 
daher  ist  er  bereit,  darauf  zu  verzichten. 

4)  Ob  er  damals  von  dem  Tauschplan  schon  wußte  oder  nicht,  ist 
hier  ganz  ohne  Bedeutung.  Dieser  Plan  nahm  jedenfalls  die  zweite 
Stelle  in  seinen  politischen  Berechnungen  ein. 

6)  Rep.  96,  155  E  Bericht  Haugwitz'  vom  25.  August. 


256  II.  Abschnitt 

hohe  Bedingungen  geknüpft.  Wenn  sie  nur  fest  blieben,  meinten 
daher  die  Österreicher,  würden  sie  bei  den  Preußen  schließlich 
auch  das  noch  erreichen,  nachdem  diese  einmal  ihre  Maske  so- 
weit gelüftet  hätten. 

Aber  das  war  den  Österreichern  auch  klar,  in  der  bisherigen 
Weise  konnte  es  mit  der  Verhandlung  gar  nicht  weitergehen. 
Schon  jetzt  dauerte  es  eine  gute  Woche,  ehe  ein  Kurier  aus  dem 
Feldlager  bis  nach  Wien  gelangte,  und  fast  jeder  Tag  vergrößerte 
die  Entfernung.  In  kurzer  Zeit,  glaubten  sie,  werde  das  Heer  des 
Herzogs  von  Braunschweig  in  Paris  einziehen.  Dann  werde  sich 
Preußen  nicht  länger  zurückhalten  lassen,  sondern  seine  Entschä- 
digungsforderungen durch  die  Besetzung  der  Landesteile  ver- 
wirklichen, die  es  schon  bezeichnet  habe1).  War  dann  Österreich 
aber  nicht  übervorteilt?  so  fragte  sich  Spielmann.  Was  hatte 
Preußen  dann  noch  für  ein  Interesse  daran,  den  Tausch  zu  be- 
günstigen, zu  befördern?  Gerade  damit  aber  rechnete  man  in 
Wien  sehr  stark  und  mußte  es  auch  tun,  da  der  Widerstand  des 
Herzogs  von  Zweibrücken  sich  voraussehen  ließ2).  Die  höchste 
Eile  war  jedenfalls  erforderlich.  Man  mußte  die  Frage  zwischen 
Österreich  und  Preußen  ins  reine  bringen.  Das  Mittel  dazu  sollte 
eine  Reise  des  Staatsreferendars  Spielmann  ins  preußische  Haupt- 
quartier sein3).  Er  vertrat  die  Politik  der  Annäherung  an  Preußen. 
Wenn  überhaupt  einer,  so  war  er  der  Mann,  den  verfahrenen 
Wagen  noch  einmal  ins  rechte  Geleise  zu  bringen. 

Was  sollte  er  nun  bestimmt  vorschlagen?  Zwei  Konferenzen 
vom  3.  und  vom  7.  September  befaßten  sich  mit  seiner  Instruk- 
tion, die  der  Kaiser  dann  am  10.  September  festsetzte,  soweit 
das  überhaupt  möglich  war.  Denn  Spielmann  erhielt  für  das 
einzelne  freie  Hand,  damit  nicht  mit  „Hintersichbringen"  gar 
zu  viel  Zeit  verloren  gehe4).      In  der  Hauptsache  siegten  die 


1 )  Haugwitz  wollte  in  seiner  Furcht  vor  Rußland  auch  raschen 
Abschluß  mit  Österreich  vor  Ende  des  Feldzuges,  um  dann  in  Polen 
ruhig  das  preußische  Los  besetzen  zu  können  (H.E.B.  292 — 296,  Bericht 
Haugwitz'  16.  August). 

2)  Der  Widerstand  der  Franzosen  wurde  jedoch  noch  nicht  so  stark 
in  Rechnung  gestellt,  wie  man  wohl  behauptet  hat  (S  y  b  e  1  II  353).  Nur 
sah  man,  als  der  Plan  ausgeführt  wurde,  doch  schon,  daß  man  in  einem 
Jahre  nicht  nach  Paris  kommen  werde,  die  gewohnte  Art  der  Kriegführung 
vorausgesetzt,  und  mit  ihr  rechnete  man  in  Wien. 

3)  Vgl.  für  das  folgende  Vivenot  II  533—538  und  540—542; 
S  y  b  e  1  II  351  ff.;  H  ä  u  ß  e  r  I  396—397;  H  e  i  g  e  1  II  17—18. 

4)  V  i  v  e  n  o  t  II  546  und  575. 


Kriegskostenentschädigung  257 

Tauschfreunde  über  ihre  Gegner,  deren  eifrigster,  Lacy,  der 
zweiten  Konferenz  schon  infolge  einer  vorgeschützten  (?)  —  Un- 
päßlichkeit fernblieb.  Überall  sah  er  nur  Bedenklichkeiten  und 
schraubte  die  preußischen  Forderungen  auf  ein  Maß  zurück,  daß 
die  Ablehnung  durch  Preußen  von  vornherein  sicher  war.  Er 
gab  es  auch  selbst  zu,  daß  man  vorläufig  den  Tausch  am  besten 
fallen  lasse.  Aber  sein  Protest  hatte  jetzt  doch  nicht  mehr  die- 
selbe Bedeutung  wie  in  Frankfurt,  wo  er  seinen  Kaiser  aus  der 
Bahn  des  vertrauten  Zusammengehens  mit  Preußen  gerissen  hatte. 
Jetzt  blieb  Franz  in  der  neuen  Richtung  und  versagte  sich  seinen 
weitergehenden  Forderungen. 

Zunächst  sollten  noch  trotz  der  scheinbar  sehr  aufgefallenen 
Erklärungen  von  Haugwitz  nach  dem  3.  September  gegen  die 
Abtretung  der  Markgrafschaften1)  Versuche  in  der  alten  Richtung 
gemacht  werden,  und  wenn  es  nach  dem  einhelligen  Beschluß 
der  Konferenzteilnehmer  gegangen  wäre,  hätte  man  den  Preußen, 
wenn  sie  ihren  polnischen  Anteil  verkleinert  hätten,  Jülich-Berg 
und  für  später  eine  Grenzberichtigung  in  der  Lausitz  geboten2). 
Aber  das  lehnte  der  Kaiser  als  zu  weitgehend  ab,  wohl  in  dem 
früher  von  Schulenburg,  aber  auch  von  Spielmann  geäußerten 
Gedanken,  daß  die  Bayern  dann  nicht  mehr  auf  den  Tausch  ein- 
gehen würden,  ganz  abgesehen  davon,  daß  Österreich  eine  Ver- 
größerung Preußens  auf  deutschem  Boden  mit  allen  Mitteln  sonst 

1 )  Vivenot  II  540  und  Berichte  vom  4.  und  7.  September.  Er 
schmeichelte  sich,  durch  sie  den  Plan  der  Abtretung  der  Markgrafschaften 
endgültig  zu  Fall  gebracht  zu  haben,  wenn  auch  Spielmann  noch  ähnliche 
Gedanken  hege  —  wie  leichtgläubig!  Spielmann  hatte  allerdings  auch 
Schulenburg  in  einem  Gespräch  zu  Frankfurt  a.  M.  dasselbe  gesagt,  wo  sie 
sich  begegnet  waren,  aber  bei  diesem  wenig  Glauben  gefunden  (Rep.  XI 
89  k  Haugwitz  an  Schulenburg  20.  und  30.  September;  Schulenburg  an 
Haugwitz  29.   September). 

2)  Lacy  hatte  hierüber  sein  Gutachten  abgeben  müssen  und  vom 
Standpunkte  des  Militärs  gesprochen.  Nur  was  Preußen  zur  Sicherung 
seiner  Grenzen  haben  mußte,  das  wollte  er  ihm  geben.  Das  aber  brauchte 
Preußen  nicht  als  neue  Konzession  zu  betrachten,  es  konnte  sich  dafür  auf 
den  ersten  Geheimartikel  des  Bündnisses  mit  Österreich  berufen.  Für  die 
Abtretung  von  Ansbach- Bayreuth  forderte  Preußen  nicht  eine  Grenz- 
berichtigung oder  einen  Teil  der  Lausitzen,  sondern  diese  ganz  und  sofort, 
d.  h.  das  ganze  Geschäft  sollte  sich  nach  dem  Tode  des  sächsischen  Kur- 
fürsten vollziehen,  mit  dem  der  Mannesstamm  erlosch.  Die  Österreicher 
scheinen  aber  jetzt  an  eine  Genehmigung  dieser  Forderungen  nicht  gedacht 
zu  haben,  da  selbst  die  entgegenkommende  Partei  unter  den  Österreichern 
nur  einen  Teil  der  Lausitz  abtreten  wollte  und  sich  dabei  an  Lacys  Vor- 
schläge hielt  (Bericht  Haugwitz'  25.  August;  Rep.  96,  155  E). 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution         17 


258  n.  Abschnitt 

zu  verhindern  bemüht  war  (daher  ja  gerade  der  Zorn  über  die 
Erwerbung  von  Ansbach-Bayreuth).  Spielmann  erhielt  aber  auch 
Vollmacht,  auf  die  Markgrafschaften  überhaupt  zu  verzichten 
und  statt  ihrer  eine  Erweiterung  von  Vorderösterreich  nach  dem 
Elsaß  zu  auf  französische  Kosten  zu  fordern1).  Denn  in  Polen 
das  Gebiet  Österreichs  zu  erweitern  trug  man  Bedenken,  gegen 
die  Ansicht  von  Starhemberg,  dem  sich  der  Kaiser  zuerst  an- 
geschlossen hatte.  Man  wollte  hier  Österreich  aus  dem  Spiel 
halten,  um  dann  als  der  ehrliche  Mann  seine  Bundesgenossen  als 
die  an  der  neuen  Teilung  allein  Schuldigen  bezeichnen  zu  können. 
Außerdem  lasse  sich  eine  Erwerbung  auf  Frankreichs  Kosten  sehr 
gut  mit  dem  Kriege  rechtfertigen,  eine  Teilung  Polens  aber  nicht. 
Sollten  Rußland  und  Preußen  jedoch  ihre  Stücke  gleich  besetzen 
wollen,  ohne  darauf  zu  warten,  daß  Österreich  gleichzeitig  den 
Tausch  durchführen  könne,  so  solle  dies  provisorisch  auch  ein 
entsprechendes  Stück  in  Polen  besetzen,  um  für  alle  Fälle  ein 
Faustpfand  zu  haben2). 

Mit  diesen  Instruktionen  reiste  Spielmann  am  12.  September 
in  aller  Frühe  ab  ins  preußische  Lager,  wie  wir  sahen,  lediglich 
in  der  Absicht3),  die  Entschädigungsangelegenheit  rasch  mit 
Preußen  zu  einem  Abschluß  zu  bringen.  So  faßte  man  sie  auch 
im  preußischen  Lager  wie  im  Kabinettsministerium  auf4). 

Wenige  Stunden  nach  ihm,  um  10  Uhr  vormittags,  machte 
sich  auch  Haugwitz  auf  den  Weg,  zunächst  nur  mit  der  Absicht, 


1)  Da  die  Niederlande  umgetauscht  werden  sollten,  wurde  ihre  Ver- 
größerung durch  Eroberung  zwar  erstrebt,  aber  doch  nur  in  geringerem 
Maße,  bloß  um  den  Bayern  den  Tausch  angenehmer  zu  machen. 

a)  Diese  Bestimmung  scheint  am  7.  September  nicht  aufgehoben 
worden  zu  sein.    Vgl.  auch  Vivenot  II  540. 

3)  Vivenot  DI  545,  546,  548 — 551.  Zwar  sickerte  von  dieser  An- 
schauung auch  etwas  in  das  diplomatische  Korps  durch  (Bericht  Cesars 
15.  September).  Im  allgemeinen  herrschte  dort  aber  doch  eine  andere 
Auffassung,  die  den  österreichischen  Wunsch,  den  Frieden  möglichst  rasch 
wiederherzustellen,  in  den  Vordergrund  schob,  besonders  auch  die  ver- 
dächtigen Verhandlungen  Preußens  mit  Frankreich  beaufsichtigen  lassen 
wollte  (Rep.  I  170  Bericht  eines  Unbekannten.  Wien  8.  September;  von 
Häußer  I  [396 — 397]  als  Bericht  von  Haugwitz  bezeichnet.  Vgl.  an 
Goltz  28.  September). 

4)  Rep.  XI  89  k  Haugwitz  an  Schulenburg  30.  September;  Lucchesini 
an  Finckenstein  und  Alvensleben  15.  September;  Finckenstein  und  Alvens- 
leben  an  Lucchesini  30.  September.  Im  Kabinettsministerium  gewann  bald 
die  Ansicht  des  schlecht  unterrichteten  Cesar  die  Oberhand,  Österreich 
wolle  vor  allen  Dingen  Frieden  (Finckenstein  und  Alvensleben  an  Lucchesini 
IL,  15.,  18.  Oktober.     An  Goltz  28.  September). 


Kriegskostenentschädigung  259 

ihm  bis  Frankfurt  zu  folgen  und  dort  weitere  Befehle  des  Königs 
abzuwarten1).  Es  ist  nicht  mit  aller  Sicherheit  anzugeben,  welche 
Gründe  ihn  dazu  veranlaßt  haben.  Er  gibt  zwar  an,  daß  er  dar- 
über am  5.  September  besonders  direkt  an  den  König  berichtet 
habe2),  aber  dieser  Bericht  ist  wie  so  viele  andere  Schriftstücke 
dieser  Monate  in  der  Unruhe  des  steten  Umherziehens  wohl  ver- 
loren gegangen;  nur  Vermutungen  sind  daher  anzustellen. 

Die  nächstliegende  ist  die,  daß  er  —  ganz  mit  Recht  — annahm, 
nun  werde  der  Schwerpunkt  der  Verhandlungen  über  die  Ent- 
schädigungsfrage3) von  Wien  nach  der  Champagne  verlegt  werden. 
Dabei  wollte  er  auch  sein  Wort  mitreden;  gerade  seine  guten 
Beziehungen  zu  Spielmann4)  mochten  ihn  veranlassen,  sich  als 
besonders  geeignet  dafür  zu  betrachten.  Dazu  kam  sein  natür- 
licher Ehrgeiz,  den  Ereignissen  eine  Wendung  zu  geben,  die  er 
für  die  allein  richtige  hielt,  die  er  aber  von  Schulenburg  und  auch 
vom  Kabinettsministerium  nicht  genau  innegehalten  zu  sehen 
meinte.  Sein  gutes  Verhältnis  zum  Könige  schien  ihm  auch  hierin 
die  besten  Aussichten  zu  geben.    Wenn  dem  aber  auch  so  war  — 


1)  Bericht  7.  September  und  Cesars  Bericht  12.  September.  Er  er- 
hielt sie  auch. 

2)  Bericht  7.  September.  Er  hatte  das  schon  früher  einmal  gemacht 
und  dadurch  das  Berliner  Kabinettsministerium  gegen  sich  aufgebracht 
(Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  7.  Sept.).  Jetzt  schickte  er 
diesen  Bericht  mit  seinem  Kammerdiener  an  den  König.  Da  er  keine  Kopie 
beilegte,  so  erhielten  Schulenburg  und  das  Kabinettsministerium  gar  keine 
Kenntnis  davon,  was  Haugwitz  wohl  auch  beabsichtigt  hatte  (Rep.  XI 
89  k  Haugwitz  an  Schulenburg  20.  und  30.  September).  Am  15.  September 
war  jener  im  preußischen  Lager  (Rep.  XI  89  k  Guionneau  an  Schulenburg 
15.  September),  und  am  19.  wieder  in  Frankfurt,  sogar  in  Fulda  zurück, 
zweifellos  mit  dem  Befehl,  ins  Lager  zu  kommen  (V  i  v  e  n  o  t  II  557 ,  wo 
Spielmann  wohl  das  Datum  zugesetzt  hat,  Rep.  I  170  19.  September). 
Am  30.  September  legte  Haugwitz  übrigens  dem  Briefe  an  Schulenburg 
eine  Kopie  seiner  letzten  Depesche  an  den  König  bei,  aber  ich  zweifle, 
daß  es  die  vom  5.  September  war;  die  Kopie  war  nicht  zu  finden.  —  Das  Ge- 
heimnis der  Reiseabsichten  von  Haugwitz  wurde  so  gut  gewahrt,  daß  nicht 
einmal  der  preußische  Legationsrat  in  Wien,  Herr  v.  Cesar,  sein  Vertreter, 
sie  kannte  (Rep.  I  170  Bericht  Cesars  3.  Oktober.  Cesar  an  die  Minister 
22.  und  25.  September). 

3)  Aus  dem  Nachlaß  Varnhagens  von  Ense.  Briefe  von  Chamisso, 
Gneisenau,  Haugwitz  etc.  II  286 — 287.  Wer  der  Minister  war,  kann  ich 
nicht  feststellen,  eventuell  Alvensleben,  der  mit  Haugwitz  in  der  Oppo- 
sition gegen  den  Krieg  einig  war.  Finckenstein  scheint  mir  ausgeschlossen, 
Lucchesini  ist  es  von  selbst,  ebenso  Schulenburg.  An  etwas  anderes  als 
die  Entschädigungsverhandlungen  scheint  er  dabei  nicht  gedacht  zu  haben. 

4)  Bericht  4.  September. 


260  IL  Abschnitt 

eine  starke  Eigenmächtigkeit  blieb  es  immer.  Außer  dem  Könige 
war  niemand  damit  zufrieden.  Alle  die  beteiligten  preußischen 
Staatsmänner  hätten  ihn  gern  nach  Wien  zurückgeschickt,  wo 
es  zwar  nicht  so  Wichtiges,  aber  immerhin  genug  zu  tun  gab. 
Gerade  diesen  Posten  hatte  Haugwitz  zugewiesen  erhalten. 
Aber  sie  wagten  alle  nichts  zu  tun,  da  der  König  auf  seiner  Seite 
stand1). 


i)  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  15.  Sept.;  Fincken- 
stein  und  Alvensleben  an  Lucchesini  23.  Sept.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß 
40  III  Reck  an  Lucchesini  15.  Oktober.  Ich  habe  oben  die  Verantwortung 
für  die  Reise  allein  Haugwitz  zugeschoben  (Finckenstein  und  Alvensleben 
an  Lucchesini  30.  Sept. )  und  kann  mich  dafür  auch  auf  ein  intimes  Zeug- 
nis von  ihm  selbst  berufen  (Briefe  von  Chamisso  etc.  II  286 — 287  Haug- 
witz an  Bürde  25.  September).  Das  widerspricht  der  Annahme,  daß  Haug- 
witz einem  Rufe  des  Königs  ins  Hauptquartier  folgte  (Sybel  II  356; 
Artikel  „Haugwitz"  von  Sybel  in  der  A.D.B.  Bd.  XI  58;  K  o  s  e  r  466  ff. ; 
H  üf  f  e  r  in  der  Deutschen  Revue  1883  I  319;  V  i  v  e  n  o  1 1  574;  Wassil- 
tchikowII4,  161 — 162,  wohl  nach  einer  Mitteilung  von  Haugwitz  an 
Rasumowski;  Rep.  XI  89  k  Schulenburg  an  Lucchesini  1.  September  und 
Haugwitz  an  Schulenburg  20.  und  30.  September;  Ranke  47,  278). 
Dabei  ist  jedoch  eins  zu  beachten.  Er  scheint  in  der  Tat  einen  Brief  des 
Königs  vor  seiner  Abreise  erhalten  zu  haben,  der  ihm  die  Abreise  Schulen- 
burgs  von  der  Armee  (V  i  v  e  n  o  t  II  574)  und  seine  Entlassung  (das  ist 
nicht  richtig!)  und  die  Ernennung  von  Haugwitz  selbst  zum  Kabinetts- 
minister brachte.  Aber  von  einer  Berufung  ins  Lager  steht  nichts  darin. 
Diese  zunächst  auffallende  Tatsache  erklärt  sich  daraus,  daß  einmal 
Lucchesini  für  die  provisorische  Regelung  der  Geschäfte  in  einigen  Tagen 
zur  Hand  war  und  daß  dieser  Ubergangszustand  nach  allem  nur  von  kurzer 
Dauer  zu  sein  versprach.  Man  hoffte  ja  bald  in  Paris  zu  sein.  Dann  wäre 
der  König  nach  Berlin  zurückgekehrt  und  Haugwitz  von  Wien  nach  Berlin 
gekommen.  Dem  entspricht  auch  die  von  Schulenburg  entworfene  Weisung 
Friedrich  Wilhelms  an  die  Gesandten  —  Haugwitz  ist  auch  darunter  — 
wonach  sie  nach  Schulenburgs  Abreise  von  der  Armee  ihre  Instruktionen 
vom  Departement  der  auswärtigen  Angelegenheiten  erhalten  sollten  (Rep. 
XI  89  g  2  Au  Camp  de  Verdun  5.  September),  und  sein  Bericht  an  das 
Kabinettsministerium  vom  7.  September,  wo  er  ausdrücklich  einen  Zu- 
sammenhang zwischen  seiner  Bitte  um  Urlaub  und  Lucchesinis  Ankunft 
herstellt  (Rep.  XI  89  g *  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium 
7.  September).  Haugwitz  aber  fühlte  sich  zu  sehr  in  seiner  Rolle  als  Mentor 
des  Königs,  als  daß  er  ihn  auch  nur  kurze  Zeit  allein  —  von  Lucchesinis 
Anwesenheit  scheint  er  nichts  gewußt  zu  haben  —  hätte  lassen  wollen. 
Er  fürchtete  die  österreichische  Hartnäckigkeit  und  die  Nachgiebigkeit 
des  Königs  und  baute  nur  zu  sehr  auf  seinen  Einfluß  (Haugwitz  an  Schulen- 
burg 30.  September  in  Rep.  XI  89  k).  Die  Berufung  ins  Lager  erhielt 
Haugwitz  erst  auf  seiner  Reise  nach  Frankfurt  in  Fulda  am  19.  Der  König 
ergriff  also  mehr  eine  sich  ihm  bietende  Gelegenheit,  als  daß  er  sie  herbei- 
geführt hätte.    Nur  verstärkt  kann  dieser  Befehl  den  Entschluß  von  Haug- 


Kriegskostenentschädigung  261 

So  reisten  die  Österreicher  (Spielmann  und  Collenbach)  und 
der  Preuße  am  12.  September  von  Wien  ab.  In  wenigen  Wochen, 
meinten  sie,  würden  Krieg  wie  Entschädigungsverhandlungen  zu 
Ende  sein.  Die  Einnahme  von  Longwy  und  von  Verdun  schien 
ja  eine  sehr  vergnügte  Aussicht  darzustellen1).  Selbst  Kaunitz 
glaubte  an  rasche  Einnahme  von  Paris,  nur  sah  er  politische 
Schwierigkeiten  voraus2).  Aber  als  sie  am  Ziel  ankamen,  hatten 
die  Waffen  schon  für  die  Franzosen  entschieden,  der  Rückzug 
der  Verbündeten  war  bereits  zur  Tatsache  geworden.  Damit  war 
nun  die  ganze  Lage  verändert.  Das  politisch-militärische  Ziel 
war  nicht  erreicht,  aber  auch  noch  nicht  aufgegeben  worden. 
Sollte  man  jedoch  einen  neuen  Feldzug  unternehmen,  der  so  un- 
geheure Summen  verschlang,  ohne  sich  vorher  die  Entschädigung 
für  die  Kosten  zu  sichern?3)  Sollte  man  die  Höhe  seiner  Forde- 
rungen nach  den  schon  geleisteten  oder  auch  gleich  nach  den  im 
nächsten  Jahre  noch  zu  leistenden  Ausgaben  bemessen  in  der 
stillschweigenden  Voraussetzung,  daß  man  dann  sicher  am  Ziele 
sein  werde?  Das  waren  ganz  neue  Fragen,  die  jetzt  ihrer  Lösung 
harrten  und  die  an  sich  schon  verworrene  Lage  noch  weiter 
komplizierten.  Doch  um  die  folgende  Entwicklung  zu  verstehen, 
müssen  wir  uns,  wenn  auch  nur  kurz,  Rüstungen,  kriegerische 
Vorgänge  und  die  vielerörterten  Verhandlungen  der  Franzosen 
mit  den  Preußen  im  Herbst  und  Winter  1792/93  vergegenwärtigen, 
lediglich  unter  dem  Gesichtspunkte,  ob  und  inwiefern  sie  die 
Politik  der  deutschen  Mächte,  besonders  Preußens,  beeinflußten. 

witz  haben,  selbst  zur  Armee  zu  reisen,  wo  eine  Lücke  entstanden  zu  sein 
schien,  und  das  Seinige  zu  tun  (vgl.  noch  V  i  v  e  n  o  t  II  606;  Rep.  I  170, 
19.  September).  Die  Deutung  des  Briefes  von  Friedrich  Wilhelm  (Ranke 
47,  278)  an  Haugwitz  macht  einige  Schwierigkeiten. 

1 )  V  i  v  e  n  o  t  II  548. 

2)  Vivenot  II  547.  Dieser  Ansicht  war  er  auch  schon  vor  seiner 
Entlassung  gewesen.     Vgl.  oben. 

3)  Z  e  i  ß  b  e  r  g,  Karl-Hohenlohe  56. 


III.  Abschnitt 

Der  Kampf 


1.  Kapitel 

Deutsche  Rüstungen 

I. 

Wir  müssen  auch  hier  von  den  politischen  Absichten  der 
deutschen  Mächte  ausgehen.  Sie  waren  nicht  identisch,  aber  die 
Wege  fielen  in  ihren  ersten  Teilen  zusammen,  wieder  mit  dem 
Unterschied,  daß  Preußen  freiwillig  und  daher  schnell,  Öster- 
reich gezwungen  und  daher  langsam  vorgehen  wollte.  Die  erste 
Etappe  sollte  gewissermaßen  die  Befreiung  Ludwigs  aus  seiner 
Gefangenschaft  bedeuten.  Sie  zu  erreichen,  war  die  dem  mili- 
tärischen Oberbefehlshaber  gestellte  Aufgabe.  Nach  ihr  mußte 
sich  sein  Feldzugsplan  richten.  Selten  ist  sie  so  maßgebend  wie 
in  diesem  Kriege  gewesen,  und  es  geht  daher  nicht  an,  einen  rein 
militärischen  Maßstab  an  die  Dinge  zu  legen1).  Ich  habe  schon 
an  anderer  Stelle  entwickelt,  wie  der  als  Feldherr  allgemein  hoch- 
geschätzte Herzog  von  Braunschweig  sich  seine  Pflichten  aus- 
legte, wie  er  dafür  die  vollste  österreichische  Billigung  fand,  wie 
er  dadurch  die  weitgehenden  Hoffnungen  der  Militärs  schon  im 
Keime  erstickte2).  In  demselben  Sinne  hatte  er  sich  auch  schon 
gegenüber  dem  Wunsche  Friedrich  Wilhelms  verhalten,  die  Füh- 
rung zu  übernehmen  und  den  Plan  zu  entwerfen.  Abzulehnen 
wagte  er  den  Antrag  nicht,  obwohl  ihm  bei  dem  Gedanken  an 
diesen  Krieg  nie  recht  wohl  war3).     Er  sollte  unter  so    völlig 


1 )  Z  e  i  ß  b  e  r  g,  Karl-Hohenlohe  36  und  52. 

2)  Langerons  Memoire,  Bruxelles  2.  Juni  1792,  in  P  i  n  g  a  u  d,  1' Invasion 
austro-prussienne  9 — 10. 

3)  Persönliche  Interessen  hatte  er  bei  der  Übernahme  des  Kommandos 
nicht  (Rep.   XI  89  b ,  Braunschweig  an  Schulenburg  26.  Februar  1792). 


Deutsche  Rüstungen  263 

anderen  Verhältnissen  als  den  bisherigen  geführt  werden,  daß 
auch  die  gewohnte  methodische  Kriegführung  verlassen  werden 
sollte.  Das  aber  war  für  den  Herzog  ein  Wagnis,  und  er  verab- 
scheute jedes,  soweit  es  nicht  nur  persönliche  Tapferkeit  er- 
forderte, die  ihm  niemand  abstreiten  kann1),  schon  in  dem  Ge- 
danken daran,  er  könne  seinen  in  ganz  Europa  verbreiteten  Ruhm 
als  erster  Feldherr  des  Zeitalters  aufs  Spiel  setzen2)  —  gerade 
hierdurch  seine  Kleinheit  erweisend.  Er  identifizierte  sich  nicht 
so  wie  Friedrich  der  Große  mit  der  Sache,  der  er  diente.  Er  setzte 
nicht  alles  an  alles,  weil  er  es  nicht  wagte,  aber  auch  nicht,  weil 
er  es  nicht  für  nötig  hielt.  Auch  Friedrich  kam  nur  dazu,  weil 
er  sich,  d.  h.  seinen  Staat  nicht  anders  retten  zu  können  meinte. 
Sollte  der  Herzog,  dem  keine  preußische  Lebensfrage  auf  dem 
Spiel  zu  stehen  schien,  seine  „Fehler"  wiederholen?3)  Waren  aber 
auch  die  Verhältnisse  wirklich  derart,  daß  man  an  eine  Abweichung 
von  den  Regeln  denken  konnte?  Der  Herzog  konnte  sich  nicht 
davon  überzeugen.  Er  war  ein  abgesagter  Feind  der  Emigranten. 
Gerade  daß  diese  die  Ansicht  verbreiteten,  der  französische  Staat 
befinde  sich  in  der  Auflösung,  machte  ihm  die  Sache  nur  um  so 
verdächtiger.  Auf  ihre  Versprechungen  wollte  er  sich  durchaus 
nicht  verlassen4).  Er  schätzte  ganz  mit  Recht,  wie  wir  heute 
sagen  können,  die  Macht  Frankreichs  doch  nach  den  Lehren  der 
Geschichte  erheblich  höher  ein  als  die  Diplomaten  und  wäre, 
wenn  es  bloß  nach  seiner  Ansicht  gegangen  wäre,  in  einer  unan- 
greifbaren Stellung  stehen  geblieben,  um  die  Franzosen  sich 
selbst  ruinieren  zu  lassen6).  Auch  er  hielt  ja  die  französische 
Verfassung  für  undurchführbar.  Dann  würden  sich  die  nötigen 
Verbesserungen  schon  von  selbst  durchsetzen6). 

Statt  nun  aber  auf  seiner  Meinung  zu  bestehen  und  lieber  die 
ganze  Sache  abzulehnen7),  entwarf  er  auf  Grund  der  von  dem 


1)  Ch.J.P.  123. 

2)  Sorel  II  351 — 352.  Man  ist  nicht  zu  der  Annahme  genötigt,  er 
habe  sich  von  seiner  Bewunderung  der  Franzosen,  ihm  selbst  unbewußt, 
in  seinen  Entschlüssen  lähmen  lassen  (Heigel  II  13). 

3)  Vgl.  den  deutlichen  Hinweis  auf  Friedrich  den  Großen  in  Lettres 
sur  Dumouriez  55—56. 

4)  Sybel  II  286—287;  Massenbach  I  268;  Lettres  sur  Du- 
mouriez 57. 

5)  Ch.J.P.  127;  Sorel  II  471. 

6)  Schlieffen  II  558.  Vgl.  auch  das  dem  großenteils  entsprechende 
Urteil  von  Scharnhorst  bei  Max  Lehmann,  Scharnhorst  Bd.  I  91—92. 
Die  Warnungsrufe  verhallten  aber  ungehört. 

7)  Ch.J.P.  126;  Heigel  II  14. 


264  HI.  Abschnitt 

Major  Tauenzien  gelieferten  Unterlage  nach  einer  Besprechung 
mit  Friedrich  Wilhelm  in  Potsdam,  wohl  am  16.  Februar  vor- 
mittags, an  der  noch  Schulenburg,  Bischoifwerder  und  wohl  noch 
Manstein  teilgenommen  hatten1),  einen  Feldzugsplan,  der  alle  die 
von  ihm  abgelehnten  Voraussetzungen  berücksichtigte2).  Er 
schätzte  darin  die  französischen  Armeen  im  ganzen  auf  150  000 
Mann,  ließ  aber  die  Nationalgarden  dabei  ganz  unbeachtet  und  sah 
unter  Vermeidung  jedes  unnützen  Aufenthaltes3)  einen  Marsch 
in  das  Innere  von  Frankreich  bis  zur  Maaslinie  vor;  erst  dort 
ließen  sich  Maßregeln  für  die  Folge  des  Feldzuges  festsetzen4). 
Das  Hauptheer  unter  seiner  Führung  sollte  also,  soweit  es  aus 
Preußen  bestand,  von  Koblenz  die  Mosel  aufwärts  über  Trier, 
wo  sich  etwa  die  Vereinigung  mit  dem  österreichischen  Korps 
(unter  Hohenlohe)  vollziehen  sollte,  zur  Maas  marschieren.  Es 
sollte  durch  zwei  aus  den  Niederlanden  bezw.  von  dem  Oberrhein 
über  Basel  oder  von  Mannheim  nach  Kaiserslautern,  wenn  die 
Schweiz  neutral  bleiben  sollte,  nach  Frankreich  vordringende 
Armeen  Österreichs  gegen  Flankenangriffe  der  anderen  beiden 
französischen  Armeen  geschützt  werden.  Doch  sollte  sich  eine 
6 — 8000  Mann  starke  Abteilung  von  der  österreichischen  Armee 
in  den  Niederlanden  —  es  ist  das  spätere  Korps  Clerfayt  —  ab- 
lösen und  über  die  Ardennen  zu  dem  preußischen  Hauptheer 
marschieren.  Eine  Schlacht  sollte  letzten  Endes  unter  günstigen 
Umständen  nicht  vermieden  werden,  und  zwar  sollten  sich  dazu 
womöglich  die  preußische  und  die  österreichisch-niederländische 
Armee  vereinigen  (vgl.  dazu  den  Feldzugsplan  gegen  Rußland 
von  1812).  Von  der  Mitwirkung  Spaniens,  Sardiniens  und  der 
Schweiz  versprach  sich  der  Herzog  große  Vorteile,  vor  allem  den 
der  Zersplitterung  der  feindlichen  Truppen.  Aber  er  hatte  ver- 
gessen, dabei  die  Verschiedenheit  der  Interessen  der  einzelnen 
Staaten  in  Rechnung  zu  stellen,  die  aus  alledem  nichts  werden 

')  Massenbach  I  25  und  275;  Politisches  Journal,  Februar:  Berlin 
18.  Februar  und  20.  Februar;  Sorel  II  370. 

2)  Häußer  I  360:  Er  war  eine  von  jenen  unglücklich  angelegten 
Naturen,  die  in  der  Regel  das  Richtige  erkennen  und  doch  ebenso  oft 
das  Entgegengesetzte  tun.  Massenbach  I  268  ff. ;  Krieg  gegen  die 
Revolution  II  98—99  und  373-377;  Schlief fen  II  382-383  und 
561—562. 

3)  Die  üblichen  Belagerungen  der  Grenzfestungen  fesselten  sonst  das 
Heer  gar  zu  leicht  sofort  nach  dem  Einmarsch. 

*)  So  dachte  auch  der  Marschall  von  Castries,  dessen  gemäßigte  Ge- 
sinnung wir  kennen  (Peltier,  Dernier  tableau  de  Paris  App.  zu  Nr.  V 
S.  IV). 


Deutsche  Rüstungen  265 

ließ1).  Die  eventuell  nötige  weitere  Bewegung  sollte  dann  je 
nach  dem  Ausfall  der  bisherigen  Anstrengungen  und  der  Be- 
setzung dieser  oder  jener  Maasfestung  geregelt  werden. 

Dieser  Plan  atmet  trotz  seines  Anfanges  eine  methodische 
Bedächtigkeit,  die  bei  einem  Feldherrn  der  damaligen  Zeit  selbst- 
verständlich erscheint.  Man  wird  nicht  daran  zweifeln  können, 
daß  der  Herzog  sein  Ziel  erreicht  hätte,  wenn  es  dabei  geblieben 
wäre2)  und  wenn  ihm  die  geforderten  Mittel  bei  der  Durchführung 
zur  Verfügung  gestanden  hätten.  Am  19.  Februar  schickte  er 
diesen  Plan  an  den  König  ab.  Es  war  tatsächlich  der  Plan  Fried- 
rich Wilhelms,  nicht  der  des  Herzogs3).  Für  den  König  war  es 
nur  der  erste  Schritt,  für  den  Herzog  der  ganze  Weg.   Dieser  war 


»)  Ch.J.P.  138  ff. 

!)  Massenbach  I  37-38. 

3)  Wer  will  sich  getrauen  zu  sagen,  was  geschehen  wäre,  wenn  man 
ihn  wirklich  energisch  durchgeführt  hätte  (Dampmartin,  Evenements 
[1799]  191)?  Aber  der  König  besaß  nicht  die  nötige  Energie,  um  den 
in  seiner  Art  richtigen  Gedanken  auch  selbst  durchzuführen  (Sybel  II  / 
197).  Dazu  war  geregelte,  oft  wohl  auch  kleinlich  anmutende  Arbeit  er- 
forderlich, und  die  konnte  er  nicht  leisten.  Daß  er  selbst  formell  das 
Oberkommando  übernehmen  werde,  war  bei  der  Neuheit  der  österreichisch- 
preußischen Freundschaft  von  vornherein  ausgeschlossen.  Ja,  es  war  sogar 
zweifelhaft  erschienen,    ob  er  zur  Armee  abgehen  werde  (Massenbach 

I  23).  Seine  Reise  nach  Ansbach  war  sicher,  mehr  nicht.  Deshalb  wurde 
wohl  in  der  Öffentlichkeit  zuerst  auch  seine  Zusammenkunft  mit  Franz 
nach  Ansbach  verlegt  (Pol.  Journ.  1792,  Mai:  Frankfurt  16.  Mai).  Aber 
das  trifft  doch  nicht  zu.  Schon  vor  der  Konferenz  von  Sanssouci,  wahr- 
scheinlich schon  Ende  April,  war  der  König  entschlossen,  zur  Armee  zu 
gehen  (Rep.  XI  89  b  Braunschweig  an  Schulenburg  20.  April.  Schulen- 
burg an  Braunschweig  23.  April.  Rep.  I  169  an  Jacobi  19.  Mai.  Rep. 
92  Lucchesinis  Nachlaß  37,  Schulenburg  an  Lucchesini  11.  Mai).  Schulen- 
burg, der  ihn  begleiten  sollte,  lehnte  es  ab ,  ihn  davon  abzubringen ,  da 
Friedrich  Wilhelm  dann  nur  umso  stärker  darauf  bestehen  werde  (H.E.B. 
216—217).  Die  ganze  Sache  wurde  aber  noch  so  geheim  gehalten,  daß 
Lombard  am  15.  Juli  schreibt  (Deutsche  Revue  1883  I  241) :  „Es  scheint 
jetzt  bestimmt,  daß  der  König  sich  an  die  Spitze  seines  Heeres  stellt, 
und  daß  wir  keine  Reise,  sondern  einen  Feldzug  mitmachen."  In  Berlin 
erwartete  man  ihn  zuerst  doch  noch  rasch  zurück ,  schon  damit  er  dem 
Herzog  von  Braunschweig  nicht  in  seine  Aufgabe  hineinredete  (Fersen 

II  335.  Politisches  Journal  1792,  II  893,  August:  Berlin  18.  August,  wo 
diese  Ansicht  schon  aufgegeben  ist).  Friedrich  Wilhelm  ging  also  mit, 
aber  ohne  offiziell  das  Kommando  zu  haben.  Er  glaubte,  in  dem  Herzog 
den  ersten  Feldherrn  Europas  zu  seiner  Verfügung  zu  haben,  dem  er  nur 
die  nötigen  Fingerzeige  zu  geben  brauche ,  um  des  Erfolges  ebenso  sicher 
zu  sein,  wie  bei  der  Expedition  gegen  Holland  (vgl.  Schlieffen  II  359; 
Dampmartin,  Quelques  traits  93). 


266  ni-  Abschnitt 

jedenfalls  nicht  der  Mann  dazu,  den  Plan  auch  im  Sinne  des 
Königs  durchzuführen  —  fehlte  ihm  dazu  doch  schon  das  erste 
Erfordernis:  der  gute  Wille1).  In  diesem  Doppelkommando  und 
den  sich  daraus  ergebenden  Verwicklungen  hat  man  daher  ge- 
wöhnlich2) und  mit  vollem  Recht  eine  Hauptursache,  aber  nicht 
die  einzige3),  für  das  Fehlschlagen  der  Unternehmung  gegen 
Frankreich  gesehen.  Der  Herzog  hatte  also  nur  die  Verwirklichung 
der  Idee  des  Königs  übernommen  und  ließ  daran  auch  keinen 
Zweifel4).  Friedrich  Wilhelm  schickte  nun  diesen  Plan  durch 
Bischoffwerder  nach  Wien,  wo  er  im  großen  und  ganzen  an- 
genommen wurde.  Darauf  ging  die  offizielle  Aufforderung  an  den 
Herzog  ab,  das  Oberkommando  zu  übernehmen,  der  er  sich  wider- 
strebend, und  doch  in  seinem  Ehrgeiz  geschmeichelt,  fügte5). 

Es  war  bereits  zwischen  den  Mächten  verabredet  worden,  daß 
zu  den  Offensivoperationen  je  50  000  Mann  gestellt  werden  sollten. 
Die  Diplomaten  hielten  sie  für  mehr  als  ausreichend,  der  Herzog 
für  gerade  genügend,  um  an  das  gewünschte  Ziel  zu  gelangen. 
Wir  treffen  hier  wieder  und  wieder  auf  die  Ansicht,  daß  man  sich 
erst  ausrechnet,  wieviel  Mann  die  Lösung  der  Aufgabe  wohl  er- 
fordern Werde,  und  dann  auch  nicht  mehr  ins  Feld  stellt.  Das 
würde  ja  unnütze  Kosten  verursachen.  An  die  Verwendung  der 
gesamten  Staatskraft  denkt  überhaupt  keiner6).  Diese  klugen 
Rechner  sind  aber  doch  nicht  in  der  Lage,  die  Wechselfälle  eines 
Krieges  vorauszusehen  und  finden  sich  bei  der  kleinsten   Ab- 


')  Ch.J.P.  128—130;  Sorel  III  42.  Die  absolutistische  Regierungs- 
weise verlangte  einen  großen  Mann  an  der  Spitze,  der  alle  Ressorts  allein 
leitete.  Er  fehlte,  aber  der  König  ging  trotzdem  mit  ins  Lager  und  nahm 
schon  durch  seine  bloße  Anwesenheit  dem  Herzog  die  tatsächliche  Ober- 
leitung aus  der  Hand  (Massenbach  I  36 — 37). 

2)  Forneron  I  342 — 354  sucht  vergeblich  die  Schuld  allein  auf  den 
König  zu  schieben. 

3)  Schlosser  V  353—354  und  407—408;  Sybel  II  301—302; 
H äußer  I  371—373;  Hüffer  in  der  Deutschen  Revue  1883  I  250; 
Heigel  II  14,  23,  30—31;  Ch.J.R  88  und  128-129;  Massenbach  I 
104—105;  Valentini4 — 5;  Delbrück,  Historische  und  politische  Auf- 
sätze (Berlin  1887)  218;  Zeißberg,  Karl-Hohenlohe  57—58. 

4)  Massenbach  I  267,  268—274;  Schlieffen  II  360,  386,  390, 
563,  566. 

5)  Rep.  96,  147  G  II  und  Rep.  XI  89b,  S.  Au  Roi  20.  März; 
Ranke  286. 

6)  Sorel  II  502  übersieht  das ;  aber  andere  Gründe  als  falsche  Ein- 
schätzung Frankreichs  und  falsche  Sparsamkeit  braucht  man  nicht  an- 
zunehmen. 


Deutsche  Rüstungen  267 

weichung  von  ihrem  Plan  in  der  tödlichsten  Verlegenheit,  wo  sie 
die  Truppen  oder  das  Material  hernehmen  sollen;  denn  über  alle 
ist  bereits  verfügt.  Nie  kommen  sie  auf  den  Gedanken,  daß  ein 
Krieg  mit  ganzer  Macht  immer  noch  der  billigste  ist,  um  einmal 
bei  ihrer  echt  rationalistischen  Ansicht  zu  bleiben.  Friedrich 
Wilhelm  glaubte  freilich,  mit  den  100  000  Mann  ganz  Frankreich 
erobern  zu  können,  da  es  sich  nur  darum  handle,  eine  Partei, 
nicht  einen  Staat  zu  bekämpfen.  Der  Gedanke,  nur  eine  mili- 
tärische Promenade  vor  sich  zu  haben,  wirkte  verhängnisvoll  und 
wurde  nur  allzusehr  durch  die  leichte  Eroberung  von  Holland 
fünf  Jahre  vorher  erweckt.  Die  Emigranten  verfehlten  natürlich 
nicht,  in  dasselbe  Hörn  zu  stoßen.  Eines  ihrer  in  Berlin  angesehen- 
sten Häupter,  der  General  Bouille,  hat  angeblich  gesagt,  er  habe 
die  Schlüssel  zu  den  französischen  Festungen  schon  in  der  Tasche. 
Im  Juli  stellte  sich,  von  ihm  an  Stein  empfohlen,  in  Ansbach 
dem  Könige  ein  französischer  Ingenieuroberst,  namens  Turpin, 
vor,  der  die  französischen  Festungen,  besonders  Metz  und  Longwy, 
zu  kennen  vorgab1).  „Es  bedarf  nur  einiger  Trompeter  und  der 
Aufforderungen,  um  die  Städte  zur  Übergabe  zu  bringen",  wie 
ein  unbekannter  Korrespondent  Schulenburgs  aus  Brüssel  schrieb2). 
Wie  ich  aber  schon  hervorhob,  mußte  auch  die  französische  Re- 
gierung bei  Preußen  immer  stärker  den  Gedanken  hervorrufen, 
von  Widerstand  könne  auf  französischer  Seite  keine  Rede  sein. 
So  ist  denn  die  allgemeine  Ansicht  die,  daß  der  Krieg  mit  einer 
raschen  Unterwerfung  der  Franzosen  unter  den  Willen  der  Mächte 
endigen  werde3).  Weihnachten,  so  meinte  man,  werde  Karl 
Wilhelm  Ferdinand,  mit  neuem  Lorbeer  geschmückt,  wieder  zu 
Hause  sein4). 

Wenn  nun  aber  wenigstens  die  100  000  Mann  wirklich  zur 
Stelle  gewesen  wären!  An  Preußen  fehlte  es  diesmal  nicht.  Es 
kam,  wie  überhaupt  in  diesem  Jahre,  seinen  Verpflichtungen  gegen 
Österreich  vielleicht  zu  pünktlich  nach.  Bei  den  Österreichern 
bedurfte  es  doch  noch  mannigfachen  Drängens,  um  sie  dazu  zu 


*)  Rep.  XI  89  b  Braunschweig  an  Friedrich  Wilhelm  5.  Juli.  Man- 
stein  an  Schulenburg  10.  Juli. 

2)  Rep.  96,  147  G  II,  S.  Au  Roi  28.  Mai ;   Lettres  sur  Dumouriez  57. 

3)  Minutoli,  Erinnerungen  21—22. 

4)  Politisches  Journal  1792  Juli  Bd.  II  735:  Braunschweig  4.  Juli; 
Rep.  XI  89b  Schulenburg  an  Braunschweig  23.  April:  Je  me  felicite 
veritablement ,  de  me  voir  appele  ä  etre  temoin  des  nouveaux  lauriers 
que  V.  A.  S.  se  prepare  a  recueillir.  Je  la  vois  en  idee  dicter  la  loi 
a  Paris  comme  eile  l'a  fait  ä  Amsterdam. 


268  HI.  Abschnitt 

veranlassen.  Ihrem .  politischen  Wunsche  kam  die  Schwerfällig- 
keit ihrer  Heeresorganisation  zu  Hilfe,  die  so  rasche  Anspannung 
nicht  ertrug.  Zunächst  versuchten  sie,  ihre  Truppen  am  Ober- 
rhein mit  in  Rechnung  zu  stellen,  ohne  Rücksicht  darauf,  ob  sie 
zur  Verteidigung  oder  zum  Angriff  bestimmt  waren1).  Dem 
widersetzte  sich  aber  Preußen  gleich  mit  aller  Schärfe,  der  ganze 
Plan  wäre  dann  gescheitert.  So  täppisch  durften  sie  es  also 
nicht  noch  einmal  versuchen.  Aber  es  gab  ja  noch  andere  Wege. 
Sie  versprachen  zunächst,  dem  Verlangen  Preußens  nachzu- 
kommen, aber  —  es  muß  doch  wohl  so  bezeichnet  werden  —  mit 
dem  Hintergedanken,  nachher  doch  nach  ihrer  Ansicht  zu  ver- 
fahren, und  die  war  in  der  Hauptsache  auf  die  Verteidigung  der 
österreichischen  Gebietsteile  gerichtet.  Hohenlohe  hätte  am 
liebsten  gegen  das  Elsaß  operiert  in  der  —  wohl  anzunehmenden 
—  Absicht2),  hier  sei  das  Feld  zur  Betätigung  nicht  bloß  für 
den  Militär,  sondern  auch  für  den  Politiker,  hier  lasse  sich  für 
Österreich  eine  schöne  Provinz  erobern.  Doch  diese  Pläne  paßten 
noch  nicht  zu  denen  seiner  Vorgesetzten.  Sie  ließen  erst  die 
Truppen  wirklich  vorrücken  und  behielten  dann  einen  Teil  doch 
wieder  zur  Verteidigung  zurück.  Ich  verkenne  dabei  durchaus 
nicht  die  schwierige  Lage,  aber  ehrlich  war  ihr  Verfahren  nicht, 
und  es  gilt  auch  hier  der  alte  Satz:  Wo  ein  Wille  ist,  da  ist  auch 
ein  Weg.  Österreich  verstand  es  überhaupt  noch,  durch  Zer- 
splitterung der  an  sich  schon  kleinen  Truppenmacht,  die  der  Plan 
des  Herzogs  allerdings  nur  zu  sehr  begünstigte,  jeden  Erfolg  von 
vornherein  in  Frage  zu  stellen.  Es  ist,  als  ob  zwei  Pferde  vor 
einen  Wagen  gespannt  werden,  die  der  Lenker  nicht  zu  einheit- 
licher Gangart  zu  zwingen  vermag.  Das  eine,  jung  und  feurig, 
zieht  kräftig,  vielleicht  etwas  ruckweise  an;  das  andere,  alt  und 
schwerfällig,  ist  nur  langsam  in  Bewegung  zu  bringen,  dann  aber 
auch  ausdauernder.  Bei  dem  Streit  siegt  natürlich,  wenigstens 
am  Anfang  (und  um  ihn  handelt  es  sich  hier  nur)  das  langsame, 
das  eben  nicht  rascher  vorwärts  kann. 

Merkwürdig  muß  es  dabei  jedoch  berühren,  diese  Zauderer 
immer  die  größten  Worte  im  Munde  führen  zu  hören3) ;  von  raschen 


*)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  91. 

2)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  121—122.  Vgl.  Wurmsers  Vor- 
gehen im  Elsaß  1793. 

3)  Vivenot  II  471;  Massenbach  I  268-269;  Rep.  XI  89b 
Braunschweig  an  Schulenburg  26.  März  92;  Häußer  I  362;  Hei  gel 
I  534. 


Deutsche  Rüstungen  269 

Schlägen,  von  Anspannung  aller  Kräfte,  von  Beendigung  des 
Krieges  noch  in  diesem  Feldzuge  reden  sie.  Wir  dürfen  uns  da- 
durch in  der  Anschauung  nicht  irre  machen  lassen,  daß  nur  das 
Allernotwendigste  von  Österreichs  Seite  geschah,  und  wenn 
Preußen  mehr  tat,  so  doch  auch  nur  so  viel,  wie  es  versprochen 
hatte.  Ein  Vorwurf  aber  scheint  mir  bisher  die  Österreicher 
mit  Unrecht  getroffen  zu  haben,  der  wegen  des  späten  Beginns 
der  Kampagne1).  Sybel2)  hat  gemeint,  die  Preußen  hätten  schon 
Ende  Juni  aktionsbereit  sein  können,  und  nur  infolge  der  Er- 
klärungen von  Hohenlohe  habe  alles  um  einen  Monat  verschoben 
werden  müssen.  Darin  scheint  ihm  die  Tatsache  recht  zu  geben, 
daß  die  preußischen  Mobilmachungsbefehle  am  5.  Mai  ergingen 
und  daß  Ende  Mai  der  Marsch  seiner  Truppen  beginnen  sollte3). 
Selbst  für  das  durch  Böhmen  marschierende  Korps  waren  nur 
55  Marschtage  bis  Koblenz  angesetzt4).  Aber  die  preußischen 
Truppen  kamen  doch  erst  großenteils  im  Juli  bei  Koblenz  an, 
der  Herzog  von  Braunschweig  selbst  erst  am  3.  Juli  abends  in 
seinem  Hauptquartier  Horchheim  bei  Koblenz5).  In  der  Öffent- 
lichkeit nahm  man  an,  daß  Mitte  Juli,  aber  auch  nicht  eher,  die 
Truppen  an  Ort  und  Stelle  sein  würden6).  Nun  ist  nichts  davon 
bekannt  geworden,  daß  die  preußischen  Truppen  andere  Befehle 
als  zu  Anfang  bekommen  hätten,  die  schon  vor  der  Konferenz 
mit  Hohenlohe  ergangen  waren.  Wohl  aber  wissen  wir  von  dem 
Drängen  Preußens  auf  die  Festsetzung  eines  Termins,  an  dem 
die  österreichischen  Truppen  an  Ort  und  Stelle  sein  würden; 
es  war  insofern  von  Erfolg  begleitet  gewesen,  als  Österreich  am 
28.  April  endlich  den  Termin  auf  Ende  Juli  festgelegt  hatte7). 
Ferner  liegt  ein  Erlaß  an  Jacobi  vom  9.  Mai  vor,  der  sich  auf 
die  Depesche  von  Kaunitz  an  Reuß  vom  2.  Mai  bezieht8)  und 


*)  Im  Politischen  Journal  (1793  S.  9)  werden  die  Preußen  dafür  ver- 
antwortlich gemacht,  deren  Truppen  so  weit  hätten  marschieren  müssen. 

2)  II  202;  Häußer  1361;  Sorel  II  472;  Heigel  II  8;  Clapham 
201  und  208;  Marwitz  I  60—61. 

3)  Politisches  Journal  1792:  Berlin  27.  Mai. 

4)  Fersen  II  250;  Rep.  I  171,  F.S.A.  an  Reuß  23.  April  mit  Beilage. 

5)  Rep.  XI  89  b.     Braunschweig  an  Friedrich  Wilhelm  5.  Juli. 

6)  Politisches  Journal:  Berlin  15.  Mai.  Die  Preußen  marschierten 
übrigens  in  5  Kolonnen  (Massenbach  I  37;  Ch.J.P.  157;  Häußer 
I  366). 

7)  Vivenot  II  429.     Vgl.  oben. 

8)  Vivenot  II  410  und  417.  In  ihr  wurde  die  Ankunftszeit  der 
österreichischen  Truppen  angegeben.  Hohenlohes  Erklärungen  in  Sans- 
souci hatten  hiermit  also  nichts  zu  tun.    Einen  Monat  zu  gewinnen,  dazu 


270  III.  Abschnitt 

schon  am  7.  so  entworfen  wurde1),  demzufolge  die  preußische 
Vorhut  zwar  etwas  später  als  die  österreichische  am  Treffpunkte 
sein  werde,  nämlich  am  8. — 9.  Juli,  die  Nachhut  dafür  auch  etwas 
eher  (23.  Juli)2).  Von  preußischer  Seite  lag  also  zwar  kein  Grund 
vor,  die  Aktion  zu  verschieben,  aber  auch  keine  Möglichkeit,  sie 
zu  beschleunigen.  Das  trifft  durchaus  mit  dem  zusammen,  was 
oben  festgestellt  wurde,  daß  der  1.  August  den  Beginn  der  Ope- 
rationen bezeichnen  sollte.  Von  einem  früheren  Termin  war  nie 
die  Rede.  Damit  war  in  der  Tat  die  beste  Jahreszeit  für  den  Feld- 
zug verloren3).  Aber  was  konnten  die  Preußen  dafür  und  was 
machte  das  ihnen  aus!  Sie  hatten  ja  gedrängt  und  brauchten  sich 
keine  Vorwürfe  zu  machen.  Vor  allem  glaubten  sie  auch  jetzt 
noch,  die  Unternehmung  zu  einem  glücklichen  Ende  vor  Beginn 
des  Winters  führen  zu  können. 

Da  Bischoffwerder  in  Wien  nichts  ausgerichtet  hatte  und  die 
Entscheidung  erst  einen  Monat  nach  seiner  Rückkehr  erfolgt  war, 
so  wurde  die  schon  vorher  geplante  Zusammenkunft  zwischen 
dem  Herzog  und  dem  österreichischen  Oberbefehlshaber  Hohen- 
lohe-Kirchberg,  den  noch  Leopold  für  diesen  Posten  in  Aussicht 
genommen  hatte4),  noch  nötiger.  Auch  wollte  sich  der  Herzog 
von  Braunschweig  von  dem  Könige  noch  vor  der  Kampagne  Auf- 
klärung über  einige  Punkte  erbitten5).     Da  Friedrich  Wilhelm 

wäre  es  damals  auch  schon  zu  spät  gewesen.  Gerade  dort  wurde  von  preußi- 
scher Seite  der  Wunsch  Österreichs,  einige  preußische  Regimenter  beschleunigt 
marschieren  zu  lassen,  abgelehnt  mit  der  —  allerdings  nicht  völlig  umfassen- 
den —  Begründung,  der  Zeitgewinn  sei  zu  klein  (an  Jacobi  19.  Mai). 

1)  Rep.  I  169  und  Rep    I  171. 

2)  Der  Magister  Laukhard  traf  tatsächlich  mit  seinem  aus  Halle 
kommenden  Regimente  am  9.  Juli  in  Koblenz  ein  (Leben  und  Schicksale 
III  18) ,  am  14.  Juni  waren  sie  von  Halle  abmarschiert.  Nach  Ch. J.P. 
157  seien  die  Preußen  am  19.  Juli  alle  bei  Koblenz  gewesen.  Sicher  ist, 
daß  sie  vor  dem  24.  Juli  nicht  aktionsbereit  waren  (Rep.  XI  89  b 
Braunschweig  an  Schulenburg  24.  Juni  mit  Beilage). 

3)  Absichtlich  ist  von  Preußen  der  Krieg  nicht  bis  dahin  aufge- 
schoben worden  (Schlieffen  II  382). 

4)  Vivenot  I  240;  Rep.  I  172  Berichte  Bischoffwerders  17.  und 
21.  März.  Vgl.  auch  im  ganzen  Sybel  II  200—203;  Ranke  175—176; 
Minutoli,  Erinnerungen  22  ff. ;  Vivenot  II  430;  Fersen  II  271— 273; 
H äußer  I  361 — 362;  Mitteilungen  des  k.  k.  Kriegsarchivs.  Neue  Folge 
VII  25;  Sorel  II  471-472;  Ch.J.P.  143  f. ;  Politisches  Journal  1792: 
Berlin  13.  und  14.  Mai.  Natürlich  gab  es  auch  an  dem  Feldzugsplan 
noch  manches  zu  ändern. 

5)  Rep.  XI  89  b.  Braunschweig  an  Schulenburg  17.  März.  Friedrich 
Wilhelm  an  Schulenburg  21.  März.  S.  Au  Roi  20.  März.  Schulenburg  an 
Braunschweig  25.  März. 


Deutsche  Rüstungen  271 

an  der  Konferenz  teilnehmen  wollte,  wurde  sie  nicht  in  Leipzig, 
wie  zuerst  vorgeschlagen1),  sondern  in  Sanssouci  abgehalten  und, 
wohl  infolge  des  österreichischen  Zögerns  mit  einer  bestimmten 
Erklärung,  auch  nicht  in  der  zweiten  Hälfte  des  April,  sondern 
etwa  Mitte  Mai.  Am  3.  April  hatte  Franz  den  König  nämlich  er- 
sucht, Hohenlohe  zu  der  gewünschten  Zeit  zu  berufen,  aber  dieser 
setzte  erst  am  17.  die  Besprechung  fest  und  erst  auf  den  12.  Mai. 
Er  ließ  sich  also  Zeit,  da  er  die  Hauptsache,  den  Feldzugsplan, 
bereits  geregelt  glaubte.  Auch  die  Küstungen  wurden  davon  in 
keiner  Weise  berührt2). 

Denn  war  man  auch  im  ganzen  über  den  Feldzugsplan  einig, 
da  die  Österreicher  den  preußischen  Vorschlag  angenommen 
hatten,  so  doch  noch  nicht  —  für  die  damaligen  Militärs  eine 
Kapitalfrage  —  über  die  Auslieferung  von  Deserteuren3),  die 
Anlegung  von  Magazinen,  über  die  Ankäufe  von  Proviant  und 
endlich  über  die  Verwendung  der  Emigranten4).  Das  sollte  jetzt 
geregelt  werden.  Am  12.  Mai  vormittags  begannen  in  Sanssouci 
die  Konferenzen.  Der  Herzog,  Hohenlohe,  der  König,  Schulen- 
burg, Bischoffwerder  und  Manstein  nahmen  daran  teil.  Sie 
schlössen  mit  einem  vollen  Siege  der  preußischen  Ansicht.  Hohen- 
lohe stimmte  der  Ansicht  zu,  daß  die  nachkommenden  32  052  Öster- 
reicher nicht  nach  dem  Breisgau  und  nach  Basel  gelenkt  werden 
sollten,  sondern  auf  Mannheim,  um  mit  der  preußischen  Armee 
gemeinsam  operieren  zu  können.  Er  gab  sich  damit  zufrieden  — 
zum  großen  Leidwesen  von  Kaunitz  und  Spielmann  —  daß  kein 
preußisches  Korps  nach  den  Niederlanden  ging,  wie  es  der  Herzog 
anfangs  sogar  selbst  vorgeschlagen,  weil  er  den  König  mißver- 
standen und  nichts  dagegen  zu  sagen  gewagt  hatte5).  Die  Emi- 
granten wollten  Österreich  und  Preußen  nicht  in  gleichem  Maße 
verwenden.  Österreich  hätte  sie  am  liebsten  ganz  ausgeschlossen; 
wenn  das  aber  nicht  ging,  könnten  sie  dem  Hauptheere  als 
Etappentruppen  folgen.    Preußen  wollte  ihnen  jedoch  sein  Wort 

J)  Schlosser  V  350;  Bericht  Bischoffwerders  21.  März. 

2)  Vi  veno  t  I  321—323,  II  410  und  417;  Rep.  XI  89  b  Braun- 
schweig an  Friedrich  Wilhelm  20.  April. 

3)  Konvention  zwischen  Österreich  und  Preußen  vom  17.  Mai  (Pots- 
dam und  Magdeburg)  in  Rep.  63,  86  A  1). 

4)  Rep.  I  171.     Schulenburg  an  Reuß  13.  Mai. 

5)  Rep.  XI  89  b.  Friedrich  Wilhelm  an  Braunschweig  19.  April. 
Braunschweig  an  Friedrich  Wilhelm  20.  April.  Braunschweig  an  Schulen- 
burg 20.  April  mit  Memoire.  Schulenburg  an  Braunschweig  23.  April. 
In  Berlin  war  er  sofort  mit  diesem  Plan  abgewiesen  worden. 


272  III.  Abschnitt 

nicht  brechen  und  versprach  sich  außerdem  von  ihrer  Aktion 
Vorteile,  nämlich  die  Erklärung  der  monarchischen  Partei  für 
Ludwig  XVI.1).  Sie  hätten  also  an  die  Spitze  der  Hauptarmee 
gehört.  Damit  wäre  die  volle  Gegenrevolution  in  Frankreich  er- 
klärt worden.  Gegen  sie  waren  dort  alle  Parteien  einig.  Das 
mußte  also  verhindert  werden,  um  die  so  wichtige  Spaltung  der 
Parteien  aufrecht  zu  erhalten.  Man  hätte  allenfalls  die  Emi- 
granten in  den  Nachtrab  einreihen,  noch  besser  sie  nur  zur  Be- 
setzung der  rückwärtigen  festen  Plätze  verwenden  können. 
Aber  „garde-magasins "  zu  werden,  lehnten  die  Prinzen  sofort  ab, 
und  darin  unterstützte  auch  Preußen  sie. 

Nun  war  der  Herzog  ihnen  durchaus  nicht  gewogen  und  hätte 
sie  am  liebsten  wie  Österreich  ganz  weggelassen2).  Aber  da  dem 
auch  politische  Gründe  widersprachen,  so  wollte  er  sie  von  den 
preußischen  Truppen  womöglich  ganz  getrennt  verwenden,  um 
deren  Disziplin  durch  ihr  schlechtes  Beispiel  nicht  gefährden  zu 
lassen.  Man  vermutete  auch  Spione  in  ihren  Reihen  und  ver- 
sprach sich  von  ihrer  militärischen  Leistungsfähigkeit  nicht  viel3). 
Schulenburg  und  wohl  auch  der  König  gaben  ihm  darin  ganz 
recht.  So  konnte  er  seinen  Plan  durchsetzen,  der  von  dem 
Plane  Bouilles  stark  abwich,  dem  der  Herzog  sonst  angeblich  in 
der  Wahl  der  Angriffsrichtung  gefolgt  ist4).    Die  Prinzen  sollten 


»)  Rep.  96,  170  L  Berichte  Steins  14.  und  29.  Mai. 

2)  Massenbach  I  33  und  268;  Ch.J.P.  277;  Rep.  XI  89b  Braun- 
schweig an  Schulenburg  20.  April.  Schulenburg  an  Braunschweig  23.  April. 
Zeißberg,  Karl-Hohenlohe  23—24. 

3)  Laukhard,  Leben  und  Schicksale  III  63—65;  Minutoli,  Er- 
innerungen 14—15;  Ch.J.P.  268  und  277;  Vivenot  II  444—445  und 
447;  Fersen  II  337. 

4)  Häußer  1361  und  366;  Heigel  II  23;  Ch.J.P.  143-144;  Sorel 
II  471—472;  Bouille,  Memoires  346—349  und  436—437;  Essai  sur 
Bouille  400;  Rep.  96,  170  L  Bericht  Steins  8.  Mai.  Friedrich  Wilhelms 
Bemerkungen.  Erlaß  vom  16.  Mai.  Man  hat  ihm  wohl  nach  seinen  Me- 
moiren eine  zu  große  Bedeutung  beigelegt.  Die  Richtung  ist  schon  im 
Februar  festgelegt  worden.  Als  er  nach  Magdeburg  berufen  wurde,  stand 
der  Plan  schon  fest,  und  im  Jahre  vorher  in  Pillnitz  war  infolge  der 
ablehnenden  Haltung  von  Leopold  nichts  festgestellt  worden.  Im  Fe- 
bruar finde  ich  keinen  Hinweis  darauf,  daß  Bouille  irgend  welchen  Ein- 
fluß ausgeübt  hätte.  In  Magdeburg  handelte  es  sich  bloß  noch  um  Modi- 
fikationen ,  besonders  um  die  Verwendung  der  Emigranten ,  um  die  er 
sich  vor  allem  bemühte.  Wir  werden  seine  Behauptung,  daß  er  die 
Wahl  der  Angriffsrichtung  bestimmt  habe,  mindestens  dahin  einzu- 
schränken haben  ,  daß  es  sich  nur  noch  um  die  Festlegung  des  Weges 
von  Koblenz  bis  zur  Maas  handelte. 


Deutsche  Rüstungen  273 

also  einen  Vorstoß  von  Basel  gegen  Besancon  oder  das  Oberelsaß 
machen.  Diese  Bestimmung  sollte  ihnen  jedoch  noch  geheim- 
gehalten werden,  da  man  ihre  Geschwätzigkeit  und  ihre  Unzu- 
friedenheit fürchtete,  und  ihre  bewaffnete  Versammlung  erst 
dann  dulden  wollte,  wenn  die  Mächte  zur  Aktion  bereit  seien, 
damit  jene  nicht  allein  vorgehen  könnten1). 

Aber  dabei  blieb  es  nicht,  schon  weil  die  schweizerische  Neu- 
tralität das  unmöglich  machte.  Indem  ich  mir  genauere  Aus- 
führungen über  das  Verhältnis  der  Emigranten  zu  den  krieg- 
führenden Mächten  vorbehalte,  will  ich  hier  nur  das  Ergebnis 
hervorheben.  Durch  österreichisch-preußischen  Beschluß  vom 
20.  Juli  in  Weisenau  bei  Mainz  wurden  die  Emigranten  in  drei 
Teile  geteilt.  Der  erste,  der  bis  zu  4000  Mann  stark  sein  durfte, 
sollte  unter  dem  Herzog  von  Bourbon,  wie  nachher  bestimmt 
wurde,  sich  dem  österreichischen  Korps  anschließen,  das  unter 
Clerfayt  zu  der  Armee  des  Herzogs  von  Braunschweig  marschieren 
sollte.  Der  zweite,  unter  den  Brüdern  des  Königs,  bis  zu  8000  Mann 
stark,  sollte  dem  Hauptheer  angegliedert  werden.  Der  dritte 
unter  Conde  und  Bouille  endlich,  bis  zu  5000  Mann  stark,  sollte 
am  Oberrhein  Verwendung  finden  bei  dem  Korps  des  öster- 
reichischen Generals  Wallis.  Österreich  hoffte,  damit  einem  allzu 
imposanten  Auftreten  der  Emigranten  und  der  Furcht  vor  einer 
Gegenrevolution  in  Frankreich  vorgebeugt  zu  haben.  Soweit 
war  es  mit  Preußen  ganz  einig.  Dies  wollte  zwar  in  gewissem 
Sinne  Frankreich  erobern,  aber  möglichst  ohne  ihre  Mitwirkung. 
Aber  Österreich  —  denn  auf  seinen  Antrieb  geht  die  numerische 
Beschränkung  wohl  zurück  —  hatte  sich  dabei  zu  Festsetzungen 
verleiten  lassen,  die  die  gegebenen  Größen  nicht  richtig  bewertete. 
Konnte  man  die  Emigranten  auf  ein  so  bestimmtes  Maß  redu- 
zieren? Sollte  man  sie  nötigenfalls  zum  Zurückbleiben  zwingen? 
Sollten  dazu  Truppen  verwandt  werden?  Hier  also  war  den 
Schwierigkeiten  kein  Ende  bereitet. 

Eine  andere  Frage  aber  wurde,  auf  dem  Papier  wenigstens, 
völlig  entschieden :  der  Marsch  auf  Paris.  Noch  im  Februar  hatte 
der  Herzog  den  Plan  nur  bis  zur  Erreichung  der  Maaslinie  fest- 
gestellt, und  auch  jetzt  wurde  ein  Plan  nicht  für  den  weiteren 
Marsch  gemacht.     Nach  den  Pariser  Ereignissen  vom  März  und 


!)  Fersen  II  271—272.     Caraman  wußte  gleich  nachher  davon  — 

wieder    ein    Beweis ,     daß     man     ihm    viel    Vertrauen    entgegenbrachte. 

Schütter  60—61;   Vivenot  II  442;   Rep.  I  171,     Kaunitz   an  Reuß 

24.  Mai.     Schulenburg  an  Reuß  1.  Juni.    Reuß  an  Schulenburg  1.  Juni. 

Heidi- ich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution        18 


274  III.  Abschnitt 

April  glaubte  der  König  aber  mehr  als  je  auf  seiner  Ansicht  be- 
stehen zu  sollen,  bis  nach  Paris  vorzugehen.  Dem  Herzog  ging 
das  zwar  sehr  gegen  den  Strich,  aber  er  wurde  gar  nicht  über 
die  Möglichkeit  gefragt,  sondern  nur  als  ausführendes  Organ 
betrachtet1).  Wieder  wagte  er  nicht  zu  widersprechen  und  ge- 
langte bei  der  Berechnung  der  zur  Verfügung  stehenden  Truppen 
zu  dem  Ergebnis,  der  Marsch  sei  gerade  noch  möglich.  So 
rechtfertigte  er  vor  sich  selbst  diesen  an  sich  verwerflichen  Plan. 
Doch  machte  er  die  Eroberung  der  Maasfestungen  noch  zu  einer 
Bedingung  für  das  weitere  Vorgehen. 

In  Weisenau  bei  Mainz  wurde  am  20.  Juli  die  letzte  Hand 
auch  an  diesen  Plan  gelegt.  Wir  besitzen  zwar  kein  Exemplar 
des  endgültigen  Entwurfes ;  doch  erlaubt  das  vorliegende  Material 
in  der  Tat  eine  Zusammenstellung,  wie  man  sie  neuerdings  ge- 
geben hat2).  Ich  kann  mich  auf  die  Hauptpunkte  beschränken. 
Bei  allen  Variationen  des  Planes  ist  an  dem  Marsch  des  Haupt- 
heeres unter  dem  Herzog  gegen  die  Maas,  dann  Paris,  nicht  ge- 
rüttelt worden.     Die  Zusammensetzung  aus    Österreichern  und 


!)  Er  hatte  sich  mit  dieser  Stellung  jetzt  ziemlich  abgefunden  und 
beglückwünschte  sich  sogar  dazu,  daß  der  König  ihm  die  Verantwortung 
abgenommen  habe  (vgl.  Alvensleben  !):  ...  je  suis  hors  de  toute  inqui- 
etude,  il  ne  me  reste  plus  rien  ä  faire  que  d'attendre  tranquillement  les 
ordres  que  l'on  me  donne  et  c'est  ä  moi  de  me  feliciter  d'etre  temoin 
des  succes  que  l'armee  aura  vraisemblablement  (Braunschweig  an 
Schulenburg  26.  April;  Rep.  XI  89b).  Mit  dieser  Auffassung  stieß  er  in 
Berlin  auf  den  lebhaftesten  Widerspruch.  Schulenburg  zog  als  Beispiel 
die  Teilnahme  Friedrich  Wilhelms  I.  am  polnischen  Erbfolgekriege  unter 
dem  Prinzen  Eugen  heran  (Schulenburg  an  Braunschweig  1.  Mai).  Aber 
der  Herzog  ließ  sich  nicht  irre  machen.  Die  Verantwortung  war  zu 
schwer  für  seine  Schultern.  Er  wollte  sie  sich  auch  öffentlich  abge- 
nommen wissen  (an  Schulenburg  4.  Mai).  .  .  .  Quant  ä  tout  ce  qui  m'est 
personnel,  je  suis  d'une  resignation  parfaite,  je  n'ai  rien  recherche  et 
je  suis  habitue  depuis  tres  longtemps  a  voir  les  evenements  de  ce  monde 
sous  le  point  de  vue  de  leur  fragilite,  arrive  ce  qui  voudra,  je  ferai  tout 
ce  que  mes  facultes  permettent;  mais  pour  repondre  d'une  entreprise  de 
genre  de  celle  que  l'on  medite  d'entreprendre ,  il  est  de  toute  necessite 
d'etre  sür  de  sa  propre  position,  le  public  n'admet  point  d'excuses,  et 
dans  les  temps  d'avenir  (?)  le  reproche  d'une  Operation  manquee  tombera 
toujours  sur  celui  qui  par  des  raisons  individuelles  n'a  point  su  prendre 
toutes  les  mesures  pour  s'assurer  du  succes.  Accoutume  d'obeir  je  defie 
que  quelqu'un  execute  avec  plus  de  zele  que  moi,  je  prefererai  meme 
cette  position  a  toute  autre,  mais  des  lors  le  public  doit  savoir  que  je  ne 
suis  charge  d'aucune  espece  de  responsabilite ,  et  la  cour  de  Vienne  de- 
vrait  surtout  le  savoir. 

*)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  99—107. 


Deutsche  Rüstungen  275 

Preußen  blieb  gewahrt,  wenn  die  Österreicher  auch  schwächer, 
als  von  Preußen  beabsichtigt,  zur  Stelle  waren1).  Ihr  Stoß  blieb 
auch  jetzt  das  Rückgrat  der  Unternehmung  und  wurde  viel- 
leicht nur  noch  etwas  schärfer  hervorgehoben  als  bisher2).  Auf 
die  Einnahme  aller  Maasfestungen  verzichtete  der  Herzog  jetzt 
schon  und  verlangte  nur  noch  die  Einnahme  von  Verdun.  Den 
Preußen  sollte  sich  ein  österreichisches  Korps  von  14  000  Mann 
unter  Clerfayt  anschließen,  der  am  31.  Mai  das  Kommando  von 
dem  alten  Eeldmarschall  Bender  übernommen  hatte3);  doch 
sollten  erst  in  Luxemburg,  wo  die  Vereinigung  beider  Korps  ge- 
plant war4),  weitere  Maßregeln  vereinbart  werden5).  Das  andere 
österreichische  Korps  wurde  in  viel  loserer  Abhängigkeit  von 
dem  Herzog  gelassen.  Seine  von  Hohenlohe  selbst  vorgeschlagene 
Operation  gegen  Kellermann6)  wurde  gebilligt,  der  Marsch  fest- 
gelegt, bei  Änderungen  war  eine  Vereinbarung  nötig.  Man  sieht, 
wie  wenig  hier  von  einem  einheitlichen  Oberkommando  trotz  des 
Namens  die  Rede  war.  Am  Oberrhein  endlich  sollte  wegen  der 
Schweiz  vorläufig  Defensive  beobachtet  werden.  Von  einem  Ein- 
fall in  das  Oberelsaß  konnte  noch  keine  Rede  sein.  Dafür  hielt 
der  Herzog  zäh  an  der  Diversion  aus  den  Niederlanden  gegen  den 
französischen  Festungsgürtel  fest,  überließ  aber  zum  Schaden 
seines  Planes  die  Wahl  des  anzugreifenden  Platzes  den  Öster- 
reichern. Der  Herzog  Albert  von  Sachsen-Teschen,  der  mit  seiner 
Frau  Marie  Christine,  einer  Schwester  Leopolds,  das  Statthalter- 
amt verwaltete,  hätte  am  liebsten  die  ganze  Unternehmung 
unterlassen,  da  er  seine  Truppen  dazu  für  zu  schwach  hielt.  Aber 
er  mußte  einmal  in  den  Apfel  beißen7).  Immer  wieder  drängte 
man  ihn  vom  preußischen  Hauptquartier  aus;  auch  Breteuil  ließ 
nicht  locker.  Alberts  Wahl  fiel  auf  Lille,  gerade  die  stärkste 
französische  Festung  an  der  Nordfront.  Erst  spät  aber  ging  er  an 
die  Ausführung.  Vom  24.  September  bis  zum  6.  Oktober  dauerte 
die  Belagerung  oder  besser,  der  Angriff  auf  Lille.  Denn  nie  war 
bei  dem  Mangel  an  Soldaten  —  es  waren  für  das  Unternehmen 


*)  Lettres  sur  Dumouriez  58—59;   Heigel  II  20;   Mitteilungen  des 
k.  k.  Kriegsarchivs.    N.  F.  VII  35. 

2)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  106—107. 

3)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  44. 

4)  Ch.J.P.  143. 

5)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  74. 

6)  ib.  II  105-106. 

7)  Sybel   II  288;   Zeißberg,   2  Jahre,    155  ff. ,    173,    177—178; 
Fersen  II  33-34,  38-39,  41,  354,  379;  Sorel  III  43. 


276  HI.  Abschnitt 

selbst  noch  nicht  ganz  13  000  Mann  verfügbar  —  Lille  ganz  von 
der  Außenwelt  abgeschnitten  und  zog  daraus  den  größten  Nutzen. 
Mutig  ertrugen  die  Bewohner  das  Bombardement.  Sie  verließen 
sich  auf  das  Versprechen  ihrer  Regierung,  den  Schaden  zu  er- 
setzen. So  mußte  denn  der  Herzog  bei  den  Nachrichten  vom 
preußischen  Rückzuge  und  dem  drohenden  Angriffe  Dumouriez' 
den  Versuch  aufgeben1).  Jetzt  war  die  Verteidigung  des  eigenen 
Landes  das  Nötigste.  Schleunigst  zog  er  Clerfayts  Korps  wieder 
an  sich,  und  doch  war  die  Stimmung  in  Belgien  eine  verzweifelte. 
Man  fühlte  sich  in  Belgien  verloren,  noch  ehe  auch  nur  die  fran- 
zösische Armee  an  der  Grenze  war2). 

IL 

Wieviel  Truppen  standen  nun  eigentlich  dem  Herzog  von 
Braunschweig  für  die  Ausführung  seines  Planes  zur  Verfügung? 
Französische  Schriftsteller  lieben  es  zwar,  ohne  Rücksicht  auf 
die  defensive  oder  die  offensive  Bestimmung  174  000  Mann  heraus- 
zurechnen3). Auf  diese  Weise  könnte  man  wohl  noch  mehr 
herausbekommen.  Aber  mit  derartigen  Rechenkünsten  wollen 
wir  uns  nicht  weiter  aufhalten.  Nominell  waren  für  den  Angriff 
je  50  000  Österreicher  und  Preußen  bestimmt.  Sehen  wir  zu- 
nächst zu,  wie  es  bei  den  Preußen  stand.  Da  finden  wir  drei  ver- 
schiedene Zahlen :  50000  als  offizielle  für  Diplomaten  und  Militärs4), 
45  315  bei  genaueren  Angaben  des  Standes5)  und  42  000  bei  der 
Berechnung  der  Stärke  beim  Abmarsch  von  Koblenz.  Die  letzte 
Zahl  ist  wohl  in  ihrer  Niedrigkeit  dadurch  zu  erklären,  daß  gleich 
einige  Truppen  als  Deckung  für  Magazine  abgingen.  Der  Unter- 
schied zwischen  den  ersten  beiden  Zahlen  erklärt  sich  daraus, 
daß  die  Angabe  der  45  000  Mann  als  Gefechtsstand  gedacht  war6). 
Ich  glaube  also  nicht,  daß  Preußen  weniger  leistete,  als  es  ver- 
sprochen hatte.  Eine  Klage  von  Seiten  der  Österreicher  ist  auch 
nicht  laut  geworden. 

Schwieriger  liegt  die  Frage  bei  den  Österreichern.  Wir  wollen 
zunächst  die  Stärke  ihrer  einzelnen  Truppenkorps  feststellen.    In 

»)  Ch.R.  242—250;  Krieg  gegen  die  Revolution  II  76—86. 

2)  Zeißberg,  2  Jahre,  173-174  und  178—180. 

3)  Sorel  II  472. 

4)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  8. 

5)  ib.  II  93,  105  und  369—370;  vgl.  Massenbach  I  31. 

6)  SybelII202  und  286;  Ch.J.P.  143  und  145.  Sybels  Ausdruck 
(S.  286)  ist  nur  durch  das  Bestreben  zu  erklären,  die  Österreicher  herab- 
zusetzen. 


Deutsche  Rüstungen  277 

den  Niederlanden,  wo  1791  keine  Änderungen  in  dem  Truppen- 
stand eingetreten  waren,  standen  Anfang  Januar  1792  51 194  Mann, 
von  denen  43  300  als  dienstbereit  galten1).  Aber  davon  gingen 
nun  als  Garnisonen  8000  Mann  ab,  so  daß  für  den  Dienst  im  Felde 
noch  etwa  35  000  Mann  blieben2).  Um  ihre  Ausrüstung  war  es 
sehr  mangelhaft  bestellt.  Anfang  April  brach  aus  Böhmen  ein 
Ergänzungstransport  auf,  es  folgten  ihm  noch  mehrere.  Aber 
infolge  der  starken  Desertion,  die  sogar  zur  Herabsetzung  der 
Zahl  der  Kompanien  zwang,  konnten  die  Truppen  damit  doch 
nicht  auf  den  vollen  Stand  gebracht  werden3).  Die  Gefahr  der 
Lage  zwang  die  Österreicher  nun  dazu,  6000  Mann  zur  Vertei- 
digung der  Niederlande  aus  dem  Breisgau  nach  Luxemburg  zu 
ziehen,  um  —  entsprechend  ihrem  Kordonsystem  —  den  not- 
wendigsten Anforderungen  gerecht  zu  werden.  Es  war  auch  nicht 
die  Absicht  Österreichs,  hier  starke  direkte  Verstärkungen 
hinzuwerfen.  Die  Niederlande  sollten  vielmehr  durch  den  Stoß 
des  Herzogs  von  Braunschweig  von  dem  Druck  der  feindlichen 
Armeen  befreit  werden,  wie  es  auch  geschah,  und  noch  14  000  Mann 
unter  Clerfayt  abgeben4),  so  daß  noch  etwa  25  000  Mann  zur 
Verteidigung  und  zum  Angriff  auf  Lille  blieben5),  dazu  noch 
8000  Mann  Besatzungen.  Das  ergab  also  einen  beträchtlichen 
Ausfall  gegenüber  dem  Anschlag  des  Herzogs  von  Braunschweig, 
der  nach  dem  ihm  von  Hohenlohe  und  Kaunitz  gelieferten  Material 
trotz  der  Bemerkungen  des  letzteren  angenommen  hatte,  die 
56  000  Mann  in  den  Niederlanden  seien  alle  aktionsbereit6).  Er 
beging  dabei  den  Fehler,  die  Niederlande  als  ein  so  sicheres  und 
ruhiges  Land  zu  betrachten,  wie  etwa  die  Mark  Brandenburg. 
Er  wußte,  daß  im  April  erst  27  000  Mann  verfügbar  waren7). 


')  Zeißberg,  2  Jahre,  70—71 ;  Krieg  gegen  die  Revolution  II  300—301. 

2)  ib.  II  13. 

3)  ib.  II  10. 

4)  Ursprünglich  sollten  es  27  000,  ja  30000  Mann  sein  (Zeißberg, 
2  Jahre,  77—78,  127  ff.,  148—149).  Auf  die  verschiedenen  Modifikationen 
des  Feldzugsplanes,  die  den  Angaben  zu  Grunde  liegen  und  die  Mißver- 
ständnisse zwischen  den  Parteien  hervorriefen,  kann  ich  nicht  noch  ein- 
mal eingehen.     Vgl.  auch  Zeißberg,  Karl-Hohenlohe  11. 

5)  Sybel  11287-288;  Krieg  gegen  die  Revolution  II  104  und  106. 

6)  Vivenot  II  432. 

')  Dabei  rechnete  Kaunitz  noch  mit  der  Unterstützung  durch 
21000  Preußen  für  Lüttich  und  Luxemburg  (Vivenot  I  318  und  320, 
II  432).  Nach  den  Anschauungen  des  Statthalterpaares  hätten  jene 
27000  Mann  zur  Verteidigung  der  Niederlande  selbst  verwendet  werden 
sollen  (Zeißberg,  2  Jahre,  127  ff.). 


278  m.  Abschnitt 

Hat  er  wirklich  geglaubt,  daß  die  Österreicher  29  000  Mann  dort- 
hin schicken  würden1)?  Er  rechnete  für  Garnisonen  gar  nichts 
ab,  16  000  Mann  hätten  zur  Verteidigung  ausreichen  sollen  und 
40  000  die  Maasfestungen  angreifen.  Das  hätte  allerdings  ein 
anderes  Bild  gegeben)2.  Aber  unverständlich  bleibt  mir  auch,  wie 
Hohenlohe  den  Herzog  nicht  sofort  auf  seinen  Irrtum  aufmerksam 
machen  konnte.  Er  mußte  doch  Bescheid  wissen,  zumal  es  der 
Herzog  von  Sachsen-Teschen  an  Protesten  gegen  die  ihm  zu- 
gedachte Aufgabe  nicht  fehlen  ließ3). 

Am  Oberrhein  hatten  die  Österreicher  ursprünglich  nur  etwa 
6000  Mann.  Durch  den  ersten  Verstärkungstransport,  der  An- 
fang März  abmarschierte,  am  30.  März  die  bayrische  Grenze 
überschritt  und  Anfang  Mai  im  Breisgau  eintraf4) ,  wurde 
die  Stärke  auf  11654  gebracht5).  Hohenlohes  Armee  sollte  am 
Rhein  50  000  Mann  betragen.  Aber  die  Österreicher  rechneten 
dazu  gleich  die  schon  vorhandenen  11  654,  so  daß  sie  nur  15  000 
+  23  000  nachsenden  wollten6).  Zur  Offensive  sollten  nach  den 
Abmachungen  von  Sanssouci  und  Weisenau  nur  23  000  ver- 
wandt werden7).     Dem  entsprach  aber  ihre  Stärke  beim  Aus- 

')  Rep.  XI  89  b.  Braunschweig  an  Friedrich  Wilhelm,  Braunschweig 
an  Schulenburg  20.  April  mit  Memoire.  Im  Laufe  des  Mai  gab  Öster- 
reich die  Zahl  der  offensiv  zu  verwendenden  Truppen  auf  etwa  30000 
von  56000  an  (Bericht  Jacobis  16.  Mai). 

2)  Sybel  II  201 — 202.  Wie  gespannt  aber  die  Lage  dort  wirklich 
war,  erkennt  man  daraus,  daß  Preußen  Ende  Juli  zur  Vermittlung 
zwischen  den  Ständen  (die  von  Brabant  sind  die  hartnäckigen)  und  der 
österreichischen  Regierung,  die  gerade  jetzt  scharfes  Auftreten  aus  be- 
greiflichen Gründen  noch  vermeiden  wollte  (Zeißberg,  2  Jahre,  79  ff. 
und  171  ff.),  auf  deren  Betreiben  (denn  der  niederländische  Minister 
Metternich  war  damals  in  Frankfurt  und  in  Koblenz,  ib.  122  f.),  den 
Kammerherrn  Baron  Reck  nach  Brüssel  schickte.  Er  konnte  auch  nicht 
viel  ausrichten.  Die  Franzosen  kamen  zu  schnell  ins  Land  (ib.  73 — 74, 
102,  159,  170—171.  Rep.  XI  89  g1.  Schulenburg  an  Finckenstein  und 
Alvensleben  27.  Juli.  P.S.  vom  28.  Juli.  Finckenstein  und  Alvensleben 
an  Schulenburg  2.  August  und  Rep.  XI  89  h,  Briefwechsel  zwischen 
Schulenburg  und  Reck). 

3)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  104—106;  Zeißberg,  Karl- 
Hohenlohe  10;  Derselbe,  Erzherzog  Karl  I  1,  190  ff. 

4)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  8  und  91. 

5)  Von  den  Emigranten  sehe  ich  hier  bis  zum  Ausbruch  de3  Krieges 
ganz  ab. 

6)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  91;  Vivenot  II  411,  417—418; 
Sybel  II  202;  Ranke  165. 

7)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  100 — 103.  Schon  im  Juni  aber  be- 
schwerte sich  der  Herzog  von  Braunschweig  darüber,  daß  die  Österreicher 


Deutsche  Rüstungen  279 

rücken  von  der  Operationsbasis  nicht.  Statt  23  000  konnten 
nur  15  000  Mann  verfügbar  gemacht  werden1).  Der  Rest  von 
etwa  18  000  Mann,  ursprünglich  sollten  es  27  000  Mann  sein2), 
mußte  zur  Deckung  im  Breisgau  und  bei  Speyer  stehen  bleiben. 
Hier  stellt  sich  also  ein  Ausfall  von  8000  Mann  in  der  Offen- 
sivarmee heraus,  der  auch  dadurch  nicht  erklärt  wird,  daß  das 
Erbachsche  Korps  von  7600  Mann3)  zur  Defensive  bei  Speyer 
gelassen  wurde,  wo  sich  wichtige  österreichische  Magazine  zum 
Ärger  der  „neutralen"  Reichsstadt  befanden4).  Für  die  Verteidi- 
gung des  Breisgaus  hatte  man  trotzdem  erst  11000  Mann  unter 
Esterhazy,  dem  Nachfolger  von  Wallis,  aufstellen  können5). 

Österreich  hatte  also  im  ganzen  18  000  Mann  am  Oberrhein, 
statt  27  000,  unter  Erbach  und  Esterhazy,  15  000  statt  23  000 
Mann  unter  Hohenlohe,  14  000  Mann  unter  Clerfayt,  25  000  Mann 
unter  Albert,  statt  56  000  unter  Einrechnung  von  Clerfayts 
Korps.  Davon  waren  zur  Offensive  bestimmt  29  000  Mann  unter 
Hohenlohe  und  Clerfayt  und  13  000  Mann  unter  Albert.  Öster- 
reich kam  also  seiner  Verpflichtung,  50  000  Mann  zur  Haupt- 
armee am  Oberrhein  zu  stellen,  nicht  nach,  rechtfertigte  damit 


6000  Mann  aus  dem  Breisgau  nach  Luxemburg  schickten,  so  daß  nur 
22000  von  den  50000  zur  Offensive  übrig  blieben.  22000  rechnete  er 
für  die  Defensive  (Rep.  XI  89  b.  Braunschweig  an  Schulenburg  15.  Juni, 
20.  Juni,  6.  Juli).  Österreich  wollte  bei  der  beharrlichen  preußischen 
Ablehnung,  seine  Truppen  aus  Westfalen  dorthin  zu  schicken,  wenig- 
stens der  dringendsten  Not  wehren  (Vivenot  II  435—436;  Rep.  96, 
147  G  II,  F.S.A.  Au  Roi  24.  Mai;  Rep.  I  171  Reuß  an  Schulenburg 
24.  Mai).  Schulenburg  beruhigte  ihn  mit  dem  zweifelhaften  Trost,  den 
der  König  ihm  an  die  Hand  gab ,  Österreich  wolle  rasche  Beendigung 
des  Krieges,  und  der  Herzog  könne  ja,  einmal  an  Ort  und  Stelle,  nach 
der  Ansicht  des  Königs  den  Abmarsch  von  den  Österreichern  befehlen, 
die  zur  Verteidigung  nicht  nötig  seien  (Schulenburg  an  Braunschweig 
18.  und  22.  Juni)  —  vorausgesetzt,  daß  so  viel  Österreicher  da  waren 
und  daß  sie  gehorchten ,  müssen  wir  dazusetzen !  Die  Furcht  des  Her- 
zogs stieg  noch,  als  er  hörte,  daß  Lacy  mit  nach  Mainz  kommen  werde. 
Seine  Abneigung  gegen  den  Krieg  sei  bekannt,  eine  Verzögerung  des 
Marsches  sei  also  sicher  zu  erwarten;  man  müsse  alle  Mittel  ergreifen, 
um  den  Plan  doch  sicherzustellen  (Braunschweig  an  Friedrich  Wilhelm 
14.  Juli.     Rep.  XI  89  b). 

*)  Sybel  II  287.  Schon  früh  wurde  das  bemerkt.  Minutoli, 
Erinnerungen  24  (mit  falschen  absoluten  Zahlen);  Massenbach  I 
31  —  32;  Krieg  gegen  die  Revolution  II  364-367. 

*)  ib.  II  103. 

3)  ib.  II  106  und  367. 

4)  ChJ.P.  156. 

5)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  106  und  110. 


280  UI-  Abschnitt 

tatsächlich  die  Besorgnisse,  die  man  sehr  früh  in  Berlin  gehegt 
und  vergeblich  durch  Vorsichtsmaßregeln  gegenstandslos  zu 
machen  versucht  hatte1).  Es  stellte  statt  106  000  nur  73  000 
Mann  und  verhielt  sich  überhaupt  hierin  mehr  als  saumselig2). 

So  ergibt  sich  denn  an  Stelle  einer  Invasionsarmee  von  110  000 
Mann,  mit  der  der  Herzog  im  Mai  glaubte  rechnen  zu  dürfen, 
nur  eine  solche  von  80  000  Mann,  100  000  Mann  weniger  als 
ihm  die  Öffentlichkeit  gab,  nämlich  50  000  Preußen,  50  000 
Österreicher  am  Oberrhein,  50  000  Österreicher  in  den  Nieder- 
landen, 36  764  (!)  Emigranten3).  Außer  Preußen  und  Öster- 
reichern, Alberts  Korps  hier  nicht  eingerechnet,  kamen  noch 
etwa  6000  Hessen  dazu4),  allerdings  auch  noch  etwa  20  000  Emi- 
granten, aber  sie  dürfen  wir  als  Kampftruppen  gar  nicht  in 
Rechnung  stellen.  Nur  ein  kleiner  Teil  der  Abteilung  unter  den 
Prinzen-Brüdern  erwies  sich  wirklich  als  verwendbar,  auch  nicht 
einmal  zum  Vorteil  der  Mächte.  Die  andern  waren  unnütze, 
ja  schädliche  Brotesser.  Der  Herzog  hatte  sie  von  vornherein 
außer  Betracht  gelassen5). 

Konnte  man  damit  überhaupt  noch  an  die  Ausführung  des 
alten  Planes  denken?  Der  preußische  General  Courbiere  warnte 
vor  dem  Abenteuer,  der  Kronprinz  gab  ihm  durchaus  recht6), 
und  der  Herzog  hoffte  im  stillen,  mit  seinem  Vorbehalt,  an  der 
Maas  stehen  zu  bleiben  und  sich  dort  für  den  Winter  einzurichten, 
nun  doch  noch  durchzudringen.  Friedrich  Wilhelm  wollte  mehr 
als  je  nach  Paris  vordringen.  Jetzt,  wo  er  fast  täglich  mit  ihnen 
zusammen  war,  scheint  das  Gerede  der  Emigranten  ihn  doch  in 
eine  allzu  sorglose  Stimmung  versetzt  zu  haben.     Es  war  kein 


')  Krieg  gegen  die  Revolution  II  110 — 111;  Zeißberg,  2  Jahre,  71; 
Vivenot  II  410;  Schlieffen  II  384;  Rep.  XI  89b.  Schulenburg  an 
Braunschweig  25.  März,  23.  April.   Braunschweig  an  Schulenburg  26.  März. 

2)  Vgl.  dazu  die  ängstlichen  Bemerkungen  in  Lettres  sur  Dumouriez, 
wo  folgende  Stärken  angegeben  werden :  Albert  12000,  Hohenlohe  14000, 
Clerfayt  15000.     Clapham  218-219;  Marwitz  I  60. 

3)  Politisches  Journal  1792  Juli,  764  ff. 

*)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  93  und  371—373;   Heigel  II  19. 

5)  Auch  die  Abteilung  unter  Provence  und  Artois  überschritt  be- 
trächtlich die  vertragsmäßige  Stärke  von  8000  Mann;  es  waren  minde- 
stens 12000.  Bei  Bourbon  waren  bald  aus  3059  5195  geworden  (Krieg 
gegen  die  Revolution  II  110).  Wir  können  daher  gut  20000  ansetzen. 
—  Wir  erhalten  demnach  als  Kampftruppen:  45000  Preußen,  15000 
+  14000  Österreicher,  6000  Hessen,  zusammen  80000  Mann.  Vgl.  Krieg 
gegen  die  Revolution  II  110—111. 

6)  Häußer  I  367;  Ch.J.P.  145;  Heigel  II  20. 


Deutsche  Rüstungen  281 

Wunder,  daß  die  Armee  beim  Vorrücken  mehr  und  mehr  zum 
Skelett  abmagerte1).  So  trat  man  denn  den  Zug  auf  Paris  an. 
Nur  dorthin  sollte  man  schauen,  nicht  rechts,  nicht  links.  Die  auf 
dem  Wege  liegenden  Festungen  sollte  man  rasch  einnehmen,  die 
abseits  liegenden  nur  beobachten  oder  leicht  einschließen  lassen. 
Auf  Veranlassung  des  Königs  und  des  Kabinettsministeriums 
blieb  das  schwere  Belagerungsgeschütz  zu  Hause,  das  der  Herzog 
hatte  mitnehmen  wollen2).  Friedrich  Wilhelm  glaubte  seiner 
nicht  zu  bedürfen.  Am  28.  Juli  begann  die  militärische  Prome- 
nade, die  man  in  Deutschland  mit  so  großer  Neugierde  und  Auf- 
merksamkeit verfolgte3),  mit  dem  programmäßigen  Abmarsch 
der  preußischen  Vorhut  unter  dem  General  von  Eben4).  Der 
König  drängte  noch  besonders  vorwärts;  denn  jeder  Tag  erschien 
ihm  als  Gewinn,  und  für  sich  und  seine  Truppen  wünschte  er 
sehnlichst,  aus  der  Untätigkeit  rasch  herauszukommen,  die  nur 
die  Stimmung  im  Heere  verschlechtern  konnte5).  Am  29.  berief 
Friedrich  Wilhelm  Lucchesini  nach  Frankreich,  da  er  allen  An- 
laß zu  der  Meinung  habe,  daß  nach  den  Meldungen  aus  dem 
Innern  von  Frankreich  dort  nach  dem  Einmarsch  der  fremden 
Truppen  eine  rasche  Ernüchterung  sich  verbreiten  werde  und 
daß  man  bald  werde  verhandeln  können6).  Im  Oktober  dachte 
der  König  wieder  in  Berlin  zu  sein7). 


*)  Peltier,  dernier  tableau  de  Paris.     Ap.  zu  Nr.  V.    p.  IV. 
*)  Rep.  96,  147  G  I,  F. S.A.  Au  Roi  16.  April;  Lettres  sur  Dumouriez 
67;  SybelII289;  Feuillet  VI  340—341;  Schlief fen  II  384. 

3)  Politisches  Journal  1792  S.  894. 

4)  Minutoli,  Erinnerungen  25;  Rep.  XI  89g1.  Schulenburg  an 
Finckenstein  und  Alvensleben  22.  Juli. 

5)  Fersen  II  26;  Rep.  XI  89b.  Braunschweig  an  Friedrich  Wil- 
helm 5.  Juli.  Braunschweig  an  Schulenburg  6.  Juli.  Manstein  an 
Schulenburg  10.  Juli.  Schulenburg  an  Braunschweig  27.  Juni.  Am 
30.  Juli  trat  das  preußische  Gros  seinen  Marsch  an,  nachdem  am  29. 
das  letzte  Regiment  den  dreitägigen  Brotvorrat  empfangen  hatte.  Da- 
nach war  die  Armee  für  9  Tage  bis  zum  7.  August  mit  Brot  versorgt 
(Hüffer  in  Deutsche  Revue  1883  I  240;  Rep.  XI  89k.  Guionneau  an 
Schulenburg  29.  Juli  nachmittags  4  Uhr). 

6)  Rep.  92.  Lucchesinis  Nachlaß  12,  Friedrich  Wilhelm  an  Lucche- 
sini 29.  Juli.    Hüffer  24.     Vgl.  unten. 

7)  Deutsche  Revue  1883  I  241  (Lombard  am  15.  Juli).  Wie  fest 
man  auf  rasche,  entscheidende  Erfolge  rechnete,  geht  auch  aus  folgender 
Episode  hervor.  Der  kur trierische  Minister  Freiherr  von  Duminique  kaufte 
das  Feld  an,  auf  dem  Friedrich  Wilhelms  Zelt  im  Lager  bei  Rübenach 
gestanden  hatte  (Politisches  Journal  1792  S.  867),  und  wollte  darauf 
einen  steinernen,  fünfundzwanzig  Fuß   hohen  Obelisken  errichten   lassen 


282  HI.  Abschnitt 

2.  Kapitel 

Ton  Koblenz  bis  Yalmy 


Noch,  während  des  Marsches  der  deutschen  Heere  an  die 
französische  Grenze  vollzog  sich  in  Frankreich  der  lange  er- 
wartete revolutionäre  Ausbruch.  Am  10.  August  wurde  Ludwig 
von  seinem  Amte  suspendiert  und  eine  provisorische  Regierung 
unter  der  tatsächlichen  Leitung  Dantons  eingesetzt.  Noch  war 
die  Abschaffung  des  Königtums,  die  Errichtung  der  Republik 
nicht  beschlossen  worden,  aber  ihr  monarchisches  Gepräge  hatte 
die  französische  Regierung  doch  damit  preisgegeben.  Die  Frage 
war,  wie  sich  die  Mächte  und  vor  allem  die  eigene  Armee  zu 
diesem  Staatsstreich  stellen  werde,  der  die  bestehende  Verfassung 
so  gröblich  verletzte.  England,  also  auch  Holland,  konnten  jetzt 
nicht  umhin,  ihre  Gesandten  abzuberufen,  da  ipso  facto  deren 
Vollmachten  erloschen  waren.  Aber  das  blieb  mehr  ein  Zeichen 
des  persönlichen  Bedauerns  für  Ludwig,  als  daß  sich  damit  schon 
eine  Wandelung  der  Politik  vollzogen  hätte.  Noch  befand  sich 
die  Geschäftswelt  zu  wohl  bei  dieser  im  Frieden  erfolgenden 
Zurückdrängung  Frankreichs  aus  dem  Handel.  Ausdrücklich 
wurde  den  Franzosen  das  Recht  zuerkannt,  über  ihre  innere 
Regierung  allein  zu  bestimmen.  Eine  Zeitlang  erschien  daher 
eine  Vermittelung  Englands  und  Hollands  zwischen  den  krieg- 
führenden Mächten  nicht  als  ausgeschlossen,  besonders  als  der 
scheinbar  so  unerklärliche  Rückzug  des  Herzogs  von  Braun- 
schweig mit  einer  auffallenden  Geschäftigkeit  der  Diplomaten 
in  London  zusammenfiel.  Es  bedurfte  doch  noch  anderer  fran- 
zösischer Schritte,  die  sich  für  die  englischen  Interessen  wirklich 


mit  folgender  Inschrift  (ich  lasse  hier  die  französische  und  die  deutsche 
Form  weg  und  halte  mich  auch  nicht  an  die  kunstvolle  Abteilung  der 
Zeilen):  Hie  castra  posuit  Fridericus  Guilelmus  Secundus,  Borussorum 
rex,  dum  proficisceretur  ad  vindicandam  regiam  maiestatem,  iura  imperii 
Germanici ,  iustitiam,  ordinem,  leges  per  inimicam  humano  generi  seetam 
violatas  anno  1792  26.  Mensis  Julii.  Schulenburg  zeigte  das  dem  Könige 
an  und  glaubte  sich  schmeicheln  zu  dürfen,  daß  der  König  die  Absicht 
des  Freiherrn  von  Duminique,  jenem  merkwürdigen  Ereignisse  ein  Denk- 
mal zu  setzen,  in  Gnaden  zu  bemerken  geruhen  werde  (Rep.  96,  258  A. 
Cutry.  22.  August).  Ich  zweifle  nicht  daran,  daß  des  Königs  Gedanken 
dem  entsprochen  haben. 


Von  Koblenz  bis  Valmy  283 

in  greifbarer  Weise  fühlbar  machten,  um  kriegerische  Maßregeln 
in  ihren  Augen  zu  rechtfertigen1). 

Sardinien  war  mit  der  Stärke  der  österreichischen  Hilfe- 
leistung noch  immer  nicht  zufrieden  und  erklärte  sich  für  außer- 
stande, kräftig  vorzugehen.  Nur  auf  dem  Papier  bekämpfte  es 
die  französische  Revolution2).  Es  wollte  erst  abwarten,  bis  der 
Feind  durch  das  Vorgehen  der  Verbündeten  erschüttert  sei,  um 
sich  dann  selbst  ohne  große  Mühe  ein  Stück  von  der  Beute  an- 
zueignen. Es  verlangte  auch  zu  seiner  Sicherheit  noch  das  Ver- 
sprechen von  Preußen  und  Österreich,  daß  sie  nicht  ohne  Sar- 
dinien Frieden  schließen  würden.  Dann  kam  es  mit  der  Bitte 
um  Zusammenwirken  mit  dem  Heere  des  Herzogs  von  Braun- 
schweig und  um  Sendung  eines  neuen  österreichischen  Hilfskorps 
und  tat  bei  Spanien  und  bei  Rußland  vielgeschäftig  diplomatische 
Schritte.  Natürlich  erreichte  es  nichts.  Als  es  nachher  dem 
Angriffe  der  Franzosen  nur  seine  eigenen  Streitkräfte  entgegen- 
zusetzen hatte,  da  siegten  die  Franzosen  eigentlich  ohne  Kampf. 
Alle  Bitten  bei  den  deutschen  Mächten  und  bei  England  konnten 
ihm  doch  für  dies  Jahr  nichts  mehr  helfen,  selbst  als  Österreich 
schon  zur  Deckung  der  eigenen  bedrohten  Besitzungen  Ver- 
stärkungen absandte  und  sich  für  Sardinien  bei  den  italienischen 
Staaten  verwandte.  Preußen  hatte  auch  weder  die  Absicht 
noch  war  es  in  der  Lage,  ihm  wie  der  Schweiz  zu  helfen. 

Spanien3) ,  dem  sich  auf  seinen  Wunsch  dann  auch  Neapel 
anschließen  wollte,  nahm  den  10.  August  zum  Vorwand,  um 
seine  bis  dahin  beobachtete  Neutralität  aufzugeben  und  sich  an 
der  vermeintlichen  Zerstückelung  von  Frankreich  zu  beteiligen. 
Wenn  die  Mächte  auch  von  seiner  Mitwirkung  keine  militärischen 
Maßregeln  mehr  erwarteten,  so  konnte  doch  die  Nachricht  davon 
in  Frankreich  Schrecken  verbreiten,  besonders  wenn  ein  spani- 
sches Manifest  die  Gefahr  recht  eindringlich  vorführte,  und  den 
Sardiniern  Mut  zum  Vorgehen  machen.  Aber  dieser  Erfolg  blieb 
aus,  und  sowie  die  Kampagne  sich  zu  Gunsten  Frankreichs  wandte, 

1)  Salomon,  Pitt  I  2,  569  ff.;  Worontzow,  IX  257—258. 
Journal  d'une  bourgeoise  268.  Politisches  Journal  1792,  S.  895,  955—956, 
1001—1002, 1010—1011, 1026—1028, 1087—1088, 1097, 1133, 1145—1146, 
1212,  1230,  1248. 

2)  Schlosser  V  365.  Politisches  Journal  1792,  S.  920,  1083  bis 
1085. 

3)  ibid.  S.  993—994,  1044,  1083—1085,  1124,  1226—1227,  1335  bis 
1336;  Hermann  Baumgarten,  Geschichte  Spaniens  zur  Zeit  der 
französischen  Revolution.     Berlin  1861.     S.  387  ff. 


284  HI.  Abschnitt 

da  vollzog  es  eine  neue  Schwenkung,  noch  ehe  seine  mit  großem 
Lärm  den  Mächten  angezeigten  Angriffsmaßregeln  zur  Aus- 
führung gekommen  waren. 

Die  Schweiz1),  die  infolge  der  Ermordung  der  Königlichen 
Schweizergarde  am  ersten  Anlaß  gehabt  hätte,  am  Kampfe  teil- 
zunehmen, konnte  sich  doch  nicht  dazu  entschließen.  Das 
Haupt  der  Aristokraten,  Bern,  war  ziemlich  allein  zum  Vor- 
gehen geneigt,  und  Bouille  hätte  gar  zu  gern  einen  Auftrag  von 
den  Mächten  erhalten,  mit  ihm  zu  unterhandeln.  Aber  diese 
hielten  zurück,  und  die  andern  Kantone  sorgten  dafür,  daß  Bern 
nichts  tat.  Finanzielle  Interessen  spielten  hinein  (wer  sollte  die 
von  Frankreich  entlassenen  Regimenter  in  Sold  nehmen?).  Die 
Schweiz  hätte  damals  auch  dem  Einfall  von  Franzosen  kaum 
lange  Widerstand  leisten  können,  zu  einem  Einfall  in  Frankreich 
aber  fehlten  alle  militärischen  Vorbereitungen.  Sie  wollte  nichts 
erobern  und  begnügte  sich  mit  einer  diplomatischen  Beilegung 
des  Falles.  Für  den  Fall  eines  Sieges  der  deutschen  Mächte  be- 
hielt sie  sich  ihr  Einschreiten  vor.  Von  den  deutschen  Reichs- 
ständen endlich  taten  nur  die  etwas,  die  bei  dem  Geschäft  zu 
gewinnen  hofften,  insbesondere  der  Landgraf  von  Hessen-Kassel. 
Von  Patriotismus  war  bei  seinem  Verhalten  keine  Rede  —  wer 
hätte  sich  auch  damals  davon  bestimmen  lassen !  Dem  Wert 
seiner  Truppen  für  die  Kampagne  wird  mit  diesem  Urteil  aber 
nichts  abgezogen. 

Jedoch  das  waren  nur  Begleiterscheinungen,  denen  eine  ent- 
scheidende Rolle  nicht  zukam.  Viel  wichtiger  war  die  Stellung 
der  französischen  Armee.  Hier  erhob  sich  Widerspruch  von 
scheinbar  entscheidender  Stelle  aus.  Lafayette,  der  die  Ar- 
dennenarmee  jetzt  führte,  trat  für  die  Verfassung  ein,  ließ  die 
Kommissare  des  Conseil  executif  verhaften  und  plante  die  Ver- 
sammlung einer  Art  von  Gegen parlament  und  den  Marsch  auf 
Paris  zur  Befreiung  des  Königs,  wobei  er  sich  natürlich  durch 
Verhandlungen  mit  Österreich  und  Preußen  den  Rücken  sichern 
mußte.  Aber  mit  den  Mächten  war  er  nicht  im  Einverständnis. 
Alle  seine  Anträge  wurden  von  diesen  zunächst  abgelehnt,  und 
als  Österreich  in  der  Erkenntnis  der  Gefahr  zum  Entgegen- 
kommen sich  bereit  erklärte,  da  war  es  zu  spät2).     Der  König 


1 )  Karl  Brommer,  Der  Durchzug  der  Kaiserlichen  und  die 
Neutralität  Basels  während  des  ersten  Koalitionskrieges.  Basel  1903. 
S.  49—74. 

2)  Zeißberg,  2  Jahre,  167—168. 


Von  Koblenz  bis  Valmy  285 

und  mehr  noch  die  Königin  haßten  Lafayette  bis  auf  den  Tod, 
und  er  selbst  ließ  es  bei  Worten  bewenden,  statt  gleich  zu  han- 
deln1). Die  anfangs  nicht  ungünstige  Stimmung  seiner  Truppen 
schlug  unter  dem  Einfluß  der  neueinlaufenden  Nachrichten  um. 
Lafayette  sah  sich  deshalb  gezwungen,  am  19.  August  mit  seinem 
Generalstab  und  nicht  allzuviel  getreuen  Soldaten  die  öster- 
reichische Grenze  als  Deserteur  oder  Emigrant,  gleichviel  wie 
man  es  nennen  will,  zu  überschreiten,  mit  der  Absicht,  sich  nach 
Amerika  zu  begeben.  Jetzt  aber  nahm  der  Haß  Marie  Antoi- 
nettes,  nicht  der  Emigranten,  wie  Dumouriez  meinen  wollte2), 
greifbare  Formen  an.  Sie  hatte  nicht  aufgehört,  diese  „factieux" 
als  die  allergefährlichsten  Leute  darzustellen,  deren  Umtriebe 
vor  allem  an  dem  jetzigen  Elend  schuld  seien.  Als  Lafayettes 
Gesinnungsgenossen  Barnave  und  Charles  Lameth  in  Paris  ver- 
haftet wurden,  da  schrieb  Fersen:  „Ich  hoffe,  sie  werden  hin- 
gerichtet; niemand  hat  es  mehr  verdient"3).  Lafayette  wurde 
daher  von  den  Österreichern  mit  Zustimmung,  vielleicht  auf  An- 
regung des  preußischen  Vertreters  in  Brüssel,  Baron  Beck,  und 
auf  besondere  Einwirkung  Friedrich  Wilhelms,  den  Caraman, 
seinerseits  wieder  von  Breteuil  aufgestachelt,  dazu  bestimmt 
hatte,  verhaftet  und  sollte  angeblich  getötet  werden,  wurde  dann 
aber  lange  Jahre  hindurch  gefangen  gehalten4). 

Im  ganzen  hielt  die  Armee  doch  mit  gesundem,  nationalem 
Instinkt  zu  der  Regierung,  die  sich  die  Verteidigung  des  fran- 
zösischen Gebietes  zur  Aufgabe  gemacht  hatte.  Sie  war  weder 
die  Armee  des  Königs  noch  die  der  Revolution,  sondern  die  der 
Nation5).  Derjenige  mußte  sie  kommandieren,  der  diese  Rich- 
tung zuerst  energisch  einschlug.  Dumouriez  war  es.  Der  Ruhm, 
den  er  sich  in  so  anfechtbarer  Weise  im  Juli  gesichert  hatte,  ver- 
half ihm  zur  Freude  seiner  Untergebenen6)  zu  dem  Kommando 
über  die  Ardennenarmee  als  Lafayettes  Nachfolger7)  und  bald 
zu  dem  über  die  französischen  Truppen  überhaupt,  soweit  sie 


1)  Schlosser  V  411-412. 

2)  II  369. 

3)  Fersen  II  357,  364. 

4 )  Rep.  XI  89  h  Schulenburg  an  Reck  22.  u.  26.  August.  Reck  an 
Schulenburg  31.  August.  Rep.  XI  89  i.  S.  Au  Roi  22.  August.  Fersen 
II  31  u.  354;  Vi  v  e  n  o  t  II  531  u.  543;  Zeißberg,  2  Jahre,  168. 

5)  Ch.J.P.  60. 

G)  Foucart  et  Finot  I  142—147.  R.Q.H.  65,  552—559. 
Ch.V.  18.     Journal  d'une  bourgeoise  256 — 258. 

7)  Sybel  II  295;  Ranke  222;   S  o  r  e  1  III  25. 


286  III.  Abschnitt 

gegen  die  deutschen  Heere  zu  kämpfen  hatten  und  zwischen 
Dünkirchen  und  Montmedy  standen1). 

In  welcher  Stärke  und  Organisation  traten  sie  nun  den  deut- 
schen Truppen  gegenüber?  Wenn  ich  hier  natürlich  von  der 
Südarmee  absehe,  so  waren  es  noch  vier  Armeen:  Nord-,  Ar- 
dennen-,  Zentrums-  und  Rheinarmee  unter  Labourdonnaye, 
Dillon,  Kellermann,  Biron.  Im  ganzen  waren  es  etwa  82  000 
Mann,  also  ebensoviel  wie  auf  deutscher  Seite.  Dazu  kamen  aber 
noch  die  Nationalgardenbataillone,  die  sich  aus  Freiwilligen  zu- 
sammensetzten. Es  hieße  offene  Türen  einrennen,  wenn  ich  die 
Mängel  ihrer  Zusammensetzung,  ihrer  Ausbildung,  ihrer  Organi- 
sation hervorheben  wollte.  Rousset  und,  doch  wohl  richtiger, 
da  nicht  so  einseitig  und  frei  von  Tendenz,  Chuquet  haben  es  be- 
reits gründlich  genug  getan.  Aber  die  Freiwilligen  trugen  nun 
in  die  französische  Armee  in  verstärktem  Maße  das  nationale 
Element  und  die  Abhängigkeit  von  der  Nationalversammlung 
bezw.  dem  Konvent  hinein;  daß  sie  häufig  wichtige  Dienste  ge- 
leistet haben,  ist  gar  nicht  zu  verkennen.  Es  war  also  doch  mehr 
als  eine  „Indianerhorde,  die  von  einer  Handvoll  disziplinierter 
Soldaten  auseinandergesprengt  werden  konnte".  Aber  der  An- 
lehnung an  das  stehende  Heer  konnten  sie  noch  nicht  entraten. 
Die  Nordarmee,  die  ursprünglich  mit  der  Ardennenarmee  zu- 
sammen unter  Laf  ayette  gestanden  hatte,  zählte  24  000  Mann2) 
(von  Garnisonen  sehe  ich  dabei  immer  ab),  die  Ardennenarmee 
19  000,  die  Zentrumsarmee  17  000  und  die  Rheinarmee  22  000 
Mann.  Diese  letztere  können  wir  für  die  Betrachtung  der  fol- 
genden Ereignisse  zunächst  ausschalten,  ebenso  die  National- 
garden, die  in  den  befestigten  Lagern  von  Chälons  und  Soissons 
gesammelt  wurden.  Sie  fanden  nur  zum  kleinsten  Teil  Ver- 
wendung, da  sie  meistens  nicht  einmal  Waffen  hatten3).  Die 
Rheinarmee  wirkte  nur  durch  ihre  Anwesenheit,  indem  sie  zwei 
österreichische  Korps  unter  Esterhazy  und  Erbach  mitsamt  den 
Emigranten  unter  Conde  neutralisierte.  Erst  mit  dem  Einfall 
Custines  gewann  sie  aktive  Bedeutung. 

Ardennen-  und  Zentrumsarmee  mußten  den  deutschen  Heeren 
einen  Damm  entgegenzusetzen  suchen.     Ihre  Vereinigung  war 


1)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  138. 

2)  S  o  r  e  1 III  5;  Ch.J.P.  199—201,  206;  S  y  b  e  1 II  291,  336;  Krieg 
gegen  die  Revolution  II  134. 

3)  S  y  b  e  1 II  292 — 293;  P  e  1 1  i  e  r ,  dernier  tableau  de  Paris  Ap.  zu 
Nr.  V  S.  XVIII  ff. 


Von  Koblenz  bis  Valmy  287 

die  notwendige  Voraussetzung  dazu.  Von  Paris  aus  trieb  man 
in  stets  steigendem  Maße  Dumouriez  dazu  an.  Denn  e  r  hatte 
dazu  seine  alte  Stellung  zu  verlassen  und  sich  dem  ziemlich  an 
Ort  und  Stelle  befindlichen  Kellermann  zu  nähern,  der  seine 
Truppen  am  4.  September  von  Metz  nach  Toul  abmarschieren 
ließ1).  Aber  er  wollte  nicht2).  Er  plante  jetzt  mehr  als  je  einen 
Einfall  in  die  Niederlande.  Ihm  selbst  mit  einem  stärkeren 
Heere,  als  er  es  im  Frühjahr  hatte  verfügbar  machen  können, 
sollte  doch  dieser  Stoß  nicht  mehr  mißlingen  können,  und  es  ist 
eine  merkwürdige  Analogie  zu  dem  Verfahren  der  Verbündeten 
und  Emigranten,  daß  er  an  die  Spitze  seines  Heeres  6000  frei- 
willige Belgier  stellen  und  aus  österreichischen  Deserteuren  mit 
Schweizern  Freibataillone  bilden  wollte,  die  dem  Einfall  die 
Wege  ebnen  sollten3).  Dann  aber,  so  rechnete  er,  kehrten  die 
Österreicher  um,  die  Kraft  der  Invasion  war  gebrochen,  und  er 
hatte  den  gefährlichen  Kampf  mit  den  geübten  österreichisch- 
preußischen Truppen  vermieden4).  Die  auf  dem  Wege  hegenden 
Festungen  würden  den  Verbündeten  so  lange  zu  schaffen  machen, 
daß  er  seinen  Plan  ausführen  könne5).  Die  Verteidigung  zwischen 
Sambre  und  Maas  übertrug  er  Dillon,  weiter  im  Süden  stand 
ja  Kellermann.  Es  ist  das  erstemal,  daß  uns  in  diesem  Kriege 
der  Gedanke  der  indirekten  Verteidigung  durch  den  Einfall  in 
feindliches  Gebiet  entgegentritt.  Nachher  kam  Custine  —  je- 
doch nicht  mit  so  hohen  Absichten  —  praktisch  auf  Ähnliches 
hinaus. 

Aber  in  Paris  mußte  man  noch  mit  andern  Größen  rechnen, 
als  sie  Dumouriez  berücksichtigt  hatte.  Das  Manifest  des  Her- 
zogs von  Braunschweig  hätte  schon  deshalb  keine  Wirkung  aus- 
üben können,  weil  es  zu  früh  erlassen  worden  war.  Jetzt  nahte 
nun  doch  die  Gefahr,  und  nach  dem  Fall  von  Longwy  stieg  die 
Furcht  in  Paris  zu  gefährlicher  Höhe.  Statt  an  Dumouriez  die 
gewünschten  Verstärkungen  zu  schicken,  ließ  Servan6)  Kurier 
auf  Kurier  an  ihn  abgehen,  er  solle  sich  dem  Herzog  entgegen- 

1)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  145. 

2)  ibid.   II   139;    Sorel  III  26  ff.;    Ch.V.   23  ff.;   Dumouriez 
II  375  u.  380. 

3)  Ch.V.  28;  Dumouriez  II  380.     Vgl.  oben  für  das  Frühjahr 
ähnliche  Pläne. 

4)  Ch.V.  27—30.    Krieg  gegen  die  Revolution  II  138—139. 

5)  Häußer  I  374;   S  y  b  e  1  II  295  ff.;  Boguslawski  II  8; 
H  e  i  g  e  1  II  23. 

6)  Er  war  nach  dem  10.  August  wieder  Kriegsminister  geworden. 


288  in.  Abschnitt 

werfen1).  Dumouriez  war  zunächst  bei  seinen  Truppen  in 
Maulde  geblieben,  die  ihn  vergötterten,  und  wollte  von  hier  aus 
den  Stoß  gegen  Belgien  führen.  Dillon  war  von  ihm  nach  Sedan 
geschickt  worden,  um  die  Stelle  Lafayettes  einzunehmen,  in  der 
richtigen  Erkenntnis,  daß  e  r  mit  den  Truppen  nicht  viel  werde 
ausrichten  können.  Gleichzeitig  sollte  ihm  Dillon  die  Verwal- 
tungs-  und  Verteidigungsarbeit  abnehmen.  Dumouriez  wollte 
einmal  nur  Heerführer  sein2),  das  hieß  für  ihn  angreifen3).  Aber 
infolge  der  Nachricht  von  Longwys  Kapitulation  war  er  doch  nach 
Sedan  abgereist,  wo  er  am  28.  August  eintraf,  um  dort  die  Gefahr 
einer  völligen  Zerrüttung  der  Armee  zu  beseitigen4),  und  in  dem 
Gedanken,  nun  vorläufig  dem  Rate  Servans  folgend  den  Ver- 
bündeten gegenüber  die  Defensive  durchzuführen.  Er  schickte 
deshalb  zwei  Bataillone  und  einen  tüchtigen  Offizier  zur  Ver- 
stärkung der  Garnison  nach  Verdun5).  Inzwischen  glaubte  er 
sich  aber  zu  überzeugen,  daß  mit  diesen  Truppen,  die  ihn  mur- 
rend empfangen  hatten6),  an  einen  Kampf  mit  den  österreichisch- 
preußischen Truppen  nicht  zu  denken  sei.  Die  Verteidigung 
schien  ihm  fester  organisierte  Truppen  zu  erfordern  als  der  An- 
griff7). Er  ließ  also  von  einem  Kriegsrate  am  29.  seinen  Plan 
annehmen  und  nach  Paris  befürworten;  nur  von  einem  glänzen- 
den Siegeszug  nach  den  Niederlanden  versprach  er  sich  Erfolg. 
Aber  am  31.  hörte  er  in  Bazeilles  den  Kanonendonner  von  der  Be- 
schießung Verduns  herüberschallen  und  von  dem  Marsche  Cler- 
fayts  nach  Stenay.  Das  bedeutete  für  ihn  die  Gefahr,  von  Frank- 
reich abgeschnitten  zu  werden  und  bei  seinem  Einfall  in  Belgien 
Clerfayt  auf  den  Fersen  zu  haben8).  Blitzschnell  warf  er  nun 
seinen  ganzen  Plan  um  und  ging  am  31.  auf  Servans  Verlangen 
ein  —  man  wird  sagen  müssen,  im  letzten  Augenblick,  wo  es 
noch  möglich  war  —  Frankreich  direkt  zu  verteidigen,  statt  die 
Niederlande  zu  erobern.     Er  erteilte  den  Befehl  zum  Abmarsch 


x)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  140 — 141. 

2)  Man  wird  sich  jedoch  hüten  müssen,  heute  diese  Ansicht  aus- 
zusprechen. 

3)  Dumouriez  II  374  ff. 

4)  Ibid.  II  380—382. 

5)  Ch.V.  30 — 31  u.  35.     Sie  kamen  jedoch  zu  spät. 

6)  Dumouriez  II  383;  Ch.V.  30—31. 

7)  Ch.V.  24—25  u.  32. 

8)  Dumouriez  II  386  ff.,  besonders  388 ;  Boguslawski 
II  13—15;  Sybel  II  295—300;  S  o  r  e  1  III  29—30;  Krieg  gegen  die 
Revolution  II  141. 


Von  Koblenz  bis  Valmy  289 

nach  den  Argonnen,  noch  ehe  er  von  dem  dringenden  Rat  Ser- 
vans1),  der  auf  das  Gleiche  hinauskam,  wußte.  Es  war  das  letzte 
bedeutendere  natürliche  Bollwerk,  das  die  Verbündeten  auf 
ihrem  Marsche  nach  Paris  zu  überwinden  hatten.  Hier  sollte 
die  Entscheidung  über  das  Schicksal  von  Paris,  von  Frankreich, 
von  ganz  Europa  fallen.  Es  war  der  einzig  mögliche  Entschluß. 
Denn  außer  der  militärischen  Richtigkeit,  die  ein  anderer  auf 
dem  Papier  mühsam  ausgeklügelter  Plan  zweifellos  auch  für 
sich  hätte  beanspruchen  dürfen,  fiel  noch  ein  Umstand  schwerer 
als  alle  andern  ins  Gewicht:  die  Rücksicht  auf  die  Stimmung 
des  Volkes,  besonders  desjenigen  in  Paris  (vgl.  Mac  Mahon  1870). 
Es  verlangte  Schutz,  und  diesem  Verlangen  mußte  nachgegeben 
werden2).  Noch  auf  dem  Wege  nach  den  Argonnen  kam  es  schon 
zu  den  ersten  Zusammenstößen  mit  der  deutschen  Hauptarmee, 
deren  teilweise  recht  gefährlicher  Ausgang  nur  durch  die  Lang- 
samkeit seines  Gegners  und  durch  seine  eigene  Schnelligkeit 
wieder  ausgeglichen  wurde.  Am  19.  September  hatte  er  sich 
mit  Beurnonville  vereinigt,  der  ihm  Verstärkungen  von  der  Nord- 
armee  brachte,  und  Kellermann  war  auf  dem  Marsche.  Die 
dringendste  Gefahr  war  überstanden.  Würden  die  Truppen 
jetzt  aber  auch  einem  Angriff  des  sieggewohnten  österreichisch- 
preußischen Heeres  standhalten? 

Nach  langem  mühevollen  Marsche  durch  das  enge  Moseltal, 
das  die  erbitterten  Soldaten  „Martertal"  tauften3),  traf  die  Armee 
des  Herzogs  von  Braunschweig  am  5.  August,  am  6.  Marschtage, 
wie  geplant  war,  in  Trier  ein4).  Hier  aber  stockte  ihr  Vorrücken, 
einmal,  weil  außer  dem  erwünschten  Ruhetag  für  die  Truppen 
noch  ein  Artillerietrain  erwartet  werden  mußte,  der  erst  am 
2.  August  Koblenz  passiert  hatte  und  am  10.  in  Trier  ankam5), 
und  weil  vor  allem  wieder  der  Brotvorrat  durch  die  Feldbäckerei 
erneuert  werden  mußte6)  —  das  hat  noch  häufig  genug  in  diesem 

1 )  Servan  gab  keinen  Befehl,  sondern  ließ  den  Generalen  volle  Frei- 
heit, aber  auch  Verantwortung  für  ihre  Entschlüsse  (Ch.R.  25). 

2)  Ch.V.  42^13;  Häußer  I  374—375;  Sybel  II  296—297; 
Ranke  233;  H  ü  f  f  e  r  in  der  Deutschen  Revue  1883  I  250—251; 
Boguslawski  II  15—17;  Ch.V.  38^42. 

3)  Valentini  13. 

4)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  115—116.  Rep.  XI  89  g1  Sohulen- 
burg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  27.  u.  30.  Juli.  Am  30.  rückte 
das  Gros  ab,  am  2.  August  war  Ruhetag. 

5)  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  8.  August. 

6)  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  30.  Juli  und 
6.  August. 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution        19 


290  HI.  Abschnitt 

Feldzuge  zu  der  so  gefährlichen  Untätigkeit  des  Heeres  und 
ihrem  Schneckentempo  geführt,  das  auf  den  verschiedensten 
Seiten  zu  den  gewichtigsten  Bedenken  Anlaß  gab1)  —  endlich 
auch,  weil  der  österreichische  General  Hohenlohe,  den  Bischoff- 
werder in  so  günstigen  Farben  gemalt2)  und  der  sich  in  Sans- 
souci recht  entgegenkommend  gezeigt  hatte,  trotz  der  Abma- 
chungen von  Weisenau-Mainz  noch  nicht  heran  war,  wo  aus- 
drücklich der  Marsch  der  Preußen  auf  sieben  Tage,  der  der  Öster- 
reicher auf  zwei  bis  zum  Vereinigungspunkt  an  der  Grenze  — 
als  solcher  galt  Trier  —  festgelegt  war3).  Jetzt  aber  begann  sich 
auch  die  Schwäche  des  Oberkommandos  geltend  zu  machen. 
Schon  dem  vorher  festgestellten  Plane  kam  Hohenlohe  nicht 
nach,  wie  man  auf  preußischer  Seite  gleich  gefürchtet  hatte4); 
wie  viel  schwerer  mußte  es  nun  sein,  ihn  zu  einer  Abweichung 
davon  im  Sinne  einer  Beschleunigung  zu  bringen.  Denn  das 
war  der  Sinn  von  den  Schritten,  die  der  Herzog  nun  immer 
häufiger  bei  Hohenlohe  tat5).  Ihn  drängte  der  König  zu 
raschem  Vorgehen,  und  trotz  seines  Widerwillens  gab  der  Herzog 
nach.  So  marschierte  denn  auch  das  preußische  Gros  am  12.6) 
aus  dem  Lager  von  Konz  bei  Trier  ab,  ohne  auf  Hohenlohes  An- 
kunft zu  warten,  der  es  decken  sollte,  der  „bald  nachzukommen" 
versprach  und  Auftrag  erhielt,  rasch  Diedenhofen  zu  nehmen7). 
Bei  einem  tätigeren  Feinde  als  Luckner  —  Kellermann  trat  erst 
in  diesen  Tagen  an  seine  Stelle  —  hätte  sich  ein  so  zersplittertes 
Vorgehen  schwer  rächen  können8).  Aber  er  tat  nichts ,  und 
nicht  die  Rücksicht  auf  ihn,  sondern  auf  die  Verpflegung  und 
auf  den  Anmarsch  Clerfayts,  mit  dem  man  sich  vor  Überschreiten 


1 )  Rep.  XI 89  h  Reck  an  Schulenburg  16.,  31.  August,  27.  September, 
8.  Oktober;  Schulenburg  an  Reck  4.  September. 

2)  Rep.  I  172  Bericht  vom  17.  März  1792. 

3)  Vivenot  II  509;  Deutsche  Revue  1883  I  247. 

4 )  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  30.  Juli.  Hohenlohe 
war  am  2.  August  von  Mannheim  aufgebrochen  und  brauchte  24  Tage  bis 
Merzig  an  der  Saar  (Häußer  I  369  und  S  y  b  e  1  II  289).  Allerdings 
ist  dabei  zu  beachten,  daß  Hohenlohe  mit  Genehmigung  des  Herzogs 
inzwischen  —  ergebnislose  —  Versuche  auf  Landau  machte. 

5)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  122—123. 

6)  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  12.  August.  Am 
11.  hatte  die  Vorhut  bei  Sierck  die  Grenze  überschritten,  das  Gros 
passierte  sie  erst  am  19.  (Ch.J.R  160,  163—164,  297). 

7)  Zeißberg,  Karl-Hohenlohe  17—19. 

8)  Ch.J.P.  197. 


Von  Koblenz  bis  Valmy  291 

der  Grenze  und  vor  dem  Angriff  auf  Longwy  vereinigen  wollte1), 
sistierte  den  preußischen  Marsch  schon  wieder  am  13.  in  Mont- 
fort.  Erst  am  18.  ging  es  weiter2).  Nachdem  man  ein  Detache- 
ment  Luckners  unter  dem  alten  Generalmajor3)  Deprez-Crassier 
bei  Fontoy  am  19.  geschlagen  hatte4),  wurde  mit  Hilfe  Clerfayts 
die  gut  verteidigte,  aber  in  schlechtem  Zustande  befindliche 
Festung  Longwy,  deren  Bewohner  trotz  vieler  revolutionärer 
Reden  und  Beschlüsse  noch  nicht  zu  dem  rechten  Patriotismus 
sich  durchgearbeitet  hatten,  in  der  Nacht  vom  22.  zum  23.  August 
nach  kurzer  Beschießung  der  Stadt  genommen5).  Wieder  ließ 
man  sich  noch  5  Tage  Zeit  zum  Ausruhen  und  zum  Brotbacken6). 
Am  29.  erfolgte  der  Abmarsch  nach  Verdun.  Von  Luckner 
hatte  man  jetzt  sicher  nichts  zu  fürchten,  man  hoffte  sogar  noch, 
ihn  zu  gewinnen7).  Weder  der  Herzog  von  Braunschweig  noch 
Albert  nahmen  die  sich  ihnen  bietende  Gelegenheit  wahr,  die  durch 
Lafayettes  Flucht  führerlos  gewordene  und  desorganisierte  Ar- 
dennenarmee  durch  Absendung  eines  Korps  zu  zersprengen,  ob- 
wohl der  Herzog  von  Braunschweig  sicher  schon  am  22.  August 
von  der  Flucht  Kenntnis  hatte8),  da  man  eben  ihre  Not  gar  nicht 
kannte  und  Wagnisse  nicht  in  der  Natur  jener  beiden  Herzöge 
lagen9).  Nur  die  Vereinigung  der  Ardennen-  mit  der  Zentrums- 
armee gedachte  der  Herzog  von  Braunschweig  durch  Flanken- 
bewegungen gegen  Stenay  und  Diedenhofen  zu  hindern10).   Am 

1 )  H  ä  u  ß  e  r  1 369;  S  y  b  e  1 II 289.  Er  war  erst  am  16.  in  Arlon,  dicht 
an  der  luxemburgischen  Westgrenze. 

2)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  125 — 126. 

3)  Marechal  du  camp. 

4)  Feuillet  VI  340;  Häußer  I  368—369;  Ch.J.P.  163  ff.  u.  197. 

5)  Lettres  sur  Dumouriez  71;  Deutsche  Revue  1883  I  299—300; 
Häußer  I  369;  Heigel  II  25;  Krieg  gegen  die  Revolution  II  127; 
Ch.J.P.    175—191. 

6 )  Nach  Massenbach  (I  40,  46,  96)  hätte  der  Herzog  von  Braun- 
schweig schon  hier  stehen  bleiben  wollen,  nur  die  politische  Absicht  habe 
ihn  nach  Verdun  vorgehen  lassen.  Ich  finde  dafür  sonst  keine  Belege 
und  kann  mich  daher  dieser  allen  bekannten  Tatsachen  widersprechenden 
Auffassung  nicht  anschließen. 

7)  Ch.J.P.   197—199  und  Fersen  II  356. 

8)  Lettres  sur  Dumouriez  70 — 72;  Häußer  I  369;  Deutsche 
Revue  1883  I  298—299;  Fersen  II  356;  Dumouriez  III  96—97 
und  II  382;  Rep.  XI  89  h.  Reck  an  Schulenburg  22.  August  und  1.  Sep- 
tember. Schulenburg  an  Reck  26.  August.  Rep.  XI  89  g1 .  Schulenburg 
an  Finckenstein  und  Alvensleben  22.  August.  Rep.  XI  89  i,  S.  Au  Roi 
22.  August;  Ch.J.P.  213—214;  B  o  g  u  s  1  a  w  s  k  i  II  11. 

9)  Häußer  I  373—374. 
10)  Ch.J.P.  216,  297. 


292  HI.  Abschnitt 

2.  September  ergab  sich  Verdun  ebenso  wie  Longwy  ohne  regel- 
rechte Belagerung  —  zu  einer  solchen  fehlte  es  ja  an  schwerem 
Geschütz  und  an  Zeit  —  nach  kurzer  Beschießung  mehr  auf 
Drängen  der  Einwohner,  die  durch  das  Bombardement  ihr  Eigen- 
tum gefährdet  sahen,  unter  denen  sich  auch  die  royalistischen 
Elemente  besonders  regten,  als  etwa  auf  den  Vorschlag  der 
Militärbehörden  hin,  die  noch  kämpfen  wollten,  aber  namentlich 
in  Verdun  kein  Vertrauen  mehr  zu  ihren  Soldaten  hatten1).  Der 
Wunsch  der  Preußen,  rasch  vorwärts  zu  kommen  und  sich  nicht 
mit  unnützen  Kosten  zu  belasten,  hatte  der  Besatzung  von  Ver- 
dun, die  schon  zu  bedingungsloser  Kapitulation  bereit  war, 
noch  freien  Abzug  mit  Waffen  und  Gepäck  verschafft2).  Die 
Besatzung  von  Longwy  war  nach  deren  Abgabe  entlassen  worden, 
jedoch  mit  der  Verpflichtung,  in  diesem  Kriege  nicht  mehr  gegen 
die  Verbündeten  zu  dienen3).  Der  Widerstand  der  Festungen 
war  den  Preußen  immer  noch  zu  lang  nach  den  Versprechungen 
der  Emigranten  vorgekommen.  Wenn  Longwy  sich  nicht  nach 
der  zweiten  Beschießung  ergeben  hätte,  so  hätte  man  ein  kleines 
Belagerungskorps  davor  gelassen  und  wäre  weitergezogen4).  Den 
Emigranten  wurden  die  Festungen  jedoch  nicht  ausgeliefert. 
Die  Mächte  behielten  sie  in  Verwahrung,  um  sie  erst  an  König 
Ludwig  selbst  auszuliefern,  wohl  schon  um  ihrer  versichert  zu 
sein,  wofür  die  Emigranten  keine  genügende  Sicherheit  geben 
zu  können  schienen5). 

Verdun  war  die  letzte  Festung  gewesen,  die  zwischen  den  Verbün- 
deten und  Paris  gelegen  hatte.  Der  Weg  dahin  war  frei,  und  dieser 
Erfolg  begeisterte  den  nüchternen  und   kranken6)  preußischen 


1)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  130—131;  Ch.J.P.  215—216  und 
261 ;  Häußerl  369. 

2)  Fersen  II  354—355,  361  und  33;  Ch.J.P.  241  ff. 

3)  Ch.J.P.  184—185.  Über  die  Ausführung  vgl.  jedoch  Ch.V.  115—116. 
*)  Sohulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  22.   August. 

6)  Sorel  III  41.  Zeitschrift  des  Vereins  für  hessische  Geschichte 
und  Landeskunde.    Neue  Folge.    20.  Bd.  (Kassel  1895),  S.  210. 

6)  Seit  Hanau  plagte  ihn  wieder  die  Gicht  (Schulenburg  an  Fincken- 
stein und  Alvensleben  2.  August.  Rep.  XI  89  k.  Alopeus  an  Schulenburg 
31.  Juli.  Rep.  XI  89  h.  Reck  an  Schulenburg  22.  August).  Bald  nach 
dem  Einmarsch  in  Frankreich  mußte  er  das  Bett  hüten  —  auch  sein 
Bureaustab  ließ  sich  von  ihm  anstecken  (Schulenburg  an  Finckenstein 
und  Alvensleben  21.  August  und  1.  September.  Rep.  XI  89  k.  Schulen- 
burg an  Lucchesini  1.  September)  —  und  schließlich  erklärte  der  preu- 
ßische Generalarzt  Görcke  dem  Minister  rund  heraus,  wenn  er  ein  der- 
artiges Leben  während  der  schlechten  Jahreszeit  weiterführe,  so  setze  er 


Von  Koblenz  bis  Valmy  293 

Minister  Schulenburg,  der  zwar  den  Versprechungen  der  Emi- 
granten nicht  getraut,  aber  auch  an  einen  raschen  Siegeszug 
geglaubt  hatte  und  von  den  militärischen  Ereignissen  doch  nur 
oberflächlich  unterrichtet  wurde1),  so  sehr2),  daß  er  an  seine 
Kollegen  nach  Berlin  schrieb :  „Jetzt  können  wir  unsern  Marsch 
nach  Paris  fortsetzen,  da  der  General  Clerfayt  sich  nach  rechts 
gegen  Stenay  gewandt  und  der  General  Hohenlohe,  der  Öster- 
reicher, mit  den  Emigranten  Diedenhofen  gestern  eingeschlossen 
hat,  dessen  Übergabe  wir  von  einem  Tage  zum  anderen  erwarten. 
Mit  einem  Worte,  von  jetzt  an  bekommt  die  Unternehmung  Farbe, 
und  wir  beginnen  von  Erfolg  zu  Erfolg  zu  eilen "  —  und  an  dem- 

sich  der  Gefahr  aus,  hier  begraben  zu  werden  (Schulenburg  an  Fincken- 
stein  und  Alvensleben  7.  September  und  Rep.  XI  89  h,  Schulenburg 
an  Reck  5.   September). 

*)  Das  war  seine  stets  erneute  Klage  und  zugleich  Rechtfertigung 
gegenüber  seinen  Berliner  Kollegen,  die  von  ihm  Material  für  Zeitungs- 
artikel haben  wollten,  besonders  natürlich  über  den  Krieg  (H  e  i  g  e  1  II 

26.  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  3.  September.  P.S. 
zum  Brief  von  Alvensleben  an  Schulenburg  [ohne  Datum,  Ende  Juli]. 
Schulenburg  an  Alvensleben  26.  Juli  in  Rep.  XI  89  g2.  Vgl.  dasselbe 
Spiel  in  Rep.  XI  89  h.  Reck  an  Schulenburg  22.  August,  für  Brüssel, 
Schulenburg  an  Reck  22.  und  26.  August,  Manstein  an  Schulenburg 
1.  September,  für  Wien  Rep.  I  170  Cesar  an  die  Minister  3.  Oktober;  an 
Cesar  12.  Oktober.  Politisches  Journal  1792,  S.  1007—1008;.  Schulenburg 
wie  seine  Bureaubeamten  Renfner,  von  Dechen  und  Le  Coq  konnten  sie 
nicht  geben;  nur  wenige  persönliche  Beobachtungen  teilten  sie  mit 
(Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  26.  Juli)  und  was  ihnen 
von  offiziellen  Schriftstücken  gerade  in  die  Hände  kam.  Französische 
Zeitungen  kamen  ihnen  nur  auf  dem  Wege  über  Brüssel  zu,  also  stark 
verspätet  und  auch  nicht  regelmäßig  (Rep.  XI  89  h.  Schulenburg  an  Reck 
22.  August.  Reck  an  Schulenburg  27.  August.  Dazu  Schulenburg  an 
Finckenstein  und  Alvensleben  7.  August).  Die  Berliner  suchten  sich  daher 
auf  alle  mögliche  andere  Weise  Nachrichten  zu  verschaffen,  und  dabei 
mußte  es  ihnen  leider  passieren,  daß  sie  sogar  von  einem  preußischen 
Prinzen  (Louis,  Sohn  Ferdinands)  eine  falsche  Nachricht  einer  schweren 
österreichischen  Niederlage  empfingen.  Das  war  den  preußischen  Ministern 
sehr  peinlich.  Sie  dementierten  das  sofort  und  ließen  durch  Schulenburg 
dem  Prinzen  in  der  höflichsten  Form  einen  derben  Rüffel  geben  (Fincken- 
stein und  Alvensleben  an  Schulenburg  16.  und  29.  August;  3.,  7.  und 
15.  September.     Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  11.  und 

27.  August,  7.  September).  Die  Berliner  glaubten  bei  dem  Ausbleiben 
offizieller  Nachrichten  schon  sowieso  immer  nur  das  Schlechte. 

2)  Schon  nach  dem  schließlich  doch  unerwartet  rasch  gekommenen 
Fall  von  Longwy  hatte  er  nach  Berlin  geschrieben:  „Die  unerwartete 
Übergabe  der  ersten  Festung  beseitigt  sehr  viele  Schwierigkeiten,  und  die 
Sachen  gehen  vielleicht  besser,  als  wir  anfangs  zu  glauben  wagten. " 
(Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  27.  August.) 


294  HI-  Abschnitt 

selben  Tage :  ,  „Meine  Gicht  plagt  mich,  und  ich  leide  schrecklich, 
besonders  an  den  feuchten,  kalten  Tagen,  wahrscheinlich  wird 
sie  mich  zwingen,  die  Armee  zu  verlassen;  bei  guter  Gesundheit 
hätte  ich  sehr  gern  Paris  gesehen,  von  dem  wir  nur  noch  58  Post- 
stunden entfernt  sind,  und  keine  Festung  liegt  mehr  dazwischen. 
Chälons  hat  Wall  und  Graben,  das  kann  nicht  rechnen,  nachdem 
Festungen  so  wenig  Widerstand  geleistet  haben.  Wir  erwarten 
von  einem  Augenblick  zum  andern  die  Nachricht  des  Falles  von 
Diedenhofen.  Verdun  ist  eine  schöne  Stadt  von  16 — 18  000  Ein- 
wohnern. Die  Befreiung  durch  unsere  Armee,  wie  sie  es  jetzt 
nennen,  erregt  große  Freude.  Noch  vor  zwei  Tagen  wäre  ich 
wahrscheinlich  gehängt  worden"1).  Sein  Nachfolger  Lucchesini 
werde,  so  äußert  er  wenige  Tage  später,  auf  dem  bald  zu  eröffnen- 
den Kongresse  eine  ähnliche  Rolle  spielen  wie  auf  dem  zu  Sistowa, 
die  nötige  Festigkeit  habe  er  schon  bewiesen2).  Wenn  der  Minister 
so  die  Dauer  des  Marsches  bis  Paris  nur  noch  nach  Wochen  rech- 
nete, kann  man«  es  dem  jungen  Kabinettssekretär  Lombard  wirk- 
lich nicht  verargen,  wenn  er  sich  noch  etwas  zuversichtlicher  aus- 
sprach: „Der  Weg  nach  Paris  ist  offen,  und  bis  dahin  haben  wir 
keine  Feinde  zu  fürchten  als  das  Geschrei  der  Jakobiner,  welche 
toller  sind  als  je"3).  Nur  sehr  spärlich  sind  die  Zeugnisse  von 
Leuten  vertreten,  die  sich  den  Kopf  kühler  hielten4). 

Jetzt  mußte  sich  auch  der  Herzog  von  Braunschweig  wider- 
willig in  den  bisher  stets  als  Schimäre  behandelten  Plan  des  Königs 
fügen,  auf  Paris  zu  marschieren.  Hier  und  bei  Valmy  zeigt  sich 
besonders  deutlich,  wie  sich  in  diesem  Feldzuge  stets  zwei  ver- 
schiedene Systeme  durchkreuzen,  dadurch  neutralisieren5).  Der 
Herzog  hatte  bisher  nur  von  der  Eroberung  der  Maaslinie  und 
einer  Trennung  der  beiden  feindlichen  Armeen  gesprochen.  Das 
erste  schien  erreicht  zu  sein.  Das  zweite  konnte  er  nur  verhindern, 
wenn  er  weiter  offensiv  vorging.  Das  wollten  weder  er  noch 
Hohenlohe.     Dieser  erklärte  vielmehr  ausdrücklich  ein  weiteres 

1 )  H  e  i  g  e  1  II  26.  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben 
3.  September.  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  10.  Sep- 
tember. 

2)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  Nr.  37:  Schulenburg  an  Lucchesini 
8.  Juni  und  Nr.  20:  Lucchesini  an  seine  Frau  5.  September.  Schulenburg 
an  Finckenstein  und  Alvensleben  7.  September. 

3)  Hei  gel  II  26;  Deutsche  Revue  1883  I  301;  Ch.J.P.  295. 

4)  Ch.J.P.  295—296. 

5)  Heigel  II  29;  Krieg  gegen  die  Revolution  II  121,  125,  130, 
147. 


Von  Koblenz  bis  Valmy  295 

Vorgehen  für  zu  gefährlich1).  Aber  sollte  man  nun  stillstehen? 
Einen  stichhaltigen  Grund  vermochte  der  Herzog  doch  nicht  bei- 
zubringen, die  Erfolge  schienen  zu  laut  zu  sprechen.  Wir  dürfen 
uns  dabei  nicht  von  unserer  heutigen  Ansicht  über  Kriegführung 
beirren  lassen.  Damals  erschien  der  Vormarsch  der  Preußen  ja 
als  außerordentlicher  Erfolg.  Stets  hatten  sie  gesiegt2),  und  je 
mehr  man  über  die  leichtsinnigen  Versprechungen  der  Emigranten 
sich  aufregte,  um  so  mehr  freute  man  sich  über  die  ans  Wunder- 
bare grenzende  Überlegenheit  der  verbündeten  Heere3).  Es 
schien  kaum  eine  besondere  Leistung  zu  sein,  die  ungeordneten 
Massen  der  Ohnehosen  zu  schlagen4).  Noch  vor  Mitte  Oktober 
dachte  man  im  preußischen  Hauptquartier  schon  in  Paris  zu  sein5), 
Breteuils  Anhang  sogar  schon  zwischen  dem  22.  und  24.  Sep- 
tember6). Lucchesini  Heß  sich  bereits  seine  Briefschaften  nach 
Paris  schicken  und  versprach,  den  zu  Hause  gebliebenen  Damen 
etwas  mitzubringen,  natürlich  ein  Kleid7).  Doch  wurde  auf 
seinen  Rat  der  Vorschlag  Breteuils,  die  fremden  Gesandten  zur 
Armee  zuzulassen,  wenn  die  Heere  auf  15  Meilen  an  Paris  heran- 
gekommen seien,  wie  die  Vertreter  von  Österreich,  Neapel,  Ruß- 
land, Schweden  und  wohl  bald  auch  Spanien  es  beantragt  hatten, 
abgelehnt,  da  man  die  Herren  doch  nicht  verpflegen  könne; 
Breteuil  wisse  das  aus  eigener  Erfahrung.  Man  wollte  wohl  nicht 
zu  viel  fremde  Gäste  haben,  die  einem  hineinredeten8). 

War  der  Marsch  auch  langsamer  gegangen,  als  manche  Heiß- 
sporne angenommen  und  gewünscht  hatten,  so  hatte  er  sich  doch 
in  dem  althergebrachten  Gleis  bewegt9).  Man  braucht  gar  nicht 
anzunehmen,  daß  der  Herzog  absichtlich  die  Ausführung  des  ihm 
widerwärtigen  Planes  verzögert  hat10),  ebensowenig  wie  etwa  die 

1)  Häußer  I  371 — 373;  Krieg  gegen  die  Revolution  II  136  und 
146 — 148;  Mitteilungen  des  Kriegsarchivs.     Neue  Folge  VII  108. 

2)  Die  zahlreichen  kleinen  Gefechte  lasse  ich  natürlich  weg.  Ch.J.P. 
163  ff. ;  Politisches  Journal  1792,   S.   974  ff. 

3)  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  3.,  7.,  22.  August, 
3.  September;  Heigel  II  25. 

4)  Lucchesini  an  seine  Frau  7.  September. 

5)  Lucchesini  an  seine  Frau  11.  September;  Deutsche  Revue  1883 
I  305;  Fersen  II  372;  Ch.V.  1—2  und  258. 

6)  Daudet  I  208. 

7)  Lucchesini  an  seine  Frau  7.  und  11.  September. 

8)  Rep.  XI  89  g1,  L.  Au  Roi  12.  September. 

9)  Delbrück,  Historische  und  politische  Aufsätze  (Berlin  1887) 
238;  Fersen  II  358. 

10)  Häußer  I  367. 


296  in.  Abschnitt 

Tanz-  und  Paradelust  des  Königs  schuld  an  der  Verzögerung 
war1).  Noch  gab  es  kein  revolutionäres  Feuer  in  der  Krieg- 
führung. Der  Weg  also  war  frei  nach  Paris.  Schon  überlegten 
die  Mitglieder  des  Conseil  executif2),  trotz  all  der  in  fieberhafter 
Eile  dekretierten,  meist  aber  nicht  ausgeführten  Maßnahmen  zur 
Verteidigung,  wohin  sie  sich  mit  dem  König  und  dem  Schatz 
begeben  sollten,  da  sie  in  etwa  14  Tagen  den  Herzog  in  Paris 
glaubten.  Dieser  kleinmütige  Plan  scheint  nur  an  Dantons 
Widerspruch  gescheitert  zu  sein,  der  ja  überhaupt  als  der 
eigentliche  Leiter  des  Conseil  executif  in  dieser  Zeit  gelten 
muß,  der  sich  auch  nicht  scheute,  die  Septembermorde  zu  ent- 
schuldigen, die  zu  organisieren  ihm  nicht  eingefallen  war,  die  zu 
verhindern  in  seinem  Willen,  nicht  aber  in  seiner  Macht  gelegen 
hatte3). 

Nun  hielt  zwar  der  Herzog  von  Braunschweig  selbst,  ebenso 
wie  Hohenlohe,  den  Marsch  auf  Paris  für  zu  gefährlich,  da  man 
zu  schwach  dazu  sei  und  sich  der  Maasfestungen  noch  nicht  be- 
mächtigt habe.  Er  meinte  sogar,  wenn  man  auch  in  Paris  sei, 
könne  die  Frage  durchaus  noch  nicht  als  erledigt  gelten;  die 
Revolution  habe  zu  tiefe  Wurzeln  in  Frankreich  geschlagen, 
um  sich  in  so  kurzer  Zeit  ausrotten  zu  lassen4).  Er  wollte 
also  hier  stehen  bleiben,  sich  Winterquartiere  sichern  und  von 
dieser  neuen  Basis  aus,  wenn  nötig,  im  nächsten  Jahre  weiter 
vorrücken5).  So  sprach  er  sich  am  1.  September  nachmittags 
in  einem  ergebnislosen,  fünf  Stunden  währenden  Kriegsrate  im 
Lager  auf  der  Höhe  von  St.  Michel,  nordöstlich  von  Verdun, 
aus6).    Es  war  ein  Plan,  wie  ihn  ähnlich  Napoleon  auch  einmal 


x)  Sybel  II  289. 

2)  Ch.R.  11— 14  und  25— 37;  Lescure  II  619;  Peltier,  dernier 
tableau  de  Paris.   Ap.  zu  Nr.  V,  S.  XX;  Politisches  Journal  1792,  S.  1020. 

3)  Le  General  Comte  de  Segur,  Histoire  et  memoires  (Paris  1872) 
I  11 — 12;  Vaissiere  543,  549,  551 ;  Journal  d'une  bourgeoise  267  bis 
271  und  278 — 284;  Antonin  Dubost  in  La  revolution  francaise. 
Revue  historique  publ.  p.  Auguste  Dide  VII  (Paris  1884)  205  ff.,  355  ff., 
386  ff.,  511  ff.;  F.  Aulard  in  La  revolution  francaise  24  (Paris  1893), 
S.  485  ff.  und  25  (Paris  1893)  S.  10  und  19  ff. 

*)  Ssolowjoff  297—298;  M  a  r  t  e  n  s ,  Traites-Russie  VI  159; 
S  o  r  e  1  III  40.  Es  ist  die  gleiche  Anschauung,  wie  sie  Kaunitz  vertrat. 
V  i  v  e  n  o  t  II  547. 

5)  Nach  dem  Scheitern  des  Feldzuges  wurde  diese  Ansicht  vielfach 
für  die  richtige  erklärt.    Vgl.  z.  B.  Carisien  100  und  112. 

6)  FeuilletVT  344;  Lettres  sur  Dumouriez  63 — 64;  Massen- 
b  a  c  h  I  42—44  und  47-^8;  S  y  b  e  1  II  300. 


Von  Koblenz  bis  Valmy  297 

im  Jahre  1812  gehabt  hat,  an  der  Düna  stehen  zu  bleiben.  Beide 
Male  kam  diese  vorsichtige  Maßregel  nicht  zur  Ausführung. 
Man  erkennt  gerade  hieraus,  wie  schwer  es  ist,  einer  im  Zuge 
befindlichen  Bewegung  halt  zu  gebieten1).  Sie  reißt  ihren  Ur- 
heber mit  sich  fort  zu  Unternehmungen,  die  er  selbst  zuerst  nicht 
so  beabsichtigt,  sich  wohl  überhaupt  noch  nicht  klar  gemacht 
hat.  Der  König  ließ  sich  durch  solche  Bedenken  des  Herzogs 
von  seinem  Plane  nicht  abbringen,  ja  es  scheint  mir  sehr  zweifel- 
haft zu  sein,  ob  der  Herzog  in  seiner  Gegenwart  die  Bedenken 
gegen  ein  weiteres  Vorgehen  deutlich  zum  Ausdruck  gebracht 
hat2).  Die  französische  Armee  getraute  sich  auch  der  Herzog 
schon  aus  ihrer  Stellung  herauszumanövrieren  —  hierbei  verlor 
er  ja  am  wenigsten  Soldaten  —  der  König  aber  und  die  Berliner 
Minister,  sie  zu  schlagen3).  Sollte  man  sich  durch  die  unerwartet 
feindliche  Stimmung  der  Einwohner  und  durch  den  verwünschten 
Regen,  der  schon  am  30.  Juli  begonnen  hatte4),  aber  seit  dem 
Einmarsch  in  Frankreich  fast  unaufhörlich  niedergingt),  darin 
hindern  lassen?  Das  erste  schien  militärisch  nicht  so  viel  zu 
schaden  und  vor  allem  nicht  nachhaltig  genug  zu  sein,  um  gegen- 
über der  Anwendung  von  Gewalt  das  Eigentum,  geschweige  denn 
das  Leben  dem  Vaterlande  zu  opfern;  das  zweite  traf  den  Feind 
scheinbar  in  gleicher  Weise6).  Die  Not  Ludwigs  XVI.  schien  mit 
jedem  Tage,  den  man  nicht  vorwärts  marschierte,  nur  größer  zu 
werden.  Gerade  jetzt  liefen  die  ersten  Nachrichten  von  den 
Pariser  Septembermorden  in  Verdun  ein7).  Breteuil  drängte  da- 
her auf  weiteren  Vormarsch8),  und  während  die  Minister  glaubten, 
das  Königspaar  sei  nur  noch  durch  eine  wunderbare  Fügung  der 


M  Ch.V.  81. 

2)  Sor  el  III  41—42;  Lettres  sur  Dumouriez  63—64;  Ch.V.  82  u.  84. 

3)  Hei  gel  II  27—28;  Häußer  I  373;  Deutsche  Revue  1883 
I  301. 

4)  ibid.  I  243—244;  S  o  r  e  1  III  39. 

5)  Heigel  II  24.  Die  Originale  zweier  Militärkonventionen 
zwischen  Preußen  und  Österreich  einerseits,  Mainz  und  Trier  anderseits 
brauchten  in  Berlin  noch  viele  Stunden  um  zu  trocknen  (Finckenstein 
und  Alvensleben  an  Schulenburg  10.  September.  Görcke  an  Schulenburg 
13.  September). 

6)  Deutsche  Revue  1883  I  300,  304,  314—315.  Man  vergaß  dabei 
jedoch,  daß  die  Preußen  stets  biwakieren  mußten,  während  die  Franzosen 
vielfach  in    Quartieren  lagen.     Ch.V.   125 — 126. 

7)  H  e  i  g  e  1  II  24—27;  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  344—345. 

8)  H  e  i  g  e  1  II  30;  D  a  u  d  e  t  I  208. 


298  III.  Abschnitt 

göttlichen  Vorsehung  zu  retten1),  wurde  die  steigende  Not  für 
Friedrich  Wilhelm  ein  neuer  Sporn,  vorwärts  zu  eilen2). 

So  ließ  sich  denn  der  Herzog  von  Braunschweig  noch  einmal 
gewinnen3).  Am  6.  September  ging  an  Hohenlohe  und  die  Hessen4) 
der  Befehl  ab  —  sein  Ton  ist  schon  kategorischer  geworden  als 
früher  —  die  Belagerung  von  Diedenhofen  einstweilen,  nicht  für 
immer,  aufzuheben  und  möglichst  rasch  und  stark  heranzu- 
kommen, um  an  der  Offensive  teilzunehmen5).  Auch  die  Emi- 
granten, wenigstens  die  brauchbare  Kavallerie,  sollten  jetzt  nicht 
mehr  bloß  der  Armee  folgen,  sondern  kämpfen6).  Als  der  nötige 
Brotvorrat  fertig  gebacken  war  und  als  Österreicher  und  Hessen 
nahe  genug  herangerückt  waren,  um  eine  gemeinsame  Operation 
zu  ermöglichen,  da  rückte  der  Herzog  am  11.  September  früh 
um  vier  Uhr  aus  dem  Lager  bei  Verdun  ab7).  Betrachten  wir 
kurz  vor  dem  Septemberfeldzug  die  Stellung  der  Mächte  und 
ihre  Absichten,  wie  sie  sich  unter  dem  Einfluß  der  militärischen 
Vorgänge  gestaltet  hatten. 

II. 

Diplomatische  und  militärische  Maßregeln,  Manifest  und  In- 
vasion, hatten,  so  sahen  wir,  zusammenwirken  sollen,  um  die 
königstreue  Partei  in  Frankreich  aufzurufen  zum  Kampf  gegen 
die  Schreckensherrschaft  der  Jakobiner.  Diese  Hoffnung  mußte 
nach  den  Erfahrungen  des  ersten  Kriegsmonats  als  gescheitert 


1)  Schulenburg   an   Finckenstein  und   Alvensleben  26.  August. 

2)  Die  Erzählung  von  Louis  Ferdinand  scheint  mindestens  durch 
die  späteren  Ereignisse  beeinflußt  worden  zu  sein.  Wo  sich  stichhaltige 
Gründe  finden,  lasse  ich  derartige  Spukgeschichten  beiseite  ( G.  H.  P  e  r  t  z, 
Das  Leben  des  Ministers  Freiherrn  vom  Stein.  Bd.  I  [Berlin  1849]  S.  97). 

3)  H.E.B.  299;  H  ä  u  ß  e  r  I  373;  S  y  b  e  1  II  300—302;  H  e  i  g  e  1  II 
30;MassenbachI  50—51  und  97 ;  Lettres  sur  Dumouriez  67 ;  C  a  r  i- 
s  i  e  n  (129)  verwechselt  die  Ansichten  des  Herzogs   und  Schulenburgs. 

4)  Zeitschrift  des  Vereins  für  hessische  Geschichte  und  Landeskunde. 
Neue  Folge.    20.  Bd.    Kassel  1895.    S.  212. 

6)  Vivenot  II  557;  Krieg  gegen  die  Revolution  II  148;  Ch.V. 
91—93;  Z  e  i  ß  b  e  r  g,  Karl-Hohenlohe  29—34;  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  347—348; 
Politisches  Journal  1792,  S.  1029—1030. 

6)  F  e  r  s  e  n  II  372;  Krieg  gegen  die  Revolution  II  148—149;  R.  B. 
des  Portes,  Armee  de  Conde  31. 

7)  Häußerl  375;  Fersenil  364;  Ch.V  76  und  105;  Deutsche 
Revue  1883  I  251.  Lucchesini  an  seine  Frau  11.  September.  Schulenburg 
an  Finckenstein  und  Alvensleben  7.  September.  Lettres  sur  Dumouriez 
77—80. 


Von  Koblenz  bis  Valmy  299 

gelten.  Das  Manifest  hatte  keine  Wirkung  ausgeübt,  der  Schrecken 
mußte  erst  zur  Tat  werden.  Aber  gerade  daran  fehlte  es  bei  dem 
langsamen  Vorrücken  der  Armee  und  bei  der  Langsamkeit,  mit 
der  sich  die  Nachrichten  davon  verbreiteten  (von  Paris  hier  ab- 
gesehen)1). Die  Emigranten  waren  schon  nicht  an  die  Spitze  ge- 
stellt, sondern  folgten  bisher  immer  dem  preußischen  Hauptkorps 
in  drei  bis  vier  Tagemärschen2);  aber  wohin  sie  auch  kommen 
mochten,  überall  war  ihnen  Verachtung  und  bitterster  Haß  sicher. 
Nicht  eine  Partei,  sondern  das  ganze  Volk  hatte  man  zu  bekämpfen. 
Wenn  man  nun  auch  die  Hoffnung  aufgegeben  hatte,  einen  Teil 
des  Volkes  gütlich  für  sich  zu  gewinnen,  so  hielt  man  doch  an  der 
•anderen  fest,  sich  durch  die  Verbreitung  von  Schrecken  den 
Kampf  zu  erleichtern3).  Aber  die  Drohung  blieb  auf  dem  Papier, 
da  man  gar  nicht  die  Möglichkeit  besaß4),  sie  durchzuführen. 
Zwar  erhoben  hinter  den  Heeren  der  Verbündeten  die  Royalisten 
wieder  ihr  Haupt ;  aber  es  kam  nur  zu  pompösen  Proklamationen 
und  Deklarationen,  es  fehlte  ihnen  die  rechte  Kraft.  Die  meisten 
Unterzeichner  machten  nur  gezwungen  mit,  da  sie  die  Wieder- 
herstellung des  ancien  regime  fürchteten5),  und  hierin  waren  die 
Emigranten  mit  Breteuil  zunächst  einig,  allerdings  von  den 
Mächten  nur  schwach  unterstützt.  Nicht  nur  die  neuerworbenen 
kostbaren  politischen  Rechte  sollten  den  Anhängern  der  Revo- 
lution genommen  werden,  nicht  nur  zahlreiche  Exekutionen 
standen  vor  der  Tür  oder  wurden  schon  ausgeführt,  nein,  auch 
eine  Umwälzung  aller  Besitzverhältnisse,  wenn  die  Revolution 
unterlag.  Mit  dem  bittersten  Haß  trat  man  diesen  Eindringlingen 
entgegen6).  Man  schoß  aus  dem  Versteck  auf  sie7).  Manche 
Dörfer  waren  zeitweise  so  vereinsamt  (die  Bevölkerung  hatte  sich 
in  die  Wälder  zurückgezogen),  daß  niemand  da  war,  der  dem 
preußischen  Feldjäger   den   Weg  hätte  zeigen   können8).      Die 

*)  Fersen  II  32  und  357—358. 

2)  Montrol  110—113. 

3)  Rep.  XI  89  i  S.  Au  Roi  31.  August. 

4)  Rep.  XI  89  k,  S.  Aux  membres  de  la  communaute,  au  maire  et 
au  maitre  de  poste  ä  Longuyon.     Ohne  Datum. 

6)Häußer  I  370;  Heigel  II  26—27;  Ch.J.P.  286—287; 
F  e  r  s  e  n  II  355;  M.  T  e  r  n  a  u  x  IV  519—524;  Politisches  Journal  1792, 
S.  974  ff. 

6)  Ch.J.P.  161—163;  Heigel  II  24;  Fersen  II  355— 356;  Deutsche 
Revue  1883  I  293—297. 

7)  Sorel  III  39—40. 

8)  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  21.  August. 
Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  27.   August.      Deutsche 


300  III.  Abschnitt 

deutschen  Soldaten  ließen  sich,  dadurch  noch  gereizt,  was  bei 
dem  Mangel  an  Lebensmitteln  nicht  erst  nötig  war,  trotz  der 
strengsten  Verbote  und  Strafen  doch  Gewalttätigkeiten  zu 
schulden  kommen,  ohne  Rücksicht  darauf,  welcher  Parteirichtung 
der  Betroffene  gerade  angehörte1). 

Dazu  nun  der  Haß  gegen  den  Landesfeind.  Mochten  die  Mächte 
noch  so  oft  erklärt  haben,  sie  kämen  ohne  eigennützige  Absichten 
—  so  weit  dachte  der  einfache  Mann  gar  nicht.  Er  sah  die  Tat- 
sache, daß  sein  Vaterland  in  Gefahr  war,  und  suchte  dem  zu 
steuern.  Beispiele  wie  das  des  Obersten  Legrand  in  Longwy, 
der  sich  nach  der  Kapitulation  ertränkte,  das  des  Oberst- 
leutnants Beaurepaire  in  Verdun,  der  sich  vor  ihr  erschoß,  und 
eines  Jägers  zu  Pferde,  der  sich  in  die  Maas  stürzte,  um  dem 
Kriegsgericht  zu  entgehen,  machten  berechtigtes  Aufsehen  und 
halfen  das  Ansehen  der  französischen  Truppen  bei  ihren  Gegnern 
heben2).  Auch  die  Versuche,  die  französischen  Truppen  zum 
Übertritt  zu  veranlassen,  waren  jedesmal  sofort  abgelehnt  worden 
oder  hatten  überhaupt  keine  Antwort  gefunden.  Deserteure 
blieben  so  gut  wie  ganz  aus,  wohl  aber  verloren  die  Österreicher 
in  den  Niederlanden  zahlreiche  Mannschaften  durch  Desertion3). 

Demnach  hatten  sich  die  Prophezeiungen  der  Emigranten  als 
völlig  irreführend  erwiesen4).  Nur  die  starke  Erbitterung  des 
Herzogs  macht  es  erklärlich,  daß  er  seine  gewohnte  Zurück- 
haltung vergaß  und  ihnen  eine  gehörige  Standrede  über  ihre 
leichtfertigen  Versprechungen  hielt5).  Ihre  militärische  Unfähig- 
keit trug  noch  dazu  bei,  sie  in  den  Augen  ihres  besonderen  Be- 
schützers Friedrich  Wilhelm  herabzusetzen.  Er  war  es  ja  ge- 
wesen, der  ihre  Teilnahme  am  Kriege  gegen  den  Widerstand 
Österreichs  und  des  Herzogs  von  Braunschweig  überhaupt  erst 
möglich  gemacht  hatte.  Dafür  machten  sie  ihm  wohl  auch  einen 
Parademarsch  vor6)  und  ließen  ihn  begeistert  hochleben  oder 
lobten  ihn  bis  in  den  Himmel;  aber  zu  eigener  Tätigkeit  waren 


Revue  1883  I  247,  293—296,  300,  302,  316.  Vgl.  über  ein  ähnliches,  be- 
sonders schwerwiegendes  Vorkommnis  bei  den  Emigranten  am  24.  Sep- 
tember Ch.R.  222—223. 

1)  Politisches  Journal    1792,    S.    956—957;    Hüffer  im    Goethe- 
Jahrbuch  IV,  S.  83. 

2)  Ch.J.P.  186,  244—249  und  254;  H  e  i  g  e  1  II  25—28. 

3)  Fersen  II  32. 

4)  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  3.  September. 

5)  Häußer  I  370;  Ch.V.  81—83. 

6)  Ch.J.P.  283;  Zeißberg,  Karl-Hohenlohe  8;  D  a  u  d  e  t  I  201. 


Von  Koblenz  bis  Valmy  301 

sie  doch  fast  alle  unbrauchbar.  Vor  allem  fehlte  es  ihnen  am 
Nötigsten.  Sie  hatten  anfangs  mit  dem  Geld  nur  so  geworfen. 
Bald  stellte  sich  natürlich  mit  dem  Versiegen  ihrer  Einnahme- 
quellen —  die  Revolution  ging  nicht  so  rasch  an  eigener  Unmög- 
lichkeit zu  Ende,  wie  sie  gedacht  hatten  —  drückende  Not  ein. 
Aber  wirtschaften  lernten  sie  trotzdem  nicht,  Calonne,  der  Mann 
für  alles,  am  wenigsten.  So  dauerte  es  gar  nicht  lange,  da  kamen 
sie  mit  neuen  Geldforderungen  zu  Friedrich  Wilhelm.  Dieser 
fügte  sich  zwar  dem  Zwang  der  Lage  trotz  des  Abredens  von 
Schulenburg,  der  sich  mehr  und  mehr  auf  den  österreichischen 
Standpunkt  stellte.  Denn  das  war  es.  Er  wollte  nicht  eine  Mög- 
lichkeit aus  der  Hand  geben,  mit  der  er  so  lange  gerechnet  hatte, 
und  ließ  deshalb  nolens  volens  noch  ein  paar  hunderttausend 
Taler  springen.  Dazu  kam  seine  persönliche  Gutmütigkeit  und 
die  Möglichkeit,  ihn  im  Gespräch  leicht  zu  bestimmen.  Aber  er 
wurde  nun  doch  kühler  und  legte  sich  auch  nicht  mehr  so  für 
sie  ins  Zeug,  als  sie  den  lange  gehegten  Plan,  Monsieur  zum 
Regenten  zu  erklären,  ins  Werk  setzen  wollten. 

Gleich  nach  dem  Bekanntwerden  der  Ereignisse  des  10.  August1), 
am  16.2),  war  erneut  davon  die  Rede  gewesen3).  Calonne  hatte 
jetzt  die  Anregung  gegeben;  Moustier,  Castries,  Lambert  be- 
mühten sich  darum4),  Nassau  hatte  beim  König  den  Vorschlag 
aufs  Tapet  gebracht,  Monsieur  selbst  diesen  davon  unterhalten5). 
Der  König  hatte  im  Lager  von  Montfort  noch  unter  dem  Ein- 
flüsse von  Bischoffwerder  zugestimmt  und  sogar  den  Fürsten 
Reuß  zu  gewinnen  gesucht.  Auch  der  Herzog  von  Braunschweig 
hatte  sich  darein  gefügt,  als  Nassau  ihm  militärische  Vorteile 
versprach.  Monsieur  sollte  den  Titel  annehmen,  sowie  die  Nach- 
richt von  Ludwigs  Gefangennahme  bestätigt  sei,  und  das  dann 
einfach  den  Österreichern  anzeigen.  Aber  jene  Nachricht  traf 
nicht  so  bald  ein,  als  man  erwartet  hatte.  Dazu  stellten  der 
Herzog  von  Braunschweig  bezw.  der  König  noch  zwei  recht  be- 


x)  Die  Nachrichten  über  die  Pariser  Ereignisse  dieses  Tages  hatten 
überall  den  tiefsten  Eindruck  gemacht.  Mercy  dachte  sofort  wieder  an 
einen  Versuch  mit  den  Konstitutionellen,  aber  Fersen  und  Breteuil 
widersprachen  sofort.  Nur  wenn  die  Generale  zu  den  Mächten  übergingen, 
ihre  Armeen  auflösten  und  die  Festungen  auslieferten,  gewinne  man 
wirklich  etwas  (Fersen  II  29). 

2)  Deutsche  Revue  1883,  Bd.  I,  S.  240. 

3)  Feuillet  VI  330—331  und  338—339;  Ranke  293—294. 

4)  Fersen  II  30. 

5)  Daudet  I  203. 


302  III-  Abschnitt 

denkliche  Bedingungen.  Ludwig  müsse  dem  Plane  vorher  zu- 
gestimmt haben,  und  der  Rat  der  Prinzen  solle  reorganisiert 
werden,  Breteuil  an  Calonnes  Stelle  treten.  Der  König  fiel  also 
im  Feldzuge  nicht  so  ganz  zu  Gunsten  der  Prinzen  um,  sondern 
suchte  ihnen  seine  Richtung  aufzuzwingen1).  Immerhin,  die 
Emigranten  fügten  sich.  Sie  schienen  schon  gewonnen  zu  haben 
und  nahmen  dem  verhaßten  Breteuil  gegenüber  einen  ganz 
anderen  Ton  als  bisher  an.  Nach  ihrem  Plane2)  sollte  der  Graf 
von  Provence  den  Titel  Generalstatthalter  des  Königreiches 
(Lieutenant  General)  annehmen  nach  dem  Beispiel  des  Herzogs 
Karl  von  der  Normandie,  als  dessen  Vater  Johann  gefangen 
wurde3).  Der  Herzog  von  Braunschweig  sollte  ihn  im  Namen 
von  Österreich  und  Preußen  in  dieser  Würde  anerkennen.  Ge- 
heim wollte  Monsieur  dann  erklären,  ohne  die  Zustimmung  der 
Mächte  nichts  tun  zu  wollen.  Sein  Staatsrat  sollte  aus  Personen 
zusammengesetzt  sein,  die  ihnen  und  vermutlich  auch  Ludwig 
angenehm  seien,  die  Umgebung  und  die  Armee  nach  einem  Fried- 
rich Wilhelm  vorgelegten  Plan  umgestaltet  werden.  Der  Regent 
wollte  sich  etwas  von  der  Armee  entfernt  halten.  Artois  endlich 
sollte  das  Kommando  über  die  Emigranten  und  die  noch  über- 
tretenden Truppenteile  erhalten. 

Aber  die  Gegner  der  Emigranten  waren  auf  der  Hut.  Die  Ver- 
treter Breteuils  und  Österreichs,  Caraman  und  Reuß,  hatten  hier 
das  gleiche  Interesse  an  der  Verhinderung.  Caraman  hatte  auf 
die  Bitte  Breteuils  von  Friedrich  Wilhelm  die  Erlaubnis  erhalten, 
in  preußischer  Majorsuniform  —  auch  der  Rang  wurde  ihm  zu- 
gebilligt —  der  Armee  zu  folgen,  um  seine  geheime  Mission  bei 
Friedrich  Wilhelm  und  dem  Herzog  den  Augen  unbefugter,  neu- 
gieriger Zuschauer  besser  zu  verbergen4).  Caraman  fürchtete  für 
Ludwigs  Leben  und  beanspruchte  die  Zuziehung  Breteuils.   Reuß 


*)  Feuillet  VI  330—331,  339;  Fersen  II  30—31. 

2)  In  Rep.  XI  89  g  und  in  Rep.  XI 91  varia.  Ohne  Bezeichnung  und 
Datum. 

3)  Bei  A.  Co  ville,  les  premiers  Valois  et  la  guerre  de  cent  ans  (in 
L  a  v  i  s  s  e,  Histoire  de  France  depuis  les  origines  jusqu'  ä  la  revolution  IV  1, 
Paris  1902)  S.  102  und  110  ist  angegeben:  lieutenant  du  roi.  Ich  kann 
darin  einen  Unterschied  aber  nicht  entdecken. 

4)  F  1  a,m  mermont29;  Rep.  XI  91  varia.  Breteuil  an  Schulen- 
burg 4.  Juli.  Schulenburg  an  Breteuil  16.  Juli.  Dazu  Finckenstein  und 
Alvensleben  an  Schulenburg  12.  August.  Schulenburg  an  Finckenstein 
und  Alvensleben  18.  August.  Fersen  II  23  und  336.  Auf  die  Dauer 
hatte  das  keinen  Erfolg:  Daudet  I  190. 


Von  Koblenz  bis  Valmy  303 

wirkte  natürlich  gegen  eine  Wiederherstellung  des  alten  Zustandes. 
Er  verlangte,  daß  vor  der  Entscheidung  sein  Hof  gehört  werde. 
Schulenburg  hörte  erst  durch  ihn  und  Caraman  davon,  kam 
ihnen  dann  sofort  zu  Hilfe1)  und  sprach  sich  in  schärfster  Form 
gegen  den  Plan  aus.  Er  berief  sich  dafür  noch  besonders  auf 
Vorstellungen  von  Metternich,  den  Breteuil  aufgestachelt  hatte, 
durch  Reuß  und  von  Breteuil  durch  Caraman2).  Der  König  ließ 
sich  dadurch  zu  einer  Vertagung  der  Entscheidung  bestimmen, 
bis  Österreich  sich  ausgesprochen  habe3).  Dem  Herzog  von 
Braunschweig  schien  der  Fall  von  Longwy  zu  beweisen,  daß  man 
die  Emigranten  gar  nicht  brauche,  um  des  Erfolges  sicher  zu 
sein4).  Damit  hatten  die  Emigranten  verloren.  Sie  kamen  immer 
nur  mit  neuen  Geldforderungen,  ohne  etwas  dafür  zu  leisten. 
Das  wurde  auch  dem  Könige  zu  viel.  Er  überließ  jetzt  zur  Freude 
von  Reuß5)  die  Entscheidung  einer  Konferenz  der  Staatsmänner 
und  hatte  selbst,  auch  durch  Nassau  und  Caraman,  Breteuil  dazu 
herbeigerufen6). 

Die  Konferenz  konnte  nach  ihrer  Zusammensetzung  nur  gegen 
den  Antrag  entscheiden.  Zu  Verdun  im  Hause  Schulenburgs, 
der  damit  die  Geschäfte  an  Lucchesini  abgab,  fand  sie  am  8. 
abends  statt.  Außer  den  beiden  Preußen  nahmen  daran  noch 
teil  Reuß,  Breteuil,  Nassau  und  als  Vertreter  der  Prinzen  Moustier, 


1 )  Fersen  II  30;  V  i  v  e  n  o  t  II  525  und  533. 

2)  Rep.  XI  89  i,  S.  Au  Roi  23.  August;  F  e  r  s  e  n  II  31.  Schulenburg 
an  Finckenstein  und  Alvensleben  27.  August.  Zeißberg,  Karl-Hohen- 
lohe  23—24. 

3)  Feuillet  VI  331  und  339;  Fersen  II  354. 

4)  Fersen  II  353. 

5)  V  i  v  e  n  o  t  II  555. 

6)  Doch  ist  es  wohl  zu  viel  behauptet,  daß  er  sich  auf  Nassaus  Auf- 
forderung in  Bewegung  gesetzt  habe.  Feuillet  VI  331;  Fersen  II 
30 — 31  und  352.  Breteuil  hatte  schon  lange  ebenso  wie  Fersen  die  Absicht, 
auf  kurze  Zeit  einmal  ins  preußische  Hauptquartier  zu  gehen;  beide 
wollten  den  König  für  ihre  Sache  beeinflussen  (Fersen  II  30 — 31,  341 
bis  342,  376).  Am  28.  verließ  Breteuil  Brüssel,  passierte  am  4.  September 
Luxemburg  und.  traf  am  6.  in  Verdun  ein  (H  ü  f  f  e  r,  Zwei  neue  Quellen  11 ; 
Raigecourt-Bombelles  363).  Schon  am  7.  April  verwies 
Friedrich  Wilhelm  Lucchesini  an  ihn  als  den  wahren  Vertreter  des  fran- 
zösischen Königspaares  (Fersen  II  34  und  368;  Rep.  XI  89h. 
Schulenburg  an  Reck  28.  und  31.  August.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß 
Nr.  12:  Friedrich  Wilhelm  an  Lucchesini  27.  August  und  7.  September). 
Auch  Limon  wäre  herzlich  gern  ins  Hauptquartier  gekommen,  aber  zu 
seinem  großen  Leidwesen  berief  ihn  niemand  zur  Vermittlung  zwischen 
den  Prinzen  und  Breteuil. 


804  HI.  Abschnitt 

vielleicht  auch  noch  Lambert  und  der  Abbe  Marie1).  Lucchesini, 
der  als  Protokollführer  fungierte,  hatte  sich  schon  am  7.  gegen 
den  letztgenannten  in  dem  Sinne  ausgesprochen,  daß  man  in 
vier  Wochen  Klarheit  haben  müsse  und  daß  mit  dem  Aufschub 
nichts  verloren  sei2).  Er  holte  sich  hier  während  der  Kampagne 
die  ersten  Blätter  zu  dem  Lorbeerkranze,  den  man  vergeblich 
daraus  zu  winden  sich  bemühen  würde3).  Moustier  hatte  wahr- 
scheinlich schriftlich  schon  vor  einiger  Zeit  einen  Plan  der  Emi- 
granten, der  die  Wünsche  der  Prinzen  kurz  aufzählte4),  vorgelegt5). 
Wenn  er  jetzt  zur  Ausführung  gekommen  wäre,  so  hätten  die 
Mächte  noch  ganz  zufrieden  sein  können.  Aber  Schulenburg 
kannte  seine  Leute.  Er  gab  auf  ihre  Versprechungen  nichts, 
zumal  wenn  sie  noch  geheim  bleiben  sollten.  Reuß  und  Breteuil, 
natürlich  auch  Lucchesini,  unterstützten  ihn,  und  Nassau,  der 
den  russischen  Standpunkt  dargelegt  hatte,  demzufolge  Monsieur 
bereits  rechtmäßig  Regent  sei,  schwieg  nach  der  Erklärung 
Breteuils  sehr  zum  Ärger  Katharinas  still.  Was  Schulenburg 
aber  vor  allem  zur  Ablehnung  des  Planes  bestimmte,  war,  daß 
er  sich  keinen  Nutzen  von  diesem  neuen  Schritte  versprach,  eher 
noch  Schaden  für  die  Aktion,  für  Frankreich,  für  den  Grafen 
von  Provence,  für  Österreich  und  Preußen6).    Denn  der  Gedanke 

1 )  Ranke  225—227 ;  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  342—343.  In  dem  Protokoll, 
dem  ich  in  der  Hauptsache  folge,  sind  Lambert  und  Marie  nicht  genannt. 
Rep.  XI  89  g1  und  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  20. 

2)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  20. 

3)  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  10.  September. 

4)  Er  scheint  nur  in  Äußerlichkeiten  abgeändert  worden  zu  sein 
(Ch.J.P.  291 — 292).  Nicht  Generalstatthalter,  sondern  Regent  wollte 
Monsieur  werden,  da  dieser  Titel  allein  ihm  die  volle  königliche  Macht 
verleihe.  Nicht  auf  Karl  von  der  Normandie,  sondern  auf  Maria  von 
Medici  und  Anna  von  Österreich  bezog  er  sich,  also  auf  Regentschafts- 
perioden während  der  Minderjährigkeit  von  Ludwig  XIII.  und  XIV. 
Mariejol,  Henri  IV.  et  Louis  XIII.  (in  E.  L  a  v  i  s  s  e ,  Histoire  de 
France  depuis  les  origines  jusqu'ä  la  revolution  VI  2.  Paris  1905), 
S.  143  und  E.  Lavisse,  Louis  XIV.  La  Fronde,  Le  Roi.  Colbert 
(ibid.  VII 1.  Paris  1906),  S.  1 — 3.  Die  Prinzen  selbst  zogen  noch  andere 
Beispiele  heran  (Moniteur  vom  23.  Oktober  1792). 

6)  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  10.  September. 
Daß  der  Plan  jetzt  noch  einmal  verlesen  worden  sei,  ist  wohl  nicht  an- 
zunehmen (FeuilletVI  343,  wo  das  auch  nicht  steht).  Wir  dürfen 
den  Plan  als  bekannt  voraussetzen,  so  wie  auch  die  Prinzen  nur  noch  Er- 
gänzungen und  Erläuterungen  in  ihrer  Instruktion  vom  5.  September 
dazu  geben  (Moniteur  vom  23.  Oktober  1792). 

6)  Von  Ludwig  selbst  scheint  nur  ganz  vorübergehend  die  Rede  ge- 
wesen zu  sein,  die  Staatsmänner  nahmen  in  der  Konferenz  kaum  Notiz 


Von  Koblenz  bis  Valmy  305 

an  das  preußische  Interesse  vornehmlich  leitete  ihn.  Mit  einem 
König  und  einem  Regenten  konnte  man  später  doch  nicht  gut 
verhandeln1).  Der  Schritt  gebe  den  Armeen  nicht  mehr  Kraft, 
als  sie  schon  hätten ;  die  Verwaltung  des  Landes  werde  noch  mehr 
verwirrt,  als  sie  es  schon  sei ;  räumlich  und  zeitlich  würden  der  Aus- 
führung enge  Grenzen  gezogen  (man  hoffte  ja  bald  in  Paris  zu 
sein),  der  Graf  ganz  auf  die  Mithilfe  der  Armeen  angewiesen  sein; 
die  Erklärung  werde  Friedrich  Wilhelms  Ärger  nur  noch  ver- 
größern und  Österreich  sei  überhaupt  gegen  den  Plan.  Als  Bre- 
teuil  einen  Mittelweg  vorschlug,  der  Graf  solle  den  Titel  nur  für 
das  bereits  eroberte  Gebiet  annehmen,  da  brachte  Schulenburg 
ihn  ohne  große  Mühe  dazu,  selbst  den  Vorschlag  zurückzuziehen2), 
zumal  Moustier  zu  erklären  hatte,  sein  Herr  wolle  alles  oder 
nichts.  Vorläufig  sollte  Monsieur  nur  nach  Madrid,  Neapel,  Turin 
und  Petersburg  melden,  daß  er  für  den  Fall  einer  Abführung 
Ludwigs  nach  dem  Süden  den  Titel  Regent  annehmen  wolle  und 
die  Mächte  um  ihre  Zustimmung  bitte.  Reuß  und  Lucchesini, 
der  Schulenburg  ein  wertvoller,  ersehnter  Kampfgenosse  gegen 
die  Emigranten  war,  wollten  für  diesen  Fall  die  Befehle  ihrer 
Herrscher  einholen.  Dagegen  sollte  für  jetzt  die  Verwaltung  des 
eroberten  Gebietes  unter  Breteuils  Leitung  geregelt  werden,  der 
aber  immer  die  Meinung  von  Monsieur  einzuholen  haben  und 
völlig  unter  den  Heerführern  stehen  sollte,  wie  Breteuil  selbst 
zur  Freude  Schulenburgs  vorgeschlagen  hatte3).  Für  den  Unter- 
halt der  übergetretenen  französischen  Regimenter  endlich  sollte 
nach  Schulenburgs  Vorschlag  durch  Erhebung  von  Steuern  ge- 
sorgt werden  (man  erkennt  das  preußische  Interesse). 

So  war  also  dieser  große  Schlag  der  Emigranten  an  der  Vorsicht 
der  Mächte  vorläufig  gescheitert4) .  Es  war  der  letzte  Dienst  gewesen, 
den  Schulenburg  dem  Könige  im  Lager  hatte  leisten  können6). 

von  ihm.  Das  persönliche  Mitgefühl  Friedrich  Wilhelms  mit  ihm  doku- 
mentiert sich  damit  wieder  einmal  als  Akzidens  in  der  politischen  Be- 
rechnung. *"  ..   ■    i  ** 

1 )  Ranke  226. 

2)  War  das  etwa  vorher  zwischen  Schulenburg  und  Breteuil  ver- 
einbart worden? 

3)  Heigel  II  29 — 30.  Schulenburg  an  Finc kenstein  und  Alvens- 
leben  10.   September. 

*)  R.B.  des  Portes,  Armee  de  Conde  31. 

5)  Rep.  XI  89  g  Zirkularerlaß  vom  5.  September.  Schulenburg  an 
Finckenstein  und  Alvensleben  7.  September.  Friedrich  Wilhelm  an 
das  Kabinettsministerium  7.  September.  Finckenstein  und  Alvensleben 
Au  Roi  17.  September. 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Eevolution        20 


306  HL  Abschnitt 

Denn  krank1)  und  verärgert  verließ  er  die  Armee2)  und  ging 
zu  seinen  Kollegen  nach  Berlin  zurück ,  um  dort  vornehm- 
lich noch  die  Entschädigungsverhandlungen  zum  Abschluß  zu 
bringen.  Ich  habe  oben  seine  Äußerungen  über  seine  Krank- 
heit zusammengestellt.  An  ihrer  Gefährlichkeit  ist  meines  Er- 
achtens  nicht  zu  zweifeln,  und,  wie  Schulenburg  selbst  sagte, 
ein  nur  halb  dienstfähiger  Mann  war  im  Lager  nicht  zu  brauchen. 
Er  konnte  schließlich  zu  dem  Könige  nicht  mehr  zum  Vortrag 
kommen,  mußte  also  alles  schriftlich  zu  erledigen  suchen  und  bat 
wohl  gleichzeitig  damit  um  die  Erlaubnis  zur  Heimkehr3).  Aber 
damit  will  ich  nicht  in  Abrede  stellen,  daß  die  Geschäfte  durchaus 
nicht  in  seinem  Sinne  vom  Könige  geregelt  wurden4).  Seine  Briefe 
an  Finckenstein  und  Alvensleben  sind  eine  stets  erneute  Klage 
über  den  Mangel  an  Vertrauen,  den  er  von  dem  Könige  erfahren 
müsse,  der  über  seinen  Kopf  hinweg  wichtige  Dinge  entscheide, 
ohne  ihn  auch  nur  davon  in  Kenntnis  zu  setzen,  der  sich  von 
den  Emigranten  nur  allzusehr  bestimmen  lasse.  Dieser  Umstand 
hat  dem  Faß  wohl  den  Boden  ausgeschlagen.  Schulenburg  hatte 
wie  jedermann  dem  Könige  nur  von  einem  raschen  Siegeszuge 
gesprochen,  und  in  diesem  Sinne  auch  früher  einer  Begünstigung 
der  Emigranten  das  Wort  geredet.  Aber  seit  Mainz  kam  er  in 
scharfe  Opposition  zu  seinem  königlichen  Herrn,  der  die  einmal 
eingeschlagene  Bahn  auch  weiter  verfolgte,  selbst  als  er  von  der 
militärischen  Unbrauchbarkeit  der  Emigranten  überzeugt 
war.  Schulenburg  erreichte  mit  seinem  ewigen  Widersprechen 
beim  Könige  auf  die  Dauer  so  gut  wie  gar  nichts  und  schadete 
sich  damit  sehr  bei  ihm.  Zugleich  stellte  sich  heraus,  daß  man 
sich  völlig  über  den  Zustand  Frankreichs  getäuscht  hatte,  und 
das  war  nur  zum  Teil  auf  Rechnung  der  Emigranten  zu  setzen; 
auch  aus  dem  Verhalten  der  französischen  Regierung,  der  National- 
versammlung und  der  Armee  hatte  man  in  Berlin  auf  völlige 
Zerrüttung  des  französischen  Staates  geschlossen5).  Die  Schuld 
an  dieser  Täuschung  schob  Friedrich  Wilhelm  nun  seinem  Minister 
zu,  weniger  seinem  Generaladjutanten  BischofEwerder,  der  jetzt 


1 )  Schon  in  Koblenz  hatte  er  den  Gedanken  geäußert,  zurückzukehren 
(Rep.  XI  89  h.    Reck  an  Schulenburg  27.  August). 

2)  Fersen  II  367;  Ranke  243;  Sybel  II  356. 

3)  Rep.  XI  89  i,  S.  Au  Roi  28.  August;  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß 
37:  Schulenburg  an  Lucchesini  17.  September.  Lucchesini  an  seine  Frau 
5.   September.     K  o  s  e  r  469 — 470. 

4)  Rep.  XI  89  h.     Schulenburg  an  Reck  31.  August. 
6)  Vgl.  oben. 


Von  Koblenz  bis  Valmy  307 

mehr  in  den  Hintergrund  trat,  schon  weil  er  sich  angeblich  von 
den  Emigranten  hatte  bestechen  lassen1).  Grüns tüng  und  Minister 
traten  zu  gleicher  Zeit  von  den  führenden  Posten  zurück,  ohne 
daß  sie  gleiche  Ziele  mit  gleichen  Mitteln  zu  erreichen  gesucht 
hätten.  Denn  ein  gedeihliches  Zusammenarbeiten  war  zwischen 
Friedrich  Wilhelm  und  Schulenburg  nicht  mehr  möglich.  Er 
wartete  nur  noch  die  Ankunft  Lucchesinis  im  Hauptquartier 
ab,  um  die  Armee  zu  verlassen2).  Am  7.  September  wurde  die 
Veränderung  vom  Könige  dem  Kabinettsministerium  bekannt- 
gegeben. 

Gleichwohl  wäre  es  nicht  richtig,  wenn  man  Lucchesini  als 
eigentlichen  Nachfolger  Schulenburgs  betrachten  wollte3).  Er 
blieb  es  ja  de  facto  etwa  ein  Jahr,  aber  das  war  nicht  beabsichtigt. 
Er  sollte  nur  die  Frankreich  betreffenden  Geschäfte  erledigen4), 
dann  Preußen  auf  dem  Kongreß  vertreten  und  die  Stelle  eines 
preußischen  Gesandten  in  Paris  erhalten.  Ins  Kabinettsmini- 
sterium sollte  er  nicht  eintreten.  Hier  wie  so  oft  füllte  er  nur 
eine  Lücke  aus,  die,  wie  er  stolz  an  seine  Frau  schrieb,  seine 
Kollegen  nicht  schließen  konnten.  Man  erwartete  von  ihm,  daß 
er  hier  eine  ähnliche  Rolle  spielen  werde  wie  in  Sistowa  und  daß 
er  die  preußische  Politik  nicht  unter  den  Einfluß  Breteuils,  der 
Prinzen  oder  des  Kaisers  geraten  lassen  werde5).  Es  hat  nicht 
einmal  an  ihm  gelegen,  daß  das  Provisorium  so  lange  dauerte. 
Denn  Haugwitz  war  vom  Könige  zum  Nachfolger  Schulenburgs 
ausersehen  worden  (vgl.  oben).  Nur  sein  Mangel  an  Geschäfts- 
sinn, an  Fähigkeit,  lange  zu  arbeiten,  und  die  nach  der  Ansicht 
des  Königs  wie  des  Kabinettsministeriums  vorzüglichen  Dienste 
Lucchesinis  hielten  ihn  so  lange  im  Lager  fest.  Am  6.  August 
hatte  er  den  königlichen  Befehl  vom  29.  Juli  erhalten6).     Am 

1)  Lucchesini  an  seine  Frau  11.    September. 

2)  R  a  n  k  e  47,  278;  H.E.B.  297—298;  P  e  1 1  i  e  r,  dernier  tableau 
de  Paris.  Ap.  zu  Nr.  V,  S.  XII;  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  344;  Deutsche  Revue  1883 
I  305 ;  Rep.  XI  89  h.  Reck  an  Schulenburg  27.  August.  Schulenburg  an 
Reck  31.  August.  Rep.  XI  89  k.  Schulenburg  an  Lucchesini  1.  September. 
Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  37:  Schulenburg  an  Lucchesini  13.  Novem- 
ber.   WassiltchikowII4,  163. 

3)  Minerva  Bd.  184,   S.  4;  Politisches  Journal  1792,  S.  1085—1087. 
*)  Schulenburg  an  Lucchesini  1.  September  in  Rep.  XI  89  k. 

5)  Lucchesini  an  seine  Frau  11.  September.  Finckenstein  und 
Alvensleben  an  Lucchesini  23.  September. 

6)  Bericht  Lucchesinis  7.  August.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12: 
Friedrich  Wilhelm  an  Lucchesini  29.  Juli  (auch  in  Rep.  XI 89  g2 ).  H  ü  f  f  e  r, 
Zwei  Quellen,  S.  11;  Rep.  XI  89  k.  Lucchesini  an  Schulenburg  8.  August. 


308  HI.  Abschnitt 

16.  früh  6  Uhr  war  er  aus  Warschau  abgereist,  ohne  dort  zu- 
nächst sein  wahres  Reiseziel  bekannt  zu  geben  —  er  reiste  angeb- 
lich ins  Bad  nach  Pyrmont1).  Am  20.  war  er  in  Berlin,  wo  er 
im  Kabinettsministerium  Besprechungen  hatte2),  und  reiste  über 
Leipzig,  Erfurt,  Frankfurt,  Mainz,  Trier  nach  Luxemburg3). 
Als  er  hier  die  weiteren  Befehle  des  Königs  erhalten  hatte4), 
reiste  er  weiter  ins  Lager.  Am  4.  September  war  er  in  Verdun, 
noch  vor  Breteuil,  den  er  schon  1779  kennen  gelernt  hatte  und 
mit  dem  er  lange  zu  tun  haben  werde,  wie  er  glaubte5).  Schulen- 
burg weihte  ihn,  so  gut  es  ging,  in  den  Stand  der  Lage  ein6). 
Am  9.  übergab  er  dem  Kabinettssekretär  Lombard  alle  Chiffren'''), 
und  am  11.  früh  reiste  er  nach  Berlin  über  Frankfurt  ab8).  Nach 
einer  Erholungspause  von  etwa  14  Tagen  nahm  er  dort  die  Arbeit 
wieder  auf,  freilich  seiner  Gesundheit  wegen  nur  in  stark  ein- 
geschränktem Maßstabe.  Alle  seine  Briefe  aus  dieser  Zeit  sind 
auf  einen,  ich  möchte  sagen,  weinerlichen  Ton  gestimmt9).    Er 

1 )  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  20.  Juli.  Fincken- 
stein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  4.  August.  Schulenburg  an 
Finckenstein  und  Alvensleben  22.  und  27.  August,  1.  September.  Lucche- 
sini  an  seine  Frau  8.  August,  16.  August.  Lucchesini  an  Schulenburg 
7.  Juli  und  8.  August.  Er  ließ  auch  seine  Sachen  noch  in  Warschau.  Den 
Vorwand  der  Badereise  hatte  ihm  der  König  selbst  an  die  Hand  gegeben. 

2)  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Schulenburg  21.  August. 
Lucchesini  an  seine  Frau  21.  August.  L.  Au  Roi  21.  August  (in  Rep.  92 
Lucchesinis  Nachlaß  12). 

3)  Lucchesini  an  Schulenburg  27.  August  in  Rep.  XI  89  k.  Lucchesini 
an  seine  Frau  28.  und  31.  August.  Aus  einer  in  Verbindung  hiermit  ge- 
planten Fahrt  rheinab-  und  moselaufwärts  wurde  zu  Lucchesinis  großem 
Bedauern  nichts. 

4)  S.  Au  Roi  11.  und  18.  August  (Rep.  96,  147  G  II).  Friedrich 
Wilhelm  an  Schulenburg  11.  August  in  Rep.  XI  89  i.  Schulenburg  an 
Lucchesini  23.  August  in  Rep.  XI  89  k. 

5 )  Rep.  XI  89  h.  Schulenburg  an  Reck  5.  September.  Lucchesini  an 
seine  Frau  2.  September. 

6)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12:  L.  Au  Roi  6.  September.  Fried- 
rich Wilhelm  an  Lucchesini  6.  September. 

7)  Rep.  XI  89  i.     Schulenburg  an  Friedrich  Wilhelm  9.  September. 

8)  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben  10.  und  18.  Sep- 
tember.    Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  37:   Schulenburg  an  Lucchesini 

17.  September. 

9)  Vgl.  auch:  Mirabeau  in  Berlin  als  geheimer  Agent  der  französischen 
Regierung  1786 — 1787.  Herausgegeben  von  Henry  Welschingen.  Über- 
tragen und  bearbeitet  von  Oskar  Marschall  von  Bieberstein.  Leipzig  1900. 
S.  391.  Daraus  erklärt  sich  auch  der  merkwürdige  von  Lehmann  heran- 
gezogene Brief  Schulenburgs  an  Stein  vom  30.  Oktober  (Max  Leh- 
mann, Freiherr  vom  Stein,  Bd.  I  143). 


Von  Koblenz  bis  Valmy  309 

war  körperlich  und  geistig  ganz  herunter  und  sehnte  sich  nach 
Ruhe.  Sowie  die  Entschädigungsfrage  geregelt  worden  war,  in 
der  er  die  besondere  Leitung  zugewiesen  erhalten  hatte,  schied 
er  aus  dem  Kabinettsministeriuni  aus. 

Also  vom  11.  September  an  war  Lucchesini  im  preußischen 
Hauptquartier  der  leitende  Diplomat.  Freilich  darf  man  das 
nicht  so  verstehen,  als  ob  er  nun  mit  neuen  Ideen  hingekommen 
und  sie  kräftig  durchzuführen  entschlossen  gewesen  sei.  Das 
letzte  war  überhaupt  nicht  seine  Sache1).  Er  trat  immer  behut- 
sam auf  und  suchte  auf  Umwegen  dasselbe  zu  erreichen,  wie 
andere  durch  derbes  Zufassen.  Es  ist  ganz  das  Vorgehen  eines 
alten  Fuchses,  wie  ihn  Dumouriez  einmal  bezeichnete2).  Er  ver- 
körpert die  alte  Diplomatie  mit  ihren  Distinktionen  und  Prokla- 
mationen, ihrer  Geheimpolitik,  ihrer  Bereitwilligkeit,  ohne  irgend- 
welche Rücksicht  als  das  eigene  Staatsinteresse  zu  kennen, -Ver- 
träge zu  brechen  und  zu  schließen,  nur  um  die  Macht  des  Staates 
zu  erhöhen.  Gewiß,  manche  Züge  erinnern  an  Friedrich  den 
Großen,  als  dessen  Schüler  er  selbst  sich  so  gern  bezeichnet3) 
Aber  gerade  das  Charakteristische  von  dessen  Persönlichkeit  fehlte 
ihm.  Er  hat  nichts  Großes.  Ein  Mann,  so  schmiegsam  wie  er,  dem 
man  mit  Recht  ein  Übermaß  von  Feinheit  zugeschrieben  hat,  der 
stets  etwas  von  einem  Lakaien  an  sich  trug4),  gehörte  an  die  Seite 
des  Königs,  um  dauernd  mit  ihm  arbeiten  zu  können.  Und  doch 
begreift  man  es,  daß  Friedrich  Wilhelm  ihn  nicht  gern  um  sich 
sah.  Männer  wie  BischofEwerder  und  Haugwitz  —  den  letzteren 
hat  er  angeblich  schon  1790  zum  Minister  machen  wollen5)  — , 
die  kräftig  auftraten  und  frei  von  der  Leber  weg  sprachen,  ohne 
Nebenrücksichten  zu  kennen  —  so  glaubte  er  wenigstens  —  die 
sich  aber  doch  seinem  Willen  fügten,  das  waren  seine  Leute. 
Ihr  Hang  zum  Mystizismus  trug  nicht  wenig  dazu  bei,  sie  ihm 
näher  zu  bringen6)  und  ihn  von  dem  Voltairianer  Lucchesini  zu 
entfernen,  der  mit  seinem  überlegenen  Lächeln  auf  derartigen 


1 )  Der  König  bezeichnete  die  Sache  ziemlich  richtig  mit  der  Angabe, 
Lucchesini  habe  unter  seiner  Leitung  die  französischen  Geschäfte  zu  er- 
ledigen (Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12:  Friedrich  Wilhelm  an  Lucchesini 
6.   September). 

2)  Sorel  III  45—46;  Ch.R.  152. 

3)  Lucchesini  an  seine  Frau  14.  und  18.  Januar  1793. 
*)  H  ü  f  f  e  r,  Zwei  neue  Quellen,  S.  8. 

5)  Ranke  47,  275. 

6)  Koser  470—472;  Schlosser  V  406—407;  Bailleu  in  der 
Deutschen  Rundschau,  Bd.  20  (1879),  S.  272. 


310  HI.  Abschnitt 

Spuk  herabsah.  So  war  er  für  den  König  stets  der  Mann,  der 
den  festgefahrenen  Wagen  wieder  freizumachen  hatte,  und  oft 
genug  hat  er  ihn  deshalb  zu  sich  berufen,  aber  persönlich  lange 
mit  ihm  zu  arbeiten,  war  dem  Könige  unmöglich.  Er  gab  ihm 
einen  guten,  nicht  zu  weit  abliegenden  Posten  im  Auslande1). 
Lucchesini  kam  ins  Lager,  als  eine  entscheidende  Frage  an  Preußen 
gestellt  wurde.  Er  verstand  sie  überhaupt  nicht  und  konnte  sie 
daher  auch  nicht  beantworten.  Er  bewegte  sich  durchaus  in  den 
Bahnen  seines  Vorgängers,  nur  geschickter  als  jener. 

Calonne,  der  sich  mit  seiner  finanziellen  Mißwirtschaft  das 
Vertrauen  sogar  der  Prinzen  verscherzt  haben  soll2)  und  der 
selbst  schon  (aber  ob  ernsthaft,  ist  doch  sehr  die  Frage)  Rück- 
trittsabsichten geäußert  hatte3),  war  zwar  noch  nach  Verdun  mit- 
gekommen und  hatte  mit  der  Reorganisation  der  Verwaltung 
begonnen4).  Aber  Friedrich  Wilhelm  hatte  ihn  in  der  liebens- 
würdigsten Weise  beseitigt5),  die  Konferenz  von  Verdun  machte 
seinem  Wirken  ein  Ende6).  Er  wurde  von  der  Zentralstelle 
entfernt  und  gab  nur  noch  kurze  Zeit  schwache  Lebenszeichen 
von  einer  amtlichen  Tätigkeit7).  Er  reiste  nicht  nach  Italien  ab, 
wie  man  zuerst  meinte,  sondern  nach  England8).  Aber  jetzt 
mußte  er  es  büßen,  daß  er  früher  Geld,  das  ihm  nicht  gehörte, 
mit  vollen  Händen  ausgegeben  hatte.  Er  wurde  in  London 
Schulden  halber  gerichtlich  festgesetzt9).  Es  war  ihm  nicht  zu 
verdenken,  daß  er  diesem  ungastlichen  Lande  möglichst  rasch 
den  Rücken  kehrte  und  sich  nun  nach  Italien  oder  Spanien  be- 
gab10). Seinem  Herrn,  dem  Grafen  Artois,  wäre  es  im  nächsten 
Jahre  wohl  ebenso  gegangen11),  wenn  er  es  nicht  vorgezogen  hätte, 
es  auf  diese  Gefahr  nicht  erst  ankommen  zu  lassen  und  englischen 
Boden  überhaupt  nicht  zu  betreten.   Aber  wo  er  auch  hinkommen 


1)  Lucchesini  an  seine  Frau  1.  November  1792. 

2)  Fersen  II  34. 

3)  Feuillet  VI  240. 

4)TernauxIV  148—149  und  530—532;  D  a  u  d  e  t  I  205—206. 

5)  Feuillet  VI  330. 

6)  Schulenburg  an  Finckenstein  und  Alvensleben   10.    September; 
F  e  u  i  1 1  e  t  VI  339  und  343;  ForneronI  345—346. 

7)  Ternaux  IV  530. 

8)  F  e  r  s  e  n  II  34,  36,  38  und  341 ;  Rep.  XI  89  k.     Schulenburg  an 
Keller  30.   September. 

9)  Daudet  I  228. 

10)  Vaudreuil  II  109—111,  119—120,  137. 
")  DaudetI  242—243;  S  o  r  e  1  III  331. 


Von  Koblenz  bis  Valmy  311 

mochte,  Schulden  schien  er  überall  zu  haben  und  fand  deshalb 
so  bald  noch  keine  Ruhe. 

Breteuil  war  an  Calonnes  Stelle  getreten  und  begann  unter 
dem  militärischen  Schutze  des  Herzogs  von  Braunschweig1)  und 
mit  Lucchesinis  Hilfe  die  monarchische  Reaktion  ins  Werk  zu 
setzen2),  und  zwar  mit  der  Vertreibung  der  vereidigten  und  der 
Wiedereinführung  der  nichtvereidigten  Priester  in  ihre  Ämter 
und  mit  der  Rückgabe  des  Restes  der  Güter,  die  noch  nicht 
verkauft  waren3).  Aber  auch  nur  die  Anwesenheit  der  Preußen, 
deren  Kommissare  schon  mit  der  Eintreibung  von  Steuern  be- 
schäftigt waren,  und  dabei  auch  gelegentlich  die  Demarkations- 
linie nicht  genau  innehielten,  die  ihr  Gebiet  von  dem  österreichi- 
schen Anteil  trennte,  ermöglichte  diese  schwachen  Ansätze  zur 
Wiederherstellung  des  alten  Zustandes.  Private  Interessen  mögen 
dabei  wohl  manchmal  ein  gewichtigeres  Wort  gesprochen  haben 
als  die  politischen4).  Es  zeigte  sich  auch  an  dieser  Stelle,  daß  es 
zwar  leicht  ist,  umzustürzen,  umso  schwerer  aber,  aufzubauen. 
Damals  jedoch  schwelgte  man  in  dem  Hochgefühl  eines  schon 
halb  und  bald  ganz  errungenen  Sieges.  Wie  lange  konnte  es  noch 
dauern,  so  war  Ludwig  befreit  und  einigte  sich  mit  dem  lange 
geplanten  Kongreß  der  europäischen  Mächte  über  die  zukünftige 
Gestaltung  Frankreichs5) ! 

Den  Emigranten  lag  aber  doch  zu  viel  an  der  Ausführung 
ihres  Planes  und  zu  wenig  an  dem  Leben  Ludwigs  XVI.,  als  daß 
sie  nicht  noch  einen  neuen  Versuch  hätten  wagen  sollen,  um  von 
Friedrich  Wilhelm  die  Zustimmung  zu  der  Annahme  des  Regenten- 
titels durch  Monsieur  ohne  Rücksicht  auf  Österreich  zu  erlangen. 


1)  Ternaux  IV  149—151. 

2)  Rep.  XI  89  g1.    Lucchesini  an  Friedrich  Wilhelm  12.  September. 

3)  Fersen  II  367—368,  373.  Lucchesini  an  seine  Frau  20.  Sep- 
tember. Rep.  XI  89  h.  Reck  an  Schulenburg  27.  September.  Rep.  XI 
89  k.  Schulenburg  an  Tauenzien  5.  September.  Rep.  92  Lucchesinis 
Nachlaß  40  III :  verschiedene  Aktenstücke  darüber.  Rep.  XI  89  i,  S.  Au 
Roi  22.  und  31.  August.  —  Das  preußische  Feldkriegskommissariat  trieb 
in  der  ganzen  Kampagne  261  207  Livres  ein  und  brachte  etwa  200  000 
davon  aus  Frankreich  zurück,  aber  in  Assignaten,  also  tatsächlich  nur 
etwa  100  000  (Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  III:  23.  Oktober). 

4)  Daudet,  Coblentz,   S.  368  ff.  (23.  September). 

5)  Jetzt  näherte  sich  übrigens  auch  Moustier  dem  Baron  Breteuil, 
da  er  die  Sache  der  Emigranten  für  verloren  hielt.  Das  trug  ihm  von  der 
Seite  des  preußischen  Kabinettsministeriums  den  angeblich  schon  lange 
verdienten  Titel  eines  Chamäleons  ein  (Lucchesini  an  Friedrich  Wilhelm 
12.  September.   Finckenstein  und  Alvensleben  an  Lucchesini  23.  Septbr.). 


312  HI.  Abschnitt 

Ihr  scheinbarer  Hauptfeind  Schulenburg  war  nicht  mehr  da1), 
und  im  Lager  hofften  sie  wohl,  den  König,  entfernt  von  seinen 
bösen  Diplomaten,  schon  herumzubekommen.  Aber  da  hatten 
sie  Lucchesinis  Bedeutung  doch  unterschätzt.  In  dem  Geschäfte, 
Gegenminen  zu  legen,  Ausflüchte  zu  suchen,  dabei  doch  den  Ent- 
gegenkommenden zu  spielen,  war  er  groß.  Am  11.  September 
abends  kam  Graf  Artois  noch  einmal  zu  ihm  und  besprach  mit 
ihm  und  Breteuil  die  Kegentschaf tsf rage,  und  zwar  so  hochmütig, 
daß  es  den  Anschein  hatte,  als  seien  es  nicht  Friedrich  Wilhelm 
und  Franz,  die  die  Jakobiner  vernichteten  und  Ludwig  aus  seiner 
Gefangenschaft  befreiten,  sondern  die  Emigranten2).  Um  so 
merkwürdiger  war  bei  einer  derartigen  Sprache  ihre  volle  Un- 
fähigkeit. Artois  hatte  dabei  noch  die  Unvorsichtigkeit,  mitzu- 
teilen, daß  er  am  13.  ganz  früh  zum  König  reiten  wollte,  um  ihm 
die  Zustimmung  zu  entreißen.  Wenn  Monsieur  den  Titel  einmal 
angenommen  habe,  werde  Friedrich  Wilhelm  wahrscheinlich  ge- 
zwungen sein,  ihn  anzuerkennen.  Das  war  gefährlich.  Sofort  traf 
Lucchesini  eiligst  alle  Maßregeln,  um  am  14.  selbst  ins  Lager 
reisen  zu  können,  so  ungern  er  sich  auch  für  einige  Tage  von 
Breteuil  trennte.  Inzwischen  schrieb  er  mit  fein  berechneter 
Wendung  an  den  König  selbst  und  an  Reuß,  der  bei  der  Armee 
war,  nur  ja  fest  darauf  zu  bestehen,  daß  ohne  den  Kaiser  in  dieser 
Frage  nichts  entschieden  werden  dürfe,  und  damit  Friedrich 
Wilhelm  einen  guten  Vorwand  —  ein  wichtiger  Hinweis  —  zu 
liefern,  die  Bitte  der  Prinzen  abzulehnen.  An  seiner  Unterstützung 
solle  es  nicht  fehlen,  bald  auch  an  mündlicher.  Endlich  benach- 
richtigte er  noch  Manstein  von  allem  und  wies  Bischoffwerder 
darauf  hin,  wieviel  Rücksicht  Friedrich  Wilhelm  in  dieser  Frage 
den  Österreichern  schuldig  sei.  Er  suchte  also  dessen  Vorliebe 
für  die  Emigranten  durch  die  gleichfalls  vorhandene  für  Öster- 
reich unschädlich  zu  machen.  So  konnte  er  in  der  Tat  glauben, 
diesem  heimtückischen  Streich  der  Prinzen  seine  Kraft  genom- 
men zu  haben,  den  diese  Breteuil  (und  dem  Könige,  dürfen  wir 
dazusetzen)  in  der  Zeit  beibringen  wollten,  in  der  Friedrich  Wil- 
helm allein  bei  der  Armee  weilte3).  Es  scheint  auch,  als  seien  die 
Prinzen  unverrichteter  Sache  am  15.  aus  dem  preußischen  Haupt- 


1 )  Ranke  294. 

2)  Lucchesini  an  seine  Frau  2.  und  7.  September. 

3)  Rep.  XI  89  g1,  L.  Au  Roi  12.  September  mit  P.S.  Lucchesini  an 
Schulenburg  13.   September. 


Von  Koblenz  bis  Valmy  313 

quartier  weggeritten1).  Nur  die  Teilnahme  ihrer  Kavallerie  an 
den  Operationen  hatten  sie  durchgesetzt.  Breteuil  blieb  noch 
eine  Zeitlang  bei  den  Mächten  der  Vertreter  des  Königs2).  Es 
kennzeichnet  die  gänzliche  politische  Haltlosigkeit  der  Prinzen, 
daß  sie  ihm  jetzt  vorstellen  ließen,  er  solle  diese  Stellung  auf- 
geben, um  die  königliche  Familie  nicht  schon  allein  durch  sie 
den  größten  Gefahren  auszusetzen3).  Bald  mußte  es  sich  zeigen, 
ob  sie  oder  Breteuil  wirklich  Ludwigs  Ansicht  vertraten. 


III. 

Am  11.  September  war,  so  sahen  wir,  das  preußische  Haupt- 
heer aus  dem  Lager  bei  Verdun  aufgebrochen.  Der  Herzog  von 
Braunschweig  hatte  sich  noch  einmal  unwillig  nach  einigen  Tagen 
des  Zögerns,  die  jedoch  politisch  sich  nicht  weiter  begründen 
lassen,  dem  königlichen  Befehle  gefügt4).  Er  hatte  sich  kostbare 
Tage  entgehen  lassen5).  Dem  Befehlshaber  der  preußischen  Vor- 
hut, General  Kaikreuth,  hatte  er  nicht  die  Erlaubnis  erteilt,  den 
Argonnenpaß  der  Metten  zu  besetzen,  weil  es  ihm  ganz  gegen 
alle  Eegeln  erschien,  sich  so  weit  vorzuwagen,  ehe  er  wußte, 
was  der  Feind  beabsichtigte,  dem  er  Anschläge  auf  die  preußischen 
Verbindungen  zutraute6).  Er  ließ  sich  das  Gesetz  vorschreiben, 
statt  es  zu  geben.  Erst  als  er  hörte,  Dumouriez  und  Kellermann 
wollten  sich  vereinigen,  erteilte  er  den  Befehl  zum  Abmarsch  und 
merkte  zu  seinem  Schaden,  daß  jetzt  die  Argonnen  ein  mächtiges 
Bollwerk,  wenn  auch  nicht  gerade  die  Thermopylen  Frankreichs, 
in  der  Hand  der  Feinde  geworden  waren7).  Sie  mit  Gewalt  zu 
nehmen,  erschien  ihm  als  ein  unnützes  und  gefährliches  Unter- 
fangen, da  er  auch  mit  ein  paar  Märschen  zu  demselben  Ziel 
kommen  könne8).  Zu  Breteuil  soll  er  in  Verdun  gesagt  haben: 
„Wenn  sie  (die  Franzosen)  bis  zum  12.  dableiben,  werde  ich  sie 

1)  Rep.  XI  89  k.  Guionneau  an  Schulenburg  15.  September.  Das 
war  scheinbar  nur  eine  Bestätigung  früherer  Befehle. 

2)  Daudet,  Coblentz  289;  Daudet  I  210. 

3)  Daudet,  Coblentz  368  ff.  (Note  vom  23.   September). 
*)  Ch.V.  84—85  und  105;  Sorel  III  42,  45,  47. 

5)  DumouriezIII  8—9  und  98—100;  M  a  s  s  e  n  b  a  c  h  I  42  bis 
44  und  51 — 56;  Lettres  sur  Dumouriez  73 — 75;  H  äußer  I  374 — 375; 
Sybel  II  300—302;  Ch.V.   85. 

6)  Ch.V.  84—85;  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  345—347  gibt  einen  persönlichen 
Grund  an,  den  ich  nicht  nachzuerzählen  wage. 

7)  Dumouriez  II  391  und  III  2. 

8)  Ch.V.  81  ff.;  Massenbach  I  56—58. 


314  HI-  Abschnitt 

vernichten;  wenn  ich  nicht  in  der  Front  angreife,  werde  ich 
sie  umgehen"1).  Fünf  Pässe  führten  durch  dies  dichtbewal- 
dete Hügelland:  Le  Chesne  -  Populeux ,  La  Croix  -  aux  -  Bois, 
Grandpre,  La  Chalade,  Les  Islettes.  Er  gedachte  nun,  die  Feinde 
allerorten  durch  Demonstrationen  und  Hin-  und  Hermarschieren 
zu  beschäftigen  und  dann  bei  La  Croix-aux-Bois  durchzubrechen. 
War  ein  Paß  in  seiner  Hand,  so  war  die  Stellung  für  die  Franzosen 
unhaltbar;  sie  mußten  nach  Chälons  zurück,  wie  er  meinte2). 
Dieser  Plan  gelang  beinahe  wider  Erwarten  gut. 

Dumouriez  war  am  1.  September  abmarschiert,  um  sich  dem 
Herzog  entgegenzustellen3).  Trotz  des  zaghaften  Verhaltens 
seines  royalistisch  gesinnten  Unterführers  Dillon  kam  er,  dank 
dem  passiven  Verhalten  Clerfayts,  das  dem  des  Herzogs  völlig 
entsprach,  auf  diesem  waghalsigen  Marsche  dicht  an  den  Feinden 
vorbei  am  4.  ungefährdet  ans  Ziel  nach  Grandpre,  Dillon  nach 
La  Chalade  und  Les  Islettes4).  Aber  er  täuschte  sich  über  das 
Ziel  des  Marsches  wie  vorher  über  den  Grund  des  Zögerns  der 
Preußen5).  Er  glaubte  an  eine  Umgehung  der  Argonnen  im 
Süden  über  Bar  le  Duc  und  St.  Dizier  nach  Chälons.  Während 
er  so  alle  Aufmerksamkeit  dorthin  richtete,  gelang  es  Clerfayt, 
dem  die  schlechte  Ausführung  eines  Befehls  von  Dumouriez  zu 
statten  kam,  sich  am  12.  des  Passes  von  La  Croix-aux-Bois  zu 
bemächtigen,  beinahe  ohne  einen  Schuß  zu  tun6).  Der  Ver- 
such Dumouriez',  die  Österreicher  daraus  am  14.  zu  vertreiben, 
scheiterte  nach  kurzem  Gelingen.  Er  erkannte  die  Gefahr7). 
Während  Breteuil  und  der  Herzog  von  Braunschweig  ihn  vergeb- 
lich durch  Verhandlungen  auf  mitunter  recht  merkwürdige  Weise 
für  die  Sache  der  Verbündeten  zu  gewinnen  suchten,  der  Herzog, 
um  sich  den  Weg  nach  Paris  zu  erleichtern  und  rasch  als  Sieger 
mit  wohlfeilem  Lorbeer  nach  Hause  zurückkehren  zu  können8), 

1 )  Peltier,  dernier  tableau  de  Paris.    Ap.  zu  Nr.  V,  S.  III. 

2)  Ch.V.   74;  Boguslawski  II  22. 

3)  Dumouriez  II  394-^01. 

4)  Ch.V.  59—61;  Dumouriez  II  360  und  III  1;  Lettres  sur 
Dumouriez  76 — 77;  Boguslawski  II  20 — 21. 

5)  Ch.V.  100—104;  Dumouriez  III  3—4;  Krieg  gegen  die  Revo- 
lution II  153—154;  Boguslawski  II  26—27. 

6)  Ch.V.  103  und  113—117;  Dumouriez  III  19—24;  Krieg 
gegen  die  Revolution  II  154 — 155;  Boguslawski  II  30 — 33. 

7)  Ch.V.  125—133;  Massenbach  I  61—66;  Häußer  I  381; 
S  y  b  e  1  II  305—306  und  313;  Boguslawski  II  34. 

8)  Fersen  II  371.  Der  Herzog  war  am  14.  schon  unsicher,  ob  er 
bei  dem  schlechten  Wetter  und  der  starken  Stellung  des  Feindes  überhaupt 


Von  Koblenz  bi3  Valmy  315 

entwischte  er  selbst  dabei  aus  seiner  gefährdeten  Stellung  in  be- 
wunderungswürdiger Ruhe  und  Ordnung  in  der  Nacht  vom  14. 
zum  15.  Die  Preußen  merkten  es,  aber  der  Herzog  wagte  nicht, 
während  der  Nacht  etwas  zu  tun1).    Nur  ein  Fehler  des  französi- 

weiterkommen  werde,  und  ergriff  gern  diesen  Ausweg,  um  die  Fortsetzung 
des  Krieges  zu  verhindern.  Er  ließ  sogar  schon  für  die  Anlegung  von 
Magazinen  für  Winterquartiere  hinter  der  Maas  sorgen  (Rep.  XI  89  k. 
Guionneau  an  Schulenburg  15.  September).  Das  Schicksal  Ludwigs  und 
seiner  Familie  gab  zu  den  schlimmsten  Befürchtungen  Anlaß  (Politisches 
Journal  1792,  S.  957).  Sogar  der  Gedanke  an  ein  neues  Manifest  des 
Herzogs  von  Verdun  aus  war  aufgetaucht  wie  überhaupt  die  Ansicht, 
man  müsse  die  Franzosen  dauernd  mit  Schwert  und  Feder  zugleich 
bekämpfen,  aber  er  war  sofort  als  nicht  so  wirksam  wie  kriegerische  Maß- 
regeln abgelehnt  worden  (Fersen  II  359  ff.  und  368.  Rep.  XI  89  h. 
Reck  an  Schulenburg  1.  September  a  911  du  soir.  Schulen  bürg  an  Reck 
5.  September).  Was  konnte  es  denn  nützen,  wenn  man  Wahnwitzigen 
Vernunftgründe  entgegenhielt?  Erst  mußte  man  eine  Schlacht  gewinnen, 
darauf  drängte  Breteuil  daher  jetzt  immer  mehr,  ebenso  jetzt  Mercy 
(F  e  r  s  e  n  II  37,  47—48,  372—373,  375—377;  Bacourt-Städtler 
III  379 — 380,  382,  387);  dann  konnte  man  die  Revolutionäre  vor  die  Wahl 
stellen:  entweder  Freiheit  der  königlichen  Familie  und  Freiheit  für  sie 
mit  geheimen  Zusicherungen  für  die  Führer  oder  Kampf.  Dabei  bemerke 
ich  jedoch  ausdrücklich,  daß  Breteuil  noch  nicht  den  Gedanken  auf- 
gegeben hat,  die  monarchische  Reaktion  durchzuführen  (F  ersen  II  36, 
369 — 370,  372).  Nassau  wollte  nach  Paris  reisen,  um  zu  vermitteln,  aber 
Friedrich  Wilhelm  und  Breteuil  lehnten  das  als  unnütz  und  gefährlich 
ab(FeuilletVI  342).  Nur  weniger  bedeutende  Personen  konnte  man 
solcher  Gefahr  aussetzen  (F  e  r  s  e  n  II  369).  Wie  würde  es  nun  gar  dem 
König  und  seinen  Anhängern  ergehen,  wenn  die  preußische  Armee  sich 
Paris  näherte,  würde  das  nicht  das  Signal  zu  Gewalttätigkeiten  schlimm- 
ster Art  sein  ?  Oder  wenn  die  Jakobiner  nun  den  König  nach  dem  Süden 
verschleppten?  Die  preußische  Armee  sollte  nur  bis  Paris  vorrücken, 
allenfalls  könnte  ein  Teil  in  französischem  Solde  zurückbleiben,  aber  was 
werde  das  nützen!  Das  Gebiet,  das  man  besetzt  habe,  sei  ja  viel  zu  klein, 
um  über  Frankreichs  Schicksal  zu  entscheiden  (Fersen  II  37  l;Raige- 
court-Bombelles  371).  Tatsächlich  war  in  Paris  die  Furcht  vor 
den  heranrückenden  Heeren  nicht  groß,  die  Regierung  allerdings  aus- 
genommen. Die  verräterischen  Generale  und  geheime  Umtriebe  fürchtete 
man  viel  mehr  (Journal  d'une  bourgeoise  233—238,  249—254,  256—258, 
263—272,  297—302;  Lescure  II  623—624).  Man  war  für  diesen  Fall 
schlechterdings  ratlos  und  näherte  sich  so  allmählich  der  Anschauung 
von  Kaunitz  und  dem  Herzog  von  Braunschweig  (V  i  v  e  n  o  t  II  557; 
Bacourt-  Städtler  III  385).  Auch  Fersen  riet  jetzt  zu  Verhand- 
lungen mit  den  Parisern,  sogar  mit  Robespierre,  um  nur  erst  das  Leben 
der  königlichen  Familie  zu  retten,  und  allmählich  kam  Breteuil  auf  den 
Gedanken,  die  Schuldigen  in  diesem  Falle  straflos  entwischen  zu  lassen 
(F  e  r  s  e  n  II  33,  360—362,  365,  367—371). 

*)  Rep.    XI    89  k.       Guionneau    an    Schulenburg    15.    September; 
Dumouriez  III  27. 


316  III.  Abschnitt 

sehen  Generals  Chazot  ermöglichte  der  preußischen  Vorhut  am 
15.,  eine  ganze  französische  Division  in  die  Flucht  zu  werfen. 
Kaum  war  es  gelungen,  die  „Verrat!"  schreienden  Soldaten  zu 
sammeln,  da  brach  im  Heere  von  Dumouriez  selbst  eine  neue 
Panik  aus,  deren  weitere  Verbreitung  er  nur  durch  seine  persön- 
liche Kaltblütigkeit  verhinderte1).  Diese  Ereignisse  bestimmten 
Dumouriez,  mehr  als  je  an  seinem  Plan  festzuhalten,  sich  mit 
diesen  Truppen  keiner  Schlacht  auszusetzen,  sondern  die  Ent- 
scheidung hinzuzögern,  Zeit  zu  gewinnen,  und  das  hieß  für  ihn 
alles2).  Er  bedrohte  mit  seiner  Stellung  bei  Ste.  Menehould 
die  rückwärtigen  Verbindungen  der  Preußen.  Vorwärts  konnte 
der  Herzog  nur,  wenn  er  Dumouriez  geschlagen  hatte.  Darauf, 
meinte  er,  werde  es  jener  nicht  ankommen  lassen,  und  das  belebte 
in  ihm  seinen  alten  Wunsch,  hier  die  Verteidigung  seinen  Kame- 
raden zu  überlassen,  selbst  aber  offensiv  vorzugehen,  seinen  lange 
geplanten  Einfall  in  die  Niederlande  endlich  auszuführen  und 
damit  der  Invasion  in  Frankreich  ein  Ende  zu  machen3). 

Denn  er  ging  nicht  nach  Chälons  zurück,  wie  man  im  preußi- 
schen Lager  nach  der  Räumung  von  Grandpre  beinahe  als  selbst- 
verständlich angenommen  hatte4),  sondern  er  wollte  seine  vor- 
zügliche Stellung  nur  dann  aufgeben,  wenn  der  Herzog  nach 
Chälons  oder  Reims  marschierte,  um  ihm  auf  den  Fersen  zu 
bleiben  und  ihn  aufzureiben5).  Er  nahm  also  eine  feste  Stellung 
westlich  von  Ste.  Menehould  ein6),  das  er  zu  seinem  Hauptquartier 
machte,  Rücken  an  Rücken  mit  Dillon,  der  Les  Islettes  gegen 
Österreicher  und  Hessen  zu  verteidigen  hatte,  wider  den  Willen 
der  Regierung  und  der  öffentlichen  Meinung,  nur  von  Danton 
unterstützt,  der  ihm  nichtsdestoweniger  in  Billaud-Varennes 
einen  Aufpasser  bestellte.  Er  zog  von  allen  Seiten  Verstärkungen 
an  sich.  Namentlich  Beurnonville  mit  Dumouriez'  alten  Truppen 
aus  dem  Lager  von  Maulde  und  Kellermann  brachten  sie,  trotz 
schlechten   Willens7),    allerlei   Mißverständnissen,    aufgeweichter 

*)  Dumouriez  III  29—32;  Boguslawski  II  35—38. 

2)  Ch.V.  142  und  146—150;  Dumouriez  III  15  und  33—34; 
Boguslawski  II  34,  39,  54—55. 

3)  Ch.V.  148;  SorelHI  38. 

*)  Ssolowjoff  300—301 ;  Rep.  XI  89  k.  Guionneau  an  Schulen- 
burg 15.  September;  Marwitz  I  62;  Politisches  Journal  1792, 
S.   1031—1032. 

6)  D  u  m  o  u  r  i  e  z  III  34,  48,  101—103. 

6)  Notes  de  Topino-Lebrun  21. 

7 )  Kellermann  stand  noch  selbständig  neben  Dumouriez  (Bogus- 
lawski II  44—45). 


Von  Koblenz  bis  Valmy  317 

Wege,  man  muß  sagen,  gerade  noch  rechtzeitig,  um  bei  Valmy 
den  Preußen  Widerstand  zu  leisten1).  Voller  Zuversicht  konnte 
jetzt  Dumouriez  den  kommenden  Ereignissen  entgegensehen.  In 
14  Tagen  hoffte  er  hier  fertig  zu  sein  und  sich  an  die  Eroberung 
Belgiens  machen  zu  können. 

Der  Herzog  ließ  den  Franzosen  zum  Ärger  des  Königs  Zeit, 
sich  auf  den  Kampf  vorzubereiten2).  Mag  es  hundertmal  wahr 
sein,  daß  die  Truppen  müde  waren,  daß  Krankheiten  sie  dezi- 
mierten, daß  Hunger  sie  plagte,  daß  erst  Brot  gebacken  werden 
mußte  —  ein  energischer  Führer  hätte  mit  ihnen  ganz  anderes 
erreichen  können.  Ich  erwähnte  bereits,  daß  man  im  preußischen 
Lager  zuerst  schon  des  Eückzuges  der  Franzosen  hinter  die 
Marne  sicher  zu  sein  glaubte.  Man  wollte  sich  mit  dem  Öster- 
reicher Hohenlohe  durch  die  Argonnen  hindurch  die  Hand  reichen. 
Der  direkte  Weg  nach  Paris  wäre  frei  gewesen.  Lucchesini  hatte 
von  den  „Abschneidern",  d.  h.  den  Greneralstabsoffizieren,  gehört, 
die  Höhen  an  der  Marne  seien  viel  leichter  zu  umgehen  als  die 
Argonnen3).  Breteuil  schrieb  schon  einige  Tage  vorher  an  Fersen, 
er  und  Mercy  sollten  sich  beeilen,  sonst  kämen  sie  später  als  der 
Herzog  von  Braunschweig  nach  Paris  —  so  sicher  war  er  des 
Erfolges4).  Militärisch  gab  es  scheinbar  kein  Hindernis  mehr 
für  den  Marsch  auf  Paris.  Drang  man  rasch  vor  und  nützte  den 
Erfolg  aus,  so  war  gar  nicht  abzusehen,  wie  sich  die  Franzosen 
hätten  zurückziehen  können.  Aber  der  Herzog  war  nicht  von 
solchem  Schlage.  Den  Gedanken  an  Winterquartiere  hinter  der 
Maas  hatte  er  jetzt  zwar  aufgegeben.  Der  Kückzug,  besser  die 
Flucht  der  Franzosen,  War  mehr  wert  als  eine  gewonnene  Schlacht, 
so  sagte  er  geradezu  zu  dem  Prinzen  Nassau5).    Aber  er  operierte 


M  Ch.V.  159  ff.;  Dumouriez  III  15—18;  Boguslawski  II 
44;  S  o  r  e  1 III  38.  Vgl.  über  die  manigfachen  Widerstände,  die  Dumouriez 
zu  bekämpfen  hatte,  den  offiziellen  Bericht  über  Valmy,  der  wohl  auf 
den  Herzog  von  Chartres,  den  späteren  Louis  Philippe  zurückgeht,  der 
damals  Generalleutnant  in  Kellermanns  Armee  war  (Ch.V.  5),  bei  Lau- 
gier-Carpentier54ff.  Doch  ist  er  mit  Vorsicht  zu  benützen,  da 
er  sicherlich  erst  bedeutend  später  zurecht  gemacht,  wenn  nicht  gar  ab- 
gefaßt worden  ist  (ibid.  64 — 65). 

2)  Massenbach  I  68 — 69;  Lettres  sur  Dumouriez  80 — 84; 
Krieg  gegen  die  Revolution  II  154—155;  Ch.V.  151 ;  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  350. 

3)  Lucchesini  an  Finckenstein  und  Alvensleben  15.  September; 
V  i  v  e  n  o  t  II  557. 

4)  Fersen  II  366—367. 

8)  Feuillet  VI  348—349. 


318  III.  Abschnitt 

so,  wie  wenn  er  200  000  Mann  Elitetruppen,  österreichische  oder 
russische  Grenadiere,  zu  bekämpfen  habe1),  und  gab  damit  selbst 
alle  Vorteile  preis.  Er  wollte  jetzt  durch  die  Argonnen  den  Öster- 
reichern und  den  Hessen  die  Hand  reichen2),  die  strengen  Befehl 
hatten,  sich  bis  dahin  auf  nichts  Ernstliches  einzulassen,  und 
Dumouriez  und  Kellermann  nach  Chälons  abdrängen3). 

Schon  waren  die  ersten  Schritte  dieses  methodisch  wohl 
richtigen  Planes  getan,  da  durchkreuzte  ihn  ein  Befehl  des 
Königs,  dem  der  Herzog  nicht  einmal  zu  widersprechen  wagte4). 
Am  19.  mittags  war  im  preußischen  Hauptquartier  die  Nachricht 
eingegangen,  die  Franzosen  marschierten  ab.  Wieder  wie  am  15. 
also  schien  dem  Könige  die  Gelegenheit  zu  entwischen,  die  Feinde 
zu  schlagen  und  damit  die  ganze  Unternehmung  auf  einmal  zu 
entscheiden5).  Das  durfte  nicht  sein.  Der  König  wollte  sich 
nicht  selbst  den  Vorwurf  machen  lassen,  der  einige  Tage  früher 
den  Herzog  getroffen  hatte6).  Er  befahl,  ohne  einen  genauen 
Plan  zu  entwerfen,  den  Vormarsch  seiner  Armee  an  die  Straße 
von  Ste.  Menehould  nach  Chälons  und  nahm  ihn  auch  nicht  zu- 
rück, als  die  Unrichtigkeit  der  Meldung  sich  herausstellte.  Hier 
tritt  uns  deutlicher  als  je  der  verhängnisvolle  Mangel  an  Einheit 
im  Kommando  der  preußischen  Armee  entgegen7).  Der  König 
glaubte  das  französische  Heer  in  der  Auflösung  und  handelte 
danach  wie  schon  im  ganzen  Feldzug.  Der  Herzog  schätzte  es 
höher  ein,  fürchtete,  seinen  Ruf,  die  ganze  Unternehmung  durch 
eine  unvorsichtige  Maßregel  aufs  Spiel  zu  setzen,  und  blieb  des- 
halb bei  seiner  bedächtigen  Handlungsweise.  Es  war  das  Unglück 
der  Kampagne,  daß  man  nie  ganz  einer  Richtung  folgte,  sondern 
stückweise  beiden  und  damit  auch  einen  geringen  Erfolg  aus  den 
Händen  gab. 

Am  20.  September  traten  34  000  Preußen  etwa  36  000  Fran- 

1 )  Rep.  XI  89  h.  Reck  an  Schulenburg  27.  September  und  8.  Ok- 
tober. Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  III:  Reck  an  Lucchesini  20.  Sep- 
tember. 

2)  Nassau  behauptet,  der  Herzog  habe  am  19.  und  20.  schlagen 
wollen,  zeigt  sich  aber  für  diese  Tage  schlecht  unterrichtet  (Feuillet 
VI  350  ff.). 

3)  Boguslawski  II  41;  Ch.V.  172—173. 

4)  Massenbach  I  70—77;  Sybel  II  307—308;  Bogus- 
lawski II  42;  Lettres  sur  Dumouriez  89—90;  Ch.V.    174. 

8)  H  ä  u  ß  e  r  I  376—377;  Massenbachl  77—79,  105—107  und 
329—330. 

6)  Feuillet  VI  349;  Massenbach  I  66—67. 

7)  ibid.  I  37—38. 


Von  Koblenz  bis  Valmy  319 

zosen  auf  dem  Schlachtfelde  gegenüber1).  Erstaunt  sahen  die 
Preußen  eine  kampfbereite  Armee  vor  sich,  die  durchaus  nicht 
beim  ersten  Schuß  auseinanderlief,  sondern  die  schwere  Aufgabe 
löste,  im  feindlichen  Feuer  standzuhalten2).  Der  König  befahl 
trotzdem  den  Angriff,  und  wie  auf  dem  Paradefelde  [am  20.  Sep- 
tember fanden  in  Potsdam  gewöhnlich  die  Manöver  statt]3) 
rückten  die  preußischen  Truppen  in  tadelloser  Ruhe  vor,  an- 
gefeuert durch  das  Beispiel  ihres  Königs4).  Kann  man  von  vorn- 
herein die  Ansicht  ablehnen,  daß  sie  ihrem  alten  Kufe  getreu 
gesiegt  haben  würden?5)  Doch  jetzt  und  noch  einmal  ein  paar 
Stunden  später  entschied  der  Herzog  mit  ungewohnter  Bestimmt- 
heit gegen  den  Kampf.  „Der  allmächtige  Zeus  goß  ihm  Furcht 
ins  Herz, "  sagt  Valentini6).  Die  Stellung  der  Franzosen  erschien 
ihm  zu  stark,  die  voraussichtlichen  Verluste  zu  hoch,  die  Truppen 
zu  müde.  Er  glaubte  dasselbe  auch  mit  einem  Manöver  erreichen 
zu  können7).  Der  König  fügte  sich.  So  blieb  es  bei  einer  der 
großartigsten  Kanonaden,  deren  Opfer  aber  nur  nach  wenigen 
Hunderten  zählten. 

Für  die  Verbündeten  war  das  Stillstehen  tatsächlich  der  Ver- 
zicht auf  die  Fortsetzung  des  Marsches  nach  Paris8).  Die  Armee 
mochte  gerettet  sein,  der  Feldzug  war  verloren9).  Jeder  Tag  ver- 
kleinerte die  Zahl  ihrer  Truppen,  jeder  Tag  vermehrte  die  der 
Franzosen,  verbesserte  ihre  Kriegserfahrung.  Alles  kam  für  die 
Preußen  darauf  an,  zu  schlagen,  für  die  Franzosen,  eine  Schlacht 
zu  vermeiden,  den  Krieg  in  die  Länge  zu  ziehen  und  dadurch  die 
Preußen  aufzureiben.   War  die  Stellung  Kellermanns  am  20.  Sep- 


*)  Ch.V.  201—204  und  228;  Sybel  II  308;  Hei  gel  II  31—33; 
H  ä  u  ß  e  r  I  377;  S  o  r  e  1  III  47. 

2)  Feuillet  VI  353  und  356. 

3)  Valentini  7;  Ma  r  w  i  t  z  (I,  S.  55)  gibt  den  21—23.  Sept.  an. 

4)  Ch.V.  204—206;  Feuillet  VI  354—355;  Laugier-Car- 
p  e  n  t  i  e  r,  S.  63. 

5)  Häußer  I  S77— 380;  Sybel  II  309—310;  Heigel  II  32; 
Ch.V.  235  ff. ;  Valentini  7—8;  Dumouriez  III  49;  Feuillet 
VI  345;  Boguslawski  II  53;  Marwitz  I  63;  Politisches  Journal 
1792,   S.   1094. 

6)  S.  9. 

7)  Ch.V.  208—209  und  213—216;  Krieg  gegen  die  Revolution  II 
162  und  167—169;  V  i  v  e  n  o  t  II  572;  Dumouriez  III  42—43  und 
45 — 46;  C  a  r  i  s  i  e  n  128.  Vgl.  dazu  die  völlig  verkehrten  später  geschrie- 
benen Bemerkungen  Massenbachs  (I  77 — 103). 

8)  Laugier-Carpentier  64 — 65 ;  Ranke  236. 

9)  Ch.V.  235  ff. 


320  HI.  Abschnitt 

tember  noch  schlecht  gewesen,  so  gelang  es  ihm,  ungestört  von 
den  Preußen  in  der  Nacht  zum  21.  eine  bessere  einzunehmen, 
die  stark  war  und  eine  völlige  Einschließung  durch  die  Preußen 
unmöglich  machte1).  Was  nützte  es  dann,  daß  auch  die  Preußen 
die  ihrige  verbesserten?  Wohl  litten  auch  die  Franzosen  Mangel, 
aber  er  war  nicht  zu  vergleichen  mit  dem  der  Preußen,  die  noch 
dazu  am  20.  beinahe  ihr  ganzes  Gepäck  infolge  ihres  sorglosen 
Vorgehens  eingebüßt  hätten.  Tatsächlich  blieb  jetzt  nur  noch 
der  Entschluß  zum  Rückzug  übrig.  Aber  beide  Teile  erkannten 
die  Lage  nicht  richtig.  Man  war  im  preußischen  Hauptquartier 
durchaus  nicht  gleich  so  verzweifelt,  wie  vielfach  angenommen 
wird2).    Man  wähnte,  den  Angriff  nur  verschoben  zu  haben,  des 

1 )  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  356;  Ch.V.  225—227;  Boguslawski  II  54; 
Lettres  sur  Dumouriez  92 — 93. 

3)  Sybel  II  311—312;  H  e  i  g  e  1  II  34—35;  T  e  r  n  a  u  x  IV  161 
bis  163;  S  o  r  e  1 III  50;  Ch.V.  233—234;  H  ü  f  f  e  r  im  Goethe-Jahrbuch 
IV  (1883),  S.  98,  dazu  H  ü  f  f  e  r  26.  Die  Aussprüche  von  Goethe  und  von 
Massenbach  scheinen  sich  mit  den  übrigen  Quellen  nicht  vereinigen  zu 
lassen  (Ranke  235  ff. ;  Massenbach  I  94  und  115;  Krieg  gegen 
die  Revolution  II  171;  Marwitz  I  64).  Bei  Massenbach  ist  sicher  die 
Tendenz  vorhanden,  nachzuweisen,  daß  er  den  schlechten  Ausgang 
vorausgesehen  habe.  Aber  dazu  wurde  er  gebracht  nicht  durch  eine 
richtige  Würdigung  der  Kraft  der  französischen  Revolution,  sondern 
durch  die  Fehler  des  Herzogs  von  Braunschweig.  Gcethe  faßte  die  Sache 
allgemeiner  an,  ich  halte  es  aber  nicht  für  ausgeschlossen,  daß  er  durch 
Massenbach  in  der  Fassung  der  Worte  beeinflußt  worden  ist  (vgl.  auch 
H  ü  f  f  e  r  im  Goethe -Jahrbuch  IV  (1883)  S.  92  für  eine  andere  Episode). 
Ein  erstes  Anzeichen  für  eine  derartige  Stimmung  auf  der  Seite  der 
Verbündeten  (Peltier,  dernier  tableau  de  Paris.  Ap.  zu  Nr.  V, 
S.  IX)  finde  ich  (vgl.  auch  Carisien  125,  Bericht  vom  10.  November 
1792;  die  Prophezeiung  im  Politischen  Journal  [1792,  S.  1143]  vermag 
ich  nicht  höher  einzuschätzen  als  andere  gleichen  Schlages  in  der  gleichen 
Zeitschrift;  vgl.  z.  B.  S.  1092)  bei  M  a  s  s  e  n  b  a  c  h  I  45  (er  will  diese 
Stelle  Ende  Dezember  1792  geschrieben  haben),  ein  weiteres  in  dem  1795 
erschienenen  Buche:  Lettres  sur  l'ouvrage  intitule  la  vie  du  gen.  Du- 
mouriez, S.  38  (das  Werk  ist  wohl  unter  den  Auspizien  des  Herzogs 
von  Braunschweig  abgefaßt  worden).  Unmöglich  wäre  es  nicht,  daß 
Massenbach  der  Verfasser  der  Briefe  ist,  aber  dann  müßte  er  einen  fran- 
zösischen Mitarbeiter  gehabt  haben.  Sein  Verhältnis  zum  Herzog  war 
1795  zwar  wohl  nicht  mehr  so  gut  wie  früher,  aber  ich  finde  doch  be- 
merkenswerte Übereinstimmungen,  namentlich  für  den  Kriegsrat  vom 
1.  September  (Lettres  63  und  147),  für  die  Beurteilung  des  Vorgehens 
über  die  Maas  (Lettres  72 — 75  und  I  42 — 43  und  51 — 56,  aber  dazu  75, 
wo  der  Fehler  zugegeben  wird;  das  ist  wohl  eine  spätere  Zugabe),  für  die 
Bedeutung  des  Herzogs  nach  dem  Maasübergang  (Lettres  64  u.  I  50 — 51), 
für  sein  Verhältnis  zum  Könige  (Lettres  88 — 90,  53 — 56,  62  und  I  77  unc" 
127),  für  die  Verpflegung  der  Armee  (Lettres  88—89  und  I  111—112). 


Von  Koblenz  bis  Valmy  321 

Erfolges  doch  sicher  zu  sein.  „Valmy  brachte  alle  moralischen 
Kräfte  auf  die  Seite  der  Franzosen"1).  Aber  bei  ihrem  leicht 
beweglichen  Geiste  konnte  rasch  ein  Umschlag,  namentlich  unter 
den  neugebildeten  Frei willigenbataillonen,  eintreten2).  Man  wußte 
durch  Deserteure  im  preußischen  Lager,  daß  die  Pariser  Regie- 
rung den  Rückzug  Dumouriez'  nach  Chälons  wünschte3).  Auch 
die  französische  Armee  litt  ja  Mangel.  Die  Preußen  hofften  ihn 
durch  Wegnahme  von  Transporten  verstärken  zu  können.  Ex- 
zesse waren  unter  diesen  Truppen  wahrlich  keine  Seltenheit. 
Es  fehlte  noch  die  Disziplin,  um  sie  solche  Leiden,  wie  die  Preußen 
sie  auszustehen  hatten,  geduldig  ertragen  zu  lassen.  Nur  dem 
zuversichtlichen,  bald  heiteren,  bald  strengen,  stets  aber  an  ihr 
Ehrgefühl  appellierenden  Auftreten  Dumouriez'  gelang  es,  sie 
über  diese  gefährlichen  Tage  hinwegzubringen4). 

Noch  hatten  die  deutschen  Heere  eine  imponierende  Stellung 
inne5).    Jeder  Augenblick  konnte  eine  entscheidende  Affäre  her- 


Es  bestärkt  mich  nur  in  meiner  Ansicht,  daß  in  den  Memoiren  das  Magazin  - 
system  schlecht  gemacht,  der  Herzog  deswegen  getadelt  wird  (I  68 — 69), 
während  er  in  den  Lettres  noch  entschuldigt  wird  (79 — 89).  Massenbachs 
Ansichten  hatten  sich  eben  von  1795  bis  1809  unter  dem  beherrschenden 
Einfluß  der  napoleonischen  Kriegskunst  gewandelt  (vgl.  auch  I  96  über 
den  Charakter  des  Herzogs).  Die  Karte  bei  den  Lettres  zeigt  an  derselben 
Stelle  eine  aufgeheftete  Veränderung  wie  die  in  den  Memoiren.  —  Erst 
durch  Napoleon  scheint  Massenbach  auch  zu  der  richtigen  Würdigung 
Valmys  gebracht  worden  zu  sein,  die  er  an  der  Hauptstelle  auch  noch 
so  ausdrückt,  daß  an  ihrer  späteren  Formulierung  gar  kein  Zweifel  mehr 
sein  kann  (I  93),  ebenso  ein  zweites  Mal  (1 115).  Beide  Äußerungen  wären 
um  die  Jahreswende  1792 — 1793  undenkbar  (vgl.  auch  Zeißberg, 
Karl-Hohenlohe  1).  —  Daß  seinen  Memoiren  ein  Tagebuch  zu  Grunde 
liegt,  scheint  mir  sicher  (I  60,  69,  70,  81).  Er  verwandte  die  Befehle,  die 
er  sich  aufgeschrieben  hatte,  für  die  Schilderung,  machte  Eintragungen 
in  die  Karte  (I  60  ff.  und  90)  und  vermerkte  sich  den  Stand  der  Truppen, 
den  er  sonst  nicht  so  genau  kennen  konnte.  Hierin  liegt  auch  der  Grund 
meines  Zweifels  an  der  Erkenntnis  der  Bedeutung  des  Tages  durch 
Massenbach  (I  94 — 95).  Nicht  einmal  im  Januar  1793  wird  er  diese  später 
zugesetzte  Reflexion  gemacht  haben,  da  kurz  vorher  Napoleon  erwähnt 
wird  (I  96  und  115). 

1 )  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  357 ;  S  o  r  e  1 III  49.  Daß  die  preußischen  Truppen 
.enttäuscht  waren,  die  französischen  sich  ermutigt  fühlten,  zu  leugnen, 
fällt  mir  nicht  ein. 

2)  Häußer  I  379—380;  Boguslawskill  51—58;  Dumou- 
riez III  44;  Ch.R.  42—50. 

3)  Lettres  sur  Dumouriez  96 — 97;  Ternaux  IV  541. 
*)  S  o  r  e  1  III  55;  D  u  m  o  u  r  i  e  z  III  53—56. 

5)  Ranke  236. 
Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution       21 


322  III.  Abschnitt 

beiführen,  die  der  König  so  sehr  wünschte1).  Man  erinnerte  sich, 
gern  daran,  daß  der  König  jetzt  ziemlich  auf  demselben  Fleck 
stehe  wie  Attila  452 ;  es  macht  nichts  aus,  daß  dabei  ein  historischer 
Irrtum  vorliegt.  Je  weiter  wir  uns  von  der  Armee  entfernen,  mit 
um  so  größerer  Bestimmtheit  treten  die  Siegesnachrichten  auf, 
die  durch  falsche  Nachrichten  aus  dem  Hauptquartier  hervor- 
gerufen waren2).  Aber  die  Schlacht,  zu  der  Lucchesini  die  Hessen 
schon  herbeigerufen  wähnte,  mußte  jetzt  viel  blutiger  werden, 
als  einige  Tage  vorher,  da  die  Franzosen  sich  fühlen  gelernt  hatten 
und  ihnen  kein  Weg  zum  Rückzug  mehr  offen  zu  stehen  schien3). 
Das  gilt  jedoch  nicht  für  den  Herzog  von  Braunschweig,  der  sich 
mehr  als  je  in  seiner  Ansicht  bestärkt  fühlte,  daß  der  Marsch 
nach  Paris  ein  undurchführbares  Unternehmen  sei,  der  aber 
natürlich  seine  Ansichten  an  der  gehörigen  Stelle  wieder  nicht 
deutlich  zum  Ausdruck  brachte4).  Die  französischen  Generale 
freuten  sich  zwar  des  mutigen  Standhaltens  ihrer  Truppen,  aber 
noch  schienen  ihnen  die  Feinde  furchtbar  zu  sein5).  Sie  selbst 
waren  nicht  einig,  Kellermann  war  eifersüchtig  auf  Dumouriez. 
Erst  am  27.  September  wurde  diesem  der  oft  erbetene  Ober- 
befehl über  jenen  übertragen,  aber  auch  nur  für  die  Zeit  ihrer 
gemeinsamen  Operationen6).  Ihre  Verbindung  mit  Chälons  war 
beinahe  völlig  unterbunden,  und  wenn  es  nach  Servan  und  Keller- 
mann gegangen  wäre,  so  wäre  die  Armee  hinter  die  Marne  nach 
Chalons  zurückgegangen7).  Nur  Dumouriez  widersetzte  sich  dem, 
und  doch  mutet  seine  Zuversicht  auf  baldigen  Rückzug  der 
Preußen  stark  forciert  an.  Er  fürchtete  von  dem  weiteren  Zurück- 


1 )  Lucchesini  an  seine  Frau  22.  September.    P.  S.  zum  20.  September. 

2)  Fersen  II  38—40,  377;  Z  e  i  ß  b  e  r  g,  2  Jahre,  172—174;  Z  e  i  ß- 
b  e  r  g,  Karl-Hohenlohe  46 — 47.  Bericht  Cesars  10.  Oktober.  Briefe  von 
Chamisso,  Gneisenau,  Haugwitz  etc.  II  286.  Rep.  XI  Rußland  133  B. 
Alopeus  an  Schulenburg  27.  September.  Zeitschrift  des  Vereins  für 
hessische  Geschichte  und  Landeskunde.  Neue  Folge.  20.  Bd.  Kassel  1895. 
S.  223—225;  Politisches  Journal  1792,  S.  1095—1096. 

3)  Lucchesini  an  Schulenburg  22.  September.  P.S.  Attendez-vous, 
Mr.  le  Comte,  d'un  grand  carnage.  Les  Patriotes  se  battront  en  desesperes 
et  le  R .  .  .  veut  absolument  une  bataille.  Le  D...  commence  ä  n'en 
pouvoir  plus,  il  apprehend  de  nouvelles  difficultes,  il  voit  l'armee  se 
fondre  et  l'ennemi  se  renforcer  et  s'aguerrir.  La  perspective  est  fort 
triste,  je  ne  songe  pas  meme  ä  voir  Paris  de  cette  annee. 

*)  (3h.  V.  224  und  241 ;  H  e  i  g  e  1  II  35. 
6)  Sybel  II  312;  Ch.V.  229—230. 

6)  Sybel  II  318;  S  o  r  e  1  III  55  und  81;  T  e  r  n  a  u  x  IV  541. 

7)  Ch.R.   19  und  37—38;  Dumouriez  III  51—53,  56,  59—60. 


Verhandlungen  mit  Dumouriez  323 

gehen  der  Armee,  ganz  abgesehen  von  den  außerordentlichen 
militärischen  Schwierigkeiten,  die  eine  Auflösung  möglich  er- 
scheinen ließen,  auch  die  schlimmsten  Rückwirkungen  auf  Paris. 
Er  w  o  1 1 1  e  nicht  geschlagen  sein.  Deshalb  war  er  es  auch  nicht1). 
So  war  also  auf  preußischer  Seite  die  Niedergeschlagenheit2), 
auf  französischer  die  Siegeszuversicht  nicht  so  groß,  wie  es  uns 
jetzt  als  natürlich  erscheinen  sollte.  Gerade  dieser  Feldzug  zeigt 
nun  eine  innige  Verknüpfung  zwischen  militärischen  und  diplo- 
matischen Vorgängen3).  Beide  Parteien  suchten  sich  das  zunutze 
zu  machen.  Was  sie  auf  dem  einen  Wege  nicht  erlangt  hatten, 
konnten  sie  vielleicht  auf  dem  anderen  erreichen.  Konnten  die 
Preußen  Dumouriez  nicht  schlagen,  so  konnten  sie  ihn  vielleicht 
zum  Übertritt  auf  ihre  Seite  veranlassen.  Während  die  Heere 
sich  so  kampfbereit  gegenüberstanden,  entspannen  sich  Ver- 
handlungen, die  an  Zweideutigkeit,  an  Feinheit  ihresgleichen 
suchen,  deren  Zweck  aber  heute  zu  ergründen  im  großen  und 
ganzen  nicht  mehr  schwer  sein  kann4). 


3.  Kapitel 

Verhandlungen  mit  Dumouriez 

Nicht  von  Preußen,  wie  man  häufig  genug  mit  Dumouriez 
behauptet  hat6),  ging  die  Anregung  dazu  aus,  sondern  von  Du- 
mouriez selbst6).  Der  Zufall  verschaffte  ihm  die  Gelegenheit. 
Der  preußische  Kabinettssekretär  Lombard7)  war  am  20.  durch 
eigene  Unvorsichtigkeit  in  die  Hände  der  Franzosen  gefallen. 

x)  Boguslawski  II  50—51;  Sorel  III  50—51. 

2)  Erst  am  19.  November  schrieb  das  preußische  Kabinetts- 
ministerium an  Lucchesini,  als  es  den  Einfall  von  Custine,  den  Verlust 
Belgiens  also  schon  kannte:  Tels  sont  les  effets  d'une  seule  journee 
manquee,  ils  auraient  paru  incroyables  avant  le  20.  Septembre. 

3)  Sorel  III  38. 

4)  ibid.  III  45—47. 

5)  Dumouriez  III  61.  Er  verschiebt  die  Chronologie  völlig, 
ich  verzichte  auf  eine  Widerlegung  im  einzelnen. 

6)  Fersen  II  50—51 ;  H  ü  f  f  e  r,  Zwei  neue  Quellen  25—26  und 
Deutsche  Revue  1883  I  308;  M  a  s  s  e  n  b  a  c  h  1 109;  H  ä  u  ß  e  r  I  380  bis 
381;  Sybel  II  314;  Boguslawski  II  60—61;  Heigel  II  36; 
S  o  r  e  1  III  51. 

7)  Er  besorgte  mit  den  Geheimen  Kabinettsräten  Mencken  und 
Beyer  die  Geschäfte  des  Kabinetts  beim  Könige  im  Hauptquartier, 
zeitweise  sogar  allein;  Hüffer  18. 


324  HI.  Abschnitt 

Er  wurde  zuerst  nicht  gerade  mit  Samthandschuhen  angefaßt 
und  geriet  durch  die  ungewohnten  Anstrengungen  und  den  Mangel 
an  Nahrung  allmählich  in  einen  Zustand  von  Apathie,  aus  dem 
ihn  erst  die  Liebenswürdigkeit  Dumouriez'  wieder  aufrüttelte, 
der  ihn  zu  politischen  Zwecken  zu  gebrauchen  dachte1).  Wie 
kam  aber  Dumouriez  dazu,  Funktionen  auszuüben,  die  ihm  gar 
nicht  zustanden?  Der  damalige  Leiter  der  auswärtigen  An- 
gelegenheiten Frankreichs,  Lebrun,  war  ein  gewissenhafter, 
tüchtiger,  aber  nicht  besonders  hervortretender  Mann2).  Von 
ihm  hatte  Dumouriez  keine  Zurechtweisung  zu  befürchten.  Er 
fühlte  sich  nun  wieder  an  entscheidender  Stelle,  und  man  kann 
sich  eines  Lächelns  nicht  erwehren,  wenn  man  ihn  sich  in  gewisser 
Weise  darüber  beklagen  hört3).  Sofort  nahm  er  die  zu  seinem 
Ärger  im  April  von  Preußen  abgelehnten  Unterhandlungen  wieder 
auf  mit  derselben  Tendenz  wie  damals,  Preußen  von  der  Koalition 
abzulösen  und  womöglich  ein  Bündnis  zwischen  ihm  und  Frank- 
reich zustande  zu  bringen.  Dazu  gewann  er  bei  den  Verhandlungen 
Zeit;  sie  sollte  ihm  helfen,  die  Preußen  ganz  mürbe  zu  machen. 
Freilich  war  er  selbst  dabei  in  einer  gefährlichen  Lage.  Die 
Soldaten  waren  unzufrieden  mit  der  schlechten  Verpflegung,  die 
Generale,  besonders  Kellermann,  sahen  von  diesem  Stehenbleiben 
nur  Schlechtes  voraus,  die  neugebildeten  Freiwilligenbataillone 
waren  für  Dumouriez  anfangs  ein  Danaergeschenk,  die  Regierung 
endlich  wünschte  wie  die  Generale  aus  Rücksicht  auf  Paris, 
Dumouriez  solle  eine  feste  Stellung  hinter  der  Marne  einnehmen4). 
Er  allein  hielt  stand  und  ließ  sich  nicht  zu  einem  Rückzuge  be- 
wegen, der  für  ihn  in  der  Tat  das  allergefährlichste  Wagnis  ge- 
wesen wäre,  wie  Napoleon  bemerkt5).  Nur  ein  Vormarsch  des 
Herzogs  nach  Chälons  hätte  ihn  bewegen  können,  seine  Stellung 
zu  verlassen  und  sich  an  seine  Fersen  zu  heften.  Militärisch  war 
er  dabei  nicht  müßig.  Hätte  er  selbst  überall  seine  zahlreichen 
Streifkorps  führen  können,  so  wäre  die  preußische  Armee  wohl 
gänzlich  ihrer  Verpflegung  beraubt  worden6).     Dazu  zog  er  von 


1 )  Davon  sagt  Lombard  seiner  Frau  nichts. 

2)  Ch.R.  2—3. 

3)  Ternaux  IV  541. 

4)  Ch.R.  126—128  und  130  ff.;  Politisches  Journal  1792,  S.  1042  bis 
1043. 

6)  Ch.R.   121—122;  Ranke  244. 

6)  Boguslawski  II  60;  Krieg  gegen  die  Revolution  II  172 
bis  174;  Ternaux  IV  545 — 547;  Dumouriez  III  44;  Lucchesinis 
Bericht  21.  und  22.   September  mit  Beilagen. 


Verhandlungen  mit  Dumouriez  325 

allen  Seiten  Verstärkungen  an  sich  und  hätte  Custine  lieber  auf 
Metz  und  Bar  le  Duc  als  an  den  Rhein  dirigiert,  wovon  er  sich 
nur  einen  Augenblickserfolg  versprach1).  Es  nützte  auch  nichts, 
daß  Custine  seinem  besonderen  Vorgesetzten  Biron  versprach, 
bei  Speyer  stehen  zu  bleiben2).  Sein  Ungestüm  riß  ihn  fort,  die 
Not  seiner  Gegner  gründlich  auszunützen.  Auch  ohne  seine  Mit- 
wirkung war  Dumouriez  doch  nahe  daran,  die  Preußen  zu  um- 
fassen, als  sie  sich  freiwillig  auf  den  Rückzug  machten3).  War 
für  ihn  zunächst  das  wichtigste,  Zeit  zu  gewinnen,  so  trat  immer 
mehr  die  eigentlich  politische  Absicht  hervor.  Das  allgemeine, 
dauernde  Moment  drängte  das  besondere,  nur  kurze  Zeit  wirk- 
same in  den  Hintergrund,  je  stärker  sich  die  Unmöglichkeit  für 
die  Preußen  zeigte,  den  Marsch  auf  Paris  fortzusetzen4).  So  eitel, 
wie  er  sie  selbst  zeitweise  darzustellen  beliebte,  waren  seine  Ver- 
handlungen mit  Preußen  also  nicht5). 

Ein  Brief  Friedrich  Wilhelms,  in  dem  dieser  seinen  Sekretär 
reklamierte  und  den  Heymann  überbrachte6),  gab  ihm  noch 
einen  Grund  mehr,  mit  seinen  Vorschlägen  hervorzutreten.  Er 
ließ  Lombard  am  22.  ohne  irgendwelche  Bedingung  frei,  um  durch 
diese  Liebenswürdigkeit  Friedrich  Wilhelm  günstig  zu  stimmen. 
Aber  der  Kommissar  des  Konventes  bezw.  des  Conseil  executif, 
Westermann,  die  rechte  Hand  Dantons,  der  seit  dem  14.  Sep- 
tember bei  Dumouriez  in  offizieller  Mission  weilte7),  machte  ihm 
einen  Strich  durch  die  Rechnung.  Sowie  er  durch  Dumouriez 
davon  erfuhr8),  der  auf  ihn  wegen  seiner  Stellung  starke  Rück- 
sicht nehmen  mußte  und  ihn  deshalb  ins  Geheimnis  zog,  hielt 
er  Lombard  fest  und  setzte  bei  Dumouriez  durch,  daß  für  seine 
Freilassung  die  des  Maires  George  von  Varennes  gefordert  wurde, 
den  die  Preußen  gefangen  hatten.  Westermann  ritt  selbst  ins 
preußische  Lager  mit  einem  Briefe  Lombards  darüber  und  einem 
Memoire  Dumouriez',  das  Lombard  eigentlich  hatte  überbringen 
sollen,  und  bat  um  eine  mündliche  Beratung  in  Dampierre,  in 


1)  Sybel  II  317  und  336—338;  Te mau x  IV  540— 541;  Ch.R.  123. 

2)  Ternaux  IV  558  und  560—561. 

3)  Ch.R.  124—125;  D  u  m  o  u  r  i  e  z  III  3  und  16—17. 
*)  Häußer  I  380  und  383. 

6)  Ternaux  IV  542;   Sybel  II  312—317;   Häußer  I  381; 
Ranke  236—237;  Sorel  III  51. 

6)  Häußer  I  381. 

7)  Dumouriez  II  380—381;   Sorel  III  52—53. 

8)  Notes  de  Topino-Lebrun  24. 


320  III.  Abschnitt 

der  man  auch  über  die  Sicherung  von  Ludwig  sprechen  könne1). 
Tatsächlich  ging  Friedrich  Wilhelm  darauf  ein.  Sein  Sekretär 
war  ihm  mehr  wert  als  die  Rache  an  einem  Revolutionär  trotz 
des  Schreiens  der  Emigranten;  aber  man  darf  darin  nicht  gleich 
einen  Beweis  für  die  politische  Bedeutung  Lombards  sehen  wollen. 
Es  war  Gutmütigkeit  vom  Könige,  die  ihn  dazu  veranlaßte, 
nicht  Berechnung.  So  wurde  Lombard  am  23.  September  endlich 
wieder  frei  und  mußte  nach  seiner  Rückkehr  ins  preußische  Lager 
sofort  dem  Herzog  von  Braunschweig  alle  seine  Erlebnisse  er- 
zählen. Die  Spannung  war  ja  aufs  höchste  gestiegen.  Das 
Memoire  war  schon  bekannt,  und  man  erwartete  von  Lombard 
genauere  Auskunft  über  Dumouriez'  Lage  und  seine  Absichten; 
ich  zweifle  stark  daran,  daß  er  sie  hat  geben  können.  Man  wird 
gut  tun,  seinen  Einfluß  nicht  zu  überschätzen;  für  diese  Zeit 
glaube  ich  ihn  überhaupt  in  Abrede  stellen  zu  können2).  Der 
Adjutant  Dumouriez',  Fortair,  hatte  das  Memoire  nach  dessen 
Angaben  am  22.  September  entworfen3).  Es  war  darauf  be- 
rechnet, Zwietracht  zwischen  Preußen  und  Österreich  zu  säen, 
das  den  Preußen  allein  die  Last  der  Unternehmung  zuschiebe, 
um  nachher  seinerseits  allein  die  Früchte  einzuheimsen.  Ferner 
übertrieb  er  seine  eigene  Stärke  darin  und  stellte  die  Lage  der 
Preußen  als  gefährlicher  dar,  als  er  selbst  wohl  glaubte,  und  sah 
von  einem  weiteren  Vorrücken  der  Preußen  nur  eine  Steigerung 
der  Gefahr  für  Ludwig  voraus4),  um  den  freiwilligen  Rückzug  dieser 
gefährlichen  Gegner  zu  erlangen.  Man  könne  dann  die  Verhand- 
lungen an  dem  Punkte  wieder  aufnehmen,  wo  sie  in  Berlin  ab- 
gebrochen worden  seien,  mit  dem  Ziele  der  Demütigung  Österreichs. 
Bei  Preußen  machte  dieser  Schritt  Dumouriez'  aber  einen 
ganz  andern  Eindruck,  als  er  erwartet  hatte.  Statt  seine  Haupt- 
these, die  Trennung  Preußens  von  Österreich,  anzunehmen, 
wollte  Preußen,  was  man  auch  dagegen  sagen  mag,  an  Öster- 
reich festhalten  und  erblickte  in  jenem  Memoire  zusammen  mit 
den  Verhandlungen  im  April,  auf  die  darin  hingedeutet  Wurde, 
das  erste  Anzeichen  für  Dumouriez'  Absicht,  sich  zu  Gunsten 
Ludwigs  XVI.  mit  den  Alliierten,  speziell  mit  Preußen  zu  ver- 

1 )  S  y  b  e  1 II  316;  H  ü  f  f  e  r  in  Deutsche  Revue  1883  I  308;  H  e  i  g  e  1 
II  37;  Lucchesinis  Bericht  29.    September;   Sorel  III  53. 

2)  Hüffer,  Zwei  Quellen  6.  Hüffer  hat  selbst  sein  Urteil,  zum 
Teil  beeinflußt  durch  die  Arbeiten  Chuquets,  in  diesem  Sinne  berichtigt 
(Kabinettsregierung  27—31,  38—40  und  498—499). 

3)  Ch.V.  28  und  Ch.R.  78—84. 

4)  Häußer  I  381. 


Verhandlungen  mit  Dumouriez  327 

bünden1).  Endlich  also  schien  sich,  wenn  auch  erst  unsicher, 
der  Wunsch  zu  erfüllen,  daß  man  nicht  gegen  Frankreich,  sondern 
nur  gegen  eine  Partei  zu  kämpfen  habe,  gegen  die  sich  der  gesunde 
Teil  der  französischen  Nation  erheben  werde.  Die  Not  schien 
Dumouriez  nur  zwei  Auswege  zu  lassen,  zu  kapitulieren  oder  sich 
mit  den  Mächten  zu  verbünden2).  Mochte  auch  der  König  an 
der  Ehrlichkeit  seiner  Absichten  zweifeln,  so  wollte  er  doch 
nicht  ein  Anerbieten  zurückweisen,  das  eine  rasche,  ehrenvolle 
Beendigung  der  nur  zu  langen  „Promenade"  ermöglicht  und 
weiteres  Blutvergießen  unnötig  gemacht  hätte.  Der  Herzog  von 
Braunschweig  drängte  auch  darauf  hin,  da  er  an  weiteren  Er- 
folgen verzweifelte3).  Mehr  als  je  schien  auch  das  Schicksal 
Ludwigs  dazu  aufzufordern,  diesen  Weg  wenigstens  zu  ver- 
suchen. Schon  war  aus  Paris  die  Nachricht  eingetroffen,  der 
Konvent  wolle  am  24.  (sie!)  zusammentreten,  den  König  für  des 
Todes  schuldig  erklären  und  für  seine  Begnadigung  den  sofortigen 
Rückzug  der  Armeen  aus  Frankreich  als  Preis  verlangen4). 
Wenige  Tage  später  (20.  September)  schrieb  Lucchesini  an  seine 
Frau:  „Die  Königin  ist  sicher  verloren  und  der  König  wahr- 
scheinlich auch!"  So  wenig  man  daran  verzweifelte,  die  Jako- 
biner zu  schlagen,  um  so  mehr  an  der  Möglichkeit,  den  Geist  der 
Unbotmäßigkeit  rasch  zu  ersticken. 

Bischoffwerder  war  in  den  letzten  Wochen  in  den  Hinter- 
grund getreten,  krank  und  verärgert,  im  Zusammenhang  mit  der 
Zurückdrängung  der  Emigranten  durch  Preußen,  die  er  angeb- 
lich in  seinem  eigenen  Interesse  zu  stark  begünstigt  hatte,  was 
dem  König  zu  Ohren  gekommen  sei5).  Seine  Gesundheit  erlangte 
er  im  ganzen  bald  wieder,  aber  sein  politischer  Einfluß  war  für 
längere  Zeit  gebrochen.  Höchstens  hatte  er  dem  Könige  in  den 
Audienzen  Leute  vorzustellen,  aber  dieser  behandelte  ihn  dabei 
gut6).    Oberstleutnant  Manstein,  der  schon  lange  eine  bedeutende 

1 )  Vivenotll  571 ;  Lettres  sur  Dumouriez  96  und  101 ;  Ranke 
295—296;  Dumouriez  III  61—62. 

2)  H.E.B.  299—300. 

3 )  ibid.  und  Vivenot  II  572;  H  äußer  I  386;  Lucchesinis 
Berichte  29.   September  und  3./7.  Oktober. 

*)  Lucchesini  an  Finckenstein  und  Alvensleben  15.   September. 

5)  Rep.  XI  89  h  Reck  an  Schulenburg  5.  Oktober;  Vivenot  II  571 
und  572;  Lucchesini  an  seine  Frau  11.  September.  Fritz  Härtung, 
Hardenberg  und  die  preußische  Verwaltung  in  Ansbach-Bayreuth  von 
1792—1806.     Tübingen  1906.     S.  59. 

6)  H.E.B.  297.  Das  blieb  auch  kein  Geheimnis  (ForneronI  367). 
Fe  ui  11  et  VI  368,  372—373,392—393;  Fersen  II  61;  A.D.B.  II  677; 


328  III.  Abschnitt 

Rolle  neben  ihm  spielte  und  sich  jeden  Augenblick  bereit  hielt, 
das  Erbe  anzutreten,  trat  an  seine  Stelle1).  Er  war  einer  der 
Hauptvertreter  des  Gedankens  einer  Verbindung  zwischen 
Preußen  und  Frankreich  und  hatte  sich  für  den  Krieg  gegen  die 
Revolution  nur  durch  die  Aussicht  auf  eine  rasche  Beendigung 
der  Promenade  und  eine  darauf  folgende  Anknüpfung  zwischen 
beiden  Staaten  gewinnen  lassen.  Als  er  sich  in  jener  Hoffnung 
getäuscht  sah,  wollte  er  um  so  mehr  den  Krieg  rasch  beendigen, 
der  fast  allein  mit  preußischen  Mitteln  geführt  werde  und  Öster- 
reich zu  nützen  verspreche.  Man  hat  ihn  infolgedessen  zu  einem 
erklärten  Gegner  der  österreichisch-preußischen  Verbindung  ge- 
stempelt und  insofern  mit  Recht,  als  es  nur  auf  seine  persön- 
lichen Ansichten  dabei  ankam.  Aber  man  würde  seine  Bedeutung 
wie  überhaupt  die  der  Ratgeber  des  Königs  überschätzen,  wollte 
man  glauben,  daß  dieser  ihnen  vollkommen  freie  Hand  gelassen 
habe.  Er  ging  keinen  Augenblick  von  seiner  Verbindung  mit 
Österreich  ab  und  sicherte  sich  für  diese  Unterhandlungen  vorher 
die  Billigung  des  Fürsten  Reuß2),  dem  es  allerdings  nicht  schwer 
fiel,  den  Preußen  einen  Schritt  entgegenzukommen,  der  aber  auch 
die  Loyalität  der  Preußen  zu  rühmen  nicht  verabsäumte3).  Auch 
Breteuils  Zustimmung  sicherte  sich  der  König  durch  Caraman. 
Er,  Nassau  und  Reuß  wurden  durch  Manstein  auf  dem  laufen- 
den darüber  gehalten4).  Der  König  berief  endlich  sofort  Luc- 
chesini  zu  sich  ins  Hauptquartier5),  der  sicherheitshalber,  an- 


H  ei  gel  II  82;  Lucchesini  an  seine  Frau  1.  November;  10.,  17.  De- 
zember 1792;  4.,  14.,  21.  Januar;  1.,  11.,  15.,  22.,  25.  Februar  1793. 
Rep.  XI  89.  Frankreich  varia  Bischoffwerder  an  Ephraim  15.  November 
1792;  30.  Mai  1793. 

*)  Hau ß er  I  381 ;  Sy  bei  11314—315;  Heigel  II 37;  Ch.R,  75—76. 

2)  Vi  veno  t  II  572  und  581;  Ch.R.  100—101;  Ranke  236; 
Sybel  II  348—349;  Hei  gel  II  44^5. 

3 )  Das  war  wirklich  nötig,  schadete  ihm  aber  noch  in  Wien.  V  i  v  e- 
n  o  t  II  581.  Daß  Friedrich  Wilhelm  erst  Verhandlungen  für  Preußen 
allein  mit  Dumouriez  mit  Verachtung  abgewiesen  habe,  berichtet  nur 
Reuß  (V  i  v  e  n  o  t  II  572)  und  ist  daher  wohl  abzulehnen. 

4)  Sorel  III  54. 

5)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12:  Friedrich  Wilhelm  an  Lucchesini. 
Au  Quartier  General  ä  Hans  ce  23.  Septembre  1792.  J'ai  ete  fort  inquiete 
pour  vous,  Monsieur  le  Marquis,  puisque  votre  quartier  etait  expose. 
J'envoie  une  escorte  qui  vous  conduira  ici  d' apres  le  chemin  indique  par 
le  Duc,  et  vous  me  ferez  le  plaisir  d'y  venir  le  plus  tot  possible  pour  regier 
l'af faire  de  laquelle  nous  sommes  convenus  ä  Landres.  Sur  ce  . . .  Der  Hin- 
weis ist  mir  noch  nicht  ganz  klar.  Geht  er  auf  den  Versuch  Massenbachs 
bei  Dumouriez? 


Verhandlungen  mit  Dumouriez  329 

geblich  auf  Verlangen  des  Königs  und  des  Herzogs,  von  Termes 
südöstlich  von  Grandpre  nach  Verdun  mit  dem  diplomatischen 
Korps  zurückgegangen  war,  wo  er  am  24.  September  abends 
10  Uhr  eingetroffen  war.  Am  25.  früh  hatte  er  Briefe  vom  König 
und  vom  Herzog.  Um  10  Uhr  früh  reiste  er  ab,  war  abends  10  Uhr 
in  Termes.  Um  Mitternacht  setzte  er  sich  zu  Pferde  und  war 
früh  um  6  in  Hans,  dem  preußischen  Hauptquartier1). 

Ich  glaube  nicht,  daß  den  König  das  Verhalten  Österreichs 
und  Rußlands  in  der  Entschädigungsfrage  zu  dem  Eingehen 
auf  die  Verhandlungen  mit  Dumouriez  veranlaßt  hat.  Viel 
eher  drängte  es  ihn  dazu,  zu  schlagen,  um  sich  durch  einen  Sieg 
einen  neuen  Anspruch  auf  Entschädigung  zu  sichern2).  Wie  es 
heißt,  fand  am  22.  eine,  vermutlich  durch  Westermann  ver- 
mittelte, Zusammenkunft  mit  Dumouriez  und  Kellermann  bei 
den  Vorposten  statt,  an  der  auch  Heymann  teilnahm3).  -  Man 
verabredete  eine  Besprechung  für  den  23.  in  Dampierre  sur 
Auve,  dem  Hauptquartier  Kellermanns.  Dahin  ritten  dem- 
zufolge Manstein  und  Heymann4),  noch  vor  Ankunft  Lombards, 
die  erst  in  der  Nacht  erfolgte.  Heymann  hatte  ja  die  Eröff- 
nungen Benoits  vermittelt  und  kam  mit  seinen  Anschauungen 
über  die  zukünftige  Gestaltung  Frankreichs  dem  preußischen 
Standpunkte  erheblich  näher  als  die  eigentlichen  Emigranten. 
Dumouriez  versprach  positiv  nichts,  ließ  aber  die  günstigsten  Ge- 
sinnungen erkennen.  Manstein  gab  schließlich  den  französischen 
Generalen  schriftlich  die  Bedingungen,  unter  denen  Friedrich 
Wilhelm  bereit  sei,  in  eine  Verhandlung  einzutreten5).     Sie  ent- 


1 )  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  363;  Ranke  295.  Lucchesini  an  seine  Frau 
1.  Oktober.  Rep.  XI  Rußland  133  B.  Alopeus  an  Schulenburg  27.  Sep- 
tember. 

2)  S  y  b  e  1 II  316;  B  o  g  u  s  1  a  w  s  k  i  II  62;  S  o  r  e  1 III  53.  Lucche- 
sinis  Bericht  21.   September. 

3)  Häußer  I  382;  Dumouriez  III  61.  Lucchesinis  Nachlaß 
40 III:  Au  Qu.  G.  de  Ste.  Menehould  le  22.  Septembre  ä  7  heures  du  soir. 
Si  M.  l'adjutant  General  Manstein  veut  se  rendre  demain  ä  midi  ä  Dam- 
pierre sur  Auve  au  Quartier  du  General  en  chef  Kellermann,  il  y  sera 
parfaitement  recu  par  ce  General  ainsi  que  par  le  General  Dumouriez. 
Si  son  compagnon  de  voyage  veut  y  venir,  il  faut  que  ce  (soit)  i  n  c  o  g- 
n  i  t  o  et  comme  aide  de  camp  vu  les  circonstances.  Les  Generaux  des 
armees  reunies.  Dumouriez.  Kellermann.  Der  letzte  Satz  bezieht  sich 
zweifellos  auf  Heymann  und  erklärt  manches. 

*)  Sybel  II  316;   Sorel  III  53;  Feuillet  VI  358. 
5)  Ch.R.  86;  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  359  gibt  die  für  die  Emigranten  wich- 
tigen Versprechungen,  nicht  Bedingungen  an. 


330  HI.  Abschnitt 

sprachen  ganz  dem,  was  man  Benoit  im  April  gesagt  hatte.  Zu- 
nächst verlangte  man,  mit  dem  Könige  zu  verhandeln  als  dem 
rechtmäßigen  Vertreter  Frankreichs,  nicht  über  die  Herstellung 
des  ancien  regime  schlechthin1),  sondern  über  einen  Zustand, 
wie  er  für  das  Reich  angemessen  sei.  Manstein  versprach  münd- 
lich, daß  sich  Preußen  nicht  in  die  Verfassung  einmischen  werde. 
Jede  Propaganda  müsse  aufhören2)  und  der  König  völlig  frei 
sein.  Heymann  seinerseits  Heß  noch  eine  andere  Möglichkeit 
erkennen,  sich  zu  einigen,  nämlich  durch  die  Inthronisierung  des 
Herzogs  von  Orleans,  des  vielberühmten  Egalite,  der  eben  jetzt 
diesen  Namen  angenommen  hatte3),  der  schon  immer  darauf - 
aus  gewesen  war,  auf  den  Thron  zu  gelangen4).  Aber  dieser  Weg 
erwies  sich  rasch  als  ungangbar  infolge  der  engen  Verbindung 
des  Herzogs  mit  den  Jakobinern.  Wie  stand  es  mit  dem  andern? 
Dumouriez  und  Kellermann  konnten  die  preußischen  Vor- 
schläge nur  weitergeben,  Westermann  reiste  am  24.  damit  nach 
Paris  ab5).  Die  Feindseligkeiten  wurden  bei  den  Vorposten  in 
der  Front  des  Lagers  als  unnütze  Neckerei  bis  zur  Entscheidung 
darüber  eingestellt6).  Kellermann,  der,  ebenso  wie  Dumouriez 
und  alle  vorwärtsstrebenden  Franzosen,  sich  gern  mit  Preußen 
verbunden,   Österreich  gedemütigt  hätte7),  sah  keine  Schwierig- 


1 )  Ranke  236.  Man  war  bereit,  Klerus  und  Adel  den  Franzosen 
zu  opfern,  die  ihrerseits  den  Emigranten  ein  erträgliches  Leben  im  Aus- 
lande ermöglichen  sollten. 

2)  Sogar  die  preußische  Armee  versuchten  die  Franzosen  jetzt  zu 
gewinnen,  schwerlich  ohne  Genehmigung  Dumouriez',  sondern  wohl  auf 
seinen  Antrieb,  wie  die  Nationalversammlung  es  in  ihrem  Dekret  vom 
20.  April  angedeutet  und  Dumouriez  in  Belgien  ausgeführt  hatte.  Massen- 
haft wurden  Proklamationen  verteilt,  in  denen  jedem  Deserteur  eine 
Rente  von  100  Livre  und  eine  Belohnung  von  50  Livre  versprochen  wurde, 
ferner  durch  persönliche  Einwirkung  französischer  Soldaten  —  man  nahm 
dazu  deutschredende  Elsässer  und  Lothringer  —  bis  die  Preußen  sich 
das  energisch  verbaten.  Trotz  der  schlechten  Verpflegung  —  gewiß  ein 
wichtiger  Punkt  —  desertierte  keiner  (F  e  u  i  1 1  e  t  VI  362 — 363; 
Massenbach  I  119;  Ternaux  IV  542;  Dumouriez  II  380; 
HäußerI383;BoguslawskiII63;HeigelII  37—38;  S  o  r  e  1 
III  57;  Ch.R.  94—98;  Politisches  Journal  1792,  S.  1134—1135. 

3)  Laugier-Carpentier  67 — 68  sucht  ihn  natürlich  des- 
wegen zu  entschuldigen. 

i)  Lescure   II   624;    Feuillet  VI  384;   Vatel,    Vergniaud 
II  145—146;  Fersen  II  40;  Ranke  228—229;  Ch.R.  86. 
5)  Notes  de  Topino-Lebrun  24;    Sorel  III  56—57. 
6)HäußerI383;DumouriezIII63f.;HeigelII  36—37. 
7)  Ch.R.  87;  Sorel  III  55—56. 


Verhandlungen  mit  Dumouriez  331 

keit,  auf  die  preußischen  Forderungen  einzugehen.  Aber  man 
wird  schwerlich  zugeben  können,  daß  sich  Preußen  mit  seiner 
Auslegung  einverstanden  erklärt  hätte.  Ludwig  war  in  den 
Tuilerien  eben  nach  preußischer  Auffassung  nicht  frei  ge- 
wesen, er  hätte  also  von  einem  andern  Orte  aus  die  Verhandlung 
aufnehmen  müssen,  und  zwar  direkt,  nicht  durch  Vermittlung 
des  Ministeriums,  ja  man  dachte  sogar  an  eine  Verhandlung  mit 
Ludwig  persönlich  im  Lager  von  Ste.  Menehould1).  Dumouriez 
glaubte  von  Anfang  an  weniger  an  die  Genehmigung  des  Kon- 
ventes. Er  gab  Manstein  nur  eine  einfache  Empfangsbestätigung 
für  seine  Vorschläge2)  und  bat  durch  Westermann  in  Paris  um 
Instruktionen,  der  angeblich  sogar  preußische  Pässe  erhielt,  um 
seinen  Weg  abzukürzen3). 

Nach  der  Erklärung  der  Republik,  von  der  er  am  23.  abends 
erfuhr4),  war  der  preußische  Vorschlag  an  sich  hinfällig  geworden5). 
Es  galt  nun  eine  neue  Basis  zu  finden,  auf  der  man  unterhandeln 
konnte.  Denn  Dumouriez  war  nicht  gewillt,  nun  seinen  Ver- 
such aufzugeben,  ebensowenig  aber,  sich  gegen  die  Republik  zu 
erklären.  Was  auch  seine  Gedanken  dabei  gewesen  sein  mögen 
—  er  stellte  sich  mit  beiden  Füßen  auf  diese  neue  Basis  und  sein 
Heer  mit  ihm ;  es  gab  für  ihn  keine  andere  Möglichkeit6).  Er  hoffte, 
daß  sich  Preußen  mit  dieser  Tatsache  abfinden  werde  und  fand 
in  Manstein  einen  willigen  Partner.  Da  Dumouriez  sich  trotz 
anfänglicher  Zusage  doch  weigerte,  ins  preußische  Lager  zu 
kommen,  so  ging  Manstein  am  25.  noch  einmal  nach  Dampierre 
zum  Diner  und  zur  Konferenz.  Dumouriez  teilte  ihm  durch 
Überreichung  des  Moniteur  offiziell  die  Erklärung  der  Republik 
mit,  erklärte  aber  zugleich  seinen  Wunsch,  die  Verhandlungen 

x)  Ranke  236;  Feuillet  VI  358—359;  Ch.R.  89. 

2)  Häußer  I  382. 

3)  Lettres  sur  Dumouriez  96. 

4)  Ranke  240;  Heigel  II  37;  Ch.R.  89—91;  Dumouriez  III 
58  und  65—66;  Häußer  I  382—383;  Sybel  II  317. 

5)  Sie  machte  im  preußischen  Hauptquartier  tiefen  Eindruck 
(Vivenot  II  571 — 572).  Reuß  erfuhr  davon  scheinbar  erst  nach 
Mansteins  Rückkehr  aus  dem  französischen  Hauptquartier  am  25.  Dieser 
hatte  von  Dumouriez  eine  Nummer  des  Moniteur  mit  dem  Bericht  über 

ie  1.  (?)  Versammlung  des  Konvents  erhalten  (Ch.R.  91).  Schon  be- 
gann man  an  dem  Erfolge  der  Verhandlungen  zu  zweifeln,  da  man  es 
mit  einer  Nation  zu  tun  habe,  die  weder  Treu  noch  Glauben  habe  und 
über  alles  Erwarten  entflammt  sei  (Rep.  XI  89  k  Tauenzien  an  Schulen- 
burg 26.  September). 

6)  Dumouriez  III  56—59. 


332  III.  Abschnitt 

fortzusetzen,  und  deutete  die  französische  Anschauung  an1). 
Dabei  bestand  er  darauf,  Preußen  müsse  die  Republik  aner- 
kennen. Manstein  lehnte  das  nicht  geradezu  ab  und  ließ  durch- 
blicken, daß  Preußen  neue  Vorschläge  machen  werde.  Am  26. 
sollte  Thouvenot,  Dumouriez'  vertrautester  Adjutant,  ins  preußi- 
sche Lager  kommen,  um  nicht  bloß  über  den  Austausch  von 
Gefangenen  —  das  war  der  offizielle  Zweck  — ,  sondern  auch  über 
andere  wichtige  Angelegenheiten  zu  verhandeln. 

Gestützt  auf  Dumouriez'  Anerbietungen  setzte  Manstein  die 
Fortsetzung  der  Verhandlungen  trotz  der  Erklärung  der  Repu- 
blik durch.  Aber  weder  er  noch  der  Herzog  von  Braunschweig, 
den  Nassau  noch  besonders  aufgestachelt  hatte2),  vermochten 
die  Emigranten  mit  in  den  Austausch  einzubeziehen3).  Die 
Franzosen  betrachteten  sie  als  Rebellen,  und  so  mußte  man  sich 
auf  Preußen,  Österreicher  und  Hessen  beschränken.  Das  war 
nicht  fein  und  schmeckte  nicht  nach  den  so  oft  und  so  laut  ver- 
kündeten Prinzipien.  Es  gab  den  sowieso  schon  gereizten  Emi- 
granten, besonders  als  der  Rückzugsbefehl  bekannt  wurde,  neuen 
Stoff  zu  Fabeln  aller  Art  über  den  Herzog  von  Braunschweig. 
Sie  fühlten  sich  verraten4).  Am  26.  abends  einigten  sich  die 
Preußen  mit  Thouvenot  über  den  Austausch5).  Als  nun  aber 
der  Herzog  die  Erklärung  der  Republik  zur  Sprache  brachte  und 
als  Bedingung  für  den  preußischen  Rückzug  die  Befreiung  Lud- 
wigs, seine  Einbeziehung  in  die  neue  Verfassung  forderte,  da 
konnte  Thouvenot  nur  auf  den  Konvent  verweisen,  der  darüber 
allein  zu  entscheiden  habe,  meinte  aber  für  sich,  die  Nation 
werde  dem  Könige  seinen  Verrat  verzeihen  und,  wie  Dumouriez 
vorher  geäußert  hatte,  Ludwig  persönlich  gut  stellen.  Aber  die 
Königswürde  sei  abgeschafft6).  Mit  dem  Konvent  wollte  aber 
Preußen  —  Lucchesini  griff  jetzt  ein  —  nicht  verhandeln,  es 
erkannte  nur  ein  Königreich  Frankreich  an.    Wie  sollte  es  jedoch 

MTernauxIV  543;  Ch.R.  91 ;  Sorel  III  58—59. 

2)  Feuillet  VI  363. 

3)  Sybel  II  319—320;  Ranke  241—242. 

*)  Ter  n  au  x  IV  166;  Fersen  II  387;  P  e  1 1  i  e  r,  dernier  tableau. 
Ap.  zu  Nr.  V.   S.  XIII;  Ch.R.  230. 

6)  Am  28.  schickte  Dumouriez  an  Manstein  das  ratifizierte  Exemplar, 
bat  um  die  Ratifikation  des  Herzogs  und  begann  gleichzeitig  mit  der 
Ausführung  (Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40 III:  Dumouriez'  Adjutant  an 
Manstein  28.  September.  L'an  4.  de  la  Liberte  (n  i  c  h  t  le  1.  de  la  Repu- 
blique!);  Ch.R.  92  Anm.  2. 

6)  D  u  m  o  u  r  i  e  z  III  57  und  66—68;  Ranke  241—242;  Sorel 
III  59—60;  Ch.R.  92;  Vi  veno  t  II  571. 


Verhandlungen  mit  Dumouriez  333 

Ludwig3  Lage  bessern,  da  Dumouriez  nicht  mit  Unrecht  an- 
geführt hatte,  die  Gefahr  für  den  Exkönig  wachse  mit  dem  Vor- 
rücken der  Verbündeten?  Immerhin  war  man  im  preußischen 
Hauptquartier  mit  dem  Ergebnis  ganz  zufrieden.  Noch  wiegte 
man  sich  in  der  Hoffnung,  Dumouriez  für  sich  zu  gewinnen1). 

Man  sieht,  wie  vorsichtig  er  auftrat.  Er  erkannte  den  neuen 
Zustand  der  Dinge  rückhaltlos  an,  so  wie  er  es  nach  dem  10.  August 
gemacht  hatte.  Ist  es  zu  viel  vermutet,  daß  Lafayettes  Schick- 
sal ihn  in  seiner  Haltung  noch  bestärkt  hat?  Aber  er  verhandelte 
weiter  und  kam  den  Preußen  so  weit  entgegen,  wie  ihm  die  Macht- 
haber in  Paris  Spielraum  ließen;  er  bat  sogar  in  Paris,  ihm  die 
Verhandlungen  zu  übertragen,  da  die  Preußen  ihm,  dem  alten 
Minister  der  auswärtigen  Angelegenheiten,  großes  Vertrauen  ent- 
gegenbrächten (!)2).  Er  dachte  sich  die  weitere  Unterhandlung 
auf  Grund  folgender  Forderungen:  Anerkennung  der  Republik, 
Verzicht  auf  die  Konvention  von  Pillnitz  (!),  Räumung  Frank- 
reichs und  Rückgabe  der  Festungen,  ruhiges  Zusehen  bei  dem 
österreichisch-französischen  Kriege3),  einfache  Verwendung  für 
Ludwig  XVI.  ohne  spezielle  Forderung,  rechtliche  Entscheidung 
der  Ansprüche  der  Reichsfürsten.  Wenn  Preußen  darauf  ein- 
ging, so  schien  ihm  sein  Plan,  mit  Preußen  ein  Bündnis  gegen 
Österreich  zu  schließen,  seiner  Ausführung  nahe  gerückt  zu  sein; 
bald  werde  Belgien  frei  sein4).  Tatsächlich  war  die  Pariser  Re- 
gierung mit  ihm  einer  Meinung.  Nach  außen  verkündete  sie 
zwar  pomphaft  am  25. — 26.  September ,  Dumouriez  dürfe  sich 
nicht  eher  auf  eine  Unterhandlung  einlassen,  als  bis  die  Feinde 
den  französischen  Boden  geräumt  hätten.  Im  stillen  aber  wurden 
Westermann  und  Benoit  in  das  preußische  Hauptquartier  ge- 
sandt, um  womöglich  einen  Separatfrieden  zu  stände  zu  bringen5). 

Dumouriez  handelte  inzwischen  in  ihrem  Sinne,  als  er  einen 
neuen  kräftigen  Angriff  auf  Friedrich  Wilhelm  unternahm.  Um 
endlich  die  Hauptfrage  für  sich  zu  entscheiden6),  schickte  er  am 
27.  an  Manstein  für  den  König  Kaffee,  Zucker  und  Brot,  da  er 
höre,  daß  es  daran  fehle,  und  vor  allem  ein  Memoire,  das  nach 
dem  Muster  Faviers  die  preußischen  und  die  französischen  Staats - 


x)  Vi  veno  t  II  572. 

2)  Ch.R.  98;  S  y  b  e  1  II  319;  TernauxIV  543;  S  o  r  e  1  III  60. 

3)  Auch  als  Reichsstand,  sollte  es  nicht  daran  teilnehmen. 
*)  Ternaux  IV  544. 

5)  Sybel  II  319;  Sorel  III  77—83. 
8)  Sybel  II  320. 


334  HI.  Abschnitt 

interessen,  ihre  innere  Verwandtschaft  und  ihren  gemeinsamen 
Gegensatz  gegen  Österreich  auseinandersetzte,  dazu  die  Un- 
möglichkeit, Frankreich  niederzuwerfen,  die  Revolution  zu  ver- 
nichten, die  Notwendigkeit,  den  Konvent  anzuerkennen,  mit 
ihm.  zu  verhandeln1).  Es  ließ  also  an  Deutlichkeit  noch  weniger 
zu  wünschen  übrig  als  das  erste;  aber  vergeblich  sucht  man  es 
als  eine  Kriegslist  zur  Teilung  der  Gegner  zu  bezeichnen2).  Fried- 
rich Wilhelm  hatte  beim  Durchlesen  die  Empfindung,  eine  Lektion 
zu  erhalten3).  Die  andern  Anwesenden,  Lucchesini,  der  Herzog 
von  Braunschweig  und  Reuß  teilten  seine  Entrüstung,  dieser 
machte  seinem  Zorn  brieflich  in  drastischer  Weise  Luft4).  Der 
König  sollte  das  preußische  Staatsinteresse  der  Ehre  geopfert 
haben.  Befand  er  sich  bei  der  Allianz  mit  Österreich  wirklich 
so  schlecht?  Er  konnte  es  nicht  finden.  Was  vermochte  ihm 
Dumouriez  zu  bieten?  Eine  feste  Regierung  sicher  nicht;  denn 
die  neue  war  erst  seit  einigen  Tagen  zur  Herrschaft  gelangt. 
Würde  sie  sich  länger  halten  als  die  vorangegangenen?  Von 
der  Befreiung  Ludwigs  oder  gar  von  seiner  Einsetzung  in  seine 
alten  Rechte  war  keine  Rede.  Preußen  sollte  seine  Erfolge, 
seine  ganze  bisherige  Politik,  sein  Allianzsystem  aufgeben,  um 
sich  blind  in  ein  neues  zu  stürzen,  das  ihm  keinen  Ersatz  für  den 
Verlust  bieten  zu  können  schien.  Alle  militärischen  Vorteile 
endlich  waren  bei  der  Verhandlung  auf  der  Seite  der  Franzosen, 
die  ihre  Truppen  unaufhörlich  zum  Schaden  der  Preußen  ver- 
schoben. Es  war  zu  viel  verlangt.  Man  fühlte  sich  von  Du- 
mouriez düpiert,  ohne  es  in  dieser  Beziehung  zu  sein,  und  sprach 
mit  Unrecht  von  einer  plötzlichen  Sinnesänderung  Dumouriez'5). 
Es  hätte  scheinbar  gar  nicht  des  Eingreifens  von  Lucchesini  be- 
durft, der  in  den  Verhandlungen  in  der  Tat  seit  seiner  Ankunft 
im  Lager  vom  26.  früh  6)  eine  List  Dumouriez'  sah,  um  nur  Zeit 
zu  gewinnen,  und  der  sich  über  die  Pseudopolitiker  lustig  machte, 
die  sich  durch  solche  Künste  täuschen  ließen')  —  er  war  in  seiner 

1 )  Häußer  I  384—385;  Ranke  297—298;  Dumouriez  III 
67—68;  Sorel  III  61. 

2 )  Peltier,  dernier  tableau.     Ap.  zu  Nr.  V. 

3)  Sorel  III  62. 

4)  Vivenot  II  572;  Ranke  243. 

5)  Ranke  296. 

6)  Häußer  I  384;  Sybel  II  320;  Hei  gel  II  38;  Ranke 
295;  Ch.R.  101.  Lucchesini  an  Finckenstein  und  Alvensleben  29.  Sep- 
tember (bei  Ranke  liegt  ein  Druckfehler  vor). 

7)  Lucchesini  an  seine  Frau  1.  Oktober.  Rep.  XI  89  h.  Tauenzien  an 
Schulenburg  26.  September,  ähnlich. 


Verhandlungen  mit  Dumouriez  335 

Feinheit  gänzlich  unfähig,  den  neuen  Zustand  zu  verstehen  und 
Dumouriez'  Anträge  ehrlich  zu  würdigen1)  —  um  den  König  zur  /yw'v 
Ablehnung  der  Vorschläge,  zum  Abbruch  der  Verhandlungen 
überhaupt  zu  veranlassen *).  Manstein  erhielt  vom  Könige  einen 
gehörigen  Rüffel  und  mußte  noch  am  selben  Tage  diese  Ant- 
wort Dumouriez  übermitteln.3) 

Aber  Lucchesini  gab  diesem  Abschluß  Farbe  und  verlieh  ihm 
prinzipielle  Bedeutung.  Das  Auftreten  Dumouriez'  schien  seiner 
Ansicht  nur  zu  sehr  recht  zu  geben,  daß  mit  diesen  Leuten  ein 
ehrlicher  Friede  unmöglich  und  gar  keine  rechtmäßige,  stabile 
Regierung  vorhanden  sei,  mit  der  man  unterhandeln  könne. 
Er  verfaßte  also  ein  Memoire  —  nur  er  kann  der  Verfasser  sein4)  — 
das  Klarheit  über  den  weiteren  Gang  der  preußischen  Politik 
und  der  militärischen  Operationen  verschaffen  sollte.  Breteuil 
lieferte  ihm  offenbar  dazu  einiges  Material  in  den  vorangegangenen 
Tagen  gemeinsamer  Arbeit.  Von  sentimentalen  Anwandlungen 
ist  darin  keine  Spur  zu  finden.  Die  Emigranten  schob  er  beiseite 
als  kostspielig  und  geradezu  schädlich.  Die  Sorge  für  ihre  Fa- 
milien, für  die  Priester  und  vor  allem  für  die  königliche  Familie 
konnte  nur  in  zweiter  Linie  in  Betracht  kommen5).  Die  Haupt- 
sache war  die  Vernichtung  der  gefährlichen  Sekte  der  Jakobiner, 
die  sich  nicht  damit  begnügen  wollte,  Frankreich  zu  beherrschen, 
sondern  auch  ganz  Europa  nach  ihren  Doktrinen  umzugestalten. 
Es  bestand  also  tatsächlich  ein  gemeinsames  Interesse  der  ver- 
schiedenen Staaten  an  der  Bekämpfung  der  Revolution.  Kräftig 
mußte  man  handeln  und  nicht  nur  gerade  so  viel  Truppen  stellen, 
als  nötig  waren  —  das  hatte  dem  ersten  Feldzug  sehr  geschadet  — 
sondern  lieber  die  Hälfte  mehr,  um  desto  sicherer  zum  Ziele  zu 
kommen.  Es  konnte  kein  Zweifel  sein,  daß  man  es  im  nächsten 
Jahr  mit  den  unbesiegbaren  preußischen  Heerscharen  gegenüber 
den  lächerlich  anmutenden  französischen  Truppen  (!)  erreichen 
werde,  wenn  man  die  bisherigen  Fehler  vermied  und  wo  man 
nicht  mit  so  außergewöhnlichen  Verhältnissen  zu  rechnen  brauchte 
wie  in  diesem  Jahre.    Nur  verzögert  war  der  Erfolg.    Man  konnte 

*)  Feuillet  VI  363;  Fersenll  382;  Häußer  1  386;  Lucche- 
sini an  seine  Frau  13.  November. 

2)  Ranke  296.  Lucchesinis  Berichte  29.  September  und  3./7.  Ok- 
tober. 

3)  Häußer  I  385—386. 

4)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  III;  Vivenot  II  573. 

5)  Rep.  XI  89  h.  Reck  an  Schulenburg  15.  August.  Dumouriez 
II  367. 


336  III.  Abschnitt 

doch  auch  nicht  für  immer  auf  die  Erstattung  der  schon  auf- 
gewandten Kriegskosten  verzichten.  Die  Republik,  die  Du- 
mouriez  mit  Unrecht  als  gesetzmäßige,  dauernde  Einrichtung  an- 
sah, mußte  von  selbst  zerfallen;  aber  wenn  man  sich  nicht  gegen 
ihre  Angriffe  zur  Wehr  setzte,  so  war  in  zehn  Jahren  ganz  Europa 
unter  der  Herrschaft  der  Jakobiner.  Das  galt  es  zu  verhindern. 
Zunächst  mußte  das  Vertrauen  zwischen  den  verbündeten 
Höfen  gefestigt  werden,  das  durch  Dumouriez'  Memoire  sehr  ge- 
fährdet wurde1),  und  Sardinien  und  Spanien  aufgemuntert 
werden2).    Ferner  mußte  eine  Deklaration  im  Namen  der  Mächte 


*)  Tatsächlich  machten  die  preußischen  Verhandlungen  mit  den 
französischen  Generalen  überall  den  schlechtesten  Eindruck,  in  Berlin 
angefangen.  Wenn  es  auch  heute  keinem  Zweifel  mehr  unterliegt,  daß  der 
Herzog  nicht  bestochen  worden  ist,  oder  was  man  sonst  für  Märchen 
aufbrachte,  so  fanden  doch  derartige  Gerüchte  zahlreiche  Gläubige, 
sogar  unter  den  preußischen  Diplomaten.  Vgl.  P  e  1 1  i  e  r,  dernier  tableau. 
Ap.  zu  Nr.  V,  S.  XI  ff. ;  Politisches  Journal  1792,  S.  1095  ff.,  1133,  1135  bis 
1137,  1142—1144,  1164—1166,  1208—1209;  Häußer  I  389  und  391; 
Ch.R.  212  ff.  An  Lucchesini  11.,  22.  und  29.  Oktober,  8.  November; 
Rep.  XI 89  k.  Schulen  bürg  an  Tauenzien  11.  Oktober.  Rep.  92  Lucchesinis 
Nachlaß  40  III:  Reck  an  Lucchesini  15.,  21.,  23.,  25.  Oktober,  19.  No- 
vember. Rep.  XI  89  h.  Reck  an  Schulen  bürg  11.  und  22.  Oktober,  8.  De- 
zember. Schulenburg  an  Reck  9.,  12.  und  19.  Oktober.  Zeißberg, 
Karl-Hohenlohe  56 — 58  und  65 — 67;  Krieg  gegen  die  Revolution  II  175 
bisl76;FeuilletVI376— 377  und  390;  Sy  bei  II  312— 313;  Hau  ßer 
I  389;  SorelIII96;Laugier-Carpentier  65—66;  Daudet, 
Coblentz  288;  Daudet  I  209 — 210.  Sehr  interessant  sind  die  un- 
begründeten Annahmen  des  Preußenfressers  Woronzow  in  London 
(Worontzow  IX  261—264,  274—278,  311).  Dazu  F  e  u  i  1 1  e  t  VI 
398 — 399,  wo  die  Prinzen  komischerweise  für  die  bei  ihnen  herrschende 
Unordnung  kein  Wort  des  Tadels  finden. 

2 )  Am  3.  Oktober  ergingen  in  der  Tat  derartige  Befehle  nach  London 
und  Madrid.  Da  die  Franzosen  in  Sardinien  bereits  eingefallen  waren, 
bedurfte  es  dort  jetzt  wohl  keiner  besonderen  Aufforderung  mehr.  Diese 
Anschauung  findet  auch  ihren  Ausdruck  in  der  Note  von  Merle  und  der 
Erklärung  von  Haugwitz  dazu  (Vivenot  II  624  und  661).  Noch 
für  dies  Jahr  um  russische  Hilfe  zu  bitten,  wie  Nassau  vorgeschlagen 
hatte,  lehnte  Friedrich  Wilhelm  mit  Recht  als  unerfüllbar  ab,  auch  schon 
in  dem  Gedanken,  das  könne  der  Entschädigungsaktion  schaden.  Er 
ließ  jetzt  nur  Katharina  darüber  aufklären,  daß  der  Kaiser  habe  Geld 
haben  wollen  und  daß  er  sich  dem  als  guter  Bundesgenosse  angeschlossen 
habe,  selbst  aber  russische  Truppen  lieber  gesehen  hätte  und  im  nächsten 
Jahr  sähe.  Aber  er  vertrat  auch  die  Anschauung,  im  nächsten  Jahr 
müßten  alle  Mächte  gegen  Frankreich  vorgehen.  Er  für  seinen  Teil  war 
dazu  entschlossen  und  rechnete  sogar  auf  russische  Hilfe.  Vgl.  Häußer 
I  390;  S  y  b  e  1  II  348;  H  e  i  g  e  1  II  43;  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  390—391  und 
403 — 404.  Lucchesinis  Berichte  3./7.  Oktober,  24.  Oktober.  An  Lucchesini 


Verhandlungen  mit  Dumouriez  337 

gegen  die  Jakobiner  ergehen,  ohne  daß  jedoch  von  dem  Königs- 
paar und  den  Emigranten  gesprochen  wurde.  Österreich  mußte  zur 
Stellung  von  mehr  Truppen  angehalten  werden,  es  war  ja  auch 
der  angegriffene  Teil.  Die  russische  Hilfe  mußte  angenommen, 
die  anderer  Mächte,  wie  etwa  Sachsens,  herbeigeführt  werden. 
Die  Emigranten  endlich  waren  militärisch  ganz  aus  dem  Spiel 
zu  lassen;  sie  machten  nur  die  deutschen  Truppen  rebellisch, 
und  schon  ihre  Geschwätzigkeit  richtete  unnennbaren  Schaden 
an.  Die  Feststellung  des  Feldzugsplanes  mußte  natürlich  dem 
Könige  und  dem  Herzog  überlassen  bleiben.  Immerhin  war  zu 
erwägen,  daß  man  besser  in  mehreren  Korps  als  in  gedrängter 
Masse  einmarschierte1).  Der  beste  und  kürzeste  Weg  war  der 
über  Valenciennes,  den  frei  zu  machen  es  nur  der  Eroberung  von 
Lille  bedurfte,  wozu  die  Österreicher  dort  schleunigst  verstärkt 
werden  mußten.  Ob  man  jetzt  noch  etwas  tun  konnte,  mochte 
unentschieden  bleiben,  ebenso  ein  etwaiger  Winterfeldzug. 
Sicher  aber  war  es  sehr  schwer,  in  Frankreich  vorzudringen, 
wenn  man  alles  aufgab. 

Von  diesem  Plan  gewann  zunächst  das  Manifest  Gestalt. 
Lucchesini  redigierte  es.  Nachdem  der  König  es  gebilligt  hatte, 
mußte  es  der  Herzog  von  Braunschweig  als  Oberbefehlshaber 
der  Truppen  unterzeichnen.  Lucchesini  hielt  darin  treu  an  der 
preußisch-österreichischen  Gewohnheit  fest,  nicht  nur  mit  den 
Waffen,  sondern  auch  mit  der  Feder  die  Revolution  zu  bekämp- 
fen2).   Es  zeigte  sich,  daß  es  tatsächlich  nicht  möglich  war,  den 

22.  Oktober.  Bericht  von  Goltz  5./16.  Oktober.  An  Goltz  2.  November. 
Lucchesini  an  seine  Frau  27.  Oktober.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß 
40  III:  Lucchesini  (an  Nassau)  18.  Oktober  1792. 

*)  Diesen  Vorschlag  hatte  auch  schon  Reck  am  1.  September  aus 
Brüssel  gemacht.  Er  hoffte,  bei  seiner  Ausführung  mehr  Schrecken  ver- 
breitet zu  sehen  (Rep.  XI  89  b.     Reck  an  Schulenburg  1.   September). 

2)  Vivenot  II  573;  Politisches  Journal  1792,  S.  1079—1081; 
Ranke  (243)  sagt,  es  sei  vor  dem  Eintreffen  des  französischen  begonnen 
worden.  Lucchesini  sagt  nichts  davon  (296).  Sicher  ist  jedenfalls  die 
Billigung  von  Reuß,  der  damals  zweifellos  das  französische  Memoire 
schon  kannte  (V  i  v  e  n  o  t  II  572 — 573).  Selbst  wenn  aber  Ranke  recht 
hätte,  so  machte  das  doch  nicht  viel  aus.  Lucchesinis  Anschauung  stand 
ja  schon  fest,  bevor  er  von  Dumouriez'  Memoire  Kenntnis  hatte.  So  eng 
braucht  man  auch  den  Begriff  der  Antwort  nicht  zu  fassen.  Dumouriez' 
Schritt  bot  ihm  also  wohl  nur  den  Anlaß,  selbst  vorzugehen,  war  aber 
nicht  der  Grund  dafür.  —  Gleichzeitig  erging  ein  neues,  gemäßigtes 
Manifest  der  Prinzen  (V  i  v  e  n  o  t  II  573.  Lucchesinis  Bericht  29.  Sep- 
tember mit  Beilage).  Lucchesini  machte  nur  zu  diesem  die  Bemerkung: 
un  peu  tard. 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution        22 


338  HI.  Abschnitt 

König  ganz  beiseite  zu  lassen,  wenn  man  die  Jakobiner  bekämpfen 
wollte.  Das  Manifest  war  tatsächlich  eine  zweite  Auflage  des- 
jenigen vom  25.  Juli.  Von  einer  Anerkennung  des  Konvents 
war  keine  Kede;  vielmehr  wurde  er  indirekt  auf  das  stärkste 
verdammt.  Dieselben  Vorstellungen  von  einer  kleinen  Partei, 
die  Frankreich  beherrsche  und  gegen  die  sich  die  vernünftige 
Mehrzahl  erheben  müsse,  um  die  schrecklichen  Gefahren  von 
Frankreich  abzulenken,  die  ein  Beharren  in  dieser  Bahn  nach  sich 
ziehen  mußte,  dieselben  Drohungen,  wenn  auch  nicht  in  so  blut- 
triefender Sprache  wie  beim  ersten  Male,  dieselben  Forderungen. 
Es  gehörte  schon  ein  geschulter  Diplomat  dazu,  um  den  —  aller- 
dings bedeutenden  —  Unterschied  festzustellen,  daß  man  nur 
noch  Freiheit,  Sicherheit  und  Würde,  nicht  aber  die  Autorität  des 
Königs  wiederhergestellt  zu  sehen  verlangte1).  Ich  finde  in  der 
Tat  nur  zwei,  die  mit  dieser  Klausel  etwas  anzufangen  wußten, 
Beurnonville  und  Lebrun,  dem  das  vortrefflich  in  seinen  Plan 
paßte2).  Im  ganzen  war  es  doch  so  scharf,  daß  die  Franzosen 
nur  mit  der  Wiedereröffnung  der  Feindseligkeiten  darauf  ant- 
worten konnten.  Das  nannte  Lucchesini  dann  ein  gemäßigtes 
Schriftstück3).  Preußen  sorgte  für  die  schleunige  Veröffent- 
lichung des  Manifestes,  von  dem  es  sich  einen  günstigen  Einfluß 
auf  die  Stimmung  der  Franzosen,  eine  Erleichterung  der  Ope- 
rationen —  noch  war  der  Rückzug  nicht  beschlossen  —  ver- 
sprach, und  verlangte  von  Dumouriez  ein  Gleiches4). 

Hatte  schon  das  erste  Manifest  seine  Wirkung  verfehlt,  über 
dies  lachte  man  geradezu  im  Konvent5).  Wie  konnte  der  Herzog 
drohen,  während  ihm  noch  zwei  französische  Heere  unbesiegt 
gegenüberstanden  und  seine  eigene  Lage  sich  wirklich  nicht  ge- 
bessert hatte!  Wenn  das  Manifest  hätte  Erfolg  haben  sollen, 
so  hätte  gleichzeitig  mit  seiner  Bekanntgabe  die  Nachricht  von 


1 )  Ranke  243. 

2)  Ch.R.  144;  S  o  r  e  1  III  87—88. 

3)  Ranke  296;  H  äußer  I  385—386;  Hei  gel  II  38;  Sorel 
III  62—63;  Ch.R.  105;  Politisches  Journal  1792,  S.  1091;  Lucchesinis 
Bericht  29.  September.  Es  entsprach  ganz  dem  doppelten  Bedürfnis, 
die  Stellung  zur  Revolution  und  zu  Ludwig  XVI.,  die  in  den  letzten  Tagen 
verwischt  worden  war,  deutlich  zu  kennzeichnen  und  den  Österreichern 
den  Beweis  der  Bundestreue  gegen  alle  französischen  Ausstreuungen  un- 
widerleglich in  die  Hand  zu  geben. 

4)  Ranke  299—300. 
6)  Auch  auf  der  Seite  der  Verbündeten  meldeten  sich  Stimmen  der 

Kritik,  allerdings  erst  nach  dem  Rückzug  (V  i  v  e  n  o  t  II  583,  586,  605). 


Verhandlungen  mit  Dumouriez  389 

einem  Siege  der  Preußen  in  Paris  eintreffen  müssen1).  Das  war 
in  der  Tat  die  Absicht  Friedrich.  Wilhelms.  Er  wollte  jetzt  die 
so  lange  aufgeschobene  Schlacht  Hefern2).  Noch  fühlte  er  sich 
stark  genug  dazu.  Dumouriez  hatte  sofort,  als  er  Kenntnis  von 
dieser  deplacierten  Deklaration  erhalten  hatte,  eine  geschickt 
getroffene  Auswahl  der  Aktenstücke  über  die  Verhandlungen 
drucken  lassen,  darunter  vor  allem  sein  Memoire  und  das  des 
Herzogs  mit  folgender  Einleitung :  „Da  habt  ihr,  Kampfgenossen, 
die  verständigen  Vorschläge,  die  ich  den  Preußen  gemacht  habe, 
nachdem  sie  an  mich  wegen  eines  Friedensschlusses  herangetreten 
waren.  Der  Herzog  von  Braunschweig  hat  mir  als  Antwort  ein 
unverschämtes  Manifest  geschickt,  das  die  ganze  Nation  reizen 
und  die  Zahl  ihrer  Krieger  vermehren  wird.  Keinen  Waffen- 
stillstand mehr,  meine  Freunde,  greifen  wir  diese  Tyrannen  an 
und  lassen  wir  sie  es  bereuen,  hergekommen  zu  sein,  um  ein  freies 
Land  zu  besudeln"3).  Er  hatte  ferner  sofort  den  Waffenstill- 
stand für  den  29.  früh  gekündigt.  Er  erkannte,  daß  Preußen 
jetzt  nicht  zu  gewinnen  sei  und  an  der  Allianz  mit  Österreich 
festhalte4).  Jede  weitere  Verhandlung  schien  ihm  nach  einem 
derartigen  Schriftstück  unmöglich  zu  sein.  Er  konnte  auch  nicht 
weiter  vorgehen,  da  er  auf  alle  seine  Depeschen  aus  Paris  keine 
Antwort  empfing5).  Von  dieser  Seite  stand  also  dem  Kampfe 
kein  Hindernis  mehr  im  Wege. 

Jetzt  aber  trat  der  Herzog  aus  seiner  Zurückhaltung  hervor, 
diesmal  unterstützt  von  Lucchesini,  sobald  er  im  Hauptquartier 
eingetroffen  war6).  Er  hatte  am  20.  die  Schlacht  nicht  gewagt, 
wo  die  Truppen  noch  verhältnismäßig  frisch  und  kampfbegierig 
gewesen  waren,  wo  er  die  Franzosen  in  einer  ungünstigen  Stel- 

*)  FersenE  378;  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  400;  Rep.  XI  89  h.  Reck  an 
Schulenburg  11.  Oktober;  Worontzow  IX  261—264. 

2)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  177;  Häußerl  386;  Sybel 
II  321 ;  B  o  g  u  s  1  a  w  s  k  i  II  61  und  68;  H  e  i  g  e  1  II  39;  R  a  n  k  e  244; 
V  i  v  e  n  o  t  II  571. 

3)  Boguslawski  II  66—67;  Dumouriez  III  69—71 ;  Rep. 
40,  14  a:  Nouvelles  interessantes  des  armees  de  la  röpublique  francaise. 
A  Metz  (gedruckt);  S6gur  II  289—294;  Politisches  Journal  1792, 
S.  1082—1083  und  1101—1107. 

4)  Boguslawski  II  68;  Sybel  II  344;  Sorel  III  64—65; 
Hei  gel  II  39;  Ch.R.  87  und  107. 

5)  Sorel  III  63—65;  Massenbach  I  122—124.  Ob  diese 
Bemerkungen  wie  auch  andere  (I  109)  nicht  aus  Dumouriez'  Memoiren 
stammen,  verdiente  genauer  untersucht  zu  werden. 

6)  Häußerl  386—387;  S  y  b  e  1  II  321;  Ranke  297. 


340  in.  Abschnitt 

lung  getroffen  hatte.  Wie  sollte  er  jetzt,  wo  sich  alle  diese  Vor- 
aussetzungen zu  seinem  Nachteil  geändert  hatten,  darauf  ein- 
gehen, wo  die  preußischen  Truppen  auch  durch  die  zeitweilige 
Stockung  in  der  Verpflegung  hatten  hungern,  infolge  der  schlechten 
Stellung  sogar  dürsten  müssen  und  Krankheiten  die  natürliche 
Folge  aller  dieser  Umstände  waren1)!  Nicht  umsonst  hieß  dieser 
öde  Teil  die  lausige  Champagne2).  Gleich  nach  Valmy  trat  er 
den  Forderungen  der  Emigranten,  zu  schlagen,  entgegen3).  Um 
dem  mehr  Gewicht  zu  geben,  ließ  er  durch  den  König  einen 
Kriegsrat  berufen.  Am  24.  fand  er  statt.  Der  König,  der  Herzog, 
Kaikreuth,  Hohenlohe,  Clerfayt,  Nassau,  Castries,  d'Autichamp, 
de  Rozieres  nahmen  daran  teil4).  Der  Herzog,  der  ihn  geleitet 
zu  haben  scheint,  sprach  sich  für  den  Rückzug  an  die  Maas  aus. 
Dort  wollte  er  sich  für  den  Winter  häuslich  einrichten  und  die 
noch  fehlenden  Festungen  erobern.  Castries  war  für  den  An- 
griff auf  Kellermann,  der  in  der  Luft  stehe,  wie  es  schon  Nassau 
vorher  zu  dem  Herzog  gesagt  hatte,  und  der  König  stimmte  ihm 
ganz  bei.  Als  Clerfayt  sich  nun  bereit  erklärte,  zu  schlagen, 
wenn  er  Brot  erhalte,  da  wurde  bis  zum  29.  —  bis  dahin  sollte 
es  beschafft  sein  —  die  Entscheidung  vertagt.  Am  25.  hörte 
der  Herzog  von  der  Erklärung  der  Republik  in  Paris.  Jetzt 
könne  man  sich  nur  noch  die  Aufgabe  stellen,  die  eroberten 
Provinzen  zu  behaupten5).  Am  26.  machte  er  Thouvenot  den 
Vorschlag,  sich  hinter  die  Maas  zurückzuziehen,  wenn  die  Fran- 
zosen hinter  die  Marne  zurückgingen6).  Nun  nahmen  die  Krank- 
heiten rapide  zu.  An  Lebensmitteln  fehlte  es  durchaus,  alles 
mußte  auf  Wagen  von  Verdun  her  angeschafft  werden.  Nicht 
einmal  Wasser  war  auf  der  trockenen  Höhe  zu  erhalten;  man 
war  auf  die  Gutmütigkeit  der  Franzosen  angewiesen,  wenn  man 
es  sich  aus  dem  Tal  holte.  Um  ein  Biwakfeuer  anzumachen, 
zerschlug  man  die  Möbel  aus  den  Häusern  der  umliegenden 
Dörfer7).  Das  reichte  schon  aus,  um  für  den  Rückzug  zu  ent- 
scheiden.    Es  bedurfte  dazu  gar  nicht  mehr  der  Nachricht  von 

1)  Fersen  II  41  und  390;  V  i  v  e  n  o  t  II  581;   Ch.R.    110—116. 
a)  La  Champagne  pouilleuse.     Dumouriez  II  392. 
3)  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  360  ff. ;  Boguslawski  II  61. 
*)  Peltier,  dernier  tableau.     Ap.  zu  Nr.  V,  S.  XV;  Ch.R.  117; 
Heigel  II  39;  des  Portes,  Conde  33—34. 
6)  Vi  veno  t  II  571. 

6)  Ch.R.  160. 

7)  Fersen  II  39—40;  Rep.  XI  89k,  Tauenzien  an  Schulenburg 
26.   September. 


Verhandlungen  mit  Dumouriez  34  \ 

dem  Marsche  Custines,  von  dem  schon  vorher  den  Preußen  auf 
geheimem  Wege  Nachricht  zugekommen  war,  die  sie  aber  nicht 
beachtet  hatten1).  Was  gewann  man  denn  auch  mit  einem 
sicherlich  teuer  erkauften  Sieg?  Es  hätte  nur  noch  ein  Pyrrhus- 
sieg werden  können2).  Die  Franzosen  verstärkten  sich  mit  jedem 
Tag,  die  Preußen  wurden  immer  schwächer.  So  siegte  denn  trotz 
der  Ankunft  des  Brotes  am  29.  die  Meinung  des  Herzogs3).  Man 
wartete  nicht  erst  die  von  Dumouriez  geplante  Überflügelung 
ab4),  sondern  der  Rückzug  wurde  beschlossen,  nicht  weil  man 
sich  vom  Feinde  besiegt  fühlte,  auch  nicht  weil  es  an  Lebens- 
mitteln fehlte  und  die  Wege  unpassierbar  waren,  sondern  weil 
man  sich  keinen  Erfolg  mehr  von  weiterem  Vorrücken  ver- 
sprach5). 

Dieser  Entschluß  war  das  Eingeständnis  des  kläglichen 
Scheiterns  des  Feldzuges.  Er  machte  die  Affäre  bei  Valmy  zu 
einem  militärischen  Sieg  der  Revolution6).  Gewiß  wäre  es  rich- 
tiger gewesen,  schon  am  21.  September  den  Rückzug  anzutreten; 
aber  das  Richtige  bedarf  auch  gewisser  Zeit,  um  erkannt  zu 
werden  und  sich  durchzusetzen7).  Bis  nach  Verdun  sollte  die 
Armee  zurückgehen.  Dann  sollte  Clerfayt  Sedan  erobern,  der 
Österreicher  Hohenlohe  Diedenhofen,  worin  er  nur  durch  den 
Zug  nach  der  Champagne  gestört  worden  war.  So  hätte  man 
Winterquartiere  in  Frankreich  und  eine  gute  Operationsbasis  für 
den  bevorstehenden  zweiten  Feldzug  erhalten8).  Am  Abend  des 
29.   wurde  der  Troß  vorangeschickt,    in  der  Nacht  folgte  die 

1 )  Dillon  war  der  Plauderer  gewesen.  Vgl.  über  ihn  zwei  sich  durchaus 
widersprechende  Urteile  von  Dumouriez,  eins  günstig  (Memoires 
II  360—361)  und  eins  ungünstig  (T  e  r  n  a  u  x  IV  536).  Der  Wechsel  ist 
bedingt  durch  seinen  Sturz.  Sein  Kampf  gegen  die  Jakobiner  hatte  ihn 
Dillon  politisch  näher  gebracht.  Heigel  II  40;  Boguslawski  II 
63;  S  o  r  e  1  III  59;  Ch.R.  97—98;  Massenbachl  122.  Ob  dieser 
schon  am  1.  Oktober  um  Mainz  so  besorgt  gewesen  ist,  möchte  ich  doch 
in  Frage  stellen  (Massenbach  I  125 — 130). 

2)  P  e  1 1  i  e  r,    Ap.  zu  Nr.  V,  S.  V. 

3)  Dumouriez  III  49  und  67 — 68;  Lettres  sur  Dumouriez 
93—94;  Ch.R.  92—94  und  118—119;  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  363—364;  Fersen 
II  40—41;  Häußerl  388—389;  Ranke  244. 

*)  Ternaux  IV  542—543. 

5 )  Ranke  297.  Lucchesinis  Bericht  29.  September.  Lucchesini  an 
seine  Frau  29.  September. 

6)  Krieg  gegen  die  Revolution  II  177. 

7)  Dumouriez  III  49—50  und  103—104. 

8)  R  a  n  k  e  297 ;  H  ä  u  ß  e  r  1 386—387 ;  V  i  v  e  n  o  t  II 580 ;  Deutsche 
Revue  1883  I  313—314.     Lucchesini  an  seine  Frau  1.  Oktober. 


342  HI.  Abschnitt 

Armee.  Die  Österreicher  waren  aber  so  ungeschickt,  daß  ihnen 
die  Franzosen  mit  leichter  Mühe  hätten  ihr  Gepäck  abnehmen 
können1). 

Es  handelte  sich  jetzt  bloß  noch  darum,  den  Rückzug  mög- 
lichst zu  erleichtern,  ihn  überhaupt  erst  möglich  zu  machen2). 
Denn  die  Stellung  der  preußisch-österreichischen  Armee  war  sehr 
gefährdet.  Durch  die  Argonnen  mußte  sie,  aber  der  nächste  Weg 
über  Les  Islettes  war  ihr  versperrt.  Man  wählte  den  über  Grand- 
pre,  auf  dem  man  auch  gekommen  war.  Er  war  bedeutend  kürzer 
als  der  von  Hohenlohe  vorgeschlagene  Weg  über  Revigny  aux 
Vaches  und  Bar  le  Duc  um  das  Südende  der  Argonnen3).  Aber 
die  Franzosen  konnten  dort  eher  eintreffen  als  die  Preußen. 
Ihnen  stand  die  alte  Römerstraße  am  Ufer  der  Biesme  von  Les 
Islettes  nach  Vienne  le  Chäteau  und  die  Straße  von  Ste.  Menehould 
nach  Vouziers  dicht  an  den  Argonnen  entlang  zur  Verfügung. 
Die  Franzosen  mußten  also  festgehalten  und  die  preußische  Ab- 
sicht ihnen  verheimlicht  werden.  Dazu  benützte  jetzt  Preußen 
das  Mittel  politischer  Verhandlungen.  War  es  bisher  dabei  der 
Geschädigte  gewesen,  so  wollte  es  den  Franzosen  mit  gleicher 
Münze  heimzahlen4).  Nach  dem  Troß  verließen  in  der  Nacht 
vom  29.  zum  30.  September  auch  die  Truppen  ihre  Stellungen. 
Am  30.  früh  fanden  die  Franzosen  das  Nest  leer. 


4.  Kapitel 

Der  Rückzug 
I. 

Der  Herzog  —  denn  er  ist  es,  der  jetzt  die  Initiative  ergreift 
—  versuchte  es  zunächst  auf  dem  schon  bekannten  Wege.  Man- 
stein  mußte  an  Dumouriez  schreiben  und  um  eine  neue  Unter- 
redung für  den  29.  mittags  bitten,  da  Dumouriez  den  Sinn  der 
Deklaration  völlig  mißverstanden  habe.    Aber  dieser  beharrte  bei 


1)  Feuillet  VI  363. 

2)  Unerklärlich  ist  also  heute  der  Entschluß  nicht  mehr  (Daudet, 
Coblentz  287  und  Daudet  I  209). 

3)  Massenbach  I  116—117. 

4)  Deutsche  Revue  1883,  I  309;  H  äußer  I  388—389;  Heigel 
II  39—40;  Sorel  III  64—66  und  85;  Ch.R.  154. 


Der  Rückzug  343 

seiner  Ablehnung.  Solange  das  Manifest  bestehe,  könne  von 
einer  Verhandlung  nicht  die  Rede  sein,  da  es  allem  zuwider  sei, 
was  man  in  den  letzten  vier  Tagen  verhandelt  habe,  besonders 
auch  den  Worten  des  Herzogs  gegenüber  Thouvenot.  So  sei  die 
Fortsetzung  des  Krieges  nicht  mehr  zu  verhindern1). 

Dieser  Anlauf  der  Preußen  war  also  gescheitert.  Da  kam 
ihnen  ein  Umstand  zu  Hilfe,  mit  dem  sie  nicht  hatten  rechnen 
können.  Am  20.  September  war  der  neue  Nationalkonvent  zu- 
sammengetreten. Er  hatte  gleich  am  21.  das  Königtum  ab- 
geschafft und  am  22.  Frankreich  zur  Republik  erklärt.  Man 
begreift,  daß  sich  seine  Mitglieder  in  nationalen  Phrasen  be- 
rauschten und  von  Verhandlungen  mit  den  Tyrannen  —  das  ist 
jetzt  die  gewöhnliche  Bezeichnung  für  die  Monarchen  —  nichts 
wissen  wollten.  Aber  die  verantwortlichen  Leiter  der  Geschäfte 
hielten  sich  den  Kopf  kühler.  Sie  erkannten  doch  die  Gefahr 
und  schätzten  sie  wahrscheinlich  sogar  höher  ein,  als  sie  war. 
Dumouriez  sagte  gelegentlich,  man  mähe  eine  Armee  nicht  nieder 
wie  das  Gras  auf  einer  Wiese.  Das  war  ganz  in  ihrem  Sinne  ge- 
sprochen. Sie  fürchteten  einen  Kampf  bis  zum  äußersten  und 
wollten  daher  dem  Feinde  goldene  Brücken  bauen.  Während  sie 
also  ruhig  die  flammenden  Erklärungen  gegen  die  Tyrannen  mit- 
machten2) und  damit  dem  Volke  Sand  in  die  Augen  streuen 
wollten3),  beschlossen  sie,  auf  die  Vorschläge  Mansteins  einzu- 
gehen, die  ihnen  Dumouriez  übermittelt  hatte.  Denn,  wie  eins 
der  Mitglieder  des  Conseil  executif  (es  war  Lebrun)  fein  bemerkte, 
die  preußischen  Forderungen  erstreckten  sich  nicht  auf  die 
Wiederherstellung  des  ancien  regime,  sondern  erkannten  die  Not- 
wendigkeit einer  Änderung  der  französischen  Verfassung  an.  Da 
der  König  nur  als  Repräsentant  der  Nation  bezeichnet  sei,  sei 
auch  das  Fundamentalprinzip  der  Nationalsouveränität  gebilligt. 
Die  Möglichkeit  zur  Verhandlung  sei  also  trotz  der  Erklärung 
der  Republik  gewahrt.  In  diesem  Sinne  erhielten  nun  Wester- 
mann und  Benoit,  den  man  ihm  zugesellte,  am  26.  September 
ihre  Instruktionen.  Gebilligt  wurde  die  preußische  Forderung, 
die  Propaganda  der  revolutionären  Prinzipien  die  Landesgrenzen 
nicht  überschreiten  zu  lassen;  sie  sei  nie  offiziell  gebilligt  oder 
gar  organisiert  worden.   Das  Schicksal  des  Königs,  der  die  Nation 


*)  Ranke  301—302;  Ch.R.  106—107;  S  o  r  e  1  III  64—66. 

2)  Von  ihnen  hat  sich  Sybel  (II  319  und  327)  blenden  lassen.     Er 
schreibt  die  Mäßigung  mit  Unrecht  nur  den  Generalen  zu  (II  344  ff.). 

3)  Sorel  III  77  ff. 


344  .  III.  Abschnitt 

nicht  mehr  repräsentiere  und  den  man  nicht  in  Freiheit  setzen 
könne,  sollte  aber  Preußen  ganz  dem  Konvent  überlassen,  der 
über  ihn  zu  Gericht  sitzen  werde.  Eine  Einmischung  des  Aus- 
landes sei  schlechterdings  nicht  angängig.  Über  die  Behandlung 
Ludwigs  im  Temple  konnten  sie  jedoch  beruhigende  Erklärungen 
mitnehmen.  Bei  den  Verbündeten  hatte  man  ja  nicht  mit  Unrecht 
die  sonderbarsten  Befürchtungen  gehegt1).  Eine  unumgängliche 
Bedingung  für  weitere  Verhandlungen,  als  deren  Ziel  eine  Allianz 
gedacht  war,  sei  der  Kückzug  der  Preußen  aus  Frankreich. 

In  der  Nacht  vom  26.  zum  27.  reisten  sie  nach  Ste.  Menehould 
ab2),  in  der  Hoffnung,  doch  noch  dies  heißersehnte  Bündnis  mit 
Preußen  gegen  Österreich  zustande  zu  bringen.  Eroberungs- 
absichten auf  die  Niederlande  wurden  noch  mehrmals  feierlich 
in  Abrede  gestellt.  Frankreich  wollte  selbst  einem  eventuellen 
Wunsche  der  Belgier  nicht  willfahren.  Man  hat  immer  noch  an 
die  Errichtung  eines  selbständigen  Staates  gedacht,  so  wie  es 
Dumouriez  im  Frühjahr  und  Lafayette  schon  anläßlich  der 
früheren  Unruhen  im  Jahre  1790  geplant  hatten.  Man  wollte  Eng- 
ländern wie  Preußen  das  Zugeständnis  machen,  sich  nicht  mehr 
in  die  holländischen  Angelegenheiten  einzumischen,  was  nach  der 
Vertreibung  der  Österreicher  aus  Belgien  natürlich  um  so  viel 
leichter  gewesen  wäre.  Als  einfachstes  Mittel  dazu  erschien  der 
Zutritt  Frankreichs  zur  Tripelallianz  der  Seemächte  mit  Preußen3). 
Diesem  selbst  endlich  wollten  die  Franzosen  freie  Hand  lassen, 
und  wenn  sie  natürlich  nicht  gerade  eine  neue  Teilung  Polens 
anregten4)  —  der  ideellen  Unterstützung  war  ihr  alter  Bundes- 
genosse noch  immer  sicher  —  so  suchten  sie  vielmehr  einen 
Bissen  für  Preußen  in  österreichisch- Schlesien  und  hofften,  damit 
zwei  Fliegen  mit  einer  Klappe  zu  schlagen,  Preußen  zu  gewinnen 
und  dabei  zu  stärken  und   Österreich  zu  schädigen5). 

Erinnern  wir  uns  aber  daran,  daß  das  Conseil  executif  auch 
jetzt  noch  den  Rückzug  der  beiden  französischen  Armeen  hinter 
die  Marne  forderte.    Nicht  Siegeszuversicht,  sondern  Angst  war 


1)  Sorel  III  81;  Ternaux  IV  165. 

2)  Ch.R.  151. 

3)  S  o  r  e  1 III  81—82  und  95;  S  y  b  e  1 II  346;  Ch.R.  199;  R  a  n  k  e 
244—245. 

4)  Nur  der  täppische  Kellermann  schlug  sie  in  Paris  vor,  später 
sogar  bei  den  Preußen  selbst  (Sybel  II  346—349;  Häußer  I  391; 
Hei  gel  II  41;  Ch.R.   199;  Sorel  III  91). 

6)  Sorel  III  80—81;  Ch.R.   150—152. 


Der  Rückzug  345 

die  Haupttriebfeder.  Als  man  sich  nachher  wider  Erwarten  in 
der  Lage  befand,  dem  Gegner  Gesetze  vorschreiben  zu  können, 
da  kam  man  gar  nicht  auf  den  Gedanken1),  sie  bis  zur  letzten 
Möglichkeit  auszunützen,  weil  die  neue  Herrlichkeit  auf  viel  zu 
schwachen  Füßen  zu  stehen  schien,  um  einem  wirklich  energischen 
Angriff2)  auf  die  Dauer  Widerstand  leisten  zu  können.  Zunächst 
wollte  man  den  gefährlichsten  Gegner  Preußen  aus  der  anti- 
französischen Aktion  ausschalten,  um  die  leichter  zu  fassenden 
Österreicher  zu  einem  Frieden  zu  zwingen,  der  für  Frankreich 
die  Sicherheit  vor  späteren  Angriffen  enthielt ;  aber  selbst  in  diesem 
Punkte  waren  die  Franzosen  zeitweise  recht  nachgiebig.  Die 
Anerkennung  der  Republik  und  die  Räumung  ihres  Territoriums 
waren  die  Hauptsache.  Wurde  das  von  den  Mächten  zugestanden, 
so  konnte  man,  natürlich  nicht  auf  einem  Kongreß,  über  den 
Frieden  verhandeln.  Alles  andere  wurde  dann  der  späteren 
Regelung  vorbehalten3). 

Am  29.  abends  kamen  Westermann  und  Benoit  bei  Dumouriez 
an4).  Man  kann  nicht  sagen,  daß  er  sich  darüber  gefreut  hätte. 
Namentlich  Benoit  war  ihm  jetzt  sehr  ungelegen.  Einem  solchen 
Fuchs  wie  Lucchesini  gegenüber  wollte  er  ihn  nicht  für  gewandt 
genug  halten5).  Das  Scheitern  seiner  Unterhandlung  im  Früh- 
jahr war  den  Preußen  doch  auch  noch  zu  frisch  in  der  Erinnerung, 
und  ich  möchte  dazu  setzen,  die  damaligen  Anträge  hatten,  so- 
weit sie  Frankreich  betrafen,  ein  gut  Teil  anders  gelautet,  als 
daß  man  denselben  Mann  nun  mit  Vorteil  zu  einem  neuen  Ver- 
such hätte  verwenden  können.  Dumouriez  scheint  deshalb  Benoit 
beiseite  gehalten  und  nur  Westermann  verwandt  zu  haben,  den 
er  schon  als  gelehrigen  Schüler  kannte,  während  er  bei  der  Be- 
teiligung Benoits  eine  Spannung  zwischen  Heerführung  und 
Politik  im  Anzüge  zu  sehen  vorgab.  Seinen  Generalen  machte 
er  vorläufig  aus  dem  neuen  Versuch  noch  ein  absolutes  Geheimnis ; 
sogar  Kellermann  erfuhr  noch  nichts  davon.  Erst  nach  und  nach 
weihte  er  ihn,  Beurnonville  und  Valence,  dazu  die  Kommissare 
ins  Geheimnis  ein,  als  sein  Plan  schon  gelungen  schien  und  ihrer 

1)  Ich  rede  hier  selbstverständlich  von  der  Regierung,  nicht  von 
den  blind  darauflos  gehenden  Schreiern.  Das  kommt  ab  und  zu  auch 
bei  Sybel  schon  heraus  (II  319). 

2)  Man  kannte  ja  die  bisherige  Schwäche  der  Armeen  und  die  Energie- 
losigkeit ihres  Feldherrn. 

3)  Sorel  III  81—83. 

4)  Ch.R.  152—153. 

5)  S  o  r  e  1  III  84. 


346  HL  Abschnitt 

Widersetzlichkeit  der  Stachel  genommen  war.  Aber  sie  alle  gingen 
freudig  auf  seinen  Plan  ein.  Sillery  nahm  alle  Klagen  über  den 
angeblich  widerspenstigen  Kellermann  zurück  und  bestand  mehr 
als  je  darauf,  Dumouriez  zum  Marschall  zu  machen,  um  seine 
einzigartigen  Verdienste  zu  belohnen  und  jeden  Schatten  einer 
Entzweiung  zwischen  den  Generalen  auszuschließen1).  Beurnon- 
ville  begleitete  vorsichtig  die  preußische  Armee  und  ließ  ihr  Zeit 
zum  Abrücken2).  Das  Conseil  executif  sprach  ihm  seine  volle 
Billigung  aus3). 

Es  muß  wundernehmen,  daß  Dumouriez  sich  überhaupt  noch 
einmal  zu  Verhandlungen  herbeigelassen  hat.  Diese  Reihe  ist 
denn  auch  ganz  besonders  der  Gegenstand  von  Angriffen  ge- 
worden. In  Paris  bezichtigte  man  ihn  laut  des  Verrates  und  hätte 
ihm  gern  bei  jeder  Gelegenheit  einen  Strick  gedreht,  Marat  natür- 
lich. voran4).  Aber  von  Verrat  kann  keine  Rede  sein.  Mehr  als 
ein  Grund  trieb  ihn  dazu  an,  es  nicht  zum  äußersten  kommen  zu 
lassen5).  Einmal  fürchtete  auch  er,  wie  ich  schon  hervorhob,  den 
verzweifelten  Widerstand  der  Preußen,  wenn  man  ihnen  nicht 
die  Möglichkeit  zum  Rückzug  ließ.  Noch  war  er  nicht  sicher, 
daß  sich  nicht  seine  Armee  ebenso  wie  am  15.  ins  Bockshorn 
jagen  ließ.  Ferner  sah  er  in  den  Preußen  stets  die  künftigen 
Bundesgenossen,  die  er  also  schonen  mußte.  Endlich  aber  brannte 
er  darauf,  jetzt  seinen  alten  Plan  auszuführen,  Lille  zu  befreien, 
dann  in  die  Niederlande  einzufallen  und  damit  dem  Kriege  ein 
Ende  zu  machen.  Kurz,  die  Preußen  wollte  er  laufen  lassen,  ui 
die  Österreicher  um  so  empfindlicher  züchtigen  zu  können. 

So  ging  also  Westermann  ins  preußische  Hauptquartier  ab. 
Noch  aber  wußte  Dumouriez  nicht,  ob  die  Preußen  gewillt  waren, 
auf  dessen  Vorschläge  einzugehen.  Er  traf  also  alle  Maßregeln, 
um  auch  für  den  Fall  der  Ablehnung  bereit  zu  sein.  Seine  unc 
Kellermanns  Truppen  setzten  sich  in  Bewegung,  um  den  Feindei 
den  Rückzug  zu  erschweren,  ja  überhaupt  zu  versperren.  Kein 
Zweifel,   daß   er  sie  eingeschlossen  und  zu  einer   Schlacht  ge- 


1)  Ternaux  IV  553—556. 

2)  ibid.  IV  556—558. 

3)  Sorel  III  82—85;  Ch.R.   173—175;  Svbel  II  346. 
*)  Dumouriez   III   71—72;    Ternaux   IV   175—194;   Ch. 

155 — 156.     Vgl.  auch  die  vortrefflichen  Bemerkungen  in  Journal  d'une 
bourgeoise  303. 

5)  Ternaux  IV  540,  544,  547;   Sybel  II  346—347;   Sore 
III  85;  Hei  gel    II  40.     Dumouriez'  Begründung   in   den    Memoiren 
entspricht  jedoch  auch  nicht  den  Tatsachen  (III  73 — 85  und  104 — 107). 


Der  Rückzug  347 

zwungen  hätte1)  —  ein  preußischer  König  konnte  sich  doch  nicht 
ohne  diesen  Versuch  einem  so  verachteten  Gegner  ergeben  — 
wenn  er  es  dazu  überhaupt  hätte  kommen  lassen.  Er  tat  es 
nicht,  weil  ihm  aus  dem  preußischen  Hauptquartier  die  ver- 
heißungsvollsten Nachrichten  von  Westermann  zukamen.  Er 
ging  wie  dieser2)  und  der  Konvent  in  die  Falle3),  die  ihm  der 
Herzog  von  Braunschweig  ohne  große  Kunst  bereitet  hatte,  ver- 
mutlich am  1.  Oktober  abends.  In  den  Tagen  vom  2.  bis  5.  er- 
teilte er  seinen  Generalen  Befehle,  die  sie  nutzlos  hin  und  her 
marschieren  ließen  und  eine  Aktion  verhinderten.  Am  5.  waren 
die  Preußen  schon  in  Buzancy,  die  Gefahr  war  für  sie  also  vor- 
bei. Mehr  als  einen  gesicherten  Rückzug  bis  Verdun  scheint 
ihnen  Dumouriez  nicht  versprochen  zu  haben,  eine  Konvention 
wurde  darüber  natürlich  nicht  abgeschlossen4).  Daß  sie  sich  dann 
doch  nicht  hinter  der  Maas  würden  halten  können,  sah  er  voraus 
und  verstand  es,  diese  Meinung  auch  den  Kommissaren  des  Kon- 
vents beizubringen5).  Für  den  Fall  aber,  daß  die  Preußen  es  doch 
versuchen  wollten,  ließ  er  angeblich  Belagerungsgeschütz  aus  Metz 
herankommen.  Er  hielt  seine  Anwesenheit  an  dieser  Stelle  des 
Kriegsschauplatzes  dann  aber  nicht  mehr  für  notwendig  und 
Überheß  die  völlige  Lösung  dieser  Aufgabe  Kellermann  und  Dillon. 
Dieser  wurde  bald  von  dem  Konvent  abberufen,  um  über  sein 
Verhalten  Rechenschaft  abzulegen,  so  daß  Kellermann  schließ- 
lich allein  die  Verfolgung  der  Preußen  zu  leiten  hatte6). 

Leider  besitzen  wir  über  diese  Verhandlungen  mit  Preußen 
nur  ganz  unzulängliche  Nachrichten?).  Von  preußischer  Seite 
traten  weder  Lucchesini8)  noch  der  König,  die  fester  als  je  zur 


1)  Ch.R.  166—168. 

2)  Ternaux  IV  546—549,  552—553. 

3)  Ternaux  IV  559—560;  Ch.R.   163. 

»)  Ch.R.  160—166;  H  ä  u  ß  e  r  I  388;  Ternaux  IV  166—169,  der 
zwar  die  Aktenstücke  veröffentlicht  hat,  die  die  Lösung  des  Rätsels  er- 
möglichen, diese  selbst  aber  noch  Chuquet  überlassen  hat. 

6)  Ternaux  IV  551,  552,  555,  559—560. 

6)  Heigel  II  41;  Ch.R.  194. 

7)  Fersen,  also  wohl  auch  Breteuil  wissen  nichts  davon  (Fersen 
II  390). 

8)  Häußerl  389;  S  y  b  e  1 II  345—346;  H  e  i  g  e  1 II  40.  Lucche- 
sini spricht  geradezu  davon  überhaupt  nicht.  Ob  sich  seine  Be- 
merkungen in  dem  Bericht  vom  3./7.  Oktober  hierauf  oder  auf  die 
Septemberverhandlungen  beziehen,  kann  ich  nicht  feststellen,  da  die 
Beilagen  zu  seinem  Bericht  gleich  anfangs  gefehlt  haben.  Ich  würde 
sein   Schweigen  aber  für  keinen   Beweis  gegen  die   Existenz  der  Ver- 


348  HI.  Abschnitt 

Freude  von  Reuß  zu  dem  österreichischen  Genossen  hielten1) 
und  an  dem  Abschluß  eines  allgemeinen  Friedens  noch  nicht  ver- 
zweifelten2), sondern  die  Offiziere  in  Aktion,  vornehmlich  der 
Herzog  von  Braunschweig,  Kaikreuth  und  Manstein.  Sie  be- 
schränkten sich  auf  Gespräche,  in  denen  sie  vielfach  mehr  an- 
deuteten als  ausführten.  Nur  ihrem  Wunsche  nach  Frieden  und 
ihrer  persönlichen  Abneigung  gegen  die  Österreicher  legten  sie 
keinen  Zwang  mehr  an.  Das  bestach  die  Franzosen,  des  Geldes 
bedurfte  es  bei  keinem  von  ihnen  mehr  (erinnern  wir  uns  auch 
der  preußischen  Geldknappheit!)3).  Am  3.  Oktober  reiste  Wester- 
mann triumphierend  wieder  nach  Paris  ab,  die  Allianz  schien 
nur  noch  eine  Frage  der  Zeit  zu  sein.  Preußischerseits  brauchte 
man  nur  nicht  geradezu  zu  widersprechen,  um  allen  Vorteil  da- 
von zu  ernten. 

Während  dieser  Verhandlungen  rückte  nämlich  die  preußische 
Armee  langsam  und  unter  unsäglichen  Beschwerden  —  am  3.  Ok- 
tober hatte  der  Regen  wieder  angefangen  —  weniger  marschierend 
als  durch  den  Schmutz  watend,  den  Goethe,  aber  auch  Lucchesini 
einem  Meere  verglichen4),  nur  mühsam  sich  fortschleppend,  von 
Hunger  und  Krankheit  geplagt5),  über  Grandpre  (2.  Oktober), 
Buzancy  (4.),  Dun  (6.),  Vilosnes  (7.),  wo  die  Maas  passiert  wurde, 
nach  Consenvoye  (8.  Oktober),  von  wo  der  Herzog  den  Öster- 
reichern und  Hessen  die  Hand  reichte,  die  sich  inzwischen  nach 
Verdun  vor  den  immer  mehr  sich  verstärkenden  Franzosen  zurück- 
gezogen hatten6)  und  auf  Verhandlungen  mit  ihnen  nicht  hatten 
eingehen  wollen.  Die  Hauptnot  war  also  überstanden.  Es  fragte 
sich  nur,  ob  man  auf  preußischer  Seite  an  dem  alten  Plan  noch 
festhalten  und  hinter  der  Maas  Winterquartiere  beziehen  werde. 


Handlungen  überhaupt  halten.  Wenn  er  sich  als  den  Retter  Preußens 
vor  der  .Überlistung  durch  Dumouriez  hinstellte  —  gut,  das  war  sein 
Recht,  er  glaubte  daran;  aber  diese  neuen  Verhandlungen  sollten  geheim 
bleiben  im  Gegensatz  zu  den  ersten.  Gewußt  hat  Lucchesini  sicher 
davon,  da  er  stets  bei  der  Nachhut  war  mit  dem  Könige  und  dem  Herzog 
zusammen,  dem  er  zeitweilig  Adjutantendienste  leistete  (Lucchesini  an 
seine  Frau  1.  und  4.  Oktober). 

*)  Sybel  II  344—346  und  349—350;  H  äußer  I  388;  Sorel 
III  84—86. 

a)  Lucchesinis  Bericht  15.  Oktober.  Lucchesini  an  seine  Frau  1.  und 
13.  Oktober. 

3)  Ch.R.   155;   Sorel  III  86;  Forneron  I  353—354. 

4)  Lucchesini  an  seine  Frau  4.  Oktober. 
6)  Minerva  1839,  Bd.  189,  S.  363. 
6)  Ch.R.   185—186. 


Der  Rückzug  349 

Die  Eroberung  der  Festungen  war  dafür  natürlich  die  erste  Be- 
dingung1), die  zweite  ein  einheitliches  Zusammenwirken  aller 
beteiligten  Streitkräfte  unter  einer  Leitung.  Dann  wäre  man 
wohl  auch  der  Verpflegungschwierigkeiten  Herr  geworden,  die 
sich  jetzt  herausstellten2).  Als  unmöglich  wird  man  das  Unter- 
nehmen trotz  der  Erschöpfung  der  preußischen  Truppen,  trotz 
der  Bedenken  Clerfayts,  der  den  Herzog  an  Vorsicht  —  oder  war 
es  Mißtrauen?  —  noch  übertraf,  ja  trotz  der  Bedenken  des  Her- 
zogs selbst  nicht  bezeichnen  können.  Zum  Angriff  waren  die 
Franzosen  doch  nicht  so  leicht  zu  bringen  wie  zur  Verfolgung 
oder  zur  Verteidigung.  Verdun  war  in  der  Hand  Preußens.  Wenn 
man  Metz,  Diedenhofen  und  Sedan,  eventuell  noch  Mezieres  und 
Montmedy  nahm,  so  hatte  man  in  der  Tat  eine  gute  Position3). 

IL 

Jetzt  aber  brach  der  Zwiespalt  zwischen  den  Verbündeten  ganz 
durch,  und  die  Diversionen  von  Custine  und  bald  auch  von  Du- 
mouriez  machten  sich  geltend.  Zunächst  rückten  die  Hessen  ab. 
Am  8.  Oktober  hatte  der  Landgraf  die  Nachricht  von  der  Er- 
oberung von  Speyer  und  der  Bedrohung  von  Mainz  erhalten4). 
Er  flog  mehr  in  die  Heimat,  als  daß  er  dahin  reiste,  um  die  nächsten 
Pflichten  zu  erfüllen.  Seine  Truppen  erhielten  den  Befehl,  ihm 
zu  folgen.  Am  gleichen  Tage  wurden  die  Österreicher  unter 
Clerfayt  nach  den  Niederlanden  von  dem  Herzog  Albert  ab- 
berufen zur  Hilfe  bei  der  Belagerung  von  Lille5).  Er  sah,  wie 
alle  österreichischen  Generale,  Erzherzog  Karl  mitten  unter  ihnen, 
damals  nur  den  scheinbar  offenkundigen  preußischen  Verrat6), 


1)  Rep.  XI  89  k.     Schulenburg  an  Tauenzien  11.  Oktober. 

2)  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  364—365.  Bei  Differenzen  zwischen  Brief  und 
Memoiren  von  Nassau  ziehe  ich  natürlich  den  Brief  vor. 

3)  Ch.R.  185—187;  Vivenot  II  580;  Fersen  II  41—42. 
Lucchesinis  Bericht  3./7.   Oktober. 

4)  Rep.  XI  89  k.  Lucchesini  an  Schulenburg  8.  Oktober;  Ch.R. 
187—188;    Sybel  II  350;   Heigel  II  41—44;    Häußer  I    392. 

5)  Lettres  sur  Dumouriez  97;  Sorel  III  88;  Rep.  XI  89k.  Tau- 
enzien an  Schulenburg  12.  Oktober  mit  Beilage;  Zeißberg,  Karl- 
Hohenlohe  61. 

6)  ibid.  56—58,  65,  72;  Z  e  i  ß  b  e  r  g,  2  Jahre,  174—175;  F  e  u  i  1 1  e  t 
VI  373  und  393—394;  H  ä  u  ß  e  r  I  390—392  und  395;  Vivenot  II 
598;  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  31:  Lucchesini  an  Haugwitz  22.  No- 
vember. Rep.  XI  89  b.  Reck  an  Schulenburg  5.  und  11.  November. 
Ranke  47,  279;  Sybel  II  348—349;  Heigel  II  44—45;  Sorel 
III  92.    Vgl.  für  die  Stimmung  in  Berlin  C  a  r  i  s  i  e  n  109. 


350  HI.  Abschnitt 

wogegen  der  so  wie  so  schon  für  preußenfreundlich  geltende  Fürst 
Reuß  selbst  nichts  ausrichten  zu  können  meinte.  Was  sollte 
der  Herzog  von  Braunschweig  anderes  tun  als  die  Bitte  des  Her- 
zogs Albert  genehmigen!  Nur  für  die  Dauer  des  Feldzuges 
war  Clerfayt  ihm  zur  Verfügung  gestellt  worden.  Aber  wir 
begreifen,  daß  Preußen  durch  diese  Durchkreuzung  seiner  Pläne 
nicht  gerade  in  seiner  Absicht  bestärkt  wurde,  den  Niederlanden 
gegen  einen  scheinbar  nahe  bevorstehenden  französischen  Angriff 
zu  Hilfe  zu  kommen,  worüber  sich  die  Österreicher  merkwürdigen 
Illusionen  hingaben1).  Der  Fall  von  Mainz  machte  diesen  Plänen 
jedenfalls  ein  sicheres  Ende. 

Die  preußische  Armee  war  also  auf  sich  und  das  schwache 
Korps  Hohenlohes  angewiesen2).  Die  Stimmung  des  Herzogs 
scheint  in  diesen  Tagen  immer  verzweifelter  geworden  zu  sein3). 
Grund  genug  hatte  er  dazu.  Denn  es  konnte  keinem  Zweifel 
unterliegen,  daß  sich  die  Maaslinie  mit  so  wenig  Truppen  nicht 
halten  ließ,  daß  Frankreich  also  überhaupt  geräumt  werden 
müsse4).  Jetzt  rächte  es  sich,  daß  man  nicht  seinem  alten  Plane 
gefolgt  war  und  Frankreich  Fuß  für  Fuß  erobert,  sich  gleich  für 
Winterquartiere  an  der  Maas  durch  Eroberung  der  Festungen 
eingerichtet  hatte6).  Nur  kurze  Zeit  tröstete  man  sich  mit  dem 
Gedanken,  wenigstens  Longwy  zu  behalten6).  Er  war  undurch- 
führbar infolge  der  Weigerung  von  Hohenlohe,  anderes  als  öster- 
reichisches Gebiet  zu  decken7)  und  infolge  seines  übereilten  Rück- 
zuges, bei  dem  er  stets  Sorge  trug,  als  Puffer  zwischen  sich  und 
die  Franzosen  die  Preußen  zu  schieben,  denen  die  Franzosen  ja 
volle  Freiheit  ließen.  Der  Rückzug  hatte  auch  noch  zur  Folge, 
daß  aus  Verdun  weder  die  Verwundeten  und  Kranken,  noch  die 
Vorräte  vor  der  Übergabe  an  die  Franzosen  hatten  fortgeschafft 
werden  können.    Nun,  den  Preußen  versprachen  die  Franzosen, 


1)  Vivenot  II  606,  610,  620,  621. 

2)  Dieser  war  nicht  abberufen  worden  und  hatte  sioh  noch  am 
8.  Oktober  für  Winterquartiere  an  der  Maas  ausgesprochen  (Zeißberg, 
Karl-Hohenlohe  61—62  und  64—65;  Vivenot  II  544). 

3)  Zeißberg,  Karl-Hohenlohe  64—65. 

4)  Fersen  II  47  und  386;  Sybel  II  351;  Hei  gel  II  41; 
H  äußer  I  392—393;  Ch.R.   195;  Dumouriez  III  106—107. 

6)  Dumouriez  III  96;  Lettres  sur  Dumouriez  66 — 68. 

6)  Massenbach  will  seinen  Verlust  natürlich  auch  schon  am  1.  Ok- 
tober vorausgesehen  haben  (I  125). 

7)  Ch.R.  195—196  und  216;  Zeißberg,  Karl-Hohenlohe  69  bis 
72;  Sybel  II  351. 


Der  Rückzug  351 

sie  wie  ihre  Brüder  zu  behandeln  und  sie  nachher  frei  zu  lassen1), 
die  Österreicher  und  die  Hessen  aber  nicht2). 

Am  12.  bezw.  18.  Oktober  wurden  die  Konventionen  über  die 
Kapitulation  von  Verdun  und  Longwy  abgeschlossen3).  Am 
14.  wurde  Verdun4),  am  22.  Longwy  den  Franzosen  übergeben5), 
gegen  das  Versprechen  der  Franzosen,  den  preußischen  Rückzug 
nicht  zu  stören.  Da  die  Preußen  fast  immer  den  Schluß  der 
Armee  bildeten,  so  waren  damit  auch  die  Österreicher  und  die 
Hessen  gesichert6).  Als  die  Franzosen  sich  doch  einmal  hinreißen 
ließen,  auf  die  Nachhut  Hohenlohes  zu  feuern,  hörten  sie  auf 
den  Protest  Kaikreuths  sofort  damit  auf.  Am  21.  Oktober  ver- 
ließen die  letzten  preußischen  Truppen  bei  Aubange  französisches 
Gebiet,  bisher  weniger  verfolgt  als  geleitet  von  den  französischen 
Truppen,  mit  denen  die  Preußen,  Offiziere  wie  Soldaten,  fraterni- 
sierten, meist  in  stillschweigender  Übereinkunft,  manchmal  aber 
auch  auf  direkte  preußische  Forderung7).  Es  war  daher  diesmal 
ein  billiger  Ruhm,  sich  als  Soldaten  Friedrichs  des  Großen  be- 
zeichnen zu  lassen8).  Am  23.  und  24.  Oktober  erreichten  die 
Preußen  in  völliger  Auflösung  Dippach  und  Luxemburg9),  wo 
ihnen  die  Österreicher  einen *  alles  andere  eher  als  herzlichen 
Empfang  bereiteten,  so  daß  sich  schließlich  Friedrich  Wilhelm 
über    ihr    Betragen    durch   Haugwitz    bei    Reuß    geradezu   be- 


x)  Um  die  Fortschaffung  der  verwundeten  Emigranten  baten  die 
französischen  Generale,  da  man  jenen  sonst  den  Kopf  sicher  abgeschnitten 
hätte  und  —  man  darf  wohl  hinzusetzen  —  auch  den  Generalen,  wenn 
das  in  Paris  bekannt  wurde  (Feuillet  VI  366). 

2)  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  365—367  und  392.  Lucchesinis  Bericht  15.  Ok- 
tober. Lucchesini  an  seine  Frau  15.  und  19.  Oktober.  Rep.  92  Lucchesinis 
Nachlaß  40  III:  Valence  (an  Kaikreuth)  15.  Oktober;  Zeißberg,  Karl- 
Hohenlohe  2,  68—69,  72—76. 

3)  Hei  gel  II  44—45. 

*)  Sybel  II  349—351;  Ch.R.  187—195.  Seine  Befestigungen 
hatten  nicht  mehr  voi  der  Übergabe  an  die  Franzosen  gesprengt  werden 
können,  noch  weniger  war  das  natürlich  bei  Longwy  möglich  (Lucchesinis 
Bericht  3./7.  Oktober). 

5)  Mit  Magazinen  und  Artillerie  —  ein  neues  Ruhmesblatt  für  den 
Herzog  von  Braunschweig  in  den  Augen  Breteuils  (Fersen  II  50, 
387,  390—391). 

6)  Häußerl  390;  Sybel  II  350— 351;  Ch.R.  196— 197;  H  e  i  g  e  1 
II  40—41  und  44-45. 

7)  Segur  II  295;  Ch.R.   195—204. 

8)  Lucchesini  an  seine  Frau  14.  Januar  1793. 

9)  Ch.R.  202—210;  Hau  ß  er  I  393. 


352  HI.  Abschnitt 

Schwerte  x) .  Schon  deshalb  wurde  eine  Verlegung  der  Winterquartiere 
weiter  nach  rückwärts  nötig.  Als  nun  die  Österreicher  —  es  war  vor 
allem  Clerfayt  —  schrieen,  sie  könnten  sich  allein  nicht  halten, 
da  fanden  sie  bei  Preußen  taube  Ohren2).  Dessen  Truppen  rückten 
nach  dem  Rhein  ab,  nun  aber  so  eilig,  daß  in  Luxemburg  die 
Munition  zurückblieb,  als  wenn  die  Anwesenheit  der  Truppen 
allein  schon  genügt  hätte,  den  Feind3)  zu  verjagen  oder  wenig- 
stens die  Quartiere  zu  sichern,  und  daß  die  Österreicher  erklärten, 
Trier  nicht  halten  zu  können;  die  Preußen  sollten  selbst  für  ruhige 
Winterquartiere  sorgen4).  Am  23.  Oktober  ließ  Kellermann  wegen 
der  Räumung  des  französischen  Territoriums  Freudenschüsse  ab- 
feuern5). Der  monströse  Krieg  zwischen  Preußen  und  Frank- 
reich schien,  so  hofften  die  Franzosen,  zu  Ende  zu  sein6). 

Um  seine  und  die  österreichisch-hessischen  Truppen  un- 
gefährdet aus  Frankreich  herauszubringen,  hatte  der  Herzog 
wieder  zu  dem  bewährten  Mittel  der  Verhandlung  gegriffen7). 
Er  selbst  verschmähte  es  nicht,  dabei  in  Aktion  zu  treten.  Trotz 
aller  Warnungen,  auch  aus  dem  eigenen  Lager,  fielen  die  fran- 
zösischen Kommissare  immer  wieder  darauf  hinein8).    Am  8.  Ok- 


*)  Ch.R.  215—218.  Lucchesinis  Berichte  19.  und  23.  Oktober, 
1.  November;  H  äußer  I  397;  Valentini  12—13;  Fersen  II 
386;  Feuillet  VI  364—368,  372,  392. 

2)  Zeißberg,  2  Jahre,  184;  Gronau,  Dohm  249;  V  i  v  e  n  o  t 
II  663— 664. 

3)  Es  handelt  sich  um  Custine. 

4)  Rep.  XI  89  k.  Schulenburg  an  Tauenzien  20.  November.  Dazu 
Beilagen  zu  Lucchesinis  Bericht  vom  12.  November:  Hohenlohe  an 
Braunschweig  7.  und  8.  November.  Braunschweig  an  Hohenlohe  11.  No- 
vember. Friedrich  Wilhelm  an  Haugwitz  12.  November.  Das  hielt  aber 
den  preußischen  Marsch  durchaus  nicht  auf.  Der  König  konnte  sich 
auch  bald  auf  den  Brief  des  Kaisers  vom  29.  Oktober  berufen,  in  dem, 
freilich  unter  anderen  Voraussetzungen,  der  Schutz  des  Reiches  als  die 
Hauptsache  bezeichnet  worden  war  (Lucchesinis  Berichte  vom  12.  und 
16.  November  mit  Beilagen:  Friedrich  Wilhelm  an  Franz  12.  November. 
Metternich  an  Reuß  10.  November.  Lucchesini  an  Reuß  14.  November. 
Sybel  III  46). 

6)  Ch.R.  198—199  und  208;  S  o  r  e  1  III  96;  T  e  r  n  a  u  x  IV  170; 
H  e  i  g  e  1  II  45.  Massenbachs  Erzählung  (I  126 — 128)  ist  wohl  nach 
seiner  späteren  Anschauung  zurechtgemacht. 

6)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  III:  Valence  (an  Kaikreuth) 
15.   Oktober. 

7)  Feuillet  VI  365. 

8)  Als  die  französischen  Generale  dann  merkten,  daß  sie  übers  Ohr 
gehauen  seien,  da  lachten  sie  und  —  machten  es  das  nächste  Mal  genau 
so.  HäußerI390;SybelII350— 351;Ch.R.  198— 199;  Vi  venotll  606. 


Der  Rückzug  353 

tober,  nach  dem  Entschluß  zum  Rückzuge,  fand  die  erste  Unter- 
redung statt,  über  die  wir  zwar  genaue  französische  Berichte 
haben,  die  ich  aber  nicht  so  im  einzelnen  zu  übernehmen  oder  zu 
kombinieren  wage  trotz  Galbauds  Zertifikat,  da  ich  sie  für  zu- 
gestutzt halte.  An  dem  Ergebnis  ändert  das  nichts.  Den  Anlaß 
bot,  das  ist  bemerkenswert,  ein  Billett  des  französischen  Generals 
La  Baroliere,  worin  er  die  Preußen  von  einer  gegen  sie  befohlenen 
militärischen  Maßregel  benachrichtigte1).  Trotz  ihrer  Überlegen- 
heit gingen  die  Franzosen  auf  den  preußischen  Vorschlag  eines 
Waffenstillstandes  für  24  Stunden  ein.  In  dieser  Zeit  wollte 
Kaikreuth  weitere  Befehle  des  Königs  einholen.  Tatsächlich 
wurde  dann  die  Ruhe  bis  zum  10.  abends  verlängert,  wo  sie  die 
Franzosen  kündigten.  Damals  befahl  der  Herzog  den  Rückzug 
der  Hessen  und  der  Österreicher  hinter  die  Maas,  wo  die  Preußen 
schon  waren2).  Als  die  Franzosen  nun  am  11.  Verdun  zur  Über- 
gabe aufforderten,  gewann  der  Herzog  doch  noch  drei  Tage3). 
Ebenso  war  es  mit  Longwy.  Am  14.  fand  die  erste  Unterredung 
Kaikreuths  mit  Kellermann  hierüber  statt4),  am  18.  die  zweite 
und  der  Abschluß  der  Kapitulation,  angeblich  auf  Nachsuchen 
des  Herzogs  und,  wohl  mit  Recht,  zwischen  Kaikreuth  und 
Valence5),  aber  erst  am  22.  wurde  die  Festung  wirklich  den 
Franzosen  übergeben.  Schon  am  21.  hatten  jedoch  die  letzten 
deutschen  Truppen6)  die  französische  Grenze  überschritten.  Es 
war  Zeit,  den  Franzosen  endlich  das  wahre  Gesicht  zu  zeigen. 
Der  Herzog  von  Braunschweig  hatte  in  den  ersten  Tagen  des 
Oktober  sich  ruhig  die  französischen  Anträge  auf  einen  Separat- 
frieden angehört,  dem  dann  in  der  Tat  mit  Notwendigkeit  das 
Bündnis  gefolgt  wäre;  seine  Offiziere  hatten  Wohl  sogar  manch 
ein  lockendes  Wort  gesprochen.  Als  er  hinter  der  Maas  war, 
verlangte  er  schon  stets  die  Einbeziehung  von  Österreichern  und 


1)  VivenotII599;Zeißberg,  Karl-Hohenlohe  62—65;  Ch.R. 
189—191;   Sorel  III  89—90. 

2)  Zeißberg,  Karl-Hohenlohe  67.  Berichte  Lucchesinis  15.  und 
18.  Oktober.  Schon  rüsteten  sich  die  Franzosen  zum  Angriff  auf 
Verdun,  einen  neuen  Waffenstillstandsvorschlag  lehnten  sie  stolz  ab 
(Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  38:  Lucchesini  an  Stein  11.  Oktober). 

3)  Ch.R.   192—193;   Sorel  III  91. 

*)  Ch.R.  197—198;  S  o  r  e  1 III  91—93;  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  368;  S  y  b  e  1 
II  350—351 ;  Häußerl  390. 

5)  Berichte  Lucchesinis  18.  und  19.  Oktober. 

6)  Die  in  Longwy  befindlichen  Truppen  zogen  erst  am  23.  ab.  Ch.R. 
198.    Lucchesinis  Bericht  23.  Oktober. 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution        23 


354  HI.  Abschnitt 

Hessen  in  den  Waffenstillstand.  Man  machte  es  den  Franzosen 
plausibel  mit  der  Angabe,  wenn  Preußen  nicht  wortbrüchig  werden 
wolle,  müsse  der  gemeinsam  begonnene  Feldzug  auch  gemeinsam 
beendigt  werden.  Damit  verpflichte  man  sich  durchaus  noch 
nicht,  nun  auch  einen  neuen  zu  beginnen.  Der  König  wünsche 
einen  ehrenvollen  Frieden  sehr.  Kaikreuth  sprach  geradezu  von 
einer  Allianz1).  So  bequemten  sich  die  Franzosen,  wenn  wohl 
auch  nicht  formell,  trotz  Kellermanns  Äußerung2),  so  doch  tat- 
sächlich alle  deutschen  Truppen  in  den  Waffenstillstand  einzu- 
beziehen.  Erst  marschierten  Österreicher  und  Hessen,  dann  die 
Preußen,  zum  Schluß  die  höflichen  Franzosen. 

Freilich  hatten  sich  deren  Forderungen  auch  schon  erheblich 
gesteigert.  Seit  dem  11.  Oktober  verlangten  Kellermann  und 
Valence  vor  Eintritt  in  weitere  Verhandlungen  sogar  bloß  über 
den  Waffenstillstand  —  es  war  bisher  eine  rein  tatsächliche 
Waffenruhe  gewesen  —  die  Käumung  des  französischen  Gebiets 
durch  alle  deutschen  Truppen,  wogegen  sie  jedoch  nicht  ver- 
sprachen, Custine  abzuberufen,  und  die  Anerkennung  der  Republik 
und  ihrer  Organe3).  Ein  für  Preußen  besonders  unangenehmes 
Zugeständnis  bei  der  Kapitulation  von  Longwy4)  war  es5),  daß 
das  Siegel  der  französischen  Republik  neben  das  des  Königs 
gesetzt  wurde.  Lucchesini,  der  eigentlich  mit  hatte  verhandeln 
sollen,  aber  kurz  vorher  zum  König  abberufen  worden  war,  mußte 
ärgerlich  dies  Zugeständnis  in  den  Kauf  nehmen,  um  die  preußische 
Armee  ungestört  entkommen  zu  lassen6).  Es  war  der  erste  Schritt 
zur  Anerkennung,  und  man  geht  wohl  mit  der  Vermutung  nicht 
fehl,  daß  der  Herzog  von  Braunschweig,  Kaikreuth,  Manstein 
nicht  zu  vergessen,  auf  dieser  Basis  weiter  zu  arbeiten  gedachten; 
es  wäre  nur  folgerichtig  gewesen.  Wurden  für  Ludwig  persönlich 
günstige  Bedingungen  erlangt,  so  war  der  Ehrenpunkt  gewahrt, 


x)  Häußerl  390;  Vivenot  II  599. 

2)  Die  Kommissare  ließen  auch  davon  nichts  nach  Paris  verlauten. 
Ch.R.  196—197;  Sybel  II  350—351. 

3)  Häußerl  393.     Berichte  Lucchesinis  15.,  18.,  19.  Oktober. 

4)  Sie  war  am  18.  Oktober  bei  Martin-Fontaine  südlich  von  Longuyon 
abgeschlossen  worden.     (Häußer  I  393;  Heigel  II  45.) 

5)  Bei  Verdun  war  man  dem  nur  dadurch  entgangen,  daß  überhaupt 
keine  Ratifikation  ausgetauscht  worden  war.  Preußen  brauchte  den  Vor- 
wand, sie  als  überflüssig  zu  bezeichnen  (Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß 
40  III.  Valence  [an  Kaikreuth]  15.  Oktober.  Kaikreuth  [an  Braunschweig] 
16.  Oktober). 

6)  Ch.R.   198. 


Der  Rückzug  355 

und  man  konnte  sich  in  das  sonst  unabänderliche  Schicksal  fügen. 
So  scheint  mir  auch  der  Wunsch  des  Königs  nach  Frieden  seine 
Erklärung  zu  finden  und  ausführbar  zu  werden.  Aber  diese 
zweifellos  bestehenden  guten  Aussichten  für  den  Frieden  wurden 
durch  verschiedene  voneinander  völlig  unabhängige  Ereignisse  zu 
Schanden  gemacht,  deren  einem  die  entscheidende  Be- 
deutung beizumessen  ich  nicht  wagen  möchte. 

Zunächst  hielten  die  Franzosen  an  der  Idee  des  Separat- 
friedens mit  Preußen  vor  dem  allgemeinen  Frieden  ebenso  fest 
wie  die  Preußen  an  der  eines  allgemeinen  Friedens.  Diese  dachten 
nicht  an  eine  Trennung  von  Österreich.  Wir  haben  nun  einen 
unumstößlichen  Beweis  für  den  Wunsch  der  Franzosen,  den  Frieden 
auch  mit  Österreich  herbeizuführen.  Es  wird  immer  merk- 
würdig bleiben,  wie  sich  dieser  Wunsch  mit  den  Entschädigungs- 
tendenzen der  Mächte  so  zu  vereinigen  schien,  daß  die  materielle 
Befriedigung  aller  drei  sichergestellt  wurde.  In  einer  Zusammen- 
kunft mit  dem  Herzog  von  Braunschweig  entwickelte  der  General 
Valence  am  21.  Oktober  mit  bewundernswerter  Offenheit  das 
französische  Programm1).  Frankreich  wolle  sich  mit  einer  Zone 
von  freien  Völkern  umgeben  und  mit  den  Niederlanden  den  An- 
fang machen.  Österreich  solle  sie  daher  einem  weniger  mächtigen 
Fürsten  überlassen,  als  es  der  Kaiser  sei2).  Frankreich  werde 
dann  den  unmittelbar  bevorstehenden  Einfall  in  die  Niederlande 
aufgeben,  unter  Vermittlung  Preußens  einen  allgemeinen  Frieden 
verhandeln,  Ludwig  XVI.  einen  anständigen  Rücktritt3)  ermög- 
lichen, den  weniger  hervortretenden  Emigranten  eine  Amnestie 
und  den  anderen  die  Mittel  für  ein  anständiges  Auskommen  in 
der  Fremde  gewähren.  Mit  diesen  Vorschlägen  begab  sich  Haug- 
witz  zu  Spielmann  nach  Luxemburg,  und  —  man  denke  —  dieser 
lehnte  sie  nicht  gleich  ab,  sondern  wünschte  durch  Reuß  den 
französischen  Vorschlägen  näher  auf  den  Grund  zu  sehen4).  Er 
folgte  damit  auch  einem  Wunsche  Hohenlohes,  der  Waffenstill- 
stand um  jeden  Preis  wegen  des  Zustandes  der  Armee  forderte 

*)  Bericht  Lucchesinis  23.  Oktober.  Sybel  II  359—360;  Sorel 
III  93. 

2)  Man  dachte  an  Bayern.  Dieser  Tauschgedanke  war  den  Franzosen 
durchaus  geläufig  und  den  nicht  allzu  Radikalen  auch  angenehm.  Sorel 
III 168  und  250;  Z  e  i  ß  b  e  r  g,  Karl-Hohenlohe  51—52;  Poütisches  Journal 
1792  S.  1290. 

3)  Sortie  passable. 

4 )  Bericht  Lucchesinis  23.  Oktober  und  Spielmann  an  Reuß  23.  Oktober. 
Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  31.     Haugwitz  an  Lucchesini  23.  Oktober. 


/ 


356  III.  Abschnitt 

und  einen  Frieden  sehnlichst  wünschte,  gleichviel,  ob  auch  die 
Republik  anerkannt  wurde  und  ob  man  Gebietsteile  für  Öster- 
reich eroberte1). 

Das  und  wohl  auch  der  Wunsch  Friedrich  Wilhelms,  aller 
Zweideutigkeit  der  preußisch-französischen  Verhandlungen  in 
den  Augen  Österreichs  und  Rußlands  ein  Ende  zu  machen2), 
wurde  nun  der  Anlaß  für  eine  Konferenz  in  Aubange  am  25.  Ok- 
tober3). Kellermann  und  Valence,  der  Herzog  von  Braunschweig 
und  Lucchesini,  inkognito  Reuß  und  zufällig  auch  Hohenlohe, 
nahmen  an  ihr  teil.  Erinnern  wir  uns  daran,  daß  inzwischen  der 
Fall  von  Mainz  bekannt  geworden  und  die  Note  von  Merle  an- 
gekündigt worden  war.  Valence  führte  nun  seine  Vorschläge 
näher  aus.  Das  erste  sei  die  feierliche  Anerkennung  der  Republik 
durch  eine  preußische  Deklaration  (eine  Demütigung  ohne  jeden 
Gewinn  [en  pure  perte],  merkt  Lucchesini  dazu  an),  der  Verzicht 
auf  Gegenrevolution.  Österreich  solle  die  Niederlande  dem 
Kurfürsten  von  Bayern  überlassen,  der  sich  mit  der  Würde  des 
Statthalters  und  einer  festen  Einnahme  zu  begnügen  habe.  Öster- 
reich solle  dafür  Bayern  erhalten.  Um  nun  aber  sicher  zu  sein, 
daß  auch  dann  Frankreich  keinen  Angriff  von  dieser  Seite  zu 
gewärtigen  habe,  verlangte  Valence  auch  die  Rasierung  der 
Festungswerke  von  Luxemburg.  Endlich  wollte  er  wissen,  ob 
Preußen  nach  der  Wiederherstellung  des  Friedens  zwischen 
Preußen  und  Frankreich  neutral  bleiben  oder  einen  ewigen  Bund 
mit  diesem  schließen  wolle. 

Wenn  diese  Vorschläge  von  einer  Regierung  ausgegangen 
wären,  auf  deren  Ehrlichkeit  und  vor  allem  auf  deren  Stabilität 
man  sich  hätte  verlassen  können,  so  ist  nicht  einzusehen,  warum 
Preußen  nicht  hätte  darauf  eingehen  sollen.  Es  scheint  in  der 
Tat,  daß  der  Gedanke  der  Abtretung  der  Niederlande  auf  die 
Österreicher  wie  die  Preußen  einen  gewissen  Eindruck  gemacht 
hat.  Aber  über  die  beiden  Hauptfragen  war  man  noch  nicht 
einig.  Die  Deklaration  war  für  Preußen  unmöglich.  Die  Absicht 
der  Franzosen,  sich  mit  freien  Völkern  zu  umgeben,  mußte  sie 
mit  ganz  Europa  in  Konflikt  bringen.  Wenn  Luxemburg  ge- 
schleift wurde,  so  war  dazu  die  notwendige  Voraussetzung,  daß 
Frankreich  seinen  dreifachen  Festungsgürtel  abtrug.   Es  erneuert 


x)  V  i  v  e  n  o  t  II  614— 615. 

2)  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  373—374  und  394—395. 

3)  S  y  b  e  1  II  359—360;  Häußerl  393—394;  S  o  r  e  1  III  94—95; 
Vivenot  II  627—628;  Feuillet  II  374  und  395—396. 


Der  Rückzug  357 

sich  hier  somit  der  Kampf  um  den  Hausschlüssel.  Ehe  man  einen 
Vertrag  schloß,  war  billigerweise  von  einem  Waffenstillstand  zu 
reden.  Die  Versuche,  Preußen  von  der  Koalition  abzutrennen, 
waren  zu  häufig  und  in  zu  junger  Vergangenheit  gemacht  worden, 
als  daß  Preußen  etwas  anderes  darin  sehen  konnte  als  eine  Wieder- 
holung derselben.  Wenn  Preußen  seinen  Frieden  schloß,  und  er 
bildete  ja  nach  französischer  Anschauung  die  Voraussetzung  für 
den  allgemeinen  Frieden,  wer  bürgte  dafür,  daß  die  Franzosen 
nicht  die  Verhandlungen  mit  Österreich  zum  Scheitern  brachten, 
wie  das  nicht  schwer  sein  konnte,  und  es  dann  der  Niederlande 
beraubten,  ohne  ihm  Bayern  zu  verschaffen?  Alle  französischen 
Regierungen  hatten  die  Schwächung  Österreichs  verfolgt.  Wer 
bürgte  ferner  dafür,  daß  nicht  eine  neue  Revolution  die  Regierung 
stürzte  und  damit  den  Verhandlungen  allen  Boden  entzog? 
Autorisierte  Unterhändler  hatte  man  außerdem  nach  preußischer 
Ansicht  nicht  vor  sich.  War  es  den  Franzosen  wirklich  Ernst  mit 
ihren  Vorschlägen1),  so  konnten  in  kurzer  Zeit  solche  in  Luxem- 
burg eintreffen,  wo  Lucchesini  und  Thugut  noch  einige  Tage 
bleiben  wollten2).  Endlich,  der  Versuch  schien  auch  darum  ge- 
macht zu  sein,  um  Österreich  durch  die  Furcht  für  die  Nieder- 
lande zum  Frieden  kirre  zu  machen.  War  der  französische  An- 
griff erst  fehlgeschlagen,  so  versprach  man  sich  schon  größeres 
Entgegenkommen  von  französischer  Seite.  Gelang  er  aber,  so 
wurde  es  ein  Interesse  aller  europäischen  Mächte,  sich  dem  Vor- 
dringen der  Revolution  entgegenzustemmen.  So  spielte  man  mit 
dem  Feuer,  an  dem  man  sich  so  bald  und  so  gründlich  verbrennen 
sollte. 

Preußen  —  denn  Lucchesini  war  der  Sprecher  der  Verbün- 


1)  Lucchesini  lehnte  es  ausdrücklich  ab,    selbst  welche  zu  machen. 

2)  Am  20.  September  hatte  Thugut  Wien  verlassen  (Bericht  Cesars 
22.  September).  Seit  dem  3.  Oktober  nachts  befand  er  sich  bei  Spielmann 
mit  dem  besonderen  —  nun  allerdings  durch  die  Verhältnisse  überholten  — 
Auftrage,  die  Verhandlungen  mit  Frankreich  unter  der  Leitung  von  Mercy, 
der  auch  noch  hatte  kommen  sollen,  zu  führen  (V  i  v  e  n  o  t  II  545 — 546, 
561,  574,  577—579,  587—589.  Derselbe,  Vertrauliche  Briefe  von 
Thugut  [Wien  1872]  I  2).  Auch  Breteuil  und  Caraman  wollten  hinkommen 
(Rep.  XI  89  k  Caraman  an  Schulenburg  16.  Oktober,  sie  jedoch  in  der  Ab- 
sicht, einen  neuen  kräftigen  Feldzug  vorzubereiten,  was  die  Preußen  und  die 
Österreicher  doch  immer  nur  als  schlimmsten  Fall  betrachteten  (Rep.  XI 
89  k  Schulenburg  an  Caraman  3.  November.  Schulenburg  an  Tauenzien 
11.  Oktober).  Den  Russen  stellten  die  Preußen  anheim,  ob  sie  nicht  auch 
jemand  schicken  wollten  (an  Goltz  8.  November).  Lucchesinis  Bericht  21.  Ok- 
tober.   Lucchesini  an  seine  Frau  27.  Oktober. 


n 


358  III.  Abschnitt 

deten  —  lehnte  also  weitere  Verhandlungen  ab1).  Es  sah  keine 
Möglichkeit,  die  Republik  anzuerkennen,  ohne  seine  Ehre  und 
seine  Interessen  auf  das  empfindlichste  zu  kompromittieren,  und 
zu  dem  so  sehr  gewünschten  Frieden  zu  kommen;  jene  Erkenntnis 
hielt  seinem  Friedensbedürfnis  noch  das  Gleichgewicht2).  Es 
fühlte  sich  noch  zu  sehr  in  der  Rolle  des  Gebenden  gegenüber 
Frankreich  und  konnte  die  neue  Lage  noch  nicht  recht  würdigen, 
und  es  ist  klar,  daß  die  Franzosen  sich  bei  ihren  Erfolgen  zu 
weiterem  Nachlassen  von  ihren  Forderungen  nicht  veranlaßt 
fühlten3).  So  scheiterte  denn  dieser  Versuch  Frankreichs,  den 
Frieden  herbeizuführen,  trotz  des  Willens  aller  Beteiligten.  Die 
r  Grundanschauungen  waren  zu  verschieden,  als  daß  diplomatische 
Künste  hätten  eine  Versöhnung  herbeiführen  können4).  Nur 
mündlich  einigte  man  sich  über  einen  partiellen  Waffenstillstand 
zwischen  den  Armeen  Kellermanns,  Hohenlohes  und  des  Herzogs, 
da  ein  allgemeiner  mit  Einschluß  der  Niederlande  sich  als  un- 
erreichbar herausgestellt  hatte5).  Der  Kampf  war  also  beschlossen, 
und  Spielmann  dachte  ihn  zur  Erweiterung  des  österreichischen 
Gebiets  auszunützen. 

Zwei  weitere  Gründe  bestimmten  die  Preußen,  bei  Österreich 
zu  bleiben:  einmal  die  Eroberung  von  Mainz6)  durch  Custine, 
dessen  Siegeszug  man  einige  Zeit  in  Worms  beendet  geglaubt, 
ihn  schon  auf  dem  Rückzuge  nach  den  Reden  von  Kellermann 
gewähnt  hatte.  Am  23.  Oktober  im  Lager  bei  Luxemburg  er- 
fuhr man  davon7).  Jetzt  bestand  geradezu  eine  große  Gefahr 
für  Koblenz  mit  den  preußischen  Magazinen,  und  dieser  Affront 
durfte  auch  von  Preußen  nicht  ruhig  hingenommen  werden. 
Hatte  es  im  Frühjahr  den  Eroberungskrieg  mit  ein  paar  schönen 

.    x)  Die  Bemerkungen  von  Manvitz  (I  58—59,  73—74,  80—81)  treffen 
zwar  für  Österreich  das  Richtige,  nicht  aber  für  Preußen. 

2)  An  Cesar  28.  September,  5.  und  15.  Oktober.  Lucchesini  an  seine 
Frau  27.  Oktober. 

3)  Lucchesinis  Bericht  18.  November. 

4)  V  i  v  e  n  o  t  II  628;  Ch.R.  200—202.  Das  schon  von  Chuquet  mit 
Recht  abgelehnte  Memoire  Kellermanns  siehe  im  Auszuge  bei  Feuillet 
VI  374—375. 

6)  Vi  veno  t  II  610. 

6)  Schon  früh  hatte  man  angeblich  seinetwegen  Besorgnis  geäußert 
(Massenbachl  125  [1.  Oktober]?).  Rep.  XI  89k.  Lucchesini  an  Schu- 
lenburg 8.  Oktober.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  38.  Lucchesini  an  Stein 
11.  Oktober. 

7)  Bericht  Lucchesinis  23.  Oktober.  Rep.  96,  170  L.  Lucchesinis 
Konzept  zu  einem  Erlaß  an  Stein,  23.  Oktober. 


Der  Rückzug  359 

Phrasen  über  Reichs  Verteidigung  ausgeschmückt,  so  war  jetzt 
die  Notwendigkeit  gegeben,  sein  Wort  einzulösen.  Alle  Welt 
fürchtete  einen  Vorstoß  Custines  nach  Koblenz,  das  sich  schon 
in  der  beschämendsten  Weise,  jeden  Gedanken  an  Verteidigung 
aufgebend1),  dem  Triumphator  jammernd  zu  Füßen  geworfen 
hatte,  noch  ehe  es  in  Not  war.  An  Gerüchten,  Custine  gehe  in 
der  Tat  auf  Koblenz  los,  fehlte  es  in  der  Tat  nicht2).  Wenn  auch 
die  Eroberung  von  Koblenz  und  Ehrenbreitstein  die  preußische 
Armee  nicht  geradezu  vernichtet  hätte,  viel  Ungelegenheiten 
wären  ihr  doch  sicher  gewesen.  Es  galt  daher,  diesen  Platz  nicht 
in  die  Hände  der  Franzosen  fallen  zu  lassen,  ihn  eiligst  selbst  zu 
besetzen.  Aber  man  fürchtete  allgemein,  daß  die  Entsatztruppen 
zu  spät  kommen  würden.  Schon  auf  die  Nachricht  von  Custines 
Marsch  nach  Mainz  war  der  Abmarsch  der  Preußen  nach 
Koblenz  beschlossen  worden,  auch  um  den  unerhörten  Schikanen 
der  Österreicher  in  Luxemburg  zu  entgehen.  Die  Nachricht  von 
der  Katastrophe  beschleunigte  nur  noch  jene  Maßregel3).  Fried- 
rich Wilhelm  brannte  darauf,  den  militärischen  Ruf  der  preußi- 
schen Armee  wiederherzustellen,  sich  selbst  mit  Ruhm  zu  be- 
decken4). Jeder  kleine  Rückschlag  trug  nur  dazu  bei,  seinen 
Eifer  anzustacheln5).  Dabei  verlor  sich  mehr  und  mehr  der 
Gedanke  einer  Invasion  in  Frankreich  mit  Preußen  an  führender 
Stelle.  Die  politischen  Ereignisse  des  Winters  trugen  dann  nur 
dazu  bei,  ihn  seine  weitere  Teilnahme  am  Kampfe  lediglich  als 
Pflicht  bezeichnen  zu  lassen,  Österreich  in  den  Vordergrund  zu 
schieben6). 

Dazu  kam  die  Entschädigungsfrage.  Er  bedurfte  zu  ihrer 
Regelung  des  guten  Willens  von  Österreich,  so  glaubte  er  wenig- 
stens, vor  allem  aber  von  Rußland.  Ganz  ohne  Landabtretung 
von  Seiten  Frankreichs  ließ  sie  sich  nur  schwer  zu  allgemeiner 
Zufriedenheit  lösen.     Auch  das  sprach  für  die  Fortsetzung  des 


*)  Es  hatte  jedoch  von  der  Regierung  selbst  den  Befehl  erhalten,  sich 
nur  pro  forma  einen  Augenblick  zu  verteidigen,  um  eine  Kapitulation  zu 
erhalten  (Rep.  96,  258  A  Westfalen  an  Spielmann.     Bonn,  22.  Oktober). 

2)  Rep.  96,  170  L.  21.  Oktober. 

3)  Vi  veno  t  II  610,  612,  627,  630,  636,  649,  673;  Feuillet  VI 
372,  392,  396;  V  a  1  e  n  t  i  n  i  12—13.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  III. 
Alopeus  an  Lucchesini  24.  Oktober.  Rep.  96,  170  L.  Lucchesinis  Konzept 
zu  einem  Erlaß  an  Stein,  23.  Oktober. 

4)  Vi  veno  tll  665. 

5)  Bericht  Lucchesinis  11.  November. 
6)HäußerI  431. 


360  IIL  Abschnitt 

Krieges,  mehr  jedoch  die  Rücksicht  auf  Rußland,  das  sich  von 
jeher  als  Hort  der  Legitimität  aufgespielt  hatte.  Preußen  durfte 
scheinbar  nicht  Frieden  schließen,  wenn  es  sich  die  Aussicht  auf 
eine  neue  Teilung  Polens  offenhalten  wollte1).  Es  hätte  sonst 
Österreich  und  Rußland  hierin  gegen  sich  gehabt.  Konnte  es 
die  Zustimmung  des  ersteren  nachträglich  einholen,  so  war  die 
des  letzteren  vorher  erforderlich.  War  Katharina  schon  ent- 
rüstet, als  sie  nach  dem  preußischen  Rückzug  von  dessen  Ent- 
schädigungsforderungen hörte,  so  war  gar  nicht  abzusehen,  wie- 
viel Schwierigkeiten  Österreich  und  Rußland  vereint  den  Preußen 
hier  hätten  bereiten  können,  wenn  dies  mit  den  Franzosen  seinen 
Frieden  gemacht  hätte.  So  blieb  Preußen  in  dem  Geleise  seiner 
bisherigen  Politik2)  trotz  des  Zornes  von  Friedrich  Wilhelm  gegen 
die  Österreicher3),  trotz  der  Wünsche  des  Kabinettsministeriums, 
trotz  der  Mißstimmung  der  Armee,  die  Lucchesini  mit  ihrem 
Wunsche  viel  Ärger  machte,  mit  den  Franzosen  bei  jeder  nur 
möglichen  Gelegenheit  zu  verhandeln4).  Friedrich  Wilhelm  be- 
achtete das  womöglich  nicht.  Nur  die  allzu  lauten  und  unvor- 
sichtigen Schreier  in  hoher  Stellung  wurden  bestraft5).  Die 
französischen  Generale  mußten  nach  dem  Bescheide  vom  25.  Ok- 
tober einen  Separatfrieden  mit  Preußen  endgültig  als  gescheitert 
ansehen. 


5.  Kapitel 

Der  Konvent  nnd  Europa 

I. 

Während  die  französischen  Generale  mit  Genehmigung  des 
Konventes  so  in  jeder  Weise  den  Preußen  entgegenkamen,  aber 
vergeblich  versuchten,  diesen  gefährlichen  Gegner  neutral  oder 


l)  Nassau  jedenfalls  versäumte  nichts,  um  den  König  in  seiner  anti- 
französischen  Haltung  zu  bestärken  und  ihm  die  Gefahr  dieser  ewigen, 
verdächtigen  Verhandlungen  mit  den  französischen  Generalen  recht  lebhaft 
vorzustellen.   F  e  u  i  1 1  e  t  VI  373—374  und  393—395;  S  o  r  e  1 III  93—94. 

2)HäußerI  399. 

3)  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  368,  372,  390,  392—393 ;  S  y  b  e  1  II  351. 

4 )  Berichte  Lucchesinis  24.  November  und  15.  Dezember.  An  Lucchesini 
29.  November  und  19.  Dezember.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12:  L. 
Au  Roi  12.  November. 

5)  Fersen  II  60 — 61.  Rep.  XI  89k  Schulenburg  an  Tauenzien 
11.   Oktober.     Tauenzien  an  Schulenburg  5.  November.     Rep.  XI  89  h. 


Der  Konvent  und  Europa  3ßX 

gar  zu  Frankreichs  Freunde  zu  machen,  ließ  der  Konvent  an 
anderen  Stellen  seinen  Generalen  freie  Hand,  die  revolutionären 
Grundsätze  zu  verbreiten,  und  unterstützte  sie  sogar  darin1). 
Ich  weise  hier  bloß  darauf  hin,  daß  am  21.  September  Montes- 
quiou  den  lange  geplanten  Einfall  in  Savoyen  vollzog,  daß  An- 
selme  sich  Nizzas  bemächtigte,  daß  Genua  zur  Neutralität  ge- 
zwungen wurde,  daß  Spanien  trotz  des  aufrichtigen  Mitgefühls 
Karls  IV.  mit  Ludwig  XVI.  die  Republik  anerkennen  mußte, 
um  sich  nicht  auch  erst  durch  die  Waffen  dazu  zwingen  zu  lassen, 
daß  die  Schweiz  sich  in  Genf  bedroht  sah.  Das  alles  waren  Vor- 
stöße, die  zwar  ursprünglich  nur  defensiven  Charakter  haben, 
die  Gegner  teilen  und  im  eigenen  Lande  beunruhigen  sollten. 
Die  Absicht  dazu  reichte  noch  großenteils  in  die  Anfänge  dieses 
Jahres  zurück,  wo  die  französische  Regierung  weit  davon  ent- 
fernt war,  sich  mit  Eroberungsabsichten  zu  tragen.  Aber  jetzt 
bei  der  Ausführung  fand  man  einen  über  Erwarten  geringen 
Widerstand,  und  es  begann  sich  natürlich  das  Bestreben  geltend 
zu  machen,  ohne  daß  die  Regierung  hier  etwa  von  Anfang  an 
nach  einem  festen  Plan  gehandelt  hätte2),  so  leicht  gewonnenes 
Gebiet  nicht  wieder  herauszugeben,  damit  sowohl  die  Macht 
Frankreichs  zu  verstärken,  wie  die  Völker  von  dem  Joche  der 
Tyrannen  zu  befreien  und  den  Grundsätzen  der  Revolution 
einen  immer  weiteren  Geltungsbereich  zu  verschaffen,  zumal  die 
eroberten  Gebiete  eifrig  um  die  Einverleibung  in  Frankreich 
nachsuchten.  Man  darf  das  nicht  einfach  und  für  alle  Gebiete 
als  erzwungen  bezeichnen,  da  das  Volk  in  der  Tat  vielfach  von 
der  Abschaffung  des  ancien  regime,  die  dem  Einmarsch  der 
Franzosen  meist  auf  dem  Fuße  folgte,  große  Vorteile  hatte.  Nur 
durch  eine  feste  Verbindung  mit  Frankreich  aber  konnte  es  sich 
diese  Errungenschaften  sichern,  und  dies  übte  dabei  nur  Ver- 
geltung für  die  geplante  Zerstückelung  seiner  selbst3).  Nur 
durch  die  dauernde  Vertreibung  der  Monarchen  von  seinen  Grenzen 
glaubten  ferner  die  Franzosen  die  Ergebnisse  der  Revolution 
sichern  zu  können.  Vor  solchen  Tatsachen  konnten  die  Be- 
denken im  Conseil  executif  und  im  Konvent  nicht  standhalten. 


Reck  an  Schulenburg  28.  November.  Schulenburg  an  Reck  4.  Dezember. 
Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  31.  Lucchesini  an  Haugwitz  22.  November 
1792. 

*)  Sorel  III  97—112;  Ternaux  IV  212  ff.,  V  17  ff. 

2)  Sorel  III  144—145. 

3)  ibid.  III  168. 


362  III-  Abschnitt 

Die  Bewegung  war  im  Gange,  ehe  die  Leiter  der  französischen 
Politik  es  geahnt  hatten.  Die  Sache  Frankreichs  wurde  damit 
in  ihren  Augen  zur  Sache  der  Menschheit  überhaupt. 

Mit  den  genannten  militärischen  Operationen  habe  ich  mich 
hier  nicht  näher  zu  beschäftigen,  wohl  aber  mit  zwei  anderen, 
die  an  Bedeutung  alle  übrigen  überragen  und  sich  gegen  Öster- 
reich bezw.  das  Deutsche  Reich  richteten,  mit  den  Angriffen  von 
Dumouriez  und  Custine.  Dieser  trat  zuerst  in  Aktion.  Auch 
hier  war  der  Ausgangspunkt  die  Verteidigung  Frankreichs  durch 
einen  Angriff  auf  die  Operationsbasis  des  Gegners,  die  infolge 
der  schwachen  österreichischen  Rüstung  fast  schutzlos  jedem 
französischen  Angriff  preisgegeben  war.  Nur  wenige  tausend 
Mann  standen  nach  dem  Abzug  des  Grafen  Erbach  nach  Dieden- 
hofen,  wo  er  den  nach  der  Champagne  abgerückten  Hohenlohe 
zu  ersetzen  hatte,  noch  bei  Speyer,  wo  sich  große  österreichische 
Magazine  befanden,  dazu  einige  Reichstruppen,  denen  die  Be- 
wachung von  Worms  und  Mainz  beinahe  allein  anvertraut  war. 
Nur  die  grenzenlose  Unterschätzung  des  Gegners,  die  schwache 
österreichische  Rüstung,  dazu  aber  die  außerordentliche  Ängstlich- 
keit des  Herzogs  von  Braunschweig,  sich  mit  einem  schwachen 
Heere  auf  den  Marsch  nach  Paris  in  die  Champagne  zu  be- 
geben, hatten  diesen  Zustand  herbeiführen  können. 

Die  Franzosen  hatten  unter  Biron  am  Oberrhein  etwa  43  000 
Mann,  von  denen  unter  dem  General  Custine  etwa  17  000 
Landau  bewachten.  Dieser  drängte  unaufhörlich  bei  seinen  Vor- 
gesetzten in  Straßburg  und  Paris  darauf,  diese  günstige  Gelegen- 
heit auszunützen.  Trotz  des  Widerspruches  von  Biron  und 
Dumouriez,  die  ihn  gegen  Metz  dirigieren  wollten,  gelang  es  ihm, 
vom  Kriegsminister  die  Erlaubnis  zu  einem  Vorstoß  nach  Speyer 
Ende  September  zu  erhalten,  also  zu  der  Zeit,  wo  Dumouriez 
sich  eigentlich  hinter  die  Marne  zurückziehen  sollte.  Custine 
aber  dachte  nicht  daran,  sich  in  den  engen  Grenzen  zu  halten, 
die  man  ihm  gezogen  hatte.  Er  wollte  sich  militärisch  einen 
Namen  machen  und  zugleich  den  Ruf  eines  feurigen  Revolutionärs 
erwerben.  Der  Gedanke,  das  linke  Rheinufer  für  Frankreich 
zu  erobern,  kam  dazu.  Damit  handelte  er  nun  zwar  gerade  den 
Absichten  entgegen,  die  Dumouriez  früher  ausgesprochen  und  be- 
folgt hatte.  Dessen  Ziel  war  die  Neutralisierung  des  Reiches 
gewesen.  Custine  begnügte  sich  anfangs  auch  damit,  die  geist- 
lichen Herren  zu  vertreiben  und  hielt  getreu  der  alten  französi- 
schen Politik  namentlich  mit  den  Bayern,  deren  Gebiet  er  durch- 


Der  Konvent  und  Europa  363 

ziehen  mußte,  gutes  Einvernehmen1),  das  von  den  deutschen 
Mächten  allerdings  anders  bezeichnet  wurde.  Aber  was  sollten 
diese  Herren  anderes  tun?  Bayern  witterte  österreichische  Tausch- 
gelüste und  fürchtete  sich,  wie  alle  diese  Kleinstaaten,  seinen 
schlecht  geschliffenen  Paradedegen  wirklich  zum  Kampfe  zu  ge- 
brauchen2). Die  anderen  kleinen  Fürsten  trieben  die  Soldaten- 
spielerei nur  in  erheblich  geringerem  Umfange  und  konnten  an 
Widerstand  nur  denken,  wenn  sie  eine  kräftige  Rückendeckung 
hatten.  Sie  paktierten  also  vorläufig  ruhig  mit  den  Franzosen, 
in  dem  Gedanken,  sich  ebenso  ehrlich  wieder  gegen  Frankreich 
zu  wenden,  wenn  der  Wind  aus  einer  anderen  Richtung  blies. 
Am  29.  September  trat  Custine  seinen  Marsch  an.  Schon 
am  30.  fiel  nach  kurzer,  ruhmloser  Verteidigung  Speyer,  am 
4.  Oktober  Worms.  Hier  hielt  er  still3).  Er  selbst  trug  Bedenken 
weiter  zu  gehen  und  einen  Versuch  auf  Mainz  zu  machen.  Er 
wollte  zunächst  Befehle  aus  Paris  einholen,  und  da  erhielt  er  nur 
von  allen  Seiten  Mahnungen  zur  Vorsicht.  Schon  glaubte  man  auf 
deutschem  Boden  die  Gefahr  als  beseitigt  darstellen  zu  können4). 
Aber  der  Eindruck  seiner  Erfolge  in  Deutschland  war  doch  ge- 
waltig. Man  erkannte  sofort  die  Gefahr  für  Mainz5).  Da  kamen 
nun  Vertreter  der  „deutschen  Jakobiner"  in  Custines  Lager  aus 
Mainz  und  stellten  ihm  vor,  wie  leicht  er  sich  dieser  wichtigen 
Festung  bemächtigen  könne.  Sie  trugen  kein  Bedenken,  ihm 
die  schwachen  Stellen  der  Werke  anzugeben.  Nun  war  überall 
das  Volk,  die  Armen  wie  die  Gebildeten,  einig  in  der  Freude  über 
die  Befreiung  von  dem  Joche  der  Privilegierten.  Überall  war  der 
Widerstand  gegen  die  Franzosen  gering  gewesen.  Custine  ließ  sich 
dadurch  verleiten,  den  Schlag  zu  wagen.  Am  19.  Oktober  war  er 
vor  Mainz.  Jetzt  kamen  alle  Bitten  um  Hilfe  bei  den  Mächten  zu 
spät6).  Seinen  pompösen  Deklarationen  hatte  er  es  wohl  hier  wie 
auch  sonst  mehr  als  seinen  Truppen  zu  danken,  daß  am  21.  schon 
die  Festung  kapitulierte.  Am  22.  Oktober  öffnete  auch  Frankfurt 
einem  seiner  Untergenerale  die  Tore.     Alle  diese  Städte  mußten 


1 )  S  o  r  e  1  III  99  und  105;  F  e  r  s  e  n  II  42;  Rep.  96,  170  L.    Bericht 
Steins  2.  Oktober;  Politisches  Journal  1792  S.  1135—1137. 

2)  Sbornik  XXIII  578. 

3)  Sorel  III  104—105. 

4)  Rep.  XI  89  h  Schulenburg  an  Reck  19.  Oktober.  Rep.  92  Lucchesinis 
Nachlaß  38.     Lucchesini  an  Stein  11.  Oktober. 

5)  Fersenll  42.    Rep.  XI  89  h  Reck  an  Schulenburg  22.  Oktober. 

6)  Fersen  II  387. 


364  III.  Abschnitt 

hohe  Kontributionen  zahlen,  die  aber  meist  nur  den  Reichen 
zur  Last  fielen  und  den  Franzosen  in  ihrer  Geldknappheit  sehr 
zu  statten  kamen. 

Custine  war  hiermit  wie  mit  der  Überschreitung  des  Rheins 
über  die  Absichten  des  Konventes  beträchtlich  hinausgegangen. 
Man  fürchtete  den  Rückschlag,  die  Erklärung  des  Reichskrieges, 
und  wollte  doch  gerade  nur  durch  diesen  Vorstoß  den  Krieg 
rascher  beendigen.  Der  Vorstoß  hatte  sich  militärisch  nur  bis 
zum  Rhein  ausdehnen  sollen1).  Aber  man  beabsichtigte  noch 
nicht  einmal,  dies  Land  für  Frankreich  zu  erobern,  höchstens 
es  zu  republikanisieren.  So  natürlich  dieser  Schritt  den  Fran- 
zosen auch  erscheinen  mochte,  als  so  gefährlich  erwies  er  sich 
doch  in  kurzer  Zeit,  wie  Dumouriez  warnend  hervorgehoben 
hatte2),  da  er  die  Neutralität  des  Reiches  unmöglich  machte  und 
Österreich  wie  Preußen  zu  neuem  Kriege  gegen  Frankreich  trieb. 

Der  Eindruck  dieser  Vorgänge  war  ungeheuer.  Es  ist  keine 
Übertreibung,  wenn  man  sagt,  daß  sich  schon  ganz  Deutschland 
von  Custine  bedroht  fühlte3).  Koblenz  schien  verloren4).  Es 
versprach  Unterwerfung,  da  man  die  Franzosen  in  vollem  Marsche 
wähnte5).  Wetzlar  betonte  seine  Neutralität.  Die  Gesandten 
am  Reichstag  in  Regensburg  hielten  sich  bereit,  zu  Schiff  die 
Donau  hinabzureisen.  Im  preußischen  Franken  verlangte  man 
Truppensendungen,  da  die  Franzosen  am  1.  November  einfallen 
wollten6).  In  Paderborn  wurde  ein  Freiheitsbaum  aufgerichtet7), 
in  Braunschweig  fühlte  man  sich  schutzlos8),  und  selbst  in  Berlin 
wurde  für  den  31.  Oktober  der  Einmarsch  der  Franzosen  an- 
gesagt. Der  Eindruck  war  zu  neu,  als  daß  Custine  ihn  in  seiner 
ganzen  Bedeutung  sofort  richtig  gewürdigt  hätte.    Deshalb  scheint 


1 )  S  o  r  e  1  III  152—155. 

2)  ibid.  III  104,  149—150,  174,  183. 

3)  Sogar  die  Polen  schöpften  wieder  neuen  Mut  (Ssolowjoff  304). 
*)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  III.   Alopeus  an  Lucchesini  24.  Ok- 
tober. 

5)  Rep.  96,  166  G  Dohms  Bericht  25.  Oktober  P.S.  Köln  schien  be- 
droht (Gronau,  Dohm  247—248).  Rep.  XI  89h  Reck  an  Schulenburg 
11.  November  1792. 

6)  Bericht  Lucchesinis  12.  November.  W  e  1 1  r  i  c  h,  Erinnerungen  für 
die  Einwohner  des  Fürstentums  Bayreuth  aus  den  preußischen  Regierungs- 
jahren von  1792  bis  1807.  Bayreuth  1808,  S.  8.  Politisches  Journal  1792, 
S.  1170—1171. 

7)  Bericht  Lucchesinis  12.  November. 

s)  Rep.  XI  89  k  Schulenburg  an  Feronce  de  Rothencreutz  5.  November 
mit  Beilagen.     Feronce  de  Rothencreutz  an  Schulenburg  9.  November. 


Der  Konvent  und  Europa  365 

es  mir  ganz  unangebracht,  ihm  daraus  einen  Vorwurf  zu  machen, 
daß  er  seinen  Siegeslauf  nicht  noch  bis  nach  Koblenz  ausgedehnt 
hat1),  wie  Dumouriez  es  jetzt  gern  gesehen  hätte,  um  ihm  hier 
selbst  die  Hand  reichen  zu  können2).  Er  kannte  die  Schwäche 
seiner  Macht  und  mußte  befürchten,  beim  kleinsten  Rückschlag 
das  Ganze  aufs  Spiel  zu  setzen.  Er  scheint  in  den  ersten  Tagen 
gar  nicht  an  diese  Möglichkeit  gedacht  zu  haben,  die,  wenn  sie 
zur  Tatsache  wurde,  den  Preußen  doch  große  Schwierigkeiten 
gemacht  haben  würde.  Als  ihm  am  26.  der  Marsch  von  den 
Koblenzern  selbst  angetragen  wurde,  da  war  es  schon  zu  spät. 
Am  26.  kamen  die  Hessen  unter  Rüchel3)  dort  an.  Um 
sich  nun  von  dem  Verdachte  zu  reinigen,  er  habe  seinen  Sieg 
nicht  gehörig  ausgenützt,  beschuldigte  er  Kellermann  vor  dem 
Konvente4). 

Gleich  als  die  Gefahr  bekannt  wurde,  trafen  ja  Preußen  und 
Hessen  Vorbereitungen,  den  Franzosen  trotz  der  späten  Jahres- 
zeit entgegenzutreten.  Die  Vorhut  schickte  man  auf  Wagen 
voraus,  die  Hauptarmee  folgte  in  beschleunigtem  Tempo.  Wenn 
es  nach  dem  Herzog  von  Braunschweig  gegangen  wäre,  so  hätte 
man  sich  zwar  mit  der  „Deckung"  des  rechtsrheinischen  Ge- 
biets begnügt,  soweit  es  nicht  bereits  in  den  Händen  der  Fran- 
zosen war5) ;  aber  er  stand  allein,  sein  passiver  Widerstand,  sein 
Versuch,  die  Ausführung  des  Planes  so  lange  hinzuzögern,  bis 
sie  unmöglich  wurde,  nützten  nichts6).  Der  König,  noch  be- 
sonders angefeuert  von  dem  Freiherrn  Karl  vom  Stein,  und  seine 


1 )  Rep.  XI  89  h  Reck  an  Sohulenburg  22.  Oktober.  Ternaux  V 
17 — 19;  Max  Lehmann,  Freiherr  v.  Stein  I  142 — 143;  Carisien 
102  und  130. 

2)  Sorel  III  175— 176. 

3)  Rüchel  weilte  seit  dem  August  bei  den  Hessen,  um  die  nötige  Ein- 
heitlichkeit der  Operationen  herbeizuführen.  Zeitschrift  des  Vereins  für 
hessische  Geschichte  und  Landeskunde.  Neue  Folge.  Bd.  20.  Kassel  1895. 
S.  202  und  207.  Aus  Rücheis  Nachlaß  (Separatabdruck  aus  den  Jahrbüchern 
für  deutsche  Armee  und  Marine.  Berlin  1878)  S.  2 — 7.  Politisches  Journal 
1792,  S.  1348. 

4)  TernauxV9ff. 

5)  Es  berührt  merkwürdig,  diesmal  den  kernigen  Schlosser  gewisser- 
maßen auf  der  Seite  des  Herzogs  zu  finden  (V  430).  Er  übersieht  ganz  die 
moralische  Bedeutung  des  Erfolges.  Vgl.  auch  Vaissiere  569.  Rep.  96, 
258  A.  Memoire  Braunschweigs  13.  November. 

6)  Berichte  Lucchesinis  7.  und  18.  November.  An  Lucchesini  24.  No- 
vember. Lucchesini  an  seine  Frau  28.  November  und  1.  Dezember.  Rep. 
XI  89  k  Tauenzien  an  Schulenburg  20.  November  1792. 


366  m.  Abschnitt 

Minister  drängten  auf  einen  kühnen  Schlag.  Vor  allem  der  König 
wollte  ohne  einen  eklatanten  Sieg  nicht  nach  Berlin  zurück- 
kehren1). So  schien  man  auch  am  besten  der  besonders  den 
geistlichen  Gebieten  drohenden  Ausbreitung  der  revolutionären 
Ideen  Schranken  setzen  zu  können2).  Rüchel,  Tauenzien,  der 
Freiherr  Karl  vom  Stein,  zuletzt  auchLucchesini,  für  den  es  eben- 
sowenig wie  für  Rüchel  das  letzte  Mal  blieb,  bewogen  den  Land- 
grafen von  Hessen-Kassel,  dem  Könige  auch  jetzt  noch  seine 
Truppen  zur  Verfügung  zu  stellen;  aber  wegen  der  Spionage- 
gefahr teilte  man  ihm  das  Ziel  der  preußischen  Unternehmung 
nicht  mit.  In  aller  Heimlichkeit  wurden  alle  Maßregeln  ge- 
troffen und  der  Feind  in  falsche  Sicherheit  zu  wiegen  gesucht3). 
Vornehmlich  die  Hessen  waren  es  auch,  die  unter  Rücheis  Leitung 
am  2.  Dezember  Frankfurt  einnahmen.  Ein  Angriff  Custines 
wurde  abgeschlagen.  Der  Erfolg  brachte  nun  all  die  Zauderer, 
den  Herzog  von  Braunschweig  an  der  Spitze,  zum  Verstummen4). 
Es  gelang  auch  noch,  Custine  bis  auf  Mainz  zurückzudrängen5), 
aber  ihn  hier  anzugreifen,  ihn  vom  rechten  Rheinufer  überhaupt 
zu  vertreiben  und  ihn  energisch  darüber  hinaus  zu  verfolgen, 
wie  man  besonders  in  Berlin  wünschte6),  lehnte  der  Herzog,  der 
jetzt  seinen  Ruf  wieder  hergestellt  glauben  konnte7)  und  ihn 
nicht  von  neuem  aufs  Spiel  zu  setzen  wagte,  auf  das  allerbe- 
stimmteste  ab.  Ein  Bombardement  der  Stadt  schien  nicht  gut 
möglich8),  da  es  sich  um  die  Stadt  eines  verbündeten  Fürsten 
handelte,  und  zu  einer  Belagerung  fehlte  es  an  schwerem  Ge- 
schütz9), an  Truppen  und  an  Zeit.  Custine  blieb  also  für  den 
Winter  in  der  Hauptsache  doch  im  Besitze  seiner  Eroberungen. 
Die  Preußen  glaubten  schon  viel  erreicht  zu  haben,  als  infolge 
ihrer  dringenden  Vorstellungen  und  des  Zögerns  von  Dumouriez 
der  unter  der  ungewohnten  Last  der  Verantwortung  fast  zu- 

*)  ibid.  Tauenzien  an  Schulenburg   21.  November  1792.     Politisches 
Journal  1792,  S.  1145—1146. 

2)  Bericht  Cesars  27.  Oktober.     Rep.  96,  147  G  II:  F.  S.A.  Au  Roi 
5.  November. 

3)  Bericht  Lucchesinis  18.  November. 

4)  Bericht  Lucchesinis  2.  Dezember. 

5)  Berichte  Lucchesinis  3.,  4.  und  10.  Dezember. 

6)  An  Lucchesini  8.,  10.,  17.,  19.  Dezember.    Politisches  Journal  1792, 
S.  1289. 

7)  Rep.  XI  89  k  Tauenzien  an  Schulenburg  3.  Dezember. 
8)Wassiltchikowri4,  209. 

9)  Rep.  XI  89  h   Reck  an  Scbulenburg  10.   Dezember:    Wieder  ab- 
bestellt (?). 


Der  Konvent  und  Europa  3(37 

sammenbrechende  Clerfayt  auf  dem  linken  Rhehmfer  bei  Köln 
stehen  blieb1).  Die  preußische  Waffenehre  vor  allem  war  jeden- 
falls wieder  hergestellt.  Friedrich  Wilhelm  wurde  in  Frankfurt 
begeistert  aufgenommen2),  als  Schirmherr  des  Reiches  gefeiert. 
Der  Ruhm  der  Unbesiegbarkeit  war  Custine  genommen.  Der 
erste  Freudenrausch  über  die  französische  Eroberung  verrann 
in  den  rheinischen  Gebieten.  Man  begann  die  Nachteile  der 
französischen  Herrschaft  zu  empfinden.  Der  Umschlag  der 
Stimmung  bereitete  sich  vor3). 

IL 

Noch  rascher  und  stärker  zeigte  sich  das  bei  der  Aktion  Du- 
mouriez'.  Die  Österreicher  trafen  in  dumpfer  Resignation  nur 
die  nötigsten  Verteidigungsmaßregeln4).  Am  19.  Oktober  war 
Dumouriez  in  seinem  Hauptquartier  Cambrai.  Nach  sorgfäl- 
tigen Vorbereitungen  trat  er  am  28.  mit  einer  starken  Armee 
den  Marsch  an5).  Er  mußte  durch  die  Zahl  zu  ersetzen  suchen, 
was  den  Truppen  an  innerem  Gehalt  fehlte.  Etwa  80  000  Mann 
konnte  er  den  etwa  25  000  Österreichern  gegenüberstellen ,  die 
ja  wieder  für  Garnisonen  viel  abgeben  mußten.  Noch  ist  mili- 
tärisch in  seinem  Vormarsch  nichts  von  dem  revolutionären 
Feuer  zu  spüren.  Mit  großer  Umsicht  ging  er  vor.  Am  6.  schlug 
er  die  Österreicher  trotz  tapferer  Gegenwehr  —  aber  was  nützte 
sie  bei  den  schlechten  Dispositionen!  —  bei  Jemappes  durch 
seine  numerische  Überlegenheit  und  gewann  damit  mehr,  als  er 
hatte  hoffen  können. 

Denn  nun  gab  es  keinen  Widerstand  mehr,  wie  das  bei  Alberts 
Charakter  auch  leicht  vorauszusehen  gewesen  war6).  Die  Re- 
gierung gab  ihn  zuerst  auf  und  hörte  auf  keinen  Gegenvorschlag?). 
Sie  gab  das  Land  verloren  und  verließ  trotz  Mercys  Malmen 
zu  Besinnung  und  Ruhe8)  schon  am  8.  Brüssel.     Erst  ging  sie 


x)  Damit  sicherte  er  den  Österreichern  wenigstens  eine  günstige 
Stellung  für  den  Beginn  des  nächsten  Feldzuges  (Rep.  XI  89  k  Tauenzien 
an  Schulenburg  3.,  17.,  28.,  29.  Dezember.  Schulenburg  an  Tauenzien 
25.  Dezember). 

2)  Bericht  Lucchesinis  2.  Dezember,  4  Uhr  nachmittags. 

3)  Sorel  III  176—179. 

4)  Rep.  XI  89  h  Reck  an  Schulenburg  22.  Oktober  und  3.  November. 

5)  S  o  r  e  1  III  150  und  159—160;  Zeißberg,  2  Jahre,  181  ff. 

6)  Bericht  Lucchesinis  RS.  vom  11.  November. 

7)  Fersen  II  51—52  und  56. 

8)  Bacourt-Städtler  III  395;  Fersen  II  52-53. 


368  HL  Abschnitt 

nach.  Roermond,  dann  nach  Düsseldorf,  endlich  nach  der  zwar 
sicheren,  aber  unbequemen  Festung  Wesel,  von  wo  dann  der 
Herzog  Albert  mit  seiner  Frau  und  dem  Erzherzog  Karl  nach 
Wien  reisten1) ;  die  Regierung  mußte  in  Wesel  auf  den  Augenblick 
warten,  wo  man  sich  wieder  der  Niederlande  bemächtigen  werde. 
Das  war  ein  schlechtes  Beispiel.  Nun  floh  alles  in  überstürzter 
Eile.  Namentlich  die  Emigranten  suchten  wenigstens  ihr  Leben 
in  Sicherheit  zu  bringen.  Alle  drückte  ein  dumpfer  Schrecken 
zu  Boden.  Von  Unruhen  war  daher  in  den  ersten  Tagen  wenig 
zu  spüren2).  Die  Armee  war  zu  weiterem  Widerstände  nicht 
mehr  fähig,  schon  der  Zahl  nach  konnte  sie  an  ihn  nicht  mehr 
denken.  Der  Herzog  wurde  durch  Krankheit  hart  geplagt.  Sie 
veranlaßte  ihn  zu  dem  Entschluß,  die  Armee  zu  verlassen,  um 
nicht  mehr  zu  ihr  zurückzukehren.  Als  Clerfayt  und  Beaulieu 
nun  aber,  ebenso  kleinmütig  wie  er,  es  ablehnten,  das  Kom- 
mando zu  übernehmen,  da  gelang  es  nur  dem  kräftigen  Auftreten 
des  Barons  von  Seckendorf,  sie  davon  abzubringen.  Clerfayt 
übernahm  es  wenigstens  provisorisch,  wollte  aber  für  die  Dauer 
nichts  davon  wissen3). 

Am  14.  zog  Dumouriez  in  Brüssel  ein,  am  20.  fiel  Namur4), 
am  28.  Lüttich  und  Antwerpen,  am  15.  Dezember  öffnete  ihm 
Aachen  seine  Tore.  Wäre  die  französische  Armee  nicht  selbst 
in  so  schlechtem  Zustande  gewesen,  so  wäre  es  unerklärlich, 
daß  die  Österreicher  überhaupt  noch  einen  Teil  ihrer  Truppen 
in  leidlicher  Ordnung  zurückbringen  konnten5).  Sie  wurden 
kaum  verfolgt  und  gingen  erst  bis  zur  Maas,  dann  bis  zur  Roer, 
endlich  hinter  die  Erft  bis  zum  Rhein  in  die  Gegend  von  Köln 
zurück.  Hätten  die  Franzosen  Anstalten  zum  Angriff  getroffen, 
so  hätte  alles  Drängen  von  Friedrich  Wilhelm,  alle  seine  Rü- 
stungen nichts  geholfen,  die  an  anderer  Stelle  noch  dazu  seine 
Pläne   in   so   unangenehmer  Weise  durchkreuzten6)  —  Clerfayt 


1 )  F  e  r  s  e  n  II  52—53,  393—395  und  396—398  ;Zeißberg,  2  Jahre, 
216—218.  Rep.  96,  166  G  Dohms  Bericht  26.  Januar  1793.  Rep.  XI  89  k 
Tauenzien  an  Schulenburg  29.  Dezember  1792. 

2)  F  e  r  s  e  n  II  51—57,  393—397;  Bacourt-StädtlerHI  395, 
397—398,  401-^05;  Zeißberg,  2  Jahre,  215—216  und  219  ff. 

3)  F  e  r  s  e  n  II  57—58  und  392  und  398;  Zeißberg,  2  Jahre,  229 
bis  230.    Rep.  XI  89  k  Tauenzien  an  Schulenburg  17.  und  28.  Dezember. 

4)  Zeißberg,  2  Jahre,  227—228;  Ternaux  V  16. 
6)  Zeißberg,  2  Jahre,  203—204. 

6)  Bacourt-StädtlerHI  395,  397—401,  404;  F  e  r  s  e  n  II  58. 
Rep.  XI  89  h  Reck  an  Schulenburg  11.  November. 


Der  Konvent  und  Europa  369 

wäre  auch  hinter  den  Rhein  noch  zurückgegangen.  Er  hätte 
damit  die  Furcht  der  Preußen  um  Wesel  gerechtfertigt,  dessen 
Kommandant  —  der  Nachfolger  Schlieffens  —  keine  hervor- 
ragenden geistigen  Eigenschaften  besessen  zu  haben  scheint1). 
Aber  es  gelang  Dumouriez  nicht,  bis  Koblenz  vorzudringen, 
wo  er  Custine  hatte  die  Hand  reichen  wollen2).  Wir  haben  hier 
also  militärisch  ähnliche  Vorgänge  wie  bei  dem  Rückzuge  der 
Preußen  aus  der  Champagne,  aber  die  Gründe  für  das  Entkommen 
beider  Armeen  sind  doch  recht  verschieden.  In  Belgien  er- 
leichterte keine  Verhandlung  mit  den  französischen  Generalen 
den  Rückzug.  An  einen  Sonderfrieden  mit  Österreich  dachte 
kein  Franzose.  Der  schlechte  Zustand  des  französischen  Heeres 
erklärt  auch  nur  zum  Teil,  nämlich  für  die  erste  Zeit,  die  Un- 
tätigkeit Dumouriez'.  Aber  die  Franzosen  waren  unter  sich.nicht 
mehr  einig  über  die  Behandlung  ihrer  Gegner  und  ihrer  Freunde. 
Dumouriez  hatte  im  Frühjahr  den  Einfall  in  Belgien  haupt- 
sächlich aus  militärischen  und  äußerpolitischen  Gründen  ge- 
plant und  durchzuführen  versucht.  Seine  Absichten  scheinen 
im  Oktober  und  im  November  doch  schon  stark  andere  geworden 
zu  sein3).  Das  erste  blieb  auch  jetzt  freilich  der  Friede  mit 
Österreich,  den  er,  im  Besitze  eines  so  kostbaren  Faustpfandes, 
sich  fordern  konnte  zu  seinen  Bedingungen,  und  dazu  gehörte 
die  Errichtung  einer  selbständigen  Republik,  deren  Verfassung 
die  Belgier  allein  regeln  mochten4).  So  war  es  auch  anfangs 
vom  Conseil  executif  und  vom  Konvent  beabsichtigt  worden. 
Dumouriez  scheint  jetzt  aber  auch  schon  stark  mit  dem  Plan 
der  Vernichtung  der  Jakobiner  und  der  Wiederherstellung  des 
Königtums  gerechnet  zu  haben,  gestützt  auf  seine  Erfolge  in  Bel- 
gien. Der  siegreiche  General  wollte  an  der  Spitze  der  Armee 
dem  Auslande  wie  dem  Vaterlande  das  Gesetz  diktieren.  Aber 
dazu  war  er  nicht  der  Mann,  und  die  Zeit  war  noch  nicht 
reif.  Überall  stieß  er  auf  Widerstand.  Die  Österreicher  dachten 
an  keinen  Frieden,  und  der  Konvent  hatte  sich  auf  seiner  Bahn 
zu  weit  fortreißen  lassen,  die  sich  nur  zu  leicht  aus  den  anfangs 


*)  Rep.  XI  89  h  Reck  an  Schulenburg  28.  November,  8.,   10.,  19., 
29.  Dezember. 

2)  Sorel  III  174—175. 

3)  ibid.  III  145—149,  172—175,  251—253;  TernauxVI  421—422; 
Zeißberg,  2  Jahre,  241  ff. 

4 )  Vgl.  etwa  Ternaux  V  3;  Borgnet,  Histoire  des  Beiges  II 
70—71 ;  Zeißberg,  2  Jahre,  183—184. 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution        24 


370  HI-  Abschnitt 

aufgestellten  Prinzipien  ergab,  die  ihn  aber  in  einen  Krieg  mit 
ganz  Europa  hineinführen  mußte1). 

An  Frankreichs  Grenze  sollte  womöglich  kein  monarchischer 
Staat  mehr  stoßen2),  wenn  er  nicht  die  Republik  anerkannte, 
wie  Spanien,  vor  dem  man  übrigens  nicht  sehr  in  Furcht  war. 
Diese  neuen  Republiken  sollten  sich  ihre  Verfassung  selbst  geben, 
aber  unter  der  Bedingung,  daß  die  Rückkehr  der  „Tyrannen", 
d.  h.  der  Monarchen,  ausgeschlossen  sei3).  Man  rechnete  in  Frank- 
reich mit  einer  Übernahme  der  französischen  Verfassungsform. 
Dem  setzten  sich  die  Belgier  aufs  heftigste  entgegen,  und  Du- 
mouriez  wußte  wohl,  warum  er  sie  in  diesem  Punkte  so  schonend 
behandelte.  Mit  der  Vertreibung  der  Österreicher  schien  ihnen 
die  Revolution  beendigt  zu  sein.  Von  ihren  provinziellen  Sonder- 
rechten wollten  sie  zum  großen  Teil  nicht  lassen,  an  der  Kirchen- 
verfassung alle  nicht  gerüttelt  sehen.  Der  Konvent  aber  ver- 
suchte, ihnen  die  französische  Verfassung  aufzuzwingen,  be- 
günstigte überall  zunächst  die  Demokraten  (die  Vonckisten) 
gegenüber  den  Statisten4).  Nun  näherten  sich  zwar  deren  Ideen 
den  französischen,  aber  denen  der  Konstituante.  Der  Konvent 
erreichte  mit  seinen  Maßregeln  doch  nur,  daß  sich  die  beiden  Par- 
teien, die  einander  sonst  so  spinnefeind  waren,  gegen  den  Kon- 
vent mit  seinem  Radikalismus  vereinigten  und  sich  laut  und 
fast  einstimmig  gegen  die  Einverleibung  in  Frankreich  erklärten, 
die  ihnen  in  gar  zu  große  Nähe  gerückt  zu  sein  schien.  Dazu 
kam  Paches  schlechte  Armeeverwaltung,  der  alles  versprach 
und  nichts  tat,  wohl  aber  die  Assignaten  zum  Parikurs  in  Belgien 
zwangsweise  einführen  wollte.  Es  fehlte  an  Lebensmitteln  wie 
an  Ausrüstungsgegenständen.  Sie  mußten  in  Belgien  selbst 
beschafft  werden,  wurden  aber  mit  den  Assignaten  zu  jenem 
Zwangskurse  bezahlt5).  An  Exzessen  unter  den  Soldaten  fehlte 
es  auch  nicht.  So  wurde  die  Befreiung  durch  die  Franzosen 
bald  als  schwerere  Last  empfunden  als  die  österreichische  Herr- 
schaft. 

Dazu  kam  der  Konflikt  mit  dem  Auslande.  Die  österreichi- 
sche Herrschaft  war  von  den  Engländern  stets  zur  Aufrecht- 


1 )  Vgl.  aber  S  o  r  e  1  III  144  und  183. 

2)  Heigel  II  75—78  und  85—86. 

3)  Sorel  III  154. 

4)  Sorel  III  162—163. 

5)  ibid.  III  170—171,  206—208,  246—247,  258—260,  277—280,  282 
bis  287;  V  i  v  e  n  o  t  II  790;  H  e  i  g  e  1  II  85—86. 


Der  Konvent  und  Europa  371 

erhaltung  des  europäischen  Gleichgewichts  gefordert  worden. 
So  wurde  hier  Frankreich  durch  eine  Großmacht  im  Zaum  ge- 
halten, Holland  geschützt  und  den  englischen  und  den  holländi- 
schen Handelsinteressen  durch  die  Schließung  der  Scheide  ge- 
dient. Die  Besetzung  durch  die  Franzosen  hätte  England  noch 
hingenommen,  wenn  es  nach  dem  alten  Plan  dabei  sein  Bewenden 
gehabt  hätte.  Aber  am  16.  November  wurde  die  Scheide  für  offen 
erklärt,  da  die  Schließung  mit  den  Grundsätzen  des  Naturrechts 
unvereinbar  sei1).  Am  gleichen  Tage  beschloß  das  Conseil  exe- 
cutif  den  Einmarsch  in  Holland  für  den  Fall,  daß  die  österreichi- 
schen Truppen  auf  ihrem  Rückzuge  dort  Aufnahme  finden  sollten. 
Am  19.  versprach  der  Konvent  allen  Völkern,  die  sich  ihre  Frei- 
heit erobern  wollten,  Schutz  gegen  auswärtige  Angriffe.  Damit 
wurde  nicht  nur  die  holländische  Verfassung  bedroht,  an  deren 
Bestehen  England  so  großes  Interesse  hatte,  sondern  auch  die 
Möglichkeit  der  Einmischung  in  Englands  eigenes  Gebiet  ge- 
geben, wo  Irländer,  Schotten,  auch  eine  Partei  in  England  selbst 
leicht  den  Anlaß  dazu  herbeiführen  konnten  und  bald  herbei- 
führten2). 

Hatte  bisher  das  englische  Volk,  insbesondere  Pitt,  der  Revo- 
lution durchaus  passiv  gegenübergestanden  und  die  Neutralität 
zu  wahren  gesucht  —  jetzt  begann  es  sich  zu  regen,  um  sich  gegen 
derartige  Eingriffe  in  seine  Privatangelegenheiten  zu  wehren. 
Die  revolutionsfreundliche  Partei  gab  dabei  ihren  Gegnern  kaum 
etwas  nach3).  Das  Dekret  vom  15.  Dezember  endlich  machte 
der  belgischen  Unabhängigkeit  tatsächlich  ein  Ende.  Nach  der 
Einverleibung  Savoyens  in  Frankreich,  die  auf  den  Wunsch 
seiner  Bevölkerung  am  27.  November  erfolgt  war,  schien  die 
formelle  Vereinigung  auch  mit  Belgien  nur  noch  eine  Frage  der 
Zeit  zu  sein4).  Das  Dekret  brach  mit  der  bisherigen  Gewohnheit, 
die  sich  für  Frankreich  als  so  kostspielig  erwiesen  hatte,  die 
fremden  Völker  auf  französische  Kosten  zu  befreien.  Es  hob  die 
alte  Verfassung  einfach  auf,  wies  den  Franzosen  die  Aufgabe 
zu,  das  noch  unmündige  Volk  zu  befreien,  sanktionierte  vor- 

x)  Bacourt-StädtlerHI  396;  Aulardl  239—240;  Sorel 
III  167—170;  Ranke  46,  124—125;  Salomon,  Pitt  I  2,  576  ff. 

2)  SchlosserV  553—554;  S  o  r  e  1  III  214—215.  Die  Bedeutung 
dieses  Ereignisses  darf  jedocb  nicht  zu  hoch  angeschlagen  werden.  Andere 
Momente  entschieden  hier  den  Krieg. 

3)  S  o  r  e  1 III  212—217  und  262—263;  WorontzowIX  267—273, 
278—280,  294—297. 

4)  Sorel  III  203,  277—280,  282—287,  307—312. 


372  HI.  Abschnitt 

läufig  die  Herrschaft  des  französischen  Militärs,  lieferte  diesem 
das  Vermögen  des  Staates  und  der  Privilegierten  aus  und  schränkte 
die  Volkssouveränität  dahin  ein,  daß  nur  eine  der  französischen 
entsprechende  Verfassung  anerkannt  werden  würde.  Erst  nach 
Vollendung  der  neuen  Organisation  sollte  das  Volk  aus  der  Vor- 
mundschaft Frankreichs  entlassen  werden1).  Es  entsprang  dem 
Wunsche,  die  französischen  Heere  auf  fremde  Kosten  zu  ernähren, 
für  seine  Kosten  ganz  nach  Art  des  ancien  regime  entschädigt 
zu  werden  und  den  vorwärts  drängenden  Tendenzen  des  Kon- 
ventes, der  überall  dort  Feinde  sah,  wo  er  keine  Freunde  fand. 
Dadurch  war  der  Bruch  mit  England,  also  auch  mit  Holland, 
bald  auch  mit  Spanien  entschieden.  Alle  Versuche  der  beiden 
l  Regierungen,  die  den  Kampf  anfangs  gern  vermieden  hätten 
(von  dem  Konvent  gilt  das  Wohl  nur  bis  zum  15.  Dezember), 
Dumouriez  und  Lebrun  waren  hierin  die  Hauptakteure,  konnten 
nichts  mehr  helfen2).  Es  bedurfte  wahrlich  nicht  mehr  der  Hin- 
richtung Ludwigs  XVI.,  um  England  in  den  Krieg  zu  treiben3). 
Es  war  nur  noch  eine  Frage  der  Form,  wer  ihn  erklären  werde. 
Pitt  verstand  es,  den  Gegner  auch  hierin  ins  Unrecht  zu  setzen. 
So  wandelte  sich  die  französische  Verteidigung  in  einen  Angriff 
der  allerbedrohlichsten  Art  um4).  Mehr  als  zwanzig  Jahre  ver- 
gingen, ehe  Europa  seine  Ruhe  wieder  fand. 

III. 

Während  dessen  versuchte  der  Konvent  oder  besser  das 
Conseil  executif  seinen  gefährlichsten  Gegner  Preußen5)  mög- 
lichst zu  schonen,  geheim  mit  ihm  anzuknüpfen,  ihn  aus  dem 
Ringe  seiner  Gegner  zu  entfernen  und  dann  mit  ihm  eine  Allianz 
zu  schließen.  Es  ist  die  Politik,  die  Favier  proklamiert  hatte, 
die  von  der  Revolution  gleich  anfangs  angenommen  und  in  viel- 
fachen Versuchen  angewandt  worden  war.  Welcher  Partei  das 
Ministerium   angehörte,    welche   Regierungsform   herrschte,   das 


*)  A  u  1  a  r  d  I  331—335;  S  o  r  e  1  III  232—237. 

2)  V  i  v  e  n  o  t  II  712—714;  S  o  r  e  1 III  212—230,  239—245,  253—263, 
271—282,  298—301,  312,  318—319;  Bacourt-Städtler  III  412, 
417,  420,  422—425,  427—429. 

3)  S  o  r  e  l  III  263,  271,  276;  Ranke,  Denkwürdigkeiten  des  Staats- 
kanzlers Fürsten  v.  Hardenberg,  Bd.  V  (Leipzig  1877),  S.  34  und  38—39. 

*)  Politisches  Journal  1792,  S.  1310. 

6)  Von  den  Versuchen  bei  England  kann  ich  hier  absehen  (Sorel 
III  18—21). 


Der  Konvent  und  Europa  373 

war  hierbei  fast  völlig  gleichgültig.  Die  Interessen  waren  so 
stark,  daß  sie  jeden  Widerspruch  gegen  einen  neuen  Versuch 
sofort  zum  Verstummen  brachten. 

Lebrun1)  setzte  tatsächlich  nur  die  Politik  Dumouriez'  fort, 
als  er  noch  vor  dem  Zusammentritt  des  Konventes  auf  langen 
Umwegen  Friedrich  Wilhelm  zu  einem  Separatfrieden  zu  be- 
wegen suchte.  Er  wandte  sich  an  den  ihm  bekannten  Herrn 
von  Dohm2).  Dieser  hielt  sich  damals  in  Köln  auf  und  war  in 
den  Jahren  vorher  von  Preußen  vielfach  zu  diplomatischen 
Missionen  verwandt  worden,  die  die  antiösterreichische  Politik 
Preußens  veranlaßt  hatte  und  die  eine  Annäherung  zwischen 
Preußen  und  Frankreich  hatten  herbeiführen  sollen,  so  besonders 
bei  der  Revolution  in  Lüttich.  Auch  seine  Tätigkeit  für  den 
Fürstenbund  hatte  sich  in  ähnlichen  Bahnen  bewegt.  Persönlich 
brachte  er  der  Eevolution  warme  Sympathie  entgegen.  Sie  ver- 
anlaßte  ihn  wohl  auch,  den  Feldzug  der  Verbündeten  nicht  nur 
nicht  zu  billigen3),  sondern  ihm  gleich  anfangs  einen  schlimmen 
Ausgang  für  die  Mächte  zu  prophezeien4).  Er  schien  also  der 
Mann  dazu  zu  sein,  um  die  französischen  Anträge  nicht  nur  weiter- 
zugeben, sondern  sie  auch  zu  befürworten.  Als  Vermittler  zwi- 
schen ihm  und  Lebrun  fungierte  ein  gewisser  Mettra,  der  schon 
1768 — 1771  von  Friedrich  dem  Großen  bei  Verhandlungen  mit 
Frankreich  verwandt  worden  war,  die  die  Wiederanknüpfung 
diplomatischer  Beziehungen  zwischen  beiden  Staaten  verfolgten5). 
Er  lebte  jetzt  seit  längerer  Zeit  als  Kaufmann  und  Publizist  in 
Neuwied.  Aber  noch  zwei  weitere  Personen  waren  bei  diesem 
Versuche  beteiligt.  Denn  Lebrun  kannte  bisher  Mettra  eben- 
sowenig wie  dieser  Herrn  von  Dohm.  Erst  Andrea  de  Nerciat, 
ein  Literat  niederer  Sorte,  machte  Lebrun  auf  ihn  aufmerksam6). 
Bei  Dohm  wurde  Mettra  von  einem  Chevalier  de  Cologne  ein- 
geführt,  der  es   vorzog,   seinen  hochgeborenen  Vater  nicht  zu 


1)  Vgl.  für  die  folgende  Darstellung:  Gronau,  Dohm  241 — 249. 
Ergänzungen  dazu  in  Rep.  XI  89  Frankreich  varia  1790 — 1796  und  Rep. 
96,  166  G. 

2)  Sorel  III  22—23. 

3)  Gronau  251. 

*)  Gronau  236—238. 

5)  ibid.  243;  S  o  r  e  1  III 113.  V  o  1  z  in  F.B.P.G.  XVII 164.  Ob  jedoch 
auch  dieser  Mettra  schon  1752  verwandt  worden  ist,  muß  doch  dahin- 
gestellt bleiben. 

6)  Mettra  scheint  jedoch  nicht  zu  diesem  Zwecke  nach  Paris  berufen 
worden,  sondern  in  Privatgeschäften  dorthin  gereist  zu  sein. 


374  III.  Abschnitt 

nennen1).  In  diesem  Einzelfall  finden  wir  die  Behauptung 
Sorels  in  glänzendster  Weise  bestätigt,  daß  sich  die  Sitten  des 
ancien  regime  auch  in  die  Revolutionszeit  hinein  fortsetzen. 

Wir  dürfen  die  Unterredung  zwischen  Dohm  und  Mettra  mit 
einiger  Sicherheit  auf  den  29.  oder  den  30.  September  ansetzen 
und  können  nun  rückwärts  schließen,  daß  etwa  Mitte  September 
Lebrun  seinen  Auftrag  erteilt  hat.  Er  gab  ihn  Mettra  nur  münd- 
lich, wohl  aus  Mißtrauen  gegen  diesen,  und  schrieb  an  Dohm 
noch  direkt;  aber  der  Brief  kam  nicht  mehr  rechtzeitig  an  seine 
Adresse2).  Dohm  gab  also  nur  die  Äußerungen  Mettras  an  den 
König  weiter,  als  er  am  30.  September  über  diesen  Antrag  be- 
richtete. Die  französische  Regierung  fürchtete  den  Vormarsch 
der  Preußen  und  war  auf  die  Idee  gekommen,  Friedrich  Wilhelm 
davon  durch  die  tatsächlich  richtige  Bemerkung  abzuhalten,  daß 
das  Leben  der  königlichen  Familie  um  so  gefährdeter  werde,  je 
mehr  die  Truppen  sich  Paris  näherten.  Man  wird  auch  weiter 
glauben  dürfen,  daß  die  Regierung  die  Absicht  hatte,  das  Leben 
ihrer  Gefangenen  vor  der  Wut  des  Pöbels  zu  retten3).  Aber  es 
hieße  doch  fehlgehen,  wenn  man  das  nun  für  den  Grund  des 
Schrittes  hielte.  Nur  die  Furcht  konnte  letzten  Endes  ein  so 
gefährliches  Beginnen  rechtfertigen;  denn  kam  es  heraus,  so  waren 
seine  Urheber  verlorene  Leute.  Man  wünschte  also  geheime  Ver- 
handlungen mit  Preußen  zum  Zwecke  eines  Waffenstillstandes  an- 
zuknüpfen mit  der  Hauptbedingung,  daß  die  königliche  Familie 
sichergestellt  werde.  Von  dieser  Basis  konnte  man  dann  ja  weiter 
vorgehen.  Man  wollte  auf  indirekte  Art  erfahren,  ob  Friedrich 
Wilhelm  zu  Friedensverhandlungen  während  eines  Waffenstill- 
standes auf  solche  Bedingungen  hin  bereit  sei.  Genauere  In- 
struktionen  und    Vollmachten   vom   französischen   Ministerium 


1 )  Gronau  242. 

2)  ibid.  243. 

3)  Danach  ist  der  Auftrag  nach  den  Septembermorden  erteilt.  Mettra 
sprach  zwar  nach  Dohms  Bericht  vom  26.  Oktober  einmal  vom  National- 
konvent, aber  noch  nicht  als  von  einer  zusammengetretenen  Körperschaft. 
Dabei  kann  auch  eine  Verwechslung  Dohms  vorliegen.  Gronau  spricht 
ausdrücklich  von  einer  Nationalversammlung  (S.  242).  Die  Kabinetts- 
ordre  des  Königs  verlegt  Lebruns  Befehl  in  die  Zeit,  wo  in  Paris  der  preu- 
ßische Vormarsch  noch  gefürchtet  wurde.  Das  war  allerdings  auch  noch 
bis  Ende  September  der  Fall.  Aber  ich  glaube  doch  den  Auftrag  in  die 
Mitte  des  September  verlegen  zu  dürfen.  Woher  man  in  Köln  die  Gerüchte 
vom  Rückzuge  der  Preußen  hatte,  ehe  dieser  tatsächlich  beschlossen  wurde, 
weiß  ich  nicht  (Gronau  241). 


Der  Konvent  und  Europa  375 

kündigte  Mettra  an.  Man  hoffe,  durch  Dohm  so  einen  Kanal  zu 
finden,  wie  man  ihn  brauche.  An  dem  Ernst  der  französischen 
Regierung  konnte  kein  Zweifel  sein. 

Aber  Dohm,  der  gar  nicht  orientiert  War,  hielt  sich  begreif- 
licherweise vorsichtig  zurück.  Er  meinte  für  sich,  Friedrich  Wil- 
helm werde  Wohl  auf  der  Unterwerfung  der  ganzen  Kation  unter 
Ludwig  bestehen.  Er  verwies  auf  das  Bündnis  mit  Österreich 
und  auf  den  Herzog  von  Braunschweig,  der  solche  Vorschläge 
am  besten  entgegenzunehmen  habe.  Der  König  entschied,  Wohl 
unter  dem  Einflüsse  von  Lucchesini,  sofort  negativ  wie  immer. 
Nach  dem  Rückzuge  der  Preußen  und  der  Abschaffung  des  König- 
tums, glaubte  er,  würden  die  Anträge  von  den  Franzosen  nicht 
mehr  aufrecht  erhalten  werden;  aber  noch  stellte  Preußen  als 
erste  Bedingung  für  den  Frieden  die  Befreiung  des  Königs  auf. 
Ob  das  Ministerium  noch  bestand,  war  unsicher;  eine  Vollmacht 
hatte  Mettra  nicht  aufweisen  können.  Dohm  sollte  daher  weitere 
Eröffnungen  entgegennehmen,  aber  ohne  sich  darüber  zu  äußern. 
In  der  Tat  lehnte  Dohm  es  am  22.  Oktober  ab,  Mettra  noch  ein- 
mal zu  sprechen,  da  dieser  doch  noch  keine  Vollmachten  hatte 
und  sich  Dohm  so  lange  kein  Ergebnis  davon  versprach.  Mettra 
teilte  daher  nur  dem  Chevalier  de  Cologne  mit,  daß  er  täglich 
Instruktionen  erwarte  desselben  Inhalts,  wie  seine  bisherigen 
Äußerungen1). 

Das  Ministerium  bestand  in  der  Tat  noch,  beharrte  trotz  allem 
bei  seinen  Vorschlägen  und  wies  mehrfach  auch  kurz  darauf  jeden 
Zweifel  daran  deutlich  zurück2).  Nur  bediente  sich  Lebrun,  um 
die  Sache  zu  beschleunigen,  wie  er  sagte3),  augenblicklich  nicht 
Mettras,  sondern  eines  gewissen  Mandrillon,  der  den  Spectateur 
americain  redigierte  und  in  dem  man  in  Trier  wie  in  Berlin  einen 
zweideutigen  früheren  Agenten  der  holländischen  Patrioten  zu 
erkennen  glaubte4).  Es  verschlechterte  damit  nur  seine  eigene 
Lage  bei  Preußen.  Denn  hier  konnte  man  dies  ewige  Hin  und 
Her  von  gar  nicht  oder  nur  schlecht  bevollmächtigten  unbekannten 
Personen  von  wenig  gutem  Rufe,  die  nur  dasselbe  auszusagen 
hatten  wie  die  Generale  Valence  und  Kellermann  und  der  Graf 


1 )  Berichte  Dohms  23.  und  26.  Oktober. 

2)  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Lucchesini  8.  Oktober.    Gronau 
246.    Bericht  Dohms  23.  Oktober. 

3)  Gronau  245.     Bericht  Dohms  25.  Oktober. 

4)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12.    Friedrich  Wilhelm  an  Lucchesini 
(29.  Oktober).     Finckenstein  und  Alvensleben  an  Dohm  2.  November. 


376  III.  Abschnitt 

Gorani  im  Hauptquartier  selbst1),  und  die  leicht  desavouiert 
werden  konnten2),  nur  dahin  auslegen,  daß  man  Preußen  eine 
Falle  stellen  und  es  endgültig  mit  seinem  Verbündeten  entzweien 
wolle.  Mandrillon  hatte  nun  einen  Zettel  von  Lebrun  vom 
19.  Oktober  aufzuweisen,  als  er  sich  am  25.  bei  Dohm  einstellte3). 
Der  Vergleich  mit  Benoits  Mission  im  April  liegt  sehr  nahe.  Er 
wünschte  sogar,  daß  Preußen  auf  der  Befreiung  Ludwigs  und 
seiner  Familie  bestehe.  Trotz  aller  Schwierigkeiten  hoffe  man 
das  bei  der  nötigen  Kühe  zu  erlangen.  Er  suchte  Dohms  alte 
Vorliebe  für  den  Fürstenbund  zu  benützen,  um  zum  Ziele  zu 
kommen4).  Aber  er  verlangte  doch  absolutes  Geheimnis  für  die 
Verhandlungen,  bis  sie  ein  gewisses  Eesultat  gezeitigt  hätten, 
und  Ausschluß  von  Österreich.  Friedrich  Wilhelm  solle  Dohm 
instruieren,  inzwischen  wolle  Mandrillon  warten.  Dann  könne 
man  sogleich  an  einem  beliebigen,  vom  Könige  zu  bestimmenden 
Orte  beginnen.  Aber  rasch  solle  der  König  sich  entschließen, 
da  das  ganze  politische  System  Frankreichs  davon  abhänge. 

Jedoch  Friedrich  Wilhelm  hatte  für  den  Beginn  der  Verhand- 
lungen die  Bedingung  gestellt,  erst  eine  Zusage  über  die  Be- 


x)  Das  war  ein  Allerweltsaben teurer,  der  augenblicklich  im  Dienste 
der  Girondisten  Flugschriften  verfaßte  und  den  Monarchen  Europas  in 
manchmal  recht  merkwürdiger  Weise  ihre  Interessen  klar  zu  machen  suchte 
und  der  wohl  auch  sonst  zu  geheimen  Missionen  verwandt  wurde  (vgl. 
Marc  Monnier,  Un  aventurier  italien  190 — 205).  Über  seine  Versuche 
bei  Preußen  habe  ich  Genaueres  nicht  finden  können.  —  Auch  die  Franzosen 
schrieben  anfangs  seinen  Namen  nicht  richtig  (Marc  Monnier  186 
und  196—198;  V  i  v  e  n  o  t  II  651 ;  S  o  r  e  1 III 19,  40—41,  113.  Lucchesinis 
Bericht  1.  November,  Friedrich  Wilhelm  an  Dohm  1.  November.  Rep.  92 
Lucchesinis  Nachlaß  12,  L.  Au  Roi  29.  Oktober). 

2)  Finckenstein  und  Alvensleben  an  Dohm  13.  November. 

3 )  Am  20.  Oktober  war  er  von  Paris  abgereist  und  auf  die  Vermittlung 
des  Herzogs  von  Zweibrücken  hingewiesen  worden,  von  dessen  Hofe  Des- 
portes  die  günstigsten  Berichte  gesandt  hatte  (Sorel  III  21).  Aber  dieser 
Weg  erwies  sich  jetzt  für  die  Franzosen  als  noch  weniger  gangbar  als  im 
Sommer  (Sorel  III  88,  112—113,  156,  165,  290.  Politisches  Journal  1792, 
S.  1212,  1248.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  III  und  IV.  Desportes  an 
Esebeck  21.  November  1792.  Esebeck  an  Desportes  29.  November.  Esebeck 
an  Schulenburg  13.  Dezember.  Esebeck  an  Lucchesini  13.  Dezember  1792 
und  11.  Januar,  29.  Januar  1793.  Pfeffel  an  Lucchesini  13.  Februar.  Bericht 
Dohms  25.  Oktober). 

4)  Bei  Sorel  III  113  ist  wohl  mindestens  das  Datum  falsch.  Es 
müßte  25.  Oktober  heißen;  aber  ob  die  Note  wirklich  von  Dohm  ist,  scheint 
mir  doch  sehr  zweifelhaft.  Ist  sie  etwa  mit  jener  vom  15.  September 
identisch,  die  durch  Mettra  und  Nerciat  vermutlich  zur  Kenntnis  Lebruns 
gekommen  ist  (Sorel  III  23)? 


Der  Konvent  und  Europa  377 

freiung  der  königlichen  Familie  zu  verlangen.  Frankreich  wollte 
trotz  der  Bereitwilligkeit,  in  diesem  Punkte  Zugeständnisse  zu 
machen,  sich  darüber  nicht  eher  erklären,  als  bis  sich  der  König 
zur  Verhandlung  bereit  erklärt  hatte.  Da  die  französischen 
Generale  vor  weiteren  Verhandlungen  die  Räumung  des  fran- 
zösischen Territoriums  verlangt  hatten,  so  bestand  Friedrich 
Wilhelm  auf  der  Räumung  des  Reichsgebietes  durch  Custine. 
Von  einer  Separatverhandlung  endlich  wollte  er  durchaus  nichts 
wissen.  Er  hielt  treu,  vielleicht  nicht  ganz  freiwillig,  an  dem 
Bündnis  mit  Österreich  fest.  Auf  dieser  Basis  aber  zu  verhandeln, 
trug  er  kein  Bedenken1). 

So  ging  es  also  nicht.  Wir  sehen  die  Franzosen  jetzt  diesen 
Weg  als  unnütz  und  sogar  zeitraubend  verlassen.  Mandrillon  reiste 
am  4.  November  sofort  nach  Paris  ab2),  als  er  den  Bescheid  des 
Königs  erhielt,  versäumte  aber  nicht,  schriftlich  die  Vorschläge 
zu  hinterlassen,  die  beim  Beginn  der  Verhandlung  zu  machen  er 
ermächtigt  war,  und  von  denen  behebigen  Gebrauch  zu  machen 
er  Dohm  anheimgab3).  Sie  waren  für  Preußen  unannehmbar. 
Dohm  zog  sich  den  Tadel  Lucchesinis  zu,  daß  er  ihre  Annahme 
nicht  gleich  verweigert  hatte4).  Separatfrieden,  Allianz  waren  die 
Stichworte,  und  mündlich  versprach  er  sogar,  über  den  das  Schick- 
sal von  Ludwig  betreffenden  Punkt  bald  eine  bestimmte  Er- 
klärung zu  übersenden.  Er  betrachtete  trotz  allem  die  Verhand- 
lungen nicht  als  abgebrochen,  sondern  nur  als  vertagt  und  suchte 
sich  in  der  damals  üblichen  Weise  durch  ein  Präsent  in  Gestalt 
eines  Ringes  Dohms  guten  Willen  zu  sichern5).  Dohm  lehnte  es 
jedoch  ab,  ihn  anzunehmen. 

Nun  hatte  aber  Dohm  Mettra  wissen  lassen,  daß  Lucchesini 
im  Hauptquartier  zur  Entgegennahme  von  Vorschlägen  zur  ge- 
meinschaftlichen Verhandlung  mit  Preußen  und  Österreich  bereit 
sei,  und  hätte  sich  scheinbar  selbst  gern  an  weiteren  Verhand- 
lungen beteiligt6).  Mettra  hatte  inzwischen  seine  Instruktionen 
erhalten  und  reiste  daraufhin  zu  Lucchesini.    Damit  beginnt  eine 

1)  Vivenot  II  651;  Gronau  248. 

2)  Bericht  Dohms  6.  November.    Gronau  245 — 246. 

3)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  III.  Mandrillon  an  Lucchesini 
3.  November  1792. 

4)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  31.  Lucchesini  an  Haugwitz  22.  No- 
vember.   Lucchesinis  Bericht  20.  November. 

5)  Gronau  247.     Der  Ring  stammte  wohl  von  Lebrun. 

6)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  III.  Dohm  an  Lucchesini  10.  No- 
vember.   Mettra  an  Lucchesini  5.  November. 


378  III-  Abschnitt 

neue  Kette  von  Verhandlungen,  die  bis  zum  Baseler  Frieden 
eigentlich  kaum  noch  abreißt1),  mit  denselben  Tendenzen,  den- 
selben Mitteln  wie  bisher,  nur  noch  schärfer.  Ich  kann  nicht 
daran  denken,  hier  jeden  einzelnen  Versuch  zu  erzählen.  Eine 
Veröffentlichung  der  Aktenstücke  würde  da  bessere  Dienste 
leisten.  Nur  einen  besonders  charakteristischen  greife  ich  noch 
heraus  und  schildere  ihn  möglichst  genau,  um  zu  zeigen,  daß  zwar 
auf  beiden  Seiten  der  Wunsch  nach  Frieden  lebhaft,  besonders 
bei  den  Franzosen,  vorhanden  war,  daß  aber  prinzipielle  Schwierig- 
keiten sich  in  den  Weg  stellten  und  den  Abbruch  einer  noch  nicht 
offiziell  begonnenen  Verhandlung  herbeiführten. 

Schon  am  5.  November  hatte  Mettra  eine  ergebnislose  Be- 
sprechung mit  Lucchesini2),  eine  neue  durch  Vermittlung  des  Her- 
zogs von  Sachsen -Weimar  am  19.  November3),  kurz  darauf  eine 
weitere  mit  Mettra  und  dem  aus  Paris  zurückgekehrten  Mandrillon. 
Aufträge  politischen  Inhalts  erteilte  Lucchesini  Mettra  in  keiner 
Konferenz.  Er  beschränkte  sich  auf  das  Zuhören,  die  Kritik  und 
die  Betonung  des  Zusammengehens  mit  Österreich.  Als  Mettra 
aus  Paris  zurückkam  mit  einem  Privatbriefe  Lebruns  zu  seiner 
Beglaubigung  und  einer  Instruktion  für  den  jungen  Custine,  ver- 
suchte er  doch  vergeblich,  eine  Unterredung  mit  Lucchesini  in 
Frankfurt  zu  erlangen.  Friedrich  Wilhelm  war  geneigt,  darauf 
einzugehen,  augenscheinlich  unter  dem  Einfluß  seiner  militärischen 
Umgebung4).  Aber  Lucchesini  erschien  das  zu  gefährlich5).  Je- 
doch, da  Mettra  das  vorige  Mal  schon  von  seiner  Absicht,  Preußen 
von  Österreich  zu  trennen  und  es  zu  einer  Allianz  mit  Frank- 
reich zu  veranlassen,  abgekommen  zu  sein  und  einen  allgemeinen 
Frieden  zu  wünschen  schien,  so  konnte  man  ja  immerhin  einmal 
seine  Anträge  anhören.  Reuß  wurde  über  diese  Vorgänge  immer 
genau  auf  dem  laufenden  erhalten.  Dabei  hatte  Preußen  die 
Nebenabsicht,  den  Österreichern  klar  zu  machen,  daß  es  jederzeit 
aus  dem  Kriege  ausscheiden  könne,  sie  also  auf  Preußen  angewiesen 
seien6).     Lucchesini  schickte  Mettra  mit  einem  Paß  aus  Mainz, 


1 )  Häußer  I  430;  Aulard  in  La  revolution  francaise  18  (Paris 
1890)  232  ff. 

2)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  III.    Mettra  an  Lucchesini  5.  No- 
vember mit  dessen  Bemerkungen. 

3)  ibid.  Note  Lucchesinis  für  Reuß  21.  November.   Bericht  Lucchesinis 
24.  November.     S  y  b  e  1  III  46;  S  o  r  e  1  III  181. 

4)  Bericht  Lucchesinis  18.  Dezember.     An  Lucchesini  24.  Dezember. 

5)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  31.   Lucchesini  an  Haugwitz  17.  Dezbr. 

6)  Bericht  Lucchesinis  4.  Januar  1793.     An  Cesar  10.  Januar. 


Der  Konvent  und  Europa  379 

von  wo  er  nach  Frankfurt  hatte  herüberkommen  wollen,  nach 
Neuwied  zurück,  erbot  sich  aber  auf  einen  Wunsch  Mettras,  an 
einen  beliebigen  Ort  zu  kommen1).  Das  war  für  diesen  genug. 
So  kam  denn  am  2.  Januar  1793  nachmittags  bei  ihm  in 
Wiesbaden  die  letzte  entscheidende  Zusammenkunft  zu  stände. 
Gleich  der  Anfang  war  für  den  Franzosen  wenig  verheißungsvoll; 
denn  sein  Versuch,  sich  durch  das  Dekret  vom  10.  August  zu 
legitimieren,  das  dem  Conseil  executif  die  Macht  Ludwigs  über- 
trug, scheiterte.  Lucchesini  nahm  es  nicht  an;  es  habe  ja  schon 
im  Moniteur  gestanden.  Aber  er  ging  nun  seinerseits  gleich  zum 
Angriff  über.  Er  beschwerte  sich  über  die  Veröffentlichung  der 
Gespräche  des  Herzogs  von  Braunschweig  und  Kaikreuths  mit 
verschiedenen  französischen  Generalen  in  stark  veränderter  Form. 
Er  wolle  jedenfalls  keinen  Stoff  zu  Zeitungsartikeln  hefern. 
Mettra  entgegnete,  die  Generale  hätten  von  Lebrun  keine.  Voll- 
macht zum  Verhandeln  gehabt,  Zeitungsartikel  seien  daher  nicht 
Weiter  wunderbar.  Er  aber  habe  Vollmacht  und  sei  der  erste. 
Das  ganze  Conseil  executif  wolle  Frieden  schließen,  aber  nur  mit 
Preußen,  ein  allgemeiner  Friede  sei  ausgeschlossen.  Der  Grund 
scheint  mir  in  dem  weiteren  Vorgehen  des  Konventes  zu  liegen, 
dem  Lebrun  zögernd  und  eigentlich  nur  notgedrungen  folgte. 
Es  bleibe  Preußen  überlassen,  führte  Mettra  aus,  die  Form  zu 
bestimmen.  An  Entgegenkommen  würden  es  die  Franzosen 
nicht  fehlen  lassen.  Sie  rechneten  aber  auch  darauf,  daß  Preußen 
seinen  natürlichen  Verbündeten  nicht  zu  Grunde  richten  lassen 
werde.  Bis  zum  Frühling  müsse  alles  geheim  bleiben,  vor  allem 
aber  müsse  sich  Preußen  rasch  entscheiden,  sonst  breche  Frank- 
reich die  Verhandlungen  ab.  Der  junge  Custine  habe  schon 
Vollmacht  zur  Verhandlung,  wie  Mettra  glaube.  Lucchesini  schwieg 
hartnäckig.  Da  spielte  Mettra  seinen  letzten  Trumpf  aus.  Er 
zog  aus  seiner  Tasche  ein  Schriftstück  mit  dem  Titel :  Instruction 
pour  negocier  avec  le  Roi  de  Prusse  sur  les  bases  arretees  par  le 
Conseil  executif2)  und  begann  es  vorzulesen.     Aber  er  kam  nur 


x)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  III.  Lucchesini  an  Mettra  15.  De- 
zember 1792. 

2)  Es  kann  wohl  kein  Zweifel  daran  bestehen,  daß  diese  Instruktion 
mit  der  von  S  y  b  e  1  (III  47—48)  und  S  o  r  e  1  (III  181—182  und  296) 
exzerpierten  identisch  ist,  obwohl  dort  der  Titel  anders  wiedergegeben  ist 
und  der  erste  Artikel  eine  noch  schärfere  Fassung  gegen  Österreich  enthält. 
Wir  müssen  uns  erinnern,  daß  Lucchesini  einen  Tag  nach  dem  Gespräch 
seinen  Bericht  niederschrieb,  sich  also  auch  geirrt  haben  kann.  Oder  sollte 
sich  Mettra  im  Gespräch  noch  entgegenkommender  gezeigt  haben? 


380  HI.  Abschnitt 

mit  dem  ersten  Artikel  zu  Ende,  in  dem  es  hieß,  man  wolle  allein 
mit  Preußen  verhandeln,  Österreich  könne  nicht  dieselben  Be- 
dingungen erhalten.  Das  war  für  Lucchesini  schon  genug,  und 
so  entging  ihm  der  wirklich  sehr  preußenfreundliche  Rest,  der 
beweist,  wie  sehr  das  Conseil  executif  mit  der  bisherigen  Kabinetts- 
politik zu  rechnen  sich  entschlossen  hatte1). 

Zwar  Lucchesini  war  jetzt,  in  einem  gewissen  Gegensatze  zum 
König,  schon  bedeutend  mehr  für  den  Frieden  als  einige  Monate 
früher2).  Es  wurde  jetzt  sein  Hauptbestreben,  ihn  im  Laufe  des 
Jahres  wiederherzustellen.     Aber  er  lehnte  es  auch  jetzt  ab,  aus 


1 )  S  y  b  e  1  (III  48 — 49)  hat  schon  hervorgehoben,  daß  Preußen 
hierauf  unmöglich  eingehen  konnte.  Er  hat  darin  aber  auch  einen  Beweis 
für  seine  Auffassung  der  Politik  der  Revolution  finden  wollen,  nach  der 
sie,  erfüllt  von  Ungestüm  und  Kühnheit,  grenzenlos  in  ihren  Ansprüchen, 
maßlos  in  ihren  Mitteln  war.  Er  übersieht  dabei,  daß  Frankreich  für  sich 
selbst  nicht  viel  wollte  (vgl.  S  o  r  e  1  III  182),  daß  es  aber  den  Preußen 
schöne  Bilder  vorspiegelte,  um  es  zum  Systemwechsel  zu  bringen,  an 
deren  Ausführung  es  selbst  im  Ernst  kaum  gedacht  haben  konnte.  Aber 
was  tat  man  in  Paris  nicht,  wo  es  möglich  schien,  Preußen  aus  der  Koalition 
zu  entfernen !  Diesen  Gegner  konnte  man  direkt  nicht  zum  Frieden  zwingen, 
wohl  aber  Österreich.  So  erscheint  mir  die  Instruktion  viel  eher  als  ein 
Beweis  für  das  Verlangen  Lebruns  nach  Frieden,  das  er  nur  dem  vom 
Konvent  befolgten  Systeme  anpassen  mußte.  Die  Politik  war  für  den 
Frieden,  die  Prinzipien  entschieden  für  den  Krieg.  Ebenso  schwach  scheint 
es  mir  mit  dem  Vorwurf  der  Windigkeit  bestellt  zu  sein.  In  einer  Republik, 
wo  anfangs  alles  politisiert,  ist  es  kein  Wunder,  wenn  ein  Plan  eines  Generals 
auch  einmal  dem  des  Ministers  widerspricht  (Custine  gegen  Lebrun);  und 
wenn  der  Minister  eine  sich  ihm  bietende  günstige  Gelegenheit  ergreift, 
um  an  einer  anderen  Stelle  dasselbe  zu  erreichen,  was  ihm  an  der  ersten 
versagt  wird,  nämlich  Frieden,  so  kann  man  ihm  daraus  doch  keinen  Vor- 
wurf machen  (S  o  r  e  1  III  296—298.  Politisches  Journal  1793,  S.  44—45. 
V  i  v  e  n  o  t  II  758.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12,  L.  Au  Roi  24.  Februar 
1793).  Ein  hervorragendes  Zeugnis  für  diesen  Geist  des  französischen 
Systems  ist  auch  eine  Denkschrift  Caillards  vom  Jahre  1793.  Überall  zeigt 
sich  dort  der  Wunsch  und  die  Notwendigkeit,  die  Politik  des  königlichen 
Frankreich  weiter  zu  verfolgen,  nirgends  die  Absicht,  die  Propaganda  weiter 
zu  tragen,  als  es  für  die  Existenz  des  Vaterlandes  nötig  ist.  Nicht  nach  der 
Regierungsform,  sondern  nach  der  Macht  eines  Staates  wird  gefragt,  wenn 
es  sich  darum  handelt,  mit  ihm  zusammen  die  Gegner  zum  Frieden  zu 
zwingen.  Er  ist  das  Ziel,  dem  man  mit  allen  Mitteln  zustrebt.  Aber  den 
Zugang  dazu  versperrte  man  sich  durch  andere  Maßregeln,  die  sich  nun 
einmal  notwendig  aus  den  revolutionären  Prinzipien  ergaben.  Ranke, 
Denkwürdigkeiten  des  Staatskänzlers  Fürsten  v.  Hardenberg.  Bd.  5 
[Leipzig  1877],  S.  32—40.     R  a  n  k  e  46,  126—127. 

2)  Berichte  Lucchesinis  4.  Januar  und  30.  Januar.  An  Lucchesini 
11.  Januar  1793.  Luochesinis  Memoire  vom  17.  März.  Lucchesini  an  seine 
Frau  18.  Januar,  28.  Januar,  18.  und  22.  Februar,  4.  April  1793. 


Der  Konvent  und  Europa  381 

seiner  Zuschauerrolle  herauszutreten.  Er  sah  nur  Gefahr,  keinen 
Vorteil,  und  erklärte,  er  habe  keinen  Auftrag,  hierüber  zu  sprechen, 
und  sei  auch  nicht  so  neugierig,  den  weiteren  Inhalt  der  Schrift 
kennen  lernen  zu  wollen.  Auch  Friedrich  Wilhelm  wünsche  einen 
raschen  Frieden,  aber  mit  Ehren.  Das  französische  Ministerium 
verhandle  nun  mit  den  Agenten  der  Mächte,  aber  der  Konvent 
Wolle  nur  mit  den  Völkern  zu  tun  haben  —  ein  starker  Wider- 
spruch, über  den  man  nicht  hin  wegkönne.  Vergebens  war  das 
Bemühen  Mettras,  dieser  von  Lucchesini  kunstvoll  gelegten 
Schlinge  zu  entgehen.  Als  einzige  Antwort  für  Lebrun  erhielt 
er  von  Lucchesini  die  Bemerkung:  Wie  könne  von  einem  Ab- 
bruch der  Verhandlung  die  Rede  sein,  wenn  sie  noch  gar  nicht 
begonnen  habe!  Damit  wünschte  er  ihm  glückliche  Reise,  ver- 
ließ ihn,  begleitet  von  den  Wünschen  des  Franzosen  nach  einem 
raschen,  allgemeinen  Frieden,  ging  in  sein  Gasthaus  und  reiste 
nach  Frankfurt  ab.  Ein  neuer  Versuch  von  Lebrun,  durch  Maret 
und  Biron,  Heymann  und  eine  Frau  v.  Nostitz  mit  Preußen  an- 
zuknüpfen, wurde  glattweg  abgelehnt1).  So  scheiterten  alle  diese 
Versuche  zur  Wiederherstellung  des  Friedens  mit  Preußen,  da 
von  beiden  Seiten  Bedingungen  gestellt  wurden,  die  den  Parteien 
als  unannehmbar  erschienen.  Es  fehlte  an  einer  gemeinsamen 
Grundanschauung.  Erst  als  Preußen  sich  keinen  anderen  Rat 
mehr  wußte,  tat  es  schweren  Herzens  den  Franzosen  den  Schritt 
entgegen,  um  seine  eigenen  Interessen  in  Polen  zu  vertreten  und 
sich  nicht  für  andere  mißbrauchen  zu  lassen. 

Wenn  diese  schon  mit  ihren  offiziellen  Unterhändlern  kein 
Glück  hatten,  wie  konnte  es  ihnen  dann  mit  inoffiziellen  glücken2), 
die  diese  delikate  Sache  so  grob  anfaßten  wie  etwa  der  alte 
Custine!  Er  mochte  mit  seinen  Proklamationen  wohl  Städte 
einschüchtern  und  kleine  deutsche  Fürsten  zur  Flucht  veran- 
lassen; aber  den  Preußen  eine  andere  Anschauung  von  ihren 
Interessen  beizubringen,  vermochte  er  noch  weniger  als  Dumouriez 


1 )  Bericht  Lucchesinis  4.  Januar.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  14,  VII: 
Protocolle  de  mon  entretien  avec  le  Sr.  Mettra  dans  la  ville  de  Wiesbaden 
le  2.  Janvier  1793,  a  Francfort  le  3.  Janvier  1793.  Ein  Protokoll  in  unserem 
Sinne  ist  das  natürlich  nicht.  —  Bericht  Lucchesinis  25.  Januar.  Biron 
an  Heymann  11.  Januar,  Paris.  Maret  an  Heymann  13.  Januar.  An  Lucche- 
sini 31.  Januar.  Dazu  die  Heymann  in  die  Feder  diktierten  Antworten. 
Lauzun-Serignan  294 — 295. 

2)  SorelHI  112— 113,  179—180.  Bericht  Lucchesinis  12.  November. 
Friedrich  Wilhelm  an  Haugwitz  12.  November.  Custine  an  Friedrich  Wilhelm 
11.  November.  Vgl.  auch  Rep.  96,  258  A.  Lucchesini  an  Manstein  12.  Novbr. 


382  HL  Abschnitt 

oder  Lebrun.  Er  wurde  mit  all  seinen  direkten  Anträgen  im 
preußischen  Hauptquartier  nicht  ernst  genommen;  man  fürchtete 
bloß,  ebenso  hintergangen  zu  werden  wie  von  Dumouriez  und 
Zeit  zu  verlieren.  Als  Beweis  für  seine  lächerliche  Großmanns- 
sucht ließ  man  in  der  Vossischen  Zeitung  vom  20.  Dezember  1792 
seinen  Bericht  an  den  Konvent  über  den  Fall  Frankfurts  ab- 
drucken, den  er  auch  an  Manstein  zu  senden  nicht  verfehlt  hatte1). 
Er  wie  sein  Sohn  waren  immer  auf  dem  Sprunge,  mit  den  Preußen 
zu  verhandeln2).  Kur  als  er  auf  geheimem  und  nicht  gerade 
direktem  Wege  Preußen  gar  nicht  so  üble  Vorschläge  zukommen 
ließ3),  da  hielt  es  Lucchesini  wenigstens  für  richtig,  sich  darüber 
zu  informieren.  Ob  es  ihm  geglückt  ist,  weiß  ich  nicht,  da  er  den 
Landgrafen  von  Hessen-Homburg,  den  Vermittler  in  dieser  Sache, 
in  Gießen  nicht  antraf  und  ihn  am  28.  November  in  Wetzlar 
suchen  wollte4).  Viel  Vertrauen  hatte  er  nicht,  und  er  glaubte 
auch  rasch  zu  erkennen,  daß  hier  nichts  zu  holen  sei5). 

Es  ist  nicht  ohne  Interesse,  daß  sich  jetzt  nach  dem  Scheitern 
der  Kampagne  die  Partei  in  Preußen  regt,  die  stets  einen  Krieg 
mit  Frankreich  als  verwerflich  betrachtet  und  bezeichnet  hatte, 
die  auch  alle  möglichen  französischen  Sendlinge  dazu  aufzu- 
stacheln suchten6).  Aber,  um  es  gleich  zu  sagen,  mit  diesen 
Leuten  machten  der  König  bezw.  Lucchesini  noch  weniger  Um- 
stände.   Sie  wurden  kalt  abgewiesen  oder  erhielten  gar  eine  derbe 


1)  Berichte  Lucchesinis  10.,  15.,  26.  Dezember.  An  Lucchesini  15., 
19.,  27.,  31.  Dezember.  Custine  an  Friedrich  Wilhelm  20.  Dezember. 
Manstein  an  Custine  22.  Dezember.  Custines  Bericht  an  den  Konvent 
7.  Dezember.    Au  qu.  general  ä  Mayence. 

2)  Sorel  III  112,  180,  253—254.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12. 
Lucchesini  an  Custine.  Ohne  Datum.  Nr.  19  Lucchesini  an  Braunschweig 
10.  Mai  1793. 

3)  Ob  er  dazu  Genehmigung  hatte,  weiß  ich  nicht.  Möglich  ist  es 
( S  y  b  e  1  III  46 — 47  vereinigt  sie  wohl  mit  Unrecht  mit  den  Versuchen 
von  Mettra  und  Mandrillon). 

4 )  Bericht  Lucchesinis  27.  November.  Lucchesini  an  seine  Frau  28.  No- 
vember. Sybel  hält  ihn  für  zu  entgegenkommend  (III  46 — 47).  Wie  konnte 
von  einer  Vollmacht  die  Rede  sein,  wenn  man  die  Republik  gar  nicht 
anerkannte !  Ich  sehe  darin  eher  einen  Beweis  für  das  Gegenteil  von  dem, 
was  Sybel  annimmt. 

5)  Bericht  Lucchesinis  24.  November.  Auszug  aus  Mansteins  Brief 
vom  23.  November.  Custines  Vorschläge  mit  Schulenburgs  Bemerkungen. 
Bericht  Lucchesinis  27.  November. 

6)  Sorel  III  112 — 113  und  180.  Hertzberg  war  jedoch  nicht  so 
ruhig.  Vgl.  K  r  a  u  e  1,  Hertzberg  87 — 99.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  32, 
wo  er  abgewiesen  wird. 


Der  Konvent  und  Europa  383 

Lektion.  Einer  der  ersten,  der  sich  so  meldete,  war  der  Bankier 
Ephraim,  der  zwei  Jahre  früher  mit  geheimen  Aufträgen  des 
Königs  nach  Paris  gegangen  war,  dann  aber,  als  sich  die  Lage 
geändert  hatte,  desavouiert  worden  war1).  Vergeblich  hatte  er 
Anfang  1792  gegen  das  unpolitische  Bündnis  mit  Österreich  und 
den  Krieg  gegen  die  Revolution  protestiert.  Preußen  solle  viel- 
mehr versuchen,  Frankreich  kräftig  zu  machen  und  mit  ihm 
dann  eine  Allianz  zu  schließen.  Der  König  hatte  ihn  vorläufig 
abgewiesen,  sich  aber  vorbehalten,  von  seinen  Verbindungen  in 
Paris  später  Gebrauch  zu  machen2).  Jetzt  schien  Ephraim  dieser 
Fall  eingetreten  zu  sein3).  Er  nahm  seine  Korrespondenz  mit 
Bischoffwerder,  der  jetzt  selbst  gegen  den  Krieg  war,  nur  große 
Schwierigkeiten  sah,  ihn  gleich  abzubrechen4),  Anfang  November 
wieder  auf.  Aber  Bischoffwerder  war  jetzt  „bloßer  Beobachter". 
Dazu  wirkten  Lucchesini  wie  Haugwitz  sofort  gegen  diesen  Juden, 
der  Preußen  früher  so  kompromittiert  habe  und  auch  jetzt  bei 
dem  Könige  zuerst  gute  Aufnahme  zu  finden  schien5).  Auch  eine 
Reise  Ephraims  nach  Frankfurt  nützte  daher  nichts6).  Alle  seine 
Vorschläge  —  er  wollte  sich  an  der  Grenze  von  den  Franzosen 
gefangen  nehmen  lassen  und  dann  in  Paris  Friedensverhandlungen 
anknüpfen,  die  die  Mächte  nicht  kompromittieren  könnten  — 
wurden  vom  Könige  auf  den  Antrieb  Lucchesinis  abgelehnt.  Er 
wollte  ein  für  allemal  nichts  mehr  mit  Ephraim  zu  tun  haben7). 
Ähnlich  ging  es  vorsichtigeren,  aber  auf  dasselbe  hinzielenden 

x)  Vgl.  oben. 

2)  Rep.  XI  89  Frankreich  varia  1790—1796.  Ephraim  an  Bischoff- 
werder 24.  Dezember  1791,  31.  Januar  1792.  Ephraim  an  Friedrich  Wilhelm 
13.  Januar  1792.     Königliche  Entscheidung  15.  Januar  1792. 

3)  Vgl.  auch  seinen  Versuch,  zu  Lafayettes  Gunsten  zu  vermitteln. 
Rep.  96,  147  G  III:  S.  Au  Roi  23.  November  mit  Beilagen. 

4)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  IV.  Struensee  an  BischoßVerder 
4.  Februar  1793. 

6)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12,  L.  Au  Roi  12.  November  1792. 

6)  Daß  er  dahin  berufen  worden  ist,  möchte  ich  doch  mit  gutem 
Grunde  bezweifeln;  er  hat  seine  Vermittelung  dem  Könige  in  dringendster 
Form  angetragen.  (Ephraim  125,  dazu  Ephraim  an  Friedrich  Wilhelm 
30.  November  1792  in  Rep.  96,  258  A.) 

7)  Bericht  Lucchesinis  20.  Januar  1793.  L.  Au  Roi  20.  Januar.  An 
Lucchesini  24.  Januar.  Rep.  XI  89  Frankreich  varia  1790 — 1796.  Ephraims 
Denkschrift  und  sein  Memoire  vom  7.  November.  Bischoff werder  an 
Ephraim  15.  November.  Denkschrift  Ephraims  vom  30.  November  1792. 
Ephraim  an  Bischoff  werder  Dezember  1792.  Ephraim  an  Friedrich  Wilhelm 
22.  Januar  1793.  Denkschrift  Ephraims  1.  März  1793.  Bischoff  werder  an 
Ephraim  7.  März  und  30.  Mai  1793. 


384  III.  Abschnitt 

Anträgen  Struensees,  die  beim  Könige  selbst  vorzubringen  er 
wohl  kaum  gewagt  hat1).  Er  konnte  schon  von  seinem  Ressort 
aus  nur  gegen  den  Krieg  sein.  Ob  dieser  durch  einen  Sieg  oder 
durch  Verhandlungen  beendigt  wurde,  galt  ihm  gleich,  voraus- 
gesetzt, d  a  ß  er  überhaupt  beendigt  wurde2). 

Von  größerer  Bedeutung  hätte,  sollte  man  meinen,  der  Schritt 
einer  anderen  Persönlichkeit  werden  müssen,  wenn  man  allein 
die  Höhe  ihrer  Stellung  in  Betracht  zieht:  Prinz  Heinrich,  der 
Oheim  des  Königs,  tat  ihn.  Aber  vergegenwärtigen  wir  uns,  daß 
er  seit  dem  Regierungsantritt  seines  Neffen  von  diesem  zurück- 
gewiesen worden  war  und  in  offener  Opposition  zu  ihm  stand. 
Welchen  Wert  konnte  der  König  auf  seine  Hilfe  legen,  wo  er  von 
ganz  anderen  Grundsätzen  ausging?  Er  machte  zuerst  den  Fran- 
zosen gegenüber,  mit  denen  er  ja  stets  in  geheimer  Verbindung 
blieb3),  kein  Hehl  aus  seinem  Wunsche,  den  Frieden  herbei- 
zuführen. Es  lag  wohl  nicht  an  ihm,  daß  durch  seine  Vermitt- 
lung kein  französischer  Versuch  bei  Friedrich  Wilhelm  gemacht 
wurde4).  Aber  er  hat  jetzt  wohl  selbst  den  Gedanken  an  einen 
Frieden  ohne  einen  zweiten  Feldzug  fallen  lassen.  Er  wollte  in 
ihm  kommandieren  und  trug  sich  dem  Könige  als  Retter  aus  der 
Not  nochmals  an.  Der  Sieg  schien  ihm  gewiß,  und  auf  mäßige 
Bedingungen  hin  gab  es  dann  den  so  gewünschten  Frieden.  Der 
König  und  seine  Minister  sahen  das  als  Ausfluß  seiner  Eitelkeit 
an.  Jener  lehnte  seinen  Antrag  erst  milde  ab;  als  dieser  wieder- 
holt wurde  und  darin  auch  in  der  polnischen  Frage  eine  durchaus 
andere  Anschauung  zu  Tage  kam,  als  die  der  preußischen  Regie- 
rung war,  da  verbat  sich  Friedrich  Wilhelm  weitere  Vorschläge5). 


1)  Lucchesini  an  seine  Frau  14.  Januar  1793. 

2)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  IV  und  V.  Struensee  an  Bischoff - 
werder  2.  und  4.  Februar,  11.  April  1793.  Struensee  an  Lucchesini  5.,  8., 
17.  Februar  1793. 

3)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  IV.  Seegebach  an  Lucchesini 
8.  März  1793. 

4)  Vie  privee  299 — 303.  In  den  dort  zu  den  Briefen  gemachten  Be- 
merkungen werden  jedoch  die  Jahre  1792,  1793  und  1794  durcheinander 
geworfen.     Krauel,  Prinz  Heinrich  60. 

5)  ibid.  61—62  und  187—190.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  37. 
Schulenburg  an  Lucchesini  16.  Januar  und  15.  Februar  1793.  Die  Briefe 
Lucchesinis  wurden  auf  seine  Bitte  von  Schulenburg  verbrannt.  In  denen 
Schulenburgs  kommt  Heinrichs  Name  nicht  vor,  aber  er  ist  nicht  zu  ver- 
kennen. Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12,  L.  Au  Roi  9.  Januar  1793.  Rep. 
XI  89  k  Tauenzien  an  Schulenburg  27.  Januar  1793.  Heinrich  an  Tauen  - 
zien  10.  Januar  1793.    Schulenburg  an  Tauenzien  5.  Februar  1793. 


Der  Konvent  und  Europa  385 

Jeder  Versuch  zur  Verständigung  mit  den  Machthabern  in 
Frankreich  scheiterte  schon  an  der  einfachen  Tatsache,  daß 
Preußen  die  Republik  nicht  anerkannte.  Noch  bestand  für  Preußen 
das  französische  Königtum,  und  noch  immer  war  Breteuil  sein 
Vertreter.  Friedrich  Wilhelm  gab  ihm  auf  dem  preußischen  Rück- 
zuge mehrfach  die  stärksten  Versicherungen  für  seine  Absicht, 
den  Krieg  im  nächsten  Jahre  fortzusetzen.  Aber  es  sei  jetzt  die 
Sache  von  ganz  Europa,  gegen  die  Revolution  vorzugehen1). 
Da  er  den  Prinzen  gegenüber  doch  einen  beträchtlich  kühleren 
Ton  anschlug  als  bisher,  konnte  das  diese  nur  darin  bestärken, 
sich  Breteuil  wieder  etwas  mehr  zu  nähern2).  Dieser  ließ  sich 
dadurch  in  seinem  Verhalten  nicht  irremachen.  Er  war  ganz  er- 
füllt von  der  großen  Aufgabe,  das  europäische  Konzert  gegen  die 
Revolution  nun  endlich  zustande  zu  bringen.  Aus  dem  geplanten 
Kongreß  anläßlich  von  Verhandlungen  mit  den  Französen3) 
wurde  zwar  nichts ;  aber  das  schreckte  ihn  nicht  ab,  nun  die  ein- 
zelnen Höfe  durch  seine  Vertreter  für  diese  große  Sache  bearbeiten 
zu  lassen.  Nicht  lange  sollten  sich  die  Jakobiner  über  ihren  Sieg 
freuen.  Die  kräftigsten  Maßregeln  sollten  gemacht  werden,  und 
namentlich  die  zunehmende  Erbitterung  Englands  gab  ja  Anlaß 
zu  den  erfreulichsten  Aussichten4). 

Jedes  Mittel  schien  aber  auch  recht  zu  sein,  um  diesen  Rebellen 
ihre  angemaßte  Herrschaft  zu  entreißen,  und  ich  habe  jetzt  einen 
der  merkwürdigsten  Vorgänge  dieser  Zeit  zu  schildern.  Breteuil 
kam  nämlich  auf  den  Gedanken,  falsche  französische  Assignaten 
im  Auslande  anfertigen  zu  lassen,  sie  auf  den  französischen  Markt 
zu  werfen  und  damit  zugleich  den  französischen  Kredit  zu  zer- 
stören, dem  Konvent  die  Möglichkeit  zu  nehmen,  seine  Heere 
zu  unterhalten,  also  den  Frieden  herbeizuführen,  wie  der  Kasse 
der  Mächte  und  der  französischen  Regierung  in  partibus  eine  er- 
freuliche Einnahmequelle  zu  eröffnen,  die  etwa  zur  Besoldung  von 
Schweizer  Regimentern  dienen  sollte,  die  man  gegen  die  Revo- 
lution in  Sold  zu  nehmen  beabsichtigte5).  Vorläufig  konnte  man 
sich  nur  auf  die  Verträge  Frankreichs  mit  der  Schweiz  berufen. 

1 )  F  e  r  s  e  n  II  51,  59,  60,  385.  Rep.  XI  89  k  Caraman  an  Schulenburg 
16.  Oktober.     Schulenburg  an  Caraman  3.  November  1792. 

2)  Fersen  II  49,  387. 

3)  Politisches  Journal  1792,  S.  1005—1008,  1171—1173. 

4)  Fersen  II  51,  61,  385,  390—391,  406^*07. 

5)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  14  VI.  An  Lucchesini  16.  Dezember. 
Rep.  XI  89  varia  1790—1796.  Breteuil  an  Schulenburg  10.  Dezember. 
Scbulenburg  an  Breteuil  16.  Dezember  1792. 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution       25 


386  HI.  Abschnitt 

Da  man  nichts  zu  bieten,  die  Schweiz  aber  von  den  französischen 
Armeen  scheinbar  viel  zu  fürchten  hatte,  war  das  doch  sehr  dürftig 
und  konnte  kaum  zu  etwas  führen,  höchstens  die  persönliche 
Gefahr  für  Ludwig  noch  steigern,  wenn  man  offiziell  in  seinem 
Namen  bei  der  Schweiz  Schritte  tat. 

Der  Gedanke  der  Fälschung  war  nun  nicht  neu.  Schon  im 
amerikanischen  Unabhängigkeitskriege  war  er  von  England  gegen 
seine  widerspenstigen  Kolonien  verwirklicht  worden,  und  der 
Erfolg  schien  nur  ausgeblieben  zu  sein,  weil  England  zu  spät 
diesen  Weg  beschritt  und  Frankreich  seinem  Bundesgenossen 
auch  mit  seinem  Kredit  zu  Hilfe  kam.  In  der  Revolutionszeit 
hatten  die  Emigranten,  allerdings  wohl  hauptsächlich  aus  Privat- 
rücksichten, dazu  ihre  Zuflucht  genommen.  Findige,  skrupellose 
Geschäftsleute  hatten  sich  ohne  jede  politische  Rücksicht  diese 
Einnahmequelle  mit  großem  Vorteil  zunutze  zu  machen  ver- 
standen. Ganz  so  tief  dürfen  wir  Breteuil  nicht  stellen;  es  geht 
nicht  an,  den  politischen  Zweck  bei  ihm  völlig  abzuleugnen.  Er 
rechtfertigte  sein  Unternehmen  mit  der  Bemerkung,  Ludwig  habe 
ja  das  Recht,  Münzen  zu  prägen.  Alles  war  schon  vorbereitet. 
Gelegentlich  einer  Anleihe  zu  Gunsten  von  Ludwig  XVI.  in  Paris 
sollten  150  Millionen  falsche  Assignaten  eingeschmuggelt  werden; 
war  das  erst  einmal  gelungen,  so  konnte  man  ja  auf  diesem  Wege 
bleiben.  Es  schien  sich  nur  noch  darum  zu  handeln,  die  falschen 
Assignaten  gut,  rasch  und  unbemerkt  herzustellen.  Dazu  war 
zunächst  etwas  Geld  erforderlich  zum  Ankauf  von  Assignaten, 
von  Platten,  von  Papier,  zur  Bezahlung  von  Arbeitskräften;  end- 
lich brauchte  man  einen  sicheren  Ort. 

Mit  diesem  Plane  trat  nun  Breteuil  an  Friedrich  Wilhelm  und 
Lucchesini  scheinbar  mündlich  heran;  sie  sollten  dann  auch 
Österreich  ins  Vertrauen  ziehen.  Man  sollte  meinen,  der  König 
habe  diesen  Plan  sofort  von  sich  gewiesen.  Weit  gefehlt,  er,  der 
angebliche  Legitimist,  ging  auf  diesen  Vorschlag  mit  Interesse 
ein.  Ich  kann  mir  das  nur  so  erklären,  daß  er  sich  in  der  Tat 
von  Breteuil  und  Lucchesini  über  die  rechtlichen  und  moralischen 
Bedenken  hinweghelfen  ließ  und  darin  ein  Kriegsmittel  wie  andere 
auch  sah1).  Nur  schienen  ihm  die  Schwierigkeiten  für  Herstellung 


1 )  Er  und  Lucchesini  haben  jedenfalls  nicht  ein  Wort  des  Bedenkens 
für  dies  gefährliche  Projekt  übrig.  Erst  als  Schulenburg  widersprochen  hat, 
meldet  sich  auch  Lucchesinis  Gewissen.  Rep.  XI  89  varia  1790 — 1796. 
Friedrich  Wilhelm  an  Schulenburg  10.  Dezember.    Breteuil  an  Schulenburg 


Der  Konvent  und  Europa  387 

und  Vertreibung  etwas  größer  zu  sein,  als  Breteuil  meinte.  Aber 
er  hoffte,  sie  zu  überwinden,  schlug  z.  B. Magdeburg  vor,  also  eine 
der  stärksten  preußischen  Festungen,  wollte  Jacobi  mit  Auf- 
trägen für  die  Ausführung  versehen  und  dergleichen.  Er  empfahl 
seinen  Berliner  Ministern  noch  selbst  die  Beobachtung  des  tief- 
sten Geheimnisses  an1).  Zunächst  gab  jedenfalls  Friedrich  Wil- 
helm Befehle  an  Schulenburg,  sich  über  Ausführbarkeit  und  Nutzen 
des  Plans  zu  äußern  und   Österreich  ins  Geheimnis  zu   ziehen. 

Wir  wissen  nun  schon,  daß  Schulenburgs  Spannkraft  in  den 
letzten  Monaten  stark  nachgelassen  hatte.  Er  konnte  sich  daher 
durchaus  nicht  so  leicht  über  die  moralischen  Bedenken  hinweg- 
setzen, und  seine  Kollegen  stimmten  ihm  durchaus  bei2).  Außer- 
dem, der  Erfolg  war  ungewiß.  150  Millionen  konnten  den  fran- 
zösischen Kredit  noch  nicht  zerstören.  Die  Herstellungskosten 
waren  größer,  als  Breteuil  annahm.  Die  Ausführung  war  sehr 
schwer.  Gar  zu  leicht  konnte  es  herauskommen  und  damit 
Preußen  in  der  unangenehmsten  Weise  bloßstellen.  Wenn  gar 
die  Emigranten  etwas  davon  erfuhren,  daß  den  Mächten  Geld 
des  Königs  zukomme,  dann  konnten  sie  mit  Recht  bei  ihnen 
um  neue  Geldhilfe  bitten,  und  dieser  unverschämten  Gesellschaft 
mußte  man  womöglich  jeden  Grund  dazu  nehmen.  In  Preußen 
waren  jedenfalls  die  Assignaten  nicht  herzustellen,  wie  Schulen- 
burg nachwies.  Es  blieb  nur  noch  die  Möglichkeit,  daß  Öster- 
reich sich  darauf  einließ3).  Da  Haugwitz  vielleicht  schon  ab- 
gereist war4),  das  Geheimnis  aber  doch  vor  jedem  anderen  gewahrt 
werden  sollte  —  in  Berlin  traf  man  die  größten  Vorsichtsmaß- 
regeln —  schrieb  Schulenburg  direkt  an  Ph.  Cobenzl  deswegen5). 

Dieser  nahm  die  Sache  zwar  moralisch  nicht  so  schwer  — 
das  Gegenteil  müßte  auch  wundernehmen  —  aber  er  wie  der 
dazugezogene  Staatsminister  v.  Zinzendorf  verschlossen  sich  nicht 
den  von  Schulenburg  vorgebrachten  Gründen  für  die  Ablehnung. 


10.  Dezember.     Rep.  XI  89  k  Lucchesini  an  Schulenburg  22.  Dezember. 
Schulenburg  an  Lucchesini  29.  Dezember. 

1 )  Vivenot  II  728.  2  Anhänge  dazu  in  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß 
40  III.    In  Nr.  14:  P.S.  zum  Bericht  Lucchesinis  vom  10.  Dezember. 

2)  Alvensleben  sagte  allerdings  nichts  darüber.  Rep.  XI  89  varia: 
15.  Dezember. 

3)  Rep.  96,  147  G  III.  S.  Au  Roi  15.  Dezember.  Rep.  92  Lucchesinis 
Nachlaß  14  VI.  An  Lucchesini  16.  Dezember.  Rep.  XI  89  k  Schulenburg 
an  Lucchesini  29.   Dezember. 

4)  So  war  es  in  der  Tat.    Vgl.  unten. 

5)  Vivenot  II  727. 


388  III.  Abschnitt 

Cobenzl  gab  dem  Kaiser  nur  anheim,  Breteuil  eventuell  nach 
England  zu  weisen.  Der  Kaiser  aber  wollte  von  „so  einem  in- 
famen Projekt"  nichts  wissen1).  Das  teilte  Cobenzl  an  Schulen- 
burg und  Breteuil  mit2).  Erst  auf  eine  besondere  Anfrage  erhielt 
dieser  auch  von  Schulenburg  die  Nachricht,  daß  sich  zwar  Fried- 
rich Wilhelm  nicht  weiter  geäußert  habe,  Preußen  aber  so  wie 
Österreich  vorgehe3).  Nur  ein  schwacher  Nachhall  der  Be- 
strebungen Breteuils  war  es,  daß  in  dem  Artikel  5  des  preußischen 
Edikts  vom  6.  Juni  1793  den  Assignaten  das  preußische  Gebiet 
versperrt  wurde,  um  dem  Feinde  auch  von  dieser  Seite  Abbruch 
zu  tun4). 

Es  war  der  letzte  Versuch  gewesen,  den  Breteuil  bei  Preußen 
gemacht  hatte.  Diese  Macht  trat  von  jetzt  an  für  ihn  mehr  in 
den  Hintergrund,  da  sich  die  Zahl  und  die  Gruppierung  der  krieg- 
führenden Mächte  zu  ändern  begann.  England  wurde  das  Zentrum 
der  Koalition,  und  es  entsprach  nur  dieser  Lage,  daß  Breteuil 
Anfang  1793  seinen  Sitz  nach  London  verlegte.  Aber  er  erreichte 
dort  noch  weniger  als  bei  Preußen.  •  Er  verschwand  allmählich 
aus  der  Reihe  der  Diplomaten.  Die  Dynastie  der  Bourbonen  war 
in  Frankreich  für  lange  Zeit  vernichtet,  und  als  sie  wieder  zur 
Herrschaft  kam,  da  hatte  sie  eine  andere  werden  müssen. 

Aus  allem  sehen  wir,  daß  Preußen  seit  dem  Scheitern  des 
ersten  Feldzuges  die  militärische  und,  soweit  es  sie  überhaupt 
besessen  hatte,  die  diplomatische  Rolle  einer  Hauptmacht  in  dem 
Kriege  gegen  die  französische  Revolution  abgab  und  hier  nur 
noch  als  Hilfsmacht  auftrat.  Seine  ursprünglichen  Hoffnungen, 
sich  in  Frankreich  einen  Bundesgenossen  zu  erwerben,  galten  in 
Preußen  für  die  nächste  Zeit  als  gescheitert.  Der  Krieg  gegen  die 
Revolution  verlor  damit  seinen  Hauptreiz  für  Preußen,  das  sich 
in  seinem  eigenen  Bestände  durch  sie  durchaus  noch  nicht  be- 
droht fühlte.     Es  ließ,  soweit  das  möglich  war,  diese  Offensive 


M  Vi  veno  t  II  726. 

2)  Rep.  XI  89  varia.  Ph.  Cobenzl  an  Schulenburg  2.  Januar. 

3)  Rep.  XI  89  varia.  Breteuil  an  Schulenburg  8.  Februar.  Jacobi 
an  Schulenburg  15.  Februar.  Schulenburg  an  Breteuil  26.  Februar  1793. 
Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  14  VII.  An  Luccbesini  10.  Januar  1793. 
Bericht  Lucchesinis  16.  Januar.  Rep.  96, 147  HI:  S.  Au  Roi  10.  Januar  1793. 

4)  Rep.  XI  91  a.  Edikt,  das  Verhalten  der  Königlichen  Untertanen 
bei  dem  gegenwärtigen  Kriege  mit  Frankreich  betreffend.  Abgedruckt  im : 
Novum  Corpus  Constitutionum  Prussico-Brandenburgensium  praecipue 
Marcbicharum.  Bd.  9.  Berlin  1796.  S.  1620—1621.  Rep.  96,  147  H  I: 
F.  S.A.  Au  Roi  12.  Februar  1793. 


Der  Konvent  und  Europa 


389 


fallen1).  Um  so  mehr  drängte  sich  nun  aber  die  andere  Aufgabe 
in  den  Vordergrund,  die  man  ursprünglich  in  Preußen  so  neben- 
her zu  lösen  gedacht  hatte:  die  polnische  Frage.  Sie  zeigte  sich 
schwieriger,  als  man  erwartet  hatte.  Polen  war  im  Besitze  Ruß- 
lands; es  galt,  ihm  einen  Teil  seiner  Beute  durch  eine  gemeinsame 
Anstrengung  Preußens  und  Österreichs  wieder  abzunehmen.  Die 
Verhandlungen  über  die  Entschädigung  für  die  Kriegskosten 
hatten  dazu  den  Anlaß  geben  sollen.  Aber  noch  war  zwischen 
den  deutschen  Mächten  nichts  abgemacht.  Erst  wenn  sie  einig 
waren,  wollte  Katharina  in  die  Besprechungen  eintreten.  In  Wien 
hatte  man  sein  Programm  Anfang  September  endlich  festgestellt. 
Was  sagte  Preußen  dazu? 


x)  Carisien  112—113. 


IV.  Abschnitt 

Polens  zweite  Teilung 


1.  Kapitel 

Merle 


Spielmann  und  Haugwitz  hatten  sich  am  12.  September  auf 
den  Weg  nach  dem  preußischen  Hauptquartier  gemacht1).  Bald 
holte  Haugwitz  den  Genossen  ein;  ihn  trieb  das  Verlangen,  mög- 
lichst bald  bei  seinem  königlichen  Herrn  zu  sein.  Haugwitz 
war  am  19.  vermutlich  schon  in  Frankfurt  und  bedauerte  an- 
geblich sehr,  Schulenburg  auf  dessen  Durchreise  nicht  mehr  ge- 
troffen zu  haben2),  mit  dem  Spielmann  noch  gesprochen  und 
dem  er  versichert  hatte,  Österreich  verzichte  auf  die  Markgraf- 
schaften, verlange  aber  eine  Zugabe  an  anderer  Stelle3).  Schon 
War  Haugwitz,  so  sagt  er  wenigstens,  im  Begriff,  seinem  Kol- 
legen nachzureisen,  um  mit  ihm  die  Lage  zu  besprechen  —  wir 

1 )  Vivenot  II  571,  574,  577,  606. 

2 )  Rep.  XI  89  k.  Haugwitz  an  Schulenburg  20.  September.  Ich 
möchte  jedoch  starke  Zweifel  an  der  Ehrlichkeit  der  Angaben  von  Haugwitz 
geltend  machen.  Dem  Kabinettsministerium  teilte  er  nichts  hierüber  mit, 
Schulenburg  direkt  auch  nicht,  höchstens,  woran  ich  auch  noch  sehr 
zweifle,  sehr  verspätet  (30.  September  in  Rep.  XI  89  k).  Die  Übereinkunft 
mit  Spielmann  teilte  er  ihm  überhaupt  nicht  mit,  nur  am  19.  Oktober  das 
darauf  beruhende  Memoire  Spielmanns,  und  dabei  heuchelte  er  Befrie- 
digung darüber,  daß  die  Instruktionen  Spielmanns  seiner  Annahme  ent- 
sprochen hätten  (Rep.  I  170  Haugwitz  an  Schulenburg  27.  Oktober). 
Spielmann  hielt  auch  damit  hinter  dem  Berge,  so  daß  sich  Schulenburg 
bitter  (natürlich  nur  über  Spielmann!)  bei  Haugwitz  beschwerte  (27.  Ok- 
tober); Preußen  hätte  sonst  seine  Kenntnis  in  Petersburg  verwerten  können. 
Endlich,  Haugwitz  teilte  auch  Luechesini  nichts  mit  (Lucchesinis  Bericht 
15.  Oktober).  So  glaube  ich  denn,  daß  er  mit  dem  Könige  und  Spielmann 
allein  das  Geschäft  hat  abmachen  wollen.    Der  Versuch  schlug  fehl. 

3)  Rep.  XI  89  k.    Schulenburg  an  Haugwitz  29.   September. 


Merle  391 

wissen  ja,  daß  er  in  Frankfurt  weitere  Befehle  des  Königs  er- 
warten wollte  —  da  kam  der  Befehl,  Haugwitz  solle  möglichst 
rasch  ins  Lager  reisen.  Jetzt  konnte  ihn  nichts  mehr  halten. 
Bis  Luxemburg  reiste  er  noch  mit  Spielmann  zusammen.  Am 
25.  waren  sie  da1);  aber  ehe  er  sich  von  Spielmann  trennte,  ge- 
lang es  diesem  durch  unablässige  Arbeit  seit  Frankfurt,  die  Zu- 
stimmung von  Haugwitz  zu  einem  Plane  zu  erlangen,  der  alles 
übertraf,  was  man  bisher  den  Preußen  zu  bieten  gewagt  hatte. 
Stimmte  der  König  zu,  so  war  er  nicht  mehr  der  Verbündete, 
sondern  der  Sklave   Österreichs2). 

Man  hatte  sich  in  Wien  schon  bei  der  Abreise  von  Spielmann 
mit  dem  Gedanken  vertraut  gemacht,  daß  es  nicht  gelingen  werde, 
der  Revolution  in  einem  Feldzuge  so  Weit  Herr  zu  werden,  daß 
man  einen  Frieden  zu  den  gewünschten  Bedingungen  erhalten 
werde.  Man  verstand  darunter  nicht  gerade  unbedingt  die  Auf- 
rechterhaltung der  monarchischen  Regierungsform,  wohl  aber 
die  Einengung  der  Revolution  in  das  französische  Gebiet  und 
vor  allem  Eroberungen  für  Österreich  auf  französische  Kosten. 
Schon  deshalb  bedurfte  man  einer  Fortsetzung  des  Krieges, 
es  sollte  jetzt  ein  wirklich  europäischer  werden.  Vor  allem  Ruß- 
land, das  man  bei  der  ersten  Kampagne  so  kühl  abgewiesen 
hatte,  sollte  teilnehmen,  ebenso  das  Reich,  und  wenigstens  Eng- 
lands Widerstand  sollte  abgewandt  werden3).  Nur  ein  allge- 
meiner Friede  sollte  zulässig  sein,  keine  einseitigen  Verhandlungen 
(eine  Spitze  gegen  Preußen!)  geduldet  werden.  Aber  dies  Unter- 
nehmen drohte  außerordentliche  Kosten  zu  verursachen,  und 
sie  mußten  natürlich  ersetzt  werden.  Das  war  nun  der  eigent- 
liche Kern  des  ganzen  Planes,  und  ich  weise  noch  einmal  darauf 
hin,  daß  der  Krieg  hauptsächlich  unternommen  wurde,  um  am 
Schluß  eine  Kostenrechnung  dafür  präsentieren  zu  können. 
War  Preußen  bei  der  ersten  Kampagne  vor  allem  in  diesem 
Sinne  tätig  gewesen,  so  übernahm  jetzt  Österreich  diese  Rolle. 
Preußen  zunächst  sollte  im  Einverständnis  mit  Österreich  und 
Rußland  in  Polen  den  Geist  des  Aufruhrs  bändigen  und  die  auf 
einer    Karte4)    angegebene    Vergrößerung    seines    Gebietes    auf 


1 )  Briefe  von  Chamisso,  Gneisenau,  Haugwitz  II 285 — 288.  V  i  v  e  n  o  t 
II  574  und  578;  S  y  b  e  1  II  356;  S  o  r  e  1  III  88. 

2)  V  i  v  e  n  o  t  II  661—662.    Rep.  XI  89  k.  Haugwitz  an  Schulenburg 
30.  September  1792. 

3)  Politisches  Journal  1792,  S.  1005—1006. 

4)  Ich  habe  sie  nicht  gefunden. 


392  Iy-  Abschnitt 

polnische  Kosten  erhalten,  um  die  Polen  dauernd  in  Schranken 
halten  zu  können  (von  Kußlands  Anteil  war  begreiflicherweise 
keine  Rede) ;  Österreich  sollte  endlich  den  Tausch  Belgiens  gegen 
Bayern  ausführen.  Preußen  sollte  durch  Haugwitz  die  Zu- 
stimmung des  Herzogs  von  Zweibrücken  und  seiner  Agnaten 
dazu  erwirken,  Österreich  übernahm  das  Geschäft  für  München. 
Zur  Erleichterung  konnte  man  ja  seine  Bereit  Willigkeit  äußern, 
den  Bayern  auf  französische  Kosten  noch  einen  Zuwachs  zu  ver- 
schaffen. Aber  Preußen  sollte  auch  die  Zustimmung  der  übrigen 
Reichsstände  erwirken,  d.  h.  vor  allem  die  von  Hannover-Eng- 
land, und  zwar  mit  ganzer  Kraft  auch  gegen  eventuelle  andere 
Mächte  die  Durchführung  des  Planes  bei  deren  Widerstand 
sichern.  Aber  dieser  Tausch  brachte  den  Österreichern  doch 
bloß  den  Vorteil  der  Arrondierung  ihrer  Staaten;  finanziell  be- 
haupteten sie  dabei  Schaden  zu  erleiden  (vgl.  oben  die  preußi- 
sche Anschauung).  Sie  wollten  ihn  nicht  nur  ersetzt  haben,  sondern 
auch  so  wie  Preußen  eine  wirkliche  Vergrößerung  erhalten.  Als 
Mittel  konnte  nun  nach  den  preußischen  Erklärungen,  die  Haug- 
witz jetzt  fest  übermittelte,  keine  Rede  mehr  von  der  Abtretung 
der  fränkischen  Markgrafschaften  an  Österreich  sein.  Davon 
überzeugte  sich  auch  Spielmann.  Er  war  gewandt  genug,  jetzt 
nicht  mehr  erst  einen  Versuch  zu  wagen,  sondern  verzichtete 
von  vornherein  auf  diesen  Punkt  seiner  Instruktion.  Als  Ersatz 
dafür  forderte  er  jetzt  die  Erwerbung  des  ganzen  Elsaß,  so  wie 
Frankreich  es  bis  1789  besessen  hatte,  und  den  Teil  von  Loth- 
ringen und  den  drei  Bistümern,  der  auf  dem  rechten  Moselufer 
liege  mit  den  Festungen  auf  beiden  Seiten  dieses  Flusses.  So 
würden  gegen  Frankreich  zwei  kräftige  Barrieren  für  das  Reich, 
in  den  Niederlanden  und  an  der  Mosel,  geschaffen,  die  durch 
Assoziationsverträge  mit  den  Reichsstaaten  zu  verstärken  die 
Mächte  sich  bemühen  würden.  Nun  könnte  aber  diese  Erwer- 
bung sich  in  dem  Frieden  mit  Frankreich  als  nicht  erreichbar 
erweisen.  Um  den  Gewinn  Österreichs  aber  für  jeden  Fall  sicher- 
zustellen, sollte  es  an  der  Besetzung  polnischen  Gebietes  mit 
Preußen  und  Rußland  teilnehmen  und  seinen  Anteil  erst  dann 
räumen,  wenn  es  in  den  Besitz  der  Erwerbung  an  der  französischen 
Grenze  gelangt  sei.  Um  den  anderen  beiden  Mächten  jedoch  ja 
nichts  zu  geben,  wenn  Österreich  nicht  auch  etwas  erhalte,  sollten 
sie  erst  nach  dem  Abschluß  des  Tauschvertrages  mit  den  Höfen 
von  München  und  Zweibrücken  zusammen  mit  Österreich  an 
die  Ausführung  der  polnischen  Teilung  gehen. 


Merle  393 

Es  war  ein  österreichisches  Idealbild,  gezeichnet  nach  den 
strengsten  Grundsätzen  scheinbarer  Parität  auf  Grund  der 
Interessen,  die  sich  immer  gewichtiger  geltend  machten,  und 
alter  Wünsche.  Es  war  daher  kein  Wunder,  daß  im  Moniteur 
vom  18.  Oktober  ein  Vertrag  zwischen  Preußen,  Österreich, 
Spanien  und  Rußland  aus  dem  Juli  1791  abgedruckt  wurde, 
der  zwar  gefälscht  war,  aber  doch  dieselben  Grundzüge  ent- 
hielt1). 

Während  Spielmann  in  Luxemburg  blieb,  reiste  Haugwitz 
mit  diesem  Plan  zum  König,  um  dessen  Befehle  in  Empfang  zu 
nehmen  und  Spielmann  dann  zu  benachrichtigen,  wohin  er  sich 
zu  begeben  habe2).  Aber  die  Zeit  war  für  die  Durchführung 
dieses  Planes  nicht  geeignet.  Schlag  auf  Schlag  trafen  jetzt 
die  Unglücksnachrichten  von  der  Armee  und  von  der  Um- 
wälzung in  Paris  ein.  Der  Feldzug  mußte  als  völlig  gescheitert 
angesehen  werden.  Selbst  bei  den  gemäßigten  österreichischen 
Ansichten  über  die  französische  Verfassung  ließ  sich  an  einen 
Frieden  mit  der  neuen  Republik  nicht  denken.  Denn  nur  vor- 
übergehend hat  Spielmann  die  Anerkennung  der  Republik  für 
möglich  gehalten,  um  sich  den  Frieden  und  Eroberungen  zu  sichern. 
Ihm  und  seinen  Wiener  Kollegen  war  die  Frage  der  französischen 
Verfassung  ziemlich  gleichgültig,  seit  der  Versailler  Vertrag  zer- 
rissen worden  war  und  Österreich  in  Frankreich  nur  noch  einen 
Feind  sehen  konnte.  Die  republikanische  Form  schien  ihm 
sogar  den  Vorzug  vor  der  monarchischen  zu  haben,  daß  sie  die 
Kräfte  mehr  im  Innern  neutralisierte,  also  zur  Verwendung  nach 
außen  weniger  freiließ3).  Wenn  Österreich  also  nicht  gestört 
wurde,  warum  sollte  es  nicht  abschließen4)?  Aber  dann  wären 
seine  Eroberungspläne  hinfällig  geworden,  und  das  bestimmte 
ihn  zur  Weiterführung  des  Krieges5),  aber  auch  jetzt  noch  nicht 
in  wirklich  kräftiger  Weise,  wie  Preußen  es  vorschlug,  sondern 
mehr  in  der  alten  Form  des   Grenz-  und  Festungskrieges,  wo 


1)  Sorel  III  168;  Sybel  (II  362—363)  bringt  den  preußisch- 
österreichischen  Plan  nach  meiner  Ansicht  in  einen  ganz  falschen  Zu- 
sammenhang. Ende  Oktober  war  von  preußischer  Seite  gar  keine  Rede 
mehr  von  gleichzeitiger  Besetzung  Polens  und  Bayerns,  um  nur 
eins  zu  erwähnen.  Dieses  Protokoll  wurde  auch  Ende  Oktober  gar  nicht 
erwähnt,  ist  eben  totes  Projekt  geblieben. 

2)  V  i  v  e  n  o  t  II  578  und  589. 

3)  Sorel  III  88—89;  Häußer  I  397—398. 

4)  Vivenot  II  578. 

5)  Bericht  Lucchesinis  15.  Oktober. 


394  IV.  Abschnitt 

man  auch  nur  so  viel  eroberte,  als  man  behalten  wollte1).  Für 
Österreich  trifft  es  also  in  gewisser  Weise  zu,  daß  aus  dem  Krieg 
gegen  die  Revolution  ein  Eroberungszug  geworden  ist2).  Zwar, 
noch  waren  die  Niederlande  in  österreichischem  Besitz,  aber  es 
war  den  österreichischen  Generalen  nicht  verborgen,  daß  Du- 
mouriez'  Truppen  zu  einem  Einfall  an  die  Grenze  abmarschiert 
waren.  Der  Einfall  von  Custine  hatte  für  Österreich  auch  keine 
Lorbeeren  gezeitigt,  und  der  Plan  des  Herzogs  von  Braunschweig, 
die  Winterquartiere  an  der  Maas  zu  nehmen,  war  gerade  an  dem 
Widerstände  Österreichs  gescheitert.  Erreicht  hatte  man  also 
bisher  nichts,  was  diese  ausschweifenden  Pläne  begründen  konnte. 
Im  Gegenteil,  man  war  im  eigenen  Besitz  bedroht  und  gestand 
offen  zu,  daß  man  nicht  allein  imstande  sei,  ihn  zu  verteidigen. 
Auf  Preußen  also  kam  es  an.    Würde  es  zustimmen? 

Unbegreiflich  ist  mir,  wie  Haugwitz,  selbst  als  die  Lage  mili- 
tärisch für  die  Mächte  durchaus  günstig  zu  liegen  schien,  seinen 
Namen  für  eine  derartige  Abmachung  hergeben  konnte.  Nur 
der  bei  ihm  zur  fixen  Idee  gewordene  Plan,  sich  auf  Polens  Kosten 
im  Einverständnis  mit  Österreich  gegen  Rußland  zu  bereichern, 
hilft  hier  wohl  weiter.  Er  sah  jetzt  gar  nicht  mehr  die  öster- 
reichischen Vorteile.  Aber  seine  Meinung  drang  nicht  durch. 
Der  König  hörte  auf  Lucchesinis  Rat,  und  der  stemmte  sich  mit 
allen  Kräften  schon  aus  Eifersucht  auf  seinen  neuen  Kollegen 
Haugwitz,  der  ihn  nicht  einmal  direkt  davon  unterrichtet,  sondern 
dem  Könige  diese  Aufgabe  überlassen  hatte,  gegen  das  heim- 
tückische Projekt,  dem  gegenwärtigen  Kriege  den  Charakter 
eines  Eroberungsfeldzuges  aufzudrücken.  Es  schien  ihm  ein 
Gegenstück  zu  dem  österreichischen  Verhalten  gegenüber  Frank- 
reich im  Vertrag  von  Versailles  zu  sein.  Dahin  durfte  es  Preußen 
nicht  kommen  lassen3).  Der  König  war  außerdem  in  dieser 
Frage  selbst  auch  schon  so  entschieden,  daß  ihn  nichts  von  seiner 
Meinung  abbringen  konnte.  Als  Haugwitz  zu  ihm  am  7.  oder 
8.  Oktober  ins  Lager  nach  Consenvoye  kam4),  scheint  der  König 
zwar  schon  auf  seinen  Antrag  die  neue  preußische  Grenze  gegen 
Polen  festgelegt  zu  haben  —  denn  auch  Alopeus  hatte  jetzt  seine 
Eröffnungen  nach  einer  Depesche  Oster manns  vom  3.  September 


*)  Vi  veno  t  II  606. 

2)  H  ä  u  ß  e  r  I  398;  H  e  i  g  e  1  II  49. 

3)  Bericht  Lucchesinis  15.  Oktober. 

4)  Rep.  96,  147  H  I:  H.  Au  Roi  6.  Mai  1793  (zitiert  als  Haugwitz' 
Denkschrift).     Ch.R.  181;    Massenbach  I  134;   Vi  veno  t  II  606. 


Merle  395 

gemacht1)  —  erteilte  ihm,  dessen  Ernennung  zum  Kabinetts- 
minister jetzt  bekannt  gegeben  wurde2),  aber  zunächst  nur  den 
Auftrag,  sich  Spielmanns  Anträge  anzuhören  und  dann  weiter 
zu  berichten3).  Soviel  merkte  Spielmann  doch,  daß  Friedrich 
Wilhelm  an  der  Ablehnung  der  Markgrafschaften  festhalte,  dafür 
aber  bereit  sei,  den  Tausch  zu  befördern  und  an  anderer  Stelle 
den  Österreichern  zu  einer  reichlichen  Zuwage  zu  verhelfen,  um 
die  Entschädigungsfrage  zum  Abschluß  zu  bringen. 

Aber  ein  Unstern  waltete  über  dieser  Heise  der  Diplomaten. 
Reuß  hatte  inzwischen  dem  Staatsreferendar  den  Befehl  des 
Königs  übermittelt,  gleich  nach  Verdun  zu  kommen4).  Dieser 
hatte  sich  am  7.  aufgemacht  und  war  am  8.  abends  angekommen. 
Am  9.  hatte  er  mit  Haugwitz  gesprochen,  am  11.  wollte  ihn  der 
König  im  Hauptquartier  empfangen.  Schon  am  9.  hörte  er  aber, 
daß  die  Stadt  in  24  Stunden  geräumt  werden  müsse5).  Anstatt 
zum  König  zu  gehen,  reiste  er  am  10.  wieder  ab,  und  Haugwitz 
folgte  ihm;  in  der  Eile  hatte  er  nur  ein  paar  Worte  mit  ihm 
wechseln  können.  In  Luxemburg,  wo  Spielmann  erst  am  12. 
nachmittags,  Haugwitz  am  13.  abends  eintraf,  wurde  jener  nun 
so  krank,  daß  er  an  Arbeiten  einige  Tage  lang  überhaupt  nicht 
denken  konnte.  Wieder  mußte  die  Eröffnung  der  österreichischen 
Forderungen  hinausgeschoben  werden.  Auf  sie  drängte  aber 
Haugwitz  immer  mehr.  Seine  eigene  Stellung  hänge  davon  ab, 
erklärte  er  dem  Staatsreferendar.  Das  rührte  diesen  sonderbarer- 
weise wenig;  einen  besseren  Unterhändler  konnte  er  sich  doch 
kaum  wünschen.  Preußen  Wollte  absolut  nicht  mehr  warten. 
Spielmann  erkannte  die  Gefahr  wohl,  die  eine  Ablehnung  oder 
auch  nur  ein  Hinausschieben  der  Entscheidung,  wie  es  Öster- 
reich wünschen  mußte,  mit  sich  bringen  konnte. 

Nun  hatte  sich  die  Lage  ganz  verändert,  seit  er  mit  Haugwitz 
jene  oben  skizzierte  Verabredung  getroffen  hatte.    Von  Winter - 


x)  Sybel  II  358,  Haugwitz'  Denkschrift,  An  Goltz  25.  Oktober. 
An  Lucchesini  22.  und  25.  Oktober.  Friedrich  Wilhelm  an  Katharina 
17.  Oktober.  Alopeus  will  seine  Mitteilungen  Lucchesini  jedoch  erst 
in  Luxemburg  gemacht  haben.  Bericht  Lucchesinis  18.  Oktober.  An  Goltz 
3.  Dezember.  Rep.  XI  133  B.  Alopeus  an  Schulenburg  8.  Oktober.  Rep. 
96,  147  G  III:  F.  S.A.  Au  Roi  3.  Dezember. 

2)  Vivenot  II  606.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  38.  Lucchesini 
an  Stein  11.  Oktober  1792. 

3)  Rep.  XI  89  k.  Haugwitz  an  Schulenburg  15.  Oktober. 

4)  Vivenotll  571—572,  577,  581,  589,  606;  S  y  b  e  1  II  356—357. 

5)  Hüf  f  er  im  Goethe-Jahrbuch  IV  (1883),  S.  106. 


39  G  IV.  Abschnitt 

quartieren  in  Frankreich  war  keine  Rede  mehr.  Von  Ludwigs  per- 
sönlichem Schicksal  sah  Österreich  jetzt  so  gut  wie  ganz  ab; 
aber  das  half  ihm  nichts,  es  mußte  doch  das  nächste  Jahr  völlig 
von  vorn  anfangen,  ebenso  im  wohlverstandenen  (?)  eigenen 
Interesse,  wie  deshalb,  weil  Preußen  in  jedem  Fall  auf  Er- 
oberungen in  Polen  bestand.  Man  kann  nicht  sagen,  daß  diese 
Verzögerung  für  Österreich  von  Vorteil  gewesen  sei.  Denn  als 
nun  Spielmann  widerwillig  genug  am  19.  oder  kurz  vorher  die 
österreichischen  Forderungen  doch  im  Sinne  des  Protokolls  aus- 
einandersetzte, um  auch  endlich  einmal  Klarheit  über  die  ver- 
dächtigen preußisch-französischen  Verhandlungen  zu  gewinnen, 
durch  die  scheinbar  ein  Ausscheiden  Preußens  aus  dem  Kriege 
herbeigeführt  werden  sollte1),  und  um  für  Österreich  ebenso 
große  Vorteile  zu  erlangen  wie  für  Preußen,  da  konnte  Preußen 
sie  nur  für  deplaciert  und  durch  die  Ereignisse  überholt  halten. 
Es  hatte  zwar  militärisch  gelitten,  und  das  wurde  ihm  in  Peters- 
burg sehr  angerechnet.  Es  hatte  Hoffnungen  aufgeben  müssen, 
die  nur  allzu  verlockend  gewesen  waren.  Aber  zu  fürchten  hatte 
es  für  sich  nichts.  Ja,  es  konnte  sich  sogar  den  österreichischen 
Verlust  der  Niederlande  als  eigenen  Gewinn  anrechnen.  Wenn 
es  sich  also  zur  Fortsetzung  des  Krieges  mit  der  bisherigen  Truppen- 
zahl  bestimmen  ließ  aus  allgemeinen  Rücksichten  und  besonders 
denen  auf  Österreich,  so  fühlte  es  sich  berechtigt,  dafür  seine 
Bedingung  zu  stellen2).  Es  war  die  Besitznahme  seines  polnischen 
Anteils  vor  dem  Beginn  des  neuen  Feldzuges  mit  vorheriger 
Billigung  von  Österreich  und  Rußland3).  Alles  andere,  was  in 
dieser  Note  vonMerle  gesagt  wurde,  dieHaugwitz  am  25.  Oktober 
dem  Staatsreferendar  zustellte,  um  auf  seinen  schriftlichen  Antrag 
auch  eine  schriftliche  Antwort  zu  geben,  war  nur  Beiwerk, 
so  die  Zusicherung  der  Teilnahme  an  einem  Kriege  des  europäi- 
schen Konzertes  mit  dem  Ziel,  die  französische  Anarchie  zu 
hemmen,  die  monarchische  Regierung  aufrechtzuerhalten4)  und 
Ludwig  XVI.  die  dazu  erforderliche  Macht  wieder  zu  verschaffen 

*)  Vivenot  II  606  und  661.  Gerade  auf  die  kräftige  Fortsetzung 
des  Krieges  mußte  Österreich  schon  wegen  des  Tausches  das  größte  Ge- 
wicht legen  (Rep.  XI  89  k.  Haugwitz  an  Schulenburg  19.  Oktober).  Ein 
Ausscheiden  Preußens  hätte  die  Vernichtung  aller  Aussichten  auf  Ent- 
schädigung bedeutet. 

2)  Vgl.  auch  Politisches  Journal  1792,  S.  997—998. 

3)  Häußer  I  399;   Sorel  III  128—129. 

4)  Dieser  eine  Satz  machte  alle  Verhandlungen  mit  der  Republik 
unmöglich. 


Merle  397 

—  wenn  das  Konzert  zustande  kam,  woran  man  nicht  glaubte1); 
oder  die  Stellung  des  verfassungsmäßigen  Reichskontingentes 
nach  Erklärung  des  Reichskrieges  —  woran  nach  Custines  Einfall 
ein  Zweifel  nicht  mehr  gut  bestehen  konnte,  wenn  es  auch  noch 
bis  zum  22.  März  bezw.  30.  April  des  nächsten  Jahres  dauerte2). 
Die  Frage  war  nur  die,  ob  der  Offensivkrieg  gegen  die  französische 
Revolution  (jetzt  sagt  man  wohl  besser  gegen  Frankreich)  fort- 
gesetzt und  ob  Preußen  seine  Armee  in  der  alten  Stärke  dazu 
hergeben  werde. 

Damit  nähern  wir  uns  der  Entscheidung  über  diese  so  ver- 
wickelte Frage,  deren  Anfang  wir  im  Frühjahr,  deren  Höhepunkt 
im  Sommer  wir  schon  kennen  gelernt  haben3).  Preußen  also  war 
Österreich  gegenüber  in  der  Tat  in  der  Lage  des  Gebenden,  wie 
dies  selbst  zugestehen  mußte4).  Es  zögerte  nicht,  diese  Gelegen- 
heit für  seine  Zwecke  auszunützen.  Erinnern  wir  uns  daran: 
Als  sich  im  Mai  und  im  Juni  Schulenburg  und  Spielmann  über 
die  Entschädigungsfrage  einigten,  war  die  Voraussetzung  ge- 
wesen und  von  beiden  Teilen  anerkannt  worden,  daß  die  Mächte 
gleichzeitig  in  den  Besitz  der  gewünschten  Objekte  gelangen 
sollten.  Schon  in  Mainz  hatte  Österreich  Bedingungen  gestellt, 
die  das  in  Frage  stellen  mußten.  Jetzt  nach  dem  Feldzuge  hatte 
eigentlich  die  Besitzergreifung  erfolgen  sollen.  Aber  die  Mächte 
waren  nicht  die  Sieger,  sondern  die  Besiegten.  Es  war  also  eine 
ganz  neue  Lage  geschaffen.  Österreich  wollte  deshalb  die  Besitz- 
ergreifung bis  zum  Siege  und  zum  Frieden  aufgeschoben  sehen, 
wie  es  in  der  Tat  ganz  natürlich  gewesen  wäre  —  aber  auch  nur 
deshalb,  weil  es  sich  nicht  vorher  in  den  Besitz  seines  Anteils 
setzen  konnte.  Preußen  jedoch  verlangte  Barzahlung  für  die 
geleisteten  und  Sicherheit  für  die  noch  zu  leistenden  Ausgaben. 
Wenn  irgend  ein  Umstand  beweisen  kann,  daß  Preußen  weder 
für  ein  Prinzip  noch  zur  Verteidigung  in  den  Kampf  gegen 
Frankreich  eingetreten  ist,  sondern  um  zu  erobern,  so  ist  es  dieser5). 
Es  hatte  an  sich  kein  so  großes  Interesse  daran,  daß  es  die  in 
der  Tat  großen  Kosten  für  die  Erhaltung  von  50  000  Mann 
seinem  Lande  länger  als  nötig  zumuten  konnte.  Nur  der  Gedanke 


1)  Noch  nie  hatte  es  ja  wirkliche  Gestalt  angenommen  (Hei gel  II  74). 

2)  S  o  r  e  1  III  319;  H  e  i  g  e  1  II  87—89. 

3)  Finckenstein  und  Alvensleben    an  Lucchesini   29.   Oktober:    Jetzt 
sei  der  Höhepunkt  erreicht. 

*)  Vivenot  II  606;  Häußer  I  398. 

G)  S  y  b  e  1  II  355,  der  für  Österreich  die  Sache  richtig  darstellt. 


398  IV-  Abschnitt 

an  Eroberungen  konnte  es  dazu  veranlassen.  Da  lag  es  nahe, 
sich  nicht  mit  einem  Versprechen  zu  begnügen,  dessen  Erfüllung 
zum  all  ermindesten  doch  recht  zweifelhaft  war;  ja  selbst  an  der 
ehrlichen  Absicht  des  Kontrahenten,  es  zu  erfüllen,  zweifelte  man 
schon.  Preußen  verließ  mit  der  Forderung,  seinen  polnischen 
Bezirk  vor  Beginn  des  neuen  Feldzuges  in  Besitz  zu  nehmen, 
den  Boden,  auf  den  es  sich  früher  mit  Österreich  gestellt  hatte. 
Es  war  ein  vergebliches  Bemühen  der  preußischen  Minister, 
Preußens  Verhalten  als  konsequent  in  diesem  Punkte  darzu- 
stellen1). 

Aber  diese  Inkonsequenz  wurde  durch  die  Lage  nur  zu  sehr 
gerechtfertigt,  gefordert,  gefördert.  Denn  es  wird  immer  zweifel- 
haft bleiben,  ob  sich  Preußen  so  darauf  versteift  hätte,  wenn  es 
nicht  sicher  —  allzusicher,  wie  sich  bald  zeigen  sollte2)  —  gewesen 
wäre,  daß  seine  Wünsche  in  Petersburg  schon  gewährt  waren, 
ehe  es  sie  ausgesprochen  hatte.  Auf  den  verschiedensten  Wegen 
nämlich  war  Friedrich  Wilhelm  zu  Ohren  gekommen,  daß  Katha- 
rina eine  neue  polnische  Teilung  wünsche,  und  zwar  bald3). 
Preußen  also  durfte  seine  Erklärung  nicht  mehr  so  lange  ver- 
schieben, bis  es  mit  Österreich  einig  war.  Katharina  selbst4), 
Goltz5),  Alopeus,  dem  nur  der  Rückzug  mit  seiner  Unruhe  nicht 
gleich  Gelegenheit  gab,  seine  Aufträge  auszurichten6),  gaben  sehr 
gute  Aussichten,  abgeschwächt  auch  der  Prinz  Nassau  trotz  der 
Niederlage  der  Preußen,  nur  vorausgesetzt,  daß  sie  den  Krieg 
kräftig  fortsetzten,  und  in  dieser  loyalen  Haltung,  die  von  der  der 
Emigranten  doch  recht  abwich,  verharrte  er  scheinbar  den  ganzen 


x)  Die  Angaben  von  Sybel  (II  360  und  361)  lassen  sich  nicht  ver- 
einigen, da  er  das  eine  Mal  der  Denkschrift  von  Haugwitz,  das  andere  Mal 
Spielmanns  Angaben  folgt. 

2)  An  Lucchesini  22.  und  29.  Oktober. 

3)  Vivenot  II  650.  Rep.  XI  89k.  Haugwitz  an  Schulenburg 
19.  Oktober. 

4)  Der  Bruder  ihres  Günstlings  Piaton  Subow,  Valerian,  der  am 
27.  September  in  Verdun  angekommen  war,  überbrachte  ihren  Brief  (Rep. 
XI  Rußland  133  B.  Alopeus  an  Schulenburg  27.  September.  Bericht 
Lucchesinis  18.  Oktober). 

5)  Berichte  7./18.,  14./25.  September.  An  Lucchesini  8.  Oktober, 
18.  Oktober;  Sybel  II  358—359. 

6)  Rep.  XI  Rußland  133  B.  Alopeus  an  Schulenburg  8.  Oktober. 
Rep.  XI  89  k.  Lucchesini  an  Schulenburg  8.  Oktober.  Rep.  92  Lucchesinis 
Nachlaß  37.  Schulenburg  an  Lucchesini  21.  Oktober.  Mit  dessen  Eröff- 
nungen war  man  zuerst  gar  nicht  so  recht  zufrieden.  Aber  es  bleibt  zweifel- 
haft, wieviel  Lucchesini  anfangs  davon  gehört  hat. 


Merle  399 

Winter1).  Aber  auf  ihn  kam  es  nicht  so  an.  Der  König  hielt  sich 
an  die  Tatsachen,  und  da  war  es  denn  äußerst  erfreulich,  daß 
Katharina  ihren  Truppen  in  Polen  den  Befehl  erteilt  hatte,  die 
Palatinate  Posen  und  Kaiisch  nicht  zu  besetzen2).  Tatsächlich 
scheint  außerdem  auch  noch  Gnesen  von  ihnen  nicht  belegt 
worden  zu  sein,  wie  sich  schon  aus  der  geographischen  Lage  er- 
gibt3). Auf  Rußland  aber  kam  alles  an.  Der  österreichischen 
Zustimmung  fühlte  man  sich  durch  sein  Entgegenkommen  in  der 
Kriegs-  wie  der  Entschädigungsfrage  sicher.  Den  Russen  ver- 
mochte man  nichts  zu  bieten  als  seine  Anerkennung  ihrer  Forde- 
rungen, deren  Ausführung  man  nicht  hätte  verhindern  können. 
War  daher  Katharina  für  Preußen,  so  war  alles  gewonnen4).  Es 
war  ein  Lichtblick  in  trüber  Zeit. 

Friedrich  Wilhelm  zögerte  nach  dem  Eintreffen  der  guten 
Nachrichten,  die  ihm  das  Kabinettsministerium  übermittelte5), 
nicht  mehr  mit  der  Antwort.  Er  schmiedete  das  Eisen,  solange 
es  noch  heiß  war,  und  schrieb  in  der  verbindlichsten,  ja  schmeichel- 
haftesten Weise  am  17.  Oktober  in  Longuyon  an  Katharina6), 
aber  dabei  ließ  der  Brief  es  nicht  an  der  so  nötigen  Bestimmtheit 
fehlen.  Er  teilte  ihr  seine  Forderung  mit,  den  Krieg  nicht  eher 
fortzusetzen,  als  bis  er  im  Besitz  seiner  Entschädigung  sei7). 
Denn  was  Preußen  bisher  so  ängstlich  vermieden  hatte,  die 
Initiative  zu  ergreifen,  um  die  Polen  nicht  den  Russen  in  die 
Arme  zu  treiben  oder  wenigstens  nicht  die  russischen  Forderungen 
ins  Ungemessene  zu  steigern  —  jetzt  glaubte  Friedrich  Wilhelm 
nicht  mehr  daran  festhalten  zu  dürfen.  Er  teilte  Katharina  mit, 
daß  sein  Gesandter  schon  Auftrag  habe8),  die  preußische  Forde- 
rung zu  überreichen,  und  gab  sich  der  schönsten  Hoffnung  auf 


1 )  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  373—374  und  393—395.  Bericht  Lucchesinis 
6.  November.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  14,  P.S.  zum  Bericht  Lucchesinis 
10.  Dezember.     Bericht  12.  März  mit  Beilagen. 

2)  An  Goltz  19.  Oktober.     An  Lucchesini  18.  Oktober. 

3)  Rep.  9,  272.  Möllendorff  an  das  Kabinettsministerium  7.  November. 
Finckenstein  und  Alvensleben  an  Möllendorff  9.  Dezember. 

4)  An  Lucchesini  29.  Oktober:  Qu' eile  soit  de  notre  cote,  et  la  chose 
ira  d'emblee. 

5)  Rep.  96,  147  G  III:  F.  S.A.  Au  Roi  8.  Oktober. 

6)  M  a  r  t  e  n  s  VI  164.  Rep.  XI  Rußland  133  B.  Dazu  Bericht  Lucche- 
sinis 18.  Oktober. 

7)  Von  Subsidien  war  jetzt  natürlich  noch  keine  Rede  (Sorel  III 
92—93). 

8)  Auch  Alopeus  wurde  durch  Lucchesini  davon  in  Kenntnis  gesetzt. 
(Bericht  Lucchesinis  18.  Oktober.     An  Goltz  27.  Oktober  P.S.) 


400  lv-  Abschnitt 

eine  baldige  Regelung  dieser  wichtigen  Frage  zu  allseitiger  Zu- 
friedenheit hin.  Es  war  ein  fein  berechneter  Schachzug,  daß  er 
selbst  Valerian  Subow  den  Roten  Adlerorden  überreichte.  Er 
überließ  es  Lucchesini,  dem  Prinzen  Nassau  —  er  ist  es  wohl 
gewesen1)  —  die  preußische  Forderung  und  die  russische  Teil- 
nahme am  Kriege  im  Interesse  der  Wiederherstellung  der  Ord- 
nung als  unumgänglich  vorzustellen. 

Niemals  aber  hatte  Friedrich  Wilhelm  daran  gedacht,  sich 
mit  Rußland  allein  zu  verständigen  unter  dem  Ausschluß  von 
Österreich.  Immer  sollten  die  drei  Mächte  gemeinsam  vorgehen, 
schon  damit  Preußen  eine  gegen  die  andere  ausspielen  konnte 
und  dadurch  eine  allzugroße  Abhängigkeit  von  einer  der  beiden 
verhinderte.  Das  von  Spielmann  übermittelte  Memoire  mit  den 
österreichischen  Forderungen  gewährte  nun  die  schönste  Ge- 
legenheit, den  eigenen  Standpunkt  offen  darzulegen,  d.  h.  auf 
der  sofortigen  Besitznahme  in  Polen  zu  bestehen,  die  Hilfe  Öster- 
reichs bei  Rußland  dafür  in  Anspruch  zu  nehmen,  dafür  seiner- 
seits an  dem  Kriege  wie  bisher  teilzunehmen  und  den  Öster- 
reichern die  gewünschte  Hilfe  zu  versprechen,  wenn  sie  sich  ihre 
eigene  Entschädigung  sichern  wollten2).  Aber  diese  Fassung 
schien  doch  für  Preußen  noch  zu  gefährlich,  zu  vieldeutig  zu 
sein.  Vor  allen  Dingen  aber  war  die  Durchführung  des  Tausches 
augenblicklich  ganz  unmöglich  geworden.  Es  hätte  genügt,  daß 
der  Plan  in  München  und  in  Zweibrücken  bekannt  wurde,  um 
diese  Höfe  ganz  in  die  weitgeöffneten  Arme  Frankreichs  zu 
treiben  und  sich  damit  vor  so  gefährlichen  Beschützern,  wie  es 
die  deutschen  Mächte  waren,  zu  sichern3).  Es  ist  bedauerlich, 
daß  Vivenot  nicht  das  Memoire  Spielmanns  veröffentlicht  hat. 
Wir  müssen  annehmen,  daß  darin  nur  von  den  österreichi- 
schen Forderungen  die  Rede  war.  Das  scheint  dann  der  Anlaß 
für  Preußen  geworden  zu  sein,  auch  seinerseits  lediglich  eine 
Zusammenstellung  der  eigenen  schriftlich  an  Spielmann  zu 
geben4). 

Für  den  24.  Oktober5)  berief  der  König  eine  Konferenz  in  sein 

1)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  III.     L.  18.  Oktober. 

2)  Bericht  Lucchesinis  19.   Oktober. 

3)  Rep.  I  170.  Haugwitz  an  die  Minister  27.  Oktober. 

4)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12.  Friedrich  Wilhelm  an  Lucchesini 
21.  Oktober  1792. 

8)  Vivenot  II  661;  Sybel  II  360  gibt  mit  Unrecht  den  25.  an, 
ebenso  das  Politische  Journal  1792,  S.  1212.  Bericht  Lucchesinis  23.  bis 
26.  Oktober. 


Merle  401 

Hauptquartier  Merle  bei  Luxemburg,  an  der  wider  Erwarten 
auch  der  kranke  Spielmann  teilnahm,  da  er  wohl  die  Bedeutung 
der  Stunde  fühlte,  dazu  Mercy  und  Thugut,  Haugwitz  und 
Lucchesini.  Als  Bischoff werder  sein  altes  Amt  ausüben  und  die 
Österreicher  dem  König  melden  wollte,  wies  ihn  dieser  zurück; 
Manstein  habe  diese  Aufgabe  —  ein  schlechtes  Vorzeichen  für 
die  Österreicher1).  Erst  speisten  die  Herren  beim  König;  dann 
gab  dieser  dem  Staatsreferendar  mündlich  auf  dessen  nochmaligen 
Wunsch  die  Erklärung,  die  er  ihm  schriftlich  am  Tage  darauf 
durch  Haugwitz  zugehen  zu  lassen  versprach2),  wie  es  auch  am 
25.  Oktober  spät  abends  geschah3).  Ich  habe  schon  oben  ihren 
Inhalt  angegeben.  Eine  Diskussion  fand  überhaupt  nicht  statt. 
Die  ganz  unnötige  Feierlichkeit  einer  Zusammenkunft  beim 
Könige  konnte  nur  den  Zweck  haben,  den  Österreichern  recht 
eindringlich  den  Ernst  der  preußischen  Forderungen  und  ihrer 
eigenen  Lage  bei  einer  eventuellen  Ablehnung  klar  zu  machen. 
Friedrich  Wilhelm  wollte  ihnen  ein  Ultimatum  geben4). 

Spielmann  kam  das  deutlich  genug  zum  Bewußtsein,  wenn 
er  nachher  die  Sache  auch  zu  Gunsten  des  Königs  zum  Nachteil 
von  Haugwitz  anders  darstellt5).  Er  sah  sein  Werk  gescheitert, 
sich  selbst  bereits  verloren  und  dabei  seinen  Reisegefährten  nicht 
an  seiner  Seite  zur  Unterstützung,  sondern  sich  gegenüber  an 
leitender  Stelle.  Denn  Haugwitz  hatte  mit  einer  staunenswerten 
Behendigkeit  alle  seine  Pläne  umgeworfen  und  sich  ganz  dem 
König  gefügt.  So  wie  er  im  Frühjahr  zuerst  gegen  den  Krieg 
opponiert,  sich  dann  aber  ganz  in  das  entgegengesetzte  Fahr- 
wasser hatte  bringen  lassen,  da  er  doch  nichts  mehr  zu  ändern 
vermochte,  so  konnte  er  jetzt  wieder  seiner  eigenen  Ansicht 
folgen,  derzufolge  das  österreichisch-preußische  Bündnis  eine 
Monstrosität  und  für  Preußen   das  Gegebene   eine  Verbindung 


1 )  F  e  u  i  1 1  e  t  VI  372—373  und  392—393.  Aber  Nassau  hat  das  erst 
von  Reuß  erfahren.   Woher  hatte  es  dieser? 

2)  Vivenot  II  661.  Nach  einer  Angabe  seiner  Denkschrift  hätte 
sie  Haugwitz  am  25.  in  Merle  unter  den  Augen  des  Königs  aufgesetzt. 
Ein  andermal  sagt  er  unter  Lucchesinis  Augen  (Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß 
31.  Haugwitz  an  Lucchesini  5.  Mai  1793).  Ein  Widerspruch  braucht  das 
nicht  zu  sein.  Jedenfalls  schrieb  Lucchesini  das  Hauptverdienst  daran 
Haugwitz  zu.     (Bericht  24.  Oktober.) 

3)  Vivenot  II  623  und  661. 

4)  Rep.  9,  272  Rapports  I.  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsmini- 
sterium 26.  Oktober. 

5)  Vivenot  II  661. 

Hei d rieh,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution        26 


402  IV.  Abschnitt 

mit  Frankreich  sei,  sowie  dort  erst  einmal  ein  Zustand  der  Dinge 
eingetreten  sei,  der  auf  einige  Festigkeit  rechnen  lasse1).  Dieser 
Gefügigkeit  und  seinem  persönlichen,  dem  Könige  sehr  an- 
genehmen Wesen  verdankte  er  es  wohl,  daß  nicht  Lucchesini, 
wie  dieser  es  eigentlich  verdient  hatte,  sondern  er  hierin  die 
Hauptrolle  spielte2).  Persönlich  war  das  eine  unangenehme  Sache; 
denn  er  mußte  demselben  Manne  gegenüber,  mit  dem  er  noch 
eben  so  einig  gewesen  war,  einen  ganz  anderen  Standpunkt  ver- 
treten. Er  ließ  es  diesmal  zunächst  nicht  an  sich  fehlen;  aber 
als  ihm  Spielmann  in  aller  Biederkeit  eine  besser  konstruierte 
Falle  stellte,  fiel  er  sofort  darauf  herein,  und  es  bedurfte  noch  der 
Wiener  Erfahrungen  aus  dem  Dezember,  um  ihn  dazu  zu  bringen, 
die  Österreicher  stets  mit  Mißtrauen  zu  behandeln.  Er  gab  es 
dann  scheinbar  auf,  allein  seine  eigene  Politik  zu  machen  und 
fügte  sich  in  den  Rahmen  ein,  der  ihm  gezogen  war,  d.  h.  er  ging 
mit  seinen  Kollegen  zusammen  vor  oder  fügte  sich  dem  Wunsche 
des  Königs. 

Haugwitz  konnte  dem  Staatsreferendar  die  Pille  aber  wenig- 
stens etwas  versüßen3).  Hatte  Friedrich  Wilhelm  nicht  schriftlich 
seine  guten  Absichten  versprechen  wollen,  Österreich  in  der  Ent- 
schädigungsfrage nach  Möglichkeit  zu  unterstützen,  so  stand  einer 
mündlichen  Äußerung  doch  durchaus  nichts  im  Wege.  So  sehr 
die  Preußen  diese  Tatsache  später  auch  nach  einer  Änderung  der 
politischen  Lage  in  Abrede  zu  stellen  sich  bemühten,  so  bleibt 
es  darum  doch  wahr,  daß  Preußen  im  Oktober  und  noch  ein 
Vierteljahr  lang  die  Absicht  hatte,  ehrlich,  Wenn  auch  von  Seiten 
des  Kabinettsministeriums  mit  etwas  sauersüßer  Miene,  den 
Österreichern  zu  ihrem  Anteil  zu  verhelfen,  wie  es  im  Mai  und 
Juni  vereinbart  worden  war.  Man  verlangte  für  Preußen  etwas 
mehr,  wollte  den  Österreichern  aber  nur  das  Alte  gewähren. 
Damit  Österreich  nun  nicht  die  preußische  Absicht  durchkreuzte, 
wurde  sie  so  offiziell  kundgetan,  daß  man  nicht  mehr  gut  davon 
zurücktreten  konnte4). 

II. 

Konnte  Spielmann  sich  nun  dabei  beruhigen?  Wollte  er  es? 
Ganz  sicher  nicht,  und  er  setzte  alle  Hebel  in  Bewegung,  um 


x)  Gronau,  Dohm  248. 

a)  Bericht  Lucchesinis  20.  November. 

3)  Sorel  III  128—129. 

4)  Rep.  I  170.  Haugwitz  an  die  Minister  27.  Oktober. 


Merle  403 

bessere  Bedingungen  für  seinen  Herrscher  zu  erlangen.  Freilich 
konnte  er  bei  der  veränderten  Lage  nicht  ministeriell  sprechen, 
aber  da  er  sich  mit  Reuß  und  Mercy  einigte,  so  hatten  seine  An- 
träge und  Äußerungen  doch  ebensoviel  Gewicht,  als  wenn  man 
sie  von  Wien  aus  gemacht  hätte.  Zunächst  griff  er  mit  vielem 
Geschick  die  Fassung  der  preußischen  Note  an  und  legte  deren 
falsche  Anschauungen  an  der  Hand  des  oben  skizzierten  preußi- 
schen Exposes  dar.  Denn  Preußen  hatte  in  der  Tat  zuerst  auf 
den  Krieg  auch  ohne  das  Konzert  bei  Österreich  gedrängt.  Es 
hatte  sich  zur  Reichsverteidigung  gedrängt,  noch  ehe  überhaupt 
die  Rede  von  einem  Reichskriege  war.  Es  war  vertragsmäßig 
gezwungen,  den  Österreichern  in  einem  Verteidigungskriege 
20  000  Mann  zu  stellen.  Es  lag  also  gar  nicht  mehr  in  Preußens 
Macht,  beliebig  aus  dem  Kriege  auszuscheiden,  den  es  sich  selbst  auf- 
gehalst hatte,  wenn  es  nicht  offenbar  gegen  Treu  und  Glauben  ver- 
stoßen wollte.  Preußen  hätte  in  der  Tat  1793  den  Österreichern 
ein  Hilfskorps  von  20000,  dem  Reiche  nach  dessen  Kriegserklärung 
ein  solches  von  12  000  Mann  stellen  müssen.  Das  ergab  also  nur 
18  000  Mann  weniger  als  in  diesem  Jahre.  Ja,  es  konnte  sogar 
sehr  ernsthaft  die  Frage  aufgeworfen  werden,  ob  Preußen  nicht 
sogar  bis  zur  Beendigung  des  Krieges  die  ganzen  50  000  Mann 
stellen  mußte,  wozu  es  sich  im  Frühjahr  verpflichtet  hatte.  Spiel- 
mann erklärte  daher  als  guter  Diplomat,  der  seinem  Feinde 
goldene  Brücken  baut,  die  preußische  Note  nur  so  auffassen  zu 
können,  daß  Preußen  beim  NichtZustandekommen  des  Konzertes 
den  „Endzweck"  des  Krieges  ändern  wolle.  Das  war  ja  nun 
alles  ganz  schön  und  richtig,  und  Preußen  hätte  selbst  das  alles 
zugeben  müssen,  aber  es  stellte  trotzdem  seine  Forderungen  und 
bestand  auf  ihnen.  Spielmann  hielt  nun  dem  Grafen  Haugwitz 
vor,  wie  gering  Preußens  Anspruch  auf  Entschädigung  sei,  wenn 
es  nicht  an  der  Abmachung  mit  Österreich  festhalte.  Sie  aber 
wisse  nur  von  völliger  Gleichheit  und  Gleichzeitigkeit.  Er  scheute 
sich  auch  nicht,  trotz  aller  Versprechungen  gegenüber  Haugwitz 
und  dessen  gutgläubigen  Versicherungen,  wieder  die  Forderung  der 
Markgrafschaften  hervorzusuchen ,  wenn  auch  nur,  um  damit 
einen  Druck  auf  Preußen  auszuüben. 

So  stark  nun  auch  ideell  die  Stellung  von  Spielmann  war  — 
Haugwitz  hatte  die  tatsächliche  Lage  doch  auf  seiner  Seite.  Den 
rechtlichen  Bedenken  Spielmanns  hielt  er  die  Anschauung  vom 
Frühling  entgegen,  wo  jeder  nur  an  einen  Feldzug  von  höchstens 
einem  Jahr  gedacht  hatte,  und  lehnte  auch  entrüstet  das  Miß- 


404  IV.  Abschnitt 

Verständnis  von  Spielmann  ab,  das  durch  den  Wortlaut  der  Note 
allerdings  nur  zu  sehr  gerechtfertigt  war,  daß  Preußen  im  nächsten 
Jahr  gar  nicht  mehr  am  Kriege  teilnehmen,  selbst  das  Reichs- 
kontingent nicht  stellen  wolle.  Preußen  wolle  den  Krieg  für  die 
Aufrechterhaltung  der  monarchischen  Regierungsform  in  der  Tat 
nur  fortsetzen,  Wenn  der  Krieg  zu  einem  allgemein  europäischen 
werde.  Aber  an  der  Fortsetzung  sei  Österreich  mehr  interessiert 
als  Preußen.  Dies  könne  seine  Entschädigung  nur  in  Polen 
finden  und  müsse  den  augenblicklich  gerade  günstigen  Stand  der 
Lage  in  Polen  und  in  Rußland  benützen1).  Österreich  solle  sich 
daher  auch  erklären;  dann  werde  eine  Einigung  nicht  schwer 
sein. 

Spielmann  erkannte,  daß  er  in  seinem  Mißtrauen  zu  weit 
gegangen  War,  und  verschloß  sich  nicht  dem  Gewicht  der  preußi- 
schen Gründe.  Er  fürchtete  bei  einer  Ablehnung  alles,  d.  h.  den 
Zusammenbruch  des  österreichisch-preußischen  Bündnisses,  den 
Fall  des  Tauschplanes,  ohne  die  preußische  Erwerbung  in  Polen 
sicher  verhindern  zu  können.  Bei  der  Genehmigung  aber  sah  er 
ein,  wenn  auch  nicht  ungetrübtes,  so  doch  verlockendes  Bild. 
Er  lehnte  also  eine  Verhandlung  auf  Grund  der  preußischen 
Forderungen  nicht  ab,  sondern  suchte  nur  den  preußischen  Ge- 
winn auf  irgend  eine  Weise  durch  einen  gleich  großen  und  zur 
gleichen  Zeit  erreichbaren  österreichischen  zu  paralysieren.  Mit 
dem  ersten  Versuch  freilich  hatte  er  Unglück2).  Er  hielt  an  dem 
Tauschplan  fest  und  erkannte  auch  an,  daß  er  erst  später  durch- 
geführt werden  könne.  Er  mußte  sich  also  vorläufig  mit  der 
offiziellen  Zusicherung  begnügen,  Preußen  werde  den  Tausch 
nach  Möglichkeit  befördern.  Haugwitz  hatte  es  sogar  beim 
Könige  durchgesetzt,  daß  dieser  ihn  nach  Zweibrücken  zur  Befür- 
wortung des  Tausches  senden  werde;  nur  sei  der  jetzige  Augen- 
blick zu  ungünstig  dazu.  Wenn  Österreich  jedoch  darauf  bestehe, 
so  wolle  sich  Preußen  auch  in  diesen  Wunsch  fügen.  Da  die 
Aussichten  für  die  geplante  Erwerbung  in  Elsaß-Lothringen  unter 
Null  standen,  so  suchte  Spielmann  die  Befriedigung  für  den  öster- 
reichischen Hunger  in  Polen  an  einem  ebenso  großen  Stück,  wie 
Preußen  es  erhalten  sollte,  und  sagte  nur  zu,  einen  Teil  davon 
nach  der  Durchführung  des  Tausches,  ja  es  ganz  wieder  zurück  - 


1 )  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  26.  Oktober  in  Rep. 
9 — 272  Rapports  I.  Desgleichen  vom  27.  Oktober  in  Rep.  9 — 272  Korre- 
spondenz mit  Möllendorff. 

2)  Sybel  II  362. 


Merle  405 

zugeben,  Wenn  Preußen  sein  Los  erheblich  vermindere1).  Aber 
damit  traf  er  gerade  die  empfindlichste  Stelle  von  Haugwitz, 
der  sich  scheinbar  auch  hierin  den  Anschauungen  von  Friedrich 
Wilhelm  und  Lucchesini  gefügt  hatte.  Haugwitz  ordnete  alles 
seinem  polnischen  Plan  unter  und  glaubte  jetzt  mit  Sicherheit 
dessen  Scheitern  vorauszusehen,  wenn  nicht  nur  Preußen,  son- 
dern auch  Österreich  sich  an  die  Teilung  machen  wollte.  Er 
lehnte  diese  Forderung  schroff  als  unannehmbar  ab.  Der  Tausch 
biete  für  Österreich  trotz  des  finanziellen  Defizits  unleugbare 
Vorteile,  und  wenn  Österreich  nun  auch  noch  polnisches 
Gebiet  erhalte,  dann  falle  ja  der  preußische  Vorteil  weg;  so  viel 
sei  von  Polen  überhaupt  nicht  zu  erlangen2).  Den  Widerstand 
Rußlands  gegen  diesen  Plan  erwähnt  er  merkwürdigerweise  gar 
nicht. 

Dieser  Plan  also  schien  gescheitert.  Aber  Spielmann  wollte 
lieber  zu  viel  als  zu  wenig  tun.  Er  verschaffte  sich  durch  Bischoff- 
werder eine  lange  Audienz  beim  König  am  27.  nachmittags  in 
Merle.  Ihr  Verlauf  raubte  ihm  den  letzten  Zweifel  an  der  Ehr- 
lichkeit Preußens.  Der  König  versprach  selbst  seine  Unter- 
stützung in  Zweibrücken  und  fügte  sogar  dazu,  mit  Kurpfalz 
könne  man  eine  andere  als  persuasive  Sprache  reden.  Für  die 
geplante  österreichische  Erwerbung  in  Polen  Heß  er  sich  endlich 
durch  die  Betrachtung  gewinnen,  daß  die  endgültige  Abtretung 
der  preußischen  und  russischen  Anteile  durch  die  Republik  be- 
deutend erleichtert  werden  würde,  wenn  Österreich  sein  Los 
zurückgäbe.  Ich  bin  hier  doch  noch  zweifelhaft,  ob  sich  der 
König  so  deutlich,  wie  Spielmann  behauptet,  für  Österreich  ent- 
schieden hat.  Möglich  wäre  es  schon;  denn  er  ließ  sich  im  Ge- 
spräch leicht  Zugeständnisse  entreißen,  die  er  nachher  bitter 
bereute.  Wir  wissen  auch,  daß  sich  Spielmann  sehr  erfreut  über 
den  Verlauf  der  Audienz  geäußert  hat3).  Er  sagte  zu  Bischoff- 
werder, die  Unterredung  habe  alle  seine  Hoffnungen  belebt  und 
seinem  Leiden  ein  Ende  gemacht.  Er  reiste  von  Luxemburg  mit 
der  Überzeugung  ab,  daß  der  König  zwar  sehr  die  Besetzung  von 

1)  V  i  v  e  n  o  t  II  661.  Rep.  I  170.  Haugwitz  an  Schulenburg  27.  Ok- 
tober. 

2)  In  diesem  Punkte  folge  ich  nicht  der  Angabe  von  Spielmann  (V  i- 
v  e  n  o  t  II  661 ;  S  y  b  e  1 II  362),  dessen  Erinnerung  mir  durch  die  Audienz 
beim  Könige  und  eventuelle  spätere  Besprechungen  mit  Haugwitz  getrübt 
zu  sein  scheint,  sondern  der  Angabe  von  Haugwitz,  da  sein  Brief  vom 
27.  Oktober  datiert  ist  und  sehr  bestimmt  lautet  (Rep.  I  170). 

3)  Vivenot  II  649. 


406  IV.  Abschnitt 

Polen,  noch  mehr  aber  die  Fortsetzung  des  Krieges  wünsche1). 
Sicher  ist  aber  auch,  daß  der  König  nachher  anderen  Sinnes 
war.  Es  war  kein  guter  Dienst,  den  Bischoffwerder  seinem  Herrn 
leistete,  daß  er  ihn  allein  ohne  Lucchesini  dem  gewandten  Öster- 
reicher auslieferte.  So  hatte  Spielmann  hier  eigentlich  wider 
Erwarten  schon  halb  gewonnen.  Wenn  Preußen  sich  auch  die 
weitere  Teilnahme  am  Kriege  sehr  gut  bezahlen  ließ,  so  vergaß 
sich  Österreich  doch  auch  nicht2). 

Noch  ein  anderer  Weg  eröffnete  sich  aber  dem  Staatsreferendar, 
wie  ich  schon  angedeutet  habe:  die  sofortige  Besetzung  Bayerns. 
Der  Herzog  von  Braunschweig  wurde  nämlich  von  allen  Seiten 
gedrängt,  die  Franzosen  nicht  ruhig  im  Besitze  ihrer  Eroberungen 
zu  lassen.  Allein  erklärte  er  sich  dafür  aber  außerstande; 
er  verlangte  die  Mitwirkung  des  hessischen  Korps  und  von 
20  000  Österreichern3).  Diese  sollten  Heidelberg  und  Mannheim 
besetzen,  um  damit  den  Franzosen  die  Möglichkeit  zu  nehmen, 
den  Herzog  von  Süden  aus  zu  beunruhigen,  und  gleichzeitig  da- 
mit gute  Winterquartiere  sichern.  Bayern  hatte  sich  in  den 
letzten  Monaten  mehr  als  einmal  Verstöße  gegen  die  Reichs- 
verfassung  zu  schulden  kommen  lassen  und  die  Franzosen  in 
unverantwortlicher  Weise  begünstigt4).  Man  gab  ihm  sogar  den 
Fall  Speyers  schuld5).  Jedenfalls  war  Mannheim  den  öster- 
reichischen Verwundeten  zuerst  ganz  verschlossen,  dann  wurde 
ihnen  nur  der  Durchzug  gestattet6).  Sein  Anspruch  auf  Neutra- 
lität drohte  jetzt  nicht  nur  sehr  unbequem,  sondern  sogar  ge- 
fährlich zu  werden.  Er  wurde  von  den  Österreichern  jetzt  in  dem 
Zwang  der  Lage  einfach  ad  acta  gelegt7).  Die  militärische  Lage 
war  augenblicklich  derart,  daß  man  mit  einem  Verrat  Mann- 
heims an  die  Franzosen  ernstlich  rechnete.  Selbst  bei  ehrlichem 
Willen  wäre  es  wohl  auch  den  Bayern  schwer  gefallen,  den  Fran- 
zosen  lange  Widerstand  zu  leisten.     Das  Beispiel  von  Speyer, 


1)  Bericht  Lucchesinis  15.  Dezember. 

2)  Vivenot  II  649. 

3)  Bericht  Lucchesinis  6.  November.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  38: 
Lucchesini  an  Stein  31.  Oktober  1792.  Lucchesini  an  seine  Frau  5.  April 
1793. 

4)  Vivenot  II  585. 

6)  An  Cesar  22.  Oktober. 

6)  An  Lucchesini  18.  Oktober.  Politisches  Journal  1792,  S.  1135—1137. 

7)  Berichte  Cesars  31.  Oktober,  10.  November  mit  P.S.,  14.  November. 
An  Cesar  20.  November.  Bericht  Lucchesinis.  16.  November.  Vivenot 
II  702  und  656. 


Merle  407 

Worms  und  namentlich  Mainz  gab  zu  denken.  Das  Kommando 
der  österreichischen  Armee  wollte  der  Herzog  nicht  an  Hohenlohe 
übertragen  wissen  —  mit  dem  hatten  sich  in  den  letzten  Wochen 
alle  Preußen  gar  zu  heftig  gezankt  —  sondern  an  Clerfayt,  dem 
man  preußenfreundlichere  Gesinnungen  zutraute,  mit  dem  man 
überhaupt  recht  zufrieden  gewesen  war.  In  dem  ihm  gezogenen 
engen  Rahmen  hatte  er  doch  zum  mindesten  kein  Unheil  an- 
gerichtet, wie  man  es  von  dem  tüchtigeren  Hohenlohe  hatte  er- 
fahren müssen1). 

Haugwitz  hatte  sich  vor  Absendung  des  Briefes  erst  der 
Billigung  von  Spielmann  versichert  und  diesem  ein  Memoire  des 
Herzogs  vom  3.  November  überreicht.  Spielmann  wollte  an- 
fangs nicht  recht  heran.  Wo  sollte  man  so  rasch  20  000  Mann 
hernehmen2)?  Aber  da  kam  ihm  ein  prächtiger  Gedanke,  den 
ihm  die  Lage  und  die  österreichischen  Absichten  geradezu  auf- 
drängten. Die  Erzherzogin  Christine  hatte  ihn  schon  am  7.  Ok- 
tober anläßlich  der  Nachrichten  von  dem  Marsche  Custines  zu 
Fersen  ausgesprochen.  Ich  halte  es  nicht  für  ausgeschlossen, 
daß  Spielmann  aus  Brüssel  hierauf  noch  geradezu  aufmerksam 
gemacht  worden  ist,  eventuell  auch  mündlich  durch  Mercy  oder 
Thugut  in  Luxemburg.  Spielmann  sah  hier  einen  neuen  Weg, 
die  guten  Absichten  Preußens  sofort  in  reelle  Vorteile  für  Öster- 
reich umzusetzen.  Gutwillig  würden  Bayern  und  vor  allem 
Zweibrücken  jetzt  nicht  auf  den  Tausch  eingehen,  das  sah  jeder. 
Aber  Spielmann  wußte  recht  gut,  daß  Zweibrücken  dem  Plane 
überhaupt  ablehnend  gegenüberstand.  Eines  mehr  oder  weniger 
sanften  Druckes  von  Preußen  würde  es  hier  doch  immer  be- 
dürfen. Dann  konnte  man  aber  auch  mit  vereinten  Kräften 
gleich  ans  Werk  gehen  und  den  Kurfürsten  nolens  volens  zum 
Könige  von  Burgund  machen.  Den  von  dem  Herzog  an  die 
Hand  gegebenen  Anlaß  wollte  er  nun  benützen,  nicht  nur 
Heidelberg  und  Mannheim,  sondern  ganz  Bayern  zu  besetzen3). 
Es  sollte  eine  sogenannte  prise  de  possession  de  sürete  werden, 
eine   Art   Reichsexekution,    um   ein   widerspenstiges    Glied   des 


1 )  Vivenot  II  752.  Rep.  XI  89  k.  Tauenzien  an  Schulenburg 
12.  Oktober,  5.  November,  17.  Dezember  1792. 

2)  Vivenot  II  649  und  655. 

3)  Nach  Haugwitz  (P.S.  zum  1.  Dezember)  ist  diese  Idee  von  Reuß 
ausgegangen;  aber  das  ist  wohl  irrig.  Vielleicht  bezieht  sich  seine  Angabe 
auch  bloß  auf  einen  Vorschlag  in  Wien.  (Vgl.  an  Goltz  17.  November. 
An  Haugwitz  6.  Dezember.) 


408  IV-  Abschnitt 

Reichskörpers  zum  Gehorsam  zu  zwingen.    40  000  Mann,  meinte 
Spielmann,  würden  dafür  genügen. 

Haugwitz  unterbrach  seine  Reise  nach  Wien  und  ging  noch 
einmal  ins  Hauptquartier  nach  Koblenz  zurück,  um  die  Befehle 
des  Königs  einzuholen1).  Haugwitz,  der  König  und  Lucchesini 
waren  einig  in  der  Annahme  des  Vorschlages  von  Spielmann, 
Haugwitz  sicherlich  bona  fide2).  Für  den  König  möchte  ich  den 
ersten,  für  Lucchesini  den  zweiten  Punkt  in  Anspruch  nehmen 
aus  der  von  Lucchesini  redigierten  Kabinettsordre  vom  9.  No- 
vember an  das  Kabinettsministerium.  Um  die  Besetzung  eines 
Teiles  von  Polen  durch  österreichische  Truppen  unmöglich  zu 
machen,  was  Katharina  sicher  sehr  gereizt,  vielleicht  den  ganzen 
Plan  unausführbar  gemacht  hätte,  ging  er  auf  den  neuen  Vor- 
schlag ein,  der  mehr  der  alten  Abrede  entsprach  und  Preußen 
weniger  schadete.  Ja,  der  König  versteigt  sich  zu  der  Behauptung, 
darin  liege  nichts  den  preußischen  Interessen  Feindliches.  Aber 
nun  sollte  Haugwitz  auch  sofort  noch  einmal  nach  Wien  gehen, 
dort  die  preußische  Einwilligung  mitteilen,  dafür  verlangen,  daß 
Österreich  sich  für  die  preußische  Besitznahme  in  Polen  in  Peters- 
burg verwende,  da  vor  ihr  keine  Rede  von  der  Besetzung  Bayerns 
sein  könne,  ebensowenig  von  dem  Marsche  eines  einzigen  preußi- 
schen Soldaten  an  den  Rhein  zur  Verstärkung3).  Sonst  sei  schließ- 
lich Preußen  die  einzige  Macht,  die  mit  leeren  Händen  ausgehen 
müsse.  Erst  wenn  Preußen  also  die  Zustimmung  Rußlands  zum 
Einmarsch  in  Polen  habe,  dürfe  die  Sicherheitsbesetzung  Bayerns 
erfolgen4).  Je  schlechter  die  Nachrichten  aus  Petersburg  lauteten, 
um  so  wichtiger  wurde  die  österreichische  Verwendung  für  Preußen 
bei  den  Russen;  man  hoffte  jene  dadurch  zu  erzwingen,  daß  öster- 


*)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12.  L.  Au  Roi  8.  November  (falsch: 
Oktober). 

2)  Rep.  I  170.  Haugwitz  an  Scbulenburg  27.  Oktober. 

3)  Die  Bitte  von  Metternich  nach  Jemappes,  nun  durch  preußische 
Truppen  Lüttich  verteidigen  zu  lassen,  wurde  sofort  abgelehnt.  Sie  wäre 
in  der  Tat  unerfüllbar  gewesen  (Bericht  Lucchesinis  16.  November.  Metter- 
nich an  Reuß  10.  November.    Lucchesini  an  Reuß  14.  November). 

4)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12.  L.  Au  Roi  8.  November.  Rep.  96, 
147  G  III  und  Rep.  9 — 272,  Rapports  I.  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinetts- 
ministerium 9.  November.  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium 
10.  November.  Bericht  Lucchesinis  10.  November.  Rep.  92  Lucchesinis 
Nachlaß  38:  Lucchesini  an  Stein  31.  Oktober.  An  Haugwitz  20.  und 
23.  November,  1.  Dezember.  Bericht  Haugwitz'  8.  Dezember.  An  Goltz 
17.  November. 


Merle 


409 


reich  sie  in  eigenem  Interesse  leisten  mußte1).    Hierin  beharrte 
Friedrich  Wilhelm  also  völlig  auf  der  Note  von  Merle. 

Haugwitz  reiste  in  der  festen  Überzeugung  ab,  in  Wien  keine 
Schwierigkeiten  mehr  zu  finden2).  Dann  erst,  nach  Erledigung 
dieser  Aufgabe,  konnte  er  seinen  Posten  im  Kabinettsministerium 
antreten3).  Die  Stelle  beim  König  hatte  nicht  er,  sondern  Luc- 
chesini  auszufüllen,  und  wir  dürfen  den  allerverschiedensten 
Quellen  glauben,  daß  Friedrich  Wilhelm  mehr  als  zufrieden  mit 
ihm  war.  Der  König  dachte  nun  aber  doch,  Anfang  Dezember 
in  Berlin  zu  sein.  Er  mußte  dann  den  Termin  immer  weiter 
hinausschieben,  bis  er  den  Gedanken  ganz  aufgab,  diesen  Winter 
nach  Berlin  zurückzukommen.  Lucchesini  sollte  zuerst  nach 
Brüssel  gehen,  um  die  Friedensverhandlungen  mit  Frankreich, 
die  jeden  Augenblick  beginnen  konnten,  mit  den  dafür  bestimmten 
Österreichern  Mercy  und  Thugut  zu  führen.  Er  erhielt '  dafür 
wie  für  die  Niederlande  als  mutmaßlicher  Nachfolger  von  Reck 
besondere  Beglaubigungsbriefe.  Aber  das  war  nur  als  Übergang 
gedacht.  Schon  am  21.  Oktober  hatte  Friedrich  Wilhelm  ihm 
angekündigt,  daß  er  ihn  nach  Wien  schicken,  aber  erst  die  öster- 
reichische offizielle  Zustimmung  haben  wollte,  die  Spielmann  für 
sich  schon  gegeben  hatte.  Dort  war  er  auch  in  erreichbarer  Nähe, 
wenn  man  sich  in  Berlin  wieder  einmal  nicht  helfen  konnte. 
Denn  eine  Stelle  im  Kabinettsministerium  hatte  er  rundweg  ab- 
gelehnt4). Er  zog  einen  ruhigen  Posten  im  Auslande  vor,  der 
vor  allem  auch  gut  dotiert  sein  mußte  —  sparsam  war  ja  der 
Marquis  mehr  als  genug  zum  Ärger  seiner  Frau.  Er  benützte 
die  Gelegenheit,  sich  von  Friedrich  Wilhelm  finanzielle  Vorteile 
zu  verschaffen5).  10  000  Taler  erhielt  er  vom  Könige6).  Aber 
es  blieb  ihm  doch  schließlich  nichts  anderes  übrig7),  als  noch  bei 
der  Armee  oder  vielmehr  beim  Könige  zu  bleiben,  bis  wenigstens 
Haugwitz  da  war,  den  er  als  Ersatzmann  vorgeschlagen  hatte8). 


1)  Berichte  Lucchesinis  6.,  10.,  12.  November.    Friedrich  Wilhelm  an 
Franz  12.  November.     Friedrich  Wilhelm  an  Haugwitz  12.  November. 

2)  Bericht  Lucchesinis  20.  November. 

3)  An  Haugwitz  25.  Dezember. 

4)  Carisien  131 — 132.  Lucchesini  an  seine  Frau  15.  November  1792. 

5)  Desgleichen  8.  und  10.  Dezember. 

6)  Lucchesini  an  seine  Frau  21.  Dezember  1792. 

7 )  Er  fügte  sich  damit  den  dringenden  Bitten  Schulenburgs  und  seiner 
Kollegen  und  dem  Wunsche  des  Königs. 

8)  Lucchesini  an  Schulenburg  22.  Dezember  in  Rep.  XI  89  k.    Lucche- 
sini an  seine  Frau  28.  Dezember. 


410 


IV.  Abschnitt 


n 


Jedoch  der  Versuch  scheiterte  bald.  Der  König  und  Haugwitz 
waren  darin  einig,  ihn  zu  loben,  und  so  reiste  dieser  nach  etwa 
zweimonatlicher  Anwesenheit  (Februar  und  März)  aus  dem 
Hauptquartier  wieder  nach  Berlin  zurück,  wo  er  es  besser  hatte. 
Lucchesini  blieb  da,  immer  noch  auf  dem  Sprunge,  an  dem  ge- 
planten Kongreß  teilzunehmen,  da  ein  anderer  Preuße  dafür 
schlechterdings  nicht  in  Betracht  zu  kommen  schien1).  Erst  als 
der  König  die  Armee  verließ,  konnte  er  nach  Wien  gehen,  um 
bald  wieder  aus  seiner  Ruhe  abberufen  zu  werden2). 

Den  Österreichern  bot  sich  hier  jedenfalls  eine  Aussicht,  wie  sie 
sie  vorher  vergeblich  gesucht  hatten.  War  Bayern  einmal  mit  preu- 
ßischer Hilfe  von  ihnen  besetzt,  so  hätten  wohl  alle  späteren 
Klagen,  Proteste  u.  dgl.  nichts  mehr  genützt.  Es  gehörte  rasches 
Ergreifen  des  günstigen  Augenblicks  dazu  und  der  ungestörte  Be- 
sitz der  Niederlande.  Aber  schon  am  6.  November  war  Jemappes 
geschlagen,  bald  darauf  die  ganzen  Niederlande  für  Österreich  ver- 
loren, und  in  Wien  trug  man,  auch  ohne  davon  zu  wissen,  doch  recht 
viele  Bedenken,  auf  die  provisorischen  Abmachungen  im  Haupt- 
quartier einzugehen.  Es  fehlte  an  Entschlossenheit  und  Ehrlichkeit. 

Spielmann  langte  am  25.  November  abends  in  Wien  an; 
Haugwitz,  der  am  10.  von  Koblenz  abgereist  war,  traf  am  25. 
mittags  dort  ein3).      Friedrich  Wilhelm  sandte  ihm  noch  ein 


1)  Schulenburg  an  Lucchesini  29.  Dezember  in  Rep.  92.  Lucchesinis 
Nachlaß  37  und  Rep.  XI  89  k. 

2)  Lucchesini  an  seine  Frau  27. ,  28.  Oktober;  1.,  5.,  IL,  13.,  15.,  16.,  18., 
20.,  23.  November;  7.,  8.,  10.,  12.,  17.,  21.  Dezember  1792;  18.  und 28.  Januar 
1793.  Rep.  9 — 272  Rapports  I.  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium 
26.  Oktober.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12.  Friedrich  Wilhelm  an 
Lucchesini  21.  Oktober.  Rep.  9 — 272  Korrespondenz  mit  Möllendorff. 
Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  27.  Oktober.  Rep.  XI  89  k. 
Lucchesini  an  Schulenburg  22.  Dezember.  Schulenburg  an  Lucchesini 
29.  Dezember.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  37.  Schulenburg  an  Lucchesini 
13.  November,  16.  Dezember  1792,  8.  Januar  und  16.  Januar  1793.  Nr.  31: 
Haugwitz  an  Lucchesini  21.  Januar  und  4.  Februar  1793.  Rep.  92  Cesars 
Nachlaß  21:  Lucchesini  an  Cesar  29.  Dezember  1792  und  4.  April  1793. 
Berichte  Lucchesinis  21.  Oktober,  1.,  10.,  12.,  16.  und  24.  November;  10., 
12.,  18.  Dezember.  An  Lucchesini  8.  November  mit  Vollmachten  vom 
8.  November,  17.,  19.,  24.,  29.  November,  13.,  17.,  19.,  24.  Dezember. 
Rep.  96,  155  E.  Friedrich  Wilhelm  an  Haugwitz  22.  Dezember.  Bericht 
Lucchesinis  16.  Januar.    An  Lucchesini  21.  Januar  1793. 

3)  S  y  b  e  1 III  177.  Cesar  an  die  Minister  27.  November  in  Rep.  I  170. 
Lucchesini  an  seine  Frau  7.  Dezember.  Die  Denkschrift  Haugwitz'  gibt 
versehentlich  den  26.  an,  sagt  aber  ausdrücklich,  Haugwitz  sei  mit  Spiel- 
mann zusammen  angekommen.     Politisches  Journal  1792,  S.  1367 — 1368. 


Wien  411 

freundliches,  aber  entschiedenes  Handschreiben  an  Franz  nach, 
der  ihn  am  29.  Oktober  zur  Fortsetzung  des  Krieges  aufgefordert 
hatte,  worin  sich  Friedrich  Wilhelm  auf  die  Note  von  Merle 
bezog.  Dazu  erhielt  Haugwitz  einen  Brief,  den  er  weitergeben 
sollte.  Der  König  ermahnte  ihn  darin  zur  Festigkeit  und  be- 
schwerte sich  zugleich  über  Hohenlohe1).  Noch  war  nichts  fest 
abgemacht2).    Was  beabsichtigte  man  in  Wien? 


2.  Kapitel 

Wien 


I. 

Zwei  Dinge  wünschte  das  österreichische  Kabinett  im  Sep- 
tember zu  erreichen:  raschen  Frieden  mit  Frankreich  und  eine 
anständige  Entschädigung  für  die  Kriegskosten,  die  der  preußi- 
schen gleichwertig  war  und  gleichzeitig  mit  ihr  in  Österreichs 
Besitz  kam3).  Für  beides  schienen  die  Aussichten  nicht  sehr 
günstig  zu  sein.  Man  wünschte  die  Wiederherstellung  der  Macht 
des  Königtums  in  bescheidenen  Grenzen  zu  erlangen;  aber  dies 
schien  sich  nur  ermöglichen  zu  lassen  durch  Verhandlungen  mit 
der  Nation.  Denn  Welches  auch  die  Wendung  sein  mochte,  die 
Ludwigs  Schicksal  erhielt,  ob  er  in  Paris  ermordet  oder  dort 
Weiter  gefangen  gehalten  oder  nach  dem  Süden  verschleppt  wurde, 
immer  mußte  man  versuchen,  mit  dem  gemäßigten  Teil  des 
Konventes  anzuknüpfen,  um  ihm  zu  helfen.  Schon  rechnete  man 
mit  dem  eventuellen  Zerfall  Frankreichs  in  seine  Bestandteile. 
So  trat  die  Nation  in  den  Vordergrund,  und  es  bedurfte  nur  noch 
weniger  Schritte  bis  zu  dem  Standpunkt,  sich  mit  Ludwigs  per- 
sönlicher Freiheit  zu  begnügen  und  die  Republik  anzuerkennen, 
endlich  Ludwigs  Schicksal  ganz  fallen  zu  lassen,  um  sich  damit 
den  Frieden  und  die  Entschädigung  zu  erkaufen.  Man  wagte 
Wohl  nur  noch  nicht,  sich  diese  notwendige  Konsequenz  seines 
Handelns   einzugestehen.      Das   stand   den    Österreichern   aber 


1)  Vivenotll  642.  Bericht  Lucchesinis  12.  November.  Friedrich  Wil- 
helm an  Franz  12.  November.  Friedrich  Wilhelm  an  Haugwitz  12.  November. 

2)HäußerI  400. 

3)  Vi  veno  t  II  545—551,  556,  558—559,  561—562,  578.  Zeiß- 
b  e  r  g,  Karl-Hohenlohe  51.  Politisches  Journal  1792,  S.  957,  1005—1006, 
1083—1085,  1135—1137,  1171—1173,  1212,  1367—1368,  1379. 


412  IV.  Abschnitt 

ebenso  fest,  daß  die  Zuwage  zu  dem  Tausch  auf  Frankreichs 
Kosten  gesucht  werden  mußte;  nur  zur  Sicherheit  gegenüber 
Preußen  und  Kußland  sollten  ja  österreichische  Truppen  mit 
denen  dieser  Mächte  in  Polen  einmarschieren.  Man  war  sicher, 
daß  die  Preußen  ohne  Eroberung  nicht  wieder  aus  Polen  abziehen 
würden,  und  eine  einseitige  preußische  Erwerbung,  sei  es  nun  in 
Polen  oder  in  Jülich-Berg,  wollte  man  durchaus  nicht  dulden, 
es  eher  auf  den  Bruch  ankommen  lassen.  Gleichzeitig  mit  der 
polnischen  Teilung  mußte  daher  der  Tausch  Belgiens  gegen 
Bayern  dem  erstaunten  Europa  bekannt  gegeben  werden  können, 
aber  auch  die  Eroberung  der  Zuwage  gegen  Frankreich.  Deshalb 
wollte  man  lieber  einen  zweiten  Feldzug  führen,  als  sich  Preußen 
gegenüber  benachteiligen  lassen.  -  Für  ihn  galt  es  nun  gleich, 
sich  gute  Winterquartiere  zu  sichern.  Dazu  gehörte  auch  die 
Eroberung  einer  Anzahl  von  Festungen  in  Feindesland. 

Da  kamen  nun  die  Unglücksnachrichten1)  von  dem  Einfall 
der  Franzosen  in  Savoyen,  von  den  Verhandlungen  Preußens 
mit  den  französischen  Generalen,  von  dem  Rückzug  nach  Verdun, 
dem  aus  Frankreich  überhaupt ;  sie  wirkten  um  so  schlimmer,  als 
man  sich  hier  zuerst,  gestützt  auf  falsche  Nachrichten,  bis  zum 
Kaiser  und  zu  Kaunitz  hinauf  den  schönsten  Hoffnungen  hin- 
gegeben hatte2).  Dazu  hörte  man  von  dem  Fall  von  Speyer, 
Worms  und  Mainz.  Sie  konnten  die  österreichische  Regierung 
im  Gegensatz  zum  Volke  und  zu  Kaunitz  nur  in  der  einmal  an- 
genommenen Haltung  bestärken.  Freilich  gab  es  eine  starke 
Partei  auch  am  Hofe,  die  von  einer  Fortsetzung  des  Krieges 
nichts  wissen  und  auf  möglichst  billige  Bedingungen  hin  ab- 
schließen wollte3).  Ihr  Wortführer  war  eben  der  alte  Kaunitz, 
der  seinen  Kredit  beim  Publikum  damit  äußerlich  sehr  hob  und 
den  Spielmanns  herabdrückte.  Er  war  noch  vorsichtiger  als  früher 
geworden.  Das  Volk  stimmte  ihm  natürlich  bei;  denn  was  hatte 
es  von  dem  Kriege?  Nur  höhere  Steuern,  wenn  sie  auch  erst  in 
Aussicht  waren.  Wenn  der  Krieg  länger  als  zwei  Jahre  dauerte, 
schien  der  Ruin  des  Landes  besiegelt  zu  sein.  Dazu  kamen  dann 
allerlei  Unannehmlichkeiten4).     An  Eroberungen  konnte  einem 


*)  Vi  veno  t  II  565,  586,  591—592. 

2)  Berichte  Cesars  10.  und  13.  Oktober. 

3)  Hau  ß  er  I  397.     Berichte  Cesars  6.,  13.,  17.  Oktober. 

*)  Haugwitz  an  die  Minister  4.  September  mit  Beilagen.  Die  Minister 
an  Haugwitz  11.  September.  Berichte  Cesars  15.,  19.,  26.  September; 
3.,  17.,  20.  mit  P.S.,  31.  Oktober,  7.  November. 


Wien  413 

Österreicher,  sofern  er  nicht  gerade  zu  der  herrschenden  Partei 
gehörte,  damals  nichts  liegen1).  Kurz,  Unzufriedenheit,  wohin 
man  blickte. 

Gerade  auf  Eroberungen  aber  kam  es  der  Regierung  an. 
Freilich,  auch  sie  hätte  den  ganzen  Winter  hindurch  noch  sehr 
gern  den  Krieg  durch  einen  raschen  Frieden  beendigt;  denn  ob 
man  auf  kriegerischem  Wege  wirklich  zu  dem  gewünschten  Ab- 
schluß kommen  werde,  war  manchem  von  ihnen  doch  ein  großes 
Problem2).  Aber  wie  eines  mit  dem  anderen  verbinden?  Was 
nützte  es  den  Österreichern,  wenn  sie  Ludwigs  Stellung  preis- 
gaben, die  Republik  anerkannten  (nur  das  häßliche  Wort  ver- 
mied man  noch),  die  Emigranten  zerstreuten  und  nur  das  Leben 
und  eine  anständige  Pension  für  Ludwig  forderten,  die  ideelle 
Seite  des  Kampfes  also  völlig  preisgaben?  Aussicht  auf  Ver- 
ständigung war  wegen  der  gewünschten  Eroberungen  doch- nicht 
zu  erzielen3).  Ja  es  ist  sehr  fraglich,  ob  Frankreich  sich  auch  nur 
dazu  herbeigelassen  hätte,  Friedensanträge  bei  Österreich  vorzu- 
bringen, worauf  dies  in  falscher  Schätzung  der  Lage  noch  bestand4). 
Mercy  erkannte  sehr  wohl,  daß  man  zwar  dem  Kriege  durch  die 
Preisgabe  der  Gegenrevolution,  der  Emigranten  und  für  den 
Augenblick  auch  der  Monarchie  ein  völlig  anderes  Gepräge  ge- 
geben habe,  daß  aber  ein  sicherer  Frieden  erst  nach  einem  sieg- 
reichen Feldzuge  möglich  sei,  wo  man  die  Niederlande  durch  einen 
Festungsgürtel  vor  den  Franzosen  geschützt  habe5).  Man  hatte 
eine  Niederlage  erlitten  und  mußte  sie  erst  in  eklatanter  Weise 
wieder  gutmachen;  sonst  schwoll  den  Franzosen  so  sehr  der 
Kamm,  daß  sie  aus  Verteidigern  zu  Angreifern  wurden.  Ich 
glaube,  auch  Kaunitz  hätte  mit  seinen  Plänen  kein  Glück  gehabt, 
da  er  prinzipielle  Forderungen  der  Revolution  ablehnte  und  Zu- 
stände rückgängig  machen  wollte,  die  nicht  mehr  zu  ändern 
waren  (Reichsfürsten,  Avignon). 

Wenn  man  nun  aber  doch  Krieg  führen  wollte,  so  galt  es, 

1 )  Vivenot  II  616—618.  Berichte  Cesars  19.  September,  3.  und 
6.  Oktober. 

2)  V  i  v  e  n  o  t  II  630  und  650;  Zeißberg,  2  Jahre,  224—225  und 
Zeißberg,  Karl  -  Hohenlohe  52—53;  Sorel  III  130;  Vivenot, 
Zur  Genesis  33. 

3)  Vivenot  II  604—605,  615,  629—630,  650,  653—654,  660.  Be- 
richte Cesars  20.  Oktober,  7.  und  25.  November. 

4)  Vivenot  II  654;  Ranke,  Denkwürdigkeiten  des  Staatskanzlers 
Fürsten  von  Hardenberg  (Leipzig  1877)  Bd.  5,  S.  37—38. 

5)Bacourt-Städtler  III   388—394. 


414  IV.  Abschnitt 

allem  die  beste  Seite  abzugewinnen.  Dahin  gehörte  zunächst 
die  Interessierung  von  ganz  Europa  für  den  Krieg,  der  jetzt  nur 
noch  den  österreichischen  Interessen  dienstbar  gemacht  werden 
sollte,  den  aber  mit  eigener  Kraft  allein  siegreich  zu  beendigen 
man  kaum  noch  Hoffnung  hatte1).  Jeder  sollte  etwas  dazu  bei- 
tragen, da  jeder  bedroht  sei.  Noch  mehr  kam  natürlich  das  Reich 
in  Frage,  das  sich  bisher  in  unverzeihlicher  Schwäche  habe  miß- 
handeln lassen  und  das  auf  die  Vorstellungen  Österreichs  nicht 
habe  hören  wollen2),  das  längst  das  Unglück  vorausgesagt  habe3). 
Wenn  es  selbst  nichts  zu  seiner  Verteidigung  tue,  so  würden  auch 
die  Mächte  es  müde  werden,  sich  unnötig  zu  opfern,  und  von 
einer  Entschädigung  für  die  Verluste  der  Fürsten  könne  dann 
natürlich  keine  Rede  sein4).  Man  dürfe  nur  den  Mut  nicht  gleich 
sinken  lassen.  Solche  Rückschläge  seien  nun  einmal  im  Kriege 
nicht  zu  vermeiden.  Alle  Stände  suchte  man  für  die  „gute  Sache" 
in  den  Harnisch  zu  bringen,  von  Sachsen  angefangen,  das  sich 
zur  Stellung  von  8000  Mann  freiwillig  erboten  hatte,  bis  zu  den 
Reichsrittern  hinab5).  Man  erreichte  ja  auch  erst  die  Aufstellung 
eines  Triplums,  dann  nach  langem  Zögern  endlich  die  Erklärung 
des  Reichskrieges. 

Dahin  gehörte  aber  vor  allem  die  Schonung  der  preußischen 
Empfindlichkeit.  Man  hatte  scheinbar  alle  Ursache,  mit  dem 
Genossen  unzufrieden  zu  sein.  Der  Herzog  von  Braunschweig 
hatte  sich,  immer  nach  der  österreichischen  Ansicht,  glänzend 
blamiert.     Er  hatte  einen  Krieg  geführt,  ohne  die  geheiligten 

1)  ibid.  III  396,  405—406;  Vivenot  II  596—597,  601,  613,  647, 
657—659,  670,  761,  768;  Zeißberg,  2  Jahre,  224—229;  Heigel  II 
84—85. 

2)  Vivenot  II  593—594,  600,  607—609,  611,  622,  633—635,  670, 
685.    Berichte  Cesars  7.  und  21.  November.    An  Haugwitz  12.  November. 

3)  Vivenot  II  607—608.  Ph.  Cobenzl  an  Schlick  und  Westphalen 
17.  Oktober:  „Die  traurige  Möglichkeit  dessen,  was  geschah,  sah  man  wohl 
vor,  und  daher  war  man  schon  vor  geraumer  Zeit  so  sehr  bemüht,  die 
vorliegenden  Reichskreise  zur  Armierung  zu  bewegen  und  zu  nachdrück- 
lichen Defensionsanstalten  aufzumuntern."  Vgl.  damit  Vivenot  II 
609.  Ph.  Cobenzl  an  Borie  19.  Oktober:  „Der  unglückliche  Einfall  in  das 
Reich,  der  die  Gegenden  am  Rhein  so  sehr  in  Schrecken  gesetzt,  ist  als 
ein  im  Kriege  auf  einer  oder  der  anderen  Seite  unvermeidliches  Unglück 
zu  betrachten,  worüber  sich  nach  geschehener  Sache  freilich  viel  sagen 
läßt,  an  das  man  anfangs  zu  denken  keine  Ursache  hatte."  Man  sieht, 
wie  viel  Wert  man  auf  derartige  Trostworte  legen  darf. 

4)  V  i  v  e  n  o  t  II  607—608,  743—744,  751,  763—765.  Bericht  Cesars 
31.  Oktober. 

5)  Vi  veno  t  II  678. 


Wien  415 

Regeln  zu  beachten,  und  war  daran  gescheitert1).  Die  öster- 
reichischen Generale2)  sprachen  offen  davon,  nicht  länger  unter 
ihm  dienen  zu  wollen ;  unter  Friedrich  Wilhelm  —  das  wäre  eine 
ganz  andere,  sehr  wünschenswerte  Sache3).  Dadurch  hoffte  man 
Friedrich  Wilhelm  auch  dazu  zu  bringen,  seine  Truppen  über  die 
vorgesehene  Stärke  hinaus  zu  vermehren.  Aber  hierzu,  wie  zu 
dem  Kommando  überhaupt,  wollte  sich  wieder  der  König  aus 
leicht  begreiflichen  Gründen  nicht  verstehen4).  Die  persönliche 
Integrität  des  Herzogs  war  scheinbar  in  Wien  auch  nicht  über 
jeden  Zweifel  erhaben5).  Seine  Unterhandlungen  waren  mehr 
als  verdächtig.  Nur  die  Preußen  jedenfalls  hatten  davon  den 
Vorteil  gehabt,  sich  ungefährdet  zurückziehen  zu  können;  die 
Österreicher  waren  stets  beunruhigt  worden.  Man  hörte  ferner 
von  einer  Reise  Lucchesinis  nach  Paris6).  Der  Schluß  lag  allzu- 
nahe, daß  Preußen  aus  dem  Kriege  überhaupt  ausscheiden  wolle7). 
Die  Berichte  im  Moniteur,  die  trotz  Cesars  wiederholter  Bitte 
kein  offizielles  Dementi  von  preußischer  Seite  erhalten  zu  haben 
scheinen8),   gaben  diesem  Verdacht  Nahrung   mehr  als  genug. 


x)  Berichte  Cesars  17.  und  20.  Oktober  P.S.,  24.  Oktober,  10.  No- 
vember P. S.    Cesar  an  die  Minister  20.  Oktober.     Häußer  I  395. 

2)  Hohenlohe  und  Lacy  waren  ihre  Wortführer.  Dieser  strebte  scheinbar 
selbst  nach  dem  Kommando  über  die  österreichische  Armee.  (Berichte 
Cesars  20.  und  31.  Oktober,  17.  November.) 

3)  Berichte  Cesars  24.  und  31.  Oktober,  23.  November.  Cesar  an  die 
Minister  24.  Oktober.    An  Cesar  2.  November. 

4)  Bericht  Lucchesinis  10.  November. 

5)  V  i  v  e  n  o  t  II  752.     Vgl.  oben. 

6)  Berichte  Cesars  31.  Oktober  und  10.  November.  Lucchesini  an 
seine  Frau  24.   Dezember. 

7)  Vivenot  II  603,  629,  632. 

8)  H  e  i  g  e  1  II  71—72.  Berichte  Cesars  17.  und  20.  Oktober.  Cesar 
an  die  Minister  20.  Oktober.  Berichte  24.  und  31.  Oktober,  24.  November. 
H  ä  u  ß  e  r  I  397.  Der  nächste  dazu  wäre  natürlich  der  Herzog  von  Braun- 
schweig gewesen,  der  persönlich  kompromittiert  worden  war  und  seinen 
Ruf  durch  die  Ablehnung  des  Triplums  in  Regensburg  auch  nicht  gerade 
verbesserte  (Lucchesini  an  seine  Frau  24.  Dezember.  Bericht  Lucchesinis 
23.  Dezember.  An  Lucchesini  27.  Dezember.  Rep.  96,  147  G  III:  F.  S.A. 
Au  Roi  30.  November.  An  Lucchesini  3.,  8.,  10.,  15.  Dezember).  Aber  er 
hütete  sich  wohl,  und,  wie  Lucchesini  schrieb,  das  Schlimmste  war  noch 
nicht  einmal  gedruckt.  Kaikreuth,  dieser  unberechtigte  Unterhändler 
(negociateur  illegitime,  an  Lucchesini  19.  Dezember),  als  der  er  sich  schon 
in  Holland  gezeigt  hatte,  hatte  gar  zu  unvorsichtig  seiner  Vorliebe  für  die 
französische  Allianz,  seinem  Widerwillen  gegen  die  österreichische  die 
Zügel  schießen  lassen  und  gesagt,  wenn  man  ihn  hätte  gewähren  lassen, 
so  hätte  er  in  vierundzwanzig   Stunden  dem  preußischen   Staate  einen 


416  IV.  Abschnitt 

Es  hätte  gar  nickt  erst  der  mannigfachen  Nachrichten  von  der 
österreichischen  Armee  und  namentlich  von  dem  Statthalter- 
paar aus  Belgien  bedurft,  um  die  österreichische  Regierung  arg- 
wöhnisch zu  machen1).  Dem  König  traute  man  zwar  einen 
offenen  Bundesbruch  nicht  recht  zu;  aber  seine  Minister,  Luc- 
chesini  an  der  Spitze,  konnten  ihn  schließlich  doch  herum- 
bekommen. In  Reuß  schien  man  auch  keinen  schneidigen  Ver- 
treter der  österreichischen  Interessen  an  Ort  und  Stelle  zu  haben; 
nicht  einmal  berichten  konnte  er  häufig,  und  Spielmann  ebenso- 
wenig2). Alle  diese  Nachrichten  konnten  die  Stellung  des  Mini- 
steriums nur  erschüttern,  das  seine  Politik  auf  ein  Einvernehmen 
mit  Preußen  begründet  hatte3).  Merklich  trat  die  Gegenpartei 
unter  Colloredo  und  Lacy  hervor.  Aber  ein  Wechsel  hätte  den 
drohenden  Bruch  wohl  nur  noch  beschleunigt.  Der  Kaiser  hielt 
also  an  sich,  beruhigte  den  erzürnten  Staatsvizekanzler,  der  unter 
der  Arbeitslast  fast  erlag  und  sehnsüchtig  Spielmann  herbei- 
wünschte, um  einen  Gehilfen  bei  dem  schwierigen  Werke  zu  haben, 
Preußen  reinzuwaschen,  während  er  selbst  an  seine  Unschuld 
nicht  glaubte4). 

Denn  alles  das  mußte  man  geflissentlich  übersehen5),  wenn 
man  sich  Preußens  Teilnahme  an  dem  zweiten  Feldzug  sichern 
wollte.  Kaunitz  setzte  sich  jetzt  persönlich  für  das  Bündnis  mit 
Preußen  ein,  obwohl  er  die  Absichten  der  Regierung  nicht  billigte, 
vielmehr  noch  immer  den  Frieden  wünschte  und  für  durchführ- 
bar hielt  (die  Zuwage  gab  er  jedoch  preis),  bis  ihn  die  Kriegs- 


doppelten großen  Vorteil  verschafft:  einen  glorreichen  Frieden  mit  Frank- 
reich und  den  Bruch  der  österreichischen  Allianz.  Das  kam  Reuß  und  den 
österreichischen  Generalen  zu  Ohren.  War  es  ein  Wunder,  daß  sie  da 
argwöhnisch  wurden?  Ein  Dementi  war  also  wirklich  nicht  gut  mög- 
lich, ohne  in  seiner  Bedeutungslosigkeit,  Wahrheitswidrigkeit  sofort 
in  Wien  erkannt  zu  werden  (Berichte  Lucchesinis  15.  und  18.  Dezember. 
Rep.  9 — 272  Rapports  I.  Die  Minister  unter  sich  25.  und  26.  Oktober. 
Rep.  96,  147  G  III:  F. S.A.  Au  Roi  26.  Oktober). 

*)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  31.  Lucchesini  an  Haugwitz  22.  No- 
vember. 

2)  Berichte  Cesars  20.  Oktober  P.S.,  24.  Oktober,  3.  November, 
21.  und  23.  November.  Cesar  an  die  Minister  (21.  Oktober).  An  Cesar 
26.  Oktober,  an  Haugwitz  9.  November. 

3 )  V  i  v  e  n  o  t  II  648.  Berichte  Cesars  10.  P.  S.,  21.  und  25.  November. 
i)  Bericht  Cesars  21.  November. 

5)  Häußer  I  400;  Vivenot  II  629—630,  641—643,  646,  694. 
Berichte  Cesars  20.,  24.,  31.  Oktober,  3.,  14.,  23.,  24.  November.  Z  e  i  ß- 
b  e  r  g  ,  2  Jahre,  174—175  und  179. 


Wien  417 

ereignisse  eines  anderen  belehrten1).  Nur  ganz  vorsichtig  deutete 
die  österreichische  Regierung  an,  daß  sie  gern  Aufklärung  über 
die  sonderbaren  Vorgänge  im  preußischen  Lager  hätte2).  Man 
ließ  auch  Reuß  auf  seinem  Posten  zur  Freude  der  Preußen3). 
Man  mußte  sein  Einverständnis  mit  Preußen  überhaupt  größer 
darstellen,  als  es  war4),  und  allen  Tadel,  besonders  des  Herzogs 
von  Braunschweig,  durch  seine  Vertreter  unterdrücken.  Ja,  man 
mußte  sogar  sein  Bedauern  darüber  aussprechen,  daß  die  Elemente 
einer  so  ruhmreichen  Armee  unter  dem  ersten  Feldherrn  Europas 
den  scheinbar  schon  sicheren  Lorbeer  unter  den  Händen  weg- 
gezogen hatten,  und  mußte  seinerseits  kräftig  auftreten,  keinen 
Zweifel  an  der  Fortsetzung  des  Krieges  mit  ganzer  Kraft  bis  zur 
glücklichen  Beendigung  lassen5).  An  Österreich  sollte  es  nicht 
liegen,  daß  er  mit  dem  zweiten  Feldzuge  nicht  beendigt  sei6). 
20  000  Mann  erhielten  Befehl,  möglichst  rasch  ins  Reich  abzu- 
marschieren, 12  000  nach  den  österreichischen  Vorlanden  und 
10  000  nach  der  Lombardei7),  also  zusammen  42  000  Mann.  Dazu 
kamen  dann  nachträglich  noch  fünf  Bataillone,  gleichfalls  für 
die  Lombardei8).  Die  Ausführung  dieser  Befehle  verzögerte  sich 
aber  derart,  daß  Lucchesini  mit  Recht  schrieb,  die  Österreicher 
beeilten  sich  langsam9).  Das  alles  geschah  natürlich  nur  im  In- 
teresse des  Reiches,  das  man  so  bei  der  Ehre  packen  wollte  — 
das  eigene  schob  man  absichtlich,  soweit  es  ging,  in  den  Hinter- 
grund. Dazu  hoffte  man  von  Preußen  womöglich  ebenso  starke 
Nachschübe  an  den  Rhein  zu  erwirken10).    Nach  österreichischer 

1)  Berichte  Cesars  17.  und  20.  Oktober,  7.  und  25.  November.  Cesar 
an  die  Minister  24.  Oktober. 

2)  Berichte  Cesars  3.  und  7.  und  10.  November.  Cesar  an  die  Minister 
8.  November.  Das  Verdienst  Lucchesinis  um  die  Erhaltung  des  österreichisch- 
preußischen Einverständnisses  war  also  doch  nicht  so  groß,  wie  er  es  gern 
darstellte  (Lucchesini  an  seine  Frau  13.  November). 

3)  Berichte  Cesars  24.  Oktober,  3.,  10.,  14.  November.  An  Cesar 
26.  Oktober.  Rep.  9— 272  Rapports  I:  Finckenstein  25.  Oktober.  Ph. 
Cobenzl  begünstigte  Reuß. 

4)  Vi  veno  t  II  573,  607—608,  634. 

5)  V  i  v  e  n  o  t  II  619,  629,  638—639,  641—643,  652,  656,  666.  Berichte 
Cesars  20.  Oktober,  3.,  7.,  10.,  24.  November. 

6)  Bericht  Cesars  7.  November. 

7)  Desgleichen  3.  November. 

8)  Desgleichen  17.  November. 

9)  Bericht  Lucchesinis  10.  Januar  1793. 

1  °)  V  i  v  e  n  o  t  II  650,  660,  666,  693—694.  Bericht  Cesars  3.  November. 
Alvensleben  9.  November.  An  Haugwitz  9.  November.  An  Lucchesini 
17.  Dezember.     S  y  b  e  1  III  177. 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution        27 


418  IV.  Abschnitt 

Ansicht  war  ja  stets  dann  das  allgemeine  Interesse  in  Gefahr, 
wenn  österreichisches  Gebiet  bedroht  war. 

Aber  für  den  nächsten  Feldzug  wollte  man  doch  womöglich 
dem  Herzog  von  Braunschweig  keine  österreichischen  Truppen 
mehr  unterstellen.  Man  hörte  auch  schon,  daß  Preußen  mit  ihm 
unzufrieden  sei1).  Das  galt  es  auszunützen.  Man  fragte  zwar 
bei  dem  Herzog  nach  seinem  Plan  für  1793,  vermied  es,  selbst 


1)  Politisches  Journal  1792,  S.  1194,  1250,  1252,  1264.**  Lucchesini 
an  seine  Frau  13.  November:  ...  tu  sais,  combien  j'estimais,  combien 
j'idealisais  le  Duo  de  Brunsvic.  L'Europe  entiere  le  placait  a  cote  du  grand 
Frederic  dans  l'art  de  la  guerre.  Et  certes,  ses  talents,  sa  bravoure,  son 
zele  sont  admirables,  mais  son  caractere  precautionneux,  son  excessive 
sensibilite  sur  sa  reputation  militaire  lui  ayant  fait  craindre  le  moindre 
echec,  l'a  conduit  au  point  de  manquer  toute  l'entreprise.  Je  le  compare 
ä  un  Komme  qui  craignant  aventurer  un  ecu  sur  une  carte  ne  s'apercoit 
point  qu'il  joue  de  tout  son  reste  et  se  trouve  en  effet  d'avoir  perdu.  II 
voudrait  sortir  de  cette  position  humiHante  et  voudrait  qu'une  prompte 
paix  le  met  hors  de  jeu  sans  que  l'on  put  dire  qu'il  a  perdu  la  con- 
fiance  des  souverains,  qui  lui  avaient  donne  leurs  armees  ä  Commander, 
et  l'attachement  des  soldats  qu'il  a  prefere  de  faire  mourir  de  faim  et  de 
la  dysenterie  plutot  que  les  mener  a  l'ennemi  qu'ils  meprisent  et  qu'ils  ont 
toujours  repousse  avec  honneur  plus  d'une  fois  avec  succes.  De  la  est 
venu  son  malheureux  penchant  pour  les  negociations  directes  avec  les 
generaux  francais  dont  il  a  ete  la  dupe  tant  que  je  ne  m'en  suis  point  mele 
de  facon  ä  les  interrompre  et  de  l'empecher  a  ne  plus  les  entamer.  Lucche- 
sini  an  seine  Frau  28.  November  und  1.  Dezember.  Rep.  XI 89  k.  Lucchesini 
an  Schulenburg  22.  Dezember:  Le  seul  moyen  de  mettre  fin  aux  mortelles 
irresolutions  du  Duo  de  Brunsvic  consiste  en  ce  que  S.  M.  prenne  lo„com- 
mandement  de  l'armee  ayant  le  General  Moellendorff  ä  ses  ordres.  Autrement 
tout  est  perdu.  Je  ne  m'arreterai  pas  davantage  sur  ce  point  delicat. 
Schulenburg  an  Lucchesini  29.  Dezember  [ibid.]:  Brunsvic  .  .  .  qui  dans 
la  premiere  campagne  a  fletri  la  gloire  de  nos  armees  et  perdu  toute  con- 
fiance  politique  et  militaire.  An  Lucchesini  8.  Dezember:  .  .  .  nous  en 
concluons  que  S.  A.  n'a  pas  encore  renonce  au  commandement  pour  la 
suite  de  la  guerre;  faut-il  s'en  feliciter  tandisque  toutes  les  lettres  qui 
nous  arrivent  ici  et  tous  les  bruits  qui  se  repandent  dans  le  public  ne  prou- 
vent  que  trop  jusqu'ä  quel  point  ce  prince  a  perdu  la  confiance  de  toutes 
les  cours  et,  tranchons  le  mot,  de  toute  l'armee?  An  Lucchesini  14.  Februar 
1793.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12,  L.  Au  Roi  20.  Februar  1793.  In 
der  Tat  war  der  Unwille  über  ihn  fast  allgemein  (Gronau,  Dohm  249). 
Haugwitz  dachte  darin  wohl  ebenso  wie  Lucchesini.  Und  doch  behielt 
der  Herzog  noch  das  ganze  nächste  Jahr  über  das  Kommando,  weil  niemand 
dem  Könige  energische  Vorstellungen  zu  machen  wagte  und  weil  dieser 
in  übel  angebrachter  Güte  und  Schwäche  den  Herzog  nicht  geradezu 
vor  die  Tür  setzen  wollte.  Vgl.  dazu  das  Verhalten  Wilhelms  I.  Steinmetz 
gegenüber  im  August  1870.  Vgl.  noch  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß 
40  IV.  Alopeus  an  Lucchesini  11.  Januar  1793.     Ranke  46,  130 — 131. 


Wien  419 

etwas  vorzuschlagen,  hoffte  aber,  ohne  irgendwie  zu  verletzen, 
auf  verdecktem  Wege  doch  zu  dem  gewünschten  Ziel1)  zu  kom- 
men2). An  einen  Marsch  auf  Paris  dachte  niemand  mehr;  alles 
sollte  streng  nach  den  Kegeln  eingeleitet  werden,  um  so  gefähr- 
liche Rückschläge  wie  in  diesem  Jahre  zu  verhindern3).  Nur  das 
stand  fest,  daß  sich  Österreich  mit  der  doppelten  Stärke  wie 
bisher  an  dem  Feldzuge  beteiligen  werde.  Nun  bat  der  Herzog 
selbst  am  7.  November  den  Kaiser  um  Enthebung  von  dem 
Kommando  über  die  österreichischen  Streitkräfte.  Spielmann 
übergab  daher  gar  nicht  erst  das  dadurch  veraltete  Handschreiben 
des  Kaisers  an  ihn.  Franz  ging,  natürlich  mit  großem  Bedauern, 
darauf  ein.  Zumal  nach  dem  Rücktritt  des  Herzogs  von  Sachsen- 
Teschen  vom  Kommando  hatte  er  völlig  freie  Hand4).  Am 
7.  Dezember  wurde  demzufolge  der  Prinz  von  Sachsen-Koburg 
nach  einer  kaiserlichen  Entscheidung  vom  26.  November,  die 
Lacy  hatte  herbeiführen  helfen,  zum  Oberbefehlshaber  über  alle 
österreichischen  Streitkräfte  ernannt5)  —  keine  schlechte,  aber 
auch  keine  gute  Wahl. 

Die  Entschädigungsfrage  wollte  ein  Teil  der  Österreicher, 
natürlich  Lacy  voran,  vorläufig  ganz  zurückgestellt  wissen  bis 
zur  Beendigung  des  Krieges,  dessen  Ausgang  man  doch  erst  ab- 
warten müsse6).  Das  erscheint  uns  heute  ganz  natürlich;  aber 
damals  herrschte  doch  im  ganzen  eine  andere  Auffassung.  Cobenzl 
setzte  beim  Kaiser  durch,  daß  Spielmann  darüber  mit  Preußen 
verhandeln  dürfe.  Nur  so  war  überhaupt  etwas  von  diesem  zu 
erlangen,  und  man  brauchte  eben  seine  Freundschaft.  In  Besitz 
genommen  sollten  aber  die  Gebiete  erst  nach  dem  Friedensschluß 
werden,  Bayern  und  die  Zuwage  gleichzeitig  mit  dem  polnischen 
Anteil  Preußens  wie  Rußlands?).     Da  sich  nun  zum  Leidwesen 

1 )  Als  solches  erschien  die  Beseitigung  des  Herzogs  vom  Oberkommando. 

3)  Bericht  Cesars  31.  Oktober.  Vivenot  II  638—640,  642—643. 
Man  lüftete  nur  allmählich  den  Schleier  (Bericht  Cesars  23.  November). 

3)  Vivenot  II  595,  602,  605,  630,  650,  653—654. 

*)  Bericht  Lucchesinis  10.  November.  Zeißberg,  2  Jahre,  225  ff., 
232.  Berichte  Lucchesinis  28.  Dezember  und  4.  Januar.  Franz  an  Braun- 
schweig 8.  Dezember. 

5)  A.  v.  Witzleben,  Prinz  Friedrich  Josias  von  Koburg- Saalfeld, 
Herzog  zu  Sachsen,  II  (Berlin  1859),  S.  31—32.  Politisches  Journal  1792, 
S.  1367—1370.    V  i  v  e  n  o  t  II  690,  693,  698—699. 

6)  ibid.  II 629—632, 638—641,  648, 650, 653—654;  S  y  b  e  1  II 357—358. 

7)  Vivenot  II  604—605,  660;  Heigel  II  72.  Bericht  Cesars 
15.  September.  Es  scheint  bei  der  Regierung  keine  Rede  davon  gewesen 
zu  sein,  die  Zuwage  aufzugeben  (Sybel  III  178). 


t 


420  IV.  Abschnitt 

Österreichs  jene  beiden  Mächte  nicht  bis  zu  dem  Augenblicke 
würden  hinhalten  lassen,  so  sollte  auch  Österreich  ein  gleich- 
großes Stück  von  Polen  besetzen.  Der  Gedanke  der  Parität  be- 
herrschte durchaus  das  österreichische  Kabinett.  Es  ist  also 
richtig,  daß  Kaiser  Franz  den  Rock  kaufen,  aber  das  Geld  nicht 
zahlen  wollte.  Doch  darf  man  dabei  nicht  verkennen,  daß  jede 
radikale  Maßregel  für  Österreich  äußerst  gefährlich  zu  sein  schien. 

IL  /  / 

Da  aber  kam  die  letzte  Hiobspost  dieses  Jahres,  wohl  die 
gefährlichste  für  Österreich:  die  Niederlande  waren  in  fran- 
zösischem Besitz1).  Friedrich  Wilhelm  hatte  sofort  seinem  Ge- 
sandten in  London,  Jacobi,  Befehl  erteilt,  anzufragen,  wie  Eng- 
land seinen  Vertrag  mit  Holland,  an  dem  ja  auch  Preußen  beteiligt 
war,  halten  werde.  Denn  dies  habe  jetzt  selbst  im  Reich  zu  tun 
und  könne  nicht  wie  1787  allein  den  Statthalter  nur  zum  Vor- 
teil Englands  retten2).  Wie  sehr  täuschte  man  sich  doch  in  Berlin 
und  Wien  mit  der  Annahme,  nun  werde  die  österreichische 
Regierung  erst  recht  geneigt  sein,  Frieden  zu  schließen,  und  be- 
gierig auf  englische  Vermittlungsvorschläge  eingehen3),  die  man 
in  Berlin  schon  seit  Beginn  des  Krieges  fürchtete  und  die  in  der 
Tat  am  21.  November  vom  Großpensionär  dem  französischen 
Vertreter  Maulde  gemacht  wurden  mit  der  Anerkennung  der 
Republik  als  Grundlage4).  Besonders  als  England  nun  wirklich 
sein  Schweigen  aufgab  und  bei  den  Mächten  sich  Aufklärung 
über  ihre  Absichten  ausbat,  lebten  diese  Befürchtungen  wieder 
auf.  Ph.  Cobenzl  selbst  dementierte  sofort  ein  derartiges  Gerücht. 
Nicht  auf  Vermittlung,  sondern  auf  die  Mitwirkung  der  See- 
mächte gehe  man  aus5).  Der  Krieg  schien  nur  beschleunigen  zu 
sollen,  was  Österreich  für  die  Zeit  nach  seiner  Beendigung  ge- 
plant hatte6).     Aber  da  stieß  man  sofort  auf  die  Haager  Kon- 


1 )  Vivenot  II  673.     Bericht  Cesars  17.  November. 

2)  Bericht  Lucchesinis  16.  November.  Friedrich  Wilhelm  au  Jacobi 
15.  November.     An  Lucchesini  22.  November. 

3)  S  o  r  e  1 III  218—219.  Politisches  Journal  1792,  S.  1253.  An  Cesar 
16.,  23.,  25.,  30.  November,  1.  Dezember.  An  Haugwitz  1.,  6.,  10.  Dezember. 
Bericht  Cesars  21.  November.  Bericht  Lucchesinis  27.  November.  An 
Lucchesini  23.  November,  1.  Dezember.     An  Goltz  23.  November  P.S. 

*)  Sorel  III  223—224. 

6)  Bericht  Cesars  24.  November. 

6)  R.  M.  Keith,  Memoirs  and  correspondances  II  531 — 533. 


Wien  421 

vention,  die  infolge  des  österreichischen  Widerstandes  nicht 
ratifiziert  worden  war1).  Es  bedurfte  also  der  äußersten  Vor- 
sicht, um  England  trotzdem  zu  gewinnen.  Dies  konnte  jetzt  nicht 
mehr  so  wie  bisher  den  Dingen  ihren  Lauf  lassen.  Es  war  nicht 
anzunehmen,  daß  die  französischen  Truppen  an  der  holländischen 
Grenze  stehen  bleiben  würden,  zumal  wenn  die  Österreicher  dort 
Aufnahme  fanden.  Hatte  England  schon  stets  die  Forderung 
vertreten,  die  Scheide  zu  schließen,  so  mußte  ihm  das  Schicksal 
seines  Verbündeten  um  so  näher  gehen.  Am  13.  November  er- 
ging der  Befehl  zur  Anfrage  in  Wien2) ;  kurze  Zeit  darauf  erklärte 
Lord  Auckland  im  Haag3)  —  das  war  ganz,  wie  Preußen  es 
wünschte,  ja  England  kam  damit  seinem  Wunsche  noch  zuvor4) 
—  England  werde  seinen  Bundespflichten  gegen  Holland  pünkt- 
lich nachkommen.  Wieder  einige  Wochen  später,  am  1.  Dezember, 
wurde  das  Parlament  zusammenberufen,  dann  das  erste  Geld 
für  Küstungen  gefordert,  aber  mit  der  ausdrücklichen  Bemerkung, 
England  wolle  sich  nur  französischen  Eroberungsgelüsten  wider- 
setzen, sich  nicht  in  seine  inneren  Angelegenheiten  einmischen6). 
Kurz  vorher  hatte  England  den  Österreichern  auf  deren  Anfrage 
hin  die  erfreulichsten  Anerbietungen  für  eine  gemeinsame  Ab- 
wehr Frankreichs  gemacht.  Nur  der  Anfang  dieser  Bewegung 
war  den  Österreichern  Ende  November  bekannt,  aber  er  reichte 
doch  aus,  um  zu  zeigen,  daß  England  sich  nicht  bloß  einmischen 
wolle;  es  wurde  Ernst.  Österreich  erhielt  also  durch  seinen  Ver- 
lust einen  neuen  Bundesgenossen,  er  verdiente  Berücksichtigung6). 
Mit  der  französischen  Eroberung  der  Niederlande  wurde  der  Tausch 
vorläufig  ganz  unmöglich,  und  die  Rüstungen  mußten  in  noch 
umfassenderem  Maßstabe  betrieben  werden  als  bisher.  Öster- 
reich kam  sogar  selbst,  wenn  auch  erst  andeutend,  um  sich  zu- 

1)  Bericht  Cesars  25.  November. 

2)  Vivenot  II  671  =  731,  681—682. 

3)  Bericht  Lucchesinis  20.  November.  An  Lucchesini  23.  November, 
10.  und  17.  Dezember.  Rep.  9 — 272  Rapports  I.  Friedrich  Wilhelm  an 
das  Kabinettsministerium  3.  Dezember. 

*)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  III.  Aucklands  Erklärung:  Fait 
ä  la  Haye  16.  November.  Keller  an  Lucchesini:  La  Haye  19.  November 
1792.  Bericht  Lucchesinis  20.  November.  Politisches  Journal  1792,  S.  1247 
bis  1249. 

5)  Bacourt-Städtler  III  410. 

6)  Vivenot  II  692,  696—697,  703.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß 
40 III.  Grenville  an  Woronzow  (29.  Dezember  1792).  Woronzow  an  Grenville 
28.  Dezember.  Rep.  96,  147  G  III:  Auszug  aus  der  Depesche  Grenvilles 
vom  29.  Dezember  1792. 


422  IV.  Abschnitt 

vor  der  preußischen  Zustimmung  zu  versichern,  auf  die  Bitte  um 
russische  Truppen  zurück,  die  man  vorher  als  überflüssig  ab- 
gelehnt hatte,  um  statt  ihrer  Subsidien  zu  erwirken1). 

Ziemlich  gleichzeitig  wurde  noch  dazu  die  preußische  Note 
von  Merle  bekannt.  Man  befand  sich  also  in  der  schlimmen  Lage, 
den  Krieg  in  verstärktem  Maße  fortsetzen  zu  müssen  und  dabei 
doch  des  bisherigen  Genossen  nicht  mehr  sicher  zu  sein,  außer 
wenn  man  sich  dazu  verstand,  seine  Absichten  völlig  zu  ändern. 
Die  Folge  davon  war,  daß  Österreich  von  Preußen  tatsächlich 
etwas  abrückte  und  sein  Verfahren  so  einrichtete,  daß  es  England, 
Preußen  und  Rußland  in  gleicher  Weise  zu  befriedigen  hoffte. 
Aber  damit  machte  Österreich  es  natürlich  keinem  recht.  All- 
gemein war  der  Wunsch  nach  rascher  Wiederherstellung  des 
Friedens,  wozu  die  englische  Vermittlung  und  Hilfe  ja  ein  wert- 
volles Mittel  zu  werden  versprach;  aber  man  erwartete  seine 
Wiederherstellung  so  gut  wie  nur  noch  durch  kräftige  Maß- 
regeln. Daher  wollte  man  den  Wunsch  nach  Frieden  nur  vorsichtig 
aussprechen  und  vor  allem  möglichst  viele  Mächte  zur  Teil- 
nahme heranziehen,  dabei  jedoch  sich  darauf  beschränken,  der 
Revolution  Grenzen  zu  setzen  und  ihr  im  eigenen  Lande  freie 
Hand  zu  lassen.  Der  Plan,  die  Monarchie  in  Frankreich  wieder- 
herzustellen, wurde  endgültig  aufgegeben.  Überall  hatte  der 
Staatsreferendar  auf  seiner  Reise  Spuren  der  „Ansteckung"  ge- 
troffen. Als  sicheren  Besitz  werde  man  demnach  die  Frankreich 
direkt  benachbarten  Niederlande  nie  mehr  betrachten  können. 
Um  so  wichtiger  wurde  jetzt  der  Tausch.  Man  hielt  auch  darum 
mehr  als  je  an  ihm  fest  und  reklamierte  aufs  neue  die  Unter- 
stützung Friedrich  Wilhelms,  für  die  Spielmann  so  gute  Aus- 
sichten gab,  aber  nicht  für  jetzt,  er  war  augenblicklich  nicht 
durchführbar.  Man  verzichtete  in  Wien  ganz  darauf,  jetzt  Ver- 
handlungen mit  Bayern  anzuknüpfen  oder  gar  Bayern  bereits 
in  Besitz  zu  nehmen,  da  dies  sein  Verhalten  nach  energischen 
Schritten  Österreichs  mit  den  Reichsgesetzen  mehr  in  Einklang 
gebracht  hatte2)  und  man  sicher  war,  daß  Mannheim  sich  halten 
werde,  seit  die  Bayern  die  Besatzung  verstärkt  hatten  auf  die 


1)  Vivenot  II  673,  677  und  679.  Bericht  Cesars  3.  November 
1792,  3.  Januar  1793.  Bericht  von  Goltz  3./14.  Dezember.  Carisienll3. 
Politisches  Journal  1792,  S.  1171—1173,  1367—1368,  1379. 

2)  S  y  b  e  1 III  178;  S  o  r  e  1 III  314;  H  e  i  g  e  1 II  87—88.  Politisches 
Journal  1792,  S.  1237,  1353.  Bericht  von  Goltz  14./25.  Dezember.  Rep. 
96,  155  E.  Bericht  Haugwitz'  4.  Dezember. 


Wien  423 

nicht  mißzu verstehende  Anzeige  von  dem  Marsche  seiner  Truppen. 
Erst  die  preußische  Besitznahme  in  Polen  und  neue  verdächtige 
bayrische  Maßregeln  brachten  den  Plan  bei  Cobenzl  wieder  in 
Aufnahme,  bis  die  Annäherung  an  England  ihn  wieder  in  den 
Hintergrund  schob1).  Von  Säkularisationen,  die  Preußen  nicht 
nur  in  Petersburg,  sondern  auch  in  Wien  angeregt  zu  haben 
scheint,  wollte  Österreich  auch  nichts  wissen,  gleichviel  ob  es 
fürchtete,  für  seine  Erzherzöge  keine  Bistümer  mehr  zu  finden 
oder  ob  es  religiöse  Skrupel  hatte,  was  ich  nicht  glaube,  oder  ob 
es  die  preußische  Begehrlichkeit  fürchtete,  am  ersten  wohl,  weil 
es  das  Reich  nicht  ganz  den  Franzosen  in  die  Arme  treiben  wollte, 
wie  es  bei  einer  solchen  Maßregel  nur  zu  leicht  hätte  eintreten 
können. 

Wenn  diese  Wege  als  nicht  gangbar  erschienen,  so  galt  es 
doch  nichtsdestoweniger,  Sicherheit  für  die  Zukunft  zu  gewinnen. 
Bisher  hatte  man  dafür  eigentlich  nur  die  Möglichkeit  gesehen, 
sich  provisorisch  eines  Teiles  von  Polen  zu  bemächtigen.  Als 
man  sich  jetzt  den  Engländern  näherte,  kam  man  auf  den  Ge- 
danken, sich  eventuell  auch  mit  einer  Garantie  des  Tausches  von 
Seiten  der  drei  entscheidenden  Mächte  zu  begnügen.  So  hoffte 
man  Preußen  und  Rußland  zu  schonen.  Aber  damit  machte  man 
gerade  den  wesentlichsten  Punkt  der  preußischen  Forderung 
illusorisch2).  Auf  das  „Sofort"  kam  es  an.  Wurde  nun  die  eng- 
lische Zustimmung  zu  dem  Tausch  zu  einer  conditio  sine  qua  non 
für  die  preußische  Besitznahme  in  Polen,  so  war  ein  Ende  gar 
nicht  abzusehen.  Österreich  sagte  ja  absichtlich  in  seiner  Ant- 
wort auf  die  Note  von  Merle  nichts  über  den  Zeitpunkt  der  Be- 
setzung3). England  war  stets  gegen  den  Tausch  gewesen.  Belgien 
mußte  in  der  Hand  einer  starken  Macht  sein,  um  vor  französischer 
Uberrennung  sicher  zu  sein  und  damit  zugleich  Holland  zu 
schützen.    Nach  Dumouriez'  Siegen  in  Belgien  waren  deshalb  die 


1)  Lucchesini  an  seine  Frau  14.  Dezember  1792.  Berichte  Cesars 
31.  Oktober,  10.  und  14.  November,  29.  Dezember  1792,  5.,  12.,  17.,  20., 
23.,  26.,  30.  Januar,  2.  und  13.  Februar,  6.,  11.,  13.  März,  24.  April  1793. 
An  Haugwitz  20.  November  1792.  An  Cesar  18.  Januar,  22.  Februar, 
4.  März  (P.S.  3.  März),  3.  Mai  1793.  Rep.  9— 272  Rapports  I.  F. S.A.  AuRoi 
17.  November.  Rep.  96,  147  G  III:  F.  S.A.  Au  Roi  24.  November.  Berichte 
Lucchesinis  4.,  20.,  30.  Januar,  7.  und  16.  Februar,  6.,  10.,  27.  März  1793. 
An  Lucchesini  11.  Januar,  11.  Februar,  4.,  10.  und  16.  März  1793  etc. 

2)  Das  wurde  jetzt  ein  Hauptziel  der  österreichischen  Politik  (S  o  r  e  1 
III  314—315). 

3)VivenotH  625. 


424  IV.  Abschnitt 

Engländer  in  größter  Besorgnis  bei  dem  Gedanken,  die  Öster- 
reicher könnten  vorläufig  die  Niederlande  preisgeben1).  Preußen 
hatte  auch  deshalb  sofort  auf  eine  Vereinbarung  der  Antwort  an 
England  gedrängt,  in  der  Absicht,  den  Engländern  den  Plan  zu 
verheimlichen;  die  Österreicher  wollten  ihn  aber  gerade  mit- 
teilen2). Auf  diese  Weise  war  Österreich  sicher,  es  mit  PreußeD 
zu  verderben  und  bei  England  mindestens  nichts  zu  erreichen. 
Man  ging  aber  noch  weiter.  Den  Russen  wurde  zwar  die  Bewilli- 
gung des  preußischen  Loses  in  Polen  empfohlen,  ohne  seine 
Größe  anzugeben  —  sie  könne  erst  in  dem  Konzert  mit  Rußland 
festgesetzt  werden  —  aber  gleichzeitig  wurde  doch  der  fatale 
Vorschlag  einer  Besetzung  polnischen  Gebietes  durch  Österreich 
gemacht,  auf  die  Lacy  besonderes  Gewicht  legte3).  Sie  sollte  erst 
aufgegeben  werden,  wenn  der  Tausch  mit  bezw.  ohne  Zuwage 
zustande  kam.  Das  war  durchaus  den  russischen  Absichten  ent- 
gegen. Alles  andere  durfte  geschehen,  aber  nicht  das4).  Preußen 
hatte  dagegen  in  Wien  auch  schon  protestiert5).  Nur  nebenher 
erwähnte  Österreich  den  Gedanken  der  Garantie. 

Den  Engländern  endlich  sollte  der  Entschädigungsplan  der 
Mächte  mitgeteilt  werden,  wenn  auch  genauer  nur  der  Öster- 
reichs, selbst  gegen  einen  Protest  Preußens.  Es  genügte  aber 
für  jeden  Diplomaten  die  Angabe  der  Parität  zwischen  Österreich 
und  Preußen,  um  zu  erkennen,  woran  und  wo  Preußen  sich 
schadlos  halten  werde.  Der  Widerstand  Preußens  stand  deshalb 
von  vornherein  fest.  Man  denke  nur  an  die  englischen  Quer- 
en treibereien  bei  der  ersten  Teilung  Polens,  bei  dem  Plan  eines 
polnisch-preußischen  Handelsvertrages,  der  geplanten  Erwerbung 
von  Danzig  und  Thorn,  und  man  begreift,  daß  sich  Preußen  gegen 
die  Zuziehung  Englands  mit  Händen  und  Füßen  sträuben  mußte. 
Es  war  schon  nicht  leicht  gewesen,  drei  Mächte  unter  einen  Hut 
zu  bringen  —  noch  war  man  des  Erfolges  durchaus  nicht  sicher. 
Kam  die  vierte  dazu,  so  fiel  der  ganze  Plan.  Schon  meldete  sich 
auch  das  argwöhnische  England  und  bat  in  Berlin  um  Aufklärung 
über  den  angeblichen  Plan  einer  polnischen  Teilung.  Eden  kamen 


1)  Vivenot  II  682. 

2)  An  Lucchesini  10.  Dezember. 

3)  Berichte  Lucchesinis  10.  und  20.  Januar  1793. 

*)  Berichte  von  Goltz  15./26.  Oktober,  22.  Oktober/3.  November 
(H.E.B.  319). 

5)  An  Haugwitz  1.  und  17.  Dezember.  Rep.  9 — 27 2  Rapports  I. 
F.  S.A.  Au  Roi  1.  Dezember.     S  y  b  e  1  II  362  und  III  178—179. 


Wien  425 

die  Tränen  in  die  Augen,  seine  Stimme  zitterte,  als  er  davon 
sprach;  ja  den  alten  Finckenstein  faßte  er  in  seiner  Erregung 
sogar  beim  Kockknopf1).  Es  war  kein  Zweifel  daran  möglich, 
was  England  bei  Bekanntwerden  des  Plans  tun  werde. 

Die  oben  kurz  mitgeteilten  Beschlüsse  der  österreichischen 
Ministerialkonferenzen  vom  29.  und  30.  November2)  verließen 
also  völlig  die  Bahn,  die  man  in  Wien  während  der  Monate  Ok- 
tober und  November  so  beharrlich  innegehalten  hatte.  Trotzdem 
sind  sie  nicht  unerklärlich.  Fassen  wir  zunächst  das  Verhalten 
Preußens  ins  Auge.  Die  Note  von  Merle  war  infolge  des  den 
Preußen  wenig  erfreulichen  Zögerns  von  Spielmann,  seinen 
Kurier  abzuschicken,  in  Wien  erst  recht  spät,  vermutlich  am 
26.  November,  mit  dem  Berichte  Spielmanns  vom  6.  bekannt 
geworden.  Ihr  Inhalt  konnte  dadurch  in  seiner  Wirkung  nur 
abgeschwächt  werden.  War  in  ihr  klar  und  deutlich  ein  Ulti- 
matum gestellt,  so  schien  Spielmann  in  seiner  Audienz  beim 
König  und  in  den  späteren  Verhandlungen  mit  Haugwitz  eine 
Art  von  Widerruf  erlangt  zu  haben.  Dazu  kam  noch  die  Nach- 
richt von  dem  preußischen  Befehl,  10  000  Mann  mobil  zu  machen 
und  an  den  Rhein  zu  schicken3). 

Nun  hatte  ja  der  König  auf  die  Vorstellungen  von  Haugwitz 
und  Lucchesini  als  Bedingung  dafür  die  Annahme  der  Note  von 
Merle  gestellt;  eher  sollte  kein  Mann  marschieren,  oder  sie  sollten 
wenigstens  nach  Franken  dirigiert  werden,  wo  sie  einen  befürch- 
teten französischen  Einfall  abwehren  und  noch  dazu  billiger 
unterhalten  werden  konnten4).  Aber  diese  Vorsichtsmaßregeln 
hoffte  man  in  Wien  schon  noch  unschädlich  machen  zu  können.  In 
der  Tat  ließ  sich  Friedrich  Wilhelm  durch  den  kleinmütigen  Rück- 
zug von  Clerfayt,  der  bei  weiterer  Ausdehnung  sogar  für  Wesel 

*)  An  Cesar  23.  November.  Rep.  9 — 272  Rapports  I.  Die  Minister 
unter  sich  22.  November.  F.  S.A.  Au  Roi  23.  November.  An  Lucchesini 
23.  November. 

2)Vivenot  II  683,  684,  686.     Bericht  Haugwitz'   1.   Dezember. 

3)  An  Cesar  13.  November  P.S.  An  Goltz  12.  und  15.  November. 
An  Lucchesini  12.  bis  14.  November.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  III. 
Lucchesini  an  Goertz  10.  November.  Bericht  Lucchesinis  6.  November. 
V  i  v  e  n  o  t  II  689.  Politisches  Journal  1792,  S.  1213,  1250—1251,  1272 
bis  1273,  1290,  1349,  1378. 

4)  Bericht  Lucchesinis  10.  November.  Rep.  96, 155  E.  Bericht  Haugwitz' 
4.  Dezember.  Friedrich  Wilhelm  an  Haugwitz  12.  November.  Bericht 
Lucchesinis  12.  November.  An  Lucchesini  19.  November.  Doch  waren 
die  Truppen  vor  Weihnachten  gar  nicht  marschbereit  und  konnten  dann 
direkt  an  den  Rhein  abmarschieren. 


426 


IV.  Abschnitt 


fürchten  ließ1),  neue  Befehle  entreißen,  die  ihn  nur  außerordent- 
lich kompromittieren  konnten2).  Aber  niemand,  am  ersten  noch 
das  Kabinettsministerium3) ,  machte  energische  Vorstellungen 
dagegen.  Lucchesini  hatte  zwar,  wie  die  Minister  überhaupt, 
auch  in  der  Friedensfrage4),  anfangs  mit  Haugwitz,  der  das 
richtiger  beurteilt  zu  haben  scheint5),  den  König  in  anderem 
Sinne  zu  beeinflussen  gesucht,  aber  er  hielt  der  in  ihrer  Inkonse- 
quenz merkwürdigen  Beharrlichkeit  des  Königs  nicht  stand  und 
fürchtete,  gar  zu  sehr  dessen  Wunsch  entgegenzutreten  in  einer 
Frage,  die  gar  nicht  zum  politischen,  sondern  zum  militärischen 
Departement  gehörte.  So  bemühte  sich  Lucchesini  denn  auch 
nach  allen  Kräften,  dem  Könige  die  Fortsetzung  des  Krieges  zu 
ermöglichen,  wie  1793/94  das  namentlich  Haugwitz  tat.  Als  die 
Nachrichten  aus  Wien  so  lauteten,  daß  bei  schlechtem  russischen 
Willen  doch  noch  zum  mindesten  eine  Verzögerung  der  Besitz- 
nahme in  Aussicht  zu  stehen  schien,  da  schlug  er  dem  König  vor, 
an  Reuß  ebenso  wie  in  Wien  zu  erklären,  er  wolle  den  Plan  für 
den  eventuellen  nächsten  Feldzug  mit  dem  Prinzen  von  Koburg 
beraten,  aber  nur  Reichskontingent  und  Allianzhilfe  daran  teil- 
nehmen lassen,  bis  er  im  Besitz  des  polnischen  Anteils  sei.  So 
/ließ  er  sich  Schritt  für  Schritt  zurückdrängen.  Es  scheint  mir 
außer  Zweifel,  daß  die  Österreicher  ihn  auch  zur  Teilnahme  mit 
den  ganzen  50  000  Mann  ohne  Entschädigung  bekommen  hätten, 


1 )  Bericht  Lucchesinis  23.  Dezember  mit  Beilagen.  Bericht  Lucchesinis 
10.  Januar  1793  mit  Beilagen.     An  Lucchesini  27.  Dezember  1792. 

2)  Zeißberg,  2  Jahre,  228  ff.;  H  ä  u  ß  e  r  I  432—134;  Bacourt- 
Stadt ler  III  396.  Berichte  Lucchesinis  3.,  10.,  12.,  14.,  15.,  18.,  23., 
26.  Dezember.  An  Lucchesini  8.,  15.,  17.,  24.,  27.,  31.  Dezember.  Rep.  96, 
147  G  III.  F. S.A.  Au  Roi  9.  November  und  8.  Dezember.  Rep.  I  170. 
Die  Minister  unter  sich  9.  November.  Rep.  9 — 272  Rapports  I.  Friedrich 
Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  3.  Dezember.  Friedrich  Wilhelm  an 
Haugwitz  13.  Dezember.  Rep.  96,  155  E.  Friedrich  Wilhelm  an  Haugwitz 
4.  und  22.  Dezember.  Lucchesini  an  seine  Frau  8.,  10.,  12.,  14.  Dezember. 
Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  31:  Lucchesini  an  Haugwitz  17.  Dezember. 
Nr.  12,  L.  Au  Roi  25.  Dezember.  Nr.  37  Schulenburg  an  Lucchesini  16.  Ja- 
nuar 1793.  Nr.  25  Cesar  an  Lucchesini  19.  Dezember.  Rep.  XI  89  h.  Schu- 
lenburg an  Reck  13.  November.  Reck  an  Schulenburg  8.  Dezember.  Rep. 
XI  89  k.  Schulenburg  an  Tauenzien  13.  November.  An  Haugwitz  9.  No- 
vember.    Memoire  Braunschweigs  vom  3<  Dezember. 

3)  Rep.  96  147  G  III.  F.  S.A.  Au  Roi  8.  und  19.  Dezember. 
4)HäußerI  431. 

5)  Bericht  Lucchesinis  10.  Dezember.  Haugwitz'  Bericht  19.  Dezember. 
Vgl.  aber  auch  Minerva  Bd.  184,  S.  5  und  überhaupt  sein  Verhalten  in  den 
Jahren  1793—1794. 


Wien  427 

wenn  die  Entscheidung  darüber  allein  von  ihnen  abgehangen 
hatte*). 

Die  preußischen  neuen  Truppen  waren  in  der  Tat  zur  Ver- 
stärkung oder  besser  zur  Auffüllung  der  Lücken  bestimmt,  die 
der  Krieg  in  die  Armee  am  Khein  gerissen  hatte.  Die  Kriegslage 
veranlaßte  Friedrich  Wilhelm  auch  noch,  immer  weitergehende 
Zugeständnisse  zu  machen2).  Aber  kurze  Zeit  nach  jenen  wurden 
noch  mehr  Truppen  mobil  gemacht,  und  sie  sollten  zur  Besetzung 
des  preußischen  Anteils  in  Polen  verwandt  werden,  sowie  die 
russische  Zustimmung  da  war.  Dies  Geheimnis  wurde  nun  zwar 
an  Goltz  und  an  Alopeus  mitgeteilt,  nicht  aber  ganz  dem  preußi- 
schen Vertreter  in  Warschau,  Herrn  v.  Buchholtz,  der  im  all- 
gemeinen den  preußischen  Plan  kannte,  und  anfangs  gar  nicht 
den  Österreichern3).  So  verdarb  diese  Unaufrichtigkeit,  verbunden 
mit  der  tatsächlichen  Inkonsequenz  gegenüber  der  Note'  von 
Merle,  das  so  energisch  eingeleitete  Spiel4).  Was  konnten  gegen- 
über solchen  Tatsachen  die  sich  häufenden  preußischen  Erklä- 
rungen im  Sinne  der  Merler  Note  nützen?  Es  scheint  mir  außer 
Zweifel,  daß  sich  Spielmanns  mündliche  Ausführungen  zu  seinen 
Berichten  in  derselben  Richtung  bewegten,  so  daß  man  in  Wien 
hoffen  konnte,  Preußen  werde  sich  mit  ein  paar  schönen  Phrasen 
begnügen  und  sich  im  übrigen  wieder  als  der  getreue  Schildknappe 
Österreichs  gebrauchen  lassen,  ja  nicht  nur  mit  50  000  Mann, 
sondern  noch  mit  verstärkter  Macht  am  Kriege  teilnehmen5). 
Je  mehr  sich  für  Österreich  die  Notwendigkeit  zeigt,  den  zweiten 
Feldzug  so  kräftig  wie  möglich  zu  führen,  um  so  mehr  drängt  es 


1 )  Bericht  Lucchesinis  26.  Dezember.  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabi- 
nettsministerium 26.  Dezember.  An  Lucchesini  31.  Dezember.  Rep.  92 
Lucchesinis  Nachlaß  12,  L.  Au  Roi  25.  Dezember. 

3)  Vivenot  II  704. 

3)  Märten  s,  Traites-Russie  VI  162.  An  Goltz  15.  November. 
Rep.  96,  147  G  III.  F. S.A.  Au  Roi  14.  November.  An  Cesar  13.  November 
RS.,  an  Haugwitz  6.  Dezember  P.S.,  Bericht  Haugwitz'  1.  Dezember  P.S. 
Rep.  9 — 272  Rapports  I.  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium 
18.  und  21.  November  1792.  Berichte  von  Buchholtz  19.  September, 
27.  Oktober,  21.  November,  12.  Dezember.  An  Buchholtz  7.  September, 
20.  November  und  28.  Dezember. 

*)  Bericht  Cesars  21.  November.  Lucchesinis  Berichte  10.  und  12.  No- 
vember. Friedrich  Wilhelm  an  Franz  12.  November.  Friedrich  Wilhelm 
an  Haugwitz  12.  November.  Rep.  96, 147  G III.  F.  S.A.  Au  Roi  9.  November. 
Rep.  1 170.  Die  Minister  unter  sich  9.  November.  An  Haugwitz  9.  November, 
1.,  6.,  13.  Dezember.    An  Cesar  16.,  30.  November,  1.  Dezember. 

5)  Vivenot  II  738. 


428  IV.  Abschnitt 

darauf,  daß  Preußen  die  gleiche  Truppenzahl  stellt,  ohne  daran 
denken  zu  wollen,  daß  es  einen  großen  Teil  seiner  Truppen  zur 
Besetzung  von  Festungen  und  zur  Verteidigung  verwenden 
mußte,  daß  aber  die  preußischen  Truppen  sämtlich  zum  Angriff 
verfügbar  waren1).  Den  Russen,  die  ebenfalls  in  Wien  auf  rasche 
Entscheidung  drängten2),  deren  Drängen  aber  dort  kein  großer 
Wert  beigelegt  wurde,  sollte  die  angenommene  österreichisch- 
preußische Einigkeit  imponieren.  Die  Engländer  endlich  hoffte 
man  durch  teilweises  Eingehen  auf  ihre  Wünsche  auch  noch  zu 
gewinnen. 

Dieser  Beschluß  hätte  nicht  durchgehen  können,  wenn  der 
Kaiser  Ph.  Cobenzl  gefolgt  wäre.  Er,  wohl  sicher  auch  Spielmann, 
opponierten  heftig  gegen  einen  Punkt,  der  in  ihrem  ganzen  Pro- 
gramm eine  bedeutende  Stelle  einnahm  und  stets  wiederkehrte: 
Der  Tausch  sollte  nach  vorheriger  Zustimmung  von  Preußen  und 
Rußland  vollzogen  werden;  alle  übrigen  Mächte,  besonders  Eng- 
land, dessen  Widerstand  sie  vorher  wußten,  sollten  davon  über- 
rascht werden.  Haugwitz  erfaßte  die  Lage  richtig  (nur  hielt  er 
die  Engländer  für  zu  hinterhaltig).  Er  bearbeitete  Cobenzl  auch 
kräftig,  um  zu  verhüten,  daß  England  überhaupt  etwas  von  dem 
Entschädigungsplan  erfuhr,  bevor  er  ausgeführt  war,  und  daß 
Österreich  einen  neuen  Grund  zum  Hinzögern  orhielt3).  Cobenzl 
verlangte  also,  daß  die  Erlasse  an  Stadion  nach  London  vorher 
von  Preußen  gebilligt  wurden;  das  konnte  füglich  als  ausgeschlossen 
gelten. 

Aber  der  Kaiser  hörte  auf  anderen  Rat.  Starhemberg,  Rosen- 
berg, Colloredo-Wallsee,  wohl  auch  der  Preußenfresser  Lacy,  der 
die  Schuld  an  dieser  betrübten  Lage  nur  den  Preußen  zuschob, 
waren  alle  darin  einig,  den  Tausch  den  Engländern  auf  jeden  Fall 
mitzuteilen.  Eine  Einigung  mit  Preußen,  deren  Ergebnis  man 
vorausbestimmte,  ohne  Rücksicht  auf  den  Partner  zu  nehmen, 
kann  auf  den  Titel  der  Freiheit  ebensowenig  Anspruch  erheben 
wie  die  den  Kardinälen  erteilte  Erlaubnis,  auf  dem  Konzil  dem 
Antrage  des  Papstes  zuzustimmen.  Zunächst  ging  an  Reuß  der 
Befehl  ab,  bei  Preußen  auf  einer  Sendung  von  Truppen  zu  be- 


*)  Vivenot  II  776. 

2)  Bericht  Haugwitz'   1.  Dezember  P.S. 

3)  An  Haugwitz  6.  und  10.  Dezember.  Bericht  Haugwitz'  1.  Dezember 
mit  P.S.  Damit  übertraf  Haugwitz  noch  die  Erwartungen,  ja  die  Absichten 
von  Lucchesini  (Bericht  Lucchesinis  10.  Dezember.  An  Lucchesini  15.  De- 
zember). 


Wien  429 

stehen,  wie  sie  der  österreichischen  entspreche1).  Mit  der  offi- 
ziellen Antwort  auf  die  Merler  Note  ließ  man  sich,  mochte  Haug- 
witz  auch  noch  so  sehr  drängen2),  mit  echt  österreichischer  Lang- 
samkeit Zeit.  Die  Geschäfte  hätten  sich  eben  durch  die  Ab- 
wesenheit von  Spielmann  verzögert,  Haugwitz  müsse  Geduld 
haben;  solche  und  ähnliche  Trostworte  bekam  er  in  Menge  zu 
hören3).  Am  6.  Dezember  wurde  der  Entwurf  zu  der  Antwort 
in  einer  neuen  Ministerialkonferenz  einstimmig  gebilligt4),  und 
am  8.  sagte  Cobenzl  zu  Haugwitz,  sie  sei  schon  in  der  Ausfertigung5). 
Am  9.  wurde  sie  fertiggestellt,  aber  erst  am  11.  abends  erhielt 
Haugwitz  sie6).  Man  wollte  sich  davon  eine  völlige  Befriedigung 
der  preußischen  Wünsche  versprechen7)  und  sparte  nicht  mit 
kleinen  Mitteln,  um  Preußen  gefügiger  zu  machen.  Haugwitz 
war  zum  Kabinettsminister  ernannt  und  nur  zur  Kegelung  der 
schwebenden  Fragen  noch  einmal  nach  Wien  zurückgeschickt 
worden.  Friedrich  Wilhelm  hatte  diesen  Po-ten  gleich  Lucchesini 
zugedacht,  da  der  in  Paris  doch  noch  einige  Zeit  nicht  zu  besetzen 
sein  werde,  wollte  sich  aber  erst  der  österreichischen  Zustimmung 
versichern,  da  man  in  Wien  dem  Marquis  nicht  wohlwollte,  be- 
sonders seit  Reichenbach  und  Sistowa.  Jetzt  erklärte  Österreich, 
durchaus  nichts  gegen  seine  Ernennung  einzuwenden  zu  haben, 
ihn  mit  Vergnügen  dem  Grafen  Haugwitz  folgen  zu  sehen8),  den 


1)  Man  ließ  es  nicht  dabei  bewenden,  sondern  stellte  sich  selbst  als 
den  großmütigen  Beschützer  des  Reiches  dar  (V  i  v  e  n  o  t  II  690)  und 
kam  schließlich  mit  der  Forderung  heraus,  Preußen  müsse  außer  den 
50  000  Mann  noch  das  Reichskontingent  stellen,  da  der  Reichskrieg  erst 
nach  jener  preußischen  Verpflichtung  erklärt  worden  sei.  (Rep.  96,  155  F. 
Cesar  an  Goertz  1.  April  1793). 

2)  Bericht  Haugwitz'  12.  Dezember.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  31. 
Haugwitz  an  Lucchesini  4.  und  12.  Dezember. 

3)  Rep.  I  170  und  Rep.  96,  155  E.  Berichte  Haugwitz'  1.  und  4.  De- 
zember.    Bericht  Cesars  3.  Januar  1793. 

4)  Vi  veno  t  II  695;  Sy  bei  III  178. 
6)  Bericht  Haugwitz'  8.  Dezember. 

6)  Haugwitz'  Denkschrift  gibt  wohl  irrig  den  10.  an.  Bericht  Haugwitz' 
12.  Dezember. 

7)  V  i  v  e  n  o  t  II  690  und  702. 

8)  Der  Kaiser  selbst  gab  dem  Grafen  Haugwitz  mündlich  diese  Ver- 
sicherung (Rep.  96,  155  E.  Bericht  Haugwitz'  4.  Dezember.  Rep.  92 
Lucchesinis  Nachlaß  31.  Haugwitz  an  Lucchesini  4.  Dezember.  V  i  v  e  n  o  t 
II  691 ;  S  y  b  e  1 III  178.  Bericht  Haugwitz'  5.  Dezember.  Bericht  Lucche- 
sinis 10.  Dezember.  An  Lucchesini  15.  Dezember.  Rep.  92  Lucchesinis 
Nachlaß  Nr.  12.    Friedrich  Wilhelm  an  Lucchesini  21.  Oktober). 


!? 


430  IV.  Abschnitt 

zu  verlieren  man  angeblich  sehr  bedauerte1).  Ferner  dementierte 
man  sofort  ein  Gerücht  von  einseitigen  österreichischen  Friedens- 
verhandlungen mit  den  Franzosen,  das  der  französische  Unter- 
händler Mettra  aufzubringen  gewußt  hatte,  um  die  Mächte  zu 
entzweien2).  Franz  schickte  den  Feldmarschalleutnant  Wartens- 
leben zu  Friedrich  Wilhelm  ins  Hauptquartier3),  um  die  Ope- 
rationen der  Armeen  zu  vereinbaren,  und  gratulierte  dabei  recht 
herzlich  zu  dem  Erfolge  von  Frankfurt4).  So  suchte  man  mit 
kleinen  Mitteln  ans  Ziel  zu  kommen,  wo  doch  nur  große  helfen 
konnten.  An  jenem  österreichischen  Beschluß  ist  in  seiner  grund- 
sätzlichen Bedeutung  die  nächsten  Monate  hindurch  nicht  mehr 
gerüttelt  worden.  Nur  um  die  Form  der  Mitteilung  an  die  be- 
teiügten  Mächte  drehten  sich  die  späteren  Verhandlungen. 

Aber  die  Österreicher  hatten  sich  gründlich  verrechnet.  Sie 
hatten  vergessen,  die  Tätigkeit  des  preußischen  Kabinettsmini- 
steriums  und  Lucchesinis,  den  festen  Willen  des_  Königs  und  die 
dadurch  geänderte  Anschauung  von  Haiigwitz  in  Rechnung  zu 
stellen.  Jetzt  waren  in  diesem  Punkte  alle  Preußen  einig. 
Ungeduldig  wartete  man  in  Berlin  und  im  Hauptquartier  auf  die 
Antwort  und  konnte  sich  nicht  erklären,  warum  sie  so  lange  auf 
sich  warten  ließ.  Man  mußte  unbedingt  Österreichs  Einwilligung 
haben,  sonst  schien  der  ganze  Plan  zu  scheitern.  Hatte  Friedrich 
Wilhelm  im  Oktober  geglaubt,  der  Russen  sicher  zu  sein,  und 
damals  den  Einmarsch  der  preußischen  Truppen  in  Polen  nur  noch 
von  der  österreichischen  Zustimmung  abhängig  machen  wollen, 
so  war  diese  Ansicht  bald  vor  den  immer  ernster  lautenden  Nach- 
richten von  Goltz  aus  Petersburg  aufgegeben  worden.  Nur  die 
österreichische  Intervention  schien  helfen  zu  können;  sie  lag  im 
eigensten  österreichischen  Interesse5),  auf  ihr  bestand  man. 
Ferner  bestand  man  ebenso  auf  der  sofortigen  Besitzergreifung 


x)  Bericht  Cesars  27.  Oktober  P.S. 

2)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  31.  Lucchesini  an  Haugwitz  22.  No- 
vember. Nr.  40  III:  Note  Lucchesinis  für  Reuß  21.  November.  V  i  v  e  n  o  t 
II  702. 

3)  Der  König  hatte  um  einen  Offizier  gebeten.  Rep.  96,  155  E.  Fried- 
rich Wilhelm  an  Haugwitz  4.  Dezember.  Spielmann  hatte  den  Bruder 
des  Fürsten  Reuß  dazu  vorgeschlagen,  aber  bei  der  allgemeinen  Unzu- 
friedenheit mit  diesem  Vertreter  Österreichs  drang  er  damit  nicht  durch 
(Bericht  Haugwitz'  12.  Dezember). 

*)  V  i  v  e  n  o  t  II  702,  705  und  706.  Berichte  Haugwitz'  12.,  18.  und 
19.  Dezember.    Bericht  Lucchesinis  28.  Dezember. 

6)  Rep.  9— 272  Rapports  I.    F. S.A.  Au  Roi  1.  Dezember. 


Wien  431 

vor  der  Fortsetzung  des  Krieges,  womöglich  ohne  Teilnahme 
Österreichs  bei  jener  und  jedenfalls,  ohne  England  vorher  ins 
Geheimnis  zu  ziehen.  Alle  Erlasse  nach  Wien  sind  voll  von 
diesen  Forderungen1).  Das  Kabinettsministerium  schlug  sogar 
schon  ein  Ultimatum  mit  einer  Frist  von  vierzehn  Tagen  vor2). 
Lucchesini  setzte  nach  dem  Muster  des  ministeriellen  Erlasses 
vom  6.  Dezember  eine  neue  ostensible  Depesche  an  Haugwitz 
auf,  die  sofortige  Erklärung  forderte,  widrigenfalls  der  König 
umgehend  seine  Truppen  nach  Hause  marschieren  lassen  werde; 
dieser  mußte  sich  auch  gegenüber  Reuß  mündlich  aussprechen, 
doch  da  klang  es  schon  weniger  energisch :  wenn  er  nicht  sofort 
ein  gut  Teil  seiner  neuen  Erwerbungen  besetzen  könne,  so  werde 
er  nur  seine  allianzmäßige  Hilfe  stellen3).  Aber  gleichzeitig  zeigte 
Friedrich  Wilhelm  neue  Truppenmärsche  noch  über  die  Vervoll- 
ständigung der  50  000  Mann  hinaus  an,  um  Clerf ayt  zu  stützen, 
Dumouriez  im  Zaum  zu  halten.  Selten  wird  man  eine  größere 
Inkonsequenz  finden,  und  Spielmanns  Urteil  war  daher  völlig 
gerechtfertigt.  Haugwitz  hatte  schon  vorher  das  Seinige  getan 
und  brauchte  daher  dies  zweischneidige  Schwert,  das  der  König 
ihm  darbot,  nicht  mehr  zu  verwenden. 

Als  die  österreichische  Note  endlich  bekannt  wurde,  da  konnte 
sie  nur  beleidigend  wirken.  Man  erhielt  Steine  für  Brot,  alle  Ver- 
abredungen waren  durchkreuzt.  Haugwitz  hielt,  zwar  nicht  ganz 
konsequent,  den  Österreichern  die  militärischen  Maßregeln 
Preußens  möglichst  geheim4)  und  erklärte  die  Antwort  sogleich 
für  durchaus  ungenügend.  Der  Hauptpunkt,  die  sofortige  Be- 
setzung, sei  übergangen,  und  gegen  die  Besitznahme  Österreichs 
in  Polen  machte  er  ernste  Bedenken  geltend,  in  der  Furcht,  daran 
den  ganzen  Plan  scheitern  zu  sehen;  aber  auf  diesem  Punkte 
bestand  er  nicht  gleich  mit  der  wünschenswerten  Festigkeit5). 

x)  Berichte  Lucchesinis  3.,  10.,  18.  Dezember.  An  Lucchesini  6.  De- 
zember. Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  31.  Lucchesini  an  Haugwitz 
17.  November. 

2)  An  Lucchesini  19.  und  24.  Dezember. 

3)  Berichte  Lucchesinis  12.,  15.  Dezember.  An  Lucchesini  15.  und 
17.  Dezember.  Friedrich  Wilhelm  an  Haugwitz  13.  Dezember.  Friedrich 
Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  14.  Dezember.  Rep.  92  Lucchesinis 
Nachlaß  12,  L.  Au  Roi  15.  Dezember.  Rep.  96,  155  E.  Friedrieb  Wilhelm 
an  Haugwitz  4.  und  22.  Dezember. 

4)  Berichte  Haugwitz'  8.,  12.  und  18.  Dezember.  An  Haugwitz  13.  De- 
zember. 

5)  Sybel  III  179.  Berichte  Haugwitz'  4.  (Rep.  96,  155  E),  12. 
und  18.  Dezember.    An  Lucchesini  17.  und  19.  Dezember.    Beriebt  Lucche- 


432  IV.  Abschnitt 

Er  drängte  darauf,  ihm  den  Erlaß  nach  Petersburg  mitzuteilen, 
nach  dem  er  sich  erst  ein  vollständiges  Bild  von  dem  Grade  des 
österreichischen  Entgegenkommens  machen  könne.  Cobenzl 
suchte  ihn  hinzuhalten  und  doch  noch  von  Preußen  die  Teil- 
nahme am  Kriege  zu  erlangen,  ehe  es  im  Besitz  der  Entschädigung 
sei.  Aber  Haugwitz  blieb  fest  und  bestand  jetzt  auch  ausdrück- 
lich darauf,  daß  Österreich  nicht  seinen  Einmarsch  in  Polen  zur 
Bedingung  für  die  preußische  Besitznahme  mache.  Er  forderte 
also  die  Änderung  der  Antwort  an  Rußland  und  die  vorherige 
Vereinbarung  der  nach  England  zu  erlassenden.  Erst  wenn 
Österreich,  Preußen  und  Rußland  einig  seien,  sollten  die  Ent- 
schädigungspläne mitgeteilt  werden1). 

Diesem  festen  Verhalten  von  Haugwitz,  mit  dem  Friedrich 
Wilhelm  und  das  Kabinettsministerium  übereinstimmten,  wenn 
auch  der  König  durch  seine  militärischen  Maßregeln  seine  poli- 
tischen Pläne  durchkreuzte2),  hatte  nun  Österreich  nichts  mehr 
entgegenzustellen.  Die  Frage  hatte  sich  jetzt  so  zugespitzt,  daß 
nur  zwei  Fälle  noch  möglich  schienen:  Entweder  gab  Österreich 
nach,  dann  fiel  die  Parität,  mindestens  die  Gleichzeitigkeit, 
oder  es  beharrte  bei  seiner  Absicht,  dann  war  der  Bruch  mit 
Preußen  da.  Aber  Cobenzl  fand  in  dieser  Not  einen  Ausweg,  der 
vielleicht  seinem  Spürsinn  Ehre  macht,  aber  die  österreichische 
Regierung  in  einer  seltenen  Weise  diskreditiert  und  ihr  nur  wenig 
geholfen,  um  so  mehr  aber  geschadet  hat.  Er  beschloß,  zu  dop- 
pelten Instruktionen  seine  Zuflucht  zu  nehmen.  Die  ostensibeln 
waren  eigentlich  nur  zur  Lektüre  für  Preußen  bestimmt,  die  ge- 
heimen lauteten  ganz  anders  und  suchten  geradezu  das  unmöglich 
zu  machen,  was  in  den  ersten  als  österreichischer  Wunsch  be- 
zeichnet worden  war.  Ich  verkenne  durchaus  nicht  die  prekäre 
Lage  für  Österreich  und  im  besonderen  noch  das  persönliche 
Interesse,  das  Cobenzl  und  Spielmann  an  einer  Einigung  mit 
Preußen  hatten  —  das  Scheitern  mußte  sie  ihre  Stellen  kosten  — 
aber  stets  hat  sich  ein  Mangel  an  Ehrlichkeit  gerächt,  und  es 
bezeichnet  den  kleinen  Mann,  daß  er  zu  solchen  Mitteln  seine 
Zuflucht  nimmt.  Es  war  ein  Akt  wohlfeiler,  aber  kurzsichtiger 
Schlauheit.  Tatsächlich  gab  es  in  der  österreichischen  Regierung 
damals  niemand,  der  den  Mut  hatte,  die  Lage  so  zu  kennzeichnen, 


sinis   18.   Dezember.      Vergleiche  auch   S  y  b  e  1,   Vorträge  und  Aufsätze 
193  ff. 

1)  Berichte  Haugwitz'  12.  und  18.  Dezember  mit  P.S. 

2)  In  Berlin  war  man  am  festesten.    Vgl.  auch  S  y  b  e  1  III  179 — 180. 


Wien  433 

wie  sie  war.  Am  19.  regelte  eine  neue  Ministerialkonferenz  das 
österreichische  Verfahren  nach  dem  Wunsche  des  Kaisers,  den 
der  Entschluß  dazu  scheinbar  viel  weniger  Überwindung  kostete 
als  den  Vizekanzler1).  Am  19.  war  der  Erlaß  an  L.  Cobenzl  schon 
fertig,  Haugwitz  erhielt  eine  Abschrift  davon2). 

Zwar  ganz  zufrieden  war  dieser  jetzt  auch  noch  nicht.  Öster- 
reich forderte  nämlich  in  Petersburg  nur  die  eventuelle 
Besitznahme  für  Preußen,  und  er  hatte  noch  sonst  allerlei  an  der 
Fassung  auszusetzen.  So  kann  es  ihm  kaum  entgangen  sein,  daß 
Österreich  auch  hier  nicht  auf  sofortiger  Besitznahme  bestand 
und  sich  vor  allen  Dingen  auf  seine  Antwort  auf  die  preußische 
Note  bezog.  Aber  da  die  Forderung  der  Note  von  Merle  doch 
erfüllt  war3),  so  ließ  er  sich  auch  noch  durch  mündliche  Erklä- 
rungen mehr  bestimmen  als  von  dem  schriftlichen  Text  des 
Erlasses,  der  doch  entscheidend  war,  und  gab  sich  vorläufig  zu- 
frieden. Er  hoffte  auch  die  Österreicher  davon  überzeugt  zu 
haben,  daß  Preußen  sich  vor  der  Besitznahme  am  Kriege' nicht 
beteiligen  werde.  Er  unterschlug  deshalb  sogar  den  Brief  Fried- 
rich Wilhelms  vom  13.  Dezember,  in  dem  dieser  weitere  kriege- 
rische Maßregeln  anzeigte,  um  den  guten  Eindruck  seines  festen 
Auftretens  nicht  dadurch  wieder  abzuschwächen. 

Am  21.  erhielt  er  Kenntnis  von  vier  Erlassen  an  Stadion,  von 
denen  aber  nur  der  erste  als  ostensibel  bezeichnet  wurde;  für  alle 
sollte  erst  die  preußische  Zustimmung  eingeholt  werden  und  sie 
nur  gemeinsam  den  Engländern  mitgeteilt  werden.  Auch  hier 
schien  also  die  sonst  zweifellos  vorhandene  Gefahr  beseitigt  zu 
sein.  Aber  Haugwitz  glaubte  zu  größerer  Sicherheit  noch  auf 
einer  Revision  des  Erlasses  an  L.  Cobenzl  bestehen  zu  sollen4). 
Die  interimistische  Besitznahme  Österreichs  in  Polen  konnte 
eventuell  den  ganzen  Plan  zum  Scheitern  bringen.  Er  erhielt 
nun  am  22.  oder  23.  vom  Ministerium  die  Zusicherung,  jedoch 
trotz  ihrer  offiziellen  Form  nur  mündlich,  daß  es  diese  Bedingung 

x)  Sybel  III  183;  Vivenot  II  711. 

2)  Vivenot  II  720.  In  der  Abschrift  im  Rep.  I  170  steht  „beträcht- 
liches" statt  „buchstäbliches"  Kriegsheer.  Beilage  zum  Bericht  Haugwitz' 
19.  Dezember. 

3)  Die  Forderung,  Österreich  müsse  Preußen  in  Petersburg  unter- 
stützen, war  in  der  Merler  Note  selbst  nicht  enthalten  ( V  i  v  e  n  o  t  II  624). 
Erst  als  die  Nachrichten  aus  Petersburg  schlechter  lauteten,  war  sie  for- 
muliert worden. 

*)  Bericht  Haugwitz'  23.  Dezember.  Denkschrift  Haugwitz'.  Sybel 
III  181. 

Heidrieh,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution        28 


434  IV.  Abschnitt 

fallen  lasse  und  nur  die  Garantie  des  Tausches  durch  Preußen 
und  Rußland  fordere  mit  der  Begründung,  daß  Preußen  nicht 
eher  am  Kriege  teilnehme,  als  es  sich  seines  Anteils  bemächtigt 
habe.  Als  nun  auch  noch  der  Kurier  nach  Rußland  mit  der 
Weisung  an  L.  Cobenzl  am  23.  abends  wirklich  abgegangen  war1), 
da  schien  auch  der  letzte  Stein  aus  dem  Wege  geräumt  zu  sein. 
Österreich  hatte  sich  nach  der  Meinung  von  Haugwitz  in  alles 
gefügt,  Englands  Übelwollen  war  unschädlich  gemacht,  in  Ruß- 
land konnte  man  jetzt  sicher  auf  Erfolg  rechnen. 

Haugwitz  hielt  seine  Aufgabe  für  erfüllt.  Er  hatte  sich  schon 
am  23.  vom  Kaiser  verabschiedet,  nahm  kurz  darauf  eine  prächtige 
Dose  mit  dessen  Bildnis  als  Abschiedsgeschenk  in  Empfang2),  über- 
ließ dem  Legationsrat  Cesar  die  Aufgabe,  seine  Abberufungsbriefe 
zu  überreichen,  die  er  sich  schon  recht  frühzeitig  ausgebeten  hatte, 
um  jeden  Augenblick  abreisen  zu  können,  die  er  aber  nicht  mehr 
zur  rechten  Zeit  erhalten  hatte3),  und  reiste  am  26.  Dezember 
vormittags  über  Schlesien,  wo  er  private  Angelegenheiten  zu 
ordnen  hatte4),  nach  Berlin  ab6),  in  der  festen  Überzeugung, 
Österreich  zu  ehrlichem  Eingehen  auf  die  preußischen  Forde- 
rungen gebracht  zu  haben6).  Erst  in  Berlin,  wo  er  am  14.  abends 
eintraf7),  brachten  ihn  seine  Kollegen  zu  der  Einsicht,  daß  öster- 


x)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  31.  Haugwitz  an  Lucchesini  25.  De- 
zember. Nr.  25  Cesar  an  Lucchesini  27.  Dezember.  Bericht  Cesars  16.  Ja- 
nuar 1793. 

2)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  31.  Haugwitz  an  Lucchesini  29.  De- 
zember. 

3)  Berichte  Lucchesinis  10.  November,  18.  Dezember.  An  Lucchesini 
13.  Dezember.  Friedrich  Wilhelm  an  Haugwitz  13.  Dezember.  Bericht 
Cesars  29.  Dezember.  Rep.  96,  155  E.  Bericht  Haugwitz'  29.  Dezember. 
Friedrich  Wilhelm  an  Haugwitz  22.  Dezember.  Rep.  92  Lucchesinis  Nach- 
laß 31.     Haugwitz  an  Lucchesini  4.,  22.  und  29.  Dezember. 

4)  Lucchesini  an  seine  Frau  17.  und  28.  Dezember.  Rep.  92  Lucchesinis 
Nachlaß  31:  Haugwitz  an  Lucchesini  4.  Dezember. 

e)  Bericht  Cesars  29.  Dezember.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  25. 
Cesar  an  Lucchesini  27.  Dezember.     Vivenot  II  730. 

6)  Berichte  Haugwitz'  24.  und  29.  Dezember.  Rep.  92  Lucchesinis 
Nachlaß  31.  Haugwitz  an  Lucchesini  25.  und  29.  Dezember.  Lucchesini 
an  seine  Frau  28.  Dezember.    H  ä  u  ß  e  r  I  438. 

7)  Rep.  92  Cesars  Nachlaß  12.  Haugwitz  an  Cesar  9.  Januar  1793. 
Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  37.  Schulenburg  an  Lucchesini  16.  Januar 
1793.  Seit  dem  17.  Januar  unterzeichnete  Haugwitz  Berichte  an  den 
König  (Rep.  96,  147  H  I).  Vgl.  v.  M  i  n  u  t  o  1  i,  Der  Graf  v.  Haugwitz 
und  Job  v.  Witzleben  (Berlin  1844),  S.  9.  H  ü  f  f  e  r  73.  Schulenburg 
unterzeichnete  bis  Ende  Februar  ministerielle  Aktenstücke.    Vgl.  Stamm- 


Wien  435 

reich  nach,  seiner  formellen  Versicherung  zwar  offene  Opposition 
nicht  mehr  treiben  könne,  wohl  aber  um  so  mehr  versuchen  werde, 
auf  geheimen  Wegen  die  preußischen  Pläne  zu  durchkreuzen  und 
die  endgültige  Abtretung  jedenfalls  noch  hinauszuzögern1).  Seit- 
dem ist  das  Kabinettsministerium  in  dieser  Frage  als  Einheit  zu 
betrachten.  Immerhin,  Haugwitz  hatte  das  Seinige  getan,  und 
der  Rote  Adler  war  der  —  allerdings  wenig  erfreut  begrüßte  — 
Lohn  für  seine  Mühe2). 

Er  war  allerdings  wohl  der  einzige  Preuße  gewesen,  der  ganz 
von  der  österreichischen  Ehrlichkeit  überzeugt  war.  Besonders 
die  Depesche  an  L.  Cobenzl  erregte  in  Berlin  und  Frankfurt 
große  Unruhe,  da  in  ihr  die  preußische  Besitznahme  von  einem 
vorangehenden  Konzert  der  drei  Mächte  abhängig  gemacht  wurde, 
mit  dem  unangenehmen  Zusatz,  daß  Österreich  nur  bei  Annahme 
einer  schweren  Bedingung  nicht  in  Polen  einrücken  werde. 
Der  König  ließ  sich  noch  am  ersten  täuschen3).  Er  hatte  bei 
Reuß  auf  Lucchesinis  Anraten,  der  es  aber  an  der  nötigen  Schärfe, 
wie  immer  in  militärischen  Fragen,  hatte  fehlen  lassen,  persön- 
lich noch  einmal  Vorstellungen  gemacht  und  die  Wiedereroberung 
der  Niederlande  sogar  schon  als  reinen  Gewinn  Österreichs  be- 
zeichnet; aber  einen  eventuellen  Feldzugsplan4)  wollte  er  doch 
mit  dem  Prinzen  Koburg  festsetzen5),  und  als  er  Haugwitzens 
Depesche  vom  23.  Dezember  in  den  Händen  hatte,  da  erkannte 
er  nicht  die  vielen  Vorbehalte  und  schweren  Bedingungen,  sondern 
war  von  der  österreichischen  Ehrlichkeit  überzeugt.  Nur  von 
England  schien  ihm  noch  Gefahr  kommen  zu  können6).  Mochte 
das  Kabinettsministerium  noch  so  oft  empfohlen  haben,  nur 
einen  eventuellen  Feldzugsplan  festzustellen  —  er  hielt 

tafeln  des  Schulenburgischen  Geschlechts,  herausgegeben  von  Friedrich 
Albert  Graf  v.  Schulenburg  auf  Klosterroda.  Wien  1821.  Anhang  I.  Wien 
1823.     S.  46—48. 

1)  F.  S.A.H.  an  Lucchesini  21.  Januar  1793.  Rep.  92  Lucchesinis  Nach- 
laß 37.    Schulenburg  an  Lucchesini  16.  Januar  1793. 

2)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  31.  Haugwitz  an  Lucchesini  21.  Januar. 

3)  Sybel  III  181;  Sorel  III  315;  H.E.B.  315—316. 

4)  Man  merkt  gerade  diesen  Worten  an,  wie  sehr  hier  der  König  in- 
teressiert war.    An  Lucchesini  31.  Dezember. 

5)  Vi  veno  t  II  733;  Sybel  III  182. 

6)  Berichte  Lucchesinis  26.  und  28.  Dezember  1792  und  4.  Januar  1793. 
Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  26.  Dezember.  Rep.  9 — 272 
Rapports  I.  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  28.  Dezember. 
An  Lucchesini  31.  Dezember  1792  und  3.  Januar  1793.  Rep.  92  Cesars 
Nachlaß  21.    Lucchesini  an  Cesar  29.  Dezember. 


436  IV.  Abschnitt 

diese  Vorsicht  nicht  mehr  für  nötig,  sondern  beriet  ihn  in  einer 
Konferenz  vom  30.  Dezember  als  eine  auch  für  Preußen  schon 
feststehende  Tatsache,  noch  bevor  er  die  entscheidende  Nach- 
richt aus  Petersburg  hatte. 

Lucchesini  war  schon  schwerer  von  der  österreichischen  Ehr- 
lichkeit zu  überzeugen1).  Er  fügte  dem  Briefe  Friedrich  Wilhelms 
an  den  Kaiser  vom  30.  Dezember  einen  Passus  ein,  demzufolge 
Friedrich  Wilhelm  erwarte,  daß  Österreich  sich  nach  den  Haugwitz 
gegebenen  mündlichen  Versprechungen  richten  werde ;  sonst  könne 
er  an  die  Fortsetzung  des  Krieges  nicht  denken2).  Als  er  gar  von 
dem  Verfahren  Österreichs  gegenüber  England  und  Rußland  er- 
fuhr, da  will  er  in  seinem  Zorn  gar  keine  Grenzen  gekannt  haben. 
Er  sah  im  Geiste  schon  Preußen  und  das  Reich  von  Frankreich 
durch  eine  Barriere  getrennt,  die  das  neue  Königreich  Burgund 
und  die  geplanten  österreichischen  Erwerbungen  auf  französische 
Kosten  bilden  sollten3). 

Das  Kabinettsministerium  endlich  sah  in  all  den  gewundenen 
österreichischen  Erklärungen  nur  den  Wunsch,  die  Sache  in  die 
Länge  zu  ziehen  und  Preußen  zur  kräftigen  Teilnahme  an  dem 
Kriege  zu  bringen,  ehe  es  seinen  Anteil  in  Polen  erhielt4).  Alles 
schien  zusammenzukommen,  um  den  Ministern,  die  bisher  noch 
gezweifelt  hatten5),  Gewißheit  zu  geben:  Die  Langsamkeit  der 
österreichischen  Antwort,  Österreichs  Absicht,  selbst  ein  Stück 
von  Polen  zu  besetzen,  die  späte  Expedition  des  Ratifikations- 
dekretes nach  Regensburg,  die  Verzögerung  des  Marsches  der 
Truppen,  die  Mitteilung  nach  England,  der  Plan  einer  Reise  der 
österreichischen  Generale  Wurmser,  Ferraris  und  womöglich  auch 
Clerfayt  nach  Berlin  zur  Beratung  des  neuen  Feldzugsplanes. 
Sie  sahen  in  dem  österreichischen  Verfahren  bewußte  Unehrlich- 
keit und  wollten  wenigstens  das  Ihrige  dazu  tun,  sie  unschädlich 
zu  machen,  um  sich  später  keine  Vorwürfe  machen  zu  müssen6). 

1 )  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12,  L.  Au  Roi  25.  Dezember.  Bericht 
Lucchesinis  28.  Dezember. 

2)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12,  L.  Au  Roi  31.  Dezember.  Bericht 
Lucchesinis  31.  Dezember.  Rep.  I  174  Briefwechsel:  Friedrich  Wilhelm 
an  Franz  30.  Dezember. 

3)  Bericht  Lucchesinis  4.  Januar.     An  Lucchesini  11.  Januar. 

*)  Ich  bemerke  jedoch,  daß  es  sein  Urteil  auf  Grund  der  Depeschen 
vom  18.  und  19.  Dezember  abgibt. 

6)  An  Lucchesini  17.  Dezember.  An  Haugwitz  17.  Dezember.  An 
Goltz   18.   Dezember. 

6)  Haugwitz'  Bericht  18.  Dezember.  An  Haugwitz  25.  Dezember.  An 
Lucchesini  24.  und  27.  Dezember  1792,  3.  und  11.  Januar  1793.   An  Goltz 


Wien  437 

Sie  verlangten  daher  ein  neues  Ultimatum  nach  Wien,  das  den 
Österreichern  nur  noch  eine  bestimmte  Frist  gab.  Sonst  gelang 
es  diesen  wirklich,  den  preußischen  Schatz  zu  vernichten,  und 
das  war  für  Österreich  ja  ebensogut  wie  die  Eroberung  einer 
Provinz.  Von  Parität  konnte  jetzt,  wo  Österreich  die  Nieder- 
lande erst  zurückerobern  müsse,  keine  Rede  mehr  sein.  Preußen 
verlangte  sein  Recht.  Als  die  Depesche  von  19.  Dezember  be- 
kannt wurde  mit  der  österreichischen  Antwort  auf  die  preußische 
Note  und  dem  Erlaß  an  L.  Cobenzl,  da  wurden  die  Minister  in 
ihrer  Anschauung  nur  bestärkt.  Die  österreichischen  Bedingungen 
schienen  die  preußische  Besitznahme  ad  Kalendas  Graecas  zu 
vertagen  und  für  den  Tausch  eine  preußische  Verpflichtung  oder 
Garantie  zu  fordern,  die  Preußen  nicht  geben  konnte.  Auch  als 
später  aus  Wien  etwas  bessere,  aus  Petersburg  aber  gute  Nach- 
richten da  waren,  versäumte  das  Kabinettsministerium  —  es 
handelte  ja  ziemlich  selbständig  —  keine  Gelegenheit,  den  Öster- 
reichern zu  Gemüte  zu  führen,  daß  es  mit  der  Antwort  auf  die 
Merler  Note  durchaus  nicht  zufrieden  sei,  daß  es  sich  aber  an 
die  mündliche  Versicherung  des  Kaisers  halte1),  der  preußischen 
Besitznahme  in  Polen  vor  der  Eröffnung  des  neuen  Feldzuges 
zuzustimmen  gegen  die  Verpflichtung  Preußens  und  Rußlands, 
den  Tausch  zu  billigen2).  Es  erteilte  dem  preußischen  Vertreter 
in  London,  Jacobi,  Befehl,  Stadion  genau  auf  die  Finger  zu  sehen, 
da  Österreich  die  Besitznahme  der  preußischen  Entschädigungen 
stören  wolle3).  Damals  war  die  Sorge  in  Berlin  aufs  höchste 
gestiegen  und  ganz  mit  Recht. 

Denn  Haugwitz  hatte  sich  völlig  getäuscht,  er  hatte  seine 
persönliche  Leistung  überschätzt.  Stadion  erhielt  tatsächlich  den 
Befehl,  auch  ohne  Preußens  Zustimmung,  selbst  gegen  dessen 
Befehl,  vorzugehen.  Nicht  nur  das  erste  Schreiben  Ph.  Cobenzls 
sollte  er  dann  mitteilen  —  damit  hatte  sich  Haugwitz,  immer 


10.  Januar.  An  Cesar  7.  und  10.  Januar.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  14. 
F. S.A.  Au  Roi  25.  Dezember.  Rep.  9— 272  Rapports  I,  P.S.  zu  F. S.A. 
Au  Roi  25.  Dezember. 

1)  Zu  seinem  größten  Bedauern  war  sie  nicht  schriftlich  gegeben 
worden  (an  Lucchesini  3.  Januar). 

2 )  Das  letztere  war  eine  Unvorsichtigkeit  Schulenburgs  (Lucchesini  sagt : 
Sehr  geschickt!)  Rep.  XI  89  varia  1790—1796.  Ph.  Cobenzl  an  Schulenburg 
2.  Januar.  Schulenburg  an  Ph.  Cobenzl  10.  Januar.  Rep.  92  Lucchesinis  Nach- 
laß 14  VII.    An  Lucchesini  10.  Januar.     Bericht  Lucchesinis  16.  Februar. 

3)  An  Lucchesini  11.  Januar.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  III. 
An  Jacobi  11.  Januar. 


438  IV.  Abschnitt 

die  preußische  Genehmigung  vorausgesetzt,  in  der  Tat  einver- 
standen erklärt1)  —  worin  auch  schon  Entschädigungsforderungen 
der  Mächte  für  die  Kosten  im  allgemeinen  angemeldet  wurden, 
vor  allem  aber  das  Verhältnis  der  Mächte  zu  Frankreich  nicht 
ganz  richtig  gekennzeichnet  wurde  —  nein,  auch  die  Nachschrift 
dazu  war  ostensibel  gedacht,  und  dagegen  hatte  Haugwitz  gerade 
protestiert2).  Aber  das  teilte  Österreich  seinen  anderen  Ver- 
tretern im  Auslande  natürlich  nicht  mit3),  da  ja  die  öster- 
reichisch-preußische Freundschaft  in  möglichst  hellem  Lichte  er- 
scheinen sollte.  In  ihr  war  der  Tausch  und  seine  angeblichen 
Vorteile  auch  für  England  und  Holland  in  breitester  Weise  er- 
örtert, und  von  Preußen  hieß  es,  es  wolle  noch  kräftiger  als  bisher 
am  Feldzuge  teilnehmen  —  eine  Unwahrheit  —  aber  nur  wenn  es 
vorher  für  seine  Kosten  entschädigt  werde,  und  auf  französische 
Kosten  gehe  das  eben  nicht.  Man  erwartet  unwillkürlich  eine 
Fortsetzung  des  Satzes  mit  der  positiven  Angabe,  aber  sie  fehlt, 
und  mit  gutem  Grunde.  Wozu  brauchte  man  das  noch  auszu- 
sprechen, was  sich  jeder  sowieso  schon  an  den  fünf  Fingern  ab- 
zählen konnte  und  wonach  England  besonders  sich  schon  voller 
Sorge  erkundigt  hatte!  Außerdem  würden  sich  ja  Preußen  und 
Rußland  — ■  denn  auch  dessen  Anspruch  auf  Entschädigung  wird 
wärmer  als  der  preußische  begründet,  so  daß  der  Graf  Rasumowski 
in  der  Tat  mit  dem  Erlaß  zufrieden  sein  konnte  —  selbst  darüber 
erklären.  Damit  wurde  wohl  der  letzte  Zweifel  daran  erstickt, 
wo  Preußen  seine  Entschädigung  suchen  werde.  Aber  Österreich 
behielt  formell  die  Möglichkeit,  zu  behaupten,  von  ihm  sei  das 
Geheimnis  nicht  verletzt  worden.  Nur  das  letzte  Stück  mit  der 
Ausführung  über  die  preußischen  und  die  russischen  Pläne  sollte 
wegbleiben,  wenn  Jacobi  keinen  Auftrag  zur  Mitteilung  erhielt. 
Ein  Vertrauensbruch  wurde  also  scheinbar  vermieden,  aber  den 
Tauschplan  erfuhr  England  trotzdem,  ebenso  die  Absicht  Preußens, 
sich  gleichfalls  für  seine  Kosten  schadlos  zu  halten.  Es  war  also 
nur  Spiegelfechterei,  und  dasselbe  gilt  für  einen  vertraulichen 
Erlaß  an  Stadion,  der  für  Haugwitz  und  Reuß  umgeändert  wurde, 
so  daß  wenigstens  der  Anschein  gewahrt  blieb,  als  gingen  Öster- 
reich und  Preußen  zusammen  vor4).    Die  Grundzüge  konnte  man 


x)  Berichte  18.  und  21.  Dezember.     Vivenot  II  717,  730,  732. 

2)  Bericht  Lucchesinis  4.  Januar.     An  Goltz  10.  Januar. 

3)  Vivenot  II  717,  730,  732. 

4)  Die  Änderungen  sind  bei  Vivenot  II  7 15  durchaus  unzureichend, 
manchmal  geradezu  irreführend  gekennzeichnet.     Vgl.  die  Abschrift  bei 


Wien  439 

aber  damit  doch  nicht  treffen,  wie  die  preußischen  Minister  in 
Berlin  wohl  erkannten.    Kleine  Mittel  halfen  nichts. 

Aber,  wird  man  sagen  können,  diese  Erlasse  kamen  erst  An- 
fang Januar  nach  London;  eine  englische  Gegenaktion  konnte 
also  vor  Ende  Januar  in  Petersburg  nicht  gut  beginnen,  und  was 
konnte  sie  schaden,  wenn  Österreich,  Preußen  und  Rußland  einig 
waren!  Daran  jedoch  fehlte  es  eben.  Noch  nicht  einmal  Preußen 
und  Rußland  waren  einig,  und  Österreich  suchte  diesen  Fall 
nach  Kräften  hinauszuschieben,  u  m  den  Engländern  die  Mög- 
lichkeit zu  verschaffen,  einzugreifen.  Diese  Tatsache  wiegt  bei 
weitem  schwerer  als  die  erste.  War  es  in  England  vor  allem  der 
Wunsch,  seine  eigenen  Pläne  zu  befördern,  so  bei  Rußland,  die 
des  Verbündeten  zu  hintertreiben,  damit  er  nur  ja  nicht  allein 
oder  auch  nur  vor  Österreich  den  Lohn  für  seine  Mühe  ein- 
streiche. 

Zunächst  mußte  sich  Österreich  bei  Rußland  entschuldigen 
Wegen  der  vorzeitiger!  Mitteilung  des  Tauschplans  in  England1). 
Dies  wisse  doch  schon  davon  und  würde  nur  Verdacht  schöpfen, 
wenn  man  es  länger  im  ungewissen  darüber  lasse.  Man  müsse 
also  den  günstigen  Augenblick  ergreifen  und  den  Engländern  die 
österreichische  Ansicht  beibringen.  Rasumowski  habe  diesen 
Schritt  auch  schon  als  berechtigt  anerkannt2).  Dem  folgte  der 
Entschädigungsplan,  in  dem  man  nicht,  wie  es  Haugwitz  ver- 
sprochen worden  war3),  auf  eine  eventuelle  Besetzung  Polens 
durch  Österreich  verzichtete,  falls  Tausch  und  polnischer  Plan 
nicht  gleichzeitig  durchgeführt  werden  könnten,  und  überhaupt 
keine  andere  Möglichkeit  offen  ließ;  ferner  die  Aufforderung, 
seine  eigenen  Absichten  zu  äußern  und  zu  dem  nächsten  Eeldzug 
Truppen  zu  schicken. 

Soweit  waren  die  Erlasse  noch  ostensibel  gedacht.  Aber  jetzt 
kam  erst  das  wahre  österreichische  Gesicht  zum  Vorschein4).  Mit 
dürren  Worten  erklärte  man,  Österreich  befinde  sich  in  der  Zwangs- 
lage, die  preußischen  Absichten  öffentlich  billigen,  um  seine  Teil- 
nahme am  nächsten  Feldzuge  zu  erlangen,  und  sie  geheim  hindern 

der  Depesche  von  Haugwitz  vom  21.  Dezember  1792  in  Rep.  I  170,  dazu 
V  i  v  e  n  o  t  II  721. 

1 )  V  i  v  e  n  o  t  II  721. 

2)  ibid.  II  732. 

3)  Der  am  19.  dem  Grafen  Haugwitz  mitgeteilte  Erlaß  war  unverän- 
dert geblieben  (V  i  v  e  n  o  t  II  720).  Preußens  Einwilligung  wurde  aber 
trotzdem  an  Reuß  gemeldet  (II  732). 

4)  Vi  veno  t  II  722;  Sybel  III  182—185. 


440  IV.  Abschnitt 

zu  müssen,  da  sie  dem  österreichischen  Interesse  zuwider  seien1). 
Einmal  habe  Preußen  die  Zession  von  Ansbach-Bayreuth  ab- 
gelehnt, und  da  müsse  der  preußische  Anteil  stark  verkleinert 
werden,  da  man  mit  jener  Abtretung  gerechnet  habe  (das  ist 
falsch).  Die  wirkliche  Besetzung  Polens  durch  die  Mächte  sei 
zwar  eventualiter  zu  verabreden,  aber  vorläufig  noch  zu  ver- 
schieben. Sollte  sich  jedoch  Preußen  wirklich  nicht  länger  hin- 
halten lassen,  so  könnten  ja  wegen  der  Unruhen  in  Polen  öster- 
reichische und  preußische  Truppen  einrücken.  Insbesondere, 
wenn  russische  Truppen  aus  Polen  nach  dem  Rhein  abmarschierten, 
um  am  Kriege  gegen  Frankreich  teilzunehmen,  könnten  statt  ihrer 
österreichische  und  preußische  einrücken,  scheinbar  nur,  um  Ord- 
nung und  Ruhe  aufrecht  zu  erhalten.  Damit  hätte  dann  Öster- 
reich zwei  Fliegen  mit  einer  Klappe  geschlagen.  Endlich  sollte 
Rußland  den  Preußen  die  Besetzung  nur  unter  zwei  Bedingungen 
gestatten,  daß  sie  nämlich  den  Krieg  gegen  Frankreich  mit  aller 
Kraft  weiterführten  und  die  Ausführung  des  Tausches  nach  dem 
Friedensschluß  garantierten. 

Nun  tat  aber  Österreich  einen  Schritt  zurück  und  erfüllte 
scheinbar  die  von  Haugwitz  gestellte  Forderung;  es  gab  damit 
seinem  Vorgehen  den  Anschein  einer  Konzession  an  die  Russen2). 
Wenn  Rußland  und  Preußen  den  Tausch  garantierten,  dann  wolle 
Österreich  auf  eine  Besetzung  polnischen  Gebietes  ganz  ver- 
zichten und  habe  auch  deshalb  noch  nichts  von  der  Größe  des- 
selben gesagt,  wozu  es  ja  erst  die  Größe  des  preußischen  Anteils 
kennen  müsse.  Alle  Gründe  gegen  eine  Garantie  werden  nun 
mit  vieler  Beredsamkeit  zu  widerlegen  versucht.  Nicht  nur  die 
alte  Freundschaft  zwischen  Österreich  und  Rußland  sollte  dies 
bestimmen,  auf  diese  Wünsche  einzugehen  —  man  drohte  sogar3). 
Denn  wie  die  Dinge  auch  ausgehen  mochten,  Rußland  verlor 
seinen  beherrschenden  Einfluß  auf  Österreich  —  der  Gedanke 
von  Cobenzl  und  Spielmann  aus  dem  Juli  taucht  in  veränderter 
Gestalt  wieder  auf.  Preußen  ist  dabei  nicht  mehr  der  intime 
Freund,  sondern  eventuell  der  scharfe  Rivale,  aber  England  ist 
in  die  Rechnung  mit  eingetreten.  Die  Russen  sollten  sich  selber 
sagen,  daß  Rivalität  zwischen  Preußen  und  Österreich  für  sie 
besser  sei  als  Einigkeit.    Deshalb  sollten  sie  den  Tausch  begün- 


1)  Heigel  II  82;   Ssolowjoff  311—312.     Vgl.  auch  den  un- 
veränderten Erlaß  an  Stadion  (V  i  v  e  n  o  t  II  715:  22.   Dezember). 

2)  Vivenot  II  723.     Bericht  Cesars  3.  Januar  1793. 

3)  Vi  veno  t  II  724. 


Petersburg  44  \ 

stigen,  ja  garantieren.  Aber  welches  Gewicht  konnte  Rußland 
solchen  Drohungen  beilegen,  wenn  die  Österreicher  sich  ihm  zu- 
gleich in  einer  Weise  in  die  Hand  gaben,  die  einer  völligen  Preis- 
gabe einer  selbständigen  Politik  mindestens  in  Polen  ähnlich  sah!1) 
Katharina  wurde  damit  in  der  Tat  zur  absoluten  Gebieterin  in 
der  polnischen  Frage.  Ihr  starres  Festhalten  an  dem  ursprüng- 
lichen Plan  gegenüber  Preußen  scheint  mir  nur  hieraus  erklärlich 
zu  sein. 

So  löste  sich  das  bisherige  System  völlig  auf.  Anfänge  zu 
einer  Neubildung  waren  vorhanden,  bedurften  aber  noch  der 
Zeit,  um  völlig  ausreifen  zu  können.  Drei  Monate  später  war 
der  Systemwechsel  entschieden,  nicht  ganz  in  dem  Sinne  Cobenzls 
—  er  selbst  stürzte  dabei.  Der  Grund  ist  ein  doppelter:  Die  Vor- 
gänge in  Frankreich  und  ihre  Rückwirkung  auf  Europa,  ferner 
die  zweite  polnische  Teilung  zwischen  Preußen  und  Rußland  mit 
Ausschluß  von  Österreich.  Denn  alle  diese  Künste  von  Philipp 
Cobenzl  waren  ergebnislos  gewesen,  schon  deshalb,  weil  man  zu 
lange  gezögert  hatte.  Als  das  Kabinettsministerium  die  Nach- 
richt von  Haugwitz  von  der  scheinbar  glücklichen  Lösung  seiner 
Aufgabe  erhielt,  da  hatte  es  schon  die  Depesche  von  Goltz,  die 
das  Eingehen  Katharinas  auf  den  Plan  Preußens  meldete.  Diesen 
entscheidenden  Vorgängen  müssen  wir  uns  jetzt  zuwenden. 


3.  Kapitel 

Petersburg 

I. 

Es  war  den  Preußen  nicht  so  leicht  gefallen,  wie  Friedrich 
Wilhelm  in  seinem  Briefe  an  Katharina  vom  17.  Oktober  es  dar- 
zustellen für  gut  hielt,  sich  dazu  zu  entschließen,  bei  Rußland 
zuerst  ihre  Forderung  vorzubringen  und  damit  die  Entscheidung 
diesem  zu  überlassen.  Aber  die  österreichische  Hartnäckigkeit 
schien  keinen  anderen  Ausweg  zu  lassen.  Dazu  bot  der  Abschluß 
der  Allianz  eine  besonders  günstige  Gelegenheit,  mit  Rußland 
sich  auch  in  diesem  Punkte  zu  einigen2).    Dabei  gab  Preußen  zur 


1 )  S  y  b  e  1  III  184. 

2)  Politisches  Journal  1792,  S.  1134 — 1135.      Man  beachte  den  deut- 
lichen Hinweis   auf  die  Hoffnung,  ein   Stück  Land   für  Preußen  zu   er- 


442  IV.  Abschnitt 

Erleichterung  des  Geschäftes  gleich  mehr  als  deutlich  seine  Be- 
reitwilligkeit zu  erkennen,  den  Russen  auch  ein  tüchtiges  Stück 
zu  verschaffen1).  Daß  dabei  die  Ukraine  zuerst  herankommen 
werde,  schien  sicher2).  Seien  erst  einmal  Preußen  und  Rußland 
einig,  so  werde  Österreich  nicht  mehr  länger  den  Spröden  spielen3). 
Um  einen  Grund  zum  Einmarsch  war  man  nie  verlegen4).  Das 
Treiben  von  Descorches,  mit  dem  früher  unter  anderen  Ver- 
hältnissen Lucchesini  und  der  schwedische  Gesandte  Engeström 
zusammen  gearbeitet  hatten,  und  dem  antirussisch  gesinnten  Teil 
der  Bevölkerung5),  die  erfreulicherweise  zahlreichen  Grenzver- 
letzungen oder  der  eventuelle  Ersatz  der  Russen,  die  an  den 
Rhein  geschickt  werden  könnten  (also  ein  ähnlicher  Gedanke  wie 
bei  Österreich  im  Dezember),  boten  den  Preußen  stets  einen  An- 
laß. Alopeus  wurde  daher  instruiert,  man  müsse  eventuell  in 
Polen  zur  eigenen  Sicherheit  einen  Kordon  ziehen,  und  gab  das 
als  schon  beinahe  selbstverständlich  weiter6).  Aber  Preußen 
wollte  eine  ausdrückliche  Billigung,  und  sie  blieb  aus.  Es  kostete 
Katharina  ja  nur  noch  ein  Wort,  und  Preußen  ließ  seine  Truppen 
einrücken?).  Dies  hatte  also  tatsächlich  das  Spiel  aus  den  Händen 


werben,  und  die  Selbstverständlichkeit,  mit  der  die  neue  pohlische  Ver- 
fassung seit  dem  erfolgreichen  Vorgehen  der  Russen  aufgegeben  wird. 
Vgl.  dazu  S.  1290,  1379;  Jahrgang  1793,  S.  45^6. 

*)  Ssolowjoff  294—295.  An  Goltz  17.,  30.  November,  3.  und 
18.  Dezember.     Berichte  1./12.  Oktober,  24.  November/5.  Dezember. 

2)  Berichte  von  Buchholtz  21.   November,   12.   Dezember. 

3)  An  Goltz  28.  September,  1.  und  21.  Oktober,  3.  November.  An 
Lucchesini  29.  Oktober.     Bericht  14./25.  September. 

4)  Politisches  Journal  1792,  S.  956—957,  985—988,  1242. 

5 )  S  m  i  1 1  II  530—531 ;  Ssolowjoff  302—303.  Politisches 
Journal  1792,  S.  1119—1120,  1237—1238,  1289,  1346.  Berichte  von  Buch- 
holtz 3.  November,  27.  Oktober,  31.  Oktober,  24.  November.  An  Buch- 
holtz 4.,  20.,  25.  November.  An  Lucchesini  25.  März  1792.  An  Goltz 
3.,  8.  und  25.  November.  Rep.  9 — 272:  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabi- 
nettsministerium 18.  November.  Rep.  96,  147  G III:  F.S.A.  AuRoi  24.  No- 
vember. Korrespondenz  mit  Möllendorff  in  Rep.  9 — 272. 

6)  Rep.  XI  Rußland  133  B.  Alopeus  an  Schulenburg  27.  September. 

7)  Bericht  Lucchesinis  16.  November.  An  Goltz  1.,  8.  Oktober,  3., 
8.,  17.,  22.,  25.  November.  An  Lucchesini  4.  November.  Bericht  von  Goltz 
19./30.  November.  Es  versteht  sich  unter  diesen  Umständen  ganz  von 
selbst,  daß  die  preußischen  Rüstungen  nicht  eine  Drohung  sein  konnten. 
Das  Geheimnis  wurde  vor  den  Russen  absichtlich  nicht  gewahrt.  (Rep. 
9 — 272  Rapports  I.  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  9.  und 
10.  November.  Rep.  96,  147  G  in.  F.S.A.  Au  Roi  14.  November.  An 
Goltz  15.  November.     Heigel  II  79.) 


Petersburg  443 

gegeben.  Das  konnte  deshalb  so  gefährlich  werden,  weil  Preußen 
beide  polnische  Parteien  gegen  sich  hatte,  Rußland  aber  nur 
eine1).  Diesem  blieb  also  die  Möglichkeit,  sich  mit  jener  ohne 
oder  sogar  gegen  Preußen  zu  verständigen.  Daher  mußte  man 
in  Berlin  nachher,  beinahe  ohne  mit  den  Wimpern  zu  zucken, 
sich  in  die  schweren  russischen  Bedingungen  fügen2).  Der  Vor- 
schlag Lucchesinis,  vorläufig  nur  zu  vereinbaren,  daß  man  teilen 
wolle,  und  dann  gleich  die  Truppen  einrücken  zu  lassen,  über 
Größe  der  Stücke  und  Art  der  Teilung  sich  aber  erst  später 
zu  einigen,  wie  es  bei  der  ersten  Teilung  gewesen  sei  (?),  fand  im 
Kabinettsministerium  keine  günstige  Aufnahme,  da  Katharina 
ausdrücklich  den  bloßen  Einmarsch  für  schädlich  erklärt  habe3). 
Nicht  die  österreichische,  sondern  die  russische  Zustimmung  war 
nun  aber  die  Hauptsache.  Der  König  hatte  zunächst  beabsichtigt, 
seine  Truppen  in  Polen  einrücken  zu  lassen,  sowie  er  sie  in  den 
Händen  hatte4).  Haugwitz  wollte  den  König  veranlassen,  Möllen- 
dorff den  Befehl  zu  geben,  sofort  nach  der  österreichischen  Zu- 
stimmung einzurücken.  Es  gelang  jedoch  den  Vorstellungen 
Lucchesinis,  der  scheinbar  die  Leitung  des  Königs  Ende  Oktober 
für  kurze  Zeit  hatte  an  Haugwitz  abtreten  müssen5),  und  nament- 
lich denen  des  Kabinettsministeriums,  den  König  dahin  zu 
bringen,  daß  das  Kabinettsministerium  sofort  nach  Eingang  der 
Meldung  aus  Petersburg  (die  österreichische  erwartete  man  dann 


*)  Politisches  Journal  1792,  S.  1178—1179. 

2)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  Nr.  37.  Schulenburg  an  Lucchesini 
16.  Dezember.  Berichte  Lucchesinis  2.  und  3.  Dezember.  Rep.  96,  147  G  III. 
F.  S.A.  Au  Roi  24.  November.  So  kann  man  denn  nicht  sagen,  daß  sich  das 
Schicksal  Polens  an  den  Rhein-  und  Mainufern  entschied  (Ssolowjoff 
292).     An  den  Ufern  der  Newa  fiel  die  Entscheidung.     Häußer  I  436. 

3)  Rep.  XI  89  k.  Lucchesini  an  Schulenburg  8.  Oktober.  An  Lucchesini 
3.  Dezember.  Berichte  15./26.  Oktober,  22.  Oktober/3.  November,  26.  Ok- 
tober/6. November,  29.  Oktober/9.  November,  2./13.  November. 

*)  Bericht  Lucchesinis  10.  November.  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabi- 
nettsministerium 9.  und  10.  November  (in  Rep.  9 — 272  Rapports  I).  An  Luc- 
chesini 17.  November.  An  Haugwitz  20.  November.  Rep.  96,  147  G  III: 
F.S.A.  Au  Roi  17.  November.  Rep.  9— 272  Rapports  I:  Friedrich  Wilhelm 
an  das  Kabinettsministerium  26.  Oktober.  Ibid.  Korrespondenz  mit  Möllen- 
dorff:  Friedrich  Wilhelm  an  da^>  Kabinettsministerium  27.  Oktober.  An 
Möllendorff  5.  und  6.  November.  Möllendorff  an  das  Kabinettsministerium 
5.  und  6.  November.  Friedrich  Wilhelm  an  Möllendorff  27.  Oktober.  Möllen- 
dorff war  an  das  Departement  für  das  einzelne  verwiesen  worden. 

5)  Berichte  Lucchesinis  23. — 26.  Oktober,  6.  November  und  20.  No- 
vember.    Vgl.  oben. 


444  IV.  Abschnitt 

schon  zu  haben)  den  Truppen  den  Befehl  erteilen  sollte,  die 
Grenze  zu  überschreiten1).  Nun  aber  trat  die  Frage  bestimmt 
hervor:  Wieviel  sollte  man  fordern? 

Erinnern  wir  uns  an  die  Absicht  Friedrich  Wilhelms  im  März, 
das  ganze  linke  Weichselufer  zu  annektieren,  um  den  rechten 
Maßstab  für  die  Art  der  Eroberung  zu  gewinnen.  Widerstand 
erwartete  man  in  diesem  Koloß  nicht  zu  finden.  Man  brauchte 
sich  scheinbar  nur  zu  bücken,  um  zu  nehmen,  soviel  wie  man 
wollte2).  Preußen  werde  im  Gegenteil  eher  noch  als  der  Erretter 
erscheinen  (vgl.  oben).  Irgendwelche  Gedanken  an  die  Nationalität 
der  neuen  Untertanen  und  an  ihre  Keligion  hatte  man  nicht; 
ebensowenig  machte  man  sich  einen  Begriff  von  den  schweren 
Aufgaben,  die  ein  derartiger  Gebietszuwachs  der  preußischen 
Verwaltung  stellen  mußte.  In  keiner  Weise  dachte  man  an  die 
Assimilierung  der  neuen  Provinzen  an  das  Stammland.  Das  ist 
vielleicht  der  schwerste  Vorwurf,  den  man  rückblickend  erheben 
könnte ;  aber  ihn  wirklich  erheben,  bieße  doch  die  damalige  Lage 
aus  einem  schiefen  Gesichtswinkel  betrachten  und  auch  den  tat- 
sächlichen Zwang  der  Lage  wie  die  Gesetzmäßigkeit  historischen 
Geschehens  verkennen.  Preußen  durfte  Rußland  nicht  zum 
Herrn  über  ganz  Polen  werden  lassen,  ohne  sich  den  schwersten 
Gefahren  auszusetzen3),  und  lange  war  es  sein  Ziel,  sich  eine 
militärisch  wie  wirtschaftlich  geschlossene  Grenze  zu  verschaffen. 
Da  es  Widerstand  nicht  erwartete  und  auch  nicht  fand,  so  ging 
es  über  das  Maß  des  Nötigen  hinaus,  und  erst  nach  manchem 
Hin-  und  Herwogen  hat  sich  politisch  das  Gleichgewicht  der 
Kräfte  hergestellt,  als  dessen  Ausdruck  die  heutige  Grenze  wohl 
betrachtet  werden  darf. 

Gering  waren  die  Anforderungen  also  nicht,  mit  denen  Preußen 
an  die  Lösimg  der  Frage  heranging.    Die  Minister  schraubten  sie 


1)  Berichte  Lucchesinis  10.,  20.,  24.  November.  An  Lucchesini  17., 
19.,  22.  November.  Rep.  9 — 272  Rapports  I.  Friedrich  Wilhelm  an  das 
Kabinettsministerium  21.  November.  Rep.  96,  155  E.  Bericht  Haugwitz' 
4.  Dezember. 

2)  S  o  r  e  1 II 443.  An  Goltz  17.  November,  1.  Dezember,  18.  Dezember, 
22.  Januar  1793.  Bericht  19./30.  November.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß 
40 III.  Buchholtz  an  Lucchesini  13.  Februar  1793 1  Wenn  Möllendorffs  Kordon 
fertig  ist,  toute  cette  comedie  sera  finie.  Rep.  XI  89  k.  Schulenburg  an 
Lucchesini  29.  Dezember  1792:  la  täche  de  Pologne  doit  etre  finie  en  six 
semaines,  temps  qui  lui  (Möllendorff)  suffira  pour  diriger  l'entree  et  la 
dislocation  de  son  corps  de  troupes. 

3)  H  e  i  g  e  1  II  79. 


Petersburg  445 

allerdings  in  der  Mainzer  Konferenz  —  es  ist  die  erste  genauere 
Angabe,  die  ich  finde  —  auf  ein  bescheideneres,  zugleich  aber 
erreichbares  Maß  zurück:  Danzig  und  Thorn,  dazu  die  Palatinate, 
die  Preußen  von  Schlesien  trennten,  Gnesen,  Posen  und  Kaiisch, 
einen  Teil  Sieradiens,  endlich  Kujavien  (vgl.  oben).  Darin  sah 
man  ein  Äquivalent  für  den  bayrischen  Tausch.  Als  nun  aber 
der  Gedanke  der  Zuwage  auftauchte,  war  es  Haugwitz,  der  in 
einem  Berichte  vom  16.  August  die  Wage  in  die  Hand  nahm 
und  jeder  Partei  für  die  verschiedenen  Fälle  die  Größe  ihres 
Anteils  bestimmte.  Er  ging  dabei  ganz  naturgemäß  von  Öster- 
reich aus;  denn  für  Preußen  brauchte  man  die  Grenze  nur  weiter 
zurück-  oder  vorzuschieben.  Er  unterschied  dabei  drei  Fälle: 
1.  Wenn  Österreich  nur  einen  Grenzstrich  im  Hennegau  erhielt, 
sollte  Preußen  die  beiden  Städte  und  einen  Strich  von  Czen- 
stochau  an  der  Warthe  entlang  erhalten  (noch  war  der  Regierungs- 
bezirk Posen  polnisch).  2.  Konnte  Österreich  den  Tausch  durch- 
führen, so  verlangte  Preußen  das  Gebiet  von  Czenstoch.au-  über 
Sietzkow,  Rawa  nach  der  Mündung  des  Bug  in  die  Weichsel 
und  von  da  in  gerader  Richtung  nach  Soldau.  3.  Gab  Preußen 
aber  den  Österreichern  noch  die  Markgrafschaften,  so  hatte  es 
Anspruch  auf  das  ganze  linke  Weichselufer1).  Wir  wissen,  daß 
der  dritte  Fall  infolge  der  preußischen  Weigerung  von  selbst  aus- 
schied. Der  erste  kam  noch  nicht  in  Betracht.  Es  blieb  also  bei 
Nr.  2.  Daß  die  preußische  Linie  auch  noch  das  halbe  Land  Weljun 
von  Polen  abtrennte,  hatte  Schulenburg  in  Mainz  wohl  anzu- 
geben vergessen.  Haugwitz  schien  dabei  den  preußischen  Anteil 
doch  unverhältnismäßig  groß  bemessen  zu  haben.  Es  ist  auf 
Schulenburgs  Rechnung  zu  setzen,  daß  für  Preußen  im  wesent- 
lichen Haugwitzens  Ansatz  Nr.  1  in  Vorschlag  gebracht  wurde, 
getreu  jenen  Äußerungen  Schulenburgs  in  Mainz.  Der  König  er- 
teilte ihm  nämlich  den  Befehl,  vermutlich  am  27.  oder  28.  August, 
nach  seiner  Rückkehr  nach  Berlin  durch  Goltz  ein  Gebiet  fordern 
zu  lassen,  das  bis  zu  der  Grenze  Lipow  (?)  (westlich  von  Soldau 
an  der  preußischen  Grenze),  Bolkowa  (nordwestlich  von  Plozk), 
Plozk,  Gostynin  (südwestüch  von  Plozk),  Sleszyn,  Grshegorshew 
(östlich  von  Kolo),  Uniejow  an  der  Warthe,  Warta,  Sirads, 
Wielcki  (?)  (nördlich  von  Weljun),  Gorzow(?)  (an  der  schlesischen 
Grenze  östlich  von  Kreuzburg)  reichte.  In  einer  Konferenz  vom 
27.  September  wurde  der  Erlaß  an  Goltz  (vom  28.)  festgestellt, 


x)  Rep.  I  170.   Bericht  Haugwitz'  16.  August.     H.E.B.  292—296. 


446  IV.  Abschnitt 

d.  h.  in  einer  Zeit,  in  der  man  in  Berlin  noch  auf  eine  rasche, 
glückliche  Entscheidung  in  dem  Kriege  gegen  die  Revolution 
hoffte1).  Eine  gewonnene  Schlacht  wäre  die  beste  Nachricht 
gewesen,  die  man  sich  auch  hierfür  nur  hätte  wünschen  können2). 
Schulenburg  bedurfte  übrigens  zwar  noch  sehr  der  Schonung 
und  Ruhe  und  war  zeitweise  in  ganz  trostloser  Stimmung,  wollte 
aber  auf  ausdrücklichen  Wunsch  des  Königs  wenigstens  die 
polnische  Frage  noch  selbst  zum  Abschluß  bringen3). 

Nun  war  aber  die  genaue  Kenntnis  des  polnischen  Landes 
noch  nicht  sehr  weit  verbreitet.  Die  Minister  schickten  daher 
an  Goltz  unter  einem  falschen  Namen  (Johann  Müller)  nebst 
anderen  Karten  eine  solche  von  Polen,  die  1790  ein  gewisser 
Müller  in  Wien  (zu  beachten!)  herausgegeben  hatte  (sie  erwies 
sich  nachher  als  ziemlich  unbrauchbar),  und  zur  größeren  Vor- 
sicht ließ  man  den  Brief  von  einem  Beamten  schreiben,  der  sonst 
mit  der  russischen  Korrespondenz  nichts  zu  tun  hatte,  und  mit 
einem  Privatpetschaft  versiegeln.  Lucchesini  scheint  mit  der 
ganzen  Frage  bis  jetzt  noch  nichts  zu  tun  gehabt  zu  haben.  Er 
war  für  die  Lösung  einer  ganz  anderen  Aufgabe  ausersehen. 
Auch  Alopeus  sollte  noch  nichts  davon  erfahren4);  Lucchesini 
bat  ihn  nur,  Rußlands  Erklärung  über  Polen  möglichst  zu  be- 
schleunigen5). An  Österreich  wurde  wohl  deshalb  keine  besondere 
Mitteilung  über  die  Größe  mehr  gemacht,  weil  man  sich  im 
wesentlichen  an  die  schon  früher  angegebene  Grenze  hielt  und 
deshalb  scheinbar  auf  seine  Ehrlichkeit  pochen  konnte,  und  ge- 
rade das  ist  der  beste  Beweis  dafür,  daß  man  jetzt  Österreich 
von  dem  Geschäft  vorläufig  ausschließen  wollte6). 

Nun  scheiterte  aber  der  erste  Feldzug.  So  gern  man  auch 
in  Berlin  wie  im  Hauptquartier  eine  Fortsetzung  des  Krieges 
vermieden  hätte7),  so  stellte  sich  jetzt  doch  für  Preußen  die  Not- 


1 )  An  Lucchesini  30.  September.  Alvensleben  an  Marconnay  28.  Sep- 
tember.   An  Goltz  28.  September. 

2)  Bericht  Lucchesinis  21.  September.  H.E.B.  297—300.  Rep.  XI 
89  k.     Schulenburg  an  Guionneau  29.  September. 

3 )  Rep.  XI  89  k.  Schulenburg  an  Cesar  4.  und  9.  Oktober,  an  Caraman 
3.  November,  an  Goltz  9.  September,  an  Hardenberg  10.  November.  Rep. 
92  Lucchesinis  Nachlaß  37.  Schulenburg  an  Lucchesini  13.  November, 
16.  Dezember  1792,  8.  Januar  1793.  Politisches  Journal  1792,  S.  1085—1087. 

*)  An  Lucchesini  30.  September  und  8.  Oktober. 

5)  Lucchesinis  Bericht  21.  September. 

6)  An  Goltz  28.  September. 

7)  Rep.  XI  89  k.    Schulenburg  an  Tauenzien  11.  Oktober  1792. 


Petersburg  447 

wendigkeit  heraus,  einen  zweiten  zu  führen.  Da  mußte  dann 
selbstverständlich  auch  mehr  gefordert  werden.  Wir  erkennen 
die  Hand  von  Haugwitz  in  der  Kabinettsorder  vom  26.  Oktober, 
in  der  das  Gebiet  innerhalb  einer  Linie  Czenstochau-(Inowlodz)- 
Rawa-(Wyszogrod)-Soldau  verlangt  wird1).  Außer  dem  bisher  ge- 
forderten Anteil  war  noch  das  fehlende  Stück  von  Sieradien,  das 
Land  Czenstochau,  das  Palatinat  Lentschiza  und  Teile  derjenigen 
von  Plozk  und  Rawa  dabei2).  Es  wurde  also  der  Rest  Kujaviens 
und  fast  ganz  Großpolen  (es  fehlte  die  Hälfte  von  Rawa)  und 
noch  Stücke  anderer  Gebiete  gefordert  (halb  Plozk,  Czenstochau). 
Haugwitz  hatte  dabei  zwar  auch  nebenher  das  Ziel  im  Auge, 
Schlesien  militärisch  besser  zu  decken;  aber  das  war  doch  nur 
ein  Grund  für  die  Auswahl,  nicht  für  die  Größe  des  Gebietes, 
und  sie  war  das  Entscheidende3).  Es  scheint  mir  außer  Zweifel, 
daß  Haugwitz  dabei  nicht  nur  an  die  Kosten  für  einen  zweiten 
Feldzug  gedacht  hat,  sondern  auch  an  eine  Vergrößerung 
des  preußischen  Anteils,  um  bei  der  österreichischen  Zuwage, 
die  jetzt  mehr  als  je  anerkannt  wurde,  nicht  zu  kurz  zu  kom- 
men4). 

Friedrich  Wilhelm  hatte  zu  der  Forderung  gar  keine  weitere 
Erklärung  gegeben.  Es  war  diejenige  des  Kabinettsministeriums, 
dem  jedoch  der  Brief  Friedrich  Wilhelms  an  Katharina  beträcht- 
lich eher  bekannt  war  als  die  neue  Forderung  (26.  Oktober  bezw. 
3.  November),  daß  Goltz  bei  der  ersten  Linie  stehen  bleiben, 
wenn  Preußen  nach  dem  ersten  Feldzug  ausscheide,  die  zweite 
fordern  solle,  wenn  Preußen  1793  in  gleicher  Stärke  am  Kriege 
teilnehme5).  Der  König  billigte  diese  Auslegung  seiner  Befehle, 
die  aus  der  Sorge  entsprungen  war,  Katharina  könne  eine  sonst 
völlig  unbegründete  Mehrforderung  zurückweisen  und  überhaupt 
in  ihrem  Ärger  der  Sache  eine  andere  Wendung  geben.  Denn  so 
sehr  das  Kabinettsministerium  Goltz  in  jedem  Erlaß  gedrängt 


x)  Rep.  9— 272  Rapports  I. 

2)  Von  ganz  geringfügigen  Teilen  anderer  Palatinate  kann  ich  hier 
absehen.  An  Haugwitz  4.  November.  Rep.  96,  147  G  III.  F.  S.A.  Au  Roi 
4.  November.  Rep.  XI  Rußland  135  A.  Schulenburg  4.  Januar  1793.  An 
Lucchesini  28.  Januar  1793.    Lelevelll  164. 

3)  Bericht  Lucchesinis  10.   November  1792. 

4)HäußerI  398;  S  y  b  e  1  II  359;  S  s  o  1  o  w  j  o  £  f  301.  Bericht 
Lucchesinis  10.  November. 

5 )  Schulenburg  26.  Oktober.  An  Goltz  27.  Oktober  und  3.  November. 
An  Lucchesini  29.  Oktober  und  4.  November.  An  Haugwitz  4.  November. 
Rep.  96,  147  G  III.    F.  S.A.  Au  Roi  4.  November. 


448  IV-  Abschnitt 

hatte,  entsprechend  seiner  Instruktion  bei  Ostermann  seinen  An- 
trag zu  stellen,  weil  es  an  guten  Nachrichten  wirklich  nicht 
fehlte1),  so  ängstlich  war  es  jetzt  wieder  geworden,  da  es  die 
schlechte  Wirkung  fürchtete,  die  der  Fehlschlag  des  ersten  Feld- 
zuges in  Petersburg  erzielen  werde2).  Es  galt,  sie  möglichst  ab- 
zuschwächen, indem  man  die  Schuld  an  dem  Scheitern  den 
Elementen  zuschob  und  für  das  nächste  Jahr  einen  kräftigen 
neuen  Versuch  versprach3).  Wie  konnte  man  aber  gleichzeitig 
mit  der  Meldung  der  Niederlage  seine  Forderungen  steigern?4) 
Schon  gut,  wenn  man  vorläufig  die  erste  Linie  erreichte  und 
nicht  alles  hinfällig  wurde5).  Die  Entsendung  einer  polnischen 
Deputation  nach  Petersburg  schien  zu  antipreußischen  Umtrieben 
Gelegenheit  genug  zu  geben6).  Ausdehnen  ließ  sich  das  Okku- 
pationsgebiet immer  noch,  und  bei  den  Verhandlungen  würden 
sich  so  wie  so  noch  kleine  Zugaben  ergeben?).  Nur  die  Rücksicht 
auf  die  geplanten  eigenen  Erwerbungen,  denen  man  in  Preußen 
gleich  von  Anfang  an  große  Ausdehnung  zuschrieb,  konnte 
Katharina  scheinbar  schon  jetzt  zur  Annahme  der  zweiten  Linie 
günstig  stimmen.  Man  mußte  aber  auch  zufrieden  sein,  wenn 
man  weniger  erhielt8). 

Dazu  hatte  nun  Katharina  in  der  Tat  gewissen  Anlaß,  auf 
die  Mächte,  besonders  auf  Österreich,  zu  zürnen.  Dies  beob- 
achtete über  die  Entschädigungsverhandlungen  ein  unerklärliches 
Stillschweigen,  und  die  geliebten  Emigranten  wurden  von  beiden 
Mächten  nicht  so  gut  behandelt,  wie  Katharina  es  wünschte ;  ins- 
besondere der  Plan  der  Regentschaft  war  an  ihrem  Widerstände 
gescheitert.  Endlich  verlangten  sie  —  das  ging  besonders  gegen 
Österreich,  das  die  Preußen  in  dieser  Frage  vorangehen  ließ9)  — 


1)  An  Goltz  5.,  8.,  19.,  21.  Oktober. 

2)  An  Lucchesini  22.  und  29.  Oktober,  4.  November.  An  Goltz  25. 
und  27.  Oktober.  Friedrich  Wilhelm  an  Katharina  17.  Oktober.  Rep.  XI 
89  k.    Schulenburg  an  Lucchesini  21.  Oktober. 

3)  Es  war  dann  gar  nicht  so  schlimm,  wie  man  es  sich  in  Berlin  aus- 
gemalt hatte.     (S  s  o  1  o  w  j  o  f  f  300—301.     Bericht  12./23.  Oktober.) 

4)HäußerI  436. 

5)  Berichte  Lucchesinis  10.  und  16.  November. 

6)  Bericht  Lucchesinis  18.  November. 
')  An  Lucchesini  17.  November. 

8)  An  Lucchesini  4.  und  8.  November.  Rep.  96,  147  G  III.  F.  S.A. 
Au  Roi  4.  November.    Berichte  Lucchesinis  10.  und  16.  November. 

9)  Auch  Breteuil  hatte  von  sich  aus  davon  gesprochen  (Fersen 
II  307). 


Petersburg  449 

nun  Truppenhilfe1),  wo  Katharina,  ihrem  Wunsche  nachgebend, 
sich  zu  einer  Geldzahlung  bequemt  hatte2).  Wenn  nun  auch 
der  gewandte  Lucchesini  diese  durch  Nassau  übermittelten  Vor- 
würfe geschickt  zu  entkräften  wußte,  so  blieb  doch  ein  gewisser 
Groll  immer  zurück.  Und  wenn  auch  Nassau  wider  Erwarten 
der  Preußen  seinen  Berichten  eine  für  sie  günstige  Wendung  gab, 
so  waren  doch  immer  noch  die  Emigranten  und  ihr  Beschützer 
Romanzow,  vielleicht  auch  Valerian  Subow,  zu  fürchten3).  Da 
konnte  denn  in  der  Tat  ein  Sieg  der  Preußen  über  Custine  nicht 
nur  militärisch  sehr  wichtig  werden  und  den  preußischen  Ruhm 
wieder  herstellen,  sondern  auch  Rußland  dazu  günstig  stimmen, 
den  Preußen  ihre  Entschädigung  sofort  zu  gewähren4).  Aber  die 
Sache  hatte  sich  durch  die  russische  Weigerung  zum  Nachteil 
Preußens  dahin  verschoben,  daß  nicht  die  preußische  Besitznahme 
zur  Bedingung  für  die  Fortsetzung  des  Krieges  wurde,  sondern 
umgekehrt  diese  die  Bedingung  für  jene5).  Da  schien  denn  den 
Preußen  sehr  zu  statten  zu  kommen,  daß  die  Instruktion,  vom 
28.  September  noch  gar  keine  praktische  Bedeutung  gewonnen 
hatte6).  Goltz  hatte  bisher  in  seiner  Vorsicht  noch  keinen  Ge- 
brauch davon  gemacht. 

Ludwig  Cobenzl,  sein  österreichischer  Rivale,  mit  dem  er 
nicht  durch  seine  Schuld  auf  so  gespanntem  Fuße  stand,  daß  er 
dessen  Abberufung  als  den  größten  Gewinn  betrachtet  hätte7), 


1 )  Als  Kuriosum  möchte  ich  erwähnen,  daß  Preußen  nach  der  zweiten 
Teilung  in  Petersburg  vorschlug  —  2000  Kosaken  von  den  in  Polen  stehenden 
Truppen  an  den  Rhein  zu  schicken,  um  durch  sie  —  schon  ihre  Tracht 
schien  dazu  sehr  geeignet  zu  sein  —  Schrecken  in  Frankreich  zu  verbreiten 
und  dem  Feldzug  eine  entscheidende  Wendung  zu  geben  (Rep.  96,  147 
H  I.  F.  S.A.  Au  Roi  14.  Februar  1793.  Rep.  XI  Rußland  135  A.  Friedrich 
Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  20.  Februar  1793.  An  Goltz  28.  Fe- 
bruar und  31.  März.  Berichte  1./12.  März  und  4./15.  März).  Auch  das 
war  vergebens.    Rußland  tat  nichts. 

2)  Ssolowjoff  372.  Bericht  5./ 16.  Oktober.  An  Goltz  8.  November. 

3)  Bericht  Lucchesinis  6.  November.  An  Lucchesini  8.,  12. — 14.,  24.  No- 
vember. An  Goltz  8.  November.  L.  Au  Roi  1.  November.  Rep.  92 
Lucchesinis  Nachlaß  12.  L.  Au  Roi  12.  November.  Bericht  Lucchesinis 
10.  Dezember  P.S.  m  Lucchesinis  Nachlaß  14. 

4)  Die  Nachricht  von  der  Einnahme  Frankfurts  kam  aber  erst  nach 
der  Entscheidung  in  Petersburg  an.     Bericht  10./21.  Dezember  1792. 

5)  Bericht  Lucchesinis  6.  November.  An  Lucchesini  12. — 14.  November. 
An  Goltz  27.  Dezember. 

6)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  37.  Schulenburg  an  Lucchesini  13.  No- 
vember. 

7)  Bericht  31.  August/11.  September. 

H ei d rieh,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Eevolution       29 


450  IV.  Abschnitt 

gehörte  zu  dem  kleinen  Kreise  der  Vertrauten  Katharinas,  die 
sie  zu  allerlei  festlichen  Veranstaltungen  hinzuzog1).  Die  Minister 
folgten  in  der  Art,  die  Gesandten  zu  behandeln,  ganz  natürlich 
ihrer  Herrin.  Goltz  witterte  nun  hinter  jedem  derartigen  Besuch 
eine  diplomatische  Intrigue,  argwöhnte  geheime  russisch-öster- 
reichische Separatverhandlungen2)  und  glaubte  sich  auch  von 
seinem  eigenen  Hofe  zurückgesetzt.  Für  den  Abschluß  des  Ver- 
trages hatte  er  aus  Berlin  nichts  bekommen3).  Gesellschaftlich 
konnte  er  sowieso  mit  Cobenzl  nicht  konkurrieren4)  und  ließ  sich 
auch  durch  eine  gelegentliche  Liebenswürdigkeit  von  Katharina 
nicht  zu  einer  Änderung  seiner  Ansichten  bewegen5).  Er  schlug 
mit  diesen  Klagen  beim  Kabinettsministerium  bezw.  beim  König 
wirklich  gleich  eine  bessere  Behandlung  heraus  —  man  brauchte 
ihn  jetzt  sehr  nötig  —  und  vor  allem  die  Aussicht  auf  eine  tüchtige 
Belohnung  bei  günstigem  Abschluß6).  Cobenzl  ließ  auch  keine 
Gelegenheit  vorübergehen,  ohne  ihm  die  österreichischen  Forde- 
rungen nachdrücklich  vorzulegen7).  Besonders  bestand  er  auf 
der  Abtretung  der  Markgrafschaften  als  einer  conditio  sine 
qua  non. 

Goltz  übersah  in  dieser  Lage  beinahe  geflissentlich  die  gün- 
stigen Anzeichen,  die  er  selbst  meldete.  Ostermann  sprach  ja 
sogar  schon  von  einer  Vollmacht;  es  konnte  nur  die  von  Goltz 
gemeint  sein8).  Er  meinte,  die  Lage  sei  noch  zu  gefährlich,  und 
hielt  sich  in  jeder  Weise  zurück.  Er  sagte  nichts  wegen  der  Ver- 
teilung der  polnischen  Truppen  an  der  preußischen  Grenze,  die 
man  in  Berlin  so  unangenehm  empfand9).  Er  wollte  nur  ganz 
leise  die  Interessen  Kurlands  zur  Sprache  bringen,  die  Friedrich 
Wilhelm  ihm  persönlich  anempfohlen  hatte10).   Er  wollte  endlich 


x)  Memoires  posthumes  du  Feld-Marechal  Comte  de  Stedingk  rediges 
par  le  General  comte  de  Bjömstjerna  (Paris  1844)  II  2. 

2)  Bericht  3./14.   September. 

3)  Rep.  XI  89  k.    Goltz  an  Schulenburg  29.  September/10.  Oktober. 
Schulenburg  an  Goltz  27.  Oktober. 

*)  An  Lucchesini  17.  November  und  24.  Dezember. 
8)  Bericht  14./25.   September  1792. 

6)  Bericht  26.  November/7.  Dezember.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12. 
L.  Au  Roi  23.  November. 

7)  Bericht  3./14.  September.     An  Goltz  1.  Oktober. 

8)  Berichte  14./25.  September,  1./12.  Oktober,  5./16.  Oktober,  12./23. Ok- 
tober.   An  Lucchesini  8.  Oktober. 

9)  Bericht  3./14.  September. 

1  °)  Das  schadete  am   allerwenigsten   (an   Goltz   5.   und  8.    Oktober, 
10.  November,  29.  Dezember).  Politisches  Journal  1792,  S.  1178—1179, 1287. 


Petersburg]  451 

die  Entschädigungsfrage  erst  dann  anfassen,  wenn  er  genauere 
Instruktionen  hatte  als  bisher  (er  hörte  nicht  auf,  um  sie  zu 
bitten)  und  wenn  er  sich  des  russischen  Entgegenkommens 
sicherer  fühlte1).  Dazu  erklärten  die  Russen,  von  Cobenzl  bestärkt, 
erst  dann  weitergehen  zu  können,  wenn  der  österreichische 
Kurier  mit  genauen  Instruktionen  da  sei2).  Die  einzige  Schwierig- 
keit bot  in  der  Tat  die  Frage  der  Entschädigung  Österreichs; 
für  Preußen  und  Rußland  konnte  es  wirklich  nicht  viel  zu  ver- 
handeln geben3).  Goltz  begnügte  sich  daher  damit,  das  preußische 
Verlangen  in  immer  deutlicherer  Weise  allgemein  erkennen  zu 
lassen4). 

Als  die  lange  erwartete  österreichische  Ratifikation  des  Ver- 
trages mit  Rußland  endlich  eintraf,  ohne  daß  Cobenzl  zugleich 
Instruktionen  über  den  Entschädigungsplan  erhielt,  aber  die 
Reise  Spielmanns  ins  Hauptquartier  bekannt  wurde,  da  hoffte 
Goltz  schon,  die  ganze  Verhandlung  werde  nun  dort  geführt 
werden.  Er  atmete  auf6),  eine  schwere  Last  schien  von  ihm 
genommen  zu  sein.  Er  sah  jetzt  nur  sie,  nicht  die  Ehre,  die  für 
ihn  dabei  zu  gewinnen  war,  ganz  abgesehen  von  materiellen  Vor- 
teilen, auch  nicht  den  Vorteil,  den  sein  Staat  erlangen  konnte. 
Er  ähnelt  darin  in  gewisser  Weise  dem  Herzog  von  Braunschweig. 
Aber  da  er  nur  ausführendes  Organ  seiner  Vorgesetzten  war,  so 
vermochte  er  nicht  so  viel  zu  schaden.  Aus  Berlin,  wo  man  seine 
kleinmütige  Gesinnung  schon  kannte6),  ergingen  an  ihn  absicht- 
lich recht  zuversichtliche  Weisungen,  in  denen  mit  Lobsprüchen 
für  ihn  nicht  gekargt  wurde,  wo  man  innerlich  doch  recht  bange 
war  und  auf  den  saumseligen  Goltz  zürnte7).  In  seiner  Hoffnung 
wurde  er  deshalb  auch  bald  enttäuscht.  Aber  seine  Instruktion 
veranlaßte  ihn  nicht,  die  günstige  Stimmung  Ostermanns  wahr- 
zunehmen, der  gegen  L.  Cobenzl  immer  kälter,  gegen  Goltz  immer 


1)  Berichte  7./18.  September,  14./25.  September,  28.  September/O.Ok- 
tober, 12./23.  Oktober.    An  Goltz  10.  November. 

2)  Berichte  17./28.  September— 2./13.  November. 

3)  Bericht  26.  Oktober/6.  November.    Kep.  XI  Rußland  133  B.  Alo- 
peus  an  Schulenburg  27.   September. 

4)  Bericht  15./26.  Oktober. 

5)  Berichte  21.  September/2.  Oktober  und  12./23.  Oktober.  An  Lucche- 
sini  18.  Oktober.    An  Goltz  19.  Oktober. 

6)  Rep.  XI  Rußland  133  B.  Alvensleben  12.  November,  Finckenstein 
12.  November. 

7)  An  Goltz  10.,  12.,  25.,  30.  November,  1.  und  9.  Dezember.     An 
Lucchesini  8.  und  12.  November. 


452  IV-  Abschnitt 

liebenswürdiger  geworden  war.  Nur  schrittweise  wollte  er  vor- 
gehen, noch  eine  Instruktion  für  ministerielle  Eröffnung  ab- 
warten1). 

Das  war  nun  wirklich  überflüssige  Ängstlichkeit,  und  vor 
allem:  Katharina  war  von  Friedrich  Wilhelm  auf  Goltzens  Er- 
öffnungen als  wohl  schon  erfolgt  hingewiesen  worden.  Man  hatte 
jetzt  auch  Alopeus  eingeweiht.  Längeres  Zögern  von  Goltz  konnte 
also  nur  schaden,  nichts  nützen.  Goltz  wurde  kategorisch  an- 
gewiesen, dem  Vizekanzler  die  betreffenden  Eröffnungen  zu 
machen2).  Trotzdem  erhielt  er  zu  seiner  Beruhigung  noch  eine 
besondere  Vollmacht  vom  8.  November  für  die  Verhandlungen 
über  die  Entschädigung  und  die  eventuelle  Fortsetzung  des 
Krieges3).  Dazu  kam  nun  noch  die  englische  Eröffnung,  wonach 
man  eine  Vermittlung,  aber  vor  allem  den  Versuch  fürchtete, 
die  polnische  Teilung  zu  hintertreiben,  die  Mächte  zu  entzweien4). 
Denn  mochten  die  Russen  sich  immerhin  ein  Stück  von  Polen 
aneignen  —  Danzig  und  Thorn  durften  nie  und  nimmer  in 
Preußens  Hände  fallen,  wenn  nicht  der  Weichselhandel  den 
Engländern  verschlossen  werden  sollte.  Derartige  praktische 
Interessen  trieben  die  Engländer  an,  im  Namen  der  Humanität 
gegen  die  Zertrümmerung  des  polnischen  Staates  zu  protestieren. 
Jetzt  galt  es  keinen  Augenblick  zu  verlieren,  um  Rußland  nicht 
kopfscheu  werden  zu  lassen.  Preußen  wollte  sich  das  Verdienst 
sichern,  den  Russen  die  Mitteilung  hierüber  zuerst  und  sie  auf  die 
Gefahr  aufmerksam  gemacht  zu  haben;  aber  es  schwächte  ge- 
flissentlich die  Bedeutung  ab  und  betonte,  wenn  Preußen,  Ruß- 
land und  Österreich  einig  seien,  könne  England  doch  nichts  tun5). 
Den  Einwand  endlich,  daß  erst  Preußen  und  Österreich  einig 
sein  müßten,  ehe  Rußland  sich  erklären  könne,  lehnte  es  mit 
der  Bemerkung  ab,  daß  Preußen  nichts  gegen  Österreich, 
sondern  alles  für  diese  Macht  tun  werde,   daß   Tausch   oder 


*)  Bericht  1./12.  Oktober. 

2)  An  Goltz  27.  Oktober  P.S. 

3)  Das  Original  folgte  nach  der  Unterzeichnung  durch  den  König. 
An  Goltz  8.,  17.,  22.  November.  An  Lucchesini  19.  und  22.  November. 
Rep.  96,  147  G  III.  F.  S.A.  Au  Roi  8.  November.  HäußerI436;Smitt 
II  521. 

*)  Sorel  III  218.  An  Lucchesini  23.  November  und  10.  Dezember. 
Bericht  Lucchesinis  27.  November.  An  Haugwitz  23.  November.  An  Goltz 
23.  November.  Rep.  9— 272  Rapports  I.  F.  S.A.  Au  Roi  22.  November. 
Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  3.  Dezember. 

5)  Rep.  9— 272  Rapports  I.    F. S.A.  Au  Roi  23.  November. 


Petersburg  453 

Säkularisationen  im  Reich,  gegen  die  bei  preußisch-österreichisch- 
russischer  Einigkeit  niemand  etwas  machen  könne,  oder  bei  der 
Fortsetzung  des  Krieges  Eroberungen  auf  Frankreichs  Kosten 
Mittel  genug  böten.  Eine  Zuziehung  Österreichs  zu  der  polnischen 
Teilung  liege  in  dem  Interesse  von  keiner  der  drei  Mächte. 
Namentlich  Rußlands  Interesse  schien  damit  gewahrt  zu  werden1). 
Goltz  erhielt  gleichzeitig  das  Material,  um  den  Verleumdungen 
der  Emigranten  entgegenzutreten,  die  die  außerordentlichen 
preußischen  Geldopfer  am  liebsten  geleugnet  hätten2).  Dazu 
teilte  man  ihm  den  Marsch  der  Verstärkungen  an  den  Rhein 
mit  und  die  Mobilmachung  der  gegen  Polen  bestimmten  Truppen, 
die  man  öffentlich  als  gegen  Frankreich  bestimmt  bezeichnete3). 

Wenn  eine  Steigerung  des  Tones  der  preußischen  Befehle 
noch  möglich  war,  so  wurde  sie  jetzt  erreicht4).  Es  traf  sich  gut, 
daß  Friedrich  Wilhelm,  den  Goltzens  Bericht  vom  19./30.  Oktober 
in  neue  Sorge  versetzt  hatte,  die  Abreise  von  Valerian  Subow 
benutzte,  um  vertraulich  an  Katharina  zu  schreiben,  aber  natür- 
lich entwarf  Lucchesini  den  Brief5).  Er  entwickelte  ihr  die  Gründe 
für  das  Vordringen  der  Franzosen,  teilte  seine  Absicht  mit,  kräftig 
einen  zweiten  Feldzug  zu  führen,  gedachte  dabei  seiner  schon 
bisher  großen  Aufwendungen  auch  für  die  Emigranten  und  stellte 
höflich,  aber  bestimmt,  seine  Forderung  dafür.  Er  verfehlte  nicht, 
ihr  zu  schmeicheln,  indem  er  sie  auf  eigene  Eroberungen  in  Polen 
hinwies,  um  dort  endlich  Ruhe  zu  schaffen,  und  schickte  ihr  auf 
einen  Wink  Nassaus  außer  einem  kostbaren  Schmuckstück  nach 
österreichischem  Muster  für  Piaton  Subow  —  er  vermied  jedoch, 
den  Namen  zu  nennen  —  den  Schwarzen  Adler6). 

Inzwischen  hatte  sich  aber  Goltz  nun  doch  schon  am  Abend 
des  9.  November  erklärt7).  Nach  seinen  zahlreichen  Andeutungen 

x)  Bericht  von  Goltz  15./26.  Oktober.  An  Goltz  10.,  17.,  19.  November, 
1.  Dezember.     An  Lucchesini  1.  Dezember. 

2)  An  Goltz  12.  November. 

3 )  An  Goltz  15.  November.     Ssolowjoff  302. 

4)  An  Goltz  22. — 23.  November,  25.  November.  An  Lucchesini  29.  No- 
vember, 1.  Dezember  etc. 

5)  Berichte  Lucchesinis  16.,  18.  und  24.  November.  Rep.  92  Lucchesinis 
Nachlaß  12.   L.  Au  Roi  20.  und  21.  November. 

6)  Die  Minister  unter  sich  12.  November.  An  Goltz  12.,  22.,  30.  No- 
vember. An  Lucchesini  12.  November.  Bericht  Lucchesinis  24.  November. 
Rep.  96,  147  G  III.  F. S.A.  Au  Roi  22.  Dezember.  Bericht  von  Goltz 
28.  Dezember  1792/8.  Januar  1793.  Friedrich  Wilhelm  an  Katharina 
21.  November  1792. 

7)  Cobenzl  hatte  natürlich  wieder  noch  keine  Nachrichten. 


454  IV.  Abschnitt 

brauchte  er  in  der  Tat  nur  noch  die  letzte  Hand  ans  Werk  zu 
legen.  Er  gab  Ostermann  die  Karte,  auf  der  die  neue  preußische 
Grenze  eingetragen  war,  aber  nicht  nach  den  Instruktionen  vom 
26.  Oktober  und  vom  3.  November,  sondern  nach  denen  vom 
28.  September;  es  handelte  sich  also  um  die  erste  Grenze. 
Da  Ostermann  natürlich  diese  kleinen  Städte  nicht  alle  kannte 
—  viel  Ahnung  von  der  Geographie  scheint  er  überhaupt  nicht 
gehabt  zu  haben  —  gab  Goltz  ihm  noch  ein  Verzeichnis  der  neuen 
Grenzorte.  Das  Los  war  geworfen.  Kußland  bedurfte  wirklich 
nicht  mehr  des  so  begehrten  preußischen  Chiffres,  um  hinter 
dessen  Geheimnisse  zu  kommen;  es  gab  für  Rußland  hierin  keins 
mehr1).  Nach  allem  schien  die  Entscheidung  rasch  fallen  zu 
müssen2). 

Aber  zum  großen  Erstaunen  von  Goltz,  von  allen  Preußen, 
wich  Ostermann  aus.  Er  nahm  die  Sache  nur  ad  referendum. 
Er  kenne  Katharinas  Ansicht  nicht  genau  genug,  spreche  daher 
nur  für  sich,  sehe  aber  sehr  viel  Schwierigkeiten,  die  einen  raschen 
Entschluß  wohl  verhindern  würden,  so  die  militärischen  Erfolge 
der  Franzosen  (das  ging  Wohl  besonders  auf  die  Preußen!),  die 
Schwierigkeit,  für  Österreich  etwas  Passendes  zu  finden,  und 
endlich  die  Anwesenheit  der  polnischen  Deputation.  Man  könne 
auch  nicht  so  mir  nichts  dir  nichts  seine  den  Polen  gegebenen 
Versprechungen  brechen,  müsse  doch  irgend  einen  Grund  dafür 
angeben.  Jedenfalls  brauche  Katharina  noch  Zeit;  sie  liebe  es 
nun  einmal  nicht,  sich  so  rasch  zu  entscheiden,  und  Goltz  müsse 
also  etwas  Geduld  haben8).  Was  war  an  diesen  Einwänden  be- 
gründet, was  nur  Vor  wand?  Wie  stand  Rußland  in  der  zweiten 
Hälfte  des  Jahres  1792  zu  dem  Gedanken  einer  neuen  polnischen 
Teilung? 

II. 

Es  scheint  mir  außer  allem  Zweifel,  daß  Katharina  in  dieser 
Zeit  stets  an  dem  Plan  einer  Teilung  festgehalten  hat4).    Es  galt 


1)  Wassiltchikow  II  4,   164. 

2)  Berichte  29.   Oktober/9.  November  und  2./13.  November. 

3)  H  äußer  I  436.     Bericht  2./13.  November. 

4)  Sybel  (besonders  III  168—169,  192—193;  vgl.  dazu  S  m  i  1 1  II 
495—497  und  521  ff.;  Ssolowjoff  304;  Sorel  III  316;  Clapham 
174 — 176  und  215;  Marwitz  I  83 — 86)  sucht  nachzuweisen,  daß  die 
Polen  selbst  erst  durch  ihre  politische  Uneinigkeit  und  Unfähigkeit,  dazu 
die  unabwendbaren  Forderungen  der  Mächte  Katharina  veranlaßt  hätten, 
die  Teilung  wirklich  vorzunehmen.     Dabei  scheint  er  mir  aber  doch  die 


Petersburg  455 

für  sie,  ihre  eigene  Macht  dauernd  und  gut  fundiert  zu  vergrößern. 
Ganz  Polen  im  Zaume  zu  halten,  hätte  außerordentlich  viel  Opfer 
gekostet  und  den  selbstverständlichen  Widerstand  von  Preußen 
und  Österreich  herausgefordert.  Für  den  Augenblick  war  es 
jedenfalls  nur  ein  schöner  Traum,  und  Katharina  begnügte  sich 
daher  vorläufig  mit  einem  —  allerdings  recht  tüchtigen  —  Stück 
aus  dem  Kuchen.  Ich  glaube  nicht,  daß  sie  sich  von  dem  Ge- 
Bedeutung des  russischen  Zögerns  zu  überschätzen  und  die  Instruktion 
für  Sievers  vom  22.  Dezember  1792/2.  Januar  1793  für  ein  intimes  Akten- 
stück zu  halten.  Das  ist  nun  ganz  sicher  nicht  der  Fall  (S  m  i  1 1 II  521  ff. ; 
S  s  o  1  o  w  j  o  f  f  306—310;  Blum,  Sievers  III  455—457  und  468—469 
Instruktion  für  Igelström.  Dazu  38  ff.).  Es  ist  eine  Rechtfertigung  der 
russischen  Politik,  die  immer  bloß  das  Beste  für  Polen  gewollt  habe,  aber 
u.  s.  w.  Ferner  ist  zu  erwägen,  daß  Katharina  es  womöglich  vermeiden 
wollte,  sich  selbst  zu  erklären,  und  schon  deshalb  abwartete,  daß  die  Mächte 
es  täten,  in  dem  richtigen  Gedanken,  daß  sie  dann  die  Leitung  in  die  Hand 
bekomme.  Es  war  nicht  ihre  Schuld,  daß  Österreich  so  lange  mit  seiner 
Antwort  zögerte,  daß  sich  Katharina  mit  Preußen  allein  verständigte. 
Der  positive  Beweis  dafür  liegt  in  den  Anträgen  von  Alopeus  im  preußischen 
Hauptquartier   Anfang    Oktober   nach   einer   Weisung    Ostermanns    vom 

3.  September  und  gedruckt  in  einem  Briefe  Markows  an  Rasumowski 
vom  4./15.  Oktober,  in  dem  er  darauf  drängt,  daß  Österreich  sich  rasch 
entscheide;  sonst  gewinne  Preußen  in  Petersburg  Einfluß,  und  den  Schaden 
davon  habe  nicht  Rußland,  sondern  Österreich  (W  assiltchikow  II 

4,  161 — 162).  Endlich,  sogar  der  vorsichtige  preußische  Gesandte  Goltz 
war  sicher,  daß  Rußland  trotz  aller  scheinbaren  Uneigennützigkeit  eine 
polnische  Teilung  wünsche  (Bericht  14./25.  September.  H.E.B.  319. 
Bericht  24.  September/5.  Oktober).  Einen  interessanten  Ausdruck  findet 
dieses  scheinbare  zeitweilige  Zurücktreten  der  Teilungsgedanken  bei  Ruß- 
land in  den  Briefen  Woronzows  aus  London.  Er  teilte  ja  in  diesem  wie 
auch  in  anderen  wichtigen  Punkten  nicht  die  Ansicht  seiner  Regierung. 
Im  Frühjahr  1792  konnte  er  sich  nicht  genug  gegen  die  bevorstehende 
Teilung  ereifern.  Dazu  fürchtete  er  noch  langen  Widerstand  Polens  und 
allerlei  unangenehme  Zwischenfälle.  Aber  der  Krieg  war  rasch  zu  Ende, 
und  von  der  Teilung  wurde  es  still.  Da  atmete  er  auf.  Um  so  schlimmer 
wirkte  dann  die  Enttäuschung  im  Winter  und  im  Frühjahr  1793.  An 
Worten  stärksten  Tadels  über  die  russische  Politik  fehlt  es  deshalb  in 
seinen  Briefen  wirklich  nicht.  Ich  habe  schon  hervorgehoben,  daß  sein 
Urteil  mehr  den  Engländer  als  den  Russen  verrät  (W  orontzow  IX 
239—244,  249,  252—254,  257—258,  283—294,  302—303).  Vgl.  auch 
Worontzow  XVIII  57 — 58.  Der  Briefschreiber  Kotschoubey  befand 
sich  in  der  nächsten  Umgebung  der  Kaiserin,  sprach  aber  noch  nicht  ge- 
radezu von  einer  Teilung,  vermutlich  weil  er  die  ihm  bekannten  Ansichten 
Woronzows  schonen  und  den  Ereignissen  nicht  vorgreifen  wollte.  Das 
Gleiche  scheint  mir  von  einem  Briefe  Markows  zu  gelten,  worin  er  wohl 
auch  seinen  Widerspruch  gegen  die  Teilungspläne  stärker  als  richtig  darstellt, 
vor  allem  aber  seine  Feindschaft  gegen  Preußen  hervorhebt,  und  darin 
war  er  ja  mit  Woronzow  einig.    Worontzow  XX  27 — 32  und  46 — 54. 


■SA 


456  IV.  Abschnitt 

danken  hat  bestimmen  lassen,  sie  habe  die  Glieder  der  ortho- 
doxen Kirche  von  der  Herrschaft  der  Katholiken  zu  befreien 
und  damit  das  zerstückelte  Rußland  zu  einigen1).  Bei  der  Freundin 
Voltaires  und  Diderots,  der  ursprünglich  deutsch-protestantischen 
Prinzessin  würde  man  einen  derartigen  Fanatismus  auch  nicht 
annehmen  dürfen.  Sie  selbst  hat  uns  berichtet,  daß  in  ihr  ein 
ganz  anders  gearteter  Fanatismus  glühte.  Macht  wollte  sie  er- 
langen, herrschen.  Nur  weil  ihr  dazu  die  religiöse  Einigkeit  der 
Untertanen2),  und  damit  ist  hier  die  nationale  identisch,  ein  er- 
wünschtes, gutes  Mittel  bot,  verwandte  sie  diese  Idee,  ohne  sich 
nachher  von  dem  Glaubensunterschied  abhalten  zu  lassen,  sich 
auf  den  Rest  der  Beute  zu  stürzen,  als  die  Gelegenheit  ihr  dies 
zu  fordern  schien3). 

Aber  der  Augenblick  war  von  Preußen  zur  Erklärung  in  der 
Tat  recht  ungünstig  gewählt.  Ich  stehe  nicht  an,  die  von  Oster- 
mann angeführten  Gründe  als  richtig  anzuerkennen.  Der  Krieg 
gegen  Frankreich  war  gescheitert,  und  noch  war  über  seine  Fort- 
setzung nichts  entschieden  —  ein  wichtiger  Punkt  für  die  Stellung 
Katharinas4).  Trotz  ihres  Unwillens  über  die  schlimmen  Nach- 
richten aus  Paris  und  von  der  Kampagne  und  der  starken  Ein- 
wirkung auf  ihr  Gemüt  kann  aber  keine  Rede  davon  sein,  daß 
deren  Ausgang  wesentlichen  Einfluß  auf  ihre  Pläne  gehabt  hat5). 
Auf  die  Reden  von  Subow  hörte  sie  nicht.  Esterhazys  Unter- 
stützung des  spanischen  Antrages,  die  allen  Tatsachen  keck 
widersprach,  entlockte  ihr  keine  ernsthafte  Maßregel6).     Wenn 


1 )  Bericht  24.  Dezember  1792/4.  Januar  1793.  Ssolowjoff 
305—306  und  310;  Sybel  III  193. 

2)  Wassiltehikow  II  4,  167—170. 

3)  Es  ist  doch  ein  merkwürdiger  Gedanke  Sybels,  ihr  die  Ansicht 
zuzumuten,  sie  habe  durch  ihren  Schritt  eine  Teilung  Polens  durch  die 
deutschen  Mächte  ohne  ihre  Zuziehung  verhindern  wollen  (Sybel  III  193). 

4)  Vgl.  auch  M  a  r  w  i  t  z  I  60  und  83. 

5)  Ssolowjoff  301;  Märten  s,  Traites-Russie  VI  161 ;  S  b  o  r- 
nik  XXIII  578;  Sorel  III  316.  Berichte  31.  August/11.  September 
und  12./23.  Oktober.  Worontzow  VIII  62  und  XVIII  38,  41,  44, 
46-48,  50—51,  64—67;  dazu  Blum,  Sievers  III  17—18. 

6)  Sie  konnte  nur  die  Emigranten  nicht  sofort  fallen  lassen,  immer 
geringer  wurde  ihr  politisches  Interesse  an  ihnen.  Note  Esterhazys  vom 
4./15.  Oktober.  Russische  Antwort  vom  19./30.  Oktober.  Berichte 
26.  Oktober/6.  November,  16./27.  November,  19./30.  November,  24.  No- 
vember/5. Dezember.  An  Goltz  22.  November  und  18.  Dezember.  W  o- 
rontzow  VIII  63  und  71  (6./17.  Juli  1793):  On  est  deja  las  de  cette 
revolution  et  on  ne  lit  les  nouvelles  que  par  habitude. 


Petersburg  457 

sie  gar  zu  ungestüm  an  die  versprochene  Teilnahme  am  franzö- 
sischen Kriege  gemahnt  wurde,  so  wies  sie  auf  ihre  starken 
Rüstungen  hin,  um  Polen,  Türken  und  Schweden  im  Zaum  zu 
halten  —  nicht  ohne  eine  gewisse  Berechtigung,  da  es  an  Um- 
trieben gegen  Rußland  nirgends  fehlte1).  In  Schweden  nahm  die 
Hinneigung  zu  Frankreich  doch  schon  bedenkliche  Formen  an. 
Ein  Wort  Katharinas  hätte  genügt,  um  die  Preußen  zur  Be- 
setzung von  Schwedisch-Pommern  schreiten  zu  lassen2).  Nament- 
lich in  Konstantinopel  gärte  es;  auch  ohne  Semonville  gab  es 
dort  Unruhe  genug,  angeblich  Rüstungen  gegen  Rußland,  jeden- 
falls Widerhaarigkeit  gegen  Österreich  in  der  Frage  der  Heraus- 
gabe Chotins  und  der  endgültigen  Ausführung  des  Friedens  von 
Sistowa-Jassy3).  Die  Tradition  und  das  Interesse  wiesen  stark 
auf  Frankreich  hin,  gleichviel  welche  Regierung  dort  am  Ruder 
war.  Aber  das  war  hauptsächlich  ein  Vorwand,  um  sich  Ruhe 
zu  schaffen4).  Ebensowenig  konnten  Katharina  die  Unruhen  in 
Polen  überraschen.  Sie  nahm  hier  denselben  Standpunkt  ein 
wie  Preußen,  sich  eher  darüber  zu  freuen  als  zu  ärgern;  boten 
doch  derartige  Schreiereien  (in  der  Hauptsache  waren  sie  harm- 
loser Natur)  den  besten  Vorwand  zum  Einmarsch5).  Als  sie  sich 
noch  die  kostspielige  polnische  Deputation  nach  einer  völlig  be- 
deutungslosen, ganz  offiziellen  Audienz  am  3./14.  November  vom 
Halse  geschafft  hatte,  war  sie  auch  hierin  nicht  mehr  gehemmt. 
Sie  erklärte,  nicht  mehr  die  Garantin,  sondern  die  Verbündete 
Polens  zu  sein6).    Aber  sie  ließ  durch  Subow  wiederholt  alle  Ge- 


1 )  H.E.B.  349;  W  o  r  o  n  t  z  o  w  XX  33—36. 

2)  Ob  sie  daraus  wieder  abgezogen  ■wären,  scheint  mir  sehr  zweifelhaft. 
Lescure  II  634.  Rep.  9 — 272  Rapports  I.  F. S.A.  Au  Roi  1.  Dezember. 
An  Goltz  3.,  20.,  27.  Dezember.   Bericht  24.  Dezember  1792/4.  Januar  1793. 

3)  Vivenot  II  737;  Sorel  III  136—139,  157—158,  301—305; 
F  e  r  s  e  n  II  40. 

*)WassiltchikowII  4,  165—166;  Vivenot  II  760;  Sso- 
lowjoff  368—371. 

5)  Es  kann  gar  keine  Rede  davon  sein,  daß  sich  Rußland  oder  Preußen 
große  Sorgen  über  diese  revolutionären  Anzeichen  gemacht  hätten.  Der 
Erfolg  gab  ihnen  im  nächsten  Jahre  nur  zu  recht  (Sybel  III  188 — 191; 
Ssolowjoff  302—304.  Berichte  19./30.  November,  24.  November/5.  De- 
zember und  5./16.  Dezember). 

6)  Die  Deputation  bedankte  sich  bei  Katharina  für  ihre  tatkräftige 
Unterstützung  der  Konföderation.  Während  ihrer  Anwesenheit  konnte 
man  füglich  nicht  eine  Teilung  ihres  Reiches  vornehmen.  Politisches  Journal 
1792,  S.  1115—1117,  1241,  1347—1348.  Berichte  19./30.  Oktober,  22.  Ok- 
tober/3. November,  26.  Oktober/6.  November,  2./13.  November,  9./20.  No- 


458  IV-  Abschnitt 

rüchte  von  einer  bevorstehenden  Teilung  dementieren1).  Die 
österreichischen  Pläne  ferner  waren  noch  nicht  genau  genug 
bekannt.  Gerade  hier  konnte  die  Kriegslage  stark  ihren  Ein- 
fluß geltend  machen. 

Aber  alles  das  waren  eben  nur  Gründe,  die  Sache  etwas 
hinauszuschieben.  Ostermann  beruhigte  Goltz  sofort,  als  dieser 
seinen  Unwillen  in  ungewohnt  deutlicher  Weise  zu  erkennen  gab. 
Einige  Wochen  des  Wartens  vergingen  so.  Es  waren  für  Preußen 
die  gefährlichsten,  da  gleichzeitig  Österreich  ihm  unerwartete 
Schwierigkeiten  machte.  Besonders  an  seiner  geplanten  Be- 
setzung Polens  schien  alles  scheitern  zu  können.  Rußland  brauchte 
bloß  diesen  Vorwand  zu  ergreifen,  um  seinen  Rücktritt  von  dem 
Plan  zu  verschleiern,  der  es  auch  mit  England  in  Kollision  bringen 
mußte2).  Wenn  man  dessen  nicht  Herr  wurde,  wie  konnte  man 
in  Petersburg  zum  Abschluß  kommen?  Zwar  war  Alopeus  von 
der  Armee  nach  Berlin  zurückgekehrt,  wie  es  das  preußische 
Kabinettsministerium  gewünscht  hatte3),  scheinbar  weniger  auf 
einen  russischen  Befehl,  als  weil  mit  dem  Feldzuge  auch  der 
Auftrag,  sich  bei  dem  Könige  und  der  Armee  aufzuhalten,  er- 
loschen war  und  die  Verhandlungen  wieder  in  Berlin  geführt 
werden  sollten4);  aber  auch  er  hüllte  sich  noch  in  ein  unheim- 
liches Schweigen. 

Dazu  gewann  erst  nach  der  Eröffnung  von  Goltz  Friedrich 
Wilhelms  Befehl  vom  26.  Oktober  über  die  Größe  des  preußischen 
Gebietes  Bedeutung.  Goltz  gab  ihn  sofort  am  15.  oder  16.  No- 
vember weiter,  und  —  es  schien  merkwürdig  —  Ostermann  wieder- 
holte ihm  zwar  die  Gründe  für  eine  Verzögerung  der  russischen 
Antwort  und  betonte  dabei  schon  in  erfreulicher  Weise  die  be- 
sondere Notwendigkeit  für  Preußen  und  Rußland,  sich  zu  einigen, 


vember.  19./30.  November.  An  Goltz  20.  Dezember.  Worontzow 
XVIII  04—67;  S  y  b  e  1  HI  187;  Häußerl  436;  S  y  b  e  1  III 191.  An 
Goltz  7.,  14.,  18.  Dezember. 

1)  Oginski  I  204  und  207  ff. 

2)  An  Lucchesini  17.  Dezember.  An  Haugwitz  17.  und  25.  Dezember. 
Rep.  96,  147  G  III.  F.  S.A.  Au  Roi  19.  Dezember.  Rep.  92  Lucchesinis 
Nachlaß  14.  F.  S.A.  Au  Roi  25.  Dezember. 

3)  An  Goltz  5.  und  25.  Oktober,  17.  November. 

*)  Rep.  XI  89  k.  Schulenburg  an  Alopeus  8.  Oktober.  Schulenburg 
an  Goltz  9.  September.  Lucchesini  an  Schulenburg  8.  Oktober.  Rep.  XI 
Rußland  133  B.  Alopeus  an  Schulenburg  27.  September  und  8.  Oktober. 
Goltz  an  Schulenburg  21.  September/2.  Oktober.  Rep.  92  Lucchesinis 
Nachlaß  40  III:  Alopeus  an  Lucchesini  24.  Oktober. 


Petersburg  459 

aber  über  die  Größe  des  preußischen  Anteils  sagte  er  kein  Wort1). 
Preußen  drängte,  es  widerlegte  alle  Gründe  für  das  russische 
Zögern,  fügte  andere  für  rasche  Entscheidung  dazu.  Ja,  es  drohte 
ganz  offen,  so  wie  in  der  Merler  Note,  mit  seinem  Rücktritt  vom 
Kriege,  wenn  es  nicht  vorher  entschädigt  werde,  und  hier  störte 
der  König  das  Kabinettsministerium  nicht  in  seinem  Vorgehen2). 

Da  war  eine  ministerielle,  in  sehr  verbindlichen  Formen  vor- 
gebrachte Eröffnung  von  Alopeus  am  2.  oder  3.  Dezember  ein 
erstes  verheißungsvolles  Anzeichen.  Katharina  entschuldigte 
darin  ihr  Zögern  mit  dem  Ausbleiben  der  Nachrichten  aus  Öster- 
reich, drängte  auf  kräftigen  Krieg  und  erwartete  Schritte  beim 
Reich  und  bei  England,  wo  ihr  Vertreter  zu  kräftigem  Vorgehen 
angewiesen  sei.  Besonders  erfreulich  war  es,  daß  Alopeus  aus- 
drücklich für  den  Fall  einer  Einigung  der  drei  Mächte  auf  Ent- 
schädigungen für  Rußland  bestand  und  dafür  an  eine  Depesche 
Ostermanns  vom  3.  September  erinnerte.  Jetzt  konnte  Preußen 
sein  Verdienst  recht  kräftig  in  den  Vordergrund  stellen.  Es  war 
alles  schon  geschehen,  aber  man  wollte  es  noch  einmal  versuchen, 
sich  die  neuen  von  den  Franzosen  gelieferten  Gründe  dabei  zu- 
nutze machen,  wollte  aber  endlich  Gewißheit.  Denn  die  Besitz- 
nahme sei  eine  conditio  sine  qua  non  für  Preußens  weitere  Be- 
teiligung am  Kriege.  Die  Furcht,  Österreich  wolle  sich  in  Polen 
entschädigen,  schien  Rußland  nach  der  Wiederaufnahme  des 
Tauschplans  durch  Spielmann  nicht  mehr  drücken  zu  können3). 
Man  hoffte,  daß  Goltz  schon  die  günstige  russische  Antwort  habe, 
und  erklärte  das  russische  Verlangen  für  durchaus  gerechtfertigt4). 

Alopeus  tat  das  Seinige,  um  in  Petersburg  zu  drängen5). 
Rasumowski  drängte  in  Wien  ebenso6).     Ostermann  zeigte  sich 


1 )  Worontzow  XX  31 — 32.  Bemerkenswert  scheint  mir  auch 
der  frühe  Termin  der  Berufung  von  Sievers  für  den  Posten  eines  Bot- 
schafters in  Warschau  (Blum,  Sievers  III  21  ff.).  Man  dachte  in  Peters- 
burg eben  an  gar  keinen  Widerstand  gegen  den  preußischen  Plan.  Auch 
in  Petersburg  wollte  man  die  Teilung.  Berichte  5./16.  und  9./20.  November. 

2)  An  Goltz  1.,  9.,  14.,  18.  Dezember.   H  ä  u  ß  e  r  I  437. 

3)  An  Goltz  1.  Dezember.  H.E.B.  319—320.  Rep.  9— 272:  F. S.A. 
Au  Roi  1.  Dezember. 

4 )  Bericht  von  Goltz  12./23.  November.  Martens,  Traites-Russie 
VI  161—162.    An  Goltz  3.  Dezember. 

5)  An  Lucchesini  3.  Dezember.  Rep.  96,  147  G  III:  F. S.A.  Au  Roi 
3.  Dezember. 

6)  Bericht  Haugwitz'  1.  Dezember.  Bericht  von  Goltz  24  Novem- 
ber/5. Dezember.    Bericht  Cesars  3.  Januar  1793.     Sybel  III  178. 


460  IV.  Abschnitt 

trotz  seines  Schweigens  entgegenkommender1)  und  verwies 
immer  wieder  auf  den  österreichischen  Kurier,  der  zum  Ärger 
der  Russen,  wie  wir  aus  bester  Quelle  wissen,  so  lange  auf  sich 
warten  Heß2).  In  Petersburg  scheint  man  ganz  mit  Recht  an  dem 
Einvernehmen  zwischen  Österreich  und  Preußen  stark  gezweifelt 
zu  haben3).  Endlich  fragte  Ostermann  sogar,  wie  Preußen  einen 
so  raschen  Einmarsch  beschönigen  wolle  und  was  man  den  Polen 
auf  ihre  Klagen  zu  erwidern  habe.  Das  war  nur  noch  ein  Mittel- 
chen, Zeit  zu  gewinnen,  da  Rußland,  wie  Goltz  gleich  anfangs 
bemerkte,  sich  diese  Fragen  schon  längst  vorgelegt  haben  mußte4). 
Es  fiel  Goltz  auch  nicht  schwer,  darauf  zu  antworten.  Gegen 
England  war  man  in  Petersburg  schon  immer  gereizt.  Als  jetzt 
dessen  Schritte  in  Berlin  bekannt  wurden,  da  konnten  sie  nur  als 
Einmischung  in  Sachen  erscheinen,  die  England  gar  nichts  an- 
gingen. Mochte  es  sich  nur  lieber  um  die  Franzosen  kümmern, 
die  Holland  bedrohten.  Dieser  Schritt  hielt  also  Katharina  nicht, 
wie  vielleicht  ihren  ängstlichen  Vizekanzler  Ostermann,  zurück, 
wie  man  in  Berlin  gefürchtet  hatte  und  noch  fürchtete,  sondern 
trieb  sie  sogar  noch  vorwärts5).  Ebenso  war  es  mit  den  gefähr- 
lichen Meldungen  aus  Stockholm  und  Konstantinopel;  aber  es 
bedürfte  eines  chronologischen  Kunststückes,  um  einen  Zu- 
sammenhang herzustellen  zwischen  der  Ermordung  Ludwigs  XVI. 
und  dem  kriegerischen  Vorgehen  der  Jakobiner  gegen  England 
und  der  zweiten  polnischen  Teilung;  diese  war  bereits  im  De- 
zember entschieden,  die  Hinrichtung  aber  erst  Mitte  Januar. 
Sie  erfolgte  erst  zwei  Tage  vor  der  Unterzeichnung  der  Kon- 
vention, und  auch  nach  der  französischen  Kriegserklärung  brach 
England  die  Verhandlungen  mit  Frankreich  nicht  ab6).  Frank- 
reich konnte  für  seinen  alten  Verbündeten  nichts  tun  und 
schmiedete  vergeblich  kühne  Pläne  für  die  Zukunft,  um  wenig- 
stens das  jetzt  unvermeidliche  Ereignis  später  rückgängig  zu 
machen7).    Subow  ferner  behandelte  Goltz  besser  als  seine  Kol- 


x)  Bericht  9./20.  November.    An  Goltz  7.  Dezember.    An  Lucchesini 
6.  Dezember. 

2)  Berichte  12./23.,  16./27.,  19./30.  November,  24.  November/5.  De- 
zember.    Wassiltchikow  II  4,  161  ff. 

3)  Bericht  24.   November/5.   Dezember. 

4)  Berichte  2./ 13.  November  und  24.  November/5.  Dezember. 

5)  Berichte   10./21.  Dezember,    21.    Dezember    1792/1.  Januar    1793, 
24.  Dezember  1792/4.  Januar  1793.    An  Goltz  18.  Dezember. 

6)  S  y  b  e  1  III  195—196. 

7)  S  o  r  e  1  III  304—306. 


Petersburg  461 

legen1).  Marko w,  der  sich  auch  hier  wieder  als  der  gesprächigste, 
aber  auch  als  der  hinterhaltigste  erwies2),  versprach,  die  Ant- 
wort in  wenigen  Tagen  zu  beschafEen3).  Besborodko  hielt  sich 
wie  stets  auch  hierin  zurück  —  es  mag  dahingestellt  bleiben,  ob 
bloß  aus  Bequemlichkeit  oder  weil  er  sich  nicht  exponieren  wollte. 
Der  einflußlose  und  ängstliche  Ostermann,  der  nur  das  Instrument 
von  Subow  und  dessen  Berater  Markow  in  dieser  Frage  war4), 
bestätigte  Markows  Worte  kurz  darauf5).  Zahlreiche  Truppen 
an  der  Grenze  der  Ukraine  erhielten  Befehl,  sich  marschbereit 
zu  halten6),  und  die  vermutete  Ernennung  von  Igelström  zum 
Oberbefehlshaber  über  die  russischen  Truppen  in  Polen  an  Stelle 
von  Kachowski  versprach  Gutes,  da  er  über  den  preußischen 
ähnliche  Pläne  im  vergangenen  Winter  mit  Goltz  gesprochen 
hatte?). 

So  waren  denn  alle  Anzeichen  günstig.  Am  5./16.  Dezember8) 
konnte  Goltz  diesem  trotz  allem  ungemütlichen  Zustande  ein 
Ende  machen  mit  der  Meldung,  Rußland  gehe  auf  Preußens 
Vorschlag  ein9).  Ostermann  lüftete  selbst  den  Schleier,  der  bis- 
her über  den  Gründen  für  das  russische  Verhalten  gelegen  hatte. 
Er  gab  zu,  daß  Katharina  Türken  und  Schweden  nicht  fürchte 
und  daß  man  nach  allem  auf  den  österreichischen  Kurier  nicht 
mehr  zu  warten  brauche.  Man  hatte  keine  Lust,  sich  von  Öster- 
reich hof meistern  zu  lassen10).  Der  Rücksicht  war  es  nun  genug, 
Preußen  und  Rußland  konnten  unterdessen  ihre  Geschäfte  er- 
ledigen, die  jetzt  keinen  Aufschub  mehr  vertrugen.    Die  Teilung 


1 )  Friedrich  Wilhelms  Aufmerksamkeit  wurde  aber  erst  später  bekannt 
(Bericht  28.  Dezember  1792/8.  Januar  1793). 

2)  Bericht  3./14.  Dezember. 

3)  Bericht  26.  November/7.  Dezember. 

i)  Sie  selbst  erhielten  wieder  von  Katharina  direkt  ihre  Befehle. 
(Berichte  14./25.  Dezember  1792,  24.  Dezember  1792/4.  Januar  1793, 
31.  Dezember  1792/11.  Januar  1793,  7./18.  Januar,  16./27.  März  1793. 
Blum,  Sievers  III  32—33;  S  m  i  1 1  II  493—494;  Wassiltchikow 
II  4,  S.  4  und  14.  An  Goltz  3.  Januar  1793.  Worontzow  VIII  52—53, 
56  ff.,  66—67,  72—74,  79—80,  85—86;  XVIII 50—51  u.  60;  XX  19—20,  30). 

5)  Berichte  30.  November/11.  Dezember  und  3./14.  Dezember. 

6)  Bericht  24.   November/5.   Dezember. 

7)  Berichte  30.  November/11.  Dezember  und  3./14.  Dezember. 

8)  Die  Note  Besborodkos  darüber  ist  vom  2.,  d.  h.  13.  Dezember  da- 
tiert (Ssolowj  off  305).  Aber  da  Goltz  einen  Kurier  zur  Verfügung 
hatte,  so  erhielt  er  zweifellos  erst  am  16.  Kenntnis  davon. 

9)  Smitt  II  528—529;  H.E.B.  320—321;   Sybel  III  194. 

1  °)  Wassiltchikow  II  4,  167—171.  Bericht  Cesars  3.  Januar  1793. 


462  IV.  Abschnitt 

Polens  mußte  entschieden  sein,  bevor  der  neue  Reichstag  zu- 
sammentrat. Schon  wurden  die  Wahlversammlungen  in  den 
Provinzen  abgehalten1),  im  April  sollte  der  Reichstag  zusammen- 
treten. Damit  hätte  dann  die  von  Katharina  anfangs  begünstigte 
Targowicer  Konföderation  festen  Bestand  angenommen2).  Außer- 
dem, jeder  Tag  kostete  Rußland  erhebliche  Summen;  wozu  un- 
nötig diese  Ausgaben  erhöhen?3) 

Aber  —  das  ist  das  Merkwürdige  dabei  —  Rußland  wünschte 
das  Geheimnis  vor  Österreich  bewahrt  zu  wissen.  Goltz  hatte 
sich  zu  Ostermanns  Freude  auf  die  allgemeine  Mitteilung  an 
L.  Cobenzl  beschränkt,  daß  Rußland  den  Einmarsch  der  preußi- 
schen Truppen  gestattet  habe4).  Dies  lenkte  damit  wieder  in 
die  Bahn  ein,  der  es  etwa  bis  zum  Juni  gefolgt  war.  Der  Grund 
scheint  mir  nicht  in  dem  Ärger  über  Österreichs  Schritte  in 
London  zu  suchen  zu  sein,  da  diese  erst  im  Januar  in  Petersburg 
bekannt  wurden,  Ostermann  sich  aber  am  16.  Dezember  er- 
klärte5), sondern  vor  allem  in  der  Furcht,  Österreich  könne  sich 
so  ungeheuren  russischen  Forderungen  widersetzen,  die  von 
Polen  in  der  Tat  nur  noch  einen  verhältnismäßig  kümmerlichen 
Rest  übrig  ließen;  ferner  in  der  Absicht  der  Österreicher,  an  der 
Besetzung,  wo  nicht  gar  an  der  Teilung  Polens  selbst  teilzu- 
nehmen, von  der  Rußland  nach  Ostermanns  Reden  unterrichtet 
war.  Dagegen  aber  hatte  Rußland  stets  protestiert6).  Hatte  es 
bisher  die  Nachricht  aus  Wien  erwartet,  daß  die  deutschen 
Mächte  sich  auf  der  schon  im  allgemeinen  bekannten  Grundlage 
geeinigt  hätten,  um  dann  mit  seiner  Forderung  hervorzutreten, 
so  wurde  jetzt  ein  längeres  Zuwarten  gefährlich.  Österreich  mußte 
zunächst  beiseite  geschoben  und  vor  eine  vollzogene  Tatsache 
gestellt  werden.  Mir  scheint,  daß  Rußland  auch  nach  einer 
eventuellen  Erklärung  Österreichs  zunächst  mit  Preußen  allein 
verhandelt  haben  würde.  Von  diesem  war  ein  so  heftiger  Wider- 
stand nicht  zu  erwarten,  und  auf  Schnelligkeit  kam  jetzt  viel 
an.  Damit  ließ  sich  dann  sehr  gut  Rücksicht  auf  Österreich  bei 
den  Verhandlungen  vereinigen7). 


1)  Bericht  16./27.  November. 

2)WassiltchikowII4,  161—165. 

3)  ibid.   164—165;  V  i  v  e  n  o  t  II  760. 

*)  An  Cesar  29.  Dezember.     Bericht  von  Goltz  5./16.  Dezember. 

5)HäußerI  481. 

6)  Sorel  III  316. 

7)  Wassiltchikow  II  4,  164—166. 


Petersburg  463 

Katharina  hatte  trotz  ihres  Höhnens  über  die  Leute,  die  nach 
einem  fehlgeschlagenen  Feldzug  Entschädigungen  verlangten,  die 
preußische  zweite  Grenzlinie  gebilligt;  aber  dafür  erwartete  sie 
ein  gleiches  Verhalten  ihren  Ansprüchen  gegenüber.  Sie  zog 
eine  Linie  von  Semgallen  an  der  Düna  bis  nach  Galizien  in  die 
Nähe  von  Chotin  und  trennte  damit  von  Polen  ein  Gebiet  von 
250  700  qkm  ab.  Preußen  erhielt  nur  58  730  qkm.  Selbst  wenn 
man  die  Zahl  der  Einwohner  der  Berechnung  zu  Grunde  legte, 
so  hatte  Rußland  immer  noch  beinahe  den  dreifachen  Vorteil  im 
Verhältnis  zu  Preußen  (3  Millionen  und  1,1  Millionen)1).  Nun  war 
auch  hierbei  der  Gedanke  der  Parität  in  Rechnung  gestellt2). 
Ihm  schien  das  russische  Vorgehen  doch  gar  zu  sehr  zu  wider- 
sprechen. Goltz  hob  es  —  bei  seiner  Vorsicht  bemerkenswert  — 
zweimal  hervor.  Aber  Ostermann  verstand  es  mindestens  ebenso- 
gut wie  die  Österreicher,  Gleichheit  herauszurechnen,  wo  die  Un- 
gleichheit auf  der  Hand  lag.  Er  verglich  eben  nicht  die  Aus- 
dehnung, sondern  den  inneren  Wert  der  Gebiete.  Natürlich  hütete 
er  sich  wohl,  diesen  vagen  Begriff  weiter  zu  erläutern.  Denn 
mochte  man  auch  den  preußischen  Anteil  mit  Recht  für  qualitativ 
besser  erklären,  zu  solch  einem  Unterschied  berechtigte  das  doch 
noch  immer  nicht3).  Es  ist  schon  möglich,  daß  Rußland  auf  eine 
größere  preußische  Forderung,  eventuell  sogar  auf  Widerstand 
gegen  die  seinige  gerechnet  hat4).  Als  Goltz  dann  eine  Andeutung 
machte5),  man  müsse  die  preußische  Grenze  weiter  vorschieben 
(er,  der  Vorsichtige,  dachte  an  die  Weichsellinie),  da  wurde  Oster- 
mann ungeduldig,  und  man  verließ  vorläufig  dies  Thema.  Goltz 
hatte  damit  jedenfalls  seinem  Hofe  die  Möglichkeit  vorbehalten, 
weitere  Forderungen  zu  stellen,  und  mehr  wollte  er  nicht.  Nun 
war  noch  ein  heikler  Punkt  zu  regeln.  Das  Kabinettsministerium 
hatte  die  zweite  Linie  gefordert  für  den  Fall,  daß  Preußen  so 


1 )  Brandenburger,  Polnische  Geschichte  171.  S or e  1  III  316. 
1793  S.  65. 

2)  Martens,  Traites-Russie  VI  161;  Sorel  III  316. 

3)  Rep.  96,  147  G  III.  F.  S.A.  Au  Roi  27.  Dezember.  Rep.  XI  Ruß- 
land 135  A.  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  31.  Dezbr.  1792. 

4)  Berichte  24.  Dezember  1792/4.  Januar  1793,31.  Dezember/11.  Januar. 
An  Goltz  21.  und  22.  Januar.  Wenn  man  den  Briefen  Markows  glauben 
darf,  so  wurde  der  russische  Anteil  nur  nach  der  Größe  des  preußischen 
bemessen.  Nur  so  schien  die  gefährliche  preußische  Vergrößerung  einiger- 
maßen unschädlich  gemacht  werden  zu  können  (W  orontzow  XX 
31—36,  40—54). 

5)HäußerI  437. 


464  IV.  Abschnitt 

kräftig  wie  bisher  am  Kriege  teilnahm.  Goltz  fragte  vorsichtig 
an,  ob  das  in  der  Konvention  festgesetzt  werden  sollte.  Da  hätte 
dann  eine  ähnliche  Verpflichtung  Rußlands  nahegelegen,  und  da- 
von wollten  natürlich  die  Russen  nichts  wissen.  Also  war  es  am 
besten,  davon  überhaupt  nicht  zu  sprechen.  Das  wäre  für  Preußen 
von  außerordentlicher  Bedeutung  gewesen. 

Die  Anzeichen  waren  demnach  durchaus  gut,  einem  Einmarsch 
der  Preußen  stand  nach  Rußlands  Erklärung  nichts  mehr  im 
Wege.  Beide  Mächte  hatten  die  Polen  schon  darauf  vorbereitet. 
Es  mag  dahingestellt  bleiben,  woher  den  Polen  die  Nachricht 
davon  zugekommen  ist.  Jedenfalls  fragten  sie  in  Berlin  und  in 
Petersburg  deswegen  an.  Die  Antworten  lauteten  niederschmet- 
ternd. Jeder  Staat  könne  in  seinem  Gebiet  machen,  was  er  wolle, 
und  die  Polen  gäben  ihren  Nachbarn  nur  zuviel  Anlaß  zur  Be- 
sorgnis, sagten  die  Russen  —  von  Rüstungen  gegen  Polen  und 
von  einem  Einmarsch  sei  ihnen  offiziell  nichts  bekannt,  das  gehe 
nur  das  Militärdepartement  etwas  an,  die  Preußen1).  Kein 
Wunder,  wenn  die  Mitglieder  der  polnischen  Deputation,  ja  alle 
Polen  in  Petersburg,  soweit  sie  nicht  von  Katharina  ganz  ab- 
hängig waren,  wie  etwa  der  General  Branicki,  gegen  Rußland 
„Feuer  und  Flamme"  spien  und  zum  großen  Teil  abreisten,  um 
über  eventuellen  Widerstand  zu  beratschlagen2).  Aber  es  blieb 
natürlich  beim  Reden.  Viel  Köpfe,  viel  Sinne.  Hier  wie  bei  den 
Emigranten  wollte  jeder  kommandieren,  niemand  gehorchen,  und 
weite  Kreise  der  Bevölkerung,  die  der  bisherigen  Unruhe  und 
Mißwirtschaft  überdrüssig  waren,  standen  einem  preußischen  Ein- 
marsch mindestens  nicht  feindlich  gegenüber3). 

In  Berlin  und  Frankfurt  war  helle  Freude  über  den  russischen 
Entschluß4).  Über  so  ein  Weihnachtsgeschenk  konnte  man  sich 
auch  schon  freuen.  Nun  waren  alle  Besorgnisse,  die  das  Ver- 
halten Österreichs  nur  allzusehr  gezeitigt  hatte,  grundlos  ge- 
worden. Man  brauchte  diesen  sonderbaren  Verbündeten  nicht 
mehr,  und  die  politischen  Verhältnisse  zeigten  wieder  jenes  Bild, 
das  der  Natur  der  Dinge  entsprach:  Preußen  mit  Rußland  im 


1)  Bericht  5./ 16.  Dezember.     An  Goltz  20.  und  23.  Dezember.     Be- 
richte von  Buchholtz  1.  und  5.  Dezember. 

2)  Berichte  5./16.,  14./25.  Dezember  1792,  13./24.  Januar  und  25.  Ja- 
nuar/5. Februar  1793. 

3)  1793  S.  2—3. 

4)  Am  26.  war  die  Nachricht  in  Berlin,  in  der  Nacht  vom  30.  zum 
31.  in  Frankfurt  (Lucchesini  an  seine  Frau  31.  Dezember). 


Petersburg  465 

Bunde,  halb  gegen  Österreich  gewandt1).  Der  König  schrieb  an 
die  Berliner  Minister :  „Nun  haben  wir,  Gott  sei  Dank,  unser  großes 
Ziel  erreicht;  um  dazu  zu  gelangen,  hieß  es  sich  anstrengen,  und 
wer  nichts  wagt,  gewinnt  nichts.  Die  Unruhe,  die  Ihnen  Ihre 
patriotische  Besorgnis  verursachte,  ist  also  gegenstandslos  ge- 
worden, und  ihr  ist  die  Genugtuung  gefolgt,  unsere  Arbeit  von 
dem  glücklichsten  Erfolg  gekrönt  zu  sehen." 

Das  erste  mußte  nun  sein,  den  Einmarsch  zu  regeln.  General 
MöllendorfE  war  schon  um  die  Wende  von  Juni  und  Juli  dafür 
instruiert  worden.  Am  27.  Oktober  teilte  ihm  der  König  die 
Linie  mit,  bis  zu  der  er  die  Truppen  vorschieben  und  die  sich 
mit  der  neuen  preußischen  Grenze  decken  sollte2).  Am  8.  No- 
vember erhielt  MöllendorfE  den  Befehl,  mit  der  Mobilmachung 
zu  beginnen.  Man  brauchte  jetzt  also  nur  noch  die  letzte  Hand 
ans  Werk  zu  legen.  Nun  gab  jedoch  das  Kabinettsministerium 
dem  General  nicht  gleich  den  Befehl  zum  Einmarsch,  wozu  es 
ja  Vollmacht  hatte,  sondern  wartete  erst  noch  die  Entscheidung 
Friedrich  Wilhelms  ab.  Aber  diese  kleine  Verzögerung,  die  sich 
nicht  vermeiden  ließ,  benützte  es,  um  zwei  Dinge  zu  erlangen: 
Eine  Deklaration  über  den  preußischen  Einmarsch  —  damals 
ein  kapitaler  Punkt  —  wurde  entworfen,  französisch  und  deutsch 
gedruckt  und  mit  dem  Datum  vom  6.  Januar  veröffentlicht,  als 
die  preußischen  Truppen  sich  in  Bewegung  setzten3).  Am  16.  Ja- 
nuar wurde  sie  in  Berlin  den  fremden  Gesandten  mitgeteilt,  die 
das  schon  erwartet  zu  haben  schienen  (auch  Herr  v.  Zablocki 
machte  keine  Ausnahme);  am  gleichen  Tage  überreichte  Buch- 
holtz  sie  in  Warschau;  am  22.  erschien  sie  in  der  Zeitung.  Man 
wartete  ferner  noch  die  Abreise  des  russischen  Generals  Igelström 
aus   Petersburg   ab4),    damit   MöllendorfE   sich   bei   eventuellen 

*)  An  Lucchesini  27.  Dezember.  Lucchesinis  Bericht  31.  Dezember. 
Smitt  II  529—530;  Häußer  I  437^39;  Heigel  II  73. 

2)  1793  S.  1—2. 

3)  An  Lucchesini  4.  Januar.  An  Goltz  4.  Januar.  An  Cesar  7.  Januar. 
Rep.  96,  147  H  I.  F.  S.A.  Au  Roi  4.  und  17.  Januar.  Rep.  92  Lucchesinis 
Nachlaß  37.  Schulenburg  an  Lucchesini  16.  Januar  1793.  Rep.  96,  147 
G III.  F.  S.A.  Au  Roi  31.  Dezember  1792.  Rep.  9— 272  Rapports  I.  Friedrich 
Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  4.  Januar  1793.  Worontzow  XX 
33—36. 

4)  Die  Reise  von  Sievers  verzögerte  sich  zum  großen  Ärger  der  Preußen 
(Rep.  9,  27 L  A.  An  Buchholtz  13.  Januar  1793.  Die  Minister  unter  sich 
12.  Januar)  bis  zum  16.  Januar.  Erst  am  10.  Februar  war  er  in  Warschau, 
da  er  sich  in  Grodno  aufhielt.  Preußen  hielt  die  Anwesenheit  von  Igel- 
ström für  genügend,  besonders  als  es  erfuhr,  daß  Sievers  zum  Nachfolger 

Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution        30 


466  IV.  Abschnitt 

Zwischenfällen  gleich  mit  ihm  ins  Einvernehmen  setzen  könne1). 
Am  21.  Dezember  verließ  Igelström  Petersburg,  am  20.  Januar 
war  er  in  Warschau,  einen  Tag  darauf  reiste  Möllendorfl  zur 
Armee  ab2).  Am  14.  traten  die  etwa  20  000  Preußen  ihren  Marsch 
in  sechs  Kolonnen  an3),  am  24.  passierten  die  ersten  die  polnische 
Grenze  bei  Schwerin  an  der  Warthe4).  Widerstand  fanden  sie 
so  gut  wie  gar  nicht,  da  etwaige  polnische  Gelüste,  ihn  zu  organi- 
sieren, von  den  Russen  sofort  im  Keime  erstickt  wurden5).  Es 
blieb  bei  großartigen  Worten,  und  dagegen  hatten  die  Mächte 
nichts  einzuwenden6).  Die  polnischen  Regimenter  räumten  vor 
der  Ankunft  der  preußischen  ihre   Quartiere7). 

von  Bulgakow  ernannt  und  Igelström  allein  mit  dem  Kommando  über  die 
Truppen  betraut  sei  (S  y  b  e  1  III  206;  Blum,  Sievers  III  25  ff.  und  50; 
Nesselrodel  241;Smitt  II  530.  Rep.  96,  147  G  III.  F.S.A.  Au  Roi 
27.  Dezember.  Rep.  96, 147  H I.  F.S.A.  Au  Roi  4.  Januar  und 28.  Januar  1793. 
An  Goltz  26.  Dezember,  an  Buchholtz  28.  Dezember.  Bericht  von  Goltz 
7./ 18.  Januar,  an  Goltz  29.  Januar.   An  Lucchesini  28.  Januar.   Rep.  9 — 27, 

I  A.  Bericht  von  Buchholtz  13.  Februar.  Rep.  9 — 27a.  Korrespondenz 
mit  Möllendorff.     Sievers  an  Möllendorff  12.  Februar). 

1)  Das  Kabinettsministerium  hatte  beim  Könige  durchgesetzt,  daß 
Möllendorff  nicht  schon  vorher  an  die  Grenze  abrücken  solle,  dort  bis  zur 
Benachrichtigung  über  die  Ankunft  des  russischen  Generals  in  Warschau 
stehen  bleiben  und  dann  einrücken  solle,  um  unnützes  Aufseben  zu  ver- 
meiden (Rep.  XI  Rußland  135  A.  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsmini- 
sterium 31.  Dezember.  Friedrich  Wilhelm  an  Möllendorff  31.  Dezember. 
Rep.  96,  147  H  I.  F.S.A.  Au  Roi  4.  und  17.  Januar.  Rep.  9—27,  1  A. 
F.  16.  Januar.  Bericht  von  Buchholtz  18.  Januar).  Anderseits  ließ  sich 
Möllendorff  nicht  von  Buchholtz  aufhalten,  der  Zusammenstöße  mit  den 
polnischen  Truppen  scheinbar  um  jeden  Preis  vermeiden  und  ihnen  deshalb 
die  Möglichkeit  gewähren  wollte,  sich  zu  konzentrieren.  Das  hätte  den 
preußischen  Einmarsch  auf  unbestimmte  Zeit  verschoben;  das  ging  also 
nicht  an,  schon  wegen  der  verdächtigen  österreichischen  Gesinnungen  (Rep. 
92  Lucchesinis  Nachlaß  12,  L.  Au  Roi  23.  Januar  1793).    H  e  i  g  e  1  II  80. 

2)  Rep.  96, 147  H I.  F.S.A.H.  Au  Roi  21.  und  28.  Januar.  S  c  h  1  i  e  f  f  e  n 

II  753.  An  Goltz  22.  Januar  1793.  Bericht  10./21.  Dezember  1792.  Po- 
litisches Journal  1793,   S.   111. 

3)  1793  S.  2—3.     Sybel  HI  194. 

*)  Auch  Danzig  wurde  bald  darauf  besetzt,  um  den  Widerstand  sich 
nicht  erst  organisieren  zu  lassen,  vor  allem  um  englischen  Intrigen  zuvor- 
zukommen, die  man  sehr  fürchtete.  Ursprünglich  hatte  man  es  aus  Rück- 
sicht auf  Katharina  noch  unbesetzt  lassen  wollen.  Sie  billigte  dann  aber 
durchaus  dies  Verfahren. 

6)  Sybel  III  203—205.  Politisches  Journal  1793,  S.  201—203. 
An  Goltz  18.  Februar.    O  g  i  n  s  k  i  I  230—232. 

6)  Oginski  I  229—230;  Lelevel  II  162. 

7)  Aus  der  letzten  Zeit  der  Republik  Polen.  Gedenkblätter  eines 
Posener   Bürgers.       1760 — 1793.      Herausgegeben   von   Christian   Meyer. 


Petersburg  467 

In  dem  Manifest  war  alles  vermieden,  was  Katharina  hätte 
reizen  können1).  Polen  wurde  als  Herd  von  Unruhen  bezeichnet, 
die  teils  von  der  sogenannten  patriotischen  Partei  gegen  die 
russischen  Truppen  ausgingen,  die  zum  Schutze  eines  großen 
Teiles  der  Nation  auf  dessen  Ersuchen  eingerückt  seien,  teils 
aber  auch  von  der  Verbreitung  demokratischer  und  jakobinischer 
Prinzipien  herrührten,  die  aus  Frankreich  herüberkämen.  Preußen 
könne  ein  so  unruhiges  Volk,  das  die  Grenze  schon  oft  verletzt 
habe  und  viele  Ausschreitungen  sich  habe  zuschulden  kommen 
lassen,  nicht  in  seinem  Rücken  lassen,  während  es  sich  zur  Teil- 
nahme am  zweiten  Feldzuge  gegen  Frankreich  anschicke.  Es 
müsse  zu  seinem  eigenen  Schutze  die  nötigen  Maßregeln  ergreifen. 
Deshalb  würden  im  Einverständnis  mit  Österreich  und  Rußland 
preußische  Truppen  unter  MöllendorfE  in  Großpolen  einrücken, 
wo  sich  das  Gift  der  französischen  Revolution  schon  am  weitesten 
verbreitet  habe,  zum  Schutze  Preußens,  zur  Aufrechterhaltung 
der  Ruhe  und  zum  Schutze  der  wohlgesinnten  Polen2). 

Das  ist  wieder  eines  jener  Manifeste,  die  scheinbar  dazu  da 
sind,  die  wahre  Absicht  zu  verschleiern.  Jeder  konnte  sich  sagen, 
daß  die  preußischen  Truppen  nicht  gerade  „zum  Spiel"  ein- 
rücken würden.  Es  muß  wundernehmen,  daß  man  dieses  diplo- 
matischen Vexierspiels  nicht  eher  überdrüssig  geworden  ist3). 
So  war  der  Grund  für  die  tatsächliche  Besitznahme  gelegt,  deren 
weiterei  Verlauf  ich  hier  nicht  mehr  zu  schildern  habe.  Es 
handelte  sich  nun  noch  darum,  die  diplomatische  Form  dafür  zu 
finden  und  sie  für  Preußen  günstig  zu  gestalten.  Denn  so  er- 
freulich auch  der  erste  Bericht  von  Goltz  gewesen  war,  so  konnte 
man  doch  erst  sicher  sein,  wenn  der  Abschluß  erfolgt  war.  Noch 
waren  einige  Punkte  unklar,  und  noch  wünschte  man  für  Preußen 
etwas  mehr  herauszuschlagen. 

München  1908,  S.  80.    Rep.  9—27,  1  A.  Berichte  von  Buchholtz  18.,  23., 
26.  Januar,  5.  Februar. 

x)  Nur  den  Satz  über  die  vorherige  Billigung  von  Österreich  und 
Rußland  hätte  sie  am  liebsten  weggelassen  (Bericht  7./18.  Januar). 

2)  1793  S.  21— 22.  CarisienllO;  Politisches  Journal  1793,  S.  76 
bis  78,  93—97;  H  e  i  g  e  1  II  79—81;  H  ä  u  ß  e  r  I  482;  S  y  b  e  1  III  194; 
Lelevel  II  162 — 163;  Ranke,  Denkwürdigkeiten  des  Staats- 
kanzlers Fürsten  v.  Hardenberg,  Bd.  V  (Leipzig  1877),  S.  36;  Worontzow 
IX  283—294  und  302—303;  Schlosser  V  240—242;  S  c  h  1  i  e  f  f  e  n 
II  753—754. 

3)  Die  Instruktion  für  den  General  Sievers  (Ssolowjoff  305  bis 
310  etc.)  ist  ein  Gemisch  von  Gründen  und  Vorwänden,  die  noch  be- 
sonders zu  trennen  ich  nicht  für  nötig  halte.    Vgl.  oben. 


468  IV.  Abschnitt 

Man  war  in  Preußen  zwar  erschrocken  über  die  ungeheuren 
russischen  Ansprüche1)  und  in  Sorge  vor  den  russischen  Be- 
dingungen überhaupt2);  aber  man  erkannte,  daß  hier  kleinliches 
Feilschen  nicht  am  Platze  sei,  daß  man  nur  alles  damit  verderben 
könne.  Man  unterschrieb  also  doch  die  russische  Forderung  und 
wollte  sich  daraus  noch  ein  besonderes  Verdienst  machen3).  Man 
wünschte  nur,  zwei  Punkte  berücksichtigt  zu  wissen4).  Der  eine 
betraf  Österreich,  und  es  war  doch  ein  starkes  Stück  der  preußi- 
schen Bundestreue,  daß  es  in  dem  Augenblick,  in  dem  es  sich 
von  Österreich  hintergangen  glaubt,  diesem  doch  bei  Rußland 
einen  Vorteil  auszuwirken  sich  bemühte.  Es  schlug  den  Russen 
vor,  ihre  Grenze  in  Podolien  und  Wolhynien  nicht  direkt  an  die 
österreichische  in  Galizien  stoßen  zu  lassen;  einen  schmalen 
Streifen  sollten  die  Polen  behalten5).  Preußen  hätte  zwar  auch 
davon  seinen  Vorteil  gehabt;  die  preußischen  Remonten  aus  der 
Moldau  und  der  Walachei  nahmen  ja  ihren  Weg  stets  durch  dies 
Gebiet,  und  es  war  in  der  Tat  beschwerlich,  jedesmal  für  sie  in 
dem  weit  entfernten  Petersburg  um  Pässe  zu  bitten.  Aber  das 
kam  nur  hinzu,  war  nicht  die  Hauptsache.  An  anderer  Stelle 
jedoch  wollte  Preußen  etwas  für  sich  selbst  haben.  Der  Distrikt 
Polangen  an  der  Ostsee,  der  noch  zu  dem  polnischen  Palatinat 
Samogitien  (auch  Szamaiten  genannt)  gehörte,  trennte  die 
preußische  Grenze  von  der  Kurlands.  Preußen  wünschte  ihn  zur 
Sicherheit  der  Kuriere  seinem  Lose  hinzuzufügen ;  sie  hätten  dann 
einen  fremden  Staat  weniger  zu  passieren  brauchen.  Die  Aus- 
sichten schienen  günstig  zu  sein,  da  Rußland  selbst  im  Sommer 
Preußen  aufgefordert  hatte,  ihn  zu  besetzen.  Aber  das  sollten 
nach  preußischer  Ansicht  beides  nur  bescheiden  vorgebrachte 
Wünsche  sein,  keine  Bedingungen,  an  denen  das  ganze  Gebäude 
der  preußischen  Pläne  scheitern  sollte. 


*•)  An  Goltz  26.  Dezember.  An  Lucchesini  27.  Dezember.  Rep.  96, 
147  G  III:  F.  S.A.  Au  Roi  27.  Dezember.  Rep.  XI  Rußland  135  A.  Fried- 
rich Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  31.  Dezember  1792. 

2)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  37.  Schulenburg  an  Lucchesini 
16.  Dezember  1792. 

3)  Rep.  XI  Rußland  135  A:  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsmini- 
sterium 31.  Dezember  1792.    An  Goltz  4.  Januar  1793. 

4)  An  Goltz  26.  Dezember  1792  und  4.  Januar  1793.    H  ä  u  ß  e  r  I  481. 
6)  Der  König  schärfte  das  den  Ministern  noch  besonders  ein,  da  er 

glaubte,  die  Russen  wollten  die  militärisch  wichtige  Position  auf  dem 
linken  Dnjestrufer  gegenüber  von  Chotin  haben,  die  kurz  vorher  eine  so 
große  Rolle  im  Türkenkrieg  gespielt  habe. 


Petersburg  469 

Ebenso  war  es  mit  zwei  anderen  Wünschen,  die  wieder  ein- 
mal erkennen  lassen,  daß  sich,  der  Hunger  beim  Essen  einstellt1). 
Schulenburg  war  es,  der  seine  Kollegen  darauf  aufmerksam 
machte,  daß  sogar  Goltz  schon  an  die  Weichsellinie  gedacht 
und  mit  Markow  davon  gesprochen  habe2),  um  mit  den  Russen 
einigermaßen  gleichen  Schritt  zu  halten.  Nun  schien  man  in  der 
Tat  an  einer  Stelle  die  preußische  Grenze  militärisch  noch  ver- 
bessern zu  können,  wenn  man  den  Rest  der  Palatinate  Rawa  und 
Plozk  noch  dem  preußischen  Lose  hinzufügte.  Dazu  wollte 
Schulenburg  noch  ein  Stück  von  Masovien  oder  Czersk  hinzu- 
fügen mit  der  Stadt  Zakrocyyn,  einer  wichtigen  Position  an  der 
Weichsel.  Seinen  Kollegen  leuchtete  das  ein,  jedes  Stück  war 
ja  für  Preußen  ein  Gewinn.  Sie  gaben  diese  Bitte  sofort,  ohne 
erst  viel  beim  König  anzufragen3),  nach  Petersburg  weiter,  aber 
fügten  wieder  hinzu,  daß  Goltz  dabei  die  größte  Vorsicht  an- 
wenden müsse.  Das  österreichische  Verhalten  gegenüber.  Eng- 
land, das  ihnen  inzwischen  genauer  bekannt  geworden  war  und 
das  kaum  noch  mißdeutet  werden  konnte,  erhielt  sofort  seinen 
Lohn  in  der  Anweisung  an  Goltz,  eventuell  das  Zusammenstoßen 
mit  der  österreichischen  Grenze  zuzulassen,  wenn  er  damit  den 
neuen  preußischen  Gebietszuwachs  erkaufen  könne.  Um  Ruß- 
land zu  schonen,  ließ  man  augenblicklich  auch  auf  eine  Anregung 
von  Goltz  hin  die  kurländische  Frage  ganz  fallen4).  Kurze  Zeit 
darauf  gab  Preußen  einem  russischen  Antrage  nach  —  nur  eine 

x)  Rep.  XI  Rußland  135  A.  Schulenburg  4.  Januar.  Bemerkungen 
von  Finckenstein  und  Alvensleben  dazu.  An  Goltz  4.  Januar  P.S.  und 
22.  Januar.  Rep.  9 — 27,  1  A.  Die  Minister  unter  sich.  An  Buchholtz 
28.  Januar. 

2)  Bericht  10./21.   Dezember. 

3)  Rep.  96,  147  H.  Ad.  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium 
2.  Februar.  H  ä  u  ß  e  r  I  481.  Möllendorff  erhielt  schon  vom  Kabinetts- 
ministerium Befehl,  die  Palatinate  Rawa  und  Plozk  ganz  zu  besetzen, 
einigte  sich  aber  mit  dem  russischen  General  Igelström,  der  ihm  in  jeder 
Weise  entgegenkam,  dahin,  bis  zur  Entscheidung  Katharinas  beiderseits 
das  streitige  Gebiet  unbesetzt  zu  lassen.  An  Goltz  29.  Januar.  An  Lucchesini 
28.  Januar.  Bericht  Lucchesinis  3.  Februar.  Rep.  96,  147  H  I.  F.S.A.H. " 
Au  Roi  28.  Januar  und  3.  Februar. 

4)  Berichte  10./21.  Dezember  P.S.,  24.  Dezember  1792/4.  Januar  1793. 
An  Goltz  21.  Januar.  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium 
9.  Januar.  Rep.  9 — 272II.  F.  S.A.  Au  Roi  4.  Januar.  Friedrich  Wilhelm  an 
das  Kabinettsministerium  9.  Januar.  Rep.  96,  147  H  I.  F.S.A.H.  Au  Roi 
21.  Januar  und  15.  Februar.  Berichte  Lucchesinis  10.  Januar  und  25.  Ja- 
nuar. An  Goltz  P.S.  II  zum  11.  Februar.  Note  verbale  vom  6.  Februar 
für  Alopeus. 


470  IV.  Abschnitt 

Anstandsfrist  bedang  es  sich  aus  —  und  berief  seinen  Vertreter 
Hüttel  aus  Mitau  ab,  nachdem  sich  sogar  noch  ein  Grund  dafür 
gefunden  hatte1).  So  endete  diese  Mission  noch  rascher,  als 
Preußen  angenommen  hatte.  Rußland  war  von  jetzt  an  schon 
der  eigentliche  Herr  in  Kurland2).  Wir  sehen  hier  also  sich  ähn- 
liche Vorgänge  vorbereiten  wie  bei  der  ersten  Teilung.  Endlich 
hätte  Preußen  gern  die  lästige  Verpflichtung  für  den  französischen 
Krieg  vermieden3)  und  gab  darüber  dem  bayrischen  Tausch 
gleich  eine  Auslegung,  die  die  Gefahr  für  Preußen  abwehrte4). 
Aber  diesmal  blieb  es  auch  bei  dem  Plan,  zur  Ausführung  ließ 
es  Katharina  nicht  kommen.  Mochte  auch  Goltz  zunächst  ganz 
günstige  Aussichten  geben5),  so  entsprach  dem  der  Erfolg  doch 
nicht.  Markow,  dessen  Geschicklichkeit  schon  über  so  manche 
schwierige  Klippe  hinweggeholfen  hatte6),  stellte  den  Entwurf 
für  eine  russisch-preußische  Konvention  auf.  Wir  wissen,  daß 
er  stets  die  beiden  deutschen  Mächte  gegeneinander  auszuspielen 
suchte,  um  die  Stellung  der  Russen  um  so  mehr  zu  verbessern. 
Deshalb  vertrat  er  jetzt  die  Idee,  Österreich  zu  schonen,  seine 
Interessen  möglichst  zu  berücksichtigen,  die  Preußens  aber  in 
die  engsten  Grenzen  einzuschließen,  und  schlug  während  der 
geheimen  Verhandlungen  mit  Preußen  den  freundlichsten  Ton 
an7).  Dazu  kamen  nun  die  österreichischen  Depeschen  an  Ludwig 
Cobenzl  mit  denen  an  Stadion  an.  Über  diese  war  in  Petersburg 
nur  eine  Stimme  der  Mißbilligung.  Man  traf  ganz  die  Absicht 
Preußens,  wenn  man  auf  um  so  schnelleren  Abschluß  drängte, 
um  nicht  erst  den  Engländern  Gelegenheit  zu  geben,  Schwierig- 
keiten zu  machen8).    Preußens  Verhalten  erschien,    damit  ver- 


x)  An  Goltz  28.  Februar. 

2)  An  Goltz  13.  Februar  P.S.  II  und  25.  März.  Berichte  21.  Fe- 
bruar/4. März  und  25.  Februar/8.  März. 

3)  Goltz  erhielt  reiches  Lob  für  sein  geschicktes  Vorgehen  in  diesem 
Punkte  und  die  Aussicht  auf  eine  Belohnung  durch  den  König  (an  Goltz 
27.  Dezember.    Rep.  96,  147  G  III.  F. S.A.  Au  Roi  27.  Dezember). 

*)  F. S.A.  Au  Roi  3.  Februar  1793  in  Rep.  96,  147  HI. 
6)  Berichte  24.  Dezember  1792/4.  Januar  1793,    31.  Dezember  1792 
und  11.  Januar  1793,  4./15.  Januar.   An  Goltz  21.  Januar  und  1.  Februar. 

6)  Bericht  7./18.  Januar. 

7)  WassiltchikowII4,  165—176;  Worontzow  XX  33—36, 
40—54. 

8)  Berichte  28.  Dezember  1792/8.  Januar  1793, 31.  Dezember  1792/11.  Ja- 
nuar 1793,  11./22.  Januar.  Berichte  Lucchesinis  16.  Januar  mit  P.S. 
20.  und  30.  Januar.  An  Lucchesini  21.  Januar  und  4.  Februar. 
Rep.  96,   147  H  I.     F.  S.A.H.     Au   Roi    17.  Januar.     Hei  gel  II   80; 


Petersburg  471 

glichen,  um  so  loyaler.  Es  hatte,  notgedrungen  dem  österreichi- 
schen Vorgehen  folgend,  das  den  Abmachungen  mit  Haugwitz 
widersprach1),  in  ähnlichen  Erlassen  auf  die  englische  Anfrage 
seinen  Plan  einer  polnischen  Erwerbung  in  ganz  allgemeinen 
Zügen  mitgeteilt,  in  Verbindung  mit  den  österreichischen  Tausch- 
plänen, und  nur  davon  gesprochen,  daß  man  über  die  russische 
Zustimmung  noch  verhandle.  Damit  war  in  der  Tat  recht  ge- 
schickt vermieden,  von  dessen  Plänen  etwas  zu  sagen2).  Da 
England  inzwischen  selbst  in  die  französischen  Händel  hin- 
eingezogen wurde,  mußte  es  sich  jetzt  noch  mehr  als  früher 
mit  nutzlosen  Drohungen3),  dann  sogar  nur  mit  Protesten  be- 
gnügen*). 

Das  Volk  ereiferte  sich  sehr  über  diesen  Rechtsbruch,  aber 
mehr  als  Geldsammlungen  und  flammende  Reden  für  Humanität 
hatte  das  nicht  zur  Folge5).  Die  Geldsammlungen  ergaben 
einen  so  bescheidenen  Betrag,  daß  er  weniger  einer  Unterstützung 
zu  kriegerischen  Rüstungen  als  einem  Almosen  glich.  Die 
Regierung  ging  endlich  auf  den  ihr  von  Preußen  hingeworfenen 
Gedanken  ein,  sich  selbst  etwas  auf  Frankreichs  Kosten  zu  holen, 


Worontzow  XX  33 — 36.    Woronzow  hatte  hier  wieder  seine^  eigene 
Ansicht  (ibid.  IX  283—294). 

*•)  Aber  Haugwitz  selbst  hatte  die  Erlasse  an  Stadion  mitgeteilt. 

2)  S  m  i  1 1  II  532—534.  Rep.  I  170.  An  Cesar  29.  Dezember.  Die 
Minister  unter  sich  29.  Dezember.  Dreger  an  Finckenstein  ( ?),  das  Kabinetts- 
ministerium an  Dreger  29.  Dezember.  Rep.  9 — 272  Rapports  I.  Schulen- 
burg an  Le  Coq  29.  Dezember.  Rep.  96 ,  147  G  III.  F.  S.  A.  Au  Roi 
27.  und  31.  Dezember.  An  Jacobi  29.  Dezember  (3  Stück  und  1  P.S.). 
An  Goltz  26.  und  30.  Dezember  und  10.  Januar.  An  Lucchesini  3.  Januar 
und  14.  Januar.  Bericht  Lucchesinis  31.  Dezember.  Bericht  Cesars  3.  Ja- 
nuar.   An  Cesar  10.  Januar. 

3)  In  Petersburg  vermied  es,  sie  vorzubringen.  Hier  knüpfte  es  lieber 
Handelsvertragsverhandlungen   an. 

4)  In  dieser  Beziehung  war  über  Polens  Schicksal  schon  durch  den 
Rückzug  Englands  vor  Rußland  im  Frühjahre  1791  entschieden  worden. 
Noch  vor  dem  Beginn  der  englisch-französischen  Verwickelungen  erklärte 
England,  Polen  seinem  Schicksal  überlassen  zu  müssen  und  erteilte  einem 
seiner  Vertreter  im  Auslande  einen  Verweis,  als  er  sich  bei  Friedrich  Wilhelm 
gar  zu  lebhaft  für  Polen  verwandte  (Salomon,  Teilung  3 — 5,  56 — 57 
und  73—79;  Salomon,  Pitt  I  539—540  und  564,  569,  585—586.  Be- 
richt Lucchesinis  16.  Januar  P.S.  Rep.  96,  147  H  I.  F.S.A.H.  Au 
Roi  17.  Januar.  An  Goltz  18.,  22.,  25.  Januar.  An  Cesar  18.  und  25.  Ja- 
nuar). 

5)  Salomon,  Teilung 72— 73;  Salomon,  PittI2,  585;  Worontzow 
IX  249,  252—254  und  283—294. 


472  IV.  Abschnitt 

und  ließ  Polen  fallen1).  Rußland  sparte  mit  dem  Lobe  für  Preußen 
nicht.  Im  tiefsten  Geheimnis  wurden  die  Verhandlungen  geführt2). 
Dem  Grafen  Cobenzl  wurden  von  Goltz  wie  von  den  Russen  nur 
ganz  vage  Andeutungen  gemacht3),  auf  besonderen  Wunsch  der 
letzteren,  die  vorher  so  eifrig  die  Einigung  zwischen  Österreich 
und  Preußen  gepredigt  hatten.  In  einer  offiziellen  Sitzung  vom 
23.  Januar,  an  der  Ostermann,  Besborodko,  Markow  und  die 
beiden  russischen  Staatsräte  Koch  und  Weidemeyer,  dazu  Goltz 
teilnahmen,  wurde  der  russische  Entwurf  genehmigt,  da  Goltz 
fürchtete,  den  Abschluß  zu  verzögern,  wenn  er  die  nicht  berück- 
sichtigten preußischen  Wünsche  geltend  machte4).  Der  erste 
Beamte  des  russischen  Auswärtigen  Amtes,  Koch,  kopierte  selbst 
zu  besserer  Geheimhaltung  die  Konvention. 

Nun  ist  zwar  durch  Goltz  nichts  davon  bekannt  geworden, 
daß  die  österreichischen  Depeschen  auf  die  Abfassung  der  Kon- 
vention von  Einfluß  geworden  sind.  Aber  das  kann  natürlich 
kein  Grund  gegen  eine  solche  Annahme  sein,  ich  möchte  sogar 
in  dem  beinahe  gänzlichen  Fehlen  von  Nachrichten  über  ihre 
Wirkung  —  man  behauptete  schon  vorher  durch  Alopeus  und 
Rasumowski  im  allgemeinen  über  die  österreichische  Auffassung 
der  Lage  richtig  orientiert  zu  sein  —  einen  Beweis  dafür  sehen. 
Noch  mehr  spricht  dafür  der  Wortlaut  der  Konvention  selbst 
trotz  aller  Spitzen  gegen  Österreich,  die  eben  allein  den  Russen 


1)  Berichte  Lucchesinis  20.  und  30.  Januar,  16.  und  24.  Februar. 
An  Lucchesini  24.  Januar  u.  4.  Februar.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12.  L. 
Au  Roi  28.  Januar.  Rep.  96,  147  H  I.  F.  S.A.  Au  Roi  19.  Februar  und 
25.  Februar,  9.  April,  dabei  an  Jacobi  8.  April.  An  Goltz  18.  Februar  und 
3.  März.  Bericht  Cesars  6.  Februar.  An  Cesar  15.  und  19.  und  22.  Februar, 
dabei  Finckenstein  17.  Februar. 

2 )  Ich  bemerke  jedoch,  daß  von  eigentlichen  Verhandlungen 
in  unserem  Sinne  keine  Rede  war.  Goltz  sprach  mit  Ostermann  über  die 
Sache.  Gleichzeitig  arbeitete  Markow  den  Entwurf  aus.  Preußen  mußte 
sich  dann  dem  russischen  Gebot  fügen.  Es  war  kein  Kampf  zwischen 
Gleichberechtigten . 

3)  Bericht  7./ 18.  Januar. 

*)  Berichte  13./24.  Januar  und  11./22.  Januar.  An  Lucchesini  4.  Fe- 
bruar. Katharina  an  Friedrich  Wilhelm  25.  Januar.  Einen  raschen  Ab- 
schluß wünschten  alle  Beteiligten.  Berichte  24.  Dezember  1792/4.  Januar 
1793  und  31.  Dezember  1792/11.  Januar  1793.  Die  Minister  unter  sich, 
nach  Finckensteins  Vorschlag  an  Goltz  22.  Januar.  Berichte  28.  Dezember 
1792/8.  Januar  1793  und  7./18.  Februar,  8./ 19.  Februar.  Berichte 
Lucchesinis  16.  und  30.  Januar.  An  Lucchesini  21.  Januar.  An  Goltz 
21.  Januar.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12.  L.  Au  Roi  6.  Februar. 
Sybel  III  197. 


Petersburg  473 

zugute  kamen1).  Sehen  wir  hier  davon  ab,  daß  wieder  der  Geist 
der  französischen  Revolution  für  das  Einschreiten  Rußlands  und 
Preußens  im  Einverständnis  mit  Österreich  (?)  auch  in  Polen 
verantwortlich  gemacht  wird,  um  sich  Ruhe  und  zugleich  Ersatz 
für  die  außerordentlichen  Kosten  zu  verschaffen  —  das  sind  ja 
die  üblichen  Floskeln  —  und  halten  wir  uns  an  die  Sache.  Ruß- 
land versprach  zunächst,  seine  Truppen  in  demselben  furcht- 
erweckenden Zustande  zu  erhalten  wie  bisher,  solange  die  von 
der  Revolution  verursachten  Unruhen  dauerten,  um  das  eigene 
Land  zu  verteidigen,  seinen  Verbündeten  eventuell  die  vertrags- 
mäßige Hilfe  zu  leisten,  in  Polen  wie  in  den  benachbarten  öster- 
reichisch-preußischen Provinzen  auf  den  ersten  Wunsch  der 
Mächte  hin  Ruhe  und  Ordnung  zu  halten.  Dafür  verleibte  es 
seinem  Reiche  das  Stück  Polens  östlich  einer  Linie  von  Semgallen 
bis  zur  galizischen  Grenze  ein.  Zwischen  dem  25.  März  und  dem 
10.  April  alten,  d.  h.  dem  5.  und  dem  21.  April  neuen  Stils  sollte 
die  Besitznahme  erfolgen  und  auch  dann  erst  veröffentlicht 
werden.  Preußen  verpflichtete  sich,  den  Krieg  gegen  die  fran- 
zösischen Rebellen  zusammen  mit  Österreich  bis  zu  einem  ge- 
meinsamen Frieden  oder  Waffenstillstand  fortzusetzen,  in  dem 
sie  das  Ziel  erreichten,  das  sie  sich  in  ihren  Erklärungen  gesteckt 
hätten,  nämlich  jene  zu  zwingen,  ihre  feindlichen  Unterneh- 
mungen nach  außen  wie  ihre  Ruhestörungen  im  Innern  aufzu- 
geben. Dafür  erhielt  Preußen  zu  derselben  Zeit  wie  Rußland 
das  Gebiet  westlich  der  Linie  Czenstochau  -  Rawa  -  Soldau  mit 
der  Stadt  Danzig  (Thorn  wurde  nicht  besonders  erwähnt,  da  es 
keine  Enklave  war).  Den  Österreichern  verpflichtete  man  sich, 
den  Tausch  zu  seiner  Zeit  und,  wenn  man  darum  gebeten  werde, 
mit  allen  guten  Diensten  und  anderen  wirksamen  Mitteln  zu  er- 
leichtern und  zu  verschaffen,  dazu  die  Vorteile,  die  mit  der  all- 
gemeinen Konvenienz  vereinbar  sein  würden.  Nach  dem  Ab- 
schluß sollte  Österreich  sofort  zum  Beitritt  und  zur  Garantie 
aller  getroffenen  und  daraus  sich  ergebenden  Abmachungen  auf- 
gefordert werden,  sowie  Rußland  und  Preußen  ihrerseits  nach  der 
Ausführung  den  Österreichern  den  Tausch  garantieren  würden. 
Angriffe  wegen  dieser  Konvention  verpflichtete  man  sich  ge- 
meinsam abzuwehren.  Ebenso  wollte  man  bei  den  Polen  gemein- 
sam vorgehen,  um  ihre  Anerkennung  herbeizuführen. 


1)  Martens,   Traites-Russie   II  228   ff.;   Vivenot  II  Nr.    785; 
Sorel  III  316—317;  Heigel  II  80;  Häußerl  482. 


474  IV.  Abschnitt 

Preußens  Meorforderungen  waren  also  in  keinem  Punkte  be- 
willigt worden1).  Die  Russen  lehnten  sie  ab,  da  Österreich  nichts 
davon  wisse  (ein  merkwürdiger  Vorwand!).  Den  Transport  der 
preußischen  Remonten  aus  der  Moldau  werde  Rußland  tunlichst 
erleichtern2).  Dafür  war  die  Verpflichtung  für  den  französischen 
Krieg  zum  mindesten  sehr  lästig  trotz  einer  mündlichen  Ver- 
sicherung Ostermanns.  Wenn  Österreich  beitrat,  so  bedurfte  es 
schon  eines  Vertragsbruches,  um  sich  ihr  zu  entziehen.  Man  teilte 
in  Preußen  jetzt  nicht  mehr  so  sicher  die  Meinung,  daß  der  Krieg 
mit  dem  zweiten  Feldzuge  zu  Ende  sein  werde.  Daher  hoffte 
man  beinahe,  Österreich  werde  seinen  Beitritt  verweigern,  und 
dann  war  diese  Verpflichtung  hinfällig.  Es  blieb  dann  nur  das 
Versprechen  von  Merle,  1793  so  kräftig  wie  bisher  teilzunehmen. 
Über  das  Jahr  hinaus  war  man  dann  also  nicht  verpflichtet3). 
Die  Abmachung  über  den  Tausch  endlich  war  so  gefaßt,  daß  man 
daraus  auch  die  Verpflichtung  lesen  konnte,  mit  den  Waffen  den 
Tausch  durchführen  zu  helfen.  Das  aber  hatte  nie  in  Preußens 
Absicht  gelegen4).    Der  König  hatte  sich  gelegentlich  im  Oktober 

1)  Sybel  III  197.  Berichte  7./18.  Januar,  13./24.  Januar,  8./19.  Febr. 

2)  Berichte  13./24.  Januar,  1./12.  Februar,  4./15.  März.  An  Goltz 
28.  Februar  und  31.  März. 

3)  Berichte  Lucchesinis  24.  Februar  und  26.  Mai.  An  Lucchesini 
28.  Februar.  Berichte  von  Goltz  8./19.  Februar,  4./15.  und  11./22.  März. 
Haugwitz'  Denkschrift.  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  31.  Haugwitz  an 
Lucchesini  5.  Mai  1793. 

*)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  14  und  Rep.  9 — 272  Rapports  I. 
F.  S.A.  Au  Roi  25.  Dezember.  An  Lucchesini  24.  Dezember.  An  Haugwitz 
25.  Dezember.  An  Cesar  29.  Dezember.  An  Goltz  27.  und  29.  Dezember. 
H.E.B.  315—319.  Rep.  96,  147  G  III.  F. S.A.  Au  Roi  29.  Dezember  und 
an  Jacobi  29.  Dezember.  Rep.  96,  147  H  I.  F.  S.A.  Au  Roi  3.  Februar, 
19.  Februar.  F.A.H.  Au  Roi  9.  April.  An  Goltz  22.  Januar,  3.  und  8.  Fe- 
bruar, 8.  und  31.  März.  Bericht  8./19.  Februar.  An  Cesar  7.  Januar,  7.  und 
19.  Februar,  8. ,  28.  und  31.  März,  dabei  Finc kenstein  und  Alvensleben  27.  März, 
14.  April.  Berichte  Cesars  24.  März  und  6.  April.  An  Lucchesini  14.  Januar, 
7.  Februar,  8.  April.  Bericht  Lucchesinis  10.  Januar.  H  ä  u  ß  e  r  I  481. 
Lucchesini,  dem  in  Frankfurt  auch  Haugwitz  beigestimmt  zu  haben  scheint, 
wich  in  einem  wesentlichen  Punkte  von  seinen  Kollegen  ab.  Sie  wollten 
womöglich  den  Tausch  verhindern,  er  hauptsächlich  die  Zuwage  auf 
Frankreichs  Kosten,  die  so  mannigfaltig  geplante  Barriere  (Lucchesinis 
Memoire  mit  Nachtrag  17.  März.  Berichte  Lucchesinis  18.,  22.  und  31.  März. 
Finckenstein  22.  März.  Alvensleben  22.  März.  An  Lucchesini  24.  März. 
Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12.  L.  Au  Roi  17.  März),  bis  ihn  die  Vor- 
gänge von  Ende  März  und  vom  April  der  Ansicht  des  Kabinettsministeriums 
zuführten  (Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  25.  Lucchesini  an  Cesar  23.  April. 
Rep.  92  Cesars  Nachlaß  21.  Lucchesini  an  Cesar  26.  Mai  1793).    Der  König 


Petersburg  475 

so  ein  unüberlegtes  Wort  entschlüpfen  lassen.  Aber  das  war 
längst  wieder  durch  offizielle  preußische  Erklärungen  ausgelöscht, 
daß  man  nur  seine  guten  Dienste  (darunter  verstand  man  diplo- 
matische Unterstützung,  besonders  bei  Zweibrücken,  Bayern  und 
England)  versprochen  habe  und  leisten  werde.  Deren  Bedeutung 
schlug  man  absichtlich  immer  geringer  an1).  Preußen  hielt  sich 
mehr  als  je  in  der  Rolle  der  Hilfsmacht,  die  es  ablehnt,  bestimmte 
Grenzen  zu  überschreiten.  Der  König  war  zwar  militärisch  stets 
für  energischen  Kampf;  aber  politisch  wollte  er,  teilweise  im 
Gegensatz  dazu,  im  Einverständnis  mit  seinen  Ministern  zurück- 
halten2). 

Diese  beiden  Punkte  halte  ich  für  eine  Folge  der  Instruktionen 
Ph.  Cobenzls  an  seinen  Vetter,  da  Ostermann  von  jenen  vorher 
nicht  gesprochen  oder  sie  abgelehnt  hatte;  sie  bedeuteten  nicht 
so  sehr  einen  Vorteil  Rußlands  wie  einen  solchen  Österreichs 
zum  Schaden  von  Preußen.  Um  seinerseits  aber  ganz  sicher  zu 
gehen,  hatte  sich  Rußland  die  Geheimhaltung  bis  zur  Ratifikation 
ausbedungen.  Preußen  verkannte  nicht,  daß  sich  Österreich 
gerade  dadurch  sehr  verletzt  fühlen  werde,  aber  es  gab  auch 
hierin  nach.  Die  Konvention  schien  für  Österreich  sowieso  schon 
günstig  genug  zu  sein3).  Rußland  hatte  damit  erreicht,  was  es 
wollte:  die  Anerkennung  seiner  Ansprüche  auf  ein  ungeheures 
Stück  polnischen  Gebietes  und  die  möglichste  Einengung  der 
preußischen  Ansprüche.  Schon  war  es  dafür  tätig,  seine  Zu- 
stimmung überhaupt  als  eine  Art  Notwehr  erscheinen  zu  lassen, 
deren  schlechte  Folgen  zu  beseitigen  es  sich  angelegen  sein  lassen 
müsse.  Kurz,  die  preußische  Allianz  hatte  für  Rußland  ihren 
Zweck  erfüllt.  Es  begann,  diese  Bande  zu  lockern,  und  sich  nach 
neuen,  vorteilhafteren  Verbindungen  unter  den  Mächten  umzu- 


endlich  kam  nach  dem  Sturz  des  österreichischen  Ministeriums  von  den 
geplanten  kräftigen  Schritten  gegen  Bayern  ab  und  sah  mindestens  ohne 
Ärger  die  Schwierigkeiten  für  den  Tausch  sich  vermehren.  (Berichte 
Lucchesinis  8.,  15.,  16.,  22.,  27.  April,  9.  und  13.  Mai.  An  Lucchesini  21., 
22.,  28.  April,  3.  und  10.  Mai.) 
x)  An  Cesar  17.  März. 

2)  Häußer  I  482^83;  Sybel  III  256—257;  Heigel  II  82 
und  95.  Lucchesinis  Memoire  vom  17.  März.  An  Lucchesini  24.  März. 
Von  der  Rückeroberung  der  Niederlande  sehe  ich  hierbei  natürlich  ab. 
Der  im  Vertrag  angenommene  Fall  setzt  voraus,  daß  Österreich  in  ihrem 
Besitz  ist. 

3)  S  y  b  e  1 III  198.  An  Goltz  3.  Februar.  Rep.  96,  147  H  I.  F.S.A. 
Au  Roi  3.  Februar  (zweimal). 


476  IV.  Abschnitt 

sehen,  die  es  mit  der  Publikation  der  Teilung  aufs  stärkste  ver- 
letzte. Namentlich  nach  Wien  richteten  sich  da  seine  Blicke, 
wo  es  die  Verbindungen  ja  nie  ganz  abgebrochen  hatte.  Es  suchte 
den  Österreichern  die  augenblicklich  so  unangenehme  Lage  durch 
die  Aussicht  zu  verschönern,  daß  es  nur  vorläufig  den  Preußen 
einen  so  großen  Teil  von  Polen  überlassen  habe,  daß  sich  ja  aber 
die  Zeiten  ändern  könnten  und  Polen  auch  wieder  eine  sichere 
Existenz  gewinnen  könne.  Rußlands  Vorgehen  richtete  sich  da- 
mit nicht  nur  gegen  Polen,  das  es  sich  unterwerfen  und  dem  es 
damit  eine  „sichere  Existenz"  verschaffen  wollte,  sondern  auch 
immer  mehr  gegen  den  unbequemen  Teilhaber,  gegen  Preußen1). 
In  Preußen  herrschte  zwar  keine  reine  Freude,  als  die  Kon- 
vention bekannt  wurde,  aber  man  sagte  sich  doch,  daß  die  Vor- 
teile so  außerordentlich  groß  seien,  daß  man  die  Nachteile 
schon  in  den  Kauf  nehmen  müsse2).  Man  hoffte  auch  eine 
Zeitlang,  bei  dem  endgültigen  Vertrage  mit  Polen  noch  diesen 
oder  jenen  Vorteil  zu  ergattern.  Alopeus  versprach,  sich  dafür 
zu  verwenden.  Man  brauchte  ja  auch  die  Konvention  nicht 
zu  ändern,  nur  eine  andere  Karte  beizulegen.  Dies  würdelose 
Betteln  um  die  russische  Zustimmung  —  Schulenburg  scheint 
dabei  besonders  tätig  gewesen  zu  sein  —  hatte  aber  keinen  Erfolg. 
Nachher  war  Preußen  sogar  darüber  erfreut,  daß  es  sich  streng 
an  seine  Angaben  gehalten  habe3).  Besonders  der  König  war 
jetzt  des  Lobes  voll  und  sparte  nicht  mit  Gunstbezeigungen. 
Endlich  hatte  er  das  erreicht,  wohin  sein  rastloser  Ehrgeiz  schon 
seit  Jahren  auf  so  verschiedenen  Wegen  und  so  oft  vergeblich 
gestrebt  hatte:  die  Vergrößerung  des  preußischen  Territorial- 
besitzes. Anstandslos  ratifizierte  er  am  8.  Februar  die  Kon- 
vention. Was  hätte  er  auch  anders  tun  sollen?  Es  blieb  ihm  gar 
keine  andere  Wahl.  Aber  er  war  auch  so  schon  zufrieden4).  Am 
11.  Februar  früh  war  das  Exemplar  in  Berlin,  am  13.  ging  es 


x)  W  a  s  s  i  1 1  c  h  i  k  o  w  II  4,  161  ff.;  V  i  v  e  n  o  t  II  759—760;  W  o- 
rontzow  XIV  253—254,  XX  33—36  und  40—54;  Blum,  Sievers 
III  42  ff. 

2)  An  Lucchesini  3.  Februar.  Bericht  Lucchesinis  7.  Februar. 
Rep.  96,  147  H  I.  F. S.A.  Au  Roi  3.  Februar.  Rep.  9— 272  Rapports 
II.  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  8.  Februar.  Häußer  I 
481-^82. 

3)  Bericht  14./25.  Februar.  An  Goltz  28.  Februar,  8.,  14.,  22.  März. 
Ostermann  an  Alopeus  25.  Februar/8.  März.     An  Cesar  24.  März. 

4)  Rep.  9 — 272  Rapports  II.  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsmini- 
sterium 8.  Februar. 


Petersburg  477 

weiter  nach  Petersburg,  wo  am  28.  Februar  neuen  Stils  der  Aus- 
tausch der  Ratifikationen  erfolgte1),  sofort  als  das  preußische 
Exemplar  eingetroffen  war,  da  jede  Verzögerung,  wie  Ostermann 
bemerkte,  unnütz  sei2).  Am  15.  März  war  das  eine  Exemplar 
in  Berlin3).  Am  7.  April  erfolgte  die  offizielle  Kundgebung  der 
Besitznahme  mit  der  Publikation  des  auf  den  25.  März  datierten 
Patentes4).  Jetzt  gab  auch  Schulenburg,  dessen  Krankheit  sich 
wider  Erwarten  kaum  gebessert  zu  haben  scheint,  sein  Amt  als 
Kabinettsminister  auf.  Haugwitz  trat  nach  seiner  Rückkehr  nach 
Berlin5)  an  seine  Stelle6).   Eine  Änderung  in  der  Politik,  wie  sie 


1)  Bericht  von  Goltz  7./18.  Februar.  An  Lucchesini  11.  Februar 
und  14.  April.  Eep.  96,  147  H  I.  F.A.  Au  Roi  18.  März.  V  i  v  e  n  o  t  II 
766;  Sy bei  III  262.  Goltz  21.  Februar/4.  März.  H.E.B.  371.  An  Goltz 
11.  und  13.  Februar. 

2)  Bericht  14./25.  Februar. 

3)  An  Lucchesini  15.  März.  An  Goltz  18.  März.  Rep.  96,  147  H  I. 
F.A.  Au  Roi  18.  März. 

*)  S  s  o  1  o  w  j  o  f  f  312;  H  e  i  g  e  1  II  81.  An  Goltz  18.  März.  "Auch 
diesmal  wurden  Präsente  von  beiden  Seiten  verteilt.  Das  war  in  Petersburg 
eine  ganz  besonders  wichtige  Angelegenheit  (an  Lucchesini  3.  Februar. 
Rep.  96,  147  H  I.  F.  S.A.  Au  Roi  3.  Februar).  Die  russischen  waren  wieder 
recht  dürftig  (Berichte  21.  Februar/4.  März  und  1./12.  März.  An  Lucchesini 
29.  März.  Rep.  96,  147  H  I.  F.A.  Au  Roi  21.  März).  Preußen  hielt  sich 
dabei  genau  an  das  im  vorigen  Sommer  beobachtete  Verfahren.  Nur  kam 
diesmal  einiges  dazu.  Für  Goltz  als  Belohnung  (die  ich  nicht  als  wohlver- 
dient zu  bezeichnen  wage)  außer  dem  Generalmajorspatent  und  dem 
Roten  Adler  20  000  Taler  (beinahe  so  wie  Sohns  seinerzeit  bei  der  ersten 
Teilung  belohnt  worden  war.  Rep.  96,  147  G  III.  F.  S.A.  Au  Roi  27.  De- 
zember. Bericht  Lucchesinis  31.  Dezember.  An  Lucchesini  4.  Januar), 
für  die  russischen  Staatsräte  Koch  und  Weidemeyer  ein  Ring  für  1300 
bezw.  eine  Dose  für  1100  Taler,  für  den  Sekretär  Subows  ein  Ring  für 
1100  Taler  (das  letztere  war  eine  Eigenmächtigkeit  von  Goltz).  Im  ganzen 
beliefen  sich  die  Kosten  diesmal  auf  89  358  Taler  und  8  Groschen.  Gern 
hätte  man  daran  gespart,  wenn  man  es  für  möglich  gehalten  hätte.  Man 
tröstete  sich  nur  damit,  daß  eben  noch  alles  so  billig  wie  möglich  einge- 
richtet worden  sei.  (Vgl.  darüber  Rep.  XI  Rußland  135  C.  Rep.  9 — 272 
Rapports  IL  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  8.  Februar. 
Rep.  96,  147  H  I.  F. S.A.  Au  Roi  4.  Januar,  3.  Februar,  18.  Februar.  F.A. 
Au  Roi  18.  und  21.  März,  26.  März.  Berichte  Lucchesinis  31.  Dezember 
1792,  7.  und  8.  Februar.  An  Lucchesini  4.  Januar,  3.,  IL,  14.  Februar. 
Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  31.  Dezember.  An  Goltz 
4.  Januar,  11.  Februar,  18.  und  22.  März.  Ostermann  an  Alopeus  25.  Fe- 
bruar/8. März.     Bericht  21.  Februar/4.  März.) 

5)  Er  war  provisorisch  nach  Frankfurt  gereist,  trug  aber  selbst  dazu 
bei,  daß  Lucchesini  beim  Könige  blieb. 

6)  Lucchesini  an  seine  Frau  8.  Februar  1793.  Rep.  96,  147  H  I. 
Adh.  Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  10.  Februar.    Rep.  92 


478  IV.  Abschnitt 

Rußland  zu  seinem  Schaden  befürchtete,  trat  damit  nicht  ein1). 
So  war  also  beinahe  wider  Erwarten  das  Werk  gelungen,  nicht, 
wie  Preußen  zuerst  gewünscht  hatte,  mit  Österreich  gegen  Ruß- 
land, sondern  mit  Rußland  ohne,  ja  besser,  gegen  Österreich2). 
Aber  dieser  Ausschluß  war  nur  als  provisorischer  gedacht.  Jetzt 
nach  der  Ratifikation  konnte  man  endlich  in  Wien  die  Mitteilung 
machen.  Nach  genauen  Verabredungen  erfolgte  der  Schlag  am 
23.  März  in  Wien.  Er  konnte  nur  niederschmetternd  wirken.  Alle 
Befürchtungen  wurden  noch  übertroffen.  Er  veranlaßte  Franz, 
die  schon  lange  vorbereitete  Absicht  endlich  durchzuführen,  das 
Ministerium  anderen  Händen  anzuvertrauen. 


Lucchesinis  Nachlaß  12.  L.  Au  Roi  19.  und  20.  Februar.  Schlieffen 
II  755;  Sorel  III  320. 

*)  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12:  L.  Au  Roi  8.  März. 

2)  Wie  übrigens  Preußen  von  den  Russen  ausgebeutet  wurde,  beweist 
folgendes  Vorkommnis.  Im  Herbst  1792  hatte  Friedrich  Wilhelm  an 
Valerian  Subow  den  Roten,  an  Piaton  den  Schwarzen  Adlerorden  verliehen. 
Nun  wollte  auch  Valerian  den  Schwarzen  haben.  Katharina  unterstützte 
nach  dem  Abschluß  der  Konvention  durch  Alopeus  seine  Bitte.  Abzu- 
lehnen wagte  man  das  in  Preußen  nicht  geradezu.  Aber  Valerian  war  erst  ( !) 
Generalmajor,  und  der  Schwarze  Adler  verlieh  in  der  preußischen  Armee 
den  Rang  eines  Generalleutnants.  Daher  wurde  der  Orden  an  Goltz  ge- 
schickt mit  dem  Befehle,  ihn  erst  dann  zu  überreichen,  wenn  Valerian  in 
der  russischen  Armee  zum  Generalleutnant  befördert  worden  sei.  Katharina 
wollte  jedoch  gerade  einen  Anlaß  zur  Beförderung  von  außen  erhalten 
und  verlangte,  Preußen  solle  darum  nachsuchen.  Das  war  selbst  diesem 
zu  viel,  und  der  Orden  blieb  vorläufig  bei  Goltz  liegen  (Berichte  Lucchesinis 
7.  und  8.  Februar.  Bericht  von  Goltz  21.  Februar/4.  März.  Rep.  96,  147 
H  I.  F.A.  Au  Roi  3.  und  18.  März.  An  Goltz  13.  und  18.  März,  9.  April. 
Friedrich  Wilhelm  an  das  Kabinettsministerium  2.  April.  Vgl.  auch 
Worontzow  VEII  70—78). 


Schluß 

Denn  diese  Nachricht  führte  nur  die  Lösung  einer  schon  längst 
unerträglich  gewordenen  Spannung  zwischen  dem  Kaiser  und 
seinen  Ratgebern  herbei.  Die  bereits  oben  angedeutete  Änderung 
der  Verhältnisse  hatte  sich  derartig  weiter  entwickelt,  daß  das 
System  Philipp  Cobenzls  den  österreichischen  Interessen  nicht 
mehr  entsprach.  Er  wollte  England  in  den  beiden  Hauptfragen, 
der  Entschädigung  und  der  Kriegführung,  beiseite  halten  und 
sich,  auf  Preußens  und  besonders  auf  Rußlands  Hilfe  gestützt, 
deren  er  ja  sicher  war,  Bayerns  bemächtigen  statt  der  Nieder- 
lande, damit  Österreich  aus  der  gefährlichen  Lage  befreien,  in 
die  es  seine  weit  zerstreuten  Besitzungen  schon  so  oft  gebracht 
hatten.  Hatte  sich  Österreich  erst  einmal  so  konsolidiert,  so 
brauchte  es  von  Frankreich  nichts  mehr  zu  fürchten,  brauchte 
England  nicht  mehr,  von  dem  es  besonders  bei  einer  erneuten 
Annäherung  Englands  an  Preußen  wieder  abhängig  zu  werden 
fürchtete,  und  konnte  gegenüber  Preußen,  aber  auch  gegenüber 
Rußland,  einen  festeren  Ton  anschlagen  als  bisher1).  Wenn  schon 
England  den  Tausch  nicht  förderte,  wie  Cobenzl  doch  hoffen 
wollte2),  weil  England  jetzt  selbst  das  größte  Interesse  an  einer 
Annäherung  an  Österreich  habe3),  so,  meinte  er,  werde  es  sich 
jedenfalls  in  diesem  Augenblick  wegen  des  gespannten  Verhält- 
nisses zu  Frankreich  seiner  Durchführung  doch  nicht  widersetzen. 
Österreich  müsse  nur  fest  darauf  bestehen,  sich  zwar  zu  Konzert 
und  Frieden  bereit  erklären,  aber  keine  Eile  zeigen,  darauf  ein- 
zugehen.   Endlich  müsse  es  in  England  sorgfältig  den  Argwohn 

*)  Vivenot  II  730  und  783. 

2)  Berichte  Cesars  3.,  16.,  20.,  23.,  26.  Januar,  6.  und  9.  März. 

3)  Vivenot  II  725.  Nur  für  den  Notfall  scheinen  Maßregeln  zum 
Einmarsch  österreichischer  Truppen  in  Polen  getroffen  worden  zu  sein 
(Berichte  Cesars  26.  und  30.  Januar,  2.,  6.,  16.,  25.  Februar,  21.  März). 
Von  seinem  gebieterischen  Tone  werde  England  dann  schon  abkommen; 
er  habe  es  schon  um  die  preußische  Freundschaft  gebracht  (Vivenot 
II  730). 


480  Schluß 

unterhalten,  es  wolle  die  Niederlande  nicht  zurückerobern,  wenn 
sie  nicht  eingetauscht  würden1).  Man  könne  an  anderer  Stelle 
mit  größerem  Vorteil  den  Krieg  beginnen2).  Dann  aber  hätte 
England  sogar  die  Überlassung  der  Niederlande  an  Frankreich 
befürchten  müssen;  der  Tausch  würde  ihm  da  immer  noch  als 
ein  notwendiges  Übel  lieber  sein.  Zugleich  würde  es  sich  ebenso 
wie  Holland  zu  ihrer  Sicherung  energisch  am  Kriege  beteiligen, 
von  dem  es  sich  sonst  als  nicht  gefährdet  fern  halten  könne3). 
Ph.  Cobenzl  erwartete  von  der  Ausführung  dieses  Planes  die  Be- 
freiung Österreichs  von  dem  Zwange,  in  jedem  Kriege  Bündnisse 
eingehen  zu  müssen,  die  es  teuer  zu  bezahlen  habe,  und  von  denen 
es  doch  nur  die  Abwehr  der  dringendsten  Not  erwarten  könne 
ohne  irgendwelchen  greifbaren  Vorteil  für  Österreich.  Es  wollte 
sich  selbständig  machen  und  aus  eigener  Kraft  seiner  Gegner  Herr 
werden,  zumal  es  gar  nicht  sicher  war,  daß  man  in  der  zweiten 
oder  auch  nur  in  der  dritten  Kampagne  Frankreich  wirklich  zur 
Annahme  der  Bedingungen  bringen  konnte,  die  bei  einem  Fallen- 
lassen des  Tausches  sich  aus  dem  Prinzip  einer  gleichen  Ent- 
schädigung für  die  Mächte  ergeben  hätten4).  Gewiß  ein  Ziel, 
wie  es  sich  ein  österreichischer  Minister  nicht  höher  setzen  konnte. 
Aber  Cobenzl  spann  dabei  seine  Pläne  in  solcher  Ruhe,  als  wenn 
Österreich  im  tiefsten  Frieden  gelebt  und  sich  nicht  recht  gefähr- 
licher Feinde  zu  erwehren  gehabt  hätte.  Er  bewies  wieder  einmal 
das  heitere  Selbstvertrauen,  das  man  ihm  in  seinem  Kreise  zu- 
schrieb5). Er  vergaß  ganz  die  notwendigsten  Forderungen  der 
Gegenwart  über  den  zwar  recht  schönen,  aber  noch  völlig  traum- 
haften Gebilden  der  Zukunft.  Ferner,  der  Weg  dahin  verlangte 
von  den  Österreichern  eine  gewisse  Selbstverleugnung  und  eine 
Größe  der  Anschauung,  die  weder  beim  Kaiser  und  den  Ministern, 
noch  weniger  bei  den  Generalen  zu  rinden  war. 

Jedenfalls  mußten  Preußen  und  Rußland  den  Tausch  tat- 
kräftig unterstützen.  Es  ergingen  daher  die  betreffenden  Wei- 
sungen nach  Berlin  und  Petersburg6).    Denn  es  war  sicher,  daß 


x)  Vivenot  II  725. 

2)  ibid.  II  730. 

3)  ibid.  II  746. 

4)  Berichte  Cesars  30.  Januar,  6.,  16.,  25.  Februar,  6.  März.    Bericht 
Lucchesinis  8.  Februar.    An  Lucchesini  28.  Februar. 

5)  Vivenot  II  752.     Vgl.  auch  seine  Memoiren  (Archiv  für  öster- 
reichische Geschichte,  Bd.  47). 

6)  V  i  v  e  n  o  t  II  787—789  und  795. 


Schluß  481 

sich  der  Herzog  von  Zweibrücken  mit  allen  Kräften  dem  Tausch 
seines  Erbes  widersetzen  werde.  Der  Zustimmung  des  bayrischen 
Kurfürsten  fühlte  man  sich  jetzt  auch  durchaus  nicht  so  sicher, 
wie  ein  Jahr  vorher1).  Doppelzüngig  war  er  stets  gewesen,  da  er 
für  Bayern  und  die  Pfalz  zu  sorgen,  also  Österreich  und  Frank- 
reich zu  schonen  hatte.  Aber  1792  war  die  Lage  besser  als  jetzt, 
wo  die  Franzosen  einen  Teil  seiner  Staaten  besetzt  hielten2)  oder 
wenigstens  bedrohten.  Sein  Verhalten  war  doch  mehr  als  ver- 
dächtig. Scharfe  österreichische  Maßregeln,  zum  Teil  auch 
Drohungen,  trieben  den  Kurfürsten  auf  dieser  Bahn  nur  immer 
weiter3).  Trotzdem  hielt  Cobenzl  den  Tausch  für  durchführbar. 
Je  mehr  sich  der  französisch-englische  Gegensatz  verschärfte, 
um  so  mehr  glaubte  er  daran. 

Aber  in  seiner  Rechnung  stimmten  doch  verschiedene  Fak- 
toren nicht.  Preußen  und  Kußland  hatten  an  dem  Kriege  gegen 
die  Revolution  nur,  wenn  ich  so  sagen  darf,  ein  individuelles 
Interesse.  Sie  fühlten  sich  nicht  bedroht,  benützten  aber  die 
Gelegenheit,  um  unter  allerlei  durchsichtigen  Vorwänden  ihren 
Staat  zu  erweitern.  Sollten  sie  sich  nun  noch  in  einer  Sache  groß 
anstrengen,  die  den  Russen  nur  deshalb  angenehm  sein  konnte, 
weil  sie  den  Gegensatz  zwischen  Preußen  und  Österreich  ver- 
stärkte, die  aber  den  russischen  Einfluß  auf  das  Reich  sehr  ge- 
schwächt hätte?  Von  Preußen  war  nach  seinen  zahlreichen  Er- 
klärungen zwar  diplomatische  Hilfe  zu  erwarten,  aber  jedenfalls 
kein  besonderer  Eifer  für  ein  Projekt,  das  man  mehr  und  mehr 
als  den  preußischen  Interessen  äußerst  schädlich  erkannte.  Noch 
waren  außerdem  die  Niederlande  in  den  Händen  der  Franzosen. 
Man  mußte  sie  erst  zurückerobern,  um  das  Geschäft  vollziehen 
zu  können.  Selbst  wenn  Rußland  15  000  oder  gar  25  000  Mann 
für  den  zweiten  Feldzug  gestellt  hätte  —  wann  wären  sie  an- 
gekommen, was  hätten  sie  ausrichten  können  (der  Konflikte 
zwischen  den  Generalen  der  verschiedenen  Mächte  gar  nicht  erst 
zu  gedenken)?4)  Daß  Preußen  den  Krieg  nur  noch  gezwungen 
mitmachte,  war  trotz  alles  Eifers  des  Königs  nicht  zu  verkennen5). 
Dagegen  konnten  alle  österreichischen  Anträge  auf  „nachdruck- 
samste"    Unterstützung,    womöglich   in   der    Stärke    der   öster- 


1)  Vi  veno  t  II  780,  790—791;  Sorel  III  320. 

2)  Heigel  II  87. 

3)  ibid.  II  88;  Sybel  III  255—256. 
4j  Vivenot  II  736,  759,  760. 

6)  Luechesinis  Memoire  vom  17.  März  1793. 
Heidrich,  Preußen  im  Kampfe  gegen  die  französische  Revolution        31 


482  Schluß 

reichischen  Truppen,  nichts  helfen.  Ja  sie  schadeten  nur,  da 
Preußen  ganz  mit  Recht  betonte,  es  habe  in  der  Note  von  Merle 
nur  versprochen,  zum  zweiten  Feldzuge  ebensoviel  Truppen  zu 
stellen  wie  zum  ersten1). 

England  aber  fühlte  sich  in  seinen  wichtigsten  Interessen 
bedroht,  und  seine  Absichten  trafen  in  den  meisten  Punkten 
besser  mit  denen  Österreichs  zusammen  als  die  preußischen2). 
Es  sah  von  dem  Schicksal  Ludwigs  XVI.  ganz  ab,  wollte  von 
einer  Gegenrevolution  zu  Gunsten  der  alten  Monarchie  nichts 
wissen  und  verlangte  nur  die  Eindämmung  der  Revolution  in 
die  französischen  Grenzen  —  als  ob  sich  Ideen  solche  Grenzen 
durch  einen  Truppenkordon  setzen  ließen,  wie  man  es  etwa  mit 
der  Pest  machte3).  Aber  wer  teilte  damals  diesen  Irrtum  nicht! 
Noch  träumten  einflußreiche  Kreise  in  Wien  davon,  die  Revo- 
lution durch  Schrecken  und  durch  Gewalt  zu  bezwingen4). 
Gleichviel,  damals  hielt  man  es  für  möglich  und  hoffte  eben  durch 
die  Revolution  Frankreich  in  einem  Zustand  der  Schwäche  zu 
erhalten,  der  England  wie  Österreich  mit  Recht  als  gleich  vor- 
teilhaft erschien.  Ferner  sollte  nur  gemeinsam  Friede  geschlossen 
werden,  und  Frankreich  sollte  alle  Eroberungen  herausgeben, 
worunter  Österreich  auch  Avignon  und  die  Besitzungen  der 
Reichsfürsten  im  Elsaß  verstand5).  Die  Entschädigungsfrage 
endlich  wollte  England  je  nach  dem  Ausfall  des  Krieges  behandelt 
wissen.  Dabei  lehnte  nun  aber  Grenville  mündlich  den  Tausch 
ab6).  Es  ist  wohl  sicher,  daß  er  bei  dieser  Gelegenheit  von  Er- 
oberungen auf  Frankreichs  Kosten  gesprochen  hat,  um  den  lei- 
digen Tauschplan  gleich  positiv  zu  bekämpfen7). 

Aber  dadurch  bestärkte  er  nur  Cobenzl  in  seiner  antienglischen 
Haltung.  Dieser  hatte  sich  in  seinen  Plan  so  verrannt,  daß  er  alle 
anderen  Gedanken  diesem  Plan  unterordnete.  Das  wurde  schon 
im  Januar  der  Anlaß  zu  einem  heftigen  Zwist  mit  dem  Kaiser. 


1)  Vi  veno  t  II  738,  776,  788;  Heigel  II  82.  Rep.  96,  155  F. 
Cesar  an  Goertz  1.  April.  Berichte  Cesars  28.  Februar  P.S.  II,  2.  März, 
21.  März  P.S.    Bericht  Lucchesinis  10.  Februar.   An  Lucchesini  14.  Januar. 

2)  Vi  veno t  II  757  und  767.  Rep.  96,  147  G  III.  Grenville  an 
Woronzow  29.  Dezember.  Bericht  Lucchesinis  16.  Januar  1793  und  Gren- 
ville an  Chauvelin  31.  Dezember  1792. 

3)  Bacourt-StädtlerlH  318;  Clapham  240. 

4)  Vi  veno  t  II  752. 

5)  V  i  v  e  n  o  t  II  767  und  788. 

6)  ibid.  II  767,  776,  790. 

7)  S  y  b  e  1  m  257;  V  i  v  e  n  o  t  II  767. 


Schluß  483 

Cobenzl  hatte  den  Grafen  Stadion  in  London  dahin  instruiert, 
Österreich  brauche  durchaus  nicht  sofort  die  Niederlande  wieder- 
zuerobern,  sondern  könne  zunächst  in  Frankreich  mit  einer  im- 
ponierenden Heeresmacht  einfallen,  um  hier  den  Frieden  rascher 
zu  erzwingen,  als  er  in  den  Niederlanden  zu  erreichen  sein  werde1). 
Dabei  wurde  die  Freundschaft  mit  Preußen  und  Kußland  so  stark 
betont,  wie  er  es  nicht  mehr  verantworten  konnte2),  und  jetzt 
ihre  Unterstützung  für  London  noch  einmal  ebenso  nachgesucht 
wie  die  österreichische  früher  von  Preußen  für  Petersburg3). 
Aber  er  wollte  dadurch  England  auch  nur  veranlassen,  sich  selbst 
kräftig  an  dem  Kriege  zu  beteiligen,  besonders  entsprechend 
seinen  Interessen  an  der  Wiedereroberung  der  Niederlande,  und 
hier  sollte  nun  Stadion  durchbücken  lassen,  Österreich  wolle  sie 
nicht  behalten,  sondern  eintauschen4).  England  sollte  dem 
Tausche  zustimmen,  ehe  Österreich  sich  daran  machte,  Belgien 
wieder  zu  erobern6). 

Es  war  doch  ein  recht  gefährliches  Spiel,  das  Cobenzl  damit 
wagen  wollte.  Daß  die  Engländer  nicht  auf  Drohungen  reagierten, 
hatten  sie  den  Franzosen  bewiesen.  Wie  sollten  sie  es  den  Öster- 
reichern gegenüber  anders  machen!  Dazu  schien  es  die  Ehre  gar 
zu  sehr  zu  erfordern,  daß  man  das  verlorene  Land  sofort  wieder 
in  Besitz  nahm  und  damit  den  französischen  Grundsätzen  die 
Möglichkeit  raubte,  sich  fest  einzunisten.  Die  militärischen  Aus- 
sichten schienen  gerade  dafür  besonders  günstig  zu  sein,  und  der 
am  30.  Dezember  provisorisch  im  preußischen  Hauptquartier 
festgestellte  Feldzugsplan6),  der  sich  im  übrigen  streng  an  die 


*)  Qobenzl,  scheinbar  auch  Lacy  und.  Spielmann  (Bericht  Cesars  i 
13.  rebruar)T~wollte  in  der  Tat  einen  Einmarsch  in  Frankreich  mit  Er- 
oberungen von  imponierender  Art,  also  ein  abgeschwächtes  Gegenbild  zu 
dem  Zuge  des  Herzogs  von  Braunschweig,  um  dadurch  die  Franzosen  zum 
Frieden  zu  zwingen  und  sich  zugleich  der  Zuwage  zu  versichern,  die  in 
Polen  nur  schlecht  und  gegen  die  Absichten  von  Österreich,  Preußen  und 
Rußland  zu  erreichen  war  (V  i  v  e  n  o  t  II  746).  Aber  man  "braucht  sich 
bloß  zu  vergegenwärtigen,  wie  der  Herzog  von  Braunschweig  den  Krieg 
geführt  hatte,  und  vor  allem,  wie  ihn  die  Österreicher  führen  wollten, 
um  gegenüber  der  Hoffnung  auf  raschen  Erfolg  einer  derartigen  Unter- 
nehmung sehr  skeptisch  zu  werden  (S  y  b  e  1  III  251). 

2)  Vi  veno  t  II  730. 

3)  Vi  veno  t  II  769. 

4)  Vgl.  schon  Vivenot  II  715. 
6)  SybelIII251. 
6)  Heigel  II  90.    Mitteilungen  des  Kriegsarchivs,  Neue  Folge  12, 

148.    V  i  v  e  n  o  t  II  733. 


9 


484  Schluß 

Regeln  der  Vorsicht  hielt,  die  man  im  vergangenen  Jahre  nach 
der  Ansicht  der  Österreicher  mit  so  viel  Schaden  vernachlässigt 
hatte,  hatte  das  auch  als  selbstverständliche  nächste  Aufgabe  an- 
gesehen. Er  wurde  also  gebilligt1),  und  bald  wurden  auch  die 
nötigen  politischen  Maßregeln  für  die  Wiedereinrichtung  der 
österreichischen  Herrschaft  in  Belgien  getroffen2).  Der  Kaiser, 
alle  Generale  und  Minister  —  Cobenzl  und  Starhemberg  aus- 
genommen —  waren  dafür  und  ließen  deren  Bedenken  unberück- 
sichtigt3). Sie  beschlossen  die  sofortige  Rückeroberung  der 
Niederlande,  ohne  dafür  die  Bedingung  aufzustellen,  daß  Eng- 
land vorher  dem  Tausch  zustimme.  Ließ  sich  Cobenzl  von  der 
englischen  Antwort  vom  15.  Februar  in  seinem  System  bestärken4), 
so  machte  die  Gegenpartei  daraus  ein  Argument  für  das  ihre. 
Sie  handelte  dabei  in  der  Anschauung:  der  Tausch  sei  zwar  sehr 
wünschenswert,  und  Österreich  wolle  sich  für  seine  spätere  Durch- 
führung die  positivsten  Versprechungen  sichern,  aber  in  den 
nächsten  zwei  bis  drei  Jahren  werde  er,  namentlich  bei  den  un- 
sicheren Versprechungen  von  Preußen  und  Rußland,  doch  nicht 
durchgeführt  werden  können.  Man  lasse  ihn  daher  vorläufig 
fallen  und  verlange  nicht  einmal  mehr  von  England  das  Ver- 
sprechen, ihn  später  nicht  zu  hindern5).  Dafür  müsse  sich  Öster- 
reich jetzt  wegen  der  russisch-preußischen  Annexionen  Ent- 
schädigungen auf  andere  Weise  sichern,  die  den  preußischen  aber 
mindestens  entsprächen,  wobei  Österreich  immer  noch  Schaden 
erleide.  Aber  um  ihre  Größe  bestimmen  zu  können,  müsse  es 
eben  erst  die  russisch-preußische  Konvention  kennen  und  mit 
England  vorläufig  nur  vereinbaren,  die  Entschädigung  auf  Frank- 
reichs Kosten  zu  suchen  und  die  Niederlande  mit  den  österreichi- 
schen Stammlanden  zu  verbinden6).  England  solle  derartige 
Vorschläge  in  Berlin  und  Petersburg  machen,  weil  Österreich  es 
nur  indirekt  tun  könne.     Man  bitte  um  rasche  Antwort,  wolle 


i)  Vivenot  II  749. 

s)  ibid.  II  754  und  756. 

3)  ibid.  II  749,  767,  769;  S  y  b  e  1  III  251. 

*)  Vgl.  auch  die  vor  deren  Bekanntwerden  abgefaßte  Weisung  an 
Stadion  vom  22.  Februar  1793  in  Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  40  IV. 
Dazu  Bericht  Cesars  13.  Februar. 

6)  So  wurde  die  berechtigte  Furcht  Bayerns  vor  einer  österreichischen 
Okkupation  vorläufig  gegenstandslos  (H  e  i  g  e  1  II  88 — 89). 

6)  Es  ist  der  Gedanke  der  Barriere  gegen  Frankreich,  den  Cobenzl 
und  Spielmann  in  anderer  Form  verwirklichen  wollten. 


Schluß  485 

England  aber  nicht  den  Inhalt  vorschreiben1).  Denn  die  Allianz 
mit  England  war  aller  Voraussicht  nach  unmöglich,  wenn  man 
auf  dem  Tausch  bestand.  Das  gespannte  Verhältnis  zu  Preußen 
und  Rußland,  die  gefährliche  Kriegslage  schienen  aber  die  Allianz 
unweigerlich  zu  erfordern.  Bei  Preußen  wollte  man  das  sofortige 
Eingehen  auf  den  englischen  Antrag  mit  der  Notwendigkeit  be- 
gründen, sich  rasch  der  englischen  Hilfe  für  die  Eroberung  der 
Niederlande  zu  versichern  und  —  angeblich  —  das  Tauschgeschäft 
zu  berichtigen.  Einen  Teil  der  Instruktionen  für  Mercy  richtete 
man  daher  ostensibel  ein. 

Also  nicht  mehr  der  Tausch,  wie  Cobenzl  und  Starhemberg 
wollten2),  sondern  die  Allianz  mit  England  sollte  den  Haupt- 
punkt der  neuen  Verhandlung  bilden,  dem  alles  dienstbar  zu 
machen  sei.  Sie  wurde  jetzt  als  das  summum  bonum  für  die 
österreichische  Monarchie  betrachtet.  Sie  sollte  ein  Gegengewicht 
gegen  die  geheimnisvolle  und  verdächtige  russisch-preußische 
Annäherung  bilden  und  den  Kern  für  eine  Verbindung  zwischen 
England,  Österreich  und  Rußland,  die  ihre  Spitze  nur  gegen 
Preußen  richten  konnte,  da  man  Frankreich  noch  stärker,  als 
Cobenzl  es  beabsichtigt  hatte,  in  seiner  Macht  durch  Eroberungen 
beschränken  wellte3).  Das  war  das  System  Thuguts,  eines  Schülers 
von  Kaunitz,  soweit  man  bei  ihm  überhaupt  von  einem  System 
sprechen  kann4).  Ich  stehe  nicht  an,  es  den  österreichischen 
Interessen  besser  entsprechend  zu  finden  als  das  Cobenzls. 
Jedenfalls  dürfen  wir  heute  uns  nicht  mehr  von  persönlichen  Ab- 
neigungen gegen  den  österreichischen  Staat  verleiten  lassen,  dessen 
Diener  schlecht  zu  machen,  sondern  müssen  versuchen,  ihnen 
gerecht  zu  werden,  so  unsympathisch  auch  gerade  die  Persönlich- 
keit Thuguts  sein  mag5).  Er  gewann  jetzt  einen  so  beherrschenden 
Einfluß  auf  den  Kaiser  und  damit  auf  die  Geschäfte,  daß  ein 


1)  Verhandlungen  über  den  Tausch  konnten  die  so  nötige  rasche 
Entscheidung  nur  verzögern.  Die  Mehrheit  der  Konferenz  und  der  Kaiser 
fürchteten  auch,  gerade  dadurch  die  Engländer  von  der  Teilnahme  am 
Kriege  fernzuhalten. 

2)  Sie  wollten  Russen  und  Preußen  nichts  erwerben  lassen,  wenn 
Österreich  nichts  bekomme,  und  diese  Frage  nur  insofern  von  den  Kriegs - 
ereignissen  abhängen  lassen,  als  sie  die  Zuwage  betraf. 

3)  Vivenot  II  752,  767,  769—772,  774—778,  781—782;  Sorel 
III  330.    Bericht  Cesars  21.  März.    Politisches  Journal  1793,  S.  164—166. 

4)  S  y  b  e  1 III 257—263;  H  e  i  g  e  1 II 94;  V  i  v  e  n  o  t  II  799;  R  a  n  k  e 
46,  127—129. 

6)Bacourt-StädtlerI  244—245  und  303—304. 


486  Schluß 

Kenner  der  Verhältnisse  gesagt  hat :  „Alles,  was  der  Kaiser  selbst 
vermochte,  hat  Thugut  vermocht"1).  Die  Partei  Colloredos,  des 
Erziehers  von  Franz,  brachte  ihn  empor2).  Langsam  führte  ihn 
der  Kaiser  in  die  Geschäfte  ein.  Cobenzl  mußte  ihn  erst  im  all- 
gemeinen informieren,  ihm  dann  auch  die  geheimen  Erlasse  mit- 
teilen —  angeblich,  damit  Thugut  von  allem  unterrichtet  sei, 
wenn  er  die  Stelle  eines  diplomatischen  Gehilfen  bei  dem  Herzog 
von  Koburg  übernehme3)  —  endlich  wurde  er  auch  noch  zugleich 
damit  zu  den  Ministerialkonferenzen  zugezogen.  Der  Kaiser  hatte 
sich  bereits  entschieden,  ihn  zum  Nachfolger  Cobenzls  zu  machen 
und  behandelte  diesen  mit  unverkennbarer  Schärfe4). 

Er  und  Thugut  —  oder  umgekehrt  —  gingen  daher  auf  den 
Vorschlag  Englands,  sich  genauer  über  das  Konzert  zu  verstän- 
digen, ein  und  schickten  Mercy  sofort  nach  London,  um  nicht 
bei  einer  Verhandlung  im  Haag  dem  antiösterreichischen  Lord 
Auckland  Gelegenheit  zu  Quertreibereien  zu  geben  und  um  in 
London  die  günstige  Gesinnung  des  russischen  Gesandten  Wo- 
ronzow  auszunützen,  der  mit  Stadion  so  gut  und  mit  Jacobi  so 
schlecht  stand5).  Aber  noch  hielt  der  Kaiser  mit  seinem  Ent- 
schluß zurück6).  Es  ist  doch  eine  häßliche  Episode,  daß  er  an 
Mercy  und  Stadion,  der  jenem  helfen  sollte,  geheime  Instruktionen 
von  Thugut  schicken  läßt,  die  den  offiziellen  stark  widersprechen, 
obwohl  Cobenzl  sich  darin  schon  sehr  dem  Standpunkt  des  Kaisers 
angenähert  hat  und  nur  im  Sinne  seines  Separ?tvotums  vom 
14.  oder  vom  13.  März  die  Verhandlungen  über  Tausch  und 
Allianz  nebeneinander  hergehen  lassen  wollte7).  Auf  Umwegen 
forderte  Franz  geheime  Berichte  ein.  Diesen  Leuten  fehlte  doch 
der  Charakter.  Nirgends  wirklich  eine  großzügige  Behandlung 
der  Aufgaben,  wie  in  Petersburg,  in  London  und  schließlich  trotz 
aller  Velleitäten  auch  in  Paris.  Franz  ließ  sich  zu  diesem  Verhalten 
dadurch  bestimmen,  daß  die  russisch-preußische  Mitteilung  über 


1)  Bacourt-Städtler  I  245. 

2)  Vivenotll  752;  S  y  b  e  1 III  254— 255;  Heigel  II  94.  Wenn 
auch  die  Schrift  dem  Kaiser  wohl  kaum  vorgelegen  hat,  da  er  selbst  darin 
arg  mitgenommen  wird,  so  kennzeichnet  sie  doch  den  Geist  der  Kreise, 
die  ihn  beeinflußten. 

3)  Vivenot  II  750,  762,  767,  788;  Bacourt-Städtler  HI 
418—419,  430  und  434.    Bericht  Cesars  9.  März. 

*)  V  i  v  e  n  o  t  II  754  und  756. 

6)  Vivenot  II  767  und  776;  Worontzow  IX  283—284. 

6)  Vivenot  II  781,  782,  788;  S  y  b  e  1  III  259. 

7)  Vivenot  II  774  und  788. 


Schluß  487 

die  Konvention  für  die  nächsten  Tage  erwartet  wurde.  Noch 
hatte  man  ja  keine  Gewißheit,  nur  Vermutungen,  die  allerdings 
das  Bild  trotz  gelegentlicher  Lichtblicke1)  schon  recht  düster  er- 
scheinen ließen.  Vergeblich  suchte  man  sich  den  Schlüssel  zu 
dem  Chiffre  von  Rasumowski  zu  verschaffen2)  oder  versah 
L.  Cobenzl  mit  Geld  zu  Bestechungszwecken.  Dieser  erfuhr 
nichts,  jener  sah  sich  vor  und  —  wußte  nichts.  Die  seit  dem 
letzten  Herbst  umgehenden  Gerüchte  über  einen  Wechsel  im 
Ministerium  traten  mit  immer  größerer  Bestimmtheit  auf3). 
Cobenzl  machte  inzwischen  noch  einen  letzten  Versuch,  den 
Kaiser  für  seine  Politik  zu  gewinnen,  und  fand  in  den  guten 
Nachrichten  aus  den  Niederlanden  einen  neuen  Grund  für  seine 
Ansicht4).  Der  Kaiser  ging  nicht  darauf  ein,  in  seiner  An- 
schauung bestärkt  durch  die  Meldungen  aus  Petersburg  und 
Berlins). 

Denn  am  23.  März  hatten  Rasumowski  und  Cesar  in  Wien 
die  Konvention  mitgeteilt6).  Wir  dürfen  es  den  Österreichern 
glauben,  daß  alle  ihre  trüben  Erwartungen  noch  weit  übertroffen 
wurden.  Rußland  und  Preußen  motivierten  die  Verzögerung  da- 
mit, daß  Goltz  in  Petersburg  am  23.  Januar  nur  sub  spe  rati 
habe  zeichnen  können  und  daß  man  bei  dem  Eintreffen  der 
preußischen  Genehmigung  aus  dem  Hauptquartier  auch  sofort 
die  Ratifikationen  ausgetauscht  habe7).  Die  beiden  Mächte 
gingen  auch  hierin  noch  gemeinsam  vor,  fest  entschlossen,  sich 
durch  österreichischen  Widerstand  nicht  von  der  Durchführung 
ihrer  Pläne  abbringen  zu  lassen,  hierin  Europa  vor  eine  vollendete 


1)  V  i  v  e  n  o  t  II  759  und  760;  S  y  b  e  1  III  253—254. 
2)WassiltchikowIIl,  143. 

3)  Häußer  I  483. 

4)  Vivenot  II  793.  Das  Datum  des  23.  März  macht  mich  nicht 
darin  irre,  daß  das  Memoire  noch  vor  der  russisch-preußischen  Mitteilung 
entworfen  worden  ist  (vgl.  H  ä  u  ß  e  r  I  483;  S  y  b  e  1  III  262—263). 

5)  Bericht  Cesars  24.  März.     Vivenot  II  793. 

6 )  Preußen  hatte  —  ohne  rechten  Erfolg  —  in  Petersburg  auf  beschleu- 
nigte Eröffnungen  in  Wien  gedrängt;  die  Lage  war  ihm  doch  zu  peinlich. 
Jetzt  ging  Rußland  schon  selbst  rasch  vor  (an  Goltz  13.  Februar). 

7)  Vivenot  II  766.  Bericht  21.  Februar/4.  März.  L.  Cobenzl 
erfuhr  auch  vorläufig  nur  die  Tatsache  des  Abschlusses,  nicht  den  Inhalt 
der  Konvention.  Sie  wurde  erst  in  Wien  den  Österreichern  bekannt. 
Vgl.  noch  Berichte  18./29.  Januar,  21.  Januar/1.  Februar,  27.  Januar/7.  Fe- 
bruar, 1./12.  Februar,  4./15.  März.  An  Goltz  18.  Februar  (dabei  Ostermann 
an  Alopeus  27.  Januar/7.  Februar).  An  Cesar  19.  Februar.  Bericht  Cesars 
13.  März. 


488  Schluß 

Tatsache  zu  stellen1).  Preußen  ließ  in  diesem  unangenehmen 
Geschäft  die  Russen  vorangehen  und  teilte  speziell  nur  seine 
Erwerbung  mit2).  Schon  in  den  ersten  Tagen  des  Januar  hatte 
sich  Österreich  damit  abgefunden,  daß  Preußen  und  Rußland 
ihr  Gebiet  besetzten3).  Allerdings  wollte  man  die  dauernde 
Regelung  der  Frage  dem  Friedenskongreß  vorbehalten4).  Man 
verzichtete  für  jetzt  auf  gleichzeitige  Besetzung  eines  Stückes 
von  Polen,  da  man  noch  auf  die  Garantie  des  Tausches  durch 
Preußen  und  Rußland  hoffte  und  nötigenfalls  in  Polen  mindestens 
ebensoviel  wie  Preußen  besetzen  wollte,  dazu  aber  dessen  An- 
sprüche kennen  mußte.  Um  eines  kleinen  Vorteils  willen 
wollte  man  den  österreichischen  Ruf  nicht  gleich  so  schwer 
kompromittieren,  wie  es  die  Teilnahme  an  der  Zerstückelung 
Polens  zur  Folge  haben  mußte5).  Man  beschloß  also,  noch  abzu- 
warten, hielt  sich  dabei  jedenfalls  alle  Wege  offen,  wenn  sich 
eine  Okkupation  für  Österreich  als  wünschenswert  erweisen  sollte6). 
Inzwischen  stellte  man  möglichst  laut  die  russische  Einwilligung 
für  die  preußische  Besetzung  als  Folge  des  österreichischen  Vor- 
gehens in  Petersburg  dar.  Das  war  nun  doch  ein  zu  plumpes 
Verfahren,  als  daß  irgend  einer  von  den  Beteiligten  darauf  herein- 
gefallen wäre.  Eine  einfache  chronologische  Feststellung  reichte 
aus,  diese  Angabe  zu  widerlegen.  Am  16.  Dezember  willigte 
Rußland  (in  Petersburg)  ein,  erst  am  25.  ging  der  österreichische 
Kurier  nach  Petersburg  ab7).     Ende  Februar  hatte   Österreich 

*)  An  Goltz  22.  März,  Ostermann  an  Alopeus  25.  Februar/8.  März 
(4  Stücke).  Ostermann  an  Sievers  25.  Februar/8.  März.  Ostermann  an  Ra- 
sumowski  25.  Februar/8.  März  (H.E.B.  371).  Bericht  25.  Februar/8.  März. 
Bericht  Cesars  24.  März  P.S.  An  Goltz  5.  April.  Friedrich  Wilhelm  an 
das  Kabinettsministerium  8.  April.  An  Goltz  31.  März.  Bericht  11./22.  März. 
Bericht  Cesars  6.  April.  An  Cesar  31.  März,  14.  April.  Bericht  Lucchesinis 
31.  März  und  22.  April.  An  Lucchesini  4.  April.  Worontzow  XX 
40^5;  XIV  253—254. 

2)  Berichte  Cesars  21.  und  24.  März.  An  Cesar  19.  Februar,  8.,  15., 
17.,  24.  März.  Bericht  von  Goltz  21.  Februar/4.  März.  An  Goltz  18.  und 
22.  März  mit  Beilagen.    V  i  v  e  n  o  t  III  9  S.  19. 

3)  Berichte  Cesars  3.,  9.,  26.  Januar.  Bericht  Lucchesinis  10.  Januar. 
Rep.  92  Lucchesinis  Nachlaß  12.  L.  AuRoi  23.  Januar.  Häußerl  482; 
Vi  veno  t  II  738—739. 

4)  Berichte  Cesars  17.  und  26.  Januar. 

5)  VivenotII739-742und799;SybelIII251-252;HeigelII84-85. 

6)  Vi  veno  t  II  779. 

7)  Berichte  Cesars  3.,  5.,  16.  Januar.  An  Cesar  10.  und  25.  Januar. 
Bericht  von  Goltz  27.  Januar/7.  Februar.  An  Goltz  25.  Januar.  Rep.  92 
Cesars  Nachlaß  12.  Cesar  an  Haugwitz  3.  Januar. 


Schluß  489 

die  Hoffnung  aufgeben  müssen,  Preußens  Anteil  durch  Rußland 
verkleinert  zu  sehen1).  Es  konnte  die  russische  Verdrehung  der 
Tatsachen  kaum  scharf  genug  tadeln.  Um  so  erfreulicher  schienen 
die  guten  Aussichten  für  Bayern  und  eine  Zuwage  zu  sein2). 
Nun  war  aber  der  preußische  Anteil  schon  größer,  als  Österreich 
erwartet  hatte.  Um  so  mehr  stiegen  die  österreichischen  Ansprüche. 
Cobenzl  drängte  seinerseits  bei  Mercy  noch  stärker  als  vorher 
auf  den  Tausch3).  Aber  das  war  doch  nur  eine  Kleinigkeit,  die 
man  schon  halb  erwartet  hatte,  verglichen  mit  dem  ungeheuren 
russischen  Anteil.  Von  Polen  blieb  jetzt  ungefähr  nur  noch  die 
Hälfte  übrig  —  zum  Leben  zu  klein,  zum  Sterben  zu  groß.  Der 
österreichische  Plan,  den  England  billigte4),  den  jetzt  auch 
Preußen  sich  anzueignen  beginnt  und  gegen  dessen  Abänderung 
in  russischem  Sinne  es  allgemeinen  Widerstand  Europas  voraus- 
sieht5), da  es  nach  der  polnischen  Seite  selbst  im  ganzen  saturiert 
war  und  Polen  als  Pufferstaat  zwischen  den  drei  Mächten  zu  er- 
halten wünschte,  schien  undurchführbar  zu  werden.  Schon 
stießen  russisches  und  österreichisches  Gebiet  direkt  zusammen6). 
Endlich  (und  das  war  für  Österreich  wohl  das  gefährlichste!), 
die  Zusicherung  der  beiden  kontrahierenden  Mächte  über  die 
Entschädigung  schien  so  unsicher  ausgefallen  zu  sein,  daß  hier 
nichts  Ernsthaftes  erreicht  werden  konnte7). 

Völlig  umsonst  also  hatte  man  in  Petersburg  seine  anti- 
preußischen Minen  gelegt;  umsonst  waren  die  Bemühungen  für 
den  eigenen  Vorteil,  umsonst  das  Abwarten  in  der  Besetzung 
eines  polnischen  Landstriches  gewesen.  Man  fühlte  sich  in  jeder 
Weise  betrogen  und  hintergangen.  Nur  mühsam  wurden  Philipp 
Cobenzl  und  Spielmann  ihrer  Bewegung  Herr,  als  ihnen  die  Mit- 
teilung gemacht  wurde8).    Die  Nachricht  drückte  dem  Entschluß 


x)  Vivenot  II  759—760.  Berichte  Cesars  20.,  23.  und  25.  Fe- 
bruar, 22.  März.     An  Cesar  1.  März. 

2)  Bericht  Cesars  9.  März;  S  y  b  e  1 III 251—252.  An  Goltz  18.  Februar. 

3)  Vivenot  II  784. 

4)  Bericht  Lucchesinis  30.  Januar.  L.  Au  Roi  28.  Januar  (in  Rep.  92 
Lucchesinis  Nachlaß  12). 

5)  An  Goltz  7.  April. 

6)  Worontzow  XIV  253. 

7)  Rasumowski  ging  in  dieser  Frage  zum  Ärger  der  Preußen  in  der 
Auslegung  der  Worte  natürlich  wieder  weiter  als  jene.  (Bericht  Cesars 
21.  März  P.S.  II.  Alvensleben  27.  März.  Finckenstein  27.  März.  An  Cesar 
28.  März.) 

8)  WassiltchikowII  1,  144—145. 


490  Schluß 

des  Kaisers  nur  noch  das  Siegel  auf1).  Am  27.  März  erhielten 
Cobenzl  und  Spielmann  in  einer  für  den  Kaiser  sehr  charakte- 
ristischen Weise2)  ihre  Entlassung  aus  den  bisherigen  Ämtern. 
Spielmann  schied  aus  jeder  amtlichen  Tätigkeit,  da  er  es  ab- 
lehnte, sich  mit  einem  geringfügigen  Ruheposten  zu  begnügen. 
Cobenzl  behielt  nur  die  italienischen  Geschäfte,  die  von  jetzt  an 
nicht  mehr  im  Bureau  der  auswärtigen  Angelegenheiten,  sondern 
in  einem  eigenen  Departement  bearbeitet  wurden,  wie  man  es 
kurz  vorher  auch  mit  den  niederländischen  Geschäften  gemacht 
hatte,  und  bekam  den  Titel  Hofkanzler3).  Thugut  und  als  sein 
Gehilfe  Daiser  traten  an  ihre  Stelle.  Es  bezeichnet  den  tat- 
sächlichen Bruch  mit  den  bisherigen  Verbündeten,  die  Annäherung 
an  England. 

Das  konnte  auch  Preußen  nur  auf  der  Bahn  weitertreiben, 
die  es  seit  dem  Oktober  1792  beschritten  hatte  und  auf  der  es 
schon  in  der  zweiten  Teilung  Polens  ein  so  erfreuliches  Ergebnis 
erreicht  hatte.  Hier  ist  ein  wichtiger  Einschnitt  in  der  preußischen 
Politik  zu  erkennen.  So  wenig  er  uns  in  den  militärischen  Ereig- 
nissen entgegentritt4),  politisch  ist  er  um  so  wichtiger  und  nicht 
nach  Valmy,  sondern  hier  zu  machen5).      Von  jetzt  an  nahm 


1)  Häußer  I  483—484;  S  y  b  e  1  III  254—255  zieht  die  englische 
Verhandlung  zwar  auch  heran,  aber  bewertet  die  polnische  zu  hoch ;  denn 
was  auch  Österreich  auf  Grund  der  früheren  Verhandlungen  mit  Preußen 
wissen  konnte  —  es  war  doch  über  die  neue  preußische  Grenze  im 
unklaren  und  suchte  sie  zunächst  auf  Grund  der  Mainzer  Abmachungen 
(V  i  v  e  n  o  t  II  739  und  759 — 760)  jedenfalls  nicht  dort,  wo  sie  hinkam. 
Für  den  Tausch  waren  die  Nachrichten  aus  Rußland  und  Preußen  immerhin 
nicht  schlecht.  Hier  mußte  man  jedenfalls  vor  einem  entschiedenen  Urteil 
genauere  Nachrichten  abwarten.  Da  nun  die  Entscheidung  schon  vor 
ihrem  Eintreffen  gefallen  ist  und  da  den  Hauptstreitpunkt  zwischen 
Kaiser  und  Minister  seit  Ende  November,  besonders  stark  seit  dem  Ja- 
nuar, das  Verhältnis  zu  England  bildete,  so  glaube  ich  hierin  den  Grund 
und  in  den  Nachrichten  aus  Petersburg  und  Berlin  nur  den  Anlaß  zu  dem 
Sturze  von  Cobenzl  und  Spielmann  zu  sehen.  Vgl.  noch  H.E.B.  376. 
Berichte  Cesars  29.  März  und  3.  April.  S  y  b  e  1 III  259  und  263 ;  H  e  i  g  e  1 
1193—96;  Sorel  III  325—326.  H.  Freiherr  Langwerth  v.  Simmern, 
Österreich  und  das  Reich  im  Kampfe  mit  der  französischen  Revolution 
(Berlin  und  Leipzig  1884),  Bd.  I,  S.  320  und  339  ff. 

2)  Sybel  III  263. 

3)  Vivenot  II  796—798  und  802—803.  Rep.  I  174.  Ph.  Cobenzl 
an  Cesar  28.  März.    Thugut  an  Cesar  30.  März.    Bericht  Cesars  3.  März  P.S. 

4)  Die  Gründe  dafür  habe  ich  oben  angeführt. 

5)  H  e  i  g  e  1 II  82 — 84  setzt  den  Umschwung  in  den  März  1793.  Aber 
das  war  nur  der  Abschluß  einer  Bewegung,  die  schon  monatelang  im  Gange 


Schluß  491 

Preußen  am  Kriege  nur  noch  teil,  weil  es  sich  dazu  verpflichtet 
hatte,  nicht  weil  es  eigene  Interessen  dabei  verfolgte.  Der  Traum 
war  verflogen,  in  Frankreich  nach  der  Wiederherstellung  der 
Monarchie,  deren  Kraft  noch  zu  stärken  Preußens  Absicht  ge- 
wesen war,  einen  Bundesgenossen  zu  finden,  die  Absicht  auf- 
gegeben, die  Verfassung  im  eigenen  Sinne  umzugestalten;  die 
neuen  Zustände  wichen  doch  zu  sehr  von  den  bisherigen  ab  und 
waren  noch  zu  wenig  geklärt,  als  daß  man  darauf  schon  irgend 
einen  Plan  hätte  bauen  können.  In  dieser  Zeit  schied  Frankreich 
für  die  Zukunftsrechnungen  der  preußischen  Politiker  aus.  Das 
Bündnis  mit  Österreich  war  tatsächlich  zerrissen.  Wen  die 
Schuld  daran  mehr  trifft,  will  ich  hier  nicht  genau  abzuzirkeln 
wagen;  ich  möchte  aber  doch  hervorheben,  daß  auf  preußischer 
Seite  in  dem  ganzen  Jahre  das  ehrliche  Bestreben  nachzuweisen 
ist,  dem  Genossen  gerecht  zu  werden,  daß  für  die  Österreicher 
aber  mehrfach  das  Gegenteil  gilt. 

Doch  auch  die  neue  preußische  Freundschaft  mit  Rußland 
begann  schon  einen  Riß  zu  bekommen1),  der  sich  mehr  und  mehr 
erweitern  und  Vorgänge  herbeiführen  sollte,  die  Preußen  veran- 
laßten,  in  Basel  seinen  Frieden  mit  der  französischen  Revolution 
zu  machen.  Damit  war  dann  die  Isolierung  Preußens  vollendet 
—  denn  von  dem  Bruch  des  Bündnisses  mit  den  Seemächten 
waren  wir  ja  ausgegangen.  Es  begann  jene  Epoche  preußisch- 
norddeutscher Neutralität  im  europäischen  Kriege,  in  der  uns 
zwar  so  herrliche  Blüten  unserer  klassischen  Literatur  beschert 
Worden  sind,  in  der  aber  eine  politische  Weiterbildung  kaum 
stattfand.  Solange  ein  Konflikt  mit  der  neuen  Großmacht  sich 
nicht  ergab,  konnte  man  sich  über  die  Schwäche  dieses  Zustandes 
täuschen.  Als  er  nicht  mehr  zu  vermeiden  war,  zeigte  sich  die 
Schwäche  des  Alten  im  Kampf  mit  dem  Neuen.  In  einer  Zeit, 
wo  man  von  einer  militärischen  Promenade  nach  Paris  sprach, 
wo  man  für  die  Sekte  der  Jakobiner  nur  Worte  der  Verachtung 
hatte,  wo  man  es  stolz  ablehnte,  mit  einer  Regierung  zu  pak- 
tieren, die  für  die  Ehrlichkeit  ihrer  Versprechungen  und  für  ihre 
eigene  Existenz  keine  genügende  Sicherheit  zu  bieten  vermochte, 
sehen  wir  demnach  die  Katastrophe  von  Jena  sich  vorbereiten. 


war.     Die  Entscheidung  war  bereits  um  die  Wende  von  Dezember  und 
Januar  gefallen.     Ich  möchte  die  Zeit  vom  Oktober  1792  bis  zum  April 
1793  für  die  preußische  Politik  als  Übergangszeit  bezeichnen. 
J)  Ranke  46,  131;  Häußer  I  511—513. 


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Dritter  Band.     Das  Perserreich  und  die  Griechen,    Erstes 
und  zweites  Buch:    Bis    zu    den   Friedensschlüssen   von   448 
und  446  v.  Chr.     Mit  1  Karte 

Geheftet  M.  13.—    In  Halbfranzband  M.  15.50 

Vierter  Band.    Das  Perserreich  und  die  Griechen.    Drittes 

Buch:  Athen  (vom  Frieden  von  446  bis  zur  Kapitulation  Athens  im 

Jahre  404  v.  Chr.)         Geheftet  M.  12.—    In  Halbfranzband  M.  14.50 

FünfterBand.    D  as  Perserreich  und  die  Griechen.   Viertes 

Buch:  Der  Ausgang  der  griechischen  Geschichte 

Geheftet  M.  11.—    In  Halbfranzband  M.  13.50 

Annie  Mittelstaedt,  Der  Krieg  von  1859,  Bismarck  und  die  öffentliche 

Meinung  in  Deutschland  Geheftet  M.  3.60.    In  Leinenband  M.  4.60 


Verlag  der  J.  Gr.  Cotta'schen  Buchhandlung  Nachfolger 

Stuttgart  und  Berlin 


Engelbert  Mühlbacher,  Deutsche  Geschichte  unter  den  Karolingern. 

Mit  1  Stammtafel  und  1  Karte    Geheftet  M.  8. —  In  Halbfranzband  M.  10. — 
Hermann  von  Petersdorff,  Kleist-Retzow.  Ein  Lebensbild.  Mit  einem 
Porträt  Geheftet  M.  8.—    In  Halbfranzband  M.  10.— 

— „—    König  Friedrich  Wilhelm  fv.    Geh.  M.  4.50.  In  Leinenband  M.  5.50 
Albert  Pfister,  Deutsche  Zwietracht.     Erinnerungen  aus  meiner  Leut- 
nantszeit 1859  bis  1869  Geheftet  M.  6.—    In  Leinenband  M.  7. — 
— ,,—     Die  Amerikanische  Revolution  1775—1783.  Entwicklungsgeschichte 
der  Grundlagen  zum  Freistaat  wie  zum  Weltreich.     Zwei  Bände.    Mit 
zwei  Karten               Geheftet  M.  12. —    In  zwei  Leinenbänden  M.  14. — 
Hanz  Prutz,  Preußische  Geschichte.     Vier  Bände 

Geheftet  M.  32.—   In  Halbfranzband  M.  40  — 
Sigmund  Riezler,  Geschichte  der  Hexenprozesse  in  Bayern 

Geheftet  M.  6.—    In  Halbfranzband  M.  8.— 
Moriz  Ritter,  Deutsche  Geschichte  im  Zeitalter  der  Gegenreformation 
und  des  Dreißigjährigen  Krieges  (1555  —  1648).    Drei  Bände 

Geheftet  M.  22.—    In  Halbfianzband  M.  28.- 

Albert  von  Kuville,   William  Pitt,  Graf  von  Chatham.     Drei  Bände. 

Mit  Porträt  und  5  Kartenskizzen    Geh.  M.  24. —    In  Halbfrzbd.  M.  29. — 

Richard  Schwemer,    Papsttum  und  Kaisertum.      Universalhistorische 

Skizzen  Geheftet  M.  2.50.    In  Leinenband  M.  3.50 

Alfred  Stern,  Geschichte  Europas  seit  den  Verträgen  von  1815  bis  zum 

Frankfurter  Frieden  von    1871.     Erste   Abteilung:    1815—1830.     Drei 

Bände  Geheftet  M.  26.—   In  Halbfranzband  M.  32.— 

Zweite  Abteilung:  1830—1848.     Erster  Band 

Geheftet  M.  12.—    In  Halbfranzband  M.  H.- 
Heinrich   von    Sybel,    Geschichte    der    Revolutionszeit    1789—1800. 
"Wohlfeile  Ausgabe.    Zehn  Bände     Geh.  M.  24. —    In  Leinenbd.  M.  30. — 
Veit  Valentin,  Frankfurt  am  Main  und  die  Revolution  von  184849 

Geheftet  M.  10.—    In  Leinenband  M.  11.50 

Karl  Friedrich  Graf  Vit zi hu m  von  Eckstädt,    Berlin  und  Wien 

in   den  Jahren  1845 — 1852.      Politische   Privatbriefe.     Zweite   Auflage 

Geheftet  M.  5. —    In  Leinenband  M.  6. — 
W.  Wattenbach,  Deutschlands  Geschichtsquellen  im  Mittelalter  bis  zur 
Mitte  des  dreizehnten  Jahrhunderts.    Erster  Band.    Siebente  von  Ernst 
Dum  ml  er  umgearbeitete  Auflage.     Mit  einem  Porträt 

Geheftet  M.  11.—   In  Leinenband  M.  12.50 
— ., —    Geschichte  des  römischen  Papsttums.   Vorträge.    Zweiter  Abdruck 

Geheftet  M.  7.—   In  Leinenband  M.  8.20 

Eduard  Wertheimer,  Der  Herzog  von  Reichstadt.    Ein   Lebensbild. 

Nach  neuen  Quellen.     Mit  6   Lichtdrucken  und  einer  Briefbeilage  in 

Faksimiledruck  Geheftet  M.  9.—    In  Leinenband  M.  10. — 

II.  von  Zwiedineck-Südenhorst,  Deutsche  Geschichte  im  Zeitraum 

der  Gründung  des  preußischen  Königtums.     Zwei  Bände.    Mit  1  Karte 

Geheftet  M.  16.—    In  Halbfranzband  M.  20.— 

— ,,—     Deutsche  Geschichte  von  der  Auflösung  des  alten  bis  zur  Errichtung 

des  neuen  Kaiserreiches  (1806—1871).    Drei  Bände.    Mit  1  Karte 

Geheftet  M.  20.—    In  Halbfranzband  M.  26.— 


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