From the Library of
Henry Tresawna Gerrans
Fellow of Worcester College^ Oxford
l882-ip2I
Given /o Un\Vev$\tv o^ Toronto Lib ttm
'By Tis Wife O
PREUSSEN
IM KAMPFE
GEGEN DIE FRANZÖSISCHE REVOLUTION
BIS ZUR ZWEITEN TEILUNG POLENS
VON
KURT HEIDRICH
STUTTGART UND BERLIN 1908
J. G. COTTA'SCHE BUCHHANDLUNG NACHFOLGER
Alle Rechte vorbehalten
Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart
MEINEN ELTEEN
Vorwort
Die vorliegende Arbeit sucht, besonders auf Grund der Akten
des Königlich Preußischen Geheimen Staatsarchivs zu Berlin,
die preußische Politik an einem ihrer Wendepunkte zu verfolgen.
Es schien geboten, in einer einleitenden Übersicht, für die ich
mich nur auf gedrucktes Material berufen kann, die Vorgänge
von der Konvention von Reichenbach bis zum Anfang des Jahres
1792 darzustellen. Sie bilden die notwendige Voraussetzung
für das Verständnis der Ereignisse, die ich darauf genauer zu
schildern habe.
Dabei war meine Absicht, den Nachweis zu erbringen, daß
die preußische Politik nicht so sehr von persönlichen als von
sachlichen Momenten bestimmt und daß ihr vielfacher, oft jäher
Wechsel durch die allgemeine Lage bedingt Wurde.
Die gedruckte Literatur habe ich wegen ihres sehr beträcht-
lichen Umfanges nicht ganz in dem Maße herangezogen, wie es
vielleicht wünschenswert gewesen wäre. So ist vor allem die
Publizistik fast gar nicht berücksichtigt. Die Verwertung des
Politischen Journals soll bloß beweisen, daß manches nicht
erst aus den Akten geholt zu Werden braucht, sondern bereits
gedruckt ist. Aber eine wirklich klare Erkenntnis kann aus
so vielfach sich widersprechenden Zeitungsnachrichten nicht
gewonnen werden, von denen wir noch dazu sehr selten fest-
stellen können, woher sie stammen. Das Verständnis des Zu-
sammenhanges kann sich im letzten Sinne eben nur aus dem
Studium der Akten ergeben. Doch auch diese habe ich nicht
vollständig durchgesehen, nur das Berliner Archiv benützt.
Die militärischen Vorgänge sind nur insoweit behandelt, als
sie in dem Bilde nicht fehlen durften. Die Grundlage für ihre
VI Vorwort
Schilderung bilden die Arbeiten Chuquets, an denen nur gering-
fügige Änderungen oder Ergänzungen vorzunehmen waren.
Wenn so die Arbeit noch manche Lücken aufweist, so glaube
ich doch, daß auch bei dieser beschränkten Kenntnis der Quellen
die Hauptfrage sicher beantwortet werden konnte: Wie stand
Preußen zu dem revolutionären Frankreich und zu Polen?
Auch ist es von besonderem Interesse für die Erkenntnis
des damaligen politischen Getriebes, zu beobachten, wann und
wie jene beiden Fragen miteinander verknüpft wurden.
Herrn Geheimrat Lenz, der mich zu dieser Arbeit angeregt
und sie in jeder Beziehung gefördert hat, sage ich auch an dieser
Stelle ergebensten Dank. Desgleichen danke ich der Direktion
des Königlich Preußischen Geheimen Staatsarchivs zu Berlin
für die Erlaubnis zur Benützung der Akten und im besonderen
Herrn Archivar Dr. M. Klinkenborg für die mir dabei gewährte
liebenswürdige Unterstützung. Die beiden ersten Kapitel des
I. Abschnittes sind mit Zustimmung der philosophischen Fakul-
tät der Berliner Universität als Dissertation gedruckt worden.
B e r 1 i n , den 5. Juli 1908.
Kurt Hcidrich
Inhaltsverzeichnis
Seite
I. Abschnitt. Bis zum Eintritt Preußens in den
Kampf gegen die französische Revo-
lution 1
1. Kapitel. Von Reichenbach bis Pillnitz 1
I. Reichenbach 1
IL Das Suchen Preußens nach einem neuen
Bündnis 7
ni. Die Annäherung an Österreich und die
Intervention in Frankreich 16
2. Kapitel. Preußen und Österreich bis Ende März 1792 25
3. Kapitel. Österreich und Frankreich im März und April 42
I. Offizielle Verhandlungen . 42
II. Geheime Verhandlungen. . 47
4. Kapitel. Die Offensive von Preußen und Österreich gegen
die französische Revolution 53
I. Preußens Bedingungen 53
IL Österreichs Zustimmung 70
III. Preußens Eintritt in den Kampf .... 76
IL Abschnitt. DieVorbereitung zum Kampfe. . 89
1. Kapitel. Französische Politik und Kriegführung im
Frühjahr 1792 89
I. Kriegführung 89
LI. Politik (mit besonderer Berücksichtigung
Preußens) 106
2. Kapitel. Manifeste 118
I. Das Konzert der europäischen Mächte . . 118
IL Besondere Manifeste der deutschen Mächte 127
III. Das Manifest des Herzogs von Braunschweig 136
3. Kapitel. Kriegskostenentschädigung 156
I. Grundzüge und Vorbereitungen 156
IL Die polnische Frage 165
A. Polen und seine Nachbarn 165
B. Rußlands Vorstoß 177
C. Die gemeinsame Deklaration von Österreich
und Preußen 199
V III Inhaltsverzeichnis
Seite
D. Das Bündnis zwischen Rußland und
Preußen 206
III. Die Verbindung der polnischen mit der
französischen Frage 219
A. Schulenburg und Spielmann 219
B. Die Konferenzen von Frankfurt und
Mainz 237
C. Ergebnislose Verhandlungen bis Anfang
September 245
HI. Abschnitt. DerKampf 262
1. Kapitel. Deutsche Rüstungen 262
I. Der Feldzugsplan 262
II. Heereszahlen 276
2. Kapitel. Von Koblenz bis Valmy 282
I. Bis zur Einnahme von Verdun 282
II. Ergebnisse und Aufgaben für die Politik. . 298
in. Valmy , 313
3. Kapitel. Verhandlungen mit Dumouriez 323
4. Kapitel. Der Rückzug 342
L Bis Verdun 342
II. Über Luxemburg an den Rhein .... 349
5. Kapitel. Der Konvent und Europa 360
I. Der Einfall Custines 360
IL Die Eroberung Belgiens 367
III. Der Konvent und Preußen 372
rV Abschnitt. Polens zweite Teilung 390
1. Kapitel. Merle 390
I. Die Note von Merle 390
IL Spielmanns erfolgreicher Kampf dagegen. . 402
2. Kapitel. Wien 411
I. Die österreichische Regierung im September
und Oktober 411
II. Scheinbare Genehmigung der preußischen
Forderung 420
3. Kapitel. Petersburg 441
I. Preußens Forderung 441
IL Rußlands Entscheidung 454
Schluß 479
Vollständige Titel der abgekürzt zitierten Bücher
A.D.B. = Allgemeine Deutsche Biographie, hrsg. von der Historischen
Kommission bei der Kgl. Akademie der Wissenschaften (zu München),
redig. von R. v. Liliencron und F. X. v. Wegele. Leipzig 1875 ff.
Ä k e s o n = Nils Äkeson, Gustafs III. förhällande tili franska revolutionen.
Lund. 1885/86.
d' Angeberg = Comte d' Angeberg, Recueil des traites, Conventions
et actes diplomatiques concernant la Pologne 1762 — 1862. Paris 1862.
A r n e t h = Marie Antoinette, Joseph II. und Leopold II. Ihr Briefwechsel.
Hrsg. von Alfred Ritter v. Arneth. Leipzig-Paris -Wien 1866.
A u 1 a r d = Recueil des actes du comite du salut public avec la corre-
spondance des representants en mission publ. par Aulard. Tome I.
Paris 1889.
Bacourt-Städtler = Briefwechsel zwischen dem Grafen von
Mirabeau und dem Fürsten A. von Arenberg, Grafen von der Mark.
Nach der französischen Ausgabe des Herrn Ad. v. Bacourt deutsch
bearbeitet von J. Ph. Städtler. Brüssel und Leipzig 1851/52.
Bain = NisbetBain, The second partition of Poland (1793) in: The English
Historical Review. Vol. VI. London 1891.
Beer = Leopold IL, Franz IL und Katharina. Ihre Korrespondenz
nebst einer Einleitung: Zur Geschichte der Politik Leopolds IL Hrsg.
von Adolf Beer. Leipzig 1874.
Blum, Sievers = Karl Ludwig Blum, Ein russischer Staatsmann. Des
Grafen Jakob Johann Sievers Denkwürdigkeiten zur Geschichte Ruß-
lands. Leipzig und Heidelberg 1857/58.
Boguslawski = A. v. Boguslawski, Das Leben des Generals Dumouriez.
Berlin 1879.
Borgnet = Ad. Borgnet, Histoire des Beiges ä la fin du dix-huitieme
siecle. Bruxelles 1844.
Bouille, Memoires = Memoires du Marquis de Bouille publ. par MM.
Berville et Barriere. 2. edition. Paris 1822.
Souvenirs de Bouill6 = Souvenirs et fragments pour servir aux
memoires de ma vie et de mon temps par le marquis de Bouille (Louis-
Joseph-Amour) 1769 — 1812 publ. pour la societe d'histoire contempo-
raine par P. L. de Kermaingaut. Tome I. 1769 — Mai 1792. Paris 1906.
Der 2. Band erschien zu spät, um noch benützt werden zu können.
Essai sur Bouille = Essai sur la vie du Marquis de Bouille (Francois-
Claude-Amour) par son petit-fils Rene de Bouille. Paris 1853.
X Vollständige Titel der abgekürzt zitierten Bücher
Brunetiere = F. Brunetiere, Le manifeste de Brunswick in : Revue
politique et litteraire (Revue bleue). III. Serie. Tome VIII. Tome XXIV
de la collection. 21. annee — 2. semestre. Paris 1884.
B u c h e z e t R o u x = B.-J.-B. Buchez et P.-C. Roux, Histoire par-
lementaire de la revolution fran9aise ou Journal des Assemblees Natio-
nales depuis 1789 jusqu'en 1815. Paris 1834 ff.
Carisien = Svenska beskickningars berättelser om främmende makter
ar 1793. I. Preußen, II. Polen. Utgifna af C. E. B. Taube. Stockholm
1893.
Clapham = J.H. Clapham, The causes of the war of 1792 (= Cambridge
Historical Essays No. XI). Cambridge 1899.
Ch.J.P. = Arthur Chuquet, La premiere invasion prussienne (11 Aoüt —
2. Septembre 1792). Paris.
Ch.V. = Arthur Chuquet, Valmy. Paris.
Ch.R. = Arthur Chuquet, La retraite de Brunswick. Paris.
Diese drei Bände bilden Bd. 1 — 3 des Sammelwerkes: Les guerres de
la revolution des genannten Verfassers. Auf die beiden weiteren Bände:
„L'expedition de Custine" und „Jemappes et la conquete de la Belgique"
sei hier wenigstens hingewiesen, da auf sie unten bei der kurzen Be-
handlung der genannten Fragen nicht weiter Bezug genommen worden ist.
Dampmartin, evenements = A. H. Dampmartin, Evenements qui
se sont passes sous mes yeux pendant la revolution francaise. Berlin 1799.
Dampmartin, quelques traits = A. H. Dampmartin, Quelques traits
de la vie privee de Frederic Guillaume II, roi de Prusse. Paris 1811.
Daudet, Coblentz = Ernest Daudet, Histoire de 1' Emigration III.
Coblentz 1789—1793. Paris.
DaudetI = Ernest Daudet, Histoire de 1' Emigration pendant la revo-
lution francaise. I. De la prise de la Bastille au dix-huit Fructidor.
3. ed. Paris 1907.
Dembinski = Bronislas Dembinski, Documenta relatifs ä l'histoire
du 2. et 3. partage de la Pologne. Tome I. 1788—1791. Leopol 1902.
Dumouriez = La vie et les memoires du general Dumouriez publ.
p. MM. Berville et Barriere. Paris 1822.
Ephraim = B. V. Ephraim, De ma detention et de quelques autres
evenements de ma vie. 2. ed. 1808.
F.B.P.G. = Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Ge-
schichte, hrsg. von R. Koser bezw. A. Naude bezw. O. Hintze. Leipzig
1888 ff.
F.D.G. = Forschungen zur Deutschen Geschichte, hrsg. durch die Histo-
rische Kommission bei der Kgl. Akademie der Wissenschaften (zu
München). Göttingen 1862 ff.
Fersen = Le comte de Fersen et la cour de France publ. p. le Baron
R. M. de Klinckowström. Paris 1877/78.
Feuillet de Conches = Louis XVI., Marie -Antoinette et Madame
Elisabeth. Lettres et documents inedits publ. p. Feuillet de Conches.
Paris 1864 ff.
Flammermont — Jules Flammermont, Negociations secretes de
Louis XVI. et du Baron de Breteuil avec la cour de Berlin (Decembre
Vollständige Titel der abgekürzt zitierten Bücher XI
1791 — Juillet 1792) zuerst in Bulletin mensuel de la Faculte des Lettres
de Poitiers). Paris 1885.
Forneron = H. Forneron, Histoire generale des Emigres pendant la
revolution francaise. Tome I. Paris 1884.
FoucartetFinot = Paul Foucart et Jules Finot, La defense nationale
dans le Nord de 1792 ä 1802. Tome I. Lille 1890.
Girtanner, Historische Nachrichten =jChristoph Girtanner, Historische
Nachrichten und politische Betrachtungen über die französische Re-
volution. 2. Auflage. Berlin 1792 ff.
G 1 a g a u = Hans Glagau, Die französische Legislative und der Ursprung
der Revolutionskriege 1791—1792. Berlin 1896 (= Historische Stu-
dien, veröffentlicht von E. Ebering, Heft 1).
Gronau = W. Gronau, Christian Wilhelm v. Dohm nach seinem Wollen
und Handeln. Ein biographischer Versuch. Lemgo 1824.
H ä u ß e r = Ludwig Häußer, Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs
des Großen bis zur Gründung des Deutschen Bundes. 3. Auflage. Berlin
1861.
H e i g e 1 = K. Th. Heigel, Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs
des Großen bis zur Auflösung des alten Reiches. Stuttgart 1899 ff.
(in: Bibliothek Deutscher Geschichte, hrsg. von H. v. Zwiedineck-
Südenhorst).
H e i g e 1, Manifest = K. Th. Heigel, Das Manifest des Herzogs von Braun-
schweig vom 25. Juli 1792. In: Sitzungsberichte der philosophisch-
philologischen und der historischen Klasse der k. b. Akademie der
Wissenschaften zu München. Jahrgang 1896. München 1897.
H.A. = E. Herrmann, Die östreichisch-preußische Allianz vom 7. Februar
1792 und die zweite Teilung Polens. Gotha 1861.
H.E.B. oder H.E.Bd. = E. Herrmann, Diplomatische Korrespondenzen
aus der Revolutionszeit 1791 — 1797. Gotha 1866 ( = Ernst Herrmann,
Geschichte des russischen Staates. Ergänzungsband).
H ü f f e r = Hermann Hüffer, Die Kabinettsregierung in Preußen und
Johann Wilhelm Lombard. Leipzig 1891.
Hüffer, Zwei Quellen = Hermann Hüffer, Zwei neue Quellen zur Ge-
schichte Friedrich Wilhelms III. Aus dem Nachlaß Johann Wilhelm
Lombards und Girolamo Lucchesinis. Universitätsprogramm. Bonn
1882.
H.V. = Historische Vierteljahrsschrift.
H.Z. = Historische Zeitschrift.
Journal d'u ne bourgeoise = Journal d'une bourgeoise pendant
la revolution 1791 — 1793, publ. p. son petit-fils Eduard Lockroy.
Paris 1881.
K e i t h = R. M. Keith, Memoirs and correspondances. 1849.
K o s e r = Reinhold Koser, Die preußische Politik von 1786 bis 1806 in:
„Deutsche Monatsschrift für das gesamte Leben der Gegenwart". Be-
gründet von Julius Lohmeyer, hrsg. von O. Hötzsch. 6. Jahrgang,
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Krauel, Prinz Heinrich = R. Krauel, Prinz Heinrich von Preußen als
Politiker. Berlin 1902 ( = Quellen und Untersuchungen zur Geschichte
XII Vollständige Titel der abgekürzt zitierten Bücher
des Hauses Hohenzollern. Hrsg. von Ernst Berner. Bd. 4, 3. Reihe,
Einzelschriften 2).
Krieg gegen die Revolution = Krieg gegen die französische
Revolution 1792—1797. Bearbeitet von der kriegsgeschichtlichen
Abteilung des k. und k. Kriegsarchivs, Bd. 1 und 2. Wien 1905 (in
„Kriege unter der Regierung des Kaisers Franz. Hrsg. von der Direktion
des k. und k. Kriegsarchivs").
Lafayette = Memoires, correspondances et manuscrits du general
Lafayette publ. p. sa famille. Paris-Londres 1837.
Laugier-Carpentier = A. Laugier et Carpentier, Vie anecdotique
de Louis-Philippe, Roi des Francais. Paris 1837. Extrait de la „Vie
des Souverains". Paris 1837/38.
Laukhard =F. Ch. Laukhard, Merkwürdiges Leben und Schicksale,
von ihm selbst beschrieben. Halle bezw. Leipzig 1792 — 1802.
Lauzun-Serignan = Un duc et pair au Service de la revolution.
Le Duc de Lauzun (general Biron) 1791 — 1792. Correspondance intime
publ. p. le Comte de Lort de Serignan. Paris 1906.
Lelevel = Joachim Lelevel, Histoire de Pologne. Tome IL La Pologne
sous le regne de Stanislav-Auguste Poniatovski. 5. edition. Paris-Lille
1844.
Lescure = Correspondance secrete inedite sur Louis XVI., Marie-
Antoinette, la cour et la ville de 1777 a 1792 publ. par M. de Lescure.
Paris 1866.
Lettres sur Dumouriez = Lettres sur l'ouvrage intitule la vie du
general Dumourier. A. Londres 1795.
M a 1 1 e t =« Memoires et correspondances de Mallet du Pan recueillis et
mis en ordre par A. Sayous. Paris 1851.
Malouet = Memoires de Malouet publ. p. son petit-fils le baron de
Malouet. Paris 1868.
M a n s o = J. C. F. Manso, Geschichte des preußischen Staates vom
Frieden von Hubertusburg bis zur zweiten Pariser Abkunft. 3. Ausgabe.
Leipzig und Frankfurt a. M. 1839.
M a r t e n s , Traites-Russie oder Martens = Recueil des traites et
Conventions conclus par la Russie avec les puissances etrangeres. ed.
p. F. Martens. St. Petersbourg 1874 ff.
Marwitz = Friedrich August Ludwig v. der Marwitz , Ein märkischer
Edelmann im Zeitalter der Befreiungskriege. Hrsg. von Friedrich
Meusel. Bd. 1. Berlin 1908.
Massenbach = v. Massenbach, Memoiren zur Geschichte des preu-
ßischen Staates unter den Regierungen Friedrich Wilhelms IL und
Friedrich Wilhelms III. Bd. 1. Amsterdam 1809.
Minerva = Minerva. Ein Journal historischen und politischen Inhalts
von D. Friedrich Bran. Jena. Hier besonders der 4. Bd. für das Jahr
1837 (Bd. 184) mit dem auch besonders erschienenen (Jene 1837): Frag-
ment des Memoires inedits du Comte de Haugwitz, Ministre d'Etat
et du Cabinet de S. M. le Roi de Prusse.
Minutoli = v. Minutoli, Militärische Erinnerungen aus dem Tagebuche.
Berlin 1845.
Montrol = M. F. de Montrol, Histoire de l'Emigration (1789—1825).
Paris 1825.
Vollständige Titel der abgekürzt zitierten Bücher XIII
Nesselrode = Chancelier Comte de Nesselrode, Lettres et papiers
1760 — 1850 publ. p. le Comte de Nesselrode. Tome I. Paris 1904.
Notes de Topino-Lebrun = Notes de Topino-Lebrun sur le
proces de Danton et sur Fouquier-Tinville publ. p. J. F. E. Chardoillet.
Paris 1875. In: Documenta pour servir ä l'histoire de la revolution.
O g i n s k i = Memoires de Michel Oginski sur la Pologne et les Polonais
depuis 1788 jusqu'ä la fin de 1815. Tome I. Paris-Geneve 1826.
P a 1 1 a i n = Correspondance diplomatique de Talleyrand. La mission
de Talleyrand ä Londres 1792. Par G. Pallain. Paris 1889.
P e 1 1 i e r, dernier tableau = J. Peltier, dernier tableau de Paris ou recit
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Conde pendant la revolution frangaise (1791 — 1801). s Paris 1896.
Raigecourt-Bombelles = Correspondance du Mis et de la
Mise de Raigecourt avec le Marquis et la Marquise de Bombelles pendant
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Ranke = Leopold v. Ranke, Ursprung und Beginn der Revolutionskriege
1791 und 1792. 2. Auflage. Leipzig 1879 (= Sämtliche Werke Bd. 45).
Ranke 46 bezw. 47 = Leopold v. Ranke, Sämtliche Werke, Bd. 46
bezw. 47. Leipzig 1879—1880.
R. d. d. m. = Revue des deux mondes. Paris.
R. mil. = Revue militaire redigee ä l'Etat-Major de 1' Armee. 2. partie.
Archives historiques. Paris.
R. Q.H. = Revue des Questions Historiques. Paris.
Salomon, Pitt = Felix Salomon, William Pitt der Jüngere. Bd. 1,
2. und 3. Teil. Leipzig und Berlin 1906.
Salomon, Teilung = Felix Salomon, Das politische System des
jüngeren Pitt und die zweite Teilung Polens. Leipziger Habilitations-
schrift. Berlin 1895.
S b o r n i k = Sbornik russkawo istoritscheskawo obsthtschestwa. Bd. 23.
1878.
Schlieffen = Nachricht von einigen Häusern des Geschlechts der
von Schlieffen oder Schlieben. Bd. 2. Einige Betreffnisse und Erlebungen
Martin Ernsts v. Schlieffen. Berlin 1840.
Schütter = Kaunitz, Philipp Cobenzl und Spielmann. Ihr Brief-
wechsel 1779—1792. Hrsg. von Hanns Schütter. Wien 1899.
Schlosser = F. C. Schlosser, Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts
und des neunzehnten bis zum Sturz des französischen Kaiserreichs.
Bd. 5, 4. Auflage. Heidelberg 1856.
Segur = L. P. Segur, Histoire des principaux evenements du regne
de Frederic Guillaume II, Roi de Prusse, et tableau historique de
l'Europe depuis 1786 jusqu'en 1796 ou l'an 4 de la republique. A Paris
1800.
S m i 1 1 = Friedrich v. Smitt, Suworow und Polens Untergang. Leipzig
und Heidelberg 1858.
XIV Vollständige Titel der abgekürzt zitierten Bücher
Sorel = Albert Sorel, L'Europe et la revolution francaise. Paris 1885 ff.
Ssolowjoff = S. Ssolowjoff, Geschichte des Falles von Polen (nach
russischen Quellen). Übersetzt von J. Spörer. Gotha 1865.
Süßheim = K. Süßheim, Preußens Politik in Ansbach-Bayreuth 1791
bis 1806. Berlin 1902 (= Historische Studien veröffentlicht von
E. Ebering. Heft 33).
S y b e 1 = Heinrich v. Sybel, Geschichte der Revolutionszeit 1789 — 1800.
Wohlfeile Ausgabe. Stuttgart 1897—1900.
Ternaux = Mortimer Ternaux, Histoire de la terreur 1792 — 1794.
Tome IV— VI. Paris 1864 ff.
Vaissiere = Pierre de Vaissiere, Lettres d'„aristocrates" — La revo-
lution racontee par des correspondances privees 1789 — 1794. Paris 1907.
Valentini = Erinnerungen eines alten preußischen Offiziers aus den
Feldzügen von 1792, 1793 und 1794 in Frankreich und am Rhein. Glogau
und Leipzig 1833.
Vaudreuil = Correspondance intime du Comte de Vaudreuil et du
Comte d'Artois pendant l'emigration 1789 — 1815 publ. p. Leonce
Pingaud. Paris 1889.
Vie privee ■= Vie privee, politique et militaire du Prince Henri de
Prusse, Frere de Frederic II. A Paris 1809.
Vivenot = Quellen zur Geschichte der deutschen Kaiserpolitik Öster-
reichs während der französischen Revolutionskriege. Hrsg. von Alfred
Ritter v. Vivenot bezw. Heinrich Ritter v. Zeißberg. Wien 1873 ff.
Ich zitiere nach Nummern.
Vivenot, zur Genesis = Alfred Ritter v. Vivenot, Zur Genesis der
zweiten Teilung Polens. 1792—93. Wien 1874. (Ergänzungsheft zu Bd. 2
der vorher genannten Publikation.)
Wassiltchikow = Alexandre Wassiltchikow, les Razoumowski. Edition
francaise par Alexandre Brückner. Tome IL Le Comte Andre Razou-
mowski. 1. et 4. partie. Halle a. S. 1894.
Wittichen, Polnische Politik = P. Wittichen, Die polnische Politik
Preußens 1788—90. Göttingen 1899.
Worontzow = Archives du Prince Worontzow. Tome VIII ff. Moskau
1876 ff.
Zeißberg, Karl-Hohenlohe = H. R. v. Zeißberg, Erzherzog Karl und
Prinz Hohenlohe-Kirchberg. Ein Beitrag zur Geschichte des Feldzuges
in der Champagne 1792. Wien 1888. In: Archiv für österreichische
Geschichte, Bd. 73, 1. Hälfte.
Zeißberg, 2 Jahre = H. R. v. Zeißberg, Zwei Jahre belgischer Geschichte
(1791—1792) 2. Teil. Vom Tode Kaiser Leopolds IL bis zum Ende der
Statthalterschaft der Erzherzogin Maria Christine. In: Sitzungsberichte
der philosophisch-historischen Klasse der kaiserlichen Akademie der
Wissenschaften, Bd. 124. Wien 1891.
1793 = Das Jahr 1793. Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte der
Organisation Südpreußens. Hrsg. unter der Redaktion von Rodgero
Prümers (= Sonderveröffentlichungen der Historischen Gesellschaft
für die Provinz Posen III). Posen 1895.
Abkürzungen der Eigennamen in den Anmerkungen
A. = Alvensleben.
Bisch. = Bischoffwerder.
Br. = Der Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig.
F. = Finckenstein.
F.W. = Friedrich Wilhelm II.
H. = Haugwitz.
L. = Lucchesini.
M. = Möllendorff.
S. = Schulenburg.
I. Abschnitt
Bis zum Eintritt Preußens in den Kampf gegen die
französische Revolution
1. Kapitel
Ton Reichenbach bis Pillnitz
I.
Bis zur Konvention von Reichenbach hatte die französische
Revolution auf die preußische Politik fast nur befreiend gewirkt.
Sie hatte das trotz aller Spannungen immer noch bestehende
Versailler Bündnis zwischen Österreich und Frankreich von
1756/57 tatsächlich zerrissen, und Frankreich schien eine innere
Krisis durchzumachen, die seine Kraft nach außen für die nächste
Zeit zu fesseln versprach. Damit war von Preußen also in jedem
Falle eine Last genommen, die jahrzehntelang auf ihm gelegen,
die es in seiner Bewegungsfreiheit gehemmt hatte oder zu Allianzen
hatte nötigen helfen, die sich schließlich als unvorteilhaft für
Preußen erwiesen hatten. Denn seit dem Bestehen des Fürsten-
bundes war den Preußen der natürliche Exerzierplatz ihrer Politik
mehr als jemals verschlossen, wenn sie nicht die deutschen Mittel-
und Kleinstaaten allesamt in das österreichische Lager treiben
wollten. Nur wenn Österreich und Preußen zusammenstanden,
konnten sie hoffen, eine Gesundung dieser verrotteten Verhält-
nisse herbeizuführen, die sich mit rechtlichen Mitteln nicht mehr
erreichen ließ. Der Versuch dazu wurde im Jahre 1792 gemacht
und erwies sich sofort als undurchführbar.
Solange aber Preußen und Österreich sich als Erbfeinde
gegenüberstanden, mußte Preußen, wenn es nicht in der defen-
siven Stellung verharren wollte, die die Politik der letzten Jahre
Friedrichs des Großen kennzeichnet, sich in der Richtung weiter-
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 1
2 I. Abschnitt
bewegen, die mit der ersten polnischen Teilung energisch auf-
genommen worden war, und die eine so entscheidende, aber in
gewisser Weise auch verhängnisvolle Bedeutung für den preußi-
schen Staat erlangt1) hat. Niemand konnte die Unfertigkeit
des damaligen Zustandes von Preußen verkennen. Zwar hatte
es die so lange ersehnte Verbindung seiner getrennten Provinzen
für den Osten durch die Erwerbung von Westpreußen erreicht.
Noch aber waren Danzig und Thorn polnisch, und namentlich
das polnische Danzig war der preußischen Politik und Wirtschaft
ein sehr unbequemes Hemmnis. Aber man hatte es bisher, vor-
nehmlich infolge des Eingreifens der stark interessierten Eng-
länder, immer noch nicht beseitigen können. Als England es
nun versuchte, Danzig den Preußen durch einen Handelsvertrag
mit Preußen und Polen zu verschaffen, bei dem die ihm lästigen
Weichselzölle gefallen wären, da scheiterten die Verhandlungen
an dem Widerstände der Polen, die bei dieser Gelegenheit feier-
lich beschlossen, den Besitzstand der Republik unverletzt zu er-
halten. Dazu kam nun noch für Preußen der Keil polnischen
Landes, der dicht bis vor die Tore von Küstrin reichte und in
einem Kriege Rußlands gegen Preußen, in dem Polen auf russi-
scher Seite stand wie im Siebenjährigen Kriege, die preußischen
Provinzen östlich der Elbe mit einer Teilung in zw?i, ja in drei
Stücke bedrohte.
An Aufgaben fehlte es hier also nicht, und gestützt auf das
Bündnis mit den Seemächten (England und Holland) hatte
Preußen ihre Lösung seit 1788 in Angriff genommen. Nicht mit
Rußland und Österreich gegen Polen wollte man Danzig und
Thorn wie den Anteil in der ersten polnischen Teilung erwerben,
sondern — zunächst jedenfalls — gegen die Kaisermächte, die
ihre Kraft in dem •Türkenkriege verwenden mußten, und im Ein-
verständnis mit Polen, das der russischen Herrschaft müde ge-
worden war und an eine politische Regeneration dachte, ohne
doch die Kraft zu ihrer Durchführung zu besitzen.
Seit dem Ausbruch der französischen Revolution, die in
Belgien den Aufruhr von neuem entzünden half, war in der Tat
die Lage für eine Aktionspolitik Preußens im Osten hervorragend
günstig. Ungenützt aber ging dieser Augenblick vorüber. Poli-
tisch ließ zwar Preußen die stärksten Minen springen — man
denke bloß an die Neutralisierung Dänemarks 1788, an das
*) F. C. Wittichen in H.V. IX (1906) 176 und 179.
Von Reichenbach bis Pillnitz
O
Projekt einer Kaiserwahl des Herzogs Karl von Zweibrücken,
an die Unterstützung der Revolution in Belgien und in Lüttich,
in Galizien und in Ungarn — aber zu militärischem Vorgehen
konnte sich Friedrich Wilhelm II. im Sommer 1789 nicht ent-
schließen. Wenn man sich nach dem Grunde für diese auffallende
Erscheinung fragt, so wird man ihn doch wohl in dem Gegensatz
zwischen dem König und Hertzberg finden, die mit verschiedenen
Mitteln nicht ganz gleiche Ziele verfolgten. In Hertzbergs Plan
lag ein Krieg nicht. Er dachte ganz, wie wir es später bei Kaunitz
wiederfinden werden, nur an politische Repressalien, an mili-
tärische Demonstrationen, wozu ja auch wohl noch der Ein-
marsch in feindliches Gebiet zu rechnen ist. Aber an einen wirk-
lichen Krieg mit Einsetzung der Macht des ganzen Staates für
ein großes Ziel, wo der Erfolg vielleicht nicht ganz den Einsatz
gelohnt hätte, wie er meinte, dachte er nicht; denn vor einem
kühnen Wagnis scheuen diese politischen Rechner ängstlich
zurück. Er verkannte dabei ganz, daß an eine Verwirklichung
so weitgehender preußischer Forderungen nur bei Aufgebot aller Y~
Kräfte zu denken war, daß es nicht genügte, Europa Gesetze zu
diktieren, wenn man ihre Durchführung erzwingen weder konnte
noch im letzten Grunde wollte. So erklärt sich das Umbiegen
der Hertzbergschen Politik, die die Entwicklung bis zu einem
gewissen Punkte treibt, sie dann aber hemmen will und damit
schließlich den Erfolg aller Mühen aufs Spiel setzt.
Und dazu stand nun nicht einmal der König hinter dem Plane
seines Ministers. Er ließ ihn Politik treiben und weigerte sich
nicht, seine Unterschrift unter die betreffenden Aktenstücke zu
setzen; aber er begann bereits, daneben eine andere durch Ver-
treter ohne offiziellen Charakter zu betreiben, mit denen er direkt
durch sein Kabinett verkehrte1). Friedrich Wilhelm glaubte
J) Das scheint mir das schwerste Bedenken zu sein, das man gegen
seine Politik geltend machen kann. Und noch mehr muß das für das letzte
Jahr von Hertzbergs ministerieller Tätigkeit gelten, wo es bis zu der Ab-
surdität kam, daß Friedrich Wilhelm ihn im Amte behielt, zugleich aber
befahl, ihm die wichtigen diplomatischen Angelegenheiten zu verbergen.
Erst als er davon hörte, zog Hertzberg die Konsequenz aus dem Verhalten
des Königs : er bat um seinen Abschied, der ihm sofort in ehrenvoller Weise
gewährt wurde. An Versuchen, seine alte Stellung wiederzugewinnen, hat
es aber Hertzberg nicht fehlen lassen. Immer wieder trat er an den König
heran mit dem Versprechen, die verfahrene preußische Politik wieder in
das rechte Geleise zu bringen, und keine noch so kühle Abfertigung hat
4 I. Abschnitt
wohl von vornherein nicht an das Gelingen eines so weit angelegten
doktrinären Planes, wie es der Hertzbergsche in allen seinen zahl-
reichen Abarten doch immer blieb, der den Preußen allein wirk-
lich nennenswerte Vorteile zu bringen versprach, ohne doch bis
zum Äußersten zu gehen, zu dem Kriege mit ganzer Macht.
In ihm hoffte der König für seinen Staat wenigstens etwas sicher
zu erreichen, und auf ihn arbeitete er hin. Nur so scheint mir
sein Verhalten vom August 1789 bis zum Sommer 1790 erklär-
bar, der Abschluß der Bündnisse mit der Türkei und mit Polen,
die Rüstungen, das Drängen auf raschen Abschluß der Verhand-
lungen, und als Österreich sich in jede seiner schon stark herab-
geminderten Forderungen fügte, um der Gefahr eines Krieges
mit Preußen zu entgehen, der Friede ohne voraufgegangenen
Krieg.
So kam Friedrich Wilhelm wenigstens aus der unerträglichen
Doppelstellung heraus, in die ihn dies Doppelspiel ministerieller
und königlicher Politik gebracht hatte. Von seinen Verbündeten
hatte er eine Unterstützung seiner Absichten nicht erwarten
dürfen, im Gegenteil, ihr Widerstand war ihm sicher. England
hatte nicht daran gedacht, Preußen die Erwerbung polnischer
Gebietsteile zu erleichtern1). Polen wehrte sich dagegen seit dem
Bekanntwerden der preußischen Absicht so deutlich, daß der
Vertrag mit Preußen seine Integrität garantierte. Galizien hätte
es zwar gern zurückerhalten, aber seine Stellung an der Ostsee
wollte es trotzdem nicht aufgeben. Von der Türkei — von
Schweden kann ich hier absehen — war ein freiwilliges Eingehen
auf die umfassende Veränderung der Karte von Europa, bei der
es allein die Kosten tragen sollte, nicht zu erwarten2). Sollten
nun Rußland und Österreich auf einen Tausch eingehen, bei denen
ihre Gewinn- und Verlustrechnung doch ziemlich gleichstand,
während sie nach den Ergebnissen des letzten Feldzuges auf Vor-
teile, mochten sie auch gering sein, rechnen durften? Nur die
Gewalt der Waffen konnte ihnen dies demütigende Zugeständnis
abringen, und unter dem Druck der preußischen Drohung war
Österreich geneigt, sich darein zu rinden — Rußland nicht. Ohne
Krieg war also dieser Plan nicht durchzuführen, bei dem sich
ihn von erneuten Versuchen gleicher Art abhalten können. Eine krankhaft
übertriebene Eitelkeit und Selbstüberschätzung verleitete ihn zu dem Glau-
ben, er allein vermöge Preußen aus diesem Sumpfe zu retten.
1 ) S a 1 o m o n, Teilung 28 ff. und S a 1 o m o n , Pitt I 2, 447 ff.
2) C ar i s i e n 110.
Von Reichenbach bis Pillnitz 5
Preußen seine Freunde verfeinden mußte und doch seine Feinde
nicht in Freunde verwandeln konnte. Daher gab Friedrich Wil-
helm den Plan auf und wählte als Basis den status quo ante
stricte. Weigerte sich Österreich, darauf einzugehen, so war der
Krieg vollauf berechtigt. Von Frankreich war nach dem Auf-
treten des von dem preußischen Gesandten Goltz unterstützten
Petion und von Mirabeau kein Krieg mehr, seit dem 15. Mai,
zu befürchten. Zum zweiten Male befreite ihn die französische
Revolution von der Furcht, seine Politik durch ein Vorgehen
Frankreichs gestört zu sehen. Konnte Friedrich Wilhelm für
einen Angriff auch nur auf seine eigenen Kräfte bauen, so war er
der wohlwollenden Neutralität der Seemächte bei einer derartigen
Haltung doch versichert; es war das mindeste, was er erwarten
durfte. Ging er mit seinen Forderungen darüber hinaus, so hätte
er sich völlig isoliert, da er auch von Polen keinesfalls mehr als
Neutralität sich versprechen konnte. In einem Kriege gegen
Österreich (und Rußland) stand aber für Preußen ein Landgewinn,
gleichviel auf wessen Kosten, in sicherer Aussicht; denn niemand
zweifelte an dem Siege der preußischen Truppen. Ob der Erfolg
dem entsprochen hätte, ist eine Frage, die nicht zu entscheiden
ist, und die für Erkenntnis und Beurteilung der Politik der Mächte
auch nichts ausmacht. Jedenfalls konnte sich auch Österreich
dem Gewicht der preußischen Gründe nicht verschließen. Es
ging auf die Bedingungen des Königs ein und raubte diesem
damit die Möglichkeit, einen Krieg zu führen, den er vor Europa
als berechtigt hätte hinstellen und bei dem er daher die Forderung,
seine Kriegskosten ersetzt zu erhalten, hätte erheben dürfen.
Es war sein größter Wunsch in dieser ganzen Zeit.
So hatte Preußen den Lohn für alle seit 1788 aufgewandten
Mühen und Kosten nicht erlangen können. Es hatte die Ver-
wirklichung der Hoffnungen, die es in der Türkei, in Ungarn
und in Polen, in Lüttich und in Belgien erregt hatte, unmöglich
gemacht. Nur seine Verbündeten hatten ihr Ziel erreicht, und
sein Hauptgegner Österreich hatte trotz der tatsächlichen Unter-
werfung unter den Willen Preußens doch den größten Vorteil
von der Konvention. Es war aus dem Kriege gegen die Türkei
ausgeschieden und hatte damit dem österreichisch-russischen
Bündnisse seine Hauptbedeutung für die Seemächte genommen,
und die Türkei ging in ihrem Besitzstande fast ungeschmälert
aus dem Kriege hervor, der ihr so starke Verluste in Aussicht
gestellt hatte. Rußland allerdings war noch mit ihr im Kampfe,
(5 I. Abschnitt
aber auch diese Macht hofften die englischen Staatsmänner mit
preußischer Hilfe zu einem Frieden zu zwingen, der ihr nichts
einbrachte. Ging es auch nicht ganz so, wie sie wollten, im all-
gemeinen setzten sie ihre Forderung doch durch. Zwar hatte
Österreich seinen Landbesitz nicht erweitern können, aber es
gelang ihm nun wenigstens, seine aufständischen Untertanen
wieder zu unterwerfen trotz der preußischen Quertreibereien,
besonders in Belgien, und auch die Wahl Leopolds zum Kaiser
fand nach dem Ausscheiden des Hauptgegners aus dem Kampfe
nur noch unbedeutende Hemmnisse.
Preußen mußte sich jetzt für seine Politik eine neue Basis
suchen, da sich die alte, die Verbindung mit England und Holland,
als so wenig nützlich für seine Ziele erwiesen hatte1). Denn mochte
vielleicht unter günstigen Umständen Preußen stark genug sein,
um im Frieden seine Stellung durch eigene Kraft zu behaupten2),
so brauchte es für eine aktive Politik unbedingt die Unterstützung
durch eine andere Macht. Das aber stand für Friedrich Wilhelm
ebenso fest wie für Hertzberg, daß Preußen sich mit seinem
gegenwärtigen Besitzstand nicht begnügen könne, und es fragte
sich nur, welche Macht ihm am besten zu Schutz und Land-
erwerb verhelfen konnte. Der König gab die Allianz mit Eng-
land durchaus noch nicht auf — das trat erst nach der Wiener
Konvention vom 25. Juli 1791 ein — aber er erkannte, daß sie
ihm nur einen Rückhalt gegen Angriffe gewähren konnte, ebenso
wie dazu noch der Fürstenbund, Polen, Schweden, allenfalls
wohl auch die Türkei. Aber auf diese kleinen Mächte zählte er
nicht sonderlich. Gerade daß er eine Allianz darüber hinaus
suchte, scheint mir der beste Beweis für den offensiven Charakter
seiner Politik zu sein.
Drei Wege standen ihm da offen: nach Frankreich — Polen
ist nur als dessen Anhängsel zu betrachten — nach Rußland,
nach Österreich. Alle drei sehen wir ihn gleichzeitig versuchen,
großenteils geheim vor Hertzberg, auf dessen Billigung doch nicht
zu rechnen war, so daß die preußische Politik während der folgen-
den Monate bis zum August 1791 in der Tat auf den ersten Blick
verworren genug erscheint3). Überhaupt hat der Abschluß der
') Caris ien 111.
2) Winke über das Staatsinteresse der Preußischen Monarchie. 1792,
S. 6—7.
8) L. S e v i n, Das System der preußischen Geheimpolitik vom
August 1790 bis zum Mai 1791. Heidelberg 1903, S. 15—19; W i 1 1 i c h e n,
Von Reichenbach bis Pillnitz 7
verschiedensten , sich teilweise widersprechenden Bündnisse
Preußen in dieser Zeit oft in recht schwierige Lagen gebracht
(Carisien 108 u. 123). Es ist eine Politik des Tastens, die nach
allen Seiten ihre Fühlhörner ausstreckt, und ich möchte daher
auf die Chronologie dieser Versuche nicht gar zu großes Gewicht
legen, d. h. nicht unbedingt eine ursächliche Verbindung her-
stellen wollen zwischen der Ablehnung eines preußischen An-
trages auf einer Seite und der Stellung eines neuen bei einer
anderen Macht. Es kann nicht meine Absicht sein, das einzelne
dieser Verhandlungen hier auszuführen; ich beschränke mich
darauf, die Grundlinien zu kennzeichnen.
II.
Betrachten wir zunächst die Verhandlungen mit Rußland und
Österreich, dann di# mit Frankreich. Seit dem Sommer 1789
hatten in Berlin hinter dem Rücken von Hertzberg, zwischen
Alopeus1) und Bischoffwerder, dem Generaladjutanten Friedrich
Wilhelms, Besprechungen stattgefunden, die auf eine Verständi-
gung, vielleicht sogar auf eine Erneuerung des russisch-preußischen
Bündnisses hinzielten. Doch war der Erfolg so gering, daß Ende
September 1790 der König überzeugt war, man müsse Rußland
mit Gewalt zur Anerkennung des Status quo zwingen, die Öster-
reich in Reichenbach sich hatte abringen lassen, und rasch ver-
schwanden neu aufgetauchte Hoffnungen wieder, ja ein Krieg
schien bevorzustehen2). Umsomehr mußte Preußen versuchen,
sich andere Allüerte zu verschaffen. Den nächsten Versuch dieser
Art machte es bei Österreich.
Friedrich Wilhelm hatte schon in einer Audienz am 6. August
zu dem Fürsten Reuß, der Österreich bei ihm vertrat, gesagt,
er glaube aus seinen Äußerungen schließen zu dürfen, daß Öster-
reich auch an ein vertrautes Einverständnis mit Preußen denke,
wozu er gern die Hände bieten werde. Dazu hatte Bischoffwerder,
Polnische Politik 74—75; F. C. Wittichen in F.B.P.G. XVII 260; F. C.
W i 1 1 i c h e n , Preußen und die Revolutionen in Belgien und Lüttich
1789—1790. Göttingen 1905, S. 100—102.
1) Er war an die Seite des immer bedeutungsloser werdenden Grafen
Nesselrode als russischer Gesandter getreten, und durch seine Hände gingen
seitdem alle wichtigen Geschäfte, obwohl er nicht formell beglaubigt
worden war (vgl. unten).
2) Martens, Traites-Russie VI 142—145; Sybel I 346—347;
Dembinski I 83—89, 319—328, 332—338, 340—344.
8 L Abschnitt
der in Schönwalde, unterstützt von Lucchesini, noch an Einfluß
gewonnen zu haben scheint1), nachher viel von künftiger Freund-
schaft gesprochen. Die Ankunft eines Vertreters der französischen
Emigranten in Breslau, des Baron Roll, gab dem König die er-
wünschte Gelegenheit, gegen Österreich weiter mit der Sprache
herauszugehen. Bisher hatte er die Emigranten abgewiesen2).
Wir sahen, daß er die französische Revolution für Preußen nur
als negativ wirksam betrachtete. Jetzt, wo die Hauptfrage im
Osten vorläufig geregelt war, ging er auf den Vorschlag der
Prinzen ein, aber zwei Bedingungen stellte er sofort, und wir
werden sehen, daß er an ihnen konsequent festhält : Allein kann
Preußen sich an ein derartiges Unternehmen, die Wiederherstel-
lung der königlichen Macht in Frankreich, nicht machen; Öster-
reich muß mit dabei sein. Ferner : Preußen muß für seine Kriegs-
kosten entschädigt werden. Das hatten am 10. September Bischoff-
werder und am 13. der Erbprinz von Hohenlohe-Ingelfingen, der
das preußische Hilfskorps kommandieren sollte, dem österreichi-
schen Gesandten zu eröffnen3). Dieser verhielt sich zunächst
passiv, und es dauerte nicht lange, da hatte er die schroff ab-
lehnende Antwort von Kaunitz, der sich eben mit dem Frei-
herrn v. Jacobi, dem Vertreter Preußens in Wien, heftig über
die Auslegung der Konvention von Reichenbach stritt4). Zwar
desavouierte Leopold ihn bald darauf in einem Gespräch mit
Goertz in Frankfurt und hätte sich darüber beinahe mit Ruß-
land entzweit 5) ; aber so viel war doch sicher, daß für preußische
Bundesanträge in Wien der Boden noch zu heiß war. Mehr als
einen Versuchsballon wird man in diesem preußischen Antrag
auch kaum sehen dürfen, jedenfalls keine Parteinahme für die
französische königliche Familie wegen der Auflösungstendenzen
der französischen Revolution oder etwa wegen des königlichen
')VivenotINr. 375, S. 534 und 536.
2) Bai Heu in der Historischen Zeitschrift Bd. 74, S. 259—262;
F. C. Wittichen in F.B.P.G. XVII 254.
3) Krieg gegen die Revolution I 16 — 18; Adolf Beer, Leopold IL,
Franz IL und Katharina 36— 37; W i 1 1 i c h e nin F.B.P.G. XVII 256— 261;
S y b e 1 1 350; S o r e 1 II 160; H e i g e 1 1 398. Gegenüber den von P. Wit-
tichen (Polnische Politik 73 — 74) herangezogenen Stellen von Schlieffen
(II 371, 388, 565) ist hervorzuheben, daß schon die Erwähnung des Breis-
gaus beweist, daß Preußen mit Österreich zusammen vorgehen wollte.
*) Sybel I 344—345; Heigel I 375—376; Ranke 7; Dem-
b i n s k i I 89—91, 329, 331—332, 334, 338, 340.
5) A. Beer, Leopold IL, Franz IL und Katharina 33 — 34.
Von Reichenbach bis Pülnitz 9
Gemüts1), das sich ja am 14. September in entgegengesetztem
Sinne so entschieden betätigte. Wäre Österreich auf den preußi-
schen Antrag eingegangen, so hätte nach der damaligen Ansicht
über die französische Revolution von einem Wagnis keine Rede
sein können, umsomehr hätte man aber gewinnen können. Wir
erfahren hier auch schon, was Friedrich Wilhelms Ehrgeiz er-
strebte : Jülich und Berg sollte ihm der Bayer abtreten, um selbst
dafür im Elsaß entschädigt zu werden2). Der König sah in der
Bekämpfung der Revolution eben nur ein Mittel, durch einen
Krieg gegen sie für seinen Staat einen Gebietszuwachs zu er-
halten. Diesmal hätte er sich mit den Emigranten ans Werk
gemacht. Er trug kein Bedenken, sich 1792 der Politik der
Tuilerien anzuschließen, ohne dabei die Emigranten ganz aus-
schalten zu wollen, und verband sich mit Österreich, das im Ein-
verständnis mit den Feuillants handelte. Von einem prinzipiellen
Eintreten Friedrich Wilhelms gegen die französische Revolution3)
kann also jetzt ebensowenig wie später die Rede sein, mochte
er auch über das brutale Vorgehen der Jakobiner zürnen und die
unglückliche königliche Familie bedauern. Aber, wie schon ge-
sagt, Österreich lehnte vorläufig einen Kampf gegen die Revo-
lution wie ein Bündnis mit Preußen ab.
So versuchte der König denn endlich die dritte Möglichkeit,
ein Bündnis mit dem revolutionären Frankreich selbst. Schon
daß der Versuch erst jetzt erfolgt, scheint mir ein Beweis für die
Annahme zu sein, daß man sich hiervon in Berlin weniger Vor-
teil versprach als von einer Verbindung mit Rußland oder Öster-
reich4). War die französische Politik denn noch eine einheitliche
zu nennen? Schon in der absoluten Monarchie sehen wir ver-
schiedene Parteien am Werke, ihre Pläne gegenseitig zunichte
zu machen. Wieviel mehr mußte die Zerklüftung in einem Lande
sich zeigen, wo die Nationalversammlung, das ganze Volk und
seine Vertreterin, die Presse, sich einen stets wachsenden Ein-
fluß eroberten, um dem als reaktionär erscheinenden Hofe die
Mittel zu entziehen, seine Pläne durchzusetzen.
Zwei Richtungen können wir hier also vornehmlich unter-
scheiden, wenn wir von den Emigranten absehen, zunächst die
») P. W i 1 1 i c h e n, Polnische Politik 73 und 109; H e i g e 1 I 398;
S y b e 1 I 350.
2) Vgl. auch F. C. W i 1 1 i c h e n in F.B.P.G. XVII 258.
3) Sybel II 172—173.
4) Sorel II 159.
10 I. Abschnitt
Politik des Königspaares, das bis jetzt weit davon entfernt war,
«ine Annäherung an Preußen zu suchen, sich vielmehr streng
an die Verbindung mit Österreich und auch mit Spanien hielt.
Hiergegen Front zu machen, war seit dem Ausbruch der Revo-
lution die vornehmste Sorge Preußens gewesen, und so blieb es
bis zur Flucht des französischen Königspaares und bis zum Ab-
schluß der Wiener Konvention. Das beste Mittel dazu bot die
Verbindung mit der radikalen Partei, den Jakobinern. Eifrig
sehen wir den Vertreter Preußens, Goltz, am Werke, zunächst
nicht so sehr ein Bündnis Frankreichs mit Preußen zu stände
zu bringen, als die Schwäche Frankreichs zu erhalten1); denn auf
die Festigkeit der Parteiverhältnisse wie der Regierung in Frank-
reich zu zählen, hatte man wirklich keine Veranlassung. Mehr
und mehr aber tritt bei Goltz mit dem Anwachsen der Macht
der Nationalversammlung der Wunsch hervor, für Preußen in
dem revolutionären Frankreich einen Bundesgenossen zu er-
werben2). Es galt also, aus der Oppositionspartei die Regierung
zu machen und für Frankreichs Konsolidierung zu wirken. Dem
französischen Minister des Auswärtigen, Montmorin, waren Ge-
danken an eine Allianz mit Preußen ja auch nicht fremd. Vor
Reichenbach hatte die Rücksicht auf England diesem Bestreben
Preußens stark geschadet, denn an einen Eintritt in das Bündnis
zwischen England, Holland und Preußen dachten die französi-
schen Revolutionäre, besonders seit der Affäre von Nootkasund,
ebensowenig wie die Engländer; sie sahen in ihm den alten Feind
Frankreichs. Nur die größte Not hätte sie dazu zwingen können3).
Jetzt, nach Reichenbach, war Goltz davon befreit, seit dem
August konnte er positiv arbeiten. Ein preußisch-französisches
Sonderbündnis lag auch deshalb ganz in der Richtung der fran-
zösischen Revolution, weil sich Anzeichen für die Absicht einer
Gegenrevolution bei Österreich bemerkbar zu machen schienen
(daß sie diesem nur von den Emigranten untergeschoben wurden,
macht hierfür ja nichts aus). Goltz verstand es auch, die Schuld
an der Wiedereroberung Belgiens den Engländern in die Schuhe
zu schieben. So schien die Annäherung zwischen Preußen und
Frankreich im besten Zuge zu sein.
Aber Friedrich Wilhelm glaubte doch, mit dem offiziellen
Gesandten in Paris allein nicht weiterkommen zu können. Er
1 ) S o r e 1 II 69, vgl. auch I 525.
2) Vgl. auch F. C. W i 1 1 i c h e n in F.B.P.G. XVII 254 ff.
3) Sevin 34 ff.
Von Reichenbach bis Pillnitz 1 \
schickte ihm daher, ohne ihn jedoch ganz einzuweihen, in dem
Kommissionsrat Ephraim einen Helfershelfer, der nicht immer
nach den Wünschen von Goltz verfuhr (14. September 1790).
Offiziellen Charakter trug die Sendung Ephraims nicht. Ging
er zu weit vor oder änderte sich die Lage, so konnte er leicht
desavouiert werden. Aber dieser preußische Versuch sollte der
Sache nur schaden, denn Ephraim scheint doch in der Unter-
stützung der radikalen Partei des Guten zu viel getan, die da-
malige Lage für ein Bündnis in der Tat nicht für geeignet ge-
halten zu haben1). Da Montmorin schon von vornherein be-
fürchtete, Preußen wolle bloß mit der Möglichkeit einer Allianz
mit Frankreich den Österreichern zeigen, wie wenig diese auf
Frankreich zählen könnten, ohne daß es doch Preußen Ernst mit
dem Versuche sei2), wie schon die ganze Art des preußischen
Vorgehens anzudeuten schien, so kam er von Anfang an den
Preußen nur mißtrauisch entgegen. Freilich wurde der anti-
österreichische Herr v. Moustier, der die preußische Allianz für
Frankreich erstrebte und einige Monate später sogar bereit war,
Frankreichs alten Verbündeten Polen zu opfern3), nach Berlin
geschickt, und Ende Dezember traf er mit Bischoffwerder zu-
sammen vermittels eines Empfehlungsbriefes an Frau Ephraim,
den ihr Mann Montmorin in die Hände zu spielen verstanden
hatte. Aber Montmorin, den, ganz abgesehen von der merk-
würdigen Wahl des preußischen Vermittlers, auch dessen Tiraden
gegen die Königin vor den Kopf stießen, wie Moustier hielten sich
zurück, und so wurde aus diesem Plane nichts. Preußen ließ ihn
spätestens im Februar 1791 fallen, als Bischoffwerder nach Öster-
reich ging, um dort einen neuen Ansturm zu machen4). Denn das
*) So behauptet er in einer Denkschrift vom Jahre 1797 (Rep. XI 89
Frankreich. Varia 1790 — 1796), so wiederholt er es in seiner Biographie
(B. V. Ephraim, De ma detention et de quelques autres evenements
de ma vie, 2. ed. 1808) S. 104—105.
2) S o r e 1 II 156 — 157 nimmt diese Ansicht auf.
3) Dembinski I 138—142.
4) Nichtsdestoweniger blieb es durch Goltz mit den Radikalen in
enger Fühlung, bereit, die Fäden eventuell später wieder aufzunehmen.
Das entsprach ganz der Ansicht Ephraims, der vorläufig ein passives Ver-
halten gegenüber Frankreich empfahl. Er und Goltz mißbilligten die
Wendung gegen Frankreich aufs allerschärfste. Der eine drückte dies in
seinen Denkschriften und seinen Briefen an Bischoffwerder, der andere in
seinen Berichten aus, ohne zu erkennen, daß für jetzt derartige Ratschläge
nichts nützen konnten. Doch ist zu beachten, daß die früheren Radikalen
stark von links nach rechts gerückt waren.
12 I. Abschnitt
war ja klar, daß die Allianz mit Österreich oder Rußland be-
deutend mehr wert war als eine solche mit Frankreich, dem man
erst zur Konsistenz hätte verhelfen müssen. Da ein Krieg gegen
Rußland scheinbar vor der Tür stand, so mußte man sich zum
mindesten von seiten Österreichs den Rücken freihalten. Von
einer Unternehmung gegen Frankreich ist jetzt keine
Rede, und mit Recht bemerkt Sorel1), daß von der französischen
Revolution in diesen Verhandlungen eigentlich keine Rede ist.
Viel näher lag jetzt die andere Sorge. Man versuchte es also
von neuem dort, wo man früher so wenig Erfolg gehabt hatte.
Der Zeitpunkt, in dem zuerst wieder in Berlin der Gedanke
des Bündnisses mit Österreich ausgesprochen wurde, scheint mir
beachtenswert2). Ende Dezember 1790 hatte Moustier sich gegen-
über den geheimen preußischen Anträgen so zurückhaltend be-
nommen, und Ephraim war nicht für ein Bündnis eingetreten;
dagegen konnte Goltz nichts ausrichten. Nur ein voller und
ganzer Anschluß Frankreichs an Preußen konnte dessen Wün-
schen genügen. Frankreichs Neutralität nützte ihm nichts, ihrer
war man auch ohne Bündnis sicher, und nötigenfalls hätte der
Druck Englands ausgereicht, um im Einklang mit dem Volks-
willen eine Diversion Frankreichs gegen Preußen zu verhindern.
Ist es nun Zufall, daß am 7. Januar 1791 Bischoffwerder mit
Bündnisangeboten an Reuß und Alopeus herantrat? Ganz un-
begründet waren sie nicht b). Das französische Bündnis war für
Preußen nur noch die zweite Sehne am Bogen; man ließ es ganz
fallen, sowie man das österreichische ernsthaft betrieb und so-
wie das französische hinderlich wurde4). Sofort traten dabei die
alten Wünsche wieder hervor, deren Erfüllung das preußische
Staatsinteresse forderte, unabhängig von der Gruppierung der
Mächte; nur die Mittel zu ihrer Ausführung wechselte man.
Bei Rußland war jedoch vorläufig noch nichts zu erreichen,
trotzdem Preußen der russischen Erwerbung von Oczakow nicht
mehr so ablehnend gegenüber stand, vorausgesetzt daß es dabei
selbst etwas in Polen erhalten hätte. Und hatte Bischoffwerder
bei Reuß vor allem über England geklagt, Preußen brauche
x) Sorel II 163—164; Hei gel I 401.
2) Häußer I 297; Sybel I 350 ff.; Ranke 14 ff.; Heigel I
398 ff.
3) Dembinski 353—354.
4) A. Beer, Leopold IL, Franz IL und Katharina 37 ff. ; S y b e 1,
Vorträge und Aufsätze 181 und Sybel I 350.
Von Reichenbach bis Pillnitz 13
einen Ersatz für das drückende Bündnis mit dieser Macht1), so
trat auch dieser damit zusammenhängende Gedanke ebenso wie
der vorige mehr in den Hintergrund bei den Besprechungen
Bischoffwerders in Wien. Der Wendung zu Österreich wollte
Preußen im Februar vor allem eine Spitze gegen Rußland geben.
Unter dem Schein eines Zerwürfnisses mit dem Könige ver-
ließ Bischoffwerder den Hof und reiste heimlich als Kommissions-
rat Buschmann nach Wien2). Seine Hauptforderung war, Öster-
reich solle in die Tripelallianz eintreten; er deutete sie erst vor-
sichtig an, dann ging er deutlicher mit der Sprache heraus.
Mochte sich nun auch Leopold in dem Bündnis mit Rußland
nicht so wohl fühlen, wie Joseph es bei dessen Abschluß erhofft
hatte, er dachte ebensowenig wie Kaunitz daran, es preiszugeben.
Sie forderten vielmehr gerade den Eintritt Rußlands in den Bund,
dem Preußen eine Spitze gegen Rußland geben wollte. .Nur so
schien Österreich der Gefahr eines Krieges gegen Rußland oder
einer russisch-preußischen Übereinkunft auf Kosten Polens vor-
beugen zu können. Doch dachte Leopold nicht an einen Abbruch
der Verhandlungen, und Bischoffwerder hielt den Abschluß so-
gar schon für gesichert. Sein diplomatischer Dilettantismus er-
wies sich doch im Kampfe mit so gewiegten Diplomaten, wie die
Österreicher es waren, als gefährlich für Preußen. Er hielt den
preußischen Standpunkt jetzt und im Sommer ebensowenig
energisch fest wie ein Jahr später. Der König mußte ihn rekti-
fizieren; auf solche Bedingungen konnte er nicht eingehen.
BischofEwerder erhielt hier in Manstein, der mit dem Herzog von
Braunschweig und mit Möllendorff seine Reise zuerst begünstigt
hatte, einen gefährlichen Gegner.
Bei diesem Bunde hätte Preußen gar nichts erlangt. Hat man
später die österreichisch-preußische Allianz als monströs be-
zeichnet3), so wäre ein Bündnis zwischen Preußen, Österreich,
den Seemächten und Rußland in sich schon ein Unding gewesen,
das zu praktischer Betätigung bei dem Auseinandergehen der
Interessen der einzelnen Bundesglieder absolut unfähig gewesen
wäre, gesetzt den Fall, daß es überhaupt zu stände kam. Preußen -
speziell erhielt keine Zusage für eine Vergrößerung seines Besitz-
standes, und doch versprach Bischoflwerder den Österreichern
*) A. Beer 39; Dembinski I 107—108 und 112; Härtens,
Traites-Russie VI 146.
2) Dembinskil 114—117, 120—121, 443; S c h 1 i e f f e n II 366.
3) Vgl. z. B. C a r i s i e n 108—109 und 114.
14 I. Abschnitt
die preußische Zustimmung zum Erwerb von Teilen Bayerns,
scheinbar ohne dazu ermächtigt zu sein, wenn Preußen Danzig
und Thorn, Ansbach und Bayreuth, dafür später im Austausch
die Lausitzen erhalte. Ebensowenig verpflichtete sich Öster-
reich zu raschem Abschluß in Sistowa, wozu allerdings Bischoff-
werder selbst die Veranlassung gab, um für Preußen die Möglich-
keit einer polnischen, für Österreich die einer türkischen Er-
werbung offen zu halten. Endlich versprach Österreich auch
nicht seine Neutralität im preußisch-russischen Kriege, das
wenigste, was man zu erlangen gehofft hatte. Friedrich Wilhelm
billigte daher durchaus den ablehnenden Vorschlag Mansteins
und Finckensteins. Es bedurfte eines neuen Anstoßes, um die ins
Stocken geratenen Verhandlungen wieder in Fluß zu bringen.
England gab ihn mit dem Versuche, sich Österreich direkt zu
nähern, nachdem es die Erhaltung des status quo stricte durch
einen Krieg gegen Rußland infolge des Widerspruchs der Nation
hatte aufgeben müssen1). Es schien doch keine Lebensfrage für
England auf dem Spiel zu stehen, die ein so gefährliches Wagnis
wie einen Krieg gegen Rußland hätte rechtfertigen können. Ja
es bleibt wohl immer noch dahingestellt, ob nicht auch Pitt ähn-
lich wie Hertzberg mehr eine Demonstration als einen Krieg auf
Tod und Leben beabsichtigte.
Damit drohte England die Preußen bei Österreich zu über-
holen, und das mußte auf jeden Fall vermieden werden. Außer-
dem war ein Krieg mit Rußland immer noch möglich; es galt
also von neuem, Österreichs Neutralität dafür zu erlangen. In
all diese Verhandlungen war Hertzberg nicht eingeweiht worden,
und auch Leopold hatte seinerseits Kaunitz möglichst aus dem
Spiel gelassen. Aber hier zeigt sich, wie viel fester doch die
Stellung des letzteren als die Hertzbergs war. Man kam schließ-
lich doch immer wieder zu ihm und holte sich Rat. Auch Preußen
konnte daher nicht darum herumkommen, ihn jetzt in den
Bündnisplan einzuweihen. Hertzberg aber wurde auf ausdrück-
lichen Befehl des Königs in seiner Unwissenheit belassen und
schied kurz darauf am 5. Juli aus dem Amte eines Kabinetts-
ministers. Wir können ihn daher für die folgenden Ereignisse
als toten Mann betrachten. Schon waren die Erben auf dem Plan.
1 ) S y b e 1 I 355—357; Heigell 401 ;Ranke 20—21 ; E. Herr-
m a n n in F.D.G. V 242—243; Dembinskil 143—144, 375, 444-^47,
449_452; S a 1 o m o n, Teilung 53—54 und S a 1 o m o n , Pitt I 2, 516 ff.
Von Reichenbach bis Pillnitz 15
Am 1. Mai hatte der König den Grafen Friedrich Wilhelm
von der Schulenburg-Kehnert und den Freiherrn von Alvens-
leben zu Kabinettsministern ernannt ; sie stellen in der folgenden
Zeit bei dem Alter und der vorsichtigen Zurückhaltung Fincken-
steins das treibende Element in dieser Behörde dar. Alvenslebens
produktive Tätigkeit erreichte freilich Ende Juli dieses Jahres mit
der völligen Schwenkung Friedrich Wilhelms von England zu
Österreich ein rasches Ende. Fortan bildete er die Oppositions-
partei in dem Trifolium. Doch glaubte er seine Pflicht und
Schuldigkeit getan zu haben, wenn er bei preußischen Schritten,
die er nicht hatte hindern können, seinen Protest zu den Akten
gab. Er verdammte sich damit selbst zu der Tätigkeit eines
Handlangers, und es paßt sehr gut dazu, wenn ihm eine gewisse
Trägheit vorgeworfen wird1). Glücklicher war sein Genosse
Schulenburg, der sich bald entschloß, der Wendung seines könig-
lichen Herrn zu folgen, um die Zügel nicht aus der Hand geben
zu müssen, ja sie eigentlich erst zu ergreifen, bis er, den An-
strengungen des Amtes auch körperlich nicht mehr gewachsen,
es infolge mancher Meinungsverschiedenheiten mit dem Könige
gerade in dem Augenblick abgeben mußte, in dem der Lohn für
seine einjährige .Tätigkeit Preußen zuzufallen schien. Nur die
Verhandlungen über die zweite Teilung Polens führte er noch
zu Ende, um dann aus dem Kabinettsministerium gänzlich aus-
zuscheiden.
Ihrer Ansicht nach2) sollte Preußen versuchen, Österreich
ganz von Rußland zu trennen und es zu Preußen und den See-
mächten hinüberzuziehen. Der rasche Abschluß in Sistowa war
ihnen wie dem Könige ein Hauptpunkt. An ein Aufgeben des
Bündnisses mit England dachten sie also nicht; dazu waren sie
in die vorangegangenen geheimen Unterhandlungen oder wenig-
stens in die letzten Absichten des Königs wohl nicht tief genug
eingeweiht. Sie hielten sich an die allgemein bekannten Tat-
sachen, wollten jedoch mit Österreich abschließen und dann erst
die Seemächte zuziehen, so daß für Preußen hier in der Tat ein
doppeltes Verhältnis geschaffen worden wäre, von dem Preußen
den Vorteil gehabt hätte. Als entscheidend kann ich trotzdem
1 ) R. Krauel, Graf Hertzberg als Minister Friedrich Wilhelms IL
Berlin 1899, S. 73.
2) Der Bericht an den König ist von Finckenstein und Schulenburg
unterzeichnet, Alvensleben wurde erst nachher ins Vertrauen gezogen,,
vertrat dann aber durchaus dieselbe Politik (Sybel I 356 — 357).
16 I. Abschnitt
die am 12. Mai nach Wien erlassene preußische Anfrage nicht
betrachten. Erst Bischoffwerders Sendung führte die wirklich
für die nächsten Jahre bedeutende Wendung Preußens zu Öster-
reich herbei und damit auch die gegen Frankreich. Die Frage ist
nur : Warum erfolgte sie, wo man doch zwischen Berlin und Wien
schon verhandelte?
III.
Die Anregung ist diesmal (am 9. Mai) von Leopold aus-
gegangen1); verschiedene Gründe bestimmten ihn dazu. Zwar
war es nicht die Anerkennung des neuen gekräftigten Polen, die
er damit zu erreichen hoffte. Umsomehr aber mochte ihn die
drohende Lage in Frankreich dazu veranlassen, sich für den Fall
der Not hier Genossen zu sichern, auf deren Hilfe er wirklich
rechnen konnte. Von Rußland erwartete er in dieser Frage nichts.
Um die Hände im Westen frei zu haben, gab er den bestimmten
Befehl zum Abschluß in Sistowa. Er setzte sich damit in direkten
Widerspruch zu seinem Ministerium, das die türkische Frage noch
verschleppen wollte und Forderungen an die Türkei stellte, die
der preußischen Auffassung der Konvention von Reichenbach
widersprachen. Er sah, daß im Osten nach der türkischen die
polnische Frage der Erledigung harrte. Auch hier hatte er wichtige
Interessen zu wahren und wollte mit Rußland eventuell gegen
die verdächtigen preußischen Pläne Front machen. An ein Auf-
geben des Bundes mit Rußland dachte er also nicht. Aber um
den Frieden, dessen Erhaltung er so sehnlich wünschte, im Westen
zu wahren, mußte er sich den Seemächten und vor allem Preußen
nähern. So wollte er mit halb Europa zugleich im Bunde stehen,
um, je nachdem es die Umstände erfordern würden, im Osten
oder im Westen einzugreifen. Gern dachte er an die letztgenannte
Aufgabe wirklich nicht. Eben darum verhielt er sich gegenüber
den englischen Vorschlägen wohlwollend und berief selbst den-
jenigen preußischen Vertreter zu sich, auf dessen Entgegen-
kommen er zählen durfte.
Das preußische Ministerium, dem die Ansicht des öster-
reichischen natürlich besser bekannt war als die Leopolds, war
durchaus nicht erfreut, als Friedrich Wilhelm die Sendung
1) S y b e 1 1 372 ff.; H e r r m a n n in F.D.G. V 247 ff., H.E.B. 18 ff. ;
Beer, Leopold II., Franz II. und Katharina 102—103 ; H ä u ß e r I 305 ff. ;
Hei gel I 403 ff.; Ranke 69—71.
Von Reichenbach bis Pillnitz 17
Bischoffwerders genehmigte. Es gab ihm wenigstens eine In-
struktion mit, die den ministeriellen Ansichten entsprach, und
vor allem die Bedingung stellte, Bischoffwerder dürfe nicht
abschließen, ohne vorher die Genehmigung dazu eingeholt zu
haben. Von Frankreich war darin überhaupt keine Rede. Diese
Tatsachen, verbunden mit der damals erfolgten Anerkennung der
neuen polnischen Verfassung sprechen deutlich genug dafür, daß
das Bündnis sich nach dem Willen des preußischen Ministeriums
gegen Rußland richten sollte.
Es ist wohl kein Zweifel daran möglich, daß Friedrich Wil-
helm auf Bischoffwerders Sendung einging, um den Abschluß
wirklich herbeizuführen. Denn von Kaunitz ließ sich nach seinem
bisherigen Verhalten nicht viel erwarten, Philipp Cobenzl und
Spielmann waren auch nicht entgegenkommender, Leopold aber
hatte sich von Anfang an versöhnlich gezeigt, und daß er jetzt
selbst den erwähnten Wunsch aussprach, gab dem Könige die
besten Hoffnungen für die Zukunft. So ließ er denn wieder
doppelte Verhandlungen führen. Die ministeriellen führten zu
Rüstungen und Truppenmärschen, die einen Krieg mit Öster-
reich wahrscheinlich machten; die vertraulichen führten zum
Abschluß der Wiener Konvention, die zwar nicht zwei Jahre
später Europa gegen die Revolution ins Feld führte, wohl aber
den Boden für die erste Kampagne gegen Frankreich bereiten
half, damit auch in gewissem Sinne für die zweite Teilung Polens.
Ende Mai reiste Bischoffwerder nach Oberitalien ab, wo sich
Leopold damals aufhielt. Schon am 11. Juni hatte er die erste
Audienz beim Kaiser. Die Verhandlung erhielt durch Leopold
sofort eine Wendung, an die man in Berlin überhaupt nicht ge-
dacht hatte. Die französische Revolution hatte, wie schon aus
Lord Elgins Depeschen hervorgeht, direkt aber auch aus Leo-
polds eigenen Briefen zu erkennen ist, diesen mit wachsender
Besorgnis erfüllt. Hinter der französischen trat für ihn die pol-
nische Revolution weit an Bedeutung zurück, besonders seit er
darüber beruhigt war, daß sie mindestens nicht Preußens Werk
sei und Preußen nicht mit ihrer Hilfe Danzig habe erlangen
wollen. Das hätte ja gegen den Status quo verstoßen, dessen
Beobachtung die Seemächte und Preußen so beharrlich von
Österreich gegenüber der Türkei forderten. Die polnische Revo-
lution sollte für Leopold jetzt nur ein Mittel werden, um im Osten
Ruhe zu schaffen und den russisch-preußischen Erweiterungs-
gelüsten einen Riegel vorzuschieben, damit den Österreichern
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 2
18 I. Abschnitt
aber einen außerordentlichen Vorteil zu verschaffen. Wider-
willig genug waren sie an die erste Teilung Polens herangegangen,
bei der zweiten ließen sie Preußen und Rußland aus dem Spiel,
und an der dritten nahmen sie nur teil, um bei dem Geschäft
nicht wieder so leer auszugehen wie bei der zweiten, wo die ihnen
von Rußland und Preußen gegebenen Versprechungen schließ-
lich zu Wasser geworden waren. Polen durch seine neue Ver-
fassung mit der Erbmonarchie zu konsolidieren, das ist die pol-
nische Politik Österreichs seit Ende Mai 1791; es galt, Preußen
und Rußland dafür zu gewinnen1).
Leopold fand bei Preußen einiges Entgegenkommen, denn
dieses wollte sich nicht dem einmal ohne sein Zutun geschehenen
Ereignis widersetzen, das in einem Kriege gegen Rußland — er
war ja immer noch nicht ganz ausgeschlossen — hätte von Vor-
teil sein können. Es sah in einer Verbindung Sachsens mit Polen,
die nicht durch die Thronerblichkeit verewigt würde, jetzt nichts,
was den preußischen Interessen widersprach2); es glaubte end-
lich den Österreichern damit einen Gefallen zu tun. Der russische
Widerstand war dagegen von vornherein beschlossene Sache. Je
mehr Österreich hier drängte, umsomehr trieb es die Russen,
deren Schweigen eine beredte Antwort war, zu den Preußen
hinüber, die schon am 8. August 1791 geradezu erklärten, an eine
Garantie der neuen polnischen Verfassung nicht zu denken ;
auch in der Instruktion für Bischoffwerder hatte nichts Derartiges
gestanden; nur hindern wollte Preußen das neue Werk nicht3).
Doch dieser Punkt trat vorläufig zurück hinter die scheinbar
in nächste Nähe gerückte Intervention in Frankreich. Dazu
mußte Leopold vor allem mit Preußen abschließen, das ihm
durch Bischoffwerder weiter entgegenkam als England, dessen
Vertreter, Lord Elgin, fest auf der Ablösung Österreichs von
J) L i s k e in der Historischen Zeitschrift Bd. 30, 284—285; S y b e 1,
Vorträge und Aufsätze 183 ff. ; Beer, Leopold II., Franz II. und Katha-
rina 102—115.
2) Herrmann in F.D.G. IV 423—424.
3) Mit dieser feinen diplomatischen Unterscheidung, die ein Jahr
darauf Preußens Anschluß an Rußland bemänteln half, glaubte es sich
beide Wege offen halten zu können. Der Erfolg bei der Masse des Volkes
war hier ebenso gering wie bei dem entsprechenden Vorgang in Pillnitz.
Derartige Feinheiten existierten nur für den Diplomaten. Beide Male
wurde aus den Erklärungen etwas herausgelesen, was die Verfasser nicht
hatten hineinlegen wollen. Häußerl 320; H e i g e 1 1 441 ; S a 1 o m o n,
Pitt I, 2, 527.
Von Reichenbach bis Pillnitz \Q
Rußland bestand und dabei doch nicht so viel zu bieten hatte
wie sein Rivale. Dieser ließ sich gleich bereitfinden, dem Kaiser
nach Wien zu folgen und dort die österreichisch-preußische Kon-
vention abzuschließen, der dann die Seemächte und Rußland
beitreten sollten. Er sah wie gewöhnlich die Sache im rosigsten
Lichte. Zwei preußische Hauptforderungen hatte er ja genehmigt
erhalten (als Verdienst wird man ihm das nicht anrechnen
dürfen): den Abschluß Österreichs mit der Türkei und ein
Bündnis zwischen Österreich und Preußen, dem die Seemächte
beitreten sollten. Dafür nahm er den Beitritt Rußlands und die
Beteiligung an der Intervention in Frankreich in den Kauf. Er
gab damit der preußischen Politik eine völlig veränderte Grund-
lage.
Nun scheiterte aber der Fluchtversuch der französischen
Königsfamilie. Hatte Leopold bisher stets betont, daß gegen
Frankreich nur etwas auszurichten sei, wenn die europäischen
Mächte sich einigten, so war er jetzt umsomehr davon überzeugt.
Österreich durfte sich nicht allein an die Lösung dieser Aufgabe
machen, die durch das Scheitern der Flucht nur noch gefähr-
licher geworden war. Bischoffwerder war schon vorher auf Leo-
polds Vorschlag eingegangen, sich mit ihm über Frankreich zu
verständigen. Er hatte gleich am 11. Juni versprochen, alle öster-
reichischen Schritte gegen Frankreich zu unterstützen; allein
werde Preußen nichts tun, vor allem nichts für die Emigranten,
die Leopold abgewiesen hatte. Es ist nicht genau festzustellen,
wie der Fluchtversuch und sein Scheitern auf ihn eingewirkt
haben. Man darf aber wohl annehmen, daß sie ihn in seiner
Richtung nur noch bestärkten, die durch das Eingehen auf diese
österreichische Forderung den raschen gesonderten Abschluß her-
beizuführen bezweckte und dem neuen Bund sofort die entschei-
dende Richtung gegen Frankreich gab1). Ohne aus Berlin die
Ermächtigung einzuholen (hat der König sie ihm etwa mündlich
geheim erteilt, eventuell auch schriftlich?) und ohne den Ab-
schluß in Sistowa abzuwarten, schloß er in Wien am 25. Juli die
Konvention mit Österreich ab, die auch die Einladung Rußlands
zum Beitritt vorsah und eine Verständigung von Österreich und
Preußen über ein Zusammenwirken gegen die französische Revo-
lution ankündigte, ganz abgesehen von den übrigen für Preußen
recht ungünstigen Bedingungen.
1 ) Auf die defensiven Absichten Österreichs werde ich jedoch noch oft
hinzuweisen haben.
20 I. Abschnitt
Alles kam darauf an, wie sich der König dazu stellte ; denn das
Ministerium hatte an seiner Mißbilligung durch seine voran-
gegangenen Weisungen keinen Zweifel gelassen und protestierte
energisch in corpore dagegen beim König und bei Bischoffwerder.
Aber es nützte ihm nichts. Der König hatte noch Ajifang Juni
Anträge der Emigranten auf eine Gegenrevolution abgelehnt.
Vor dem Frieden zwischen Österreich und der Türkei und vor
seiner Einigung mit Österreich traute er diesem nicht über den
Weg. Auch neigte er nicht so sehr zu der Ansicht der Emigranten ;
seine Minister glaubten jedoch schon ein stärkeres Mitgefühl mit
der Lage des französischen Königspaares bei ihm wahrnehmen
zu können. Als er von der Verhaftung Ludwigs hörte, soll er
ausgerufen haben: „Welch schreckliches Beispiel!" Aber dabei
blieb es zunächst1). Nur lehnte er im Gegensatz zu seinem Mini-
sterium ein gemeinsames Einschreiten in Frankreich für später
nicht ab. Die Hauptsache war für Bischoffwerder und wohl auch
für ihn der Abschluß des Bündnisses mit Österreich, durch das
der englischen Diktatur ein Ende bereitet werden sollte, die sich
im Frühjahr wieder so unangenehm fühlbar gemacht hatte2).
Mochten dann die Seemächte und Eußland beitreten, es blieb
immer das österreichisch-preußische Bündnis, das Preußen die
lange entbehrte Sicherheit gewährte, und das man als Basis zu
neuem Vorgehen benutzen konnte. Darin liegt die Berechtigung
der so viel geschmähten Konvention3), deren Bedingungen ein
geschickterer Unterhändler, als Bischoffwerder es war, für Preußen
wohl hätte günstiger gestalten können. Nach Sistowa und Galatz
gegen die Russen Front zu machen, lag für Friedrich Wilhelm
kein Anlaß mehr vor. Österreich von Eußland abzulösen, schien
durch den Vertrag tatsächlich ebenso gelungen zu sein wie die
Emanzipation Preußens von den Seemächten. Trat jetzt die
Möglichkeit oder gar die Notwendigkeit in Frankreich einzu-
greifen hervor — Friedrich Wilhelm war bereit, da er hoffte,
für seinen Staat dabei eine Gebietserweiterung herauszuschlagen4).
Er betrieb sie außer bei Österreich auch bei den Emigranten, die
*) S o r e 1 II 239 — 240. Auch von anderer Seite wird ähnliches be-
richtet. Souvenirs de Bouille I 303.
2) S y b e 1, Vorträge und Aufsätze 187.
3) C a r i s i e n 86—87.
4) Vgl. auch S a 1 o m o n, Pitt I 2, 533 ff., der die Eroberungsabsichten
Preußens schon scharf betont, aber wohl den Charakter des Königs noch
etwas verzeichnet; C a r i s i e n 86.
Von Reichenbach bis Pillnitz 21
zum mindesten durch ihr Stillschweigen die Ansicht rechtfertigten,
daß sie nichts dagegen einzuwenden hätten. Daß diese Forderung
hervortrat, sowie Österreich seinen Antrag auf Unterstützung
seiner Schritte bei Preußen stellte, scheint mir doch bemerkens-
wert genug zu sein, und man wird kaum fehlgehen, wenn man
das auf Einwirkung des Königs zurückführt, ebenso wie das Ver-
langen: keine Deklaration ohne ein bereitstehendes Heer, um
bei einer Ablehnung durch die Revolutionäre den Worten die Tat
auf dem Fuße folgen zu lassen1). Das Ministerium freilich ver-
klausulierte alle diese kräftigen Maßregeln durch die Bedingung
des Zutrittes der anderen Mächte, vor allem Englands, da es an
dem Bündnis mit den Seemächten ja noch festhielt. Da dies aber
passiv bleiben wollte, so kam die preußische Antwort einer Ab-
lehnung gleich. Friedrich Wilhelm jedoch war anderer Meinung.
Er gab es als unnötig seit der Verbindung mit Österreich auf
und war bereit, auch ohne England nur mit Österreich gegen
Frankreich vorzugehen. Der König wurde zum treibenden Ele-
ment in der neuen Verbindung. Sein persönliches Mitgefühl mit
dem französischen Königspaar wird niemand bestreiten, aber er
hielt es so lange in Schranken, bis die politischen Forderungen
erfüllt waren, die er an seine Betätigung knüpfte. Daß er sich
nicht von der Sorge bedrückt fühlte, seine Untertanen könnten
dem französischen Beispiel folgen, das berichtet derselbe fran-
zösische Diplomat, der den oben zitierten Ausruf Friedrich Wil-
helms meldete, Herr von Moustier2). Eine unmittelbare Kollision
französischer und preußischer Interessen war durch die räum-
liche Trennung beider Staaten so gut wie ausgeschlossen3). Alles
zwingt dazu, das preußische Vorgehen als Offensive zu bezeichnen.
Friedrich Wilhelm ratifizierte jedenfalls gleich nach dem Ein-
laufen der Nachricht des Abschlusses in Sistowa am 12. August
die Konvention. Er war entschlossen, es auf den Bruch mit
England ankommen zu lassen. Das war der Abschluß seiner fast
ausschließlich im Osten sich betätigenden Politik, die sich seit
der Konvention von Reichenbach bereits in einem Übergangs-
stadium zu einer neuen Grundlage und zu neuen Zielen befunden
hatte. Jetzt wandte er sich energisch dem Westen zu, der für
seine Betätigung ein so reiches Feld zu bieten schien. Er kam den
Emigranten entgegen, berief den Marquis Bouille zu der geplanten
1) Carisien 89.
2) Sorel II 240.
3) Revue Historique 25 (Paris 1884) S. 74; V o 1 z in F.B.P.G. XVII 161.
22 I- Abschnitt
Zusammenkunft mit dem Kaiser, um sich Vorschläge über den
Feldzugsplan machen zu lassen. Es fragte sich nur, ob er seinen
Genossen zum Eingehen auf seine Pläne werde gewinnen können,
die scharf zu formulieren er sich wohl hütete.
Schon bei seinem ersten Aufenthalt in Wien hatte Bischoff-
werder eine persönliche Zusammenkunft zwischen den beiden
Monarchen1) angeregt und Leopolds Zusage für eine solche im
Juni in Böhmen erhalten. Am 11. Juni einigte er sich nun mit
Leopold, sie in Pillnitz stattfinden zu lassen, um gleichzeitig mit
dem Kurfürsten von Sachsen über die polnische Frage eine
Einigung herbeizuführen. Aber nach den Vorgängen des Juni
und Juli stand sie doch vorwiegend unter dem Zeichen der fran-
zösischen Revolution. Nicht daß Leopold die Absicht gehabt
hätte, dagegen vorzugehen2). Er hatte die Antworten von Preußen
und Spanien erhalten und sah in ihnen eine Ablehnung seines
Planes. Ferner hörte er aus England, daß es sich gegenüber der
französischen Revolution durchaus neutral verhalten wolle. Das
war für ihn schon Grund genug, das europäische Konzert als
gescheitert anzusehen, und ein ostensibler Brief seiner Schwester
(den geheimen ließ er unbeachtet) gewährte ihm die Möglichkeit,
sein Einverständnis mit ihren Absichten laut zu betonen. Auch
schien ja die Drohung allein die Franzosen genügend eingeschüch-
tert zu haben; kriegerischer Maßregeln bedurfte es also gar nicht
mehr3). So hatte die Deklaration von Pillnitz vom 27. August
in dieser Beziehung für ihn überhaupt keine Bedeutung, und mit
der Annahme der Verfassung durch Ludwig schien ihm diese
Frage geregelt zu sein. Die Deklaration wäre wohl überhaupt
nicht erlassen worden ohne das Drängen des plötzlich ohne Ein-
ladung erschienenen Grafen Artois, der den Mächten einen ganz
anders gearteten Plan vorlegte. Er fand damit bei Leopold keine
bessere Aufnahme, als er eine Abtretung Lothringens an Öster-
reich in Aussicht stellte. Was konnte er denn versprechen?4)
Mit der Annahme dieses Planes hätte man ja die schärfste Gegen-
revolution proklamiert. Schon zur Abwehr derartiger Vorschläge,
dann aber auch zur Dämpfung des Übermutes der französischen
J) R a n k e 76 ff. ; S y b e 1 I 354.
2) Carisien 88 ff.
3) Ranke 85; Glagau 28—29; Sorel II 243—244.
4) Immerhin hielt das preußische Ministerium diese Nachricht für
äußerst beachtenswert. H äußer I 322; H.E.B. 68; Hei gel I 432;
Sorel II 252.
Von Reichenbach bis Pillnitz 23
Demokraten erging die erwähnte Deklaration, die für die tätige
Einmischung in Frankreich die Einigung aller europäischen
Mächte forderte1), und dieser Fall bestand nicht mehr.
Damit traf Leopold zwar ganz die Ansicht des preußischen
Ministeriums, das die fremden Diplomaten noch ausdrücklich
auf die Klauseln aufmerksam machte. Aber Friedrich Wilhelm
war mit ganz anderen Gesinnungen nach Pillnitz gekommen.
Aus allen Quellen hören wir, daß er noch in diesem Jahre hat
aktiv vorgehen wollen. Ohne das Ministerium genau von seinen
Ansichten in Kenntnis zu setzen, das voller Sorge dieser neuen
Verwicklung entgegensah, ging er mit dem Kronprinzen, dem
Prinzen von Hohenlohe, der schon im Vorjahre für das Kom-
mando gegen Frankreich in Aussicht genommen worden war2),
Bischoffwerder und Manstein nach Pillnitz — also nur Offiziere,
keiner der leitenden Diplomaten wurde zugezogen. Mag es nun
auch wahr sein, daß bei näherer Berührung mit Artois und
Calonne Friedrich Wilhelm und Bischoffwerder in ihrer Freund-
schaft für die Emigranten abgekühlt wurden, entscheidend war
doch die Haltung des Kaisers. Friedrich Wilhelm sah keine Mög-
lichkeit, ihn aus seiner Untätigkeit aufzurütteln. Vergeblich
bemühte sich Hohenlohe Mitte September in Prag, mit dem
Kaiser militärische Maßregeln beider Mächte zu verabreden für
den Fall, daß ein Eingreifen nötig werde. Dem König blieb nichts
anderes übrig, als an Moustier am 1. Oktober zu erklären: da der
Kaiser sich passiv verhalte, könne Preußen jetzt nichts tun.
Auch der endgültige Abschluß des Bündnisses mit Österreich
(die Konvention war nur als provisorische Einigung gedacht)
kam trotz des preußischen Drängens nicht zu stände. Spiel-
mann vertröstete Bischoffwerder auf ruhigere Zeiten. Leopold
hatte ja, was er brauchte; sollte er sein Werk durch die miß-
gestimmten Berliner Diplomaten verderben lassen und Rußland
noch mehr vor den Kopf stoßen? Außerdem hatte sich der poli-
tische Himmel aufgeklärt, und die Nachricht von der Annahme
der neuen französischen Verfassung durch Ludwig konnte nur
dazu beitragen, Leopold in dieser Ansicht zu bestärken; jetzt
blieb ihm offenbar nichts mehr zu tun übrig3). Wurde die Lage
*) Carisien 89—90.
2) Den Herzog von Braunschweig hinderte Krankheit an der Reise.
S c h 1 i e f f e n II 371 und 558—559.
3) Clapham 228.
24 I- Abschnitt
aber wirklich bedrohlich, so kostete es ihn bloß ein Wort, und
Preußen war bereit.
So war dieser preußische Ansturm gescheitert. Friedrich
Wilhelm mußte abwarten, ob sich in der Tat Leopolds für den
Frieden so günstige Ansicht bestätigte. Seine Ansichten aber
blieben dieselben, und wir werden darauf wohl den „besorgten"
Ton der Depeschen des Fürsten Reuß aus Berlin zurückführen
können1). Der König war ja entschlossen, sich hierin genau auf
derselben Linie zu halten wie Leopold2), besonders bei militä-
rischen Maßregeln. Daraus hat man bisher auf seinen Wunsch
geschlossen, diese Sache friedlich zu regeln; aber nur die äußerste
Vorsicht wird man darin sehen dürfen. Den Grund für sie haben
wir weniger in dem Glauben zu suchen, Preußen sei zu schwach,
um die Revolution allein zu bändigen, als vielmehr in der Furcht,
sich kräftig an ein Unternehmen zu machen, wenn es den Rücken
nicht frei hatte. War auch kein Angriff Rußlands oder gar Öster-
reichs zu befürchten, so war jetzt nach der Beendigung des Türken-
krieges doch die polnische Frage zu regeln — das war ein offenes
Geheimnis. Hieran teilzunehmen, mußte sich Preußen auf jeden
Fall vorbehalten. Ging es allein gegen Frankreich vor, so konnten
die beiden Kaisermächte leicht eine Entscheidung über seinen
Kopf hinweg herbeiführen. War es dagegen Österreichs durch
dessen Teilnahme am Kriege gegen die Revolution sicher, so
brauchte es sich nicht so sehr von Truppen an der Ostgrenze
zu entblößen, und zu zweien konnte man politisch wie militärisch
ein ganz anderes Gewicht in die Wagschale werfen. Unter dieser
Bedingung konnte Preußen daran denken, die polnische gleich-
zeitig mit der französischen Frage zu lösen — ein Unternehmen,
das sich dem rückblickenden Beschauer als riesengroß darstellt,
das aber damals in seiner Bedeutung wohl von niemandem recht
gewürdigt worden ist3).
Lange brauchte Friedrich Wilhelm nicht zu warten; denn an
demselben Tage, an dem er sich so mißmutig gegenüber Moustier
aussprach, trat in Paris die legislative Versammlung zusammen.
Mit ihren Dekreten gegen Emigranten, Priester und Reichsfürsten
schuf sie eine Lage, aus der sich — mindestens anfangs ohne ihren
Willen — der Krieg als letzte Auskunft ergab. Rankes4) Wort:
»JHäußerl 324.
2) C a r i s i e n 92—93.
3) Vgl. F. C. W i 1 1 i c h e n in H.V. IX (1906) 175—177.
4) S. 82.
Preußen und Österreich bis Ende März 1792 25
„Die Politik suchte den Frieden, die universalen Gegensätze
stellten den Krieg in Aussicht " ist immer noch der beste Ausdruck
für diese Lage, wenn man es für Preußen in der angegebenen
Weise abändert.
2. Kapitel
Preußen und Österreich bis Ende März 17921)
Den revolutionären Institutionen waren in ihrem Heimat-
lande die erbittertsten Gegner erstanden, vornehmlich in Klerus
und Adel, die nicht nur ihrer Privilegien beraubt worden waren,
sondern auch in ihrer Gewissensfreiheit sich beeinträchtigt
fühlten, wie die Priester, und in ihrem persönlichen Eigentum
direkt geschädigt worden waren, wie der Adel. Offen oder geheim
suchten sie daher mit allen Mitteln die Durchführung des neuen
Zustandes zu verhindern. Diese Reaktion unmöglich zu machen,
war eine der vornehmsten Aufgaben der legislativen Versamm-
lung, gerade weil sogar ein Teil der Vertreter der Revolution von
der Notwendigkeit einer Rückwärtsrevision der Verfassung über-
zeugt war. Schien doch die Revolution mit der Annahme der
Verfassung durch Ludwig XVI. beendigt zu sein, nur um deren
Erhaltung schien es sich in der Hauptsache noch zu handeln.
Wenn aber die Vertreter der Revolution großenteils auch gewisse
Abänderungen für nötig hielten, so wollten sie sich doch von
ihrem Hauptziele um keinen Schritt abdrängen lassen. Bei dem
einmal aufgestellten Prinzip der Souveränität der Nation mit all
den daraus sich ergebenden Folgerungen beharrten sie; die Ver-
fassung war der Hort, um den sie sich scharten. So war hier der
Kampf in voller Schärfe proklamiert, und es fragte sich nur,
wer die Macht haben würde, den Gegner unter das Joch zu zwingen.
Am 29. bezw. 9. November ergingen die Dekrete der Legis-
lative gegen die eidweigernden Priester und die Emigranten.
Man sieht gerade dem erstgenannten deutlich das Entgegenkommen
an, den Wunsch, den Kampf womöglich zu vermeiden, und bei
dem zweiten wird man die Schärfe nur begreifen können, wenn
man erwägt, daß der Revolution schlechterdings kein anderes
1 ) Für das Folgende : R a n k e 95 ff . ; L e n z in „Preußische Jahrbücher"
Bd. 78, S. 1 ff. und 255 ff . ; G 1 a g a u ; T h. Ludwig, Die deutschen
Reichsstände im Elsaß (Straßburg 1898).
26 I- Abschnitt
Mittel blieb, die ins Ausland gegangenen Adligen zum Gehorsam
zu zwingen1). Es war die Kriegserklärung an die Emigranten
oder besser die Antwort auf deren Manifest vom 10. September.
Sie waren ja von den kleinen deutschen Reichsfürsten als Leidens-
genossen aufgenommen worden. Auch diese waren durch die
Abschaffung aller feudalen Rechte seit dem 4. August 1789 aufs
schwerste geschädigt worden, soweit sie im Elsaß Besitzungen
hatten, die nach den Bestimmungen des westfälischen Friedens
und den Verträgen einzelner Fürsten mit Frankreich im 18. Jahr-
hundert unter französischer Souveränität standen. Sie hörten
nicht auf, den Kaiser mit Bitten zu bestürmen, gegen diesen
Umsturz aller Rechtsverhältnisse Protest zu erheben und nötigen-
falls mit Waffengewalt ihnen ihr Recht zu verschaffen. Mit der
Unterstützung der Emigranten taten sie jetzt den ersten Schritt
zur gewaltsamen Reaktion.
Wir sahen schon, wie wenig Leopold zu einer Einmischung
in Frankreich geneigt war. Er fühlte sich doch zunächst als
Herrscher über die Lande der österreichisch-ungarischen Mo-
narchie und wollte sich von dem Reiche keine Verpflichtungen
auferlegen lassen, die ihn an der Durchführung der erstgenannten
Aufgabe gehindert hätten. Ein schwächlicher Protest nach seiner
Kaiserkrönung, das war bisher die Abschlagszahlung an die
Reichsfürsten dafür gewesen, daß sie ihn gewählt hatten. Nun
hatte zwar der Reichstag am 6. August 1791 ein Gutachten ab-
gegeben, das sich zu ihren Gunsten aussprach, also gerade in den
Tagen, als Leopold selbst nach der mißglückten Flucht seiner
Schwester notgedrungen an eine Intervention dachte, aber die
weitere friedliche Entwicklung ließ es Leopold für nicht angezeigt
halten, durch seine kaiserliche Bestätigung das Gutachten zum
Beschluß zu erheben und damit dem eben erst erstickten Brande
neue Nahrung zuzuführen.
Diese Lage änderte sich jedoch, als die Legislative den Dekreten
gegen Priester und Emigranten auch einen Vorstoß gegen die-
jenigen deutschen Reichsfürsten folgen ließ, welche die Emi-
granten in ihre Territorien aufgenommen und sie sich hatten
bewaffnet versammeln lassen. Zu der Durchführung der ihnen
angedrohten Maßregeln zog Frankreich an der Ostgrenze
150 000 Mann zusammen. Das war für diese Kleinfürsten gleich-
bedeutend mit einer Kriegserklärung, der sie so gut wie nichts
1 ) Vgl. auch Lescure, Corr. secrets II 571 — 572 (2. Januar 1792).
Preußen und Österreich bis Ende März 1792 27
entgegenzusetzen hatten, wenn die deutschen Mächte, vor allem
der Kaiser, nicht hilfreich eingriffen. An Österreich und Preußen
ergingen von dem besonders bedrohten, da besonders gegen-
revolutionären, Kurfürsten von Trier Hilfsgesuche. Der Kaiser
sah sein System durch dies Überwuchern des Einflusses der vor-
wärtsdrängenden Richtung in Frankreich gefährdet und hielt
jetzt, noch ehe er offiziell Kenntnis von den Vorgängen in der
Legislative vom 14. Dezember hatte1), die Zeit für gekommen,
den Franzosen eine Lektion zu geben. Er benützte den Anlaß,
den ihm die höfliche Requisition seines Beistandes gegen die
Kurfürsten von Mainz und Trier durch die französische Regierung
bot, am 10. Dezember das erwähnte Gutachten zu bestätigen.
Er wollte damit, sowie kurz darauf (21. Dezember) mit der Er-
klärung, einen Einfall der Franzosen in Reichsgebiet als Kriegs-
erklärung zu betrachten2), einen Beweis seiner patriotischen Ge-
sinnung geben und die Franzosen durch möglichst energische
Drohungen, ganz wie in den Monaten Juli und August, mit Her-
vorhebung des Konzertes der Mächte von ihrem unverschämten
Vorhaben abbringen. Das ängstliche Gebaren der Feuillants,
die den Krieg durch Verhandlungen zu verhindern suchten, be-
stärkte ihn nur in seiner Ansicht. Der Anlaß zum Streite, Emi-
granten- und Fürstenfrage, treten jetzt zurück; um das Konzert
der europäischen Mächte handelt es sich in dem folgenden Kampf,
d. h. um den Kampf gegen das von Frankreich in Anspruch ge-
nommene Recht der nationalen Selbstbestimmung. Je mehr die
Franzosen das Konzert zurückweisen und je schärfere Maßregeln
sie treffen, umsomehr glaubt Leopold auf dem einmal ein-
geschlagenen Wege beharren zu müssen in völliger Verkennung
der neuen Zeit, die sich hier ankündigte.
Zu dieser innerfranzösischen und der reichsständischen Oppo-
sition gegen das neue Frankreich kommt nun als drittes Moment,
das den Krieg des neuen mit dem alten Europa entzünden half,
die Tätigkeit derjenigen französischen Partei (es sind die Feuil-
lants), die ihr Ziel, die Herstellung eines konstitutionellen Frank-
reich, nur durch die Einwirkung eines europäischen Kongresses
erreichen zu können meinte, und die sich in dem Mittel mit der
Königin Marie Antoinette zeitweise zusammenfand, nie aber in
dem Ziel. Sie und nicht ihr Gemahl war ja hieran die treibende
*) Clapham 229—230.
2) Die Bedingung für die Gewährung des Schutzes übersahen die
erregten Franzosen. C a r i s i e n 93.
28 I. Abschnitt
Kraft. Sie erstrebte die Herstellung oder besser die Schöpfung
einer wirklich absoluten Monarchie in Frankreich, wie sie dort
noch nicht bestanden hatte. Auf geheimem Wege ließ sie ihrem
Bruder wieder und wieder die Notwendigkeit des Einschreitens
vorstellen oder tat es selbst. Als sie bei ihm auf direktem Wege
nichts ausrichten zu können meinte, da versuchte sie es auf den
Rat ihres Vertrauten Fersen auf indirektem Wege1) und erreichte
hiermit, unterstützt von dem Vorgehen der Nationalversamm-
lung, in der Tat ein schärferes Vorgehen von Leopold. Aber er
wie Kaunitz dachten nicht daran, auf ihre Absichten wirklich
einzugehen. Er folgte tatsächlich den Vorschlägen der Feuillants,
genauer der Lameths, da sie mit seinen Interessen überein-
stimmten, wie er glaubte. Indem er immer lauter mit dem Ein-
schreiten des europäischen Konzerts droht zur Unterdrückung
des gemeingefährlichen Treibens der Jakobiner, treibt er den
Nationalstolz der Franzosen nur immer höher. So steigert sich
die Spannung von Woche zu Woche, bis sie in der Kriegserklärung
von Frankreich an den König von Ungarn und Böhmen ihre
Lösung findet. Ich brauche auf das einzelne der Ereignisse bis
zum Februar 1792 hier nicht näher einzugehen. Nur auf das Ver-
halten Preußens in dieser Zeit kommt es mir an; ihm müssen
wir uns jetzt genauer zuwenden, namentlich der Frage, ob Preußen
lediglich mitgegangen ist, oder ob es selbständig auf die Ereig-
nisse eingewirkt hat zur Erreichung ganz bestimmter politischer
Ziele. Das Urteil kann nicht zweifelhaft sein.
Wir sahen oben, daß das preußische Kabinettsministerium
gegen die Absicht einer bewaffneten Intervention in Frankreich
und gegen den Beitritt Rußlands sich vergebens gewehrt hatte.
Der König war über diesen Protest hinweggegangen und hatte
die eingeschlagene Richtung weiter verfolgt, bis Leopold ihm die
Möglichkeit dazu nahm. So blieb er notgedrungen stehen, bereit,
jeden Augenblick erneut zum Schwert zu greifen. In dieser Zeit
aber vollzog sich im Kabinettsministerium ein bedeutungsvoller
Gesinnungswechsel2). Schulenburg und Finckenstein, die von
Alvensleben zu dem Protest gegen Bischoffwerders Politik mit-
gerissen worden waren, gingen zum König über. Nur Alvensleben
blieb damit in einer unfruchtbaren Oppositionsstellung, so daß
') Vgl. auch die Schritte Gustavs III. bei Friedrich Wilhelm II.
(A k e s o n 157, 187 ff. und 237 ff.); C a r i s i e n 94.
2) F.D.G. V 278 ff.; R a n k e 268 ff.; K o s e r 469.
Preußen und Österreich bis Ende März 1792 29
er noch am 3. Juni 1793 an Lucchesini schreiben muß1): „Meine
Stimme gilt noch immer zu wenig, um sehr in Rechnung gestellt
zu werden." Mag man über die innerliche Begründung, die sitt-
liche Berechtigung jenes Schrittes denken, wie man will — je-
doch ohne den heute üblichen Maßstab anzulegen! — sicher ist,
daß die beiden Minister damit die einzige Möglichkeit wählten,
bei der ein fruchtbares Arbeiten noch möglich war2). Bei Fincken-
steins Alter und seiner vorsichtigen Zurückhaltung bekam so
Schulenburg allmählich die Leitung der Geschäfte in die Hände.
Damit beginnt die preußische Politik wieder ein festes mini-
sterielles Gepräge zu erhalten im Gegensatz zu dem früheren
raschen Wechsel verschiedener Bewegungsmöglichkeiten, denen
ein so schwerfälliges Instrument wie das kollegialisch organisierte
Kabinettsministerium nicht folgen, denen es nicht gerecht werden
konnte.
Nur einige Wochen brauchte sich Schulenburg in der Kunst,
zu warten, zu üben; denn schon am 17. November beantragte
Reuß in Berlin die Fortsetzung der Verhandlungen über die
Allianz3). Wieder werden wir uns fragen müssen, ob diesem Zeit-
punkt besondere Bedeutung zukommt. Am 12. November hatte
Kaunitz einen Zirkularerlaß an die Gesandtschaften in Peters-
burg, Madrid, Berlin, Neapel und Stockholm, also an d i e Höfe
versandt4), die dem Plan einer Intervention in Frankreich mehr
oder weniger ihre Hilfe zugesagt hatten. In ihm hatte er wie
schon in dem vertraulicheren Erlasse an Mercy vom Tage vorher5)
infolge von Ludwigs Verfassungsannahme für die Folge das
Konzert der Mächte zu lediglich passiver Bedeutung bestimmt.
Nur die bedrohliche Haltung der Legislative veranlaßte ihn, es
nicht gleich als ganz aufgehoben zu bezeichnen. Er hoffte sie
durch seine Fortdauer doch in gewisse Schranken zurückweisen
zu können. Preußen stimmte dem selbstverständlich zu. Hier
also scheint mir kein Anlaß zu liegen, gerade jetzt die Verhand-
lungen über das Bündnis wieder aufzunehmen, wohl aber in einer
gleichzeitigen Weisung an den Grafen Ludwig Cobenzl nach
Petersburg, die energisch für die Anerkennung der neuen pol-
J) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß Nr. 23.
2) Vgl. auch B a i 1 1 e u in der Deutschen Rundschau Bd. 20 (1879),
S. 277.
3) Sybel II 171.
4) V i v e n o 1 1 Nr. 206, Nr. 204 und 207; vgl. Cl a p h a m 228—229.
5) V i v e n o t I Nr. 397; C a r i s i e n 92.
30 I. Abschnitt
nischen Verfassung eintritt1). Unmöglich konnte sich Kaunitz
verhehlen, daß Katharina einem erneuten derartigen Schritt
nicht günstig gegenüberstehen konnte2). Was lag nun näher,
als die neugewonnene Verbindung mit Preußen dazu auszunützen,
hier einen alten Wunsch der österreichischen Politik zu verwirk-
lichen, wozu sich jetzt so unerwartet die beste Gelegenheit ge-
boten hatte. Preußen ging sofort auf den österreichischen Vor-
schlag ein (20. November 1791), und dachte, dabei mancher
wichtigen Frage eine für Preußen günstige Lösung zu geben, da
Österreich seines Entgegenkommens bedurfte b). Es schlug die
Stipulierung einer vertragsmäßigen Hilfe von 20 000 Mann vor,
als Reuß danach fragte, d. h. 8000 Mann mehr als gewöhnlich
in solchen Verträgen festgesetzt wurde, die höchste Zahl, die
überhaupt vorkam. Das war ganz im Sinne des Königs, der
eher noch weiter gegangen wäre.
Aber der Wunsch von Kaunitz, im Westen den Frieden zu
erhalten, um im Osten sein Schäfchen ins Trockene zu bringen,
wurde durch das energische Vorgehen der Legislative undurch-
führbar. Als er am 20. Dezember von neuem auf den Abschluß
drängte, da hatte auch für ihn die französische Frage schon sehr
an Bedeutung gewonnen. Preußen sollte ihm helfen, die Jako-
biner durch gleichlautende Erklärungen einzuschüchtern, nötigen-
falls mit Waffengewalt; aber daß es dahin kommen würde, hielt
er für ganz ausgeschlossen. Friedrich Wilhelms Haltung ent-
sprach nach außen ganz den österreichischen Wünschen. Sein
Gesandter in Paris mußte eher noch schärfer auftreten trotz
dessen persönlichen Widerstrebens, als der österreichische Ge-
schäftsträger Herr von Blumendorff. Das fiel umsomehr auf,
als Leopold zunächst nicht als der mit Preußen verbundene Be-
herrscher Österreichs, sondern als Kaiser vorging. Aber das
Verhalten des preußischen Königs bereitete den Österreichern in
den Vertragsverhandlungen doch manche Sorge, da er sich
durchaus nicht zu der so heiß begehrten Garantie der neuen
polnischen Verfassung bereitfinden lassen wollte. Fallen ließ
zwar Österreich die polnische Frage durchaus nicht, sie sollte
im Vertrage im Sinne Österreichs geregelt werden, und gleich-
zeitig suchte man in Sachsen den Kurfürsten durch Landriani
•)VivenotI 208—209.
2) Beer 112 ff.
3) Ranke 115—117.
Preußen und Österreich bis Ende März 1792 31
zur Annahme der Krone zu bestimmen; würde sich Rußland der
Vereinigung dieser drei Mächte zu widersetzen wagen?1) Aber
nur die Notwendigkeit, Preußens gegen Frankreich sicher zu sein,
ließ die Österreicher zum Abschluß des Vertrages schreiten, ohne
die gewünschte Fassung des Polen betreffenden Artikels erlangt
zu haben. Ferner mußten sie darauf verzichten, bei inneren Un-
ruhen in Belgien, also gerade dem Lande, wo es am ersten dazu
kommen konnte, die Bundeshilfe von Preußen zu verlangen.
Beide Artikel berichtigten das Werk Bischoffwerders für Preußen
in sehr erfreulicher Weise. Der zweite erscheint mir deshalb be-
sonders wichtig, weil es sich damit der Teilnahme an einer Art
Exekution gegen widerspenstige Untertanen entzog, für den
Fall eines auswärtigen Angriffs aber sofort zur Stelle war2).
Jetzt nach dem Abschluß des Bundes konnte Leopold, auf
Preußen gestützt, noch kräftigere Drohungen als bisher an die
Franzosen richten3). Preußen seinerseits arbeitete an der Aus-
nützung der Allianz für den Krieg gegen die Revolution4), und
auch in die Öffentlichkeit sickerte von seiner derartigen Haltung
etwas durch5). Wollte es Österreich dafür gewinnen — eine
Kriegserklärung der Franzosen erwartete man ja nicht — so
mußte es schon besondere Anstrengungen in Wien selbst machen.
Leopold hatte den Wunsch ausgesprochen, den Freund Öster-
reichs, Bischoffwerder, nach dem Abschluß des Vertrages nach
Wien geschickt zu sehen0), um mit ihm die eventuellen Maßregeln
zur Verwirklichung des Konzertes, die er jetzt doch für möglich
hielt, zu besprechen. Diese Mission sollte nun für Preußen ein
Mittel werden, um Österreich auf der Bahn des Eingreifens in
1 ) V i v e n o 1 1 Nr. 219, 220, 221, 223 ; F.D.G. IV 400-403.
2) Ranke 117—123 und 277; S y b e 1 II 173—181; C 1 a p h a m 158.
3)HäußerI 335; Ranke 134.
4) Natürlich sagte es das seinen Vertretern an den Höfen außer Wien
nicht, und da findet man etwa Stellen wie folgende in dem Erlaß an Goltz
in Petersburg vom 5. Januar 1792: L' attention principale est maintenant
tournee du cöte de la France oü les demeles de Passemblee nationale avec
les princes refugies et avec ceux de 1' Empire qui protegent les emigre3 sont
encore dans les memes termes sans qu'on en viendra j'espere ä des ex-
tremites apres les declarations que le Comte de Goltz a ete chargees de
faire ä Paris en mon nom et auxquelles le ministre de l'Empereur aura
indubitablement recu ordre d'acceder (Rep. XI Rußland 133 A).
5) Politisches Journal 1792. Januar: Briefe aus Berlin 20. und 23. Ja-
nuar 1792; Februar: Briefe aus Berlin 10. und 18. Februar 1792.
6) Vivenotl 219, 230, 248, 266, 267; H.E.B. 149.
32 I- Abschnitt
Frankreich zu raschen energischen Taten fortzuziehen. Wir
müssen dabei noch etwas zurückgreifen und uns kurz Verhand-
lungen vergegenwärtigen, die zwischen Ludwig XVI. bezw.
seinem Bevollmächtigten Breteuil und Preußen stattgefunden
hatten.
Ludwig hatte am 3. Dezember 1791 auch nach Preußen ge-
schrieben, um es zur Teilnahme an einem bewaffneten Kongreß
zu veranlassen1). Erst sehr spät, am 12. Januar, erhielt Friedrich
Wilhelm den Brief. Er ließ sich aus seiner vorsichtigen Haltung
nicht herauslocken, die nach außen zu spielen er jetzt für nötig
hielt. Zwar antwortete er am 14., er sei zum Einschreiten bereit,
aber er fügte wieder die bekannten beiden Forderungen dazu:
der Kaiser muß vorangehen, deshalb will er sich mit ihm ins
Einvernehmen setzen, und er muß sich für die Ausgaben, die dem
Interesse seines Staates fremd sind, schon jetzt den Anspruch auf
spätere Entschädigung vorbehalten.
Selbstverständlich sprach er dabei nur von Geld2). Das er-
kannte Breteuil am 1. Februar als durchaus berechtigt an; nur
bat er um günstige Bedingungen für die Rückzahlung der Kriegs-
kosten. Er sprach die Hoffnung aus, daß Österreich mit dem
Kongreß nun endlich Ernst machen werde. In Berlin war man
dessen durchaus nicht so sicher, und Schulenburg gab nur die
Ansicht von Kaunitz weiter, wenn er am 13. Februar antwortete :
es sei nicht so eilig; ein Kongreß in Aachen bedeute nur eine
Gefahr für Ludwig, man müsse ihn in Wien abhalten. Das hieß :
es sollte nur ein diplomatisches, nicht auch ein militärisches
Manöver werden, w e n n es überhaupt dazu kam. Für die Ent-
schädigungen wünschte Schulenburg noch eine Ratifikation der
Versprechungen Breteuils, die ihm vorläufig genügten, von dem
König zu erhalten3). Hiernach mußte Breteuil diesen Sturm auf
Preußen als abgeschlagen ansehen. Er wandte sich erst wieder
Ende März mit einer besonderen Bitte an Preußen durch seinen
*) Schlosser V 324— 325; H äußer I 327—328; Sybel II
21—22; H.E.B. 127—128; Eanke 106 ff.; Feuillet IV 269 und
VI 15; Fersen II 11, 128—130, 144—145, 149—151 ; Ssolowjoff
365;Flammermont 1—16; S o r e 1 II 329 ff. ; H e i g e 1 I 467— i68
und. 523 ; A k e s o n 174 ff. ; C a r i s i e n 94.
2) H.E.B. 163—164.
3) Flammermont 16 — 17. Den dort fehlenden Schluß des Briefes
von Schulenburg an Breteuil vom 13. Februar 1792 siehe in Rep. XI 89
Frankreich. Secretissima.
Preußen und Österreich bis Ende März 1792 33
Vertreter, den Vicomte de Caraman, der sich Anfang Februar
nach. Berlin begeben hatte mit dem Auftrage, Preußen in seiner
Ludwig günstigen Gesinnung möglichst zu bestärken. Denn es
galt ihm als ausgemacht, daß Preußen sich nur mit Bedauern
der von Österreich angenommenen Haltung fügte1).
In der Tat dürfen wir die Absichten Preußens nicht in dem
Briefe Schulenburgs an Breteuil suchen. Nur nach außen gab
man vor, mit Österreich völlig einig zu sein, um sich nicht zu
kompromittieren, um sich nicht allein an die Lösung dieser Frage
zu machen2). Unter dieser Decke arbeitete man aber umso
eifriger an dem Zustandekommen kräftiger Maßregeln, bei denen
man für Preußen immer einen Gewinn herauszuschlagen hoffte.
Wir haben für diese Gesinnungen von König und Ministerium
ein unwiderrufliches Zeugnis in der Instruktion Bischoffwerders
vom 18. Februar, die er für die neuen Verhandlungen in Wien
erhielt. Noch war der Krieg nicht gewiß, aber Preußen wollte
ihn herbeiführen3).
Für Leopold war ein besserer preußischer Unterhändler nicht
denkbar. Das Ministerium konnte dieser neuen Mission, die ohne
sein Zutun versprochen worden war4), nur wenig erfreut gegen-
überstehen. Auf jeden Fall mußte der General eine genaue In-
struktion erhalten. Machte er dann wieder Seitensprünge, so
kam alles darauf an, ob der König ihm oder dem Ministerium
folgen würde; dies war jedenfalls gedeckt und suchte seine Stel-
lung noch dadurch zu verstärken, daß es Jacobi beauftragte,
alle an ihn gelangenden Weisungen auch dem Generaladjutanten
mitzuteilen, so wie sie ihm die an Bischoffwerder ergehenden
mitteilten. Das erste war doch eigentlich selbst verständlich ;
denn Bischoffwerder war besser als Jacobi in die Politik seines
Herrn eingeweiht. Er konnte also nichts Besonderes erfahren,
eher schon Jacobi. Es war nur eine Maßregel zur Aufrechterhaltung
der Einheitlichkeit der preußischen Politik5). Aber gleichzeitig
1) Flammermont 11—16; Fersen II 135; Sorel II 368.
2) H.E.B. 148—149.
3) Rep. XI 89 b Frankreich. Schulenburg: Schulenburg an Braun-
schweig 21. Februar; Braunschweig an Schulenburg 26. Februar; Rep. 92
Lucchesinis Nachlaß Nr. 37, Schulenburg an Lucchesini 27. Februar;
C 1 a p h a m 170, 203—204 und 233; C a r i s i e n 95.
4) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 37: Schulenburg an Lucchesini 31. De-
zember 1791.
3) Rep. I 169 die Minister an Jacobi 4. März.
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 3
34 I. Abschnitt
etwa erhielt er den Auftrag, unabhängig von Bischoffwerder über
alle Vorgänge zu berichten1), da nur der Vergleich der Berichte
von beiden Gesandten es erlaube, einen Schluß auf die wahren
Absichten des Wiener Hofes zu ziehen2). Wie berechtigt das
Mißtrauen des Ministeriums war, sollte sich bald zeigen.
Die Instruktion3) also haben wir diesmal als den Ausdruck
der Willensmeinung von König und Ministerium anzusehen4)
(von Alvenslebens persönlicher Stellungnahme sehe ich hier ab);
die sonstigen Äußerungen des Königs wie des Ministeriums
stimmen durchaus mit ihr überein. Sie bezieht sich fast aus-
schließlich auf die Intervention in Frankreich. Denn die Be-
merkungen über Polen sind nur gemacht zur Klarlegung des
preußischen Standpunktes, wenn die Österreicher darauf zu
sprechen kommen sollten, und das deutlich genug. Wir kennen
ihn bereits : Preußen wollte die neue Verfassung nicht schützen,
wollte Polen vielmehr vor allen Dingen schwach erhalten, lehnte
also die dauernde Verbindung von Sachsen und Polen ab.
Nur im Notfalle könne sich Preußen die augenblickliche
Verbindung gefallen lassen, da der Kurfürst von Sachsen bei
dem Fehlen männlicher Nachkommenschaft dann immer noch
der beste Kandidat sei5). Die Hauptforderung bleibt aber das
Einverständnis mit Rußland. Preußen hatte in diesem Augen-
blick bereits die Nachricht, die die Verhandlungen über die zweite
Teilung Polens in Fluß brachten0), d. h. Österreich stand in der
polnischen Frage allein, wie es das schon beim Abschluß des
Berliner Vertrages gefürchtet hatte. Auch in Dresden hatte
1 ) Er hatte sich am 6. März auf den Bericht von Bischoff werder be-
zogen, ebenso am 9. März.
2) An Jacobi 12. März.
3) Ranke 278—285; Sybel II 184—185; Hei gel I 502—503.
4) Der König hatte am 17. Februar an Schulenburg Fingerzeige für
ihre Anfertigung gegeben Rep. 96, 147 G. I F. S.A. Au Roi 18. Febr. Auch
von Braunschweig wissen wir, daß er in Potsdam einen Entwurf (Precis)
dazu gebilligt hat. Rep. XI 89 b. Schulenburg an Braunschweig 21. Febr.
5) Das war wohl eine weiter nichts besagende Höflichkeit gegenüber
den Österreichern und den Sachsen; Bischoffwerder reiste ja über Dresden.
6) Es verdient aber bemerkt zu werden, daß schon am 8. März, also vor
dem Eintreffen der entscheidenden zweiten Nachricht aus Petersburg
(vgl. unten), an Jacobi eine Weisung erging, aus der deutlich zu ersehen ist,
daß für Preußen das eigentliche Interesse war, das Zustandekommen der
neuen Verfassung mit ihrer besonders gefährlichen Bestimmung über die
Thronerblichkeit zu verhindern; es wagte nur nicht, offen dagegen auf-
zutreten, sondern versteckte sich hinter Rußland.
Preußen und Österreich bis Ende März 1792 35
Bischoffwerder das zu erklären. Es bedurfte aber kaum mehr
seines Mahnens, um den zögernden Kurfürsten vollends von der
Annahme des Danaergeschenkes der polnischen Krone abzu-
halten, da auch sein Vertreter in Warschau, Herr von Essen,
ihn über die wahre preußische Meinung unterrichtete, die die in
Dresden befindlichen Polen vergeblich zu verdunkeln suchten1).
Dieser Artikel der Instruktion betraf also lediglich eine Er-
klärung, die eventuellen Verhandlungsversuchen sofort ein Ende
machen sollte. Die übrigen waren der französischen Angelegen-
heit gewidmet. In zwei Sätze kann man ihren Hauptinhalt zu-
sammenfassen: Wenn etwas geschieht, dann soll es auch kräftig
sein, und für diesen Fall verlangt Preußen Entschädigung
für seine Kosten. Daß die Österreicher wirklich etwas tun
wollten, war den Preußen durchaus nicht sicher. Der Plan für
das zu errichtende Konzert war ja eben zwischen beiden Mächten
vereinbart worden, d. h. Preußen hatte die österreichischen Grund-
sätze durchaus angenommen und nur für die Aktion selbst in dem
unten angegebenen Sinne Änderungen vorgeschlagen, die Österreich
nur zum kleinen Teile genehmigte. Nun war aber das Zustande-
kommen des Konzertes durchaus nicht gesichert. Rußland,
Schweden und Spanien begünstigten die Emigranten, Österreich
wollte sie an der Intervention überhaupt nicht teilnehmen lassen.
Wie nun, wenn es zu keinem Konzerte kam? Österreich und
Preußen sollten sich nach dessen Ansicht auch für diesen Fall
einigen, und wenn etwas, so ist dieser Punkt charakteristisch
für den Wunsch Preußens, einzuschreiten. Denn war das
preußische Kabinett wirklich so friedliebend, wie man vielfach
angenommen hat2), so bleibt es völlig unerklärlich, warum es
die Bundesfreundlichkeit und die Selbst entäußerung so weit trieb,
den Österreichern auch für diesen Fall seine Hilfe zuzusichern.
Etwas anderes oder besser weniger kann ja der preußische
Antrag nicht bedeuten3).
In der Entschädigungsfrage machte Preußen jetzt schon ganz
bestimmte Vorschläge, auf die ich noch in anderem Zusammen-
hange zurückkommen muß4). Preußen will sich zwar mit Geld
1 ) Berichte Lucchesinis 4. und 28. Januar 1792 in Rep. 9, 27.
2) Ranke 145—153; Sybel II 172—192; Heigel I 535—536.
3) Vivenot I 263 und 279.
4) Hier möchte ich nur darauf hinweisen, daß ein leiser Nachklang
der patriotischen Begeisterung des deutsch-französischen Krieges Ranke
bestimmt zu haben scheint (S. 145 — 146 und 153), den preußischen Ent-
36 !• Abschnitt
begnügen, wenn es nur zu Rüstungen kommt; im Kriegsfalle
aber verlangt es Landbesitz: Jülich-Berg für Preußen, Elsaß-
Lothringen für Österreich bezw. Bayern und die kleineren Reichs-
fürsten. Vergegenwärtigen wir uns nun kurz die Tendenzen der
österreichischen Politik, um uns dann nach dem Ergebnis der
Mission Bischoffwerders und den Vorgängen zu fragen, die zur
französischen Kriegserklärung führten.
Wir sahen, daß am 12. November 1791 Kaunitz das Konzert
der europäischen Mächte zur Passivität gegenüber Frankreich
verurteilt hatte, wie aber Emigranten, Reichsfürsten und Legis-
lative, endlich das Vorgehen Marie Antoinettes ihm nicht lange
Zeit ließen, diese Ruhe zu genießen. Nach langen Vorbereitungen
beschloß endlich am 17. Januar eine Staatskonferenz in Wien,
die Aktivierung des Konzertes in die Wege zu leiten, wenn man
jetzt auch nicht mehr den König als nicht frei bezeichnen konnte
und die Forderungen auf einen erträglichen Zustand mit Hilfe
der neuen Verfassung beschränken mußte. Dieser Beschluß wurde
von Leopold bestätigt1). Das erste Erfordernis für die Durch-
führung dieser Maßregel war, die preußische Zustimmung zu ge-
winnen, und wir sehen hier, wieviel Wert Österreich auf den
raschen Abschluß der Allianz mit Preußen legen mußte. Dies
war in der Tat die einzige Macht, auf die sich Österreich im
Kampfe gegen die Revolution wirklich stützen zu können schien.
Denn mehr und mehr stellte es sich heraus, daß sein alter Bundes-
genosse Rußland in dieser Frage wieder einmal zum großen
Schädigungsansprüchen eine Richtung zu geben, die als national beab-
sichtigt erscheint. Er verkennt dabei, daß die Eroberung von Elsaß-Loth-
ringen für Preußen nur das Mittel war, um außer der Entschädigung der
Reichsfürsten auch die für Österreich und für Pfalzbayern zu erlangen,
damit Preußen Jülich und Berg erhalten konnte. Wir sehen hier, mit
welchen Schwierigkeiten eine Ausdehnung Preußens auf deutschem Gebiet
verknüpft war, eine Begleiterscheinung der Fürstenbundspolitik, die nicht
zu gering angeschlagen werden darf.
x) Gern gingen die Österreicher nicht an das Geschäft. So schreibt
Leopold an Reuß am 4. Januar (Vivenot I 219), die Nachrichten würden
wohl nichts anderes übrig lassen, als eine ernsthafte Partei gegen Frank-
reich zu ergreifen — und noch vorsichtiger am gleichen Tage Kaunitz an
Reuß (Vivenot I 221): Nötigenfalls muß dann die Existenz und der
Ernst des gemeinschaftlichen Konzerts durch angemessene Beweise (als
z. B. mittels eines gemeinschaftlichen Vereinigungsaktes, welcher die hypo-
thetischen Fälle der Realisierung des Konzerts eventualiter bestimmte)
öffentlich konstatiert werden. Vgl. auch L e n z in Preuß. Jahrb. 78, 302 ff. ;
Glagau 157—170.
Preußen und Österreich bis Ende März 1792 37
Ärger der Österreicher durchaus selbständig seinen Weg ging1).
Schweden, Spanien, Neapel, wohl auch Sardinien waren nun mit
Rußland in der Hauptsache einig, auf ihre Mitwirkung beim
Konzert, wie es Österreich plante, konnte also nicht gerechnet
werden, oder sie schadete mehr, als sie nützte. Von England,
Holland, Dänemark und den kleinen deutschen wie italienischen
Staaten war eine nennenswerte Hilfe von vornherein nicht zu
erwarten. Auf Preußen also kam alles an. War man mit diesem
einig, so war die Basis für das Konzert gegeben. Schlössen sich
1) Am 25. Dezember 1791/5. Januar 1792 schlug es im Einverständnis
mit Spanien den Mächten einen Plan vor, nach dem die Hauptaktion den
Emigranten zufallen, die Truppen der Mächte nur als Hilfskorps erscheinen
sollten. (Minnen ur Sveriges nyare Historia. Sambade af B. von Schinkel.
Bihang utgifvit af S. J. Boethius. Upsala I 138—143.) Die Pflicht Frank-
reichs, für die Kriegskosten aufzukommen, wurde darin als selbstverständ-
lich anerkannt — für Preußen ein Avichtiges Zugeständnis, auf das es sich
nachher oft beruft, bei dessen allgemeiner Fassung es sich aber vorläufig
beruhigt, da das weitere Sache späterer Vereinbarung sei. Von Polen
war auch hier mit keinem Worte die Rede. Preußen lehnte aber den russi-
schen Plan als Ganzes doch sehr höflich einfach mit der Bemerkung abr
daß es mit Österreich in Verhandlungen über das Konzert stehe und bald
nähere Mitteilungen werde machen können. Am 10. Februar tat Preußen
dann seinen Gegenzug (der König wünschte ausdrücklich, möglichst rasch
Goltz instruiert zu sehen : Cette instruction au Cte. Goltz etait tres necessaire
et je vous [die drei preußischen Kabinettsminister sind gemeint] la renvoie
de bonne heure pourqu'elle parte le plus tot le mieux) mit der Instruktion
von Goltz für gemeinsames Vorgehen mit Ludwig Cobenzl in der Konzert-
frage. Ja sogar wenn der Plan Österreichs nicht genau mit dem von Preußen
skizzierten übereinstimme, solle Goltz ihn unterstützen, da Österreich nur
so weit vorgehen werde, als die Vorsicht es erlaube. Als dies im Begriffe
war, seinen Plan nach Petersburg mitzuteilen, erhielt Goltz erneute An-
weisung in diesem Sinne (26. Februar cf. Vivenot I 263, vgl. an Goltz
1. März). Bis zum 12./13. April hat Österreich dann den Erlaß noch hin-
gezögert; der Tod Leopolds ist doch nur eine schwache Entschuldigung
für den fehlenden guten Willen (an Goltz 8. März, 13. und 18. April.
Bericht Goltz 9./20. April). An Preußen also lag es wirklich nicht, daß
der Versuch bei Rußland nicht eher gemacht worden ist (vgl. auch an Goltz
10. Februar, wonach er eventuell sogar ohne Instruktion mit L. Cobenzl
vorgehen soll). Goltz hielt allerdings bei Cobenzls Bestreben, der Verbin-
dung zwischen Österreich bezw. Rußland und Preußen zu schaden, ein ge-
meinsames Vorgehen nicht für ausführbar. Das Kabinettsministerium
tröstete ihn aber mit der Bemerkung, jener werde wohl gezwungen wer-
den, die Politik seines Hofes mitzumachen (Bericht 10. 21. Februar, an
Goltz 8. März). Vgl. Ostermann an Alopeus 25. Dezember 1791/5. Ja-
nuar 1792 (Auszug mit Beilage). F. S.A. Au Roi 19. Januar, Note für Alo-
peus (19. Januar), an Goltz 19. Januar, alles in Rep. XI, Rußland 133 A.
An Haugwitz 13. Juni 1792 in Rep. I 170.
38 I- Abschnitt
andere Mächte wenigstens äußerlich an, so reichte das für die
geplante Demonstration aus, und an einen Krieg glaubte man
ja noch immer nicht. Wenn nun aber das Konzert nicht zu stände
kam und der Krieg auch nicht von den Franzosen erklärt wurde,
dann konnte Österreich auf seine Bemühungen hinweisen und die
Schuld an dem Scheitern auf andere Mächte wälzen — ein sehr
wesentlicher Grund für die Österreicher, überhaupt den Versuch
zu machen, die Theorie des Gleichgewichtes der europäischen
Mächte und des allgemein geltenden Völkerrechtes praktisch
geltend zu machen1).
Preußen hatte nur geringe Ausstellungen an dem Plane zu
machen, den Reuß ihm auf Befehl vom 25. Januar vorzulegen
hatte. Sie lassen sich sämtlich aus dem Wunsche ableiten, ganz
und rasch das zu tun, was es überhaupt angreift, deshalb nicht
nur zu drohen, sondern auch die Mittel bereitzustellen, um der
Drohung eventuell sofort die Tat folgen zu lassen2) und sich Ent-
schädigungen zu sichern.
Dieser modifizierte österreichische Plan hatte in der Haupt-
sache folgenden Inhalt. Nach der Bildung des Konzertes der
europäischen Mächte sollte dies von Frankreich fordern: 1. die
Zurückziehung der drei Armeen von der Reichsgrenze, 2. die
Einsetzung der Reichsfürsten in ihre Rechte und Besitzungen,
3. die Rückgabe von Avignon und Venaissin an den Papst, 4. per-
sönliche Sicherheit der königlichen Familie, 5. monarchische
Regierungsform, 6. Gültigkeit aller Verträge3). Die Frage der
1 ) MaTtens, Traites-Russie VI 160. H.E.B. 158—161. Fersen
II 115—116, 118—127, 136—139, 146—149; Vi veno t I 262—264, 257.
Krieg gegen die Revolution I 52.
2) Preußen verlangte dementsprechend Erhöhung der Truppenzahl
von 40 000 auf 50 000 Mann, Vereinbarung über eine gemeinsame Deklaration,
der man — wie sich herausstellen sollte — eine übertriebene Bedeutung
beimaß, und über eine eventuelle Spaltung unter den am Konzert teil-
nehmenden Mächten. Vgl. H.E.B. 148 und 191. An wirklich kräftige
militärische Maßregeln dachten jetzt aber weder Preußen noch Österreich.
Wozu auch? An einen französischen Angriff glaubte man nicht, und wenn
er erfolgen sollte, so war die Furcht davor wirklich nicht besonders groß.
Sollte man sich endlich unnütz in Kosten stürzen, die man nicht zurück-
erstattet erhielt?
3) Preußen wollte hiervon Nr. 4 und 5 weglassen als gefähr lieh für
die königliche Familie, dagegen als Nr. 7 hinzufügen die Forderung, die
aufrührerischen Schritte der Jakobiner zu unterbinden, damit die Revolution
sich nicht auch auf andere Länder ausdehne (Preußen aber fürchtete
nichts für sich!). H.E.B. 161—163. Rep. XI Rußland 133 A. an Goltz
Preußen und Österreich bis Ende März 1792 39
Entschädigung für die Kriegskosten wollte Österreich von anderen
Mächten anregen lassen (man erwartete ein Vorgehen Preußens
in dieser Richtung), um seinem Vorgehen den Anstrich der Un-
eigennützigkeit geben zu können. Noch hoffte Österreich, seine
Forderungen lediglich durch politische Demonstrationen durch-
zudrücken, wollte aber eventuell auch militärische anwenden und
bestimmte dazu ursprünglich 40000 Mann, auf Preußens An-
regung 50 000, abgesehen von den in den Niederlanden befind-
lichen Truppen. Diese Zahl wurde so hoch gegriffen — so erschien
es wenigstens den deutschen Mächten — weil man damit die
anderen Mächte zu entsprechend hohen Leistungen heranzu-
ziehen hoffte, die Einschränkung ergebe sich bei der Realisierung
ja von selbst — wieder ein Beweis, wie bei dem Konzert alles auf
den Schein gestellt wurde. Nur die Absendung von 6000 Mann
nach Vorderösterreich wurde beschlossen; selbstverständlich
sollte nun Preußen auch so viel an den Niederrhein schicken1).
Die Verhandlungen über die Bildung des Konzertes versprachen,
eine lange Zeit in Anspruch zu nehmen2). Österreich durfte aber
so lange die Antwort auf die Forderung der französischen Regie-
rung vom 21. Januar und vor allem auf die scharfen Beschlüsse
der Nationalversammlung vom 25. Januar nicht aufschieben.
Sie wurde mit Preußen vereinbart3). Kaunitz ergriff die Gelegen-
heit, scharf gegen das Treiben der Jakobiner zu wettern und den
gutgesinnten Teil des französischen Volkes, der an der Verfassung
festhalte, seines Beistandes zu versichern. Sollte sich aber diese
Partei weiter die Herrschaft anmaßen und gar zum Angriff
schreiten, so drohte er mit der Intervention des europäischen
Konzertes4). Er ließ seinen Noten die weiteste Verbreitung geben,
10. Februar 1792. Kaunitz lehnte das ab, da die sechs Punkte nur die
Grundlage für das Konzert, nicht für die Deklaration sein sollten. Über sie
müsse man sich später einigen.
l] Vi veno t I 235, 240, 263.
2) Vi veno t I 262 und 263.
3) Johann August Reuß, Teutsche Staatskanzley Bd. 35
(Ulm 1797), S. 164. Allgemein war damals die Ansicht verbreitet, daß
Preußen sich von Wien aus leiten lasse. Correspondance diplomatique du
Baron de Stael-Holstein publ. p. L. Leouzon Le Duc. Paris 1881. Nr. 244
(26. Januar 1792). — A. Geffroy, Gustave III et la cour de France.
2. ed. (Paris 1867). II 463 ff.
4) Das war ganz im Sinne der Feuillants. V i v e n o t I 257, 258,
264; Ranke 134 ff. ; Lenz 309—310; G lag au 168—177; H.E.B.
157—158.
40 I- Abschnitt
um dadurch die gewünschte Einschüchterung der radikalen Partei
zu erreichen1). Gerade das Gegenteil davon trat ein. Nur mit
Worten, nicht mit Waffengewalt, hoffte er, das Ziel zu erreichen.
Gefahrdrohender als je erschien ihm und seinen Genossen ein
Krieg gegen die Revolution2).
Man sieht, die österreichischen Tendenzen waren von den
preußischen außerordentlich verschieden. Fragt man sich nun,
ob es Bischoffwerder gelungen ist, die preußischen Forderungen
ganz oder zum Teil durchzusetzen, so wird man mit einem Nein
beinahe in jeder Beziehung antworten müssen^). In der pol-
nischen Frage gab er den noch in Dresden festgehaltenen Stand-
punkt bei dem ersten österreichischen Ansturm preis. Ich glaube,
er hoffte durch diese Nachgiebigkeit in einer Sache, deren weit-
tragende Bedeutung er gar nicht zu erkennen schien, Österreich
zu Konzessionen in der französischen Frage herumzubekommen.
Aber der Erfolg entsprach dem nicht. Wohl ließen sich Kaunitz
und auch Spielmann zuerst allerlei Äußerungen entlocken, die,
verbunden mit der scheinbar etwas größeren Neigung des neuen
Königs, des späteren Kaisers Franz II., in den Krieg einzutreten,
gute Hoffnungen zu rechtfertigen schienen. Aber bald zeigte es
sich, daß alles nur Strohfeuer war. Die österreichische Politik
blieb im März in der Hauptsache dieselbe wie unter Leopold.
Bis Ende Mai haben wir immer noch trotz Bischoffwerders
mannigfacher gegenteiliger Äußerungen Kaunitz als ihren Leiter
zu betrachten. Preußen wünschte, daß die Einladungen, seinem
Bunde mit Österreich beizutreten, an England, Holland, Sachsen
und Rußland schnell ergingen. Österreich zögerte den Erlaß bis
Mitte April hin. Dasselbe geschah mit der Aufforderung, dem
geplanten Konzert der europäischen Mächte beizutreten. Mili-
tärische Maßregeln in preußischem Sinne wurden vor Bischoff-
werders Abreise noch nicht getroffen. Kurz, wohin man blickt,
es ist die alte österreichische Politik, die, wenn irgend möglich,
den Bruch mit Frankreich zu vermeiden sucht. Nun wird man
allerdings die Schuld an dem Scheitern der preußischen Pläne
nicht allein auf die Unfähigkeit von Bischoffwerder schieben
dürfen. Auch ein besserer Diplomat hätte sich wohl an der
Lösung dieser Aufgabe umsonst abgemüht. Ich möchte hier
1 ) C 1 a p h a m 230—231.
2) H.E.B. 152—156, 191—193, 196—200.
3) Clapham 239.
Preußen und Österreich bis Ende März 1792 41
nicht die Tätigkeit von Jacobi zum Vergleich heranziehen, da
er bei den Österreichern zu schlecht angeschrieben war, um wirk-
lichen Einfluß ausüben zu können1). Er war eigentlich doch nur
Berichterstatter, dies allerdings in bestem Sinne, ohne selb-
ständige Bedeutung. Wohl aber ginge es an, die Versuche von
Haugwitz, der ja manche Ähnlichkeit mit Bischoffwerder zeigt,
im Sommer und Herbst dieses Jahres mit dessen Tätigkeit zu ver-
gleichen. Namentlich für den November und Dezember wird
man doch Haugwitz die Anerkennung nicht versagen können,
daß er alles, was in seinen Kräften stand, für die Durchsetzung
der preußischen Forderungen getan hat. Trotzdem war der Er-
folg beinahe noch geringer als jetzt im März, da Österreich sie
zwar öffentlich genehmigte, geheim aber ihre Ausführung zu ver-
hindern suchte. Zu solchen Künsten brauchten die Österreicher
Bischoff werder gegenüber ihre Zuflucht jedoch nicht zu nehmen.
Er ließ sich leichter zu der Ansicht bringen, daß Österreich auch
für die preußischen Interessen sorge. Er erfaßte sie nicht scharf
genug in ihrer Eigenart und verstand es daher auch nicht, sie
im Kampfe mit gewandteren Gegnern zur Geltung zu bringen.
Für die österreichischen Rüstungen vor der französischen Kriegs-
erklärung, ja zum Offensivkriege gegen die Revolution im Bunde
mit Preußen, bevor sie in Wien bekannt wurde, scheint mir daher
die Tätigkeit Bischoffwerders von gar keiner Bedeutung zu sein.
Nur die Wahl des Herzogs von Braunschweig zum Oberbefehls-
haber über die Truppen beider Mächte erhielt die österreichische
Zustimmung durch seine Vermittlung. Ich wage nicht einmal,
ihm das als Verdienst anzurechnen. Vor allem — mochte diese
Tatsache nachher von so verhängnisvoller Bedeutung sein,
jetzt erschien die Nachgiebigkeit Österreichs doch nur als be-
deutungsloser Gefallen, den es dem hochgespannten Stolze Fried-
rich Wilhelms auf seine Armee erwies, und die Österreicher wie
den Herzog selbst werden wir bald am Werke sehen, sie in ihrer
Bedeutungslosigkeit zu kennzeichnen, diese noch zu vermehren.
Wir werden uns also auf einer anderen Seite nach Gründen oder
besser nach Anlässen für den Ausbruch des Krieges umsehen
müssen, und es kann kein Zweifel daran sein, woher der Anstoß
kam, von Frankreich selbst, und zwar auf doppeltem Wege,
öffentlich und geheim.
1) A. Beer, Joseph II., Leopold II. und Kaunitz, S. 378—379;
Ranke, Sämtliche Werke 47, 275; W i 1 1 i c h e n, Polnische Politik
27 und 102.
42 !• Abschnitt
3. Kapitel
Österreich und Frankreich im März und April
Die österreichische Note hatte den entgegengesetzten Erfolg
gehabt, als Kaunitz erwartet hatte1). Statt die Konstitutionellen
zu stärken und die Jakobiner zu schwächen, hatte sie den Sturz
des Ministeriums Delessart herbeiführen helfen. Delessart selbst
hatte zwar noch gleich am 1. März darauf geantwortet2) und die
Aufhebung des Konzertes verlangt, war aber sonst noch so ent-
gegenkommend wie möglich gewesen und hatte die für Frank-
reich verletzenden Bemerkungen der österreichischen Note bei-
nahe gänzlich totgeschwiegen. „Der König hat es mit der Würde
und der Unabhängigkeit der Nation für nicht vereinbar gehalten,
sich in Erörterungen über Gegenstände einzulassen, die nur die
innere Lage des Königreiches betreffen." Das war alles, was er
den Angriffen von Kaunitz auf die Jakobiner entgegenzusetzen
hatte. Dafür klammerte er sich an jedes Wort, das ein Entgegen-
kommen Österreichs verraten konnte. Er versprach die Erneue-
rung der Allianz ; sowie Österreich sich zur Abrüstung verpflichtet
habe, werde auch Frankreich alle kriegerischen Maßregeln ein-
stellen und rückgängig machen. Mit diesem Tone konnte er natür-
lich den Österreichern nicht imponieren. Kaunitz beharrte nur
umsomehr in seiner Richtung3). Er bezog sich am 18. März nach
einer scharfen Zurückweisung des ihm imputierten Vertrauens-
bruches durchaus auf seine vorige Note. Die Rüstungen in den
Niederlanden seien rein defensiver Natur und mit denen der
Franzosen gar nicht zu vergleichen. König Franz lasse sich dar-
über außerdem keine Vorschriften machen, was er für die Sicher-
heit seiner Staaten zu tun habe. Das Konzert könne er umso-
weniger auflösen, als er dazu der Zustimmung der Mächte bedürfe,
die jetzt kaum zu erlangen sein werde; denn die für seine Er-
richtung maßgebenden Gründe beständen noch ungeschwächt
fort. Und nun folgt ein Angriff auf die stets wachsende Wut der
Jakobiner, die alle gesetzliche Ordnung zu beseitigen trachteten,
1 ) Ranke 140 ff. ; G 1 a g a u 195 ff.
2) Vivenot I 287.
3) Ranke 151—152 und 167—168; G 1 a g a u 261—262; Vivenot
293.
Österreich und Frankreich im März und April 43
wie man sich ihn schärfer kaum denken kann. Der verständige
Hauptteil der französischen Nation werde selbst danach trachten,
sich der Tyrannei dieser Sekte zu entziehen und als trostreiche
Aussicht auf Unterstüztung das Bestehen eines Konzertes be-
trachten, dessen Ziele sein Vertrauen verdienten bei der wichtig-
sten Krisis, die jemals die gemeinsamen Interessen von Europa
betroffen habe.
Wir sahen schon, welche Absichten Kaunitz mit einer der-
artigen Sprache verfolgte. Aber hatte er bisher wenigstens noch
das französische Ministerium auf seiner Seite gehabt, so verlor
er jetzt auch diesen Vorteil, das neue stand durchaus im revo-
lutionären Lager. Am 15. März übernahm Dumouriez die Ge-
schäfte des Ministeriums des Auswärtigen. Man hat wohl ver-
sucht, sein Vorgehen aus seiner Vergangenheit zu erklären, und
darin die Politik eines Abenteurers sehen wollen, der daran
scheitert, daß er die Revolution vom Standpunkte des ancien
regime beurteilt — wie mir scheint, mit Unrecht. Gerade hier
zeigt sich deutlich, wie die Lage die persönlichen Ansichten be-
herrscht , verändert. Wenn seine politischen Ansichten ebenso
rasch wechselten wie die Farbe eines Chamäleons, so erklärt sich
das daraus, daß sie ihm nicht das Wesentliche, nicht Herzens-
sache, sondern nur Mittel waren, um an das Ziel zu kommen, zu
einer starken französischen nationalen Monarchie, in der er eine
leitende Stellung eingenommen hätte. Sein Scheitern hat wohl
hauptsächlich zum Grunde, daß er einen starken Monarchen
brauchte, der ihm völlig vertraute, und daß er der Revolution
Grenzen setzen, sie eindämmen wollte1).
Mirabeau nämlich sollte recht behalten mit seiner Prophe-
zeiung, daß ein jakobinisches Ministerium selbst die Schwäche
der königlichen Gewalt erkennen, seinen einseitigen Parteistand-
punkt aufgeben werde2). Schon am 18. März erging eine Note
des neuen Ministers, die zwar nicht so klar und selbstbewußt,
wie man bisher angenommen hat, aber doch energischer als die
letzten Delessarts, verlangte, Österreich solle seine Rüstungen
einstellen ; dann werde auch Frankreich seine Heere zurückziehen ;
die deutschen Kleinstaaten würden dem Beispiel der großen
folgen müssen ; die Emigranten würden sich zu zerstreuen genötigt
*) S o r e 1 II 403 — 408, vgl. damit Sorel in Revue des deux mondes
64 (1884) 302 ff. ; C h u q u e t, Valmy 9—23.
2) S o r e 1 II 40; G 1 a g a u 241—242.
44 I- Abschnitt
werden; über die Schadloshaltung der geschädigten deutschen
Reichsfürsten könne man sich friedlich einigen, und das Konzert
würde dann von selbst zu bestehen aufhören, da es keine Auf-
gabe mehr hätte. Österreich würde auch bei dem Versuche, es
ins Leben zu rufen, zu seinem Schaden merken, daß es selbst
isoliert sei. Das sind Ansichten und Vorschläge, die man als
friedlich anerkennen muß. Selbst die Zurückweisung der Ein-
mischung der Mächte in das innere Leben der französischen
Nation ist nicht so scharf, wie man annehmen sollte. Kurz,
diese erste Kundgebung ist alles andere als ein Kriegsmanifest,
als ein Ultimatum, und über den eventuellen Krieg spricht er
sich darin nicht etwa siegessicher aus. Er sucht nur den Beweis
dafür zu erbringen, daß Österreich in jedem Fall Nachteil habe,
ob es nun siege oder geschlagen werde. Das alles wird ruhig,
aber ohne Furcht und ohne das scheinbare Verlangen, sich zu
entschuldigen, auseinandergesetzt und paßt durchaus zu Du-
mouriez' Worten in der Nationalversammlung, in denen er
Kaunitz' Apostrophe an den vernünftigen Teil der Nation mit
den Worten zurückwies, sie gehe wohl nur die Aristokraten etwas
an ; denn man könne nicht glauben, daß ein Franzose den Landes -
feind unterstützen werde1).
Diese Note kreuzte sich mit' der am 18. März von Wien er-
lassenen. Dumouriez und die Nationalversammlung wollten aber
die Antwort abwarten, die Österreich auf seine Noten geben
werde. Er hatte ja am 27. März der ersten eine neue folgen lassen,
die nun schon einen wesentlich schärferen Ton anschlug und bis
zum 15. April den Verzicht auf das Konzert verlangte; der Zu-
sammenhang mit dem Beschluß vom 25. März, den Krieg zu
%) S y b e 1 II 79—80; Ranke 154; G 1 a g a u 262—264; Häußer
I 339—340; S o r e 1 II 402 ff.; C 1 a p h a m 192—193; F e u i 1 1 e t V 332
und. 468 — 469 ; L e s c u r e, Corr. secrete II 586. Vgl. auch Dumouriez'
Memoiren II 142 — 143, wo er diesen Punkt durchaus richtig darstellt,
aber gleichzeitig nachzuweisen versucht, er habe damals besonderen Wert
darauf gelegt, einen Krieg mit England zu vermeiden. Er sprach in seiner
Note in der Tat davon, aber immer nur nebenher, wie sich das auch in
einem nach Wien gesandten Schriftstück gehörte. Mochte er es in der nach
London gerichteten Depesche stärker betonen, die Hauptsache war damals
die Vermeidung des Krieges mit Österreich. Von England fürchtete er nicht
so sehr eine Teilnahme am Kriege, als er vielmehr versuchte, es für Frank-
reich zu gewinnen, womöglich ein Bündnis mit ihm zu schließen. Man
erkennt deutlich die Tendenz, den Jakobinern ihre Schuld an dem Kriege
mit England vorzuwerfen.
Österreich und Frankreich im März und April 45
eröffnen, ist augenscheinlich1). Der französische Vertreter in
Wien, Noailles, war nun aber nicht der Mann, sein Auftreten
dem Tone derartiger Noten anzupassen. Er suchte einen Bruch
möglichst zu verhindern und brachte seine Aufträge zaudernd nur
mündlich vor mit der Anfrage, ob Österreich seiner Note vom
18. März, die in Paris noch nicht bekannt gewesen sei, noch etwas
hinzuzusetzen habe. Er erhielt darauf die Antwort: Nein2).
Diese Ablehnung entschied in Paris für die Kriegserklärung,
deren Einzelheiten ich hier übergehen kann. Es blieb den Fran-
zosen kein anderer Ausweg, wenn sie nicht die wichtigste Er-
rungenschaft der Revolution, das Recht der nationalen Selbst-
bestimmung, preisgeben wollten. Sie und ihre Gegner verstanden
sich nicht mehr, sie atmeten gleichsam in verschiedenen geistigen
Atmosphären3). Aber von Überstürzung, besonderer Begeiste-
rung oder dem Wunsche, für eine bestimmte Idealverfassung
Propaganda zu machen, war bei diesem Beschluß, wenn über-
haupt, wohl nur bei wenigen Leuten die Rede, jedenfalls nicht
bei der Regierung J). Ja, es fanden sich sogar sieben Abgeordnete,
die dem Beschluß teils nur bei der Abstimmung, teils aber auch
in längerer Rede zu widersprechen wagten, mit Gründen, deren
schwerwiegende Bedeutung allen bekannt war. Man setzte sich
trotzdem darüber hinweg und glaubte dabei wie Friedrich der
Große zu handeln, als er 1756 seinen Gegnern mit dem Angriff
zuvorkam, um sich für den Krieg entscheidende Vorteile zu
sichern5). So trifft denn tatsächlich auf die meisten Franzosen das
*) Ich vermag nicht genau festzustellen, was bei Dumouriez den
Entschluß zur Reife gebracht hat, den Angriff vorzubereiten und Österreich
zu überrumpeln. Waren es die besonders von Biron vorgespiegelten gün-
stigen Aussichten ? War es eine Meldung aus Wien oder Brüssel über das
kriegerische Auftreten von Franz — relativ zu nehmen gegenüber der
Haltung Leopolds — oder war es endlich die Rücksicht auf die innere Lage,
die ihm eine Versöhnung als ausgeschlossen erscheinen ließ? (Vgl. auch
de la Rocheterie et de Beaucourt, Lettres de Marie Antoi-
nette II 391—392). Lescure, Corr. secrete II 571, 585, 587—589;
Clapham 194—195.
2) S o r e 1 II 425—429; V i v e n o t I 306—307.
3) Bacourt-Städtler III 319; Ranke 141, 150, 157—158;
G 1 a g a u 265—273.
4) Häußer I 340 und 344; S y b e 1 II 83; Ranke 170—171 ;
Sorel I 15.
5) D u m o n t, Souvenirs sur Mirabeau 417 — 418; Sorel I 29 — 30,
II 361; Glagau 93.
46 !• Abschnitt
Wort Marie Antoinettes zu: „Sie sind unverschämt aus über-
großer Furcht"i).
Ich verkenne dabei durchaus nicht, daß auch andere Strö-
mungen in der Nationalversammlung vertreten waren, wie die
idealistische durch Condorcet, die fanatisch aggressive durch
Merlin, die friedlich radikale durch Robespierre. Dumouriez war
durchaus nicht sicher, daß die Nationalversammlung nach seinem
Vorschlag den Krieg beschließen werde2). Aber für die Masse
trifft die oben gegebene Charakteristik sicher zu, noch mehr für
das Ministerium, und dessen Absichten zu erkennen muß ja stets
die erste Aufgabe sein. Es beantragte selbst den Krieg, den es
nicht mehr mit Ehren vermeiden zu können oder zu dürfen
meinte3). Selbst eine so eifrige Vertreterin der Revolution wie
Madame de la Dröme, deren Briefwechsel gedruckt vorliegt, so-
weit er erhalten ist (wir haben leider eine große Lücke für den
Winter 1791 92 zu beklagen), vermag sich mit dem Kriege nicht
zu befreunden. Wir finden bei ihr viele Argumente Robespierres,
so, daß ein Krieg die innere Entwicklung beeinträchtigen würde.
Dazu fürchtet sie den Verrat der Generale und die Anstrengungen
der Mächte, über die sie sich im August des vorigen Wahres so
leicht hinweggesetzt hatte, weil Frankreich damals einig zu sein
schien. Nur ihr unverwüstlicher Glaube an den Sieg der Revo-
lution hilft ihr über diese schweren Stunden hinweg4). Dabei ist
aber eins zu erwägen. Nicht eine militärische, sondern eine poli-
tische Notwendigkeit trieb Dumouriez in den Krieg. Daß er
militärisch der Angreifer gewesen ist, steht außer Zweifel.
Ich habe davon noch zu sprechen6).
Nur eine Frage haben wir hier noch zu erörtern : Glaubte man
in Wien noch an die Erhaltung des Friedens, als man an Noailles
die erwähnte Antwort gab? Mir scheint: Nein.
1 ) S o r e 1 II 365; Arneth, Marie Antoinette 244.
2) Le duc de Lauzun publ. par Serignan 242.
3) Sorel II 319—320 und 433; Glagau 90 ff.
4) Journal d'une bourgeoise ed. Lockroy, Paris 1881, 29 — 43, 68 — 70.
Vgl. ähnliche Äußerungen von anderem Parteistandpunkte aus bei V a i s-
s i e r e 416, 424, 428, 430, 502.
6) Vgl. Rep. 96, 147 G. I S. Au Roi 25. April 1792 ... Ces gens veulent la
guerre et ne la veulent pas, ils la desirent pour se tirer d'affaires et la craig-
nent tout ä la fois, ils poussent donc le temps avec les epaules esperant
que quelque evenement les tirera de l'incertitude oü ils se trouvent sur
ce qu'ils doivent faire. Ebenso dachte Reuß: Rep. I 171, Reuß an Schulen-
burg 29. April 1792.
Österreich und Frankreich im März und April 47
II.
Denn auf geheimem Wege war in Wien bereits die Nachricht
eingetroffen, Frankreich denke nicht nur an die Kriegserklärung,
sondern auch an sofortigen Einfall in das Reich; ja es war sogar
schon von einem Einfall in die Niederlande die Rede. Der letztere
konnte bei der dort herrschenden Gärung die schlimmsten Folgen
haben, und jetzt rächte sich die abwartende Haltung Leopolds,
der ja für die Stärkung seiner militärischen Stellung in den
Niederlanden so gut wie gar nichts getan hatte. Man fühlte sich
fast wehrlos einem Einfall preisgegeben, als die Nachricht kam,
die Franzosen beabsichtigten ihn1).
Am 9. März hatte Fersen auf die Nachricht vom Tode Leo-
polds der Königin empfohlen, an Franz zu schreiben, um ihn in
seinem Kriegseifer, der zweifellos vorhanden sei, zu bestärken,
gleichzeitig aber einen offiziellen Brief in dem üblichen Tone ab-
zuschicken, um jeden Verdacht zu vermeiden2). Das französische
Königspaar zog es jedoch vor, seinem Boten, Baron Goguelat,
der bei Varennes im Dienste des fliehenden französischen Königs-
paares zweimal verwundet worden war und nach der Annahme
der Verfassung, die seine Befreiung aus dem Gefängnis in sich
schloß, ziemlich oft zu derartigen Diensten gebraucht wurde, nur
einen kleinen vom 13. März datierten Beglaubigungszettel mit-
zugeben, ihn im übrigen mündlich zu instruieren und noch an
Breteuil zu verweisen3). Erst am 15. scheint Goguelat von Paria
abgereist zu sein. Er ging zur Sicherheit über England nach
Brüssel, wo er am 23. Mittags ankam und mit Fersen, Breteuil
und Mercy Besprechungen hatte. Am 25. Mittags ein Uhr reiste
er nach Wien weiter, wo er am 30. März mit Philipp Cobenzl
sprach, nachdem er bei Franz gewesen war4). Jener erstattete
am 30. selbst noch seinem Herrn Bericht darüber. Es war das
alte Lied, das er zu hören bekommen hatte. Marie Antoinette
verlangte rasche Hilfe durch die Mächte, zunächst durch Öster-
reich und Preußen, deren Truppen noch vor der geplanten Er-
x) Zeißberg, 2 Jahre, 70 ff.
2) F e r s e n II 11 und 202—203; Zeißberg, 2 Jahre, 4—7.
3) F e r s e n II 13—14; A r n e t h 258—259; Flammermont20;
Ranke 166—167; Sorel II 330—331 und 401—402; Memoire de
Goguelat (1823) 32 — 35; G 1 a g a u 245; Memoires de Madame de Campan
II 200.
4)VivenotI 302.
48 I. Abschnitt
klärung der am Konzert teilnehmenden Mächte am Rhein auf-
marschieren sollten, aber mit Ausschluß der Emigranten. Nur
dann werde sich die Masse der französischen Bevölkerung an den
König anschließen, um die Verfassung zu erhalten. Sie billigte
ausdrücklich die Note vom 17. Februar mit ihrem Versprechen,
die Verfassung nicht anzutasten, und ihren Ausfällen gegen die
Jakobiner, die allgemein verhaßt seien. Sie hätten ja die Absicht,
den Thron umzustürzen und den Krieg in Sardinien und am
Rhein zu beginnen; aber diesem Plane Luckners würden sich
wohl Rochambeau und Lafayette widersetzen. Rochambeau
fürchte die österreichische Armee in den Niederlanden, denke
daher dort an keinen Einfall, und Lafayette wolle sich nicht weit
von der Grenze entfernen, um sich rasch des Königs bemächtigen
zu können.
Noch war Franz nicht bereit, sich auf kriegerisches Eingreifen
einzulassen, wie die Antwort an Simolin beweist, der schon am
1. Februar von Marie Antoinette bei ihrem Bruder Leopold be-
glaubigt worden war1) und am 25. einen ähnlichen Auftrag an
ihn auszurichten gehabt hatte wie jetzt Goguelat. Sie erging erst
in diesen Tagen, durch Kaunitz noch besonders verzögert, und
war ganz nichtssagend; ja sie eröffnete mit der Versicherung,
Franz wolle ganz in den Bahnen von Leopold wandeln, geradezu
schlechte Aussichten2). Goguelat wurde noch hingehalten. Der
Grund scheint mir darin zu liegen, daß die französischen Kriegs-
pläne zwar als von den Jakobinern beabsichtigt bezeichnet
worden waren, daß aber Marie Antoinette noch nichts Bestimmtes,
nichts Beschlossenes hatte mitteilen können, da erst am 15. März
Dumouriez' ministerielle Tätigkeit begann, und der Angriff sollte
ßich gegen Sardinien und das Gebiet rechts des Rheins richten.
Wohin hier der Stoß bestimmt war, blieb unbekannt; am nächsten
lag ein Vorstoß von Straßburg, wo der alte Luckner alle mög-
lichen, mitunter komisch anmutenden kriegerischen Anstalten traf 3 ) .
1 ) A r ne th 243—244 und 260—261 ; A. B e e r , Joseph IL, Leopold IL
und Kaunitz 427—428; Feuillet V 308 ff.; Fersen II 230—231 ;
Flammermont 24; G 1 a g a u 167 — 168. Rep. I 169 Berichte Jacobis
28. und 31. März.
2) Es bleibt fraglich, ob Simolin schon am 30. März die Antwort er-
halten hat. Ich möchte auch auf das Zusammenfallen mit der Audienz
von Goguelat kein Gewicht legen, da die Antwort schon eher beschlossen
worden war.
3) Zeitschrift für Geschichte des Oberrbeins, Neue Folge Bd. 22 (1907),
-336—339.
Österreich und Frankreich im März und April 49
Jedenfalls schienen die Niederlande noch nicht ernstlich bedroht
zu sein — eine wichtige Feststellung. Wohl aber wurde nun der
erste Schritt dazu getan, das Konzert zu verwirklichen, was auch
schon der Sturz des Feuillantministeriums hatte geraten erscheinen
lassen1). BischofEwerder erhielt das Zirkular an die Mächte am
3. April Abends kurz vor seiner Abreise.
Aber bald hörte Franz von Marie Antoinette durch Mercy
und vielleicht auch durch Metternich, daß das Ministerium die
Pläne der jakobinischen Partei zu den seinigen gemacht habe.
Gerade der Angriff auf die Niederlande wurde jetzt proklamiert;
wir dürfen ja Lüttich hier mit den Niederlanden als eins be-
trachten2). Am 1. April gab Mercy die Mitteilungen der Königin
vom 26. März nach Wien weiter, Metternich andere wesentlich
gleichen Inhalts schon am 30. nach Berlin. Sie scheinen dem Faß
den Boden ausgeschlagen zu haben, ohne sie hätte sich Österreich
wohl nie zu energischen Maßregeln bestimmen lassen3). Auch
jetzt erst, d. h. am 10. April, läßt sich aus Jacobis Depeschen
eine Änderung der österreichischen Politik herauslesen4). Jetzt
1 ) V i v e n o t I 300.
2) S y b e 1 II 69 und 76; H e i g e 1 I 529—530; A r n e t h 259—260;
Flammermont 23; Dumont, Souvenirs sur Mirabeau 411 — 413;
G 1 a g a u 310. Der Beschluß des französischen Ministerrates vom 25. März,
den Marie Antoinette am 26. weitergab, scheint also nur dem Beschluß
der Girondisten das Siegel aufgedrückt zu haben.
3) Rep. 1171 Metternich an Reuß 30. März. Rep. 1 172, S. AuRoi 5. April:
que sans cet evenement la Cour de Vienne n'aurait jamais rien fait et
que d' apres la politique ordinaire eile gagnait du temps en donnant des
esperances qu'elle ne voulait jamais realiser, und an Bischoffwerder 5. April;
vgl. Ranke 288—289; Vi veno t I 320—321.
*) Ich wage es nicht, die Antwort Philipp Cobenzl's an Noailles vom
7. April auf die Nachricht von den französischen Angriffsplänen zurück-
zuführen. Sie erklärt sich auch so zur Genüge aus der Unmöglichkeit
für Österreich, seine Stellung zu verlassen, ohne seine ganze bisherige
Politik preiszugeben, obwohl Kaunitz zu erkennen schien, daß seine
Politik den neuen Anschauungen gegenüber Schiffbruch erlitten hatte;
ferner aus der Bitte von Noailles selbst um eine mündliche Antwort.
Wenn Franz auch am 7. an Hohenlohe schreibt (Vivenot I 308),
die Franzosen könnten unsinnig genug sein anzugreifen und in Nieder-
lande oder Reichsgebiet einzufallen, so glaubt er an diese Möglichkeit
wohl noch weniger als Duminique, von dessen Vorschlägen für diesen
Fall Jacobi am gleichen Tage berichtet. Erst am 10. erfuhr Jacobi von
Goguelat und dem französischen Angriffsplan, und am 11. weiß er zu be-
richten, Kaunitz spreche davon nach Meldungen aus Frankreich und den
Niederlanden.
Hei dr ich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 4
50 I- Abschnitt
erhält am 9. April Goguelat seine Antwort1), am 10. erfährt
Jacobi von dessen Mission, am 12. begann Österreich mit der
Einladung der Mächte zum Konzert2) und zu der österreichisch-
preußischen Allianz, aber am 12. übersandte es auch seinen
polnischen Plan nach Petersburg3); am 13. endlich wurden die
ersten Rüstungen beschlossen, da man die französische Kriegs-
erklärung oder den Angriff stündlich erwartete4) und sich freute,
daß nun wenigstens die Franzosen die Angreifer sein würden.
Nun hat man wohl davon gesprochen, daß Österreich jetzt
auf den preußischen Offensivplan eingegangen sei und seine
Defensivmaßregeln nur durch die allgemeine Ungunst der Lage
veranlaßt worden seien; wenn die Truppen sich an Ort und Stelle
befänden, sollten sie offensiv vorgehen 5). Weder die bekannten
österreichischen Akten noch die Berichte des preußischen Ge-
sandten können zur Begründung dieser Ansicht herangezogen
werden. Besonders das Protokoll der Konferenz vom 13. April
beweist das, trotz des scheinbaren Eingehens auf den Offensiv-
plan des Herzogs von Braunschweig, der die Sammelpunkte der
Truppen ja auch so schön passend für die Verteidigung der öster-
reichischen Landesteile festgesetzt hatte. Denn wie soll man
ernstlich gemeinte Angriffsabsichten mit der Tatsache vereinigen,
daß die ersten 15 000 Mann spätestens in einem Monat abgehen
sollten, die übrigen, wenn sie marschfertig seien? Drei Monate
sollten also noch vergehen, ehe der erste Bruchteil aktionsbereit
an der Grenze war, und über den Zeitpunkt, an dem die ganze
Armee kampffertig sein werde, war man stillschweigend hinweg-
gegangen. Ferner sollten die in den österreichischen Vorlanden
befindlichen Truppen und die auf dem Marsch befindlichen
6000 Mann, die Anfang Mai dort ankamen6), auf die von Preußen
ausbedungenen 50 000 Mann voll in Anrechnung kommen. Nun
1 ) F 1 a m m e r m o n t 24: Fersen II 233. Bericht Jacobis 10. April
(H.E.B. 210—211).
2) Der Kurier ging jedoch erst am 13. Abends ab und nahm noch das
Protokoll der Konferenz vom 13. mit (P.S. zum Bericht Jacobis vom
14. April). S y b e 1 II 83 verschiebt die Chronologie und kommt damit zu
unhaltbaren Anschauungen.
3) Vivenot I 311—314.
i) Vivenotl 313.
5) S o r e 1 II 426 — 427. Krieg gegen die Revolution I 59. G 1 a g a u
257 ff. Jacobis Bericht 14. April mit P.S. (cf. H.E.B. 211—212 und Rep.
I 169). C 1 a p h a m 196 und 204. Vgl. auch C a r i s i e n 96.
6) Krieg gegen die Revolution II 8.
Österreich und Frankreich im März und April §\
hat aber die Erfahrung nur zu gut bewiesen, daß Österreich nicht
daran dachte, seine Grenzländer ganz von Truppen zu entblößen.
Schon hiernach wäre also die österreichische Armee weder voll-
zählig noch an einem bestimmten Termin zur Stelle gewesen.
Was sollte nun Preußen inzwischen tun? Man forderte die ge-
naueste Reziprozität, die sich wieder einmal als völlig ungerecht
erwies. Da die österreichischen Truppen in den Niederlanden
auf die 50 000 Mann nicht in Anrechnung kamen, sollte Preußen
die seinigen in Westfalen auch nicht mitrechnen. Vergeblich
sucht man nach einem stichhaltigen Grund dafür. Denn es ist
klar: die österreichischen Niederlande bedurften einer starken
Besatzung nicht bloß zur Verteidigung gegen einen Angriff der
Franzosen, sondern auch zur Niederhaltung der Bewohner, die
man wirklich nicht als gut österreichisch gesinnt bezeichnen dürfte.
Der Streit der Brabanter Stände mit dem Statthalterpaar spricht
allein schon deutlich genug dagegen. Es ist der alte ständische
Partikularismus, der sich darin zeigt. Ich leugne nicht, daß es
eine österreichische Partei gab, aber ebenso sicher gab es eine
starke französische, und sie überwog mit dem Rückhalt an Frank-
reich stark die erstgenannte. War nun aber in Westfalen auch
ein Einfall der Franzosen oder gar Aufruhr zu besorgen? Keines
von beiden kam überhaupt in Frage. Im Herbst 1792 ist es ja
wohl anläßlich des Einfalls von Custine zu einigen Unruhen ge-
kommen (man sprach damals ja sogar von dessen Einmarsch in
Berlin, aber was faselte man damals nicht alles). Es zeigte sich
rasch, daß sie doch keinen Grund in dem Volke hatten; es bedurfte
keiner großen Anstrengungen, sie niederzuwerfen. Von einem
Einfalle der Franzosen konnte im Frühjahr noch weniger die
Rede sein. An den Franzosen — welcher Partei sie angehören
mochten, ist dabei völlig gleichgültig — lag es wahrhaftig nicht,
wenn Preußen nicht ihr Bundesgenosse oder wenigstens neutral
war.
Weshalb stellte dann aber Österreich seine Forderung? Die
Reziprozität konnte es, ganz abgesehen von allem anderen, doch
nur mit ziemlich künstlicher Auslegung des Sachverhaltes zur
Begründung heranziehen. Denn die österreichischen Truppen in
Vorder Österreich wurden jetzt doch darauf angerechnet. Nur
eine Erklärung hilft weiter : Österreich wollte die preußischen
Truppen so rasch und so stark wie möglich zur Verteidigung
von Luxemburg, Lüttich und damit der Niederlande überhaupt
heranhaben wegen des drohenden französischen Angriffes, zu
52 I- Abschnitt
dessen Abwehr neu abgesandte österreichische Truppen selbst-
verständlich zu spät gekommen wären1). Sollte der Versuch aber
auch fehlschlagen, so stellten jene Truppen immer eine Reserve
dar, auf die Österreich zu seinem Vorteil stets wollte zurück-
greifen können. Vorläufig aber versuchte man mit allen Mitteln,
sie für die Niederlande zu erhalten. Das war ja nun bloß als zeit-
weilige Verwendung bezeichnet, sowie auch die der ersten öster-
reichischen Truppen in den Vorlanden zu den dringlichsten Ver-
teidigungsmaßregeln. Aber von einer Beendigung dieses Zu-
standes und von den ihm folgenden offensiven Maßregeln war
keine Rede. Man schwieg sie einfach tot. Wenn Preußen den
Plan annahm, hatte Österreich eine Verwendung der preußischen
Truppen erreicht zu lediglich österreichischen Zwecken unter der
Maske durchaus bundesmäßigen Vorgehens.
Dazu proklamierte Österreich nun in einem Zirkularerlaß2),
bis zum Zustandekommen des Konzertes seien alle österreichi-
schen Maßregeln rein defensiv. Wenn Reuß auch erklärte, das
sei nur die auf die anderen Mächte berechnete Erklärung, sie
tue den preußisch-österreichischen Abmachungen keinen Ab-
bruch3), so wird man es doch Preußen nicht verargen können,
wenn es sich an die offiziell bekanntgegebene österreichische
Politik hielt, mit der die tatsächlichen Maßregeln völlig überein-
stimmten, und nicht an eine geheime Erklärung, die bisher noch
keine Folgen gezeitigt und deren Erlaß bei Österreich durchzu-
setzen große Mühe gekostet hatte, wie Preußen sehr wohl wußte.
Eins aber dürfen wir dabei nicht vergessen: Böser Wille war
es bei Österreich nicht, sondern in gewisser Weise der Zwang der
Umstände, der sie dazu trieb, ein so verstecktes Spiel mit Preußen
zu treiben. Sie glaubten nicht anders handeln zu können schon
aus Mangel an Mitteln und um nicht in eine Richtung hineinzu-
geraten, die sie von ihren Zielen ganz abzog4). Nur die äußerste
Not hat also die Österreicher veranlaßt, kriegerische Maßregeln
vor der französischen Kriegserklärung zu treffen. Nur zur Ver-
teidigung, besonders der Niederlande, traf man sie, in der be-
stimmten Annahme, sie würden zu spät kommen, und man werde
die Niederlande eventuell zurückerobern müssen. Wenn die An-
x) Berichte Jacobis 11. und 14. April.
2) Vivenotll 405 und 406, auf den 12. — 28. April zu datieren.
3) Vi veno t I 317.
4) Berichte Jacobis 14. April und P.S. zum 18. April.
Die Offensive von Preußen und Österreich 53
gäbe Dumouriez'1) richtig ist — und ich sehe keinen Anlaß,
daran zu zweifeln2) — so hat Österreich selbst noch in dieser
Zeit einen letzten Versuch gemacht, durch die geheime Sendung
eines geschickten Mannes von Brüssel nach Paris den Krieg zu
verhindern. Noch war es keineswegs bereit, ohne das Konzert
einen Angriffskrieg gegen die französische Revolution zu führen,
und ob dann — man glaubte nicht an die Verwirklichung dieses
Falles — ist doch immer noch sehr zweifelhaft3). Eben auf den
Angriffskrieg aber arbeitete Preußen hin.
4. Kapitel
Die Offensive von Preußen und Österreich gegen die
französische Revolution
Ich habe bereits oben darauf hingewiesen, daß Marie Antoinette
den Wiener Hof auch von der Peripherie her bearbeitete, um ihn
endlich zum bewaffneten Kongreß fortzureißen, und mit wie
gutem Erfolge. Ein Analogon dazu bildet jetzt das Verfahren
Breteuils bei Preußen4). Seit dem Februar war Caraman als sein
Vertreter in Berlin. Dieser wußte sich seiner Aufgabe geschickt
zu entledigen und das Vertrauen von Schulenburg und Reuß,
eine zunächst auffallende Zusammenstellung, zu gewinnen. Frei-
lich, das positive Ergebnis seiner Tätigkeit war bis Ende März
gleich Null. Schulenburg versicherte ihm fortwährend, wie vor-
her schriftlich an Breteuil, ohne Österreich denke Preußen gar
nicht an eine bewaffnete Intervention; es teile durchaus dessen
politischen Standpunkt, und wir wissen ja, wie wenig Hoffnung
1) Memoires II 198—199.
2 ) Gegen S o r e 1 II 427, der darin nur eine österreichische Finte sieht.
3) P.S. zum Bericht Jacobis vom 14. April: En attendant suivant mes
notions je dois persister ä croire que quoiqu'il en arrive la cour d'ici ne
pensera qu'a. la defensive jusqu'ä ce que le concert sera realise.
4) Von den Versuchen bei den anderen Mächten kann ich hier als nicht
so wesentlich fast ganz absehen. Es kommen vor allen Dingen noch Rußland
und Schweden in Betracht. Aber dies schied durch Gustavs Tod ganz aus
der Reihe der gegen die Revolution tätigen Mächte aus, und Rußland ließ
sich auch jetzt nicht mehr als schöne Worte und Geld für die Emigranten
entlocken.
54 I- Abschnitt
man Ende März in Berlin auf eine rasche Entscheidung Öster-
reichs für den Krieg hegte.
In diese etwas müde Haltung brachte nun die Meldung Bre-
teuils von der Mission Goguelats frisches Leben hinein. Weniger
er als vielmehr Fersen scheint wieder der geistige Vater dieses
Ansturmes auf Preußen gewesen zu sein1). Caraman erhielt am
23. März den Befehl, Friedrich Wilhelm zu anfeuernden Schritten
in Wien aufzustacheln. Am 31. teilte er an Schulenburg für den
König den Brief Breteuils mit, schilderte ausführlich die gefahr-
volle Lage der königlichen Familie, und es scheint, als ob er seinen
Kollegen Baron Roll, den Vertreter der Emigranten, zu einem
ähnlichen Schritte veranlaßte. Dieser war am 26. schon wieder
einmal wegen der Erhaltung der Mirabeauschen Legion und eines
Sübsidienvertrages der Emigranten mit dem Landgrafen von
Hessen-Kassel vorstellig geworden. Jetzt rückte er natürlich die
Forderungen der Emigranten in den Vordergrund, d. h. er ver-
langte vor allem Freiheit für ihre Rüstungen2). Diesen Wunsch
Rolls lehnte Friedrich Wilhelm ab. Schulenburg bemerkte, er
sei unvereinbar mit dem allgemein angenommenen Plane; auch
die jetzige Lage Frankreichs, das Fehlen des Konzertes, wirkten
in derselben Richtung. Dagegen entsprach der Wunsch Caramans
ganz der bisherigen preußischen Politik. Der Kenig ging also
darauf ein, aber Schulenburg hielt dem Franzosen gegenüber
noch vorsichtig zurück. Es ist doch etwas wenig, wenn er ihn
am 2. April auf Befehl des Königs des „lebhaften Interesses"
des Königs für Ludwig und Marie Antoinette versichert; Preußen
werde die Entscheidung Österreichs zu beschleunigen suchen,
wie es das schon bisher getan habe. Dieser häusliche Zwist zwi-
schen Österreich und Preußen gehörte wohl nach seiner Ansicht
nicht vor die Augen eines dritten, soweit es überhaupt möglich
1) Fersen II 14—15.
2) Flammermont 20—22; Hei gel I 527—528. Rep. 96,
147 G. I. S. Au Roi 26. März und 1. April; Ergänzungen dazu in Rep. XI91 a
varia. Rep. XI 89 a Secretissima. Roll an Schulenburg 31. März. Caraman
an Friedrich Wilhelm 31. März. J'ose donc enfin supplier V. M. de ne pas
tarder de presser de nouveau S. M. le Roi de Hongrie avec toute la chaleur
qu'exigent les circonstances, ä eile seule appartient d'exprimer ä cet egard
son voeu de maniere ä lever tout obstacle s'il pouvait en exister, et ce sont
ses resolutions qui ranimeront le calme de l'esperance pres de ceux dont les
malheurs ont depuis longtemps fletri les sensation3, et le seul bien qui leur
reste est la confiance sans borne que leur a inspire avec tant de raison la
noblesse des sentiments que V. M. a bien voulu leur faire connaitre.
Die Offensive von Preußen und Österreich 55
war, ihn diesem zu verbergen1). Nach Wien ging einen Tag darauf
ein drängender Brief Schulenburgs an Bischoffwerder ab — man
beachte, wie schnell die preußische Diplomatie zu arbeiten ver-
stehta).
Preußen ließ es also auch jetzt schon wirklich nicht an sich
fehlen, aber seine Tätigkeit erhielt einen noch weit stärkeren
Anstoß durch die Nachricht aus Brüssel, die Franzosen planten
binnen einem Monat einen Einfall in Belgien, wie Metternich an
Reuß am 30. März gemeldet hatte3). Danach mußte der Krieg
als unvermeidlich erscheinen, und Preußen verlangte nun mehr
als je eine rasche energische Entscheidung Österreichs. Aber in
demselben Augenblick erhebt es seine alte Forderung, sich für
die Kriegskosten entschädigt zu wissen, von neuem, und mit um-
somehr Recht, als jetzt die Franzosen die Angreifer sein sollten4).
Wenn es sie noch nicht genauer formuliert, so ist diese Zurück-
haltung zweifellos auf den Mißerfolg BischofEwerders5) in diesem
Punkte, auf den Wunsch zurückzuführen, die österreichische Be-
gehrlichkeit nicht unnötig zu reizen und der Zukunft alles zu
überlassen6).
Die Nachrichten, welche Preußen erhalten hatte, waren auch
den Österreichern zugekommen. Neues hatte es ihnen also nicht
mitzuteilen, und in den Beschlüssen vom 13. April, die auf alle
*) Flammermont 16—17 und 22. Rep. 96, 147 G. I. S. AuRoi 1. April
. . . en lui (Caraman) renouvelant l'expression du vif interet qu'Elle prend
ä la Situation malheureuse de leurs Majestes Tres Chretiennes qu'Elle
n'avait cesse de faire tout ce qui dependra d'Elle pour accelerer les reso-
lutions du Roi de Hongrie retardees apparemment par la multitude des
affaires du changement de regne; mais qu'Elle continuerait ä apporter
tous les soins pour häter la decision et qu'Elle venait de donner les ordres
precis pour cet objet. Der König: J'approuve la proposition de reponse
que le Cte. de Schulenburg veut faire ainsi que les informations addressees
a ce sujet ä la Cour de Vienne, je souhaite seulement que celle-ci se determine
ä des mesures vigoureuses et serieuses, il sera necessaire de marquer au
G. de Bischoffwerder d'appuyer sur ce point et je lui en ecrirai encore moi-
meme par la poste de demain.
2) Infolge von Bischoffwerders Abreise blieb der Brief ohne Bedeutung.
3) Rep. 1171. Arneth259— 260;F e r s enII221— 223; Flammer-
mont 23.
4) An Jacobi 12. und 16. April.
5) Er hatte die Österreicher nicht zu einer Aussprache darüber bringen
können.
6) An Jacobi 5. April. An Bischoffwerder wird bezeichnenderweise
dieser Auftrag nicht mehr erteilt.
56 I- Abschnitt
jene Nachrichten begründet wurden, vermag ich ein Eingehen
auf die besonderen preußischen Forderungen nicht zu erblicken.
Wird sich nun Preußen, das ist die Frage, von seiner bisherigen
Haltung abbringen und auf die österreichische Seite ziehen lassen,
d. h. wird es statt eines Offensivkrieges gegen die Revolution den
Österreichern helfen, ihr Land zu verteidigen?
In den Tagen, die bis zum Bekanntwerden dieses österreichi-
schen Beschlusses in Berlin (17. April) vergingen, liefen dort noch
andere wichtige Nachrichten ein. Zunächst eine aus Brüssel vom
2. April1), wonach der Angriff auf die Niederlande schon am
16. April erfolgen sollte. Aber der österreichische Generaladjutant
bei Herzog Albert in den Niederlanden, Seckendorf2), glaubte
selbst nicht recht an die Möglichkeit, und diese Anschauung wurde
in Berlin geteilt; so verrückt würden die Franzosen doch nicht
sein3). Man hielt es aber für gut, von diesem Zweifel nicht zu viel
nach Wien mitzuteilen4), um nicht den Erfolg aller Mühen, die
dadurch recht eigenartig beleuchtet werden, aufs Spiel zu setzen,
und schließlich schien man doch den Franzosen alles zutrauen
zu können. Preußen stieß vielmehr ganz in das Hörn von Metter-
nich und Reuß5), die in großer Sorge um die Niederlande waren
und — gegen die ihnen bekannten Intentionen ihres Herrn und
Meisters Kaunitz, der nicht einmal um preußische Truppen ge-
beten haben wollte6) — eine Verwendung der Emigranten zum
Schutze dieses Gebietes anregten. Dazu natürlich forderten sie
(wie konnte ein Österreicher anders handeln!) die schleunige
Sendung preußischer Truppen aus Westfalen. Selbstverständlich
wies Preußen, wie schon vorher in ähnlicher Weise, die zweite
Forderung zurück und suchte den Österreichern die Pille nur
mit der Bemerkung etwas zu versüßen, den undisziplinierten
französischen Horden würden die geübten österreichischen
1 ) Rep. I 171. Metternich an Reuß 2. April.
2) Zeißberg, 2 Jahre, 76—77.
3) Rep. 96, 147 G. I. S. Au Roi 9. April. Rep. I 171. Kgl. Entscheidung
vom 10. April. Zeißberg, 2 Jahre, 70, zum 21. April.
4) An Jacobi 9., 14., 16. April. Dagegen an Jacobi 12. April.
6) Fersen II 226—229. An Jacobi 12. und 16. April. Bericht Jacobis
21. April. Das wird in der Emigrantenfrage aber nicht besonders er-
wähnt.
6) Daß Metternich mit der Bitte um preußische Truppen ganz im
Sinne von Kaunitz gehandelt hatte, beweist, daß von Wien aus fort-
während nach Berlin gleiche Anträge abgingen, z. B. Vivenotl 318,
13. IV.
Die Offensive von Preußen und Österreich 57
Truppen ja leicht widerstehen können1). Tatsächlich fürchtete
man in Berlin, durch die Absendung eines kleinen Korps die
preußische Waffenehre leicht gefährden zu können, und begründete
eine nochmalige spätere Ablehnung mit dem Bemerken, die
preußischen Truppen in Westfalen dürften ebensowenig ge-
schwächt werden wie die österreichischen im Breisgau.
Auf besonderen Wunsch des Königs geht es nun zurück,
wenn Preußen wieder die Gelegenheit benützt, um endlich eine
Entscheidung Österreichs in dem von ihm gewünschten Sinne
zu erhalten2). Die Minister ließen sich das nicht zweimal gesagt
sein, und der Erlaß an Jacobi vom 12. April übertrifft an Schärfe
noch weit den vom 5. Reuß hatte noch angefragt, ob Preußen
bei dem französischen Angriff auf die Niederlande den casus
foederis als gegeben betrachte. Das war eine große Unvorsichtig-
keit gewesen. Denn er lieferte damit den Preußen das Material
für den Vorwurf, die Österreicher wollten das Konzert fallen
lassen, dessen Plan man eben am 9. aus Berlin zurückgeschickt
und den man, um ja nicht zu spät zu kommen, außer nach Peters-
burg auch schon nach Madrid, Turin und Stockholm geschickt
hatte3). Seine Bestimmungen waren nun viel schärfer als die
des Vertrages. Nach diesem hätte Preußen nur 20 000 Mann
und nur zur Verteidigung zu stellen gehabt , nach jenem aber
50 000 Mann zum Angriff. Hieran gerade wollte es festhalten4).
Und wenn wir uns nun noch einmal fragen, ob Bischoffwerder
in Wien etwas erreicht hat und ob er in Berlin beim Kabinetts-
*) Preußen blieb in der Ablehnung konsequent und ließ sich selbst nicht
durch einen Brief Metternichs herauslocken, nach dem man bei preußischer
Passivität in dieser Frage überhaupt nicht an sein aktives Vorgehen glauben
wollte. Noch am 14. Juli mußte es ein gleiches österreichisches Gesuch
ablehnen (an Jacobi 12. und 25. April. Bericht Jacobis 14. Mai und Metter-
nich an Kaunitz 3. Mai. S y b e 1 II 202. Rep. 96, 147 G. I: S. Au Roi
9. April).
2) Rep. I 171 Kgl. Entscheidung vom 10. April 1792.
3) Fersen II 226—227, an Jacobi 9. April.
4) Fersen II 237. An Jacobi 12. April. On lui a temoigne qu'on ne
supposait point que la Cour de Vienne jugerait de son interet de regarder
une teile attaque comme le casus foederis de notre alliance sur le nieme
pied que le serait l'aggression de toute autre puissance et qu'on croyait
plutöt, qu'elle prefererait d'en rester aux stipulations et engagements bien
plus etendus du concert. Es klingt ordentlich wie Hohn, wenn man den
Österreichern preußische Truppen gegen Bezahlung der Kosten anbot;
man wußte doch ganz genau, wie sehr gerade hier die Österreicher der
Schuh drückte.
58 !• Abschnitt
ministerium und in Potsdam beim König1) den Glauben zu er-
wecken verstand, daß wenigstens Franz und Spielmann für den
Krieg seien, so werden wir doch sagen müssen, daß er mit seiner
Ansicht nicht durchdrang. Man hielt sich ganz mit Recht nicht
an die unverbindlichen Äußerungen des Monarchen, die nur münd-
lich gemacht wurden, oder des Staatsreferendars, sondern an die
schriftlichen Weisungen von Kaunitz, der noch ebenso vorsichtig
wie bisher zurückhielt, ganz wie man auch schon an Bischoff-
werder im März aus Berlin geschrieben hatte. Bischoff werder
bildete mit seinem Vertrauen auf Österreich eine Ausnahme2).
In diesen Tagen hat auch die antiösterreichische, d. h. die
englische Partei in Berlin noch einen Versuch gemacht, den
König ganz von dem Kriege abzuziehen, gestützt auf das sonder-
bare Verhalten Österreichs. Es heißt, man wollte Schulenburg
und Bischoff werder entzweien3). Wir wissen bisher leider zu
wenig von diesen Versuchen, als daß sich ein scharfes Bild zeichnen
ließe4). Zwar hat es Ranke versucht, die Persönlichkeit von
1 ) Am 9. April Vormittags war Bischoffwerder in Potsdam beim König,
am 8. Abends war er in Berlin angekommen. Fersen II 226 ff. An
Jacobi 9. April.
2) Der König entscheidet auf Schulenburgs Bericht vom 9. April (Rep.
96, 147 G. I) in folgenden Worten (Rep. I 171): J'approuve la reponse
(que) vous proposez de faire au Prince de Reuss qui est parfaitement
adaptee aux circonstances, vous pourrez encore aj outer que ma volonte
serait encore infiniment plus animee, si l'on voulait ecouter enfin la raison
que je n'ai cessee d'alleguer pour des resolutions promptes et vigoureuses.
3) Wir sahen eben, wie wenig diese Ansicht zutrifft. Nur für den Krieg
waren sie beide. Vgl. Wittichen, Polnische Politik 55; C a r i s i e n 91.
4) Man wird den Hauptansturm wohl in die Tage bis zum 20. April zu
verlegen haben, und eventuell Bischoffwerders Eintreten für die Sinnes-
änderung Friedrich Wilhelms verantwortlich machen dürfen, von der unten
die Rede ist. Hiermit möchte ich ein merkwürdig herabgestimmtes Schreiben
von Schulenburg an den Herzog von Braunschweig vom 20. April in Zusam-
menhang bringen (Rep. XI 89 b): je n'ai en effet aucune influence quant ä
ces objets (militärische Fragen) et tres peu sur les autres. Je la supplie de
ne point regarder cet aveu comme une espece de plainte puisque je sens
parfaitement que je n'ai aucun droit d'y pretendre. Er beklagt sich nun,
daß Preußen sich der defensiven Haltung Österreichs anschließe, noch
bevor der französische Angriff erfolgt sei. Preußen werde sich damit kom-
promittieren. Die einzige Rettung aus dieser unangenehmen Lage könne
jener Angriff und die Verwirklichung des Konzertes bringen, aber beides
schien nur noch Zukunftsmusik zu sein. Man sieht, wie wenig Schulenburg
mit der Haltung des Königs einverstanden ist, auch als dieser schon nach-
gegeben hatte. Erst am 24. konnte Schulenburg an den Herzog schreiben,
daß er den König von seiner österreichfreundlichen Haltung abgebracht
Die Offensive von Preußen und Österreich 59
Haugwitz als eines Mannes, der allein es wagte, dem König ent-
gegenzutreten, in den Mittelpunkt zu stellen, aber spätere Dar-
stellungen sind ihm in diesem Punkte mit Recht nicht gefolgt;
denn die Audienz, die Haugwitz Mitte April etwa1) beim König
gehabt haben soll, setzt er lange vor Niederschrift seiner Me-
moiren, nämlich am 6. Mai 1793, auf den 8. Mai fest und be-
zeichnet sie ausdrücklich als die einzige, die er beim Könige vor
seiner Abreise nach Wien gehabt habe, und wir werden an diesem
Datum auch deshalb festhalten müssen, weil sich eine Instruktion
für Haugwitz in der polnischen Frage gefunden hat — wenn auch
nur in einer Abschrift — die vom 9. Mai datiert und auf be-
sonderen Wunsch von Haugwitz ausgefertigt worden ist. Liegt
es nicht nahe, anzunehmen, daß Haugwitz in der Audienz davon
gesprochen hatte und sie dann besonders außer der Haupt-
instruktion vom 6. Mai (die ich noch nicht habe finden können),
auf Veranlassung des Königs angefertigt wurde2)? Wenn Haug-
witz damals auch noch einen Versuch gemacht haben sollte,
Friedlich Wilhelm vom Kriege fernzuhalten, was ich nicht für
ausgeschlossen halte3), so war es jedenfalls von gar keiner Be-
deutung mehr und hatte mit den oben erwähnten Versuchen
kaum etwas zu tun. Haugwitz selbst hat die Erfolglosigkeit
seines Bemühens zugegeben. Preußen hatte sich bereits nach
allen Seiten zum Offensivkriege gegen die Revolution verpflichtet,
dem es nur den Anschein der Verteidigung zu geben bemüht war,
und seine Rüstungen waren in vollem Gange. Hier also müssen
habe, stark unterstützt von seinem Brief vom 22., der nur die Ansichten
Schulenburgs wiederholt. (. . . pour agir dans cette importante occasion
avec la circonspection necessaire ä l'egard des intentions et des vues toujours
fort protegees de la Cour de Vienne qui ne sont pas en tout sens absolument
conformes ä nos interets. Dieser Hinweis auf Bischoffwerder ist wohl mit
Händen zu greifen.)
1 ) Anfang April soll er nach Berlin gekommen sein. Ranke 159 ff.
Vgl. auch v. M i n u t o 1 i, Der Graf von Haugwitz und Job von Witzleben
(Berlin 1844) S. 8 und 22. Die Angaben gehen auf Haugwitz selbst zurück,
sind also dessen Memoiren nachzustellen. Vgl. diese in Minerva Bd. 184
S. 4 und bei Ranke.
2) Rep. 96, 147 G. II, F. S.A. Au Roi 6. Mai. Rep. XI 89 c, Kopie der
besonderen Instruktion vom 9. Mai (F. S. A. ad contras.). Rep. 96, 147 H, F. H.
Au Roi 6. Mai 1793. Ranke, Sämtliche Werke 47, 276 und 290.
3) Ranke (S. 163) bemerkt mit Recht, daß Haugwitz doch nicht
in die eigentliche Politik eingeweiht war. Er vertrat nur die öffentliche
Meinung ohne ein eigentlich selbständiges System (Minerva, 1838 Jena,
Bd. 185, S. 181—186).
60 I- Abschnitt
wir ein Stück aus der Erzählung hinausweisen; aber an gewich-
tigen Beratungen über Preußens Teilnahme am Kriege hat es
trotzdem nicht gefehlt. Welche Bedingungen stellte es?
Am 17. April wurden in Berlin die österreichischen Beschlüsse
vom 13. und durch Reuß die Verhandlungen mit Goguelat be-
kannt1). Man kann wohl sagen, wie eine Bombe schlugen diese
Nachrichten ein. Schon die völlige Zurückhaltung der Emi-
granten von den Operationen deckte sich weder mit dem, was
Caraman in Berlin als Wunsch des französischen Königspaares
nach Breteuils Aufträgen hingestellt hatte, noch mit den Wün-
schen von Reuß und Metternich, noch endlich mit den Wünschen
Preußens selbst. Einmütig erhoben sie lauten Protest gegen das
österreichische Verfahren; alle Mittel wandten sie an, um es zu
durchkreuzen.2)
Aber das war doch für Preußen immer nur ein nebensächlicher
Punkt, die Hauptsache blieben die Beschlüsse der Konferenz vom
13. April. Nun nach den französischen Kriegsnachrichten3), so
x) Fersen II 234. In Rep. I 171 die am 17. präsentierten Schrift-
stücke aus Wien. Rep. 96, 147 G. I: F. S.A. Au Roi 18. April. Reuß wurde
auf die Bitten Spielmanns in dem Glauben gelassen, er mache in Berlin
die erste Mitteilung über Goguelat. Bericht Jacobis 10. April, an Jacobi
16. April. Vivenot 1302 und 310. Bericht Jacobis 12. April, in dem er
ziemlich ungläubig von den Versicherungen spricht, die Goguelat im
Namen Ludwigs XVI. über die Haltung der Franzosen beim Einmarsch
der Mächte gemacht hatte, und ein Privatbrief an die Minister. In diesem
heißt es : II serait temeraire de ma part, de vouloir dans la position presente
des affaires soutenir que la Cour d'ici ne sera pas encore bien pressee pour
des mesures actives; cependant il m'est revenu de tres bonne part certains
propos que le Comte de Cobenzl a tenu au Prince Galitzin lesquels ne me
semblent pas indiquer une resolution bien positive de mettre d'abord
beaucoup de troupes en mouvement ni de pousser les Operations au delä
de la defensive avant d'avoir bien realise le concert; sans connaitre au
reste bien exactement les intentions des deux cours pour les dedommage-
mente des frais, j'ose avouer que suivant mes notions on craindra toujours ici
d'executer de pareils arrangements. Trotz der Beschlüsse des 13. bbeb
Jacobi bei seiner Ansicht, Österreich werde über Defensivmaßregeln nicht
hinausgehen. Vgl. die oben bereits angeführte Stelle aus dem P.S. zu
seinem Berichte vom 14. April. Dabei hielt er die Beschlüsse schon für
sehr kriegerisch.
2) Fe r s e n II 234—237 und 242. Flammermont 25—28.
3) Auch jetat glauben die preußischen Minister ebensowenig wie am
9. an ihre Bewahrheitung, man möchte sagen, sie bedauern es: Rep. 96,
147 G. I, F. S.A. Au Roi 18. April . . . dans le cas que les esprits plus sages
parviennent ä moderer la fougue jacobine et a detourner l'attaque ce qui
ne nous parait pas invraisemblable.
Die Offensive von Preußen und Österreich Q\
hatte man in Berlin gehofft, würden sich die Österreicher doch
zu aktivem Vorgehen entschließen müssen. Statt dessen wurden
alle bisherigen Ergebnisse in Frage gestellt. König und leitender
Minister waren sich bisher durchaus einig gewesen in der Forde-
rung, entweder energisch Krieg zu führen oder überhaupt nicht1),
in richtiger Erkenntnis der Konstruktion des preußischen Staates.
Man fürchtete ganz mit Recht, Österreich wolle nur seine Nieder-
lande schützen, der Entwicklung der Dinge in Frankreich aber
untätig zusehen, indem es die Versammlung aller Truppen durch
irgendwelche Scheinverhandlung2) zu verhindern suche, Franz
werde seine aktiveren Pläne (an deren Existenz man also jetzt
in Berlin glaubt) nicht durchsetzen. Österreich hatte ja erklärt,
ohne das Konzert in Frankreich nichts tun und sich bei einem
etwa erfolgenden französischen Angriff defensiv verhalten zu
wollen3). Über das Zustandekommen des Konzertes war aber
in Berlin nur eine Meinung: man glaubte nicht daran, noch
weniger an ernstliche Maßregeln desselben. Der französische An-
griff endlich schien auch nicht so rasch zu erfolgen, wie man ge-
hofft, nicht etwa gefürchtet hatte. Der geforderte Marsch von
preußischen Truppen wäre also nur der österreichischen Ver-
teidigung zu gute gekommen, und von einer Entschädigung für
die Kosten wäre dann wohl auch keine Rede mehr gewesen. Dazu
fürchtete Preußen auch bei einer gezwungenen Untätigkeit seiner
Truppen seinen militärischen Ruf zu gefährden. Ganz anders war
das bei der Aktion4).
Das Ministerium unterbreitete deshalb am 18. dem Könige
zwei Vorschläge, ohne selbst einen von ihnen besonders zu befür-
worten5). Sie unterscheiden sich eigentlich nur durch ein Wort.
*) ib. . . . ces inesures (Österreichs) pourraient amener une defensive
tres contenue, ä laquelle V. M. d' apres ces ordres precedents nous a declare
absolument ne pas vouloir se preter . . . und an Jacobi 28. April (Rep. 1 169) . . .
Le seul principe que j'ai constamment contenu et dont je ne saurai
me departir c'est qu'il faut ou ne pas se meler des affaires de ce royaume
ou y aller avec vigueur et energie et c'est en consequence de ce Systeme
que je me suis abstenu d'entrer dans des mesures simplement defensives
qui ne peuvent remplir le but et qui sont entierement contraires ä mes
interets.
2) Fersen II 236.
3) V i v e n o t I 317, II 405, 406, 410. F. S.A. Au Roi 18. April. Rep.
96, 147 G. I.
4) F e r s e n II 236 und 251.
5) Schulenburg hatte den Bericht selbst entworfen und sich am Schluß
zu Gunsten des zweiten Vorschlags ausgesprochen (Rep. I 171) — wir
62 !• Abschnitt
Nach dem ersten sollte der preußische Mobilmachungsbefehl wie
der Marschbefehl erst nach der Erklärung Österreichs über den
Termin der Aktionsfähigkeit seiner Truppen zu offensivem Vor-
gehen auch ohne Beteiligung anderer Mächte, ohne französischen
Angriff und mit Rückerstattung der Kosten gegeben werden —
nach dem zweiten sofort im Vertrauen auf die früheren Er-
klärungen von Franz, aber dann nur der Mobilmachungsbefehl;
der Marschbefehl sollte auch hier erst nach der befriedigenden
österreichischen Antwort erfolgen. Beide Vorschläge sahen je-
doch die gleichzeitige Mobilmachung der ganzen 50 000 Mann
vor. Alles oder nichts, ist die Parole. Dabei ist Schulenburg
für den Krieg, Alvensleben für den Frieden; beide sind aber eher
zu einer gänzlichen Schwenkung als zu halben Maßregeln bereit1).
Diese scheinbar so geringfügige Differenz wird jetzt zur Kern-
frage für die preußische Politik. Nahm Friedrich Wilhelm den
zweiten Vorschlag an, so wäre der Gedanke nicht ohne weiteres
von der Hand zu weisen, daß ihn die stets gefährlicher lautenden
Nachrichten von dem Schicksal des französischen Königspaares
vorwärts trieben, ihn die bisher stets beobachtete vorsichtige
Zurückhaltung vergessen ließen. Es wäre der erste Schritt von
dem lange befolgten Wege gewesen. Dann aber mochten sich die
Österreicher auch sagen, werde der Marschbefehl schließlich auch
noch ohne die österreichische Zustimmung zu den preußischen
Forderungen ergehen.
Aber Friedrich Wilhelm entschied sich wider Erwarten der
Minister und Caramans nicht einmal für die mildere erste Fassung,
und man wird doch nur in gewissem Sinne sagen dürfen, daß er
damit konsequenter verfuhr als das Ministerium2). Er wollte
allen vorangegangenen Forderungen zum Trotz tatsächlich auf die
von Österreich vorgeschlagene Defensive eingehen, bis der An-
griff der Franzosen oder eine offizielle französische Reklamation,
wie man das ja schon vereinbart hatte, die Offensive begründen
konnten. Nur die Furcht, die Sache sonst eventuell allein aus-
sehen daraus wieder, wie sehr er den Krieg jetzt wünschte und wie sehr er
glaubte, daß die Österreicher durch die Gewalt der Umstände sich der
Erfüllung der preußischen Bedingungen nicht würden entziehen können —
ganz wie Caraman (Fersen II 237 — 238); aber ob er nun dem König
nicht vorgreifen wollte, oder ob Alvensleben dagegen opponiert hat, er
strich den Passus wieder durch.
x) Vgl. F e r s e n II 237. Rep. 96, 147 G. I. F. S.A. Au Roi 18. April.
2) Rep. I 171. Potsdam 18. April 1792.
Die Offensive von Preußen und Österreich 63
fechten zu müssen, noch dazu ohne Aussicht auf Entschädi-
gungen1), kann ihn dazu bestimmt haben. Er schloß sich also
äußerlich dem österreichischen Verhalten an und wollte auch
seinerseits 15 000 Mann mobil machen. Aber dabei sich nun zu
beruhigen, war nicht seine Absicht. Nach außen konnte man es
ja so darstellen, als wollte man sich ohne das Konzert auf die
Verteidigung beschränken. Aber unter diesem deckenden Schleier
sollte Preußen die Österreicher antreiben, den Rest der
50 000 Mann rasch mobil zu machen, um bei der ersten sich
bietenden Gelegenheit von der Defensive zu der ersehnten Offen-
sive übergehen zu können, und den Zeitpunkt dafür wollte Fried-
rich Wilhelm wissen. Den präsumtiven Oberkommandanten, den
Herzog von Braunschweig, benachrichtigte er sofort von den
österreichischen Vorschlägen und den preußischen Beschlüssen.
Er schlug also einen Mittelweg ein. Gewiß, er wollte- nicht
allein in den Krieg gehen und legte darum dem Eifer seiner
Minister Zügel an2), aber er wollte ebensowenig den Krieg durch
eine übertriebene Zurückhaltung (als solche erschien ihm wohl
der erste Vorschlag) unmöglich machen. Denn mußte nicht die
absolute Weigerung Preußens, vor Eintreffen einer befriedigen-
den Antwort aus Wien, die Österreicher vor den Kopf stoßen?
Würde dann nicht doch in Wien die Friedenspartei wieder die
Oberhand gewinnen? Nur durch ein vorläufiges Eingehen auf
die österreichischen Vorschläge schien man weiterkommen zu
können; Bischoffwerder hatte in Wien sich ja auch mit den
Österreichern über ein defensives Verhalten am Anfang be-
sprochen. Seine Ansichten scheinen mir in diesem Augenblick
den König bestimmt zu haben3). Verkennen wir nicht die Gefahr
der Lage. Ein so entgegenkommendes Verhalten setzte die Mühen
der ganzen bisherigen Zurückhaltung aufs Spiel. Preußen tat
damit einen Schritt vom Wege.
Nach diesen Weisungen des Königs sollten die Minister die
Antwort an Reuß aufsetzen4). Das geschah am 19. Vormittags.
1 ) ib. . . . Outre cela la Cour de Vienne ne peut m'induire ä aucune
marche risquante ou desavantageuse. /) . *
2) Sorelll 367. J>« L^v^AW^.
3) Fersen II 240—241 ; Ranke 159 ff.
4) Es ist interessant, das Verhalten der beiden Minister in diesen
Tagen zu beobachten, die sich feindlich gegenüberstanden: Schulenburg
und Alvensleben (für Finckenstein habe ich kein Material finden können;
er hielt sich wohl wie auch sonst vorsichtig zurück). Für beide ist natürlich
'
64 I. Abschnitt
Doch ihr Entwurf wurde von einem zweiten königlichen Befehl
überholt, der aus der abwartenden Haltung des Königs vom 18.
mit der Entscheidung des Königs jede weitere Beratung überflüssig (Rep. I
171, Schulenburg 19. April . . . l'affaire etait une fois faite et il ne s'agissait
plus de deliberer mais d'obeir ä la resolution que le Roi a prise). Alvens-
leben freut sich, daß er seine entgegengesetzte Ansicht dem König ein-
gereicht hat (er scheint der Urheber des milderen Vorschlages vom 18. April
zu sein). Damit ist er jeder weiteren Verantwortung gegenüber König
und Staat überhoben, das Geschäft kann also weitergehen, und er arbeitet
mit, als ob nichts geschehen wäre, unter Schulenburg bezw. Haugwitz,
die auf die Wünsche des Königs eingegangen waren (Rep. I 172, Denk-
schriften vom 3. und 9. März 1794). In der zweiten will er notre maniere
de penser ad Acta geben, qui je le sens ne saurait rien changer au parti
pris et aux ordres du Roi, auxquels j'obeirai avec la meme exactitude
et travaillerai avec le meme zele ä leur execution comme tout bon sujet
doit le faire, quand meme le resultat serait en contradiction avec sa propre
conviction. Rep. I 171 Alvensleben 19. April: S. M. en fixant avec tant de
precision l'essentiel de la reponse contraire au premier plan adopte par
Elle-meme nous dispense de toute responsabilite vis-ä-vis d' Elle-meme et
vis-ä-vis de l'Etat qui par les suites incalculables decette marche precipitee,
dans laquelle nous sommes entraines par l'Autriche (sie!, Alvensleben
kann nur an die Vorgänge im Sommer 1791 denken, vgl. oben) (au fond
vous lui assurez la possession des Pays-Bas) ne laissent pas que d'etre
les plus graves. Rep. I 172, Denkschrift vom 1. Okt. 1793. Devais je m' ele-
ver individuellement contre l'opinion du ministere en corps? et tandisque
celui-ci gardait le silence et craignait de se mettre a la breche, pouvais-je
combattre seul le projet favori du Roi au risque d'etre aecuse peut-etre
de demoeratisme comme l'ont ete plusieurs de ceux qui prevoyant le danger
de la guerre ne pouvaient prendre sur eux d'y applaudir et il n'en fallait
pas davantage, je pense, pour me reduire au silence et pour me consoler
par le temoignage que me rendait ma conscience. (Diese stets nutzlose Oppo-
sition ohne weitere Folgen als die, daß sein Protest zu den Akten kam,
scheint er darnach beinahe als eine Art Sport betrieben zu haben. ) Schulen-
burg dagegen, dessen Wünschen allerdings die zweite königliche Entschei-
dung schon näher kam (vgl. unten), schloß sich ihr an und richtete nach
ihr seine Pläne ein. Ein Prinzipienreiter ist er durchaus nicht, er rechnet
mit den gegebenen Größen. Zwar hält er seine Ansicht für die bessere,
aber auch mit der des Königs hofft er weiterzukommen, und sein Ehrgeiz
mag wohl nicht wenig dazu beigetragen haben, ihn zur Zurückstellung
der eigenen Ansichten zu veranlassen. (Carisien 91.) Als später in der
Emigrantenfrage der König doch gegen seinen Rat entschied, da schreibt
er zwar auch an Finckenstein und Alvensleben am 13. August [Rep. XI
89 g]: „Salvavi animam meam"; aber das ist nun für ihn nicht ein Akt
persönlicher Genugtuung, sondern er sorgt sich doch weiter und wird
dabei kränker und kränker, so daß er Anfang September als gebrochener
Mann nach Berlin zurückkehren muß in dem Augenblicke, in dem alles
gewonnen zu sein schien. Auch die kleinen Mittelchen verschmähte er
dabei nicht. In dem erwähnten Briefe vom 19. April findet sich ein P.S.
Die Offensive von Preußen und Österreich 65
wieder zu einer kräftigeren überführte, die der ganzen früheren
besser entsprach. Ob der König selbst ohne äußeren Anlaß dazu
kam oder nicht, läßt sich mit Hilfe des vorliegenden Materials
nicht entscheiden1). Mir ist am wahrscheinlichsten, daß er bei
nochmaliger Lektüre des Berichtes der Minister selbst von der
passiven Rolle nicht befriedigt wurde, die er sich damit zu-
gewiesen hatte. Er verlangte daher am 19. den genauen Zeit-
punkt der Aktionsbereitschaft der österreichischen Truppen zu
wissen ; erst dann wollte er nicht nur 15 000, sondern die ganzen
50 000 Mann mobil machen.
Nach der Absendung des Entwurfs einer Antwortnote an
Reuß kam dieser Befehl Schulenburg zu, der damit zwar durch-
aus noch nicht zufrieden war, aber davon nichts merken ließ2).
Um keine Zeit zu verlieren, setzte er rasch eine zweite Note für
Reuß auf, und sie fand am 20. ganz die Billigung des Königs,
dessen Sprache sie an Schärfe noch etwas übertraf. Die Super-
lative sind darin sogar für diese Zeit ungewöhnlich zahlreich.
Sie wurde auf noch besonders drängenden Befehl des Königs1')
folgenden Inhalts: J'ai täche pourtant de mettre dans la Note au Prince
Reuss quelques chevilles qui, si les circonstances en fournissent l'occasion,
pourront nous aider a sortir d'embarras. Ich möchte hierbei noch erwähnen,
daß die chronologische Einordnung aller dieser Schriftstücke vom 18. und
19. einige Schwierigkeiten macht. Ich deute die Briefe Schulenburgs und
Alvenslebens so, daß sie nach der ersten königlichen Entscheidung geschrie-
ben sind, und daß der König dem einen (Alvensleben) zu weit, dem
anderen (Schulenburg) noch nicht weit genug geht; denn es ist unmöglich,
Schulenburgs Worten den Sinn beizulegen, er habe den Krieg vermeiden
wollen. Er stellte nur scharf seine Bedingungen, um Klarheit zu gewinnen
und sich dann für Krieg oder Frieden zu entscheiden. Die Haltung des
Königs gefiel ihm durchaus nicht (an Br. 20. April Rep. XI 89 b). Die Klauseln,
von denen er spricht, möchte ich darin sehen, daß in dem Entwurf zu der
ersten Note an Reuß die österreichische Antwort als Bedingung für die Aus-
führung des preußischen Truppenmarsches erscheint, ohne die Bemerkung,
daß Preußen 15 000 Mann mobil machen und marschieren lassen wollte. Fried-
rich Wilhelm scheint das nicht beabsichtigt zu haben. Schulenburg hielt sich
eben an den zweiten Teil des königlichen Befehls (er hatte vor seinem Ein-
treffen ganz im Sinne des zweiten Vorschlages mit Caraman gesprochen.
Fersen II 237). Dieser von Schulenburg redigierte Passus erscheint ab-
geschwächt auch noch in dem zweiten vom König gebilligten Entwurf.
M Fersen II 236—241.
2) Fersen II 239.
3) La Note verbale est entierement conforme ä mes idees et vous
pourrez la donner au Prince de Reuss le plus tot le mieux. Ein Datum hat
der König nicht angegeben, dem Ministerium lag diese Genehmigung am
20. April vor (Rep. 1 171). An Jacobi 20. April. Bericht Jacobis 28. April.
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Kevolution 5
66 I. Abschnitt
am 20. Reuß übergeben. Friedrich Wilhelm konnte sich nun sagen,
daß von Österreich überhaupt nichts zu erreichen war, wenn es
auf diese Anfrage hin sich nicht deutlich erklärte. Es war ge-
wissermaßen die Vertrauensfrage, die er damit stellte. Denn der
König verlangte in der Note, mit der ich jedoch gleich die Forde-
rungen kombiniere, die mir in dem Bericht von Reuß geäußert
worden zu sein scheinen1), ganz wie Schulenburg erwartet, aber
Caraman gegenüber nicht genauer ausgeführt hatte, bestimmte
Auskunft über den Marsch und den Termin der Aktionsfähig-
keit der 15 000 Mann und des Restes der Armee, bevor er seinen
Truppen die Befehle zum Marschbeginn und zur Mobilmachung
zugehen lasse; ferner ein SpezialVerzeichnis der zur ganzen Armee
von 50 000 Mann gehörenden Truppenkörper2). Endlich bat er,
sehr bezeichnend, den österreichischen General Hohenlohe, wo-
möglich schon vor dem 12. Mai, wie er am 17. an Franz geschrieben
hatte3), nach Potsdam zur Konferenz mit dem Herzog von Braun-
schweig zu schicken, um mit diesem nicht eigentlich über den
Feldzugsplan selbst, sondern vor allem über die Verpflegung
beider Heere sich schlüssig zu machen. Dort, so durfte er hoffen,
würden sich auch die Differenzen über die Verwendung der Emi-
granten mehr in preußischem Sinne regeln lassen. Gleichzeitig
mit dieser Note verbale an Reuß erging an Jaccbi der Befehl,
auch seinerseits darauf zu drängen, daß Österreich endlich den
Zeitpunkt angebe, an dem seine Truppen kämpf fertig seien.
Dazu schrieb nun noch Reuß an Spielmann privatim, wie schon
vorher einmal. Am 23. endlich erhielt Reuß in einer zweiten
Note verbale Mitteilung von den soeben erlassenen Befehlen an
die preußischen Regimenter, sich bereit zu halten, mit einem
Verzeichnis der für die 50 000 Mann ausgewählten Truppenteile
und einem Marschtableau für das eine später aus Schlesien durch
Böhmen ziehende Korps, jedoch ohne Angabe von Daten4).
Caraman glaubte noch ein übriges tun zu sollen, um den
Wiener Hof zur Aktion fortzureißen. Er schrieb an den Ver-
1) Vi veno t II 410.
2) Wie nötig das war, werden wir noch sehen. Schon am 1. April hatte
Bischoff werder ein Verzeichnis erhalten, wonach es 56 135 Mann sein sollten,
aber die Preußen hatten allen Anlaß, dem nicht zu trauen. V i v e n o t
II 410; F e r s e n II 236—240.
3) Vivenot I 323.
4) Rep. I 171, F. S.A. an Reuß 23. April. Rep. I 169 an Jacobi
23. April.
Die Offensive von Preußen und Österreich 67
treter Breteuils in Petersburg, Baron Bombelles, Roll1) an den
Prinzen von Nassau- Siegen, der dort ohne besonderen Auftrag
außer dem Grafen Esterhazy die Sache der Emigranten vertrat
und bei Katharina persönlich ja viel vermochte. Endlich schrieb
der russische Gesandte Alopeus an die Kaiserin selbst, alle drei
in der Absicht, wie wenigstens der erstgenannte angibt (für ihn
und Roll sicher mit Recht), Katharina zur Annahme des Zirkulars
zu bestimmen und die Aktion durch den Abmarsch ihrer eigenen
Truppen in Gang zu bringen, in der Erwartung, daß die Preußens
und Österreichs schon auf dem Marsche seien. Noch immer also
glaubte Caraman an die Absicht Katharinas, für die Wiederher-
stellung des französischen Königtums tatkräftig einzutreten.
Bombelies, der direkt an der Quelle saß, hatte schon Ende
Februar Zweifel an der Echtheit dieser Gesinnungen ausgesprochen,
und, wie sich bald zeigen sollte, mit vollem Rechte2). Alle
diese Maßnahmen beweisen deutlich genug, wie wenig Kriegs-
eifer man in Berlin bei den Österreichern vermutete. Aber so
lange brauchten die Preußen nun doch nicht mehr auf Österreich
zu warten.
Nach der Entscheidung des Königs trat also Preußen nach
außen noch völlig der von Österreich angenommenen Haltung
bei: Offensive Maßregeln nur beim Zustandekommen des Kon-
zertes, namentlich Teilnahme Rußlands; bis dahin rein defen-
sives Verhalten11). Aber es traf doch inzwischen bis zum Ein-
treffen der Nachricht aus Wien alle Maßregeln, um sofort mit
der Mobilmachung und möglichst bald auf neuen Befehl mit
1) Wieder wirken die Vertreter der beiden französischen Parteien
zusammen.
2) Feuillet V 385 ff. und 399 ff. etc.
3) Rep. XI 89 an Goltz in Paris 26. April: Je viens en consequence de
prendre des arrangements dans mon armee pour que cinquante mille
hommes de mes troupes arment et se tiennent prets a marcher au premier
ordre. (Ist das etwa auch ein Versuch, Frankreich durch die bloße Tat-
sache der Rüstung einzuschüchtern? Ich glaube nicht daran; das war
sonst auch nur Österreichs Sache gewesen.) Le Roi de Hongrie s'occupe
en meme temps de son cote ä rendre un pareil nombre de ses propres troupes
mobiles et pretes ä se mettre en marche au premier signal. Ces arrangements
ne sont ä la verite encore que defensifs et je souhaite qu'il puissent rester
provisoires, mais je puis m'attendre aussi que le Roi de Hongrie mon Allie,
que l'Europe eclairee et bien instruite en reconnaitra la necessite et la
justice. Vgl. an Goltz in Petersburg 26. April, an Görtz und Lucchesini
26. April, an Jacobi 25. und 26. April, an Marval ebenso, der den Bei-
tritt der Schweiz zu dem Konzert herbeiführen sollte. F e r s e n II 249 ff.
68 I. Abschnitt
dem Inmarschsetzen seiner Truppen beginnen zu können. Es
wollte nicht schuld daran sein, daß auch nur ein Tag verloren
ging. Am 24. wurde das Gefolge des Königs ernannt, die Liefe-
ranten erhielten Befehle, sich bereit zu halten, die französischen
Deserteure sollten in den für den Feldzug bestimmten Regi-
mentern durch Preußen ersetzt werden1). Auch an Jacobi werden
am 26. die preußischen Rüstungen mitgeteilt, den Marschbefehl
aber will man erst geben, wenn Österreich den Zeitpunkt fest-
gesetzt habe, an dem seine 50 000 Mann kampfbereit an der
Grenze seien; defensives Verhalten sei den preußischen Interessen
durchaus entgegen2). Endlich teilte Preußen auch einen Versuch
Dumouriez' nach Wien mit, Preußen von Österreich zu trennen,
als Beweis, wie groß die Angst der Franzosen sei und wie leicht
man sie werde besiegen können (vgl. unten). Genau das gleiche
Verfahren wird in den Niederlanden von den Österreichern an-
gewandt. Sie hatten aber auch guten Grund dazu; denn seit
dem 23. war in Brüssel die Kriegserklärung bereits bekannt, Zeit
also wirklich nicht mehr zu verlieren, zumal man ja von den
1) Man suchte ja überhaupt die besten Truppen zum Feldzuge aus
(Carisien 96).
2) An Jacobi 25., 26., 28. April. Auf den ersten Blick scheint eine gewisse
Unsicherheit darüber zu herrschen, wie weit die preußischen Befehle vor
der österreichischen Erklärung schon gingen. Aber am 28. erhält Jacobi
folgende Nachricht: Quoiqu'il en soit je persiste invariablement ä ne pas
armer decidemment et surtout ä ne pas faire marcher mes troupes avant
d'etre positivement instruit du temps du depart des differents corps
autrichiens et principalement du terme precis oü l'ensemble des 50 mille
hommes sera rendu au lieu de sa destination et en etat de commencer les
Operations, indication qu'il me faut necessairement precise et sans reticences
ni chevilles quelconques . . . und am 5. Mai: Je vais donner sans delai
ä mes troupes les derniers ordres pour s' armer et se mettre en mouvement . . .
und eine Nachschrift zu dem Briefe Schulenburgs an den Herzog von
Braunschweig vom 24. April beseitigt wohl die letzten Zweifel, daß es sich
nur um Vorbereitungsmaßregeln handelte, daß die eigentliche Mobilmachung
erst nach dem 5. Mai begann: J^i reussi ä l'engager (den König) ä se borner
pour le present aux ordres prealables qui vont etre donnes ä tous les re-
giments qui composeront l'armee des 50 mille hommes de se tenir prets
ä etre rendus mobiles. Das kostet nichts, meint Schulenburg weiter, nützt
im Bedarfsfalle 8 — 10 Tage, und den Österreichern hofft er damit zu ge-
nügen, da sie ja durch solch eine Nachricht den Franzosen wie den Bra-
bantern zu imponieren und abzuwiegeln hofften. Man sieht deutlich, wie
schwer es Schulenburg geworden ist, den König bei der alten Politik fest-
zuhalten, insofern sie auf dem Grundsatz: Alles oder nichts! beruhte. Aber
man muß anerkennen, daß der König einen fruchtbaren Gedanken dazu-
gebracht hat. 0 1 a p h a m 239—240.
Die Offensive von Preußen und Österreich 69
Angriffsabsichten der Franzosen im allgemeinen unterrichtet
war1).
Am 25. April glaubte das Kabinettsministerium bereits nach
den Depeschen Jacobis vom 18. und 20. dem Könige versprechen
zu können, nun sei alles gewonnen; Österreich sehe ein, daß
Preußen sich nicht auf Defensivoperationen einlassen wolle, und
sei scheinbar zu energischem Vorgehen entschlossen ; man brauche
bloß noch die Angabe des Termins der Aktionsbereitschaft zu
erwarten. Der König nahm davon mit Vergnügen Kenntnis, aber
wartete natürlich ab2). Preußen konnte sich mit Recht sagen,
daß seine Truppen zur selben Zeit wie die Österreichs an den
verabredeten Sammelplätzen (Koblenz und Umgebung für die
Preußen) sein würden, da die preußische Mobilmachung die öster-
reichische an Schnelligkeit bedeutend übertraf3). Die Minister
hielten jene österreichische Bereitwilligkeit wohl für eine Folge
der preußischen Note vom 12. April an Reuß, die gleichzeitig mit
dem erwähnten Erlaß an Jacobi ergangen war4). Von den preußi-
schen Ministern stammte wohl auch die Kenntnis Caramans, als
er am 28. an Breteuil meldete, nun seien auch in Wien alle Wider-
stände behoben, der Herzog von Braunschweig habe von Franz
1 ) F e r s e n II 242, 245, 247—248.
2) Rep. 96, 147 G. I, F. S.A. Au Roi 25. April mit Kgl. Entscheidung.
An Jacobi 25. April, Schulenburg an Jacobi 29. April (Rep. I 169): Le Roi
attend avec impatience que la Cour oü vous vous trouvez veuille fixer le
terme connu dont dependent toutes nos mesures . . . und mit bemerkens-
werter Schärfe in einem Ministerialschreiben vom Tage vorher anläßlich
eines französischen Versuches, Preußen von der Koalition abzuziehen:
. . . une invasion des Francais comme de la derniere invraisemblance . . .
j'ai lieu de croire que c'est la rösolution fermement annoncee de ma part
de ne point vouloir me laisser aller ä des mesures defensives contraires
a mes interets qui a surtout oblige cette cour (Österreich) ä montrer
plus de vigueur . . . vgl. oben . . . Au reste la maniere dont la Cour de
Vienne envisagera et traitera l'insinuation venue par le Sr. de Benoit nous
devoilera ses veritables dispositions. Elle se tromperait beaucoup si eile
croyait que mon intention est de la pousser ä la guerre contre la France.
Le seul principe que j'ai conetamment soutenu et dont je ne saurais me
departir c'est qu'il faut ou ne pas se meler des affaires de ce royaume ou
y aller avec vigueur et energie, et c'est en consequence de ce Systeme que
je me suis abstenu d'entrer dans des mesures simplement defensives
qui ne peuvent remplir le but et qui sont entierement contraires a mes
interets.
3) An Jacobi 25. April.
*) Die Note vom 12. April in Rep. 1171. Bericht Jacobis 18. April. H.E.B.
212—215.
19
70 I- Abschnitt
völlig freie Hand für die Operationen bekommen1), die ersten
15 000 Mann seien wahrscheinlich schon auf dem Marsche2).
Nur die Festsetzung des Terrnines für den Beginn der Operationen
und eine günstige Erklärung Rußlands, die Preußen über Polen
sichere und Rußlands Teilnahme am Konzert sicherstelle3), fehle
noch; dann könne der Krieg beginnen. Ist das richtig? Wir
müssen noch einmal unsere Blicke nach Wien lenken, um zu
sehen, wie Österreich sich zu den letzten Forderungen Preußens
stellte, um damit die Äußerungen der preußischen Minister und
Caramans zu vergleichen und — namentlich letztere — zu be-
richtigen.
II.
Schon am 18. April hatte Spielmann gegenüber Jacobi einen
drängenden Brief von Reuß an ihn erwähnt. Nun erhielt er wohl
gleichzeitig mit der preußischen Note vom 20. ein zweites Schreiben,
1) Diese Nachricht entstammt dem Berichte Jacobis vom 20. April
und veranlaßte den König, Jacobi zu befehlen, nun den Österreichern
kein Mißtrauen mehr zu bezeigen (eigenhändiger Zusatz zum Erlaß vom
28. April. Rep. I 169).
2) Das Politische Journal wollte sogar wissen (April l792 S. 371 ff.),
die 50 000 Mann hätten schon Befehl erhalten, sich in Bewegung zu setzen.
Es dementierte sich noch in demselben Monat selbst (23. April Brief aus
Berlin), nur Mobilmachungsarbeiten seien im Gange, ein Marschbefehl sei
noch nicht ergangen, und im Mai durch die Meldung, im Laufe dieses
Monats würden sich 15 000 Mann in Bewegung setzen.
3) Das sei für Preußen eine conditio sine qua non, versichert Caraman
nach den Äußerungen Schulenburgs, mit dem zu sprechen er ja häufig
genug Gelegenheit hatte. Man erkennt hieraus, daß der preußische Minister
sich wohl hütete, dem Franzosen seine ganze Politik zu entschleiern. Eine
russische Erklärung über Polen hat Preußen zwar am 13. März gefordert
und am 4. Mai auch erhalten (vgl. unten), aber es wäre durchaus irrig,
die preußische Entscheidung vom 5. Mai als dadurch bedingt anzusehen.
In den Berichten des Kabinettsministeriums an den König und dessen
Entscheidungen findet sich für diese Monate nicht die Spur eines Anhaltes
dafür, daß Preußen in den Krieg gegen die französische Revolution ein-
getreten sei, um an einer neuen Teilung Polens teilnehmen zu können.
Noch gehen in der preußischen Politik die beiden Reihen nebeneinander
her. Wir werden bald sehen, wie sie sich verschlingen (vgl. Fersen II
244 — 245). — An eine tatsächliche Mitwirkung russischer Truppen im
Kriege gegen die Revolution hat aber Schulenburg ebensowenig mehr
geglaubt wie der englische Gesandte in Berlin, Morton Eden, der das Ca-
raman prophezeite (Fersen II 249). Indes hielt e3 Schulenburg wohl
für gut, den Glauben daran vorzugeben.
Die Offensive von Preußen und Österreich 71
das eher noch schärfer war1). Er drückte ihm sein Erstaunen
darüber aus, daß man in Berlin noch Zweifel, ja Mißtrauen wegen
des offensiven Vorgehens von Österreich hege, und ließ sich von
Jacobi durchaus nicht davon abbringen. Man merkt schon an
dem Eifer der Verteidiger, daß der Österreicher sich hier im
Innersten getroffen fühlte2). Er mußte ja den Anschein zu er-
wecken suchen, als gehe Österreich in preußischem Sinne vor,
und tat nun auch das Seinige dazu. Denn auf seinen Vorschlag
wurden die beiden Konferenzen vom 28. und 29. April abgehalten.
Sie sollten ihm zugleich die Verantwortung abnehmen für den Ent-
schluß, in den Offensivkrieg einzutreten — nominell wenigstens.
Vergegenwärtigen wir uns kurz ihre Beschlüsse, die noch vor dem
Bekanntwerden der französischen Kriegserklärung gefaßt wurden 3).
Zunächst sollte Preußen das gewünschte Verzeichnis aller zu
den 50 000 Mann gehörenden Truppenteile erhalten. Aber Reuß
sollte dem Erstaunen seines Hofes Ausdruck darüber geben, daß
Preußen noch keine Rüstungen veranstalte, obwohl bereits
10 000 Österreicher an Ort und Stelle und 10 000 weitere in
x) Fersen II 235 und 238. Nach Jacobi (28. April) sprach Spielmann
nur von einem Berichte des Fürsten. Ich halte mich an Caraman.
2) Einen dauernden Erfolg hatte Jacobi beim ersten Male noch nicht
feststellen zu können geglaubt. Am 17. Abends hatte zwar Spielmann auf
sein Drängen sich nach einigem Überlegen dahin geäußert, qu'il croyait
effectivement que desormais rien ne devait plus arreter les deux Cours
a aller en avant . . . le projet de la Cour d'ici n'etait pas de rester sur la
defensive. Aber Jacobi hielt das nicht für die wahre Meinung, denn in
einem Brief an die Minister vom 21. April heißt es: Je ne puis pas me de-
fendre de nourrir encore des doutes sur la ferme resolution de la Cour
d'ici de suivre tout de bon un plan offensif contre la France; tout ce qu'on
fait et fera ä cet egard n'est et ne sera que pas deference pour la Prusse
et parcequ'on espere fortement que les choses n'en viendront pas ä l'ex-
tremite. II me parait toutefois qu'on pourrait se tromper dans son calcul.
Je ne l'ecris pas ä la legere quand j'ose assurer que des personnes en place
ici et tres capables d'en juger regardent une guerre contre la France comme
le plus grand malheur qui puisse arriver ä l'Autriche. Etwas abgeschwächt
finden wir diese Ansicht auch in dem P.S. zum Bericht vom 21. April, wo
er noch besonders auf die Möglichkeit einer Vermittlung von England
und Spanien hinweist.
3) Erst am 30. Abends erfuhr Jacobi durch Spielmann davon; ein
Kurier aus Brüssel hatte sie gebracht. Als er am 30. seinen Hauptbericht
schrieb, wußte er nur allgemein von dem Gerüchte aus Brüssel, am 23. (!)
habe Ludwig den Entschluß zur Kriegserklärung in der Nationalversamm-
lung bekannt gegeben. (Bericht 30. April mit P.S. Tatsächlich war ja am
23. schon in Brüssel die Kriegserklärung bekannt.) C 1 a p h a m 201 und
206—207 und 231—232 und 233—235.
72 I- Abschnitt
vollem Marsche seien. Österreich könne und wolle nur genau
so viel und zu gleicher Zeit tun wie Preußen. Der Termin der
Aktionsbereitschaft wurde für die ersten 15 000 Mann auf Ende
Juni, für die ganzen 50 000 auf Ende Juli festgesetzt. Aber das
Verlangen Preußens sei doch sehr merkwürdig, da Österreich ja
alle Vorbereitungen getroffen habe und seine Truppen nun wohl
ebenso schnell wie die preußischen, die noch nicht einmal den
Mobilmachungsbefehl erhalten hätten, an Ort und Stelle sein
würden. Nun aber kam die Hauptfrage: Würde Österreich auch
ohne die anderen Mächte nur mit Preußen einen Offensivkrieg
gegen die französische Revolution beginnen? Auch dieser preu-
ßische Wunsch wurde genehmigt, aber weshalb? Preußen werde
sonst nicht zur Realisierung seiner Truppenhilfe zu vermögen
sein, und für die Niederlande brauche Österreich die preußischen
Truppen dringend. Also weil man sich verteidigen will und es
nicht allein kann, stimmt man einem Angriffsplan zu, läßt sich
aber doch ab und zu noch Äußerungen entwischen, die ein Fest-
halten am alten Plan erkennen lassen, so daß man auf die ge-
flissentlich zur Schau getragene neue Absicht nichts geben kann1).
Jetzt erging der österreichische Mobilmachungsbefehl2), aber von
ernsthaft gemeinten offensiven Absichten Österreichs kann man,
glaube ich, nicht sprechen.
Preußen hatte ferner den von dem Herzog von Braunschweig
angefertigten Entwurf zu einer Instruktion für sich selbst ein-
geschickt mit dem Bemerken, der Herzog ziehe seiner Tätigkeit
wohl zu enge Grenzen3).
Auf den Vorschlag von Lacy, der ja von vornherein gegen
1) Bericht Jacobis 25. April: 100 000 Mann Österreicher und Preußen
seien genug, pour en imposer ä l'assemblee nationale.
2) Krieg gegen die Revolution I 59 und II 108—109.
3) Schulenburg scheint Braunschweigs Verfahren gebilligt zu haben;
der König aber war damit nicht einverstanden, hoffte vielmehr, Österreich
werde die Machtsphäre des Herzogs erweitern (Rep. XI 89 b. Schulenburg
an Braunschweig 17. und 20. April, Friedrich Wilhelm an Braunschweig
19. April). Vgl. zunächst Braunschweig an Friedrich Wilhelm 13. April
und Braunschweig an Schulenburg 13. April und ein Memoire Braun-
schweigs vom 13. April, das eine Vorarbeit zu der Instruktion bildet. Der
wichtigste Artikel daraus ist der letzte (5.): „Würde Endesunterzeichneter
in Absicht der österreichischen Armeen keine andere Verantwortung über
sich nehmen können als mit dem Herrn Grafen (sie!) von Hohenlohe das-
selbe alles aufs pünktlichste zu verabreden und sowohl die Anlegung der
Magazine nach Maßgabe des zu verfolgenden Planes und die General-
verlegung der Truppen als auch den Zeitpunkt des Anfangs der Ope-
Die Offensive von Preußen und Österreich 73
den Oberbefehl des Herzogs, ja gegen den Krieg überhaupt ge-
wesen war, und der jetzt die Gelegenheit ergriff, das doch nicht
zu Ändernde wenigstens möglichst unschädlich zu machen,
billigte Österreich diese Instruktion vollkommen1), mochte sich
rationen in Gemäßheit der politischen Verhältnisse sowohl als der mili-
tärischen Rücksichten zu bestimmen. Übrigens würde jede der beiden
Armeen während der Operationen die ihr sich darbietenden Vorteile für
sich zu benützen suchen, jedoch einander von allem Nachricht geben
und bei wichtigen unerwarteten Vorfällen alles sorgfältig konzertieren."
Am 16. April überschickte der Herzog dem Könige den Entwurf einer
Instruktion für sich und Hohenlohe, da ihn seine Verantwortlichkeit
immer schwerer zu drücken schien (les limites de ma responsabilite ne
sauraient etre assez clairement enoncees) und die französischen Prinzen
ihm auch Sorge machten, wovon ich unten noch des öfteren zu sprechen
habe. Ich teile hier nur die wichtigsten Artikel 2 und 3 mit:
Art. 2. „Da wir nun beschlossen haben, nach einem mit Sr. Aposto-
lischen Majestät verabredeten Plan zu agieren, welcher dem Herrn Fürsten
von Hohenlohe bereits bekannt gemacht und dem N. N. (der Herzog meint
sich selbst!) nicht unbekannt geblieben ist (!), so werden beide Generale
über die Ausführung solches Planes sich auf das Genaueste zu konzertieren
haben (vgl. Krieg gegen die Revolution II 97 — 98). Und ob zwar das
Generalkommando beider gegen Frankreich bestimmter Armeen dem
N. N. insoweit übertragen ist, daß die Anlegung der Magazine und die
detaillierte Exekution des angenommenen Planes einmütig verabredet
und zwischen beiden Generals alles dieserhalb in Erwägung gezogen und
bestimmt worden — so wird jedoch dem Herrn Fürsten von Hohenlohe
einzig und allein obliegen, die Führung der Armee Sr. Apostolischen Maje-
stät zu übernehmen, für deren Disziplin einzig und allein zu sorgen, auch
während des Laufes des Feldzuges aller günstigen Gelegenheiten sich zu
bedienen, um den erwünschten Zweck der Wiederherstellung der Ordnung
und Ruhe in Frankreich zu befördern, jedoch von allen Vorfallenheiten
den N. N. zu benachrichtigen, welches dieser gegen den Herrn Fürsten
von Hohenlohe auf das Genaueste zu erwidern haben wird.
Art. 3. Sollten wichtige Abänderungen in dem Plan des Feldzuges
unentbehrlich werden, durch feindliche Unternehmungen oder andere
unerwartete Vorfälle, so wird N. N. mit dem Herrn Fürsten von Hohenlohe
über die vorzunehmenden Abänderungen sich zu konzertieren haben ..."
Der Herzog hatte in den letzten Tagen des April mehr als je gehofft,
das Gewölk werde sich zerstreuen und sein Kommando damit hinfällig
werden. Da kam die französische Kriegserklärung, und nichts konnte wohl
kleinmütiger sein als seine Haltung. Er unterwarf sich den Befehlen des
Königs, aber die ganze Welt, besonders auch Österreich, sollte wissen, wie
eng die Grenzen seiner Verantwortlichkeit gezogen seien (Braunschweig
an Schulenburg 4. Mai in Rep. XI 89 b wie alle die vorher benützten Akten-
stücke. S c h 1 i e f f e n II 384 und 562. An Jacobi 21. April).
1) P.S. zum Bericht Jacobis 30. April, 25. April; P.S. zum 2., 12. und
19. Mai. Rep. I 172 Bericht Bischoffwerders 17. März. Krieg gegen die
Revolution II 96—97. VivenotII411 und 417. An Jacobi 9. Mai.
74 !• Abschnitt
auch Spielmann gegen Jacobi sehr für das Oberkommando des
Herzogs aussprechen, die Instruktion an Hohenlohe erging doch
nach dem Muster der von diesem entworfenen. Das veranlaßte
die Preußen, nochmals kräftig das von dem Herzog selbst bei-
nahe preisgegebene Oberkommando zu betonen.
Österreichs Geldmittel endlich waren in geradezu kläglicher
Verfassung1). Nicht einmal für die laufenden Ausgaben war
sicher gesorgt. Nach alledem kann ich an ernstgemeinte öster-
reichische Offensivabsichten auch für diese Zeit noch nicht glauben.
Man gab den preußischen Wünschen nach, weil ohne das
Österreich in dem Kriege, dessen Ausbruch nun doch mehr oder
weniger nahe vor der Tür zu stehen schien, trotz des gerühmten
Konzertes ganz allein gewesen wäre2). Besonders für die be-
drohten Niederlande sollten die Preußen schnell Hilfe schaffen.
Mit den dort zu Operationen verfügbaren 35 000 Mann meinte
man aber doch die Verteidigung absolut nicht durchführen zu
können. Die starke Desertion drohte auch das Heer noch weiter
herabzubringen; schon hatte man ihretwegen die Zahl der Kom-
panien herabsetzen müssen3). Auch das werden sich die Öster-
reicher wohl gesagt haben, daß eine Diversion der Verbündeten
ins Innere von Frankreich am besten Luft schaffen konnte; daß
Österreich nicht zu viel tat, dafür zu sorgen, sollte ihnen nicht
schwer werden. Dazu zog nun noch im Osten das Gewitter auf.
Allein dem russischen Ansturm zu widerstehen, ja ihn auch nur
abzuschwächen in seiner für Polen Vernichtung verheißenden
Gewalt, konnte Österreich nicht hoffen. Preußen sollte auch in
dieser Frage sein Gefährte sein. Wo aber sind nun die Interessen
Europas an der Erhaltung des Gleichgewichts in Europa, speziell
in der französischen Verfassung, des Lebens, der Freiheit und
einer ausreichenden Macht des französischen Königspaares?
Nicht europäische, sondern ganz eng begrenzte österreichische
Interessen vertrat Spielmann, als er versprach, mit Preußen offensiv
gegen die französische Revolution vorzugehen4).
1) Bericht Jacobis 14. April: . . . Quoi qu'il en soit je suis persuade
que si la Cour d'ici n'est pas bien pressee ä pousser ses preparatifs guerriers,
il y a plus d'embarras de moyens que de mauvaise volonte. Vgl. C 1 a p h a m
230—231.
2 ) S o r e 1 II 469 — 470 für den Gegensatz zwischen Österreich und Preußen.
3) Krieg gegen die Revolution II 9 — 13. Zeißberg, 2 Jahre, 72;
Schlosser V 348.
4) Vgl. dagegen z. B. Krieg gegen die Revolution I 59. Chuquet,
la premiere invasion prussienne 13 — 14.
Die Offensive von Preußen und Österreich 75
Gegen Preußen aber schlug er natürlich einen möglichst hohen
Ton an. Schon in dem Konferenzprotokoll sind die entsprechen-
den Fingerzeige für den Erlaß an Reuß gegeben1). Man erklärte
es ja beinahe mit dürren Worten für eine Unverschämtheit, nach
so vielen Versicherungen noch an der Ehrlichkeit der österreichi-
schen Gesinnung zu zweifeln. Dazu wurden nun alle preußischen
Forderungen genehmigt, und wenn man sehr im Widerspruch zu
der sonstigen stolzen Haltung wieder und wieder um ein paar
tausend Mann preußischer Truppen bettelte, so konnte Preußen
ja ebenso konsequent diese Bitte ablehnen. Es hatte aber schlechter-
dings keinen Grund mehr, nun noch länger mit dem Erlaß der
Befehle für Mobilmachung und Marsch seiner eigenen Truppen
zu zögern2). Nach der ersten kurzen Nachricht von den öster-
reichischen Beschlüssen vom 28. und 29. April, die Jacobi in
seinem Bericht vom 30. gab, und die in der Nacht vom 4.. zum
5. Mai in Berlin eintraf3), ergingen, noch bevor man in Berlin
genau die österreichischen Beschlüsse aus der Depesche an Reuß
1) Vivenot II 417—418.
2) Auch Jacobi gab jetzt, nachdem er genauere Kenntnis von den
Beschlüssen der Konferenzen (nicht von deren Begründung)
durch die Depesche an Reuß vom 2. Mai Kenntnis erhalten hatte, seine
vorsichtige Haltung ziemlich preis mit der Bemerkung, Österreich scheine
jetzt tatsächlich offensiv mit Preußen vorgehen zu wollen. Bei dem be-
kannten Übelwollen Jacobis gegen Österreich konnte Friedrich Wilhelm
das für eine Bestätigung seiner Ansicht halten; aber die Entscheidung
wurde dadurch nicht mehr beeinflußt, sie war schon gefallen (Rep. I 169
Bericht 2. Mai. Rep. 96, 155 D Immediatbericht 4. Mai).
3) Der Bericht Jacobis trägt den Präsentationsvermerk: 5. Mai 92,
vgl. an Goltz in Petersburg 5. Mai P.S. (Rep. XI Rußland 133 A). F e u i 1-
letVI31;FersenII 259. Rep. I 169 an Jacobi 5. Mai : Je recois dans
ce moment votre depeche du 30 d'avril au depart de laquelle je vois qu'on
venait d'etre informe de la declaration de guerre de la France. Je ne doute pas
que le courrier qu'on allait expedier au Prince Reuss m'arrivera incessamment
et qu'il m'apporte toutes les Communications qu'on vous a promises. En
attendant convaincu comme je le suis intimement des dispositions ener-
giques de S. M. Apostolique et de l'acceleration des mesures qu'Elle va
prendre, je vais donner sans delai ä mes troupes les derniers ordres pour
s' armer et se mettre en mouvement. Je n'en desire pas moins cependant
de recevoir le plus tot possible l'indication du terme de l'arrivee des troupes
autrichiennes et pour cet effet leur March-Route, teile que vous
l'avez propose au Cte de Cobenzl afin de regier en consequence la marche
des miennes. Je serai charme aussi de connaitre l'instruction dont sera
muni le Prince de Hohenlohe ainsi que les changements qu'on pourrait
avoir juge ä propos de faire ä celle du Duc de Brunsvick et je crois pouvoir
me livrer ä l'esperance la mieux fondee qu'au moyen de cet accord parfait
76 I. Abschnitt
kannte1), nach allen Richtungen die lange genug vorbereiteten
Befehle. Denn nur die Haltung Österreichs hat den Eintritt
a Preußens in den Kampf gegen die französische Revolution be-
stimmt, nicht die französische Kriegserklärung oder der Angriff
auf die Niederlande oder Rücksichten auf Erwerbungen in Polen
(vgl. oben) oder allgemeineuropäische Interessen. Prüfen wir
nacheinander diese verschiedenen Möglichkeiten.
III.
Bereits am 29. April war in Berlin die französische Kriegs-
erklärung bekannt2). Nun sagte zwar am 1. Mai Schulenburg
zu Custine, Preußens Eintritt in den Krieg sei sicher3); Friedrich
Wilhelm sagte am 28. April, früh 5 Uhr, zu dem jungen Bouille,
er warte nur auf die Kriegserklärung (gegen Österreich?), um
mit 50 000 Mann zu handeln4). Der englische Gesandte in Berlin
erhielt Mitteilung von dem österreichisch-preußischen Plane, je
50 000 Mann an die französische Grenze zu werfen5). Das ist
alles ganz richtig, weil man jetzt in Berlin in der Tat allen Anlaß
hatte, ein weiteres Zögern Österreichs für ausgeschlossen zu
halten. Warum wartete aber Preußen mit den Befehlen an seine
Truppen und seine Gesandten noch ein paar Tage, die es doch
so gern gewonnen hätte, wenn die französische Kriegserklärung
de nos demarches le succes repondra conipletement ä leur promptitude
et ä leur energie.
Berlin le 5. Mai 1792.
ad. mand. Finckenstein. Schulenburg. Alvensleben.
Das in dem letzten Satz enthaltene Urteil kann man nur unterschreiben.
1) Den Österreichern wurde das wieder als besonderer Vertrauens-
beweis seitens Preußen angeschrieben (an Jacobi 7. Mai).
2) Die Minister an Jacobi 29. April. Rep. 1 171: Reuß an Schnlenburg
29. u. 30. April. F e r s e n II 253 — 254. Die Meldung durch Metternich vom
23. aus Brüssel kam einen Tag darauf am 30. an. Allerdings hatte man
am 29. nur den Bericht von Goltz, der den Vorschlag der Kriegs-
erklärung in der Nationalversammlung meldete, aber das Ministerium hielt
dessen Annahme für absolut sicher (Die Minister an Jacobi 29. April. Rep. I
169). Zeißberg, 2 Jahre, 49.
3) Sorel II 446; Clapham 200.
4) Souvenirs de Bouille I 476, dazu Vie privee du Prince
Henri de Prasse 291 und 294 (nach Vo 1 z in F.B.P.G. XIX 424—425 der-
selbe Verfasser): Die Verträge zwangen Friedrich Wilhelm zum Ein-
greifen; Essai sur Bouille par Rene de Bouille 399 — 400 desgleichen.
5) Pallain, Talleyrand a Londres XXI— XXII. H.E.B. 216—217.
Die Offensive von Preußen und Österreich 77
wirklich diese Bedeutung für seinen Entschluß gehabt hätte?1)
Außerdem, sie richtete sich nicht gegen Preußen, nicht gegen das
Reich, nur gegen den König von Ungarn und Böhmen. Was ging
Preußen der Krieg dieser Mächte an? so fragte oft genug noch
der preußische Gesandte in Paris, Baron Goltz.
Nun war ja Preußen mit Österreich im Bunde und bei einem
Angriff zur Stellung von 20 000 Mann verpflichtet. Auch dieser
Grund mag Schulenburg zu der erwähnten Äußerung an Custine
bestimmt haben2). Aber kein Diplomat in Berlin scheint in
den Tagen vom 29. April bis zum 5. Mai ernstlich hieran gedacht
zu haben3). Schon am 12. April war Reuß mit einer derartigen
Anfrage scharf abgewiesen worden. Von hier rückwärts schauend
wird man diese Tatsache als wertvolle Bestätigung für die Auf-
fassung des Bundes vom 7. Februar annehmen, die den Schwer-
punkt nicht in die Sicherung des Besitzstandes von Preußen,
sondern in die offensiven Absichten zu dessen Erweiterung legt.
Preußen stützte sich bei den folgenden Verhandlungen aber stets
auf die Abmachungen, die die Basis für das europäische Konzert
bilden sollten.
Man könnte ja aber den preußisch-österreichischen Vertrag
dahin interpretieren, daß der casus foederis noch nicht mit der
Kriegserklärung gegeben sei, sondern erst mit dem Angriff selbst.
An Beispielen in der Geschichte fehlte es ja nicht für die Tat-
sache, daß ein geschickter Diplomat, der den Krieg will, seinen
Gegner zwingt, ihn selbst zu erklären und sich damit vor der
Welt ins Unrecht zu setzen. Was dann, wenn nun die Franzosen
nicht angegriffen hätten?4) Hierfür genügt aber eine einzige
1) Rep. XI 89 b Schulenburg an Braunschweig 1. Mai 92: S. M. ne
nous a point encore fait connaitre les resolutions qu'Elle prendra sur cet in-
cident (Kriegserklärung), mais je juge de ce silence que le Roi attend l'in-
dication demandee ä Vienne du terme precis oü les troupes autrichiennes
seront rendues ä leur destination et en etat de commencer les Operations
pour continuer l'armement effectif et Parrivee de V. A. S. pour determiner
le jour de la marche des Siennes. Fersen II 254 und 270. An Jacobi
30. April.
2) Besonders Ranke (S. 173 — 174) vertritt die Ansicht, der casus
foederis sei für Preußen entscheidend gewesen. Vgl. H ü f f e r in der
Deutschen Revue 1883 Bd. I S. 238, S o r e 1 II 446.
3) Über die Stellung von Haugwitz vgl. oben.
4) So schreibt ja das Kabinettsministerium an Goltz nach Paris am
7. Mai: Les Francais ayant ainsi formellement commence les hostilites, je
viens de donner mes derniers ordres pour rarmement et la marche de l'armee
de cinquante mille hommes.
78 I. Abschnitt
Feststellung. Die Nachricht von dem Einfall der Franzosen in
die Niederlande kam erst am 5. Mai Abends in Berlin an1). Auch
diese Möglichkeit ist uns also versperrt, und wir dürfen dazu-
setzen, daß auch in den Tagen nach dem 5. Mai an den entscheiden-
den Stellen von dem casus foederis als von einer Veranlassung
für Preußen, in den Krieg einzutreten, keine Rede war. Eine Tat-
sache scheint dem zu widersprechen. Ranke2) hat sich auf einen
Erlaß des preußischen Ministeriums nach Paris berufen, in dem
der Angriff tatsächlich als Kriegsgrund angeführt worden ist.
Aber man wird wohl sagen müssen, daß er seine Quelle damit
unglücklich gewählt hat. Dieser Erlaß ist vom 7. Mai, vielleicht
erst am 8. vom König unterzeichnet worden. An diesem Tage
hatte jedenfalls die Hof Staatskasse schon Anweisung, an Goltz
tausend Dukaten zur Bezahlung seiner dringendsten Schulden
auszuzahlen3). Am 7. Mai hatte man in Berlin aber auch schon
genaue Nachricht von den Beschlüssen der beiden österreichischen
Konferenzen, da Reuß den Erlaß von Kaunitz mitgeteilt hatte4).
Jeder Zweifel schien behoben zu sein. Wenn dieser Grund in dem
Erlaß an Goltz überhaupt nicht erscheint, wohl aber ein anderer
dafür eingesetzt ist, so kann das nur den Grund haben, daß
das Ministerium den ersten an Goltz nicht mitteilen konnte oder
wollte. Er wußte ja von all diesen geheimen Verhandlungen
mit Österreich nichts, und das Ministerium, das mit ihm auf
Kriegsfuß stand und ihm beinahe in jedem Erlaß einen Rüffel
erteilte, griff daher den willkommenen Vorwand auf, ähnlich wie
später in dem preußischen Kriegsmanifest, eine ganz geringfügige
1) Fersen II 259. Rep. XI 89b Schulenburg an Braunschweig 6. Mai,
wo Schulenburg erfreut ausdrücklich dazu bemerkt, heute hätten die
preußischen Truppen schon den Befehl, sich in Marsch zu setzen.
2) Ranke 174—175 und 177.
3) Goltz hatte am 20. April Abends, noch bevor er die Tatsache der
Kriegserklärung melden konnte, darum gebeten, da der Fall einer plötz-
lichen Abreise ja leicht eintreten könne. Der König genehmigte auf einen
ministeriellen Bericht hin die Bitte, aber mit dem Zusätze, das Geld erst
zugleich mit dem Abberufungsschreiben zu schicken (il ne faudra lui
envoyer cette somme qu'avec la lettre de rappel et pas autrement). Er
kannte seine Leute. Im Winter hatte er dann doch noch eine große Menge
Schulden von Goltz zu bezahlen (Rep. 96, 147 G. I. F. S. A. Au Roi mit Kgl.
Entscheidung 30, IV). L e s c u r e, Corr. secrete II 596.
4) Rep. I 169 Bericht Jacobis 2. Mai. Rep. I 171 Auszug aus einer De-
pesche von Kaunitz an Reuß vom 2. Mai, der am 7. Mai von Schulenburg
mit Bemerkungen versehen worden ist, dazu andere am 7. Mai präsentierte
Schriftstücke aus Wien. Fersen II 270.
Die Offensive von Preußen und Österreich 79
Verletzung des Gebietes des Baseler Fürstbischofs, das ja immer
noch trotz der Lostrennung der Stadt zum Keich gehörte, einen
erwünschten, aber sonst vergeblich gesuchten Vorwand bot, um
Preußens Angriff auf Frankreich als Reichsverteidigung zu be-
zeichnen. Auch die Abberufung von Goltz ist also keine Folge
der französischen Kriegserklärung an sich1).
Wie steht es endlich mit den Rücksichten auf Europa und
auf den inneren Zustand von Frankreich, insbesondere auf die
königliche Machtstellung?2) Jeder führte diese Schlagworte da-
mals im Munde, und oft genug wird deshalb auch noch in neueren
Geschichtswerken von einem Kreuzzuge der Könige gegen die
Revolution gesprochen. Man macht sich damit eine Anschauung
1) Rep. 96, 147 G. I und II, F. S.A. Au Roi 30. April u. 7. Mai. Rep. I
169 an Jacobi 7. Mai. Goltz freilich war mit dieser Haltung seines Hofes
durchaus nicht zufrieden. Die Franzosen hatten den Krieg ja nur an Franz
erklärt und suchten sich geflissentlich mit Preußen auf guten Fuß zu stellen.
Es wiederholt sich hier die Erscheinung, die wir noch besser bei dem Fürsten
Reuß beobachten können, daß ein Gesandter seine Ansichten leicht denen
des Hofes annähert, an dem er weilt (Bacourt-Städtler III 349,
Berichte von Goltz 20. u. 28. April, 11. Mai in Rep. XI 89). Am liebsten
wäre er in Paris geblieben. Unter diesen Verhältnissen wollte er aber
wenigstens eine Verlängerung seines Aufenthaltes in Brüssel durchsetzen,
wohin zunächst zu gehen er Weisung erhielt. Selbst darum zu bitten,
scheute er sich offenbar (es liegen mir leider nur seine offiziellen Depeschen
vor), aber er verstand es auch ohne das, seinen Wunsch dem Ministerium
nahezubringen. Mercy und Metternich, ja sogar die Statthalter in selbst
behandelten ihn mit größter Auszeichnung und wünschten, ihn dort zu
behalten, so berichtet er mehrfach. Sein stiller Gedanke war wohl, ähnlich
wie bei Mercy, von Brüssel aus bald wieder mit Frankreich anknüpfen
zu können (Bericht vom 7. u. 11. Juni), ganz im Sinne Dumouriez', wenn
Goltz wohl auch mehr an die Feuillants gedacht hat. Das Ministerium
machte ihm aber rasch durch diese Rechnung einen gewaltigen Strich mit
dem kurzen Bescheid vom 3. Juni, er werde vom 1. August ab pensioniert
und habe sich sofort nach Berlin zu begeben. Der Anlaß, einen unbe-
quem gewordenen Vertreter, der beständig an einer früheren Richtung der
preußischen Politik festhielt, beiseite zu schieben, war ja auch zu günstig.
Und wenn es zur Wiederanknüpfung politischer Beziehungen mit Frankreich
kam, so dachte man in Berlin wohl an jeden anderen eher als an Goltz,
den schon seine Vergangenheit bei dem französischen Königspaar kom-
promittiert, d. h. unbrauchbar gemacht hatte. Friedrich Wilhelm hatte
auch schon für Goltz einen Nachfolger ausgesucht: Lucchesini war der
Glückliche, dem der Boden in Warschau unter den Füßen zu heiß zu werden
begann. Am 29. Juli erhielt er den Befehl, sich zur Armee zu begeben,
um zur Hand zu sein, wenn man ihn brauchen sollte. Die Zeit bis dahin
schien nur noch nach Wochen zu zählen.
2) Vgl. z. B. Ranke 172.
80 !• Abschnitt
zu eigen, die namentlich in dem späteren Verlauf des Krieges
den französischen Revolutionären geläufig war1). Allerdings gibt
schon die Tatsache zum Nachdenken Anlaß, daß die Politik der
Mächte sich mit dieser Annahme durchaus nicht vereinbaren
lassen will. Man hat daher zu der Aushilfe gegriffen, den Kreuz-
zug gegen den Jakobinismus sich allmählich in einen Krieg der
Interessen und der Eroberungssucht umwandeln zu lassen2), wie
mir scheint, mit ebenso geringem Recht. Ja, ich möchte eher
umgekehrt sagen, daß sich der Beutezug vom August ab infolge
der Suspension des Königs, infolge seiner Absetzung und der
Erklärung der Republik in eine Art Rachezug zu verwandeln
schien3). Gestehen wir es uns ruhig ein: Mehr als Worte waren
es auch kaum, womit die Mächte ihre eigenen Interessen, die
untereinander so vielfache Abweichungen aufwiesen, zu allgemein
europäischen zu stempeln suchten. Die sogenannte Ansteckungs-
gefahr bestand damals nach der Ansicht der preußischen Staats-
männer für Preußen sicher noch nicht4). Custine urteilte nur
1) A. C h u q u e t, la retraite de Brunswick (zitiert als Ch. R.) p. 151.
2) Man so, 1229—230; SchlosserV 311—313, 322, 327, 329;
H äußer I 349, 398 und 430^31; Sybel II 194; Sorel I 1—3,
180—181, II 240, 370—378, 414, 443, 494, 559, 565, III 130—131, 317—318;
C h u q u e t, la premiere invasion prussienne (zitiert Ch. J. P. ) 130: H e i g e 1
II 16—17 und 49; Prutz Preußische Geschichte Bd. III (1901) 302;
Koscr in Deutsche Monatsschrift für das gesamte Leben der Gegen-
wart. Herausgegeben von Otto Hötzsch 6. Jahrg. (Januar 1907) S. 477 ff.
Ch. R. 263.
3) Rep. 89 h Reck an Schulenburg 15. August, Schulenburg an Reck
22. August: Votre nouvelle des Jacobins (die Jakobiner hatten angeblich
drei Millionen gezeichnet, um die Monarchen aller Länder ermorden zu
lassen) fait frernir. Si eile se realisait, il faudrait precher une croisade pour
exterminer cette abominable race de scelerats jusqu'au dernier de ses
suppots. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 Bd. III Memoire (Lucchesinis,
vom 27. September vermutlich): Que les puissances de la terre ne s'y trom-
pent pas. La revolution francaise ne porte aucun des caracteres des autres
revolutions; c'est l'ouvrage de la sceleratesse, c'est Fapologie des plus de-
testables maximes et crimes, et non Contents d'avoir tout detruit chez
eux, ils ont jure d'en faire de meme au dehors. Ils ont anime la multitude
qui n'a rien ä perdre contre le moins nombreux proprietaire ; ils ont egare
la raison et gangrene les coeurs par les appas les plus dangereux pour le
peuple, et si on ne parvient ä remettre cette nation sous le joug de la loi
divine, morale et civile, toute l'Europe est perdue. Que personne ne se
flatte de sa force, aucun n'y 6chappera, les uns plus tot, les autres plus
tard, mais au moins de dix ans tout est suborne.
4) Gab es doch sogar eine starke Partei in Preußen, die den Krieg
gegen die Revolution scharf verurteilte, eine bewaffnete Vermittlung
Die Offensive von Preußen und Österreich 81
nach den offiziellen Unterredungen mit den preußischen Ministern,
wo natürlich dieser Punkt geflissentlich betont wurde, oder nach
allgemeinen Gerüchten1). Frankreich erschien noch nicht als der
Vulkan, der das Bestehen seiner Kachbarstaaten und ihrer Dy-
nastien bedroht, wie es nach den Pariser Ereignissen vom August
und September und dem Rückzug der Preußen mit gutem Grunde
der Fall war2) — dazu fehlte vorläufig schon die Ordnung der
vorhandenen Kräfte. Nur wenigen genialen Staatsmännern wie
Mirabeau war es beschieden, die revolutionäre K r a f t zu ahnen,
Englands wünschte (Vie privee du prince Henri 295), die die preußische
Regierung so sehr fürchtete, und sich mit ihrem Protest an die Öffent-
lichkeit wagte, sachlich im Einverständnis mit Dumouriez, daß Preußen
und Frankreich sich gegen Österreich verbünden müßten, statt daß Preußen
gegen Frankreich zu Felde ziehe. An der Spitze dieser Partei stand Prinz
Heinrich, der Oheim des Königs, dessen Intriguen man in Berlin weniger
als an anderen Höfen fürchtete (Vivenot II 461; Krauel, Prinz
Heinrich von Preußen als Politiker 55 ff. ; Sbornik XXIII 569—575;
Vie privee du Prince Henri 291 ff. ; H ä u ß e r I 349; S y b e 1 II 194—195;
Ch.J.P. 130—132; Souvenirs de Bouille I 485 ff.; M a s s e n b a c h,
Historische Denkwürdigkeiten 5 ff.; Derselbe, Memoiren I 21 ff. und
332 ff. [vgl. dazu Rep. XI 89 Brief von Taxeira-Gorani] ; Dampmartin,
Quelques traits de la vie privee de Frederic Guillaume II 60 — 61, 87, 96),
den dazu verletzte Eitelkeit, aber auch die ehrliche Überzeugung veran-
laßte, er sei der Mann, Preußen aus dieser gefährlichen Lage zu retten,
und nur allzu gern träumte er sieb in diesen Gedanken nach dem Scheitern
der Unternehmung immer mehr hinein (Memoires du duc des Cars DI 224
und 281), Da er den Krieg verhindern wollte, so stellte er jetzt den Krieg
als noch gefährlicher dar, als er selbst wohl glaubte (Souvenirs de Bouille
I 466). Er hatte seine Versuche zur Erhaltung des Friedens bezw. zu seiner
Herbeiführung so oft und so deutlich gemacht, daß er im Winter 1791/92
angeblich beinahe nach Spandau gekommen wäre (Sbornik XXIII
573 — 574). Custine, Bouffiers waren bei ihm in Rheinsberg gern gesehene
Gäste, und der junge Bouille stand mit seinen antirevolutionären An-
sichten völlig isoliert da; man ließ ihn reden, hörte aber nicht auf ihn
(Souvenirs de Bouille I 352, 466 — 474; Fornero n, Histoire des Eini-
ges I 369. Vie privee 289 ff. Rep. 96, 147 G. II, S. AuRoi 17. Juni, Breteuil
an Schulenburg 11. Juni). Tatsächlich war der Unterschied zwischen
der offiziellen Politik und der eben gekennzeichneten Parteiansicht ja viel
geringer. Nur weil die wirklichen preußischen Pläne nicht bekannt waren,
eiferte man so stark gegen diesen Kreuzzug, der scheinbar nur den Öster-
reichern Vorteil, immer aber den Preußen Schaden bringen werde.
1) S o r e 1 II 366—367, 442 und 443—446; H e i g e 1 II 14; C a r i-
sien 91 und 122; Clapham 171—172, 185—186, 200—203 (nicht
einheitlich); Taine, les origines de la France contemporaine III 136.
Man erkennt deutlich die Verlegenheit Schulenburgs, der eben keinen an-
deren Grund findet, um Preußens Vorgehen zu rechtfertigen.
2) Heigel II 43.
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 6
82 I- Abschnitt
wo alle Welt nur Anarchie sah1). Nein, es schien ein großer leerer
Fleck auf der Karte von Europa zu sein2), als ein Chaos, das
durch das Fehlen einer starken Zentralgewalt Anlaß zu Unruhen
gab, denen man durch die Wiederherstellung der Ordnung den
Boden entziehen wollte3). Den Diplomaten des ancien regime
war die Anschauung durchaus geläufig, daß eine Revolution stets
die Kraft eines Staates lahmlege, daß dieser Zustand durch die
Einführung einer demokratischen Verfassung verewigt werde,
wofür England und die Vereinigten Staaten von Amerika als
Beispiele zu dienen pflegten, und daß eine Revolution den Nach-
barmächten die beste Gelegenheit gebe, sich einzumengen und
im trüben zu fischen4). So galt damals Frankreich für ein zweites
Polens).
Nun hielt Preußen das Konzert der Mächte für unausführ-
bar6). Man war sich in Berlin durchaus darüber klar, daß Öster-
reich und Preußen allein den Krieg würden führen müssen7), daß
also von der Gemeinsamkeit der europäischen Interessen keine
Rede war. Sollte aber nun die Herstellung der alten königlichen
Macht oder gar einer stärkeren, als sie bisher dort bestanden
hatte, das Hauptziel sein? Sicher nicht. Friedrich Wilhelm
erklärte jetzt mehrfach8), er habe an dem französischen Königs-
*) Sorel II 42-AZ.
2) Sorel II 28; Laf ayette III 264.
3) Dumouriez, Memoires II 179; Carisien 99.
*) Sorel I 15—16, 55, 331, 343—349; II 21 ff.
6) ib. II 409^10.
6) Schulenburg an Braunach weig 17. April (Rep. XI 89 b): il me
parait plus qu'invraisemblable que jamais ce concert prendra une
Constitution solide ä moins d'une attaque de la part des Francais.
Damals wollte Schulenburg den Angriff für wahrscheinlich halten nach
Meldungen aus Paris, Brüssel, Wien und Turin.
7) An Jacobi 30. April.
8) Anfangs stand er auch auf einem anderen Standpunkte, etwa auf
dem Georgs III. von England, der zwar Ludwig XVI. bedauerte, sich aber
über den Fall der französischen Monarchie freute und immer nur die In-
teressen seines Landes, nicht aber seine Gefühle für die Politik in Rechnung
zog. Friedrich Wilhelm war nur dann Legitimist, -wenn er sich davon
einen politischen Erfolg versprach (daß er sich in seinen Erwartungen
täuschte, ist davon ganz unabhängig). Eine Trennung zwischen seinen
Ansichten und denen seiner Minister halte ich nach allem für unzutreffend;
die bisherige Überschätzung des Einflusses von Rosenkreuzern und II-
luminaten, seinen Günstlingen, auf ihn scheint mir ganz dementsprechend
einer starken Einschränkung zu bedürfen; vgl. auch Carisien 124;
S o r e 1 in R. d. d. m. Bd. 55 (1883) S. 300—301 [ein Aufsatz, den er an-
Die Offensive von Preußen und Österreich 83
paar nur ein persönliches Interesse, und dies war nicht so stark,
daß es ihn in einen Krieg hineingezogen hätte, der ihm nichts
einbrachte. Das Gefühl, die europäischen Dynastien bildeten
eine einzige große Familie, bei der eine Schädigung eines Gliedes
auch zugleich alle anderen treffe und gemeinsam bestraft werden
müsse, mochte sich zwar bei derartigen Anlässen wie der Hin-
richtung Ludwigs XVI. zeigen, wo die preußischen Minister nicht
erst die offizielle Nachricht abwarteten, sondern sofort die Königin
veranlaßten, den Befehl für die vierwöchentliche Hoftrauer zu
erlassen, wie sie beim Tode gekrönter Häupter üblich war; aber
bis dies Gemeingefühl politisch wirksam wurde, dazu war doch
noch ein weiter Weg. Nun erwartete man zwar in Preußen, nach
der raschen Herstellung geordneter Zustände in Frankreich, an
der man nicht zweifelte, werde sich das mit preußischer Hilfe
restaurierte Königtum nicht so ausschließlich mit Österreich ver-
bünden wie bisher unter dem Einfluß von Marie Antoinette1 ),
so daß Preußen hier einen Freund gewonnen oder mindestens
einen Feind weniger hätte, wobei ihm auch noch zu statten
kommen mußte, daß es, wenn sein Plan gelang, nichts von den
französischerseits abzutretenden Gebietsteilen einheimsen sollte,
wohl aber Österreich2). Man wird die preußische Begründung
für diese Ansicht nicht einfach ablehnen dürfen. Es dachte eben-
sowenig wie Österreich an eine Abschaffung der Verfassung, nur
das französische Königspaar und die Emigranten verfolgten noch
dies Ziel mit verschiedenen positiven Ersatzplänen. Preußen
wollte nur die notwendigsten Verbesserungen an ihr vorgenommen
wissen, um sie überhaupt ausführbar zu machen. Wie es das aber
verstand, geht aus der Äußerung Schulenburgs gegen Lucchesini
hervor, man werde nach der Befreiung Ludwigs neue General-
stände berufen müssen und dann an der Abfassung einer neuen
Verfassung zu arbeiten haben unter der Aufsicht der inter-
venierenden Mächte und dem Schutze eines Truppenkorps, auf
läßlich von Philippsons Buch geschrieben hat]. Wie könnte es auch gerade
hier anders sein, wo sich Preußen und Frankreich noch bis vor kurzen»
feindlich gegenübergestanden hatten (1787 in Holland, Ephraim und Goltz
in Paris 1789 — 1791) und Marie Antoinette infolgedessen noch 1791 preußi-
sche Intriguen überall am Werke zu sehen glaubte (S o r e 1 I 180 — 181,
474—496, 531, II 26—29, 52, 71, 181—182, 240; H e i g e 1 II 16; Ch.J.P.
132; Salomon, Pitt I, 2, 538).
M Sorel II 280.
2) ib. II 442—443; Sybel, Vorträge und Aufsätze 187—188.
84 I. Abschnitt
dessen Treue man zählen könne1). Mit der österreichischen An-
sicht hatte diese also nichts gemein, am ersten noch mit der der
Emigranten. Von einer rechten Würdigung der Revolution ist
keine Rede. Österreich wollte ein schwaches konstitutionelles
Frankreich schaffen, da die Wiederherstellung des ancien regime
ihm mit Recht als unmöglich erschien und das revolutionäre
Frankreich in Österreich seinen größten Feind erblickte, wie
Kaunitz wohl sah. Er durfte also jene Macht nicht zu Kräften
kommen lassen und seinem „Verbündeten" Preußen nicht in ihr
einen kräftigen Bundesgenossen erstehen lassen2). Die Verfassung
sollte das Mittel dazu werden, einen erträglichen Zustand in Frank-
reich herzustellen — nicht mehr. Preußen seinerseits fürchtete
von einer Wiederherstellung des ancien regime schlechthin, die
man hier nicht für so völlig ausgeschlossen gehalten zu haben
scheint, ein Überwuchern des Einflusses von Marie Antoinette,
d. h. der Verbindung mit Österreich. Ein zweites Mal wollte es
sich aber nicht so wie in Holland um den Erfolg seiner Mühe
bringen lassen3), und wehrte sich deshalb im Bunde mit Öster-
reich, und doch gegen dies, gegen die Wiederherstellung des
früheren Zustandes4). Auch ihm sollte die Verfassung dazu
helfen. Ein konstitutionelles Frankreich würde solche Pläne
ohne weiteres unmöglich machen. Preußen wußte, daß es bei
einer Festigung der Verhältnisse auf die Freundschaft Frank-
reichs, wenn nicht auf noch mehr, zählen konnte. Es wollte also
im eigenen Interesse im Gegensatz zu Österreich nicht die fran-
zösischen Kräfte sich paralysieren lassen durch die Einführung
der Konstitution, sondern die Ordnung wiederherstellen, um den
Franzosen die Möglichkeit zu geben, nach außen kräftig aufzu-
treten, und um durch einen Bund mit dieser Macht selbst davon
Vorteil zu ziehen ).
Dazu bot sich noch ein anderes Mittel, um am Pariser Hofe
selbst den Österreichern Terrain abzugewinnen: die Unter-
stützung der Emigranten, die zwar von Preußen nicht so gut
behandelt worden waren wie von Rußland oder von einigen
kleinen deutschen Höfen, aber doch weit besser als von öster-
x) Rep. I 170 an Haugwitz 16. Juni. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß
37. Schulenburg an Lucchesini 8. Juni 92. Rep. I 169 an Jacobi 16. April.
2) S o r e 1 II 280.
3) Rep. XI. 89 b Schulenburg an Braunschweig 23. April.
4) Braunschweig an Schulenburg 30. Juni. Schulenburg an Braun-
schweig 4. Juli.
B) S o r e 1 II 442—443; H e i g e 1 II 17.
Die Offensive von Preußen und Österreich 85
reich, und daher in Preußen ihren natürlichen Schirmherrn sehen
mußten, wenn es galt, eine Wahl zwischen den beiden Mächten
zu treffen1). Diese Anhänglichkeit an Preußen ging ja so weit,
daß sie die preußischen Moden nachahmten2). Nun, das mochte
eine harmlose Spielerei sein, aber daß sie ein Bündnis mit Preußen
predigten, war es weniger. Man begreift die schwierige Lage, in
der sich der preußische Vertreter in Brüssel, Baron Reck, befand,
als ihm im Sommer von allen Seiten derartige Vorschläge ge-
macht wurden3). Sie hofften ja, in Frankreich die erste Zeit
nach der Intervention die Politik in den Händen zu haben, und
wollten geheim mit Friedrich Wilhelm anknüpfen, um bei einer
eventuellen Ablehnung sich nicht zu. kompromittieren und auch
erst nach der Wiederherstellung der alten Monarchie das preußische
Bündnis an die Stelle des verhaßten österreichischen zu setzen.
Man begreift daher die Besorgnis eines so gut — und doch nach
der Ansicht Marie Antoinettes nicht hinreichend — königlich
gesinnten Mannes wie Montmorin vor Emigranten wie Preußen4).
1 ) Minutoli, Erinnerungen 13; Bacourt-Städtler III
329; Fersen I 236 etc. ; Ranke 176 und 225—226; S o r e 1 III 43;
H e i g e 1 II 16.
J) ChJ.P. 276—277.
3) Rep. XI 89 h Reck an Schulenburg 31. August 92. Je me tue de
leur dire que si au bout de 20 ans ils auraient repris la forme d'une nation
civilisee on y penserait (Reck ist sehr emigrantenfeindlich).
* ) S o r e 1 II 505 — 508 ; P i n g a u d , l'invasion austro - prussienne
9 — 10 (Langerons Memoire vom 2. Juni 92); Bacourt-Städtler III
370—371. Rep. XI 89 b Schulenburg an Braunschweig 23. April 92 : Schulen-
burg schickt ihm das ausgezeichnete Memoire über Frankreich zurück.
Der Verfasser gehört aber zur Partei Breteuils , da er den Einfluß der
Königin sichern, die Prinzen ausschließen will. On ne saurait etre plus per-
suade que moi que l'idee la plus chimerique que Ton pourrait suivre, serait
de vouloir retablir l'ancien regime et je conviens avec l'auteur que tout ce
que les puissances reunies pourraient obtenir, serait le retablissement
d'une autorite limitee du Roi. Je suis encore de son avis quant au danger
qu'il y aurait de donner lieu a une coalition de toute la nation contre les
efforts des cours intervenantes et que celle-ci n'ont ä attendre un succes
permanent de leur interposition qu'autant que la partie saine et raisonnable
de la nation penchera du moins- secretement en faveur de la cause qu'elles
protegeront, mais quand il insiste sur un entier eloignement des Princes et
des Emigres, je crois qu'il propose une chose egalement impraticable et
peu conforme meme aux interete de la Prasse. Ce n'est pas qu'on ne puisse
et qu'on ne doive meme ä mon avis les ecarter de toute participation aux
negociations dont il pourra etre question, et qu'il ne soit encore essentiel
de tenir leur corps entierement separe de nos armees, mais les empecher
tout ä fait d'agir, comment y parviendrait-on avee la bouillante impatience
86 I. Abschnitt
Trotz des also vorhandenen starken Gegensatzes zwischen den
Plänen Österreichs und Preußens über die fernere Gestaltung
des Zustandes von Frankreich kamen sie praktisch zunächst doch
auf dasselbe hinaus, und es hätte sich nur gefragt, welche Macht
mit ihren Folgerungen recht behalten würde — wenn es über-
haupt zur glücklichen Ausführung des ersten gemeinsamen Teiles
ihrer Pläne gekommen wäre1).
Derartige allgemeine Erwägungen waren, ich wiederhole es,
auch auf preußischer Seite vorhanden, aber in den Krieg hätten
sie, soweit ich zu sehen vermag, Preußen nicht getrieben.
Nur selten ist in den österreichisch-preußischen Verhandlungen
davon die Rede — das könnte man begreifen, schon weil es sich
hier, um bei der Sprache der damaligen Diplomaten zu bleiben,
nicht mehr um die quaestio an, sondern nur noch quomodo
handelte, oder, anders ausgedrückt, nicht um prinzipielle Er-
örterungen, sondern um die Ausführung eines bereits beschlos-
senen Planes. Aber auch in den geheimen preußischen Akten
findet sich nur selten ein Hinweis hierauf. Wem nun dies argu-
mentum e silentio nicht genügt, der mag sich an den positiven
Beweis halten, daß Preußen in den Krieg eintrat, vornehmlich
um als Entschädigung dafür territoriale Vorteile zu erlangen, wie
jede Monarchie es damals beabsichtigte und wie es Montesquieu
qui les caracterise relativement ä une cause qui les touche de si pres? II
semble qu'il faudrait un corps uniquement destine ä les contenir ou qu'il
faudrait risquer en les laissant en arriere d'avoir pour ainsi dire un nouvel
ennemi ä dos. Quant au nouveau gouvernement qu'il s'agira d'etablir en
France, j'ose soumettre aux lumieres sup6rieures de V. A. S. s'il ne serait
pas ä desirer pour les interets memes de notre etat qu'ils y conservassent
quelqu'influence. Qu'Elle daigne jeter les yeux en arriere sur l'exemple
de la Hollande. A peine sauvee par la valeur et les talents de V. A. S.
des dangers qui l'entouraient, cette republique est allee se remettre sous
son ancienne dependance de 1' Angle terre. Si dans le nouvel ordre de choses
en France la Reine conserve seule une influence exclusive, ne sera-ce pas
toujour3 la Cour de Vienne qui y dominera et pourrons-nous compter
sur quelque reconnaissance solide pour les efforts par lesquels nous aurons
tire ce royaume de l'abime? Je crois pouvoir admettre aussi qu'on exagere
beaucoup l'aversion de la nation pour les Princes et les Emigres. Suivant
des notions que j'ai Heu de croire assez authentiques, c'est moins encore
sur eux que sur la reine que cette aversion se porte, et un bien haut
degre d'autorite de cette Princesse serait peut-etre ce que la Nation
dans ses dispositions actuelles serait le moins capable de supporter.
x) Man erinnere sich aber der entgegenkommenden Haltung Frank-
reichs (welche Partei hier am Ruder war, macht dafür nichts aus) gegenüber
Preußen bis zum Jahre 1805!
Die Offensive von Preußen und Österreich 87
in der pointierten französischen Art formuliert hat: „L'esprit
de la monarehie est la guerre et ragrandissement". Es han-
delte sich nur noch darum, diesem Gewaltakte äußerlich eine
Form, eine Erklärung zu geben, die ihn als notwendig für die
Menschheit, als Fortschritt der Zivilisation kennzeichnet oder
wie diese Phrasen sonst heißen mögen, die Sorel mit Recht als
„clauses de style" bezeichnet1). Diese territorialen Vorteile aber
schon genauer zu bezeichnen, hütete sich Preußen wohl, da sich
bereits außer der Verwicklung im Westen eine andere im Osten
geltend zu machen begann, da also außer Jülich-Berg, womit es
zuerst gerechnet »hatte, auch polnische Gebietsteile in Frage
kamen. Sie sich unabhängig von dem Ausgang des Krieges zu
sichern — man bezeichnete sie ja als Kostenersatz — war sein
lebhaftestes Bestreben, und auch Österreich hatte derartige An-
wandlungen2). Den Beweis dafür habe ich unten genauer zu
erbringen.
So bietet sich uns ein eigentümliches Schauspiel: Zwei Groß-
mächte gehen in den Krieg, den mindestens ihre Regierungen
nicht gewollt haben, und den möglichst rasch zu beendigen, ohne
an Eroberungen zu denken, ihr größter Wunsch war oder noch
ist. Daneben sehen wir die jüngste europäische Großmacht,
Preußen, den Ausbruch des Krieges herbeiwünschen und an seiner
Beschleunigung arbeiten, um für seine eigenen Zwecke daraus
möglichst viel Kapital zu schlagen3). Der erste Teil seines Wun-
sches war erfüllt, der Krieg war da. Wird es ihm nun aber gelingen,
seinen Plan auch weiter durchzuführen, soweit von einem Plan
hier überhaupt die Rede sein kann? Werden sich nicht unbekannte
Kräfte der Invasion widersetzen? Wird sich nicht doch der Zwie-
spalt zwischen den preußischen und den österreichischen Inter-
essen als stärker als die augenblicklich zur Vereinigung treiben-
den Kräfte erweisen? Wird die alliance monstrueuse die Feuer-
probe bestehen? Nur zu rasch brach sie tatsächlich zusammen.
1) Sorel I 1—35, speziell 20, dazu 40 und 50.
2) Vivenot II 540. Rep. XI 89 b: Schulenburg an Braunschweig
6. Mai. Ranke 193; Sorel II 501; Kos er 461—466. Wie unter-
geordnet die Geldfrage gegenüber der Territorialfrage, der eigentlich
politischen, war, beweist die Behandlung Struensees, der unter diesen
Umständen sich mit Hertzberg und den Gesandten von England und
Holland verband. Man hörte seine Bedenken nicht, sondern wies ihn ein-
fach an, Geld zu beschaffen, vgl. z. B. Fersen II 271.
3) Vgl. das zugespitzte Urteil von Sorel in La question d' Orient
au 18. siecle. Avant-Propos IL
88 I. Abschnitt
Die zweite Teilung Polens machte ihr den Garaus. Bis zu ihr will
ich die preußische Politik verfolgen. Ganz von selbst gliedert
sich der Stoff in drei Abschnitte: die diplomatische Vorbereitung
für den Kampf, der Kampf selbst, die Verhandlungen mit Öster-
reich und Rußland über Polens zweite Teilung.
Denn bis zum Beginn des Kampfes schien den Franzosen ja
noch eine Galgenfrist gewährt zu sein. Wir sahen, wie wenig
oder gar nicht bei den deutschen Mächten bisher von militärischen
Vorbereitungen die Rede gewesen war. Noch sind wir im Zeit-
alter des alten Staates. Noch bedarf die Mobilmachung und der
Marsch der Truppen einer unverhältnismäßig langen Zeit, die
politisch auszunützen sich auch der Gegner nicht nehmen ließ.
Betrachten wir daher zunächst die französische Politik und ihre
Versuche, den Krieg rasch zu beendigen, die sich nach jeder
Richtung hin als gescheitert erweisen sollten.
II. Abschnitt
Die Vorbereitung zum Kampfe
1. Kapitel
Französische Politik und Kriegführung im Frühjahr 1792
I.
Dumouriez hatte von seinem Vorgänger Delessart eine Erb-
schaft übernommen, die seine Politik bestimmte: den drohenden
Krieg mit Österreich. Er hatte seinen Ausbruch trotz anfäng-
lich,en Bemühens nicht mehr verhindern können. Sowie er dessen
gewiß war, sehen wir ihn alle Mittel ergreifen, um dieser Sache
einen für Frankreich möglichst günstigen Ausgang zu sichern.
Es stand ihm fest, daß das ein rascher Friede sei, und in dem
Wunsche danach begegnete er sich mit einem großen Teile der
französischen Nation. Man hat wohl davon gesprochen, daß er
die Rheinlinie für Frankreich habe erobern wollen; er habe das
verhängnisvolle Wort von den natürlichen Grenzen zuerst wieder
ausgesprochen1), er habe sich auch hier wie in seinem ganzen Leben
wieder als Abenteurer gezeigt. Die tiefsten Quellen zeigen uns
ein ganz anderes Bild2), an denen alle späteren Behauptungen
nichts mehr zu ändern vermögen3). Oder wie läßt sich mit Er-
1 ) Sy b e 1 II 72—76 und 84; B o g u s 1 a w s k i I 123—127; H e i g e 1
II 6 und I 521 ; S o r e 1 II 403-^04; Ch.J.P. 1—15; dazu Ranke 173;
Clapham 184 ff.
2) Pallain, Lauzun- Serignan.
3) Bacourt- Städtler III 410—411. Gewiß war die Forde-
rung der natürlichen Grenzen in Frankreich bereits Jahrhunderte alt und
fand gerade damals weder ihre Vertreter. Jedoch an ihre praktische Ver-
wirklichung dachten sie zunächst nicht, mindestens nicht, die dazu berufen
gewesen wären, daran zu arbeiten. Es war ein Ideal, mehr nicht, und
Dumouriez hat sich mehr als andere französische Staatsmänner freizu-
halten gewußt, sich davon blenden zu lassen, im Anschluß an die gemäßigte
90 IL Abschnitt
oberungsabsichten die Furcht vor dem europäischen Konzert,
vor dem Einmarsch der Mächte vereinigen? Wie der oft genug
wiederholte Versuch, den Deutschen ihre besten Generale ab-
spenstig zu machen oder sie wenigstens für sich zu gewinnen1)?
Oder der andere, Preußen von dem Bündnis mit Österreich ab-
zulösen, die übrigen Mächte neutral zu erhalten? Wie die Er-
kenntnis von der Unfertigkeit der französischen Rüstungen, der
Zerrüttung innerhalb des französischen Heeres? Wie der über-
hastete Einfall in die Niederlande, an deren dauernde Behaup-
tung gegen die vereinigten österreichisch-preußischen Armeen,
ja auch nur gegen eine starke österreichische Armee er gar nicht
denken konnte?
Nein, er wollte den Frieden rasch zurückführen, und an Er-
oberungen für Frankreich dachte er nicht, und es rächt sich hier
der Versuch, Dumouriez' Verhalten lediglich psychologisch zu
erklären. Hätte man ihn nicht isoliert, sondern die Lage dazu
genommen, in die er eintrat, so hätte man zu einer derartigen
Auffassung wohl gar nicht kommen können. Die Mittel, die er
ergriff, um dieses Ziel zu erreichen, sind von doppelter Art:
militärischer und politischer. Denn daran ist gar nicht zu zwei-
feln, daß e r es war, der sich seit Ende März für den Einfall in
die Niederlande und die in Trier und in Savoyen mit ganzer
Kraft einsetzte. Der Kriegsminister de Grave war nur ein ge-
fügiges Werkzeug in seiner Hand; er dachte nicht an eigene Ent-
schlüsse und hätte den Angriff am liebsten verhindert. Von den
Generalen an der Grenze, die diese ersten Stöße führen sollten,
war einer, und zwar der angesehenste, der Marschall Rochambeau,
entschieden gegen den Angriff aufgetreten; die beiden anderen,
Politik Vergennes' oder die Gedanken Mirabeaus, die ein Föderativsystem
erstrebten, das Frankreich mehr als Eroberungen hätte nützen können.
Sie alle glaubten zu erkennen, daß Frankreich zu Eroberungen zu schwach
sei, daß es sich bei dem Versuch, sie zu machen, nur die Feindschaft aller
anderen Mächte zuziehen werde. Nicht auf die militärische, sondern auf
die diplomatische Aktion legten sie den Nachdruck, und ganz in ihrem
Sinne war das Dekret vom 22. Mai 1790 anläßlich des Streites um den
Nootkasund erlassen worden, demzufolge Frankreich einen Eroberungskrieg
nicht führen wollte, wenn es auch schon in zwei wichtigen Fragen durch-
brochen worden war (Elsaß und Avignon- Venaissin). S o r e 1 I 245 — 246,
310—318, II 44, 84—91 etc.
1 ) S o r e 1 in R.H. I 154 ff. (Custine in Braunschweig) und Schlief-
fen II 393 — 398 und 567 — 568 (er sollte nach seiner Entlassung aus
preußischen Diensten noch im Herbst 1792 in französische treten, lehnte
jedoch ab).
Französische Politik und Kriegführung im Frühjahr 1792 91
Luckner und Lafayette, dachten wohl an Einfälle von kurzer
Dauer in Feindesland, aber auch nicht mit der Energie und der
Konsequenz in der Durchführung wie Dumouriez. Sie hätten
nach allem den Angriff nicht durchgesetzt1).
Dumouriez wußte, daß seine Gegner nicht gerüstet waren,
und darauf begründete er seinen Plan. Schnell mußte er handeln,
wenn er überhaupt etwas erreichen wollte. Er wollte vor allem
die Niederlande überrumpeln, die einem französischen Angriffe
keinen Festungsgürtel mehr entgegenzusetzen hatten. Er hoffte,
daß sich hier nicht nur zahlreiche Deserteure seinen Truppen an-
schließen würden, die er dann in Paris spazieren zu führen ge-
dachte2), um in diesem so unangenehmen Kriege dem Pariser
Volke rasch einen Erfolg zu zeigen, mit deutlichem Hinweis auf
die Werbekraft der revolutionären Idee, und dadurch zugleich
aus der verfahrenen Lage im Innern Frankreichs herauszukom-
men3). Nein, er rechnete auf viel größere Erfolge, auf den Abfall
des ganzen Landes, wo es ja stark gärte4), von der österreichischen
Herrschaft mit Hilfe der zahlreichen, teils schon militärisch
organisierten belgischen Emigranten unter Graf Bethune
Charost5). Hatte ihn auch seine Sendung nach Belgien im Jahre
1790 gründlich von der Ansicht geheilt, daß hier eine ähnliche
Bewegung im Gange sei wie in Frankreich, so war für seine Zwecke
eine Identität zwischen französischen und belgischen Prinzipien
auch durchaus nicht erforderlich, da er an die Einverleibung der
Niederlande nicht gedacht hat6). Es reichte völlig aus, wenn
die Niederlande von Österreich abfielen und damit von selbst
1 ) Lauzun-Serignan 246 ; Ganniers (= Serignan)
in Revue des deux mondes (= R. d. d. m.) Bd. 154 (1899) 899—901; Revue
militaire red. ä 1' Etat-Major de 1' Armee — 2e partie, Archives historiques
(= R. mil.) 1899 p. 432; Memoires deRochambeau (1809) I 394—399.
2) Lauzun-Serignan 217 — 218.
3) ib. 197.
4) R. d. d. m. ßd. 154, 908—910; Zeißberg, 2 Jahre, 73-74.
5) ib. 54 ff.
6) S o r e 1 II 413; F o u c a r t et F i n o 1 1 90; Z e i ß b e r g, 2 Jahre,
56, 58, 67 — 68 etc. Es ist bemerkenswert, daß nicht einmal in dem von
Limon verfaßten „Manifeste de tous les peuples contre la revolution fran-
caise" von Eroberungsabsichten der französischen Regierung gesprochen
wird, sondern nur von dem Versuch, Belgien zu überschwemmen (siehe
ein gedrucktes Exemplar in Rep. 67 B. n. la). Daß Limon nicht an die
Möglichkeit der französischen Eroberung glaubte, macht dabei nichts
aus; hatte er doch die Absicht, die sogen. Regierung, d. h. die Partei der
Jakobiner, möglichst schlecht zu machen.
92 EL Abschnitt
auf die französische Seite traten. Im Laufe der Zeit wurde auch
der Gegensatz der ständisch gesinnten Belgier zu den immer
demokratischer werdenden Franzosen, wie Dumouriez wohl er-
kannte, nur noch größer, und die sich jetzt erst durch den fremden
Zuzug stärker ausbildende französische Partei vermochte noch
nicht, wirklich feste Wurzeln in dem Lande zu schlagen, obwohl
sie es an Rührigkeit nicht fehlen ließ1). Dumouriez steckte sich
also vorläufig kein zu weites Ziel. Gelang es, Belgien von Öster-
reich loszureißen, so hatte er damit ein Faustpfand, mit dem in
der Hand er seine Forderungen stellen konnte, um diesen Krieg
möglichst rasch zu beendigen, aber zugleich doch ehrenvoll.
Wollte er aber so weit gelangen, so mußte er rasch handeln,
über jeden Widerspruch gegen seine Ansicht rücksichtslos hin-
wegschreiten; denn er wußte oder glaubte zu wissen, daß die
Franzosen den kampfgeübten österreichischen Truppen nicht
gewachsen waren, wenn diese erst einmal fertig und zur Stelle
waren. Mit Rochambeau konnte er deshalb nicht arbeiten2),
ebensowenig, eher noch weniger mit Lafayette, der, ganz ab-
gesehen von seinem militärischen Urteil, politisch mit Dumouriez
durchaus nicht an dem gleichen Strange zog3). Dumouriez über-
trug daher geheim vor dem erstgenannten einem von seinen
Untergeneralen den Befehl über das Korps, das den Hauptstoß
nach den Niederlanden führen sollte, an Biron, dessen Namen
sonst nicht gerade einen guten Klang hatte (es ist der Herzog
von Lauzun), auf den er sich aber in dieser Beziehung völlig
verlassen konnte. Schon lange trugen sich ja die belgischen Emi-
granten mit solchen Plänen1). Biron hatte von seinem Stand-
quartier Valenciennes von der Grenze aus auf dasselbe hin-
gearbeitet und die besten Aussichten dafür versprochen. Ich
halte es für sehr wahrscheinlich, daß er Dumouriez zu der tat-
sächlichen Ausführung dieser Idee bestimmt hat5). Erst als alle
Befehle gegeben waren, wurde Rochambeau am 23. April ins
Geheimnis gezogen. Dieser echte Edelmann ließ zwar an seiner
1 ) ib. 62 ff. und 69 ff.
2) Dumouriez II 232; R. d. d. na. 154, 912; Ganniers in
R.Q.H. Bd. 63 (1898) 436—447.
3) Nur kurze Zeit dauerte das Einvernehmen zwischen ihnen. G 1 a-
gau in H.Z. 82, 244 ff.; Ch.J.R 24; R. mil. 1900 S. 670—672.
4) Zeißberg, 2 Jahre, 56 ff. ; L e s c u r e II 571.
5) Lauzun-Serignan 144—152 und 204 ff., 163—164; P a 1-
lain 170; R. d. d. m. 154, 891, 899—901, 905, 911; Ganniers in
R.Q.H. 65 (1899) 500—501 und 63 (1898) 436 ff.; Hei gel II 5.
Französische Politik und Kriegführung im Frühjahr 1792 93
abweichenden Meinung keinen Zweifel und hatte scheinbar schon
in abweichendem, d. h. defensivem Sinne zu handeln begonnen1),
tat aber jetzt trotzdem alles, was der Ausführung der nun einmal
befohlenen Sache nützen konnte. Als der Erfolg nur zu sehr
seinen Befürchtungen entsprach, reichte er seinen Abschied ein,
und ließ sich jetzt auch durch keine Vorstellungen, die jetzt
sogar von Birons Seite gemacht wurden, von seinem Vorhaben
abbringen. Seinen Sohn, der mit Biron im Komplott gewesen
war, veranlaßte er, gleichfalls seinen Abschied zu nehmen2).
Nun, sein Protest war zunächst Dumouriez gleichgültig, er glaubte
ja an sicheren Erfolg. Die anderen Generale trieb er unablässig
zur Eile an und bestimmte den 28. April für den Angriff auf die
Niederlande, der von vier Seiten zugleich erfolgen sollte.
Wüßten wir es nicht schon aus anderen Quellen, so müßten
uns die Instruktionen an die Generale für den Einmarsch dar-
über belehren, was er damit wollte und wie er sich seine Aus-
führung dachte3). Alle Mahnungen und Klagen der Generale
über die Unfertigkeit der Rüstungen schlug er in den Wind —
wir wissen warum — und verlangte nur, daß der Einmarsch
erfolgte ; wie er erfolgte, war ihm zunächst gleichgültig. Er
rechnete ja damit, kaum Widerstand zu finden, und gab deshalb
den Generalen den Befehl, bei ernstem Widerstand wieder zurück-
zugehen. Doch die Österreicher waren noch durchaus nach dem
alten Kordonsystem an der Grenze verteilt, nach dem auch die
Franzosen ihre Truppen aufgestellt hatten. Mehr als 35 000 Mann
waren im ganzen an Feldtruppen überhaupt nicht vorhanden,
und da war an jedem der zahlreichen wichtigen Grenzübergänge
immer nur ein kleines Korps zur Stelle. Das war Dumouriez
wohl bekannt, schon durch die Nachrichten von den belgischen
Emigranten4). Er konnte ihnen also in jeder Angriffskolonne
ein der Zahl nach überlegenes Korps entgegensetzen. Er wußte
ferner, daß starke Desertion die Reihen der Österreicher, be-
sonders der wallonischen Bataillone, lichtete. Mußte sich das
1 ) Zeißberg, 2 Jahre, S. 92 will darin mit Unrecht nur eine Finte
sehen. R. d. d. m. 154, 918; Mem. de Rochambeau I 404.
2) R, mil. (1900) 52—56; Lauzun-Serignan 240—242, 259
und 265.
3)MathieuDumas Souvenirs (Paris 1839) II 508—516; R. mil.
(1899) 573—575; R. mil. (1900) 27 ff., 48, 242—256; R. d. d. m. 154, 918
bis 919; Lauzun-Serignan 249 — 251 ; V a i s s i e r e 420.
4) Zeißberg, 2 Jahre, 58 und 61—62,
94 II. Abschnitt
nicht steigern, wenn französische Heere einfielen und den Belgiern
versprachen, das drückende österreichische Joch abzuschütteln?
Es fehlte auch wahrlich nicht an Leuten, die Dumouriez in dieser
Ansicht bestärkten1). Es ist eine eigentümliche Tatsache, daß
wir den Vertreter der Eevolution in demselben Wahn befangen
sehen, wie nachher die deutschen Mächte und die Emigranten2).
Jede Partei rechnet mit der Werbekraft ihrer Ideen, der Schwäche
der feindlichen und der Unzufriedenheit im Lager des Gegners.
Nach den allernotdürftigsten Vorbereitungen also erfolgte vom
27. Abends an der Angriff in tiefstem Geheimnis3). Aber die Aus-
führung entsprach nicht der kühnen Intention Dumouriez'. Viel-
leicht daß der Plan geglückt wäre, wenn er selbst sich an die
Spitze jeder der Angriffskolonnen hätte stellen können. Seinen
1 ) Lauzun-Serignan 92 ff. Man wird das nicht einfach als
Erfindung von Biron, als Roman bezeichnen dürfen (149 und 253), der sich
damit den Angriff auf Brabant sichern wollte. Noch ehe überhaupt von
einem Angriff die Rede war, und noch mehr, ehe Lafayette den Befehl
hatte, den Hauptstoß zu führen, predigte Biron laut genug seine Ansichten
in gutem Glauben an ihre Richtigkeit. Vgl. dagegen auch R. d. d. m.
154, 911.
2) Foucart et Finot I 130? Lescure II 592—594.
3) Um die Österreicher ganz sicher zu überraschen, gab er deren
Geschäftsträger Blumendorff die Pässe für einen Kurier erst am 27. April,
so daß offiziell die französische Kriegserklärung erst am 29. in Brüssel
bekannt sein konnte. Noailles erhielt Befehl, sie in Wien erst dann mit-
teilen zu lassen, wenn er die österreichische Grenze überschritten habe.
Die Folge dieses nutzlosen Vorgehens (gleichzeitig mit Maison kam ja ein
Kurier aus den Niederlanden mit der Kriegserklärung in Wien an, Feuillet
V 469) war, daß Noailles und sein Personal in Wien trotz aller Bemühungen
festgehalten wurden, bis man Blumendorff in Sicherheit wußte (V i v e n o t
II 426, 437, 438, 439; dazu reiches Material in Rep. I 171 und Rep. I 169,
Berichte Jacobis). Nach Dumouriez' Ansicht sollten die Österreicher
gar keine Zeit mehr behalten, sich auf den Angriff vorzubereiten — ein
etwas kindliches Verfahren, da die Kriegserklärung ja durch die Zeitungen
bekannt wurde. Am 23. war sie schon in Brüssel, am 27. glaubte man dort
auch schon an einen französischen Angriff, am 29. früh war der Plan be-
kannt. Denn außer den offiziellen allgemein verbreiteten Nachrichten
trafen in Brüssel zahlreiche geheime ein, die die Entschlüsse Dumouriez'
zum Teil enthüllten. Aber davon abgesehen übersah Dumouriez' Intrigue
im alten Stil ganz die veränderte Lage. Nur bei der Kabinettspolitik hatten
sich Einfälle wie die Friedrichs des Großen in Schlesien oder in Sachsen
bewerkstelligen lassen, ohne vorher bekannt zu werden. Die Revolution
räumte mit solcher Geheimniskrämerei doch recht stark auf. (Rep. I 171
Blumendorff an- Mercy 22., 23., 27. April; Fersen II 242, 247, 252.)
Über Graviere in Brüssel siehe Zeißberg, 2 Jahre, 64 — 67 und Lauzun-
Serignan passim.
Französische Politik und Kriegführung im Frühjahr 1792 95
Unterführern aber fehlte die Energie zur Durchführung, und sie
verstanden seinen Plan nur halb. Keiner von ihnen dachte so
recht an die politische Seite der Aufgabe, alle klebten sie ängst-
lich am Buchstaben der Instruktion. Der Vorstoß von Carle aus
Dünkirchen hatte auch bei Dumouriez nichts weiter heißen sollen
als eine Demonstration. Aber hat es wirklich seinen Absichten
entsprochen, daß Carles Abteilung noch am selben Tage nach
Dünkirchen zurückkehrte, als sie keinen Feind getroffen und ihre
Proklamationen verteilt hatte?1) Die Abteilung unter Theobald
Dillon ging von Lille vor, stieß dabei bald auf feindliche Pa-
trouillen. Als Dillon nun, zu genau der Instruktion folgend, den
Befehl zum Rückzuge gab, zeigte es sich, wie verhängnisvoll ein
derartiges Verfahren war. Die französischen Truppen hatten sich
in den letzten Jahren daran gewöhnt, ihre Offiziere als Verräter
an der Sache des Vaterlandes zu betrachten, wie es Lafayette
später selbst zugibt, ohne zu merken, wie bitter er sein eigenes
Verfahren damit ironisiert2). Einer nach dem anderen, ja bei-
nahe ganze Offizierkorps waren zu den Prinzen nach Turin oder
Koblenz gegangen. Man hat berechnet, daß von 9000 etwa 6000
ihre Posten verließen. Wenn es auch wahr sein mag, daß die
Emigration im letzten Grunde für die Armee von großem Nutzen
war und die entstehenden Lücken rasch ausgefüllt wurden, so
war zunächst doch eine gefährliche Übergangszeit durchzumachen,
und nur um diese handelt es sich hier3). Dazu war in die Reihen
der Soldaten selbst das Mißtrauen eingedrungen. Überall war
der Parteigeist am Werke, die Bande zu lösen, welche Kamerad-
schaft und Disziplin geschlungen hatten4). Nun dieser Rück-
zugsbefehl ! Mußte es ihnen nicht als Verrat erscheinen, wenn der
oberste Führer beim ersten Auftauchen des Feindes kehrt machte?
Sie selbst waren den Krieg nicht gewohnt, und als nun die Öster-
reicher, ermutigt durch das sonderbar furchtsame Benehmen,
dessen Ursache sie nicht kannten, die Verfolgung aufnahmen,
brach eine Panik aus, alles wälzte sich in wirrem Strom nach
Lille zurück, der unglückliche Führer Theobald Dillon wurde von
seinen eigenen Soldaten erschossen und seine Leiche verunglimpft.
Vor diesem Schicksal ist Biron vielleicht nur durch die Vor-
1 ) S v b e 1 II 86 ff. ; Krieg gegen die Revolution II 27—28.
2) Ch.J.P. 41—42.
3) Ch.J.P. 40 und 67—68. Vgl. auch Bertrandde Moleville,
Histoire de la revolution francaise VIII (Paris) 38 — 39.
4) Ch.J.P. 42—44.
96 H- Abschnitt
sichtsmaßregeln seines Chefs Rochambeau und der Behörden von
Valenciennes bewahrt worden. Er rückte mit einem verhältnis-
mäßig stattlichen Heere von 12 000 Mann von Valenciennes nach
Mons vor. Alles schien ganz nach Wunsch zu gehen. Man kam-
pierte die erste Nacht auf feindlichem Gebiet. Aber die erhofften
Deserteure blieben hier wie überall aus, und von dem Abfall der
Bevölkerung war auch nichts zu spüren. Wie konnte man auf
Desertionen rechnen, wenn man einem Kampf ängstlich aus-
wich! Das tat ja auch Biron, als die schwachen österreichischen
Truppen anrückten und er die Nachricht vom Scheitern des
Dillonschen Unternehmens erhielt, nur daß er zu der Aufnahme
seiner bereits gelockerten Verbände frische von Rochambeau ge-
schickte Truppen in Quievrain vorfand, die der österreichischen
Verfolgung oder besser dem österreichischen Folgen rasch ein
Ende machten.
Das vierte Korps unter Lafayette endlich hatte von Givet
nach Namur vorstoßen sollen. Die Hauptaufgabe, der Angriff
auf Lüttich, war ihm damit, vielleicht aus Rücksicht auf die er-
hoffte Neutralität des Reiches1), genommen worden; nur als
Elankendeckung für Biron hatte er operieren, Streitkräfte auf
sich ziehen, ebenso wie Carle und Dillon Aufruhr und Desertion
herbeiführen sollen. Aber auch diese bescheidene Aufgabe scheint
Lafayette nur widerwillig übernommen zu haben; er sei auch
noch nicht fertig, es fehle ihm noch dies und das. Zögernd ging
er ein kleines Stück vor, und bei der ersten Nachricht von Birons
Rückzug ging auch er eiligst wieder in sein befestigtes Lager bei
Givet zurück.
So war dieser Plan also durchaus gescheitert. Weder Truppen
noch Generale hatten sich zur Durchführung als geeignet er-
wiesen2). Den Schlachtruf der Franzosen: „Vaincre ou mourir!"
parodierten jetzt die Österreicher in „Vaincre ou courir!"3)
Gewiß, Dumouriez hat nachher denselben Plan mit Erfolg durch-
geführt und damit bewiesen, daß er i h m auf den Leib zuge-
schnitten worden war4); aber man wird ihn von der Schuld an
dem Scheitern doch nicht ganz freisprechen können5). Er hatte
1) Lescure II 592 — 593. Vgl. auch unten.
2) Sybel II 88—89; Boguslawski I 132; Dumouriez II
231 und 238 ff.
3) Heigel II 6 und 47. Eine andere Version siehe bei Worontzow
IX 237.
4) Dumouriez II 231, 344—375.
5) G lag au H.Z. 82, 252.
Französische Politik und Kriegführung im Frühjahr 1792 97
den Zustand von Volk und Heer in Belgien mehr nach seinen
Wünschen als nach der wirklichen Lage beurteilt, und sein Plan
war im Grunde doch auf Überrumpelung, auf Spiegelfechterei zu-
geschnitten gewesen, nicht auf wirklichen Kampf. Er hatte durch
die Instruktion selbst den Generalen das Mittel in die Hand ge-
geben, seine Durchführung zu durchkreuzen. Als er im Herbst
vor dem Kampf nicht zurückscheute — wie er sich im Frühjahr
benommen hätte, wäre eine müßige Frage — da entsprach
der Erfolg auch seinen Mühen.
Was wollte es demgegenüber besagen, daß die Engen von
Porrentruy (Pruntrut) im Schweizer Jura widerstandslos von
den Franzosen zur gleichen Zeit besetzt worden waren (die Öster-
reicher waren in der Nacht vorher mit dem Baseler Bischof ab-
gezogen)1)! Gewiß war den Emigranten damit im Osten ein Weg
nach Frankreich versperrt, aber es gab doch andere genug, und
auch diesen hätte man leicht erobern können, wenn die Schweiz
nicht so ängstlich ihre Neutralität hätte wahren wollen bis zu
dem Augenblick, wo die deutschen Heere siegreich in Feindes-
land standen und alle Gefahr für das teure Vaterland verschwun-
den war2). Dafür bot diese Besetzung aber Preußen den er-
wünschten Anlaß, seine Teilnahme am Kriege gegen Frankreich
auch mit dieser Verletzung des Reichsgebietes zu begründen.
Nach diesem Scheitern seines Planes hätte Dumouriez, sollte
man meinen, seinen Plan aufgeben müssen. Das Gegenteil davon
ist der Fall3). Er und seine Genossen blieben bei dem Prinzip
durchaus stehen. Sie glaubten nach wie vor an die Möglichkeit,
die Niederlande zum Abfall von Österreich zu bringen, an starke
Desertionen unter den feindlichen Truppen. Selbst nach dem
Scheitern dieses zweiten Versuches bildete der inzwischen aus
dem Minister wieder zum General gewordene Dumouriez in seinem
befestigten Lager zu Maulde eine belgisch-batavische Legion, in
dieser Hoffnung ganz einig mit der Nationalversammlung, wie
deren Beschlüsse vom 28. auf 29. Juli und vom 2. auf 3. August
beweisen4).
1) Auch dieser Vorgang liefert einen Beweis für den Wunsch der
Franzosen, den Frieden mit den Reichsstaaten und den anderen Mächten
zu erhalten (H. Buser, Das Bistum Basel und die französische Revolution.
Diss. Basel 1896, S. 37—39 und 52—53).
2)FoucartetFinotI46; Ganniersin R.Q.H. 63, 457 ff.
3) Borgnet, Histoire des Beiges II 22 ff. ; Ganniersin R.Q.H.
63, 436—447 ; Lauzun-Serignan 262—264 und 270—272.
4) FoucartetFinotl 110 und 124.
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 7
98 n- Abschnitt
Nur die Art des Angriffes, meinten sie, sei verfehlt gewesen.
Deshalb sollte er möglichst bald wiederholt werden. Dumouriez
holte sich dazu einen neuen Mann heran, den Marschall Luckner,
der bisher das Kommando der Rheinarmee gehabt hatte und sich
als kühner Husarenführer schon im Siebenjährigen Kriege einen
Namen gemacht hatte. Höhere Bedeutung hatte er nicht. Viel-
leicht war er deshalb einer der wenigen Generale gewesen, die
den Ausbruch des Krieges herbeigewünscht hatten. Noch Ende
April hatte er sich für den Angriff ausgesprochen. Dazu besaß
er in Frankreich wohl infolge seines derben Auftretens, das stets
einen komischen Anflug hatte, große Popularität — ein nicht zu
unterschätzender Faktor1). Er erhielt also vom 15. Mai ab die
Stelle Rochambeaus, der sich durchaus nicht mehr halten lassen
wollte. Ein Kriegsrat vom 19. Mai, an dem Luckner, Rochambeau
und Lafayette teilnahmen, setzte fest, nach einem schon früher
geäußerten Plane Rochambeaus, daß Luckner, unterstützt von
Lafayette auf seiner rechten Flanke, in Flandern einfallen sollte,
wo man nur wenige feindliche Truppen und dazu eine günstige
Stimmung der Bewohner zu finden hoffte. Militärische Gründe
sind für die Wahl des Angriffspunktes nur in zweiter Linie von
Bedeutung gewesen; die Hauptsache war die politische Be-
deutung2). Auch Luckner erhielt den Befehl, sich vor überlegenen
feindlichen Truppen zurückzuziehen und das Heer nicht der
Gefahr einer Niederlage auszusetzen. Es war durchaus dasselbe
Spiel wie Ende April, nur besser vorbereitet und mit größeren
Mitteln.
Er hatte 23 000 Mann zu seiner eigenen Verfügung für die
Offensive ; die übrigen 15 000 Mann wurden zum Grenzschutz
gebraucht, vornehmlich als Besatzungen für die festen Plätze
oder die befestigten Lager. Dazu standen unter Lafayette
18 000 Mann3). Wenn Dumouriez aber erwartet hatte, Luckner
werde energisch vorgehen, so hatte er sich völlig getäuscht.
Dieser war wohl zum Freischarenführer geeignet gewesen mit
kecken Husarenstreichen, aber zum Feldherrn scheint ihm doch
beinahe alles gefehlt zu haben. Einen großen Plan zu fassen,
1) Pfeiffer, S. 27—28, 65— 70 und 73 ff . ; G anni er s in R.Q.H.
63, 447 ff.; Ch.J.P. 192—193; R. mil. (1899) 432—433; Dumouriez
II 334—335.
2) Pfeiffer 31—33; G anni er s 457—467; Foucart et
F i n o t I 73; Krieg gegen die Revolution II 45 — 46; Lescure II 594.
3) R. mil. (1900) 682—683.
Französische Politik und Kriegführung im Frühjahr 1792 99
danach zu handeln und selbst die Initiative zu ergreifen, das war
nicht seine Sache. Er schob die Verantwortung gern anderen zu
und stellte sich nur an die zweite Stelle1). Schon vor dem Beginn
machte er tausend Schwierigkeiten. Man wird dabei nicht ein-
mal annehmen dürfen, daß er mit dem Hinweis auf den schlechten
Stand der Vorbereitungen ganz im Unrecht war; aber jedenfalls
ist von der Kühnheit des Husarenobersten nichts mehr zu merken2).
Der Kriegsminister Servan, der de Grave gefolgt war und auch
wirklich die Geschäfte führte, mußte ihn mehr als einmal zum
Vorgehen drängen, ja ihm endlich am 8. Juni geradezu den Be-
fehl dazu erteilen3), darin zweifellos eines Sinnes mit Du-
mouriez. So der Verantwortung in jeder Weise überhoben —
denn auch den Plan hatte er ja nicht gemacht — rückte Luckner
endlich vor, kurz vor Ankunft des königlichen Befehls vom
8. Juni. Energische Kriegführung lag also gar nicht in seiner
Absicht; man darf sich deshalb nicht nachher über ihr Aus-
bleiben wundern4).
Mit leichter Mühe nahm er Menin und durch persönliches Ein-
treten für seinen bereits in den Kampf verwickelten Unterführer
Jarry Courtray am 18. Juni. Hier aber blieb er stehen und war
nicht zu weiterem Vorgehen zu bewegen. Es bedurfte gar nicht
erst der Nachricht vom 20. Juni, um ihn in seinem Vormarsch
zum Einhalten zu bringen5). Er fürchtete, so sagte er wenigstens,
von seiner Rückzugslinie abgeschnitten zu werden und die Ver-
bindung mit Lafayette zu verlieren. Bedeutende feindliche Kräfte
ständen ihm gegenüber, und schon hatte das Herannahen der
österreichisch-preußischen Heere Lafayette zum Vorwand ge-
dient, ein weiteres Vorgehen für unmöglich, den Rückzug für
unvermeidlich zu erklären6). Ja, Luckner selbst äußerte, schon
einen Tag bevor er in Courtray einzog, den Wunsch, sich bald
zurückzuziehen, wenn die erwarteten, von dem Pariser Mini-
sterium und dem belgischen Revolutionskomitee ihm geradezu
1 ) Krieg gegen die Revolution II 35 und 45; Pfeiffer 34 — 37.
Vgl. auch seine Stellung zu den Ereignissen vom 10. August (Foucart
et F i n o t I 134).
2) Vgl. dagegen GanniersinR. Q.H. 63, 488—489 und D u m o u-
r i e z II 335.
3) R. mil. (1900) 686—694; FersenII289;Zeißberg,2 Jahre, 87.
*) R. mil. 692; R.Q.H. 63, 480—484; Foucart et Finot I 98
und 103.
5) Krieg gegen die Revolution II 59 — 60.
6) Pfeiffer 47—50; R. mil. (1900) 322 ff.
100 II. Abschnitt
versprochenen österreichischen Deserteure und der Abfall der
Bewohner von der österreichischen Herrschaft weiter ausblieben1).
Dazu hatten nun die Österreicher ihm gegenüber vorzügliche
Offiziere, die ihr Handwerk verstanden. Sie belästigten die
Franzosen durch geschickte Benützung jeder vorhandenen
Deckung unaufhörlich; sie nisteten sich schließlich in den Vor-
städten von Courtray ein; weit waren sie überhaupt nie zurück-
gegangen. Jarry, der an dieser Stelle kommandierte, sah sich
schließlich gezwungen, weitere Angriffe durch Anzünden der
Vorstädte unmöglich zu machen2). Das war aber ganz gegen den
Wunsch Luckners. Dieser sah jetzt die Gewinnung der Ein-
wohner für die französische Sache als aussichtslos an, ganz mit
Recht3), und beschleunigte den schon vorher ohne eigene poli-
tische Gründe gegen Dumouriez' Absicht geplanten Rückzug
noch über Gebühr. Noch am 29. gab er den Befehl dazu4). Am
3. Juli war er mit all seinen Truppen in Valenciennes und den
alten Quartieren5).
So war auch dieser Plan Dumouriez' völlig gescheitert. Er
selbst war nicht mehr an leitender Stelle. Wenn wir alle diese
Gefechte und Scharmützel, Märsche und Gegenmärsche in der
Zeit bis zum Einmarsch der deutschen Hauptarmee in Frankreich
überschauen, so werden wir sagen müssen, daß der Vorteil nur
auf der Seite der Österreicher lag. Fast stets waren sie es ge-
wesen, die gesiegt oder das Schlachtfeld behauptet hatten.
Waren sie aber doch einmal zurückgegangen, so hatten sie sich
sagen können, daß sie nur der Übermacht gewichen waren, wie
besonders bei Courtray. Sie hatten ihre Aufgabe, die Niederlande
x) R. mil. (1900) 322, 337—341, 686, 696; Pfeiffer 42-^5 und
51—54; SorelH481;Lauzun-Serignan 283—284; Z e i ß b e r g,
2 Jahre, 100 und 104—105; Vaissiere 469.
2) An verräterische Absichten Jarrys vermag ich trotz allem nicht
eher zu glauben, als der Beweis dafür nicht positiv erbracht wird. Die
militärische Begründung seines Vorgehens scheint mir durchaus am Platze
zu sein (Krieg gegen die Revolution II 60 — 61; Ganniers in R. Q.H.
67, 532—533 und 540 ff.; Ch.J.P. 198. In Paris glaubte man jetzt wie Ende
April natürlich gleich an Verrat der Generale [Journal d'une bourgeoise
168—171 und 197]).
3) Auch die Bewilligung einiger Millionen für die geschädigten Ein-
wohner durch die Nationalversammlung vermochte daran nichts zu ändern.
*) R.Q.H. 63, 491^97; Pfeiffer 65—70 und 54 und 45; Gan-
niers in R. Q.H. 65, 503 ff.; Krieg gegen die Revolution II 61.
8) R. mil. (1900) 322—323; Ganniers in R.Q.H. 63, 491 ff.; in
R.Q.H. 65, 498—503.
Französische Politik und Kriegführung im Frühjahr 1792 101
zu schützen, wider Erwarten lösen können1), hatten selbst sogar
auf besonderen Wunsch des Herzogs Albert den Feind oft genug
im eigenen Lande beunruhigt2). Ihr System schien sich durch-
aus bewährt zu haben. Kann man sich wundern, daß sie es bei-
behielten, als sie sich im Herbst gegen Dumouriez selbst zu ver-
teidigen hatten?
In Frankreich sah man in angstvoller Spannung dem tat-
sächlichen Angriff entgegen. Nach den Unglücksfällen vom Ende
April hatte man sich zwar mit echt französischer Leichtlebigkeit
rasch getröstet3). Aber noch kannte man die Kraft der Revo-
lution nicht und redete sich nur selbst vor, daß nach einigen
Niederlagen die Franzosen daraus lernen und die Feinde wieder
aus dem Lande vertreiben würden4). Ein schöner Trost! Und
auch an ihn glaubte man nicht. Die Truppen desertierten regi-
menterweise und widerlegten damit am besten die pompösen
Deklarationen der Generale5). Die wildesten Gerüchte tauchten
auf und wurden geglaubt6). Zu den Generalen hatten die Sol-
daten, das ganze Volk kein Vertrauen. Sie schienen sich mehr
um den Zustand in Frankreichs Innerem als um den Schutz der
Grenze zu bekümmern und gaben selbst die traurigsten Nach-
richten7). Mochte das auch für Luckner nicht zutreffen (oder
wenn doch, so war er sicher nur der Geschobene)8), für Lafayette
stand es außer allem Zweifel. Nur so gewinnt das scheinbar
sinnlose, dabei äußerst gefährliche Hin- und Hermarschieren der
Truppen an der Grenze angesichts des Feindes — man hat es
1 ) G 1 a g a u in H.Z. 82, 451—452.
2) Krieg gegen die Revolution II 42 und 75. Einen ..Vorwurf" kann
man ihnen aus der allgemeinen Defensive nicht machen (ib. II 31 ff.). Sie
hatten Befehl dazu und fürchteten auch, sich bei ihrer geringen Truppen-
zahl leicht eine Schlappe zu holen, wenn sie sich zu weit vorwagten. Das
aber wollten sie unter allen Umständen vermeiden. Sie waren ebenso ängst-
lich wie die Preußen um ihre Waffenehre besorgt und wollten den Franzosen
nicht unnötig Triumphe verschaffen. Es konnte ja nicht mehr lange dauern,
dann war die österreichisch-preußische Hauptarmee heran, und dann
sollten die Franzosen einmal sehen, was die alten Mächte leisten könnten.
Vgl. auch R. mil. (1900) 678—679.
3) Vatel, Vergniaud (1873) I 164.
4) Massenbach I 332 ff. Brief Goranis.
6) Rep. XI 89 Bericht von Goltz Paris 18. Mai.
6) Vaissiere 460, 461, 464, 467—468, 493, 537, 550.
7) Ch.J.P. 26—27; Glagau 356—357; Sorel II 488.
8) Dumouriez II 348.
102 II. Abschnitt
ein chasse-croise genannt — eine Erklärung1). Man kann das von
militärischer Seite wohl totschweigen, aber nicht leugnen.
Lafayette wollte für den Fall eines Bürgerkrieges seine eigenen
Truppen behalten, deren er sicher zu sein glaubte. Den Frieden
mit den Mächten wollte er, sobald wie irgend mit Ehren möglich,
herbeiführen2). Wir werden aber noch sehen, daß er darunter
ganz etwas anderes verstand als Dumouriez. Auch das diesem
unterstellte Korps im Lager von Maulde hätte nach den Verein-
barungen zwischen Lafayette und Luckner nach Metz abmar-
schieren sollen. Aber Dumouriez hatte durchaus keine Lust,
seine relative Selbständigkeit aufzugeben und noch weniger,
unter Lafayette zu dienen. Er machte ihm durch seine Rechnung
mit seiner Eigenmächtigkeit einen Strich und gewann die Re-
gierung für sich. Er behauptete nämlich, aus Maulde noch nicht
abmarschieren zu können, da sonst die niederländische Grenze
ungeschützt den Einfällen der Österreicher preisgegeben sei. Daß
die Rheingrenze damit an Stärke verlor, schien er nicht zu be-
achten3). Es ist nicht zu bestreiten, daß er sich eine Reihe von
groben Pflichtverletzungen zu schulden kommen ließ, und für
ausgeschlossen kann ich es nicht halten, daß auch er vor allem
in der Nähe von Paris bleiben wollte, um eventuell seinen poli-
tischen Freunden helfen zu können4). Er gewann jedoch die
Soldaten und vor allem die Nationalversammlung für sich, gegen
deren Willen weder Generale noch Minister etwas zu tun wagten5),
und wurde dann der Nachfolger Lafayettes, der Sieger bei Valmy,
der nur durch sein Stillstehen siegte.
Jedoch, sein Verhalten schien eine Ausnahme zu bilden, und
er befand sich vor allem im Juli noch in untergeordneter Stellung.
Lafayette aber war bis zu seinen Schritten gegen Kommune und
Jakobiner Ende Juni der Abgott des Volkes gewesen; ihm hätte
man vielleicht sogar außerordentliche diktatorische Gewalt über-
tragen, um das Vaterland zu retten. Sein Abfall von der Sache
der Nation, sein Übergang zu den Aristokraten — denn an ehrlich
1) Glagau in H.Z. 82, 448 ff.; Krieg gegen die Revolution II 35;
Dumouriez 11331 ff. und 346 ff.; Ch.J.P. 49 und 64—65; Ganniers
in R.Q.H. 65, 513 ff.; R. mil. (1900) 311 und 714—715.
2) R. Q.H. 65, 508 ff. ; Memoires de Rochambeau I 423—424;
Krieg gegen die Revolution II 68—73.
3) R.Q.H. 65, 513 ff.; Dumouriez II 340—343, 354 ff. und 388.
4) Glagau in H.Z. 82, 451—452; Ch.J.P. 49—51.
5) G a n n i e r s in R, Q.H. 65, 533 ff. ; D u m o u r i e z II 360.
Französische Politik und Kriegführung im Frühjahr 1792 103
gemeinte Unterstützung der Verfassung glaubte man nicht mehr
— mußte deshalb umso schwerer wirken. Dieser Mann hatte
dazu das beste Heer Frankreichs in seiner Gewalt und stand mit
dem Hofe1) in engster, vertraulichster Verbindung, wie man
wähnte. Diese inneren Feinde fürchtete man mehr als die äußeren.
War man der ersten ledig, so glaubte man der anderen schon
eher Herr werden zu können. Freilich zu heiter darf man sich
diesen Glauben nicht vorstellen; denn wenn nur ein Wunder
Frankreich aus der Gefahr retten konnte, so mußte sie doch
auch nach der Beseitigung der inneren Feinde noch recht groß
sein. Sie lag nur nicht so nahe, und die deutschen Mächte hatten
zu wenig getan, um die Angst davor dauernd auf der gleichen
Höhe wie anfangs zu halten. Der 10. August löste die erste
dringendste Aufgabe. Nur die Herrschaft der Jakobiner konnte
den Franzosen ihre Verfassung sichern. Die zweite blieb dem
Zusammenwirken von Dumouriez mit dem Herzog von Braun-
schweig vorbehalten2).
Bei den deutschen Mächten endlich konnten diese militärischen
Leistungen nur die Ansicht hervorrufen oder vielmehr sie darin
bestärken, daß sie es mit einem in der Auflösung befindlichen
Staate und seinem Heere zu tun hatten3). Der so gefürchtete
Einfall in die Niederlande war gescheitert, ohne daß es von
deutscher Seite großer Anstrengungen bedurft hätte. An der
Saar war zwar Kellermann aufmarschiert und hielt die deutschen
Kleinfürsten in Angst, aber auf Befehl aus Paris tat er doch nichts
*) Von seiner Schuld, von seiner verräterischen Verbindung mit dem
Auslande war man mehr und mehr überzeugt, mochten auch die Beweise
dafür durch die Schlauheit der Teilnehmer an dem Komplott nicht vor-
handen sein. Sein Verhalten schien deutlich genug dafür zu sprechen,
daß er die Verfassung nicht ehrlich anerkannte. Nur mit der größten
Mühe wurden ihm einige Zugeständnisse abgerungen, die zu durchkreuzen
er sich eifrigst angelegen sein ließ. Gerade die Verfassung war aber das
Banner, um das sich die Franzosen scharten, soweit sie überhaupt ehrlich
für die Revolution eintraten. Wie sollte man sie behaupten im Kampfe
gegen äußere u n d innere Feinde zugleich ?
2) Journal d'une bourgeoise passim. Bei der Bewertung dieser Schrift-
stücke ist zu berücksichtigen, daß die Verfasserin von dem geheimen
Parteigetriebe nichts weiß und durch ihren begeisterten Glauben an die
Revolution sich häufig noch leichter als die verantwortlichen Staatsmänner
über die sich auftürmenden Schwierigkeiten hinwegsetzt.
3) G lag au in H.Z. 82, 244 ff.; Hermann Hüffer, Die Ka-
binettsregierung in Preußen und Johann Wilhelm Lombard, Leipzig 1891
S. 17; Rep. I 169 an Jacobi 21. Mai.
104 II. Abschnitt
weiter, um die Annahme aufrecht zu erhalten, Frankreich führe
nur mit Österreich Krieg, nicht mit dem Reiche. Entsprechende
Aufträge erhielten die französischen Diplomaten an diesen Höfen1).
Frankreich tat wirklich alles, um den Krieg auf den Waffengang
mit Österreich zu beschränken. Als schließlich doch — aus Not-
wehr, wie man zugeben muß — Reichsgebiet verletzt wurde, um
den deutschen Heeren den Einmarsch in Frankreich unmöglich
zu machen oder wenigstens zu erschweren, da geschah es mit so
unzureichenden Mitteln, daß der gewünschte Erfolg ausblieb.
Die Franzosen entschuldigten sich noch höflich bei den betreffen-
den Reichsständen, der Schritt richte sich nicht gegen sie, nur
gegen Österreich und Preußen. Jenen gegenüber sollte es bei
dem Neutralitätssystem verbleiben.
Von dem geplanten Einfall in Savoyen2) konnte füglich erst
die Rede sein, wenn nicht nur ein General, sondern auch eine
Armee zur Stelle war, und sie zu beschaffen machte einige
Schwierigkeit. Als sie wirklich da war, erwies sie sich noch einige
Zeit als unbrauchbar für einen Einfall in Feindesland. An allen
drei Stellen war also der französische Angriff gescheitert, oder
es war bei Worten geblieben. Die Desertionen häuften sich.
Zweiundeinhalb Regimenter gingen Anfang Mai zu den Prinzen
über. Die Offiziere schienen sich vielfach verabredet zu haben,
nach und nach ins Ausland zu gehen, um die Verlegenheit ihrer
Vorgesetzten zu steigern, Kenntnis von dem Feldzugsplan zu
erlangen und den bereits verschwundenen Kameraden, deren
Abwesenheit noch nicht offiziell festgestellt war, ihren Sold nach-
zuschicken3). Alle Anzeichen schienen dafür zu sprechen, daß
man nicht einen eigentlichen Feldzug, sondern eine militärische
Promenade vor sich habe, daß die deutschen Heere mehr als
ausreichend zur Niederwerfung des Widerstandes seien und man,
Gott sei Dank, der Hilfe der anderen Mächte, wie etwa Schwedens,
entraten könne4). Niemand, selbst nicht die dem Krieg so ab-
*) Vgl. z. B. Rep. 96, 170 L. Bericht Steins 11. Mai.
2) S y b e 1 II 84, 89 und 330—331; S o r e 1 II 450; Dumouriez
II 326—327; ßousset, les volontaires 59—61.
3) Ch.J.P. 41.
4) Hüff er in Deutsche Revue 1883 I 238 und 243; Minutoli,
Erinnerungen 13, 21 und 141; Massenbach I 24—28 und 267; Krieg
gegen die Revolution I 57; S y b e 1 II 286; Ranke 47, 276; S o r e 1 II
493 und 442—443; Politisches Journal 1792 (April) 371 ff., Mai: Brief
aus Wien 16. Mai; H äußer I 348—349; Ch.J.P. 20; Clapham 240;
Rep. XI 89 Bericht Goltz (Paris) 18. Mai; Rep. 96, 170 L. Berichte Steins
Französische Politik und Kriegführung im Frühjahr 1792 105
geneigten Prinz Heinrich und Kaunitz1), zweifelten an der raschen
Beendigung dieser Aufgabe, zumal man in den Emigranten eine
Bevölkerungsklasse schon für sich habe, die weniger militärisch,
als vielmehr durch ihren alten sozialen Einfluß in Frankreich
wirken, die Erhebung der Hofpartei herbeiführen sollte in dem
Augenblicke, in dem die Armeen an den Grenzen angelangt
seien2). Unter den Emigranten selbst gab es sogar Leute, wie
den Marschall v. Broglie, der sich zu dem Ausspruch hinreißen
ließ3), man brauche die Unterstützung der Mächte nicht und
sei allein Manns genug, die Revolutionäre zu züchtigen und zur
Vernunft zu bringen. Aber das war doch mehr ein Bonmot als
wirklich ernsthaft gemeint. Vor der Gewalt der Tatsachen
hielten solche Rodomontaden nicht stand, und einige Emigranten
glaubten schon zu erkennen, daß der Krieg im Norden zwar rasch
mit einem Siege der Verbündeten enden werde, daß er aber dann
im Süden aufflammen könne, und wünschten dafür, besonders
als noch die Angst vor einer Verschleppung Ludwigs nach dem
, Süden dazukam, die Mitwirkung Spaniens und Sardiniens. Sie
sollten Frankreich wirklich retten4). Sicher war jedenfalls der
Sieg der Verbündeten. „Die Tragödie wird hoffentlich nicht lange
dauern," schrieb Schulenburg an Lucchesini am 11. Mai, „und
man darf annehmen, daß Verhandlungen rasch dem WafEengange
folgen werden, wenn es auch nach meiner Ansicht wesentlich ist,
sie ihm nicht vorangehen zu lassen," und etwa einen Monat
darauf (8. Juni): „Die Gewaltmaßregeln, welche die Höfe von
Berlin und Wien gegen Frankreich anzuwenden im Begriffe stehen,
können nicht verfehlen, eine außerordentlich rasche (rapide)
3., 8., 11., 14., 20., 21., 23. Mai. Vgl. auch das Urteil von dessen Bruder,
dem berühmten Karl, bei Max Lehmann, Freiherr v. Stein Bd. I 140.
Doch scheint mir die von Lehmann abgelehnte Deutung einer Briefstelle
durchaus zu Recht zu bestehen. Rep. I 170 Bericht Haugwitz 9. Juni,
an Haugwitz 12. Juni; Carisien 99 — 104.
1) Vie privee du prince Henri 295 — 296 (nachher wollte Heinrich den
schlechten Ausgang natürlich vorausgewußt haben, ib. 299, 300 — 301,
296—297); Souvenirs de Bouille 1466; Rep. I 169 Berichte Jacobis
2.-4. Mai.
2) Rep. 96, 147 G. II, S. Au Roi 25. und 28. Mai mit Beüagen, F. S.A.
Au Roi 21. Mai; Ranke 190; Vi veno t II 516.
3) Souvenirs de Bouille I 477; Essai sur Bouille 405 — 406.
4) Vaudreuil II 94—96, 106. Vgl. auch A. L a u g i e r et C a r-
p e n t i e r, Vie anecdotique de Louis Philippe (Paris 1837) 52 und 66;
M o n t r o 1, Histoire des Emigres 116; Forneron I 328 ; Lescure
II 596 und 610.
106 tt Abschnitt
Veränderung im Innern von Frankreich herbeizuführen"1). Im
Osten gab Katharina II. den Mächten Gelegenheit zuzusehen,
wie man ein derartiges Unternehmen mustergültig inszenierte.
Alle Welt war überzeugt, in Frankreich werde es der Herzog von
Braunschweig ebenso machen wie sie in Polen mit Hilfe ihrer
drei Generale. Wir müssen uns nur hüten, dies Urteil auch zu
dem unserigen zu machen2).
II.
Auch die politische Tätigkeit der Franzosen konnte die
deutschen Mächte nur zu derselben Anschauung führen. Der
Krieg mit Österreich hatte sich nicht mehr verhindern lassen.
Dumouriez dachte trotzdem nicht daran, die diplomatischen Be-
ziehungen nun wirklich abzubrechen. Zwar wollte er sie nicht
durch die Gesandten aufrechterhalten lassen, aber die alte
Diplomatie verstand es, auf geheimem Wege dasselbe Ziel zu
erreichen. So hatte er allerdings Noailles bei der Kriegserklärung
abberufen. Der Überbringer dieser Mitteilungen aber, ein Herr
v. Maison, sollte noch einige Zeit in Wien bleiben, um eventuelle
Eröffnungen der Österreicher entgegenzunehmen. An Dumouriez
lag es gewiß nicht, daß man auf diesem Wege nicht weiter kam3).
Er hätte auch die Abreise des österreichischen Geschäftsträgers
Blumendorff aus Paris gern verhindert. Als sie doch erfolgte,
auf strikten Befehl aus Wien, da sprach er — freilich vergebens,
wie ihm Blumendorff sofort bedeutet haben soll — den Wunsch
aus, er solle möglichst wenig Gepäck mitnehmen, denn Dumouriez
hoffe, ihn bald seine amtlichen Funktionen wieder aufnehmen zu
sehen. Mit ausgesuchter Höflichkeit ließ er ihn und den gleich-
zeitig abreisenden preußischen Gesandten bis zur Grenze be-
gleiten, um jeden Zwischenfall von vornherein unmöglich zu
machen4).
Es ist nun interessant zu beobachten, daß ähnliche Stim-
mungen dem Wiener Hofe anfangs nicht fremd waren. Der
Mann, der gegenüber dem Staatskanzler Kaunitz eine schärfere
x) Rep. 92; Lucchesinis Nachlaß 37.
2) Smitt II 308, 314, 366.
3) Sorel II 429-430.
4) Bacourt-Städtler III 349; S o r e 1 II 450; Z e i ß b e r g,
2 Jahre, 67; Lesen re II 590; Rep. XI 89 Goltz 18., 21. und 26. Mai;
Rep. I 170 an Haugwitz 28. Mai; Rep. XI 89 b Schulenburg an Braun-
schweig 29. Mai.
Französische Politik und Kriegführung im Frühjahr 1792 107
Richtung in der österreichischen Politik befürwortete und be-
trieb, der Staatsreferendar Spielmann, sprach sich im Mai dahin
aus, Verhandlungen mit Frankreich könnten ja bald den Frieden
herbeiführen. Auch er dachte eben nicht an einen Prinzipien-
krieg ; er hatte aber auch nicht die großartige Anschauungsweise
des Fürsten Kaunitz. Wenn er im April auf den Krieg hingedrängt
hatte, so war es in der Erkenntnis geschehen, der Krieg sei nicht
mehr zu vermeiden, und der französische Angriff auf die Nieder-
lande stehe unmittelbar bevor. Er setzte zunächst eine Ver-
stärkung der österreichischen Truppen durch und bat um preu-
ßische Hilfe. Nun erfolgte der Angriff der Franzosen. Er wurde
zwar überall zurückgeschlagen, aber wie bald konnte ein neuer
erfolgen! Den französischen Massen und den fanatisierten Ein-
wohnern, die man mehr zu fürchten schien als die Franzosen
selbst, konnten die wenigen österreichischen Regimenter auf die
Dauer kaum widerstehen1). Immer erneut baten sie bei Preußen
um rasche Truppenhilfe, ja sie selbst schickten aus den Vorlanden
vier Bataillone und ein Kavallerieregiment dorthin. Preußen aber
blieb harthörig und berief sich dafür auf das ablehnende Votum
von Hohenlohe und von dem Herzog von Braunschweig2). Spiel-
mann ließ den Kopf hängen, wie Jacobi schreibt.
Dazu kam noch eins : Spielmann trug sich mit dem Gedanken
des Austausches der Niederlande gegen Bayern. Der ganze Plan
wurde hinfällig, wenn sie nicht mehr österreichischer Besitz
waren. Schon bei so unsicherer Lage war es sehr zweifelhaft, ob
der Bayer darauf eingehen werde. Die Furcht, die Niederlande
zu verlieren, ließ also Spielmann zu einem ähnlichen Gedanken
kommen wie Dumouriez. Er wollte trotz allem mit der Revo-
lution paktieren. Auch die den Preußen so verhaßte Vermittlung
Englands scheint er nicht haben ablehnen zu wollen3). Die Eng-
länder hielten sich jedoch völlig im Hintergrund, und auch sonst
wurde nichts aus all diesen Versuchen, dem rollenden Rade in
die Speichen zu greifen. Der Grund dafür wurde schon angedeutet.
1) Krieg gegen die Revolution II 43; Rep. I 169 Berichte Jacobis
7., 11., 12. Mai; Rep. I 170 Haugwitz 6. Juni.
2) P.S. zum Bericht Jacobis 19. Mai, an Jacobi 19. Mai.
3) Berichte Jacobis 9. Mai, 16. Mai P.S. II, 19. Mai mit P.S., 30. Mai,
an Jacobi 21. Mai, 24. Mai, 4. Juni, an Haugwitz 7. Juni. Vgl. auch Bericht
Steins aus Mainz 3. Mai in Rep. 96, 170 L.; Bericht Jacobis 28. Mai P.S.
tout ce que lui paraitrait exiger un certain nerf et des mesures vigoureuses
et decisives Peffraie et le rend vacillant, de sorte qu'il faut venir ä son
secours par des determinations precises. Ähnlich 30. Mai.
108 n. Abschnitt
Die alten Mächte stellten gewisse Forderungen, die die französi-
schen Unterhändler für ihre Person vielleicht gleich und für
später wohl geheim bewilligt hätten; sie aber gleich und öffent-
lich zu genehmigen, waren sie nicht im stände. Sie hätten die
Interessen von fast ganz Frankreich gegen sich gehabt und sich
mit den von der Revolution verkündeten Grundsätzen in vollen
Widerspruch gesetzt.
Das alles sind aber nur Akzidenzien. Denn wir haben bessere
Beweise dafür, wie schwer Dumouriez an dem Kriege trug, und
wie er seinen Feinden überall das Wasser abzugraben suchte.
Ich kann mich an dieser Stelle darauf beschränken, auf seine
Versuche in dieser Richtung bei den Höfen von Turin, Madrid,
London, Stockholm1) und bei den deutschen Kleinstaaten hin-
zuweisen2), auf seine Wühlarbeit in Warschau und in Konstanti-
nopel. Aber bei den großen Mächten scheiterten seine Versuche.
Wir sehen sie den Sendungen Dumouriez' und seiner Nachfolger3)
gegenüber zwar eine verschiedene Haltung einnehmen, aber doch
eigentlich nirgends eine freundliche. Frankreich hatte keinen
Bundesgenossen. Auch dort, wo es ihn in völliger Verblendung
am eifrigsten und am ausdauerndsten suchte4), wurden seine
Anträge rundweg abgelehnt, ich meine in Berlin.
Preußens Neutralität, womöglich sein Bündnis zu gewinnen,
war der Wunsch aller französischen Regierungen; seit Dumouriez'
Ministerium ist daran gar kein Zweifel mehr möglich. Dem ersten
vorsichtigen Angebot des Bündnisses um die Jahreswende 1790/91
folgte eine längere Pause. Vom Ende 1791 aber reißt die Kette
kaum ab bis zum Baseler Frieden, ja bis 1805. Die ersten sind
Segur und Jarry5). Es folgen Custine, Benoit, Rivals, Bays,
Naillac, Mettra, Mandrillon, Desportes und wie sie alle heißen
mögen ü). Es wird genügen, wenn ich hier eine der Verhandlungen
x) Vgl. hierfür die besonders interessanten Ausführungen von S. J.
Boethiusin Historisk Tidskrift utgifna af Svenska Historiska föreningen
genom E. Hildebrand. Stockholm 1888, S. 95 ff. und 177 ff.
2) In Petersburg scheint keiner gemacht worden zu sein, da aussichts-
los und ohne besondere Bedeutung.
3) Diese verfolgten ja genau die gleiche Politik, da sie in der Lage
vorgezeichnet war; ich werde das für Preußen noch nachzuweisen ver-
suchen.
*) Glagau 310.
5) Vgl. jedoch Glagau 151—152.
6) Vgl. für die späteren Versuche vom Jahre 1793 an besonders A u 1 a rd
in La Revolution franeaise 18 (1890), 232 ff.
Französische Politik und Kriegführung im Frühjahr 1792 109
aus dem Frühling ausführlich darstelle, da die Prinzipien für alle
dieselben sind.
Vom 9. April ist nach Sybel1) das Billett datiert, das Du-
mouriez an General Heymann2) nach Berlin schrieb über die
Sendung eines Herrn Benoit3). Eine Woche später soll dieser in
Berlin eingetroffen sein. Das entspricht etwa der Reisegeschwin-
digkeit eines Kuriers, und es liegt kein Grund zu der Annahme
vor, daß Benoit langsamer reiste. Sorel hat nun den Ankunfts-
termin Benoits in Berlin nach den Pariser Akten auf den 24.
festlegen können. Das ergibt einen Unterschied von einer Woche
gegenüber Sybel. Wir hätten seine Abreise etwa auf den 16.
festzulegen, wo die letzte österreichische Antwort schon in Paris
bekannt, der Krieg dort beschlossen war. Die Mission Benoits
rückt damit in ein bedeutend schärferes Licht als bisher an-
genommen worden ist. Während an Österreich der Krieg erklärt
und aus Berlin der Botschafter Moustier endlich formell ab-
berufen wird4), sucht man Preußen seinem Verbündeten ab-
1) II 76; Sorel II 416 ff. und R. d. d. m. 64, 315 und 331—332,
wo die Hauptsache noch fehlt.
2) Dieser General, ein elsässischer Baron (Sorel II 289), war nach
Sybel ein Emigrant liberalerer Richtung (vgl. auch Schlosser V 405).
Er verstand sich mehr aufs Intrigieren als aufs Kriegführen, hatte den
Ruf, in Berliner diplomatischen Kreisen, zu denen man ja auch die bei
Friedrich Wilhelm in Gunst stehenden Damen zu rechnen pflegte, gut
Bescheid zu wissen und besonders Bisch off werder gut zu kennen, ebenso
wie der Herzog von Lauzun, der sich General Biron nannte (Sorel II
58 — 59; Souvenirs de Bouille I 300). Er hatte zu diesem und dem
Herzog von Orleans, aber auch zu Mirabeau und zu Dumouriez nahe Be-
ziehungen (ib. 239 — 242). Mit Bouille, unter dem er marechal du camp
gewesen war, hatte er zuerst in russische Dienste treten wollen, wo man
ihnen gute Stellen bereit hielt; aber wie Bouille in schwedische, so war
er doch in preußische getreten, wo sie beide rascher ans Ziel ihrer Wünsche
zu kommen hofften, d. h. zur Teilnahme am Kriege gegen die Revolution
(Sbornik XXIII 544—549; Ch.J.R 119—120).
3) Es ist wohl derselbe, der zwei Jahre später geheim mit Mercy zu
verhandeln hatte. Biographie universelle, nouvelle edition Bd. 3 (Paris
1843) 660—662.
4) Er weilte ja schon seit Anfang Oktober 1791 nicht mehr in Berlin,
wurde aber erst am 16. April abberufen (Bericht Goltz 20. April, an Goltz
3. Mai). Deutlich zeigt sich Frankreichs Bestreben bei Preußen, die Ab-
berufung der Kriegserklärung vorangehen zu lassen, noch dazu da der
Gesandte doch nichts nützte — er war ja nach seiner persönlichen An-
schauung ein gemäßigter Emigrant. Umso ausgiebiger konnten geheime
Gesandtschaften das Feld bearbeiten. Moustier erhielt auf Finckensteins
Vorschlag von Friedrich Wilhelm, der ihn stets persönlich geschätzt hatte,
HO II . Abschnitt
spenstig, ja es zum Vermittler zwischen Ludwig und seinem
Volke zu machen, nur um den Frieden zu erhalten oder rasch
wiederherzustellen, da man ihn notgedrungen brechen muß1).
Um aber bei Preußen womöglich den Gedanken an eine ursäch-
liche Verbindung zwischen der Unvermeidlichkeit des Krieges
und dem französischen Vermittlungsvorschlag nicht erst auf-
kommen zu lassen, datierte wohl Dumouriez das Billett auf den
9. April vor. Marie Antoinette scheint zwar von dieser Mission
nichts gewußt zu haben; aber sie war doch im allgemeinen so
weit in die Pläne des Ministeriums eingeweiht, daß sie schon am
19. an Fersen schreiben konnte, morgen werde man an Öster-
reich den Krieg erklären, hoffe dadurch jedoch Furcht zu er-
regen und in drei Wochen zu verhandeln; Preußen werde man
trotz seiner kriegerischen Haltung nicht angreifen2).
Heymann wandte sich, angeblich durch Bischoffwerder3), an
Schulenburg. Dieser lehnte eine mündliche Besprechung mit
Benoit zwar ab4), ließ sich aber von Heymann seine Vorschläge
schriftlich mitteilen5). Sie gingen weit genug, und mündliche
das übliche Abschiedsgeschenk, ein reich verziertes Kästchen für 1200 Taler,
das man bei dem Juden Ephraim kaufte, bei dem derartige Einkäufe sehr
häufig gemacht wurden. (Rep. 96, 147 G. I und II, F. Au Roi 30. April
und 4. Mai; Sorel II 280 und 339.)
1 ) In diesem Lichte erscheint ßenoits Mission auch bei Goltz in seinen
Berichten vom 27. und 28. April, wenn ich darauf auch kein besonders
großes Gewicht legen möchte. Benoit sei Hals über Kopf (precipitamment)
abgereist nach der Entscheidung für den Krieg gegen Österreich (depuis
la levee de bouclier contre le Roi de Hongrie. Goltz meint damit sicher
die Kriegserklärung). Für ihn steht also diese ursächliche Verbindung fest.
Ein Datum gibt er leider für Benoits Abreise nicht an. An ernsthafte
politische Verhandlungen glaubt er gar nicht, dazu schätzt er scheinbar
Benoit zu gering ein (vgl. unten Caramans Urteil). Mit Bestechungsver-
suchen werde er ans Ziel zu kommen suchen, aber Heymann werde dies
Komplott wohl selbst angeben. Goltz ereifert sich also nur gegen das
Mittel. Als er von Preußens offensivem Vorgehen hört, zeigt sich so recht,
daß er das Ziel Dumouriez' gebilligt, ja ein Eingehen Preußens darauf
fast für selbstverständlich gehalten hatte (Berichte vom 27., 28. April,
11. Mai, Rep. XI 89).
2) Fersen II 234. Vgl. dazu auch die interessanten aber sehr vor-
sichtig gehaltenen Bemerkungen Dumouriez' in seinen Memoiren II 195 ff.
und vor allem Lauzun-Serignan 242.
3) Lettres sur Dumouriez 101 (vgl. unten genauer über dies Werk).
4) Er wollte den König nicht durch den Verkehr mit diesen Elenden
(miserables) kompromittieren.
5) Heymann hatte Benoit zu deren Niederschrift veranlaßt, doch wohl
auf Schulenburgs Betreiben, wenn das auch nirgends gesagt wird. Viel
Französische Politik und Kriegführung im Frühjahr 1792 \\\
Äußerungen Benoits ließen ein noch weiteres Entgegenkommen
erwarten. Ich verbinde im folgenden beides. Zunächst gab er
ohne weiteres zu, daß Frankreich alle Ursache habe, den Krieg
zu fürchten. Besonders wenn die preußischen Truppen dabei
seien, werde die neue schwache französische Regierung dem
ersten Anlauf erliegen1). Ebensosehr wie die Erhaltung des
äußeren wünsche man die Herstellung des inneren Friedens.
Preußen stehe ja dem Kriege fern und könne durch sein Ansehen
und seine Popularität in Frankreich ebensoviel erreichen wie
andere Mächte durch Krieg. Es solle sich daher zunächst in der
Frage der geschädigten Reichsstände zum Vermittler machen2).
Ludwig werde seine Vorschläge befürworten, und diese würden
dann glatt genehmigt werden. Daraus ergebe sich die Möglich-
keit einer zweiten Intervention in der Frage der Rückkehr der
Emigranten, die er für ebenso wünschenswert wie notwendig
halte3). Daran würden sich dann ganz natürlich preußische
Wünsche auf eine Abänderung der Verfassung schließen. Sei erst
einmal die Kriegsgefahr und die Furcht davor beseitigt (das sei
also die nächste Sorge), so werde sich die Zustimmung zu jenen
Wünschen in Frankreich von selbst ergeben, da man auch hier
ähnliche hege. Aber das sei sicher: je weiter sich die Änderungen
von der bestehenden Verfassung entfernten, umso schwieriger
werde ihre Durchführung. Die Wiederherstellung einer privi-
legierten Adelskaste und großer Beamtenkörper (grands corps de
Mühe wird ihn das kaum gekostet haben. Rep. I 169 an Jacohi 28. April,
Rep. XI 89 a. S. Au Roi 28. April.
1 ) Lauzun-Serignan 73 ( Biron an Talleyrand 18. Dezember 1791 ) :
„L'assemblee a peur du Roi de Prusse et de la guerre. " Ein ganz geheimes
Schriftstück !
2) Benoit hatte infolge einer sofort deutlich ablehnenden Antwort
an Heymann schon die früher gehegte Hoffnung einer Allianz mit Preußen
aufgegeben — ob diese Angabe Benoits ganz aufrichtig ist, lasse ich hier
dahingestellt, dieser Plan fällt eigentlich nie zu Boden. Ja man schien
nicht einmal mehr an eine Trennung Preußens von Österreich zu glauben.
Daß Frankreich dem Krieg mit beiden Mächten zugleich sicher nicht
gewachsen sei, war die Überzeugung aller urteilsfähigen Leute, und sie
trösteten sich nur mit der schwachen Hoffnung, allmählich werde auch das
französische Heer sich an den Krieg gewöhnen und die Feinde in einem
zweiten Feldzuge wieder aus dem Lande herausschlagen. Dumouriez
freilich baute auf diese Hoffnung nicht sehr. Er war dann sicher nicht
mehr am Ruder, und dies persönliche Moment wird man nicht ganz ver-
nachlässigen dürfen. Er tat daher sein möglichstes, um wenigstens den
Krieg gegen zwei furchtbare Gegner zugleich zu verhindern.
3) H e i g e 1 I 530 dreht das um.
112 II. Abschnitt
magistrature) und die Rückgabe der geistlichen Güter1) werde
niemals ohne Gefahr vorgeschlagen, noch ohne Widerstand an-
genommen werden. Eine Stärkung der Krongewalt liege jedoch
durchaus im Rahmen des Erreichbaren.
Noch eins sei wichtig: man dürfe mit diesen Forderungen
nicht gleich und nicht öffentlich hervortreten, sondern erst all-
mählich. Auf so eine langsame Entwicklung ist der ganze Plan
zugeschnitten. Wir erkennen in ihm das Bestreben, die von der
Revolution geschaffenen Grundlagen festzuhalten. Eine Wieder-
herstellung des korporativen Lebens, der Privilegien des ancien
regime mußte Dumouriez also ausschließen. Und wenn er an der
Unmöglichkeit festhielt, die geistlichen Güter zurückzugeben2),
so wußte er, daß er einen großen, stets wachsenden Teil der Nation
hinter sich hatte, den diese Maßregel ruiniert und deshalb in die
schärfste Opposition getrieben hätte. Umso nachgiebiger zeigte
er sich dafür in anderen Fragen von nebensächlicher Bedeutung.
So hatte Benoit mündlich gegen eine Wiederherstellung des
Adels nichts einzuwenden. Die Stärkung der monarchischen
Gewalt entsprach ganz Dumouriez' eigenen Absichten. Er per-
sönlich wäre den Mächten wohl gern auch noch weiter entgegen-
gekommen; denn nach allem, was wir von ihm wissen, ist er
nicht der Mann gewesen, der sich die Durchführung des neuen
Prinzips zur Lebensaufgabe gemacht hat, der innerlich gebrochen
ist, als dieser Plan scheitert. Nur auf das Wesentliche, die Macht,
kam es ihm an, nicht auf eine bestimmte Regierungsform.
Sybel3) sieht in diesem Plane Übereinstimmung mit den
Wünschen von Kaunitz und Marie Antoinette. Heigel4) folgt
ihm darin nicht ganz, da Marie Antoinette nichts davon gewußt
habe, bezeichnet aber nachher den Plan als nicht ehrlich ge-
meint. Ich kann mich dem nicht anschließen. Die abweichende
Meinung von Kaunitz wie von Marie Antoinette ist uns gut
genug bekannt. Sie wünschte einen energischen Krieg, um sich
für alle Beleidigungen rächen zu können, und freute sich daher
über die Kriegserklärung5). Die Gründe für die Annahme,
Dumouriez habe es ehrlich mit diesem Versuch gemeint, brauche
1) Sorel II 447.
2) Benoit betonte das noch besonders in seiner Besprechung mit
Heymann.
3) II 78.
*) I 531.
6) Fersen II 234.
Französische Politik und Kriegführung im Frühjahr 1792 H3
ich hier aber wohl nicht mehr zu wiederholen. Sein ganzes poli-
tisches System würde in einem anderen Lichte erscheinen, wenn
er nicht ehrlich gewesen wäre. Nach meiner Ansicht lassen sich
die Quellen nur in dem angegebenen Sinne deuten.
Schulenburg teilte diese Vorschläge dem Könige mit1). Dieser
lehnte sie auf seinen Antrag nicht ganz ab. Denn, so argumen-
tierte Schulenburg, solange Dumouriez einige Hoffnung auf Er-
folg habe, seien Ludwig und seine Familie in Sicherheit2), und
hierfür zu sorgen, hielt er doch für eine Hauptaufgabe. Sollte
er ferner wirklich die Möglichkeit einer Anknüpfung mit der
revolutionären Partei von der Hand haben weisen wollen? Eine
Verbindung, die Preußen nicht bloßstellen konnte, war doch in
jedem Falle gut. Er wie sein Nachfolger Lucchesini haben jeden-
falls diese Haltung angenommen, die ihnen noch immer die Mög-
lichkeit zu Verhandlungen offen ließ. Natürlich dürfe man die
Vorschläge auch nicht annehmen. War man gegenüber Breteuils
Mitteilungen manchmal etwas skeptisch, so war man es hier
völlig3). Was für eine Autorität besaß der Minister und sein un-
beglaubigter Vertreter? Das Königspaar vertrat diesen
Standpunkt sicher nicht. Es war also nur der einer französischen
Partei. Welche Macht stand hinter ihr ? Wer garantierte Preußen,
daß das Ministerium, mit dem man sich heute in Verhandlungen
einließ, morgen noch am Ruder war? Würde dann ein neues
dem alten Wege folgen? Wer bürgte Preußen ferner dafür, daß
die Vorschläge wirklich ehrlich gemeint waren? Kamen sie doch
von einem Manne, der äußerlich schärfer als irgend einer seiner
Kollegen und noch mehr als einer seiner Vorgänger die Forde-
rungen der Revolution vertrat. Konnte es nicht bloß eine Finte
sein, um Preußen von dem Kriege fernzuhalten oder wenigstens
Zeit zu gewinnen4)?
M Sybel II 78; Sorel II 447-448.
2) Schulenburg meinte, Dumouriez wolle sich damit zugleich ein Ver-
dienst um die königliche Familie erwerben.
3) Vgl. S o r e 1 II 444—446.
4) Reuß, der gleich am 29. noch vor dem Bekanntwerden der Kriegs-
erklärung durch Schulen bürg davon erfuhr, faßte die Mission Benoits in
diesem Sinne auf. Bisher hatte er mit Schulenburg das französische Ver-
halten unerklärlich gefunden. Die Franzosen wollten den Krieg und wollten
ihn doch wieder nicht. Jetzt schienen ihm alle Zweifel behoben. Sie wollten
bloß Zeit gewinnen und die Fortschritte der Mächte hemmen, ihren Lands-
leuten Sand in die Augen streuen und sich selbst eine Nottür sichern für
den Fall eines siegreichen Vordringens der deutschen Heere und ihres
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 8
114 II. Abschnitt
Denn das stand Schulenburg von vornherein fest, und die
Kriegserklärung bestärkte ihn nur noch in seiner Ansicht, es war
ein Zeichen der Furcht. Wir werden ihm darin durchaus beizu-
stimmen haben. Können wir uns dann aber seiner Folgerung
versagen, daß die Franzosen gar nicht im Ernst an einen Angriff
dachten, daß Defensivmaßregeln ganz unnötig, nur Offensiv-
maßregeln angebracht seien? Das waren doch sehr berechtigte
Einwände von preußischer Seite. Daraus ergab sich dann für
die Antwort die Notwendigkeit, die äußerste Vorsicht zu beob-
achten. Seine Kollegen pflichteten Schul enburgs Ansicht durch-
aus bei.
Benoit erhielt deshalb durch Heymann nur mündlich eine
Antwort, die man diesem jedoch sicherheitshalber schriftlich mit-
gab1). Preußen könne nur mit den konzertierenden Mächten
und vor allem mit den verbündeten Österreichern zusammen vor-
gehen, um den geschädigten Reichsfürsten zu ihrem vertrags-
mäßigen Rechte zu verhelfen, die Ordnung in Frankreich wieder-
herzustellen und die Anarchie zu beseitigen, die die anderen
Länder beeinflusse und das europäische Gleichgewicht störe.
Solange die gesetzliche Macht in Frankreich nicht wieder-
hergestellt sei, mit der man allein auf sicherer Grundlage (avec
sürete) verhandeln könne, sei beim besten Willen an Verhand-
lungen nicht zu denken. Benoit bemerkte sehr wohl, daß das
keine absolute Ablehnung war, aber noch mehr, daß Preußen
sich für jetzt von seinem Bündnis mit Österreich nicht ab-
bringen lassen, sondern mit den Waffen für die Herstellung
einer festen Regierung in Frankreich sorgen werde. Wenn
Caraman recht berichtet ist, wie man annehmen darf, wurde
auch, aber wohl nur nebenher, die Wiederherstellung des
alten Besitzstandes vor der Revolution gefordert, also gerade
das, was Benoit als eine fast unmögliche Forderung hatte be-
zeichnen müssen. Es ist eine wichtige Differenz von dem von
Kaunitz geplanten Verfahren, aber auch nicht mehr als ein
Sturzes, wie schon vorher durch die — nur geplante — Sendung Mauldes
nach Wien. Reuß warf die Frage auf, ob Benoit bei seiner Abreise schon
von der Kriegserklärung gewußt habe. Vielleicht könne man der Antwort
an ihn einen Satz darüber einfügen, daß man sie schon kenne und die
Franzosen dadurch aufklären. Sein Vorschlag konnte jedoch keine Berück-
sichtigung mehr finden. (Rep. I 171 zwei Briefe von Reuß an Schulenburg
29. April 1792. Rep. 96, 147 G. I. S. Au Roi 25. April; Rep. XI 89 b.
Schulenburg an Braunschweig 29. Mai).
*) Fersen II 253.
Französische Politik und Kriegführung im Frühjahr 1792 H5
Symptom für die Ansichten beider Mächte über die Neugestaltung
Frankreichs nach dem Kriege, die nachher zu so lebhaften Feder-
kämpfen führte.
Man wird die Antwort daher nicht als höflich ausweichend
bezeichnen dürfen; für jetzt bedeutete sie doch den Abbruch
aller Verhandlungen. Benoit, erkannte, daß erst nach dem Ein-
marsch der fremden Heere in Frankreich eine Wiederaufnahme
Erfolg haben, ihr Plan gelingen könne1). Er traf damit ganz die
Ansicht Schulenburgs, der die Verhandlungen dem Einmarsch
nicht vorangehen, ihm aber gleich folgen lassen wollte2). Am
30. April reiste Benoit ab3) mit einem Billett Heymanns an
Dumouriez, in dem jener versichert, aus seinen Unterhaltungen
mit dem preußischen Minister (Schulenburg ist natürlich gemeint)
nicht mehr zu wissen, als er Benoit mitgeteilt habe. Aber er gab
ihm mündlich den Rat, Feindseligkeiten zu vermeiden,- eine
feste Regierung einzurichten und auf Preußen Rücksicht zu
nehmen4).
Caraman triumphierte. Er hatte ja gleich die Ablehnung von
solchen PseudoVerhandlungen (demi-negociations) gefordert ; seine
ganze Überhebung tritt deutlich zu Tage5). Aber seines Drängens
hat es wahrlich nicht mehr bedurft, um Preußen bei der Stange
zu halten. Es schlug aber sofort für seine Zwecke Kapital aus
dieser Episode. Es teilte die Vorgänge nach Wien an Jacobi mit
1) Lettres sur Dumouriez 101—102; S o r e 1 II 448; Rep. 96, 147 G. II,
F. S.A. Au Roi 28. Mai.
2) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 37, Schulenburg an Lucchesini 11. Mai.
Rep. XI 89 b Schulenburg an Braunschweig 29. Mai. Wenn Schulenburg
die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Benoit für den Juni scharf ab-
lehnte, so findet das seine Erklärung vor allem in dem Umstände, daß durch
Bischoffwerder, vielleicht auch den Herzog von Braunschweig, der Marquis
Bouille ins Geheimnis gezogen worden war. Diesem Manne wollte Schulen-
burg eine so gefährliche Sache auf keinen Fall anvertraut wissen. Die
Geschwätzigkeit der Emigranten im allgemeinen war ja bekannt. (Rep. 96,
170 L. Bericht Steins 8. Mai.) Bouilles Verhalten bei der Flucht des fran-
zösischen Königspaares schien dazu deutlich genug seine Unfähigkeit für
solche Aufgaben zu beweisen. Außerdem habe man ja die Möglichkeit,
in jedem Augenblick durch Heymann mit Dumouriez wieder anzuknüpfen.
(Rep. XI 89 a Bischoffwerder an Schulenburg und Schulenburg an Bischoff-
werder 16. Juni. Rep. XI 91 I Friedrich Wilhelm an Schulenburg 30. Mai ( ?).
Bouille an Stein 12. Juni. Rep. I 171 Braunschweigs Note vom 30. Mai.
Bouille, Memoires 348—349.)
3) Sorel II 448.
4) Rep. XI 89 a; S o r e 1 II 448.
5) Fersen II 251.
116 II. Abschnitt
als Beweis der Bundestreue1). Zwar fürchtete man auch, Öster-
reich könne auf anderem Wege von der Geschichte erfahren, und
Preußen mußte gerade jetzt jeden Schatten eines Mißverständ-
nisses ängstlich zu vermeiden suchen2). Noch war die öster-
reichische Erklärung für den Angriffskrieg nicht erfolgt. Aber
jene Rücksicht war für Preußen doch nur ein nebensächlicher
Grund3). So sentimental dachte es wirklich nicht. Abgesehen
davon, daß es sich mit Österreich über gleiche Behandlung ähn-
licher späterer Anträge einigen wollte, die es mit Recht voraus-
sah, wenn auch nicht gerade Maulde zum Überbringer von
Friedensvorschlägen wurde, wie es zuerst glaubte4), hoffte es in
x) Heigel 1530; Rep. I 169.
2) Der Erfolg blieb auch nicht aus. Franz sagte zu Spielmann: „Da
muß man doch wahrhaftig sehen, daß der König von Preußen ein ehrlicher
Mann ist," und er wollte nun das Seinige tun, Preußen zu überzeugen,
„daß er ein ehrlicher Gerl (sie!) sei". Rep. 96, 153 C Immediatbericht
Jacobis 4. Mai.
3) Ich will damit nicht bestreiten, daß das preußische Verfahren ein
gut Teil ehrlicher war als das gleichzeitige der Österreicher ( V i v e n o t II 410).
*) Hier haben wir einen fundamentalen Irrtum auf preußischer Seite
festzustellen. Man glaubte in der Tat an die Möglichkeit, daß Dumouriez
in Wien ähnliche Eröffnungen machen werde wie in Berlin. Aber daran
hat er überhaupt nicht gedacht. Mauldes Sendung soRte einen durchaus
anderen Charakter haben. Fragen, die die französischen inneren Ver-
hältnisse betrafen, mußten hier geflissentlich übergangen werden, wenn
Dumouriez darüber nicht ebenso stürzen wollte wie Delessart. Nein, so
erwünscht der Friede mit Österreich ohne voraufgegangenen Krieg Du-
mouriez gewesen wäre, und so sehr er auch wünschte, den diplomatischen
Verkehr mit Österreich aufrechtzuerhalten — die Tatsache, daß Österreich
an dem Konzert festhielt, und seine schroffe Sprache wider die Jakobiner
nahmen ihm jede Möglichkeit zur Verständigung. Für den Augenblick
verzweifelte er an der Erhaltung des Friedens und suchte nur Preußen
von Österreich zu sich hinüberzuziehen; denn auffallend genug ist es, daß
Dumouriez-Benoit von dem Konzert überhaupt nicht, von dem Krieg
doch nur wenig sprachen. Sie sahen wohl ein, daß hier Hopfen und Malz
verloren, an Vermittlung nicht zu denken war. Vielmehr wurde eine für
Preußen äußerst verlockende Perspektive gezeichnet. Es sollte eine Stellung
wirklich einnehmen, die es in Reichenbach nur dem Scheine nach gehabt
hatte. Es sollte Schiedsrichter in einer großen europäischen Frage und
damit langsam aber sicher von Österreich abgelöst und zu Frankreich
hingezogen werden, so daß als natürlicher Abschluß dieser Entwicklung
ein preußisch-französisches Bündnis erscheinen mußte. So wollte Du-
mouriez Österreich diplomatisch isolieren und es zugleich militärisch über-
rumpeln (G 1 a g a u 309 — 310). Man fühlt sich versucht, Benoits Mission
als letzten verzweifelten Versuch zu betrachten — und doch, es war nicht
der letzte. Auf immer neuen Wegen erfolgten die französischen Anläufe
auf Preußen. Nur die Wege wechselten, das Ziel blieb dasselbe.
Französische Politik und Kriegführung im Frühjahr 1792 \\7
Wien auch den Eindruck zu machen, daß der Krieg keine großen
Schwierigkeiten bieten, Kaunitz sich also leichter darauf ein-
lassen werde. Es sollte also noch ein kleiner Ansturm gegen die
österreichische Friedensliebe sein, aber er kam erst nach der
Entscheidung Österreichs für den Angriffskrieg zur Wirkung;
wenn er also auch an ihr keinen Anteil mehr hatte, so löste er doch
bei Kaunitz ähnliche Gedanken aus1).
Die Wiederholung derartiger Versuche der Franzosen, Preußen
von Österreich abzulösen, konnte nur jenes in seiner Ansicht
bestärken, daß Frankreich mit der größten Sorge dem Kampfe
entgegensehe. Wir kommen hier also zu demselben Ergebnis wie
bei der Betrachtung der militärischen Vorgänge und Zustände.
Eine dritte Reihe wirkte in demselben Sinne auf die Mächte ein.
Die Zerklüftung in dem französischen Parteileben brachte es
mit sich, daß sich einige von den Parteien an das Ausland mit
der Bitte um Unterstützung auch jetzt noch wandten, ohne
natürlich von den erwähnten geheimen Versuchen ihrer eigenen
Regierung zu wissen. So versuchte es namentlich in dieser Zeit
Lafayette wiederholt durch einen Abt Lambinet in Brüssel2),
desgleichen die Feuillants durch Masson de Saint Amand, so
Montmorin und Mallet du Pan, dieser persönlich in Frankfurt
und scheinbar gestützt auf Ludwig XVI., über dessen wahre Ge-
sinnungen die Mächte doch besser unterrichtet waren als er.
Denn noch immer ging der geheime Briefwechsel Marie Antoinettes
mit Fersen weiter, und die wichtigsten Nachrichten gingen den
Mächten auf diesem Wege zu. Also nicht nur die Emigranten
riefen die Anschauung von dem Bevorstehen einer militärischen
Promenade hervor — alles kam vielmehr zusammen, um die
Mächte zu der Ansicht zu bringen, die Revolutionäre hätten vor
dem Kriege die größte Angst, ihre militärische Macht sei in der
Auflösung begriffen; aber ein großer Teil des Volkes wünsche
den Einmarsch und warte nur auf ihn, um sich den Mächten offen
anzuschließen und mit ihrer Hilfe Ruhe und Ordnung in Frankreich
wiederherzustellen. Das mußte von dem größten Einfluß auf die
Mittel sein, welche die Mächte zur Erreichung ihres Zieles wählten.
Ihren Maßregeln müssen wir uns daher jetzt zuwenden.
1 ) V i v e n o t II 419.
2) Auch andere Gesinnungsgenossen waren hierbei tätig. Von einer
genaueren Schilderung kann ich hier absehen, da sie bereits in verschiedenen
Werken vorliegt. Zeißberg, 2 Jahre, 92 ff. ; G 1 a g a u 318—321 und
360—365 und G 1 a g a u in H.Z. 82, 259 ff. und 445—452; Krieg gegen die
Revolution II 35; Lescure II 611 etc.
118 II. Abschnitt
2. Kapitel
Manifeste
I.
Auch die deutschen Mächte begnügten sich nicht mit der An-
wendung von militärischen Zwangsmaßregeln, sie ließen ihnen
vielmehr diplomatische Schritte vorangehen, die den Heeren die
Arbeit erleichtern sollten. Zugleich konnten sie so die Zeit nutz-
bar machen, die bis zu dem Beginn der militärischen Operationen
doch noch verstreichen mußte. Da steigt zunächst die Frage auf,
was aus dem Konzert der europäischen Mächte eigentlich ge-
worden ist. Es war ja bisher noch nie durch gemeinsame Schritte
— welcher Art sie hätten sein können, ist hier gleichgültig —
wirklich ins Leben getreten1). Im April hatte Franz nun endlich
die Initiative ergriffen durch die Versendung der Einladung an
die Mächte, ihren Beitritt zu erklären und sich über gemeinsame
Maßregeln schlüssig zu werden2).
Keine von den großen Mächten war dabei übergangen worden
(die Türkei selbstverständlich ausgenommen). Selbst die kleinen
wollte man nach Möglichkeit heranziehen, etwa Venedig; ja man
spekulierte auf die tatkräftige Mitwirkung der größeren deutschen
Reichsstände (Bayern, Sachsen, Mainz, Trier), die zum Teil selbst
geschädigt worden waren und anfangs am lautesten um Hilfe
gerufen hatten3).
x) V i v e n o t II 404. Vgl. auch Clapham 171 ff., 204—205 und
208—209.
2) Vivenot I 311—314, 317, 324—325, II 403—406.
3) Vgl. die Listen bei Vi ve n o t II 405 und 407; Ch.J.P. 140. In
diesen Rahmen gehört auch die Unterstützung der Wünsche des Land-
grafen von Hessen-Kassel nach der 9. Kur durch Preußen. Ich übergehe
hier diese Frage gänzlich, da sie mich zu weit vom Thema abführen würde;
ebenso die Wahl und Krönung von Franz zum Kaiser. Neue Momente
ergeben sich bei ihnen nicht. Sie sind durchaus bestimmt von der Einigung
zwischen Österreich und Preußen, das den Fürstenbund völlig preisgegeben
hatte (C a r i s i e n 114). Diese veranlaßte die Österreicher, die großen
und kleinen Reichsstände härter als nötig zu behandeln und es beinahe
als eine Gnade hinzustellen, wenn Franz die Wahl überhaupt annehme
(Bericht Jacobis 2. Mai P.S. I). Ebenso machten sie es in anderen Fragen,
namentlich in der des Krieges gegen Frankreich. Manche Kleinstaaten
bereiteten dem Marsch der österreichischen Truppen an den Rhein mög-
lichst viel Hindernisse; die österreichischen Regressivmaßregeln gingen
jedoch so weit, daß das preußische Kabinettsministerium Jacobi besonders
Manifeste 119
Wenn man von den letztgenannten auch nicht den Beitritt
zum Konzert erwartete, so doch die Bildung einer Assoziation
der vorderen Reichskreise1), die bis zur Vollendung der Rüstungen
der großen Mächte die Reichsgrenzen decken sollten zusammen
mit den österreichischen und preußischen Truppenteilen, die schon
zur Stelle waren2). Tatsächlich ist jedoch aus der Assoziation
nichts geworden. Die Reichsfürsten fürchteten mit einem solchen
Schritt gerade den Angriff der Franzosen heraufzubeschwören,
zu dessen Durchführung französische Truppen, vornehmlich unter
Kellermann und Custine, an der Grenze bereit standen. Sie taten
deshalb so, als wenn sie auf die französischen Friedens vorschlage
eingingen — vielen von ihnen war es damit sogar voller Ernst
— gewannen damit Zeit, und als die österreichisch-preußischen
Truppen zur Stelle waren, traten sie den Franzosen gegenüber
fester auf und wiesen auf die Vorstellungen der deutschen Groß-
mächte, doch immer noch nicht ganz freiwillig, wie ich glaube,
die französischen Vertreter aus. Ein Teil von ihnen schloß Kon-
ventionen über die Stellung von Truppen zur Koalitionsarmee
ab oder suchte sich sonst ein Verdienst, d. h. ein Anrecht auf
Entschädigung zu erwerben, wie das anfangs so steifnackige
Württemberg. Aber nur kurze Zeit dauerte dieser schöne Traum,
der einigen von ihnen nicht nur die Rückgabe des Verlorenen,
sondern sogar Erweiterung ihrer Macht versprochen hatte. Nach
dem Rückzug aus der Champagne und dem Einfall Custines lagen
sie alle vor der Revolution auf dem Bauche, und wer wird ihnen
einen Vorwurf daraus machen? Ihre Existenz stand auf dem
Spiele. Erst die Einnahme von Frankfurt und der Vormarsch
der Verbündeten im Frühjahr 1793 befreite sie aus dieser Ge-
fahr3). Ich kann diese Entwicklung hier natürlich nur andeuten,
da sie durchaus bestimmt ist von den Beziehungen der großen
befehlen mußte, nicht dagegen aufzutreten, da eine scharfe Sprache das
beste Mittel sei, die widerspenstigen Glieder des Reiches zur Vernunft zu
bringen (Bericht Jacobis 9. Mai mit P.S., an Jacobi 14. Mai).
1) Hei gel I 537—539.
2) V i v e n o 1 1 309 und 319, II 409, 433, 458; Rep. 96, 170 L. Bericht
Steins 8. Mai; Rep. 9— 272, F.A. Au Roi 20. Juli; Rep. XI 89 g1 Schulen-
burg an Finckenstein und Alvensleben 20. Juli; Rep. 98 B 10 Schulenburg an
Cesar 10. August; Rep. 98 B 17 Schulenburg an Sacken und Görtz 14. Juli;
Rep. XI 89 K Schlick an Stein 16. Juli, Stein an Schulenburg 17. Juli;
Hei gel II 43—44 und 86; Vivenot II 576 und 578.
3) Vgl. hierfür noch A u 1 a r d in La revolution francaise 18 (Paris
1890) S. 349 ff.
1 20 II. Abschnitt
Mächte zueinander und selbst kaum eine Rückwirkung darauf
ausgeübt hat.
Betrachten wir nun das Programm für das Konzert, das
Kaunitz den Mächten entwickelte. Zunächst sollten die fremden
Vertreter oder besonders ernannte Personen (vgl. Bischoffwerder)
sich in Wien über den Plan einigen. Das schien also eine weit-
angelegte diplomatische Aktion werden zu sollen. Wenn man
in Wien auch noch so sehr auf Beschleunigung drängte, so war
man doch überzeugt, daß vor Ablauf von 8 — 10 Wochen nichts
erfolgen könne1). Man wollte von Frankreich die Abstellung von
Übelständen fordern, die hier als gemeinsame Angelegenheit
(cause commune) aller Mächte erscheinen und die wir in zwei
Gruppen teilen können: 1. Die Bedrohung des Auslandes durch
die Revolution, die sich äußerte in der Zusammenziehung von
starken Heeren und in Kriegsvorbereitungen, in der sich nach
anderen Staaten ausbreitenden revolutionären Propaganda und
in der Verletzung der Verträge, besonders hinsichtlich der deut-
schen Reichsfürsten im Elsaß und des Papstes in Avignon und
Venaissin. 2. Das Interesse der Mächte an der Wiederherstellung
der gesetzlichen Macht des Königtums und seiner Freiheit, die
durch die Umtriebe der Jakobiner gefährdet oder illusorisch
gemacht worden sei, ja an der Wiederherstellung eines geord-
neten, regelmäßigen, ruhigen und festen Zustandes überhaupt.
Nun hätten aber die Mächte nicht ohne weiteres das Recht, der
französischen Nation vorzuschreiben, was sie zu tun und zu lassen
habe. Sowie der König frei sei und sich über die Verfassung mit
den gesetzlichen Vertretern der Nation geeinigt habe, hätten die
Mächte das anzuerkennen. Um nicht die Nation gegen sie auf-
zubringen und zu einigen, dürften sie keine völlige Gegenrevo-
lution proklamieren, wie sie etwa die Prinzen wollten. Die Mächte
müßten sich mit solchen Maßnahmen begnügen, die Haltbarkeit
versprächen auch für die Zeit, wo die fremden Heere nicht mehr
zu ihrer Aufrechterhaltung in Frankreich weilten. Daraus ergebe
sich die Notwendigkeit, den „vernünftigeren, bescheideneren und
mäßigeren Teil der Nation" möglichst zu schonen, seine positive
Mitarbeit zu gewinnen.
Dies die Aufgaben und das Ziel. Zur Durchführung müßten
sehr beträchtliche Streitkräfte aufgebracht werden, da man ja
nicht nur defensiv, sondern nötigenfalls auch offensiv verfahren
*) Vi veno t I 308.
Manifeste 121
müsse1). Halbe Maßregeln würden nur Schaden stiften, nämlich
die Mächte kompromittieren und das Ziel doch nicht erreichen.
Die Emigranten müsse man von der Aktion ausschließen, um den
Endzweck nicht zu gefährden, da sie bei einem großen Teile der
Nation äußerst verhaßt und ihre Pläne nicht als durchführbar
anzusehen seien. Bei dem gleichen Interesse aller Mächte ver-
stünden sich gleiche Aufwendungen von selbst. Wenn die nächst-
gelegenen Staaten mehr Truppen stellten, als ihnen verhältnis-
mäßig zukomme, so könnten sich die weiter abgelegenen durch
Geldzahlungen beteiligen, durch die den erstgenannten ihre Mehr-
aufwendungen vergütet würden. Österreich und Preußen hätten
sich über die Stellung von je 50 000 Mann geeinigt. Die Absendung
von je 6000 Mann sei schon beschlossen, und neuere Nachrichten
hätten den Beschluß hervorgerufen, weitere 15 000 Mann abzu-
senden2). Aber bis zum Zustandekommen des Konzertes, seien
das lediglich defensive Maßregeln, erst danach könne von offen-
siven die Rede sein3). Um die Maßregeln möglichst zu beschleu-
nigen, sollte in Wien über alle diese Vorschläge beraten und
Beschluß gefaßt werden4). Sei das Konzert zu stände gebracht,
die Armeen zur Stelle, die gemeinsame Erklärung gegen Frank-
reich erlassen, und ergebe sich dann die Notwendigkeit eines
armierten Kongresses, so sei dazu nicht Wien, sondern eine nahe
an Frankreich gelegene Stadt zu wählen.
Das Konzert erscheint hier also als diplomatisch-militärisches
Pressionsmittel der in ihren gemeinsamen Interessen bedrohten
europäischen Mächte gegenüber der Revolution5). Von eigent-
lichen kriegerischen Unternehmungen ist in fundamentalem
Gegensatze zu den Forderungen von Marie Antoinette noch keine
Rede. Die Österreicher hatten gute Gründe, sich darüber aus-
zuschweigen. Sie glaubten nicht, daß das Konzert jemals zu
1 ) ... au cas qu'il devienne necessaire d'y einployer les voies extremes
(Vivenot II 404 S. 3).
2) Beide Angaben trafen nur für Österreich zu.
3) Vivenot II 406.
4) Das hätte bedeutet, daß Österreich die Leitung des Konzertes in
die Hand bekommen hätte unter dem Anschein ganz uneigennützigen
Vorgehens.
5) Es war der Versuch der Konstituierung einer Art europäischer
Republik oder Staatenfamilie, wie sie sich schon Voltaire im Geiste vor-
gestellt hatte, die ein widerstrebendes Glied zur Einhaltung einer bestimmten
Bahn zwingen sollte, wie sie nach allen vorangegangenen Ereignissen da-
mals unmöglich war (S o r e 1 I 9—10 und 71, II 233; Ranke 173).
122 II. Abschnitt
aktiven Maßregeln im stände sein werde. Sie rechneten immer
noch mit der Möglichkeit1), daß sich Frankreich der Gefahr einer
gemeinsamen Aktion einiger europäischer Mächte2) nicht erst
aussetzen werde. Kaunitz glaubte es mit einem zweiten Polen
zu tun zu haben und verkannte so mit ganz Europa den Charakter
der französischen Revolution3). Der diplomatische Druck, ge-
stützt auf österreichisch-preußische Truppen, werde ausreichen,
der gemäßigten Partei in Frankreich den Sieg zu verschaffen,
damit das Konzert gegenstandslos zu machen. Das scheint mir
die einzige Erklärung zu sein, die man dem österreichischen Ver-
fahren geben kann.
Die Ergebnisse des Versuches waren noch weit geringer, als
man in Wien und in Berlin angenommen hatte4). Den Beitritt
lehnten von vornherein ab, wenn auch erst nach mehr oder
weniger langem Zögern, das deutlich genug sprach: England —
also auch Holland — Dänemark, Schweden unter dem Regenten5),
Spanien unter Arandaü), Portugal, Neapel, Venedig. Es blieben
also nur Rußland und Sardinien (Preußen stets ausgenommen).
Sardinien war zwar durch die engsten Familienbande mit dem
französischen Königshause verknüpft. Zwei Brüder Ludwigs XVI.
1 ) Diese Maßregeln wurden vor der Einigung mit Preußen und vor der
französischen Kriegserklärung vorgeschlagen.
2) Daß nicht alle Mächte dabei sein würden, dessen war man in Wien
von vornherein sicher.
3) Sorel I 457, 543, II 20—21, 91—95 etc.
*)VivenotI 301, II 410; Sorel II 502—503; Ch.J.P. 139 ff.
Auch Preußen urteilte alles andere eher als hoffnungsfreudig. Es hatte
schon im Februar auf eine eventuelle Spaltung unter den zum Konzert
einzuladenden Mächten bei Österreich hingewiesen. Jetzt wiederholte
es das nur noch stärker und zählte die einzelnen Mächte her, auf die man
— nicht rechnen könne. Da blieb tatsächlich kaum eine übrig nach
dem Ausscheiden von Schweden infolge von Gustavs Ermordung und von
Spanien infolge des Sturzes von Florida Bianca. ... de sorte qu'il devient de
plus en plus important de pouvoir juger jusqu'a quel point d' apres les idees
de la Cour de Vienne la defection de teile ou autre puissance fera tomber
entierement le concert propose d'autant plus que la Cooperation de la
Sardaigne sera tout au moins tres faible et que celle de la Russie ne laisse
pas que d'etre problematique depuis les evenement qui attireront une
partie de son attention sur la Suede (an Jacobi 20. April, vgl. auch 30. April).
8) Als Vorwand diente das Ausbleiben der von Spanien und Rußland
versprochenen Subsidien.
6) Hermann Baum garten, Geschichte Spaniens zur Zeit der
französischen Revolution. Berlin 1861. S. 380 ff. Leonce Pingan d, un
agent secret sous la revolution et Pempire. Le comte d'Antraigues (Paris
1893) S. 100—102.
Manifeste 123
waren mit zwei Töchtern von Viktor Amadeus verheiratet. Hier
hatten daher auch die Emigranten, Graf Artois an der Spitze,
zuerst Aufnahme gefunden. Aber als die Lage politisch bedroh-
lich zu werden begann, da hatten die Emigranten doch, nicht
ganz freiwillig, hier das Feld räumen müssen. Jetzt erklärte
Sardinien sich für außer stände, ohne österreichische Hilfe mehr
zu leisten als die Verteidigung seines eigenen Landes. Selbst
dazu wollte es Verstärkung durch österreichische Truppen aus
der Lombardei haben, die es dann auch erhielt, aber erst nach
langem Zögern Österreichs. Das gab jenem Veranlassung, die
Schuld dafür, daß es nicht kräftig handele, von sich ab auf Öster-
reich zu wälzen. Endlich wollte es für seine Leistungen auch noch
entschädigt werden, und zwar durch Land, wie es deutlich genug
zu erkennen gab. Praktisch war also die Beteiligung Sardiniens
für Österreich beinahe ein Minus1).
Rußland endlich erklärte sich nach all seinen pompösen De-
monstrationen zu Gunsten des Königtums und der Emigranten
bereit2) zur Stellung von — 15 000 Mann3), von denen es nach
dem österreichisch-russischen Vertrage von 1789, der im Sommer
1792 erneuert wurde, nach dem französischen Angriffe ohne
weiteres 12 000 Mann stellen mußte. Diese außer den 15 000 Mann
noch zu stellen, war es keineswegs gewillt4). Deren Abmarsch
sollte sich ferner nach dem Verlaufe der polnischen Angelegen-
heit richten: für die Mächte hieß das ein Hinausschieben der
Ankunft der russischen Truppen auf dem Kriegsschauplatze bis
in den Herbst, d. h. also bis zu dem Zeitpunkt, an dem man
bereits in Paris zu sein dachte, und wo sowieso nach damaligem
Kriegsbrauch von entscheidenden Operationen keine Rede mehr
war. Die Russen wären also tatsächlich ohne jede eigene Leistung
davongekommen5). Der preußische Gesandte in Petersburg
konnte sich nicht enthalten, seiner Entrüstung über ein der-
artiges Vorgehen lauten Ausdruck zu verleihen. Er wurde mehr-
1 ) Vivenot II 468, 474, 486. Berichte von Jacobi, Haugwitz
und Cesar mit den entsprechenden Erlassen.
2 ) An der Absicht, dem Angebote die Tat folgen zu lassen, wird man
doch noch stark zweifeln dürfen. Vgl. S o r e 1 II 503.
3) H.A. 63—64 und 69—70; H.E.B. 234—235; F e u i 1 1 e t VI 29—30;
F e r s e n II 267—269.
4) Berichte von Goltz 14./25. und 18./29. Mai, 15./26. Juni.
5) Stornik XXIII 577; Vivenot II 457 und 471; an Goltz
21. August; an Haugwitz 12. Juni.
124 II. Abschnitt
fach stärker als Ludwig Cobenzl selbst1) bei Ostermann vor-
stellig, Rußland solle das Korps vergrößern2), natürlich ohne
Erfolg. In Berlin hatte man sich von vornherein den Kopf freier
gehalten und so gut wie gar nicht auf Rußlands militärische Mit-
wirkung gerechnet. Man war daher mit der generellen Zustim-
mung Katharinas zufrieden, befahl dem Gesandten, keine weiteren
Schritte mehr zu tun, um Katharina nicht zu reizen und sie zur
Verweigerung jeder Hilfe zu veranlassen. Man fand zwar in
ihrer Voranstellung der Emigranten das preußische Interesse
ebensowenig gewahrt wie in deren gänzlichem Ausschluß nach
österreichischem Rezept, aber die Russen konnten mit ihrem
Plan doch dazu beitragen, den preußischen Plan als Mittellinie
zur Durchführung zu bringen3). Dazu rechnete man in Berlin
und Wien damit4), daß die Ankündigung des Marsches von
15 000 Mann in Paris großen Schrecken hervorrufen, also gerade
in der Richtung wirken werde, die Preußen selbst so eifrig ver-
folgte, und verzichtete auf eine Mitwirkung der Russen am Feld-
zuge von vornherein, die sogar noch wegen des verschiedenen
politischen Systems Verlegenheiten hätte hervorrufen können5).
Nun kennen wir schon die traurige Lage der österreichischen
Finanzen, und wissen auch, wie unangenehm den Österreichern
die Unterstützung der Emigranten durch Katharina war. Bei
dem Erscheinen des russischen Hilfskorps waren alle Versuche,
sie zurückzuhalten, schon dadurch allein undurchführbar ge-
worden0). Österreich machte deshalb nach der Entscheidung
von Franz7), mit Einwilligung Preußens, das bei der schlechten
russischen Finanzlage zwar nicht an diese Umwandlung glaubte,
aber gern für die Emigranten noch aus besonderen Gründen Geld
herausgeschlagen hätte, um das sie ja wieder und wieder baten8),
gestützt auf die Bestimmungen, nicht des Vertrages, der für
Österreich zu ungünstig sei9), sondern des Konzertplanes an
1) Erst am 21. Juni erhielt er Befehl mehr zu fordern, gleichzeitig
aber um die Umwandlung der Truppen in Geld zu bitten. Vivenot II
471; Rep. XI Rußland 133 A. Au Roi 27. Juni.
2) Berichte 14./25. und 18./29. Mai, 21. Mai/1. Juni.
3) An Goltz 10., 14., 16. Juni.
*) Vivenot II 457.
5) An Goltz 14. Juni.
6) Bericht von Haugwitz 9. Juni.
7) V i v e n o t II 457.
8) An Haugwitz 16. Juni; F e u i 1 1 e t VI 39—44 und 50—52.
9) Bericht von Haugwitz 14. Juni; Vivenot II 457.
Manifeste 125
Rußland den Vorschlag, zwar möglichst laut seine aktive Mit-
wirkung am Konzert zu verkünden, um damit den Franzosen zu
imponieren, sie einzuschüchtern, damit sie womöglich noch vor
der Aktion die Forderungen der Mächte bewilligten1) — also ganz
wie Preußen — aber Heber Geld als Truppen zu stellen, das dann
natürlich mit Preußen geteilt werden müßte2). Katharina stellte
sich darüber erst etwas befremdet, willigte dann aber ein, froh,
so billigen Kaufes dieser lästigen Sache ledig geworden zu sein3).
Aber wie überrascht waren die Verbündeten, als Katharina
es mit der polnischen Verwicklung begründete, daß sie nur
400 000 Rubel hergeben könne. So viel mußte sie schon nach dem
Vertrage mit Österreich zahlen, so daß Preußen in der Tat hier-
bei leer ausging. Rußland war damit aus der Reihe der krieg-
führenden Mächte ausgeschieden, in dem Augenblicke, wo es
sich darum handelte, den Worten Taten folgen zu lassen.4).
Man fühlt sich wirklich versucht, hierbei von dem Erstehen
einer Maus nach dem Erzittern von Bergen zu reden. Gesprochen
hatte wohl jeder Diplomat damals von dem europäischen Kon-
zert5), an wirksame Maßregeln desselben geglaubt kaum einer.
Die ganze Hohlheit dieser diplomatischen Formen kommt hier
so deutlich zur Erscheinung wie sonst nie, zugleich die Tatsache,
daß jede Macht ihre Schritte nach den eigenen Interessen richtet
und nicht nach denen, die man ihr als die ihrigen vorzuspiegeln
versucht. An Bemühungen hatten es weder die Emigranten,
noch Marie Antoinette mit Fersen und Breteuil und deren ganzem
Stab von Mitarbeitern fehlen lassen, noch endlich die Öster-
reicher, Mercy und Kaunitz an der Spitze. Die ganze Chimäre
ging in Rauch auf, als es sich darum handelte, mehr zu tun als
diplomatische Noten anzufertigen. Mochte auch bei einigen
Fürsten tatsächlich der Wunsch vorhanden sein, zu Gunsten
Ludwigs zu intervenieren6), sie fragten sich doch alle, was sie
1) An Haugwitz 12. und 16. Juni; an Goltz 2. August.
2) V i v e n o t II 468, 471, 473, 474; an Goltz 20. und 27. Juni; Bericht
von Haugwitz 14. Juni.
3) Fersen II 36—37, 375, 380, 384; an Goltz 11. März.
4) Vivenot II 550, 559, 568. Bericht von Goltz 17./28. August
und 24. August/4. September. An Goltz 14. und 21. September. Minnen
ur Sveriges nyare Historia. Sambade af B. von Schinkel. Bihang utgifvit
af S. J. Boethius. Upsala. I 167 ff.
6) Hei gel II 55.
6) Ich möchte hier außer Friedrich Wilhelm doch aucb Katharina II.
nennen, aus deren Briefen an Grimm sich, wie mir scheint, deutlich ihre
wahre Anschauung ergibt.
126 n- Abschnitt
dafür bekämen oder was sie sonst damit erreichen könnten,
bezw. welchen Gefahren sie sich damit aussetzten, und als die
Rechnung ein Minus für sie ergab, da blieben sie zu Hause. In-
sofern ist also von einem Prinzipienkrieg keine Rede.
Nur Österreich und Preußen blieben übrig. Welche Ten-
denzen sie bei dem Kriege hatten, sahen wir schon1). Sie hatten
ja nun zu ihrem Bunde vom 7. Februar, entsprechend dem
Artikel 72), Mitte April endlich3) die Mächte zum Beitritt dazu
eingeladen, über die sie sich im Vertrag geeinigt hatten: Eng-
land, Holland, Sachsen und Rußland4). Aber England, also auch
Holland5), lehnten den Beitritt ab, da sie damit in den Krieg
gegen Frankreich eintreten würden. Nichts lag ihnen ferner als
eine Provokation Frankreichs, das sie im Frieden besser beerben
zu können meinten, als im Kriege. So ist es zu verstehen, wenn
Georg III. in seiner Antwort an Franz betont, auch die Interessen
seines Landes verböten ihm den Eintritt in die Allianz6). Eng-
land wollte nur für sich existieren7). Sachsen wollte die Bestim-
mungen so stark verändern, daß Preußen wie Österreich auf
seinen Beitritt verzichten mußten als ihren Interessen wider-
sprechend. Der Vorteil wäre lediglich auf sächsischer Seite ge-
wesen8). Rußland endlich machte wegen des Separatartikels
über Polen Schwierigkeiten beizutreten, und schloß dann mit
beiden Mächten Sonderbündnisse, über deren Bedeutung ich
noch zu sprechen habe. Auch in diesem beschränkten Kreise
*) Den preußischen Diplomaten war es nicht einmal unangenehm,
daß sich die Zahl der Teilnehmer an dem Geschäft verringerte, umsoweniger
Schwierigkeit werde nachher die Entschädigungsfrage machen (Fersen
II 334—335).
2) SmittII460.
3) Die Schuld an der Verzögerung lag nur bei Österreich. An Lucche-
sini 11. April.
4) Vi veno t II 284, 324, 325, 327.
5) Es war ja notorisch, daß Holland dem großen Verbündeten folgte.
(Politisches Journal 1792 Mai. Haag 15. Mai.)
6) S o r e 1 II 29, III 212—213. Die Russen witterten freilich hinter
diesen Gründen andere, die ihrer Anschauung von Pitts Charakter besser
entsprachen; aber dabei entfernten sie sich nur immer mehr von der Wahr-
heit. (W o r o n t z o w XI 209 und 296—297, IX 257—258.)
7) S a 1 o m o n, Pitt I, 2, 536 ff. und 570.
8) V i v e n o t II 559 und 560; Rep. XI 89 g1, Finckenstein und Al-
vensleben an Schulenburg 12. August, Schulenburg an Finckenstein und Al-
vensleben 18. August, Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 21. Au-
gust; Rep. 96, 147 G. II, F.A. Au Roi 11. August, S. Au Roi 18. August;
Rep. XI 89 c Friedrich Wilhelm an Schulenburg II. August.
Manifeste 127
litten die Bestrebungen der Mächte, andere in den Krieg gegen
die Revolution hineinzuziehen, völlig Schiffbruch. Erst der
Konflikt Frankreichs mit England führte Österreich und Preußen
aus ihrer Isolierung im Kampfe heraus.
Nur etwas ist von dem europäischen Konzert schließlich
übrig geblieben, das ist das Manifest des Herzogs von Braun-
schweig, das er in seiner Stellung als Oberbefehlshaber des öster-
reichisch-preußischen Heeres vor Beginn der Operationen ver-
öffentlichte. Es war jedoch nicht das erste, das von der Seite der
Verbündeten erging. Ein besonderes österreichisches und ebenso
ein preußisches wurden vorher veröffentlicht, bezw. nur ab-
gefaßt, um dann ziemlich gleichzeitig mit dem erstgenannten
veröffentlicht zu werden. Ihnen müssen wir uns zunächst zu-
wenden, um das des Herzogs in seinem von allen anderen ab-
weichenden Inhalte richtig würdigen zu können.
II.
Die Veröffentlichung von Manifesten zählte im 18. Jahr-
hundert ebenso zu den Kriegsmitteln wie die Operationen der
Armee. Man denke nur an die zahlreichen Staatsschriften, die
während der Kriege Friedrichs des Großen offiziell oder offiziös
oder inoffiziell von allen Parteien veröffentlicht worden waren1).
Das Ziel aller dieser Elaborate war, das Vorgehen des eigenen
Hofes zu rechtfertigen und den Gegner vor der Welt ins Unrecht
zu setzen, ja ihm nicht nur die moralische, sondern womöglich
auch die politische Unterstützung seiner Bundesgenossen oder
solcher, die es werden wollten, zu entziehen. Vergleichen wir
nun damit die österreichische Gegenerklärung, die auf die fran-
zösische begründete Kriegserklärung antwortete. Diese hatte die
Schuld an dem Kriege auf Österreich geschoben. Es habe durch
die Unterstützung französischer Rebellen, durch sein Festhalten
am europäischen Konzert, durch die Ablehnung des französischen
Abrüstungsvorschlages und durch die Begünstigung der Forde-
rungen der elsässischen Reichsfürsten die Verträge und die fran-
zösische Souveränität verletzt, in Frankreich den Bürgerkrieg zu
entzünden versucht und den Unzufriedenen die Hilfe des euro-
päischen Konzertes versprochen2).
1) Preußische Staatsschriften aus der Regierungszeit Friedrichs II.
Herausgeg. von J. G. Droysen und M. D u n c k e r, Berlin 1877, Bd. I
Einleitung.
2) Vivenot I 329; Dumouriez II 436—438. Vgl. auch die
128 II. Abschnitt
Diese Beschuldigungen waren dann in einem Expose, das
Condorcet verfaßt hatte und das noch am 20. April genehmigt
worden war, genauer wiederholt oder besser philosophisch ver-
tieft worden1); denn nicht auf die Feststellung von Tatsachen,
sondern auf deren Erfassung ging Condorcet aus und suchte so
die österreichischen Forderungen oder Behauptungen als wider-
sinnig, als Lüge zu kennzeichnen. Die Franzosen sagten sich ja
mit Recht, daß Österreich aus der Tatsache ihres Angriffes
Kapital schlagen, sich selbst als den Friedfertigen hinstellen
werde. Dem sollte das Expose vorbeugen. Der Hauptsatz, auf
dem sein ganzes Gebäude beruht, ist der von dem Selbstbestim-
mungsrecht der Nation2) gegenüber der Idee einer Gemeinschaft
der europäischen Staaten, die ein widerspenstiges Glied auch mit
Gewalt zum Gehorsam bringen wollen. Damit widerlegt er die
Behauptung, Frankreich bedrohe mit seiner Verfassung die
anderen Staaten ■ — denn was gehe sie Frankreichs Verfassung
an? — oder wolle erobern und verbreite aufrührerische Grund-
sätze. Damit weist er auch die Ansprüche von Reichsfürsten
und Papst zurück, die in ihrer Stellung als Privilegierte dem
Wohle der Gesamtheit nicht im Wege stehen dürften und nur
das Recht auf eine billige Geldentschädigung für ihren Verlust
hätten; endlich die Annahme, nur eine Partei beherrsche das
Volk — denn die Verfassung sei allgemein angenommen, und die
verfassungsmäßigen Organe brächten den Willen der Nation
zum Ausdruck. Wenn aber andere Staaten für ihre Ruhe fürch-
teten, weil die Franzosen die Grundsätze der Freiheit predig-
ten , so sei das nur ein Beweis dafür , daß ihre Verfassung
schlecht sei. Die ganze Menschheit strebe ja nach Freiheit,
nicht nur eine Partei. Und der König? Er sei nur an die Ge-
setze gebunden. Wollte er sie verletzen, so wäre das nicht
Freiheit, sondern ein Verbrechen. So verteidige die National-
versammlung den Frieden und die Freiheit der Nation, und
eine merkwürdige Anschauung sei es, den als Angreifer zu be-
zeichnen, der seinem Gegner nicht die Zeit lasse, sich zur Ver-
nichtung vorzubereiten (vgl. 1756!). Auf der einen Seite stehe
das ancien regime mit all seinen Mißbräuchen und Schäden,
interessanten, aber völlig verkehrten Bemerkungen in Lettres sur Dumouriez
S. 36—38.
1 ) Dumouriez II 438^44.
2) Chaque nation a seule le pouvoir de se donner des lois et le droit
inalienable de les changer.
Manifeste 129
auf der anderen die Freiheit. Jetzt gelte es, sie bis zum Tode
zu verteidigen.
Österreich konnte das nicht auf sich sitzen lassen. Es mußte
diesem flammenden Proteste der Revolution gegen das alte
Staatsrecht seine Anschauung entgegenstellen. Preußen trieb
es an, dem Gegner die Schuld an dem Bruch in die Schuhe zu
schieben, und ihm bald den Entwurf mitzuteilen, damit es sein
eigenes Manifest danach einrichten könne1). Dessen bedurfte
es nicht2). Schon früh fühlte Österreich die Notwendigkeit, sich
vor Europa zu rechtfertigen3), und der Verzögerung der Publi-
kation4) liegt keine weitere Absicht zu Grunde. Bereits am
21. Juni teilte Kaunitz das Schriftstück an L. Cobenzl mit5).
Am 5. Juli erschien diese von dem Hofrat Collenbach verfaßte
österreichische Gegenerklärung6). Sie suchte zunächst Punkt
für Punkt die französischen Anschuldigungen zu widerlegen.
Man wird zugeben müssen, daß dieser Versuch hinsichtlich der
Emigranten und der österreichischen Rüstungen durchaus ge-
lungen ist. Österreich hatte jene in der Tat nicht begünstigt,
und kriegerische Maßregeln waren fast nur auf der französischen
Seite ergriffen worden. Umso schwächer steht es aber mit dem
Versuch, das Konzert als rein defensive Maßregel darzustellen.
Wenn es auch richtig ist, daß Österreich nicht hat offensiv vor-
gehen wollen, so hat es doch nach außen gerade in dieser Frage
eine Haltung eingenommen, die nicht anders als offensiv er-
scheinen konnte. Auch in der Sache der elsässischen Fürsten ist
es nicht so friedliebend verfahren, wie es jetzt gern glauben
machen möchte. Der französische Abrüstungsvorschlag vom
1. März wurde nur als Vorwand bezeichnet. Mit seiner Ableh-
nung, die selbstverständlich habe erfolgen müssen wegen des
Zustandes von Frankreich, habe sich Frankreich einen Grund
zum Angriff sichern wollen. So schließt der Österreicher denn
diesen Teil mit der Behauptung ab, von den französischen Be-
schwerden gegen Österreich bestehe keine zu Recht.
1) An Jacobi 9. Mai und 4. Juni.
2) Clapham 231.
3) Politisches Journal 1792 Mai: Wien 9. Mai und Rep. I 169 Jacobi
an die Minister 9. Mai ; V i v e n o t II 432.
*) Politisches Journal 1792 Juni: Wien 9. Juni.
5) Vi veno t II 471.
6) ib. I 330, II 426; Clapham 217—218; Buchez et Boux
XVI 287—292; Politisches Journal 1792 S. 716 ff.; Bericht Jacobis I. Mai;
an Jacobi 16. und 18. Mai; Rep. I 170 Bericht Cesars 7. Juli.
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 9
130 II. Abschnitt
Nun aber kehrt er den Spieß um. Nicht Frankreich habe Ge-
nugtuung zu fordern, sondern Österreich von den augenblick-
lichen französischen Machthabern. Österreich habe die fran-
zösischen Emigranten nicht unterstützt, wohl aber Frankreich
die belgischen Emigranten in ihren Verschwörungen. Es habe
ferner die Reichsfürsten in alten, durch Verträge geheiligten
Rechten geschädigt, über deren Abänderung es einseitig als
Diktator habe verfügen wollen. Österreich habe trotz der fran-
zösischen Rüstungen und der Klagen seiner Beamten keine
Rüstungen zum Schutze seiner abgelegenen Landesteile vor-
genommen. Das Konzert sei endlich sogar zum eigenen Schutze
schon notwendig, da sich das Gift des französischen Aufruhrs
nun auch schon nach anderen Ländern verbreite. „Der König
von Ungarn und Böhmen," so schließt dies Schriftstück1), „ist
also berechtigt, den Zorn und die Unterstützung von ganz
Europa herauszufordern in einer Sache, die die Ehre und die
Sicherheit aller Regierungen betrifft, und er macht die Urheber
eines so ungerechten und hassenswerten Angriffes vor dem Richter-
stuhl des Weltalls und der Nachwelt für alle Leiden verantwort-
lich, die die unvermeidlichen Folgen dieses Krieges sind."
Wir haben also hier Schriftstücke von der eben charakteri-
sierten Art vor uns2), nur mit dem Unterschiede, daß auch hier
getreu dem österreichischen System die Jakobiner verdammt und
der vernünftige Teil des französischen Volkes gelobt wird. Aber
das tritt hier nur als Akzessorium auf. Ich möchte sagen, es ver-
stand sich von selbst. Die Gegenerklärung ist eben nicht so sehr
an die Franzosen gerichtet, als vielmehr an ganz Europa, Fürsten
wie Völker3). Den Franzosen wollte man schon noch ein andermal
zu Gemüte führen, was sie täten und was sie zu erwarten hätten.
Man schob diese Lektion nur bis zu dem Augenblicke auf, wo
die Heere zum Einmarsch in Frankreich bereit stünden.
Dies österreichische Manifest, oder bleiben wir lieber bei dem
offiziellen Titel, diese Gegenerklärung war vor ihrer VeröfEent-
1 ) Der bei B u c h e z gegebene Text weicht in der Form erheblich von
dem bei Vivenot vorliegenden ab.
2) Zu vergleichen sind hier etwa noch die Proklamation des öster-
reichischen Statthalterpaares in den Niederlanden vom 29. April (Borgnet,
Histoire des Beiges II 13 — 14; Zeißberg, 2 Jahre, 73) und natürlich
auch die verschiedenen Deklarationen bei den polnischen Teilungen als
durchaus wesensverwandt (Sorel, la question d' Orient au 18. siecle
272—274).
8) C a r i s i e n 97—98.
Manifeste ] 3 \
lichung Preußen mitgeteilt worden. Von diesem war in dem
Schriftstücke keine Rede, und doch trat es in den Krieg ein,
der es offiziell doch nur indirekt anging1). Die preußischen
Minister hielten daher die Veröffentlichung eines Schriftstückes
für nötig, das die Gründe aufzählte, die Preußen veranlaßten,
in den Krieg einzutreten, umsomehr, als man nicht recht wußte,
ob Österreich noch ein besonderes Manifest (außer der ge-
meinsamen Deklaration, wohlverstanden!) erlassen werde. Man
hielt es in Preußen für selbstverständlich, daß die Mächte jede
ein besonderes Manifest veröffentlichten, und war über den Inhalt
der österreichischen Gegenerklärung einigermaßen überrascht,
da sie nur Beschuldigungen abwehre (vgl. aber oben!), ohne ein
positives Programm zu entwickeln. Daher kommt es, daß
man in Preußen ein zweites österreichisches Manifest nicht für
ausgeschlossen hielt, aber man glaubte nicht recht an seine, Ver-
öffentlichung2).
Wieder gibt uns gleich der Titel den Hauptinhalt des preußi-
schen Manifestes an. Er lautet: Expose succinct des raisons
qui ont determine S. M. le Roi de Prusse de prendre les armes
contre la France3). Sehen wir uns nun seinen Inhalt genauer an4).
Preußen geht von der Tatsache aus, daß Österreich zu Unrecht
von Frankreich, d. h. der dort herrschenden Partei, angegriffen
worden, Preußen also nach seinem Vertrage schon zur Teilnahme
an diesem Kriege verpflichtet sei. Auch das Reich sei durch die
Einfälle in Belgien, das ja unzweifelhaft zu ihm gehöre, in Lüttich
und in Basel angegriffen5), und die Franzosen würden sich nicht
x) Erst am 6. Juli erklärte Frankreich an Preußen den Krieg (S o r e 1
II 490).
2) Nur einmal macht Haugwitz (30. Juni) eine Bemerkung, die auf
den Erlaß eines zweiten besonderen österreichischen Manifestes gedeutet
werden muß. Vgl. dazu Bericht von Haugwitz 15. Juni, an Haugwitz
16., 20., 23. Juni.
3) An Jacobi 9., 16., 18. Mai. Bericht Jacobis 14. Mai. Buchez
et Roux XVI 282—287, deutsch im Politischen Journal 1792 Juli 802 ff.
nach der Berliner Hofzeitung ohne Datum. Carisien 97—98.
4) Ich bemerke hierzu, daß Alvensleben an dem Entwurf noch einige
Änderungen vornahm, die nur als Verschärfungen angesehen werden
können (Rep. 67 B n la Acta betreffend das Expose über die Motive zum
Kriege gegen Frankreich und das Manifest des Herzogs von Braunschweig).
Er ließ sich also durch seine abweichende Anschauung nicht daran hindern,
im Sinne seines Kollegen Schulenburg zu arbeiten.
5) Etwas Angenehmeres konnte den Preußen natürlich nicht passieren
(Rep. I 169 Zirkulardepesche vom 16. Mai; Rep. XI 89 Bericht von Goltz,
132 II- Abschnitt
scheuen, an anderer Stelle Reichsgebiet zu verletzen, wenn es
ihnen passe. Preußen habe laut und oft genug seinen Standpunkt
den Franzosen klargelegt, um Blutvergießen zu verhindern. Aber
sie hätten ja nicht hören wollen. Jetzt gehe Preußen in den
Kampf für eine Sache, deren Gerechtigkeit, wenn das noch nötig
sei, durch die österreichischen Aktenstücke erwiesen werde, in
der doppelten Stellung als Verbündeter von Österreich und als
Reichsstand infolge der französischen Angriffe.
Aber noch auf zwei andere Angelegenheiten hätten sich die
preußischen Anstrengungen zu konzentrieren. Die eine sei die
Verletzung der Verträge, soweit sie die elsässischen Fürsten be-
träfen — die andere der durch die Revolution erschütterte Zu-
stand der Ruhe von Europa. Denn die französischen Unruhen
schalteten einmal das französische Reich als Glied des europäischen
Staatensystems tatsächlich aus, störten also das europäische
Gleichgewicht und vernichteten ferner das altgeheiligte König-
tum; sie bedrohten dadurch auch die Ruhe der anderen Staaten
und ihre Fürsten. Für Frankreich und für Europa sei also die
Herstellung der Ruhe und einer festen gesetzlichen Macht für
Frankreich in der Form einer Monarchie das Ziel der Unterneh-
mung, die die beiden Mächte nicht nur mit der Zustimmung der
europäischen Mächte begännen, sondern mit der aller Menschen,
die wahrhaft für das Glück des Menschengeschlechtes einträten1).
Nicht ganz Frankreich sei an diesem unglücklichen Kriege schuld,
nur eine kleine Partei, die aber augenblicklich die Schritte des
Staates leite. Sie zu beseitigen hoffe man mit Hilfe des größeren
Teiles der französischen Nation, der sich ja nur ungern ihrer
Herrschaft füge. Nur sie sei für das Blut verantwortlich zu
Brüssel 4. Juni). Doch täuschten sie sich hier über die Rechtsfrage. Denn
nach den Verträgen war das Vorgehen der Franzosen nicht anzugreifen
(H. Buser, Das Bistum Basel und die französische Revolution 1789 — 1793.
Basel 1896, S. 20—21 und 37—39 und 52—53; Karl Brommer, Der
Durchzug der Kaiserlichen im Jahre 1791 und die Neutralität Basels während
des ersten Koalitionskrieges. Basel 1903 S. 42 ff.).
*) Dabei ist eine Stelle bemerkenswert, die sich gegen die National-
versammlung wendet und sie nicht als die gesetzliche Vertretung Frank-
reichs anerkennen will. Das erregte in Petersburg große Freude (Berichte
von Goltz 23. Juli/3. August und 30. Juli/10. August). Wir wissen nun auch
noch, daß Preußen nicht nur aus Konnivenz gegen Rußland (Fersen II
23; Fersen nahm gerade an dem erwähnten Satze Anstoß; er sei den Preußen
von den Österreichern eingegeben) die Absicht hatte, nach erfolgreicher
Intervention Generalstände zu berufen (vgl. oben). Preußens Pläne gingen
also doch viel weiter als die Österreichs.
Manifeste 133
machen, das infolge ihrer verbrecherischen Taten bald fließen
werde.
Dürfen wir diese Begründung für die Teilnahme Preußens am
Kriege als zu Recht bestehend anerkennen1)? Ich glaube, die
obige Darstellung rechtfertigt zur Genüge ein ablehnendes Ver-
halten2). * Schon in der österreichischen Gegenerklärung ist der
wirkliche Tatbestand nicht zu finden, noch weniger in dem
preußischen Manifest. Beides sind zunächst diplomatische
Parteischriften, wie Schulenburg selbst zugibt3). Dieser Charakter
tritt bei der preußischen dadurch noch besonders stark hervor,
daß ihre Grundlage ein Zeitungsartikel geworden war, den man
im preußischen Kabinettsministerium ausgearbeitet hatte, um —
dem österreichischen Drängen nachgebend4) — die preußischen
Rüstungen und zugleich ihre Bestimmung zu veröffentlichen.
1 ) Heigel I 564. Die preußischen Minister schreiben am 25. Juni
ganz einfach an den König (Rep. 96, 147 G. II, S.A. Au Roi) . . . Nous avons
donc cru rencontrer les intentions de Votre Majeste en faisant dresser un
expose aussi succinct que possible des raisons qui la determinent a entrer
en campagne contre la France et nous le presentons tres humblement
ci-joint a sa gracieuse approbation . . . Keine Bemerkung, daß das nur
Vor wände sind!
2) Dieselben Minister hatten am 18. April mit Finckenstein einen
ganz anderen Bericht an den König abgeschickt. Es kann kein Zweifel
sein, wie sie wirklich dachten.
3) Rep. XI 91 varia Schulenburg an Breteuil 16. Juli.
4) Metternich schrieb aus den Niederlanden, wenn Preußen jetzt nicht
gleich etwas tue, so erhalte das überall umgehende Gerücht neue Nahrung,
Preußen werde sich überhaupt nicht aktiv an den Operationen beteiligen.
Das veranlaßte Spielmann, bei Preußen zu bitten, es solle in den Gazettes
de Cleves einen Artikel über Stärke und Marsch der preußischen Truppen
erscheinen lassen (contenant l'expose succinct et energique des forces
considerables qu'elle emploierait conjointement avec le Roi de Hongrie
pour mettre les Francais ä la reserve et qu'on pourrait meme ajouter qu'une
partie de ses troupes etaient dejä en marche vers le Rhin [P.S. zum Bericht
Jacobis 14. Mai, 16. Mai; Metternich an Kaunitz 3. Mai; Rep. I 169]). So
beharrlich Preußen nun auch die beschleunigte Sendung eines kleinen
Truppenkorps nach den Niederlanden zur Verteidigung ablehnte, wobei
es sich sogar auf die Zustimmung des Österreichers Hohenlohe berufen
konnte (an Jacobi 13. und 19. Mai), hiergegen hatte es nichts einzuwenden
und versprach dem Redakteur der Clevischen Zeitung einen Artikel zur
Veröffentlichung zu schicken. Am 30. Mai berichtet Jacobi schon von dem
Entzücken Spielmanns über diesen Artikel für die niederrheinischen Zei-
tungen (gazettes du Bas-Rhin), der fast ohne Änderungen als preußisches
Manifest erscheinen könne. Bezieht sich etwa auf ihn die Bemerkung in
Lescure II 609 (13. Juli)?
134 H. Abschnitt
Er war in der Cle vischen Zeitung veröffentlicht worden1). Jetzt
hatte man ihn in der Eile (denn schnell sollte der Entwurf fertig
sein, um möglichst bald nach Wien abgehen zu können) auf-
genommen, etwas zurechtgestutzt, und das Expose war fertig.
In der Zeitung pflegt man nun nicht gerade immer die eigenen
politischen leitenden Gedanken auszusprechen. Preußen gab
sich nur ebenso wie Österreich den Anstrich des friedliebendsten
Staates, den man sich denken kann, der nur durch die Revo-
lution in seiner Ruhe gestört wird, der nun aber auch volle Ver-
geltung von dem Friedensbrecher zu fordern berechtigt ist. Man
sollte denken, seine eigene Vergangenheit hätte es sofort Lügen
strafen sollen. Wohl für die letzten Jahre Friedrichs des Großen,
aber schlechterdings nicht für die ersten Friedrich Wilhelms II.
trifft diese Charakteristik zu. Was es mit den Gründen, die Preußen
hier aufführt, für eine Bewandtnis hat, habe ich schon oben be-
sprochen. Ich wiederhole nur noch einmal, daß defensive Rück-
sichten durchaus nicht entscheidend waren. Preußen wollte einen
Angriffskrieg führen, wollte Eroberungen machen. Aber davon
konnte oder wollte es natürlich der Welt nichts mitteilen. Nur
der Versuch, dies Verfahren diplomatisch zu bemänteln, liegt
hier vor uns.
Aber das Expose war einen Schritt weiter gegangen als die
österreichische Gegenerklärung. Hatte diese im Tone verhältnis-
mäßig ruhigen historischen Berichtes mit zahlreichen Zitaten aus
früheren" Noten den Beweis zu führen gesucht für Österreichs
Unschuld am Kriege, so bezeichnete Preußen offen die Jakobiner
als die allein Schuldigen. Sie habe man für das Blut verantwort-
lich zu machen, das nun bald fließen werde. Es ist kein Zufall,
daß gerade damit das Expose schließt. Wir sehen, der Schritt
zu dem Manifest des Herzogs von Braunschweig ist nicht mehr
1) Der Name der Zeitung ist nicht einheitlich angegeben (vielleicht
waren es auch mehrere). Jedenfalls handelt es sich um eine am Niederrhein
erscheinende Zeitung, speziell für Oleve, wohl der Courrier du Bas-Rhin,
an dessen Redakteur, den Abbe Manzon, am 20. Juli auch ein Exemplar
des Exposes zur Veröffentlichung abgesandt wurde, ebenso am 28. eins
vom Manifest des Herzogs von Braunschweig (Rep. 67 B n la Acta be-
treffend das Expose über die Motive zum Kriege gegen Frankreich und
das Manifest des Herzogs von Braunschweig. Bericht Jacobis 30. Mai.
An Jacobi 4. Juni, an Haugwitz 23. und 27. Juni). In dem letztgenannten
Erlaß an Haugwitz ist hinzugefügt, daß auch die preußische Antwort an
Benoit, die Österreich ja gebilligt habe, hineingearbeitet worden sei. Worauf
sich das beziehen soll, weiß ich nicht.
Manifeste 135
sehr groß, aber er ist doch noch zu machen. Die Entscheidung
des Königs über den Entwurf, den die Minister ihm vorlegten,
scharrt uns in diesem Punkte volle Klarheit. Er billigte ihn und
befahl die Übersendung nach Wien, setzte aber hinzu: „Diesem
Schriftstück wird man indessen noch ein anderes folgen lassen
müssen, das die französischen Untertanen betrifft, wenn erst die
Heere sich in Bewegung setzen; in ihm wird man die Gefahren
zum Ausdruck bringen müssen, denen Bürger und Bauer sich
aussetzen, welche die Waffen ergreifen1). Jeder, der Widerstand
leistet, wird hiernach also zur jakobinischen Partei, d. h. zum
Feinde gerechnet, als Eebell behandelt. Aber bemerken wir
auch einen prinzipiellen Unterschied. Nirgends war bisher die
Rede davon, daß die französischen Volksvertreter und Behörden
schlechthin für das Leben des Königspaares haftbar gemacht
werden sollten. Das ist eine fremde Zutat2). Am 27. Juni wurde
der von Friedrich Wilhelm gebilligte Entwurf an Haugwitz ge-
schickt3). Die Österreicher, ebenso wie später die Russen (vgl.
oben), waren von dieser Art der Beweisführung entzückt. Spiel-
mann bedauerte nur, die verstümmelte österreichische Gegen-
erklärung publizieren zu müssen. Das preußische Expose sei
viel besser; es enthalte kein Wort zu viel, keins zu wenig4). Es
blieb also unverändert und wurde kurz vor dem Manifest des
Herzogs von Braunschweig publiziert. Das Datum des 26. Juni
ist das der Genehmigung durch den König5). Es hat dazu ver-
1) Rep. XI 91 varia (und Rep. 96, 147 G. II) S. Au Roi 25. Juni mit
königlicher Entscheidung . . . cette piece . . devra cependant encore etre
suivie d'une autre qui regardera les sujets francais quand les armees se
mettront en mouvement ou il faudra faire sentir les dangers auxquels le
bourgeois et le paysan s'exposent qui auront pris les armes. Dazu Schulenburg
an Breteuil 16. Juli, Breteuil an Schulenburg 4. Juli (Flammermont 29).
2) H.E.B. 665 Instruktion Rolls vom 21. Mai 1791. Die erste Nachricht,
die ich in den Akten des preußischen Kabinettsministeriums finden kann,
ist der Erlaß an Haugwitz vom 13. Juni.
3) Am 23. Juni war er ihm nach Eingang der österreichischen Gegen-
erklärung angezeigt worden.
i) Worauf sich die Verstümmelung beziehen soll, weiß ich nicht, da
die Änderungsvorschläge von Franz sich nicht in der Richtung auf das
preußische Expose zu bewegen (Vivenot II 449 und 471; Berichte
Jacobis 26. und 30. Mai; Rep. I 169). Rep. I 170 Bericht von Haugwitz
1. Juli, von Cesar 7. Juli; Rep. 67 B n la Kaunitz an Cesar 6. Juli.
5) Vgl. de Flassan, Histoire generale et raisonnee de la diplomatic
francaise ou de la politique de la France depuis la fondation de la monarchie
jusqu'a la fin du regne de Louis XVI. 2. edition (Paris 1811) VII 512.
H e i g e 1 I 564 und H e i g e 1, Manifest 675; C 1 a p h a m 218.
136 - II. Abschnitt
leitet, auch die Veröffentlichung in diese Zeit zu verlegen. Schon
die Entstehungsgeschichte macht es unmöglich. Wir wissen aber
auch aus den preußischen Akten, daß es zwischen dem 20. und
22. Juli den fremden Diplomaten, den preußischen Gesandten,
Residenten, Konsuln und Agenten außerhalb Frankreichs, den
preußischen Zentralbehörden1) mitgeteilt worden ist2). Am
Dienstag den 24. Juli erschien es in den Zeitungen in deutscher
Übersetzung3).
Dieser Zeitpunkt der Veröffentlichung entspricht auch durch-
aus seinem Inhalt. Gerade Preußen hatte sich immer dagegen
gesträubt, papierene Drohungen in die Welt gehen zu lassen,
wenn keine Macht dahinter stand, um sie zu verwirklichen4) —
so auch jetzt. Es wähnte, endlich die Maske abwerfen zu können,
die es so lange aus Vorsicht getragen hatte, und kurze Zeit darauf
in Paris Gesetze zu diktieren. Eine gemeinsame Deklaration5)
sollte noch dazu dienen, den Mächten den Weg nach Frankreich
durch die Beruhigung des gemäßigten Teiles der französischen
Nation über die Furcht vor einer Wiederherstellung des ancien
regime und durch die Einschüchterung der Aufrührer zu ebnen.
III.
Der Gedanke einer gemeinsamen Erklärung aller europäischen
Mächte an Frankreich6) bildete ein Glied in dem Plane des euro-
x) Ebenso wurde es dann am 28. mit dem Manifest des Herzogs von
Braunschweig gemacht.
2) Fersen II 334. An Lucchesini 15. Juli; an Haugwitz 27. Juni
und 7. Juli; an Cesar 15. Juli; an Schulenburg 10. Juli; Cesars Bericht
28. Juli; Rep. XI 91 varia 1792, an Wöllner 20. Juli; Rep. 96, 147 G. II
Au Roi 25. Juni.
3) Rep. 67 B n la Acta betreffend das Expose über die Motive zum
Kriege gegen Frankreich und das Manifest des Herzogs von Braunschweig.
Herr v. Müller, der als Gesandtschaftsrat in Brüssel der Nachfolger
des abberufenen Goltz geworden war, erhielt 200 Exemplare, die er nach
Frankreich versenden sollte, dazu sollten Mercy und Metternich je ein
Exemplar erhalten und bei Gelegenheit auch die Gesandten Englands und
Hollands als solche verbündeter Staaten. Groß war die Freundschaft also
nicht mehr.
*) Vgl. etwa an Jacobi 28. Juli 1791 in Vivenot I 154.
6) Vgl. Rep. 96, 147 G. II Au Roi 25. Juni; Rep. I 170 an Haugwitz
27. Juni.
6) Außer der ausführlichen Darstellung Heigels in seiner Abhandlung
und dem Auszug daraus in seiner deutschen Geschichte (I 563 — 568) ver-
weise ich für diesen Abschnitt noch besonders auf den Aufsatz von B r u-
Manifeste 137
>äischen Konzertes sofort, als man ihn gefaßt hatte. Die Er-
klärung sollte ergehen, wenn das Konzert gebildet sei. Bleibe
sie ohne Erfolg, d. h. füge sich Frankreich den in ihr gestellten
Forderungen nicht, so habe die militärische Exekution zu be-
ten. In diese Reihe fallen dann auch die österreichischen
Irklärungen vom 21. Dezember 1791 bis zum 7. April 1792, die
das Konzert als bestehend behandeln, um mehr Eindruck zu er-
zielen1). Mit dem Plane der Wirksamkeit des Konzertes wandelte
sich auch der der Deklaration. Sie sollte erst von dem bestehen-
den Armiertenkongreß aus erlassen werden, bezw. wenn Öster-
reich-Preußen zum Handeln bereit seien2). Eine Hauptaufgabe
sollte auch sein, das Gerücht zu zerstören, als wollten die Mächte
das ancien regime herstellen, da ja nach preußischer Ansicht die
Emigranten an der Expedition teilnehmen sollten3).
Nach der französischen Kriegserklärung und den sie be-
gleitenden Vorgängen erübrigte sich eine Rechtfertigung des
Vorgehens der zum Konzert vereinten Mächte, wie man sie ge-
plant hatte. Man würde sich bloß die Hände binden, und die
deutschen Mächte könnten jede ihr besonderes Manifest erlassen,
Österreich als zu Unrecht angegriffener Teil, Preußen als Stand
des ebenfalls betroffenen Reiches4). Österreich fügte dem, an
frühere preußische Vorschläge anknüpfend, sofort einen Absatz
hinzu, der den Gedanken einer völligen Gegenrevolution im Sinne
der Emigranten abwies5). Preußen stimmte dem bereitwillig zu
und wollte seinerseits noch die Forderungen der elsässischen
Reichsfürsten hervorgehoben wissen6). Wir sahen bereits, welche
Ergebnisse diese Vorschläge hatten. Seit der französischen Kriegs-
netiere (Revue politique et litteraire [Revue bleue] III. Serie, Tome
VII [1884]), S. 104 ff. ; S o r e 1 II 475 ff . und 508 ff . ; R a n k e 196—200;
S y b e 1 II 125 und 220 ff.; B u c h e z et R o u x XVI 276 ff.
1 ) H.E.B. 150—151 ; H ä u ß e r I 334—338.
2) Schütter, Kaunitz, Ph. Cobenzl und Spielmann 58; Berichte
Jacobis 20. und 30. April; V i v e n o t II 410 und 417, I 263.
3) An Jacobi 16. April.
4) An Jacobi 18. Mai.
5) Vivenot II 432. Sie hatten eben einen langen Brief über ihre
Ansichten eingesandt und wollten ihn auch veröffentlichen. Das wurde
ihnen von Österreich untersagt, obwohl Kaunitz sachlich nichts Rechtes
dagegen einzuwenden hatte. Sie hätten sonst eine Zurückweisung zu
gewärtigen und könnten ihre Ansicht später in ihrem Manifeste auseinan-
dersetzen (Schütter, 60—61. Berichte Jacobis 16. Mai P.S. I und
23. Mai).
6) An Jacobi 21. Mai.
138 II- Abschnitt
erklärung1) war die Hauptaufgabe der gemeinsamen Deklaration
vom politischen auf das militärische Gebiet verschoben worden,
wie man sie ja häufig beim Beginn der Operationen erließ2).
Nur vorübergehend hat Kaunitz daran gedacht, sie eher zu ver-
öffentlichen, von der Hoffnung bestimmt, den Krieg doch noch
vermeiden zu können, mit dem Säbelrasseln allein auszukommen3).
So wäre von den Mächten vielleicht gar keine gemeinsame
Erklärung von politischer Bedeutung mehr gegen Frankreich er-
lassen worden. Sie hatten ihre Absichten klar genug ausge-
sprochen, ihr Verhalten gerechtfertigt, und das Konzert, die
Voraussetzung für jene Deklaration, mußte als gescheitert be-
trachtet werden. Aber da kamen aus Paris bezw. Mainz Alarm-
nachrichten, die die größten Besorgnisse für das Leben des fran-
zösischen Königspaares bei den Mächten entstehen ließen. Preußen
gab auf die Nachricht davon aus Mainz den ihm damit zugekom-
menen Vorschlag billigend weiter, ein Manifest mit einer scharfen
Drohung gegen die Pariser zu erlassen, ihre Stadt ihnen von
Grund aus zu zerstören, wenn sie es wagen sollten, das Leben
des Königs und seiner Familie anzutasten. Die verständigen
Leute würden sich sofort vereinigen, um den Jakobinern Wider-
stand zu leisten, die so viel Unglück über Frankreich herein-
brechen lassen wollten. Österreich solle ein derartiges Manifest
entwerfen, und zwar schleunigst; Preußen werde sofort zu-
stimmen4). Die Österreicher ließen sich mit der Beantwortung
Zeit, zumal Franz und Spielmann zur Krönung nach Ofen-Pest
verreist waren. Österreich stimme sachlich durchaus zu, wolle
aber einen Abschnitt dieses Inhaltes in die gemeinsame Erklärung
aufnehmen, deren Hauptzweck sein sollte, den vernünftigen Teil
der französischen Nation zum Anschluß an die Mächte zu veran-
lassen5).
Woher war den Preußen diese Nachricht zugekommen? Nach
Wien schrieben sie : aus Mainz. Das erscheint auffällig, weil dort
bisher kein Zentralpunkt für die Verhandlung mit den Tuilerien
gewesen war. Es lag zwar die Vermutung nahe, hierin die Folge
von Schritten Mallet du Pans zu sehen, der ja in dieser Zeit in
1) Bericht Jacobis 30. April; an Jacobi 9. Mai.
2) Vivenot II 417; Rep. 96, 147 G. II, F. Au Roi 13. Mai.
3) Vivenot II 419 und 432. Berichte von Haugwitz 15., 16.,
30. Juni. An Haugwitz 23. und 27. Juni, 5. und 7. Juli.
4) Häußer I 363; Rep. I 170 an Haugwitz 13. Juni.
5) Berichte von Haugwitz 30. Juni und 4. Juli.
Manifeste 139
Frankfurt weilte und die Mächte in seinem Sinne zu beeinflussen
suchte1). Aber wir haben hier doch eine von ihm unabhängige
direkte Verbindung mit Paris, die ihren Anfang in der nächsten
Umgebung des Königspaares hat. Der Freiherr Johann Friedrich
von Stein, ein Bruder des großen Reformators des preußischen
Staates, vertrat damals Preußen in Mainz und bei den umliegen-
den Höfen. Ihm teilte Frau von Chabannes einen Brief ihres
Onkels von Boisgelin, des Erzbischofs von Aix, mit, der seine
Nachrichten von einer Hofdame Marie Antoinettes, der Her-
zogin von Ossan, hatte. Später schrieb sich zwar Stein die Idee
des Manifestes selbst zu, aber wir werden wohl auch sie bereits
in dem Briefe aus Paris zu suchen haben2). Die Angaben schienen
nur zu gut mit einer wenige Tage vorher aus Brüssel eingelaufenen
Pariser Nachricht übereinzustimmen, die Emigrantenkreisen zu
entstammen scheint, wonach der König mit der Absetzung be-
droht sei, die Royalisten in Paris selbst nichts mehr machen
könnten, d. h. die einzige Hilfe in dem Einmarsch der Mächte
liege3).
Auch Mallet du Pan vertrat derartige Ansichten. Man hat
ihn häufig als Vertreter der geheimsten Ansichten Ludwigs be-
trachtet, entsprechend seinen eigenen Angaben und einem kleinen
Beglaubigungszettel von Ludwigs Hand4). Aber es ist Sorel
nicht entgangen5), daß die anderen Vertreter des französischen
Königspaares, Fersen und Breteuil, eine andere Stellung ein-
nahmen. Sie forderten nur kräftiges Auftreten, von einem ver-
söhnlichen versprachen sie sich keinen Erfolg. Nun ist kein
*) Rep. XI 91 varia, Note sommaire, zweifellos von Mallet; sie ist
nicht hier einzureihen, da die in Anführungsstriche gesetzten Worte sich
darin nicht so finden. Ein preußischer Entwurf zu einem Manifest scheint
zwar von Schulenburgs Hand dagewesen zu sein. Dieser soll ihn Caraman
gezeigt haben, aber ich habe ihn noch nicht finden können (Fersen II
23). Im Geiste Mallets war er nicht, sondern eine Vereinigung der Ansichten
der Emigranten und der Königin (Generalstände). Er ist spurlos zu Boden
gefallen vor dem besseren Limons, den Schulenburg und Bischoffwerder
völlig billigten.
2) Rep. 96, 170 L. Berichte Steins 7., 26., 29., 30. Juni; H e i g e 1,
Manifest 649; Rep. XI 91 varia Schulenburg an Breteuil 16. Juli.
3) Rep. 96, 147 G. II, S. Au Roi 10. VI. mit Lettre confidentielle de
Paris 30. Mai.
4) Häußer I 362; Mallet I 282—284 und 427 ff. ; Clapham
211. Vgl. auch Bertrand de Molleville, Histoire de la revolution
francaise VIII 39 ff.
5) II 508—509.
140 II. Abschnitt
Zweifel daran möglich, daß sie über die wirklichen Pläne Marie
Antoinettes am besten unterrichtet waren1). Eine abweichende
Haltung Mallets kann daher nur den Grund haben, daß er nicht
so weit eingeweiht war wie sie. Er war ja im Grunde Republi-
kaner und erst in letzter Zeit für das konstitutionelle Königtum
in Frankreich eingetreten. An der Lauterkeit seines Charakters
war ein Zweifel gar nicht möglich. Er erschien den Feuillants,
speziell den Monarchisten2), als der geeignete Mann, ihre An-
sichten bei den Mächten zu vertreten. Denn nicht von Ludwig,
sondern von Malouet ist der Plan ausgegangen, ihn diplomatisch
zu verwenden, da seine Abreise sich als unvermeidlich heraus-
gestellt hatte nach seinem scharfen Eintreten für das konstitutio-
nelle Königtum in Frankreich in seinem „Mercure de France",
den er jetzt eingehen ließ3). Montmorin und Bertrand de Molle-
ville waren mit im Geheimnis, und dieser sollte auf dem Umwege
über England seine Beglaubigung nach Mainz durch seinen
Bruder bringen lassen4).
Es wäre jedoch wohl nicht richtig, anzunehmen, Ludwig habe
diese Mission im Gegensatz zu Marie Antoinette gebilligt, die
vorher ihre Ansichten in einem Brief an Mercy niedergelegt habe5).
Ein solcher Gegensatz bestand nicht6). Wenn Ludwig hier als
der Handelnde hervortritt, so hat das darin seinen Grund, daß
er sich durch seine nachgiebige, alles andere als impulsive Natur
besser dazu eignete als Marie Antoinette, die auf diese „factieux"
1 ) Vgl. etwa Fersen II 295 Marie Antoinette an Fersen 7. Juni
1792. Das gilt mutatis mutandis auch für Mallet (cf. II 325 11. Juli). Ja
selbst in diesen Briefen muß man zwischen chiffrierten und nicht chiffrierten
Abschnitten unterscheiden, z. B. Fersen II 339 — 341: 1. August. Vgl.
auch die Ableugnung von Breteuils Vollmachten durch den König (B e r-
trand VIII 41—42).
2) Scharf organisiert ist namentlich diese Masse als Partei nicht,
eher schon die anderen vorwärtsstrebenden, Girondisten und Jakobiner.
Sie hatte kein festes Programm und war in sich vielfach zerklüftet (z. B.
zu vergleichen M a 1 o u e t II 115 ff. cap. XVIII La Legislative).
3)Bacourt-Städtler III 347—348; Mallet I 268—270,
280; Malouet II 134 und 146 — 147, dabei ein chronologischer Irrtum.
4) Die Erkrankung dieses Bruders ließ diesen Plan nicht zur Aus-
führung kommen,
e) Mallet I 288—291 und 304—305; H e i g e 1, Manifest 644;
Brunetiere 105 — 106; Ranke 176 — 179; A r n e t h, Marie Antoinette
263—264.
6) Lettres de Marie-Antoinette. Publ. pour la societe d'histoire contem-
poraine par Maxime de la Roche terie et le Marquis de Beaucourt. Paris
1896. II 396—397.
Manifeste 141
mit leidenschaftlichem Haß herabblickte, für die es ein Opfer,
vielleicht sogar eine Gefahr gewesen wäre, selbst das Wort zu
führen. Ich möchte deshalb hier nicht genau abzugrenzen wagen,
wieviel von Bertrand, Malouet und Genossen, wieviel von Ludwig
bei diesen Aufträgen für Mallet stammt. Jener genehmigte den
ihm vorgelegten Plan1).
Eins scheint mir dabei aber außer allem Zweifel zu sein.
Auch Ludwig versprach sich von dieser Mission für sein Ziel
einen Vorteil. Mallet hatte zwei Aufgaben zugewiesen erhalten.
Er sollte die Emigranten von — militärischer wie politischer —
Betätigung möglichst zurückhalten, um zu verhindern, daß sich
alle Parteien zur Abwehr dieser gefährlichsten Landesfeinde ver-
einten2), und die Haltung der Mächte gegenüber den französi-
schen inneren Verhältnissen beeinflussen, wie sie sich in dem Mani-
fest zeigen mußte3). Nur für den zweiten Punkt ist ein Gegen-
satz zwischen Ludwig und den Feuillants vorhanden. Ludwig
wie Mallet sahen die Gefahr für seine Person als wirklich bestehend
an und forderten Gewaltmittel. Während dieser sie aber nur
aushilfsweise als nicht zu umgehen anwenden wollte zur Unter-
stützung seiner Partei, hielt der König sie für die Hauptsache
und wollte mit ihr alle Parteien nach und nach zum Gehorsam
bringen. Wenn Ludwig jetzt scheinbar auf die ihm so wider-
wärtigen Absichten der Feuillants einging, so blieben ihm doch
noch Mittel und Wege genug, um seine eigentlichen Absichten
zu erreichen, und mit seiner Konnivenz sicherte er sich die Unter-
stützung der Feuillants, bis er sich, gestützt auf die Mächte,
ihnen als Herrn zeigen, ihnen heimzahlen konnte, was sie ihm
angetan hatten. Dem Königspaar wie den Emigranten erschienen
ja die „monarchiens " als die gefährlichsten Feinde, gegen die
man sich auf keinen Fall nachgiebig zeigen dürfe. Das rührt
wohl nicht zum wenigsten daher, daß sie Pläne verfolgten, die
ihren Gegnern für ausführbar galten, was sie von dem Programm
der Radikalen für ganz ausgeschlossen hielten. Diese waren also
nur vorübergehend, jene aber dauernd die Feinde des Königs-
paares4).
1 ) S o r e 1 II 476.
2) Bacourt-Städtler III 353—354, 340, 349; Glagau
280—281.
3 ) Erinnern wir uns dabei noch einmal, daß noch kein Manifest
der deutschen Mächte bekannt war.
4) Vgl. etwa A. Geff roy, Gustave III et la cour de France. 2. ed. II
(1867) 463 ff.; Fersen II 179—183.
142 II. Abschnitt
Einig aber war es mit den Feuillants in dem Wunsche, die
Tätigkeit der Emigranten möglichst zu neutralisieren. Man konnte
ja diese Gefahr nicht oft genug beschwören. Am 21. Mai reiste
Mallet nach Genf ab1) mit dem Entwurf zu einem Manifeste der
Mächte, einer genauen Instruktion und einem Memoire versehen,
das er den Mächten vorlegen sollte2). Ich übergehe hier den die
Emigranten betreffenden Abschnitt und halte mich an das Mani-
fest selbst. Es sollte sich nicht gegen die Nation und den König,
sondern allein gegen die Partei richten, die die Herrschaft in den
Händen habe, die Ruhe Frankreichs und Europas störe, jetzt
sogar die durch die Verfassung geheiligte monarchische Regierung
zu stürzen suche. Sie gelte es zu halten, den König mit seiner
Familie zu befreien und ihn in die Ausübung seiner gesetzlichen
Rechte wieder einzusetzen. Vorher könne man auf keine Ver-
handlungen eingehen und erst nach Erreichung dieses Ziels die
Waffen niederlegen. Dem Volke wird Schutz versprochen. Aus-
genommen sind davon jedoch die Rädelsführer der Gegenpartei,
deren Anwesenheit allein schon die Ruhe stören würde. Sie allein
haben den Krieg hervorgerufen, auf sie allein muß auch die
Strafe dafür fallen3). Für neue Angriffe auf die königliche Familie
werden Bürger, Nationalversammlung, Nationalgarde und Offi-
ziere, staatliche und städtische Behörden, die Hauptstadt verant-
wortlich gemacht. In diesem Falle werde sie in Flammen auf-
gehen und den Soldaten zur Plünderung überliefert werden. Die
Gemäßigten aber will man durch das Versprechen, der König
werde ihnen verzeihen, er, nicht die Emigranten oder die Mächte,
werde überhaupt das Schicksal der Parteien bestimmen, von den
Jakobinern abtrennen und zu Bundesgenossen machen. So sollte
das Manifest zu gleicher Zeit den einen Schrecken (Jakobiner),
den anderen Schrecken und Vertrauen (Gemäßigte) einflößen.
Nur so werde man einen Erfolg erreichen, der Dauer verspreche
auch über die Zeit der Anwesenheit der feindlichen Armeen in
Frankreich hinaus1). Nur so schien man auch den gefürchteten
Bürgerkrieg auf das geringstmögliche Maß beschränken zu
können.
1) Sorel II 479.
2) Mallet I 284 ff., 305—306, 309—315, 446—449, 427 ff.; Ber-
trand VIII 44 ff. Vgl. auch Rep. XI 91 varia die am 17. Juli an Haug-
witz übergebene Note sommaire.
3) Mallet I 436.
4) M a 1 1 e t I 428 und 437—438.
Manifeste 143
Wir sehen, es ist die alte Vorstellung, die durch Goltz auch
nach Berlin weitergegeben wurde1), durch die Zweiteilung der
Nation den Mächten sofort in Frankreich Bundesgenossen zu
gewinnen und die Gegenpartei nur durch den Schrecken nieder-
zuschlagen. Bemerkenswert scheint es zu sein, daß von der
Verfassung nur nebenher die Rede ist, viel mehr von den Rechten
der Krone, ein Beweis dafür, wie die Feuillants immer mehr von
ihren revolutionären Tendenzen zurückkamen und zufrieden
wären, wenn sie aus dem Schiffbruch ihrer Ideen nur einige
Trümmer retten könnten. S'e wollten ein konstitutionelles
Regiment mit Verstärkung der Krongewalt gegenüber der Ver-
fassung2), Das beweist auch die Instruktion für Mallet, die es
ausdrücklich ablehnt, die zukünftige Verfassung schon vorher
festzulegen. Was davon überhaupt erwähnt wurde, sollte nur
dazu dienen, den gemäßigten Teil der Franzosen über eine Gegen-
revolution zu beruhigen3).
Bei den Emigranten kam Mallet mit seinem Plane vor ver-
schlossene Türen. Er erreichte direkt bei ihnen gar nichts und
auch die Haltung der Mächte beeinflußte er ihnen gegenüber
kaum. Dagegen schien es ihm bei diesen mit seinem Manifest-
plan zuerst ganz nach Wunsch zu gehen. Zwar nicht so schnell,
wie er wohl gehofft hatte; denn als er am 12. Juni nach Frank-
furt kam, traf er da weder Franz noch Friedrich Wilhelm und
mußte mit seinen Konferenzen dank dem österreichischen Zaudern
bis zum 15. Juli warten. Philipp Cobenzl, Haugwitz und Hey-
mann nahmen daran teil4). Es genügt hier die Feststellung, daß
die Vertreter beider Staaten völlig auf seine Ansichten eingingen.
Bei dem Österreicher kann man sich darüber nicht weiter wundern.
Seine Absichten stimmten beinahe völlig mit denen Mallets
überein, nur hätte er sich wohl ganz gern auch mit einer ge-
1) Rep. XI 89 Berichte vom 7. und 18. Mai.
2) Vgl. dazu die zwei Monate später geäußerten Gedanken Mont-
morins, die damit übereinstimmen bis auf einen Punkt: die Verfassung will
auch er jetzt schon aus dem Spiel lassen und vor allem die Freiheit des
Königs und der Regierung fordern. Das ist wohl die Folge der Szene vom
7. Juli, wo sich der Appell an die Verfassung nur einen Augenblick als
wirksam erwiesen, bald aber die entgegengesetzte Wirkung gehabt hatte,
die Jakobiner nur noch mehr aufzustacheln (Bacourt- Städtler III
347—348, 363 und 369—370; G lag au 335; Journal d'une bourgeoise
172 ff.).
3) M a 1 1 e t I 284—286 und 435.
4) Mallet I 306—309.
144 H. Abschnitt
ringeren Macht der Krone in Frankreich begnügt. Mehr muß
man sich schon über Heymann wundern, der bei Preußen die
Sache der Emigranten zu vertreten hatte, allerdings nicht von
diesen, sondern von Friedrich Wilhelm selbst dazu ausgesucht
worden war. Er schwieg zuerst und mußte nachher sogar Mallet
noch besonders die Zufriedenheit der Mächte bestätigen — ein
Beweis, wie wenig selbständig er handeln durfte. Haugwitz end-
lich war in dieser Zeit, wie wir noch sehen werden, von einer
beneidenswerten Vertrauensseligkeit in die Österreicher. Er gab
die Führung ganz aus der Hand, zum Teil, weil er in die preußische
Politik nicht tief genug eingeweiht war.
So schien alles in schönster Ordnung zu sein, und doch fand
nicht Mallets Entwurf, sondern der Limons Verwendung, und die
Emigranten wurden nicht von den Operationen ausgeschlossen,
sondern nahmen daran teil1).
Wie ist es dazu gekommen?
Das französische Königspaar hatte nicht an Mallet seine
letzten Absichten mitgeteilt, sondern Fersen und Breteuil waren
seine Vertreter. Marie Antoinette führte diese Korrespondenz
weiter und hatte gerade wieder in den Tagen der Kriegserklärung
auf den Erlaß eines Manifestes gedrängt2). Man hat nun diesen
Brief an Mercy wohl so aufgefaßt, daß sie darin Angaben für das
Manifest aller Mächte gemacht habe. Davon steht aber nichts in
dem Brief. Sie spricht nur von dem Manifest des Wiener Hofes.
Mit einiger Kunst könnte man ja daraus interpretieren, Öster-
reich sei die Macht gewesen, die das Konzert angeregt und ge-
leitet habe. Aber dann müßte doch von dem Konzert irgendwie
die Rede sein. Das Manifest dagegen soll nur das Vorgehen
Österreichs rechtfertigen. Es ist also mit der österreichischen
Gegenerklärung zu verbinden, nicht mit dem Manifest des Her-
zogs von Braunschweig. Österreich solle sich möglichst von den
Emigranten trennen und mäßigend auf sie einwirken. Es solle
seinen Wunsch, den Frieden zu erhalten, hervorheben; auch jetzt
sei es noch dazu bereit. Vom König solle möglichst wenig die
Rede sein, um ihn nicht zu Schritten zu zwingen, die seinem
Interesse zuwider seien, und um nicht das Volk für den Krieg zu
begeistern. Gerade mit der französischen Nation in Frieden zu
x) Clapham 221 etc.
2) Arneth 263—265; Ranke 176—177; de la Rocheterie
et de Beaucourt, Lettres de Marie- Antoinette II 396 — 397; Clap-
ham 210.
Manifeste 145
leben, sei Österreichs größter Wunsch. In innere französische
Angelegenheiten endlich solle sich Österreich nicht einmischen,
das könne nur schaden. So wünschenswert auch ein Vergleich
zwischen den verschiedenen Parteien sei, so wenig dürfe man
davon sprechen. Jede Intervention würde der außerordentlich
gesteigerte Nationalstolz der Franzosen zurückweisen lassen, und
der König müßte sich dem anschließen.
Das sind alles Gedanken, wie wir sie tatsächlich in der öster-
reichischen Gegenerklärung finden. Nur der Gedanke der Ver-
nichtung der Jakobiner kam bei Marie Antoinette, die davon nur
indirekt sprach1), viel schwächer zum Ausdruck als bei Öster-
reich. Ich möchte nun nicht behaupten, daß die Österreicher
zu dem Erlaß ihrer Gegenerklärung von Marie Antoinette veran-
laßt worden seien. Daß aber ihr Brief darauf eingewirkt hat,
geht außer der tatsächlichen Übereinstimmung des Inhaltes auch
daraus hervor, daß der Brief mehrfach an Preußen mitgeteilt
wurde, man ihm also große Bedeutung beimaß. Wenn wir noch
berücksichtigen, daß Marie Antoinette an Mercy so schrieb,
d. h. an den offiziellen Vertreter der österreichischen Politik,
von dem sie ein Eingehen auf ihre Ziele nicht erwarten konnte,
daß sie deshalb von guten Absichten Leopolds sprechen mußte,
von denen sie im Gespräch mit vertrauten Personen schlechter-
dings nichts wissen wollte2), so wird uns klar, daß wir auch hier
nicht ihr letztes Wort zu suchen haben. Sie hätte sonst ihre
ganze vorherige Politik desavouiert, und ihre folgende Tätigkeit
würde unverständlich sein. Sie wollte zunächst nur der öster-
reichischen Politik unmöglich machen, ihr zu schaden, und ferner
möglichst großen Nutzen aus ihr ziehen. Deshalb schrieb sie
ihr den Inhalt ihres Manifestes vor3).
Wir haben also bei ihr einen ähnlichen Schritt wie bei Ludwig
gegenüber Mallet festzustellen. Bei dieser Erklärung fällt die
schon oft bemerkte Schwierigkeit fort, daß sie und Ludwig an-
x) Sie spricht aber doch ganz unverkennbar von den Jakobinern.
Sie sucht dem in der Revolution bahnbrechenden nationalen Gegensatz
gegen Österreich das Wasser abzugraben und erkennt dabei nicht, daß
die — fingierte — Einmischung von Europa der Revolution ebenso ver-
haßt sein muß.
2) Fersen II 179—183.
3) Der Brief ist nach dem 20., aber wohl vor dem 30. April geschrieben.
Mercy schickte ihn erst am 16. Mai nach Wien, da er ihn über England
erhalten hatte. V i v e n o t II 447 — 448 und Rep. I 171: Kaunitz an Reuß
26. Mai. Mercy an Kaunitz 16. Mai.
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Kevolution 10
146 IL Abschnitt
geblich nicht gleichartig vorgehen, daß sie nachher selbst andere
Forderungen als am Anfang stellt. Ich halte es für ausgemacht,
daß sie auch schon Ende April für ihre Sicherheit gefürchtet hat
und deshalb den Absatz in das Manifest der Mächte gern hinein-
gebracht hätte. Sie selbst sprach diese Besorgnis auch kurze
Zeit hinterher aus, ohne daß sich in der Zwischenzeit besonders
erschwerende Ereignisse abgespielt hätten; selbst für die Zeit
vorher fehlt es nicht an Belegen dafür1). Nach dem 20. Juni
nun gar hielt sie jeden Aufschub für äußerst gefährlich. Die
Briefe vom 23. und 26. Juni lassen uns das durch den Schleier
erkennen, den sie darüber gezogen hat. Dabei hatte sie wenig
Hoffnung, daß es bald zu einer Lösung in ihrem Sinne kommen
werde. Am 4. Juli endlich machte sie einen neuen Ansturm auf
Mercy und teilte das Fersen vorher mit, damit er in demselben
Sinne auf ihn wirke2). In all diesen Briefen ist nur von Gewalt
die Rede, nicht von Paktieren. Das hätte sie ja mit Lafayette
haben können und auch mit der Gironde. Beide Parteien ver-
suchten im Juni und Juli vergeblich, den König für sich zu ge-
winnen3). Alle Parteien erschienen Marie Antoinette gleich
hassenswert. Die auswärtigen Mächte sollten ihr helfen, sie zu
zügeln. Das Manifest sollte daher die Nationalversammlung und
Paris für das Leben des Königs und seiner Familie verantwort-
lich machen, dessen sie keinen Augenblick mehr sicher zu sein
glaubte, besonders des ihren, seit Anfang Juli aber auch des-
jenigen von Ludwig4). Kein Augenblick sei zu verHeren. Von
seiner Publikation erwartete man den sofortigen Anschluß eines
großen Teiles des Volkes an den König5).
So fällt der ganze Abschnitt über die inneren Parteiverhält-
nisse von Frankreich, auf den besonders Österreich so großen
Wert legte, für sie einfach weg, soweit er positive Vorschläge
hatte enthalten sollen6). Mercy war deshalb damit natürlich
1 ) H e i g e 1, Manifest 644; Brunetiere 105 — 106 ; Fersen
II 220—221.
2) Fersen II 317.
3) Glagau in H.Z. 82, 436—460; D u m o ur i e z II 422— 426;
V a t e 1, Vergniaud II 121—125.
*) Fersen II 318—319.
5) Fersen II 332—333 und 339—340; Bacourt-Städtler
III 364—367.
6) Weder auf eine Kontrerevolution im Sinne der Emigranten noch
auf eine Kontrekonstitution also war es abgesehen, sondern auf die Her-
stellung einer starken königlichen Macht, wie sie in Frankreich noch nicht
Manifeste 147
icht einverstanden. Er hatte sich nur mühsam die Fiktion
rauben lassen, daß das Königspaar selbst nicht ernstlich ge-
fährdet sei. Er kann ja die Tatsache gar nicht mehr übersehen
laben, er wollte sie nur in einem anderen Lichte sehen, das den
Interessen seines Hofes besser entsprach1). Am 9. Juli schrieb
2r daher an Marie Antoinette, er wolle in dem Manifeste dem
gemäßigten Teil der Franzosen Hoffnung lassen. Vor allen
Dingen mußte er noch bis Anfang August Zeit gewinnen, da
die Heere von Österreich-Preußen nicht eher heran waren.
Das zweite billigte auch Fersen, gegen das erste konnte er
nur protestieren. Er verließ sich auf die baldige Ankunft des
Herzogs von Braunschweig und Friedrich Wilhelms und auf
ihre Absicht und sogar Friedrich Wilhelms Versprechen, kräftig
zu handeln2).
Fersen also hatte durch Limon, den er jedoch nicht be-
sonders schätzte3), ein Manifest in dem von Marie Antoinette
gewünschten Sinne entwerfen lassen4). Mercy erhielt es, ohne
zu ahnen, daß Fersen dahinter steckte, was ihn vielleicht zu
größerer Vorsicht veranlaßt hätte. Limon gab es am 17. Juli in
Frankfurt an Ph. Cobenzl weiter, wohl vor der noch zu besprechen-
den Konferenz, in der sein Entwurf schon zu Grunde gelegen zu
haben scheint5). Dieser zeigte es in Frankfurt am 19. Juli
Schulenburg, der nach seiner drei Tage vorher zu Breteuil ge-
bestanden hatte (Ranke 198; Glagau HZ. 82, 264—271; Rep. XI 91
varia, Breteuil an Schulenburg 4. Juli 1792 . . . les nouveaux crimes des
factieux envers le Roi [20. Juni] fönt encore plus sentir l'avantage d'arriver
au moment oü les puissances qui prennent la defense du Roi feront voir
dans leur manifeste tout ce que ces miserables ont ä attendre de leur ven-
geance, si les atrocites qu'ils osent annoncer avaient le moindre effet. Les
deux Rois sentiront sürement egalement combien il est digne d'eux et
necessaire ä tous les thrones de tenir dans cet ecrit le langage qui peut
seul les assurer tous en montrant la resolution de retablir le Roi dans son
entiere liberte . . . Breteuil an Schulenburg 14. Juli ib. über Waffenstill-
stand).
*) Fersen II 20—21 und 323—324; Arneth 266; Feuillet
VI 205—206; Brunetiere 106; Hei gel, Manifest 645.
2)FersenII 322—324, 329, 336, 338.
3) Fersen II 18 und 25, 329 u. 336; Häußer I 365; Br u n e ti er e
107; H e i g e 1, Manifest 649; Massenbachl 236; S o r e 1 II 509—510;
Ch.JP. 148 und 154—155; M a 1 1 e t I 315 ff.
4) Preußen wußte jetzt noch nichts davon. Als Limon später seine
Entschädigungsforderungen geltend machte, sprach er nur von Mercy
und Metternich (Hei gel, Manifest 667—668).
5) V i v e n o t II 497.
148 II. Abschnitt
äußerten Ansicht im ganzen nur zustimmen konnte1), der es aber
vorher nicht gekannt, mit Limon überhaupt nichts zu tun gehabt
hatte2). Man ließ die Einleitung weg, die nicht an ihrem Platze
war, da nur Österreich und Preußen, nicht die europäischen
Mächte insgesamt, wie darin angenommen war, in den Krieg
zogen, und traf einige unwesentliche Änderungen, mit denen sich
Limon nachher ohne Schaden für die Sache abfinden konnte3).
Am 20. wurde es von den österreichisch -preußischen Staats-
männern endgültig genehmigt, ohne daß es auch nur einer von
ihnen für nötig gehalten hätte, diese Wahl besonders zu be-
gründen. Sie legten diesen innerfranzösischen Streitigkeiten doch
nicht die richtige Bedeutung bei, sie interessierten sich zunächst
für ganz andere Fragen4). Gleichwohl bleibt dieser Gesinnungs-
1) Rep. XI 91 varia Ansbach 16. Juli 1792 . . .] Manifeste, 'qui
doit etre repandu en France au moment oü nous commencerons nos Ope-
rations militaires. II s'agit de le concerter encore avec la Cour de Vienne
et on aura lieu d'etre content du ton energique dont il portera l'empreinte
et les factieux y trouveront de quoi se convaincre que les puissances alliees
ne sont guere disposees a se laisser amuser par des propositions insidieuses.
H e i g e 1 , Manifest 654.
2) Ch.J.P. 148 und Fersen II 25.
3) Hei gel, Manifest 634 ff.; Fersen II 24—25 und 336—338,
341. Fersen war durchaus mit dem Manifest zufrieden. Das von Limon
nachher veröffentlichte Manifeste de tous les peuples contre la revolution
francaise (vgl. ein gedrucktes Exemplar in Rep. 67 B n la. Darauf die
Bemerkung: Pieee faite ä Bruxelles sans la participation des Cours) ist
übrigens nicht so blutrünstig, wie man von vornherein annehmen möchte.
Fs will aufklären zunächst über die Absichten der Mächte, dann über die
Revolution, an der nur wenige wirklich schuld seien. Sie müßten bestraft
Werden. Die Aufgabe sei die Herstellung eines gesetzlich geordneten Zu-
standes mit einem freien König an der Spitze, der es seine erste Aufgabe
sein lassen werde, die geschädigten Fürsten zu entschädigen. Er werde
dem durch die revolutionäre Propaganda wertlos gemachten Verzicht
auf Eroberungen erst wahren Wert verleihen und werde ein mächtiges
Frankreich herstellen, das für das europäische Gleichgewicht so notwendig
sei und auch Garantien dafür bieten könne, daß die Verträge gehalten
würden. Der Schluß berührt sich vielfach mit dem Manifest des Herzogs
von Braunschweig, ist aber viel kürzer gehalten. Das schadete nichts,
weil Limon ja noch hinterher das Manifest und die Zusatzerklärung des
Herzogs ganz abdruckte. Es wurde vielfach als offiziöse Kundgebung der
Mächte betrachtet (H e i g e 1 , Manifest 659 und Girtanner, Historische
Nachrichten VIII 498 ff.).
* ) Wenn die in Berlin zurückgebliebenen preußischen Kabinettsminister
ihre Unzufriedenheit mit dem Manifest äußerten, so betraf sie nicht den
eigentlichen Inhalt, sondern das Versprechen der uneigennützigen Inter-
vention. Sie fürchteten nun entweder die Entschädigung zu verlieren oder
Manifeste 149
Wechsel doch auffallend. Eine Erklärung dafür ist noch nichb
gegeben worden1). Außer der Tätigkeit von Fersen-Breteuil
für wortbrüchig zu gelten, bis sie sich mit einer von Schulenburg an die
Hand gegebenen kunstvollen Distinktion aus der Schlinge zu ziehen ver-
standen. Eine Entschädigung sei mit dem Prinzip der uninteressierten
Intervention sehr wohl vereinbar; denn dabei wolle man ja nichts erobern,
und auf Frankreich solle die Last der Entschädigung nur zum kleinsten
Teile fallen. V i v e n o t II 502, 503, 509, 511, 519; Rep. XI 89 g1 Schulen-
burg an Finckenstein und Alvensleben 26. Juli, 2. August; Finc kenstein und
Alvensleben an Schulenburg 27. Juli, 2. August; Alvensleben (ohne Datum,
wohl 27. Juli); Sy bei III 168. — Bei Beginn der militärischen Operationen
sollte es veröffentlicht werden. Ganz genau hielt man sich nicht daran, viel-
mehr erfolgte die Veröffentlichung einige Tage vor ihm. Am 24. Abends waren
die ersten Exemplare fertig gedruckt. Limon bat sich einige Exemplare
aus, um sie nach Brüssel mitzunehmen und wenigstens durch den Druck
die Änderungen zu erfahren, die man an seinem Entwurf vorgenommen
hatte (Rep. XI 89 i Limon an Schulenburg 25. Juli, Schulenburg an Limon
25. Juli). Die Kosten beliefen sich auf 162 fl. für den Druck, 272 fl. 36 kr.
für das Papier, 3 Karolinen zu je Hfl. für 4 Mann vom Regiment von
Gymnich, die vom 21. — 28. Juli in die Druckerei kommandiert worden
waren, im ganzen also 467 fl. 36 kr. Preußen und Österreich teilten sich
auch diese Ausgabe. Dazu kamen dann noch einige Geschenke an die
Vertreter der Mächte (ganz wie bei dem Abschluß von Verträgen, Rep.
XI 89 Frankreich varia 1790 — 1796). Nach Berlin erging die Anweisung,
es sofort in die Zeitung zu bringen, natürlich in deutscher Sprache, und es
an die Gesandten zu versenden. Am Dienstag den 31. Juli sollte es in den
Berliner Zeitungen erscheinen und nach dem Druck sofort dem diploma-
tischen Korps mitgeteilt werden. Die Zusatzerklärung wurde nicht offiziell
mitgeteilt (Rep. XI 89 g1 Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben
21. Juli; Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 27. Juli, 6. August.
Ranke 292 — 293. Der Abdruck des Briefwechsels zwischen Schulenburg
und seinen Berliner Kollegen weist doch so starke Lücken auf, daß ich stets
auf die Akten verweisen muß). — Fersen berichtet von österreichischer
Unzufriedenheit. Sie kann sich nur auf Mercy und etwa noch La Mark
beziehen, da in Mainz eine Spaltung zwischen den Österreichern in dieser
Frage nicht zu Tage tritt und Preußen hierin sicher dem Vorgehen Öster-
reichs nur einfach gefolgt ist (Fersen II 23 und 25, 337—341; Z e i ß-
b e r g, 2 Jahre, 113 ff und 145 — 147). — So eifrig man es auch sonst ver-
teilen und verbreiten ließ (das Manifest wurde ja auch in Plakatform
gedruckt mit etwas abgeänderter Einleitung. Vgl. Rep. 63, 86 A 1), so
vergaß man doch ganz, es offiziell den Franzosen mitzuteilen (denn die
Möglichkeit, daß man etwa die französische Regierung durch dies Übersehen
als nicht rechtmäßig kennzeichnen wollte, wird durch das spätere Verhalten
ausgeschlossen). Fersen und Breteuil, Limon und Caraman schoben einen
großen Teil der Schuld an seiner verfehlten Wirkung hierauf und ver-
anlaßten Schulenburg, den Fehler nachträglich, so gut es eben gehen
wollte, wieder gutzumachen. Ein Erfolg blieb natürlich auch jetzt aus
(F e r s e n II 343; Rep. XI 89 i Limon an Schulenburg 8. und 15. August,
Schulenburg an Limon 8., 10. und 12. August; cf. H e i g e 1, Manifest
150 II. Abschnitt
scheint auch die der Emigranten groß gewesen zu sein. Wir
wissen von dem Marquis de Lambert, der bei dem Herzog von
Braunschweig die Prinzen vertrat, und in einer Weise, die ihm
das Lob des Herzogs wie Fersens eintrug2), daß er nach dem
Bekanntwerden der Nachricht, die Mächte planten ein Paktieren
mit der Revolution, sofort Lärm beim Herzog schlug; das sei
allen bisherigen Versprechungen entgegen. Eine Verbindung
solcher Einflüsse mit der mangelhaften Kenntnis und Würdigung
der französischen inneren Verhältnisse scheint zu dem Beschluß
vom 20. Juli geführt zu haben3).
Brunetiere und Heigel geben sich nun große Mühe, das fran-
zösische Königspaar von dem Verdacht zu reinigen, das Manifest
sei in den Tuilerien ausgearbeitet worden4). Sie sind zweifellos
soweit im Recht, als sie behaupten, daß die endgültige Form
erst in Frankfurt und Mainz festgestellt worden ist, daß Fersen
sie erst am 28. Juli gekannt hat. Aber darauf kommt es nicht
an. Die Hauptsache ist, daß von dem französischen Königspaar
die Forderung eines Manifestes, das nichts verspricht und den
factieux mit den schärfsten Strafen droht, erhoben worden ist
und daß man ihr nachkam. Ich glaube nun zwar nicht, daß die
Annahme von Mallets Entwurf einen wesentlich anderen Ein-
druck in Frankreich erzielt hätte. Denn auch er enthält den
entscheidenden Abschnitt von der eventuellen Bestrafung von
Paris u. s. w., in dem in der Tat die ganze Bedeutung des Mani-
festes beruht5). Wenn wir etwas aus der Geschichte der voran-
gegangenen Monate lernen können, so ist es gerade das, daß die
Rechnung des Auslandes, insbesondere Österreichs, auf die
französische Parteiung und der Versuch, sie für seine Zwecke
auszunützen, scheitert. Gerade die österreichischen Noten dieser
Art hatten den Krieg entscheiden helfen. Die Unterschiede end-
lich, um die es sich bei den Entwürfen von Mallet und Fersen
handelte, waren doch zu fein und setzten diplomatisch geschulte
655—659; Rep. XI 89 k Schulenburg an Tauenzien 12. August; Rep. XI
89 b Schulenburg an Braunschweig 12. und 19. August).
1) Ranke 197.
2) Fersen II 22 und 329; Rep. XI 89 b Braunschweig an Schulen-
burg 18. Juni 1792.
3) Rep. XI 89 b Lambert an Braunschweig 20. Juli; Mallet I 315
und 317; Fersen II 336.
4) Brunetiere 108; H e i g e 1, Manifest 650; Forneron I 344;
Fersen II 21 und 323.
5) Brunetiere 106; H e i g e 1, Manifest 648; Mallet I. 316 ff.
Manifeste 151
Leser und die Ruhe einer Studierstube für iure rechte Würdigung
voraus. Die in fieberhafter Erregung befindliche Masse mußte
sich an die deutlich ausgesprochenen Drohungen halten1). Wenn
auch der obigen Feststellung kein großes Gewicht beigelegt
werden darf, so ist doch der Versuch, die Verantwortlichkeit für
das Manifest so zu verteilen, daß schließlich keine Stelle mehr
als von entscheidender Bedeutung erscheint, nachdrücklich ab-
zulehnen. Die Anregung kam aus Frankreich, besonders aus den
Tuilerien, und die Mächte nahmen sie nur auf, in der Hoffnung,
damit etwas zu erreichen. So erscheint mir die Übereinstimmung
aller Beteiligten in der Forderung eines starken Manifestes mit
dem berüchtigten Drohparagraphen nicht etwas von vornherein
Gegebenes zu sein, sondern hervorgerufen durch die französischen
Einwirkungen auf die Mächte.
Am 25. Juli endlich wurde es veröffentlicht, da nun der. Ein-
marsch in Frankreich in wenigen Tagen zur Tatsache werden
konnte2). Dem Herzog von Braunschweig hat es in der Geschichte
der Revolutionszeit eine nur allzu traurige Berühmtheit ver-
schaffen helfen. Als Machwerk der Emigranten hat es in den
nicht eingeweihten Kreisen während der ersten Jahre auch durch-
aus gegolten3). Aber man würde sehr irren, wenn man darin den
getreuen Ausdruck ihrer Stimmung suchen wollte. Sie hatten
eigentlich nichts dagegen einzuwenden, aber es fehlte nach ihrer
Anschauung doch das eigentlich Positive darin. Daß sie dem-
zufolge ganz anders dachten und sprachen, habe ich noch an
anderer Stelle genauer festzustellen4). Der Herzog selbst hatte
keinen Einfluß auf den Erlaß oder auf den Inhalt des Manifestes
ausgeübt; ja er hätte es bei seiner Ängstlichkeit wohl auch nicht
gewagt, ihn geltend zu machen. Er, der nominelle Oberfeldherr
der vereinigten Heere, hatte nur seinen Namen zur Deckung
dieses Machwerkes herzugeben5), mochte sein Zorn darüber auch
*) Sorel II 478^179.
2) Politisches Journal 1792, 840 ff. ; S e g u r II 362—369; Mansol
240; Girtanner, Historische Nachrichten VIII 487 ff.; Fersen
II 323.
3) Hei gel, Manifest 636 ff.
4) H äußer I 365; Hü ff er in der Deutschen Kevue 1883 Bd. I
240—241 ; Brunetiere 105; Heigel, Manifest 643; Ranke 197;
Laukhard, Leben und Schicksale III 58; Girtanner, Historische
Nachrichten VIII 496 ff.; Raigecourt-Bombelles zum 29. Juli
1792.
6) Schlieffen II 395; H e i g e 1, Manifest 637—647.
152 H. Abschnitt
noch so groß sein, an dessen Existenz man nicht wird zweifeln
können1).
Sorgfältig war in dem Manifest jeder Hinweis auf die zu-
künftige Verfassung Frankreichs vermieden. Nur die Wieder-
herstellung der gesetzlichen Macht des Königtums sei das Ziel.
Den vernünftigen Teil der französischen Nation forderte man
zur Mitwirkung auf. Jeder aktive oder selbst nur passive Wider-
stand dagegen werde als Bebellion bestraft werden. Soweit
bewegte sich das Manifest ganz in den ausgetretenen Bahnen
des 18. Jahrhunderts2). Nun aber kommt das Neue, Einzigartige,
wovon auch in dem Manifeste Ludwigs XVI. vom 20. Juni noch
keine Rede gewesen war, wo überhaupt die Negation das Feld
beherrscht hatte, wo nur dürftige Andeutungen über die Ab-
sichten des Königspaares gemacht worden waren3). Wohl aber
hatte Marie Antoinette ähnliche Gedanken gehabt, wie sie jetzt
das Manifest aussprach, ein Beweis, wie konsequent, aber auch
wie verblendet sie an ihrem Plan festhielt. Nationalversammlung,
Munizipalitäten, Nationalgarde werden für die Sicherheit der
königlichen Familie haftbar gemacht und der Stadt Paris Plün-
derung und Zerstörung angedroht, wenn der königlichen Familie
ein Leid geschehen sollte. Das war in der Tat ein Ton, der mehr
den Anschauungen von Vandalen als von Generalen des 18. Jahr-
hunderts entsprach4). Man hat wohl gemeint, daß von vorn-
herein nicht beabsichtigt worden sei, diese Drohungen wahr zu
machen5). Das ist insofern richtig, als hier absichtlich der Mund
etwas voll genommen wird, um mit Drohungen womöglich das-
selbe zu erreichen wie mit Gewalt und damit das — unnütze —
Opfer von kostbaren Menschenleben zu sparen. Wenn aber die
Drohungen trotz ihrer Ergebnislosigkeit größtenteils nicht aus-
geführt wurden, so liegt die Ursache in dem aufgeklärten Geiste
der preußischen Offiziere, besonders des Herzogs von Braun-
schweig, die großenteils nur mit halbem Herzen bei der Sache
waren und den Franzosen kaum feindseliger gegenüberstanden
als den Österreichern, und denen jedes Blutvergießen trotz ihrer
x) Massenbach I 267. Europäische Annalen 1809, I 270—272.
Auf den König darf man das aber nicht übertragen (Dampmartin, quel-
ques traits 117 — 118; Rep. I 170 Berichte Cesars 8. und 15. August).
2) Sorel I 82—83, II 178—179, 227, 274; H äußer I 317—318;
Ranke 64; Feuillet II 477.
3) L e n z in Preuß. Jahrb. 78, 255—257.
4) Montrol, Histoire de 1' Emigration 108.
5) M i n u t o 1 i, Militärische Erinnerungen 19; H e i g e 1, Manifest 635.
Manifeste
153
persönlichen Tapferkeit ein Greuel war1). Alle Mahnungen
Fersens, der immer deutlicher erkannte, daß nur von der Gewalt
etwas zu erwarten sei, die Drohungen wahr zu machen und ein
Exempel zu statuieren, fruchteten nichts2). Wieder tritt uns
der Gegensatz zwischen Wort und Handlung schroff entgegen.
Es ist aber durchaus irrig, daß die Mächte sich ihrer Schwäche,
ja der Unmöglichkeit bewußt gewesen seien, ihren Drohungen
auch die Tat folgen zu lassen. Wir müssen uns hüten, derartige
Urteile a posteriori als maßgebend für den Erlaß des Manifestes
zu betrachten. Nur die Urteile der Diplomaten vor Bekannt-
werden der französischen Erregung können uns Aufschluß über
die Absichten geben, und aus ihnen gewinnen wir ein durchaus
anderes Bild3). Am 27. Juli erschien auf das Drängen der Emi-
granten, deren Besorgnis über den angeblichen Plan Mallets und
seiner Genossen, den König aus Paris wegzuführen und mit den
Mächten womöglich einen Waffenstillstand zu schließen, jetzt
praktische Bedeutung erhält4), gegen den Rat Schulenburgs eine
von Moustier, dem früheren französischen Vertreter in Berlin6),
verfaßte Zusatzerklärung, daß im Falle der Abführung Ludwigs
nach dem Süden die schärfsten Strafmaßregeln angewandt werden
würden. Nur sie wurde gleich anfangs von den Diplomaten gemiß-
billigt6). Sie hat tatsächlich keine besondere Bedeutung erlangt.
M Ch.J.P. 99—100, 155, 290—291.
2) Fersenll 361—362, 365—367.
3) Erst post festum arbeitete Mercy selbst einen Manifestentwurf
aus, der gegen die feindliche Partei die Drohungen zwar nicht ausführt,
aber dafür so genau von ihren Schandtaten spricht, daß er vermutlich
auch keinen besseren Eindruck als das Manifest des Herzogs auf den ver-
nünftigen Teil des französischen Volkes gemacht haben würde. Es ist
kein Zweifel daran möglich, daß auch Mercy fürs erste nur noch auf die
Wirkung der Gewalt rechnete (vgl. Bacourt-StädtlerHI 372 — 380;
Fersen II 37).
4) "Bacourt-Städtler III 372 Anmerkung Städtlers.
5) Sorel II 280; Bacourt-Städtler III 282, 287—288,
291—292. Biographie universelle, nouvelle edition 29, 482—483.
6) Ranke 199 und 292—293; Hei gel, Manifest 656—657; Les-
cure, Rivarol 373 ff. Jedoch ist dabei folgendes zu berücksichtigen.
Breteuil und Limon kannten schon die Stellung der Pariser zum Haupt-
manifest und standen zu den um die Prinzen gescharten Emigranten in
keinem freundlichen Verhältnis. Deren Eingreifen konnte sie also nur
unangenehm berühren. Schulenburgs Haß gegen die Emigranten nahm
in den Kämpfen dieser Tage, wie wir noch sehen werden, stark zu, daher
bezeichnete er die Zusatzerklärung als Rodomontade. Einckenstein und
Alvensleben brauchten also seine Ansicht nur zu wiederholen, wenn ich
154 II. Abschnitt
Die Wirkung des Manifeste in Frankreich widersprach von
neuem allen Erwartungen der Vertreter der alten Staaten. Denn
diese waren einig in seiner Billigung, mochte es nun in Mainz,
Bingen, Berlin, Regensburg, Wien oder Petersburg sein1).
Katharina II., die sich schon ein Jahr vorher für den Erlaß
eines Manifestes ausgesprochen hatte, das, wenn man es unter-
stütze, nach den ersten Siegen ganz Frankreich von selbst zur
Unterwerfung bringen werde2), schrieb an ihren Vertrauten
Grimm mit der ganzen souveränen Verachtung der Pariser Revo-
lutionäre, die sie vom Anfang der Bewegung an an den Tag
gelegt hatte3): „Ich finde das Manifest vom Papa (der Herzog
von Braunschweig!) energisch und klar; so muß man sprechen,
besonders zu den Lumpen, wenn sie es sich beikommen lassen,
zu politisieren"4).
In Paris war es schon am 28. Juli bekannt5), ohne daß man
sich darüber besonders zu wundern brauchte. Die Mächte wünsch-
ten ja eine möglichst schleunige Verbreitung, und von Mainz
nach Paris sind drei Tage für die Beförderung mehr als aus-
reichend. Gleichzeitig erhielt die Nationalversammlung Kenntnis
von der österreichischen Gegenerklärung und dem preußischen
Expose. Sie fielen gegenüber dem Manifest fast ganz unter den
auch keinen Augenblick daran zweifele, daß sie gegen die Emigranten
und den Krieg überhaupt weit erbitterter waren als Schulenburg. Das
Hauptmanifest verurteilten sie erst, als seine schlechte Wirkung schon
bekannt war, und auch dann schlagen sie vor allem auf die Zusatzerklärung
los (Rep. XI 89 g1 Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 1. Au-
gust; Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 27. Juli, 6. und 12. Au-
gust; Ranke 292—293).
1) Feuillet VI 241—244. Vgl. auch oben. Hei gel, Manifest
675; Rep. XI Rußland 133 B Bericht von Goltz 30. Juli/10. August;
V i v e n o t II 513, 541, 547; Ranke 47, 278. Die Angabe der Haug-
witzschen Memoiren scheint mir für Kaunitz durch die Urkunden bei
Vivenot widerlegt zu sein. Aber da sich Kaunitz in dieser Zeit in schärfster
Opposition zu seiner Regierung befand (vgl. unten), so wird man dem
kein zu großes Gewicht beilegen dürfen. — Die Billigung durch die deutschen
Kleinstaaten darf nicht zu dem Schluß verleiten, sie seien sehr kriegseifrig
gewesen; sie glaubten im Gegenteil an eine rasche Beendigung des Krieges
gerade durch das Manifest.
2 ) S b o r n i k XXIII 555 und 559—560.
3) ib. 479—485, 488, 493^94, 500—502, 508—511, 520—522, 526,
534—537, 539, 541, 543—546, 550—556, 560, 563—567, 570—571.
4) ib. 573—574; Sorel II 511.
5) G 1 a g a u in H.Z. 82 S. 467; vort. aber auch G 1 a g a u 365; F e r s e n
II 339—341 ff. ; F e u i 1 1 e t VI 244.
Manifeste 15 5
Tisch. Dessen Drohungen erregten zwar auch Furcht, aber vor
allem den nationalen Stolz und beschleunigten die Suspension
Ludwigs vielleicht noch um einige Zeit. Die Hauptsache war in
diesen Tagen den Franzosen doch die Frage, ob Lafayette in
Anklagezustand versetzt und Ludwig suspendiert werden sollte.
Nur in diesem Zusammenhange wirkte das Manifest. Seine Freunde
halfen Ludwig sein Grab graben, und er selbst gab ihnen unbewußt
die Anweisungen dazu1). Denn das Manifest schien (und wie
wir wohl jetzt sagen dürfen, mit Recht) einen neuen Beweis für
die hochverräterische Verbindung des Hofes mit den feindlichen
Mächten zu liefern, und die Versuche Ludwigs, sich als den Ver-
treter der Nation hinzustellen, scheiterten völlig2). Kurz nach
1 ) Häußerl 365—366; Ranke 205—206; S o r e 1 II 513; M o n-
trol 108—109; Brunetiere 108—109; Hei gel, Manifest 676 und
D.G. II 49; Ch.J.P. 150—156; Glagau 357 und 365—368; Lescure
II 612. Ich vermag dem Urteil Heigels also nicht zu folgen. Über den Brief
an Mallet (I 322 — 323) kann man doch nicht hinweg, und Limon konnte
seine Nachrichten nur aus Kreisen haben, die eine einschüchternde Wirkung
des Manifestes -wünschten (vgl. auch Vaissiere 430 — 431, 464, 470,
476, 498 — 499, 508). Auf sie kam es aber gar nicht an, und die Beweise
anderer Gesinnung für die Gegenpartei sind zu zahlreich, um weggedeutet
zu werden. Endlich, auch in dem Journal d'une bourgeoise findet sich
kein Hinweis auf das Manifest. Das Hemd ist diesen Leuten doch näher
als der Rock, d. h. die inneren Feinde fürchteten sie viel mehr als die noch
so weit entfernten und sich nur sehr langsam nähernden feindlichen Heere.
Vgl. eine ähnliche Entwicklung der Ansichten bei dem unbekannten Ver-
fasser der Briefe in Lescure II 571 ff. für 1792; nur ist die Anschauung
nicht so scharf ausgesprochen wie in der erstgenannten Quelle, wohl ab-
sichtlich. Der Verfasser scheint übrigens den ,.monarchiens " nahegestanden
zu haben. Vgl. auch Clapham 221. Immerhin schien mir die Frage
doch der Untersuchung wert zu sein (Schlosser V 345).
2) Feuillet VI 244—248; Ranke 209; Hei gel, Manifest 678
bis 680; V a t e 1, Vergniaud I 165: An seinen Bruder 31. Juli 1792 . . nous
vivons dans une agitation continuelle et extremement fatiguante pour la
sante. J'ai ete incommode quelques jours. II y a continuellement des
scenes au Palais-Royal ou ailleurs. La plus grande fermentation regne dans
les tetes, et nous ne savons trop oü olle s'arretera: nous entrons dans le mois
oü doivent, dit-on, se passer de grands evenemente, oü les armees ctrangere?
entreront sur notre territoire. Jamais les patriotes n'eurent besoin de
plus d'union de plus de courage. La conduite toujours equivoque du Roi
augmente nos dangers et preparera peut-etre s'il ne se prononce pas d'une
maniere deeidee quelque grande catastrophe: on assure qu'il vient aujourd-
hui ä l'assemblee. II a maintenant des efforts bien extraordinaires ä faire
pour preeipiter dans l'oubli toutes les fausses demarches qui ont irrite
contre lui parce qu'on les regarde comme autant de trahisons et qui oserait
af firmer qu'en effet nous ne sommes pas trahis? ..." Vgl. auch II 121 — 125.
156 II- Abschnitt
Verlesen seiner Botschaft an die Nationalversammlung brachte
Petion seinen Antrag auf Suspension des Königs ein, und acht
Tage darauf erzwangen sich die Sektionen der Pariser Vorstädte
die lange genug verweigerte Zustimmung der Nationalversamm-
lung. Die politische Notwendigkeit verband sich mit den vor-
wärts drängenden Tendenzen der Republikaner, um die älteste
Dynastie Europas vom Throne zu stoßen, bald darauf die Republik
zu erklären und endlich auch Ludwig den Kopf abzuschlagen1).
3. Kapitel
Kriegskostenentschädigung
I.
So schien nun endlich alles bereit zu sein, um den Plan der
Mächte — soweit man da von einer Einheit überhaupt reden
darf — zur Ausführung zu bringen. Es erscheint daher durchaus
natürlich, daß sie sich jetzt kurz vor Eintritt in den Krieg, den sie
so rasch und glücklich zu beendigen wähnten, endgültig darüber
einigen wollten, worin der Lohn für ihre Mühe bestehen sollte.
Die Zeit bis zur Beendigung des Feldzuges wollten sie zu den
diplomatischen Schritten und Verhandlungen benutzen, die zu
der Ausführung des Planes noch erforderlich waren. Denn wenn
Friedrich Wilhelm auch damals schon von der Teilung des Felles
eines Bären gesprochen hat, der noch nicht erlegt sei2), so bezog
er das doch nicht auf den Ausgang des Feldzuges, sondern auf
die unsicheren russischen Pläne in Polen. Man wird die Berech-
tigung der Verhandlungen auch damit nicht beseitigen können,
daß sie auf einer völlig falschen Voraussetzung beruhten. Schon
lange hatte man ja darüber verhandelt, aber die letzte Hand
sollte erst in Mainz ans Werk gelegt werden. Vergegenwärtigen
wir uns zunächst die Vorstadien dieses Planes mit besonderer
Berücksichtigung Preußens.
Österreich hatte unter Leopold eine Haltung eingenommen,
zufrieden, wenn es den Besitz behauptete und sich aus den überall
drohenden Gefahren glücklich herauszog. Das war ihm bei
1 ) Bacourt-Städtler III 372; S o r e 1 III 189; Max Leh-
mann, Freiherr vom Stein I 140 — 141.
2)HäußerI 359.
Kriegskostenentschädigung 157
auftauchenden Fragen über das Schicksal Polens und Frank-
reichs. Nicht als ob es hier nicht auch seine politischen Absichten
durchzuführen versucht hätte, aber sie gingen nicht so weit, den
Territorialbestand Österreichs zu erweitern1).
Gerade das aber war das Bestreben Preußens, und die Frage
der Kriegskostenentschädigung in der französischen Angelegenheit
ist aufs engste verknüpft mit den Eroberungsplänen der früheren
Jahre. Hertzbergs Plan in seinen verschiedenen Abwandlungen
war darauf gerichtet gewesen, den polnischen Besitz Preußens
zu erweitern, und wie fasziniert hatte er all sein Denken nur
daran gewandt, eine Möglichkeit zu finden, doch noch dies oder
jenes Trümmerstück aus seinen Plänen zu retten. Nach Reichen-
bach, nach seinem Sturze, wurde seine Politik insofern nicht
ganz aufgegeben, als die Lage ja beinahe dazu zwang, für Preußen
eine Abrundung seines Gebietes in Polen zu suchen. Aber das
war jetzt nur noch eine Sehne am Bogen, man spannte auch
andere ein, um eventuell andere Ziele erreichen zu können.
Ich habe oben näher ausgeführt, wie vielgestaltig sie im Winter
1790/91 wechseln. Es ist interessant zu beobachten, daß die
Wendung gegen Rußland jedesmal sofort den Plan einer Er-
werbung von Danzig und Thorn, wohl auch nur von Danzig allein
wieder auftauchen läßt2), ja daß man auch im Bunde mit Ruß-
land ihn schon durchzuführen gedachte, daß aber die Wendung
gegen Frankreich einen anderen, noch viel älteren Plan der Be-
herrscher von Brandenburg-Preußen auftauchen ließ, den der
Erwerbung von Jülich und Berg.
Man kann das für den September 1790 zum ersten Male, für
den Juli 1791 zum zweiten und für den Februar 1792 zum dritten
1 ) S y b e 1, Vorträge und Aufsätze 181 — 182 etc.
2) Als die Lage kritisch zu werden begann, regte übrigens Stanislaus
selbst die Abtretung Danzigs oder anderer polnischer Gebietsteile bei
Lucchesini an gegen Handelsvorteile für Polen. Er kam mehrfach darauf
zurück, auch in Verbindung mit dem Plane eines großen Bundes zwischen
Preußen, Polen und der Türkei (direkt erwähnt er dabei den Abtretungs-
gedanken nicht), den er nur durch den preußischen Vertreter in Kon-
stantinopel, Major von Knobelsdorff, gehemmt sein lassen wollte. Aber
Preußen verhielt sich jetzt ganz passiv, behauptete, keine Pläne zu haben,
wollte nur eventuelle Vorschläge der Polen bezw. der Türken entgegen-
nehmen und wiegelte eher ab, da es bei anderen Verbindungen mehr zu
gewinnen hoffte und sich vor allem noch nicht fesseln wollte. (Berichte
Lucchesinis 7. und 25. Januar, 4. und 8. Februar; an Lucchesini 16. Januar,
12. und 16. Februar, 2. März.)
158 II. Abschnitt
Male feststellen1). Ich will auf die Zahlen kein Gewicht legen,
bei genauerer und umfassenderer Kenntnis der preußischen Akten
ließe sich diese Reihe vielleicht noch vervollständigen. Die
Hauptsache ist nur die ursächliche Verbindung dieser Erwerbung
mit der Intervention in Frankreich2). Abgesehen davon, daß
damit die Uneigennützigkeit Friedrich Wilhelms, die der Pane-
gyriker Dampmartin vergeblich glaubhaft zu machen versucht3),
wegfällt, wird auch die Verbindung der zweiten Teilung Polens
mit der Intervention in Frankreich für den Anfang als nicht
bestehend gekennzeichnet4). Es findet sich in den Wintermonaten
1791/92 bis Mitte März nur ein Hinweis, der solch eine Ver-
bindung rechtfertigte, und der setzt auch nur die Teilung als
eine Möglichkeit neben die Erwerbung von Gebietsteilen, die in
letzter Linie Frankreich hergeben müßte5). Auch in den Kom-
binationen der Diplomaten spielt die Möglichkeit einer polnischen
Erwerbung für Preußen erst nach dem Scheitern des Feldzugs
eine bedeutendere Rolle6). Die polnische Frage näherte sich
zwar infolge des Verhaltens von Rußland mehr und mehr dem
kritischen Punkte, aber Klarheit war darüber aus demselben
Grunde noch nicht zu gewinnen. Preußen verhielt sich in diesen
Monaten Polen gegenüber durchaus passiv, was ich noch unten
auszuführen habe. Es wartet ab, um dann ein gewichtiges Wort
mitreden zu können. Aber als Störenfried will es nicht erscheinen,
um sein Spiel nicht von vornherein zu verderben.
Also nicht um in Polen zu erobern, ging Preußen in den franzö-
sischen Krieg, sondern um überhaupt zu erobern. Dabei hatte es
x) Heigel I 426; H.E.B. 163—165; Ranke 280—281.
2) Auch Gustav III. wußte schon am 6. Februar durch Carisien von
preußischen Länderwünschen, suchte sie aber von Frankreich ab und auf
Indien zu lenken, wodurch auch ein einheitliches Vorgehen von Preußen
und Österreich gehindert werde. (Minnen ur Sveriges nyare Historia.
Sambade af B. von Schinkel. Bihang utgifvit af S. J. Boethius, Upsala,
I 136—137; F e r s e n II 163; A k e s o n 184 und 205.) Goltz in Paris
bildete am 25. Mai 1790 freilich einen anderen Plan als seine Regierung.
Man sieht, wie hier noch alles im Fluß ist, und es scheint mir daher nicht
angemessen zu sein, hier schon von einer bestimmten Absicht, Frankreich
zu verstümmeln, zu sprechen. H ä u ß e r I 349; S o r e 1 II 72; Ch.J.P. 134.
3) Quelques traits 83.
4) Man so I 318—319; Sorel I 545, II 443; Kos er 463—464;
Ssolowjoff 279; S m i 1 1 I Vorbericht.
6) Massenbach I 267.
6) Carisien 102—103, 107 und 127; vgl. aber dazu H.E.B. 284
bis 285.
Kr iegskostenents chädigung 159
Jülich-Berg als nächstes Objekt ins Auge gefaßt1). Aber dies für
Preußen zu erwerben, war mit einigen Schwierigkeiten verknüpft.
Würde es der alte Besitzer, Bayern, ruhig preisgeben? Er mußte
jedenfalls eine gute Entschädigung erhalten. Preußen fand sie
in Teilen von Elsaß oder Lothringen, wo es mit der Abmessung
genauer Gleichheit wohl keine Schwierigkeiten gemacht haben
würde — ging es doch nicht auf seine Kosten. Wenn Preußen aber
etwas erhielt, dann mußte, das stand von vornherein fest, Öster-
reich auch etwas erhalten, womöglich genau ebensoviel; so wollte
es die Überlieferung des ancien regime2). Preußen schlug nun
den Österreichern die Wieder er ob erung ihrer früheren Rechte
und Besitzungen im Elsaß vor mit einem Zuschuß in Lothringen
womöglich und in einwandfreierer Form, als sie bis 1648 in seinem
Besitz gewesen und an Frankreich abgetreten worden waren.
Ebenso sollte es mit den dort geschädigten Reichsfürsten gemacht
werden. Alles das waren aber für Preußen nur Mittel, unr allen
Einwendungen gegen seinen eigenen Erwerbsplan von vornherein
den Boden zu entziehen. So äußerte es sich vom Januar an im
Laufe der Verhandlungen mit Österreich, allmählich aus seiner
Zurückhaltung heraustretend.
Freilich erscheint dabei diese Territorialerwerbung nur als
letztes Mittel, wenn die anderen versagen sollten. Als solches
figurierte vor allem der Ersatz der Kosten in Geld durch den
französischen König, wenn es zu Rüstungen und eventuell auch
zum Einschreiten in Frankreich käme. Jedesmal, wenn der Krieg
wieder als gesichert erscheint, macht Preußen erneut seine Ent-
schädigungsforderungen geltend3). Wenn nun aber die französi-
schen Finanzen eine Rückzahlung derselben nicht gestatteten,
war es dann nicht am einfachsten, die als Pfand besetzten fran-
zösischen Provinzen dauernd zu behalten? An Preußen sollte es
überhaupt nicht liegen, wenn der Geldersatz zur Ausführung kam.
Es schlug ihn bloß vor, um sich entgegenkommend zu zeigen
und Österreich allmählich in seine Bahnen zu ziehen. Aber es
1) So stellt sich die Sache auch in Bischoffwerders Instruktion dar,
zu dessen Aufgabe die polnische Frage direkt gar nicht gehört (Ranke
282). Nach der russischen Erklärung erwähnt Friedrich Wilhelm am 12. März
gegen seine Minister mit keinem Wort die französische Intervention und
Jülich-Berg. Nur von einer Schwächung Polens ist die Rede. Noch also
sind die polnische und die französische Frage nicht verbunden (S y b e 1 II
J2Q=:B421J. Vgl. unten. ' -.
2) Sorel I 41 und 449.
3) An Jacobi 5. April 1792.
160 II. Abschnitt
dauerte doch noch bis zum Juni — Juli, d. h. bis zu dem Zeit-
punkte, wo man mit Österreich über eine Territorialentschädigung
in der Hauptsache bereits einig zu sein glaubte, bis es die Unaus-
führbarkeit der Geldentschädigung offen zugab1). Nur wenn man
Territorialerwerbungen als das feststehende Ziel der preußischen
Politik betrachtet (mögen die Pläne im einzelnen noch so sehr
wechseln), kommt Zusammenhang in sie hinein2). Nur so er-
klärt, sich die Ablehnung aller defensiven Maßnahmen, das Drängen
. auf einen Offensivkrieg.
Gegenüber Ludwig XVI. war natürlich nur von Geld die Rede.
Ihm, d. h. Breteuil, konnte man immer noch früh genug sein
Schicksal mitteilen. Wenn Fersen daher von einer glücklichen
Abwendung preußischer Territorialforderungen zu berichten
wußte, so sind Carisien und Caraman seine Quellen gewesen; sie
aber schlössen nur auf preußische Gebietsforderungen oder
erfuhren indirekt davon, da allein Österreich bisher von Preußen
ins Geheimnis gezogen wurde. Jene Meldung besitzt daher keinen
großen Wert für die Erkenntnis der preußischen Politik3). Alle
Diplomaten wußten aber, daß Preußen auf einer Entschädigung
für seine Kosten bestand. Zur Begründung konnte es anführen,
daß es nicht noch einmal großmütig sein Geld für fremde Inter-
essen — als solche erschien damals allen die Intervention in
Frankreich — herzugeben im stände sei; seine Mittel seien bei-
nahe erschöpft. So suchte es, so gut es ging, seine wahren Ab-
sichten zu verhüllen. Denn so richtig die angeführte Tatsache
war, so wenig kann doch davon die Rede sein, daß es sich mit
Geld begnügen wollte. Nicht der finanzielle, sondern der politische
Gesichtspunkt ist hier wie auch später entscheidend gewesen. War-
um hätte es sich sonst überhaupt so eifrig in diese Frage gestürzt?
Bei Österreich bedurfte es der äußersten Vorsicht, solange
der alte Kaunitz hier die Zügel führte. Das stand auch ihm fest:
wenn Preußen etwas bekam, dann mußte auch Österreich etwas
erhalten, und zwar ganz genau ebensoviel4). Aber er wollte diesen
Fall womöglich überhaupt vermeiden. Er rechnete immer noch
mit einer Unterwerfung Frankreichs unter den Willen der Mächte
ohne kriegerisches Einschreiten und kannte außerdem die
1) Ssolowjoff 294; Rep. XI Rußland 133 B. An Goltz 9. Juli
mit Pro Memoria.
2) Sybel II 172—173.
3) Fersen II 163 und 182. Vgl. dazu das spätere Urteil von Carisien
in seinem zusammenfassenden Bericht S. 95 — 96.
4)VivenotI242 und 247, 262; Fersen II 3.
Kriegskostenentschädigung \Q\
traurige französische Finanzlage. Wenn er nun auch Mercy be-
auftragte, sich von Ludwig XVI. durch Breteuil nach preußischem
Muster eine schriftliche Zusicherung des Kostenersatzes geben zu
lassen1), so war das doch nur für den schlimmsten Fall, um nach-
her nicht allein der Dumme zu sein. Die Anregung dazu wollte
er jedenfalls seinem Bundesgenossen Preußen oder anderen
Mächten überlassen2). So erklärt sich der zornige Ausruf Leo-
polds: „Die Franzosen wollen den Krieg; sie sollen ihn haben,
aber die Kosten tragen!"3) Von Freude an der Erwerbung neuer
Provinzen ist hier wirklich nichts zu finden. Er hielt es ganz im
Einverständnis mit Kaunitz für richtiger, überhaupt darauf zu
verzichten4). Ich weiß nicht, ob sich Kaunitz dabei auch von dem
alles andere als preußenfreundlichen Gedanken leiten ließ, der
uns im Juli bei einigen Österreichern und Preußen begegnen wird,
Österreich habe so viel Schulden, daß es auf fünfzig Millionen
mehr nicht ankomme; die Vernichtung des preußischen Staats-
schatzes bedeute dagegen für Österreich ebensoviel wie die Er-
oberung einer Provinz. Mag das dahingestellt bleiben. Er selbst
begründete seine Haltung damit, daß es würdiger sei, auf die
Kosten überhaupt zu verzichten. Bischoffwerder vermochte ihn
im ganzen doch nicht von seiner passiven Haltung abzubringen.
Nur spärlich sind auch die Bemerkungen Jacobis aus dem April
darüber5). Man sieht, die Österreicher warfen ab und zu einen
Brocken hin, den Preußen begierig auffing, aber Ernst war es
ihnen damit noch nicht.
Ja selbst die französische Kriegserklärung Heß Kaunitz das
nur modifizieren0). Er7) formulierte am 4. Mai vier Fälle: der
1) Mercy hatte schon ein Jahr vorher darauf hingewiesen, daß die
Mächte nichts für nichts tun würden, und nur noch von Seiten Österreichs
uninteressierte Hilfe in Aussicht gestellt (Sorel II 183; H.E.B. 143 und
193; G lag au 313).
2) V i v e n o t I 235 und 242.
3) Sorel II 372.
4) H.E.B. 142.
5) Vgl. oben und Berichte Jacobis 12. und 18. April (H.E.B. 211—213).
6) Der Krieg ging ihm ja ganz wider den Strich, schon hier zeigte
sich ein wenig der Gegensatz zu Spielmann. Umsomehr drängte Kaunitz
natürlich auf entscheidende Schläge mit ganzer Kraft, um den Krieg
möglichst rasch zu beendigen. Die Hauptlast sollte dabei natürlich Preußen
tragen — bei völliger Gleichheit der Entschädigungen! (Berichte Jacobis
11. April und P.S. zum 2. Mai.)
7 ) Nach Jacobis Meldung hat Spielmann den Erlaß entworfen. Münd-
lich ging dieser jedenfalls mit der Sprache weiter heraus als Kaunitz, der
in der Tat mit dem Verfasser des Erlasses an Reuß zu identifizieren ist.
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 11
162 H- Abschnitt
erste war Verzicht überhaupt als Opfer an die gemeinsame Sache
aller Souveräne; der zweite, daß man sich mit der französischen
Versicherung der Rückzahlung begnüge; der dritte, daß man als
Pfand dafür Provinzen besetzt halte; der vierte endlich, daß man
sich territorialen Gewinn sichere. Aber die Schwierigkeiten des
letzteren erschienen ihm so groß, daß er an seiner Durchführung
fast verzweifelte1). Hier also war für Preußen nichts Rechtes zu
hoffen. Nur gezwungen ging er mit kleinen Schritten auf das
gefährliche Gebiet, auf dem er eine Übervorteilung Österreichs
durch Preußen befürchtete. In ihm waren jetzt mehr die Über-
lieferungen von Maria Theresias und Leopolds Regierungen als
von der Josephs lebendig; die defensiven überwogen die offensiven,
allerdings ohne irgendwelche moralische Bedenken2). Wo, so
fragte er sich wohl, sollte sich denn Österreich erweitern? Die
Niederlande waren an sich schon ein gefährlicher Besitz, und ihre
Erweiterung war nicht erwünscht. Im Elsaß hätte sich Öster-
reich eine neue gefährliche Stellung geschaffen. Den bayerischen
Tausch hielt er nicht für durchführbar, und auf Polens Kosten
Österreich zu vergrößern, ging durchaus gegen seinen Plan, dies
Reich soweit lebensfähig zu erhalten, daß es sich gegen Rußland
und Preußen wehren und seine eigene Ruhe sichern konnte.
Er sah überall nur Schwierigkeiten für Österreich auftauchen,
wenn man an dem status quo rüttelte. Ihn zu erhalten war daher
seine Hauptabsicht. Mag auch jetzt schon bei ihm das Bestreben,
Preußen vorangehen zu lassen, wichtiger geworden sein als die
Verhinderung der Entschädigungsaktion überhaupt, so sprach er
Ende Mai doch wieder nur von einem Ersatz der Kosten, des-
gleichen Anfang Juni, wo er auch eine Umwandlung der russischen
Truppenhilfe in Geldzahlungen befürwortete — deutliche Finger-
zeige für seine Auffassung des „Kostenersatzes"3).
Aber schon war, seit dem Tode Leopolds etwa, eine Bewegung
im Gange, die ihm die Verhandlungen hierüber und bald auch
die ganzen Geschäfte überhaupt aus der Hand nehmen sollte.
Ich habe schon erwähnt, daß der .Staatsreferendar Spielmann
vielfach eine Haltung einnahm, die von der Kaunitzschen weit
abwich. Er kam Preußen weiter entgegen, ohne jedoch nun
österreichische Interessen aufgeben zu wollen. Er verstand sie
x) Vivenot II 416 und 419; Rep. I 169 Berichte Jacobis vom
2. Mai (H.E.B. 213—214) und 3. Mai.
2) SorelI449.
3) V i v e n o t II 442 und 457.
Kriegskostenentschädigung 1(33
nur anders als sein Meister. Er ist es wahrscheinlich gewesen, der
in der Vorlage der Staatskanzlei am 12. Januar 1792 den Kon-
ferenzmitgliedern den Eintausch Bayerns gegen die Niederlande
als Ersatz für die Unkosten empfahl1), ein Plan, den Bischoff-
rerder schon im Februar 1791 wohl von sich aus empfohlen hatte.
Die Konferenz lehnte nun zwar am 17. Januar den Plan ab und
hielt es überhaupt für richtiger, daß Österreich keine derartigen
Vorschläge mache, um nur eventuell nachher auf solche, die man
i h m mache, einzugehen. Aber am 29. Februar wußte Bischoff-
werder doch nach seinem ersten Gespräch mit Spielmann vom
28. nachmittags zu berichten2), daß bei wirklich großzügiger Er-
ledigung der Geschäfte man hier den Tauschplan wieder auf-
nehmen werde. Auf bestimmtere Angaben hat sich Spielmann
zweifellos nicht eher einlassen wollen, als bis die französische
und die polnische Frage ihrer Entscheidung nähergerückt waren;
vielleicht wartete er auch noch auf genauere Vorschläge Preußens.
Unter Franz wurde die Bahn für ihn etwas freier. Als Preußen
sich die österreichische Auffassung der polnischen Verhältnisse
nicht aneignen wollte, sondern die Annahme der russischen Vor-
schläge predigte, da war es Spielmann, der sich bereit erklärte,
nun die Hand zu einem neuen Plan über Polen zu bieten3). Das
ließe sich allenfalls noch mit den Äußerungen von Kaunitz ver-
einen4). Aber am 21. März schlug Spielmann an Jacobi direkt
eine neue Teilung Polens vor. Preußen könne sich dabei vorzüg-
lich abrunden, Österreich allerdings nicht; deshalb müsse man
für dieses anderswo eine Abrundung suchen. Da bleibt wirklich
nichts anderes mehr übrig, als der Tausch der Niederlande gegen
Bayern5). Daß Rußland sich auch ein seinem Hunger entsprechen-
des Stück Polens nehmen würde, verstand sich für die öster-
reichisch-preußischen Staatsmänner so sehr von selbst, daß sie
darüber gar kein Wort mehr verloren. Von einer Verbindung
der Kriegskostenentschädigung mit der polnischen Teilung war
hier jedoch noch keine Rede. Wie verhaßt der Teilungsgedanke
Kaunitz war, ersieht man aus dessen Verhalten im Mai und Juni.
Preußen äußerte sich über diese neu auftauchende Möglichkeit,
sich mit Österreich über Polens Schicksal zu einigen, sehr erfreut,
*) Vivenot I 236; H.E.B. 143 und 150—152.
2) Hei gel I 506; Rep. I 172 Bericht vom 29. Februar 1792.
3) F.D.G. IV 411—412.
4) Vivenotl 293.
5) P.S. zum Bericht Jacobis vom 21. März und F.D.G. IV 412.
164 IL Abschnitt
betonte aber ausdrücklich, nicht aus Eroberungsabsichten habe
; es den ersten österreichischen Plan abgelehnt und dementierte
damals wie Ende April den Gedanken einer Teilung; ihm sei
nichts davon bekannt1), man dürfe nur Polen nicht zu mächtig
werden lassen. Das erste Wort aber wollte Preußen die russische
Kaiserin sprechen lassen. War diese weit genug vorgegangen,
um sich nicht mehr mit Ehren aus der Sache ziehen zu können,
so konnte Preußen, gestützt auf Österreich, seine Forderungen
stellen und sein eigenes Zugreifen als notgedrungen darstellen.
Aber schließlich zwang Rußlands Verhalten doch den Preußen
die Initiative auf, da die Österreicher hier ruhiger abwarten
konnten. So ruhig, wie es ihnen vorzugeben beliebte, waren sie
allerdings auch nicht.
Franz versprach am 27. März, eventuell einen geheimen
Unterhändler nach Berlin, speziell für die polnische Frage, zu
schicken2); von seinem Wirken ist jedoch nichts bekannt ge-
worden, weil er überhaupt nicht abgereist ist. Man fand auch
ohne das einen Weg zur Verständigung hinter dem Rücken von
Kaunitz. Der Gegensatz dieser neuen Richtung zu der des alten
Kanzlers machte sich auch manchmal schon recht heftig Luft.
Spielmann besonders, später aber auch Philipp Cobenzl, waren
mit ihm gar nicht mehr zufrieden3), weil er zäh an dem ein-
mal ergriffenen System, besonders gegenüber Polen und Frank-
reich, festhielt und sich wohl etwas abhandeln ließ, aber an eine
prinzipielle Änderung nicht dachte. Spielmann4), der ihm ja die
Noten dafür ausgearbeitet hatte, betrachtete diesen Weg nur als
einen von vielen, den man unter veränderten Umständen auch
mit einem anderen vertauschen könne. Man wird seine Politik
deshalb nicht einfach als verkehrt verwerfen dürfen5). Daß die
preußenfeindliche Partei in Österreich schließlich doch überwog
und Forderungen durchsetzte, die weder Spielmann noch Philipp
Cobenzl billigten und die sie nur gezwungen vertraten, wird man
ihnen nicht zum Vorwurf machen können. Die möglichste
Ausnützung des Bündnisses mit Preußen unter ehrlicher An-
i) Rep. I 172 an Bischoffwerder 24. März und 1. April; Rep. I 169
Berichte Jacobis 3., 18., 25., 28. April; an Jacobi 30. März und 30. April.
2) Bericht von Bischoffwerder 27. März; Rep. I 172.
3) Schütter 59—60 und 91— 92.
4) Ph. Cobenzl war fürs erste zu unselbständig, um besonders mit-
zuzählen.
6) S y b e 1 II 208.
Kriegskostenentschädigung 165
erkennung der Berechtigung gleicher preußischer Forderungen
— das vertraten sie im Sommer 1792.
Noch aber bedurften sie des Geheimnisses dafür vor Kaunitz.
In Berlin wußte man das zu würdigen. So wie Reuß im April
durch Spielmann auf Kaunitz und Franz zum endlichen Kriegs -
entschluß gedrückt hatte, so sollte es jetzt auch mit der Ent-
schädigungsfrage werden. Am 3. Mai hatte sich Spielmann gegen
Jacobi schon etwas entgegenkommender als Kaunitz über Er-
oberungen ausgesprochen. Zwar sprach auch er noch von dem
wunderlichen Plane eines großmütigen Verzichtes auf die Ent-
schädigung, den Preußen selbstverständlich sofort kräftig zurück-
wies. Aber er meinte doch, es werde leicht sein, sich über Er-
oberungen zu einigen1). Seine Ansichten über Polen waren in
Berlin schon bekannt. Sein Einfluß auf Franz endlich schien in
stetigem, raschem Steigen zu sein2). Es war also kein Wunder,
daß sich Schulenburg am 21. Mai durch Reuß gerade an ihn mit
einem Plane wandte, der für die folgenden Verhandlungen von
der größten Bedeutung geworden ist, so gering schließlich auch
das Ergebnis sein sollte. Er betraf die Verbindung der Kosten-
entschädigung für die Intervention in Frankreich mit der zweiten
polnischen Teilung3). Hier aber müssen wir einen Augenblick
innehalten, um uns das Verhältnis der Mächte zu Polen zu ver-
gegenwärtigen. Erst dann können wir die Bedeutung der öster-
reichisch-preußischen Vereinbarungen recht verstehen.
IL
A. Als Rußland im Jahre 1787 in den Türkenkrieg eintreten
mußte, begann bei den Polen die Absicht offener hervorzutreten,
die russische Herrschaft völlig abzuschütteln und dem Staate
seine frühere Kraft und Selbständigkeit wiederzugeben. Der
König trat an die Spitze der Bewegung, ohne auf seine alte Ver-
bindung mit Katharina, der er alles verdankte, zu achten, und
die bisher gewohnt war, in ihm nur ein Werkzeug für ihre Politik
zu erblicken1). Er vertrat jetzt nur die polnischen Interessen,
ohne die Fähigkeit zu haben, den Plan, ein selbständiges re-
1) Bericht Jacobis 3. Mai; an Jacobi 9. Mai.
2) H.E.B. 215—216 und 217 ff.; vgl. auch K e i t h, Memoirs II 515 ff.
3) Vgl. dazu die merkwürdige Anmerkung von Bain 339.
4) Smitt II 87 ff. und 486-487; Sbornik XXIII 577; Sso-
1 o w j o f f 9 ff., 44, 94, 228 ff.
166 n- Abschnitt
generiertes Polen zu schaffen, wirklich durchzuführen1). Preußen
schürte die Bewegung, um sich einen Bundesgenossen zu ge-
winnen. Es hoffte ferner, durch ein Tauschgeschäft in den Besitz
von mindestens Danzig und Thorn zu gelangen. Das Bündnis
mit Polen vom 29. März 1790, die Konvention von Reichenbach
vom 27. Juli 1790 und der Beschluß des polnischen Reichstages
vom 6. September 1790, die Integrität des polnischen Reichs-
gebietes zu wahren2), machten den preußischen Plänen, im
Bunde mit Polen sich auf dessen Kosten zu vergrößern, ein
Ende. Nur im Bunde mit Österreich oder besonders mit Ruß-
land konnte für Preußen noch von polnischen Erwerbungen die
Rede sein. Zwar veranlaßte im Frühling 1791 der drohende
Krieg mit Rußland Preußen, noch einmal in die alte Bahn der
Polenfreundschaft einzulenken3) und als erste Großmacht die
neue polnische Verfassung vom 3. Mai 1791 anzuerkennen4),
dem letzten verzweifelten Versuch der Polen, sich auf eigene
Füße zu stellen, als von einem Kriege Englands und Preußens
gegen Rußland nicht mehr die Rede sein konnte5); aber das war
nur noch eine Episode. Mit der Möglichkeit des russischen Krieges
(ja selbst der gegen Österreich war noch nicht als ganz aus-
geschlossen zu betrachten) verflog auch die Freundschaft für
Polen6). Schon am 1. August sprach sich Schulenburg gegenüber
dem Vertreter Englands, Ewart, dahin aus, daß Österreich ( !)
doch schließlich dem Drängen Rußlands werde nachgeben müssen,
daß also eine neue polnische Teilung unvermeidlich sei, und daß sich
Preußen dann dem Vorgehen dieser Mächte anschließen müsse7).
x) Vgl. dazu die einseitigen Bemerkungen Oginskis passim. Bei den
Polen lag also die Offensive (L e 1 e v e 1 II 152 — 153). Die russische
Offensive des Jahres 1792 erscheint demnach nur als eine um 4 Jahre ver-
zögerte Defensive.
2) Smitt II 226; Sorel II 154—155.
3) Dembinski I 441, 448—449; Heigel I 385 ff.
4) Für ihre Entstehung ist es jedoch nicht verantwortlich zu machen,
wie Österreich zuerst glaubte, da sie auf die Dauer den preußischen In-
teressen nur schädlich sein konnte. Vgl. außer den Schriften von E. Herr-
mann und Sybel Dembinski I 451 — 453; Carisien 103 ff.; Le-
level II 144—147.
5) S m i 1 1 II 336 ff. ; S s o 1 o w j o f f 245 ff. ; O g i n s k i I 156—160.
6) Heigel I 570; H.E.B. 244—245. An Lucchesini 15. Juni 1792.
Vgl. Smitt II 360—361 und Sybel II 180—181; Lelevel II 147
und 150—152 und 162; Salomon, Teilung 64 ff. und S a 1 o m o n,
Pitt I, 2, 527—528.
7) H.A. 87; H.E.B. 72.
Kriegskostenentschädigung 167
Seit dem August hatte daher auch der preußische Gesandte
in Warschau, Marquis Lucchesini, beständig die Aufgabe, den
Polen zu erklären, Preußen habe zwar nichts gegen die neue
Verfassung sagen wollen; zu einer Unterstützung derselben sei
es aber nicht verpflichtet, da sein Bündnis zeitlich der Revo-
lution vom 3. Mai vorangehe und es dieselbe als eine rein innere
polnische Angelegenheit betrachte. Dabei kam ihm das Vor-
gehen der Russen sehr zu statten, das sich zunächst nur gegen die
neue Verfassung richtete und als Unterstützung der polnischen
Gegenkonföderation von Targowice ausgab. Diese preußische
Erklärung wurde nun möglichst oft wiederholt, schon mit Rück-
sicht auf Rußland, bei dem man damit einen guten Eindruck
zu machen hoffte1). Damit war das Bündnis von 1790 tatsäch-
lich aufgehoben, und es ist zwecklos, darüber zu streiten, ob
Preußen sich daran noch für gebunden erachtete2). Jetzt begann
die Isolierung Polens, man kann auch sagen, seine Einkreisung.
Sie veranlaßte Lucchesini im Januar 1792, eine Herstellung der
alten russischen Herrschaft in Polen zu erwarten, und zwar noch
im Laufe dieses Jahres, wenn Österreich und Preußen ruhig zu-
sähen3) und wenn Sachsen die Krone ablehnte. Da er nicht an
ein militärisches Einschreiten der Russen glaubte, so legte er
diesem Umstände zu große Bedeutung bei. Als er nun gar von
der Unterstützung Sachsens durch Österreich hörte und allerlei
Anzeichen ihm anzudeuten schienen, daß Katharina sich mit der
neuen Verfassung lieber abfinden als sie mit den Waffen um-
stürzen wolle, da hielt er ihre Existenz für ziemlich gesichert;
allein sei die polnische ihr feindliche Partei zu schwach dazu.
Lucchesini beging hier den Fehler, Schritte als Zeichen selbst-
bewußter Stärke zu betrachten, die man jetzt nur als solche der
Verzweiflung deutet4). Angeblich in dem Augenblicke seiner
fröhlichsten Wiedergeburt fiel es der Wortbrüchigkeit und der
Habgier Preußens und Rußlands und der Feigheit seines Königs
zürn Opfer. Aber es wird doch dabei bleiben müssen, daß" die
neue Verfassung in Polen nur sehr geteilte Freude erregte und
daß es an der Kraft, ja an dem Willen zu ihrer Durchführung
^ /.
1) Rep. XI Rußland 133 A an Goltz 1. März 1792.
2) S y b e 1 II 189—190; H e i g e 1 I 571.
3) Bericht Lucchesinis 4. Januar 1792 RS.
4) Berichte Lucchesinis 1., 10. Februar, 11. März, 14. März, 17. April
mit Beilage, 18. und 21. April, 12. und 16. Mai; an Lucchesini 19. Februar
und 25. Januar.
'*
168 H- Abschnitt
fehlte, so daß der russische Einmarsch in der Tat beinahe ein
militärischer Spaziergang war. Gerade diese eigene Unfähigkeit,
sich politisch zu regenerieren, wie wir das Gegenteil davon in
Frankreich finden, scheint mir doch der vornehmste Grund für
Polens Zerfall zu sein1).
Jener Schritt ist den Preußen damals sehr verargt worden
und wird es auch heute noch2). In der Tat, Preußen verließ Polen,
als dies von ihm die Erfüllung der Bundespflichten forderte. Ein
bundesmäßiges Verhalten war das nicht. Aber nicht jener Schritt
selbst, sondern höchstens das Bündnis mit Polen war ein Fehler,
da man sich damit zu etwas verpflichtete, was man auf die Dauer
doch nicht halten konnte und wollte. Nur gerade die Möglich-
keit eines Krieges gegen Rußland konnte Preußen von seiner
traditionellen Stellung gegenüber Polen abbringen, die sich jetzt
wieder sofort in aller Schärfe zeigt. Wir erkennen hier recht
deutlich, daß sie von der allgemeinen Konstellation beherrscht
wird. Denn Preußen sah bereits am Horizonte eine Wolke auf-
tauchen, die ihren Inhalt bald in der Gestalt von drei russischen
Heeren über Polen hereinbrechen lassen sollte. Der Abschluß
des russisch - türkischen Präliminarfriedens zu Galatz am
11. August 1791, des endgültigen zu Jassy am 9. Januar des
folgenden Jahres machte Katharina die Hände frei, um die
Polen für ihr Verhalten in den letzten Jahren zu züchtigen. Sie
hatte nie die neue polnische Verfassung anerkannt3). Seit dem
August 1791 hatte sie die französische Frage für kurze Zeit in
den Vordergrund gerückt, um damit die Aufmerksamkeit der
Mächte von ihren polnischen Plänen abzulenken4); denn in-
1) Carisien 106 — 107 ; Christoph Girtanner, Politische
Annalen, 1793, Bd. I 25; R a u m e r, Polens Untergang 93—105, 123, 141
und 71 ; S m i 1 1 II 165—168, 264—265; X. L i s k e in H.Z. 30, 303—304;
B a i n 331 und 338 (er weist durch seine eigene Erzählung seine These zurück).
2) Lelevel II 152 und 154—155; S o r e 1 II 68—69; Segur I
240 — 241 ; B a i n 338; Brandenburger (Sammlung Göschen),
Polnische Geschichte 169.
3) Sbornik XXIII 534—535.
*) Wassiltchikow II, 4, 152 fE. und 155—158; H.E.B. 113,
115 — 127. Die Briefe Markows an Rasumowski sind sicherlich offiziös
gefärbt. Es bleibt nur noch die Frage, ob Markow selbst die wahre Ab-
sicht Katharinas gekannt hat. Bei seinen nahen Beziehungen zu Subow
und da er beständig als das Arbeitstier der russischen Kanzlei hervortritt,
glaube ich für ihn die genaue Kenntnis der Lage in Anspruch nehmen zu
dürfen. Bald konnte er auch diese Maske Rasumowski gegenüber als unnötig
abwerfen (vgl. Wassiltchikow II, 4, 158 — 159, dagegen II, 1, 134).
Kriegskostenentschädigung j QQ
tischen rüstete sie sich, den lange ersehnten Augenblick der
lache zu benützen1). Der Plan dazu war von ihr schon im Mai
L791 an Potemkin gesandt worden, als von einer Intervention
Frankreich noch gar keine Rede war2). Zwar er, dem sie die
Lusführung zugedacht hatte, war kurz vorher in der Steppe
zwischen Jassy und Nikolajew gestorben3), aber das änderte an
dem Plane nichts. Immer mehr polnische Emigranten, an ihrer
Spitze Graf Felix Potocki, kamen nach Jassy, wo Besborodko,
der Nachfolger Potemkins bei den Friedensverhandlungen, mit
ihnen den Plan einer Gegenkonföderation feststellte, doch ohne
daß Lucchesini und nach ihm das preußische Kabinettsministerium
an aktive russische Unterstützung glaubten4).
Preußen hielt sich für alle Fälle bereit, um auch seinerseits
ein Stück von der Beute ins trockene zu bringen, dessen es zur
Abrundung und Verbindung seiner zersplitterten Landesteile
1) Odhnerin Svenska Akademiens Handlingar ifrän är 1886. Nionde
Delen. Stockholm 1895, S. 193 und 200—206; Akeson 206 und 251;
Boethius in Historisk Tidskrift utgifna af Svenska Historiska före-
ningen genom E. Hildebrand, Stockholm 1888, S. 112 und 123.
2) X. L i s k e in HZ. 30, 281 ff. und 39, 230 ff. ; S m i 1 1 II 358—359;
Ssolowj off 256 ff. ; Salomon, Teilung 67. Soviel ich sehe , war
nur ein bedeutenderer russischer Diplomat nicht mit dem russischen Vor-
gehen gegen Polen einverstanden: Woronzow in London. Er war doch
schon zu lange der Heimat fern, um noch das richtige Augenmaß für die
Aufgaben der russischen Politik auf dem Kontinent zu haben. Dazu aber
kam als besonders wichtiges Moment sein Haß gegen Preußen, der ihn
überall dessen Umtriebe gegen Rußland wittern und den Vorteil für Ruß-
land bei einer Teilung Polens ganz übersehen ließ. Polen war in seinen
Augen ja schon eine Domäne Rußlands, jedes von Preußen erworbene Stück
also eine direkte Schädigung seines Staates. Diese Anschauung berührt
sich vielfach mit derjenigen von Smitt und von Ssolowjoff, aber auch
mit der der russischen Staatsmänner in den späteren Jahren. Diesen galt
die Teilung auch nur als notwendiges Übel, das man später unter gün-
stigeren Umständen weder werde gutmachen können, indem man den
Preußen ihre polnischen Erwerbungen wieder abnahm. Endlich hat sich
Woronzow noch von der englischen Begeisterung für Humanität an-
stecken lassen. Er sah dabei gar nicht, daß Englands politische Inter-
essen in diesem wie in den früheren Jahren, wo es sich um Oczakow
handelte , nicht stark genug bedroht wurden , daß ein Krieg nötig
gewesen wäre, der doch nicht die Zustimmung der Nation gefunden hätte
(Worontzow IX 193, 195—200, 202, 214—215, 231—232, 239—245,
249, 252—254, 261—264, 283—294, 302—303).
3) S m i 1 1 II 41—42: 5./16. Oktober 1791; vgl. auch Worontzow
VIII 37-^5, 53.
4) W a s s i 1 1 c h i k o w II, 1, 133. Bericht Lucchesinis 14. Januar,
an Lucchesini 23. Januar.
170
II. Abschnitt
7
so dringend bedurfte1). Man hat deshalb in ihm den Urheber
der zweiten polnischen Teilung sehen wollen, und insofern mit
Recht, als eine Teilung im russischen Interesse nicht lag.
Katharina hätte sie gern vermieden. Daher zügelte sie das allzu-
stürmische Vorgehen ihres neuen Gesandten Rasumowski in
Wien — Galitzin wurde ja seit dessen Ankunft immer bedeutungs-
loser — der Jacobi gar zu entgegenkommende Versprechungen
machte2). Sie hätte herzlich gern ganz Polen ihrem Reiche
eingefügt, wenn auch nicht gleich in der Form der einfachen
Annexion — eine entsprechende Ansicht den Preußen zuzu-
muten, haben selbst die begeistertsten Russen nicht gewagt —
aber sie erkannte, daß das nicht möglich sein werde. Sie zer-
brach sich zwar den Kopf, wie sie die deutschen Mächte an anderer
Stelle beschäftigen könne3); der Krieg gegen Frankreich kam ihr
deshalb besonders gelegen. Aber sie maß diesen diplomatischen
Künsten doch mit Recht keine besondere Bedeutung bei. Preußen
und Österreich erkannten ja auch nur zu gut, wo für Katharina
die Entscheidung lag, und ließen sich keinen Augenblick von
diesem Manöver blenden, zumal die russische Tätigkeit bei dem
eingereichten Konzertplan ebenso fehlte wie bei dem bald folgen-
den spanischen4). Katharinas Eingreifen in Polen ist von der
Verwicklung in Frankreich ganz unabhängig, ebenso wie von den
Wünschen ihres neuen Günstlings Subow5). Der Krieg ermög-
lichte ihr nur, den Mächten ungünstigere Bedingungen zu stellen.
Sie also ist der eigentlich treibende Teil gewesen, und es mutet
1) Heigel I 573; Schlosser V 227.
2) Sybel III 193 (offiziöse Quelle); Sorel II 495-496; Was-
siltchikow II 1, 138—139.
3) Chrapowicky, Dnewnik (Moskau 1901, leider russisch) S. 226
zum 14. Dezember 1791. Viel zitiert, z. B. Smitt, Suworow II 359;
S o r e 1 II 376.
4) Vivenotl 246— 247 und 262; Rep. XI Rußland 133 A. Ostermann
anAlopeus 25. Dezember 1791/5. Januar 1792. Finc kenstein 17. Januar.
Alvensleben 17. Januar: La Russie n'est pour rien dans tout cela, et si
jamais circonstance peut venir ä l'appui de Pidee de vouloir detourner
l'attention de PAutriche, mais particulierement de la Prusse de ce qui
se fait en Pologne, c'est bien cette note. Dazu Berichte von Goltz 3./14. Fe-
bruar 1792 u. 30. Dezember 1791/10. Januar 1792. (Vgl. auch Sorels zuge-
spitzte These [la question d' Orient, Avant-Propos II] : La Russie fut, des trois
[cours], la plus ardente ä precher cette croisade [gegen die Revolution],
la Prusse la plus pressee de l'entreprendre, PAutriche la plus perseverante
ä la soutenir.)
6) Sorel II 459.
Kriegskostenentschädigung 171
um den Nachweis bemühen, Katharina habe Polen vor der
preußischen Habgier schützen müssen, habe in Polen nur die Ord-
nung herstellen wollen und sei lediglich durch die preußischen
Forderungen veranlaßt worden, nun auch seinerseits ein Stück
zu nehmen2).
Auf Preußen fällt bei der russischen Darstellung die ganze
Last, da Österreich ja eine ganz andere Stellung zur polnischen
Revolution eingenommen hatte. Nach einigen Tagen des Schwan-
kens hatte es den neuen Zustand als zu Recht bestehend aner-
kannt. Sein größtes Bemühen wurde es nun, die Hilfe der Nach-
barmächte zu demselben Ziele zu gewinnen, der Errichtung eines
x) Smitt I Vorbericht, II 156—157, 163, 198—199, 384, 478;
Ssolowjoff 6 — 7, 25, 149 — 151 etc. ; Märtens, Traites - Russie
VI 160 — 161. Vgl. auch die Kritik E. Herrmanns von Ssolowjoffs Buch
in Göttingische Gelehrte Anzeigen 1866 S. 481 — 499 (28. März).
2) Sie scheint algo gleich mit dem Plane einer Teilung an die Re-
gelung der polnischen Verhältnisse herangegangen zu sein, und es scheint
mir wohl möglich, daß sie zuerst den Gedanken einer Verbindung der pol-
nischen und der französischen Frage gehabt hat, derart, daß Preußen sich
für die Kriegskosten an polnischem Gebiet schadlos halten sollte. Es war
ihr lange bekannt, daß Preußen ohne Entschädigung an eine Intervention
nicht denke, und ihr späteres Verhalten bewegt sich ganz in dieser Richtung.
Was sie früher nur als möglich angenommen hatte, war jetzt zur Tatsache
geworden. Sie fand sich, ohne viel Schwierigkeiten zu machen, damit ab.
Darnach muß uns jetzt die preußische Zurückhaltung als übertriebene
Vorsicht erscheinen. Wenn sie natürlich auch nichts tat, um die Teilung
herbeizuführen, ja sich gefreut hätte, wenn sie sie hätte vermeiden können,
und wenn sie Avirklich im Sommer zeitweise wieder an diese Möglichkeit
gedacht haben sollte, so möchte ich doch auf eine so vorübergehende Er- 1 *
scheinung kein großes Gewicht legen (vgl. Sorel II 502 — 503; vgl. auch
unten). Die Hauptsache war ihr nur, daß nicht sie sich zuerst erklärte,
sondern die Mächte, und daß sie mit diesen am besten einzeln verhan-
delte. Dabei mußten sich für Rußland größere, für seine Genossen kleinere
Vorteile ergeben. Vgl. den bekannten Bericht von Goltz vom 3. Februar
und den vom 20. Februar/2. März, wonach Markow zu Goltz sagte: . . . il
s'agit simplement de connaitre les volontes; car le reste est trop facüe pour
meriter de longues discussions. Bei dieser Lage der Dinge ist es dann
ziemlich gleichgültig, ob man die preußische Politik tadeln zu müssen
glaubt (H e i g e 1 I 573). Genug, wenn die Momente festgestellt sind,
die sie in diese bestimmte Bahn trieben, ohne daß spätere Ereignisse das
Urteil beeinflußten, und wenn der Gegensatz zwischen der alten Auffassung
und der neuen, die sich im Westen durchzusetzen begann, deutlich zu
Tage tritt. Vgl. das knappe Urteil Sorels (la question d' Orient) I: Les
ambitions de la Prusse et de la Russie ne se contrairaient point, ces deux
Etats s'allierent, et durant plus d'un siecle ils demeurerent presque con-
stamment allies.
172 II. Abschnitt
polnischen Mittelstaates, der nach innen zur Erhaltung der Ord-
nung gerade stark genug, zur Entfaltung expansiver Tendenzen,
also zur Bedrohung der Ruhe der Nachbarstaaten, die ja alle drei
Stücke von Polen hatten und ihren Verlust mehr oder weniger
hätten beklagen müssen, zu schwach war. Kaunitz und Leopold
vertraten damit den Hertzbergschen ähnliche Gedanken. Nur
waren sie völlig von dem Wunsche einer Erwerbung frei, der
dessen Pläne so unliebsam hatte durchkreuzen helfen1). Es ist
kein Zufall, daß beide Pläne gescheitert sind. Immer von neuem
erfolgte der Ansturm auf Rußland, in dem Österreich ja mit
Recht den Hauptfeind der neuen Verfassung sah, aber dieses
hüllte sich bis zum Februar 1792 in ein beredtes Schweigen.
Auch bei Preußen versuchte es noch in dem letzten Augenblick
seinen Plan endgültig durchzusetzen2). Aber der Vertrag vom
7. Februar garantierte den Polen ausdrücklich nur die Erhaltung
einer freien Verfassung. Damit war der Interpretation das
Feld freigegeben. So viel stand schon jetzt fest, daß sich Preußen
einer Konsolidation Polens im Sinne Österreichs, die den preußi-
schen Annexionsbestrebungen einen festen Riegel vorgeschoben
hätte, eher widersetzen als passiv bleiben werde. Nur versteckte
es sich zunächst noch hinter Rußland, dessen Erklärung man
noch abwarten müsse. Das war deutlich genug3). Selbst der
Nächstbeteiligte, der Kurfürst von Sachsen, ließ sich aus seiner
Zurückhaltung nicht herauslocken. Er wollte erst annehmen,
wenn er der Zustimmung der drei Nachbarmächte sicher sei
und wenn die Polen die Verfassung in einigen Punkten nach
seinen Wünschen abgeändert hätten. Man wird doch wohl
nicht anders können als die Berechtigung dieses Verhaltens aner-
kennen4).
So war tatsächlich der österreichische Plan gescheitert, noch
ehe Rußland ein Wort gesprochen hatte. Seine drohende Haltung
allein hatte genügt, die Österreicher zu isolieren. Ob es daher
1 ) W i 1 1 i c h e n, Polnische Politik 3, 45, 67—70.
2)VivenotI 208—209, 221, 247, 250, 290, 293, 311—314.
3) H.E.B. 245; Ranke 282—284; Rep. I 169. An Jacobi 8. März:
. . . Mais je ne m'opposerai pas non plus ä son etablissement (neue polnische
Verfassung), si eile peut se consolider d'elle-meme; mais c'est en verite
tout ce que l'interet majeur de mes etats me permet de faire, car je ne
dissimule point que cette Constitution et la succession hereditaire du
throne qui en fait partie conviennent peu aux vrais interets des voisins de
la Pologne.
4) C a r i s i e n 103—104.
Kriegskostenentschädigung
173
jeopold bei längerem Leben gelungen wäre, Polens Schicksal
günstiger zu gestalten, muß doch sehr in Frage gezogen werden1).
Tetzt aber war ein Teil der russischen Truppen schon auf dem
[arsch, um in Polen einzurücken. Die Zeit war gekommen, die
[aske fallen zu lassen. Sollte aber Rußland dabei die deutschen
[ächte mit gleicher Vertraulichkeit behandeln? Die Frage war
nicht schwer zu beantworten. Zwar mit Österreich war Rußland
loch verbündet, aber Leopolds Politik hatte darein Bresche
gelegt. Reichenbach, Sistowa und namentlich das Vorgehen in
Polen hatten das Bündnis gesprengt. Mit bitterem Groll, dessen
Berechtigung man nur für den letzten Punkt wird anerkennen
können, stand Rußland den Österreichern gegenüber. Von
Preußen dagegen war ein ernstlicher Widerstand in dieser Rich-
tung nicht zu besorgen; sein Verhalten in der zweiten Hälfte des
verflossenen Jahres hatte jeden Zweifel darüber benommen ;. nur
die Polen wollten nicht klug werden. Mit Preußen zusammen,
womöglich unter Ausschluß von Österreich, die polnischen Ver-
hältnisse zu ordnen, ist das Prinzip, nach dem wir von nun an
Rußland handeln sehen.
Goltz wußte daher schon Mitte Dezember 1791 von einer
leisen Besserung in dem Verhalten Rußlands gegen Preußen zu
berichten2). Bald darauf sprach Ostermann in vertraulichem,
ja herzlichem Tone mit ihm. Die Kaiserin redete ihn seit langer
Zeit zum ersten Male an, der Großfürst kannte ihn wieder. Goltz
war nun freilich nicht der Mann, die wachsende russische Ver-
traulichkeit politisch zu verwerten. Dazu war er viel zu vor-
sichtig, ja ängstlich. Er glaubte auch, nicht er, sondern Alopeus
werde die Verhandlungen mit Preußen zu führen haben3). Immer
witterte er noch eine Falle und ließ deshalb wohl manche günstige
Gelegenheit vorübergehen4). Wenn Katharina gegen Österreich
einen gereizten Ton anschlage, so brauche sie, meinte Goltz, gegen
Preußen doch noch nicht aufrichtig zu sein5). Mit Österreich zu
x) Oginski I 170; Schlosser V 226; Hei gel I 571.
2 ) Rep. XI 133 A. Bericht 5./16. Dezember 1791. Dazu für das Folgende :
Berichte 16./27. Dezember 1791, 30. Dezember 1791/10. Januar 1792,
./13. Januar, 9./20. Januar, 30. Januar/10. Februar, 13./24. Februar. An
Goltz 25. Januar 1792.
3) Bericht 19./30. Dezember 1791, 18./29. Februar 1792, 9./20. März,
März/10. April 1792. Das traf nur zum kleineren Teile zu.
4) Manchmal war auch die Zurückhaltung des Kabinettsministeriums
daran schuld (Bericht 23. März/3. April).
5) Bericht 19./30. Dezember 1791. An Goltz 19. Januar 1792.
174 II. Abschnitt
brechen, habe sie auch nicht die Absicht. Wir begreifen, daß
ihm in dieser Lage sehr viel daran liegen mußte, zu erfahren, ob
das weitverbreitete Gerücht von einer sehr weitgehenden Allianz
zwischen Österreich und Preußen auf Wahrheit beruhe. Das
Ministerium schwächte das geflissentlich ab, es handle sich nur
um den endgültigen Abschluß des durch die Wiener Konvention
eingeleiteten Vertrages. Es wollte die beginnende Erwärmung
zwischen Rußland und Preußen nicht im Keime ersticken durch
allzustarke Betonung der Verbindung mit Österreich1). Deshalb
beruhigte es auch sofort Goltz, der in Sorge darüber war, daß
ein zu guter Empfang Segurs dem Verhältnis zu Rußland schaden
könne. Preußen hatten ihn schon aus anderen Gründen mehr als
kühl behandelt2). Nach Österreich mußte es ebenso wieder die
Annäherung an Rußland als nebensächlich und als nicht von
Preußen ausgehend bezeichnen. Denn sofort bei den ersten An-
zeichen gaben die Österreicher Mißtrauen zu erkennen3). Das
und die Erwerbung von Ansbach - Bayreuth durch Preußen
veranlaßte scheinbar die Russen, in ihren Freundschafts-
versicherungen gegen Preußen wieder zurückhaltender zu
werden4).
In dieser Zeit entsprach das vorsichtige Verhalten von Goltz
ganz den Wünschen seiner vorgesetzten Behörde. Sie hatte ihn
zwar angewiesen, besonders in der polnischen Frage den Russen
mehr Vertrauen als bisher zu erweisen, aber sie fürchtete, sich
mit Rußland zu kompromittieren, wenn sie zu große Eile zeigte,
auf seine Wünsche einzugehen oder gar selbst welche zu äußern.
Die Russen hätten damit Material in die Hand bekommen, um
Preußen bei den Polen zu verdächtigen und selbst — ganz im
Sinne von Smitt und Ssolowjoff — nur den großherzigen Be-
schützer des Landes zu spielen, das sich ihnen ganz in die Arme
geworfen hätte5). Außerdem wußte man in Preußen noch nicht,
was Rußland eigentlich wolle. Eine Teilung brauchte es durchaus
nicht zu sein. Rußland hatte es früher verstanden, durch rein
diplomatische Mittel Polen gänzlich seiner Führung zu unter-
werfen. Das starke Eintreten Katharinas für die Sache aller
1) An Goltz 25. Januar 1792.
2) Bericht 6./17. Januar und Erlaß 2. Februar 1792.
3) An Goltz 5. Februar.
*) Bericht 10./21. Februar. An Goltz 8. März.
5) Häußerl 354. An Goltz 22. April. An Haugwitz 13. Juni. Rep.
96, 147 G. II, S. Au Roi 30. Juni.
Kriegskostenentschädigung 175
Souveräne, ihr Zorn über das laue Verhalten Leopolds1), der nur
gezwungen überhaupt so viel tue, ihre Verhandlungen mit Spanien
und Schweden über eine Aktion im Frühjahr, eventuell auch ohne
len Kaiser, zu Gunsten der Emigranten, legten dem preußischen
resandten in Petersburg ebenso wie dem in Warschau (vgl. oben)
len Gedanken nahe, Katharina werde gleichzeitig in Polen nicht
einschreiten2). Wurde die alte Verfassung wieder hergestellt,
ie herrschende Partei verdrängt und, soweit nötig, aus dem
jande vertrieben, so konnten sich Zustände erneuern wie die,
wo der russische Gesandte, man denke an Repnin, der ausschlag-
gebende Mann in Warschau gewesen war und der König sich
um seine Gunst hatte bemühen müssen. Ausgeschlossen schien
es nicht, daß Rußland sich unter solchen Bedingungen mit Polen
vertragen könne, obwohl es am lautesten die Trommel gerührt
habe3). Es schien auch möglich, daß Rußland allein durch seine
Stellung Gewehr bei Fuß und durch kalte Antworten den Kur-
fürsten von Sachsen zur Ablehnung der polnischen Krone veran-
lassen und mit diesem im ganzen nur abwartenden Verhalten
das ganze Gebäude zu Fall bringen würde4), ohne einen Schuß
zu tun. In der Gewährung von Handelsvorteilen hatte es auch
ein gutes Mittel, sich die Konnivenz der Polen zu sichern, die
dann umsomehr über das preußische Verhalten empört sein
mußten, wenn dabei auch keine direkte Konkurrenz für den
durch Preußen gehenden Handel zu befürchten war. Unter den
polnischen Russenfreunden gab es eine starke preußenfeindliche
Partei, die sich dieser wie jeder anderen Waffe gern bedient
hättet).
Militärische Maßregeln der Russen waren noch nicht bekannt
geworden — begreiflich, da der Friede mit der Türkei erst im
Januar geschlossen wurde. Als Preußen doch etwas davon hörte,
da glaubte es oder wollte es zunächst glauben, es sei lediglich
auf eine Demonstration an den Grenzen abgesehen, verbunden
mit Bestechungen zu Gunsten von Gegenkonföderationen oder
auf ein längeres Verweilen russischer Truppen auf polnischem
x) Berichte 16./27. Dezember 1791, 23. Dezember 1791/3. Januar 1792,
26. Dezember 1791/6. Januar 1792. «An Goltz 15., 19., 22. Januar 1792.
2) Häußerl 355.
3) Bericht Goltz 3./14. Februar 1792.
4) Berichte Lucchesinis 7., 14. Januar, 29. Februar, 3. März. An
Lucchesini 16. und 22. Januar.
6) Berichte Lucchesinis 18. und 25. Januar, 9. Mai. An Lucchesini
25. Januar.
176 H- Abschnitt
Boden, den sie aus der Moldau kommend passieren mußten1), zumal
die Russen es natürlich an einem offiziellen Dementi der Nachricht,
sie wollten in Polen einmarschieren, anfangs nicht fehlen ließen2).
Rußland hatte im Winter 1791/92 auch sich ruhig die Diä-
tinen, die zunächst die Richter nach dem neuen Gesetz neu
zu wählen hatten3), versammeln und ihre überwältigende Mehr-
heit sich zu Gunsten der neuen Verfassung aussprechen lassen4).
Nicht einmal Bestechungsversuche waren an Abgeordneten ge-
macht worden5). All das bestimmte sowohl Lucchesini und Goltz
wie das preußische Kabinettsministerium, an ein militärisches
Eingreifen der Russen in Polen noch nicht zu glauben und eine
Demonstration frühestens bei der Räumung der Moldau zu er-
warten6). Man wird dieser Ansicht eine gewisse Berechtigung
nicht absprechen dürfen. Preußens Tätigkeit richtete sich ferner
auch augenblicklich nach einer anderen Seite. Die österreichischen
Absichten über Polen waren so weit von den preußischen ver-
schieden, daß ein einheitliches Vorgehen beider Mächte in der
polnischen Frage als ausgeschlossen erschien, und doch war
Preußen durch den Vertrag im allgemeinen an Österreich ge-
bunden. Preußen hielt sich deshalb zurück, wollte weitgehende
russische Erklärungen abwarten'). Goltz sollte sich in der pol-
nischen Frage alles anhören, aber selbst nur über die französische
sprechen8). Rußland sollte sich zuerst das Maul verbrennen, wie
es in anderem Zusammenhange kurz darauf Kaunitz formuliert
hat9). Daß dies vor Abschluß des Friedens mit der Türkei nicht
1 ) Berichte von Goltz 20./31. Januar 1792 und 6./17. und 10./21. Februar.
Berichte Lucchesinis 25. Januar, 1., 4., 15. Februar, 28. März, 17., 18.,
21., 25. April, 5. Mai. An Goltz 5., 22., 26. Februar. An Lucchesini 1.,
10., 12., 24. Febr. Berichte von Goltz 2./13., 5./16. März, 26. März/6. April,
30. März/10. April. An Goltz 22. März, 1., 5. und 11. April.
2) An Goltz 26. Februar.
3) Bericht von Goltz 5./16. Dezember 1791. Bericht Lucchesinis
1. Februar 1792. Die alten Richter waren alle abgesetzt worden.
i) Nur 6 wagten geradezu zu widersprechen. Berichte Lucchesinis
25. und 29. Februar, 22. und 18. Februar. An Lucchesini 27. Februar.
An Goltz 26. Februar.
6) Die Polen waren in diesem Punkte eifriger. Berichte Lucchesinis
25. Januar und 1. Februar.
6) Berichte Lucchesinis 18. und 22. Februar. An Lucchesini 27. Fe-
bruar und 3. März.
7) An Jacobi 26. März.
8) An Goltz 25. und 29. Januar.
9) V i v e n o t II 434; Schütter 61. An Goltz 22. April.
Kriegskostenentschädigung
177
erfolgen werde, hielt man für sicher, und mit ihm ist in der Tat
der Erlaß der „Insinuation verbale" vom 17./28. Februar be-
ründet1). Als aber zunächst alles ruhig blieb, da setzte man sich
jinen anderen Termin mit Rußlands Antwort auf die Einladung,
lern preußisch-österreichischen Bündnis beizutreten2), deren Ver-
zögerung Rußland lebhaft zu bedauern vorgab3). Aber diese
preußische Zurückhaltung konnte doch die anderen Höfe nicht
über die wahre preußische Absicht täuschen. Sie erkannten, daß
Preußen nur auf das Zeichen aus Petersburg wartete, um sich
ungestört an die Teilung der Beute machen zu können4).
B. Auch Rußland sah sich vor. Den Türkenkrieg hatte es
eben durch einen Frieden beendet, der den Türken unerwartet
günstige Bedingungen geboten und daher so rasch hatte ab-
geschlossen werden können5). So hatte Rußland die Hände frei,
aber es wollte nicht selbst die Teilung anzuregen scheinen, um
sich durch sein späteres Eingehen auf den Vorschlag der Gegen-
partei das Recht auf einen um so größeren Teil der Beute zu
sichern. Auf bisher noch unbekannte Weise erhielt der preußische
Gesandte6) von einer Persönlichkeit ohne Bedeutung flüchtigen
1) Politisches Journal 1792 Januar: Berlin 20. Januar 1792; Vi ve n o t
I 247 ; Ssolowjoff 307. Durch Nesselrode wurde der Vertrag am
11. März in Berlin mitgeteilt. Nur solche unbedeutenden Sachen wurden
ihm noch übertragen (Rep. 96, 147 G I, F. S.A. Au Roi 11. März). Einen
Tag darauf wurde die Polen betreffende Mitteilung durch Goltz und Alopeus
bekannt. An Goltz 13. März. Vgl. unten. Berichte von Goltz 23. Dezember
1791/3. Januar 1792, 2./13. Januar 1792. An Lucchesini 1. Februar 1792.
2) An Goltz 1. März und 1. April.
3) Bericht 12. /23. März.
4) Sorel II 369.
5) Worontzow VIII 46^7.
6) Der österreichische Gesandte in Petersburg, Ludwig Cobenzl,
erfuhr natürlich nichts davon, wohl aber der englische Vertreter Lord
Whitworth, ob mit oder ohne Goltz, lasse ich dahingestellt, wenn das letztere
auch wahrscheinlicher ist. Er suchte dann mit Goltz nach weiteren An-
haltspunkten. Das Ministerium befahl auf eine Anfrage von Goltz hin,
Whitworth nicht einzuweihen und auf seine zweite Meldung vorsichtiges
Verhalten ihm gegenüber für die Zukunft, da es mit Recht befürchtete,
die Engländer würden Schwierigkeiten machen, an deren Durchführung
sie nachher nur der Eintritt in den Krieg gegen Frankreich gehindert hat.
Protestiert haben sie natürlich auch dann noch. (Berichte vom 23. Ja-
nuar/3. Februar, 27. Januar/7. Februar, 30. Januar/10. Februar, 24. Fe-
bruar/6. März. An Goltz 15. Februar. H.A. 52—53; H.E.B. 231—232;
H äußer I 352; Sybel II 183.)
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 12
178 II. Abschnitt
Einblick in ein Billett Katharinas an ihren Günstling Piaton
Subow, mit dem sie damals unter Ausschluß des Vizekanzlers
Ostermann [später traten noch Besborodko und Marko w dazu1)]
die polnische Frage regelte. In ihm hieß es, Katharina wolle
jetzt nach dem Frieden in Polen einrücken (der Plan dazu wurde
genau entwickelt); wenn sich die deutschen Mächte widersetzten,
wolle sie ihnen Entschädigung oder Teilung vorschlagen. Zweifel-
los haben wir es hier mit einem Versuchsballon Rußlands zu tun,
der Preußen aus seiner vorsichtigen Zurückhaltung hervorlocken
sollte. Ich halte es sogar für möglich, daß das Billett nur ge-
schrieben wurde, um Goltz gezeigt werden zu können. Die russi-
schen Minister ließen sich nicht ein Wort über Polen entschlüpfen
und hatten wohl absichtlich für jene Mitteilung sich jemand aus-
gesucht, der mit völliger Unkenntnis der Sache auch noch Ängst-
lichkeit und Beschränktheit verband2). Aber Goltz und sein
Ministerium waren einig in der Freude über dies erste gute An-
zeichen wie in der Zurückhaltung und in der Ansicht, niemandem
etwas davon zu sagen. Wie die Katze um den heißen Brei, ging
man daher in der Instruktion für Bischoffwerder, die für Öster-
reich ostensibel sein sollte, um diesen Punkt herum3). Nur Jacobi
und Bischofrwerder erfuhren überhaupt von diesen russisch-
preußischen Verhandlungen. Lucchesini4) erfuhr von den Ver-
handlungen mit Österreich über das Konzert und mit Frank-
reich Wichtiges nur privatim von Schulenburg, über den pol-
nischen Plan Österreichs scheinbar erst, als Österreich ihn hatte
fallen lassen, über den russischen Vorstoß nur spät das All-
gemeinste, als man ihn brauchte.
Rußland hatte aber nicht mehr viel Zeit zu verHeren5). Es
1) Besborodko weilte noch im Süden wegen des Abschlusses mit der
Türkei. Vor seiner Rückkehr wollte Rußland scheinbar nicht über Polen
genauer verhandeln. Am 11./22. März war er in Petersburg. Der Prinz
Nassau hat von der Hauptsache wohl zunächst ebensowenig erfahren wie
Ostermann (Berichte 13./24. Februar, 24. Februar/6. März, 5./16. März,
9./20. März, 12./23. März. An Goltz 11. März. Liske in H.Z. 30, 285).
2) Bericht 27. Januar/7. Februar: le personnage peureux et borne
qui avait fait la lecture en question n'a rien su ajouter aux notions dejä
communiquees.
3) Ranke 283. Von einer eigentlichen Eröffnung war in der Tat
noch keine Rede gewesen.
4) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß Nr. 37. Dazu an Lucchesini 1., 6.,
7., 11., 19. Aprü, 7. und 17. Mai, 10. Juli. Bericht 24. März.
5) Smitt II 361 ff.; Ssolowjoff 266; Hau ß er I 352—353;
S y b e 1 II 187 ff. ; H e i g e 1 1 571 ; H.A. 53 ff. ; F.D.G. IV 109; M a r t e n s,
Kriegskostenentschädigung 179
gab jetzt zu, daß die polnischen Angelegenheiten ihm bedeutend
wichtiger seien als die französischen, die es bisher so ungebühr-
lich in den Vordergrund geschoben hatte1). Schon war ein Teil
seiner Truppen auf dem Marsche zur Besetzung Polens. Am
17./28. Februar erfolgte nach einer Ankündigung, die wenige
Tage vorher ergangen war, die erste wirklich offizielle Eröffnung
Rußlands an Preußen und Österreich, d. h. Ostermanns an Goltz
und L. Cobenzl. Er las ihnen eine insinuation verbale vor, die
Goltz dann auch schriftlich erhielt, nach der Rußland auf einen
Wunsch Preußens, in dem es bei der fortschreitenden Besserung
des russisch-preußischen Verhältnisses keine bloße Neugierde zu
erblicken glaube, seine Ansichten über Polen auseinandersetzte.
Die neue Verfassung mit dem Versuche der Konsolidation Polens
und seiner Verbindung mit Sachsen sei für alle Nachbarn gefähr-
lich, besonders für Preußen, das nun von zwei Seiten bedroht
sei und für seinen Einfluß in Deutschland fürchten müsse. Es
handle sich jetzt darum, sich über die Mittel einig zu werden,
die dem entgegenwirken könnten2).
Hier war nur von Rußland und Preußen, mit keinem Worte
von Österreich direkt die Rede. Aber auch diesem wurde eine
entsprechende Mitteilung gemacht. Es fragt sich nur, ob sie den-
selben Wortlaut hatte, wie die speziell auf Preußen berechnete.
Das würde heißen, daß man von vornherein auf eine aktive öster-
reichische Mitwirkung bei der Durchführung des russischen Planes
verzichtet habe und dies auch habe zu verstehen geben wollen.
In der Tat scheint jedoch nach Österreich eine vorsichtigere
Fassung abgegangen zu sein3). Ostermann sagte zwar auch zum
Schluß zu Goltz: „Es handelt sich nur um uns drei; sind wir
einig, so können wir über alle anderen hinwegsehen" (nous mo-
Traites-Russie VI 161 — 162. Man braucht gar nicht anzunehmen, daß
Rußland die Wirkung des ersten Versuches auf Preußen abgewartet
habe, um weiter mit der Sprache herauszugehen. Die Zeit hätte da-
zu auch gar nicht ausgereicht. Am 20. Februar war aber die Ratifikation
des russisch-türkischen Friedens in Petersburg bekannt geworden (H.Z.
30, 285).
1 ) Wassiltchikow II 4, 158—159.
2) Ostermann schob die französische Sache gleichgültig beiseite;
sie hatte für Rußland ihren Hauptdienst schon getan (Berichte 18./29. Fe-
bruar, 5./16. März, 16./27. März, 9./20. April). Beim nächsten Male wurde
sie überhaupt nicht erwähnt (Bericht 13./24. April. An Goltz 4. Mai).
X. L i s k e in H.Z. 30, 285.
3) Bericht 20. Februar/2. März. X. L i s k e in H.Z. 30, 285 ff.
180 IL Abschnitt
quer)1). Aber die Einigung mit Preußen scheint ihm nach allem
doch die Hauptsache gewesen zu sein, und er betonte Österreich
gegenüber geflissentlich die befriedigende preußische Antwort.
Ich glaube nicht einmal, daß seine Behauptung, er habe eine
preußische Antwort nicht vor der Einigung mit Österreich er-
wartet, aufrichtig gemeint war2), wohl aber die andere, eine
schweigende Zustimmung Preußens genüge für das russische Vor-
gehen. Goltz scheint mir mit seiner Annahme im Recht zu sein,
daß man sich in diesem Falle ruhig über einen Protest Österreichs
hinweggesetzt hätte3). Aber im Februar wagte er nicht einmal
seine Ansicht darüber zu sagen, nach der Ostermann ihn gefragt
hatte, sondern hielt sich ganz streng an seine Instruktion, d. h. er
wiederholte zum so und so vielten Male die Versicherung, Preußen
sei bei der neuen polnischen Verfassung nicht um Rat gefragt
worden und habe sich auch nicht dafür ausgesprochen. Er meinte,
Alopeus werde wohl mehr zu sagen wissen, besonders würden
russische Eroberungspläne nun bald folgen. Es sei bloß noch die
Frage, was Österreich erhalten solle (von Preußen sprach er gar
nicht erst, so selbstverständlich waren ihm dessen Absichten),
und schon deshalb glaubte Goltz an eine Ablehnung des russischen
Planes durch Österreich.
Für Preußen aber war eine schwierigere Lage kaum denkbar.
Auf der einen Seite diese lockenden Anerbietungen, auf der anderen
eine Unternehmung, die auch nicht ergebnislos zu werden ver-
sprach, die aber Preußen gegenüber Frankreich die schwersten
Fesseln auferlegte, und mit einer Macht, die verglichen mit ihm
Polen in eine durchaus antipreußische Richtung hineinzwingen
wollte. Man hat nun gemeint, Preußen sei mit vollen Segeln
in das russische Lager übergegangen4). Die Akten sagen uns da-
von nichts. Alle preußischen Kundgebungen an Rußland tragen
in diesen Monaten bis zum September etwa hin den Stempel der
Verlegenheit vielleicht mehr als richtig zur Schau. Es entschuldigt
seine Zurückhaltung und bleibt konsequent bei dem österreichi-
1) Am 9./20. April konnte Goltz noch einmal davon berichten, daß
er von einem Konzert der drei Mächte gesprochen habe; aber der gleich-
zeitige scharfe Ausfall Ostermanns gegen Österreich machte das bedeu-
tungslos. Vgl. S o r e 1 II 377.
2) Bericht 26. März/6. April.
3 ) Berichte 20. Febr./12. März, 9./20. März, 16./27. März, 26. März/6. April,
6./17. April; H ä u ß e r I 354.
4) S m i 1 1 II 363; S s o 1 o w j o f f 266—267; S y b e 1 II 189—191;
S o r e 1 II 377—378; Heigell 571; Clapham 215.
Kriegskostenentschädigung \Q\
sehen Bündnis. Noch ist die französische Frage die Hauptsache,
die Lösung der polnischen möchte man am liebsten noch hinaus-
schieben, bis die französische geregelt sei, um sich ihr dann ganz
zuwenden zu können; aber man glaubte sie auch so nebenher
ohne besondere Kraftanstrengung vornehmen zu können, aller-
dings in dem beschränkten Umfange, daß Rußland sich erst
kompromittierte und Österreich-Preußen nur seinem Vorgehen
Grenzen zogen. Deshalb mußte Preußen zunächst die österreichi-
sche Ansicht kennen, eher wollte es sich auf nichts einlassen.
Ja, es bat in Petersburg um genauere Mitteilung darüber, wie
der russische Plan durchgeführt werden solle, und wollte dann
mit Österreich zusammen vorgehen1).
So enthielt die preußische Antwort an Alopeus vom 13. März,
die auch an Goltz mitgeteilt wurde, eine deutliche Berichtigung
der russischen Vorschläge zwischen den Zeilen. Man blieb zunächst
bei dem Zustande vorsichtiger Zurückhaltung, und doch wissen
wir schon lange, wie weit die Absichten Friedrich Wilhelms bei
der Mitteilung aus Rußland gingen. Nicht weniger als ganz
Polen links der Weichsel sollte an Preußen fallen. Er rechnete
dabei scheinbar nicht einmal mit einer gänzlichen Aufteilung;
um so auffallender ist diese gewaltige Forderung, ohne Rücksicht
darauf, daß Preußen diese Ländermassen dem straffen Rahmen
seiner Verfassung und Verwaltung gar nicht werde einfügen
können. Er vernachlässigte dabei eine der elementarsten poli-
tischen Regeln des ancien regime, nur so viel zu nehmen, als man
sich assimilieren und als man behaupten kann2) — aber wie ich
gleich hinzufügen möchte, nicht ganz freiwillig, sondern zu diesen
gewaltigen Ansprüchen bestimmt durch den Zwang der poli-
tischen Lage, wie dies schon aus seinem Briefe hervorgeht. Fried-
rich Wilhelm erkannte auch schon, daß man Österreich an anderer
Stelle entschädigen müsse. Aber er war weit entfernt, das in Zu-
sammenhang mit der französischen Frage zu bringen, und wurde
natürlich auch nicht zu seiner Entscheidung durch Delessarts
Sturz bestimmt3). Seit dem August 1791 war für ihn die Ent-
1) Häußer I 355; H.A. 56.
2) Sorel I 33 und. öfter.
3) Sybel II 189 — 190. Ebensowenig kann davon die Rede sein,
daß Leopolds Tod erst die Teilung möglich gemacht hat (H e i g e 1 I 571).
Gewiß verloren die politischen Neuerer in ihm einen mächtigen Beschützer
ihres Systems (Bericht Lucchesinis 7. März), und die Gegenpartei hoffte von
Franz eine Annäherung an Rußland. Aber das war, ganz abgesehen von
der Richtigkeit dieser Beweisführung und Ansicht, doch nicht entscheidend.
182 II- Abschnitt
Scheidung schon gefallen. Er hatte nie daran gedacht, sich dem
russischen Vorgehen mit Österreich zu widersetzen1). Es bedurfte
gar nicht erst des österreichischen Planes, der einen Tag vor dem
russischen, am 11. März, in Berlin bekannt war, um ihm den Gegen-
satz klar zu machen. Seine Entscheidung war gefallen, ehe er mit
seinen Ministern — Bischoffwerder war in Wien — gesprochen hatte.
Schulenburg scheint es nun gewesen zu sein, der ihn in seiner
bisherigen Zurückhaltung bestärkt hat. Denn er hat dem Könige
am 13., etwa 10 Uhr vormittags, Vortrag hierüber gehalten2).
An Bischoffwerder erging ein Schreiben aus dem Kabinett, das
der König vermutlich nach der Besprechung mit Schulenburg
aufgesetzt hatte, dessen Gedanken wir darin wiederfinden. Dazu
ergingen an Bischoffwerder und Jacobi am 14. ministerielle
Weisungen, deren Inhalt der König in derselben Besprechung
schon gebilligt hatte, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen
übrig ließen. Der erst auszugsweise bekannte österreichische Plan
wurde rundweg abgelehnt und das Eingehen auf den Rußlands
vorgeschlagen. In Wien glaubte man jedoch, Rußland gegenüber
noch an seinem Plane festhalten zu sollen bis zu der bekannten
Expedition vom 12. April, ließ gegenüber Preußen aber doch
schon andere Pläne erkennen, wonach eine Einigung durchaus
möglich erschien. Das wurde von großer Bedeutung für das
weitere Verhalten von Rußland und Preußen. Jenes erkannte
nach der preußischen Antwort3) die Unmöglichkeit, die deutschen
Mächte vorläufig zu tätigem Vorgehen oder auch nur zum un-
tätigen Eingehen auf seine Pläne zu gewinnen; aber es sah auch,
daß ihm Hindernisse von preußischer Seite nicht in den Weg
gelegt werden würden. Es änderte also an seinen Dispositionen
nichts und erwartete, daß sich bei der weiteren Entwicklung der
Dinge die Möglichkeit bieten werde, sich mit den Mächten ab-
zufinden. Genauere Eröffnungen verschob es daher bis zu der
Zeit des Einmarsches seiner Truppen in Polen selbst4). Immer
aber zeigte es sich gegen Preußen entgegenkommender als gegen
Österreich, dessen langes Schweigen über Polen die schlechte
russische Stimmung noch verstärkte5), wie auch die Tatsache,
1 ) Häußer I 353.
2) An Goltz 22. April. Rep. I 169, S. Au Roi 12. März, F. S.A. Au
Roi 13. März.
3) Berichte 5./16. und. 12./23. März.
4) Berichte 2./13. März, 16./27. März, 23. März/3. April.
e) Berichte 23. März/3. April, 30. März/10. April, 6./17. April. Oster-
mann an Alopeus 10./21. April.
Kriegskostenentschädigung 183
daß von Österreich aus der russische Schritt auch in Warschau
bekannt geworden war und dort natürlich große Aufregung her-
vorgerufen hatte1).
Preußen also blieb dabei, nur mit Österreich vereint den
Russen gegenüberzutreten und die Entscheidung womöglich noch
hinauszuzögern, da es auf ein großes Revirement der österreichi-
schen Ansichten über Polen zu rechnen allen Anlaß hatte2), bis
ihm die österreichischen Depeschen vom 12. April bekannt wurden.
Trotzdem schwenkte es nun nicht einfach zu Rußland, sondern
lehnte nur nochmals den österreichischen Plan ausdrücklich ab.
Nur mit Österreich und Rußland wollte es die polnischen Ver-
hältnisse ordnen3). Dabei wurde die Stellung von Goltz in Peters-
burg besonders schwierig. Von Cobenzls Seite war trotz des
Bündnisses von irgendwelchem Vertrauen keine Rede. Im
Gegenteil, er blieb so zugeknöpft wie bisher4), wachte mit Argus-
augen darüber, daß sich Preußen und Rußland auch nicht einen
Schritt weiter als notwendig entgegenkamen. Markow, der in
dieser Zeit ja die Hauptarbeit im russischen Ministerium leistete5),
scheute sich daher, mit Goltz zusammen einen Gesellschaftssaal
zu betreten, in dem sich Cobenzl befand. Sollte Goltz nun aber
den Russen volles Vertrauen entgegenbringen? Er saß wie auf
Kohlen und wünschte sehnlichst eine entscheidende Nachricht
herbei, die ihn aus dieser schwierigen Lage befreite6). Rußland
schien ja bloß die Einladung zu erwarten, dem österreichisch-
preußischen Bündnis beizutreten, um sich mit Preußen völlig
besonders zu verständigen7). Aber da mußte er sich an Geduld
gewöhnen. Österreich hatte die Mitteilung des Vertrages noch
immer verzögert, und Preußen wartete erst wieder auf die Beant-
wortung seiner Antwort8). Goltz erhielt zwar den Befehl, sich
Cobenzl und Markow gegenüber genau ebenso zu verhalten, wie
sie es mit ihm machten, und den Russen suchte man kleine Ge-
fälligkeiten zu erweisen. So ist z. B. die Mitteilung des Planes
von Jakobinern aufzufassen, unter den Souveränen Europas
1) Berichte 9./20. April und 20. April/1. Mai. Bericht Lucchesinis
28. März. An Lucchesini 7. April. Berichte 4. und 7. April.
2) An Goltz 22. und 29. März, 11. April.
3) An Goltz 18. April und 2. Mai.
4) Berichte 20. Februar/2. März, 24. Februar/6. März, 16./27. März.
5) Worontzow VIII 52.
6) Bericht 23. März/3. April.
7) Bericht 20. Februar/2. März.
8) An Goltz 18. März, 8., 11., 18., 22., 26. April, 2. Mai.
184 IL Abschnitt
durch Gift aufzuräumen1), oder die des französischen Angriffs-
plans vom 25. März2) oder die Entschuldigung wegen des späten
Ergehens der Einladungen, dem Konzert und dem Bündnis bei-
zutreten3), oder die Mitteilung von Jablonowskis Schritten in
Berlin und der ihm erteilten Antwort4) oder die der Instruktion
für Lucchesini, polnische Bündnisforderungen abzulehnen5),
oder die Ablehnung der Bitte der Polen, ihnen den General Kaik-
reuth oder einen anderen zu überlassen, der die polnische Armee
als General en chef kommandieren sollte oder wenigstens die
mittlere Armee, da er eventuell mit an den Rhein gehen solle6).
Derartige Versuche finden wir in der folgenden Zeit auch noch
reichlich; ich begnüge mich jedoch mit diesen Beispielen aus
einem besonders fruchtbaren Abschnitt.
Der Hauptfrage kam man damit aber um keinen Schritt
näher. Wenn Preußen nun auch kein Interesse daran hatte,
ihre Regelung zu beschleunigen — im Gegenteil — so konnte
Rußland doch nicht mehr warten. Seine Truppen mußten ver-
tragsmäßig bis zum 15./26. Mai das Fürstentum Moldau räumen7).
Dabei konnte es zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: wenn
es die Moldau räumen Keß, sollten die frei werdenden Truppen
sofort in Polen einrücken, und zwar nicht nur, weil sie eben pol-
nisches Gebiet auf dem Marsche nach ihren heimischen Stand-
orten passieren mußten, sondern um durch ihre Anwesenheit,
1 ) An Goltz 24. März und 9. April. Bericht 30. März/10. April. Der
König hielt es nicht für überflüssig, wegen des Erlasses an Goltz hierüber
eine besondere Kabinettsordre zu schicken.
2) An Goltz 5., 9., 11. April.
3) Vgl. oben.
4) An Goltz 11. April. H.E.B. 257—258.
e) Smitt II 378—379, aber nicht genau.
6) Berichte Lucchesinis 14., 17., 18., 21. April. Bericht von Goltz
20./30. April. F. S.A. Au Roi 26. April. An Lucchesini 26. April.
An Goltz 26. April. Smitt II 353—354; Ssolowjoff 272. Am
16. April war in Warschau beschlossen worden, sich bis zu drei Generalen
und den dazu nötigen Offizieren für Artillerie und Genie zu verschaffen.
Das wurde am 20. näher bestimmt auf zwanzig Offiziere vom Kapitän bis
zum Obersten. Die polnischen Beschlüsse dieser Tage kennzeichnen beson-
ders gut die Hilflosigkeit Polens gegenüber dem russischen Vorgehen. Von
imposanter Einmütigkeit kann nur der reden, der dem König womöglich
allein die Schuld an dem Scheitern der polnischen Reform zuschieben möchte
(Oginski I 171; Schlosser V 227, 235—236 etc.; vgl. auch L e-
1 e v e 1 II 152—153).
7) Bericht Lucchesinis P.S. zum 18. Januar. Ostermann an Alopeus
10./21. April in Rep. XI Rußland 133 A.
Kriegskostenentschädigung 185
lötigenfalls auch durch Kampf die von der Kaiserin gewünschte
fcückwärtsrevision der Verfassung mit allem, was sich dann von
selbst ergab, zu erzwingen. Sie entschloß sich also wohl oder
ibel, den Mächten etwas mehr von ihren Ansichten über Polen
ützuteilen und von den Mitteln, die sie zu ihrer Ausführung
mzuwenden gedachte. Diesmal aber wurde nicht Goltz mit der
[auptmitteilung beauftragt, sondern Alopeus hatte sie direkt in
Berlin zu machen, und so blieb es nun bis zum Abschluß des
russisch-preußischen Vertrages, der wieder in Petersburg durch
Goltz erfolgte. Ich vermag den Grund für die Änderung in dem
russischen Vorgehen nicht genauer anzugeben, glaube aber, daß
Rußland hoffte, Preußen durch Alopeus eher zum Sprechen
bringen zu können, besonders da er mit Schulenburg eng ver-
bunden war.
Nach einer kurzen Andeutung, die Goltz zu Ohren kam, er-
folgte am 4. Mai in Berlin und in Wien der Hauptschlag1). Nicht
ein Office hatte Alopeus zu übergeben, sondern er machte eine
einfache mündliche Mitteilung, die er mit einem Auszuge aus
Ostermanns Depesche vom 10./21. April beglaubigte. Danach
war das Ziel die Herstellung der alten republikanischen Ge-
sinnung. Da die in Polen herrschende Partei sich gutwillig nicht
fügen werde, wie die letzten Maßregeln nur zu deutlich bewiesen,
so würden zur Unterstützung der Konföderation des vernünftigen
Teiles des polnischen Volkes, die man bilden werde, russische
Truppen einrücken, die aus der Türkei kämen2). Man habe auf
1) Berichte 9./20., 13./24., 10./21. April. Bericht Jacobis 5. Mai. An
Goltz 4. und 13. Mai. An Jacobi 6. Mai. Note verbale remise ä Mr. d' Alopeus
sans date ni signature (4. Mai). Die Eröffnungen bei Österreich und Preußen
scheinen identisch gewesen zu sein. Geschah das etwa nur aus Rücksicht
auf das von Preußen so stark betonte Einvernehmen mit Österreich?
Für die erste offizielle Eröffnung habe ich das Gegenteil angenommen.
Preußen bat übrigens in Wien lange vergebens um Mitteilung der dort
gemachten russischen Eröffnungen (an Jacobi 9. und 16. Mai. Berichte
Jacobis 9., 14., 23. Mai. Beer, Leopold II., Franz II. und Katharina 172
bis 174; Martens VI 161—162).
2) Bericht 20. April/1. Mai. Wassiltchikow II 1, 138—139.
Rußland duldete deshalb auch den Vertreter Polens, Herrn von Deboly,
in Petersburg, bis die Aktion durch den Beitritt von Stanislaus zur Kon-
föderation ihr vorläufiges Ende erreicht hatte. Jetzt wurde auch aus per-
sönlichen Gründen in Petersburg ein Wechsel gewünscht. Am 15./26. August
verließ Deboly mit seinem Sekretär diese Stadt (Bericht 17./28. August
und Berichte Tarrachs aus Warschau 1. und 5. September). Bulgakow
wurde angewiesen, Warschau nur dann zu verlassen, wenn er dazu ge-
186 EL Abschnitt
die österreichische Antwort nicht mehr warten können, wolle
wenigstens im allgemeinen über sein Vorgehen unterrichten und
hoffe auf diplomatische Unterstützung in Warschau, die zu dem
raschen Erfolg sehr beitragen könne. Über die weiteren Vor-
gänge werde es Preußen stets auf dem laufenden halten.
Das war für Preußen ein harter Schlag. Die Ansicht, an der
es so lange festzuhalten sich gemüht hatte, Rußland werde in
Polen nicht mit Waffengewalt vorgehen, ehe es sich nicht mit
Österreich und Preußen geeinigt habe, war damit scheinbar end-
gültig beseitigt. Aber gerade daß Preußen auch jetzt noch die
zwungen werde (Bericht 11./22. Mai; an Goltz 6. Juni), was dieser zuerst
nach der russischen Erklärung erwartete — mußten ihn doch starke Pa-
trouillen vor tätlichen Angriffen des Volkes schützen (Bericht Lucchesinis
23. Mai). Aber man wagte in Warschau schließlich doch nicht diesen
Schritt zu tun, der einer offenen Kriegserklärung gleichgekommen wäre,
wie man überhaupt diplomatisch gegenüber Rußland möglichst vorsichtig
auftrat (Bericht Lucchesinis 30. Mai. An Lucchesini 10. Juni. Das zeigt
sich besonders auch in der polnischen Gegenerklärung gegen das russische
Manifest, wo man annahm, daß Katharina ebenso wie ganz Europa von
den Emigranten falsch berichtet worden sei, und bei einer Richtigstellung
ihres Irrtums das umgestaltete Polen sofort anerkennen werde. Nur im
entgegengesetzten Falle müßten die Polen zur Verteidigung gegen einen
ungerechten Angriff zu den Waffen greifen. Vgl. d' A n g e b e r g 283 — 292 :
Contre-declaration de la Diete Constituante polonaise ä la Declaration
de guerre — so bezeichnete man das russische Manifest — de la Russie
au 7./18. Mai et qui protegait la confederation de Targowice, formee sous
les auspices de Catherine II, Varsovie 1. Juin 1792) und sich mili-
tärisch auch absichtlich noch in der Defensive hielt (Berichte Lucchesinis
6. Juni, 7. Juli), aus der Not eine Tugend machend, während die Prokla-
mation an das polnische Volk vom 29. Mai mit der wahren Ansicht über das
russische Vorgehen und noch mehr allerdings über die polnischen Kon-
föderierten nicht mehr hinter dem Berge hielt, da man auch das Volk zum
Widerstände aufreizen wollte (Bericht Lucchesinis 16. Juni mit Beilage.-
Universel du Roi et des Etats assembles en Diete ä la nation relativement
a l'etat actuel de la republique in der Gazette de Varsovie Nr. VI. Samedi
16. Juin 1792). Rußland suchte das kriegerische Vorgehen lediglich als
Folge der polnischen Maßregeln darzustellen. Die Truppen hatten Befehl
zu möglichst schonendem Vorgehen (Bericht 21. Mai/1. Juni), ja Zusammen-
stöße wurden womöglich überhaupt in Abrede gestellt (Berichte 18./29. Mai,
25. Mai/5. Juni, 18./29. Juni, 22. Juni/3. Juli.~ Smitt II 290). Überall
suchte man den Anschein zu erwecken, als sei von einem Krieg keine Rede,
der auch formell nicht erklärt worden war (Bericht 15./26. Juni). Die Offiziere,
die sich vor dem Feinde auszeichneten, erhielten deshalb auch zunächst nicht
den militärischen Georgsorden, sondern den Wladimirorden, der sonst für
Zivilisten bestimmt war (Bericht 22. Juni/3. Juli), bis Katharina das schließ-
lich doch wohl merkwürdig vorkam. Jedenfalls ging sie im Juli davon ab
(Bericht 30. Juni/10. Juli. Worontzow VIII 51).
Kriegskostenentschädigung 137
Hoffnung nicht ganz aufgab, sondern von der inzwischen ein-
gegangenen österreichischen Antwort und der neuen preußischen
Note eine Mäßigung und sogar eine Verzögerung des russischen
Vorgehens noch für möglich halten wollte, bestärkt mich in der
Ansicht, daß Preußen nicht ganz ehrlich bei diesen Äußerungen
war und sich nur hinter diesem Vorwande auch vor seinem eigenen
Gesandten verkroch, um nur noch nichts tun zu müssen1).
Denn das war wieder der Hauptinhalt der preußischen Ant-
wort an Alopeus noch vom 4. Mai2). Man erwarte weitere Er-
klärungen und Forderungen nach Eingehen der österreichischen
Antwort. Preußen habe nach den ersten Nachrichten erwarten
können, daß Rußland sich vor der Aktion mit den deutschen
Mächten, besonders mit dem hauptsächlich interessierten Preußen,
verständigen wolle3). Man hätte dann dem polnischen Reichstag
energische gleichlautende Erklärungen zustellen4) und die immer
mißliche Anwendung von Gewaltmaßregeln damit vielleicht ver-
hindern können5). Wäre dieser Schritt ergebnislos geblieben, so
hätte sich Preußen an den weiteren Maßregeln beteiligen können.
Vielleicht sei es aber zu dem ersten Schritt noch nicht zu spät6).
Preußen machte von dem neuen russischen Vorgehen sofort durch
Reuß und Jacobi nach Wien Mitteilung und verharrte in seiner
Passivität. Noch immer wußte es nicht, worauf Rußland hinaus-
wollte, und schien von der früheren Ansicht, Rußland wolle eine
1 ) Carisien 105.
2) Martens VI 147; Ssolowjoff 277—273.
3) In dem Berichte von Alopeus findet sich sogar eine Bemerkung
Schulenburgs, man dürfe es nicht dulden, daß sich die Polen einem der Nach-
barn in die Arme würfen. Es konnte nur Rußland gemeint sein.
4 ) Man fürchtete sie in Warschau ganz besonders, wo die demütigenden
Vorgänge des Jahres 1772 noch unvergessen waren (Bericht Lucchesinis
25. April). Aber die gemäßigten Polen hätten sich ihnen leichter unter-
worfen, als einer unter russischen Auspizien gebildeten Gegenkonföderation,
durch die Polen wie schon früher wieder der russischen Diktatur unter-
worfen würde. Sie veranlaßte sie, einen fruchtlosen Kampf aufzunehmen,
den sie mit Ehren nicht glaubten vermeiden zu können (Berichte Lucchesinis
16. und 30. Mai, 7. und 18. Juli).
6) Unter diesen Umständen waren natürlich den Preußen die ener-
gischen, aber zu spät kommenden Beschlüsse der Polen, die nur zum klein-
sten Teile auch ausgeführt wurden, sich gegen Rußland zur Wehr zu setzen,
äußerst unangenehm. Carisien 105. Sie befürchteten davon eine
Bestärkung Katharinas in ihrem nicht gewollten ( !) kriegerischen Vorgehen
(an Lucchesini 6. Mai).
6) Vgl. auch V i v e n o t II 434.
188 H- Abschnitt
Teilung, beinahe ganz zurückgekommen zu sein1). Es hielt sich
daher alle Wege offen.
Das war nun aber keineswegs der Sinn der russischen Depesche
gewesen. Ostermann meinte wohl auch, eine Einigung der drei
Mächte könne die Sache noch friedlich beilegen; aber es war
ihm nicht so wichtig, daß er deswegen die russische Aktion auch
nur um einen Tag verzögert hätte. Die Mißstimmung gegen
Österreich nahm nach der Mitteilung von dessen Depeschen vom
12. April eher zu als ab. Rußland hoffte, Preußen werde mit ihm
vorgehen und damit Österreich zur Teilnahme zwingen, dessen
Bündnis mit Rußland ein willkommener Vorwand war, um den
Gedanken, es könne sich widersetzen, ohne weiteres öffentlich
abzuweisen. Goltz glaubte, Anlaß zu der Annahme zu haben,
daß Rußland nach preußischer Zustimmung mit seinen Erwerbs-
plänen, zunächst auf die Ukraine, hervortreten werde. Das ver-
allgemeinerte Preußen sofort auf Erwerbungen aller drei Mächte,
empfahl aber äußerste Vorsicht2).
Die versprochenen weiteren russischen Mitteilungen erfolgten
rascher in Berlin, als man dort erwartet hatte. Wieder ging ihnen
eine Ankündigung um einige Tage voraus3). Von neuem konnte
auch Goltz von persönlicher Liebenswürdigkeit der Kaiserin ihm
gegenüber berichten, sie sprach beim letzten Empfange zweimal
mit ihm4). Ihr vertrauter Berater Besborodko zeigte sich zu-
gänglicher als gewöhnlich; ja sogar über Friedrich Wilhelm sprach
sich Katharina selbst mit bemerkenswerter Hochachtung aus5).
Gleich am 14. Mai informierte Alopeus den preußischen Minister,
der in Sanssouci weilte (vgl. unten), von der Ankunft der De-
peschen, und am 15. konnte er sie ihm mitteilen. Es war vor
allem die Ostermanns vom 23. April bezw. 4. Mai mit dem Mani-
feste Rußlands, das zwischen dem 1. und 10. alten Stils in Warschau
übergeben werden sollte und den Polen nur die Wahl Keß zwischen
einem aussichtslosen Kampfe oder bedingungsloser Unterwerfung
unter die russische Diktatur6), gleichzeitig mit dem Einmarsch
1 ) Instruktion für Haugwitz vom 9. Mai über Polen in Rep. XI 89 c2.
2) Bericht 13./24. April. An Goltz 9. Mai.
3) Doch war sie erst zugleich mit der Hauptnachricht am 14. in Berlin.
Bericht 20. April/1. Mai.
*) Bericht 23. April/4. Mai.
5) Bericht 27. April/7. Mai. Wie sie aber wirklich über ihn dachte,
ersieht man nur zu gut aus ihrer Korrespondenz mit Grimm. Vgl. S b o r n i k
XXIII 484—487, 510—511.
6) Bericht Lucchesinis 19. Mai.
Kriegskostenentschädigung Jg9
ler Truppen in polnisches Gebiet1). Alopeus hatte nun um
löglichst rasche Billigung und Unterstützung dieses Manifestes
lurch Preußen in Warschau zu bitten und schien davon eine
jhnelle Beendigung des polnischen Widerstandes zu erwarten2).
Über die französischen Angelegenheiten, hieß es darin weiter,
könne sich Rußland noch nicht so schnell äußern, aber die Ant-
wort werde ebenso befriedigend sein wie die über Polen3) Nur
für die Einladung zu dem österreichisch-preußischen Bunde
dankte es.
Wieder erklärte Preußen das russische Vorgehen für zu stark.
Das Manifest könne es in Warschau nur unterstützen, wenn es
sich mit Österreich geeinigt habe; dazu zwinge es der zweite
geheime Separatartikel seines Bundes. Auch hätte es vor dem
Einmarsch der Truppen von allen drei Mächten in Polen ergehen
müssen4). Preußen verwies daher die Russen vorläufig nur. auf
die Erklärung Lucchesinis in Warschau nach Befehlen vom
26. April, die den schon oft erwähnten Inhalt hatte, und bat um
1 ) Am 7./18. Mai abends 6 Uhr übergab Bulgakow das Manifest. (Po-
litisches Journal 1792 Juni mit der polnischen Antwort vom 1. Juni. Berichte
Lucchesinis 19. und 23. Mai. An Goltz 24. Mai.)
2) Die sonderbare österreichische Antwort war dabei in der Depesche
an Alopeus überhaupt nicht erwähnt worden. Ostermann sagte, sie nehme
am Schluß das Prinzip an, das sie anfangs ablehne (Bericht 20. April/1. Mai.
H.A. 62—63).
3) Das veranlaßt« Goltz zu der Bemerkung, Rußland wolle offen-
bar die polnische Frage mit der französischen vereinigen (Bericht
20. Apriljl. Mai). Am Rande der Depesche ist dabei mit Rotstift ein „bon"
vermerkt. Das gibt zu denken und ist eins der ersten Anzeichen für eine
Bewegung, die uns unten zu beschäftigen hat. Vorläufig verriet man
freilich an Goltz nichts von den preußischen Absichten, über die Schulen-
burg schon mit Alopeus sprach, sondern stellte sich erstaunt. Was meine
Rußland mit „Verbindung dieser beiden Fragen"? Goltz solle nur genauer
nachforschen. (An Goltz 17. Mai . . . vous me dites qu'elle pourra songer
ä les [die französischen Angelegenheiten] combiner avec celles de Pologne,
mais je n'entrevois pas trop la connexion qu'on pretend etablir entre ces
deux objets et vous me ferez plaisir d'approfondir avec plus de precision
quels sont ä cet egard les vrais principes du Cabinet de Petersbourg.
Ssolowjoff 278. ) Daß auch Alopeus sich über Frankreich gänzlich
ausschwieg, erregte in Berlin dabei starkes Mißtrauen. An Goltz 17. Mai.
Massenbach I 267 und Schulenburg an Braunschweig 6. Mai. Rep.
XI 89 b. ... demembrement . . . un tel dessein combine peut - etre avec
la tournure ulterieure des affaires de France presente differentes chances
qui peuvent devenir tre3 avantageuses si on en profite. H.A. 62 — 63
(falsch).
4) Bericht Lucchesinis 19. Mai. S m i 1 1 II 374.
190
II. Abschnitt
weitere russische Eröffnungen in der polnischen Frage. Dazu
erhielt Alopeus noch nur mündlich den Bescheid, Preußen
wolle es nicht hindern, daß sich Rußland den alten Einfluß in
Polen sichere; aber auch Preußen und Österreich hätten ein
Recht darauf als mitinteressierte Nachbarn. Durch fortwähren-
den Hinweis auf die Notwendigkeit eines Konzerts aller drei Höfe,
wozu der Einmarsch der russischen Truppen in Polen nur die
Wege ebne1), hoffte man in Preußen zu verhindern, daß sich
Rußland einen gefährlichen alleinigen Einfluß in Polen sichere.
Es schien nur bedauerlich zu sein, daß sich Stanislaus zu kriege-
rischen Maßnahmen gegen Rußland hatte fortreißen lassen, an-
statt die Intervention von Preußen und Österreich rechtzeitig
nachzusuchen2). So hoffte man Katharina zufriedenzustellen,
ohne den preußischen Interessen etwas zu vergeben3), und hielt
sich immer noch die Möglichkeit offen, zwischen Polen und Russen
zu vermitteln. Nur wurde das natürlich vor den Polen streng
geheim gehalten, ihnen jede Hoffnung genommen4).
Noch immer war man nicht ganz sicher darüber, ob
Katharina an eine Teilung denke oder nur an die Wiederher-
stellung der alten Verfassung. Wenn man auch aus allen mög-
lichen Zeichen schloß, daß sie an eine Erwerbung, wenigstens der
Ukraine, denke5), die, wegen der neuen russischen Erwerbungen
auf Kosten der Türkei, für die Verbindung mit dem Stammlande
sehr erwünscht sei6), wie auch Goltz schon vermutet hatte7) und
wie man durch eine scheinbar ganz harmlose Anfrage8) wegen
der preußischen Remonten aus diesem Lande feststellen wollte,
so wollte man direkt doch nichts davon verlauten lassen. In
jedem Falle aber schien es sicher, daß Preußen und Österreich
zu der endgültigen Regelung der Frage von Rußland würden
herangezogen werden müssen9). Um Rußland allein entgegen-
zutreten, dazu fühlte sich Preußen, besonders in der gegen-
wärtigen Lage, zu schwach. Österreich sollte ihm daher helfen.
Es galt, zwischen dem noch unbekannten russischen und dem
*) An Lucchesini 27. Mai.
2) An Lucchesini 24. Mai.
3) An Goltz Add. zum 17. Mai und 14. Juni. An Jacobi 13. Mai.
4) An Lucchesini 17. Mai.
5) An Goltz 10. Juni.
6) Bericht Lucchesinis 23. Juni.
7) Vgl. oben. Berichte 13./24. April und 15./26. Juni.
8) An Goltz 24. Juni. Berichte 15./26. Juni und 2./13. Juli.
9) An Lucchesini 10. und 21. Juni.
Kriegskostenentschädigung 191
5sterreichischen Plan den preußischen zur Annahme zu bringen1);
iber Preußen ließ vorläufig von ihm noch nicht mehr verlauten,
ils Rußland von dem seinen2). Ein gutes Verhältnis zu Rußland
n d Österreich galt jedenfalls als die Voraussetzung für sein
relingen3), und mehr und mehr glaubte Schulenburg, auch Ruß-
md von der Notwendigkeit überzeugt zu haben, Österreich hin-
zuzuziehen trotz der von Goltz geäußerten Besorgnisse4). Aber
mehr um das Einverständnis mit Österreich als um das mit
Rußland war er besorgt, das durch die gemeinsamen Interessen
und Absichten sich nach einer vorübergehenden Trübung leicht
wiederherstellen ließ. An Entgegenkommen ließ Preußen es dabei
nicht fehlen. Sogar von einer Sendung Bischoffwerders nach
Petersburg war die Rede, die Rußland im Winter vergeblich
gewünscht hatte und die jetzt anläßlich des Vertragsabschlusses
erfolgen konnte5). Das Einverständnis mit Österreich aber
suchte Preußen ängstlich vor jedem störenden Eingriff zu be-
wahren und rektifizierte deshalb sofort die Gesandten, die noch
nicht ganz die alte Bahn verlassen hatten6). Es kann gar nicht
oft genug hervorgehoben werden, daß nicht die Verbindung mit
1) Rep. XI Rußland 133 A., F. S.A. Au Roi 16. Mai (auch in Rep. 96,
147 G. II) mit der ersten königlichen Entscheidung vom 17. Alopeus an
Schulenburg 14. Mai mit P. S. Ostermann an Alopeus 23. April/4. Mai. An
Goltz 17. Mai. Dazu an Lucchesini 17. Mai mit Add. An Jacobi 18. Mai.
2) Vgl. königliche Entscheidung zum Bericht vom 16. Mai. J'approuve
cette reponse ä faire au memoire russe tout ä fait conforme ä mes vues
dans ce moment-ci (!).
3) Häußer I 357—358.
4) Rep. XI 89 g1 Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 10. Juli.
Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 13. Juli.
6) Vivenot II 230; Ssolowjoff 278. Die Russen gewann
Friedrich Wilhelm auch schon durch sein ablehnendes Verhalten gegenüber
den stets erneuten Forderungen von Stanislaus, er solle seine Bundespflichten
erfüllen. Schon am 10. April hatte Jablonowski darum nachgesucht, aber
eine ablehnende Antwort erhalten, da die neue Verfassung Preußen nichts
angehe (Rep. 96, 147 G. I, F. Au Roi 10. April mit königlicher Entscheidung.
An Jacobi 12. April). Es muß wundernehmen, daß die Polen hier auch nur
noch die geringste Hoffnung hatten, da Preußen seit dem August 1791
immer schärfer alle polnischen Forderungen zurückgewiesen, die mit
einer Garantie der neuen polnischen Verfassung etwas zu tun hatten, so
wieder am 26. April und 5. Juni. Rep. 96, 147 G. I und II, F. S.A. Au Roi
26. April mit königlicher Entscheidung. S. Au Roi 5. und 9. Juni. O g i n s k i
I 175 — 177. Dasselbe gilt für die Beziehungen Preußens zu Kurland (Rep.
XI 89 g1 Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 10. Juli).
6) An Jacobi 14. und 16. Mai. Rep. 96, 147 G. II, F. S.A. Au Roi
24. Mai.
192 II. Abschnitt
Rußland, sondern die mit Österreich bei den Preußen noch im
Vordergrunde stand1). Nach allem konnte es nicht ihre Ansicht
sein, sich nun dauernd das russische Vorgehen mitanzusehen,
womit sich die Österreicher ja begnügen zu wollen schienen.
Preußen bat daher in Wien um Angabe von Maßregeln, die beide
Höfe gemeinsam ergreifen könnten2).
Das aktive Vorgehen der Russen, über das aus Warschau wie
aus Petersburg immer bestimmtere Nachrichten einliefen, schien
aber für Preußen noch einen anderen Nachteil zu haben, der es
näher anging. Überall bildeten sich unter dem Einfluß der Targo-
wicer Konföderation andere, und auch dicht an der preußischen
Grenze ging diese Spaltung Polens in zwei Heerlager vor sich3).
Preußen konnte nun mit gutem Grunde versichern, die Ruhe
seiner Grenzprovinzen sei gefährdet, und es müsse Schutzmaß-
regeln treffen, um ein Übergreifen des Bürgerkrieges auf sein
Gebiet zu verhindern. Sonst hätten ja die Russen bis dahin vor-
rücken müssen; das ganze Land wäre also in ihre Gewalt ge-
kommen4). Das galt es zu verhindern durch aktive Teilnahme
Preußens, der man den Anstrich gab, als sei sie ein weiterer Schritt
zu der nötigen Einigung der Mächte über die polnischen Ver-
hältnisse nach Herstellung der Ordnung5). Acht Tage dar-
1) Rep. 96, 147 G. II, S. Au Roi 30. Juni.
2) An Jacobi 19. Mai.
3) Die erste Nachricht davon aus Warschau kam in einem Bericht
Lucchesinis vom 16. Mai (praes. 22. Mai), wonach in Samogitien eine
Gegenrevolution vorbereitet werde. Die zweite betraf eine Konföderation
in Großpolen (Palatinate Posen und Kaiisch) unter dem Herrn von
Bninski (Bericht 23. Mai). Mochten die Gerüchte sich auch bald als über-
trieben oder falsch herausstellen, so hatte Preußen doch seinen Vorwand.
4) Ein vom 22. Mai datierter Brief im Maiheft des Politischen Journals
weiß zu melden, daß unter Möllendorff eine zweite Armee in der Bildung
begriffen sei, um nächstens an der polnischen Grenze einen Kordon zu
ziehen. Die Russen würden sicher einrücken, und das preußische Staats-
interesse müsse gewahrt werden; aber noch seien das bloße Vermutungen.
Man sieht, Herr v. Schirach hatte gute Quellen. Er erkannte auch, daß
Preußen ein Interesse an der Existenz eines schwachen Polen habe, fügte
aber irrtümlich auch Österreich hinzu, von dessen geheim gehaltenen
Plänen er doch nichts wußte (P.J. Juni 684). Aber bald wurde es davon
wieder still (P.J. Juli 751 ff.), nur Vorbereitungen seien im Gange, von
einer Mobilmachung sei noch keine Rede (P.J. August: Berlin 18. August).
Das ist eine Reihe, che durchaus gleichen Schritt hält mit den Absichten
der preußischen Regierung.
5) Sowie etwas davon in Warschau (oder Wien, de Cache sprach davon)
laut wurde, dachte man selbstverständlich an eine neue polnische Teilung
(Berichte Lucchesinis 26. Mai und 9. Juni). Das Gerücht verstärkte sich,
Kriegskostenentschädigung 193
auf1 ) verdichtete sich, diese Bemerkung schon zu dem Vorschlage,
einen Grenzkordon zu ziehen, und da die preußische Grenze gar zu
lang und gewunden sei, müsse man eben eine kurze Linie durch
das polnische Gebiet ziehen2). Beachten wir dabei, daß Preußen
zwei Tage vorher bei Alopeus und durch Goltz, wenn auch nicht
schriftlich, gegen den russischen Vorschlag einer uninteressierten
Intervention in Frankreich protestierte, d. h. auch den Vorschlag,
auf Entschädigungen zu verzichten, die Markow schon mit Recht
anerkannt habe3). Verzichten könne Preußen nicht, das habe
es von Anfang an erklärt, und der jetzige Vorschlag stehe in
merkwürdigem Gegensatz zu jener früheren Anerkennung4).
als bekannt wurde, daß Österreich und Preußen im Begriffe seien, mit
Rußland Allianzen abzuschließen (Bericht Lucchesinis 1. Juli), noch mehr,
als bei der Verteilung der russischen Truppen für den Winter 1792/93
Katharina ausdrücklich die Palatinate Posen und Kaiisch freiließ (Bericht
von Buchholtz 10. Oktober. An Buchholtz 19. Oktober), noch mehr, als
die Mobilmachung von neuen preußischen Regimentern bekannt wurde,
denen Preußen öffentlich vergebens die Aufgabe zuschrieb, nach dem Rhein
gegen Frankreich abzurücken (Berichte von Buchholtz 28. November und
12. Dezember. An Buchholtz 7. Dezember). Jetzt stellte Graf Malachowski,
der Chreptowicz in der Verwaltung des Departements der auswärtigen
Angelegenheiten ersetzt hatte, dem preußischen Gesandten sogar eine Note
darüber zu (12. Dez.). Antworten mußte Buchholtz, um nicht durch völliges
Schweigen das Gerücht gleich zu bestätigen. Aber um seinen König nicht
zu kompromittieren, schützte er absolute Unkenntnis vor (Bericht 15. Dez.
mit beiden Noten. Vgl. auch unten, dazu Christoph Girtanner,
Politische Annalen II 186 — 192). Die Einwohner selbst der an Österreich-
Preußen grenzenden Provinzen schienen eine Teilung zu wünschen, um
dem Despotismus der Targowicer Konföderation zu entgehen und endlich
in Ruhe und Frieden zu leben (Berichte Lucchesinis 11. und 15. August.
Berichte Tarrachs 18. und 29. August. Bericht von Buchholtz 10. Oktober).
Auch von einem österreichischen Kordon war im Juni übrigens in Warschau
nach Briefen aus Galizien die Rede, und das Gerücht erhielt sich trotz
eines zweimaligen Dementis aus Berlin, da Cache es nicht dementierte
(Berichte Lucchesinis 9., 20. und 26. Juni. An Lucchesini 21. und 28. Juni.
An Haugwitz 30. und 31. Mai).
*) Inzwischen hatte Katharina den Preußen in liebenswürdigster
Form ein Sonderbündnis vorgeschlagen, da sie dem österreichisch-preußi-
schen Bunde wegen des polnischen Artikels nicht beitreten könne.
2) An Lucchesini 30. Mai. An Goltz 2. Juni.
3) Bericht 30. April/11. Mai. An Goltz 28. Mai. H.E.B. 239.
4) Vgl. die königliche Entscheidung vom 26. Mai zu dem ministeriellen
Bericht vom 25. aus Magdeburg (Rep. XI Rußland 133 A) — ich komme
auf ihn noch zu sprechen: Je ne puis qu'etre tres satisfait de la reponse
que vous proposez de faire aux ouvertures de la Cour de Russie tant par
rapport a Palliance proposee que touchant les affaires de France dans
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 13
194 II. Abschnitt
Alopeus beruhigte die Minister sofort hierüber, Katharina habe
sich ja gleich anfangs unzweideutig hierüber ausgesprochen1).
Wieder ein paar Tage später erklärte Preußen, es habe zwar das
polnische Verlangen, die vertragsmäßige Hilfe gegen Rußland zu
stellen, entschieden abgelehnt, aber es habe sich doch eine Tür
offen gelassen, um im Falle einer polnischen Bitte um Intervention
ein Konzert der Nachbarmächte über die endgültige Regelung
der polnischen Frage herbeizuführen2). Das bleibt für die nächsten
Monate sein Ziel, bis es daran verzweifelt, sich mit Österreich
über die Frage der Entschädigung für die Kriegskosten zu einigen.
So hielten sich beide Parteien in der Hauptfrage noch respekt-
voll zurück, keine wagte geradezu das erste Wort auszusprechen.
Jedesmal, wenn man denkt, nun müsse aber die Gewundenheit
ein Ende haben, entdeckt der Teil, der mit der Antwort an der
Reihe ist, eine neue Möglichkeit, dem Gegner die Last der Eröff-
nung zuzuschieben3). Inzwischen wurden aber von Preußen alle
Vorbereitungen getroffen, um gegebenenfalls seine Truppen in
Polen einrücken zu lassen. Möllendorff, der dem französischen
Kriege auch jetzt noch keinen Geschmack abgewinnen konnte4)
und Preußens Interesse an ganz anderer Stelle auf dem Spiele
stehen sah, war dazu ausersehen, das Korps zu kommandieren
und wurde für die Einzelheiten an das Departement der aus-
wärtigen Angelegenheiten verwiesen, da der König in diesen
Tagen zur Armee an den Rhein abreiste und jede Verzögerung
sich gerade in der polnischen Frage schwer rächen konnte5).
Um diese Kordonfrage drehen sich die Verhandlungen nun
noch längere Zeit. Ohne ernsthaften Grund und ohne Rußlands
Zustimmung wagte Friedrich Wilhelm nicht, ihn zu ziehen6).
Katharina war sich der Bedeutung wohl bewußt, die ihre Zu-
stimmung hatte. Es gelang ihren Truppen im ganzen doch
schneller, als man erwartet hatte, das Land zu unterwerfen, ohne
daß man zur Erklärung dieser Tatsache gerade einen — damals
lesquelles la Cour de Russie semble passer avec tant de legerete sur la prise
de rindemnisation que je ne puis voir avec indifference.
J) An Goltz 28. Mai.
2) An Goltz 6., 14., 16., 20. Juni.
3) H äußer 1357 — 358. Friedrich. Wilhelm an das Kabinettsmini-
sterium 4. Juli in Rep. XI Rußland 133 B.
*) H.E.B. 284. Vgl. auch S c h 1 i e f f e n II passim.
5) 1793 S. 1 und 18—19.
6) An Lucchesini 7. und 11. Juni.
Kriegskostenentschädigung
195
vielfach behaupteten — Verrat von Stanislaus annehmen müßte1).
Sein schwacher Charakter und die gefährliche Lage reichen völlig
dazu aus. Der Lohn dafür war der Haß und die Verachtung
seines betrogenen Volkes. Mit der russischen Eroberung wurde
das Konzert der drei Höfe über Polen im allgemeinen und der
preußische Kordon im besonderen unnötig zum großen Ärger von
Lucchesini2), der dem König zwar auch von so verzweifelten
Mitteln wie dem Kampf gegen die Russen bis aufs Messer
oder von der Flucht ins Ausland abgeraten, ebensowenig aber
den bedingungslosen Beitritt zu der Konföderation empfohlen
hatte3), durch den Stanislaus tatsächlich zu Gunsten des Kon-
föderationsmarschalls Felix Potocki abdankte4). Lucchesini hatte
vielmehr die allmähliche Annäherung an die Konföderation
geraten.
Katharina gab nun nach einigem Zögern in der Depesche von
Ostermann an Alopeus vom 10./21. Juni ihre Zustimmung zu
dem Kordon, ja sie behauptete, seine Ausführung werde ihr Ver-
gnügen bereiten infolge der dadurch herbeigeführten schnelleren
Beruhigung des Landes5). Aber sie verlangte eine gleichzeitige
preußische Erklärung, in der die von Rußland garantierte Ver-
fassung als die allein wahre anerkannt, d. h. Rußlands alleiniger
Einfluß in Polen festgestellt wurde. Dagegen zu wirken, mußte
Preußen gerade als seine Hauptaufgabe betrachten6). Wenn man
in Berlin auch kühler darüber dachte als der von seinen früheren
Verhandlungen mit Polen etwas beeinflußte Lucchesini, der die
Verbindung mit einer polnischen Partei in ihrem Werte für
Preußen überschätzte, so wollte man sich doch auch diesen Weg
offen halten?). Vor allem, auch die Verbindung mit Österreich
1) Berichte Lucchesinis 18., 21., 28. Juli. An Lucchesini 29. Juli.
L e 1 e v e 1 155 — 159 etc. Auf russischer Seite wird die Besorgnis vor dem
Ausgang des Kampfes wieder bloß von Woronzow vertreten (IX 239 — 241).
2) S m i 1 1 II 486—487. Bericht Lucchesinis 7. Juni. An Lucchesini
15. Juli.
3) Berichte Lucchesinis 18. und 25. Juli. An Lucchesini 26. Juli und
2. August. P.A. Au Roi 27. Juli und 3. August in Rep. 9— 272 I.
4) Berichte Lucchesinis 11. und 15. August. Bericht von Buchholtz
19. September.
6) Berichte 4./15. und 8./19., 11./22. Juni. Ostermann an Alopeus
10./21. Juni.
6) An Goltz 1. Juli.
7) Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 20. Juli. Rep. 9 — 27 2 1.
F.A. Au Roi 27. Juli. Rep. XI Rußland 133 B und E. Ostermann an
Alopeus 10./21. Juni, Depesche und Brief.
196 H. Abschnitt
zwang jetzt dazu, von einseitigen, so verfänglichen Maßregeln ab-
zusehen. Endlich, auch durch Reklamationen der polnischen
Konföderierten ließ sich der Schritt jetzt nicht rechtfertigen1).
Daher lehnte Preußen die von Katharina zur Sicherung des
preußisch-russischen Postverkehrs geforderte Besetzung des pol-
nischen Ortes Polangen ab2). Katharina hatte eben eine unmög-
liche Bedingung gestellt und doch scheinbar zugestimmt3). Da-
mit erreichte sie alles. Preußen mußte selbst auf den Kordon
verzichten, obwohl die geplante Beibehaltung einer polnischen
Armee mit Hilfe der von dem neuen Reichstage eingeführten
Steuern ihm Sorge bereitete und es nicht aufhörte, dagegen bei
Rußland zu protestieren als gegen eine Maßregel, die den Inter-
essen der Nachbarhöfe diametral entgegengesetzt sei4), vor allem,
als diese Armee nun gerade längs der preußischen Grenze ver-
teilt wurde und Beunruhigung in Preußen hervorrief5). Da die
Russen gehofft hatten, die Armee unter ihre Herrschaft zu be-
kommen, das aber nicht geglückt und Katharina deshalb sehr
unzufrieden war und äußern ließ, man werde wohl lange eine
Armee in Polen halten müssen, nahm Preußen auf besondere
Veranlassung des Königs seinen alten Kordonplan vorsichtig
wieder auf6), um Polen ein für allemal unfähig zu machen, seinen
Nachbarn politisch weiter gefährlich zu werden7). Lucchesini
hatte berichtet, die Russen würden in Polen bei jedem Schritt
Widerstand finden, und das werde Katharina wohl zur Nach-
giebigkeit in der Entschädigungsfrage nach den preußischen Vor-
schlägen veranlassen8). Nach anderen Nachrichten hat er sogar
x) Rep. 96, 147 G II, S.A. Au Roi 3. Juli.
2) Berichte 8./19. und 11./22. Juni. An Goltz 2. Juli. Worontzow
IX 252 — 254. Es erging für den Fall einer Requisition durch das Postamt
in Memel der Befehl an das Oberkriegskollegium (Rep. 9 — 27. S.A. 2. Juli),
den General von Göcking anzuweisen, Polangen mit 1 Offizier und
24 Husaren zu besetzen zur Wiederherstellung und Erhaltung des Posten-
laufes. Man wollte sich wegen einer so kleinen Sache nicht unnötig kom-
promittieren.
3) Bericht 13./24. Juli.
4) An Goltz 10. und 13. August mit P.S. Bericht 16./27. Juli. Schulen-
burg an Haugwitz 15. August. Finckenstein und Alvensleben an Schulen-
burg 24. August.
5) An Goltz 31. August P.S. Die Russen standen im Zentrum.
6) Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 11. und 12. August.
Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 19. August.
7) Schulenburg an Haugwitz 15. August in Rep. XI 89 g1.
8) S m i 1 1 II 486 — 487. Bericht Lucchesinis 1. August.
Kriegskostenentschädigung
197
nicht gezögert, bei den Polen die Lust zum Widerstände anzu-
fachen1).
Für Preußen konnte es natürlich keine schöneren Aussichten
geben als die, daß Katharina Schwierigkeiten finden und der
preußischen Hilfe bedürfen werde, um ihrer Herr zu werden2).
Schon begannen auch in erfreulicher Weise Grenzverletzungen
von Seiten der Polen einzutreten3). Preußen wies seinen Gesandten
Buchholtz an, nicht etwa Gegenmaßregeln zur Verhinderung
solcher Vorfälle zu ergreifen. Nur bei Rußland wollte es vor-
stellig werden, natürlich sehr vorsichtig, daß es nicht den Russen,
sondern den Preußen zukomme, in den zwischen Preußen und
Schlesien gelegenen polnischen Landesteilen die Ruhe aufrecht-
zuerhalten4). Zu diesem Zweck schlug es vor, längs seiner Grenze
durch seine Truppen allen Ruhestörungen entgegenzutreten5).
Schon im Juli hatte es sich über den militärischen und politischen
Zustand von Polen durch die geheime Entsendung von General-
stabsoffizieren dahin genauer unterrichtet; jetzt wiederholte sich
dasselbe Spiel. Beide Male lauteten die Berichte für die preußische
Besetzung sehr günstig6). Aber noch fehlte die Hauptsache, die
Zustimmung Rußlands. Zwar behielt sich das Kabinettsmini-
sterium nach Friedrich Wilhelms Befehlen bei polnischen Pro-
vokationen ihre sofortige Abwehr vor7), doch erfolgte nichts
Besonderes, was eine so einschneidende Maßregel zur Not hätte
rechtfertigen können. Wohl aber reizten die Polen Katharina
durch einen nur allzu begreiflichen Widerstand gegenüber Forde-
rungen der russischen Truppen, durch Versuche der Konföde-
ration, sich von dem russischen Joche etwas zu befreien, wobei
sie ganz von selbst auf die Reformversuche des vergangenen
Jahres zurückgriff, ohne aber — ebenso natürlich — irgendwelche
Fortschritte dabei zu machen, durch Pamphlete, durch Demon-
strationen auf dem Theater, durch gesellschaftliche Kaltstellung
1 ) H.E.B. 273—274 und O g i n s k i I 172 ff. ; doch kommt hier sicher
die preußische Regierung, wahrscheinlich auch Lucchesini, zu schlecht weg.
2) An Lucchesini 10. August.
3) An Tarrach P.S. zum 30. August, 31. August.
4) An Buchholtz 4., 6., 11., 21. Oktober. Berichte vom 13. und
27. Oktober.
5) An Goltz 3. September.
6) Vgl. Rep. 9 — 272 Korrespondenz mit Möllendorff.
7) ib. Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium 13. September
etc., dazu an Lucchesini 8. Juli; an Goltz 1. Oktober.
198 H. Abschnitt
der Russenfreunde, die man angeblich nicht „riechen" konnte1),
durch laute, unkluge Sympathiekundgebungen der Anhänger der
Verfassung vom 3. Mai für die Franzosen, von deren Fortschritten
sie eine günstige Rückwirkung auf die eigenen Zustände er-
warteten, besonders als dann die Sendung einer Deputation der
Konföderation nach Petersburg so ganz ergebnislos blieb, ja die
Mitglieder der Konföderation zu glühendem Haß gegen Katharina
entflammte2), so daß der Zustand von Tag zu Tag unhaltbarer
wurde. Der russische General en chef Kachowski, der von Katha-
rina in dieser Zeit mehr hörte als Bulgakow, ließ sich die Be-
merkung entschlüpfen, dem werde man nur durch eine neue
Teilung abhelfen können3). Doch für jetzt mußte Preußen noch
warten, noch war die Entschädigungsfrage nicht einmal mit
Österreich geregelt, und jenes drängte deshalb von neuem auf
die Abschaffung der polnischen Steuern, um auf diese Weise die
lästige polnische Armee aus der Welt zu schaffen4).
Jene Entschädigungsfrage wurde nun in diesen Monaten für
Preußen brennend. Während Rußland sich mit dem Zustand
einer Besetzung Polens durch seine Truppen ruhig noch länger
hätte abfinden können und deshalb mit dem Verhalten Preußens
recht zufrieden war5), mußte Preußen sich erst in den Besitz
seines Anteils setzen, um des Anrechts daran nicht verlustig zu
gehen. So wurde Preußen hierin doch gezwungen, das erste Wort
zu sprechen und seinem Partner die Möglichkeit zu überlassen,
seine Zustimmung zu den preußischen Wünschen als Konzession
auszubeuten. Aber bis in den September, ja teilweise sogar in
den Dezember, dauert dieser unentschiedene Zustand des Hin-
und Herlavierens. Ich gebe den Versuch auf, alle Phasen dieses
Geplänkels hier wiederzugeben, die für uns auch keine Bedeutung
haben. Nur einen Versuch Preußens, die Hilfe Österreichs für
die Durchführung des Kordons zu gewinnen, muß ich noch an-
führen, da ihm oft eine andere Erklärung gegeben worden ist.
Man hat dabei eben nur das Ergebnis, nicht aber die eigentliche
preußische Absicht berücksichtigt.
1 ) 0 g i n s k i I 234—235.
a) An Buchholtz 28. Dezember. Berichte von Goltz 19./30. November
und 5./16. Dezember.
3) Berichte von Buchholtz 7., 10., 17., 21., 24., 28. November, 8. und
22. Dezember. An Buchholtz 25. und 30. November.
*) An Goltz 24. September.
5) Berichte 21. Mai/1. Juni und 1./12. Juni — es war ja die gewünschte
schweigende Billigung des russischen Vorgehens, eher noch mehr.
Kriegskostenentschädigung
199
C. Wir erinnern uns der Depeschen an Ludwig Cobenzl vom
12. April, in denen zwar der österreichische Plan nochmals emp-
fohlen worden war, aber schon ohne rechte Kraft und Hoffnung
auf Erfolg, da die französische Frage ihre Lösung jetzt nur noch
auf kriegerischem Wege finden zu können schien. Kaunitz hatte
bloß noch die Absicht, Katharinas Vorgehen gegen die Polen
möglichst zu verzögern und zu mildern, gleichzeitig zu verhindern,
daß sich Rußland wieder den alleinigen Einfluß in Polen sicherte,
vermittels der Einigung der drei Nachbarmächte über Polens
Schicksal1). Die russische Aktion drohte dem ein rasches Ende
zu machen. Was lag nun näher, als Preußen zu gewinnen, das
zwar den eigentlichen österreichischen Plan auch abgelehnt hatte,
sonst aber mit Österreich vielfach die gleichen Interessen in
Polen zu haben behauptete, und gemeinsame Vorstellungen bei
Katharina zu dem angegebenen Zwecke zu wagen? Außerdem
mußte auf die weiteren rassischen Mitteilungen doch irgendeine
Antwort gegeben werden. Gleich bei dem Eintreffen der zweiten
Nachricht aus Rußland schrieb er daher am 4. Mai an Philipp
Cobenzl, man müsse sich in das Unabänderliche fügen, aber
Katharina dazu bringen, mit Österreich und Preußen eine Kon-
vention zu schließen2), in der sie sich verpflichte, nur gemeinsam
mit ihnen vorzugehen, was dann natürlich auch für die anderen
Höfe gelten würde3). So ließ er auch Spielmann sich gegen Jacobi
äußern, obwohl der Staatsreferendar deutlich genug seine eigene
Ansicht zu verstehen gab, daß er nichts tun, sondern alles ab-
warten wolle4). Am 16. Mai schlug Kaunitz offiziell Jacobi jene
Konvention vor5). Praktisch sollte sie in der Art werden, daß
nicht etwa auch Österreich und Preußen ihrerseits Truppen in
Polen einrücken ließen; es reichte ja aus, wenn Rußland es tat
und sich dadurch allen Haß zuzog. Nur durch gemeinsame Er-
klärungen der drei Mächte sollte sie in Erscheinung treten. Ruß-
land sollte nun die Häupter der antikonstitutionellen Partei ver-
anlassen, bei Österreich und Preußen dasselbe Verlangen zu
zeigen, wie sie es bei Rußland bereits getan hatten, nämlich eine
Verfassung unter dem Schutze aller drei Mächte zu bilden.
So war also der Hauptgedanke von Kaunitz das Konzert zu
M Vi veno t I 311, 312, 313, 314; II 471, 473, 474.
2) Häußerl 356; S y b e 1 II 212—213.
3) Schütter 59.
4) Bericht 5. Mai.
5) Bericht Jacobis 16. Mai. Vi veno t II 432 und 450.
200 H. Abschnitt
dreien, dessen diplomatische Maßregeln durch Rußland in die
Tat umgesetzt werden sollten, und die Herstellung eines Zustandes,
bei dem Rußland nicht den ausschließlichen Einfluß erhielt1).
Aber den territorialen Status quo wollte er beibehalten, und es
hieße ihn völlig mißverstehen, wenn man ihm Teilungsabsichten
zuschreiben wollte.
Preußen aber hatte ganz andere Absichten. Auf Deklarationen
ohne dahinterstehende Kraft gab es nichts. Wie konnte es außer-
dem mit Rußland eine gleiche Erklärung abgeben, das seinen
Standpunkt eben klar entwickelt hatte, ohne die deutschen
Mächte vorher zu fragen, und in einer Weise, die ihnen den Bei-
tritt unmöglich machte2)? Nicht eine Einigung zwischen Öster-
reich und Preußen mit Rußland, sondern eine solche gegen
Rußland sah es vor. Es macht hierfür nichts aus, daß dieser
Gegensatz nach außen möglichst wenig hervortreten sollte3).
Wenn auch Jacobi zunächst nur von einer Deklaration an Ruß-
land reden wollte, so ging das preußische Ministerium doch viel
weiter und dachte, wie ich schon hervorgehoben habe, daran,
einen Kordon durch Polen zu ziehen, in engster Verbindung mit
seinen Entschädigungsplänen. Von diesen wußten aber weder
Jacobi noch Haugwitz so genau, nur spät und leise klingt in den
ministeriellen Erlassen diese Saite an. Sie hielten sich an ihre
Instruktionen und nahmen daher die diplomatische Aktion auf,
in dem Gedanken, sie eventuell auch tatkräftig zu unterstützen,
ja sie gaben ihr ganz gegen die Absicht des Ministeriums4) den
entscheidenden Anstoß. Besonders der eben, am 22. abends,
angekommene Haugwitz5), der Jacobi ablösen sollte, entwickelte
in diesem Punkte einen manchmal recht unbequemen Feuereifer.
Er ließ sich durch die große Liebenswürdigkeit bestechen, mit
der die Österreicher ihm entgegenkamen6), und von der Meinung
beeinflussen, Österreich mache über Polen selbst keine Vorschläge
mehr, sondern schließe sich nur dem preußischen Vorgehen an;
x) Berichte Jacobis 16. und 19. Mai.
2) An Jacobi 21. und 24. Mai. Katharina hatte ihr Vorgehen auf die
alten Verträge zwischen Rußland und Polen begründet.
3) Rep. 96, 147 G II, S. Au Roi 30. Juni 1792.
4) Rep. I 170. An Haugwitz 31. Mai. An Jacobi 3. Juni.
5) Berichte von Jacobi und Haugwitz vom 23. Mai.
6) Haugwitz' Bericht 28. Mai: Kaunitz sagt: Votre Roi gagne de
jour en jour dans mon affection pour lui et je puis dire que c'est un homme
secundum cor meum . . . quand un homme comme moi, de mon experience
et surtout de ma perspicacite( !) prononce, tout homme doit en etre tres flatte.
Kriegskostenentschädigung 201
Preußen müsse es also antreiben1). Gestützt auf eine besondere
Instruktion über die polnische Frage, die er sich in Berlin kurz
vor seiner Abreise am 9. Mai ausgewirkt hatte, die er aber in
einem Hauptpunkt nicht beachtete, nämlich immer das russische
Vorgehen abzuwarten und äußerst vorsichtig zu sein2), schlug er
mit Jacobi am 28. Mai nachmittags bei Spielmann eine Dekla-
ration Österreichs und Preußens in Petersburg vor, die Jacobi
aufgesetzt hatte3), um Rußland zu Konzessionen zu veranlassen.
Es scheint mir zwar nicht so sicher aus dem Wortlaute des preußi-
schen Entwurfes, der ein ganz Teil schärfer ist als der öster-
reichische, als vielmehr aus den Depeschen von Haugwitz her-
vorzugehen, daß er und Jacobi auch nicht davor zurückgeschreckt
wären, ihren Forderungen durch eine militärische Demonstration
gegenüber Russen und Polen Nachdruck zu verleihen4), so daß
sie schließlich auf Ähnliches hinausgekommen wären wie das
Kabinettsministerium, nur daß dies gleich damit beginnen wollte.
Damit hatte nun Haugwitz bei Spielmann absolut kein Glück
— natürlich. Dieser lehnte jeden derartigen Schritt ab, da er
bei Katharinas festem Entschluß nichts nütze, ja vielmehr schade,
indem er sie nur gegen die Mächte aufbringe, und diese seien doch
wohl nicht geneigt, zur Durchführung ihrer Ansichten Heere in
Polen einrücken zu lassen, wo die Rüstungen gegen Frankreich
schon so viel Geld kosteten5). Nur die Rücksicht auf Kaunitz
preßte ihm schließlich das Geständnis ab, der preußische Vor-
schlag bewege sich ganz auf der von Kaunitz vorgezeichneten
Linie6), und das veranlaßte wieder Haugwitz, in Spielmann einen
Beförderer dieses Planes zu sehen?). Um so besser ging es gleich
bei Kaunitz. Er fand in dem preußischen Vorschlag seine alte
Idee in veränderter Form wieder, näherte sie seinem eigenen Plan
wieder an und empfahl sie dem Kaiser oder richtiger dem Könige
zur Genehmigung. Spielmanns Einwände gegen die Ausführbar-
keit seien durch die Tatsachen widerlegt und rührten nur daher,
daß nicht er, sondern Kaunitz auf diesen Gedanken gekommen
1) Haugwitz' Bericht 6. Juni.
2) Rep. XI 89 c2. Nur in Kopie; an der Echtheit ist kein Zweifel.
Vgl. oben.
3) Ein längerer, aber wesentlich inhaltlich gleicher Entwurf von
preußischer Seite befindet sich in Rep. XI Rußland 133 A.
4) Berichte Haugwitz' 2. und 15. Juni. An Haugwitz 7. Juni.
5) Bericht Jacobis 26. Mai.
6) Berichte Jacobis 28. und 29. Mai. VivenotII451.
7) Haugwitz' Bericht 2. Juni.
202 n- Abschnitt
sei1). Er hoffte, hier einen selten günstigen Schlag zu führen, und
trieb daher zur raschen Genehmigung2). Immer beobachten wir die
gleiche Erscheinung, daß er durch diplomatische Künste, durch No-
ten und durch Drohungen allein womöglich sein Ziel erreichen
will, ohne die ernstliche Absicht, ihnen die Tat folgen zu lassen.
So schnell, wie er und Haugwitz wollten, ging es nun aber
doch nicht. Die Reise von Franz zur Krönung nach Ofen ver-
zögerte die Bestätigung um einige Tage. Sie erfolgte am 9. Juni,
obwohl die wahren Absichten von Franz schon nach ganz anderer
Richtung hingingen3). Da gegenüber dem preußischen Entwurf
doch von den Österreichern so starke Änderungen gemacht
worden waren, daß Kaunitz nicht sicher war, ob Preußen sie in
dieser Form annehmen werde4), konnte die Deklaration aber
auch nach der Ansicht von Franz kaum etwas schaden. Zwar
war in dem zur Annahme gelangten österreichischen Entwurf an
den Hauptforderungen nichts geändert worden. Aber den An-
fang, der den Unwillen beider Mächte über das isolierte Vorgehen
Katharinas gegen ihre Versprechungen ziemlich stark ausdrückte,
ließ Kaunitz weg und stellte an seine Stelle einige Sätze, die an
Entgegenkommen wirklich nichts zu wünschen übrig ließen.
Den Entwurf zu einer Konvention nahm er schließlich auch
gleich in den Text auf5), um Rußland möglichst die Hände zu
binden6). Als Konzession Österreichs für den Fall, daß Katharina
die beiden Forderungen genehmigte, bot er eine österreichische
Erklärung an, die der russischen beitreten sollte, soweit sie sich
auf die Grundsätze der polnischen Regierung bezog. Und während
der preußische Entwurf am Schluß klipp und klar den Polen mit
1) Vivenot II 453.
2) Haugwitz' Bericht 2. Juni: . . . si on venait ä bout d'obtenir ce
qu'on s'etait propose par cette declaration, ce serait un de ces coups de
politique comme ils s'en fönt peu.
3) Philipp Cobenzl bemerkte kurz darauf, sie sei zwar vor der Einigung
mit Preußen über den Tausch entstanden, lasse sich aber ganz gut mit den
Vorbereitungen dazu vereinigen (Vivenot II 486). Ebenso meinte
Schulenburg, Katharina erhalte nun eine neue Veranlassung, sich über
ihre polnischen Pläne näher auszusprechen (Rep. 96, 147 G II, S. Au Roi
30. Mai). Nur schade, sie tat es nicht.
4) Haugwitz' Bericht 11. Juni. Haugwitz selbst hatte seinem Könige
Änderung der Ausdrücke vorbehalten (Bericht 2. Juni) und spielt das
gegenüber dem Kabinettsministerium als besondere diplomatische Ge-
schicklichkeit aus — man merkt den Anfänger!
B) Vivenot II 465 und 468; Schütter 61—62.
6) Vivenot II 475 und 482; Schütter 62.
Kriegskostenentschädigung
203
einer Exekution gedroht hatte, setzte Kaunitz an diese Stelle,
ohne viel zu ändern, die diplomatische Pression. So glaubte er
sein Ziel zu erreichen, Rußland nicht zu reizen, ihm die Aktion
zu überlassen und doch seinen ausschließlichen Einfluß in Polen
nicht zur Herrschaft kommen zu lassen. Am 21. Juni ging dieser
österreichische Entwurf nach Berlin ab. Wurde er hier genehmigt,
so konnten die beiden Gesandten in Petersburg die Deklaration
übergeben. •
Was sollte man nun in Berlin tun? Ganz ohne preußische
Mitwirkung war der Plan nicht ausgeheckt worden, aber man
hatte ihm in Wien die preußischen Spitzen genommen und ver-
sucht, ihn den österreichischen Interessen dienstbar zu machen.
In Berlin hatte man in dieser Zeit gerade an so einen diplomatischen
Schritt nicht gedacht, vielmehr weitere Schritte Rußlands und
Polens abwarten wollen1). Man stimmte darin ganz mit Spiel-
mann überein, daß ein solcher Schritt Katharina nur nutzlos
reizen könne2). Nur an eventuelle militärische Vorkehrungen,
die angeblich die Sicherung der preußischen Grenze erforderten,
dachte Preußen. Tatsächlich sollten sie sich gegen ein allzu weites
russisches Vorgehen richten und ihm seine Kostenentschädigung,
unabhängig vom Ausgang des Krieges, gegen die Revolution
sichern3). Denn wie in diesen Tagen Schulenburg Alopeus gegen-
über andeutete, auch das Entgegenkommen Preußens für Ruß-
land habe seine Grenzen. Seinem Könige begründete er das
damit, daß man in der augenblicklichen Lage eben, soweit es
gehe, Rücksicht auf Rußland nehmen müsse4). Preußen beharrte
auch nach dem Sonderbündnis mit Rußland noch eine Zeidang
auf dem Standpunkt, über Polen müßten sich die drei Mächte
verständigen, und sicherte in einem Vertragsartikel daher Öster-
reich den entsprechenden Einfluß, ohne daß dies die gleiche Auf-
merksamkeit für Preußen gehabt hätte5).
*) An Haugwitz 31. Mai.
2) An Jacobi 3. Juni, an Haugwitz 7. und 18. Juni.
3) Das geht deutlich aus der erwähnten Instruktion für Haugwitz
hervor (Rep. XI 89 c2).
4) Rep. 96, 147 G II, S. Au Roi 30. Juni. Je n'ai pas manque de glisser
cette derniere Observation (daß Rußland sich nicht die ausschließliche
Macht in Polen sichern dürfe) au Sieur Alopeus afin qu'on ne se meprenne
pas ä Petersbourg sur les sentiments de Votre Majeste et la condescen-
dance qu'Elle temoigne dans ce moment ä l'Imperatrice, condescendance
necessaire dans le moment present, mais qui doit avoir ses bornes, si le
Cabinet de Petersbourg ne chariait pas droit.
5) Rep. 96, 147 G II, S.A. Au Roi 3. Juli. F.A. Au Roi 16. Juli.
204
II. Abschnitt
Der Entwurf von Jacobi-Haugwitz hatte also in Berlin wegen
seiner scharfen antirussischen Sprache sehr unangenehm be-
rührt. Bei der Ausführung ihres Planes hätte Preußen den
Erfolg seines bisherigen Entgegenkommens gegen Rußland völlig
in Frage gestellt und seinen eigenen Erklärungen nach Petersburg
arg widersprochen. Da es aber glaubte, Franz habe seine Ge-
nehmigung schon erteilt, so wollte es wohl oder übel in der Haupt-
sache zustimmen und nur die Form mildern. Das stellte sich dann
als irrig heraus, und nun wollte es am liebsten die ganze Sache
noch zu Fall bringen mit allen Mitteln, die überhaupt verfügbar
waren1). Ja, Schulenburg behauptete jetzt sogar, die preußischen
Gesandten seien ohne Instruktion vorgegangen; aber sein Zusatz,
das Prinzip daran sei richtig, läßt erkennen, daß er nur die Form,
nicht aber das Vorgehen selbst mißbilligte2). Aber es war zu
spät. Haugwitz hatte nach dem ersten Befehl vom 3. Juni, den
er gleichzeitig mit der Billigung von Franz erhielt, bereits zu-
gestimmt, nur eine Abänderung der Ausdrücke seinem Hofe vor-
behalten. Das erwies sich als unnötig, da Österreich selbst eine
möglichst milde Form gewählt hatte. Ablehnen wollte Preußen
jetzt die ganze Deklaration schon deshalb nicht, um dem Ge-
rüchte, Preußen stehe mit Rußland über eine neue Teilung Polens
in geheimer Verhandlung, nicht neue Nahrung zuzuführen3).
Es ließ jetzt geflissentlich den österreichischen Plan unverändert4),
um nicht durch Abänderungen die Verantwortung für seine
Redaktion mit zu übernehmen.
Am 27. Juni wurde also nach Eintreffen der königlichen Ge-
nehmigung der Befehl an Goltz in Petersburg aufgesetzt, die
Deklaration zu übergeben, aber Ludwig Cobenzl durchaus voran-
gehen und damit die österreichische Initiative möglichst deutlich
hervortreten zu lassen5), während Kaunitz wieder Preußen dafür
verantwortlich machen wollte6). Der Erfolg eines solchen Vor-
gehens war denn auch gleich Null. Goltz und Cobenzl wußten
zuerst gar nicht recht, was es mit der Konvention auf sich haben
solle. Sie überreichten am 12. Juli, auch hier im unklaren, auf
Cobenzls Wunsch, der nicht hinter Goltz stehen wollte, aber auf
i) Vivenot II 461. An Haugwitz 7. Juni.
2) Vivenot II 461.
3) Bericht Haugwitz' 11. Juni. An Haugwitz 16. Juni.
*) An Haugwitz 18. Juni. An Goltz 27. Juni.
8) An Haugwitz 20. Juni.
6) Vivenot II 468 und 473. Bericht Haugwitz' 15. Juni.
Kriegskostenentschädigung
205
Goltzens Vorschlag1) nur ein von beiden unterzeichnetes Schrift-
stück2). Besborodko nahm es an Stelle des verreisten Oster-
mann entgegen, und damit war es in den Akten begraben. Die
Minister wollten für sich nicht recht die Notwendigkeit einer be-
sonderen Konvention nach den Verträgen einsehen, bezogen sich
aber auf die noch nicht erfolgte und wohl auch nicht so bald er-
folgende Entscheidung Katharinas. Erst am 20./31. Juli meldete
Goltz, der nachgiebige Ostermann habe eine baldige Antwort
Rußlands auf die Deklaration versprochen, und zwar an jeden
eine besondere. Das veranlaßte eine erstaunte preußische Rück-
frage und die Bemerkung, sie würden aber doch identisch sein3).
Es dauerte auch jetzt noch einige Zeit, ehe sie erfolgte, so daß
Goltz mit seinem Mißtrauen recht behielt4). Mit Worten konnten
die Mächte natürlich bei Katharina nichts ausrichten, und zu
Taten wollte es nicht einmal Kaunitz kommen lassen, der als
einziger ganz hinter dem Plane stand. Sie hüllte sich einfach
wieder einige Wochen in Schweigen, und so fiel die geplante
Konvention völlig zu Boden. Die Antwortnoten Rußlands an
Österreich und Preußen vom 14./25. August waren durchaus
bedeutungslos und sollten nur der Form genügen. Natürlich
war darin der Gedanke, Rußland wolle sich den ausschließlichen
Einfluß in Polen sichern, von der Hand gewiesen, aber auch die
Hauptforderungen der Mächte : Rußland, Österreich und Preußen
sollten eine Konvention schließen und die Konföderierten sollten
Österreich und Preußen um ihre Mitwirkung bitten, wurden ab-
gelehnt, da nach den Verträgen eine besondere Konvention über-
flüssig sei und die Konföderation sich noch nicht vollzählig ver-
sammelt, ja noch nicht einmal einen festen Sitz habe. Erst dann
sei der gewünschte Schritt möglich, und Katharina werde auf
ihn hinwirken. Zum Schluß fügte sie ihre alte Forderung hinzu,
die Mächte sollten ihren Beitritt zu den russischen Grundsätzen
erklären, dadurch würden sie die Pazifikation Polens beschleunigen
— natürlich ohne Erfolg. Den Mächten blieb nichts anderes übrig,
1 ) Rep. I 171 und Rep. XI 89 g2. Ludwig Cobenzl an Kaunitz
21. Juli.
2) Goltz war über das Vorangehen der Österreicher, das er noch
geflissentlich betonte, sehr erfreut, da die Russen nun den Österreichern
die Schuld daran in die Schuhe schieben würden (Berichte 30. Juni/10. Juli,
2./13., 6./17., 9./20. Juli).
3) An Goltz 16. August.
4) Berichte 30. Juli/10. August und 6./17. August.
206 II. Abschnitt
als sich mit der Antwort zufrieden zu geben1). Auf diesem Wege
kamen sie der gewünschten Regelung der polnischen Verhältnisse
in ihrem Sinne nicht einen Schritt näher.
D. Wenden wir uns jetzt einer bedeutenderen Frage zu, der
des Bündnisses zwischen Rußland und Preußen. Zwar, verglichen
mit dem Berliner Vertrage zwischen den deutschen Mächten tritt
seine Bedeutung ganz in den Hintergrund, aber als Vorstufe zu
der zweiten Teilung Polens ist es doch wichtig genug, um uns
hier seine Entstehung und seinen Wert zu vergegenwärtigen.
Österreich und Preußen hatten am 12. bezw. 16. April auch
Rußland eingeladen, ihrem Bunde beizutreten2). Dies lehnte
schon Anfang Mai den einfachen Beitritt ab3), da der erste geheime
Separatartikel seinen Verpflichtungen Polen gegenüber wider-
spreche. Denn darin sei von der Infantin die Rede, d. h. der
Tochter des sächsischen Kurfürsten, die nach seinem Tode den
polnischen Thron erben sollte, und das setze wieder die Aner-
kennung der neuen Verfassung voraus. Nun bestand aber zwischen
Österreich und Rußland schon ein Bündnis4). Katharina konnte
also in ihrem Briefe an Friedrich Wilhelm vom 3./14. Mai5) den
Abschluß eines Sonderbündnisses mit Preußen vorschlagen6), um
scheinbar zu demselben Endziel zu kommen, ohne Österreich
zu verletzen, und sich doch Preußen zu nähern, woran ihm am
meisten lag. Aber man muß doch sagen, daß in der Depesche
Ostermanns an Rasumowski der Hohn aus jeder Zeile spricht,
in der von dem Bündnis die Rede ist. Die Österreicher merkten
auch gleich die Tücke — das war nach den Vorgängen vom
Februar an nicht schwer. Sie machten jedoch gute Miene zum
bösen Spiel7) und suchten es, so gut es gehen wollte, unschädlich
zu machen. Jetzt kam ihnen ihre Zurückhaltung gegenüber den
Polen selbst zu gute8). Schon am 1. Juni erhielt de Cache in
1 ) Bericht 17./28. August mit der russischen Note vom 14./25. August.
Finckenstein und Alvensleben an Buchholtz 14. September (quoiqu'un peu
vague est pourtant tres polie et assez satisfaisante). Vivenot II 559.
2) Beer 168—171; Vivenot I 311. Rep. XI Rußland 133 A.
An Goltz 17. April, Friedrich Wilhelm an Katharina 15. April.
3) H.A. 64; H.E.B. 234—235; Beer 175—176. Vgl. auch Clap-
h a m 216.
4) Das von 1781 war 1789 auf acht Jahre erneuert worden.
5) Rep. XI Rußland 133 A. M a r t e n s II 197.
6) S o r e 1 II 464 gibt ihm ein ganz sonderbares Ziel. Vgl. auch II 497.
7) Bericht von Goltz 11./22. Mai.
8) S s o 1 o w j o f f 293—294; Vivenot II 460.
Kriegskostenentschäxiigung 207
reichisches Einschreiten zu Gunsten der neuen Verfassung offiziell
als unbegründet zu bezeichnen, und wenige Tage darauf gab
Kaunitz nach Petersburg entsprechende Befehle. Aber freilich,
die diplomatischen Formen erwiesen sich als durchaus unzu-
reichend.
Österreich schlug jetzt nämlich auf Anregung Rasumowskis1)
die vorzeitige Erneuerung seines Sonderbündnisses mit Rußland
vor2). Die Russen wunderten sich über dies seltsame Begehren,
aber sie gingen ruhig darauf ein. Schaden konnte es sicher nichts,
vielleicht noch Österreich in der polnischen Frage gefügiger
machen3). Da so von beiden Seiten kein Hinderungsgrund vor-
lag, vielmehr Österreich raschen Abschluß vor der Kaiserkrönung
von Franz wünschte, um nicht den alten Streit über den Vor-
rang des Kaisers vor Katharina zu erneuern, der den Abschluß
eines formellen Vertrages unter Joseph unmöglich gemacht hätte4),
kam das Bündnis, von Ludwig Cobenzl eifrigst betrieben5),
rascher zum Abschluß als das mit Preußen. Am 3./14. Juli war
es fertig6) und kennzeichnet sich gerade durch die Geschwindig-
keit seines Abschlusses gelegentlich einer Landpartie von Cobenzl
mit Besborodko7) als völlig bedeutungslos, mochte auch seitdem
Cobenzl im engsten Einvernehmen mit den Russen zu stehen
scheinen8). Es genügt ja, auf die Tatsache hinzuweisen, daß die
x) Vi venot II471; WassiltchikowII 1, 137—138. Bericht
Haugwitz' 14. Juni.
2) Martens II 197—198.
3)HäußerI 396.
4) Vivenot II 457 und 474; Martens II 198.
5) Bericht 30. Juni/10. Juli.
6) Smitt (II 460-^62) und Sybel (III 166) bezeichnen es als
fast gleichlautend mit dem preußisch-russischen. Da beide Verträge nach
den alten der betreffenden Mächte aufgesetzt sind, so sind sie mit diesen
zu vergleichen, der österreichische mit dem von 1781 (Martens II
107—110; Arneth, Joseph II. und Katharina [Wien 1869] 72—90).
Smitt hat nur ihn im Auge.
7) Berichte 2./13. und 6./17. Juli. Ostermann unterzeichnete es dabei
auf seinem Landgute.
8) Markow erbot sich übrigens, das preußische Bündnis auf den
3./14. Juli zurückzudatieren. Goltz lehnte das dankend als zwecklos ab. —
Der Separatartikel des russisch-österreichischen Vertrages garantierte
gerade die Integrität Polens (Martens II 211). Als die Preußen das
hörten, waren sie zwar etwas verdutzt, meinten aber, eine solche Verein-
barung könne leicht durch eine andere ersetzt werden. Rep. 96, 147 G III,
F. S.A. Au Roi 4. November 1792.
208 II- Abschnitt
zweite Teilung Polens unter dem Ausschluß von Österreich vor
sich gegangen ist.
So glatt ging es mit Preußen nicht. Auch dies erkannte,
daß der Abschluß bei den Österreichern Eifersucht erregen könne.
Um dem vorzubeugen, bat es Katharina, den Vertragsentwurf
in Petersburg aufsetzen zu lassen. Das konnte gleichzeitig als
Gefälligkeit gegen Katharina erscheinen1) wie als Zeichen seiner
Bundestreue für Österreich. Aber es zog doch vor, die Depesche
von Ostermann an Alopeus ebenso wie den Brief Katharinas an
Friedrich Wilhelm für sich zu behalten; sie klangen gar zu ent-
gegenkommend2), und ihre Mitteilung hätte in Wien gerade das
Ergebnis gehabt, das man verhindern wollte; sie hätte notwendig
die Eifersucht Österreichs gesteigert. Goltz erhielt daher auch
den Auftrag, an Cobenzl nur die anderen Schriftstücke mitzu-
teilen3). Diese Verhandlungen sollten Preußen auch weitere
Aufklärung über Katharinas Absichten in Polen verschaffen4).
Es hoffte, sie noch vor der Konferenz mit den Österreichern zu
1) An Goltz 10. Juni. Bericht 1./12. Juni.
2) In der Depesche hieß es: qu'Elle (Katharina) prefere encore cette
marche parce qu'elle earacterise encore plus parfaitement le retour reci-
proque aux anciennes idees qu'on avait sur l'utilite des liaisons entre les
deux monarchies et qu'en les renouvelant presentemen* il sera plus facile
aux deux Cours d'en determiner les principes et les bases de la maniere
la plus rapprochee de leurs interets permanents. Les traites precedents
qui ont subsiste entre elles pourraient servir de modele ä celui dont il s'agit
en y admettant les modifications qu'exige l'etat actuel des choses et des
affaires . . . Dagegen nun die Depesche an Rasumowski: S. M. proposera
ä ce dernier monarque (Friedrich Wilhelm) de vouloir bien contracter
avec Elle des liens directs et separes, qui fondes sur les memes principes
que ceux, qui ont servi de base au traite de Berlin nouvellement conclu,
fussent adaptes encore aux interets et ä la convenance propre de Leurs
monarchies respectives. Damit werde der Zweck erfüllt und doch das Hin-
dernis vermieden . . par consequent S. M. J. espere que le Roi Apostolique
Son Allie n'y trouvera rien qui ne lui serve de nouvelle preuve de l'intcntion
constante que l'Imperatrice nourrit de cultiver et de resserrer de plus en
plus les noeuds de Palliance et de l'intime union qui les attachent Tun
ä l'autre. Hier ist natürlich von dem alten russisch-preußischen Bündnis
nicht die Rede und nur die Übereinstimmung mit den Grundsätzen
des Berliner Vertrages betont.
3) Rep. XI Rußland 133 A. Ostermann an Rasumowski 4./15. Mai,
an Alopeus 4./15. Mai. F. S.A. Au Roi 25. Mai mit königlicher Entscheidung
vom 26. Mai. An Goltz 28. Mai mit P.S. Reponse verbale ä Mr. d' Alopeus.
Ohne rubrum noch datum. Dazu an Jacobi 27. Mai.
4) An Goltz 14. Juni. Bericht 1./12. Juni. Rep. 96, 147 G II, S. Au
Roi 30. Juni.
Kriegskostenentschäd ig ung 209
srhalten. Da es dabei noch mehr als sonst vertraulich mit Alopeus
zu tun haben werde, so bat es wiederholt um seine formelle Be-
glaubigung1). Katharina könne ihn sonst auch leicht desavouieren,
nachdem sie den Preußen ihre Geheimnisse entlockt habe, und
sie mit deren Veröffentlichung kompromittieren. Aber erst nach
lern Abschluß des Vertrages erfolgte sie2). Nun endlich konnte
Alopeus der Armee mit den anderen Diplomaten folgen3). Preußen
ergriff diese Gelegenheit, um — ein ganz ungewöhnlicher Vor-
gang — den Russen für dies Vertrauen zu danken und dabei
gleichzeitig von neuem um eine deutliche Antwort in der pol-
nischen Frage zu bitten4). Für den Vertrag selbst kam also diese
Willfährigkeit der Russen zu spät. Wir sahen, daß Preußen den
Russen die Aufsetzung des Entwurfes zu ihrer großen Freude
zugeschoben hatte. Markow fertigte ihn an5), und am 3. Juli
konnte Alopeus ihn in Berlin überreichen mit verschiedenen dies-
bezüglichen Depeschen von Ostermann an ihn6). Gleichzeitig
ließ Rußland um rasche Erledigung der Sache bitten. Ostermann
ging inzwischen auf etwa zehn Tage auf Urlaub auf sein Landgut.
Damit ging er zugleich den lästigen Fragen der Deutschen über
Polen und Frankreich aus dem Wege7).
Die Preußen wollten an einer Verzögerung nicht schuld sein8).
Goltz erhielt noch einen besonderen Kurier zur Verfügung ge-
stellt, um den Vertrag sofort übersenden zu können9). Sie hatten
auch nur wenige Änderungen daran vorzunehmen. Sie scheuten
sich nicht, sie namhaft zu machen, da Ostermann ihnen aus-
1 ) An Goltz 5. Mai und 14. Juni. Bericht 18./29. Juni. Ranke
291 und Rep. XI 89 g1. Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg
27. Juli.
2) Rep. XI Rußland 133 B. Ostermann an Alopeus 30. Juli/10. Au-
gust.
3) Rep. XI 89 k. Alopeus an Schulenburg 31. Juli. Schulenburg an
Alopeus 1. August.
*) Rep. XI 89 k. Schulenburg an Goltz 9. September. Rep. XI
89 i. Schulenburg an Friedrich Wilhelm 9. September. In der Regel
blieben Beglaubigungsbriefe unbeantwortet.
B) Bericht 4./15. Juni.
6) Rep. XI Rußland 133 B, C, E. Ostermann an Alopeus 10./21. Juni
(drei Stücke). S.A. Au Roi 2. und 4. Juli mit königlichen Entscheidungen
(vgl. auch Rep. 96, 147 G II). Instruktion für Goltz vom 4. Juli. An Goltz
9. Juli. Bericht 4./15. Juni.
7) Bericht 25. Juni/6. Juli.
8) An Goltz 2., 4. und 9. Juli.
9) An Goltz 9. Juli RS. II.
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Kevolution 14
210 IL Abschnitt
drücklich, ich möchte beinahe sagen, die Erlaubnis dazu ge-
geben hatte1). «v, i*?J
Der eigentliche Vertragskörper blieb ganz unberührt. Er war
von den Küssen nach dem Vertrage vom 12. Oktober 1769 ent-
worfen worden unter Ausmerzung der unnötigen oder auf die
jetzige Lage nicht mehr anwendbaren Artikel2). Nur die ge-
heimen bezw. Separatartikel machten Schwierigkeiten3), be-
sonders natürlich der zweite über Polen, in dessen Fassung sich
die russische und die preußische Auffassung der polnischen Frage
widerspiegelten4). Es entschlüpfte den preußischen Ministern
schon der Ausdruck, die polnische Frage sei jetzt für die beiden
Höfe die wichtigste. Die Entschädigungsfrage war ja mit ihr
verbunden; sie wurde beharrlich als der Hauptgegenstand der
preußischen Politik bezeichnet, so daß diese auf den ersten Blick
scheinbar nur auf Rußland berechnete Fassung ihre volle Be-
rechtigung erhält5) — merkwürdig deshalb, weil noch zwei Monate
vorher Schulenburg ausdrücklich die französische Unternehmung
in den Vordergrund gestellt hatte6).
Rußland wollte jetzt Preußen zur völligen Verleugnung des
Werkes vom 3. Mai 1791 und zu einer Sondereinigung mit ihm
über die Wiederherstellung der alten Verfassung bringen, wie
ihm das so mit Österreich glückte. Preußen widersetzte sich
aber dem ersten teilweise, dem zweiten ganz. Denn für eine reine
Wiederherstellung der alten Verfassung wollte es sich nicht ver-
pflichten; etwas Gutes könne man ja beibehalten. Ein so
kompetenter Beurteiler der Lage, wie Lucchesini es war, hatte
die Verfassung von 1775 als diejenige bezeichnet, welche der
absoluten russischen Herrschaft in Polen am günstigsten sei,
*) Rep.96, 147 G II, S.A. Au Roi 3. Juli. Rep. XI 89 g1. Finckenstein
und Alvensleben an Schulenburg 10. Juli (zweimal).
2) Bericht 11./22. Juli. Rep. 96, 147 G II, S.A. Au Roi 3. Juli.
3) Die russische Garantie von Ansbach - Bayreuth fiel weg, ebenso
die preußische Garantie der schwedischen Verfassung. Goltz schlug nun
vor, als Gegenleistung für das erste die Garantie Holsteins auszumerzen
oder von Rußland ein Äquivalent zu fordern. Das Kabinettsministerium
tat das letztere mit der Einfügung eines Artikels über Kurland (Bericht
11./22. Juni. An Goltz 1. und 9. Juli. S.A. Au Roi 3. Juli in Rep. 96, 147
G II).
4) Beide Entwürfe sind gedruckt in S m i 1 1 II zu 462, die endgültige
Fassung siehe bei M a r t e n s VI 154 ff.
5) An Goltz 4. Juli.
6) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 37. Schulenburg an Lucchesini
11. Mai.
Kriegskostenentschädigung
211
gegen deren Wiederherstellung sich also Preußen kräftig wehren
müsse1). Preußen wollte sich dadurch die Möglichkeit offen
halten, mit der bestehenden Regierung zu unterhandeln, die man
nun als die einzig rechtmäßige anerkannt hatte, und es ver-
meiden, sich mit der unter rein russischem Einfluß stehenden
Targowicer Konföderation einzulassen2). Der Beitritt von Stanis-
laus zu ihr machte diese Unterscheidung dann unnötig und über-
flüssig, drohte aber auch, den russischen Wunsch nach ausschließ-
licher Herrschaft zu erfüllen. Preußen hatte nun eben seinen
Gesandten zu dem bevorstehenden Kongreß über Frankreichs
Schicksal unter dem Vorwande einer Badereise ins Lager schicken
müssen3). Um den russischen Intriguen entgegenzuarbeiten und
den Polen die — richtige — Ansicht zu rauben, daß sie von
Preußen verlassen seien4), hielt es die beschleunigte Absendung
eines neuen Gesandten für nötig5). Es wollte dementsprechend
auch nur „annähernd" die alte Verfassung wiederherstellen6), es
verlangte ferner die Zuziehung Österreichs zu den Polen betreffen-
den Verhandlungen auf Grund seines Vertrages7). So wollte es
dauernd einen europäischen Areopag für Polen einrichten, wie
1) Bericht Lucchesinis 4. April 1792.
2) Smitt II 479; S solo wj off 291.
3) Vgl. unten. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12. Friedrich Wilhelm
an Lucchesini 29. Juli.
4) Rep. 92. Lucchesinis Nachlaß 20: Lucchesini an seine Frau 23. Au-
gast. Finckenstein und Alvensleben an Tarrach 18. August. Während
der Abwesenheit von Lucchesini und Buchholtz führte der Legationssekretär
v. Tarrach, Lucchesinis Schwager, die Geschäfte. Die Instruktion für ihn
von Lucchesinis Hand in wahrhaft väterlichem Tone ist sehr interessant,
aber bedeutungslos (Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 III).
6) Rep. 96, 147 G II, FA. Au Roi 4. und 12. August. S. Au Roi IL,
18. August. — Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 4., 12.,
19., 27., 29. August. Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben
11. und 22. August in Rep. XI 89 g1.
6) So hatte es Goltz vorgeschlagen, und das Kabinettsministerium gab
das weiter (Bericht 11./22. Juni. Rep. 96, 147 G II, S.A. Au Roi 3. Juli).
7) König und Minister waren durchaus einig in der Betonung der
Notwendigkeit einer engen Verbindung mit Österreich. (Rep. 96, 147 G II
Und Rep. XI Rußland 133 B, S.A. Au Roi 3. Juli mit königlicher Entschei-
dung vom 4. Juli. F.A. Au Roi 16. Juli. An Goltz 9. und 15. Juli. Bericht
15. /26. Juni. Rep. XI 89 g1. Finckenstein und Alvensleben an Schulen-
burg 10. Juli. Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 13. Juli.
Rep. XI 89 b Schulenburg an Braunschweig 4. Juli.) Einmischungsgelüste
der Engländer wurden sofort abgelehnt (Rep. XI 89 g1 Schulenburg an
Finckenstein und Alvensleben 16. Juli. Finckenstein und Alvensleben
an Schulenburg 23. Juli. S a 1 o m o n, Pitt I, 2, 569).
212 IL Abschnitt
es gar nicht in Katharinas Absicht liegen konnte. Endlich wollte
es die lästige Thronfolgerrage gleich durch die Bestimmung einge-
schränkt wissen, daß kein Mitglied der regierenden Häuser gewählt
werden dürfe, man die Wahl zu Gunsten eines anderen Fürsten
überhaupt nicht beeinflussen wolle oder, wenn Eußland selbst
es vorschlage, daß nur ein Piast zur Herrschaft kommen dürfe.
Da Stanislaus alt und gerade jetzt krank war, so konnte dieser
Artikel bald praktische Bedeutung erlangen1). Aus Gefälligkeit
für Rußland fügte Preußen endlich einen dritten geheimen
Separatartikel bei, um Katharina dadurch zu bestimmen, nun
auch in der kurländischen Frage nachzugeben, wo Friedrich
Wilhelm persönlich interessiert war. Hier wollte er womöglich
die Erhaltung der bestehenden Verfassung garantiert haben2),
aber ohne daraus eine Kapitalfrage zu machen3). Goltz, der in
diesem Punkte voller Hoffnung war, sollte deshalb zwar möglichst
viel herauszuschlagen suchen, erhielt aber Vollmacht, bei russi-
schem Widerstände den Artikel nötigenfalls auch ganz fallen zu
lassen4).
In der polnischen Frage dagegen bestand Preußen auf seinen
Vorschlägen und wollte sich bei russischer Ablehnung über
eventuelle andere erst mit Österreich einigen. Daraus hätten
sich also recht langwierige Verhandlungen ergeben können.
Konnte Rußland nicht auch bei der preußischen Fassung seine
Hauptabsicht erreichen? Preußen hatte jedenfalls seine Meinung
deutlich genug ausgesprochen und bevollmächtigte Goltz darauf-
hin am 5. Juli zum Abschluß5). Es wartete nun von einem Tag
zum anderen auf eine klare russische Antwort, die dem Zustande
x) Berichte Tarrachs 29. August und 8. September. An Buchholtz
7. und. 17. September. An Goltz 7. und 16. September. Berichte von Goltz
21. September/2. Oktober, 28. September/9. Oktober.
2) Sybel III 166 bezeichnet diesen vierten Artikel irrig als von
Rußland vorgeschlagen.
3) Rep. XI 89 g1. Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg
10. Juli 1792.
4) Bericht 25. Juni/6. Juli. An Goltz 22. Juli. Rep. 96, 147 G II,
F.A. Au Roi 16. Juli. Den Abschluß des Vertrages hielt Preußen
durch alle diese Fragen für durchaus nicht gefährdet.
5) Rep. XI Rußland 133 C. Die genaue Instruktion ist erst vom
9. datiert (F.A. Au Roi 9. Juli). Am 10. ging sie nach der Unterzeichnung
durch den König sofort mit Kurier nach Petersburg. (Rep. XI 89 g1
Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 10. Juli. Schulenburg an
Finckenstein und Alvensleben 13. Juli.)
Kriegskostenentschädigung
213
des Abwartens ein Ende machen sollte1), sowohl über die öster-
reichisch-preußische Deklaration wie den Vertrag, wie das manch-
mal recht zweideutige Vorgehen Rußlands in Polen2), wie endlich
auch über die Entschädigungsfrage, deren verschiedene Möglich-
keiten Schulenburg mündlich mit Alopeus nach der russischen
Aufforderung deutlicher als bisher zu erörtern unternommen
hatte. Es war die Hauptfrage. War Preußen auch sicher darüber,
daß es Rußland mit der Defensivallianz ehrlich meine, so doch
keineswegs darüber, daß es nun auch die Beteiligung von Öster-
reich-Preußen an der Regelung der polnischen wünsche, d. h. ob
es auf eine Teilung eingehen werde3), ob es überhaupt eine solche
beabsichtige. Noch waren seine Pläne auf die Ukraine nur eine
preußische Hypothese4). Aus Österreich kamen ihm bald darauf
Äußerungen zu Ohren, die geeignet waren, den preußischen Hoff-
nungen einen starken Dämpfer aufzusetzen. An russischer Doppel-
züngigkeit konnte niemand mehr zweifeln. Es fragte sich bloß
noch, wer der Betrogene war, Preußen oder Österreich5). Die
russische Antwort auf die ersten beiden Fragen sollte den Preußen
nun die Wege ebnen helfen für eine befriedigende Regelung der
dritten. Sie hätte es übrigens auch im Vertrauen auf Rußland
geheim mit ihm allein provisorisch geregelt, ehe es offiziell mit
Österreich gemeinsame Erklärungen darüber machte6). Man
sieht, wie ängstlich Preußen einer Ablehnung seiner Forderung
durch Rußland gegenüberstand und wie wenig geklärt ihm die
1) Rep. 96, 147 G II, F.A. Au Roi 16. Juli. Rep. 9— 272 Rapport I,
P.A. Au Roi 20. Juli und 3. August. An Goltz 22. Juli, 5. August, 3., 12.
und 20. August. Rep. XI 89 g1 Schulenburg an Finckenstein und Alvens-
leben 10. und 20. August.
2) An Goltz 2. und 5. August.
3) Rep. XI 89 g1. Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben
26. Juli, 2. und 10. August. Finckenstein und Alvensleben an Schulen-
burg 12., 16. und 21. August. Schulenburg an Haugwitz 30. Juli und
2. September. Schulenburg ad contras. an Haugwitz 2. September.
4 ) Preußen bemühte sich beinahe, den Russen ihr Interesse daran
und die preußische Nachgiebigkeit in diesem Punkte klar zu machen.
Rep. XI 89 i an Reuß 15. August. Königliche Entscheidung zum Bericht
von Schulenburg an Friedrich Wilhelm vom 14. August. Rep. XI 89 g1
Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 14. August.
5) Rep. XI 89 g1 Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben
14. August, 16. August, Auszug aus: L. Cobenzl an Kaunitz 21. Juli 1792;
S. Au Roi 14. August; Schulenburg an Haugwitz 15. August; Finckenstein
und Alvensleben an Schulenburg 24. August; Schulenburg an Finckenstein
und Alvensleben 2. September.
6) An Goltz 9. Juli P.S.
214 IL Abschnitt
Lage damals erschien. Bei dem kleinsten Anzeichen einer anderen
russischen Gesinnung fürchtete es für alles, d. h. für seinen
schönen Entschädigungsplan, so z. B. als ihm die Übersetzung
des Manifestes der Targowicer Konföderation vom 14. Mai1)
bekannt wurde, in dem feierlich jeder Gedanke an eine polnische
Teilung abgeschworen wurde2), oder als es aus Warschau davon
hörte, Katharina habe Stanislaus vor die Alternative gestellt:
entweder Beitritt zur Konföderation oder Teilung3).
Die preußische Antwort wurde in Petersburg sehr günstig
aufgenommen. Gegen Änderungen hatte- man absolut nichts.
Der gesprächige, aber doppelzüngige Markow meinte aber zu
Goltz, am besten sei die direkte Festsetzung, daß nur ein Piast
gewählt werden könne, da Rußland nicht geradezu darauf ver-
zichten wollte, einen Prinzen seines Herrscherhauses dort auf
den Thron zu setzen. So wurde es auch festgesetzt, Goltz war ja
dazu ermächtigt4). Allgemeine Verwunderung erregte in Peters-
burg das bundestreue Verhalten Preußens gegenüber Österreich.
Dies zahle nicht mit derselben Münze5). Das wurde Goltz in der
ersten Konferenz von Ostermann und Markow6) bewiesen durch
*) d'A n g e b e r g 271 ff. Lucchesini übersandte sie mit seinem Be-
richte vom 11. Juli (vgl. auch an Lucchesini 20. Juli 17&2).
2) Idee d'un demembrement quelconque. An Goltz 22. Juli. Rep.
9 — 27 2 Rapports I, F.A. Au Roi 20. Juli. Wenn die Polen sich den
Russen bedingungslos in die Arme warfen, hofften sie wenigstens die
Gefahr einer neuen Teilung zu vermeiden (Bericht Lucchesinis 16. Juni).
Preußen Heß sich aber von Lucchesini nicht verleiten, das russische Ent-
gegenkommen als eine Falle zu betrachten, um Preußen mit Österreich
zu entzweien, dazu war es der gemeinsamen Interessen beider Mächte doch
zu sicher. Es dachte ja gar nicht daran, sich von Österreich abziehen zu
lassen; die angenommene Gefahr bestand also in keiner Richtung (Bericht
Lucchesinis 11. Juli, an Lucchesini 20. Juli. Rep. XI 89 g1 Finckenstein
und Alvensleben an Schulenburg 20. Juli; Schulenburg an Finckenstein
und Alvensleben 26. Juli). — Es verdient Beachtung, daß in dem
russischen Manifest nur von der Freiheit und der Unabhängigkeit der
Republik die Rede war.
3) An Goltz 16. August,
4) Bericht 23. Juli/3. August.
5) Berichte 16./27. Juli und 23. Juli/3. August 1792.
6) Besborodko war angeblich unwohl und nahm nur an der offiziellen,
d. h. unbedeutenden Schlußkonferenz teil. Da Goltz von ihm berichtete,
er sei nicht für eine Annäherung an Preußen, so hätten wir hier wieder
eine Art von Schulkrankheit anzunehmen (Berichte 20./31. Juli und
30. Juli/10. August). Freilich könnte man auch seine damals viel er-
wähnte Faulheit zur Erklärung heranziehen.
Kriegskostenentschädigung 215
die Verlesung des betreffenden Artikels in dem österreichisch-
russischen Vertrage, wo von Preußen keine Rede war. Die Ein-
beziehung von Österreich sei also unnötig. Aber Goltz bestand
auf seiner Instruktion, und da gaben die Russen nach, da es un-
verfänglich war1). Vergebens suchte auch noch besonders Ludwig
Cobenzl Zwietracht zu säen. Solange die österreichische Regie-
rung an dem Bunde ehrlich festzuhalten schien, ließ man sich
in Preußen durch Einflüsterungen Dritter nicht aus dem einmal
eingeschlagenen Wege abbringen. Nur in der kurländischen Frage
glaubte Goltz ernste Schwierigkeiten zu finden. Rußland werde
die letzte Verfassung nicht garantieren wollen, weil damit im-
plicite auch die neue polnische anerkannt würde, gegen die sich
die ganze russische Aktion richte. Man werde den Stand von
17882) garantieren wollen. Goltz nahm sich daher vor, eher den
ganzen Artikel fallen zu lassen, als etwas dem Herzog Nach-
teiliges zu unterzeichnen3). Er hatte damit in der Tat die russische
Ansicht getroffen. Weglassen aber wollten die Russen den Artikel
auch nicht, der ihnen wohl eine bequeme Handhabe zur Ein-
mischung bot. So wurde denn von Goltz sub spe rati die Fassung
angenommen, die den Stand von 1788 garantierte4).
Unter dieser Bedingung wurde am 27. Juli bezw. 7. August
der Vertrag abgeschlossen. Aber das war in der Tat nur eine
Form; kein Preuße hätte gewagt, daran eine so wichtige Ab-
machung scheitern zu lassen5). Die Minister gaben ihn noch am
20. August schleunigst an den König weiter mit dem Entwurf
der Ratifikation0), da sie nichts daran zu ändern für nötig hielten.
Die kurze Ratifikationsfrist von sechs Wochen, von denen drei
Tage noch durch die auf Ostermanns Bitte erfolgte Verzögerung
des preußischen Kuriers verloren gegangen waren7), hatte doch
ausgereicht. Denn auch der König war mit der von Goltz an-
1 ) Bericht 23. Juli/3. August.
2) Bei M a r t e n s VI 158 steht 1787.
3) Berichte 13./24., 16./27., 20./31. Juli.
4) Bericht 23. Juli/3. August,
8) Häußer I 396. An Goltz 28. September, Ostermann an Alo-
peus 30. Juli/10. August (Auszug).
6) An Goltz 20. August. Rep. XI Rußland 133 C Ratifikationsent-
wurf. Rep. XI 89 g1 Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg
21. August 1792. Rep. 9— 272 F.A. Au Roi 20. August.
7) Ostermann wollte ihm sehr wichtige Briefe an Alopeus mitgeben —
es war die Beglaubigung von Alopeus und eine Depesche an ihn über den
Abschluß des Vertrages (beides in Rep. XI Rußland 133 B).
216
II. Abschnitt
genommenen Fassung zufrieden und ratifizierte den Vertrag am
27. August im Lager von Chenieres1). Am 4. September2) gab
ihn das Ministerium weiter, am 7./18. September erfolgte der Aus-
tausch der Exemplare3), am 7. Oktober war das eine in Berlin4).
Die kurze Frist hatte also doch dank dem schnellen preußischen
Arbeiten ausgereicht. Das berührte in Petersburg besonders
angenehm im Vergleich mit dem Verhalten Österreichs, das bei-
nahe vier Wochen früher abgeschlossen hatte und dessen Rati-
fikation noch immer nicht eingetroffen war5).
Jetzt stand Preußen hier auf festem Grunde. Alle preußischen
Gesandten erhielten den üblichen Befehl, mit den russischen jetzt
x) Rep. XI 133 C. Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium
27. August 1792.
2) An Goltz 4. September.
3) Bericht von Goltz 14./25. September. An Cesar 12. Oktober.
*) An Lucchesini 8. Oktober.
5) Sie war erst am 13. September in Wien erledigt worden, am 30. Sep-
tember war sie in Petersburg, am 9., vielleicht sogar erst am 15. Oktober,
wurden die Exemplare ausgetauscht. (Berichte 31. August/11. September,
7./18. September, 14/25. September, 21. September/2. Oktober, 28. Sep-
tember/9. Oktober.) An Haugwitz 11. September, an Cesar 12. Oktober,
Berichte Cesars 20. Oktober, 3. und 7. November. Vivenot II 548,
594, 647; Wassiltchikow II 4, 161 — 162. — In aer Bemessung der
Geschenke an die russischen Minister ging Preußen genau so vor wie Öster-
reich, um nicht hinter diesem zurückzustehen, um es aber auch nicht zu
übertrumpfen (Rep. XI 89 g1 Finckenstein und Alvensleben an Schulen-
burg 21. August. Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 27. Aug.
Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 3. September. Rep. XI
Rußland 133 D. Finckenstein und Alvensleben an Friedrich Wilhelm
5. September. Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium 28. Sep-
tember). Goltz hatte sich bei Ludwig Cobenzl unauffällig erkundigen
müssen und danach genau die Höhe der Posten und die Art der Ge-
schenke angegeben. Das Kabinettsministerium machte demzufolge seine
Vorschläge, die vom Könige genehmigt wurden (an Goltz 4. Sep-
tember). 59 508 Taler 8 Groschen kostete die Preußen diese Höflich-
keit. Sie trösteten sich nur damit, daß sie nicht zu umgehen sei und
daß sie dabei noch so sparsam wie möglich verfahren seien. Die Russen
gaben an Goltz ebenso ein Kästchen, wie jeder von ihnen es von Preußen
erhielt, dem Sekretär Wegener ein Kästchen mit 1000 Rubeln, jedem der
preußischen Minister ein Porträtkästchen im Werte von etwa je 3000 Talern,
dazu Schulenburg noch einen Ring von etwa gleichem Werte, und der
Kanzlei 1000 Dukaten. Die Russen begnügten sich also mit geringeren
Aufwendungen (Bericht 14. /25. September; F. S.A. Au Roi 18. Oktober,
Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium 28. Oktober, alles in
Rep. XI Rußland 133 B. Rep. 9— 272 I, F. S.A. Au Roi 22. De-
zember).
Kriegskostenentschädigung 217
auf vertrautestem Fuße zu verkehren1). So sehr man in Berlin
gegen den französischen Krieg eiferte, so erfreut war man über
das Bündnis mit Rußland2) und wollte sich nun in der Haupt-
frage nicht mehr länger von Österreich hindern lassen3), das
offensichtlich keinen anderen Zweck verfolgte, als die Ent-
scheidung über die polnische Frage in die Länge zu ziehen, und
das diese Anschauung ja auch seinem Verbündeten einzuimpfen
versuchte4), sondern allein mit Rußland abschließen, bei dem es
mehr Entgegenkommen zu finden erwartete5). Zugleich mit der
Ratifikation ging aus dem Hauptquartier die Weisung nach
Berlin ab, nun in der Entschädigungsfrage in Petersburg vorzu-
gehen, wo Ludwig Cobenzl schon ohne Rücksicht auf Goltz seine
Eröffnungen gemacht habe6). Man hatte gleichzeitig mit dem
Vertrag eigentlich eine russische Erklärung hierüber erwartet7),
zumal auf Ostermanns Bitte Goltz den preußischen Kurier- noch
ein paar Tage dort behalten hatte. Groß war daher die Ent-
täuschung, als es fast nur Höflichkeitsphrasen über den Vertrag
waren. Aber aufhalten ließ man sich nicht mehr. Durch allerlei
Gefälligkeiten suchte man Rußland in guter Stimmung zu er-
halten oder es in sie zu bringen, so durch die Zulassung von
Alopeus zur Armee, noch ehe er beglaubigt war8), durch die von
Valerian Subow, dem Bruder des mächtigen Günstlings Piaton,
dem einzigen Freiwilligen9), durch die Überreichung eines Käst-
chens im Werte von 3000 Talern an Alopeus gelegentlich des
1) Rep. XI Rußland 133 C, Berlin 12.— 20. Oktober. Der Befehl wurde
jedoch nicht überall so rasch und vollständig ausgeführt, -wie er gegeben
wurde. Die Persönlichkeit der Gesandten spielte dabei eine außerordent-
lich wichtige Rolle (Worontzow IX 261—264, 274—278, 283—294).
2) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 20. Lucchesini an seine Frau 23. Aug.
Carisien 125—126.
3) V i v e n o t II 549.
4) ibid. und II 604 u. 605.
5) An Goltz 11. September. Rep. XI 89 g1 Finckenstein und Alvens-
leben an Schulenburg 10. September.
6) Rep. XI Rußland 133 C. Friedrich Wilhelm an das Kabinetts-
ministerium 27. August, Konzept in Rep. XI 89 g2. V i v e n o t II 549.
7) Rep. XI 89 g1. Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben
27. und 28. August, 2. September.
8) Rep. XI 89 g2 und Rep. XI Rußland 133 C. Friedrich Wilhelm
an das Kabinettsministerium 27. August.
9) Rep. 9 — 272 Rapports I, Finckenstein und Alvensleben an Fried-
rich Wilhelm 20. August. Auch Österreich bewilligte das ( V i v e n o t II
555).
218 II. Abschnitt
Vertragsabschlusses, um den er offiziell kein Verdienst hatte1),
desgleichen an den völlig bedeutungslosen Nesselrode, durch den
Katharina in Berlin die Geschenke hatte überreichen lassen2)
durch die Antwort, auf die Beglaubigungsbriefe von Alopeus3)
durch die Erleichterung der Reise der zwei badischen Prinzes
sinnen, die Katharina zu Bräuten ihrer Söhne bestimmt hatte4)
durch die Dekorierung von Valerian und von Piaton Subow
durch die Überreichung eines Kästchens an Valerian für Piaton5)
oder durch die Verweigerung des Urlaubs an den Obersten Götze
der nach Konstantinopel reisen wollte, bezw. dessen Heim
berufung, als er ohne Urlaub abgereist war, mit den nötigen Er
klärungen in Wien und Petersburg6), durch die Nichtabsendung
zweier Ingenieure, die die Türkei hatte haben wollen7), durch
die Auslieferung einer desertierten Kosakenabteilung, obwohl
kein Auslieferungsvertrag bestand8).
Durch alle diese kleinen Aufmerksamkeiten wollte man es für
die große Frage gefügig machen. Denn am 10. September schlug
das Kabinettsministerium dem Könige vor, die Größe der preußi-
schen Entschädigungsforderung, d. h. seines polnischen Loses zu
1 ) Rep. 9 — 272 Rapports I, Finckenstein und Alvensleben an Friedrich
Wilhelm 10. September. Rep. XI 89 g1 Schulenburg an Finckenstein
und Alvensleben 18. September. Rep. XI 89 k Alopeus an Schulenburg
22. September.
2) Rep. XI Rußland 133 B. F. S.A. Au Roi 18. Oktober. Friedrich
Wilhelm an das Kabinettsministerium 28. Oktober.
3) Rep. XI 89 k Schulenburg an Goltz 9. September. Rep. XI 89 i,
S. Au Roi 9. September.
4) An Goltz 21. Oktober. Bericht 2./ 13. November.
5) Vgl. unten.
6) Er war früher Preußens militärischer Beirat in der Türkei gewesen.
Seine Reise hätte jetzt in Rußland und in Österreich falsch ausgelegt
werden können (D u n c k e r in H.Z. Bd. 37, S. 13; R a n k e, Die deutschen
Mächte und der Fürstenbund, 2. Ausgabe. Leipzig 1875 [= Sämtliche
Werke Bd. 31/32] S. 407. Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg
7. September in Rep. XI 89 g1 . Finckenstein und Alvensleben an
Lucchesini 15. Oktober, Rep. 96, 147 G III, F. S.A. Au Roi 15. Oktober;
Berichte Cesars 6. Oktober P.S. und 13. Oktober, an die Minister
13. Oktober. An Cesar 15. und 22. Oktober 1792, 18. Januar und
24. Februar 1793. An Goltz 14. Oktober 1792 und 15. Januar 1793.
Bericht 26. Oktober/6. November. Bericht Lucchesinis 10. Januar 1793.
Berichte Cesars 3. Januar, 16. Februar, 14. und 27. April 1793).
7) Rep. 96, 147 G III, F. S.A. Au Roi 7. September 1792.
8) Es handelte sich um 2 Offiziere und 40 Kosaken (an Goltz 28. Sep-
tember; Bericht 1./12. Oktober).
Kriegskostenentschädigung 219
bestimmen1), damit Goltz keine günstige Gelegenheit aus Mangel
an Instruktion vorübergehen zu lassen brauche. Es ist eine be- i
deutende Wendung in der preußischen Politik, und wir müssen
uns jetzt den Ereignissen zuwenden, die sie herbeigeführt haben.
Denn wir wissen ja, wie großen Wert man bisher in Preußen auf ^
ein Einverständnis mit Österreich gelegt, wie man die ganze
Politik darauf begründet hatte. Wenn trotzdem jetzt die Schwen-
kung vollzogen wurde, so konnten nur die schwerwiegendsten
Gründe sie herbeigeführt haben. Sie sind nicht in den Verhand-
lungen mit Rußland zu Sachen, noch weniger in solchen mit
Frankreich, da sie nicht bestanden, sondern in denen mit Oster-
reich, die sich um die Frage der Entschädigung für die Kriegs-
kosten drehten2). Bis jetzt bildeten die Verhandlungen mit
Rußland nur den Hintergrund für jene, die sich umso wirkungs-
voller davon abheben.
III.
A. An Reuß, so sahen wir, machte Schulenburg die erste
streng vertrauliche Eröffnung über den preußischen Entschädi-
gungsplan3). Er war der geeignete Mann dazu. Schon lange hatte
er eine engere Verbindung zwischen Österreich und Preußen an-
gestrebt und war bei dem Abschluß des Berliner Vertrages den
Preußen sehr entgegengekommen. Im April hatte er ganz im
Sinne der preußischen Regierung einen Druck auf die seine aus-
zuüben versucht, und mit Erfolg. Da er so selbst das größte In-
teresse daran hatte, diesen Weg fortzusetzen, so behandelten ihn
Friedrich Wilhelm und Schulenburg mit größter Zuvorkommen-
heit. Dafür ließ er ihnen vielfach Originale offizieller Depeschen
zum Abschreiben, um nicht erst Zeit mit der Anfertigung von
Abschriften zu verlieren. Dabei kam auch manches zur Kenntnis
der preußischen Diplomaten, was die österreichische Staats-
1) Rep. XI 89 g1 Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg
10. September. Der König hatte scheinbar schon vorher seine Befehle
gegeben. Vgl. unten.
2) Von Österreich erwartete man nichts Gutes mehr (Finckenstein
und Alvensleben an Schulenburg 10. September: .... nous avouons at-
tendre tres peu de Vienne, pour ne pas dire que nous n'attendons rien
de bon; Rep. XI 89 g1)-
3) Vgl. für das folgende: Häußer I 356 ff.; Sybel II 207 ff.;
S o r e 1 II 405 ff. ; H e i g e 1 I 557 ff.
220 D. Abschnitt
kanzlei ihnen hatte vorenthalten wollen1). An ihm sollte es nicht
liegen, wenn Schwierigkeiten auftauchten. Er gab jetzt ohne
das leiseste Zeichen des Erstaunens mit großer Freude die Er-
öffnung weiter, die seinen Minister, Kaunitz, stürzen helfen
sollte2). Ja, er trieb das Entgegenkommen gegen Preußen so weit,
daß man in Wien während des Feldzuges sehr unzufrieden mit
ihm war und ernstlich an seine Abberufung dachte; nur aus
Rücksicht auf Preußen unterblieb sie.
Dieser Mann erschien Schulenburg als der geeignete Ver-
mittler bei Spielmann für seinen Versuch, die Entschädigungs-
frage in einem für Österreich und für Preußen gleich befriedigen-
den Sinne zu lösen. Die Veranlassung dazu war das energische
Vorgehen Katharinas gegen Polen ohne Rücksicht darauf, ob die
anderen beiden Mächte mitkämen oder nicht, besonders die An-
kündigung des Einmarsches, die am 4., und seine Rechtfertigung
in dem Manifest, das am 15. Mai in Berlin bekannt war. Nun
haben wir allerlei Anzeichen dafür, daß seit Anfang Mai im Zu-
sammenhange hiermit in Berlin der Gedanke, die Entschädigung
für die Kriegskosten in Polen zu suchen, von Schulenburg end-
gültig aufgenommen worden ist3). Wir haben keine Gewißheit
darüber, ob er oder der König diese Verknüpfung der polnischen
mit der französischen Frage definitiv vollzogen hat, die damals
in fast allen Köpfen spukte4). Finckenstein und Alvensleben
scheiden ja von vornherein aus5) ; Haugwitz erweist sich in seinen
1 ) Rep. I 172 Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium 5. März;
Rep. 96, 147 G I, S. AuRoi 9. April; Rep. I 171, S. Au Roi 1. Juli; Rep. 92
Cesars Nachlaß 21: Lucchesini an Cesar 16. April; Cesar an Lucchesini
2. Mai 1793; Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 25: Lucchesini an Cesar 16. und
23. April 1793. Dazu an Goltz 18. April 1792; Schlief fen II 362;
Vivenotll 514 und Rep. XI 89 g1, S. Au Roi 14. August; Schulenburg
an Finckenstein und Alvensleben 14. August.
2) V i v e n o t II 443 und 456.
3 ) Bereits im Februar war er erwähnt worden (Massenbach I
25, 267, 275—278). Rep. XI 89 c2 Instruktion für Haugwitz vom 9. Mai.
Rep. XI 89 b Schulenburg an Braunschweig 6. Mai ; dazu Depesche
von Goltz vom 20. April/1. Mai mit jener Randbemerkung.
4) H.E.B. 290, Bericht Haugwitz' 6. Juni; H ä u ß e r I 357.
6) In den ministeriellen Berichten an den König aus diesen Wochen
ist von dem Plane schlechterdings keine Rede. Erst vom 30. Juni ist ein
Bericht von Schulenburg allein an den König hierüber da (der König hatte
über den Stand der Frage Bericht gefordert). In ihm findet sich folgender
kurzer Hinweis auf diese Verhandlungen: Ehe (der König) daignera se
rappeler qu'on s'est dejä explique confidentiellement, mais en termes
tres clairs sur vos intentions, Sire, a cet egard envers le Baron de Spiel-
Kriegskostenentschädigung 221
Depeschen ah nicht eingeweiht1). Nur Bischofiwerder hat von
Anfang an darum gewußt, an ihn bestellt Spielmann auch mehr-
fach Grüße2). Es scheint mir sicher, daß sich Schulenburg nicht
ohne die Genehmigung des Königs bei Reuß so weit vorgewagt
hätte. Nach den Änderungsvorschlägen Spielmanns holte er
auch erst die Genehmigung des Königs ein; dessen Tätigkeit in
dieser Frage wird man eher zu hoch als zu niedrig einschätzen
müssen3).
Während man den Österreichern und den Russen in diesen
mann, 1' nomine de confiance du Roi de Hongrie, et d' apres la maniere,
dont il a repondu et tous les propos du ministere autrichien en general,
il n'y a pas de doute que ce monarque ne consente a un agrandissement de
Votre Majeste au depens de la Pologne pourvu que lui-meme soit dedom-
mage d'un autre cöte. Am 9. Juni hatte Schulenburg selbst beantragt,
die Verhandlungen ihres vertraulichen Charakters zu entkleiden (V i v e ji o t
II 461). Wann seine Kollegen eingeweiht wurden, ist nicht festzustellen,
von besonderem Widerstand ist danach wohl keine Rede gewesen. Am
3. Juli berichten Schulenburg und Alvensleben schon gemeinsam über diese
Frage (Rep. 96, 147 G II: Cette question delicate ayant ete entamee dejä
il y a quelque temps dans les correspondances particulieres du Prince
Reuss avec le Baron de Spielmann). Das entspricht der obigen Annahme.
Es zeigt sich wieder einmal, daß die kollegialische Organisation des Kabi-
nettsministeriums nicht etwa die drei Minister zu gleicher Arbeit auf gleiche
Ziele hin veranlaßt«, sondern daß diese verschiedene Parteien vertreten,
die je nach der Änderung der politischen Lage abwechselnd zur Herrschaft
kamen und deren Vertreter dann seine Kollegen zur Handlangerarbeit
herabdrückte, bis ihm selbst wieder ein Gleiches geschah. Das Verdam-
mungsurteil Katharinas über diese Organisation vermag ich daher nur
für die Zeit als berechtigt anzuerkennen, wo Friedrich Wilhelm Hertz-
berg im Amte ließ, ohne ihn wirklich als leitenden Minister zu verwenden
(Sbornik XXIII 533). — S y b e 1 glaubte sich entschuldigen zu müssen,
daß die Akten sich im Berliner Archiv noch nicht gefunden hätten. Es
erscheint mir ganz natürlich, daß sich bis heute auch noch nichts gefunden
hat. Schulenburg war eben so vorsichtig, an Reuß nichts Schriftliches zu
geben. Mit dem König konnte er die Sache ja mündlich abmachen. Er
war wegen der militärischen Konferenzen des Herzogs von Braunschweig
mit Hohenlohe noch in Potsdam, als Alopeus ihm die Depesche Oster-
manns vom 23. April/4. Mai mitteilte. Sein Aufenthalt scheint sich dort
bis zum 15. Mai vormittags verlängert zu haben. Es ist wohl möglich,
daß in dieser Zeit die entscheidende Beratung mit dem König stattgefunden
hat. (Rep. XI Rußland 133 A. Alopeus an Schulenburg 14. Mai; Rep. I
169 Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 13. Mai; Rep. I 171
Schulenburg an Reuß 14. Mai.)
1) Minerva Bd. 184 S. 5.
2) Vi veno t II 451 und 456.
3) Massenbach I 267. Vgl. auch das Verhalten des Königs am
12. März. V i v e n o t II 456 u. 461.
222 II. Abschnitt
Tagen offiziell von der Notwendigkeit sprach, einen Kordon
durch Polen zum Schatze der preußischen Grenze zu ziehen,
und während man die von Wien ausgehende diplomatische Aktion
aufnahm und zu mäßigen versuchte1), ging von Berlin der Plan
aus, sich über die Beute zu verständigen und über die Mittel,
sich ihren Besitz zu sichern. Es war für Preußen die zentrale
Frage, und wir erkennen jetzt erst ganz die Bedeutung der oben
geschilderten diplomatischen Aktionen. Nur soweit sie der Ent-
schädigungsfrage günstig waren, hatte sie Preußen beabsichtigt.
Weil die gemeinsame österreichisch-preußische Deklaration die
guten Beziehungen zu Rußland zu gefährden drohte, hätte es sie
am liebsten verhindert und freute sich, als ihr schon von Kaunitz
die ursprüngliche Schärfe genommen, sie dadurch zur Unwirk-
samkeit verurteilt worden war. Umsomehr mußte Preußen aber
an dem Kordon liegen. Deshalb war es auch über das Sonder-
bündnis mit Rußland so erfreut. Alles das sollten vorbereitende
Schritte sein. Die Hauptaktion sollte folgen, wenn sich Preußen
mit Österreich über Art und Größe der Entschädigung geeinigt
hätte; aber auch dann noch wollte Preußen die Russen den ersten
Schritt tun lassen, um sie erst fest engagiert zu wissen und danach
die Größe seines Anteils genau abmessen zu können. Nur die
von Reuß und Spielmann vertretene Richtung der österreichischen
Politik konnte für einen Verständigungsversuch in Betracht
kommen. Da Kaunitz in der Hauptsache das Steuer doch noch
fest in der Hand hielt, mußte ein geheimer Weg die erste Ver-
bindung vermitteln helfen.
Am 21. Mai teilte Schulenburg nur mündlich geheim, als
seine Privatmeinung, Reuß folgenden Plan mit2): Nach dem
energischen Vorgehen von Katharina in Polen sei es die höchste
Zeit für die beiden Mächte, sich über gemeinsame Maßregeln zu
einigen, um sich den entsprechenden Einfluß in Polen zu sichern.
Das beste Mittel dazu sei der Einmarsch je eines Truppenkorps
von 10 — 12 000 Mann in Polen, wenn Unruhen entstünden3), an-
geblich nur zur eigenen Sicherheit. Da Rußland nun allem An-
1 ) Der Zorn Schulenburgs richtete sich vor allem gegen das ungeschickte
Vorgehen von Jacobi und Haugwitz. Deshalb erhielt auch Jacobi den
Rüffel, obwohl Haugwitz die Geschäfte schon übernommen hatte und
Jacobi nur noch auf dessen Wunsch dablieb, um ihn etwas in die Geschäfte
einzuführen (Rep. I 170 an Jacobi 3. Februar; Vi veno t II 461).
2) V i v e n o t II 443.
3) Man rechnete ja mit einem ziemlich langsamen Vordringen der
Russen und war von dem Gegenteil sehr unangenehm überrascht.
Kriegskostenentschädigung 223
schein nach große Lust habe, die Ukraine zu behalten, so werde
es das schließlich sagen müssen, und damit den Mächten Ge-
legenheit geben, auch ihrerseits Forderungen zu stellen, durch
die die Kriegskosten für die französische Intervention gedeckt
werden könnten. Preußen könne sich in Polen, Österreich am
Rheine entschädigen; denn den Österreichern Erwerbungen in
Polen vorzuschlagen, konnte Schulenburg nach dem Verhalten
Spielmanns von Ende März und vom April nicht mehr wagen1).
Man sieht den preußischen Plan, Österreich in Polen zu einer
Tätigkeit mit heranzuziehen, von der es nur indirekt Vorteil
haben soll. Spielmann erkannte diese Gefahr sofort und suchte
ihr durch eine Änderung des Plans vorzubeugen, ohne für diesen
Punkt seine wahren Gründe anzugeben. In der Nacht vor seiner
Abreise nach Ofen, am 29. Mai, beantwortete er den Brief von
Reuß, nachdem er mit Franz darüber konferiert hatte2), und in
einer Weise, die an seinem guten Willen überhaupt keinen Zweifel
erlaubte3). Er merkte, daß für Preußen nicht die geflissentlich
so breit getretene Beschränkung des russischen Einflusses in Polen,
sondern die so nebenher erwähnte Entschädigungsfrage die Haupt-
sache sei, und schaltete daher die erstere bei seinen Erörterungen
*) Spielmann hat nie daran gedacht, in Polen für Österreich etwas
zu erwerben. Abgesehen von dem geringen Vorteil, den es davon gehabt
hätte, wollte er auch den Preußen und den Russen das Odium allein über-
lassen, Polen zerstückelt zu haben (Sybel II 209; Vivenot II 498).
Erst als nichts anderes zu haben war, suchte er zur Erhaltung des Gleich-
gewichtes ein Stück von Polen zu erlangen.
2) Das sagt er hier natürlich nicht. Vivenot II 451 u. 476. Ob
auch Ph. Cobenzl gleich eingeweiht wurde, lasse ich dahingestellt (Sybel
II 208; SorelII466).
3) Nicht erst der Vorschlag Schulenburgs hat ihn in diese Bahn ge-
trieben (S y b e 1 II 207 — 208). Sybel scheint mir aber mit seiner Annahme
durchaus im Recht zu sein (II 208; Hei gel I 558 — 560; Hüff er in
A.D.B. 4, 365), daß bei der damaligen Lage der Plan von Spielmann immer
noch besser als der von Kaunitz war. Er versuchte wenigstens etwas für
Österreich zu erlangen — und darauf kam es an — während Kaunitz un-
tätig beiseite stand. Ob Spielmanns Plan geglückt wäre, wenn ihm nicht
noch die antipreußische Partei unter den Österreichern einen Knüppel
zwischen die Beine geworfen hätte — wer will das beweisen ? Ich glaube
nicht an die Möglichkeit. Zu der Ausführung hätte energisches und rück-
sichtsloses Handeln gehört, davon finden wir bei Österreich das Gegenteil.
In dieser Frage sprach man nicht einmal davon, wie man es so gern
bei den militärischen Vorgängen machte. Aber gleichviel, Spielmann ver-
suchte einen neuen Weg, und man wird das sehr begreiflich finden. Vgl.
auch Schütter XXXIX.
224 H. Abschnitt
fast ganz aus. Er wollte jetzt in der polnischen Frage überhaupt
nichts tun als abwarten und war deshalb mit Kaunitz in heftigen
Konflikt gekommen (vgl. oben). Nur das hob er hervor, daß ein
Einmarsch in Polen gerade das entgegengesetzte Ziel erreichen
werde, als Schulenburg beabsichtigte, nämlich das, Katharina zu
reizen und die alte Erbitterung gegen Preußen wachzurufen.
Es ist auch möglich, daß ihn die Furcht beeinflußt hat, Katharina
werde bei einem Einmarsch von Österreichern und Preußen sich
überhaupt nicht an der Intervention in Frankreich beteiligen.
Eben war nun von Ludwig Cobenzl die Nachricht eingelaufen,
sie werde wahrscheinlich Geld geben, und das war den Öster-
reichern das Allererwünschteste. Wozu sollten sie sich diese
günstige Aussicht verderben? Endlich: nur Preußen hatte den
Vorteil von einem Einmarsch in Polen, und das war entscheidend.
Spielmann sprach also nur von der Entschädigungsfrage. Hier
gab er Polen den Preußen und den Russen preis. Er sah wohl
ein, daß ein Widerstand doch nichts nützen werde, wollte dann
aber aus seinem Zugeständnis möglichst viel Gewinn heraus-
schlagen. Eroberungen am Rhein (man hat wohl an Teile von
Elsaß und Lothringen zu denken) paßten ihm gar nicht. Schon
die Niederlande waren sehr gefährdet; sollte man sich ein neues
Vorwerk schaffen, das viel kostete, dabei doch wenig nützte und
auch noch Österreich endgültig mit Frankreich verfeinden mußte.?
Er lehnte auch von vornherein die Möglichkeit ab, die Nieder-
lande durch Eroberung von Flandern und Hennegau zu ver-
größern und zu sichern, wovon Ph. Cobenzl in diesen Tagen zu
Haugwitz sprach. Dazu müßte der ganze Feldzugsplan geändert
werden, die Eroberung der zahlreichen Festungen würde aber
viel Zeit kosten und in einer Kampagne nicht zu erreichen sein1).
Endlich fehle der Hauptvorteil, die Arrondierung, die Preußen
so schön in Polen erreiche. Sie aber fand er für Österreich nur in
dem Austausch der Niederlande gegen Bayern und die Ober-
*) Man sieht wieder, wie wenig Ernst es doch den Österreichern im
Grunde genommen mit der Versicherung war, Frankreich werde rasch
unterworfen werden. Sie wollten sich aus ihrer Ruhe und Zuversicht
nicht aufschrecken lassen. — Wenn Haugwitz von Ph. Cobenzl doch Äuße-
rungen für jene Vergrößerung der Niederlande berichtet, so kann es auf
Verabredung mit Spielmann geschehen sein, um die Karten nicht zu früh
aufzudecken; doch ist es ebensogut möglich, daß Cobenzl selbst noch nichts
von dem geheimen Plan gewußt hat. H.E.B. 290; vgl. oben. Haugwitz
wußte jedenfalls nichts davon (Minerva Bd. 184 S. 5).
Kriegskostenentschädigung 225
pfalz1). Sein Brief war hauptsächlich zur Widerlegung aller
etwaigen Einwände gegen den Tausch und seine Ausführbarkeit
bestimmt. Wir können sie hier übergehen, wollen aber als be-
deutungsvoll feststellen, daß er mit keinem Worte darauf zu
sprechen kommt, Österreich müsse außerdem noch etwas haben,
um gegenüber Preußen mit seiner Neuerwerbung nicht im Nach-
teil zu sein; eher das Gegenteil war der Fall. Die Arrondierung
oder, wie man später sagt, der Tausch pure et simpliciter erschien
x) Es ist wohl die Behauptung aufgestellt worden, Österreich sei zur
Wiederaufnahme des Tauschplanes durch Rasumowski veranlaßt worden
(H äußer I 358; S y b e 1 II 209 ff.; R an k e 191). H e i g e 1 (I 537)
hat aber bereits darauf hingewiesen, daß dabei ein Anachronismus vorliegt.
Haugwitz, auf dessen Berichte sich Sybel bezieht für die Behauptung,
daß jenes Gespräch so früh stattgefunden haben sollte, wurde erst in Frank-
furt in das Geheimnis eingeweiht. Außerdem ist aber zu bemerken, daß
die Beziehungen zwischen Österreich und Rußland im Mai einen. Grad
der Spannung erreicht hatten, der es verbietet, derartige Eröffnungen
Rasumowskis in dieser Zeit anzunehmen. Er eröffnete ja seine Tätigkeit
als alleiniger russischer Gesandter am 18. Mai mit der erwähnten Er-
klärung, mit der sich Rußland nach dem Ausdruck von Kaunitz „das Maul
verbrannte". Erst die Passivität Österreichs in der Entschädigungsfrage
brachte eine vorübergehende Besserung darin hervor. Rußland vermied
es ferner in den ersten Monaten beharrlich, sich über seine eigenen Ab-
sichten deutlich auszusprechen, weil es damit die Ansprüche seiner Ge-
nossen zu steigern fürchtete. Erst als die preußischen und damit auch
entsprechend hohe österreichische Forderungen im allgemeinen bekannt
waren (das können wir wohl noch in den Mai setzeli, wenn auch Alopeus
und der Prinz Nassau erst Ende Juni genauer darüber berichten konnten),
da ging Rußland etwas aus sich heraus und, wohl zu bemerken, nicht bei
Preußen, das in Polen etwas haben wollte, sondern bei Österreich, so daß
Preußen bei Rußland immer noch den ersten Schritt zu machen hatte.
Das Gespräch zwischen Rasumowski und Philipp Cobenzl scheint mir
danach vor dem Juni nicht stattgefunden zu haben. Die Anregung ist als
russischer ballon d'essai aufzufassen (vgl. 3. Februar!), wenn sie überhaupt
gemacht worden ist, woran zu zweifeln ich allerdings bei Rasumowskis
Charakter keinen Anlaß sehe. Damit fällt dann auch die Anregung des
Planes nicht den Russen, sondern Spielmann zu (Ph. Cobenzl wurde von
diesem angetrieben), mit dessen Plänen das so vorzüglich übereinstimmte
(vgl. oben). Ich halte demnach die Ansicht für die richtige, die Goltz in
Petersburg vertrat. Vgl. V i v e n o t II 551 ; S o r e 1 II 467 ; Ch.J.P. 138;
WassiltchikowIIl, 139—140; V i v e n o t II 486 u. 492; an Goltz
9., 10. und 31. Juli (H.E.B. 291—292), 30. August; Bericht 3./14. August;
Rep. XI 89 g1 Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 26. Juli ; an
Haugwitz 30. Juli. Ich glaube nach allem, daß Rasumowski nach einer
Anregung von österreichischer Seite darauf eingegangen ist und damit
den Österreichern den erwünschten Vorwand für ihren Antrag in Peters-
burg geboten hat.
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 15
226 H. Abschnitt
ihm mit Recht als so wichtig, daß er allein ausreichte, um dem
preußischen Vorteil die Wage zu halten. Denn auch er natürlich
wollte die Gleichheit zwischen der österreichischen und der preußi-
schen Erwerbung gewahrt wissen1). Noch weniger war deshalb
natürlich die Rede von dem später hervorgezerrten Ersatz für
den finanziellen Nachteil, den Österreich bei dem Tausch erleiden
sollte, wenn Spielmann auch den Vorteil für Pfalzbayern in das
richtige Licht setzte. Er legte eben den allergrößten Wert darauf,
die preußische Zustimmung zu diesem namentlich unter Hertz-
berg so erbittert von Preußen bekämpften Lieblingsplan der
österreichischen Politik zu gewinnen. Alle anderen Schwierig-
keiten konnten ihr gegenüber ihm mit Recht als untergeordnet
erscheinen. Er wollte den günstigen Augenblick benützen und
nahm nicht ängstlich eine Goldwage zur Hand, um das Gleich-
gewicht mit der preußischen Erwerbung bis zum letzten Tüpfel-
chen peinlich genau festzustellen.
Es hätte scheinbar gar nicht seiner langen Ausführungen
bedurft, um Preußen zur Annahme dieser Änderungen zu bringen.
Schulenburg stimmte für sich sofort zu. Ja, er behauptete, selbst
von Anfang an die Sache so angesehen zu haben, und meinte,
man solle vielleicht die Niederlande durch Eroberungen noch
etwas vergrößern, um dem Kurfürsten den Tausch noch an-
genehmer zu machen, da er hauptsächlich auf erhöhte Einnahmen
Gewicht legen werde — also auch hier kein Gedanke an eine
geringere Bewertung von Bayern gegenüber den Niederlanden2).
1 ) S o r e 1 I 41 u. 449.
2) Wenn Alvensleben in einer viel zitierten, aber darum nicht wert-
volleren Denkschrift vom 1. Oktober 1793 (Rep. I 172) die Verantwortung
für die Anregung des Tauschplanes seinem Kollegen Schulenburg zuschiebt,
so widerspricht dem Sehulenburgs eben erwähnte Äußerung und der Erlaß
von Ph. Cobenzl an seinen Vetter vom 2. Juli (V i v e n o t II 486), in dem
es ausdrücklich heißt, der Gedanke sei in Österreich entstanden; er hätte
sich gewiß keine Gelegenheit für den Hinweis entgehen lassen, daß Preußen
die Anregung gegeben habe. Ich sehe auch keinen Grund, an Sehulenburgs
Angabe zu zweifeln. Die Briefe zwischen Reuß und Spielmann müßten
dann auch schon ostensibel sein, um mit den Diplomaten jener Zeit zu
reden, etwa für die beiden Monarchen. Es fehlt aber jeder weitere Anhalt
für eine solche Annahme, und die Autorität Alvenslebens steht gerade in
seinen Denkschriften nicht hoch. Er verfolgt in ihnen das Ziel, sich von
der Schuld an der verkehrten Politik rein zu waschen. Er habe immer
vergeblich gewarnt, der König und Schulenburg hätten aber auf ihn nicht
hören wollen und. unter sich, ohne das Kabinettsministerium zu fragen,
die Sachen abgemacht. (Das trifft in der Hauptsache zu, und doch braucht
Kriegskostenentschädigung 227
Es hätte hier nahegelegen, die alten preußischen Pläne auf
Jülich-Berg zu erwähnen; aber sie sind wie in einer Versenkung
verschwunden. Ich bin sogar nicht ganz sicher, daß die preußi-
schen Gesandten in Wien (Jacobi, BischofEwerder, Haugwitz)
bisher schon direkt davon gesprochen hatten1). Als auf die Ver-
anlassung von Haugwitz jene Forderung wieder hervorgezogen
wurde, da dachte er nicht an die gleichzeitige Durchführung von
beiden Plänen2), sondern nur wenn die Erwerbung in Polen
scheiterte, sollte man auf den alten Plan zurückgreifen, trotz der
geringeren Vorteile, um nur überhaupt etwas zu erhalten. Ebenso
dachte man in Preußen über die österreichischen Forderungen
einer Erweiterung auf Kosten Frankreichs: entweder der Tausch
oder Eroberungen in den französischen Niederlanden, bezw. im
Elsaß, und entweder polnische Gebietsteile oder Jülich-Berg für
Preußen. Aber damals war dieser Plan schon unannehmbar für
Österreich geworden3).
Auch der König, dem Schulenburg an der Hand eines Aus-
zuges aus Spielmanns Brief, den er aber Reuß zurückgeben mußte,
Bericht erstattete, hatte nichts gegen den Tauschplan einzu- '
wenden. Nur wollte er gegen Zweibrücken keine Gewalt an-
man nicht gleich in Alvenslebens Verdikt einzustimmen.) Wenn wir dazu-
nehmen, daß Alvensleben den Tausch von vornherein verhindert, Schulen-
burg ihn aber unter gewissen Bedingungen zugelassen hätte, und daß
Alvensleben von diesen geheimen Anfangsverhandlungen vielleicht nie
etwas Genaues erfahren hat, so erkennen wir, wie Alvensleben zu seiner
Anschauung hat kommen können. Die neuerdings aufgestellte Behaup-
tung, auch Schulenburg habe nicht ehrlich an die Durchführung des Tausches
gedacht, muß zurückgewiesen werden. Seine ganze Politik beruhte auf
der dauernden Einigung mit Österreich. Er hätte sich also selbst das
Wasser mit einer derartigen Hinterhältigkeit abgegraben. Daß er nicht
gern daranging, ist richtig; dazu war das Opfer doch auch in seinen Augen
zu groß. Aber erst als die Österreicher mit Forderungen kamen, von denen
sie vorher nicht gesprochen hatten, und von ihrer Erfüllung die Besetzung
der von Preußen beanspruchten Gebietsteile Polens abhängig machen
wollten, hätte er am liebsten den Tausch an den zahlreichen Kuppen bei
dem Versuche, ihn durchzuführen, scheitern sehen. Er und seine Kollegen
taten nichts mehr, um den Österreichern ihr Werk zu erleichtern, aber sie
taten auch nichts zu seiner Verhinderung. Auf die ersten Monate darf man
aber diese Anschauung nicht übertragen (Süßheim 69).
*) H.E.B. 164 — 165, Finckenstein und Alvensleben an Haugwitz
19. August.
2) Ranke 192; Sorel II 498.
3) Rep. 96, 155 E Haugwitz an Friedrich Wilhelm 26. Juli; Rep. I 170
und H.E.B. 292—296 Haugwitz' Bericht 16. August.
228 II. Abschnitt
wenden, um nicht alte Verpflichtungen zu verletzen1). Erst
nachher wurde dieser Vorbehalt in den Verhandlungen wichtig.
Spielmann hielt ihn jetzt für belanglos in der ersten Freude
über das Gelingen seines Planes, da der Tausch für Pfalzbayern
ja äußerst günstig sei2), und hatte auch seinerseits nichts dagegen,
auf französische Kosten noch ein Stück dazuzufügen; auf Öster-
reich wäre dann der französische Haß nicht gefallen. Über die
Größe der preußischen Forderungen sagte Schulenburg nur im
allgemeinen, sie sollten Schlesien mit Preußen verbinden und
hingen von der Größe des russischen Anteils ab3). Gegenüber
Polen endlich nahm Preußen ganz die österreichische Ansicht an,
man dürfe Katharina nicht ärgern — sicher schon aus dem Grunde,
daß es allein doch nichts ausrichten könne, also gute Miene zum
bösen Spiel machen müsse.
Die Mächte schienen also über alle Fragen volles Einver-
ständnis erzielt zu haben. Preußen wünschte nun möglichst
bald die Sache in den ministeriellen Formen abgemacht zu sehen,
um dann mit Österreich vereint bei Katharina vorstellig zu
werden, deren eigene Forderungen es in der Zwischenzeit zu er-
fahren hoffte. Die schon längere Zeit geplante Zusammenkunft
Friedrich Wilhelms mit Franz oder besser ihrer Minister sollte
die Sache zum Abschluß in mündlicher Besprechung bringen.
In Preußen war da nicht viel zu machen. Die beiden Kabinetts-
minister erhielten Mitteilung von den Vorgängen und fügten sich
wie üblich. In Wien aber war es nicht so einfach. Dort hatte
man es bisher ängstlich vermieden, das Orakel aller Diplomaten
mit einem Plane vertraut zu machen, der seinen Absichten so
schnurstracks zuwider war. Aber es half nichts, einmal mußte
es doch geschehen. Am 21. Juni schrieb Franz an Kaunitz4)
noch aus Ofen in der liebenswürdigsten Form5); gleichzeitig in-
1 ) Das ist kein Hinterpförtchen, das er sich offen üeß (H e i g e 1 1 558),
sondern der Ausdruck seiner Persönlichkeit, die stets eine reservatio men-
talis, stets Deckung suchte, wo große Männer sich nicht scheuten, offen
den Vertragsbruch oder Ähnliches mit der Änderung der politischen Lage
zu begründen.
2) Vi veno t II 478.
3) VivenotH 456 und 461. Wir erkennen dabei wieder, wie wichtig
es den Preußen sein mußte, die Russen zuerst ihre Forderungen bekannt
geben zu lassen.
*)Vivenot H 476. Vgl. Ranke 195—196; Sybel II 213
bis 215; Sorel II 468—469; Heigell 558—559.
5) Man braucht ihm nicht die Absicht zuzuschreiben, Kaunitz zur
Einreichung seines Abschiedsgesuches zu veranlassen; es hat nachher noch
Kriegskostenentschädigung 229
formierte ihn Spielmann über die Einzelheiten des Planes1).
Aber die Pille war zu bitter. Kaunitz fiel aus allen Wolken.
Sein Verhältnis zu Franz und zu seinen Helfern war zwar schon
längere Zeit gespannt gewesen, aber er hatte sich doch noch als
Herrn der Lage gefühlt. Nun hatte Spielmann mit Erfolg hinter
seinem Rücken gerade mit dem preußischen Minister angeknüpft,
den er sich ganz ergeben wähnte2). Er lehnte ein Eingehen auf
diesen Plan rundweg ab und verurteilte sich selbst damit zur
politischen Untätigkeit. Er kanzelte seinen König mit einer
Schärfe ab, die sich kaum übertreffen läßt; er behandelte ihn
wie einen Schulbuben, und nur sein Alter, seine Verdienste und
seine politische Erfahrung können ihn zu dieser Philippika ge-
bracht haben3).
Freilich, wenn er das Verhalten gegenüber Polen als unwürdig
verurteilte, so müssen wir uns daran erinnern, daß er selbst die
Grundsätze der Konvenienz für Polen und Frankreich vertrat
und daß hierin ein so tiefgreifender Unterschied zwischen ihm
und Spielmann nicht bestand4). Was er aber sonst gegen die
Ausführbarkeit des ganzen Planes vorbrachte, hat sich als sehr
berechtigt erwiesen: der Zweifel an der Einwilligung von Pfalz-
bayern, der Widerstand der Seemächte, die Nachteile gegenüber
Preußen. Er hoffte, daß aus der ganzen Sache nichts werden
würde, und hielt mit seiner Unzufriedenheit überhaupt nicht
hinter dem Berge5). Das scheint mir der Hauptgrund gewesen
zu sein, weshalb er noch im Amte blieb, wo er vorläufig so wenig
zu sagen hatte, und nur nebenher wird ihn der Gedanke beein-
flußt haben, daß er kurz vor der Wahl und der Krönung von
Franz zum Kaiser nicht gut seinen Abschied nehmen könne.
Wichtige Depeschen wurden ihm jetzt in der Tat auf besonderen
verschiedener Schritte von Kaunitz bedurft, um ihm die Genehmigung
dazu zu entlocken. Franz scheint doch der Ansicht gewesen zu sein, daß
Kaunitz sich dem Gesinnungswechsel seines Herrn einfach anzuschließen
habe, daß er ein Diener, nicht aber der Meister sei trotz aller Verdienste,
die Franz ihm gar nicht bestreiten wollte. So war er im August etwas
überrascht, als Kaunitz tatsächlich um seinen Abschied bat.
1 ) V i v e n o t II 478.
2) ibid. II 470 und 475.
3) Das Verhalten von Franz ihm gegenüber wurde deshalb jetzt auch
erheblich kühler. Vor der Abreise nach Frankfurt besuchte er ihn nicht
mehr (Bericht Cesars 7. Juli 1792).
4) Sorel II 468.
5) Bericht Cesars 25. Juli.
230 II. Abschnitt
Befehl von Franz gar nicht mehr mitgeteilt. Wozu auch? Seines
Widerspruchs war man gewiß, aber hören wollte man doch nicht
auf ihn.
In dieser Stimmung sahKaunitz den Mainzer Konferenzen
entgegen. Er hoffte, daß sich dabei nichts Besonderes ergeben
werde, erwünschte es wenigstens1). Da berichtete ihm nun Philipp
Cobenzl aus Prag endlich, nachdem er aus Mainz über Festlich-
keiten geschrieben und so nebenher nur die Existenz politischer
Verhandlungen erwähnt hatte2), über den Verlauf und das Er-
gebnis der Konferenzen. Er teilte ihm auch den Erlaß an Ludwig
Cobenzl vom 2. Juli mit3), den Kaunitz noch nicht kannte4).
Philipp Cobenzls Bericht war etwas rosiger gefärbt, als er verant-
worten konnte. Tatsächlich war in Mainz gar nichts entschieden
worden, und in ziemlicher Verstimmung war man voneinander
gegangen. Aber Kaunitz mußte nach all den ihm übersandten
Aktenstücken annehmen, daß seine Politik endgültig verlassen
und die neue Richtung im besten Zuge sei, sich fest einzurichten.
Seine Hoffnung schien also gescheitert zu sein, und die Vermutung
ist wohl nicht zu gewagt, daß diese Enttäuschung ihn bestimmt
hat, sein Abschiedsgesuch wirklich am 2. August einzureichen5).
Auch die Fassung des Gesuches gewährt dafür einigen Anhalt.
Nur auf sein wiederholtes Bitten — auch eine mündliche Aus-
sprache erwies sich als erfolglos — gewährte ihm schließlich
Franz am 19. August in den ehrenvollsten Formen6), zur großen
Überraschung der weniger eingeweihten Kreise, die schon eine
Besserung der Beziehungen sich hatten anbahnen sehen7), den
Abschied8). Franz behielt sich immer noch vor, seinen Rat ein-
zuholen, aber wirklichen Einfluß hat er direkt doch nicht mehr
ausgeübt; erst unter Thugut wurde er als sein Berater noch ein-
mal auf kurze Zeit wichtig. Jetzt wurde Ph. Cobenzl sein Nach-
folger. Heute wissen wir, daß gerade die in Mainz gestellte
1) Schütter 63.
2) Vivenotll 506. Gerade auf den Bericht darüber von den maß-
gebenden Persönlichkeiten hatte ihn Bartenstein vertröstet — es mußte
Kaunitz wie Hohn vorkommen (ibid. II 507).
3) ibid. II 486.
4) ibid. II 509.
6) ibid. II 510. Mehr als zwei Tage brauchte ein Kurier von Prag
nach Wien keinesfalls.
6) An Haugwitz 3. September.
7) Berichte Cesars 18. und 19. August.
8) V i v e n o t II 510, 512, 521, 526, 527, 528, 529, 530.
Kriegskostenentschädigung 231
österreichische Forderung einen Umschwung in dem Verhältnis
der beiden verbündeten Staaten zueinander herbeiführte, der in
der zweiten Teilung Polens und in der Entlassung von Philipp
Cobenzl und Spielmann endigte, d. h. in dem tatsächlichen Bruch
des österreichisch-preußischen Bündnisses und in einer Annähe-
rung an das von Kaunitz befolgte System. Der Abgang von
Kaunitz erscheint danach gewissermaßen als tragische Ironie.
Nach der Ausschaltung dieses hemmenden Gliedes schienen
die Entschädigungs Verhandlungen rascher vorwärtsgehen zu
können. Von beiden Mächten wurden die ersten noch sehr vor-
sichtigen Andeutungen darüber nach Petersburg weitergegeben,
da man erst die definitive Einigung auf der Konferenz zu Koblenz1)
— es war nachher Mainz — abwarten wollte. Ph. Cobenzl stellte
den bayerischen Tausch nur als einen vorher erst entstandenen
Gedanken dar, der den Russen nur mündlich und ganz geheim
mitzuteilen sei, ebenso wie die Wünsche Preußens. Er erteilte
seinem Vetter den Auftrag, von russischen Entschädigungen
überhaupt nichts zu sagen, da Rußland ja am französischen
Kriege nicht teilnehme2), aber ebensowenig eine Abneigung da-
gegen spüren zu lassen. Als eventuelle Konzession für die Ein-
willigung Rußlands hielt er den Verzicht auf das gegen Frank-
reich bestimmte russische Truppenkorps, von dem man doch nie
etwas zu sehen zu bekommen meinte, oder den Geldersatz bereit
und versprach (wie großmütig!), Preußen zu bearbeiten, daß es
gegen die Wiederherstellung der alten Verfassung in Polen nichts
einwende3).
Der preußische Hof überließ es vorläufig auch den Öster-
reichern allein, sich seine Kastanien aus dem Feuer zu holen.
Goltz wurde zwar in den ganzen Plan eingeweiht, sollte aber
eventuell nur von preußischen Erwerbungen sprechen4) —
genug, wenn es seine Ansprüche durchsetzte, den österreichischen
nicht hinderlich war. Am liebsten hätte sich Preußen mit Ruß-
land allein und rasch geeinigt. In Beantwortung der Depesche
Ostermanns an Alopeus vom 10./21. Juni, die Entschädigungen
für den Krieg in Frankreich ablehnte, das Prinzip selbst
*) Vivenot II 486.
2) Österreich wollte Rußlands Angebot zur Stellung von 15 000 Mann
als Erfüllung der Vertragspflicht auffassen.
3) V i v e n o t II 486, 500, 511. Dabei ist jedoch zu bemerken, daß
Österreich auf die russische allianzmäßige Hilfe nicht verzichtete.
4) An Goltz 9. und 31. Juli. H.E.B. 291—292.
232 IL Abschnitt
aber anerkannte und damit für Preußen wirklich nur noch Er-
oberungen in Polen übrig ließ1), so daß dies mit der Eröffnung
recht zufrieden war2), äußerte Schulenburg gegen Alopeus3), nach-
dem er durch eine indirekte Anfrage die Bitte von Alopeus pro-
voziert hatte, sich über die Entschädigungsfrage auszusprechen4),
Österreich könne sich ja einige französische Provinzen aneignen.
Das werde eine so starke Macht wie Frankreich wenig schwächen,
aber das werde viel Schwierigkeiten machen. Österreich denke
daher an den Tausch von Belgien gegen Bayern. Preußen wolle
seine Zustimmung nicht versagen, begehre aber Entschädigungen
in Polen, und Kußland könne gleichzeitig die polnische Ukraine
in Besitz nehmen5). Nur durch eine der zahlreichen übel an-
gebrachten Vertraulichkeiten Bischoffwerders erfuhr der Prinz
Nassau auf seiner Durchreise durch Berlin von dem ganzen Plan,
über den ihm Schulenburg nur mit der größten Vorsicht An-
deutungen gemacht hatte6), wobei sich Nassau das Geständnis
hatte entreißen lassen, auch Katharina könne unentgeltlich große
Aufwendungen nicht machen. Der Plan Preußens schien also
schon fertig zu sein, während Preußen nach Rußland nur von
der Tatsache der Entschädigung als etwas Festem, dagegen von
allerlei Möglichkeiten sprach, zu diesem Ziele zu gelangen7).
Aus einem Promemoria vom 9. Juli, das Goltz erhielt, er-
sehen wir, wie sich Schulenburg zu Alopeus ausgesprochen hatte8).
x) Sybel III 167.
2) Rep. XI 89 b Schulenburg an Braunschweig 4. Juli.
3) Etwas Schriftliches zu geben hatte der König noch besonders
untersagt. Häußer I 357 — 358.
4) Rep. 96, 147 G II, S. Au Roi 1. Juli mit königlicher Entscheidung
(in Rep. XI Rußland 133 B).
5) Ssolowjoff 294—295; Härtens, Traites-Russie VI 161; Rep.
96, 147 G II, S.A. Au Roi 3. Juli; S y b e 1 III 167—168.
6) Rep. 96, 147 G II, S. Au Roi 28. Juni (2 Berichte).
7) F e u i 1 1 e t VI 177—180. Doch fällt mir dabei auf, daß noch von
der Abtretung einiger Stücke von Elsaß-Lothringen die Rede war (vgl.
auch Martens VI 160). Es handelte sich dabei um die Reichsfürsten,
wie sich aus dem gleich zu erwähnenden Promemoria an Goltz und aus
einem Briefe Schulenburgs an den Herzog von Braunschweig ergibt, der
den Prinzen die Notwendigkeit der Entschädigung klarmachen sollte
(Rep. XI 89 b Braunschweig an Schulenburg 17. Juni; Schulenburg an
Braunschweig 19. Juni, S. Au Roi 19. Juni). Von einer Zugabe zu den
Niederlanden für Bayern war hier keine Rede, noch weniger natürlich von
einer solchen für Österreich.
8) Es war am 3. Juli von Preußen schon beschlossen, scheint aber
durch das österreichische Vorgehen beeinflußt worden zu sein (V i v e n o t
Kriegskostenentschädigung 233
Österreich, Preußen und Rußland hätten, so heißt es darin, durch
ihre Aufwendungen für die Intervention in Frankreich das Recht,
Ersatz der Kosten zu verlangen1). Nun werde es zwar auf die
Dauer der Intervention und die weiteren Umstände ankommen,
man könne also die Höhe der Forderungen nicht genau festlegen ;
aber immerhin könne man sich doch über die verschiedenen Mög-
lichkeiten einigen, überhaupt dazu zu gelangen. Drei wurden
unterschieden. Die nächstliegendste sei natürlich der Ersatz in
Geld. Aber es werde eine ganz außerordentlich große Summe
sein. Wo solle Frankreich das Geld zur sofortigen Bezahlung
hernehmen? Die Umwandlung in eine Nationalschuld sei zwar
theoretisch, nicht aber praktisch möglich. Dabei würden die
Mächte wenig oder überhaupt nichts erhalten, und außerdem
würde diese Geldforderung in jedem Falle Frankreich hindern,
sich aus dem Zustande wieder zu erheben, in dem es sich jetzt
befinde. Da sei dann die Abtretung von einigen Landesteilen
doch bedeutend vorzuziehen. Österreich könne sich nach seinem
Belieben etwas aussuchen, Preußen könne Jülich-Berg erhalten.
Wie aber Rußland etwas bekommen solle, sei schlechterdings
nicht zu sehen. Auch dieser Weg scheine also schon allein aus
dem genannten Grunde ungangbar zu sein. Es gebe aber einen
dritten, der die Interessen aller drei Mächte in gleicher Weise
berücksichtige. Wenn Österreich seinen alten Plan, die Nieder-
lande gegen Bayern umzutauschen, wieder aufnehme und sich
dadurch beträchtlich stärke, müsse Preußen eine entsprechende
Verstärkung seiner Macht erhalten. Sie könne es nur in Polen
finden, in den Provinzen, die Schlesien von Preußen trennten.
Rußland endlich könne sich durch die Besetzung der Ukraine
ebenfalls eine bessere Grenze schaffen. Dadurch werde zugleich
sein Wunsch erfüllt — Preußen hätte ihn ebensogut als den
seinen bezeichnen können — ■ Polens Macht zu beschränken.
Dieser Plan, der die Kriegsentschädigung auf Polens Kosten
suche2), ermögliche es auch, Frankreichs territorialen Bestand,
II 486; Rep. 96, 147 G I, S. Au Roi 1. Juni; Rep. XI Rußland 133 B an
Goltz 9. und 10. Juli).
1) Preußen übersah dabei absichtlich die Untätigkeit, um Rußland
als Teilhaber an einem Plane erscheinen zu lassen, der es eigentlich nichts
anging, und um zwei ganz verschiedene Fragen verbinden zu können.
2) Mit keinem Worte wird diese Vergewaltigung zu begründen ver-
sucht, wie es nachher in so reichem Maße geschehen ist, vermutlich weil
wir ein internes politisches Schriftstück vor uns haben. Umso besser zeigt
sich uns die damalige Konvenienzpolitik ohne jede Beschönigung.
234
II. Abschnitt
also seine politische Macht, außer einigen kleinen Abtretungen an
die geschädigten deutschen Reichsfürsten und eventuell an Sar-
dinien unberührt zu erhalten bezw. wiederherzustellen, und da-
mit einen Wunsch Rußlands1) zu erfüllen.
So etwa sollte sich nun auch Goltz aussprechen, also dem
österreichisch- preußischen Hauptplan vorarbeiten, der schließ-
lich als einzige Möglichkeit übrig gelassen wurde. Aber auch noch
am 31. Juli2) schärften ihm die Minister größte Vorsicht ein und
teilten ihm nur zu seiner Instruktion die Eröffnungen Österreichs
in Petersburg mit; er solle nötigenfalls völlige Unwissenheit
heucheln. Aber das hatte alles keinen Erfolg, gegenüber Preußen
blieb Rußland stumm. Ostermann sagte wohl einmal, die Ent-
schädigung durch Geld sei schwierig, brach dann aber sofort das
Gespräch ab. Preußen sollte eben selbst kommen, wie er ein
andermal sagte3), trotz der ostentativen Liebenswürdigkeit, die
der ganze russische Hof, von Katharina angefangen, Goltz be-
wies. Ja selbst das Manifest des Herzogs von Braunschweig
wurde herangezogen, um die Entschädigungsansprüche überhaupt
— wenn auch nicht ernstlich — in Frage zu stellen4). Die angezeigte
österreichisch-preußische Konferenz mußte ja auch bald zu ge-
meinsamen Erklärungen führen. Aber wir werden noch sehen,
wie trügerisch diese Hoffnung war.
Sofort begann der Versuch in verstärkter Form, mit Rußland
allein einig zu werden, dem Preußen die Ukraine schon etwas
aufdringlich antrug5), auf Grund des Planes vom 9. Juli, dessen
erste beide Fälle Preußen jetzt selbst schon preisgab6). Der
glückliche Beginn der Intervention in Frankreich drängte Preußen
in derselben Richtung vorwärts. Es wollte eine feste Basis für
die Verhandlungen in Paris haben, die in so große Nähe gerückt
zu sein schienen7). Trotz der preußenfeindlichen Äußerungen
Markows zu L. Cobenzl schienen sich die preußisch-russischen
Beziehungen nach dem Abschluß des Vertrages doch in erfreulicher
1 ) Ähnliches gilt für Preußen und mit anderer Begründung wohl auch
für Österreich.
2) H.E.B. 291—292; Rep. XI 133 B Alvensleben an Finckenstein und
Finckenstein an Alvensleben 31. Juli; Rep. XI 89 g1 Schulenburg an
Finckenstein und Alvensleben 26. Juli.
3) Berichte 13./24., 20./31. Juli, 30. Juli/10. August.
4) Sy bei III 168. Bericht 30. Juli/10. August, vgl. oben.
5) An Goltz 7. September und 5. Oktober.
6) An Goltz 16. August.
7) An Goltz 20. August mit P.S. und 1. Oktober.
Kriegskostenentschädigung 235
Weise gebessert zu haben. So drängte Preußen immer mehr auf
das einzige Erfordernis für die preußische Besetzung der ge-
wünschten Landstriche, deren Bewohner darüber sogar erfreut
sein würden, auf die Zustimmung Rußlands1). Goltz jedoch
wagte noch nicht, mit der Sprache herauszugehen, da ihm Cobenzl,
über dessen Heimtücke er sich nicht genug beschweren konnte2),
seine Unterredungen mit den Russen hierüber verheimlicht
hatte3) und da der österreichische Vertrag ausdrücklich die
Integrität Polens festsetzte, so daß Rußland sein Abweichen
davon mindestens immer als Gefälligkeit geltend machen konnte4).
Kühnheit war außerdem nie die starke Seite von Goltz gewesen.
Er wollte nach dem alten Rezept die Russen zu Vorschlägen
zwingen und Preußens Eingehen auf sie als Gefälligkeit aus-
nützen5). Das Kabinettsministerium erklärte das für zu vor-
sichtig, in der Annahme, daß Goltz den Plan vom 9. Juli .mit-
geteilt habe; man dürfe daher von den Russen keine Vorschläge
erwarten und habe auch keine Zeit mehr zu verlieren6). Goltz
teilte ihn jedoch erst vertraulich an Ostermann mit, als Cobenzl
ihm seine auf den Mainzer Konferenzen fußenden Instruktionen
gab, gegen deren hohe Forderungen für Österreich er sofort Lärm
schlug. Dafür fand er die Billigung Rußlands. Es wünschte nur
noch möglichst rasch die Höhe der preußischen Forderungen zu
kennen, ja die der Mächte überhaupt. Bisher war alles nur ver-
trauliche Eröffnung gewesen; es bedurfte jetzt, wo das Prinzip
allgemein gebilligt war7), der offiziellen8). Damit war von russi-
1) An Goltz 4. und 7. September.
2) Berichte 13./24. August, 31. August/11. Septembei, 3./14. September.
3) Bericht 30. Juli/10. August. Erst am 6./17. August wußte er allgemein
davon, aufmerksam gemacht durch die preußische Nachricht vom 31. Juli,
und am 1 1./22. teilte ihm Cobenzl seine neuen Instruktionen aus Prag nach den
Mainzer Konferenzen mit, die die russische Antwort auf die erste österrei-
chische Anfrage beantworteten (Bericht 1 1./22. August, anGoltz 7. September).
4) Bericht 30. Juli/10. August.
5) Bericht 3./14. August.
6) An Goltz 30. August.
7) Doch verlangte Preußen Abwägung der Gleichheit nicht allein nach
finanziellen, sondern nach politischen Gesichtspunkten, durch sein Staats -
interesse zu dieser richtigen Bewertung gezwungen (an Goltz 14. September),
im Gegensatz zu den Österreichern, die, wie es fürchtete, den Russen ihre
unannehmbaren Projekte eingetrichtert hätten (an Goltz 21. September).
Dem konnten nur energische Erklärungen abhelfen. Da sie von allen
Seiten kamen, so hoffte es auch, den Russen die richtige, d. h. preußische
Ansicht beizubringen (an Goltz 1. Oktober, Bericht 7./18. September).
8) Bericht 17./28. August.
236 H. Abschnitt
scher Seite das entscheidende Wort gesprochen. An eine gemein-
same österreichisch-preußische Aktion war aber nicht mehr zu
denken. Daher mußte Preußen allein und nun doch zuerst vor-
gehen trotz seines Sträubens1). Goltz vertröstete die Russen mit
Erfolg — es konnte ihnen auf eine kleine Verzögerung wirklich
nicht ankommen — auf die Ratifikation des Vertrages, mit der
er genaue Instruktionen zu erhalten erwartete2). Das Kabinetts-
ministerium bedurfte aber der Befehle des Königs darüber3), ob
und wie weit Preußen vorgehen solle, und regte beim Könige an,
Goltz eine genaue Instruktion über das Maß der preußischen
Forderungen zu erteilen, damit er keine günstige Gelegenheit aus
Mangel an Instruktion vorübergehen zu lassen brauche4). Doch
erwartete es von Goltz, daß er sich inzwischen mit Ostermann
genauer ins Einvernehmen setzen werde auf Grund des Planes
vom 9. Juli5). Er tat es nicht, auch aus Rücksicht auf Cobenzl,
der ebenfalls genauere Instruktionen erwartete und mit dem er
noch immer gemeinsam vorzugehen gedachte6), obwohl er von
ihm geheime Verhandlungen mit den Russen befürchtete7).
Diese Maßregeln der preußischen Regierung tragen unver-
kennbar den Charakter der Notwehr zur Schau. Denn im Juli
hatte Österreich von Preußen bei einem Festhalten an dem alten
Plane keine Schwierigkeiten zu erwarten8). Rußland hätte sich
einer Einigung beider Mächte sicher nicht widersetzt, wenn es
auch anfangs über die Entschädigungsforderungen etwas ver-
wundert tat. Alles kam darauf an, ob Österreich den neuen Kurs
innehielt. Philipp Cobenzl und Spielmann meinten es ehrlich
damit. Ein Erlaß an L. Cobenzl vom 16. Juli betont noch stärker
als der erwähnte vom 2. Juli9) das Bündnis Österreichs mit
Preußen gegenüber der russischen Tyrannei, von der man sich
mit seiner Hilfe allmählich zu befreien trachtete10). Er wollte
1) An Goltz 11. September.
2) Berichte 24. August/4. September und 7./18. September.
3) An Goltz 9. September.
4) Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 10. September;
Rep. XI 89 g1.
5) Eep. XI Rußland 133 C Friedrich Wilhelm an das Kabinetts-
ministerium 27. August; an Goltz 21. September.
6) Berichte 31. August/11. September und 14./25. September.
7) Bericht 3./14. September.
8) Vivenot, Zur Genesis 17.
9) V i v e n o t II 486 und 496.
10) Vgl. auch ähnliche Äußerungen Spielmanns zu Bischoffwerder und
Jacobi (Ranke 285—288, Berichte Jacobis 21. März RS. und 31. März).
Kriegskostenentschädigung 237
diesen Zustand verstärken, hielt aber ein Abschwenken Preußens
für möglich — am Vorabend der Frankfurter Konferenz. Es ist
das Hochgefühl des Sieges, das uns hier kurz vor dem Umschlag
entgegentritt. Denn Philipp Cobenzl und Spielmann waren nicht
die einzigen, die die Politik Österreichs bestimmten, und das,
meine ich, sollte das Urteil über sie nicht gar zu scharf werden
lassen1). Gerade der junge Herrscher hörte mehr als seine gereiften
Vorgänger auf den Rat seiner Umgebung. In seinen Entschei-
dungen spiegelt sich der Einfluß der verschiedenen Parteien am
Hofe wider. Es läßt sich daraus schon beinahe a priori sagen,
daß mit einem solchen Zickzackkurse nichts zu erreichen sein
werde. Mochte die einmal eingeschlagene Richtung auch nicht
die beste Ausnützung der Lage sein, so versprach ein Beharren
in ihr immer noch mehr Erfolg, als ein unruhiges Hin- und Her-
tasten, das schließlich zur gröbsten politischen Heuchelei führte
und mit dem man doch nichts erreichte.
B. Erinnern wir uns noch einmal an den Stand der Ent-
schädigungsfrage. Spielmann hatte den Tausch der Niederlande
gegen Bayern und die Oberpfalz gefordert. Schulenburg war
darauf eingegangen und hatte die Größe des preußischen Loses
in Polen nur ganz allgemein angegeben. Beide Erwerbungen
waren als Entschädigung für die Kriegskosten gedacht und
sollten möglichst gleichwertig wie die Ausgaben sein. Doch war
bisher noch keine Rede davon gewesen, daß Österreich dabei
Preußen gegenüber im Nachteil sei.
Kaiser Franz IL, wie wir von jetzt ab sagen müssen — er
war am 5. Juli gewählt und am 14. gekrönt worden — hielt es
doch für nötig, vor der endgültigen Vereinbarung mit Preußen
noch seine Konferenzminister zu versammeln und ihr Gutachten
in dieser entscheidenden Frage einzuholen. Am 17. Juli in Frank-
furt a. M. geschah es2). Da ich von den Beschlüssen über das
Manifest und die Emigranten an anderer Stelle spreche, kann ich
mich hier auf die Entschädigungsfrage beschränken. Es war
Auch hiernach erscheint Spielmann als der spiritus rector dieser Politik,
Ph. Cobenzl als der Geschobene.
1 ) H e i g e 1 I 559—560; H ü f f e r in A.D.B. 4, 365—366. Allerdings
bin ich weit davon entfernt, Ph. Cobenzl „retten" zu wollen. Vgl. auch
V i v e n o t II 492 und 501.
2) V i v e n o t II 497 und 499—500; Häußer I 358; Sybel II
218; R a n k e 189 ff. ; S o r e 1 II 498—500; H e i g e 1 I 560.
238 H. Abschnitt
die Frage. Der Beschluß entsprach nicht den gemäßigten
Wünschen von Spielmann und Philipp Cobenzl. Zwar Kaunitz
war nicht anwesend. Er nahm in den letzten Jahren überhaupt
nicht an den Konferenzen teil. Aber auch andere Österreicher
teilten seine Abneigung, sein Mißtrauen gegen Preußen. Sie
stellten dem Kaiser vor, der Austausch allein, den Spielmann
als das summum bonum für die österreichische Monarchie be-
trachtete und bezeichnete, wiege den Vorteil nicht auf, den
Preußen durch die Erwerbung großer polnischer Provinzen er-
lange. Österreich arrondiere sich nur besser, während Preußen
einen stattlichen Gebietszuwachs erhalte. Vor allen Dingen
müsse es den Verlust ersetzt erhalten, den es noch dazu bei dem
Austausch erleide, da die bayerischen Einnahmen bedeutend ge-
ringer seien als die niederländischen. Diese Zugabe für Öster-
reich suchten sie zunächst in den eben preußisch gewordenen
Markgrafschaften Ansbach und Bayreuth, deren Erwerbung
durch Preußen den Österreichern ja so sehr gegen den Strich
gegangen war1). Sie hätten sie gar zu gern erst genehmigt, um
das als Konzession gegenüber Preußen auszubeuten. Aber gerade
das hatte Preußen verhindern wollen, als es Österreich vor eine
vollzogene Tatsache stellte2). Preußen faßte damit festen Fuß
in Süddeutschland und gewann sogar im fränkischen Kreise eine
beherrschende Stellung. Hardenberg, der die Provinzen verwaltete,
hatte schon bewiesen, daß er den preußischen Rechten nichts
vergeben wollte. Nur die augenblickliche Notlage hatte im
Winter die Österreicher veranlaßt, nicht laut gegen das preußische
Vorgehen zu protestieren.
Der Moment schien jetzt gekommen, wo alle diese Nachteile
beseitigt werden konnten, noch dazu mit Preußens eigener Zu-
stimmung. Sicher war man ihrer nicht. Man dachte sie sich nur
zu erkaufen durch Konzessionen in anderen Fragen. So haben
wir hier eine eigentümliche Zwickmühle: um den Verlust bei
dem Tausch für Österreich zu beseitigen, soll Preußen die Mark-
grafschaften abtreten, dafür aber selbst wieder eventuell von
Österreich entschädigt werden. So sehr Spielmann in Frankfurt
und später dagegen protestiert hat, die Markgrafschaften zu
fordern, so hat er wohl selbst den Anlaß dazu gegeben. Denn
den finanziellen Nachteil hatte er schon in den Briefen an Reuß
1 ) V i v e n o t I 265.
2) S ü ß h e i m 44.
Kriegskostenentschädigung 239
angedeutet, und da auch er die Ansicht vertrat, Österreich müsse
ebensoviel wie Preußen bekommen, ihm hierbei aber Österreich
zu kurz zu kommen schien, so wollte er ihn jetzt in der Weise
nutzbar machen, daß Preußen versprechen sollte, Ansbach-
Bayreuth an Österreich abzutreten, wenn die männliche Linie
des sächsischen Hauses aussterbe und die Lausitzen damit eigent-
lich an Österreich zurückfallen müßten. Sie wollte er dafür an
Preußen geben im weiteren Verfolg der Bestimmungen des
Berliner Vertrages1).
Aber die Konferenz war für solche Feinheiten und weitaus-
schauende Entwürfe nicht empfänglich, sie verlangte Barzahlung.
Sollte jedoch der preußische Widerstand zu stark sein, so hatte
man auch schon eine Reihe anderer Vorschläge bereit, die all-
mählich bis auf Null herabgingen, so daß als allerschlimmster
Fall immer noch der Tausch pure et simpliciter angenommen
werden sollte. Zwei wichtige Änderungen wurden aber noch an
dem Plane vorgenommen. Einmal wollte man sich vor der Ver-
wirklichung des Tausches der Zustimmung von England ver-
sichern; das erforderte Verhandlungen, die bei Englands Ab-
neigung gegen Österreich und im besonderen gegen diesen Tausch-
plan sehr langwierig zu werden drohten; ob sich die augenblick-
liche günstige Lage so lange halten werde, war doch zum mindesten
sehr zweifelhaft. Ferner sollte zwischen österreichischer und
preußischer Kriegsentschädigung die vollste Parität herrschen
und diese Frage von der des Tausches noch ganz unabhängig
behandelt werden. Also gerade die Verknüpfung beider „Ge-
schäfte", auf welche Preußen so großen Wert gelegt, die ihm den
Plan überhaupt erst annehmbar gemacht hatte, war man bereit
aufzugeben. Alles Widerreden Cobenzls und Spielmanns, der
eine neue Denkschrift entwarf2), um die rasche Benützung des
günstigen Augenblicks ohne allzu kleinliche Abwägung nochmals
zu empfehlen, half nichts. Lacy, Rosenberg, Colloredo- Wallsee
siegten mit ihren Bedenken, und es ist mir beinahe unzweifelhaft,
daß Lacy — denn er war der Hauptgegner3) — sie nur aufgestellt
hatte, um den ganzen Plan zu Fall zu bringen, bei dem den
1) Rep. 96, 155 E Haugwitz an Friedrich Wilhelm 26. Juli.
2) Vi veno t II 498. Zeißberg, Karl-Hohenlohe 12 (danach
gehörte auch Erzherzog Karl zur antipreußischen Partei) und Zeißberg,
2 Jahre, 130—131.
3) Rep. 96, 155 E Haugwitz an Friedrich Wilhelm 26. Juli 1792.
Haugwitz hatte es wohl von Spielmann selbst gehört.
240 II. Abschnitt
Preußen ein so schöner Vorteil zugedacht war1). Stets findet
man ihn Schwierigkeiten erheben und nörgeln, nie positiv
schaffen2). Franz genehmigte den Tauschplan nur mit den Ab-
änderungen, die Lacy und Genossen vorgeschlagen hatten und
die ihm selbst seinen Fall wohl schon als bevorstehend erscheinen
ließen. Er verlangte ferner für die Kriegskosten völlige Gleich-
heit mit Preußen. Doch geht aus seinen Worten nicht klar her-
vor, ob er die extreme Anschauung der Mehrheit geteilt hat,
daß Tausch und Entschädigungen von vornherein zu
trennen seien. Wider bessere Einsicht fügten sich Ph. Cobenzl
und Spielmann — ihr späteres Verhalten beweist es ebenso wie
ihr Protest in diesen Tagen. Angeblich hat Spielmann sogar
um seine Entlassung gebeten3). Damit gab Österreich den
Sperling in der Hand preis, um der Taube auf dem Dache nach-
zujagen und schließlich ganz ohne jeden Gewinn dazustehen;
natürlich war dann das böse Preußen daran schuld. Hier muß
man wirklich von maßlosen österreichischen Plänen reden, die
in sich selbst den Keim des Verderbens trugen4). Ich will nicht
erörtern, ob der Tausch in Sommer 1792 wirklich durchgeführt
worden wäre, wenn Österreich sich mit ihm begnügt hätte5);
aber eines ist sicher, die Einigung mit Preußen wurde jetzt erst
aufgeschoben, dann unmöglich.
Denn die Frankfurter Beschlüsse hatten ja eine ganz neue
Lage geschaffen. Wird Preußen auf diese Bedingungen eingehen,
die seinen Absichten durchaus widerstrebten?
Während die Fürstlichkeiten sich in Festen nicht genugtun
konnten und noch einmal den ganzen Glanz des ancien regime
um sich verbreiteten6), traten ihre Minister und ihre Generale
x) Vivenot II 499 und 500.
2) V i v e n o t II 752.
3) Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 30. Juli.
4) Sorel I 455.
B) S y b e 1 II 217—220 und III 260 ff.
6) Schon bald nach Leopolds Tod war der Gedanke einer Zusammen-
kunft zwischen dem neuen Beherrscher Österreichs und Friedrich Wilhelm
aufgetaucht. Die Reise des Königs nach Ansbach, die noch vor seiner
Teilnahme am Feldzuge geplant war, sollte nun benützt werden, um Franz
die Sache etwas zu erleichtern. Er mußte zur Kaiserkrönung nach Frank-
furt fahren. Als Ort wurde zunächst ein beliebiger Punkt zwischen Ans-
bach und Mainz, etwa Mergentheim, angesetzt (Zeißberg, 2 Jahre,
129 ff. ; Rep. I 171 Schulenburg an Reuß 14. Mai). Doch Zeit und Ort
ließen sich schlecht mit der Kaiserkrönung vereinigen. Franz schlug selbst
vor, zu Friedrich Wilhelm zu kommen, wenn dieser bei seiner Armee am
Kriegskostenentschädigung 241
zu Besprechungen zusammen, die entscheidend werden sollten.
Über die beiden ersten Konferenzen vom 20. Juli kann ich hin-
weggehen, nur die dritte vom 21. vormittags ist hier von Wichtig-
keit, da auf ihr fast ausschließlich die Entschädigungsfrage be-
sprochen wurde1). Ph. Cobenzl, Spielmann und Schulenburg
nahmen daran teil, d. h. die eigentlichen Vertreter der Annähe-
llhein sei (Berichte Jacobis 12. und 14. Mai; V i v e n o t II 432 und 450).
Dieser stimmte zu (an Jacobi 19. Mai). Man einigte sich auf Koblenz (Be-
richt Haugwitz' 30. Juni; Vivenot II 486), von wo der Marsch der
preußischen Truppen beginnen sollte. Aber bei näherem Zusehen fand
Franz doch ein Haar in der Suppe. Koblenz war zugleich der Sammel-
punkt der Emigranten, mit ihnen wollte er nun womöglich nichts zu tun
haben. Überall sonst, bloß nicht in Koblenz, war jetzt die von Österreich
ausgegebene Losung (Bericht Haugwitz' 1. Juli). Daher sollte ein Ort
auf dem Wege Friedrich Wilhelms von Ansbach nach Frankfurt, an den
Franz dann hätte von Frankfurt zurückkommen müssen, gewählt werden.
Preußen schlug Aschaffenburg und den 18. Juli vor (Rep. XI 89 g1 Alvens-
leben 8. Juli; Rep. I 170, S. Au Roi 7. Juli. An Haugwitz 7. Juli). Jedoch
lud inzwischen der Kurfürst von Mainz Franz ein, im Anschluß an seine
Reise nach Frankfurt auch ihm in Mainz einen Besuch abzustatten. Das
schien nun den Österreichern sehr zu passen, um die Zusammenkunft dort
in aller Bequemlichkeit stattfinden zu lassen trotz der Vorzüge, die das
abgelegene Aschaffenburg bot (Bericht Haugwitz' 12. Juli). Sie veran-
laßten also eine Einladung des Kurfürsten an den König, angeblich noch
ehe Franz den Vorschlag über Aschaffenburg in den Händen hatte (V i-
v e n o t II 494. Preußen soll sogar in letzter Stunde noch versucht haben,
die Zusammenkunft doch in Koblenz stattfinden zu lassen, um den Herzog
von Braunschweig nicht von der Armee zu entfernen). Friedrich Wilhelm
ging bereitwillig darauf ein — ihm machte die Änderung keine Ungelegen -
heiten (V i v e n o t II 490—491 ; Rep. XI 89 g1 Schulenburg an Fincken-
stein und Alvensleben 13. und 14. Juli; Finckenstein und Alvensleben an
Schulenburg 20. Juli). Aber Franz machte damit die vorher aufgewandte
Mühe nutzlos. Denn die Emigranten hatten beim Herannahen der Preußen
Koblenz räumen müssen und hatten in Bingen ihr Hauptquartier auf-
geschlagen. Eine große Menge von ihnen nahm daher an den Mainzer
Feierlichkeiten teil. Wenn man auch nicht sagen kann, daß sie damals
viel erreicht hätten, weder bei Friedrich Wilhelm noch bei Franz oder
den Ministern — etwas eingewirkt haben sie auf die dort geführten Ver-
handlungen doch. Deshalb erscheint mir diese Feststellung von Wert.
(Vgl. noch Vivenot II 491 und 494; H ü f f e r in „Deutsche Revue"
1883 I S. 241; Rep. 98 B 11. An Haugwitz [Schulenburg ad contras.]
14. Juli.) Am 19., nachmittags 5 Uhr, kam der König in Mainz an, am 22.
früh um 5 Uhr reiste er nach Koblenz weiter (Rep. XI 89 g1 Schulen-
burg an Finckenstein und Alvensleben 20. und 21. Juli; Zeißberg,
2 Jahre, S. 147; M i n u t o 1 i 17—18).
1) Häußer I 358—359; Sybel II 218—220; Ranke 189—196;
Sorelll 500—501; H e i g e 1 I 560.
H eidrieh, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 16
242 II. Abschnitt
rung beider Mächte. Aber sie waren durch Instruktionen ge-
bunden1). Zwischen ihnen war ein Kompromiß kaum noch
möglich.
Eine wenig erfreuliche Folge hatten diese österreichischen
Mehrforderungen sofort für beide Mächte. Man hatte bisher
gehofft, in Mainz diese Frage endgültig regeln und dann vereint
Katharina seine Wünsche vorlegen zu können, bezw. den be-
teiligten deutschen Fürsten (Bayern und Zweibrücken) und Eng-
land. Zwar den bayerischen Tausch betrachtete man in Preußen
bereits als entschieden, und Schulenburg machte daher so gute
Miene zum bösen Spiel, daß es den Österreichern aufgefallen
sein soll2).
Aber Schulenburg scheint jetzt doch weniger Zutrauen zu
dem Gelingen der Verhandlung gehabt zu haben als am Anfang3).
Er übernahm es, nicht bloß bei Zweibrücken — das hatte er
schon früher zugesagt4) — sondern auch bei England wegen des
Tausches vorstellig zu werden5). Er legte jedoch der letztgenannten
Verhandlung gar keine Bedeutung bei, da sich bei Einigkeit von
Österreich, Preußen und Rußland England nicht widersetzen
könne. Er scheint nichts davon gewußt zu haben — Cobenzl
hatte nur ganz oberflächlich darüber zum Schluß gesprochen —
daß Franz aus der Zustimmung Englands eine conditio sine qua
non für den Tausch gemacht hatte. Wenn Schulenburg hierin
auch nachgegeben hatte, so war trotzdem ein Abschluß unmög-
lich. Es wurde in der Tat nichts beschlossen6). Schulenburg
konnte die österreichische Forderung der beiden Markgrafschaften
nur völlig überrascht ad referendum nehmen, sowie die Öster-
reicher die preußischen Ansprüche auf Polen. Schulenburg mußte
sie seinen Kollegen und vor allem dem König unterbreiten. Die
Österreicher ihrerseits waren über die großen preußischen Forde-
rungen erstaunt, von denen sie bisher nur ganz allgemein und
unverfänglich hatten reden hören als von Danzig und Thorn
und einer Verbindung zwischen (West-)Preußen und Schlesien.
Jetzt sprach Schulenburg — angeblich unter der Voraussetzung,
daß Österreich auch noch die Markgrafschaften erhalte — von
l) Vivenot II 511.
3) Fersen II 25.
3) Ranke 289. Man bemerkt den Einfluß seiner Kollegen.
*) Vivenot II 461.
5) V i v e n o t II 503 und 511.
6) S s o 1 o w j o f f 296—297.
Kriegskostenentschädigung 243
den Palatinaten Gnesen, Posen, Kaiisch, einem Teil von Siera-
dien1), dazu von Kujavien, das selbst wieder in mehrere Gebiete
zerfiel2). Die Berechtigung der Gleichheit beider Staaten hin-
sichtlich der Entschädigung und einer Zuwage zu dem gegen die
Niederlande finanziell minderwertigen Bayern scheint Schulen-
burg gebilligt zu haben3), vorausgesetzt, daß sich die österreichische
Angabe als richtig herausstellen sollte; er behielt sich deshalb
eine Prüfung vor4).
Gegenüber der österreichischen Forderung der Markgraf-
schaften ließ er es in der Konferenz selbst an der nötigen Festig-
keit fehlen. Auch in seinen eigenen Berichten gab Schulenburg
zu, daß er erst nach reiflicher Überlegung nach der Konferenz zu
dem Entschluß gekommen sei, den Vorschlag als unannehmbar
abzulehnen5). Sofort abzulehnen wagte er ihn nicht, da Cobenzl
und Spielmann dann die ganze Entschädigung für unmöglich er-
klärten und mit dem den Preußen so verhaßten alten Projekt
herauskamen, dann müsse man sich eben mit Geldzahlungen von
Ludwig XVI. begnügen. So brauchten sie dank ihrem festen
Auftreten, das sich nicht einmal mit ihrer persönlichen Über-
zeugung deckte, mit den anderen Vorschlägen gar nicht erst
herauszurücken, die sie zu machen berechtigt waren. Aber je
mehr Schulenburg sich die Sache überlegte, um so mehr bereute
er seine augenblickliche Nachgiebigkeit, und um so bedenklicher
kam sie ihm vor. Ja, er kam schon auf den Gedanken, Österreich
wolle durch diese Forderung die ganze Entschädigungsfrage zu
Fall bringen und sich, wie Jacobi in Berlin vor seiner Abreise
1) Vivenot II 503; Sybel II 219 setzt noch Gnesen besonders
dazu, dessen größter Teil schon seit der ersten Teilung zu Preußen gehörte.
Ebenso an Goltz 28. September.
2) Die Palatinate Inowrazlaw (Hohensalza) und Brzesc, das Land
Dobrzyn.
3) Vivenot II 503 und 511. In seinem eigenen Bericht sprach er
sich über sein Verhalten in diesem Punkte nicht so klar aus. Er bezeichnete
das Gespräch überhaupt als un des plus vagues (Ranke 290).
4) Sie fiel durchaus zum Nachteil der Österreicher aus (Rep. XI 89 k
Renfner an Schulenburg 27. Juli 1792).
5) Es macht nichts aus, daß er später behauptet, er habe nach langer
Erörterung den Vorschlag sozusagen stürmisch abgelehnt. Vgl. Schulenburg
an Finckenstein und Alvensleben 14. August (Rep. XI 89 g1): Ph. Cobenzl
habe nach Petersburg geschrieben: que dans la Conference de Mayence
j'avais pris Paffaire ad referendum, expression tres impropre quand il s'agit
d'une longue discussion et d'un refus donne pour ainsi dire d'emblee. Vgl.
Vivenot II 517.
244 H. Abschnitt
nach Karlsbad erklärt haben sollte, als den Großmütigen auf-
spielen; denn ihm könne es auf fünfzig Millionen Schulden mehr
oder weniger nicht ankommen, für Preußen aber sei der Verlust
des Kriegsschatzes eine Lebensfrage1). Gegen seine Kollegen
sprach er sich daher schließlich, noch ehe er von ihrer Entrüstung
wußte, offen dahin aus, die Abtretung der Markgrafschaften sei
unerträglich und unzulässig (insoutenable et inadmissible)2).
Umsomehr glaubte er aber, auf dem Ersatz der Kriegskosten
bestehen zu müssen und einigte sich mit Haugwitz über eine Ant-
wort in diesem Sinne an Cobenzl und Spielmann3).
Hier bahnt sich der Umschwung an, der in kurzem von so
großer Bedeutung werden soll. Nicht mehr mit Österreich gilt
es, sich zuerst über die Entschädigung zu einigen, sondern mit
Rußland, von dem Schwierigkeiten dieser Art nicht zu befürchten
waren. Schulenburg war darin bei weitem vertrauensseliger als
seine Berliner Kollegen4). Nur vorübergehend vermochte ihn die
kühle Haltung Rußlands von dieser Ansicht abzubringen5).
Damit kam er auf den Weg zurück, den schon Friedrich der Große
bei der ersten Teilung als den richtigen erkannt hatte6). Wenn
Preußen sein Los habe, dann könne es den Österreichern ja freie
1 ) Ranke 290; S s o 1 o w j o f f 296; vgl. auch S c h 1 i e f f e n II
372; Rep. XI 89 g1 Schulenburg an Haugwitz 30. Juli; Rep. 96, 155 E
Haugwitz an Friedrich Wilhelm 26. Juli; Rep. 98 B 11 Haugwitz an
Schulenburg 16. August.
2) Rep. XI 89 g1 Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 22. Juli;
Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 27. Juli.
3) Ob sie wirklich gegeben worden ist, kann ich nicht feststellen.
Rep. XI 89 g1 Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 22. Juli: Que
je n'avais pas encore en occasion de voir le Roi depuis notre Conference
d'hier ni de lui en faire mon rapport. Que plus j'y avais reflechi, plus
j'entrevoyais d'embarras dans la proposition dont il avait ete question,
mais toutefois que je me reservais de reprendre la matiere des que j'en
trouverais la possibilite. Qu'en attendant il etait hors de doute qu'il nous
fallait une juste indemnisation des frais de la guerre que nous avions pris
les armes a cette seule condition et que nous avions annonce d'avance
comme sine qua non tant a la Cour de Vienne qu'au Roi de France et ä
l'Imperatrice de Russie. Que ce principe une fois invariablement pose, il
ne s'agirait plus que de trouver les moyens et qu'il fallait y aviser de toute
n^cessite soit d'une facon, soit de l'autre. Finckenstein und Alvens-
leben an Schulenburg 27. Juli.
*) Rep. XI Rußland 133 B Finckenstein und Alvensleben 31. Juli.
5) Rep. XI 89 g1 Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben
10. August 1792.
6) Sorel II 378 und la question d' Orient 168.
Kxiegskostenentschädigung 245
Hand lassen in der Ausführung des Tausches und darin, sich eine
Zugabe auf Frankreichs Kosten zu suchen. Ausdrücklich bat er
seine Kollegen noch, ihn in dieser schwierigen Lage mit ihrem
Rat zu unterstützen.
C. Er hatte in der Hauptsache schon ihr Urteil vorweggenom-
men1); nur schlugen sie sofort den schärfsten Ton gegenüber
den empörenden österreichischen Forderungen an. Schulenburg
war noch stets derjenige unter den drei Ministern gewesen, der
am meisten einer Annäherung an Österreich das Wort geredet
hatte. Er und Bischoffwerder waren nicht mehr in Berlin. Das
Feld für antiösterreichische Umtriebe war scheinbar frei. Jacobi
hatte sich noch vor seiner Abreise nach Karlsbad dahin aus-
gesprochen2), Österreich wolle scheinbar die ganze Last der
Unterhandlung Preußen aufbürden und selbst nur gezwungen,
wenigstens scheinbar, aus seiner Uneigennützigkeit hervortreten3).
Alvensleben sprach sich beim Einlaufen der Mainzer Nachrichten
in schärfster Form gegen Finckenstein über Österreichs Verhalten
aus, der ihm sachlich ganz recht gab, aber seine Persönlichkeit
nicht mehr so stark einsetzte. In Alvensleben dürfen wir daher
den geistigen Vater der Briefe an Schulenburg sehen, die ihm
und dem Könige den Rücken stärken sollten. Diese Überspannung
der österreichischen Forderungen kam ihnen scheinbar sehr ge-
legen, um die Nachgiebigkeit Preußens gegenüber Österreich auf
das richtige Maß zurückzuführen. Deshalb machten sie dagegen
Front, daß Preußen das Odium der Verhandlungen in Zwei-
brücken wie in London auf sich nehmen solle. Genug, wenn
Preußen dem Tausch nicht widersprach4), ihn allenfalls befür-
wortete und den Österreichern behilflich war, sich auf Frank-
reichs Kosten eine Zugabe zu verschaffen5). Denn sie erkannten
wohl, daß Preußen mit der Zulassung des Tausches sein ganzes
bisheriges System fallen ließ, auf den Einfluß im Reich ver- / /u^ \
zichtete. Dies Opfer müsse dann wenigstens vergütet werden. ,
Lieber wäre ihnen aber ein Scheitern des Projektes gewesen —
sie deuteten schon an, daß der Herzog von Zweibrücken wohl
*) Süßheim 72.
2) Schulenburg hat ihn vielleicht mißverstanden. Vgl. oben.
3) H.E.B. 284—285; Ranke 290.
4) Er verlangte schon ein so großes Opfer von Preußen (Bericht von
Goltz 6./17. August, an Goltz 3. September).
5) Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 27. Juli — 4. August.
246 n. Abschnitt
protestieren werde — und für diesen Fall sahen sie eine Ent-
schädigung Österreichs auf französische Kosten im Elsaß oder
im Hennegau vor, wogegen nur leider der erste Artikel des Mani-
festes des Herzogs von Braunschweig spreche, den sie — zu viel
Kunst witternd — als von Österreich herstammend bezeichneten
(vgl. oben). Den Tausch der Markgrafschaften lehnten sie für
jetzt rundweg ab und beriefen sich dafür auf den Berliner Ver-
trag, demzufolge sie nur gegen die Lausitzen beim Aussterben
der männlichen sächsischen Linie an Österreich abgetreten werden
könnten1). Sie würden sich selbst sonst für Vaterlandsverräter
halten müssen.
Aber diese Feindschaft verleitete sie nun nicht, gegen Ruß-
land offener mit der Sprache herauszugehen. Sie begnügten sich
zunächst damit, bei der allgemeinen Forderung einer Entschädi-
gung, gleichviel wo sie zu haben sei, stehen zu bleiben2). Schulen-
burg war ja mit Alopeus persönlich sehr intim geworden3); aber
Finckenstein und Alvensleben sahen in ihm doch noch stets
den nichtbeglaubigten Vertreter Rußlands, den dies leicht des-
avouieren könne, gegen den man daher mit der äußersten Vor-
sicht operieren müsse4). Sei Rußland aber einmal ehrlich auf
die preußischen Wünsche eingegangen, dann allerdings solle sich
Preußen, ohne weiter auf Österreich zu warten, selbst ohne die
formelle Festsetzung der Grenzen mit Rußland abzuwarten, in
Besitz seines polnischen Anteils setzen. Das sei die Bedingung
für die Verwirklichung des Tausches und der Zugabe, gegen die
1) Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 4. August.
2) Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 22. Juli und Fincken-
stein zu Alvenslebens Bemerkungen (vom 27. Juli?): Le mieux sera d'insister
nettement sur une indemnite quelconque, de la prendre oü nous pourrons
et de declarer qu'il ne pourra jamais etre question de la cession des
marggraviats.
3) Rep. XI Rußland 133 B Ostermann an Alopeus 25. Dezember
1791: celui de les ministres (Schulenburg) avec lequel vous etes le plus
dans l'habitude de discuter les affaires relatives ä la France. Das kann
man ruhig verallgemeinern. In der polnischen Frage haben wir gleichfalls
nur für einen direkten Verkehr zwischen Alopeus und Schulenburg Beweise.
4) Besonders Finckenstein zweifelte noch stark daran, daß Rußland
ehrlich Preußens Wünsche genehmigen wolle (Finckenstein 31. Juli, in
Rep. XI Rußland 133 B: Je suis toujours bien aise de voir par cette lettre
de Mr. le C. de Schulenburg [vom 26.] qu'il ne se croit pas tout ä fait sür
de ces affaires et je le souhaite que le Roi n'y compte pas trop non plus
jusqu'a ce qu'on soit certain que la Cour de Russie voudra entrer dans les
vues au sujet de la Pologne, ce dont je doute encore beaucoup).
Kriegskostenentschädigung 247
also auch sie dann nichts mehr hätten einwenden können1).
Nur trat mehr und mehr ihre Abneigung auch gegen den Tausch
allein zu Tage2). So werde Österreich sich wieder von Preußen
fortziehen lassen wie im Jahre 1772 nach dessen Einigung mit
Rußland. Der Ansicht sei auch Jacobi3).
So leicht aber ließ sich Schulenburgs Fehler nicht wieder gut
machen4), und dazu kam noch als erschwerendes Moment, daß
Friedrich Wilhelm selbst zuerst nicht ganz abgeneigt war, auf
die österreichischen Forderungen einzugehen, wenn er für die '
Abtretung anständig entschädigt werde — das System wird also
immer komplizierter. Auch Haugwitz wirkte in diesem Sinne
bis Ende August auf ihn ein. Er und Reuß wurden zur Erleich-
1 ) Rep. XI 89 g1 Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg
27. Juli und 21. August. Ranke 291—293.
2) An Goltz 9. September.
3) Schulenburg gab ihnen über Rußland und Alopeus im allgemeinen
recht, ebenso in der Entschädigungsfrage. Er hielt nur noch die Abtretung
der Markgrafschaften für den Fall einer außergewöhnlich großen preußi-
schen Erwerbung offen und gab zu erwägen, daß sich für Österreich außer
dem Tausch sehr schwer eine passende Entschädigung finden lasse. Er
machte also, zweifellos durch das Verhalten des Königs bestimmt (vgl.
unten), eine neue kleine Schwenkung auf die Seite der Österreicher
(Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 2. August). Dazu fürchtete
er jetzt auch ein Beharren der Russen auf ihrem bisherigen Standpunkt,
d. h. der alleinigen Regelung der polnischen Frage. Dann, meinte er, müsse
Preußen sich mit Österreich einigen (also auch die Markgrafschaften preis-
geben?!) und von Rußland die Zurückziehung seiner Truppen von pol-
nischem Gebiete fordern. Man wird ihm die Erregung des Augenblicks zu
gute halten müssen; denn das war natürlich eine Chimäre. Seine Ber-
liner Kollegen dachten mit Recht kühler (Schulen bürg an Finckenstein und
Alvensleben 10. August; Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg
16. und 21. August), und auch er kam bald davon zurück, unter der
Einwirkung der Österreicher selbst, die ihres Sieges sich schon allzu
sicher wähnten. Der früher gebrauchte Ausdruck „insoutenable et in-
admissible " wurde von ihm wieder aufgenommen. Nur gegen die Lausitzen
sollten Ansbach und Bayreuth eventuell später eingetauscht werden.
Wenn Österreich den einfachen Tausch nicht wolle, so müßten andere
Wege für die Entschädigung, auf Kosten Frankreichs, gefunden werden;
denn Preußen bestehe auf ihr absolut. (Schulenburg an Finckenstein
und Alvensleben 14. August; S. Au Roi 14. August; Schulenburg an
Haugwitz 15. August. Auszug aus L. Cobenzls Depesche vom 21. Juli.
Ph. Cobenzl an L. Cobenzl 8. August [ganz bei Vivenot II 514].
Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 18. August; Finckenstein
und Alvensleben an Schulenburg 24. August.) So war diese leidige Frage
endlich zur Freude von Finckenstein und Alvensleben geregelt.
4) Vgl. H e i g e 1, II 17—18.
248 II- Abschnitt
terung der Verhandlungen, die man in Mainz nicht hatte be-
endigen können, ins Geheimnis eingeweiht1). Dort war man ja
bei der kurzen Zeit und den neu auftauchenden Schwierigkeiten
über ganz allgemein gehaltene Besprechungen nicht hinaus-
gekommen und hatte sich mit dem Versprechen getrennt, noch
recht reiflich nachzudenken2). Haugwitz entwickelte nun eine
staunenswerte Gewandtheit, sich den Intentionen des Königs
anzupassen. Unter dem Schein, sich genaue Befehle für sein
Verhalten in der Entschädigungsfrage auszubitten3), übte er doch
einen starken Einfluß in dem angegebenen Sinne aus. Gewiß,
er behielt diesem die Entscheidung vor, aber er stellte den Wert
der Markgrafschaften für Preußen doch als so gering und die
Vorteile einer beträchtlichen Erwerbung in Polen doch als so
groß dar, daß kein Zweifel daran möglich war, welche Wahl er
treffen würde. Er kam dabei so sehr in das Spielen mit den ver-
schiedensten Möglichkeiten hinein, daß er daran dachte, den
Franzosen das Elsaß abzunehmen, es von dem Kaiser verwalten
zu lassen, der aber einen Teil der Einnahmen an Preußen abzu-
geben hätte, bis Preußen durch das Aussterben der männlichen
sächsischen Linie in den Besitz der Lausitzen komme. Er hatte
hierbei keine andere Absicht, als Frankreich, den Friedensstörer,
für seine Schuld tüchtig bluten zu lassen4) und für Preußen und
Österreich noch etwas mehr herauszuschlagen, ohne daß diese
Absicht in einem Zusammenhange mit dem Hauptplan stünde.
Der König lehnte sie stillschweigend ab6), da sie dem Haupt-
prinzip widersprach, demzufolge man nicht gegen Frankreich,
sondern gegen die Revolution Krieg führte. Nur wenn der Tausch-
1 ) Das gilt für Reuß natürlich nur in gewissem Sinne. Haugwitz hatte
bisher noch nichts davon gewußt. Reuß beglaubigte sich am 28. Juli als
Vertreter des Kaisers im Lager (Schulenburg an Finckenstein und Alvens-
leben RS. vom 28. zum 27. Juli).
2) Vivenotllöll. Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben
21. Juli.
3) Er hatte mit Schulenburg schon darüber gesprochen, und dieser
hatte ihn allerdings auch ersucht, seine Meinung auszusprechen (Rep. XI
89 k Haugwitz an Schulenburg 26. Juli).
4) Schulenburg beruhigte ihn darüber (Rep. XI 89 g1 Schulenburg
an Haugwitz 30. Juli: personne n'oubliera de faire ses comptes quand il
sera temps).
6) Schulenburg tat es im Einverständnis mit dem König noch aus-
drücklich (Schulenburg an Haugwitz 30. Juli; Schulenburg an Fincken-
stein und Alvensleben 30. Juli; Finckenstein und Alvensleben an Schulen-
burg 4. August).
Kriegskostenentschädigung 249
plan und damit die preußische Erwerbung in Polen scheitere,
solle die Entschädigung auf Frankreichs Kosten gesucht werden,
für Preußen in Jülich-Berg. Das preußische Interesse galt dann
doch mehr als das allgemeine Prinzip — eine wichtige Feststellung
für die Beurteilung der preußischen Politik im ganzen. Aber
sonst war Friedrich Wilhelm mit Haugwitz ziemlich einer Meinung.
Freilich fühlte er sich als Hohenzoller doch enger mit den Mark-
grafschaften verknüpft, als Haugwitz gedacht hatte, dem sie bloß
Material waren und der dabei von allen ideellen Größen abgesehen
hatte. Aber ihre Abtretung wollte auch der König nicht rund-
weg abschlagen. Er verlangte dafür einen Teil Polens längs des
linken Weichselufers (vgl. 12. März!) und, wenn er nicht groß
genug bemessen würde, die Lausitzen beim Aussterben des
sächsischen Mannesstammes. Er sagte hier nicht, daß die Mark-
grafschaften nur gleichzeitig mit der preußischen Erwerbung abge-
treten werden sollten ; doch darf man ihm wohl aus den sonst be-
kannt gewordenen Schriftstücken diese Forderung zuschreiben.
Aber, so setzte er dazu: Es heißt um das Fell des Bären streiten,
wenn wir noch nicht sicher sind, daß Rußland wirklich an eine
Teilung Polens denkt1). Es könne sich ja einfach mit einer Ver-
fassungsänderung begnügen, und wie solle dann Preußen zu seinem
Anteil kommen? Österreich müsse sich dann im Hennegau oder
(sie!) im Elsaß, Preußen in Jülich-Berg entschädigen, und Bayern
müsse auf Frankreichs Kosten etwas erhalten. Von einem Schritt
Preußens bei Zweibrücken wollte er jetzt nichts mehr wissen.
Dazu hatte ihn wohl das österreichische Verfahren zu sehr ge-
reizt; vielleicht hat auch der in Mainz persönlich anwesende
Zweibrückener auf ihn eingewirkt2).
Diese Haltung des Königs und seines Gesandten in Wien war
Schulenburg und seinen Kollegen äußerst unangenehm. Er wollte
jetzt von der Abtretung der Markgrafschaften nichts mehr wissen.
Der Geheimrat Renfner hatte ihm nämlich eine Aufstellung dar-
über gemacht, welche Einnahmen Österreich früher aus den
Niederlanden bezogen habe und wie es darum in Zukunft bestellt
sein werde. Dieser war dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß
in den besten Jahren Josephs zwei Millionen Gulden nach öster-
1 ) Häußer I 359.
2) Rep. 96, 155 E Haugwitz an Friedrich Wilhelm 26. Juli; Friedrich
Wilhelm an Haugwitz 29. Juli; S ü ß h e i m 71—72. Vgl. auch Rep. 40,
14 a. In Zweibrücken sollte nach den anfänglichen Abmachungen Öster-
reich die Last der Eröffnung auf sich nehmen.
250 II. Abschnitt
reich gegangen seien, daß jetzt aber, selbst nach Wiederher-
stellung der Ruhe, Österreich noch drei bis vier Millionen werde
zuzahlen müssen, da mehr Truppen im Lande gebraucht würden.
Das beweise sonnenklar, daß der Kaiser mehr als je an dem
Tausch der Niederlande interessiert sei, und daß seine Minister
eine nur scheinbar richtige Berechnung aufstellten mit der An-
gabe, daß die österreichischen Finanzen durch den bayerischen
Tausch geschädigt würden1). Schulenburg fürchtete nun, die
Österreicher würden fest auf ihrem Plan beharren, wenn sie von
der Nachgiebigkeit Friedrich Wilhelms etwas merkten, wie sie
es mit so gutem Erfolge in Mainz Schulenburg selbst gegenüber
getan hatten2). Die preußische Genehmigung einer Reihe von
Wünschen der Emigranten wirkte eben darauf hin3). Dann hielt
Schulenburg alles für verloren.
Jene Nachgiebigkeit mußte ihnen also um jeden Preis ver-
heimlicht werden. Es war gut, daß der König noch nichts davon
hatte verlauten lassen, und vor allem, daß Bischoffwerder auf
besonderen Wunsch von Haugwitz, der schlecht mit ihm stand4),
überhaupt nicht eingeweiht war5). Schon die Depesche an Haug-
witz ging diesem auf seinen eigenen Vorschlag6) nur in der größten
Heimlichkeit zu. Er reiste deshalb besonders von Prag nach
Neiße7), um sie in Empfang zu nehmen8), benützte aber auch
die Gelegenheit, um seinen in der Nähe liegenden Gütern einen
Besuch abzustatten. Nicht von Neiße, sondern von Rogau bei
Krappitz an der Oder, südlich von Oppeln, schickte er deshalb
seinen Bericht. Da Schulenburg an dem Entschluß des Königs
nichts mehr hatte ändern können, vielleicht gar nicht erst den
Versuch dazu gemacht hatte — Friedrich Wilhelms Brief an
Haugwitz war fertig geschrieben, ehe Schulenburg mit dem
1 ) Rep. XI 89 k Renf ner an Schulen bürg 27. Juli ; cf . an Goltz
7. September.
2) Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 30. Juni; Fincken-
stein und Alvensleben an Schulenburg 4. August.
3) Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 13. August.
4) Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 11. August.
5) Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 30. Juli, 7. und
11. August; Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 4. und
19. August.
6) Rep. XI 89 k Haugwitz an Schulenburg 26. Juli; Schulenburg
an Haugwitz 30. Juli.
7) Der preußische Feldjäger mußte dort beim Postmeister auf ihn
warten (Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 30. Juli).
8) R a n k e 47, 277. Rep. I 170. Bericht 16. August.
Kriegskostenentschädigung 251
Könige darüber sprach — so gab er Haugwitz dazu Instruktionen,
die seine Wirkung abschwächen sollten. Haugwitz solle gegen
Spielmann möglichst fest auftreten, den Zorn des Königs über
die neue Forderung betonen, als unumgänglich für ihre eventuelle
Bewilligung die preußische Besitznahme in Polen fordern. Wenn
die bisherigen Pläne sich als nicht ausführbar erweisen sollten,
so beharre Preußen doch unweigerlich auf einer Entschädigung
für die ungeheuren Kosten einer Unternehmung, die seinen
Interessen fremd sei. Nur unter der Bedingung des Kosten-
ersatzes sei Preußen in den Krieg eingetreten. Für Haugwitz
allein fügte er noch hinzu, alles komme auf Rußlands Entschluß
an, das sich auf die Instruktionen von L. Cobenzl nach den Äuße-
rungen Rasumowskis (vgl. oben) und von Goltz', die vor jenen
erlassen seien, wohl erklären werde. Mit ihm müsse man daher
zunächst einig sein, sich dann sofort in den Besitz des preußischen
Anteils setzen und könne die österreichischen Eröffnungen- ruhig
abwarten. Bei einem festen Auftreten Preußens werde Österreich
sich mit dem einfachen Tausch begnügen, wie Spielmann selbst
einmal angedeutet habe, und es brauche die preußische Zustim-
mung nötiger als dies die seine1). So sehen wir die preußischen
Staatsmänner nach kurzem, aber verhängnisvollem Schwanken
wieder in der Hauptsache einig den Österreichern gegenüber-
treten. War es nicht schon zu spät dazu?
Zunächst wandte Österreich alle Mittel an, um Preußen und
Rußland für seine Absichten zu gewinnen2). Dies kam ihm sehr
entgegen, da Österreich ihm blindlings zu folgen schien und in
Polen nichts sagen wollte. Um so ernstere Bedenken schien natür-
lich bei Katharina die preußische Forderung zu erregen. Hier
zeigte sich so recht die Doppelzüngigkeit der Russen, da Markow
zu Goltz etwa in dem entgegengesetzten Sinne sprach; aber es
kann keinem Zweifel unterliegen, welches die wahre russische
Ansicht war3). Gleichviel, für Österreich war diese Nachricht
aus Rußland von unschätzbarer Bedeutung. Während es den
1) Schulenburg an Haugwitz 30. Juli; Schulenburg an Finckenstein
und Alvensleben 27. und 30. Juli, 11., 14., 27. August; Finckenstein und
Alvensleben an Schulenburg 4. und 21. August; Schulenburg an Haugwitz
15. August und 2. September; Friedrich Wilhelm an Haugwitz (S. ad con-
tras.) 2. September; an Haugwitz 19. August (in Rep. I 170); Fincken-
stein und Alvensleben an Schulenburg 10. September.
2)HäußerI 396—397.
3) Vgl. oben und Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg
24. August.
252 II. Abschnitt
Russen die Vorteile des Tausches für ganz Europa klar zu machen
suchte1), gab es die Petersburger Meldungen sofort mit den ent-
sprechenden Erläuterungen an Reuß weiter. Preußen sollte er-
kennen, wie sehr es von Österreich abhänge. Rasch sollte es in
die Abtretung der Markgrafschaften willigen, um dann mit Öster-
reich vereint den Russen entgegenzutreten, die sich den Polen
so verdächtig näherten. Sonst werde aus der ganzen Entschädi-
gungsangelegenheit nichts, und man müsse zu französischen Geld-
zahlungen seine Zuflucht nehmen. Als Haugwitz, bei dem die
Österreicher denselben Ton anschlugen, einzuwenden wagte,
man müsse erst die endgültige russische Antwort abwarten, da
widersprach Spielmann dem auf das lebhafteste. Nur bei voran-
gehender Einigung zwischen Österreich und Preußen könne der
Plan überhaupt gelingen.
Aber so leicht ergab sich auch Haugwitz nicht. Wenn der
Plan nun an der wahrscheinlichen Weigerung Preußens scheitere,
die Markgrafschaften abzutreten, dann müsse man eben an
anderer Stelle die unumgänglichen Entschädigungen suchen.
Da schlug er für Preußen Jülich-Berg vor. Das war jetzt für
Österreich noch mehr als zuvor unannehmbar geworden. Gerade
die Verbindung dieser Gebiete mit den Niederlanden sollte dem
Herzog von Zweibrücken den Tausch erwünscht machen. War
Jülich-Berg erst einmal preußisch, so war es dauernd mit dem
Tausch vorbei. Gerade er mußte also Österreich veranlassen,
diesen preußischen Plan zu Fall zu bringen. Das ließ sich am
Ende nur durch den Verzicht auf die Markgrafschaften, durch
den Tausch mit einer Zugabe an anderer Stelle oder durch den
Verzicht auf die Zugabe überhaupt ermöglichen. So wurde die
Forderung von Jülich-Berg in der Hand der Preußen zum Mittel,
um die Österreicher zum Nachgeben zu bewegen, ohne daß sie
noch ernstlich an die Erwerbung jener Herzogtümer gedacht
hätten2). Wenn Spielmann dann Geldersatz durch Frankreich
vorschlug, so lehnte Haugwitz das wieder als durchaus unzu-
reichend ab. Kurz, man bewegte sich im Kreise, kein Teil wollte
nachgeben3).
Auch Friedrich Wilhelm ließ sich nicht einschüchtern. Von
1) Vivenot II 517—519.
2) Rep. XI 89 k Haugwitz an Schulenburg 30. September.
3) Vi v e n o t II 514—515 und 517—519. Berichte Haugwitz' 6., 8.,
16. August. Auszug aus L. Cobenzls Depesche vom 21. Juli mit P.S. in
Rep. XI 89 g1.
Kriegskostenentschädigung 253
einer Äußerung Katharinas hatten die Österreicher nichts zu
sagen gehabt; die Minister hatten alles nur ad referendum ge-
nommen und für sich persönlich gesprochen. Gegen Goltz hatten
sie sich aber auch ganz anders ausgesprochen, und zwar günstig
für Preußen. Hier lag also kein Grund zur Besorgnis vor, zumal
wenn man den Russen selbst den Gedanken an eine eigene Er-
werbung an die Hand gab, um die Partie gleichzumachen. So
kam es denn zu der Meldung von Reuß, Friedrich Wilhelm wolle
vor allen Dingen die endgültige Antwort Katharinas abwarten,
lehne aber eine Abtretung oder einen Tausch der Markgrafschaften
durchaus ab, da der Tausch Bayerns allein gegen die Niederlande
den Österreichern schon außerordentliche Vorteile verschaffe.
Der König verlange bei einem Scheitern dieses Planes eine Ent-
schädigung auf Frankreichs Kosten oder an anderer Stelle,
worüber man sich sofort einigen müsse. Nur wenn er in den
Besitz der ganzen Lausitzen komme, könne von jener Abtretung
die Rede sein1).
Die Österreicher mußten erkennen, daß sie auf diesem Wege
nicht weiter kämen; denn von einer Abtretung der ganzen Lausitz
hatte nach ihrer Ansicht nie die Rede sein sollen, und der Teil
sollte auch erst nach dem Aussterben der sächsischen männlichen
Linie den Preußen zufallen2). Spielmann war in Verzweiflung.
Er schien mit seinem Plane völlig gescheitert zu sein. Er wußte
ja nichts davon, daß Friedrich Wilhelm und Haugwitz im Grunde
ihres Herzens für die Abtretung der Markgrafschaften waren —
Friedrich Wilhelm, weil er dabei einen bedeutenden Gewinn vor
Augen sah — Haugwitz in der Furcht, die Russen könnten zu
viel Schwierigkeiten machen, wenn die preußischen Forderungen;
nicht von Österreich unterstützt würden3), so daß diese einzig-
artige Gelegenheit zur territorialen Erweiterung Preußens un-
genützt vorübergehen werde4). Dazu kam nun die Spaltung im
x) V i v e n o t II 525; S ü ß h e i m 73; Rep. XI 89 g1 u. i, S. Au Roi
14. August; Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 14. August;
Schulen bürg an Haugwitz 15. August; Antwort an Reuß: Frisange
15. August; Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 18. August;
Rep. 98 B 11 an Haugwitz 27. August; Rep. I 170 Bericht Haugwitz'
16. August.
2) Rep. 96, 155 E Bericht Haugwitz' 25. August.
3) Rep. XI 89 k Haugwitz an Schulenburg 25. August. Berichte
Haugwitz' 16. August und 4. September; Rep. 96, 155 E Friedrich Wil-
helm an Haugwitz 29. Juli und Bericht Haugwitz' 25. August.
4) Rep. 98 B 11 Haugwitz an Schulenburg 16. August. Seine zahl-
reichen Berichte erregten in Berlin schon die Furcht, der König werde
254 IL Abschnitt
österreichischen Lager. Für den Tausch waren eigentlich nur
Spielmann, Ph. Cobenzl und Starhemberg, dagegen Kaunitz,
Eosenberg und Lacy. So wollte es Haugwitz von Spielmann
selbst gehört haben, der damit natürlich auch einen Druck auf
Preußen auszuüben meinte, aber das Gegenteil erreichte1). Die
Vertreter des Tausches, d. h. zugleich der Einigung mit Preußen,
mußten alle Kraft zusammennehmen, um ihre Gegner niederzu-
halten und den Monarchen zu bestimmen, bei Preußen noch
einen letzten Versuch in der alten Richtung zu machen2).
Aber auch sie selbst waren nicht mehr einig. Spielmann zwar
beharrte bei seinem alten Plan. Nur der Machtspruch des Kaisers
veranlaßte ihn, bei Haugwitz auf der Abtretung der Markgraf-
schaften zu bestehen. Sonst hätte er diese lästige Mehrforderung,
wenn auch ungern, preisgegeben, um möglichst rasch den so er-
sehnten Tausch zu verwirklichen und damit allen Einspruchs-
gelüsten anderer Mächte eine Tatsache entgegenzustellen3).
Sein jetziger Chef Philipp Cobenzl aber4) zeigte auch hier die
bekannte Fügsamkeit, die erkennen läßt, wie gering doch im
Grunde genommen der Anteil war, den er persönlich an diesen
Dingen nahm. Nach der Frankfurter Konferenz machte er die
Forderung der Zuwage im allgemeinen, der Markgrafschaften im
besonderen zu der seinen und tat sich beim Kaiser darauf noch
etwas zugute5). Bei der Ängstlichkeit Schulenburgs und den
tatsächlich den seinen entsprechenden Anschauungen von Haug-
witz schien das zunächst nichts weiter auf sich zu haben. Noch
hielt aber Cobenzl daran fest, daß die Sache vor allen Dingen
zwischen Österreich und Preußen ins reine gebracht werden
müsse, dann erst Katharina eingeweiht werden dürfe; die anderen
Mächte könnten dann doch nichts mehr hindern6). Der Bericht
doch schließlich auf die Abtretung der Markgrafschaften eingehen (Fincken-
stein und Alvensleben an Schulenburg 21. August).
*) Rep. 98B11 Haugwitz an Schulenburg 16. August. Colloredo
fehlt bei den Tauschgegnern.
2) Bericht Haugwitz' 25. August und ein Blatt in Rep. I 170 über die
Konferenz vom 3. September 1792.
3) Süßheim 76—77.
*) Am 19. August betraute der Kaiser ihn offiziell mit den Amts-
geschäften von Kaunitz (V i v e n o t II 528).
5) Vi veno t II 511.
6) Die Denkschrift Ph. Cobenzls an den Kaiser, die Vivenot (II 501)
noch in die Frankfurter Zeit setzen will, gehört als Beilage zu dem Bericht
an den Kaiser vom 3. August (II 511. Vgl. den Schlußsatz und II 503).
Kriegskostenentschädigung 255
von Reuß vom 17. August1) und das immer entschiedenere Auf-
treten von Haugwitz schreckten ihn aber aus dieser zuversicht-
lichen Meinung auf, und seine Gegner ließen es an Intriguen nicht
fehlen. Haugwitz begann über ein Erkalten des österreichischen
Entgegenkommens zu klagen2). Den Einwirkungen dieser tausch-
feindlichen Partei ist es wohl zuzuschreiben, wenn Cobenzl Ende
August — den 25. haben wir als terminus post quem anzunehmen
— sich als extremer Anhänger der Zu wage entpuppte und lieber
auf den Tausch im ganzen als auf sie verzichten3) und dann die
österreichische Entschädigung in einer Vergrößerung der Nieder-
lande auf Frankreichs Kosten suchen wollte, die er schon Anfang
Juni im Gespräch mit Haugwitz gefordert hatte4). Aber diese
verärgerte Stimmung verließ ihn bald, und wieder trat der be-
herrschende Einfluß von Spielmann hervor, der an ein Auf-
geben des Tausches durchaus noch nicht dachte, nur mit ihm
drohte, um Preußen gefügiger zu machen5). Da sein Herr auf
der Zuwage bestand, so mühte er sich ab, eine ganze Reihe von
Projekten auszusinnen, die an die Stelle des bisherigen treten
sollten, wenn Preußen auf seiner Ablehnung bestand. Denn
mochte es sich jetzt auch mehrfach unzweideutig in diesem Sinne
ausgesprochen haben, so ließen sich die Folgen der ersten Nach-
giebigkeit nicht so leicht verwischen. Auch Haugwitz hatte den
Plan nicht gleich ganz abgelehnt, sondern nur an seine Annahme
Daß sie erst nach der Mainzer Konferenz geschrieben sein kann, ergibt
sich mit besonderer Deutlichkeit aus dem Schluß. Ob sie Ende Juli oder
Anfang August geschrieben ist, lasse ich dabei unentschieden; es kommt
auch nicht darauf an.
*) Vi veno t II 525.
2) Bericht Haugwitz' 4. September 1792.
3) Vivenot (zur Genesis 42 ff.) setzt diese Denkschrift auch in die
Frankfurter Zeit, aber mit Unrecht. Hier dagegen läßt sie sich einmal
sachlich gut einreihen (sie bietet zahlreiche Berührungspunkte mit dem
Auszuge aus dem Bericht von Reuß vom 17. August; er war am 25. in Wien
bekannt. Bericht Haugwitz' vom 25. August in Rep. 96, 155 E, und dann
wird in ihm ausdrücklich auf ein beikommendes Promemoria verwiesen
[S. 174]). Doch scheint mir der Unterschied zwischen Cobenzl und Spielmann
klar zu Tage zu liegen. Dieser will den Tausch als summum bonum und
macht nur beinahe notgedrungen allerlei Vorschläge zur Ergänzung bezw.
zum Ersatz, jenem aber ist die Zuwage schon wichtiger als das Ganze;
daher ist er bereit, darauf zu verzichten.
4) Ob er damals von dem Tauschplan schon wußte oder nicht, ist
hier ganz ohne Bedeutung. Dieser Plan nahm jedenfalls die zweite
Stelle in seinen politischen Berechnungen ein.
6) Rep. 96, 155 E Bericht Haugwitz' vom 25. August.
256 II. Abschnitt
hohe Bedingungen geknüpft. Wenn sie nur fest blieben, meinten
daher die Österreicher, würden sie bei den Preußen schließlich
auch das noch erreichen, nachdem diese einmal ihre Maske so-
weit gelüftet hätten.
Aber das war den Österreichern auch klar, in der bisherigen
Weise konnte es mit der Verhandlung gar nicht weitergehen.
Schon jetzt dauerte es eine gute Woche, ehe ein Kurier aus dem
Feldlager bis nach Wien gelangte, und fast jeder Tag vergrößerte
die Entfernung. In kurzer Zeit, glaubten sie, werde das Heer des
Herzogs von Braunschweig in Paris einziehen. Dann werde sich
Preußen nicht länger zurückhalten lassen, sondern seine Entschä-
digungsforderungen durch die Besetzung der Landesteile ver-
wirklichen, die es schon bezeichnet habe1). War dann Österreich
aber nicht übervorteilt? so fragte sich Spielmann. Was hatte
Preußen dann noch für ein Interesse daran, den Tausch zu be-
günstigen, zu befördern? Gerade damit aber rechnete man in
Wien sehr stark und mußte es auch tun, da der Widerstand des
Herzogs von Zweibrücken sich voraussehen ließ2). Die höchste
Eile war jedenfalls erforderlich. Man mußte die Frage zwischen
Österreich und Preußen ins reine bringen. Das Mittel dazu sollte
eine Reise des Staatsreferendars Spielmann ins preußische Haupt-
quartier sein3). Er vertrat die Politik der Annäherung an Preußen.
Wenn überhaupt einer, so war er der Mann, den verfahrenen
Wagen noch einmal ins rechte Geleise zu bringen.
Was sollte er nun bestimmt vorschlagen? Zwei Konferenzen
vom 3. und vom 7. September befaßten sich mit seiner Instruk-
tion, die der Kaiser dann am 10. September festsetzte, soweit
das überhaupt möglich war. Denn Spielmann erhielt für das
einzelne freie Hand, damit nicht mit „Hintersichbringen" gar
zu viel Zeit verloren gehe4). In der Hauptsache siegten die
1 ) Haugwitz wollte in seiner Furcht vor Rußland auch raschen
Abschluß mit Österreich vor Ende des Feldzuges, um dann in Polen
ruhig das preußische Los besetzen zu können (H.E.B. 292 — 296, Bericht
Haugwitz' 16. August).
2) Der Widerstand der Franzosen wurde jedoch noch nicht so stark
in Rechnung gestellt, wie man wohl behauptet hat (S y b e 1 II 353). Nur
sah man, als der Plan ausgeführt wurde, doch schon, daß man in einem
Jahre nicht nach Paris kommen werde, die gewohnte Art der Kriegführung
vorausgesetzt, und mit ihr rechnete man in Wien.
3) Vgl. für das folgende Vivenot II 533—538 und 540—542;
S y b e 1 II 351 ff.; H ä u ß e r I 396—397; H e i g e 1 II 17—18.
4) V i v e n o t II 546 und 575.
Kriegskostenentschädigung 257
Tauschfreunde über ihre Gegner, deren eifrigster, Lacy, der
zweiten Konferenz schon infolge einer vorgeschützten (?) — Un-
päßlichkeit fernblieb. Überall sah er nur Bedenklichkeiten und
schraubte die preußischen Forderungen auf ein Maß zurück, daß
die Ablehnung durch Preußen von vornherein sicher war. Er
gab es auch selbst zu, daß man vorläufig den Tausch am besten
fallen lasse. Aber sein Protest hatte jetzt doch nicht mehr die-
selbe Bedeutung wie in Frankfurt, wo er seinen Kaiser aus der
Bahn des vertrauten Zusammengehens mit Preußen gerissen hatte.
Jetzt blieb Franz in der neuen Richtung und versagte sich seinen
weitergehenden Forderungen.
Zunächst sollten noch trotz der scheinbar sehr aufgefallenen
Erklärungen von Haugwitz nach dem 3. September gegen die
Abtretung der Markgrafschaften1) Versuche in der alten Richtung
gemacht werden, und wenn es nach dem einhelligen Beschluß
der Konferenzteilnehmer gegangen wäre, hätte man den Preußen,
wenn sie ihren polnischen Anteil verkleinert hätten, Jülich-Berg
und für später eine Grenzberichtigung in der Lausitz geboten2).
Aber das lehnte der Kaiser als zu weitgehend ab, wohl in dem
früher von Schulenburg, aber auch von Spielmann geäußerten
Gedanken, daß die Bayern dann nicht mehr auf den Tausch ein-
gehen würden, ganz abgesehen davon, daß Österreich eine Ver-
größerung Preußens auf deutschem Boden mit allen Mitteln sonst
1 ) Vivenot II 540 und Berichte vom 4. und 7. September. Er
schmeichelte sich, durch sie den Plan der Abtretung der Markgrafschaften
endgültig zu Fall gebracht zu haben, wenn auch Spielmann noch ähnliche
Gedanken hege — wie leichtgläubig! Spielmann hatte allerdings auch
Schulenburg in einem Gespräch zu Frankfurt a. M. dasselbe gesagt, wo sie
sich begegnet waren, aber bei diesem wenig Glauben gefunden (Rep. XI
89 k Haugwitz an Schulenburg 20. und 30. September; Schulenburg an
Haugwitz 29. September).
2) Lacy hatte hierüber sein Gutachten abgeben müssen und vom
Standpunkte des Militärs gesprochen. Nur was Preußen zur Sicherung
seiner Grenzen haben mußte, das wollte er ihm geben. Das aber brauchte
Preußen nicht als neue Konzession zu betrachten, es konnte sich dafür auf
den ersten Geheimartikel des Bündnisses mit Österreich berufen. Für die
Abtretung von Ansbach- Bayreuth forderte Preußen nicht eine Grenz-
berichtigung oder einen Teil der Lausitzen, sondern diese ganz und sofort,
d. h. das ganze Geschäft sollte sich nach dem Tode des sächsischen Kur-
fürsten vollziehen, mit dem der Mannesstamm erlosch. Die Österreicher
scheinen aber jetzt an eine Genehmigung dieser Forderungen nicht gedacht
zu haben, da selbst die entgegenkommende Partei unter den Österreichern
nur einen Teil der Lausitz abtreten wollte und sich dabei an Lacys Vor-
schläge hielt (Bericht Haugwitz' 25. August; Rep. 96, 155 E).
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 17
258 n. Abschnitt
zu verhindern bemüht war (daher ja gerade der Zorn über die
Erwerbung von Ansbach-Bayreuth). Spielmann erhielt aber auch
Vollmacht, auf die Markgrafschaften überhaupt zu verzichten
und statt ihrer eine Erweiterung von Vorderösterreich nach dem
Elsaß zu auf französische Kosten zu fordern1). Denn in Polen
das Gebiet Österreichs zu erweitern trug man Bedenken, gegen
die Ansicht von Starhemberg, dem sich der Kaiser zuerst an-
geschlossen hatte. Man wollte hier Österreich aus dem Spiel
halten, um dann als der ehrliche Mann seine Bundesgenossen als
die an der neuen Teilung allein Schuldigen bezeichnen zu können.
Außerdem lasse sich eine Erwerbung auf Frankreichs Kosten sehr
gut mit dem Kriege rechtfertigen, eine Teilung Polens aber nicht.
Sollten Rußland und Preußen jedoch ihre Stücke gleich besetzen
wollen, ohne darauf zu warten, daß Österreich gleichzeitig den
Tausch durchführen könne, so solle dies provisorisch auch ein
entsprechendes Stück in Polen besetzen, um für alle Fälle ein
Faustpfand zu haben2).
Mit diesen Instruktionen reiste Spielmann am 12. September
in aller Frühe ab ins preußische Lager, wie wir sahen, lediglich
in der Absicht3), die Entschädigungsangelegenheit rasch mit
Preußen zu einem Abschluß zu bringen. So faßte man sie auch
im preußischen Lager wie im Kabinettsministerium auf4).
Wenige Stunden nach ihm, um 10 Uhr vormittags, machte
sich auch Haugwitz auf den Weg, zunächst nur mit der Absicht,
1) Da die Niederlande umgetauscht werden sollten, wurde ihre Ver-
größerung durch Eroberung zwar erstrebt, aber doch nur in geringerem
Maße, bloß um den Bayern den Tausch angenehmer zu machen.
a) Diese Bestimmung scheint am 7. September nicht aufgehoben
worden zu sein. Vgl. auch Vivenot II 540.
3) Vivenot DI 545, 546, 548 — 551. Zwar sickerte von dieser An-
schauung auch etwas in das diplomatische Korps durch (Bericht Cesars
15. September). Im allgemeinen herrschte dort aber doch eine andere
Auffassung, die den österreichischen Wunsch, den Frieden möglichst rasch
wiederherzustellen, in den Vordergrund schob, besonders auch die ver-
dächtigen Verhandlungen Preußens mit Frankreich beaufsichtigen lassen
wollte (Rep. I 170 Bericht eines Unbekannten. Wien 8. September; von
Häußer I [396 — 397] als Bericht von Haugwitz bezeichnet. Vgl. an
Goltz 28. September).
4) Rep. XI 89 k Haugwitz an Schulenburg 30. September; Lucchesini
an Finckenstein und Alvensleben 15. September; Finckenstein und Alvens-
leben an Lucchesini 30. September. Im Kabinettsministerium gewann bald
die Ansicht des schlecht unterrichteten Cesar die Oberhand, Österreich
wolle vor allen Dingen Frieden (Finckenstein und Alvensleben an Lucchesini
IL, 15., 18. Oktober. An Goltz 28. September).
Kriegskostenentschädigung 259
ihm bis Frankfurt zu folgen und dort weitere Befehle des Königs
abzuwarten1). Es ist nicht mit aller Sicherheit anzugeben, welche
Gründe ihn dazu veranlaßt haben. Er gibt zwar an, daß er dar-
über am 5. September besonders direkt an den König berichtet
habe2), aber dieser Bericht ist wie so viele andere Schriftstücke
dieser Monate in der Unruhe des steten Umherziehens wohl ver-
loren gegangen; nur Vermutungen sind daher anzustellen.
Die nächstliegende ist die, daß er — ganz mit Recht — annahm,
nun werde der Schwerpunkt der Verhandlungen über die Ent-
schädigungsfrage3) von Wien nach der Champagne verlegt werden.
Dabei wollte er auch sein Wort mitreden; gerade seine guten
Beziehungen zu Spielmann4) mochten ihn veranlassen, sich als
besonders geeignet dafür zu betrachten. Dazu kam sein natür-
licher Ehrgeiz, den Ereignissen eine Wendung zu geben, die er
für die allein richtige hielt, die er aber von Schulenburg und auch
vom Kabinettsministerium nicht genau innegehalten zu sehen
meinte. Sein gutes Verhältnis zum Könige schien ihm auch hierin
die besten Aussichten zu geben. Wenn dem aber auch so war —
1) Bericht 7. September und Cesars Bericht 12. September. Er er-
hielt sie auch.
2) Bericht 7. September. Er hatte das schon früher einmal gemacht
und dadurch das Berliner Kabinettsministerium gegen sich aufgebracht
(Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 7. Sept.). Jetzt schickte er
diesen Bericht mit seinem Kammerdiener an den König. Da er keine Kopie
beilegte, so erhielten Schulenburg und das Kabinettsministerium gar keine
Kenntnis davon, was Haugwitz wohl auch beabsichtigt hatte (Rep. XI
89 k Haugwitz an Schulenburg 20. und 30. September). Am 15. September
war jener im preußischen Lager (Rep. XI 89 k Guionneau an Schulenburg
15. September), und am 19. wieder in Frankfurt, sogar in Fulda zurück,
zweifellos mit dem Befehl, ins Lager zu kommen (V i v e n o t II 557 , wo
Spielmann wohl das Datum zugesetzt hat, Rep. I 170 19. September).
Am 30. September legte Haugwitz übrigens dem Briefe an Schulenburg
eine Kopie seiner letzten Depesche an den König bei, aber ich zweifle,
daß es die vom 5. September war; die Kopie war nicht zu finden. — Das Ge-
heimnis der Reiseabsichten von Haugwitz wurde so gut gewahrt, daß nicht
einmal der preußische Legationsrat in Wien, Herr v. Cesar, sein Vertreter,
sie kannte (Rep. I 170 Bericht Cesars 3. Oktober. Cesar an die Minister
22. und 25. September).
3) Aus dem Nachlaß Varnhagens von Ense. Briefe von Chamisso,
Gneisenau, Haugwitz etc. II 286 — 287. Wer der Minister war, kann ich
nicht feststellen, eventuell Alvensleben, der mit Haugwitz in der Oppo-
sition gegen den Krieg einig war. Finckenstein scheint mir ausgeschlossen,
Lucchesini ist es von selbst, ebenso Schulenburg. An etwas anderes als
die Entschädigungsverhandlungen scheint er dabei nicht gedacht zu haben.
4) Bericht 4. September.
260 IL Abschnitt
eine starke Eigenmächtigkeit blieb es immer. Außer dem Könige
war niemand damit zufrieden. Alle die beteiligten preußischen
Staatsmänner hätten ihn gern nach Wien zurückgeschickt, wo
es zwar nicht so Wichtiges, aber immerhin genug zu tun gab.
Gerade diesen Posten hatte Haugwitz zugewiesen erhalten.
Aber sie wagten alle nichts zu tun, da der König auf seiner Seite
stand1).
i) Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 15. Sept.; Fincken-
stein und Alvensleben an Lucchesini 23. Sept. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß
40 III Reck an Lucchesini 15. Oktober. Ich habe oben die Verantwortung
für die Reise allein Haugwitz zugeschoben (Finckenstein und Alvensleben
an Lucchesini 30. Sept. ) und kann mich dafür auch auf ein intimes Zeug-
nis von ihm selbst berufen (Briefe von Chamisso etc. II 286 — 287 Haug-
witz an Bürde 25. September). Das widerspricht der Annahme, daß Haug-
witz einem Rufe des Königs ins Hauptquartier folgte (Sybel II 356;
Artikel „Haugwitz" von Sybel in der A.D.B. Bd. XI 58; K o s e r 466 ff. ;
H üf f e r in der Deutschen Revue 1883 I 319; V i v e n o 1 1 574; Wassil-
tchikowII4, 161 — 162, wohl nach einer Mitteilung von Haugwitz an
Rasumowski; Rep. XI 89 k Schulenburg an Lucchesini 1. September und
Haugwitz an Schulenburg 20. und 30. September; Ranke 47, 278).
Dabei ist jedoch eins zu beachten. Er scheint in der Tat einen Brief des
Königs vor seiner Abreise erhalten zu haben, der ihm die Abreise Schulen-
burgs von der Armee (V i v e n o t II 574) und seine Entlassung (das ist
nicht richtig!) und die Ernennung von Haugwitz selbst zum Kabinetts-
minister brachte. Aber von einer Berufung ins Lager steht nichts darin.
Diese zunächst auffallende Tatsache erklärt sich daraus, daß einmal
Lucchesini für die provisorische Regelung der Geschäfte in einigen Tagen
zur Hand war und daß dieser Ubergangszustand nach allem nur von kurzer
Dauer zu sein versprach. Man hoffte ja bald in Paris zu sein. Dann wäre
der König nach Berlin zurückgekehrt und Haugwitz von Wien nach Berlin
gekommen. Dem entspricht auch die von Schulenburg entworfene Weisung
Friedrich Wilhelms an die Gesandten — Haugwitz ist auch darunter —
wonach sie nach Schulenburgs Abreise von der Armee ihre Instruktionen
vom Departement der auswärtigen Angelegenheiten erhalten sollten (Rep.
XI 89 g 2 Au Camp de Verdun 5. September), und sein Bericht an das
Kabinettsministerium vom 7. September, wo er ausdrücklich einen Zu-
sammenhang zwischen seiner Bitte um Urlaub und Lucchesinis Ankunft
herstellt (Rep. XI 89 g * Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium
7. September). Haugwitz aber fühlte sich zu sehr in seiner Rolle als Mentor
des Königs, als daß er ihn auch nur kurze Zeit allein — von Lucchesinis
Anwesenheit scheint er nichts gewußt zu haben — hätte lassen wollen.
Er fürchtete die österreichische Hartnäckigkeit und die Nachgiebigkeit
des Königs und baute nur zu sehr auf seinen Einfluß (Haugwitz an Schulen-
burg 30. September in Rep. XI 89 k). Die Berufung ins Lager erhielt
Haugwitz erst auf seiner Reise nach Frankfurt in Fulda am 19. Der König
ergriff also mehr eine sich ihm bietende Gelegenheit, als daß er sie herbei-
geführt hätte. Nur verstärkt kann dieser Befehl den Entschluß von Haug-
Kriegskostenentschädigung 261
So reisten die Österreicher (Spielmann und Collenbach) und
der Preuße am 12. September von Wien ab. In wenigen Wochen,
meinten sie, würden Krieg wie Entschädigungsverhandlungen zu
Ende sein. Die Einnahme von Longwy und von Verdun schien
ja eine sehr vergnügte Aussicht darzustellen1). Selbst Kaunitz
glaubte an rasche Einnahme von Paris, nur sah er politische
Schwierigkeiten voraus2). Aber als sie am Ziel ankamen, hatten
die Waffen schon für die Franzosen entschieden, der Rückzug
der Verbündeten war bereits zur Tatsache geworden. Damit war
nun die ganze Lage verändert. Das politisch-militärische Ziel
war nicht erreicht, aber auch noch nicht aufgegeben worden.
Sollte man jedoch einen neuen Feldzug unternehmen, der so un-
geheure Summen verschlang, ohne sich vorher die Entschädigung
für die Kosten zu sichern?3) Sollte man die Höhe seiner Forde-
rungen nach den schon geleisteten oder auch gleich nach den im
nächsten Jahre noch zu leistenden Ausgaben bemessen in der
stillschweigenden Voraussetzung, daß man dann sicher am Ziele
sein werde? Das waren ganz neue Fragen, die jetzt ihrer Lösung
harrten und die an sich schon verworrene Lage noch weiter
komplizierten. Doch um die folgende Entwicklung zu verstehen,
müssen wir uns, wenn auch nur kurz, Rüstungen, kriegerische
Vorgänge und die vielerörterten Verhandlungen der Franzosen
mit den Preußen im Herbst und Winter 1792/93 vergegenwärtigen,
lediglich unter dem Gesichtspunkte, ob und inwiefern sie die
Politik der deutschen Mächte, besonders Preußens, beeinflußten.
witz haben, selbst zur Armee zu reisen, wo eine Lücke entstanden zu sein
schien, und das Seinige zu tun (vgl. noch V i v e n o t II 606; Rep. I 170,
19. September). Die Deutung des Briefes von Friedrich Wilhelm (Ranke
47, 278) an Haugwitz macht einige Schwierigkeiten.
1 ) V i v e n o t II 548.
2) Vivenot II 547. Dieser Ansicht war er auch schon vor seiner
Entlassung gewesen. Vgl. oben.
3) Z e i ß b e r g, Karl-Hohenlohe 56.
III. Abschnitt
Der Kampf
1. Kapitel
Deutsche Rüstungen
I.
Wir müssen auch hier von den politischen Absichten der
deutschen Mächte ausgehen. Sie waren nicht identisch, aber die
Wege fielen in ihren ersten Teilen zusammen, wieder mit dem
Unterschied, daß Preußen freiwillig und daher schnell, Öster-
reich gezwungen und daher langsam vorgehen wollte. Die erste
Etappe sollte gewissermaßen die Befreiung Ludwigs aus seiner
Gefangenschaft bedeuten. Sie zu erreichen, war die dem mili-
tärischen Oberbefehlshaber gestellte Aufgabe. Nach ihr mußte
sich sein Feldzugsplan richten. Selten ist sie so maßgebend wie
in diesem Kriege gewesen, und es geht daher nicht an, einen rein
militärischen Maßstab an die Dinge zu legen1). Ich habe schon
an anderer Stelle entwickelt, wie der als Feldherr allgemein hoch-
geschätzte Herzog von Braunschweig sich seine Pflichten aus-
legte, wie er dafür die vollste österreichische Billigung fand, wie
er dadurch die weitgehenden Hoffnungen der Militärs schon im
Keime erstickte2). In demselben Sinne hatte er sich auch schon
gegenüber dem Wunsche Friedrich Wilhelms verhalten, die Füh-
rung zu übernehmen und den Plan zu entwerfen. Abzulehnen
wagte er den Antrag nicht, obwohl ihm bei dem Gedanken an
diesen Krieg nie recht wohl war3). Er sollte unter so völlig
1 ) Z e i ß b e r g, Karl-Hohenlohe 36 und 52.
2) Langerons Memoire, Bruxelles 2. Juni 1792, in P i n g a u d, 1' Invasion
austro-prussienne 9 — 10.
3) Persönliche Interessen hatte er bei der Übernahme des Kommandos
nicht (Rep. XI 89 b , Braunschweig an Schulenburg 26. Februar 1792).
Deutsche Rüstungen 263
anderen Verhältnissen als den bisherigen geführt werden, daß
auch die gewohnte methodische Kriegführung verlassen werden
sollte. Das aber war für den Herzog ein Wagnis, und er verab-
scheute jedes, soweit es nicht nur persönliche Tapferkeit er-
forderte, die ihm niemand abstreiten kann1), schon in dem Ge-
danken daran, er könne seinen in ganz Europa verbreiteten Ruhm
als erster Feldherr des Zeitalters aufs Spiel setzen2) — gerade
hierdurch seine Kleinheit erweisend. Er identifizierte sich nicht
so wie Friedrich der Große mit der Sache, der er diente. Er setzte
nicht alles an alles, weil er es nicht wagte, aber auch nicht, weil
er es nicht für nötig hielt. Auch Friedrich kam nur dazu, weil
er sich, d. h. seinen Staat nicht anders retten zu können meinte.
Sollte der Herzog, dem keine preußische Lebensfrage auf dem
Spiel zu stehen schien, seine „Fehler" wiederholen?3) Waren aber
auch die Verhältnisse wirklich derart, daß man an eine Abweichung
von den Regeln denken konnte? Der Herzog konnte sich nicht
davon überzeugen. Er war ein abgesagter Feind der Emigranten.
Gerade daß diese die Ansicht verbreiteten, der französische Staat
befinde sich in der Auflösung, machte ihm die Sache nur um so
verdächtiger. Auf ihre Versprechungen wollte er sich durchaus
nicht verlassen4). Er schätzte ganz mit Recht, wie wir heute
sagen können, die Macht Frankreichs doch nach den Lehren der
Geschichte erheblich höher ein als die Diplomaten und wäre,
wenn es bloß nach seiner Ansicht gegangen wäre, in einer unan-
greifbaren Stellung stehen geblieben, um die Franzosen sich
selbst ruinieren zu lassen6). Auch er hielt ja die französische
Verfassung für undurchführbar. Dann würden sich die nötigen
Verbesserungen schon von selbst durchsetzen6).
Statt nun aber auf seiner Meinung zu bestehen und lieber die
ganze Sache abzulehnen7), entwarf er auf Grund der von dem
1) Ch.J.P. 123.
2) Sorel II 351 — 352. Man ist nicht zu der Annahme genötigt, er
habe sich von seiner Bewunderung der Franzosen, ihm selbst unbewußt,
in seinen Entschlüssen lähmen lassen (Heigel II 13).
3) Vgl. den deutlichen Hinweis auf Friedrich den Großen in Lettres
sur Dumouriez 55—56.
4) Sybel II 286—287; Massenbach I 268; Lettres sur Du-
mouriez 57.
5) Ch.J.P. 127; Sorel II 471.
6) Schlieffen II 558. Vgl. auch das dem großenteils entsprechende
Urteil von Scharnhorst bei Max Lehmann, Scharnhorst Bd. I 91—92.
Die Warnungsrufe verhallten aber ungehört.
7) Ch.J.P. 126; Heigel II 14.
264 HI. Abschnitt
Major Tauenzien gelieferten Unterlage nach einer Besprechung
mit Friedrich Wilhelm in Potsdam, wohl am 16. Februar vor-
mittags, an der noch Schulenburg, Bischoifwerder und wohl noch
Manstein teilgenommen hatten1), einen Feldzugsplan, der alle die
von ihm abgelehnten Voraussetzungen berücksichtigte2). Er
schätzte darin die französischen Armeen im ganzen auf 150 000
Mann, ließ aber die Nationalgarden dabei ganz unbeachtet und sah
unter Vermeidung jedes unnützen Aufenthaltes3) einen Marsch
in das Innere von Frankreich bis zur Maaslinie vor; erst dort
ließen sich Maßregeln für die Folge des Feldzuges festsetzen4).
Das Hauptheer unter seiner Führung sollte also, soweit es aus
Preußen bestand, von Koblenz die Mosel aufwärts über Trier,
wo sich etwa die Vereinigung mit dem österreichischen Korps
(unter Hohenlohe) vollziehen sollte, zur Maas marschieren. Es
sollte durch zwei aus den Niederlanden bezw. von dem Oberrhein
über Basel oder von Mannheim nach Kaiserslautern, wenn die
Schweiz neutral bleiben sollte, nach Frankreich vordringende
Armeen Österreichs gegen Flankenangriffe der anderen beiden
französischen Armeen geschützt werden. Doch sollte sich eine
6 — 8000 Mann starke Abteilung von der österreichischen Armee
in den Niederlanden — es ist das spätere Korps Clerfayt — ab-
lösen und über die Ardennen zu dem preußischen Hauptheer
marschieren. Eine Schlacht sollte letzten Endes unter günstigen
Umständen nicht vermieden werden, und zwar sollten sich dazu
womöglich die preußische und die österreichisch-niederländische
Armee vereinigen (vgl. dazu den Feldzugsplan gegen Rußland
von 1812). Von der Mitwirkung Spaniens, Sardiniens und der
Schweiz versprach sich der Herzog große Vorteile, vor allem den
der Zersplitterung der feindlichen Truppen. Aber er hatte ver-
gessen, dabei die Verschiedenheit der Interessen der einzelnen
Staaten in Rechnung zu stellen, die aus alledem nichts werden
') Massenbach I 25 und 275; Politisches Journal, Februar: Berlin
18. Februar und 20. Februar; Sorel II 370.
2) Häußer I 360: Er war eine von jenen unglücklich angelegten
Naturen, die in der Regel das Richtige erkennen und doch ebenso oft
das Entgegengesetzte tun. Massenbach I 268 ff. ; Krieg gegen die
Revolution II 98—99 und 373-377; Schlief fen II 382-383 und
561—562.
3) Die üblichen Belagerungen der Grenzfestungen fesselten sonst das
Heer gar zu leicht sofort nach dem Einmarsch.
*) So dachte auch der Marschall von Castries, dessen gemäßigte Ge-
sinnung wir kennen (Peltier, Dernier tableau de Paris App. zu Nr. V
S. IV).
Deutsche Rüstungen 265
ließ1). Die eventuell nötige weitere Bewegung sollte dann je
nach dem Ausfall der bisherigen Anstrengungen und der Be-
setzung dieser oder jener Maasfestung geregelt werden.
Dieser Plan atmet trotz seines Anfanges eine methodische
Bedächtigkeit, die bei einem Feldherrn der damaligen Zeit selbst-
verständlich erscheint. Man wird nicht daran zweifeln können,
daß der Herzog sein Ziel erreicht hätte, wenn es dabei geblieben
wäre2) und wenn ihm die geforderten Mittel bei der Durchführung
zur Verfügung gestanden hätten. Am 19. Februar schickte er
diesen Plan an den König ab. Es war tatsächlich der Plan Fried-
rich Wilhelms, nicht der des Herzogs3). Für den König war es
nur der erste Schritt, für den Herzog der ganze Weg. Dieser war
») Ch.J.P. 138 ff.
!) Massenbach I 37-38.
3) Wer will sich getrauen zu sagen, was geschehen wäre, wenn man
ihn wirklich energisch durchgeführt hätte (Dampmartin, Evenements
[1799] 191)? Aber der König besaß nicht die nötige Energie, um den
in seiner Art richtigen Gedanken auch selbst durchzuführen (Sybel II /
197). Dazu war geregelte, oft wohl auch kleinlich anmutende Arbeit er-
forderlich, und die konnte er nicht leisten. Daß er selbst formell das
Oberkommando übernehmen werde, war bei der Neuheit der österreichisch-
preußischen Freundschaft von vornherein ausgeschlossen. Ja, es war sogar
zweifelhaft erschienen, ob er zur Armee abgehen werde (Massenbach
I 23). Seine Reise nach Ansbach war sicher, mehr nicht. Deshalb wurde
wohl in der Öffentlichkeit zuerst auch seine Zusammenkunft mit Franz
nach Ansbach verlegt (Pol. Journ. 1792, Mai: Frankfurt 16. Mai). Aber
das trifft doch nicht zu. Schon vor der Konferenz von Sanssouci, wahr-
scheinlich schon Ende April, war der König entschlossen, zur Armee zu
gehen (Rep. XI 89 b Braunschweig an Schulenburg 20. April. Schulen-
burg an Braunschweig 23. April. Rep. I 169 an Jacobi 19. Mai. Rep.
92 Lucchesinis Nachlaß 37, Schulenburg an Lucchesini 11. Mai). Schulen-
burg, der ihn begleiten sollte, lehnte es ab , ihn davon abzubringen , da
Friedrich Wilhelm dann nur umso stärker darauf bestehen werde (H.E.B.
216—217). Die ganze Sache wurde aber noch so geheim gehalten, daß
Lombard am 15. Juli schreibt (Deutsche Revue 1883 I 241) : „Es scheint
jetzt bestimmt, daß der König sich an die Spitze seines Heeres stellt,
und daß wir keine Reise, sondern einen Feldzug mitmachen." In Berlin
erwartete man ihn zuerst doch noch rasch zurück , schon damit er dem
Herzog von Braunschweig nicht in seine Aufgabe hineinredete (Fersen
II 335. Politisches Journal 1792, II 893, August: Berlin 18. August, wo
diese Ansicht schon aufgegeben ist). Friedrich Wilhelm ging also mit,
aber ohne offiziell das Kommando zu haben. Er glaubte, in dem Herzog
den ersten Feldherrn Europas zu seiner Verfügung zu haben, dem er nur
die nötigen Fingerzeige zu geben brauche , um des Erfolges ebenso sicher
zu sein, wie bei der Expedition gegen Holland (vgl. Schlieffen II 359;
Dampmartin, Quelques traits 93).
266 ni- Abschnitt
jedenfalls nicht der Mann dazu, den Plan auch im Sinne des
Königs durchzuführen — fehlte ihm dazu doch schon das erste
Erfordernis: der gute Wille1). In diesem Doppelkommando und
den sich daraus ergebenden Verwicklungen hat man daher ge-
wöhnlich2) und mit vollem Recht eine Hauptursache, aber nicht
die einzige3), für das Fehlschlagen der Unternehmung gegen
Frankreich gesehen. Der Herzog hatte also nur die Verwirklichung
der Idee des Königs übernommen und ließ daran auch keinen
Zweifel4). Friedrich Wilhelm schickte nun diesen Plan durch
Bischoffwerder nach Wien, wo er im großen und ganzen an-
genommen wurde. Darauf ging die offizielle Aufforderung an den
Herzog ab, das Oberkommando zu übernehmen, der er sich wider-
strebend, und doch in seinem Ehrgeiz geschmeichelt, fügte5).
Es war bereits zwischen den Mächten verabredet worden, daß
zu den Offensivoperationen je 50 000 Mann gestellt werden sollten.
Die Diplomaten hielten sie für mehr als ausreichend, der Herzog
für gerade genügend, um an das gewünschte Ziel zu gelangen.
Wir treffen hier wieder und wieder auf die Ansicht, daß man sich
erst ausrechnet, wieviel Mann die Lösung der Aufgabe wohl er-
fordern Werde, und dann auch nicht mehr ins Feld stellt. Das
würde ja unnütze Kosten verursachen. An die Verwendung der
gesamten Staatskraft denkt überhaupt keiner6). Diese klugen
Rechner sind aber doch nicht in der Lage, die Wechselfälle eines
Krieges vorauszusehen und finden sich bei der kleinsten Ab-
') Ch.J.P. 128—130; Sorel III 42. Die absolutistische Regierungs-
weise verlangte einen großen Mann an der Spitze, der alle Ressorts allein
leitete. Er fehlte, aber der König ging trotzdem mit ins Lager und nahm
schon durch seine bloße Anwesenheit dem Herzog die tatsächliche Ober-
leitung aus der Hand (Massenbach I 36 — 37).
2) Forneron I 342 — 354 sucht vergeblich die Schuld allein auf den
König zu schieben.
3) Schlosser V 353—354 und 407—408; Sybel II 301—302;
H äußer I 371—373; Hüffer in der Deutschen Revue 1883 I 250;
Heigel II 14, 23, 30—31; Ch.J.R 88 und 128-129; Massenbach I
104—105; Valentini4 — 5; Delbrück, Historische und politische Auf-
sätze (Berlin 1887) 218; Zeißberg, Karl-Hohenlohe 57—58.
4) Massenbach I 267, 268—274; Schlieffen II 360, 386, 390,
563, 566.
5) Rep. 96, 147 G II und Rep. XI 89b, S. Au Roi 20. März;
Ranke 286.
6) Sorel II 502 übersieht das ; aber andere Gründe als falsche Ein-
schätzung Frankreichs und falsche Sparsamkeit braucht man nicht an-
zunehmen.
Deutsche Rüstungen 267
weichung von ihrem Plan in der tödlichsten Verlegenheit, wo sie
die Truppen oder das Material hernehmen sollen; denn über alle
ist bereits verfügt. Nie kommen sie auf den Gedanken, daß ein
Krieg mit ganzer Macht immer noch der billigste ist, um einmal
bei ihrer echt rationalistischen Ansicht zu bleiben. Friedrich
Wilhelm glaubte freilich, mit den 100 000 Mann ganz Frankreich
erobern zu können, da es sich nur darum handle, eine Partei,
nicht einen Staat zu bekämpfen. Der Gedanke, nur eine mili-
tärische Promenade vor sich zu haben, wirkte verhängnisvoll und
wurde nur allzusehr durch die leichte Eroberung von Holland
fünf Jahre vorher erweckt. Die Emigranten verfehlten natürlich
nicht, in dasselbe Hörn zu stoßen. Eines ihrer in Berlin angesehen-
sten Häupter, der General Bouille, hat angeblich gesagt, er habe
die Schlüssel zu den französischen Festungen schon in der Tasche.
Im Juli stellte sich, von ihm an Stein empfohlen, in Ansbach
dem Könige ein französischer Ingenieuroberst, namens Turpin,
vor, der die französischen Festungen, besonders Metz und Longwy,
zu kennen vorgab1). „Es bedarf nur einiger Trompeter und der
Aufforderungen, um die Städte zur Übergabe zu bringen", wie
ein unbekannter Korrespondent Schulenburgs aus Brüssel schrieb2).
Wie ich aber schon hervorhob, mußte auch die französische Re-
gierung bei Preußen immer stärker den Gedanken hervorrufen,
von Widerstand könne auf französischer Seite keine Rede sein.
So ist denn die allgemeine Ansicht die, daß der Krieg mit einer
raschen Unterwerfung der Franzosen unter den Willen der Mächte
endigen werde3). Weihnachten, so meinte man, werde Karl
Wilhelm Ferdinand, mit neuem Lorbeer geschmückt, wieder zu
Hause sein4).
Wenn nun aber wenigstens die 100 000 Mann wirklich zur
Stelle gewesen wären! An Preußen fehlte es diesmal nicht. Es
kam, wie überhaupt in diesem Jahre, seinen Verpflichtungen gegen
Österreich vielleicht zu pünktlich nach. Bei den Österreichern
bedurfte es doch noch mannigfachen Drängens, um sie dazu zu
*) Rep. XI 89 b Braunschweig an Friedrich Wilhelm 5. Juli. Man-
stein an Schulenburg 10. Juli.
2) Rep. 96, 147 G II, S. Au Roi 28. Mai ; Lettres sur Dumouriez 57.
3) Minutoli, Erinnerungen 21—22.
4) Politisches Journal 1792 Juli Bd. II 735: Braunschweig 4. Juli;
Rep. XI 89b Schulenburg an Braunschweig 23. April: Je me felicite
veritablement , de me voir appele ä etre temoin des nouveaux lauriers
que V. A. S. se prepare a recueillir. Je la vois en idee dicter la loi
a Paris comme eile l'a fait ä Amsterdam.
268 HI. Abschnitt
veranlassen. Ihrem . politischen Wunsche kam die Schwerfällig-
keit ihrer Heeresorganisation zu Hilfe, die so rasche Anspannung
nicht ertrug. Zunächst versuchten sie, ihre Truppen am Ober-
rhein mit in Rechnung zu stellen, ohne Rücksicht darauf, ob sie
zur Verteidigung oder zum Angriff bestimmt waren1). Dem
widersetzte sich aber Preußen gleich mit aller Schärfe, der ganze
Plan wäre dann gescheitert. So täppisch durften sie es also
nicht noch einmal versuchen. Aber es gab ja noch andere Wege.
Sie versprachen zunächst, dem Verlangen Preußens nachzu-
kommen, aber — es muß doch wohl so bezeichnet werden — mit
dem Hintergedanken, nachher doch nach ihrer Ansicht zu ver-
fahren, und die war in der Hauptsache auf die Verteidigung der
österreichischen Gebietsteile gerichtet. Hohenlohe hätte am
liebsten gegen das Elsaß operiert in der — wohl anzunehmenden
— Absicht2), hier sei das Feld zur Betätigung nicht bloß für
den Militär, sondern auch für den Politiker, hier lasse sich für
Österreich eine schöne Provinz erobern. Doch diese Pläne paßten
noch nicht zu denen seiner Vorgesetzten. Sie ließen erst die
Truppen wirklich vorrücken und behielten dann einen Teil doch
wieder zur Verteidigung zurück. Ich verkenne dabei durchaus
nicht die schwierige Lage, aber ehrlich war ihr Verfahren nicht,
und es gilt auch hier der alte Satz: Wo ein Wille ist, da ist auch
ein Weg. Österreich verstand es überhaupt noch, durch Zer-
splitterung der an sich schon kleinen Truppenmacht, die der Plan
des Herzogs allerdings nur zu sehr begünstigte, jeden Erfolg von
vornherein in Frage zu stellen. Es ist, als ob zwei Pferde vor
einen Wagen gespannt werden, die der Lenker nicht zu einheit-
licher Gangart zu zwingen vermag. Das eine, jung und feurig,
zieht kräftig, vielleicht etwas ruckweise an; das andere, alt und
schwerfällig, ist nur langsam in Bewegung zu bringen, dann aber
auch ausdauernder. Bei dem Streit siegt natürlich, wenigstens
am Anfang (und um ihn handelt es sich hier nur) das langsame,
das eben nicht rascher vorwärts kann.
Merkwürdig muß es dabei jedoch berühren, diese Zauderer
immer die größten Worte im Munde führen zu hören3) ; von raschen
*) Krieg gegen die Revolution II 91.
2) Krieg gegen die Revolution II 121—122. Vgl. Wurmsers Vor-
gehen im Elsaß 1793.
3) Vivenot II 471; Massenbach I 268-269; Rep. XI 89b
Braunschweig an Schulenburg 26. März 92; Häußer I 362; Hei gel
I 534.
Deutsche Rüstungen 269
Schlägen, von Anspannung aller Kräfte, von Beendigung des
Krieges noch in diesem Feldzuge reden sie. Wir dürfen uns da-
durch in der Anschauung nicht irre machen lassen, daß nur das
Allernotwendigste von Österreichs Seite geschah, und wenn
Preußen mehr tat, so doch auch nur so viel, wie es versprochen
hatte. Ein Vorwurf aber scheint mir bisher die Österreicher
mit Unrecht getroffen zu haben, der wegen des späten Beginns
der Kampagne1). Sybel2) hat gemeint, die Preußen hätten schon
Ende Juni aktionsbereit sein können, und nur infolge der Er-
klärungen von Hohenlohe habe alles um einen Monat verschoben
werden müssen. Darin scheint ihm die Tatsache recht zu geben,
daß die preußischen Mobilmachungsbefehle am 5. Mai ergingen
und daß Ende Mai der Marsch seiner Truppen beginnen sollte3).
Selbst für das durch Böhmen marschierende Korps waren nur
55 Marschtage bis Koblenz angesetzt4). Aber die preußischen
Truppen kamen doch erst großenteils im Juli bei Koblenz an,
der Herzog von Braunschweig selbst erst am 3. Juli abends in
seinem Hauptquartier Horchheim bei Koblenz5). In der Öffent-
lichkeit nahm man an, daß Mitte Juli, aber auch nicht eher, die
Truppen an Ort und Stelle sein würden6). Nun ist nichts davon
bekannt geworden, daß die preußischen Truppen andere Befehle
als zu Anfang bekommen hätten, die schon vor der Konferenz
mit Hohenlohe ergangen waren. Wohl aber wissen wir von dem
Drängen Preußens auf die Festsetzung eines Termins, an dem
die österreichischen Truppen an Ort und Stelle sein würden;
es war insofern von Erfolg begleitet gewesen, als Österreich am
28. April endlich den Termin auf Ende Juli festgelegt hatte7).
Ferner liegt ein Erlaß an Jacobi vom 9. Mai vor, der sich auf
die Depesche von Kaunitz an Reuß vom 2. Mai bezieht8) und
*) Im Politischen Journal (1793 S. 9) werden die Preußen dafür ver-
antwortlich gemacht, deren Truppen so weit hätten marschieren müssen.
2) II 202; Häußer 1361; Sorel II 472; Heigel II 8; Clapham
201 und 208; Marwitz I 60—61.
3) Politisches Journal 1792: Berlin 27. Mai.
4) Fersen II 250; Rep. I 171, F.S.A. an Reuß 23. April mit Beilage.
5) Rep. XI 89 b. Braunschweig an Friedrich Wilhelm 5. Juli.
6) Politisches Journal: Berlin 15. Mai. Die Preußen marschierten
übrigens in 5 Kolonnen (Massenbach I 37; Ch.J.P. 157; Häußer
I 366).
7) Vivenot II 429. Vgl. oben.
8) Vivenot II 410 und 417. In ihr wurde die Ankunftszeit der
österreichischen Truppen angegeben. Hohenlohes Erklärungen in Sans-
souci hatten hiermit also nichts zu tun. Einen Monat zu gewinnen, dazu
270 III. Abschnitt
schon am 7. so entworfen wurde1), demzufolge die preußische
Vorhut zwar etwas später als die österreichische am Treffpunkte
sein werde, nämlich am 8. — 9. Juli, die Nachhut dafür auch etwas
eher (23. Juli)2). Von preußischer Seite lag also zwar kein Grund
vor, die Aktion zu verschieben, aber auch keine Möglichkeit, sie
zu beschleunigen. Das trifft durchaus mit dem zusammen, was
oben festgestellt wurde, daß der 1. August den Beginn der Ope-
rationen bezeichnen sollte. Von einem früheren Termin war nie
die Rede. Damit war in der Tat die beste Jahreszeit für den Feld-
zug verloren3). Aber was konnten die Preußen dafür und was
machte das ihnen aus! Sie hatten ja gedrängt und brauchten sich
keine Vorwürfe zu machen. Vor allem glaubten sie auch jetzt
noch, die Unternehmung zu einem glücklichen Ende vor Beginn
des Winters führen zu können.
Da Bischoffwerder in Wien nichts ausgerichtet hatte und die
Entscheidung erst einen Monat nach seiner Rückkehr erfolgt war,
so wurde die schon vorher geplante Zusammenkunft zwischen
dem Herzog und dem österreichischen Oberbefehlshaber Hohen-
lohe-Kirchberg, den noch Leopold für diesen Posten in Aussicht
genommen hatte4), noch nötiger. Auch wollte sich der Herzog
von Braunschweig von dem Könige noch vor der Kampagne Auf-
klärung über einige Punkte erbitten5). Da Friedrich Wilhelm
wäre es damals auch schon zu spät gewesen. Gerade dort wurde von preußi-
scher Seite der Wunsch Österreichs, einige preußische Regimenter beschleunigt
marschieren zu lassen, abgelehnt mit der — allerdings nicht völlig umfassen-
den — Begründung, der Zeitgewinn sei zu klein (an Jacobi 19. Mai).
1) Rep. I 169 und Rep I 171.
2) Der Magister Laukhard traf tatsächlich mit seinem aus Halle
kommenden Regimente am 9. Juli in Koblenz ein (Leben und Schicksale
III 18) , am 14. Juni waren sie von Halle abmarschiert. Nach Ch. J.P.
157 seien die Preußen am 19. Juli alle bei Koblenz gewesen. Sicher ist,
daß sie vor dem 24. Juli nicht aktionsbereit waren (Rep. XI 89 b
Braunschweig an Schulenburg 24. Juni mit Beilage).
3) Absichtlich ist von Preußen der Krieg nicht bis dahin aufge-
schoben worden (Schlieffen II 382).
4) Vivenot I 240; Rep. I 172 Berichte Bischoffwerders 17. und
21. März. Vgl. auch im ganzen Sybel II 200—203; Ranke 175—176;
Minutoli, Erinnerungen 22 ff. ; Vivenot II 430; Fersen II 271— 273;
H äußer I 361 — 362; Mitteilungen des k. k. Kriegsarchivs. Neue Folge
VII 25; Sorel II 471-472; Ch.J.P. 143 f. ; Politisches Journal 1792:
Berlin 13. und 14. Mai. Natürlich gab es auch an dem Feldzugsplan
noch manches zu ändern.
5) Rep. XI 89 b. Braunschweig an Schulenburg 17. März. Friedrich
Wilhelm an Schulenburg 21. März. S. Au Roi 20. März. Schulenburg an
Braunschweig 25. März.
Deutsche Rüstungen 271
an der Konferenz teilnehmen wollte, wurde sie nicht in Leipzig,
wie zuerst vorgeschlagen1), sondern in Sanssouci abgehalten und,
wohl infolge des österreichischen Zögerns mit einer bestimmten
Erklärung, auch nicht in der zweiten Hälfte des April, sondern
etwa Mitte Mai. Am 3. April hatte Franz den König nämlich er-
sucht, Hohenlohe zu der gewünschten Zeit zu berufen, aber dieser
setzte erst am 17. die Besprechung fest und erst auf den 12. Mai.
Er ließ sich also Zeit, da er die Hauptsache, den Feldzugsplan,
bereits geregelt glaubte. Auch die Küstungen wurden davon in
keiner Weise berührt2).
Denn war man auch im ganzen über den Feldzugsplan einig,
da die Österreicher den preußischen Vorschlag angenommen
hatten, so doch noch nicht — für die damaligen Militärs eine
Kapitalfrage — über die Auslieferung von Deserteuren3), die
Anlegung von Magazinen, über die Ankäufe von Proviant und
endlich über die Verwendung der Emigranten4). Das sollte jetzt
geregelt werden. Am 12. Mai vormittags begannen in Sanssouci
die Konferenzen. Der Herzog, Hohenlohe, der König, Schulen-
burg, Bischoffwerder und Manstein nahmen daran teil. Sie
schlössen mit einem vollen Siege der preußischen Ansicht. Hohen-
lohe stimmte der Ansicht zu, daß die nachkommenden 32 052 Öster-
reicher nicht nach dem Breisgau und nach Basel gelenkt werden
sollten, sondern auf Mannheim, um mit der preußischen Armee
gemeinsam operieren zu können. Er gab sich damit zufrieden —
zum großen Leidwesen von Kaunitz und Spielmann — daß kein
preußisches Korps nach den Niederlanden ging, wie es der Herzog
anfangs sogar selbst vorgeschlagen, weil er den König mißver-
standen und nichts dagegen zu sagen gewagt hatte5). Die Emi-
granten wollten Österreich und Preußen nicht in gleichem Maße
verwenden. Österreich hätte sie am liebsten ganz ausgeschlossen;
wenn das aber nicht ging, könnten sie dem Hauptheere als
Etappentruppen folgen. Preußen wollte ihnen jedoch sein Wort
J) Schlosser V 350; Bericht Bischoffwerders 21. März.
2) Vi veno t I 321—323, II 410 und 417; Rep. XI 89 b Braun-
schweig an Friedrich Wilhelm 20. April.
3) Konvention zwischen Österreich und Preußen vom 17. Mai (Pots-
dam und Magdeburg) in Rep. 63, 86 A 1).
4) Rep. I 171. Schulenburg an Reuß 13. Mai.
5) Rep. XI 89 b. Friedrich Wilhelm an Braunschweig 19. April.
Braunschweig an Friedrich Wilhelm 20. April. Braunschweig an Schulen-
burg 20. April mit Memoire. Schulenburg an Braunschweig 23. April.
In Berlin war er sofort mit diesem Plan abgewiesen worden.
272 III. Abschnitt
nicht brechen und versprach sich außerdem von ihrer Aktion
Vorteile, nämlich die Erklärung der monarchischen Partei für
Ludwig XVI.1). Sie hätten also an die Spitze der Hauptarmee
gehört. Damit wäre die volle Gegenrevolution in Frankreich er-
klärt worden. Gegen sie waren dort alle Parteien einig. Das
mußte also verhindert werden, um die so wichtige Spaltung der
Parteien aufrecht zu erhalten. Man hätte allenfalls die Emi-
granten in den Nachtrab einreihen, noch besser sie nur zur Be-
setzung der rückwärtigen festen Plätze verwenden können.
Aber „garde-magasins " zu werden, lehnten die Prinzen sofort ab,
und darin unterstützte auch Preußen sie.
Nun war der Herzog ihnen durchaus nicht gewogen und hätte
sie am liebsten wie Österreich ganz weggelassen2). Aber da dem
auch politische Gründe widersprachen, so wollte er sie von den
preußischen Truppen womöglich ganz getrennt verwenden, um
deren Disziplin durch ihr schlechtes Beispiel nicht gefährden zu
lassen. Man vermutete auch Spione in ihren Reihen und ver-
sprach sich von ihrer militärischen Leistungsfähigkeit nicht viel3).
Schulenburg und wohl auch der König gaben ihm darin ganz
recht. So konnte er seinen Plan durchsetzen, der von dem
Plane Bouilles stark abwich, dem der Herzog sonst angeblich in
der Wahl der Angriffsrichtung gefolgt ist4). Die Prinzen sollten
») Rep. 96, 170 L Berichte Steins 14. und 29. Mai.
2) Massenbach I 33 und 268; Ch.J.P. 277; Rep. XI 89b Braun-
schweig an Schulenburg 20. April. Schulenburg an Braunschweig 23. April.
Zeißberg, Karl-Hohenlohe 23—24.
3) Laukhard, Leben und Schicksale III 63—65; Minutoli, Er-
innerungen 14—15; Ch.J.P. 268 und 277; Vivenot II 444—445 und
447; Fersen II 337.
4) Häußer 1361 und 366; Heigel II 23; Ch.J.P. 143-144; Sorel
II 471—472; Bouille, Memoires 346—349 und 436—437; Essai sur
Bouille 400; Rep. 96, 170 L Bericht Steins 8. Mai. Friedrich Wilhelms
Bemerkungen. Erlaß vom 16. Mai. Man hat ihm wohl nach seinen Me-
moiren eine zu große Bedeutung beigelegt. Die Richtung ist schon im
Februar festgelegt worden. Als er nach Magdeburg berufen wurde, stand
der Plan schon fest, und im Jahre vorher in Pillnitz war infolge der
ablehnenden Haltung von Leopold nichts festgestellt worden. Im Fe-
bruar finde ich keinen Hinweis darauf, daß Bouille irgend welchen Ein-
fluß ausgeübt hätte. In Magdeburg handelte es sich bloß noch um Modi-
fikationen , besonders um die Verwendung der Emigranten , um die er
sich vor allem bemühte. Wir werden seine Behauptung, daß er die
Wahl der Angriffsrichtung bestimmt habe, mindestens dahin einzu-
schränken haben , daß es sich nur noch um die Festlegung des Weges
von Koblenz bis zur Maas handelte.
Deutsche Rüstungen 273
also einen Vorstoß von Basel gegen Besancon oder das Oberelsaß
machen. Diese Bestimmung sollte ihnen jedoch noch geheim-
gehalten werden, da man ihre Geschwätzigkeit und ihre Unzu-
friedenheit fürchtete, und ihre bewaffnete Versammlung erst
dann dulden wollte, wenn die Mächte zur Aktion bereit seien,
damit jene nicht allein vorgehen könnten1).
Aber dabei blieb es nicht, schon weil die schweizerische Neu-
tralität das unmöglich machte. Indem ich mir genauere Aus-
führungen über das Verhältnis der Emigranten zu den krieg-
führenden Mächten vorbehalte, will ich hier nur das Ergebnis
hervorheben. Durch österreichisch-preußischen Beschluß vom
20. Juli in Weisenau bei Mainz wurden die Emigranten in drei
Teile geteilt. Der erste, der bis zu 4000 Mann stark sein durfte,
sollte unter dem Herzog von Bourbon, wie nachher bestimmt
wurde, sich dem österreichischen Korps anschließen, das unter
Clerfayt zu der Armee des Herzogs von Braunschweig marschieren
sollte. Der zweite, unter den Brüdern des Königs, bis zu 8000 Mann
stark, sollte dem Hauptheer angegliedert werden. Der dritte
unter Conde und Bouille endlich, bis zu 5000 Mann stark, sollte
am Oberrhein Verwendung finden bei dem Korps des öster-
reichischen Generals Wallis. Österreich hoffte, damit einem allzu
imposanten Auftreten der Emigranten und der Furcht vor einer
Gegenrevolution in Frankreich vorgebeugt zu haben. Soweit
war es mit Preußen ganz einig. Dies wollte zwar in gewissem
Sinne Frankreich erobern, aber möglichst ohne ihre Mitwirkung.
Aber Österreich — denn auf seinen Antrieb geht die numerische
Beschränkung wohl zurück — hatte sich dabei zu Festsetzungen
verleiten lassen, die die gegebenen Größen nicht richtig bewertete.
Konnte man die Emigranten auf ein so bestimmtes Maß redu-
zieren? Sollte man sie nötigenfalls zum Zurückbleiben zwingen?
Sollten dazu Truppen verwandt werden? Hier also war den
Schwierigkeiten kein Ende bereitet.
Eine andere Frage aber wurde, auf dem Papier wenigstens,
völlig entschieden : der Marsch auf Paris. Noch im Februar hatte
der Herzog den Plan nur bis zur Erreichung der Maaslinie fest-
gestellt, und auch jetzt wurde ein Plan nicht für den weiteren
Marsch gemacht. Nach den Pariser Ereignissen vom März und
!) Fersen II 271—272. Caraman wußte gleich nachher davon —
wieder ein Beweis , daß man ihm viel Vertrauen entgegenbrachte.
Schütter 60—61; Vivenot II 442; Rep. I 171, Kaunitz an Reuß
24. Mai. Schulenburg an Reuß 1. Juni. Reuß an Schulenburg 1. Juni.
Heidi- ich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 18
274 III. Abschnitt
April glaubte der König aber mehr als je auf seiner Ansicht be-
stehen zu sollen, bis nach Paris vorzugehen. Dem Herzog ging
das zwar sehr gegen den Strich, aber er wurde gar nicht über
die Möglichkeit gefragt, sondern nur als ausführendes Organ
betrachtet1). Wieder wagte er nicht zu widersprechen und ge-
langte bei der Berechnung der zur Verfügung stehenden Truppen
zu dem Ergebnis, der Marsch sei gerade noch möglich. So
rechtfertigte er vor sich selbst diesen an sich verwerflichen Plan.
Doch machte er die Eroberung der Maasfestungen noch zu einer
Bedingung für das weitere Vorgehen.
In Weisenau bei Mainz wurde am 20. Juli die letzte Hand
auch an diesen Plan gelegt. Wir besitzen zwar kein Exemplar
des endgültigen Entwurfes ; doch erlaubt das vorliegende Material
in der Tat eine Zusammenstellung, wie man sie neuerdings ge-
geben hat2). Ich kann mich auf die Hauptpunkte beschränken.
Bei allen Variationen des Planes ist an dem Marsch des Haupt-
heeres unter dem Herzog gegen die Maas, dann Paris, nicht ge-
rüttelt worden. Die Zusammensetzung aus Österreichern und
!) Er hatte sich mit dieser Stellung jetzt ziemlich abgefunden und
beglückwünschte sich sogar dazu, daß der König ihm die Verantwortung
abgenommen habe (vgl. Alvensleben !): ... je suis hors de toute inqui-
etude, il ne me reste plus rien ä faire que d'attendre tranquillement les
ordres que l'on me donne et c'est ä moi de me feliciter d'etre temoin
des succes que l'armee aura vraisemblablement (Braunschweig an
Schulenburg 26. April; Rep. XI 89b). Mit dieser Auffassung stieß er in
Berlin auf den lebhaftesten Widerspruch. Schulenburg zog als Beispiel
die Teilnahme Friedrich Wilhelms I. am polnischen Erbfolgekriege unter
dem Prinzen Eugen heran (Schulenburg an Braunschweig 1. Mai). Aber
der Herzog ließ sich nicht irre machen. Die Verantwortung war zu
schwer für seine Schultern. Er wollte sie sich auch öffentlich abge-
nommen wissen (an Schulenburg 4. Mai). . . . Quant ä tout ce qui m'est
personnel, je suis d'une resignation parfaite, je n'ai rien recherche et
je suis habitue depuis tres longtemps a voir les evenements de ce monde
sous le point de vue de leur fragilite, arrive ce qui voudra, je ferai tout
ce que mes facultes permettent; mais pour repondre d'une entreprise de
genre de celle que l'on medite d'entreprendre , il est de toute necessite
d'etre sür de sa propre position, le public n'admet point d'excuses, et
dans les temps d'avenir (?) le reproche d'une Operation manquee tombera
toujours sur celui qui par des raisons individuelles n'a point su prendre
toutes les mesures pour s'assurer du succes. Accoutume d'obeir je defie
que quelqu'un execute avec plus de zele que moi, je prefererai meme
cette position a toute autre, mais des lors le public doit savoir que je ne
suis charge d'aucune espece de responsabilite , et la cour de Vienne de-
vrait surtout le savoir.
*) Krieg gegen die Revolution II 99—107.
Deutsche Rüstungen 275
Preußen blieb gewahrt, wenn die Österreicher auch schwächer,
als von Preußen beabsichtigt, zur Stelle waren1). Ihr Stoß blieb
auch jetzt das Rückgrat der Unternehmung und wurde viel-
leicht nur noch etwas schärfer hervorgehoben als bisher2). Auf
die Einnahme aller Maasfestungen verzichtete der Herzog jetzt
schon und verlangte nur noch die Einnahme von Verdun. Den
Preußen sollte sich ein österreichisches Korps von 14 000 Mann
unter Clerfayt anschließen, der am 31. Mai das Kommando von
dem alten Eeldmarschall Bender übernommen hatte3); doch
sollten erst in Luxemburg, wo die Vereinigung beider Korps ge-
plant war4), weitere Maßregeln vereinbart werden5). Das andere
österreichische Korps wurde in viel loserer Abhängigkeit von
dem Herzog gelassen. Seine von Hohenlohe selbst vorgeschlagene
Operation gegen Kellermann6) wurde gebilligt, der Marsch fest-
gelegt, bei Änderungen war eine Vereinbarung nötig. Man sieht,
wie wenig hier von einem einheitlichen Oberkommando trotz des
Namens die Rede war. Am Oberrhein endlich sollte wegen der
Schweiz vorläufig Defensive beobachtet werden. Von einem Ein-
fall in das Oberelsaß konnte noch keine Rede sein. Dafür hielt
der Herzog zäh an der Diversion aus den Niederlanden gegen den
französischen Festungsgürtel fest, überließ aber zum Schaden
seines Planes die Wahl des anzugreifenden Platzes den Öster-
reichern. Der Herzog Albert von Sachsen-Teschen, der mit seiner
Frau Marie Christine, einer Schwester Leopolds, das Statthalter-
amt verwaltete, hätte am liebsten die ganze Unternehmung
unterlassen, da er seine Truppen dazu für zu schwach hielt. Aber
er mußte einmal in den Apfel beißen7). Immer wieder drängte
man ihn vom preußischen Hauptquartier aus; auch Breteuil ließ
nicht locker. Alberts Wahl fiel auf Lille, gerade die stärkste
französische Festung an der Nordfront. Erst spät aber ging er an
die Ausführung. Vom 24. September bis zum 6. Oktober dauerte
die Belagerung oder besser, der Angriff auf Lille. Denn nie war
bei dem Mangel an Soldaten — es waren für das Unternehmen
*) Lettres sur Dumouriez 58—59; Heigel II 20; Mitteilungen des
k. k. Kriegsarchivs. N. F. VII 35.
2) Krieg gegen die Revolution II 106—107.
3) Krieg gegen die Revolution II 44.
4) Ch.J.P. 143.
5) Krieg gegen die Revolution II 74.
6) ib. II 105-106.
7) Sybel II 288; Zeißberg, 2 Jahre, 155 ff. , 173, 177—178;
Fersen II 33-34, 38-39, 41, 354, 379; Sorel III 43.
276 HI. Abschnitt
selbst noch nicht ganz 13 000 Mann verfügbar — Lille ganz von
der Außenwelt abgeschnitten und zog daraus den größten Nutzen.
Mutig ertrugen die Bewohner das Bombardement. Sie verließen
sich auf das Versprechen ihrer Regierung, den Schaden zu er-
setzen. So mußte denn der Herzog bei den Nachrichten vom
preußischen Rückzuge und dem drohenden Angriffe Dumouriez'
den Versuch aufgeben1). Jetzt war die Verteidigung des eigenen
Landes das Nötigste. Schleunigst zog er Clerfayts Korps wieder
an sich, und doch war die Stimmung in Belgien eine verzweifelte.
Man fühlte sich in Belgien verloren, noch ehe auch nur die fran-
zösische Armee an der Grenze war2).
IL
Wieviel Truppen standen nun eigentlich dem Herzog von
Braunschweig für die Ausführung seines Planes zur Verfügung?
Französische Schriftsteller lieben es zwar, ohne Rücksicht auf
die defensive oder die offensive Bestimmung 174 000 Mann heraus-
zurechnen3). Auf diese Weise könnte man wohl noch mehr
herausbekommen. Aber mit derartigen Rechenkünsten wollen
wir uns nicht weiter aufhalten. Nominell waren für den Angriff
je 50 000 Österreicher und Preußen bestimmt. Sehen wir zu-
nächst zu, wie es bei den Preußen stand. Da finden wir drei ver-
schiedene Zahlen : 50000 als offizielle für Diplomaten und Militärs4),
45 315 bei genaueren Angaben des Standes5) und 42 000 bei der
Berechnung der Stärke beim Abmarsch von Koblenz. Die letzte
Zahl ist wohl in ihrer Niedrigkeit dadurch zu erklären, daß gleich
einige Truppen als Deckung für Magazine abgingen. Der Unter-
schied zwischen den ersten beiden Zahlen erklärt sich daraus,
daß die Angabe der 45 000 Mann als Gefechtsstand gedacht war6).
Ich glaube also nicht, daß Preußen weniger leistete, als es ver-
sprochen hatte. Eine Klage von Seiten der Österreicher ist auch
nicht laut geworden.
Schwieriger liegt die Frage bei den Österreichern. Wir wollen
zunächst die Stärke ihrer einzelnen Truppenkorps feststellen. In
») Ch.R. 242—250; Krieg gegen die Revolution II 76—86.
2) Zeißberg, 2 Jahre, 173-174 und 178—180.
3) Sorel II 472.
4) Krieg gegen die Revolution II 8.
5) ib. II 93, 105 und 369—370; vgl. Massenbach I 31.
6) SybelII202 und 286; Ch.J.P. 143 und 145. Sybels Ausdruck
(S. 286) ist nur durch das Bestreben zu erklären, die Österreicher herab-
zusetzen.
Deutsche Rüstungen 277
den Niederlanden, wo 1791 keine Änderungen in dem Truppen-
stand eingetreten waren, standen Anfang Januar 1792 51 194 Mann,
von denen 43 300 als dienstbereit galten1). Aber davon gingen
nun als Garnisonen 8000 Mann ab, so daß für den Dienst im Felde
noch etwa 35 000 Mann blieben2). Um ihre Ausrüstung war es
sehr mangelhaft bestellt. Anfang April brach aus Böhmen ein
Ergänzungstransport auf, es folgten ihm noch mehrere. Aber
infolge der starken Desertion, die sogar zur Herabsetzung der
Zahl der Kompanien zwang, konnten die Truppen damit doch
nicht auf den vollen Stand gebracht werden3). Die Gefahr der
Lage zwang die Österreicher nun dazu, 6000 Mann zur Vertei-
digung der Niederlande aus dem Breisgau nach Luxemburg zu
ziehen, um — entsprechend ihrem Kordonsystem — den not-
wendigsten Anforderungen gerecht zu werden. Es war auch nicht
die Absicht Österreichs, hier starke direkte Verstärkungen
hinzuwerfen. Die Niederlande sollten vielmehr durch den Stoß
des Herzogs von Braunschweig von dem Druck der feindlichen
Armeen befreit werden, wie es auch geschah, und noch 14 000 Mann
unter Clerfayt abgeben4), so daß noch etwa 25 000 Mann zur
Verteidigung und zum Angriff auf Lille blieben5), dazu noch
8000 Mann Besatzungen. Das ergab also einen beträchtlichen
Ausfall gegenüber dem Anschlag des Herzogs von Braunschweig,
der nach dem ihm von Hohenlohe und Kaunitz gelieferten Material
trotz der Bemerkungen des letzteren angenommen hatte, die
56 000 Mann in den Niederlanden seien alle aktionsbereit6). Er
beging dabei den Fehler, die Niederlande als ein so sicheres und
ruhiges Land zu betrachten, wie etwa die Mark Brandenburg.
Er wußte, daß im April erst 27 000 Mann verfügbar waren7).
') Zeißberg, 2 Jahre, 70—71 ; Krieg gegen die Revolution II 300—301.
2) ib. II 13.
3) ib. II 10.
4) Ursprünglich sollten es 27 000, ja 30000 Mann sein (Zeißberg,
2 Jahre, 77—78, 127 ff., 148—149). Auf die verschiedenen Modifikationen
des Feldzugsplanes, die den Angaben zu Grunde liegen und die Mißver-
ständnisse zwischen den Parteien hervorriefen, kann ich nicht noch ein-
mal eingehen. Vgl. auch Zeißberg, Karl-Hohenlohe 11.
5) Sybel 11287-288; Krieg gegen die Revolution II 104 und 106.
6) Vivenot II 432.
') Dabei rechnete Kaunitz noch mit der Unterstützung durch
21000 Preußen für Lüttich und Luxemburg (Vivenot I 318 und 320,
II 432). Nach den Anschauungen des Statthalterpaares hätten jene
27000 Mann zur Verteidigung der Niederlande selbst verwendet werden
sollen (Zeißberg, 2 Jahre, 127 ff.).
278 m. Abschnitt
Hat er wirklich geglaubt, daß die Österreicher 29 000 Mann dort-
hin schicken würden1)? Er rechnete für Garnisonen gar nichts
ab, 16 000 Mann hätten zur Verteidigung ausreichen sollen und
40 000 die Maasfestungen angreifen. Das hätte allerdings ein
anderes Bild gegeben)2. Aber unverständlich bleibt mir auch, wie
Hohenlohe den Herzog nicht sofort auf seinen Irrtum aufmerksam
machen konnte. Er mußte doch Bescheid wissen, zumal es der
Herzog von Sachsen-Teschen an Protesten gegen die ihm zu-
gedachte Aufgabe nicht fehlen ließ3).
Am Oberrhein hatten die Österreicher ursprünglich nur etwa
6000 Mann. Durch den ersten Verstärkungstransport, der An-
fang März abmarschierte, am 30. März die bayrische Grenze
überschritt und Anfang Mai im Breisgau eintraf4) , wurde
die Stärke auf 11654 gebracht5). Hohenlohes Armee sollte am
Rhein 50 000 Mann betragen. Aber die Österreicher rechneten
dazu gleich die schon vorhandenen 11 654, so daß sie nur 15 000
+ 23 000 nachsenden wollten6). Zur Offensive sollten nach den
Abmachungen von Sanssouci und Weisenau nur 23 000 ver-
wandt werden7). Dem entsprach aber ihre Stärke beim Aus-
') Rep. XI 89 b. Braunschweig an Friedrich Wilhelm, Braunschweig
an Schulenburg 20. April mit Memoire. Im Laufe des Mai gab Öster-
reich die Zahl der offensiv zu verwendenden Truppen auf etwa 30000
von 56000 an (Bericht Jacobis 16. Mai).
2) Sybel II 201 — 202. Wie gespannt aber die Lage dort wirklich
war, erkennt man daraus, daß Preußen Ende Juli zur Vermittlung
zwischen den Ständen (die von Brabant sind die hartnäckigen) und der
österreichischen Regierung, die gerade jetzt scharfes Auftreten aus be-
greiflichen Gründen noch vermeiden wollte (Zeißberg, 2 Jahre, 79 ff.
und 171 ff.), auf deren Betreiben (denn der niederländische Minister
Metternich war damals in Frankfurt und in Koblenz, ib. 122 f.), den
Kammerherrn Baron Reck nach Brüssel schickte. Er konnte auch nicht
viel ausrichten. Die Franzosen kamen zu schnell ins Land (ib. 73 — 74,
102, 159, 170—171. Rep. XI 89 g1. Schulenburg an Finckenstein und
Alvensleben 27. Juli. P.S. vom 28. Juli. Finckenstein und Alvensleben
an Schulenburg 2. August und Rep. XI 89 h, Briefwechsel zwischen
Schulenburg und Reck).
3) Krieg gegen die Revolution II 104—106; Zeißberg, Karl-
Hohenlohe 10; Derselbe, Erzherzog Karl I 1, 190 ff.
4) Krieg gegen die Revolution II 8 und 91.
5) Von den Emigranten sehe ich hier bis zum Ausbruch de3 Krieges
ganz ab.
6) Krieg gegen die Revolution II 91; Vivenot II 411, 417—418;
Sybel II 202; Ranke 165.
7) Krieg gegen die Revolution II 100 — 103. Schon im Juni aber be-
schwerte sich der Herzog von Braunschweig darüber, daß die Österreicher
Deutsche Rüstungen 279
rücken von der Operationsbasis nicht. Statt 23 000 konnten
nur 15 000 Mann verfügbar gemacht werden1). Der Rest von
etwa 18 000 Mann, ursprünglich sollten es 27 000 Mann sein2),
mußte zur Deckung im Breisgau und bei Speyer stehen bleiben.
Hier stellt sich also ein Ausfall von 8000 Mann in der Offen-
sivarmee heraus, der auch dadurch nicht erklärt wird, daß das
Erbachsche Korps von 7600 Mann3) zur Defensive bei Speyer
gelassen wurde, wo sich wichtige österreichische Magazine zum
Ärger der „neutralen" Reichsstadt befanden4). Für die Verteidi-
gung des Breisgaus hatte man trotzdem erst 11000 Mann unter
Esterhazy, dem Nachfolger von Wallis, aufstellen können5).
Österreich hatte also im ganzen 18 000 Mann am Oberrhein,
statt 27 000, unter Erbach und Esterhazy, 15 000 statt 23 000
Mann unter Hohenlohe, 14 000 Mann unter Clerfayt, 25 000 Mann
unter Albert, statt 56 000 unter Einrechnung von Clerfayts
Korps. Davon waren zur Offensive bestimmt 29 000 Mann unter
Hohenlohe und Clerfayt und 13 000 Mann unter Albert. Öster-
reich kam also seiner Verpflichtung, 50 000 Mann zur Haupt-
armee am Oberrhein zu stellen, nicht nach, rechtfertigte damit
6000 Mann aus dem Breisgau nach Luxemburg schickten, so daß nur
22000 von den 50000 zur Offensive übrig blieben. 22000 rechnete er
für die Defensive (Rep. XI 89 b. Braunschweig an Schulenburg 15. Juni,
20. Juni, 6. Juli). Österreich wollte bei der beharrlichen preußischen
Ablehnung, seine Truppen aus Westfalen dorthin zu schicken, wenig-
stens der dringendsten Not wehren (Vivenot II 435—436; Rep. 96,
147 G II, F.S.A. Au Roi 24. Mai; Rep. I 171 Reuß an Schulenburg
24. Mai). Schulenburg beruhigte ihn mit dem zweifelhaften Trost, den
der König ihm an die Hand gab , Österreich wolle rasche Beendigung
des Krieges, und der Herzog könne ja, einmal an Ort und Stelle, nach
der Ansicht des Königs den Abmarsch von den Österreichern befehlen,
die zur Verteidigung nicht nötig seien (Schulenburg an Braunschweig
18. und 22. Juni) — vorausgesetzt, daß so viel Österreicher da waren
und daß sie gehorchten , müssen wir dazusetzen ! Die Furcht des Her-
zogs stieg noch, als er hörte, daß Lacy mit nach Mainz kommen werde.
Seine Abneigung gegen den Krieg sei bekannt, eine Verzögerung des
Marsches sei also sicher zu erwarten; man müsse alle Mittel ergreifen,
um den Plan doch sicherzustellen (Braunschweig an Friedrich Wilhelm
14. Juli. Rep. XI 89 b).
*) Sybel II 287. Schon früh wurde das bemerkt. Minutoli,
Erinnerungen 24 (mit falschen absoluten Zahlen); Massenbach I
31 — 32; Krieg gegen die Revolution II 364-367.
*) ib. II 103.
3) ib. II 106 und 367.
4) ChJ.P. 156.
5) Krieg gegen die Revolution II 106 und 110.
280 UI- Abschnitt
tatsächlich die Besorgnisse, die man sehr früh in Berlin gehegt
und vergeblich durch Vorsichtsmaßregeln gegenstandslos zu
machen versucht hatte1). Es stellte statt 106 000 nur 73 000
Mann und verhielt sich überhaupt hierin mehr als saumselig2).
So ergibt sich denn an Stelle einer Invasionsarmee von 110 000
Mann, mit der der Herzog im Mai glaubte rechnen zu dürfen,
nur eine solche von 80 000 Mann, 100 000 Mann weniger als
ihm die Öffentlichkeit gab, nämlich 50 000 Preußen, 50 000
Österreicher am Oberrhein, 50 000 Österreicher in den Nieder-
landen, 36 764 (!) Emigranten3). Außer Preußen und Öster-
reichern, Alberts Korps hier nicht eingerechnet, kamen noch
etwa 6000 Hessen dazu4), allerdings auch noch etwa 20 000 Emi-
granten, aber sie dürfen wir als Kampftruppen gar nicht in
Rechnung stellen. Nur ein kleiner Teil der Abteilung unter den
Prinzen-Brüdern erwies sich wirklich als verwendbar, auch nicht
einmal zum Vorteil der Mächte. Die andern waren unnütze,
ja schädliche Brotesser. Der Herzog hatte sie von vornherein
außer Betracht gelassen5).
Konnte man damit überhaupt noch an die Ausführung des
alten Planes denken? Der preußische General Courbiere warnte
vor dem Abenteuer, der Kronprinz gab ihm durchaus recht6),
und der Herzog hoffte im stillen, mit seinem Vorbehalt, an der
Maas stehen zu bleiben und sich dort für den Winter einzurichten,
nun doch noch durchzudringen. Friedrich Wilhelm wollte mehr
als je nach Paris vordringen. Jetzt, wo er fast täglich mit ihnen
zusammen war, scheint das Gerede der Emigranten ihn doch in
eine allzu sorglose Stimmung versetzt zu haben. Es war kein
') Krieg gegen die Revolution II 110 — 111; Zeißberg, 2 Jahre, 71;
Vivenot II 410; Schlieffen II 384; Rep. XI 89b. Schulenburg an
Braunschweig 25. März, 23. April. Braunschweig an Schulenburg 26. März.
2) Vgl. dazu die ängstlichen Bemerkungen in Lettres sur Dumouriez,
wo folgende Stärken angegeben werden : Albert 12000, Hohenlohe 14000,
Clerfayt 15000. Clapham 218-219; Marwitz I 60.
3) Politisches Journal 1792 Juli, 764 ff.
*) Krieg gegen die Revolution II 93 und 371—373; Heigel II 19.
5) Auch die Abteilung unter Provence und Artois überschritt be-
trächtlich die vertragsmäßige Stärke von 8000 Mann; es waren minde-
stens 12000. Bei Bourbon waren bald aus 3059 5195 geworden (Krieg
gegen die Revolution II 110). Wir können daher gut 20000 ansetzen.
— Wir erhalten demnach als Kampftruppen: 45000 Preußen, 15000
+ 14000 Österreicher, 6000 Hessen, zusammen 80000 Mann. Vgl. Krieg
gegen die Revolution II 110—111.
6) Häußer I 367; Ch.J.P. 145; Heigel II 20.
Deutsche Rüstungen 281
Wunder, daß die Armee beim Vorrücken mehr und mehr zum
Skelett abmagerte1). So trat man denn den Zug auf Paris an.
Nur dorthin sollte man schauen, nicht rechts, nicht links. Die auf
dem Wege liegenden Festungen sollte man rasch einnehmen, die
abseits liegenden nur beobachten oder leicht einschließen lassen.
Auf Veranlassung des Königs und des Kabinettsministeriums
blieb das schwere Belagerungsgeschütz zu Hause, das der Herzog
hatte mitnehmen wollen2). Friedrich Wilhelm glaubte seiner
nicht zu bedürfen. Am 28. Juli begann die militärische Prome-
nade, die man in Deutschland mit so großer Neugierde und Auf-
merksamkeit verfolgte3), mit dem programmäßigen Abmarsch
der preußischen Vorhut unter dem General von Eben4). Der
König drängte noch besonders vorwärts; denn jeder Tag erschien
ihm als Gewinn, und für sich und seine Truppen wünschte er
sehnlichst, aus der Untätigkeit rasch herauszukommen, die nur
die Stimmung im Heere verschlechtern konnte5). Am 29. berief
Friedrich Wilhelm Lucchesini nach Frankreich, da er allen An-
laß zu der Meinung habe, daß nach den Meldungen aus dem
Innern von Frankreich dort nach dem Einmarsch der fremden
Truppen eine rasche Ernüchterung sich verbreiten werde und
daß man bald werde verhandeln können6). Im Oktober dachte
der König wieder in Berlin zu sein7).
*) Peltier, dernier tableau de Paris. Ap. zu Nr. V. p. IV.
*) Rep. 96, 147 G I, F. S.A. Au Roi 16. April; Lettres sur Dumouriez
67; SybelII289; Feuillet VI 340—341; Schlief fen II 384.
3) Politisches Journal 1792 S. 894.
4) Minutoli, Erinnerungen 25; Rep. XI 89g1. Schulenburg an
Finckenstein und Alvensleben 22. Juli.
5) Fersen II 26; Rep. XI 89b. Braunschweig an Friedrich Wil-
helm 5. Juli. Braunschweig an Schulenburg 6. Juli. Manstein an
Schulenburg 10. Juli. Schulenburg an Braunschweig 27. Juni. Am
30. Juli trat das preußische Gros seinen Marsch an, nachdem am 29.
das letzte Regiment den dreitägigen Brotvorrat empfangen hatte. Da-
nach war die Armee für 9 Tage bis zum 7. August mit Brot versorgt
(Hüffer in Deutsche Revue 1883 I 240; Rep. XI 89k. Guionneau an
Schulenburg 29. Juli nachmittags 4 Uhr).
6) Rep. 92. Lucchesinis Nachlaß 12, Friedrich Wilhelm an Lucche-
sini 29. Juli. Hüffer 24. Vgl. unten.
7) Deutsche Revue 1883 I 241 (Lombard am 15. Juli). Wie fest
man auf rasche, entscheidende Erfolge rechnete, geht auch aus folgender
Episode hervor. Der kur trierische Minister Freiherr von Duminique kaufte
das Feld an, auf dem Friedrich Wilhelms Zelt im Lager bei Rübenach
gestanden hatte (Politisches Journal 1792 S. 867), und wollte darauf
einen steinernen, fünfundzwanzig Fuß hohen Obelisken errichten lassen
282 HI. Abschnitt
2. Kapitel
Ton Koblenz bis Yalmy
Noch, während des Marsches der deutschen Heere an die
französische Grenze vollzog sich in Frankreich der lange er-
wartete revolutionäre Ausbruch. Am 10. August wurde Ludwig
von seinem Amte suspendiert und eine provisorische Regierung
unter der tatsächlichen Leitung Dantons eingesetzt. Noch war
die Abschaffung des Königtums, die Errichtung der Republik
nicht beschlossen worden, aber ihr monarchisches Gepräge hatte
die französische Regierung doch damit preisgegeben. Die Frage
war, wie sich die Mächte und vor allem die eigene Armee zu
diesem Staatsstreich stellen werde, der die bestehende Verfassung
so gröblich verletzte. England, also auch Holland, konnten jetzt
nicht umhin, ihre Gesandten abzuberufen, da ipso facto deren
Vollmachten erloschen waren. Aber das blieb mehr ein Zeichen
des persönlichen Bedauerns für Ludwig, als daß sich damit schon
eine Wandelung der Politik vollzogen hätte. Noch befand sich
die Geschäftswelt zu wohl bei dieser im Frieden erfolgenden
Zurückdrängung Frankreichs aus dem Handel. Ausdrücklich
wurde den Franzosen das Recht zuerkannt, über ihre innere
Regierung allein zu bestimmen. Eine Zeitlang erschien daher
eine Vermittelung Englands und Hollands zwischen den krieg-
führenden Mächten nicht als ausgeschlossen, besonders als der
scheinbar so unerklärliche Rückzug des Herzogs von Braun-
schweig mit einer auffallenden Geschäftigkeit der Diplomaten
in London zusammenfiel. Es bedurfte doch noch anderer fran-
zösischer Schritte, die sich für die englischen Interessen wirklich
mit folgender Inschrift (ich lasse hier die französische und die deutsche
Form weg und halte mich auch nicht an die kunstvolle Abteilung der
Zeilen): Hie castra posuit Fridericus Guilelmus Secundus, Borussorum
rex, dum proficisceretur ad vindicandam regiam maiestatem, iura imperii
Germanici , iustitiam, ordinem, leges per inimicam humano generi seetam
violatas anno 1792 26. Mensis Julii. Schulenburg zeigte das dem Könige
an und glaubte sich schmeicheln zu dürfen, daß der König die Absicht
des Freiherrn von Duminique, jenem merkwürdigen Ereignisse ein Denk-
mal zu setzen, in Gnaden zu bemerken geruhen werde (Rep. 96, 258 A.
Cutry. 22. August). Ich zweifle nicht daran, daß des Königs Gedanken
dem entsprochen haben.
Von Koblenz bis Valmy 283
in greifbarer Weise fühlbar machten, um kriegerische Maßregeln
in ihren Augen zu rechtfertigen1).
Sardinien war mit der Stärke der österreichischen Hilfe-
leistung noch immer nicht zufrieden und erklärte sich für außer-
stande, kräftig vorzugehen. Nur auf dem Papier bekämpfte es
die französische Revolution2). Es wollte erst abwarten, bis der
Feind durch das Vorgehen der Verbündeten erschüttert sei, um
sich dann selbst ohne große Mühe ein Stück von der Beute an-
zueignen. Es verlangte auch zu seiner Sicherheit noch das Ver-
sprechen von Preußen und Österreich, daß sie nicht ohne Sar-
dinien Frieden schließen würden. Dann kam es mit der Bitte
um Zusammenwirken mit dem Heere des Herzogs von Braun-
schweig und um Sendung eines neuen österreichischen Hilfskorps
und tat bei Spanien und bei Rußland vielgeschäftig diplomatische
Schritte. Natürlich erreichte es nichts. Als es nachher dem
Angriffe der Franzosen nur seine eigenen Streitkräfte entgegen-
zusetzen hatte, da siegten die Franzosen eigentlich ohne Kampf.
Alle Bitten bei den deutschen Mächten und bei England konnten
ihm doch für dies Jahr nichts mehr helfen, selbst als Österreich
schon zur Deckung der eigenen bedrohten Besitzungen Ver-
stärkungen absandte und sich für Sardinien bei den italienischen
Staaten verwandte. Preußen hatte auch weder die Absicht
noch war es in der Lage, ihm wie der Schweiz zu helfen.
Spanien3) , dem sich auf seinen Wunsch dann auch Neapel
anschließen wollte, nahm den 10. August zum Vorwand, um
seine bis dahin beobachtete Neutralität aufzugeben und sich an
der vermeintlichen Zerstückelung von Frankreich zu beteiligen.
Wenn die Mächte auch von seiner Mitwirkung keine militärischen
Maßregeln mehr erwarteten, so konnte doch die Nachricht davon
in Frankreich Schrecken verbreiten, besonders wenn ein spani-
sches Manifest die Gefahr recht eindringlich vorführte, und den
Sardiniern Mut zum Vorgehen machen. Aber dieser Erfolg blieb
aus, und sowie die Kampagne sich zu Gunsten Frankreichs wandte,
1) Salomon, Pitt I 2, 569 ff.; Worontzow, IX 257—258.
Journal d'une bourgeoise 268. Politisches Journal 1792, S. 895, 955—956,
1001—1002, 1010—1011, 1026—1028, 1087—1088, 1097, 1133, 1145—1146,
1212, 1230, 1248.
2) Schlosser V 365. Politisches Journal 1792, S. 920, 1083 bis
1085.
3) ibid. S. 993—994, 1044, 1083—1085, 1124, 1226—1227, 1335 bis
1336; Hermann Baumgarten, Geschichte Spaniens zur Zeit der
französischen Revolution. Berlin 1861. S. 387 ff.
284 HI. Abschnitt
da vollzog es eine neue Schwenkung, noch ehe seine mit großem
Lärm den Mächten angezeigten Angriffsmaßregeln zur Aus-
führung gekommen waren.
Die Schweiz1), die infolge der Ermordung der Königlichen
Schweizergarde am ersten Anlaß gehabt hätte, am Kampfe teil-
zunehmen, konnte sich doch nicht dazu entschließen. Das
Haupt der Aristokraten, Bern, war ziemlich allein zum Vor-
gehen geneigt, und Bouille hätte gar zu gern einen Auftrag von
den Mächten erhalten, mit ihm zu unterhandeln. Aber diese
hielten zurück, und die andern Kantone sorgten dafür, daß Bern
nichts tat. Finanzielle Interessen spielten hinein (wer sollte die
von Frankreich entlassenen Regimenter in Sold nehmen?). Die
Schweiz hätte damals auch dem Einfall von Franzosen kaum
lange Widerstand leisten können, zu einem Einfall in Frankreich
aber fehlten alle militärischen Vorbereitungen. Sie wollte nichts
erobern und begnügte sich mit einer diplomatischen Beilegung
des Falles. Für den Fall eines Sieges der deutschen Mächte be-
hielt sie sich ihr Einschreiten vor. Von den deutschen Reichs-
ständen endlich taten nur die etwas, die bei dem Geschäft zu
gewinnen hofften, insbesondere der Landgraf von Hessen-Kassel.
Von Patriotismus war bei seinem Verhalten keine Rede — wer
hätte sich auch damals davon bestimmen lassen ! Dem Wert
seiner Truppen für die Kampagne wird mit diesem Urteil aber
nichts abgezogen.
Jedoch das waren nur Begleiterscheinungen, denen eine ent-
scheidende Rolle nicht zukam. Viel wichtiger war die Stellung
der französischen Armee. Hier erhob sich Widerspruch von
scheinbar entscheidender Stelle aus. Lafayette, der die Ar-
dennenarmee jetzt führte, trat für die Verfassung ein, ließ die
Kommissare des Conseil executif verhaften und plante die Ver-
sammlung einer Art von Gegen parlament und den Marsch auf
Paris zur Befreiung des Königs, wobei er sich natürlich durch
Verhandlungen mit Österreich und Preußen den Rücken sichern
mußte. Aber mit den Mächten war er nicht im Einverständnis.
Alle seine Anträge wurden von diesen zunächst abgelehnt, und
als Österreich in der Erkenntnis der Gefahr zum Entgegen-
kommen sich bereit erklärte, da war es zu spät2). Der König
1 ) Karl Brommer, Der Durchzug der Kaiserlichen und die
Neutralität Basels während des ersten Koalitionskrieges. Basel 1903.
S. 49—74.
2) Zeißberg, 2 Jahre, 167—168.
Von Koblenz bis Valmy 285
und mehr noch die Königin haßten Lafayette bis auf den Tod,
und er selbst ließ es bei Worten bewenden, statt gleich zu han-
deln1). Die anfangs nicht ungünstige Stimmung seiner Truppen
schlug unter dem Einfluß der neueinlaufenden Nachrichten um.
Lafayette sah sich deshalb gezwungen, am 19. August mit seinem
Generalstab und nicht allzuviel getreuen Soldaten die öster-
reichische Grenze als Deserteur oder Emigrant, gleichviel wie
man es nennen will, zu überschreiten, mit der Absicht, sich nach
Amerika zu begeben. Jetzt aber nahm der Haß Marie Antoi-
nettes, nicht der Emigranten, wie Dumouriez meinen wollte2),
greifbare Formen an. Sie hatte nicht aufgehört, diese „factieux"
als die allergefährlichsten Leute darzustellen, deren Umtriebe
vor allem an dem jetzigen Elend schuld seien. Als Lafayettes
Gesinnungsgenossen Barnave und Charles Lameth in Paris ver-
haftet wurden, da schrieb Fersen: „Ich hoffe, sie werden hin-
gerichtet; niemand hat es mehr verdient"3). Lafayette wurde
daher von den Österreichern mit Zustimmung, vielleicht auf An-
regung des preußischen Vertreters in Brüssel, Baron Beck, und
auf besondere Einwirkung Friedrich Wilhelms, den Caraman,
seinerseits wieder von Breteuil aufgestachelt, dazu bestimmt
hatte, verhaftet und sollte angeblich getötet werden, wurde dann
aber lange Jahre hindurch gefangen gehalten4).
Im ganzen hielt die Armee doch mit gesundem, nationalem
Instinkt zu der Regierung, die sich die Verteidigung des fran-
zösischen Gebietes zur Aufgabe gemacht hatte. Sie war weder
die Armee des Königs noch die der Revolution, sondern die der
Nation5). Derjenige mußte sie kommandieren, der diese Rich-
tung zuerst energisch einschlug. Dumouriez war es. Der Ruhm,
den er sich in so anfechtbarer Weise im Juli gesichert hatte, ver-
half ihm zur Freude seiner Untergebenen6) zu dem Kommando
über die Ardennenarmee als Lafayettes Nachfolger7) und bald
zu dem über die französischen Truppen überhaupt, soweit sie
1) Schlosser V 411-412.
2) II 369.
3) Fersen II 357, 364.
4 ) Rep. XI 89 h Schulenburg an Reck 22. u. 26. August. Reck an
Schulenburg 31. August. Rep. XI 89 i. S. Au Roi 22. August. Fersen
II 31 u. 354; Vi v e n o t II 531 u. 543; Zeißberg, 2 Jahre, 168.
5) Ch.J.P. 60.
G) Foucart et Finot I 142—147. R.Q.H. 65, 552—559.
Ch.V. 18. Journal d'une bourgeoise 256 — 258.
7) Sybel II 295; Ranke 222; S o r e 1 III 25.
286 III. Abschnitt
gegen die deutschen Heere zu kämpfen hatten und zwischen
Dünkirchen und Montmedy standen1).
In welcher Stärke und Organisation traten sie nun den deut-
schen Truppen gegenüber? Wenn ich hier natürlich von der
Südarmee absehe, so waren es noch vier Armeen: Nord-, Ar-
dennen-, Zentrums- und Rheinarmee unter Labourdonnaye,
Dillon, Kellermann, Biron. Im ganzen waren es etwa 82 000
Mann, also ebensoviel wie auf deutscher Seite. Dazu kamen aber
noch die Nationalgardenbataillone, die sich aus Freiwilligen zu-
sammensetzten. Es hieße offene Türen einrennen, wenn ich die
Mängel ihrer Zusammensetzung, ihrer Ausbildung, ihrer Organi-
sation hervorheben wollte. Rousset und, doch wohl richtiger,
da nicht so einseitig und frei von Tendenz, Chuquet haben es be-
reits gründlich genug getan. Aber die Freiwilligen trugen nun
in die französische Armee in verstärktem Maße das nationale
Element und die Abhängigkeit von der Nationalversammlung
bezw. dem Konvent hinein; daß sie häufig wichtige Dienste ge-
leistet haben, ist gar nicht zu verkennen. Es war also doch mehr
als eine „Indianerhorde, die von einer Handvoll disziplinierter
Soldaten auseinandergesprengt werden konnte". Aber der An-
lehnung an das stehende Heer konnten sie noch nicht entraten.
Die Nordarmee, die ursprünglich mit der Ardennenarmee zu-
sammen unter Laf ayette gestanden hatte, zählte 24 000 Mann2)
(von Garnisonen sehe ich dabei immer ab), die Ardennenarmee
19 000, die Zentrumsarmee 17 000 und die Rheinarmee 22 000
Mann. Diese letztere können wir für die Betrachtung der fol-
genden Ereignisse zunächst ausschalten, ebenso die National-
garden, die in den befestigten Lagern von Chälons und Soissons
gesammelt wurden. Sie fanden nur zum kleinsten Teil Ver-
wendung, da sie meistens nicht einmal Waffen hatten3). Die
Rheinarmee wirkte nur durch ihre Anwesenheit, indem sie zwei
österreichische Korps unter Esterhazy und Erbach mitsamt den
Emigranten unter Conde neutralisierte. Erst mit dem Einfall
Custines gewann sie aktive Bedeutung.
Ardennen- und Zentrumsarmee mußten den deutschen Heeren
einen Damm entgegenzusetzen suchen. Ihre Vereinigung war
1) Krieg gegen die Revolution II 138.
2) S o r e 1 III 5; Ch.J.P. 199—201, 206; S y b e 1 II 291, 336; Krieg
gegen die Revolution II 134.
3) S y b e 1 II 292 — 293; P e 1 1 i e r , dernier tableau de Paris Ap. zu
Nr. V S. XVIII ff.
Von Koblenz bis Valmy 287
die notwendige Voraussetzung dazu. Von Paris aus trieb man
in stets steigendem Maße Dumouriez dazu an. Denn e r hatte
dazu seine alte Stellung zu verlassen und sich dem ziemlich an
Ort und Stelle befindlichen Kellermann zu nähern, der seine
Truppen am 4. September von Metz nach Toul abmarschieren
ließ1). Aber er wollte nicht2). Er plante jetzt mehr als je einen
Einfall in die Niederlande. Ihm selbst mit einem stärkeren
Heere, als er es im Frühjahr hatte verfügbar machen können,
sollte doch dieser Stoß nicht mehr mißlingen können, und es ist
eine merkwürdige Analogie zu dem Verfahren der Verbündeten
und Emigranten, daß er an die Spitze seines Heeres 6000 frei-
willige Belgier stellen und aus österreichischen Deserteuren mit
Schweizern Freibataillone bilden wollte, die dem Einfall die
Wege ebnen sollten3). Dann aber, so rechnete er, kehrten die
Österreicher um, die Kraft der Invasion war gebrochen, und er
hatte den gefährlichen Kampf mit den geübten österreichisch-
preußischen Truppen vermieden4). Die auf dem Wege hegenden
Festungen würden den Verbündeten so lange zu schaffen machen,
daß er seinen Plan ausführen könne5). Die Verteidigung zwischen
Sambre und Maas übertrug er Dillon, weiter im Süden stand
ja Kellermann. Es ist das erstemal, daß uns in diesem Kriege
der Gedanke der indirekten Verteidigung durch den Einfall in
feindliches Gebiet entgegentritt. Nachher kam Custine — je-
doch nicht mit so hohen Absichten — praktisch auf Ähnliches
hinaus.
Aber in Paris mußte man noch mit andern Größen rechnen,
als sie Dumouriez berücksichtigt hatte. Das Manifest des Her-
zogs von Braunschweig hätte schon deshalb keine Wirkung aus-
üben können, weil es zu früh erlassen worden war. Jetzt nahte
nun doch die Gefahr, und nach dem Fall von Longwy stieg die
Furcht in Paris zu gefährlicher Höhe. Statt an Dumouriez die
gewünschten Verstärkungen zu schicken, ließ Servan6) Kurier
auf Kurier an ihn abgehen, er solle sich dem Herzog entgegen-
1) Krieg gegen die Revolution II 145.
2) ibid. II 139; Sorel III 26 ff.; Ch.V. 23 ff.; Dumouriez
II 375 u. 380.
3) Ch.V. 28; Dumouriez II 380. Vgl. oben für das Frühjahr
ähnliche Pläne.
4) Ch.V. 27—30. Krieg gegen die Revolution II 138—139.
5) Häußer I 374; S y b e 1 II 295 ff.; Boguslawski II 8;
H e i g e 1 II 23.
6) Er war nach dem 10. August wieder Kriegsminister geworden.
288 in. Abschnitt
werfen1). Dumouriez war zunächst bei seinen Truppen in
Maulde geblieben, die ihn vergötterten, und wollte von hier aus
den Stoß gegen Belgien führen. Dillon war von ihm nach Sedan
geschickt worden, um die Stelle Lafayettes einzunehmen, in der
richtigen Erkenntnis, daß e r mit den Truppen nicht viel werde
ausrichten können. Gleichzeitig sollte ihm Dillon die Verwal-
tungs- und Verteidigungsarbeit abnehmen. Dumouriez wollte
einmal nur Heerführer sein2), das hieß für ihn angreifen3). Aber
infolge der Nachricht von Longwys Kapitulation war er doch nach
Sedan abgereist, wo er am 28. August eintraf, um dort die Gefahr
einer völligen Zerrüttung der Armee zu beseitigen4), und in dem
Gedanken, nun vorläufig dem Rate Servans folgend den Ver-
bündeten gegenüber die Defensive durchzuführen. Er schickte
deshalb zwei Bataillone und einen tüchtigen Offizier zur Ver-
stärkung der Garnison nach Verdun5). Inzwischen glaubte er
sich aber zu überzeugen, daß mit diesen Truppen, die ihn mur-
rend empfangen hatten6), an einen Kampf mit den österreichisch-
preußischen Truppen nicht zu denken sei. Die Verteidigung
schien ihm fester organisierte Truppen zu erfordern als der An-
griff7). Er ließ also von einem Kriegsrate am 29. seinen Plan
annehmen und nach Paris befürworten; nur von einem glänzen-
den Siegeszug nach den Niederlanden versprach er sich Erfolg.
Aber am 31. hörte er in Bazeilles den Kanonendonner von der Be-
schießung Verduns herüberschallen und von dem Marsche Cler-
fayts nach Stenay. Das bedeutete für ihn die Gefahr, von Frank-
reich abgeschnitten zu werden und bei seinem Einfall in Belgien
Clerfayt auf den Fersen zu haben8). Blitzschnell warf er nun
seinen ganzen Plan um und ging am 31. auf Servans Verlangen
ein — man wird sagen müssen, im letzten Augenblick, wo es
noch möglich war — Frankreich direkt zu verteidigen, statt die
Niederlande zu erobern. Er erteilte den Befehl zum Abmarsch
x) Krieg gegen die Revolution II 140 — 141.
2) Man wird sich jedoch hüten müssen, heute diese Ansicht aus-
zusprechen.
3) Dumouriez II 374 ff.
4) Ibid. II 380—382.
5) Ch.V. 30 — 31 u. 35. Sie kamen jedoch zu spät.
6) Dumouriez II 383; Ch.V. 30—31.
7) Ch.V. 24—25 u. 32.
8) Dumouriez II 386 ff., besonders 388 ; Boguslawski
II 13—15; Sybel II 295—300; S o r e 1 III 29—30; Krieg gegen die
Revolution II 141.
Von Koblenz bis Valmy 289
nach den Argonnen, noch ehe er von dem dringenden Rat Ser-
vans1), der auf das Gleiche hinauskam, wußte. Es war das letzte
bedeutendere natürliche Bollwerk, das die Verbündeten auf
ihrem Marsche nach Paris zu überwinden hatten. Hier sollte
die Entscheidung über das Schicksal von Paris, von Frankreich,
von ganz Europa fallen. Es war der einzig mögliche Entschluß.
Denn außer der militärischen Richtigkeit, die ein anderer auf
dem Papier mühsam ausgeklügelter Plan zweifellos auch für
sich hätte beanspruchen dürfen, fiel noch ein Umstand schwerer
als alle andern ins Gewicht: die Rücksicht auf die Stimmung
des Volkes, besonders desjenigen in Paris (vgl. Mac Mahon 1870).
Es verlangte Schutz, und diesem Verlangen mußte nachgegeben
werden2). Noch auf dem Wege nach den Argonnen kam es schon
zu den ersten Zusammenstößen mit der deutschen Hauptarmee,
deren teilweise recht gefährlicher Ausgang nur durch die Lang-
samkeit seines Gegners und durch seine eigene Schnelligkeit
wieder ausgeglichen wurde. Am 19. September hatte er sich
mit Beurnonville vereinigt, der ihm Verstärkungen von der Nord-
armee brachte, und Kellermann war auf dem Marsche. Die
dringendste Gefahr war überstanden. Würden die Truppen
jetzt aber auch einem Angriff des sieggewohnten österreichisch-
preußischen Heeres standhalten?
Nach langem mühevollen Marsche durch das enge Moseltal,
das die erbitterten Soldaten „Martertal" tauften3), traf die Armee
des Herzogs von Braunschweig am 5. August, am 6. Marschtage,
wie geplant war, in Trier ein4). Hier aber stockte ihr Vorrücken,
einmal, weil außer dem erwünschten Ruhetag für die Truppen
noch ein Artillerietrain erwartet werden mußte, der erst am
2. August Koblenz passiert hatte und am 10. in Trier ankam5),
und weil vor allem wieder der Brotvorrat durch die Feldbäckerei
erneuert werden mußte6) — das hat noch häufig genug in diesem
1 ) Servan gab keinen Befehl, sondern ließ den Generalen volle Frei-
heit, aber auch Verantwortung für ihre Entschlüsse (Ch.R. 25).
2) Ch.V. 42^13; Häußer I 374—375; Sybel II 296—297;
Ranke 233; H ü f f e r in der Deutschen Revue 1883 I 250—251;
Boguslawski II 15—17; Ch.V. 38^42.
3) Valentini 13.
4) Krieg gegen die Revolution II 115—116. Rep. XI 89 g1 Sohulen-
burg an Finckenstein und Alvensleben 27. u. 30. Juli. Am 30. rückte
das Gros ab, am 2. August war Ruhetag.
5) Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 8. August.
6) Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 30. Juli und
6. August.
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 19
290 HI. Abschnitt
Feldzuge zu der so gefährlichen Untätigkeit des Heeres und
ihrem Schneckentempo geführt, das auf den verschiedensten
Seiten zu den gewichtigsten Bedenken Anlaß gab1) — endlich
auch, weil der österreichische General Hohenlohe, den Bischoff-
werder in so günstigen Farben gemalt2) und der sich in Sans-
souci recht entgegenkommend gezeigt hatte, trotz der Abma-
chungen von Weisenau-Mainz noch nicht heran war, wo aus-
drücklich der Marsch der Preußen auf sieben Tage, der der Öster-
reicher auf zwei bis zum Vereinigungspunkt an der Grenze —
als solcher galt Trier — festgelegt war3). Jetzt aber begann sich
auch die Schwäche des Oberkommandos geltend zu machen.
Schon dem vorher festgestellten Plane kam Hohenlohe nicht
nach, wie man auf preußischer Seite gleich gefürchtet hatte4);
wie viel schwerer mußte es nun sein, ihn zu einer Abweichung
davon im Sinne einer Beschleunigung zu bringen. Denn das
war der Sinn von den Schritten, die der Herzog nun immer
häufiger bei Hohenlohe tat5). Ihn drängte der König zu
raschem Vorgehen, und trotz seines Widerwillens gab der Herzog
nach. So marschierte denn auch das preußische Gros am 12.6)
aus dem Lager von Konz bei Trier ab, ohne auf Hohenlohes An-
kunft zu warten, der es decken sollte, der „bald nachzukommen"
versprach und Auftrag erhielt, rasch Diedenhofen zu nehmen7).
Bei einem tätigeren Feinde als Luckner — Kellermann trat erst
in diesen Tagen an seine Stelle — hätte sich ein so zersplittertes
Vorgehen schwer rächen können8). Aber er tat nichts , und
nicht die Rücksicht auf ihn, sondern auf die Verpflegung und
auf den Anmarsch Clerfayts, mit dem man sich vor Überschreiten
1 ) Rep. XI 89 h Reck an Schulenburg 16., 31. August, 27. September,
8. Oktober; Schulenburg an Reck 4. September.
2) Rep. I 172 Bericht vom 17. März 1792.
3) Vivenot II 509; Deutsche Revue 1883 I 247.
4 ) Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 30. Juli. Hohenlohe
war am 2. August von Mannheim aufgebrochen und brauchte 24 Tage bis
Merzig an der Saar (Häußer I 369 und S y b e 1 II 289). Allerdings
ist dabei zu beachten, daß Hohenlohe mit Genehmigung des Herzogs
inzwischen — ergebnislose — Versuche auf Landau machte.
5) Krieg gegen die Revolution II 122—123.
6) Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 12. August. Am
11. hatte die Vorhut bei Sierck die Grenze überschritten, das Gros
passierte sie erst am 19. (Ch.J.R 160, 163—164, 297).
7) Zeißberg, Karl-Hohenlohe 17—19.
8) Ch.J.P. 197.
Von Koblenz bis Valmy 291
der Grenze und vor dem Angriff auf Longwy vereinigen wollte1),
sistierte den preußischen Marsch schon wieder am 13. in Mont-
fort. Erst am 18. ging es weiter2). Nachdem man ein Detache-
ment Luckners unter dem alten Generalmajor3) Deprez-Crassier
bei Fontoy am 19. geschlagen hatte4), wurde mit Hilfe Clerfayts
die gut verteidigte, aber in schlechtem Zustande befindliche
Festung Longwy, deren Bewohner trotz vieler revolutionärer
Reden und Beschlüsse noch nicht zu dem rechten Patriotismus
sich durchgearbeitet hatten, in der Nacht vom 22. zum 23. August
nach kurzer Beschießung der Stadt genommen5). Wieder ließ
man sich noch 5 Tage Zeit zum Ausruhen und zum Brotbacken6).
Am 29. erfolgte der Abmarsch nach Verdun. Von Luckner
hatte man jetzt sicher nichts zu fürchten, man hoffte sogar noch,
ihn zu gewinnen7). Weder der Herzog von Braunschweig noch
Albert nahmen die sich ihnen bietende Gelegenheit wahr, die durch
Lafayettes Flucht führerlos gewordene und desorganisierte Ar-
dennenarmee durch Absendung eines Korps zu zersprengen, ob-
wohl der Herzog von Braunschweig sicher schon am 22. August
von der Flucht Kenntnis hatte8), da man eben ihre Not gar nicht
kannte und Wagnisse nicht in der Natur jener beiden Herzöge
lagen9). Nur die Vereinigung der Ardennen- mit der Zentrums-
armee gedachte der Herzog von Braunschweig durch Flanken-
bewegungen gegen Stenay und Diedenhofen zu hindern10). Am
1 ) H ä u ß e r 1 369; S y b e 1 II 289. Er war erst am 16. in Arlon, dicht
an der luxemburgischen Westgrenze.
2) Krieg gegen die Revolution II 125 — 126.
3) Marechal du camp.
4) Feuillet VI 340; Häußer I 368—369; Ch.J.P. 163 ff. u. 197.
5) Lettres sur Dumouriez 71; Deutsche Revue 1883 I 299—300;
Häußer I 369; Heigel II 25; Krieg gegen die Revolution II 127;
Ch.J.P. 175—191.
6 ) Nach Massenbach (I 40, 46, 96) hätte der Herzog von Braun-
schweig schon hier stehen bleiben wollen, nur die politische Absicht habe
ihn nach Verdun vorgehen lassen. Ich finde dafür sonst keine Belege
und kann mich daher dieser allen bekannten Tatsachen widersprechenden
Auffassung nicht anschließen.
7) Ch.J.P. 197—199 und Fersen II 356.
8) Lettres sur Dumouriez 70 — 72; Häußer I 369; Deutsche
Revue 1883 I 298—299; Fersen II 356; Dumouriez III 96—97
und II 382; Rep. XI 89 h. Reck an Schulenburg 22. August und 1. Sep-
tember. Schulenburg an Reck 26. August. Rep. XI 89 g1 . Schulenburg
an Finckenstein und Alvensleben 22. August. Rep. XI 89 i, S. Au Roi
22. August; Ch.J.P. 213—214; B o g u s 1 a w s k i II 11.
9) Häußer I 373—374.
10) Ch.J.P. 216, 297.
292 HI. Abschnitt
2. September ergab sich Verdun ebenso wie Longwy ohne regel-
rechte Belagerung — zu einer solchen fehlte es ja an schwerem
Geschütz und an Zeit — nach kurzer Beschießung mehr auf
Drängen der Einwohner, die durch das Bombardement ihr Eigen-
tum gefährdet sahen, unter denen sich auch die royalistischen
Elemente besonders regten, als etwa auf den Vorschlag der
Militärbehörden hin, die noch kämpfen wollten, aber namentlich
in Verdun kein Vertrauen mehr zu ihren Soldaten hatten1). Der
Wunsch der Preußen, rasch vorwärts zu kommen und sich nicht
mit unnützen Kosten zu belasten, hatte der Besatzung von Ver-
dun, die schon zu bedingungsloser Kapitulation bereit war,
noch freien Abzug mit Waffen und Gepäck verschafft2). Die
Besatzung von Longwy war nach deren Abgabe entlassen worden,
jedoch mit der Verpflichtung, in diesem Kriege nicht mehr gegen
die Verbündeten zu dienen3). Der Widerstand der Festungen
war den Preußen immer noch zu lang nach den Versprechungen
der Emigranten vorgekommen. Wenn Longwy sich nicht nach
der zweiten Beschießung ergeben hätte, so hätte man ein kleines
Belagerungskorps davor gelassen und wäre weitergezogen4). Den
Emigranten wurden die Festungen jedoch nicht ausgeliefert.
Die Mächte behielten sie in Verwahrung, um sie erst an König
Ludwig selbst auszuliefern, wohl schon um ihrer versichert zu
sein, wofür die Emigranten keine genügende Sicherheit geben
zu können schienen5).
Verdun war die letzte Festung gewesen, die zwischen den Verbün-
deten und Paris gelegen hatte. Der Weg dahin war frei, und dieser
Erfolg begeisterte den nüchternen und kranken6) preußischen
1) Krieg gegen die Revolution II 130—131; Ch.J.P. 215—216 und
261 ; Häußerl 369.
2) Fersen II 354—355, 361 und 33; Ch.J.P. 241 ff.
3) Ch.J.P. 184—185. Über die Ausführung vgl. jedoch Ch.V. 115—116.
*) Sohulenburg an Finckenstein und Alvensleben 22. August.
6) Sorel III 41. Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte
und Landeskunde. Neue Folge. 20. Bd. (Kassel 1895), S. 210.
6) Seit Hanau plagte ihn wieder die Gicht (Schulenburg an Fincken-
stein und Alvensleben 2. August. Rep. XI 89 k. Alopeus an Schulenburg
31. Juli. Rep. XI 89 h. Reck an Schulenburg 22. August). Bald nach
dem Einmarsch in Frankreich mußte er das Bett hüten — auch sein
Bureaustab ließ sich von ihm anstecken (Schulenburg an Finckenstein
und Alvensleben 21. August und 1. September. Rep. XI 89 k. Schulen-
burg an Lucchesini 1. September) — und schließlich erklärte der preu-
ßische Generalarzt Görcke dem Minister rund heraus, wenn er ein der-
artiges Leben während der schlechten Jahreszeit weiterführe, so setze er
Von Koblenz bis Valmy 293
Minister Schulenburg, der zwar den Versprechungen der Emi-
granten nicht getraut, aber auch an einen raschen Siegeszug
geglaubt hatte und von den militärischen Ereignissen doch nur
oberflächlich unterrichtet wurde1), so sehr2), daß er an seine
Kollegen nach Berlin schrieb : „Jetzt können wir unsern Marsch
nach Paris fortsetzen, da der General Clerfayt sich nach rechts
gegen Stenay gewandt und der General Hohenlohe, der Öster-
reicher, mit den Emigranten Diedenhofen gestern eingeschlossen
hat, dessen Übergabe wir von einem Tage zum anderen erwarten.
Mit einem Worte, von jetzt an bekommt die Unternehmung Farbe,
und wir beginnen von Erfolg zu Erfolg zu eilen " — und an dem-
sich der Gefahr aus, hier begraben zu werden (Schulenburg an Fincken-
stein und Alvensleben 7. September und Rep. XI 89 h, Schulenburg
an Reck 5. September).
*) Das war seine stets erneute Klage und zugleich Rechtfertigung
gegenüber seinen Berliner Kollegen, die von ihm Material für Zeitungs-
artikel haben wollten, besonders natürlich über den Krieg (H e i g e 1 II
26. Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 3. September. P.S.
zum Brief von Alvensleben an Schulenburg [ohne Datum, Ende Juli].
Schulenburg an Alvensleben 26. Juli in Rep. XI 89 g2. Vgl. dasselbe
Spiel in Rep. XI 89 h. Reck an Schulenburg 22. August, für Brüssel,
Schulenburg an Reck 22. und 26. August, Manstein an Schulenburg
1. September, für Wien Rep. I 170 Cesar an die Minister 3. Oktober; an
Cesar 12. Oktober. Politisches Journal 1792, S. 1007—1008;. Schulenburg
wie seine Bureaubeamten Renfner, von Dechen und Le Coq konnten sie
nicht geben; nur wenige persönliche Beobachtungen teilten sie mit
(Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 26. Juli) und was ihnen
von offiziellen Schriftstücken gerade in die Hände kam. Französische
Zeitungen kamen ihnen nur auf dem Wege über Brüssel zu, also stark
verspätet und auch nicht regelmäßig (Rep. XI 89 h. Schulenburg an Reck
22. August. Reck an Schulenburg 27. August. Dazu Schulenburg an
Finckenstein und Alvensleben 7. August). Die Berliner suchten sich daher
auf alle mögliche andere Weise Nachrichten zu verschaffen, und dabei
mußte es ihnen leider passieren, daß sie sogar von einem preußischen
Prinzen (Louis, Sohn Ferdinands) eine falsche Nachricht einer schweren
österreichischen Niederlage empfingen. Das war den preußischen Ministern
sehr peinlich. Sie dementierten das sofort und ließen durch Schulenburg
dem Prinzen in der höflichsten Form einen derben Rüffel geben (Fincken-
stein und Alvensleben an Schulenburg 16. und 29. August; 3., 7. und
15. September. Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 11. und
27. August, 7. September). Die Berliner glaubten bei dem Ausbleiben
offizieller Nachrichten schon sowieso immer nur das Schlechte.
2) Schon nach dem schließlich doch unerwartet rasch gekommenen
Fall von Longwy hatte er nach Berlin geschrieben: „Die unerwartete
Übergabe der ersten Festung beseitigt sehr viele Schwierigkeiten, und die
Sachen gehen vielleicht besser, als wir anfangs zu glauben wagten. "
(Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 27. August.)
294 HI- Abschnitt
selben Tage : , „Meine Gicht plagt mich, und ich leide schrecklich,
besonders an den feuchten, kalten Tagen, wahrscheinlich wird
sie mich zwingen, die Armee zu verlassen; bei guter Gesundheit
hätte ich sehr gern Paris gesehen, von dem wir nur noch 58 Post-
stunden entfernt sind, und keine Festung liegt mehr dazwischen.
Chälons hat Wall und Graben, das kann nicht rechnen, nachdem
Festungen so wenig Widerstand geleistet haben. Wir erwarten
von einem Augenblick zum andern die Nachricht des Falles von
Diedenhofen. Verdun ist eine schöne Stadt von 16 — 18 000 Ein-
wohnern. Die Befreiung durch unsere Armee, wie sie es jetzt
nennen, erregt große Freude. Noch vor zwei Tagen wäre ich
wahrscheinlich gehängt worden"1). Sein Nachfolger Lucchesini
werde, so äußert er wenige Tage später, auf dem bald zu eröffnen-
den Kongresse eine ähnliche Rolle spielen wie auf dem zu Sistowa,
die nötige Festigkeit habe er schon bewiesen2). Wenn der Minister
so die Dauer des Marsches bis Paris nur noch nach Wochen rech-
nete, kann man« es dem jungen Kabinettssekretär Lombard wirk-
lich nicht verargen, wenn er sich noch etwas zuversichtlicher aus-
sprach: „Der Weg nach Paris ist offen, und bis dahin haben wir
keine Feinde zu fürchten als das Geschrei der Jakobiner, welche
toller sind als je"3). Nur sehr spärlich sind die Zeugnisse von
Leuten vertreten, die sich den Kopf kühler hielten4).
Jetzt mußte sich auch der Herzog von Braunschweig wider-
willig in den bisher stets als Schimäre behandelten Plan des Königs
fügen, auf Paris zu marschieren. Hier und bei Valmy zeigt sich
besonders deutlich, wie sich in diesem Feldzuge stets zwei ver-
schiedene Systeme durchkreuzen, dadurch neutralisieren5). Der
Herzog hatte bisher nur von der Eroberung der Maaslinie und
einer Trennung der beiden feindlichen Armeen gesprochen. Das
erste schien erreicht zu sein. Das zweite konnte er nur verhindern,
wenn er weiter offensiv vorging. Das wollten weder er noch
Hohenlohe. Dieser erklärte vielmehr ausdrücklich ein weiteres
1 ) H e i g e 1 II 26. Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben
3. September. Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 10. Sep-
tember.
2) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß Nr. 37: Schulenburg an Lucchesini
8. Juni und Nr. 20: Lucchesini an seine Frau 5. September. Schulenburg
an Finckenstein und Alvensleben 7. September.
3) Hei gel II 26; Deutsche Revue 1883 I 301; Ch.J.P. 295.
4) Ch.J.P. 295—296.
5) Heigel II 29; Krieg gegen die Revolution II 121, 125, 130,
147.
Von Koblenz bis Valmy 295
Vorgehen für zu gefährlich1). Aber sollte man nun stillstehen?
Einen stichhaltigen Grund vermochte der Herzog doch nicht bei-
zubringen, die Erfolge schienen zu laut zu sprechen. Wir dürfen
uns dabei nicht von unserer heutigen Ansicht über Kriegführung
beirren lassen. Damals erschien der Vormarsch der Preußen ja
als außerordentlicher Erfolg. Stets hatten sie gesiegt2), und je
mehr man über die leichtsinnigen Versprechungen der Emigranten
sich aufregte, um so mehr freute man sich über die ans Wunder-
bare grenzende Überlegenheit der verbündeten Heere3). Es
schien kaum eine besondere Leistung zu sein, die ungeordneten
Massen der Ohnehosen zu schlagen4). Noch vor Mitte Oktober
dachte man im preußischen Hauptquartier schon in Paris zu sein5),
Breteuils Anhang sogar schon zwischen dem 22. und 24. Sep-
tember6). Lucchesini Heß sich bereits seine Briefschaften nach
Paris schicken und versprach, den zu Hause gebliebenen Damen
etwas mitzubringen, natürlich ein Kleid7). Doch wurde auf
seinen Rat der Vorschlag Breteuils, die fremden Gesandten zur
Armee zuzulassen, wenn die Heere auf 15 Meilen an Paris heran-
gekommen seien, wie die Vertreter von Österreich, Neapel, Ruß-
land, Schweden und wohl bald auch Spanien es beantragt hatten,
abgelehnt, da man die Herren doch nicht verpflegen könne;
Breteuil wisse das aus eigener Erfahrung. Man wollte wohl nicht
zu viel fremde Gäste haben, die einem hineinredeten8).
War der Marsch auch langsamer gegangen, als manche Heiß-
sporne angenommen und gewünscht hatten, so hatte er sich doch
in dem althergebrachten Gleis bewegt9). Man braucht gar nicht
anzunehmen, daß der Herzog absichtlich die Ausführung des ihm
widerwärtigen Planes verzögert hat10), ebensowenig wie etwa die
1) Häußer I 371 — 373; Krieg gegen die Revolution II 136 und
146 — 148; Mitteilungen des Kriegsarchivs. Neue Folge VII 108.
2) Die zahlreichen kleinen Gefechte lasse ich natürlich weg. Ch.J.P.
163 ff. ; Politisches Journal 1792, S. 974 ff.
3) Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 3., 7., 22. August,
3. September; Heigel II 25.
4) Lucchesini an seine Frau 7. September.
5) Lucchesini an seine Frau 11. September; Deutsche Revue 1883
I 305; Fersen II 372; Ch.V. 1—2 und 258.
6) Daudet I 208.
7) Lucchesini an seine Frau 7. und 11. September.
8) Rep. XI 89 g1, L. Au Roi 12. September.
9) Delbrück, Historische und politische Aufsätze (Berlin 1887)
238; Fersen II 358.
10) Häußer I 367.
296 in. Abschnitt
Tanz- und Paradelust des Königs schuld an der Verzögerung
war1). Noch gab es kein revolutionäres Feuer in der Krieg-
führung. Der Weg also war frei nach Paris. Schon überlegten
die Mitglieder des Conseil executif2), trotz all der in fieberhafter
Eile dekretierten, meist aber nicht ausgeführten Maßnahmen zur
Verteidigung, wohin sie sich mit dem König und dem Schatz
begeben sollten, da sie in etwa 14 Tagen den Herzog in Paris
glaubten. Dieser kleinmütige Plan scheint nur an Dantons
Widerspruch gescheitert zu sein, der ja überhaupt als der
eigentliche Leiter des Conseil executif in dieser Zeit gelten
muß, der sich auch nicht scheute, die Septembermorde zu ent-
schuldigen, die zu organisieren ihm nicht eingefallen war, die zu
verhindern in seinem Willen, nicht aber in seiner Macht gelegen
hatte3).
Nun hielt zwar der Herzog von Braunschweig selbst, ebenso
wie Hohenlohe, den Marsch auf Paris für zu gefährlich, da man
zu schwach dazu sei und sich der Maasfestungen noch nicht be-
mächtigt habe. Er meinte sogar, wenn man auch in Paris sei,
könne die Frage durchaus noch nicht als erledigt gelten; die
Revolution habe zu tiefe Wurzeln in Frankreich geschlagen,
um sich in so kurzer Zeit ausrotten zu lassen4). Er wollte
also hier stehen bleiben, sich Winterquartiere sichern und von
dieser neuen Basis aus, wenn nötig, im nächsten Jahre weiter
vorrücken5). So sprach er sich am 1. September nachmittags
in einem ergebnislosen, fünf Stunden währenden Kriegsrate im
Lager auf der Höhe von St. Michel, nordöstlich von Verdun,
aus6). Es war ein Plan, wie ihn ähnlich Napoleon auch einmal
x) Sybel II 289.
2) Ch.R. 11— 14 und 25— 37; Lescure II 619; Peltier, dernier
tableau de Paris. Ap. zu Nr. V, S. XX; Politisches Journal 1792, S. 1020.
3) Le General Comte de Segur, Histoire et memoires (Paris 1872)
I 11 — 12; Vaissiere 543, 549, 551 ; Journal d'une bourgeoise 267 bis
271 und 278 — 284; Antonin Dubost in La revolution francaise.
Revue historique publ. p. Auguste Dide VII (Paris 1884) 205 ff., 355 ff.,
386 ff., 511 ff.; F. Aulard in La revolution francaise 24 (Paris 1893),
S. 485 ff. und 25 (Paris 1893) S. 10 und 19 ff.
*) Ssolowjoff 297—298; M a r t e n s , Traites-Russie VI 159;
S o r e 1 III 40. Es ist die gleiche Anschauung, wie sie Kaunitz vertrat.
V i v e n o t II 547.
5) Nach dem Scheitern des Feldzuges wurde diese Ansicht vielfach
für die richtige erklärt. Vgl. z. B. Carisien 100 und 112.
6) FeuilletVT 344; Lettres sur Dumouriez 63 — 64; Massen-
b a c h I 42—44 und 47-^8; S y b e 1 II 300.
Von Koblenz bis Valmy 297
im Jahre 1812 gehabt hat, an der Düna stehen zu bleiben. Beide
Male kam diese vorsichtige Maßregel nicht zur Ausführung.
Man erkennt gerade hieraus, wie schwer es ist, einer im Zuge
befindlichen Bewegung halt zu gebieten1). Sie reißt ihren Ur-
heber mit sich fort zu Unternehmungen, die er selbst zuerst nicht
so beabsichtigt, sich wohl überhaupt noch nicht klar gemacht
hat. Der König ließ sich durch solche Bedenken des Herzogs
von seinem Plane nicht abbringen, ja es scheint mir sehr zweifel-
haft zu sein, ob der Herzog in seiner Gegenwart die Bedenken
gegen ein weiteres Vorgehen deutlich zum Ausdruck gebracht
hat2). Die französische Armee getraute sich auch der Herzog
schon aus ihrer Stellung herauszumanövrieren — hierbei verlor
er ja am wenigsten Soldaten — der König aber und die Berliner
Minister, sie zu schlagen3). Sollte man sich durch die unerwartet
feindliche Stimmung der Einwohner und durch den verwünschten
Regen, der schon am 30. Juli begonnen hatte4), aber seit dem
Einmarsch in Frankreich fast unaufhörlich niedergingt), darin
hindern lassen? Das erste schien militärisch nicht so viel zu
schaden und vor allem nicht nachhaltig genug zu sein, um gegen-
über der Anwendung von Gewalt das Eigentum, geschweige denn
das Leben dem Vaterlande zu opfern; das zweite traf den Feind
scheinbar in gleicher Weise6). Die Not Ludwigs XVI. schien mit
jedem Tage, den man nicht vorwärts marschierte, nur größer zu
werden. Gerade jetzt liefen die ersten Nachrichten von den
Pariser Septembermorden in Verdun ein7). Breteuil drängte da-
her auf weiteren Vormarsch8), und während die Minister glaubten,
das Königspaar sei nur noch durch eine wunderbare Fügung der
M Ch.V. 81.
2) Sor el III 41—42; Lettres sur Dumouriez 63—64; Ch.V. 82 u. 84.
3) Hei gel II 27—28; Häußer I 373; Deutsche Revue 1883
I 301.
4) ibid. I 243—244; S o r e 1 III 39.
5) Heigel II 24. Die Originale zweier Militärkonventionen
zwischen Preußen und Österreich einerseits, Mainz und Trier anderseits
brauchten in Berlin noch viele Stunden um zu trocknen (Finckenstein
und Alvensleben an Schulenburg 10. September. Görcke an Schulenburg
13. September).
6) Deutsche Revue 1883 I 300, 304, 314—315. Man vergaß dabei
jedoch, daß die Preußen stets biwakieren mußten, während die Franzosen
vielfach in Quartieren lagen. Ch.V. 125 — 126.
7) H e i g e 1 II 24—27; F e u i 1 1 e t VI 344—345.
8) H e i g e 1 II 30; D a u d e t I 208.
298 III. Abschnitt
göttlichen Vorsehung zu retten1), wurde die steigende Not für
Friedrich Wilhelm ein neuer Sporn, vorwärts zu eilen2).
So ließ sich denn der Herzog von Braunschweig noch einmal
gewinnen3). Am 6. September ging an Hohenlohe und die Hessen4)
der Befehl ab — sein Ton ist schon kategorischer geworden als
früher — die Belagerung von Diedenhofen einstweilen, nicht für
immer, aufzuheben und möglichst rasch und stark heranzu-
kommen, um an der Offensive teilzunehmen5). Auch die Emi-
granten, wenigstens die brauchbare Kavallerie, sollten jetzt nicht
mehr bloß der Armee folgen, sondern kämpfen6). Als der nötige
Brotvorrat fertig gebacken war und als Österreicher und Hessen
nahe genug herangerückt waren, um eine gemeinsame Operation
zu ermöglichen, da rückte der Herzog am 11. September früh
um vier Uhr aus dem Lager bei Verdun ab7). Betrachten wir
kurz vor dem Septemberfeldzug die Stellung der Mächte und
ihre Absichten, wie sie sich unter dem Einfluß der militärischen
Vorgänge gestaltet hatten.
II.
Diplomatische und militärische Maßregeln, Manifest und In-
vasion, hatten, so sahen wir, zusammenwirken sollen, um die
königstreue Partei in Frankreich aufzurufen zum Kampf gegen
die Schreckensherrschaft der Jakobiner. Diese Hoffnung mußte
nach den Erfahrungen des ersten Kriegsmonats als gescheitert
1) Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 26. August.
2) Die Erzählung von Louis Ferdinand scheint mindestens durch
die späteren Ereignisse beeinflußt worden zu sein. Wo sich stichhaltige
Gründe finden, lasse ich derartige Spukgeschichten beiseite ( G. H. P e r t z,
Das Leben des Ministers Freiherrn vom Stein. Bd. I [Berlin 1849] S. 97).
3) H.E.B. 299; H ä u ß e r I 373; S y b e 1 II 300—302; H e i g e 1 II
30;MassenbachI 50—51 und 97 ; Lettres sur Dumouriez 67 ; C a r i-
s i e n (129) verwechselt die Ansichten des Herzogs und Schulenburgs.
4) Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde.
Neue Folge. 20. Bd. Kassel 1895. S. 212.
6) Vivenot II 557; Krieg gegen die Revolution II 148; Ch.V.
91—93; Z e i ß b e r g, Karl-Hohenlohe 29—34; F e u i 1 1 e t VI 347—348;
Politisches Journal 1792, S. 1029—1030.
6) F e r s e n II 372; Krieg gegen die Revolution II 148—149; R. B.
des Portes, Armee de Conde 31.
7) Häußerl 375; Fersenil 364; Ch.V 76 und 105; Deutsche
Revue 1883 I 251. Lucchesini an seine Frau 11. September. Schulenburg
an Finckenstein und Alvensleben 7. September. Lettres sur Dumouriez
77—80.
Von Koblenz bis Valmy 299
gelten. Das Manifest hatte keine Wirkung ausgeübt, der Schrecken
mußte erst zur Tat werden. Aber gerade daran fehlte es bei dem
langsamen Vorrücken der Armee und bei der Langsamkeit, mit
der sich die Nachrichten davon verbreiteten (von Paris hier ab-
gesehen)1). Die Emigranten waren schon nicht an die Spitze ge-
stellt, sondern folgten bisher immer dem preußischen Hauptkorps
in drei bis vier Tagemärschen2); aber wohin sie auch kommen
mochten, überall war ihnen Verachtung und bitterster Haß sicher.
Nicht eine Partei, sondern das ganze Volk hatte man zu bekämpfen.
Wenn man nun auch die Hoffnung aufgegeben hatte, einen Teil
des Volkes gütlich für sich zu gewinnen, so hielt man doch an der
•anderen fest, sich durch die Verbreitung von Schrecken den
Kampf zu erleichtern3). Aber die Drohung blieb auf dem Papier,
da man gar nicht die Möglichkeit besaß4), sie durchzuführen.
Zwar erhoben hinter den Heeren der Verbündeten die Royalisten
wieder ihr Haupt ; aber es kam nur zu pompösen Proklamationen
und Deklarationen, es fehlte ihnen die rechte Kraft. Die meisten
Unterzeichner machten nur gezwungen mit, da sie die Wieder-
herstellung des ancien regime fürchteten5), und hierin waren die
Emigranten mit Breteuil zunächst einig, allerdings von den
Mächten nur schwach unterstützt. Nicht nur die neuerworbenen
kostbaren politischen Rechte sollten den Anhängern der Revo-
lution genommen werden, nicht nur zahlreiche Exekutionen
standen vor der Tür oder wurden schon ausgeführt, nein, auch
eine Umwälzung aller Besitzverhältnisse, wenn die Revolution
unterlag. Mit dem bittersten Haß trat man diesen Eindringlingen
entgegen6). Man schoß aus dem Versteck auf sie7). Manche
Dörfer waren zeitweise so vereinsamt (die Bevölkerung hatte sich
in die Wälder zurückgezogen), daß niemand da war, der dem
preußischen Feldjäger den Weg hätte zeigen können8). Die
*) Fersen II 32 und 357—358.
2) Montrol 110—113.
3) Rep. XI 89 i S. Au Roi 31. August.
4) Rep. XI 89 k, S. Aux membres de la communaute, au maire et
au maitre de poste ä Longuyon. Ohne Datum.
6)Häußer I 370; Heigel II 26—27; Ch.J.P. 286—287;
F e r s e n II 355; M. T e r n a u x IV 519—524; Politisches Journal 1792,
S. 974 ff.
6) Ch.J.P. 161—163; Heigel II 24; Fersen II 355— 356; Deutsche
Revue 1883 I 293—297.
7) Sorel III 39—40.
8) Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 21. August.
Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 27. August. Deutsche
300 III. Abschnitt
deutschen Soldaten ließen sich, dadurch noch gereizt, was bei
dem Mangel an Lebensmitteln nicht erst nötig war, trotz der
strengsten Verbote und Strafen doch Gewalttätigkeiten zu
schulden kommen, ohne Rücksicht darauf, welcher Parteirichtung
der Betroffene gerade angehörte1).
Dazu nun der Haß gegen den Landesfeind. Mochten die Mächte
noch so oft erklärt haben, sie kämen ohne eigennützige Absichten
— so weit dachte der einfache Mann gar nicht. Er sah die Tat-
sache, daß sein Vaterland in Gefahr war, und suchte dem zu
steuern. Beispiele wie das des Obersten Legrand in Longwy,
der sich nach der Kapitulation ertränkte, das des Oberst-
leutnants Beaurepaire in Verdun, der sich vor ihr erschoß, und
eines Jägers zu Pferde, der sich in die Maas stürzte, um dem
Kriegsgericht zu entgehen, machten berechtigtes Aufsehen und
halfen das Ansehen der französischen Truppen bei ihren Gegnern
heben2). Auch die Versuche, die französischen Truppen zum
Übertritt zu veranlassen, waren jedesmal sofort abgelehnt worden
oder hatten überhaupt keine Antwort gefunden. Deserteure
blieben so gut wie ganz aus, wohl aber verloren die Österreicher
in den Niederlanden zahlreiche Mannschaften durch Desertion3).
Demnach hatten sich die Prophezeiungen der Emigranten als
völlig irreführend erwiesen4). Nur die starke Erbitterung des
Herzogs macht es erklärlich, daß er seine gewohnte Zurück-
haltung vergaß und ihnen eine gehörige Standrede über ihre
leichtfertigen Versprechungen hielt5). Ihre militärische Unfähig-
keit trug noch dazu bei, sie in den Augen ihres besonderen Be-
schützers Friedrich Wilhelm herabzusetzen. Er war es ja ge-
wesen, der ihre Teilnahme am Kriege gegen den Widerstand
Österreichs und des Herzogs von Braunschweig überhaupt erst
möglich gemacht hatte. Dafür machten sie ihm wohl auch einen
Parademarsch vor6) und ließen ihn begeistert hochleben oder
lobten ihn bis in den Himmel; aber zu eigener Tätigkeit waren
Revue 1883 I 247, 293—296, 300, 302, 316. Vgl. über ein ähnliches, be-
sonders schwerwiegendes Vorkommnis bei den Emigranten am 24. Sep-
tember Ch.R. 222—223.
1) Politisches Journal 1792, S. 956—957; Hüffer im Goethe-
Jahrbuch IV, S. 83.
2) Ch.J.P. 186, 244—249 und 254; H e i g e 1 II 25—28.
3) Fersen II 32.
4) Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 3. September.
5) Häußer I 370; Ch.V. 81—83.
6) Ch.J.P. 283; Zeißberg, Karl-Hohenlohe 8; D a u d e t I 201.
Von Koblenz bis Valmy 301
sie doch fast alle unbrauchbar. Vor allem fehlte es ihnen am
Nötigsten. Sie hatten anfangs mit dem Geld nur so geworfen.
Bald stellte sich natürlich mit dem Versiegen ihrer Einnahme-
quellen — die Revolution ging nicht so rasch an eigener Unmög-
lichkeit zu Ende, wie sie gedacht hatten — drückende Not ein.
Aber wirtschaften lernten sie trotzdem nicht, Calonne, der Mann
für alles, am wenigsten. So dauerte es gar nicht lange, da kamen
sie mit neuen Geldforderungen zu Friedrich Wilhelm. Dieser
fügte sich zwar dem Zwang der Lage trotz des Abredens von
Schulenburg, der sich mehr und mehr auf den österreichischen
Standpunkt stellte. Denn das war es. Er wollte nicht eine Mög-
lichkeit aus der Hand geben, mit der er so lange gerechnet hatte,
und ließ deshalb nolens volens noch ein paar hunderttausend
Taler springen. Dazu kam seine persönliche Gutmütigkeit und
die Möglichkeit, ihn im Gespräch leicht zu bestimmen. Aber er
wurde nun doch kühler und legte sich auch nicht mehr so für
sie ins Zeug, als sie den lange gehegten Plan, Monsieur zum
Regenten zu erklären, ins Werk setzen wollten.
Gleich nach dem Bekanntwerden der Ereignisse des 10. August1),
am 16.2), war erneut davon die Rede gewesen3). Calonne hatte
jetzt die Anregung gegeben; Moustier, Castries, Lambert be-
mühten sich darum4), Nassau hatte beim König den Vorschlag
aufs Tapet gebracht, Monsieur selbst diesen davon unterhalten5).
Der König hatte im Lager von Montfort noch unter dem Ein-
flüsse von Bischoffwerder zugestimmt und sogar den Fürsten
Reuß zu gewinnen gesucht. Auch der Herzog von Braunschweig
hatte sich darein gefügt, als Nassau ihm militärische Vorteile
versprach. Monsieur sollte den Titel annehmen, sowie die Nach-
richt von Ludwigs Gefangennahme bestätigt sei, und das dann
einfach den Österreichern anzeigen. Aber jene Nachricht traf
nicht so bald ein, als man erwartet hatte. Dazu stellten der
Herzog von Braunschweig bezw. der König noch zwei recht be-
x) Die Nachrichten über die Pariser Ereignisse dieses Tages hatten
überall den tiefsten Eindruck gemacht. Mercy dachte sofort wieder an
einen Versuch mit den Konstitutionellen, aber Fersen und Breteuil
widersprachen sofort. Nur wenn die Generale zu den Mächten übergingen,
ihre Armeen auflösten und die Festungen auslieferten, gewinne man
wirklich etwas (Fersen II 29).
2) Deutsche Revue 1883, Bd. I, S. 240.
3) Feuillet VI 330—331 und 338—339; Ranke 293—294.
4) Fersen II 30.
5) Daudet I 203.
302 III- Abschnitt
denkliche Bedingungen. Ludwig müsse dem Plane vorher zu-
gestimmt haben, und der Rat der Prinzen solle reorganisiert
werden, Breteuil an Calonnes Stelle treten. Der König fiel also
im Feldzuge nicht so ganz zu Gunsten der Prinzen um, sondern
suchte ihnen seine Richtung aufzuzwingen1). Immerhin, die
Emigranten fügten sich. Sie schienen schon gewonnen zu haben
und nahmen dem verhaßten Breteuil gegenüber einen ganz
anderen Ton als bisher an. Nach ihrem Plane2) sollte der Graf
von Provence den Titel Generalstatthalter des Königreiches
(Lieutenant General) annehmen nach dem Beispiel des Herzogs
Karl von der Normandie, als dessen Vater Johann gefangen
wurde3). Der Herzog von Braunschweig sollte ihn im Namen
von Österreich und Preußen in dieser Würde anerkennen. Ge-
heim wollte Monsieur dann erklären, ohne die Zustimmung der
Mächte nichts tun zu wollen. Sein Staatsrat sollte aus Personen
zusammengesetzt sein, die ihnen und vermutlich auch Ludwig
angenehm seien, die Umgebung und die Armee nach einem Fried-
rich Wilhelm vorgelegten Plan umgestaltet werden. Der Regent
wollte sich etwas von der Armee entfernt halten. Artois endlich
sollte das Kommando über die Emigranten und die noch über-
tretenden Truppenteile erhalten.
Aber die Gegner der Emigranten waren auf der Hut. Die Ver-
treter Breteuils und Österreichs, Caraman und Reuß, hatten hier
das gleiche Interesse an der Verhinderung. Caraman hatte auf
die Bitte Breteuils von Friedrich Wilhelm die Erlaubnis erhalten,
in preußischer Majorsuniform — auch der Rang wurde ihm zu-
gebilligt — der Armee zu folgen, um seine geheime Mission bei
Friedrich Wilhelm und dem Herzog den Augen unbefugter, neu-
gieriger Zuschauer besser zu verbergen4). Caraman fürchtete für
Ludwigs Leben und beanspruchte die Zuziehung Breteuils. Reuß
*) Feuillet VI 330—331, 339; Fersen II 30—31.
2) In Rep. XI 89 g und in Rep. XI 91 varia. Ohne Bezeichnung und
Datum.
3) Bei A. Co ville, les premiers Valois et la guerre de cent ans (in
L a v i s s e, Histoire de France depuis les origines jusqu' ä la revolution IV 1,
Paris 1902) S. 102 und 110 ist angegeben: lieutenant du roi. Ich kann
darin einen Unterschied aber nicht entdecken.
4) F 1 a,m mermont29; Rep. XI 91 varia. Breteuil an Schulen-
burg 4. Juli. Schulenburg an Breteuil 16. Juli. Dazu Finckenstein und
Alvensleben an Schulenburg 12. August. Schulenburg an Finckenstein
und Alvensleben 18. August. Fersen II 23 und 336. Auf die Dauer
hatte das keinen Erfolg: Daudet I 190.
Von Koblenz bis Valmy 303
wirkte natürlich gegen eine Wiederherstellung des alten Zustandes.
Er verlangte, daß vor der Entscheidung sein Hof gehört werde.
Schulenburg hörte erst durch ihn und Caraman davon, kam
ihnen dann sofort zu Hilfe1) und sprach sich in schärfster Form
gegen den Plan aus. Er berief sich dafür noch besonders auf
Vorstellungen von Metternich, den Breteuil aufgestachelt hatte,
durch Reuß und von Breteuil durch Caraman2). Der König ließ
sich dadurch zu einer Vertagung der Entscheidung bestimmen,
bis Österreich sich ausgesprochen habe3). Dem Herzog von
Braunschweig schien der Fall von Longwy zu beweisen, daß man
die Emigranten gar nicht brauche, um des Erfolges sicher zu
sein4). Damit hatten die Emigranten verloren. Sie kamen immer
nur mit neuen Geldforderungen, ohne etwas dafür zu leisten.
Das wurde auch dem Könige zu viel. Er überließ jetzt zur Freude
von Reuß5) die Entscheidung einer Konferenz der Staatsmänner
und hatte selbst, auch durch Nassau und Caraman, Breteuil dazu
herbeigerufen6).
Die Konferenz konnte nach ihrer Zusammensetzung nur gegen
den Antrag entscheiden. Zu Verdun im Hause Schulenburgs,
der damit die Geschäfte an Lucchesini abgab, fand sie am 8.
abends statt. Außer den beiden Preußen nahmen daran noch
teil Reuß, Breteuil, Nassau und als Vertreter der Prinzen Moustier,
1 ) Fersen II 30; V i v e n o t II 525 und 533.
2) Rep. XI 89 i, S. Au Roi 23. August; F e r s e n II 31. Schulenburg
an Finckenstein und Alvensleben 27. August. Zeißberg, Karl-Hohen-
lohe 23—24.
3) Feuillet VI 331 und 339; Fersen II 354.
4) Fersen II 353.
5) V i v e n o t II 555.
6) Doch ist es wohl zu viel behauptet, daß er sich auf Nassaus Auf-
forderung in Bewegung gesetzt habe. Feuillet VI 331; Fersen II
30 — 31 und 352. Breteuil hatte schon lange ebenso wie Fersen die Absicht,
auf kurze Zeit einmal ins preußische Hauptquartier zu gehen; beide
wollten den König für ihre Sache beeinflussen (Fersen II 30 — 31, 341
bis 342, 376). Am 28. verließ Breteuil Brüssel, passierte am 4. September
Luxemburg und. traf am 6. in Verdun ein (H ü f f e r, Zwei neue Quellen 11 ;
Raigecourt-Bombelles 363). Schon am 7. April verwies
Friedrich Wilhelm Lucchesini an ihn als den wahren Vertreter des fran-
zösischen Königspaares (Fersen II 34 und 368; Rep. XI 89h.
Schulenburg an Reck 28. und 31. August. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß
Nr. 12: Friedrich Wilhelm an Lucchesini 27. August und 7. September).
Auch Limon wäre herzlich gern ins Hauptquartier gekommen, aber zu
seinem großen Leidwesen berief ihn niemand zur Vermittlung zwischen
den Prinzen und Breteuil.
804 HI. Abschnitt
vielleicht auch noch Lambert und der Abbe Marie1). Lucchesini,
der als Protokollführer fungierte, hatte sich schon am 7. gegen
den letztgenannten in dem Sinne ausgesprochen, daß man in
vier Wochen Klarheit haben müsse und daß mit dem Aufschub
nichts verloren sei2). Er holte sich hier während der Kampagne
die ersten Blätter zu dem Lorbeerkranze, den man vergeblich
daraus zu winden sich bemühen würde3). Moustier hatte wahr-
scheinlich schriftlich schon vor einiger Zeit einen Plan der Emi-
granten, der die Wünsche der Prinzen kurz aufzählte4), vorgelegt5).
Wenn er jetzt zur Ausführung gekommen wäre, so hätten die
Mächte noch ganz zufrieden sein können. Aber Schulenburg
kannte seine Leute. Er gab auf ihre Versprechungen nichts,
zumal wenn sie noch geheim bleiben sollten. Reuß und Breteuil,
natürlich auch Lucchesini, unterstützten ihn, und Nassau, der
den russischen Standpunkt dargelegt hatte, demzufolge Monsieur
bereits rechtmäßig Regent sei, schwieg nach der Erklärung
Breteuils sehr zum Ärger Katharinas still. Was Schulenburg
aber vor allem zur Ablehnung des Planes bestimmte, war, daß
er sich keinen Nutzen von diesem neuen Schritte versprach, eher
noch Schaden für die Aktion, für Frankreich, für den Grafen
von Provence, für Österreich und Preußen6). Denn der Gedanke
1 ) Ranke 225—227 ; F e u i 1 1 e t VI 342—343. In dem Protokoll,
dem ich in der Hauptsache folge, sind Lambert und Marie nicht genannt.
Rep. XI 89 g1 und Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 20.
2) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 20.
3) Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 10. September.
4) Er scheint nur in Äußerlichkeiten abgeändert worden zu sein
(Ch.J.P. 291 — 292). Nicht Generalstatthalter, sondern Regent wollte
Monsieur werden, da dieser Titel allein ihm die volle königliche Macht
verleihe. Nicht auf Karl von der Normandie, sondern auf Maria von
Medici und Anna von Österreich bezog er sich, also auf Regentschafts-
perioden während der Minderjährigkeit von Ludwig XIII. und XIV.
Mariejol, Henri IV. et Louis XIII. (in E. L a v i s s e , Histoire de
France depuis les origines jusqu'ä la revolution VI 2. Paris 1905),
S. 143 und E. Lavisse, Louis XIV. La Fronde, Le Roi. Colbert
(ibid. VII 1. Paris 1906), S. 1 — 3. Die Prinzen selbst zogen noch andere
Beispiele heran (Moniteur vom 23. Oktober 1792).
6) Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 10. September.
Daß der Plan jetzt noch einmal verlesen worden sei, ist wohl nicht an-
zunehmen (FeuilletVI 343, wo das auch nicht steht). Wir dürfen
den Plan als bekannt voraussetzen, so wie auch die Prinzen nur noch Er-
gänzungen und Erläuterungen in ihrer Instruktion vom 5. September
dazu geben (Moniteur vom 23. Oktober 1792).
6) Von Ludwig selbst scheint nur ganz vorübergehend die Rede ge-
wesen zu sein, die Staatsmänner nahmen in der Konferenz kaum Notiz
Von Koblenz bis Valmy 305
an das preußische Interesse vornehmlich leitete ihn. Mit einem
König und einem Regenten konnte man später doch nicht gut
verhandeln1). Der Schritt gebe den Armeen nicht mehr Kraft,
als sie schon hätten ; die Verwaltung des Landes werde noch mehr
verwirrt, als sie es schon sei ; räumlich und zeitlich würden der Aus-
führung enge Grenzen gezogen (man hoffte ja bald in Paris zu
sein), der Graf ganz auf die Mithilfe der Armeen angewiesen sein;
die Erklärung werde Friedrich Wilhelms Ärger nur noch ver-
größern und Österreich sei überhaupt gegen den Plan. Als Bre-
teuil einen Mittelweg vorschlug, der Graf solle den Titel nur für
das bereits eroberte Gebiet annehmen, da brachte Schulenburg
ihn ohne große Mühe dazu, selbst den Vorschlag zurückzuziehen2),
zumal Moustier zu erklären hatte, sein Herr wolle alles oder
nichts. Vorläufig sollte Monsieur nur nach Madrid, Neapel, Turin
und Petersburg melden, daß er für den Fall einer Abführung
Ludwigs nach dem Süden den Titel Regent annehmen wolle und
die Mächte um ihre Zustimmung bitte. Reuß und Lucchesini,
der Schulenburg ein wertvoller, ersehnter Kampfgenosse gegen
die Emigranten war, wollten für diesen Fall die Befehle ihrer
Herrscher einholen. Dagegen sollte für jetzt die Verwaltung des
eroberten Gebietes unter Breteuils Leitung geregelt werden, der
aber immer die Meinung von Monsieur einzuholen haben und
völlig unter den Heerführern stehen sollte, wie Breteuil selbst
zur Freude Schulenburgs vorgeschlagen hatte3). Für den Unter-
halt der übergetretenen französischen Regimenter endlich sollte
nach Schulenburgs Vorschlag durch Erhebung von Steuern ge-
sorgt werden (man erkennt das preußische Interesse).
So war also dieser große Schlag der Emigranten an der Vorsicht
der Mächte vorläufig gescheitert4) . Es war der letzte Dienst gewesen,
den Schulenburg dem Könige im Lager hatte leisten können6).
von ihm. Das persönliche Mitgefühl Friedrich Wilhelms mit ihm doku-
mentiert sich damit wieder einmal als Akzidens in der politischen Be-
rechnung. *" .. ■ i **
1 ) Ranke 226.
2) War das etwa vorher zwischen Schulenburg und Breteuil ver-
einbart worden?
3) Heigel II 29 — 30. Schulenburg an Finc kenstein und Alvens-
leben 10. September.
*) R.B. des Portes, Armee de Conde 31.
5) Rep. XI 89 g Zirkularerlaß vom 5. September. Schulenburg an
Finckenstein und Alvensleben 7. September. Friedrich Wilhelm an
das Kabinettsministerium 7. September. Finckenstein und Alvensleben
Au Roi 17. September.
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Eevolution 20
306 HL Abschnitt
Denn krank1) und verärgert verließ er die Armee2) und ging
zu seinen Kollegen nach Berlin zurück , um dort vornehm-
lich noch die Entschädigungsverhandlungen zum Abschluß zu
bringen. Ich habe oben seine Äußerungen über seine Krank-
heit zusammengestellt. An ihrer Gefährlichkeit ist meines Er-
achtens nicht zu zweifeln, und, wie Schulenburg selbst sagte,
ein nur halb dienstfähiger Mann war im Lager nicht zu brauchen.
Er konnte schließlich zu dem Könige nicht mehr zum Vortrag
kommen, mußte also alles schriftlich zu erledigen suchen und bat
wohl gleichzeitig damit um die Erlaubnis zur Heimkehr3). Aber
damit will ich nicht in Abrede stellen, daß die Geschäfte durchaus
nicht in seinem Sinne vom Könige geregelt wurden4). Seine Briefe
an Finckenstein und Alvensleben sind eine stets erneute Klage
über den Mangel an Vertrauen, den er von dem Könige erfahren
müsse, der über seinen Kopf hinweg wichtige Dinge entscheide,
ohne ihn auch nur davon in Kenntnis zu setzen, der sich von
den Emigranten nur allzusehr bestimmen lasse. Dieser Umstand
hat dem Faß wohl den Boden ausgeschlagen. Schulenburg hatte
wie jedermann dem Könige nur von einem raschen Siegeszuge
gesprochen, und in diesem Sinne auch früher einer Begünstigung
der Emigranten das Wort geredet. Aber seit Mainz kam er in
scharfe Opposition zu seinem königlichen Herrn, der die einmal
eingeschlagene Bahn auch weiter verfolgte, selbst als er von der
militärischen Unbrauchbarkeit der Emigranten überzeugt
war. Schulenburg erreichte mit seinem ewigen Widersprechen
beim Könige auf die Dauer so gut wie gar nichts und schadete
sich damit sehr bei ihm. Zugleich stellte sich heraus, daß man
sich völlig über den Zustand Frankreichs getäuscht hatte, und
das war nur zum Teil auf Rechnung der Emigranten zu setzen;
auch aus dem Verhalten der französischen Regierung, der National-
versammlung und der Armee hatte man in Berlin auf völlige
Zerrüttung des französischen Staates geschlossen5). Die Schuld
an dieser Täuschung schob Friedrich Wilhelm nun seinem Minister
zu, weniger seinem Generaladjutanten BischofEwerder, der jetzt
1 ) Schon in Koblenz hatte er den Gedanken geäußert, zurückzukehren
(Rep. XI 89 h. Reck an Schulenburg 27. August).
2) Fersen II 367; Ranke 243; Sybel II 356.
3) Rep. XI 89 i, S. Au Roi 28. August; Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß
37: Schulenburg an Lucchesini 17. September. Lucchesini an seine Frau
5. September. K o s e r 469 — 470.
4) Rep. XI 89 h. Schulenburg an Reck 31. August.
6) Vgl. oben.
Von Koblenz bis Valmy 307
mehr in den Hintergrund trat, schon weil er sich angeblich von
den Emigranten hatte bestechen lassen1). Grüns tüng und Minister
traten zu gleicher Zeit von den führenden Posten zurück, ohne
daß sie gleiche Ziele mit gleichen Mitteln zu erreichen gesucht
hätten. Denn ein gedeihliches Zusammenarbeiten war zwischen
Friedrich Wilhelm und Schulenburg nicht mehr möglich. Er
wartete nur noch die Ankunft Lucchesinis im Hauptquartier
ab, um die Armee zu verlassen2). Am 7. September wurde die
Veränderung vom Könige dem Kabinettsministerium bekannt-
gegeben.
Gleichwohl wäre es nicht richtig, wenn man Lucchesini als
eigentlichen Nachfolger Schulenburgs betrachten wollte3). Er
blieb es ja de facto etwa ein Jahr, aber das war nicht beabsichtigt.
Er sollte nur die Frankreich betreffenden Geschäfte erledigen4),
dann Preußen auf dem Kongreß vertreten und die Stelle eines
preußischen Gesandten in Paris erhalten. Ins Kabinettsmini-
sterium sollte er nicht eintreten. Hier wie so oft füllte er nur
eine Lücke aus, die, wie er stolz an seine Frau schrieb, seine
Kollegen nicht schließen konnten. Man erwartete von ihm, daß
er hier eine ähnliche Rolle spielen werde wie in Sistowa und daß
er die preußische Politik nicht unter den Einfluß Breteuils, der
Prinzen oder des Kaisers geraten lassen werde5). Es hat nicht
einmal an ihm gelegen, daß das Provisorium so lange dauerte.
Denn Haugwitz war vom Könige zum Nachfolger Schulenburgs
ausersehen worden (vgl. oben). Nur sein Mangel an Geschäfts-
sinn, an Fähigkeit, lange zu arbeiten, und die nach der Ansicht
des Königs wie des Kabinettsministeriums vorzüglichen Dienste
Lucchesinis hielten ihn so lange im Lager fest. Am 6. August
hatte er den königlichen Befehl vom 29. Juli erhalten6). Am
1) Lucchesini an seine Frau 11. September.
2) R a n k e 47, 278; H.E.B. 297—298; P e 1 1 i e r, dernier tableau
de Paris. Ap. zu Nr. V, S. XII; F e u i 1 1 e t VI 344; Deutsche Revue 1883
I 305 ; Rep. XI 89 h. Reck an Schulenburg 27. August. Schulenburg an
Reck 31. August. Rep. XI 89 k. Schulenburg an Lucchesini 1. September.
Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 37: Schulenburg an Lucchesini 13. Novem-
ber. WassiltchikowII4, 163.
3) Minerva Bd. 184, S. 4; Politisches Journal 1792, S. 1085—1087.
*) Schulenburg an Lucchesini 1. September in Rep. XI 89 k.
5) Lucchesini an seine Frau 11. September. Finckenstein und
Alvensleben an Lucchesini 23. September.
6) Bericht Lucchesinis 7. August. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12:
Friedrich Wilhelm an Lucchesini 29. Juli (auch in Rep. XI 89 g2 ). H ü f f e r,
Zwei Quellen, S. 11; Rep. XI 89 k. Lucchesini an Schulenburg 8. August.
308 HI. Abschnitt
16. früh 6 Uhr war er aus Warschau abgereist, ohne dort zu-
nächst sein wahres Reiseziel bekannt zu geben — er reiste angeb-
lich ins Bad nach Pyrmont1). Am 20. war er in Berlin, wo er
im Kabinettsministerium Besprechungen hatte2), und reiste über
Leipzig, Erfurt, Frankfurt, Mainz, Trier nach Luxemburg3).
Als er hier die weiteren Befehle des Königs erhalten hatte4),
reiste er weiter ins Lager. Am 4. September war er in Verdun,
noch vor Breteuil, den er schon 1779 kennen gelernt hatte und
mit dem er lange zu tun haben werde, wie er glaubte5). Schulen-
burg weihte ihn, so gut es ging, in den Stand der Lage ein6).
Am 9. übergab er dem Kabinettssekretär Lombard alle Chiffren'''),
und am 11. früh reiste er nach Berlin über Frankfurt ab8). Nach
einer Erholungspause von etwa 14 Tagen nahm er dort die Arbeit
wieder auf, freilich seiner Gesundheit wegen nur in stark ein-
geschränktem Maßstabe. Alle seine Briefe aus dieser Zeit sind
auf einen, ich möchte sagen, weinerlichen Ton gestimmt9). Er
1 ) Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 20. Juli. Fincken-
stein und Alvensleben an Schulenburg 4. August. Schulenburg an
Finckenstein und Alvensleben 22. und 27. August, 1. September. Lucche-
sini an seine Frau 8. August, 16. August. Lucchesini an Schulenburg
7. Juli und 8. August. Er ließ auch seine Sachen noch in Warschau. Den
Vorwand der Badereise hatte ihm der König selbst an die Hand gegeben.
2) Finckenstein und Alvensleben an Schulenburg 21. August.
Lucchesini an seine Frau 21. August. L. Au Roi 21. August (in Rep. 92
Lucchesinis Nachlaß 12).
3) Lucchesini an Schulenburg 27. August in Rep. XI 89 k. Lucchesini
an seine Frau 28. und 31. August. Aus einer in Verbindung hiermit ge-
planten Fahrt rheinab- und moselaufwärts wurde zu Lucchesinis großem
Bedauern nichts.
4) S. Au Roi 11. und 18. August (Rep. 96, 147 G II). Friedrich
Wilhelm an Schulenburg 11. August in Rep. XI 89 i. Schulenburg an
Lucchesini 23. August in Rep. XI 89 k.
5 ) Rep. XI 89 h. Schulenburg an Reck 5. September. Lucchesini an
seine Frau 2. September.
6) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12: L. Au Roi 6. September. Fried-
rich Wilhelm an Lucchesini 6. September.
7) Rep. XI 89 i. Schulenburg an Friedrich Wilhelm 9. September.
8) Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 10. und 18. Sep-
tember. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 37: Schulenburg an Lucchesini
17. September.
9) Vgl. auch: Mirabeau in Berlin als geheimer Agent der französischen
Regierung 1786 — 1787. Herausgegeben von Henry Welschingen. Über-
tragen und bearbeitet von Oskar Marschall von Bieberstein. Leipzig 1900.
S. 391. Daraus erklärt sich auch der merkwürdige von Lehmann heran-
gezogene Brief Schulenburgs an Stein vom 30. Oktober (Max Leh-
mann, Freiherr vom Stein, Bd. I 143).
Von Koblenz bis Valmy 309
war körperlich und geistig ganz herunter und sehnte sich nach
Ruhe. Sowie die Entschädigungsfrage geregelt worden war, in
der er die besondere Leitung zugewiesen erhalten hatte, schied
er aus dem Kabinettsministeriuni aus.
Also vom 11. September an war Lucchesini im preußischen
Hauptquartier der leitende Diplomat. Freilich darf man das
nicht so verstehen, als ob er nun mit neuen Ideen hingekommen
und sie kräftig durchzuführen entschlossen gewesen sei. Das
letzte war überhaupt nicht seine Sache1). Er trat immer behut-
sam auf und suchte auf Umwegen dasselbe zu erreichen, wie
andere durch derbes Zufassen. Es ist ganz das Vorgehen eines
alten Fuchses, wie ihn Dumouriez einmal bezeichnete2). Er ver-
körpert die alte Diplomatie mit ihren Distinktionen und Prokla-
mationen, ihrer Geheimpolitik, ihrer Bereitwilligkeit, ohne irgend-
welche Rücksicht als das eigene Staatsinteresse zu kennen, -Ver-
träge zu brechen und zu schließen, nur um die Macht des Staates
zu erhöhen. Gewiß, manche Züge erinnern an Friedrich den
Großen, als dessen Schüler er selbst sich so gern bezeichnet3)
Aber gerade das Charakteristische von dessen Persönlichkeit fehlte
ihm. Er hat nichts Großes. Ein Mann, so schmiegsam wie er, dem
man mit Recht ein Übermaß von Feinheit zugeschrieben hat, der
stets etwas von einem Lakaien an sich trug4), gehörte an die Seite
des Königs, um dauernd mit ihm arbeiten zu können. Und doch
begreift man es, daß Friedrich Wilhelm ihn nicht gern um sich
sah. Männer wie BischofEwerder und Haugwitz — den letzteren
hat er angeblich schon 1790 zum Minister machen wollen5) — ,
die kräftig auftraten und frei von der Leber weg sprachen, ohne
Nebenrücksichten zu kennen — so glaubte er wenigstens — die
sich aber doch seinem Willen fügten, das waren seine Leute.
Ihr Hang zum Mystizismus trug nicht wenig dazu bei, sie ihm
näher zu bringen6) und ihn von dem Voltairianer Lucchesini zu
entfernen, der mit seinem überlegenen Lächeln auf derartigen
1 ) Der König bezeichnete die Sache ziemlich richtig mit der Angabe,
Lucchesini habe unter seiner Leitung die französischen Geschäfte zu er-
ledigen (Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12: Friedrich Wilhelm an Lucchesini
6. September).
2) Sorel III 45—46; Ch.R. 152.
3) Lucchesini an seine Frau 14. und 18. Januar 1793.
*) H ü f f e r, Zwei neue Quellen, S. 8.
5) Ranke 47, 275.
6) Koser 470—472; Schlosser V 406—407; Bailleu in der
Deutschen Rundschau, Bd. 20 (1879), S. 272.
310 HI. Abschnitt
Spuk herabsah. So war er für den König stets der Mann, der
den festgefahrenen Wagen wieder freizumachen hatte, und oft
genug hat er ihn deshalb zu sich berufen, aber persönlich lange
mit ihm zu arbeiten, war dem Könige unmöglich. Er gab ihm
einen guten, nicht zu weit abliegenden Posten im Auslande1).
Lucchesini kam ins Lager, als eine entscheidende Frage an Preußen
gestellt wurde. Er verstand sie überhaupt nicht und konnte sie
daher auch nicht beantworten. Er bewegte sich durchaus in den
Bahnen seines Vorgängers, nur geschickter als jener.
Calonne, der sich mit seiner finanziellen Mißwirtschaft das
Vertrauen sogar der Prinzen verscherzt haben soll2) und der
selbst schon (aber ob ernsthaft, ist doch sehr die Frage) Rück-
trittsabsichten geäußert hatte3), war zwar noch nach Verdun mit-
gekommen und hatte mit der Reorganisation der Verwaltung
begonnen4). Aber Friedrich Wilhelm hatte ihn in der liebens-
würdigsten Weise beseitigt5), die Konferenz von Verdun machte
seinem Wirken ein Ende6). Er wurde von der Zentralstelle
entfernt und gab nur noch kurze Zeit schwache Lebenszeichen
von einer amtlichen Tätigkeit7). Er reiste nicht nach Italien ab,
wie man zuerst meinte, sondern nach England8). Aber jetzt
mußte er es büßen, daß er früher Geld, das ihm nicht gehörte,
mit vollen Händen ausgegeben hatte. Er wurde in London
Schulden halber gerichtlich festgesetzt9). Es war ihm nicht zu
verdenken, daß er diesem ungastlichen Lande möglichst rasch
den Rücken kehrte und sich nun nach Italien oder Spanien be-
gab10). Seinem Herrn, dem Grafen Artois, wäre es im nächsten
Jahre wohl ebenso gegangen11), wenn er es nicht vorgezogen hätte,
es auf diese Gefahr nicht erst ankommen zu lassen und englischen
Boden überhaupt nicht zu betreten. Aber wo er auch hinkommen
1) Lucchesini an seine Frau 1. November 1792.
2) Fersen II 34.
3) Feuillet VI 240.
4)TernauxIV 148—149 und 530—532; D a u d e t I 205—206.
5) Feuillet VI 330.
6) Schulenburg an Finckenstein und Alvensleben 10. September;
F e u i 1 1 e t VI 339 und 343; ForneronI 345—346.
7) Ternaux IV 530.
8) F e r s e n II 34, 36, 38 und 341 ; Rep. XI 89 k. Schulenburg an
Keller 30. September.
9) Daudet I 228.
10) Vaudreuil II 109—111, 119—120, 137.
") DaudetI 242—243; S o r e 1 III 331.
Von Koblenz bis Valmy 311
mochte, Schulden schien er überall zu haben und fand deshalb
so bald noch keine Ruhe.
Breteuil war an Calonnes Stelle getreten und begann unter
dem militärischen Schutze des Herzogs von Braunschweig1) und
mit Lucchesinis Hilfe die monarchische Reaktion ins Werk zu
setzen2), und zwar mit der Vertreibung der vereidigten und der
Wiedereinführung der nichtvereidigten Priester in ihre Ämter
und mit der Rückgabe des Restes der Güter, die noch nicht
verkauft waren3). Aber auch nur die Anwesenheit der Preußen,
deren Kommissare schon mit der Eintreibung von Steuern be-
schäftigt waren, und dabei auch gelegentlich die Demarkations-
linie nicht genau innehielten, die ihr Gebiet von dem österreichi-
schen Anteil trennte, ermöglichte diese schwachen Ansätze zur
Wiederherstellung des alten Zustandes. Private Interessen mögen
dabei wohl manchmal ein gewichtigeres Wort gesprochen haben
als die politischen4). Es zeigte sich auch an dieser Stelle, daß es
zwar leicht ist, umzustürzen, umso schwerer aber, aufzubauen.
Damals jedoch schwelgte man in dem Hochgefühl eines schon
halb und bald ganz errungenen Sieges. Wie lange konnte es noch
dauern, so war Ludwig befreit und einigte sich mit dem lange
geplanten Kongreß der europäischen Mächte über die zukünftige
Gestaltung Frankreichs5) !
Den Emigranten lag aber doch zu viel an der Ausführung
ihres Planes und zu wenig an dem Leben Ludwigs XVI., als daß
sie nicht noch einen neuen Versuch hätten wagen sollen, um von
Friedrich Wilhelm die Zustimmung zu der Annahme des Regenten-
titels durch Monsieur ohne Rücksicht auf Österreich zu erlangen.
1) Ternaux IV 149—151.
2) Rep. XI 89 g1. Lucchesini an Friedrich Wilhelm 12. September.
3) Fersen II 367—368, 373. Lucchesini an seine Frau 20. Sep-
tember. Rep. XI 89 h. Reck an Schulenburg 27. September. Rep. XI
89 k. Schulenburg an Tauenzien 5. September. Rep. 92 Lucchesinis
Nachlaß 40 III : verschiedene Aktenstücke darüber. Rep. XI 89 i, S. Au
Roi 22. und 31. August. — Das preußische Feldkriegskommissariat trieb
in der ganzen Kampagne 261 207 Livres ein und brachte etwa 200 000
davon aus Frankreich zurück, aber in Assignaten, also tatsächlich nur
etwa 100 000 (Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 III: 23. Oktober).
4) Daudet, Coblentz, S. 368 ff. (23. September).
5) Jetzt näherte sich übrigens auch Moustier dem Baron Breteuil,
da er die Sache der Emigranten für verloren hielt. Das trug ihm von der
Seite des preußischen Kabinettsministeriums den angeblich schon lange
verdienten Titel eines Chamäleons ein (Lucchesini an Friedrich Wilhelm
12. September. Finckenstein und Alvensleben an Lucchesini 23. Septbr.).
312 HI. Abschnitt
Ihr scheinbarer Hauptfeind Schulenburg war nicht mehr da1),
und im Lager hofften sie wohl, den König, entfernt von seinen
bösen Diplomaten, schon herumzubekommen. Aber da hatten
sie Lucchesinis Bedeutung doch unterschätzt. In dem Geschäfte,
Gegenminen zu legen, Ausflüchte zu suchen, dabei doch den Ent-
gegenkommenden zu spielen, war er groß. Am 11. September
abends kam Graf Artois noch einmal zu ihm und besprach mit
ihm und Breteuil die Kegentschaf tsf rage, und zwar so hochmütig,
daß es den Anschein hatte, als seien es nicht Friedrich Wilhelm
und Franz, die die Jakobiner vernichteten und Ludwig aus seiner
Gefangenschaft befreiten, sondern die Emigranten2). Um so
merkwürdiger war bei einer derartigen Sprache ihre volle Un-
fähigkeit. Artois hatte dabei noch die Unvorsichtigkeit, mitzu-
teilen, daß er am 13. ganz früh zum König reiten wollte, um ihm
die Zustimmung zu entreißen. Wenn Monsieur den Titel einmal
angenommen habe, werde Friedrich Wilhelm wahrscheinlich ge-
zwungen sein, ihn anzuerkennen. Das war gefährlich. Sofort traf
Lucchesini eiligst alle Maßregeln, um am 14. selbst ins Lager
reisen zu können, so ungern er sich auch für einige Tage von
Breteuil trennte. Inzwischen schrieb er mit fein berechneter
Wendung an den König selbst und an Reuß, der bei der Armee
war, nur ja fest darauf zu bestehen, daß ohne den Kaiser in dieser
Frage nichts entschieden werden dürfe, und damit Friedrich
Wilhelm einen guten Vorwand — ein wichtiger Hinweis — zu
liefern, die Bitte der Prinzen abzulehnen. An seiner Unterstützung
solle es nicht fehlen, bald auch an mündlicher. Endlich benach-
richtigte er noch Manstein von allem und wies Bischoffwerder
darauf hin, wieviel Rücksicht Friedrich Wilhelm in dieser Frage
den Österreichern schuldig sei. Er suchte also dessen Vorliebe
für die Emigranten durch die gleichfalls vorhandene für Öster-
reich unschädlich zu machen. So konnte er in der Tat glauben,
diesem heimtückischen Streich der Prinzen seine Kraft genom-
men zu haben, den diese Breteuil (und dem Könige, dürfen wir
dazusetzen) in der Zeit beibringen wollten, in der Friedrich Wil-
helm allein bei der Armee weilte3). Es scheint auch, als seien die
Prinzen unverrichteter Sache am 15. aus dem preußischen Haupt-
1 ) Ranke 294.
2) Lucchesini an seine Frau 2. und 7. September.
3) Rep. XI 89 g1, L. Au Roi 12. September mit P.S. Lucchesini an
Schulenburg 13. September.
Von Koblenz bis Valmy 313
quartier weggeritten1). Nur die Teilnahme ihrer Kavallerie an
den Operationen hatten sie durchgesetzt. Breteuil blieb noch
eine Zeitlang bei den Mächten der Vertreter des Königs2). Es
kennzeichnet die gänzliche politische Haltlosigkeit der Prinzen,
daß sie ihm jetzt vorstellen ließen, er solle diese Stellung auf-
geben, um die königliche Familie nicht schon allein durch sie
den größten Gefahren auszusetzen3). Bald mußte es sich zeigen,
ob sie oder Breteuil wirklich Ludwigs Ansicht vertraten.
III.
Am 11. September war, so sahen wir, das preußische Haupt-
heer aus dem Lager bei Verdun aufgebrochen. Der Herzog von
Braunschweig hatte sich noch einmal unwillig nach einigen Tagen
des Zögerns, die jedoch politisch sich nicht weiter begründen
lassen, dem königlichen Befehle gefügt4). Er hatte sich kostbare
Tage entgehen lassen5). Dem Befehlshaber der preußischen Vor-
hut, General Kaikreuth, hatte er nicht die Erlaubnis erteilt, den
Argonnenpaß der Metten zu besetzen, weil es ihm ganz gegen
alle Eegeln erschien, sich so weit vorzuwagen, ehe er wußte,
was der Feind beabsichtigte, dem er Anschläge auf die preußischen
Verbindungen zutraute6). Er ließ sich das Gesetz vorschreiben,
statt es zu geben. Erst als er hörte, Dumouriez und Kellermann
wollten sich vereinigen, erteilte er den Befehl zum Abmarsch und
merkte zu seinem Schaden, daß jetzt die Argonnen ein mächtiges
Bollwerk, wenn auch nicht gerade die Thermopylen Frankreichs,
in der Hand der Feinde geworden waren7). Sie mit Gewalt zu
nehmen, erschien ihm als ein unnützes und gefährliches Unter-
fangen, da er auch mit ein paar Märschen zu demselben Ziel
kommen könne8). Zu Breteuil soll er in Verdun gesagt haben:
„Wenn sie (die Franzosen) bis zum 12. dableiben, werde ich sie
1) Rep. XI 89 k. Guionneau an Schulenburg 15. September. Das
war scheinbar nur eine Bestätigung früherer Befehle.
2) Daudet, Coblentz 289; Daudet I 210.
3) Daudet, Coblentz 368 ff. (Note vom 23. September).
*) Ch.V. 84—85 und 105; Sorel III 42, 45, 47.
5) DumouriezIII 8—9 und 98—100; M a s s e n b a c h I 42 bis
44 und 51 — 56; Lettres sur Dumouriez 73 — 75; H äußer I 374 — 375;
Sybel II 300—302; Ch.V. 85.
6) Ch.V. 84—85; F e u i 1 1 e t VI 345—347 gibt einen persönlichen
Grund an, den ich nicht nachzuerzählen wage.
7) Dumouriez II 391 und III 2.
8) Ch.V. 81 ff.; Massenbach I 56—58.
314 HI- Abschnitt
vernichten; wenn ich nicht in der Front angreife, werde ich
sie umgehen"1). Fünf Pässe führten durch dies dichtbewal-
dete Hügelland: Le Chesne - Populeux , La Croix - aux - Bois,
Grandpre, La Chalade, Les Islettes. Er gedachte nun, die Feinde
allerorten durch Demonstrationen und Hin- und Hermarschieren
zu beschäftigen und dann bei La Croix-aux-Bois durchzubrechen.
War ein Paß in seiner Hand, so war die Stellung für die Franzosen
unhaltbar; sie mußten nach Chälons zurück, wie er meinte2).
Dieser Plan gelang beinahe wider Erwarten gut.
Dumouriez war am 1. September abmarschiert, um sich dem
Herzog entgegenzustellen3). Trotz des zaghaften Verhaltens
seines royalistisch gesinnten Unterführers Dillon kam er, dank
dem passiven Verhalten Clerfayts, das dem des Herzogs völlig
entsprach, auf diesem waghalsigen Marsche dicht an den Feinden
vorbei am 4. ungefährdet ans Ziel nach Grandpre, Dillon nach
La Chalade und Les Islettes4). Aber er täuschte sich über das
Ziel des Marsches wie vorher über den Grund des Zögerns der
Preußen5). Er glaubte an eine Umgehung der Argonnen im
Süden über Bar le Duc und St. Dizier nach Chälons. Während
er so alle Aufmerksamkeit dorthin richtete, gelang es Clerfayt,
dem die schlechte Ausführung eines Befehls von Dumouriez zu
statten kam, sich am 12. des Passes von La Croix-aux-Bois zu
bemächtigen, beinahe ohne einen Schuß zu tun6). Der Ver-
such Dumouriez', die Österreicher daraus am 14. zu vertreiben,
scheiterte nach kurzem Gelingen. Er erkannte die Gefahr7).
Während Breteuil und der Herzog von Braunschweig ihn vergeb-
lich durch Verhandlungen auf mitunter recht merkwürdige Weise
für die Sache der Verbündeten zu gewinnen suchten, der Herzog,
um sich den Weg nach Paris zu erleichtern und rasch als Sieger
mit wohlfeilem Lorbeer nach Hause zurückkehren zu können8),
1 ) Peltier, dernier tableau de Paris. Ap. zu Nr. V, S. III.
2) Ch.V. 74; Boguslawski II 22.
3) Dumouriez II 394-^01.
4) Ch.V. 59—61; Dumouriez II 360 und III 1; Lettres sur
Dumouriez 76 — 77; Boguslawski II 20 — 21.
5) Ch.V. 100—104; Dumouriez III 3—4; Krieg gegen die Revo-
lution II 153—154; Boguslawski II 26—27.
6) Ch.V. 103 und 113—117; Dumouriez III 19—24; Krieg
gegen die Revolution II 154 — 155; Boguslawski II 30 — 33.
7) Ch.V. 125—133; Massenbach I 61—66; Häußer I 381;
S y b e 1 II 305—306 und 313; Boguslawski II 34.
8) Fersen II 371. Der Herzog war am 14. schon unsicher, ob er
bei dem schlechten Wetter und der starken Stellung des Feindes überhaupt
Von Koblenz bi3 Valmy 315
entwischte er selbst dabei aus seiner gefährdeten Stellung in be-
wunderungswürdiger Ruhe und Ordnung in der Nacht vom 14.
zum 15. Die Preußen merkten es, aber der Herzog wagte nicht,
während der Nacht etwas zu tun1). Nur ein Fehler des französi-
weiterkommen werde, und ergriff gern diesen Ausweg, um die Fortsetzung
des Krieges zu verhindern. Er ließ sogar schon für die Anlegung von
Magazinen für Winterquartiere hinter der Maas sorgen (Rep. XI 89 k.
Guionneau an Schulenburg 15. September). Das Schicksal Ludwigs und
seiner Familie gab zu den schlimmsten Befürchtungen Anlaß (Politisches
Journal 1792, S. 957). Sogar der Gedanke an ein neues Manifest des
Herzogs von Verdun aus war aufgetaucht wie überhaupt die Ansicht,
man müsse die Franzosen dauernd mit Schwert und Feder zugleich
bekämpfen, aber er war sofort als nicht so wirksam wie kriegerische Maß-
regeln abgelehnt worden (Fersen II 359 ff. und 368. Rep. XI 89 h.
Reck an Schulenburg 1. September a 911 du soir. Schulen bürg an Reck
5. September). Was konnte es denn nützen, wenn man Wahnwitzigen
Vernunftgründe entgegenhielt? Erst mußte man eine Schlacht gewinnen,
darauf drängte Breteuil daher jetzt immer mehr, ebenso jetzt Mercy
(F e r s e n II 37, 47—48, 372—373, 375—377; Bacourt-Städtler
III 379 — 380, 382, 387); dann konnte man die Revolutionäre vor die Wahl
stellen: entweder Freiheit der königlichen Familie und Freiheit für sie
mit geheimen Zusicherungen für die Führer oder Kampf. Dabei bemerke
ich jedoch ausdrücklich, daß Breteuil noch nicht den Gedanken auf-
gegeben hat, die monarchische Reaktion durchzuführen (F ersen II 36,
369 — 370, 372). Nassau wollte nach Paris reisen, um zu vermitteln, aber
Friedrich Wilhelm und Breteuil lehnten das als unnütz und gefährlich
ab(FeuilletVI 342). Nur weniger bedeutende Personen konnte man
solcher Gefahr aussetzen (F e r s e n II 369). Wie würde es nun gar dem
König und seinen Anhängern ergehen, wenn die preußische Armee sich
Paris näherte, würde das nicht das Signal zu Gewalttätigkeiten schlimm-
ster Art sein ? Oder wenn die Jakobiner nun den König nach dem Süden
verschleppten? Die preußische Armee sollte nur bis Paris vorrücken,
allenfalls könnte ein Teil in französischem Solde zurückbleiben, aber was
werde das nützen! Das Gebiet, das man besetzt habe, sei ja viel zu klein,
um über Frankreichs Schicksal zu entscheiden (Fersen II 37 l;Raige-
court-Bombelles 371). Tatsächlich war in Paris die Furcht vor
den heranrückenden Heeren nicht groß, die Regierung allerdings aus-
genommen. Die verräterischen Generale und geheime Umtriebe fürchtete
man viel mehr (Journal d'une bourgeoise 233—238, 249—254, 256—258,
263—272, 297—302; Lescure II 623—624). Man war für diesen Fall
schlechterdings ratlos und näherte sich so allmählich der Anschauung
von Kaunitz und dem Herzog von Braunschweig (V i v e n o t II 557;
Bacourt- Städtler III 385). Auch Fersen riet jetzt zu Verhand-
lungen mit den Parisern, sogar mit Robespierre, um nur erst das Leben
der königlichen Familie zu retten, und allmählich kam Breteuil auf den
Gedanken, die Schuldigen in diesem Falle straflos entwischen zu lassen
(F e r s e n II 33, 360—362, 365, 367—371).
*) Rep. XI 89 k. Guionneau an Schulenburg 15. September;
Dumouriez III 27.
316 III. Abschnitt
sehen Generals Chazot ermöglichte der preußischen Vorhut am
15., eine ganze französische Division in die Flucht zu werfen.
Kaum war es gelungen, die „Verrat!" schreienden Soldaten zu
sammeln, da brach im Heere von Dumouriez selbst eine neue
Panik aus, deren weitere Verbreitung er nur durch seine persön-
liche Kaltblütigkeit verhinderte1). Diese Ereignisse bestimmten
Dumouriez, mehr als je an seinem Plan festzuhalten, sich mit
diesen Truppen keiner Schlacht auszusetzen, sondern die Ent-
scheidung hinzuzögern, Zeit zu gewinnen, und das hieß für ihn
alles2). Er bedrohte mit seiner Stellung bei Ste. Menehould
die rückwärtigen Verbindungen der Preußen. Vorwärts konnte
der Herzog nur, wenn er Dumouriez geschlagen hatte. Darauf,
meinte er, werde es jener nicht ankommen lassen, und das belebte
in ihm seinen alten Wunsch, hier die Verteidigung seinen Kame-
raden zu überlassen, selbst aber offensiv vorzugehen, seinen lange
geplanten Einfall in die Niederlande endlich auszuführen und
damit der Invasion in Frankreich ein Ende zu machen3).
Denn er ging nicht nach Chälons zurück, wie man im preußi-
schen Lager nach der Räumung von Grandpre beinahe als selbst-
verständlich angenommen hatte4), sondern er wollte seine vor-
zügliche Stellung nur dann aufgeben, wenn der Herzog nach
Chälons oder Reims marschierte, um ihm auf den Fersen zu
bleiben und ihn aufzureiben5). Er nahm also eine feste Stellung
westlich von Ste. Menehould ein6), das er zu seinem Hauptquartier
machte, Rücken an Rücken mit Dillon, der Les Islettes gegen
Österreicher und Hessen zu verteidigen hatte, wider den Willen
der Regierung und der öffentlichen Meinung, nur von Danton
unterstützt, der ihm nichtsdestoweniger in Billaud-Varennes
einen Aufpasser bestellte. Er zog von allen Seiten Verstärkungen
an sich. Namentlich Beurnonville mit Dumouriez' alten Truppen
aus dem Lager von Maulde und Kellermann brachten sie, trotz
schlechten Willens7), allerlei Mißverständnissen, aufgeweichter
*) Dumouriez III 29—32; Boguslawski II 35—38.
2) Ch.V. 142 und 146—150; Dumouriez III 15 und 33—34;
Boguslawski II 34, 39, 54—55.
3) Ch.V. 148; SorelHI 38.
*) Ssolowjoff 300—301 ; Rep. XI 89 k. Guionneau an Schulen-
burg 15. September; Marwitz I 62; Politisches Journal 1792,
S. 1031—1032.
6) D u m o u r i e z III 34, 48, 101—103.
6) Notes de Topino-Lebrun 21.
7 ) Kellermann stand noch selbständig neben Dumouriez (Bogus-
lawski II 44—45).
Von Koblenz bis Valmy 317
Wege, man muß sagen, gerade noch rechtzeitig, um bei Valmy
den Preußen Widerstand zu leisten1). Voller Zuversicht konnte
jetzt Dumouriez den kommenden Ereignissen entgegensehen. In
14 Tagen hoffte er hier fertig zu sein und sich an die Eroberung
Belgiens machen zu können.
Der Herzog ließ den Franzosen zum Ärger des Königs Zeit,
sich auf den Kampf vorzubereiten2). Mag es hundertmal wahr
sein, daß die Truppen müde waren, daß Krankheiten sie dezi-
mierten, daß Hunger sie plagte, daß erst Brot gebacken werden
mußte — ein energischer Führer hätte mit ihnen ganz anderes
erreichen können. Ich erwähnte bereits, daß man im preußischen
Lager zuerst schon des Eückzuges der Franzosen hinter die
Marne sicher zu sein glaubte. Man wollte sich mit dem Öster-
reicher Hohenlohe durch die Argonnen hindurch die Hand reichen.
Der direkte Weg nach Paris wäre frei gewesen. Lucchesini hatte
von den „Abschneidern", d. h. den Greneralstabsoffizieren, gehört,
die Höhen an der Marne seien viel leichter zu umgehen als die
Argonnen3). Breteuil schrieb schon einige Tage vorher an Fersen,
er und Mercy sollten sich beeilen, sonst kämen sie später als der
Herzog von Braunschweig nach Paris — so sicher war er des
Erfolges4). Militärisch gab es scheinbar kein Hindernis mehr
für den Marsch auf Paris. Drang man rasch vor und nützte den
Erfolg aus, so war gar nicht abzusehen, wie sich die Franzosen
hätten zurückziehen können. Aber der Herzog war nicht von
solchem Schlage. Den Gedanken an Winterquartiere hinter der
Maas hatte er jetzt zwar aufgegeben. Der Kückzug, besser die
Flucht der Franzosen, War mehr wert als eine gewonnene Schlacht,
so sagte er geradezu zu dem Prinzen Nassau5). Aber er operierte
M Ch.V. 159 ff.; Dumouriez III 15—18; Boguslawski II
44; S o r e 1 III 38. Vgl. über die manigfachen Widerstände, die Dumouriez
zu bekämpfen hatte, den offiziellen Bericht über Valmy, der wohl auf
den Herzog von Chartres, den späteren Louis Philippe zurückgeht, der
damals Generalleutnant in Kellermanns Armee war (Ch.V. 5), bei Lau-
gier-Carpentier54ff. Doch ist er mit Vorsicht zu benützen, da
er sicherlich erst bedeutend später zurecht gemacht, wenn nicht gar ab-
gefaßt worden ist (ibid. 64 — 65).
2) Massenbach I 68 — 69; Lettres sur Dumouriez 80 — 84;
Krieg gegen die Revolution II 154—155; Ch.V. 151 ; F e u i 1 1 e t VI 350.
3) Lucchesini an Finckenstein und Alvensleben 15. September;
V i v e n o t II 557.
4) Fersen II 366—367.
8) Feuillet VI 348—349.
318 III. Abschnitt
so, wie wenn er 200 000 Mann Elitetruppen, österreichische oder
russische Grenadiere, zu bekämpfen habe1), und gab damit selbst
alle Vorteile preis. Er wollte jetzt durch die Argonnen den Öster-
reichern und den Hessen die Hand reichen2), die strengen Befehl
hatten, sich bis dahin auf nichts Ernstliches einzulassen, und
Dumouriez und Kellermann nach Chälons abdrängen3).
Schon waren die ersten Schritte dieses methodisch wohl
richtigen Planes getan, da durchkreuzte ihn ein Befehl des
Königs, dem der Herzog nicht einmal zu widersprechen wagte4).
Am 19. mittags war im preußischen Hauptquartier die Nachricht
eingegangen, die Franzosen marschierten ab. Wieder wie am 15.
also schien dem Könige die Gelegenheit zu entwischen, die Feinde
zu schlagen und damit die ganze Unternehmung auf einmal zu
entscheiden5). Das durfte nicht sein. Der König wollte sich
nicht selbst den Vorwurf machen lassen, der einige Tage früher
den Herzog getroffen hatte6). Er befahl, ohne einen genauen
Plan zu entwerfen, den Vormarsch seiner Armee an die Straße
von Ste. Menehould nach Chälons und nahm ihn auch nicht zu-
rück, als die Unrichtigkeit der Meldung sich herausstellte. Hier
tritt uns deutlicher als je der verhängnisvolle Mangel an Einheit
im Kommando der preußischen Armee entgegen7). Der König
glaubte das französische Heer in der Auflösung und handelte
danach wie schon im ganzen Feldzug. Der Herzog schätzte es
höher ein, fürchtete, seinen Ruf, die ganze Unternehmung durch
eine unvorsichtige Maßregel aufs Spiel zu setzen, und blieb des-
halb bei seiner bedächtigen Handlungsweise. Es war das Unglück
der Kampagne, daß man nie ganz einer Richtung folgte, sondern
stückweise beiden und damit auch einen geringen Erfolg aus den
Händen gab.
Am 20. September traten 34 000 Preußen etwa 36 000 Fran-
1 ) Rep. XI 89 h. Reck an Schulenburg 27. September und 8. Ok-
tober. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 III: Reck an Lucchesini 20. Sep-
tember.
2) Nassau behauptet, der Herzog habe am 19. und 20. schlagen
wollen, zeigt sich aber für diese Tage schlecht unterrichtet (Feuillet
VI 350 ff.).
3) Boguslawski II 41; Ch.V. 172—173.
4) Massenbach I 70—77; Sybel II 307—308; Bogus-
lawski II 42; Lettres sur Dumouriez 89—90; Ch.V. 174.
8) H ä u ß e r I 376—377; Massenbachl 77—79, 105—107 und
329—330.
6) Feuillet VI 349; Massenbach I 66—67.
7) ibid. I 37—38.
Von Koblenz bis Valmy 319
zosen auf dem Schlachtfelde gegenüber1). Erstaunt sahen die
Preußen eine kampfbereite Armee vor sich, die durchaus nicht
beim ersten Schuß auseinanderlief, sondern die schwere Aufgabe
löste, im feindlichen Feuer standzuhalten2). Der König befahl
trotzdem den Angriff, und wie auf dem Paradefelde [am 20. Sep-
tember fanden in Potsdam gewöhnlich die Manöver statt]3)
rückten die preußischen Truppen in tadelloser Ruhe vor, an-
gefeuert durch das Beispiel ihres Königs4). Kann man von vorn-
herein die Ansicht ablehnen, daß sie ihrem alten Kufe getreu
gesiegt haben würden?5) Doch jetzt und noch einmal ein paar
Stunden später entschied der Herzog mit ungewohnter Bestimmt-
heit gegen den Kampf. „Der allmächtige Zeus goß ihm Furcht
ins Herz, " sagt Valentini6). Die Stellung der Franzosen erschien
ihm zu stark, die voraussichtlichen Verluste zu hoch, die Truppen
zu müde. Er glaubte dasselbe auch mit einem Manöver erreichen
zu können7). Der König fügte sich. So blieb es bei einer der
großartigsten Kanonaden, deren Opfer aber nur nach wenigen
Hunderten zählten.
Für die Verbündeten war das Stillstehen tatsächlich der Ver-
zicht auf die Fortsetzung des Marsches nach Paris8). Die Armee
mochte gerettet sein, der Feldzug war verloren9). Jeder Tag ver-
kleinerte die Zahl ihrer Truppen, jeder Tag vermehrte die der
Franzosen, verbesserte ihre Kriegserfahrung. Alles kam für die
Preußen darauf an, zu schlagen, für die Franzosen, eine Schlacht
zu vermeiden, den Krieg in die Länge zu ziehen und dadurch die
Preußen aufzureiben. War die Stellung Kellermanns am 20. Sep-
*) Ch.V. 201—204 und 228; Sybel II 308; Hei gel II 31—33;
H ä u ß e r I 377; S o r e 1 III 47.
2) Feuillet VI 353 und 356.
3) Valentini 7; Ma r w i t z (I, S. 55) gibt den 21—23. Sept. an.
4) Ch.V. 204—206; Feuillet VI 354—355; Laugier-Car-
p e n t i e r, S. 63.
5) Häußer I S77— 380; Sybel II 309—310; Heigel II 32;
Ch.V. 235 ff. ; Valentini 7—8; Dumouriez III 49; Feuillet
VI 345; Boguslawski II 53; Marwitz I 63; Politisches Journal
1792, S. 1094.
6) S. 9.
7) Ch.V. 208—209 und 213—216; Krieg gegen die Revolution II
162 und 167—169; V i v e n o t II 572; Dumouriez III 42—43 und
45 — 46; C a r i s i e n 128. Vgl. dazu die völlig verkehrten später geschrie-
benen Bemerkungen Massenbachs (I 77 — 103).
8) Laugier-Carpentier 64 — 65 ; Ranke 236.
9) Ch.V. 235 ff.
320 HI. Abschnitt
tember noch schlecht gewesen, so gelang es ihm, ungestört von
den Preußen in der Nacht zum 21. eine bessere einzunehmen,
die stark war und eine völlige Einschließung durch die Preußen
unmöglich machte1). Was nützte es dann, daß auch die Preußen
die ihrige verbesserten? Wohl litten auch die Franzosen Mangel,
aber er war nicht zu vergleichen mit dem der Preußen, die noch
dazu am 20. beinahe ihr ganzes Gepäck infolge ihres sorglosen
Vorgehens eingebüßt hätten. Tatsächlich blieb jetzt nur noch
der Entschluß zum Rückzug übrig. Aber beide Teile erkannten
die Lage nicht richtig. Man war im preußischen Hauptquartier
durchaus nicht gleich so verzweifelt, wie vielfach angenommen
wird2). Man wähnte, den Angriff nur verschoben zu haben, des
1 ) F e u i 1 1 e t VI 356; Ch.V. 225—227; Boguslawski II 54;
Lettres sur Dumouriez 92 — 93.
3) Sybel II 311—312; H e i g e 1 II 34—35; T e r n a u x IV 161
bis 163; S o r e 1 III 50; Ch.V. 233—234; H ü f f e r im Goethe-Jahrbuch
IV (1883), S. 98, dazu H ü f f e r 26. Die Aussprüche von Goethe und von
Massenbach scheinen sich mit den übrigen Quellen nicht vereinigen zu
lassen (Ranke 235 ff. ; Massenbach I 94 und 115; Krieg gegen
die Revolution II 171; Marwitz I 64). Bei Massenbach ist sicher die
Tendenz vorhanden, nachzuweisen, daß er den schlechten Ausgang
vorausgesehen habe. Aber dazu wurde er gebracht nicht durch eine
richtige Würdigung der Kraft der französischen Revolution, sondern
durch die Fehler des Herzogs von Braunschweig. Gcethe faßte die Sache
allgemeiner an, ich halte es aber nicht für ausgeschlossen, daß er durch
Massenbach in der Fassung der Worte beeinflußt worden ist (vgl. auch
H ü f f e r im Goethe -Jahrbuch IV (1883) S. 92 für eine andere Episode).
Ein erstes Anzeichen für eine derartige Stimmung auf der Seite der
Verbündeten (Peltier, dernier tableau de Paris. Ap. zu Nr. V,
S. IX) finde ich (vgl. auch Carisien 125, Bericht vom 10. November
1792; die Prophezeiung im Politischen Journal [1792, S. 1143] vermag
ich nicht höher einzuschätzen als andere gleichen Schlages in der gleichen
Zeitschrift; vgl. z. B. S. 1092) bei M a s s e n b a c h I 45 (er will diese
Stelle Ende Dezember 1792 geschrieben haben), ein weiteres in dem 1795
erschienenen Buche: Lettres sur l'ouvrage intitule la vie du gen. Du-
mouriez, S. 38 (das Werk ist wohl unter den Auspizien des Herzogs
von Braunschweig abgefaßt worden). Unmöglich wäre es nicht, daß
Massenbach der Verfasser der Briefe ist, aber dann müßte er einen fran-
zösischen Mitarbeiter gehabt haben. Sein Verhältnis zum Herzog war
1795 zwar wohl nicht mehr so gut wie früher, aber ich finde doch be-
merkenswerte Übereinstimmungen, namentlich für den Kriegsrat vom
1. September (Lettres 63 und 147), für die Beurteilung des Vorgehens
über die Maas (Lettres 72 — 75 und I 42 — 43 und 51 — 56, aber dazu 75,
wo der Fehler zugegeben wird; das ist wohl eine spätere Zugabe), für die
Bedeutung des Herzogs nach dem Maasübergang (Lettres 64 u. I 50 — 51),
für sein Verhältnis zum Könige (Lettres 88 — 90, 53 — 56, 62 und I 77 unc"
127), für die Verpflegung der Armee (Lettres 88—89 und I 111—112).
Von Koblenz bis Valmy 321
Erfolges doch sicher zu sein. „Valmy brachte alle moralischen
Kräfte auf die Seite der Franzosen"1). Aber bei ihrem leicht
beweglichen Geiste konnte rasch ein Umschlag, namentlich unter
den neugebildeten Frei willigenbataillonen, eintreten2). Man wußte
durch Deserteure im preußischen Lager, daß die Pariser Regie-
rung den Rückzug Dumouriez' nach Chälons wünschte3). Auch
die französische Armee litt ja Mangel. Die Preußen hofften ihn
durch Wegnahme von Transporten verstärken zu können. Ex-
zesse waren unter diesen Truppen wahrlich keine Seltenheit.
Es fehlte noch die Disziplin, um sie solche Leiden, wie die Preußen
sie auszustehen hatten, geduldig ertragen zu lassen. Nur dem
zuversichtlichen, bald heiteren, bald strengen, stets aber an ihr
Ehrgefühl appellierenden Auftreten Dumouriez' gelang es, sie
über diese gefährlichen Tage hinwegzubringen4).
Noch hatten die deutschen Heere eine imponierende Stellung
inne5). Jeder Augenblick konnte eine entscheidende Affäre her-
Es bestärkt mich nur in meiner Ansicht, daß in den Memoiren das Magazin -
system schlecht gemacht, der Herzog deswegen getadelt wird (I 68 — 69),
während er in den Lettres noch entschuldigt wird (79 — 89). Massenbachs
Ansichten hatten sich eben von 1795 bis 1809 unter dem beherrschenden
Einfluß der napoleonischen Kriegskunst gewandelt (vgl. auch I 96 über
den Charakter des Herzogs). Die Karte bei den Lettres zeigt an derselben
Stelle eine aufgeheftete Veränderung wie die in den Memoiren. — Erst
durch Napoleon scheint Massenbach auch zu der richtigen Würdigung
Valmys gebracht worden zu sein, die er an der Hauptstelle auch noch
so ausdrückt, daß an ihrer späteren Formulierung gar kein Zweifel mehr
sein kann (I 93), ebenso ein zweites Mal (1 115). Beide Äußerungen wären
um die Jahreswende 1792 — 1793 undenkbar (vgl. auch Zeißberg,
Karl-Hohenlohe 1). — Daß seinen Memoiren ein Tagebuch zu Grunde
liegt, scheint mir sicher (I 60, 69, 70, 81). Er verwandte die Befehle, die
er sich aufgeschrieben hatte, für die Schilderung, machte Eintragungen
in die Karte (I 60 ff. und 90) und vermerkte sich den Stand der Truppen,
den er sonst nicht so genau kennen konnte. Hierin liegt auch der Grund
meines Zweifels an der Erkenntnis der Bedeutung des Tages durch
Massenbach (I 94 — 95). Nicht einmal im Januar 1793 wird er diese später
zugesetzte Reflexion gemacht haben, da kurz vorher Napoleon erwähnt
wird (I 96 und 115).
1 ) F e u i 1 1 e t VI 357 ; S o r e 1 III 49. Daß die preußischen Truppen
.enttäuscht waren, die französischen sich ermutigt fühlten, zu leugnen,
fällt mir nicht ein.
2) Häußer I 379—380; Boguslawskill 51—58; Dumou-
riez III 44; Ch.R. 42—50.
3) Lettres sur Dumouriez 96 — 97; Ternaux IV 541.
*) S o r e 1 III 55; D u m o u r i e z III 53—56.
5) Ranke 236.
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 21
322 III. Abschnitt
beiführen, die der König so sehr wünschte1). Man erinnerte sich,
gern daran, daß der König jetzt ziemlich auf demselben Fleck
stehe wie Attila 452 ; es macht nichts aus, daß dabei ein historischer
Irrtum vorliegt. Je weiter wir uns von der Armee entfernen, mit
um so größerer Bestimmtheit treten die Siegesnachrichten auf,
die durch falsche Nachrichten aus dem Hauptquartier hervor-
gerufen waren2). Aber die Schlacht, zu der Lucchesini die Hessen
schon herbeigerufen wähnte, mußte jetzt viel blutiger werden,
als einige Tage vorher, da die Franzosen sich fühlen gelernt hatten
und ihnen kein Weg zum Rückzug mehr offen zu stehen schien3).
Das gilt jedoch nicht für den Herzog von Braunschweig, der sich
mehr als je in seiner Ansicht bestärkt fühlte, daß der Marsch
nach Paris ein undurchführbares Unternehmen sei, der aber
natürlich seine Ansichten an der gehörigen Stelle wieder nicht
deutlich zum Ausdruck brachte4). Die französischen Generale
freuten sich zwar des mutigen Standhaltens ihrer Truppen, aber
noch schienen ihnen die Feinde furchtbar zu sein5). Sie selbst
waren nicht einig, Kellermann war eifersüchtig auf Dumouriez.
Erst am 27. September wurde diesem der oft erbetene Ober-
befehl über jenen übertragen, aber auch nur für die Zeit ihrer
gemeinsamen Operationen6). Ihre Verbindung mit Chälons war
beinahe völlig unterbunden, und wenn es nach Servan und Keller-
mann gegangen wäre, so wäre die Armee hinter die Marne nach
Chalons zurückgegangen7). Nur Dumouriez widersetzte sich dem,
und doch mutet seine Zuversicht auf baldigen Rückzug der
Preußen stark forciert an. Er fürchtete von dem weiteren Zurück-
1 ) Lucchesini an seine Frau 22. September. P. S. zum 20. September.
2) Fersen II 38—40, 377; Z e i ß b e r g, 2 Jahre, 172—174; Z e i ß-
b e r g, Karl-Hohenlohe 46 — 47. Bericht Cesars 10. Oktober. Briefe von
Chamisso, Gneisenau, Haugwitz etc. II 286. Rep. XI Rußland 133 B.
Alopeus an Schulenburg 27. September. Zeitschrift des Vereins für
hessische Geschichte und Landeskunde. Neue Folge. 20. Bd. Kassel 1895.
S. 223—225; Politisches Journal 1792, S. 1095—1096.
3) Lucchesini an Schulenburg 22. September. P.S. Attendez-vous,
Mr. le Comte, d'un grand carnage. Les Patriotes se battront en desesperes
et le R . . . veut absolument une bataille. Le D... commence ä n'en
pouvoir plus, il apprehend de nouvelles difficultes, il voit l'armee se
fondre et l'ennemi se renforcer et s'aguerrir. La perspective est fort
triste, je ne songe pas meme ä voir Paris de cette annee.
*) (3h. V. 224 und 241 ; H e i g e 1 II 35.
6) Sybel II 312; Ch.V. 229—230.
6) Sybel II 318; S o r e 1 III 55 und 81; T e r n a u x IV 541.
7) Ch.R. 19 und 37—38; Dumouriez III 51—53, 56, 59—60.
Verhandlungen mit Dumouriez 323
gehen der Armee, ganz abgesehen von den außerordentlichen
militärischen Schwierigkeiten, die eine Auflösung möglich er-
scheinen ließen, auch die schlimmsten Rückwirkungen auf Paris.
Er w o 1 1 1 e nicht geschlagen sein. Deshalb war er es auch nicht1).
So war also auf preußischer Seite die Niedergeschlagenheit2),
auf französischer die Siegeszuversicht nicht so groß, wie es uns
jetzt als natürlich erscheinen sollte. Gerade dieser Feldzug zeigt
nun eine innige Verknüpfung zwischen militärischen und diplo-
matischen Vorgängen3). Beide Parteien suchten sich das zunutze
zu machen. Was sie auf dem einen Wege nicht erlangt hatten,
konnten sie vielleicht auf dem anderen erreichen. Konnten die
Preußen Dumouriez nicht schlagen, so konnten sie ihn vielleicht
zum Übertritt auf ihre Seite veranlassen. Während die Heere
sich so kampfbereit gegenüberstanden, entspannen sich Ver-
handlungen, die an Zweideutigkeit, an Feinheit ihresgleichen
suchen, deren Zweck aber heute zu ergründen im großen und
ganzen nicht mehr schwer sein kann4).
3. Kapitel
Verhandlungen mit Dumouriez
Nicht von Preußen, wie man häufig genug mit Dumouriez
behauptet hat6), ging die Anregung dazu aus, sondern von Du-
mouriez selbst6). Der Zufall verschaffte ihm die Gelegenheit.
Der preußische Kabinettssekretär Lombard7) war am 20. durch
eigene Unvorsichtigkeit in die Hände der Franzosen gefallen.
x) Boguslawski II 50—51; Sorel III 50—51.
2) Erst am 19. November schrieb das preußische Kabinetts-
ministerium an Lucchesini, als es den Einfall von Custine, den Verlust
Belgiens also schon kannte: Tels sont les effets d'une seule journee
manquee, ils auraient paru incroyables avant le 20. Septembre.
3) Sorel III 38.
4) ibid. III 45—47.
5) Dumouriez III 61. Er verschiebt die Chronologie völlig,
ich verzichte auf eine Widerlegung im einzelnen.
6) Fersen II 50—51 ; H ü f f e r, Zwei neue Quellen 25—26 und
Deutsche Revue 1883 I 308; M a s s e n b a c h 1 109; H ä u ß e r I 380 bis
381; Sybel II 314; Boguslawski II 60—61; Heigel II 36;
S o r e 1 III 51.
7) Er besorgte mit den Geheimen Kabinettsräten Mencken und
Beyer die Geschäfte des Kabinetts beim Könige im Hauptquartier,
zeitweise sogar allein; Hüffer 18.
324 HI. Abschnitt
Er wurde zuerst nicht gerade mit Samthandschuhen angefaßt
und geriet durch die ungewohnten Anstrengungen und den Mangel
an Nahrung allmählich in einen Zustand von Apathie, aus dem
ihn erst die Liebenswürdigkeit Dumouriez' wieder aufrüttelte,
der ihn zu politischen Zwecken zu gebrauchen dachte1). Wie
kam aber Dumouriez dazu, Funktionen auszuüben, die ihm gar
nicht zustanden? Der damalige Leiter der auswärtigen An-
gelegenheiten Frankreichs, Lebrun, war ein gewissenhafter,
tüchtiger, aber nicht besonders hervortretender Mann2). Von
ihm hatte Dumouriez keine Zurechtweisung zu befürchten. Er
fühlte sich nun wieder an entscheidender Stelle, und man kann
sich eines Lächelns nicht erwehren, wenn man ihn sich in gewisser
Weise darüber beklagen hört3). Sofort nahm er die zu seinem
Ärger im April von Preußen abgelehnten Unterhandlungen wieder
auf mit derselben Tendenz wie damals, Preußen von der Koalition
abzulösen und womöglich ein Bündnis zwischen ihm und Frank-
reich zustande zu bringen. Dazu gewann er bei den Verhandlungen
Zeit; sie sollte ihm helfen, die Preußen ganz mürbe zu machen.
Freilich war er selbst dabei in einer gefährlichen Lage. Die
Soldaten waren unzufrieden mit der schlechten Verpflegung, die
Generale, besonders Kellermann, sahen von diesem Stehenbleiben
nur Schlechtes voraus, die neugebildeten Freiwilligenbataillone
waren für Dumouriez anfangs ein Danaergeschenk, die Regierung
endlich wünschte wie die Generale aus Rücksicht auf Paris,
Dumouriez solle eine feste Stellung hinter der Marne einnehmen4).
Er allein hielt stand und ließ sich nicht zu einem Rückzuge be-
wegen, der für ihn in der Tat das allergefährlichste Wagnis ge-
wesen wäre, wie Napoleon bemerkt5). Nur ein Vormarsch des
Herzogs nach Chälons hätte ihn bewegen können, seine Stellung
zu verlassen und sich an seine Fersen zu heften. Militärisch war
er dabei nicht müßig. Hätte er selbst überall seine zahlreichen
Streifkorps führen können, so wäre die preußische Armee wohl
gänzlich ihrer Verpflegung beraubt worden6). Dazu zog er von
1 ) Davon sagt Lombard seiner Frau nichts.
2) Ch.R. 2—3.
3) Ternaux IV 541.
4) Ch.R. 126—128 und 130 ff.; Politisches Journal 1792, S. 1042 bis
1043.
6) Ch.R. 121—122; Ranke 244.
6) Boguslawski II 60; Krieg gegen die Revolution II 172
bis 174; Ternaux IV 545 — 547; Dumouriez III 44; Lucchesinis
Bericht 21. und 22. September mit Beilagen.
Verhandlungen mit Dumouriez 325
allen Seiten Verstärkungen an sich und hätte Custine lieber auf
Metz und Bar le Duc als an den Rhein dirigiert, wovon er sich
nur einen Augenblickserfolg versprach1). Es nützte auch nichts,
daß Custine seinem besonderen Vorgesetzten Biron versprach,
bei Speyer stehen zu bleiben2). Sein Ungestüm riß ihn fort, die
Not seiner Gegner gründlich auszunützen. Auch ohne seine Mit-
wirkung war Dumouriez doch nahe daran, die Preußen zu um-
fassen, als sie sich freiwillig auf den Rückzug machten3). War
für ihn zunächst das wichtigste, Zeit zu gewinnen, so trat immer
mehr die eigentlich politische Absicht hervor. Das allgemeine,
dauernde Moment drängte das besondere, nur kurze Zeit wirk-
same in den Hintergrund, je stärker sich die Unmöglichkeit für
die Preußen zeigte, den Marsch auf Paris fortzusetzen4). So eitel,
wie er sie selbst zeitweise darzustellen beliebte, waren seine Ver-
handlungen mit Preußen also nicht5).
Ein Brief Friedrich Wilhelms, in dem dieser seinen Sekretär
reklamierte und den Heymann überbrachte6), gab ihm noch
einen Grund mehr, mit seinen Vorschlägen hervorzutreten. Er
ließ Lombard am 22. ohne irgendwelche Bedingung frei, um durch
diese Liebenswürdigkeit Friedrich Wilhelm günstig zu stimmen.
Aber der Kommissar des Konventes bezw. des Conseil executif,
Westermann, die rechte Hand Dantons, der seit dem 14. Sep-
tember bei Dumouriez in offizieller Mission weilte7), machte ihm
einen Strich durch die Rechnung. Sowie er durch Dumouriez
davon erfuhr8), der auf ihn wegen seiner Stellung starke Rück-
sicht nehmen mußte und ihn deshalb ins Geheimnis zog, hielt
er Lombard fest und setzte bei Dumouriez durch, daß für seine
Freilassung die des Maires George von Varennes gefordert wurde,
den die Preußen gefangen hatten. Westermann ritt selbst ins
preußische Lager mit einem Briefe Lombards darüber und einem
Memoire Dumouriez', das Lombard eigentlich hatte überbringen
sollen, und bat um eine mündliche Beratung in Dampierre, in
1) Sybel II 317 und 336—338; Te mau x IV 540— 541; Ch.R. 123.
2) Ternaux IV 558 und 560—561.
3) Ch.R. 124—125; D u m o u r i e z III 3 und 16—17.
*) Häußer I 380 und 383.
6) Ternaux IV 542; Sybel II 312—317; Häußer I 381;
Ranke 236—237; Sorel III 51.
6) Häußer I 381.
7) Dumouriez II 380—381; Sorel III 52—53.
8) Notes de Topino-Lebrun 24.
320 III. Abschnitt
der man auch über die Sicherung von Ludwig sprechen könne1).
Tatsächlich ging Friedrich Wilhelm darauf ein. Sein Sekretär
war ihm mehr wert als die Rache an einem Revolutionär trotz
des Schreiens der Emigranten; aber man darf darin nicht gleich
einen Beweis für die politische Bedeutung Lombards sehen wollen.
Es war Gutmütigkeit vom Könige, die ihn dazu veranlaßte,
nicht Berechnung. So wurde Lombard am 23. September endlich
wieder frei und mußte nach seiner Rückkehr ins preußische Lager
sofort dem Herzog von Braunschweig alle seine Erlebnisse er-
zählen. Die Spannung war ja aufs höchste gestiegen. Das
Memoire war schon bekannt, und man erwartete von Lombard
genauere Auskunft über Dumouriez' Lage und seine Absichten;
ich zweifle stark daran, daß er sie hat geben können. Man wird
gut tun, seinen Einfluß nicht zu überschätzen; für diese Zeit
glaube ich ihn überhaupt in Abrede stellen zu können2). Der
Adjutant Dumouriez', Fortair, hatte das Memoire nach dessen
Angaben am 22. September entworfen3). Es war darauf be-
rechnet, Zwietracht zwischen Preußen und Österreich zu säen,
das den Preußen allein die Last der Unternehmung zuschiebe,
um nachher seinerseits allein die Früchte einzuheimsen. Ferner
übertrieb er seine eigene Stärke darin und stellte die Lage der
Preußen als gefährlicher dar, als er selbst wohl glaubte, und sah
von einem weiteren Vorrücken der Preußen nur eine Steigerung
der Gefahr für Ludwig voraus4), um den freiwilligen Rückzug dieser
gefährlichen Gegner zu erlangen. Man könne dann die Verhand-
lungen an dem Punkte wieder aufnehmen, wo sie in Berlin ab-
gebrochen worden seien, mit dem Ziele der Demütigung Österreichs.
Bei Preußen machte dieser Schritt Dumouriez' aber einen
ganz andern Eindruck, als er erwartet hatte. Statt seine Haupt-
these, die Trennung Preußens von Österreich, anzunehmen,
wollte Preußen, was man auch dagegen sagen mag, an Öster-
reich festhalten und erblickte in jenem Memoire zusammen mit
den Verhandlungen im April, auf die darin hingedeutet Wurde,
das erste Anzeichen für Dumouriez' Absicht, sich zu Gunsten
Ludwigs XVI. mit den Alliierten, speziell mit Preußen zu ver-
1 ) S y b e 1 II 316; H ü f f e r in Deutsche Revue 1883 I 308; H e i g e 1
II 37; Lucchesinis Bericht 29. September; Sorel III 53.
2) Hüffer, Zwei Quellen 6. Hüffer hat selbst sein Urteil, zum
Teil beeinflußt durch die Arbeiten Chuquets, in diesem Sinne berichtigt
(Kabinettsregierung 27—31, 38—40 und 498—499).
3) Ch.V. 28 und Ch.R. 78—84.
4) Häußer I 381.
Verhandlungen mit Dumouriez 327
bünden1). Endlich also schien sich, wenn auch erst unsicher,
der Wunsch zu erfüllen, daß man nicht gegen Frankreich, sondern
nur gegen eine Partei zu kämpfen habe, gegen die sich der gesunde
Teil der französischen Nation erheben werde. Die Not schien
Dumouriez nur zwei Auswege zu lassen, zu kapitulieren oder sich
mit den Mächten zu verbünden2). Mochte auch der König an
der Ehrlichkeit seiner Absichten zweifeln, so wollte er doch
nicht ein Anerbieten zurückweisen, das eine rasche, ehrenvolle
Beendigung der nur zu langen „Promenade" ermöglicht und
weiteres Blutvergießen unnötig gemacht hätte. Der Herzog von
Braunschweig drängte auch darauf hin, da er an weiteren Er-
folgen verzweifelte3). Mehr als je schien auch das Schicksal
Ludwigs dazu aufzufordern, diesen Weg wenigstens zu ver-
suchen. Schon war aus Paris die Nachricht eingetroffen, der
Konvent wolle am 24. (sie!) zusammentreten, den König für des
Todes schuldig erklären und für seine Begnadigung den sofortigen
Rückzug der Armeen aus Frankreich als Preis verlangen4).
Wenige Tage später (20. September) schrieb Lucchesini an seine
Frau: „Die Königin ist sicher verloren und der König wahr-
scheinlich auch!" So wenig man daran verzweifelte, die Jako-
biner zu schlagen, um so mehr an der Möglichkeit, den Geist der
Unbotmäßigkeit rasch zu ersticken.
Bischoffwerder war in den letzten Wochen in den Hinter-
grund getreten, krank und verärgert, im Zusammenhang mit der
Zurückdrängung der Emigranten durch Preußen, die er angeb-
lich in seinem eigenen Interesse zu stark begünstigt hatte, was
dem König zu Ohren gekommen sei5). Seine Gesundheit erlangte
er im ganzen bald wieder, aber sein politischer Einfluß war für
längere Zeit gebrochen. Höchstens hatte er dem Könige in den
Audienzen Leute vorzustellen, aber dieser behandelte ihn dabei
gut6). Oberstleutnant Manstein, der schon lange eine bedeutende
1 ) Vivenotll 571 ; Lettres sur Dumouriez 96 und 101 ; Ranke
295—296; Dumouriez III 61—62.
2) H.E.B. 299—300.
3 ) ibid. und Vivenot II 572; H äußer I 386; Lucchesinis
Berichte 29. September und 3./7. Oktober.
*) Lucchesini an Finckenstein und Alvensleben 15. September.
5) Rep. XI 89 h Reck an Schulenburg 5. Oktober; Vivenot II 571
und 572; Lucchesini an seine Frau 11. September. Fritz Härtung,
Hardenberg und die preußische Verwaltung in Ansbach-Bayreuth von
1792—1806. Tübingen 1906. S. 59.
6) H.E.B. 297. Das blieb auch kein Geheimnis (ForneronI 367).
Fe ui 11 et VI 368, 372—373,392—393; Fersen II 61; A.D.B. II 677;
328 III. Abschnitt
Rolle neben ihm spielte und sich jeden Augenblick bereit hielt,
das Erbe anzutreten, trat an seine Stelle1). Er war einer der
Hauptvertreter des Gedankens einer Verbindung zwischen
Preußen und Frankreich und hatte sich für den Krieg gegen die
Revolution nur durch die Aussicht auf eine rasche Beendigung
der Promenade und eine darauf folgende Anknüpfung zwischen
beiden Staaten gewinnen lassen. Als er sich in jener Hoffnung
getäuscht sah, wollte er um so mehr den Krieg rasch beendigen,
der fast allein mit preußischen Mitteln geführt werde und Öster-
reich zu nützen verspreche. Man hat ihn infolgedessen zu einem
erklärten Gegner der österreichisch-preußischen Verbindung ge-
stempelt und insofern mit Recht, als es nur auf seine persön-
lichen Ansichten dabei ankam. Aber man würde seine Bedeutung
wie überhaupt die der Ratgeber des Königs überschätzen, wollte
man glauben, daß dieser ihnen vollkommen freie Hand gelassen
habe. Er ging keinen Augenblick von seiner Verbindung mit
Österreich ab und sicherte sich für diese Unterhandlungen vorher
die Billigung des Fürsten Reuß2), dem es allerdings nicht schwer
fiel, den Preußen einen Schritt entgegenzukommen, der aber auch
die Loyalität der Preußen zu rühmen nicht verabsäumte3). Auch
Breteuils Zustimmung sicherte sich der König durch Caraman.
Er, Nassau und Reuß wurden durch Manstein auf dem laufen-
den darüber gehalten4). Der König berief endlich sofort Luc-
chesini zu sich ins Hauptquartier5), der sicherheitshalber, an-
H ei gel II 82; Lucchesini an seine Frau 1. November; 10., 17. De-
zember 1792; 4., 14., 21. Januar; 1., 11., 15., 22., 25. Februar 1793.
Rep. XI 89. Frankreich varia Bischoffwerder an Ephraim 15. November
1792; 30. Mai 1793.
*) Hau ß er I 381 ; Sy bei 11314—315; Heigel II 37; Ch.R, 75—76.
2) Vi veno t II 572 und 581; Ch.R. 100—101; Ranke 236;
Sybel II 348—349; Hei gel II 44^5.
3 ) Das war wirklich nötig, schadete ihm aber noch in Wien. V i v e-
n o t II 581. Daß Friedrich Wilhelm erst Verhandlungen für Preußen
allein mit Dumouriez mit Verachtung abgewiesen habe, berichtet nur
Reuß (V i v e n o t II 572) und ist daher wohl abzulehnen.
4) Sorel III 54.
5) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12: Friedrich Wilhelm an Lucchesini.
Au Quartier General ä Hans ce 23. Septembre 1792. J'ai ete fort inquiete
pour vous, Monsieur le Marquis, puisque votre quartier etait expose.
J'envoie une escorte qui vous conduira ici d' apres le chemin indique par
le Duc, et vous me ferez le plaisir d'y venir le plus tot possible pour regier
l'af faire de laquelle nous sommes convenus ä Landres. Sur ce . . . Der Hin-
weis ist mir noch nicht ganz klar. Geht er auf den Versuch Massenbachs
bei Dumouriez?
Verhandlungen mit Dumouriez 329
geblich auf Verlangen des Königs und des Herzogs, von Termes
südöstlich von Grandpre nach Verdun mit dem diplomatischen
Korps zurückgegangen war, wo er am 24. September abends
10 Uhr eingetroffen war. Am 25. früh hatte er Briefe vom König
und vom Herzog. Um 10 Uhr früh reiste er ab, war abends 10 Uhr
in Termes. Um Mitternacht setzte er sich zu Pferde und war
früh um 6 in Hans, dem preußischen Hauptquartier1).
Ich glaube nicht, daß den König das Verhalten Österreichs
und Rußlands in der Entschädigungsfrage zu dem Eingehen
auf die Verhandlungen mit Dumouriez veranlaßt hat. Viel
eher drängte es ihn dazu, zu schlagen, um sich durch einen Sieg
einen neuen Anspruch auf Entschädigung zu sichern2). Wie es
heißt, fand am 22. eine, vermutlich durch Westermann ver-
mittelte, Zusammenkunft mit Dumouriez und Kellermann bei
den Vorposten statt, an der auch Heymann teilnahm3). - Man
verabredete eine Besprechung für den 23. in Dampierre sur
Auve, dem Hauptquartier Kellermanns. Dahin ritten dem-
zufolge Manstein und Heymann4), noch vor Ankunft Lombards,
die erst in der Nacht erfolgte. Heymann hatte ja die Eröff-
nungen Benoits vermittelt und kam mit seinen Anschauungen
über die zukünftige Gestaltung Frankreichs dem preußischen
Standpunkte erheblich näher als die eigentlichen Emigranten.
Dumouriez versprach positiv nichts, ließ aber die günstigsten Ge-
sinnungen erkennen. Manstein gab schließlich den französischen
Generalen schriftlich die Bedingungen, unter denen Friedrich
Wilhelm bereit sei, in eine Verhandlung einzutreten5). Sie ent-
1 ) F e u i 1 1 e t VI 363; Ranke 295. Lucchesini an seine Frau
1. Oktober. Rep. XI Rußland 133 B. Alopeus an Schulenburg 27. Sep-
tember.
2) S y b e 1 II 316; B o g u s 1 a w s k i II 62; S o r e 1 III 53. Lucche-
sinis Bericht 21. September.
3) Häußer I 382; Dumouriez III 61. Lucchesinis Nachlaß
40 III: Au Qu. G. de Ste. Menehould le 22. Septembre ä 7 heures du soir.
Si M. l'adjutant General Manstein veut se rendre demain ä midi ä Dam-
pierre sur Auve au Quartier du General en chef Kellermann, il y sera
parfaitement recu par ce General ainsi que par le General Dumouriez.
Si son compagnon de voyage veut y venir, il faut que ce (soit) i n c o g-
n i t o et comme aide de camp vu les circonstances. Les Generaux des
armees reunies. Dumouriez. Kellermann. Der letzte Satz bezieht sich
zweifellos auf Heymann und erklärt manches.
*) Sybel II 316; Sorel III 53; Feuillet VI 358.
5) Ch.R. 86; F e u i 1 1 e t VI 359 gibt die für die Emigranten wich-
tigen Versprechungen, nicht Bedingungen an.
330 HI. Abschnitt
sprachen ganz dem, was man Benoit im April gesagt hatte. Zu-
nächst verlangte man, mit dem Könige zu verhandeln als dem
rechtmäßigen Vertreter Frankreichs, nicht über die Herstellung
des ancien regime schlechthin1), sondern über einen Zustand,
wie er für das Reich angemessen sei. Manstein versprach münd-
lich, daß sich Preußen nicht in die Verfassung einmischen werde.
Jede Propaganda müsse aufhören2) und der König völlig frei
sein. Heymann seinerseits Heß noch eine andere Möglichkeit
erkennen, sich zu einigen, nämlich durch die Inthronisierung des
Herzogs von Orleans, des vielberühmten Egalite, der eben jetzt
diesen Namen angenommen hatte3), der schon immer darauf -
aus gewesen war, auf den Thron zu gelangen4). Aber dieser Weg
erwies sich rasch als ungangbar infolge der engen Verbindung
des Herzogs mit den Jakobinern. Wie stand es mit dem andern?
Dumouriez und Kellermann konnten die preußischen Vor-
schläge nur weitergeben, Westermann reiste am 24. damit nach
Paris ab5). Die Feindseligkeiten wurden bei den Vorposten in
der Front des Lagers als unnütze Neckerei bis zur Entscheidung
darüber eingestellt6). Kellermann, der, ebenso wie Dumouriez
und alle vorwärtsstrebenden Franzosen, sich gern mit Preußen
verbunden, Österreich gedemütigt hätte7), sah keine Schwierig-
1 ) Ranke 236. Man war bereit, Klerus und Adel den Franzosen
zu opfern, die ihrerseits den Emigranten ein erträgliches Leben im Aus-
lande ermöglichen sollten.
2) Sogar die preußische Armee versuchten die Franzosen jetzt zu
gewinnen, schwerlich ohne Genehmigung Dumouriez', sondern wohl auf
seinen Antrieb, wie die Nationalversammlung es in ihrem Dekret vom
20. April angedeutet und Dumouriez in Belgien ausgeführt hatte. Massen-
haft wurden Proklamationen verteilt, in denen jedem Deserteur eine
Rente von 100 Livre und eine Belohnung von 50 Livre versprochen wurde,
ferner durch persönliche Einwirkung französischer Soldaten — man nahm
dazu deutschredende Elsässer und Lothringer — bis die Preußen sich
das energisch verbaten. Trotz der schlechten Verpflegung — gewiß ein
wichtiger Punkt — desertierte keiner (F e u i 1 1 e t VI 362 — 363;
Massenbach I 119; Ternaux IV 542; Dumouriez II 380;
HäußerI383;BoguslawskiII63;HeigelII 37—38; S o r e 1
III 57; Ch.R. 94—98; Politisches Journal 1792, S. 1134—1135.
3) Laugier-Carpentier 67 — 68 sucht ihn natürlich des-
wegen zu entschuldigen.
i) Lescure II 624; Feuillet VI 384; Vatel, Vergniaud
II 145—146; Fersen II 40; Ranke 228—229; Ch.R. 86.
5) Notes de Topino-Lebrun 24; Sorel III 56—57.
6)HäußerI383;DumouriezIII63f.;HeigelII 36—37.
7) Ch.R. 87; Sorel III 55—56.
Verhandlungen mit Dumouriez 331
keit, auf die preußischen Forderungen einzugehen. Aber man
wird schwerlich zugeben können, daß sich Preußen mit seiner
Auslegung einverstanden erklärt hätte. Ludwig war in den
Tuilerien eben nach preußischer Auffassung nicht frei ge-
wesen, er hätte also von einem andern Orte aus die Verhandlung
aufnehmen müssen, und zwar direkt, nicht durch Vermittlung
des Ministeriums, ja man dachte sogar an eine Verhandlung mit
Ludwig persönlich im Lager von Ste. Menehould1). Dumouriez
glaubte von Anfang an weniger an die Genehmigung des Kon-
ventes. Er gab Manstein nur eine einfache Empfangsbestätigung
für seine Vorschläge2) und bat durch Westermann in Paris um
Instruktionen, der angeblich sogar preußische Pässe erhielt, um
seinen Weg abzukürzen3).
Nach der Erklärung der Republik, von der er am 23. abends
erfuhr4), war der preußische Vorschlag an sich hinfällig geworden5).
Es galt nun eine neue Basis zu finden, auf der man unterhandeln
konnte. Denn Dumouriez war nicht gewillt, nun seinen Ver-
such aufzugeben, ebensowenig aber, sich gegen die Republik zu
erklären. Was auch seine Gedanken dabei gewesen sein mögen
— er stellte sich mit beiden Füßen auf diese neue Basis und sein
Heer mit ihm ; es gab für ihn keine andere Möglichkeit6). Er hoffte,
daß sich Preußen mit dieser Tatsache abfinden werde und fand
in Manstein einen willigen Partner. Da Dumouriez sich trotz
anfänglicher Zusage doch weigerte, ins preußische Lager zu
kommen, so ging Manstein am 25. noch einmal nach Dampierre
zum Diner und zur Konferenz. Dumouriez teilte ihm durch
Überreichung des Moniteur offiziell die Erklärung der Republik
mit, erklärte aber zugleich seinen Wunsch, die Verhandlungen
x) Ranke 236; Feuillet VI 358—359; Ch.R. 89.
2) Häußer I 382.
3) Lettres sur Dumouriez 96.
4) Ranke 240; Heigel II 37; Ch.R. 89—91; Dumouriez III
58 und 65—66; Häußer I 382—383; Sybel II 317.
5) Sie machte im preußischen Hauptquartier tiefen Eindruck
(Vivenot II 571 — 572). Reuß erfuhr davon scheinbar erst nach
Mansteins Rückkehr aus dem französischen Hauptquartier am 25. Dieser
hatte von Dumouriez eine Nummer des Moniteur mit dem Bericht über
ie 1. (?) Versammlung des Konvents erhalten (Ch.R. 91). Schon be-
gann man an dem Erfolge der Verhandlungen zu zweifeln, da man es
mit einer Nation zu tun habe, die weder Treu noch Glauben habe und
über alles Erwarten entflammt sei (Rep. XI 89 k Tauenzien an Schulen-
burg 26. September).
6) Dumouriez III 56—59.
332 III. Abschnitt
fortzusetzen, und deutete die französische Anschauung an1).
Dabei bestand er darauf, Preußen müsse die Republik aner-
kennen. Manstein lehnte das nicht geradezu ab und ließ durch-
blicken, daß Preußen neue Vorschläge machen werde. Am 26.
sollte Thouvenot, Dumouriez' vertrautester Adjutant, ins preußi-
sche Lager kommen, um nicht bloß über den Austausch von
Gefangenen — das war der offizielle Zweck — , sondern auch über
andere wichtige Angelegenheiten zu verhandeln.
Gestützt auf Dumouriez' Anerbietungen setzte Manstein die
Fortsetzung der Verhandlungen trotz der Erklärung der Repu-
blik durch. Aber weder er noch der Herzog von Braunschweig,
den Nassau noch besonders aufgestachelt hatte2), vermochten
die Emigranten mit in den Austausch einzubeziehen3). Die
Franzosen betrachteten sie als Rebellen, und so mußte man sich
auf Preußen, Österreicher und Hessen beschränken. Das war
nicht fein und schmeckte nicht nach den so oft und so laut ver-
kündeten Prinzipien. Es gab den sowieso schon gereizten Emi-
granten, besonders als der Rückzugsbefehl bekannt wurde, neuen
Stoff zu Fabeln aller Art über den Herzog von Braunschweig.
Sie fühlten sich verraten4). Am 26. abends einigten sich die
Preußen mit Thouvenot über den Austausch5). Als nun aber
der Herzog die Erklärung der Republik zur Sprache brachte und
als Bedingung für den preußischen Rückzug die Befreiung Lud-
wigs, seine Einbeziehung in die neue Verfassung forderte, da
konnte Thouvenot nur auf den Konvent verweisen, der darüber
allein zu entscheiden habe, meinte aber für sich, die Nation
werde dem Könige seinen Verrat verzeihen und, wie Dumouriez
vorher geäußert hatte, Ludwig persönlich gut stellen. Aber die
Königswürde sei abgeschafft6). Mit dem Konvent wollte aber
Preußen — Lucchesini griff jetzt ein — nicht verhandeln, es
erkannte nur ein Königreich Frankreich an. Wie sollte es jedoch
MTernauxIV 543; Ch.R. 91 ; Sorel III 58—59.
2) Feuillet VI 363.
3) Sybel II 319—320; Ranke 241—242.
*) Ter n au x IV 166; Fersen II 387; P e 1 1 i e r, dernier tableau.
Ap. zu Nr. V. S. XIII; Ch.R. 230.
6) Am 28. schickte Dumouriez an Manstein das ratifizierte Exemplar,
bat um die Ratifikation des Herzogs und begann gleichzeitig mit der
Ausführung (Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 III: Dumouriez' Adjutant an
Manstein 28. September. L'an 4. de la Liberte (n i c h t le 1. de la Repu-
blique!); Ch.R. 92 Anm. 2.
6) D u m o u r i e z III 57 und 66—68; Ranke 241—242; Sorel
III 59—60; Ch.R. 92; Vi veno t II 571.
Verhandlungen mit Dumouriez 333
Ludwig3 Lage bessern, da Dumouriez nicht mit Unrecht an-
geführt hatte, die Gefahr für den Exkönig wachse mit dem Vor-
rücken der Verbündeten? Immerhin war man im preußischen
Hauptquartier mit dem Ergebnis ganz zufrieden. Noch wiegte
man sich in der Hoffnung, Dumouriez für sich zu gewinnen1).
Man sieht, wie vorsichtig er auftrat. Er erkannte den neuen
Zustand der Dinge rückhaltlos an, so wie er es nach dem 10. August
gemacht hatte. Ist es zu viel vermutet, daß Lafayettes Schick-
sal ihn in seiner Haltung noch bestärkt hat? Aber er verhandelte
weiter und kam den Preußen so weit entgegen, wie ihm die Macht-
haber in Paris Spielraum ließen; er bat sogar in Paris, ihm die
Verhandlungen zu übertragen, da die Preußen ihm, dem alten
Minister der auswärtigen Angelegenheiten, großes Vertrauen ent-
gegenbrächten (!)2). Er dachte sich die weitere Unterhandlung
auf Grund folgender Forderungen: Anerkennung der Republik,
Verzicht auf die Konvention von Pillnitz (!), Räumung Frank-
reichs und Rückgabe der Festungen, ruhiges Zusehen bei dem
österreichisch-französischen Kriege3), einfache Verwendung für
Ludwig XVI. ohne spezielle Forderung, rechtliche Entscheidung
der Ansprüche der Reichsfürsten. Wenn Preußen darauf ein-
ging, so schien ihm sein Plan, mit Preußen ein Bündnis gegen
Österreich zu schließen, seiner Ausführung nahe gerückt zu sein;
bald werde Belgien frei sein4). Tatsächlich war die Pariser Re-
gierung mit ihm einer Meinung. Nach außen verkündete sie
zwar pomphaft am 25. — 26. September , Dumouriez dürfe sich
nicht eher auf eine Unterhandlung einlassen, als bis die Feinde
den französischen Boden geräumt hätten. Im stillen aber wurden
Westermann und Benoit in das preußische Hauptquartier ge-
sandt, um womöglich einen Separatfrieden zu stände zu bringen5).
Dumouriez handelte inzwischen in ihrem Sinne, als er einen
neuen kräftigen Angriff auf Friedrich Wilhelm unternahm. Um
endlich die Hauptfrage für sich zu entscheiden6), schickte er am
27. an Manstein für den König Kaffee, Zucker und Brot, da er
höre, daß es daran fehle, und vor allem ein Memoire, das nach
dem Muster Faviers die preußischen und die französischen Staats -
x) Vi veno t II 572.
2) Ch.R. 98; S y b e 1 II 319; TernauxIV 543; S o r e 1 III 60.
3) Auch als Reichsstand, sollte es nicht daran teilnehmen.
*) Ternaux IV 544.
5) Sybel II 319; Sorel III 77—83.
8) Sybel II 320.
334 HI. Abschnitt
interessen, ihre innere Verwandtschaft und ihren gemeinsamen
Gegensatz gegen Österreich auseinandersetzte, dazu die Un-
möglichkeit, Frankreich niederzuwerfen, die Revolution zu ver-
nichten, die Notwendigkeit, den Konvent anzuerkennen, mit
ihm. zu verhandeln1). Es ließ also an Deutlichkeit noch weniger
zu wünschen übrig als das erste; aber vergeblich sucht man es
als eine Kriegslist zur Teilung der Gegner zu bezeichnen2). Fried-
rich Wilhelm hatte beim Durchlesen die Empfindung, eine Lektion
zu erhalten3). Die andern Anwesenden, Lucchesini, der Herzog
von Braunschweig und Reuß teilten seine Entrüstung, dieser
machte seinem Zorn brieflich in drastischer Weise Luft4). Der
König sollte das preußische Staatsinteresse der Ehre geopfert
haben. Befand er sich bei der Allianz mit Österreich wirklich
so schlecht? Er konnte es nicht finden. Was vermochte ihm
Dumouriez zu bieten? Eine feste Regierung sicher nicht; denn
die neue war erst seit einigen Tagen zur Herrschaft gelangt.
Würde sie sich länger halten als die vorangegangenen? Von
der Befreiung Ludwigs oder gar von seiner Einsetzung in seine
alten Rechte war keine Rede. Preußen sollte seine Erfolge,
seine ganze bisherige Politik, sein Allianzsystem aufgeben, um
sich blind in ein neues zu stürzen, das ihm keinen Ersatz für den
Verlust bieten zu können schien. Alle militärischen Vorteile
endlich waren bei der Verhandlung auf der Seite der Franzosen,
die ihre Truppen unaufhörlich zum Schaden der Preußen ver-
schoben. Es war zu viel verlangt. Man fühlte sich von Du-
mouriez düpiert, ohne es in dieser Beziehung zu sein, und sprach
mit Unrecht von einer plötzlichen Sinnesänderung Dumouriez'5).
Es hätte scheinbar gar nicht des Eingreifens von Lucchesini be-
durft, der in den Verhandlungen in der Tat seit seiner Ankunft
im Lager vom 26. früh 6) eine List Dumouriez' sah, um nur Zeit
zu gewinnen, und der sich über die Pseudopolitiker lustig machte,
die sich durch solche Künste täuschen ließen') — er war in seiner
1 ) Häußer I 384—385; Ranke 297—298; Dumouriez III
67—68; Sorel III 61.
2 ) Peltier, dernier tableau. Ap. zu Nr. V.
3) Sorel III 62.
4) Vivenot II 572; Ranke 243.
5) Ranke 296.
6) Häußer I 384; Sybel II 320; Hei gel II 38; Ranke
295; Ch.R. 101. Lucchesini an Finckenstein und Alvensleben 29. Sep-
tember (bei Ranke liegt ein Druckfehler vor).
7) Lucchesini an seine Frau 1. Oktober. Rep. XI 89 h. Tauenzien an
Schulenburg 26. September, ähnlich.
Verhandlungen mit Dumouriez 335
Feinheit gänzlich unfähig, den neuen Zustand zu verstehen und
Dumouriez' Anträge ehrlich zu würdigen1) — um den König zur /yw'v
Ablehnung der Vorschläge, zum Abbruch der Verhandlungen
überhaupt zu veranlassen *). Manstein erhielt vom Könige einen
gehörigen Rüffel und mußte noch am selben Tage diese Ant-
wort Dumouriez übermitteln.3)
Aber Lucchesini gab diesem Abschluß Farbe und verlieh ihm
prinzipielle Bedeutung. Das Auftreten Dumouriez' schien seiner
Ansicht nur zu sehr recht zu geben, daß mit diesen Leuten ein
ehrlicher Friede unmöglich und gar keine rechtmäßige, stabile
Regierung vorhanden sei, mit der man unterhandeln könne.
Er verfaßte also ein Memoire — nur er kann der Verfasser sein4) —
das Klarheit über den weiteren Gang der preußischen Politik
und der militärischen Operationen verschaffen sollte. Breteuil
lieferte ihm offenbar dazu einiges Material in den vorangegangenen
Tagen gemeinsamer Arbeit. Von sentimentalen Anwandlungen
ist darin keine Spur zu finden. Die Emigranten schob er beiseite
als kostspielig und geradezu schädlich. Die Sorge für ihre Fa-
milien, für die Priester und vor allem für die königliche Familie
konnte nur in zweiter Linie in Betracht kommen5). Die Haupt-
sache war die Vernichtung der gefährlichen Sekte der Jakobiner,
die sich nicht damit begnügen wollte, Frankreich zu beherrschen,
sondern auch ganz Europa nach ihren Doktrinen umzugestalten.
Es bestand also tatsächlich ein gemeinsames Interesse der ver-
schiedenen Staaten an der Bekämpfung der Revolution. Kräftig
mußte man handeln und nicht nur gerade so viel Truppen stellen,
als nötig waren — das hatte dem ersten Feldzug sehr geschadet —
sondern lieber die Hälfte mehr, um desto sicherer zum Ziele zu
kommen. Es konnte kein Zweifel sein, daß man es im nächsten
Jahr mit den unbesiegbaren preußischen Heerscharen gegenüber
den lächerlich anmutenden französischen Truppen (!) erreichen
werde, wenn man die bisherigen Fehler vermied und wo man
nicht mit so außergewöhnlichen Verhältnissen zu rechnen brauchte
wie in diesem Jahre. Nur verzögert war der Erfolg. Man konnte
*) Feuillet VI 363; Fersenll 382; Häußer 1 386; Lucche-
sini an seine Frau 13. November.
2) Ranke 296. Lucchesinis Berichte 29. September und 3./7. Ok-
tober.
3) Häußer I 385—386.
4) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 III; Vivenot II 573.
5) Rep. XI 89 h. Reck an Schulenburg 15. August. Dumouriez
II 367.
336 III. Abschnitt
doch auch nicht für immer auf die Erstattung der schon auf-
gewandten Kriegskosten verzichten. Die Republik, die Du-
mouriez mit Unrecht als gesetzmäßige, dauernde Einrichtung an-
sah, mußte von selbst zerfallen; aber wenn man sich nicht gegen
ihre Angriffe zur Wehr setzte, so war in zehn Jahren ganz Europa
unter der Herrschaft der Jakobiner. Das galt es zu verhindern.
Zunächst mußte das Vertrauen zwischen den verbündeten
Höfen gefestigt werden, das durch Dumouriez' Memoire sehr ge-
fährdet wurde1), und Sardinien und Spanien aufgemuntert
werden2). Ferner mußte eine Deklaration im Namen der Mächte
*) Tatsächlich machten die preußischen Verhandlungen mit den
französischen Generalen überall den schlechtesten Eindruck, in Berlin
angefangen. Wenn es auch heute keinem Zweifel mehr unterliegt, daß der
Herzog nicht bestochen worden ist, oder was man sonst für Märchen
aufbrachte, so fanden doch derartige Gerüchte zahlreiche Gläubige,
sogar unter den preußischen Diplomaten. Vgl. P e 1 1 i e r, dernier tableau.
Ap. zu Nr. V, S. XI ff. ; Politisches Journal 1792, S. 1095 ff., 1133, 1135 bis
1137, 1142—1144, 1164—1166, 1208—1209; Häußer I 389 und 391;
Ch.R. 212 ff. An Lucchesini 11., 22. und 29. Oktober, 8. November;
Rep. XI 89 k. Schulen bürg an Tauenzien 11. Oktober. Rep. 92 Lucchesinis
Nachlaß 40 III: Reck an Lucchesini 15., 21., 23., 25. Oktober, 19. No-
vember. Rep. XI 89 h. Reck an Schulen bürg 11. und 22. Oktober, 8. De-
zember. Schulenburg an Reck 9., 12. und 19. Oktober. Zeißberg,
Karl-Hohenlohe 56 — 58 und 65 — 67; Krieg gegen die Revolution II 175
bisl76;FeuilletVI376— 377 und 390; Sy bei II 312— 313; Hau ßer
I 389; SorelIII96;Laugier-Carpentier 65—66; Daudet,
Coblentz 288; Daudet I 209 — 210. Sehr interessant sind die un-
begründeten Annahmen des Preußenfressers Woronzow in London
(Worontzow IX 261—264, 274—278, 311). Dazu F e u i 1 1 e t VI
398 — 399, wo die Prinzen komischerweise für die bei ihnen herrschende
Unordnung kein Wort des Tadels finden.
2 ) Am 3. Oktober ergingen in der Tat derartige Befehle nach London
und Madrid. Da die Franzosen in Sardinien bereits eingefallen waren,
bedurfte es dort jetzt wohl keiner besonderen Aufforderung mehr. Diese
Anschauung findet auch ihren Ausdruck in der Note von Merle und der
Erklärung von Haugwitz dazu (Vivenot II 624 und 661). Noch
für dies Jahr um russische Hilfe zu bitten, wie Nassau vorgeschlagen
hatte, lehnte Friedrich Wilhelm mit Recht als unerfüllbar ab, auch schon
in dem Gedanken, das könne der Entschädigungsaktion schaden. Er
ließ jetzt nur Katharina darüber aufklären, daß der Kaiser habe Geld
haben wollen und daß er sich dem als guter Bundesgenosse angeschlossen
habe, selbst aber russische Truppen lieber gesehen hätte und im nächsten
Jahr sähe. Aber er vertrat auch die Anschauung, im nächsten Jahr
müßten alle Mächte gegen Frankreich vorgehen. Er für seinen Teil war
dazu entschlossen und rechnete sogar auf russische Hilfe. Vgl. Häußer
I 390; S y b e 1 II 348; H e i g e 1 II 43; F e u i 1 1 e t VI 390—391 und
403 — 404. Lucchesinis Berichte 3./7. Oktober, 24. Oktober. An Lucchesini
Verhandlungen mit Dumouriez 337
gegen die Jakobiner ergehen, ohne daß jedoch von dem Königs-
paar und den Emigranten gesprochen wurde. Österreich mußte zur
Stellung von mehr Truppen angehalten werden, es war ja auch
der angegriffene Teil. Die russische Hilfe mußte angenommen,
die anderer Mächte, wie etwa Sachsens, herbeigeführt werden.
Die Emigranten endlich waren militärisch ganz aus dem Spiel
zu lassen; sie machten nur die deutschen Truppen rebellisch,
und schon ihre Geschwätzigkeit richtete unnennbaren Schaden
an. Die Feststellung des Feldzugsplanes mußte natürlich dem
Könige und dem Herzog überlassen bleiben. Immerhin war zu
erwägen, daß man besser in mehreren Korps als in gedrängter
Masse einmarschierte1). Der beste und kürzeste Weg war der
über Valenciennes, den frei zu machen es nur der Eroberung von
Lille bedurfte, wozu die Österreicher dort schleunigst verstärkt
werden mußten. Ob man jetzt noch etwas tun konnte, mochte
unentschieden bleiben, ebenso ein etwaiger Winterfeldzug.
Sicher aber war es sehr schwer, in Frankreich vorzudringen,
wenn man alles aufgab.
Von diesem Plan gewann zunächst das Manifest Gestalt.
Lucchesini redigierte es. Nachdem der König es gebilligt hatte,
mußte es der Herzog von Braunschweig als Oberbefehlshaber
der Truppen unterzeichnen. Lucchesini hielt darin treu an der
preußisch-österreichischen Gewohnheit fest, nicht nur mit den
Waffen, sondern auch mit der Feder die Revolution zu bekämp-
fen2). Es zeigte sich, daß es tatsächlich nicht möglich war, den
22. Oktober. Bericht von Goltz 5./16. Oktober. An Goltz 2. November.
Lucchesini an seine Frau 27. Oktober. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß
40 III: Lucchesini (an Nassau) 18. Oktober 1792.
*) Diesen Vorschlag hatte auch schon Reck am 1. September aus
Brüssel gemacht. Er hoffte, bei seiner Ausführung mehr Schrecken ver-
breitet zu sehen (Rep. XI 89 b. Reck an Schulenburg 1. September).
2) Vivenot II 573; Politisches Journal 1792, S. 1079—1081;
Ranke (243) sagt, es sei vor dem Eintreffen des französischen begonnen
worden. Lucchesini sagt nichts davon (296). Sicher ist jedenfalls die
Billigung von Reuß, der damals zweifellos das französische Memoire
schon kannte (V i v e n o t II 572 — 573). Selbst wenn aber Ranke recht
hätte, so machte das doch nicht viel aus. Lucchesinis Anschauung stand
ja schon fest, bevor er von Dumouriez' Memoire Kenntnis hatte. So eng
braucht man auch den Begriff der Antwort nicht zu fassen. Dumouriez'
Schritt bot ihm also wohl nur den Anlaß, selbst vorzugehen, war aber
nicht der Grund dafür. — Gleichzeitig erging ein neues, gemäßigtes
Manifest der Prinzen (V i v e n o t II 573. Lucchesinis Bericht 29. Sep-
tember mit Beilage). Lucchesini machte nur zu diesem die Bemerkung:
un peu tard.
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 22
338 HI. Abschnitt
König ganz beiseite zu lassen, wenn man die Jakobiner bekämpfen
wollte. Das Manifest war tatsächlich eine zweite Auflage des-
jenigen vom 25. Juli. Von einer Anerkennung des Konvents
war keine Kede; vielmehr wurde er indirekt auf das stärkste
verdammt. Dieselben Vorstellungen von einer kleinen Partei,
die Frankreich beherrsche und gegen die sich die vernünftige
Mehrzahl erheben müsse, um die schrecklichen Gefahren von
Frankreich abzulenken, die ein Beharren in dieser Bahn nach sich
ziehen mußte, dieselben Drohungen, wenn auch nicht in so blut-
triefender Sprache wie beim ersten Male, dieselben Forderungen.
Es gehörte schon ein geschulter Diplomat dazu, um den — aller-
dings bedeutenden — Unterschied festzustellen, daß man nur
noch Freiheit, Sicherheit und Würde, nicht aber die Autorität des
Königs wiederhergestellt zu sehen verlangte1). Ich finde in der
Tat nur zwei, die mit dieser Klausel etwas anzufangen wußten,
Beurnonville und Lebrun, dem das vortrefflich in seinen Plan
paßte2). Im ganzen war es doch so scharf, daß die Franzosen
nur mit der Wiedereröffnung der Feindseligkeiten darauf ant-
worten konnten. Das nannte Lucchesini dann ein gemäßigtes
Schriftstück3). Preußen sorgte für die schleunige Veröffent-
lichung des Manifestes, von dem es sich einen günstigen Einfluß
auf die Stimmung der Franzosen, eine Erleichterung der Ope-
rationen — noch war der Rückzug nicht beschlossen — ver-
sprach, und verlangte von Dumouriez ein Gleiches4).
Hatte schon das erste Manifest seine Wirkung verfehlt, über
dies lachte man geradezu im Konvent5). Wie konnte der Herzog
drohen, während ihm noch zwei französische Heere unbesiegt
gegenüberstanden und seine eigene Lage sich wirklich nicht ge-
bessert hatte! Wenn das Manifest hätte Erfolg haben sollen,
so hätte gleichzeitig mit seiner Bekanntgabe die Nachricht von
1 ) Ranke 243.
2) Ch.R. 144; S o r e 1 III 87—88.
3) Ranke 296; H äußer I 385—386; Hei gel II 38; Sorel
III 62—63; Ch.R. 105; Politisches Journal 1792, S. 1091; Lucchesinis
Bericht 29. September. Es entsprach ganz dem doppelten Bedürfnis,
die Stellung zur Revolution und zu Ludwig XVI., die in den letzten Tagen
verwischt worden war, deutlich zu kennzeichnen und den Österreichern
den Beweis der Bundestreue gegen alle französischen Ausstreuungen un-
widerleglich in die Hand zu geben.
4) Ranke 299—300.
6) Auch auf der Seite der Verbündeten meldeten sich Stimmen der
Kritik, allerdings erst nach dem Rückzug (V i v e n o t II 583, 586, 605).
Verhandlungen mit Dumouriez 389
einem Siege der Preußen in Paris eintreffen müssen1). Das war
in der Tat die Absicht Friedrich. Wilhelms. Er wollte jetzt die
so lange aufgeschobene Schlacht Hefern2). Noch fühlte er sich
stark genug dazu. Dumouriez hatte sofort, als er Kenntnis von
dieser deplacierten Deklaration erhalten hatte, eine geschickt
getroffene Auswahl der Aktenstücke über die Verhandlungen
drucken lassen, darunter vor allem sein Memoire und das des
Herzogs mit folgender Einleitung : „Da habt ihr, Kampfgenossen,
die verständigen Vorschläge, die ich den Preußen gemacht habe,
nachdem sie an mich wegen eines Friedensschlusses herangetreten
waren. Der Herzog von Braunschweig hat mir als Antwort ein
unverschämtes Manifest geschickt, das die ganze Nation reizen
und die Zahl ihrer Krieger vermehren wird. Keinen Waffen-
stillstand mehr, meine Freunde, greifen wir diese Tyrannen an
und lassen wir sie es bereuen, hergekommen zu sein, um ein freies
Land zu besudeln"3). Er hatte ferner sofort den Waffenstill-
stand für den 29. früh gekündigt. Er erkannte, daß Preußen
jetzt nicht zu gewinnen sei und an der Allianz mit Österreich
festhalte4). Jede weitere Verhandlung schien ihm nach einem
derartigen Schriftstück unmöglich zu sein. Er konnte auch nicht
weiter vorgehen, da er auf alle seine Depeschen aus Paris keine
Antwort empfing5). Von dieser Seite stand also dem Kampfe
kein Hindernis mehr im Wege.
Jetzt aber trat der Herzog aus seiner Zurückhaltung hervor,
diesmal unterstützt von Lucchesini, sobald er im Hauptquartier
eingetroffen war6). Er hatte am 20. die Schlacht nicht gewagt,
wo die Truppen noch verhältnismäßig frisch und kampfbegierig
gewesen waren, wo er die Franzosen in einer ungünstigen Stel-
*) FersenE 378; F e u i 1 1 e t VI 400; Rep. XI 89 h. Reck an
Schulenburg 11. Oktober; Worontzow IX 261—264.
2) Krieg gegen die Revolution II 177; Häußerl 386; Sybel
II 321 ; B o g u s 1 a w s k i II 61 und 68; H e i g e 1 II 39; R a n k e 244;
V i v e n o t II 571.
3) Boguslawski II 66—67; Dumouriez III 69—71 ; Rep.
40, 14 a: Nouvelles interessantes des armees de la röpublique francaise.
A Metz (gedruckt); S6gur II 289—294; Politisches Journal 1792,
S. 1082—1083 und 1101—1107.
4) Boguslawski II 68; Sybel II 344; Sorel III 64—65;
Hei gel II 39; Ch.R. 87 und 107.
5) Sorel III 63—65; Massenbach I 122—124. Ob diese
Bemerkungen wie auch andere (I 109) nicht aus Dumouriez' Memoiren
stammen, verdiente genauer untersucht zu werden.
6) Häußerl 386—387; S y b e 1 II 321; Ranke 297.
340 in. Abschnitt
lung getroffen hatte. Wie sollte er jetzt, wo sich alle diese Vor-
aussetzungen zu seinem Nachteil geändert hatten, darauf ein-
gehen, wo die preußischen Truppen auch durch die zeitweilige
Stockung in der Verpflegung hatten hungern, infolge der schlechten
Stellung sogar dürsten müssen und Krankheiten die natürliche
Folge aller dieser Umstände waren1)! Nicht umsonst hieß dieser
öde Teil die lausige Champagne2). Gleich nach Valmy trat er
den Forderungen der Emigranten, zu schlagen, entgegen3). Um
dem mehr Gewicht zu geben, ließ er durch den König einen
Kriegsrat berufen. Am 24. fand er statt. Der König, der Herzog,
Kaikreuth, Hohenlohe, Clerfayt, Nassau, Castries, d'Autichamp,
de Rozieres nahmen daran teil4). Der Herzog, der ihn geleitet
zu haben scheint, sprach sich für den Rückzug an die Maas aus.
Dort wollte er sich für den Winter häuslich einrichten und die
noch fehlenden Festungen erobern. Castries war für den An-
griff auf Kellermann, der in der Luft stehe, wie es schon Nassau
vorher zu dem Herzog gesagt hatte, und der König stimmte ihm
ganz bei. Als Clerfayt sich nun bereit erklärte, zu schlagen,
wenn er Brot erhalte, da wurde bis zum 29. — bis dahin sollte
es beschafft sein — die Entscheidung vertagt. Am 25. hörte
der Herzog von der Erklärung der Republik in Paris. Jetzt
könne man sich nur noch die Aufgabe stellen, die eroberten
Provinzen zu behaupten5). Am 26. machte er Thouvenot den
Vorschlag, sich hinter die Maas zurückzuziehen, wenn die Fran-
zosen hinter die Marne zurückgingen6). Nun nahmen die Krank-
heiten rapide zu. An Lebensmitteln fehlte es durchaus, alles
mußte auf Wagen von Verdun her angeschafft werden. Nicht
einmal Wasser war auf der trockenen Höhe zu erhalten; man
war auf die Gutmütigkeit der Franzosen angewiesen, wenn man
es sich aus dem Tal holte. Um ein Biwakfeuer anzumachen,
zerschlug man die Möbel aus den Häusern der umliegenden
Dörfer7). Das reichte schon aus, um für den Rückzug zu ent-
scheiden. Es bedurfte dazu gar nicht mehr der Nachricht von
1) Fersen II 41 und 390; V i v e n o t II 581; Ch.R. 110—116.
a) La Champagne pouilleuse. Dumouriez II 392.
3) F e u i 1 1 e t VI 360 ff. ; Boguslawski II 61.
*) Peltier, dernier tableau. Ap. zu Nr. V, S. XV; Ch.R. 117;
Heigel II 39; des Portes, Conde 33—34.
6) Vi veno t II 571.
6) Ch.R. 160.
7) Fersen II 39—40; Rep. XI 89k, Tauenzien an Schulenburg
26. September.
Verhandlungen mit Dumouriez 34 \
dem Marsche Custines, von dem schon vorher den Preußen auf
geheimem Wege Nachricht zugekommen war, die sie aber nicht
beachtet hatten1). Was gewann man denn auch mit einem
sicherlich teuer erkauften Sieg? Es hätte nur noch ein Pyrrhus-
sieg werden können2). Die Franzosen verstärkten sich mit jedem
Tag, die Preußen wurden immer schwächer. So siegte denn trotz
der Ankunft des Brotes am 29. die Meinung des Herzogs3). Man
wartete nicht erst die von Dumouriez geplante Überflügelung
ab4), sondern der Rückzug wurde beschlossen, nicht weil man
sich vom Feinde besiegt fühlte, auch nicht weil es an Lebens-
mitteln fehlte und die Wege unpassierbar waren, sondern weil
man sich keinen Erfolg mehr von weiterem Vorrücken ver-
sprach5).
Dieser Entschluß war das Eingeständnis des kläglichen
Scheiterns des Feldzuges. Er machte die Affäre bei Valmy zu
einem militärischen Sieg der Revolution6). Gewiß wäre es rich-
tiger gewesen, schon am 21. September den Rückzug anzutreten;
aber das Richtige bedarf auch gewisser Zeit, um erkannt zu
werden und sich durchzusetzen7). Bis nach Verdun sollte die
Armee zurückgehen. Dann sollte Clerfayt Sedan erobern, der
Österreicher Hohenlohe Diedenhofen, worin er nur durch den
Zug nach der Champagne gestört worden war. So hätte man
Winterquartiere in Frankreich und eine gute Operationsbasis für
den bevorstehenden zweiten Feldzug erhalten8). Am Abend des
29. wurde der Troß vorangeschickt, in der Nacht folgte die
1 ) Dillon war der Plauderer gewesen. Vgl. über ihn zwei sich durchaus
widersprechende Urteile von Dumouriez, eins günstig (Memoires
II 360—361) und eins ungünstig (T e r n a u x IV 536). Der Wechsel ist
bedingt durch seinen Sturz. Sein Kampf gegen die Jakobiner hatte ihn
Dillon politisch näher gebracht. Heigel II 40; Boguslawski II
63; S o r e 1 III 59; Ch.R. 97—98; Massenbachl 122. Ob dieser
schon am 1. Oktober um Mainz so besorgt gewesen ist, möchte ich doch
in Frage stellen (Massenbach I 125 — 130).
2) P e 1 1 i e r, Ap. zu Nr. V, S. V.
3) Dumouriez III 49 und 67 — 68; Lettres sur Dumouriez
93—94; Ch.R. 92—94 und 118—119; F e u i 1 1 e t VI 363—364; Fersen
II 40—41; Häußerl 388—389; Ranke 244.
*) Ternaux IV 542—543.
5 ) Ranke 297. Lucchesinis Bericht 29. September. Lucchesini an
seine Frau 29. September.
6) Krieg gegen die Revolution II 177.
7) Dumouriez III 49—50 und 103—104.
8) R a n k e 297 ; H ä u ß e r 1 386—387 ; V i v e n o t II 580 ; Deutsche
Revue 1883 I 313—314. Lucchesini an seine Frau 1. Oktober.
342 HI. Abschnitt
Armee. Die Österreicher waren aber so ungeschickt, daß ihnen
die Franzosen mit leichter Mühe hätten ihr Gepäck abnehmen
können1).
Es handelte sich jetzt bloß noch darum, den Rückzug mög-
lichst zu erleichtern, ihn überhaupt erst möglich zu machen2).
Denn die Stellung der preußisch-österreichischen Armee war sehr
gefährdet. Durch die Argonnen mußte sie, aber der nächste Weg
über Les Islettes war ihr versperrt. Man wählte den über Grand-
pre, auf dem man auch gekommen war. Er war bedeutend kürzer
als der von Hohenlohe vorgeschlagene Weg über Revigny aux
Vaches und Bar le Duc um das Südende der Argonnen3). Aber
die Franzosen konnten dort eher eintreffen als die Preußen.
Ihnen stand die alte Römerstraße am Ufer der Biesme von Les
Islettes nach Vienne le Chäteau und die Straße von Ste. Menehould
nach Vouziers dicht an den Argonnen entlang zur Verfügung.
Die Franzosen mußten also festgehalten und die preußische Ab-
sicht ihnen verheimlicht werden. Dazu benützte jetzt Preußen
das Mittel politischer Verhandlungen. War es bisher dabei der
Geschädigte gewesen, so wollte es den Franzosen mit gleicher
Münze heimzahlen4). Nach dem Troß verließen in der Nacht
vom 29. zum 30. September auch die Truppen ihre Stellungen.
Am 30. früh fanden die Franzosen das Nest leer.
4. Kapitel
Der Rückzug
I.
Der Herzog — denn er ist es, der jetzt die Initiative ergreift
— versuchte es zunächst auf dem schon bekannten Wege. Man-
stein mußte an Dumouriez schreiben und um eine neue Unter-
redung für den 29. mittags bitten, da Dumouriez den Sinn der
Deklaration völlig mißverstanden habe. Aber dieser beharrte bei
1) Feuillet VI 363.
2) Unerklärlich ist also heute der Entschluß nicht mehr (Daudet,
Coblentz 287 und Daudet I 209).
3) Massenbach I 116—117.
4) Deutsche Revue 1883, I 309; H äußer I 388—389; Heigel
II 39—40; Sorel III 64—66 und 85; Ch.R. 154.
Der Rückzug 343
seiner Ablehnung. Solange das Manifest bestehe, könne von
einer Verhandlung nicht die Rede sein, da es allem zuwider sei,
was man in den letzten vier Tagen verhandelt habe, besonders
auch den Worten des Herzogs gegenüber Thouvenot. So sei die
Fortsetzung des Krieges nicht mehr zu verhindern1).
Dieser Anlauf der Preußen war also gescheitert. Da kam
ihnen ein Umstand zu Hilfe, mit dem sie nicht hatten rechnen
können. Am 20. September war der neue Nationalkonvent zu-
sammengetreten. Er hatte gleich am 21. das Königtum ab-
geschafft und am 22. Frankreich zur Republik erklärt. Man
begreift, daß sich seine Mitglieder in nationalen Phrasen be-
rauschten und von Verhandlungen mit den Tyrannen — das ist
jetzt die gewöhnliche Bezeichnung für die Monarchen — nichts
wissen wollten. Aber die verantwortlichen Leiter der Geschäfte
hielten sich den Kopf kühler. Sie erkannten doch die Gefahr
und schätzten sie wahrscheinlich sogar höher ein, als sie war.
Dumouriez sagte gelegentlich, man mähe eine Armee nicht nieder
wie das Gras auf einer Wiese. Das war ganz in ihrem Sinne ge-
sprochen. Sie fürchteten einen Kampf bis zum äußersten und
wollten daher dem Feinde goldene Brücken bauen. Während sie
also ruhig die flammenden Erklärungen gegen die Tyrannen mit-
machten2) und damit dem Volke Sand in die Augen streuen
wollten3), beschlossen sie, auf die Vorschläge Mansteins einzu-
gehen, die ihnen Dumouriez übermittelt hatte. Denn, wie eins
der Mitglieder des Conseil executif (es war Lebrun) fein bemerkte,
die preußischen Forderungen erstreckten sich nicht auf die
Wiederherstellung des ancien regime, sondern erkannten die Not-
wendigkeit einer Änderung der französischen Verfassung an. Da
der König nur als Repräsentant der Nation bezeichnet sei, sei
auch das Fundamentalprinzip der Nationalsouveränität gebilligt.
Die Möglichkeit zur Verhandlung sei also trotz der Erklärung
der Republik gewahrt. In diesem Sinne erhielten nun Wester-
mann und Benoit, den man ihm zugesellte, am 26. September
ihre Instruktionen. Gebilligt wurde die preußische Forderung,
die Propaganda der revolutionären Prinzipien die Landesgrenzen
nicht überschreiten zu lassen; sie sei nie offiziell gebilligt oder
gar organisiert worden. Das Schicksal des Königs, der die Nation
*) Ranke 301—302; Ch.R. 106—107; S o r e 1 III 64—66.
2) Von ihnen hat sich Sybel (II 319 und 327) blenden lassen. Er
schreibt die Mäßigung mit Unrecht nur den Generalen zu (II 344 ff.).
3) Sorel III 77 ff.
344 . III. Abschnitt
nicht mehr repräsentiere und den man nicht in Freiheit setzen
könne, sollte aber Preußen ganz dem Konvent überlassen, der
über ihn zu Gericht sitzen werde. Eine Einmischung des Aus-
landes sei schlechterdings nicht angängig. Über die Behandlung
Ludwigs im Temple konnten sie jedoch beruhigende Erklärungen
mitnehmen. Bei den Verbündeten hatte man ja nicht mit Unrecht
die sonderbarsten Befürchtungen gehegt1). Eine unumgängliche
Bedingung für weitere Verhandlungen, als deren Ziel eine Allianz
gedacht war, sei der Kückzug der Preußen aus Frankreich.
In der Nacht vom 26. zum 27. reisten sie nach Ste. Menehould
ab2), in der Hoffnung, doch noch dies heißersehnte Bündnis mit
Preußen gegen Österreich zustande zu bringen. Eroberungs-
absichten auf die Niederlande wurden noch mehrmals feierlich
in Abrede gestellt. Frankreich wollte selbst einem eventuellen
Wunsche der Belgier nicht willfahren. Man hat immer noch an
die Errichtung eines selbständigen Staates gedacht, so wie es
Dumouriez im Frühjahr und Lafayette schon anläßlich der
früheren Unruhen im Jahre 1790 geplant hatten. Man wollte Eng-
ländern wie Preußen das Zugeständnis machen, sich nicht mehr
in die holländischen Angelegenheiten einzumischen, was nach der
Vertreibung der Österreicher aus Belgien natürlich um so viel
leichter gewesen wäre. Als einfachstes Mittel dazu erschien der
Zutritt Frankreichs zur Tripelallianz der Seemächte mit Preußen3).
Diesem selbst endlich wollten die Franzosen freie Hand lassen,
und wenn sie natürlich nicht gerade eine neue Teilung Polens
anregten4) — der ideellen Unterstützung war ihr alter Bundes-
genosse noch immer sicher — so suchten sie vielmehr einen
Bissen für Preußen in österreichisch- Schlesien und hofften, damit
zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, Preußen zu gewinnen
und dabei zu stärken und Österreich zu schädigen5).
Erinnern wir uns aber daran, daß das Conseil executif auch
jetzt noch den Rückzug der beiden französischen Armeen hinter
die Marne forderte. Nicht Siegeszuversicht, sondern Angst war
1) Sorel III 81; Ternaux IV 165.
2) Ch.R. 151.
3) S o r e 1 III 81—82 und 95; S y b e 1 II 346; Ch.R. 199; R a n k e
244—245.
4) Nur der täppische Kellermann schlug sie in Paris vor, später
sogar bei den Preußen selbst (Sybel II 346—349; Häußer I 391;
Hei gel II 41; Ch.R. 199; Sorel III 91).
6) Sorel III 80—81; Ch.R. 150—152.
Der Rückzug 345
die Haupttriebfeder. Als man sich nachher wider Erwarten in
der Lage befand, dem Gegner Gesetze vorschreiben zu können,
da kam man gar nicht auf den Gedanken1), sie bis zur letzten
Möglichkeit auszunützen, weil die neue Herrlichkeit auf viel zu
schwachen Füßen zu stehen schien, um einem wirklich energischen
Angriff2) auf die Dauer Widerstand leisten zu können. Zunächst
wollte man den gefährlichsten Gegner Preußen aus der anti-
französischen Aktion ausschalten, um die leichter zu fassenden
Österreicher zu einem Frieden zu zwingen, der für Frankreich
die Sicherheit vor späteren Angriffen enthielt ; aber selbst in diesem
Punkte waren die Franzosen zeitweise recht nachgiebig. Die
Anerkennung der Republik und die Räumung ihres Territoriums
waren die Hauptsache. Wurde das von den Mächten zugestanden,
so konnte man, natürlich nicht auf einem Kongreß, über den
Frieden verhandeln. Alles andere wurde dann der späteren
Regelung vorbehalten3).
Am 29. abends kamen Westermann und Benoit bei Dumouriez
an4). Man kann nicht sagen, daß er sich darüber gefreut hätte.
Namentlich Benoit war ihm jetzt sehr ungelegen. Einem solchen
Fuchs wie Lucchesini gegenüber wollte er ihn nicht für gewandt
genug halten5). Das Scheitern seiner Unterhandlung im Früh-
jahr war den Preußen doch auch noch zu frisch in der Erinnerung,
und ich möchte dazu setzen, die damaligen Anträge hatten, so-
weit sie Frankreich betrafen, ein gut Teil anders gelautet, als
daß man denselben Mann nun mit Vorteil zu einem neuen Ver-
such hätte verwenden können. Dumouriez scheint deshalb Benoit
beiseite gehalten und nur Westermann verwandt zu haben, den
er schon als gelehrigen Schüler kannte, während er bei der Be-
teiligung Benoits eine Spannung zwischen Heerführung und
Politik im Anzüge zu sehen vorgab. Seinen Generalen machte
er vorläufig aus dem neuen Versuch noch ein absolutes Geheimnis ;
sogar Kellermann erfuhr noch nichts davon. Erst nach und nach
weihte er ihn, Beurnonville und Valence, dazu die Kommissare
ins Geheimnis ein, als sein Plan schon gelungen schien und ihrer
1) Ich rede hier selbstverständlich von der Regierung, nicht von
den blind darauflos gehenden Schreiern. Das kommt ab und zu auch
bei Sybel schon heraus (II 319).
2) Man kannte ja die bisherige Schwäche der Armeen und die Energie-
losigkeit ihres Feldherrn.
3) Sorel III 81—83.
4) Ch.R. 152—153.
5) S o r e 1 III 84.
346 HL Abschnitt
Widersetzlichkeit der Stachel genommen war. Aber sie alle gingen
freudig auf seinen Plan ein. Sillery nahm alle Klagen über den
angeblich widerspenstigen Kellermann zurück und bestand mehr
als je darauf, Dumouriez zum Marschall zu machen, um seine
einzigartigen Verdienste zu belohnen und jeden Schatten einer
Entzweiung zwischen den Generalen auszuschließen1). Beurnon-
ville begleitete vorsichtig die preußische Armee und ließ ihr Zeit
zum Abrücken2). Das Conseil executif sprach ihm seine volle
Billigung aus3).
Es muß wundernehmen, daß Dumouriez sich überhaupt noch
einmal zu Verhandlungen herbeigelassen hat. Diese Reihe ist
denn auch ganz besonders der Gegenstand von Angriffen ge-
worden. In Paris bezichtigte man ihn laut des Verrates und hätte
ihm gern bei jeder Gelegenheit einen Strick gedreht, Marat natür-
lich. voran4). Aber von Verrat kann keine Rede sein. Mehr als
ein Grund trieb ihn dazu an, es nicht zum äußersten kommen zu
lassen5). Einmal fürchtete auch er, wie ich schon hervorhob, den
verzweifelten Widerstand der Preußen, wenn man ihnen nicht
die Möglichkeit zum Rückzug ließ. Noch war er nicht sicher,
daß sich nicht seine Armee ebenso wie am 15. ins Bockshorn
jagen ließ. Ferner sah er in den Preußen stets die künftigen
Bundesgenossen, die er also schonen mußte. Endlich aber brannte
er darauf, jetzt seinen alten Plan auszuführen, Lille zu befreien,
dann in die Niederlande einzufallen und damit dem Kriege ein
Ende zu machen. Kurz, die Preußen wollte er laufen lassen, ui
die Österreicher um so empfindlicher züchtigen zu können.
So ging also Westermann ins preußische Hauptquartier ab.
Noch aber wußte Dumouriez nicht, ob die Preußen gewillt waren,
auf dessen Vorschläge einzugehen. Er traf also alle Maßregeln,
um auch für den Fall der Ablehnung bereit zu sein. Seine unc
Kellermanns Truppen setzten sich in Bewegung, um den Feindei
den Rückzug zu erschweren, ja überhaupt zu versperren. Kein
Zweifel, daß er sie eingeschlossen und zu einer Schlacht ge-
1) Ternaux IV 553—556.
2) ibid. IV 556—558.
3) Sorel III 82—85; Ch.R. 173—175; Svbel II 346.
*) Dumouriez III 71—72; Ternaux IV 175—194; Ch.
155 — 156. Vgl. auch die vortrefflichen Bemerkungen in Journal d'une
bourgeoise 303.
5) Ternaux IV 540, 544, 547; Sybel II 346—347; Sore
III 85; Hei gel II 40. Dumouriez' Begründung in den Memoiren
entspricht jedoch auch nicht den Tatsachen (III 73 — 85 und 104 — 107).
Der Rückzug 347
zwungen hätte1) — ein preußischer König konnte sich doch nicht
ohne diesen Versuch einem so verachteten Gegner ergeben —
wenn er es dazu überhaupt hätte kommen lassen. Er tat es
nicht, weil ihm aus dem preußischen Hauptquartier die ver-
heißungsvollsten Nachrichten von Westermann zukamen. Er
ging wie dieser2) und der Konvent in die Falle3), die ihm der
Herzog von Braunschweig ohne große Kunst bereitet hatte, ver-
mutlich am 1. Oktober abends. In den Tagen vom 2. bis 5. er-
teilte er seinen Generalen Befehle, die sie nutzlos hin und her
marschieren ließen und eine Aktion verhinderten. Am 5. waren
die Preußen schon in Buzancy, die Gefahr war für sie also vor-
bei. Mehr als einen gesicherten Rückzug bis Verdun scheint
ihnen Dumouriez nicht versprochen zu haben, eine Konvention
wurde darüber natürlich nicht abgeschlossen4). Daß sie sich dann
doch nicht hinter der Maas würden halten können, sah er voraus
und verstand es, diese Meinung auch den Kommissaren des Kon-
vents beizubringen5). Für den Fall aber, daß die Preußen es doch
versuchen wollten, ließ er angeblich Belagerungsgeschütz aus Metz
herankommen. Er hielt seine Anwesenheit an dieser Stelle des
Kriegsschauplatzes dann aber nicht mehr für notwendig und
Überheß die völlige Lösung dieser Aufgabe Kellermann und Dillon.
Dieser wurde bald von dem Konvent abberufen, um über sein
Verhalten Rechenschaft abzulegen, so daß Kellermann schließ-
lich allein die Verfolgung der Preußen zu leiten hatte6).
Leider besitzen wir über diese Verhandlungen mit Preußen
nur ganz unzulängliche Nachrichten?). Von preußischer Seite
traten weder Lucchesini8) noch der König, die fester als je zur
1) Ch.R. 166—168.
2) Ternaux IV 546—549, 552—553.
3) Ternaux IV 559—560; Ch.R. 163.
») Ch.R. 160—166; H ä u ß e r I 388; Ternaux IV 166—169, der
zwar die Aktenstücke veröffentlicht hat, die die Lösung des Rätsels er-
möglichen, diese selbst aber noch Chuquet überlassen hat.
6) Ternaux IV 551, 552, 555, 559—560.
6) Heigel II 41; Ch.R. 194.
7) Fersen, also wohl auch Breteuil wissen nichts davon (Fersen
II 390).
8) Häußerl 389; S y b e 1 II 345—346; H e i g e 1 II 40. Lucche-
sini spricht geradezu davon überhaupt nicht. Ob sich seine Be-
merkungen in dem Bericht vom 3./7. Oktober hierauf oder auf die
Septemberverhandlungen beziehen, kann ich nicht feststellen, da die
Beilagen zu seinem Bericht gleich anfangs gefehlt haben. Ich würde
sein Schweigen aber für keinen Beweis gegen die Existenz der Ver-
348 HI. Abschnitt
Freude von Reuß zu dem österreichischen Genossen hielten1)
und an dem Abschluß eines allgemeinen Friedens noch nicht ver-
zweifelten2), sondern die Offiziere in Aktion, vornehmlich der
Herzog von Braunschweig, Kaikreuth und Manstein. Sie be-
schränkten sich auf Gespräche, in denen sie vielfach mehr an-
deuteten als ausführten. Nur ihrem Wunsche nach Frieden und
ihrer persönlichen Abneigung gegen die Österreicher legten sie
keinen Zwang mehr an. Das bestach die Franzosen, des Geldes
bedurfte es bei keinem von ihnen mehr (erinnern wir uns auch
der preußischen Geldknappheit!)3). Am 3. Oktober reiste Wester-
mann triumphierend wieder nach Paris ab, die Allianz schien
nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Preußischerseits brauchte
man nur nicht geradezu zu widersprechen, um allen Vorteil da-
von zu ernten.
Während dieser Verhandlungen rückte nämlich die preußische
Armee langsam und unter unsäglichen Beschwerden — am 3. Ok-
tober hatte der Regen wieder angefangen — weniger marschierend
als durch den Schmutz watend, den Goethe, aber auch Lucchesini
einem Meere verglichen4), nur mühsam sich fortschleppend, von
Hunger und Krankheit geplagt5), über Grandpre (2. Oktober),
Buzancy (4.), Dun (6.), Vilosnes (7.), wo die Maas passiert wurde,
nach Consenvoye (8. Oktober), von wo der Herzog den Öster-
reichern und Hessen die Hand reichte, die sich inzwischen nach
Verdun vor den immer mehr sich verstärkenden Franzosen zurück-
gezogen hatten6) und auf Verhandlungen mit ihnen nicht hatten
eingehen wollen. Die Hauptnot war also überstanden. Es fragte
sich nur, ob man auf preußischer Seite an dem alten Plan noch
festhalten und hinter der Maas Winterquartiere beziehen werde.
Handlungen überhaupt halten. Wenn er sich als den Retter Preußens
vor der .Überlistung durch Dumouriez hinstellte — gut, das war sein
Recht, er glaubte daran; aber diese neuen Verhandlungen sollten geheim
bleiben im Gegensatz zu den ersten. Gewußt hat Lucchesini sicher
davon, da er stets bei der Nachhut war mit dem Könige und dem Herzog
zusammen, dem er zeitweilig Adjutantendienste leistete (Lucchesini an
seine Frau 1. und 4. Oktober).
*) Sybel II 344—346 und 349—350; H äußer I 388; Sorel
III 84—86.
a) Lucchesinis Bericht 15. Oktober. Lucchesini an seine Frau 1. und
13. Oktober.
3) Ch.R. 155; Sorel III 86; Forneron I 353—354.
4) Lucchesini an seine Frau 4. Oktober.
6) Minerva 1839, Bd. 189, S. 363.
6) Ch.R. 185—186.
Der Rückzug 349
Die Eroberung der Festungen war dafür natürlich die erste Be-
dingung1), die zweite ein einheitliches Zusammenwirken aller
beteiligten Streitkräfte unter einer Leitung. Dann wäre man
wohl auch der Verpflegungschwierigkeiten Herr geworden, die
sich jetzt herausstellten2). Als unmöglich wird man das Unter-
nehmen trotz der Erschöpfung der preußischen Truppen, trotz
der Bedenken Clerfayts, der den Herzog an Vorsicht — oder war
es Mißtrauen? — noch übertraf, ja trotz der Bedenken des Her-
zogs selbst nicht bezeichnen können. Zum Angriff waren die
Franzosen doch nicht so leicht zu bringen wie zur Verfolgung
oder zur Verteidigung. Verdun war in der Hand Preußens. Wenn
man Metz, Diedenhofen und Sedan, eventuell noch Mezieres und
Montmedy nahm, so hatte man in der Tat eine gute Position3).
IL
Jetzt aber brach der Zwiespalt zwischen den Verbündeten ganz
durch, und die Diversionen von Custine und bald auch von Du-
mouriez machten sich geltend. Zunächst rückten die Hessen ab.
Am 8. Oktober hatte der Landgraf die Nachricht von der Er-
oberung von Speyer und der Bedrohung von Mainz erhalten4).
Er flog mehr in die Heimat, als daß er dahin reiste, um die nächsten
Pflichten zu erfüllen. Seine Truppen erhielten den Befehl, ihm
zu folgen. Am gleichen Tage wurden die Österreicher unter
Clerfayt nach den Niederlanden von dem Herzog Albert ab-
berufen zur Hilfe bei der Belagerung von Lille5). Er sah, wie
alle österreichischen Generale, Erzherzog Karl mitten unter ihnen,
damals nur den scheinbar offenkundigen preußischen Verrat6),
1) Rep. XI 89 k. Schulenburg an Tauenzien 11. Oktober.
2) F e u i 1 1 e t VI 364—365. Bei Differenzen zwischen Brief und
Memoiren von Nassau ziehe ich natürlich den Brief vor.
3) Ch.R. 185—187; Vivenot II 580; Fersen II 41—42.
Lucchesinis Bericht 3./7. Oktober.
4) Rep. XI 89 k. Lucchesini an Schulenburg 8. Oktober; Ch.R.
187—188; Sybel II 350; Heigel II 41—44; Häußer I 392.
5) Lettres sur Dumouriez 97; Sorel III 88; Rep. XI 89k. Tau-
enzien an Schulenburg 12. Oktober mit Beilage; Zeißberg, Karl-
Hohenlohe 61.
6) ibid. 56—58, 65, 72; Z e i ß b e r g, 2 Jahre, 174—175; F e u i 1 1 e t
VI 373 und 393—394; H ä u ß e r I 390—392 und 395; Vivenot II
598; Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 31: Lucchesini an Haugwitz 22. No-
vember. Rep. XI 89 b. Reck an Schulenburg 5. und 11. November.
Ranke 47, 279; Sybel II 348—349; Heigel II 44—45; Sorel
III 92. Vgl. für die Stimmung in Berlin C a r i s i e n 109.
350 HI. Abschnitt
wogegen der so wie so schon für preußenfreundlich geltende Fürst
Reuß selbst nichts ausrichten zu können meinte. Was sollte
der Herzog von Braunschweig anderes tun als die Bitte des Her-
zogs Albert genehmigen! Nur für die Dauer des Feldzuges
war Clerfayt ihm zur Verfügung gestellt worden. Aber wir
begreifen, daß Preußen durch diese Durchkreuzung seiner Pläne
nicht gerade in seiner Absicht bestärkt wurde, den Niederlanden
gegen einen scheinbar nahe bevorstehenden französischen Angriff
zu Hilfe zu kommen, worüber sich die Österreicher merkwürdigen
Illusionen hingaben1). Der Fall von Mainz machte diesen Plänen
jedenfalls ein sicheres Ende.
Die preußische Armee war also auf sich und das schwache
Korps Hohenlohes angewiesen2). Die Stimmung des Herzogs
scheint in diesen Tagen immer verzweifelter geworden zu sein3).
Grund genug hatte er dazu. Denn es konnte keinem Zweifel
unterliegen, daß sich die Maaslinie mit so wenig Truppen nicht
halten ließ, daß Frankreich also überhaupt geräumt werden
müsse4). Jetzt rächte es sich, daß man nicht seinem alten Plane
gefolgt war und Frankreich Fuß für Fuß erobert, sich gleich für
Winterquartiere an der Maas durch Eroberung der Festungen
eingerichtet hatte6). Nur kurze Zeit tröstete man sich mit dem
Gedanken, wenigstens Longwy zu behalten6). Er war undurch-
führbar infolge der Weigerung von Hohenlohe, anderes als öster-
reichisches Gebiet zu decken7) und infolge seines übereilten Rück-
zuges, bei dem er stets Sorge trug, als Puffer zwischen sich und
die Franzosen die Preußen zu schieben, denen die Franzosen ja
volle Freiheit ließen. Der Rückzug hatte auch noch zur Folge,
daß aus Verdun weder die Verwundeten und Kranken, noch die
Vorräte vor der Übergabe an die Franzosen hatten fortgeschafft
werden können. Nun, den Preußen versprachen die Franzosen,
1) Vivenot II 606, 610, 620, 621.
2) Dieser war nicht abberufen worden und hatte sioh noch am
8. Oktober für Winterquartiere an der Maas ausgesprochen (Zeißberg,
Karl-Hohenlohe 61—62 und 64—65; Vivenot II 544).
3) Zeißberg, Karl-Hohenlohe 64—65.
4) Fersen II 47 und 386; Sybel II 351; Hei gel II 41;
H äußer I 392—393; Ch.R. 195; Dumouriez III 106—107.
6) Dumouriez III 96; Lettres sur Dumouriez 66 — 68.
6) Massenbach will seinen Verlust natürlich auch schon am 1. Ok-
tober vorausgesehen haben (I 125).
7) Ch.R. 195—196 und 216; Zeißberg, Karl-Hohenlohe 69 bis
72; Sybel II 351.
Der Rückzug 351
sie wie ihre Brüder zu behandeln und sie nachher frei zu lassen1),
die Österreicher und die Hessen aber nicht2).
Am 12. bezw. 18. Oktober wurden die Konventionen über die
Kapitulation von Verdun und Longwy abgeschlossen3). Am
14. wurde Verdun4), am 22. Longwy den Franzosen übergeben5),
gegen das Versprechen der Franzosen, den preußischen Rückzug
nicht zu stören. Da die Preußen fast immer den Schluß der
Armee bildeten, so waren damit auch die Österreicher und die
Hessen gesichert6). Als die Franzosen sich doch einmal hinreißen
ließen, auf die Nachhut Hohenlohes zu feuern, hörten sie auf
den Protest Kaikreuths sofort damit auf. Am 21. Oktober ver-
ließen die letzten preußischen Truppen bei Aubange französisches
Gebiet, bisher weniger verfolgt als geleitet von den französischen
Truppen, mit denen die Preußen, Offiziere wie Soldaten, fraterni-
sierten, meist in stillschweigender Übereinkunft, manchmal aber
auch auf direkte preußische Forderung7). Es war daher diesmal
ein billiger Ruhm, sich als Soldaten Friedrichs des Großen be-
zeichnen zu lassen8). Am 23. und 24. Oktober erreichten die
Preußen in völliger Auflösung Dippach und Luxemburg9), wo
ihnen die Österreicher einen * alles andere eher als herzlichen
Empfang bereiteten, so daß sich schließlich Friedrich Wilhelm
über ihr Betragen durch Haugwitz bei Reuß geradezu be-
x) Um die Fortschaffung der verwundeten Emigranten baten die
französischen Generale, da man jenen sonst den Kopf sicher abgeschnitten
hätte und — man darf wohl hinzusetzen — auch den Generalen, wenn
das in Paris bekannt wurde (Feuillet VI 366).
2) F e u i 1 1 e t VI 365—367 und 392. Lucchesinis Bericht 15. Ok-
tober. Lucchesini an seine Frau 15. und 19. Oktober. Rep. 92 Lucchesinis
Nachlaß 40 III: Valence (an Kaikreuth) 15. Oktober; Zeißberg, Karl-
Hohenlohe 2, 68—69, 72—76.
3) Hei gel II 44—45.
*) Sybel II 349—351; Ch.R. 187—195. Seine Befestigungen
hatten nicht mehr voi der Übergabe an die Franzosen gesprengt werden
können, noch weniger war das natürlich bei Longwy möglich (Lucchesinis
Bericht 3./7. Oktober).
5) Mit Magazinen und Artillerie — ein neues Ruhmesblatt für den
Herzog von Braunschweig in den Augen Breteuils (Fersen II 50,
387, 390—391).
6) Häußerl 390; Sybel II 350— 351; Ch.R. 196— 197; H e i g e 1
II 40—41 und 44-45.
7) Segur II 295; Ch.R. 195—204.
8) Lucchesini an seine Frau 14. Januar 1793.
9) Ch.R. 202—210; Hau ß er I 393.
352 HI. Abschnitt
Schwerte x) . Schon deshalb wurde eine Verlegung der Winterquartiere
weiter nach rückwärts nötig. Als nun die Österreicher — es war vor
allem Clerfayt — schrieen, sie könnten sich allein nicht halten,
da fanden sie bei Preußen taube Ohren2). Dessen Truppen rückten
nach dem Rhein ab, nun aber so eilig, daß in Luxemburg die
Munition zurückblieb, als wenn die Anwesenheit der Truppen
allein schon genügt hätte, den Feind3) zu verjagen oder wenig-
stens die Quartiere zu sichern, und daß die Österreicher erklärten,
Trier nicht halten zu können; die Preußen sollten selbst für ruhige
Winterquartiere sorgen4). Am 23. Oktober ließ Kellermann wegen
der Räumung des französischen Territoriums Freudenschüsse ab-
feuern5). Der monströse Krieg zwischen Preußen und Frank-
reich schien, so hofften die Franzosen, zu Ende zu sein6).
Um seine und die österreichisch-hessischen Truppen un-
gefährdet aus Frankreich herauszubringen, hatte der Herzog
wieder zu dem bewährten Mittel der Verhandlung gegriffen7).
Er selbst verschmähte es nicht, dabei in Aktion zu treten. Trotz
aller Warnungen, auch aus dem eigenen Lager, fielen die fran-
zösischen Kommissare immer wieder darauf hinein8). Am 8. Ok-
*) Ch.R. 215—218. Lucchesinis Berichte 19. und 23. Oktober,
1. November; H äußer I 397; Valentini 12—13; Fersen II
386; Feuillet VI 364—368, 372, 392.
2) Zeißberg, 2 Jahre, 184; Gronau, Dohm 249; V i v e n o t
II 663— 664.
3) Es handelt sich um Custine.
4) Rep. XI 89 k. Schulenburg an Tauenzien 20. November. Dazu
Beilagen zu Lucchesinis Bericht vom 12. November: Hohenlohe an
Braunschweig 7. und 8. November. Braunschweig an Hohenlohe 11. No-
vember. Friedrich Wilhelm an Haugwitz 12. November. Das hielt aber
den preußischen Marsch durchaus nicht auf. Der König konnte sich
auch bald auf den Brief des Kaisers vom 29. Oktober berufen, in dem,
freilich unter anderen Voraussetzungen, der Schutz des Reiches als die
Hauptsache bezeichnet worden war (Lucchesinis Berichte vom 12. und
16. November mit Beilagen: Friedrich Wilhelm an Franz 12. November.
Metternich an Reuß 10. November. Lucchesini an Reuß 14. November.
Sybel III 46).
6) Ch.R. 198—199 und 208; S o r e 1 III 96; T e r n a u x IV 170;
H e i g e 1 II 45. Massenbachs Erzählung (I 126 — 128) ist wohl nach
seiner späteren Anschauung zurechtgemacht.
6) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 III: Valence (an Kaikreuth)
15. Oktober.
7) Feuillet VI 365.
8) Als die französischen Generale dann merkten, daß sie übers Ohr
gehauen seien, da lachten sie und — machten es das nächste Mal genau
so. HäußerI390;SybelII350— 351;Ch.R. 198— 199; Vi venotll 606.
Der Rückzug 353
tober, nach dem Entschluß zum Rückzuge, fand die erste Unter-
redung statt, über die wir zwar genaue französische Berichte
haben, die ich aber nicht so im einzelnen zu übernehmen oder zu
kombinieren wage trotz Galbauds Zertifikat, da ich sie für zu-
gestutzt halte. An dem Ergebnis ändert das nichts. Den Anlaß
bot, das ist bemerkenswert, ein Billett des französischen Generals
La Baroliere, worin er die Preußen von einer gegen sie befohlenen
militärischen Maßregel benachrichtigte1). Trotz ihrer Überlegen-
heit gingen die Franzosen auf den preußischen Vorschlag eines
Waffenstillstandes für 24 Stunden ein. In dieser Zeit wollte
Kaikreuth weitere Befehle des Königs einholen. Tatsächlich
wurde dann die Ruhe bis zum 10. abends verlängert, wo sie die
Franzosen kündigten. Damals befahl der Herzog den Rückzug
der Hessen und der Österreicher hinter die Maas, wo die Preußen
schon waren2). Als die Franzosen nun am 11. Verdun zur Über-
gabe aufforderten, gewann der Herzog doch noch drei Tage3).
Ebenso war es mit Longwy. Am 14. fand die erste Unterredung
Kaikreuths mit Kellermann hierüber statt4), am 18. die zweite
und der Abschluß der Kapitulation, angeblich auf Nachsuchen
des Herzogs und, wohl mit Recht, zwischen Kaikreuth und
Valence5), aber erst am 22. wurde die Festung wirklich den
Franzosen übergeben. Schon am 21. hatten jedoch die letzten
deutschen Truppen6) die französische Grenze überschritten. Es
war Zeit, den Franzosen endlich das wahre Gesicht zu zeigen.
Der Herzog von Braunschweig hatte in den ersten Tagen des
Oktober sich ruhig die französischen Anträge auf einen Separat-
frieden angehört, dem dann in der Tat mit Notwendigkeit das
Bündnis gefolgt wäre; seine Offiziere hatten Wohl sogar manch
ein lockendes Wort gesprochen. Als er hinter der Maas war,
verlangte er schon stets die Einbeziehung von Österreichern und
1) VivenotII599;Zeißberg, Karl-Hohenlohe 62—65; Ch.R.
189—191; Sorel III 89—90.
2) Zeißberg, Karl-Hohenlohe 67. Berichte Lucchesinis 15. und
18. Oktober. Schon rüsteten sich die Franzosen zum Angriff auf
Verdun, einen neuen Waffenstillstandsvorschlag lehnten sie stolz ab
(Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 38: Lucchesini an Stein 11. Oktober).
3) Ch.R. 192—193; Sorel III 91.
*) Ch.R. 197—198; S o r e 1 III 91—93; F e u i 1 1 e t VI 368; S y b e 1
II 350—351 ; Häußerl 390.
5) Berichte Lucchesinis 18. und 19. Oktober.
6) Die in Longwy befindlichen Truppen zogen erst am 23. ab. Ch.R.
198. Lucchesinis Bericht 23. Oktober.
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 23
354 HI. Abschnitt
Hessen in den Waffenstillstand. Man machte es den Franzosen
plausibel mit der Angabe, wenn Preußen nicht wortbrüchig werden
wolle, müsse der gemeinsam begonnene Feldzug auch gemeinsam
beendigt werden. Damit verpflichte man sich durchaus noch
nicht, nun auch einen neuen zu beginnen. Der König wünsche
einen ehrenvollen Frieden sehr. Kaikreuth sprach geradezu von
einer Allianz1). So bequemten sich die Franzosen, wenn wohl
auch nicht formell, trotz Kellermanns Äußerung2), so doch tat-
sächlich alle deutschen Truppen in den Waffenstillstand einzu-
beziehen. Erst marschierten Österreicher und Hessen, dann die
Preußen, zum Schluß die höflichen Franzosen.
Freilich hatten sich deren Forderungen auch schon erheblich
gesteigert. Seit dem 11. Oktober verlangten Kellermann und
Valence vor Eintritt in weitere Verhandlungen sogar bloß über
den Waffenstillstand — es war bisher eine rein tatsächliche
Waffenruhe gewesen — die Käumung des französischen Gebiets
durch alle deutschen Truppen, wogegen sie jedoch nicht ver-
sprachen, Custine abzuberufen, und die Anerkennung der Republik
und ihrer Organe3). Ein für Preußen besonders unangenehmes
Zugeständnis bei der Kapitulation von Longwy4) war es5), daß
das Siegel der französischen Republik neben das des Königs
gesetzt wurde. Lucchesini, der eigentlich mit hatte verhandeln
sollen, aber kurz vorher zum König abberufen worden war, mußte
ärgerlich dies Zugeständnis in den Kauf nehmen, um die preußische
Armee ungestört entkommen zu lassen6). Es war der erste Schritt
zur Anerkennung, und man geht wohl mit der Vermutung nicht
fehl, daß der Herzog von Braunschweig, Kaikreuth, Manstein
nicht zu vergessen, auf dieser Basis weiter zu arbeiten gedachten;
es wäre nur folgerichtig gewesen. Wurden für Ludwig persönlich
günstige Bedingungen erlangt, so war der Ehrenpunkt gewahrt,
x) Häußerl 390; Vivenot II 599.
2) Die Kommissare ließen auch davon nichts nach Paris verlauten.
Ch.R. 196—197; Sybel II 350—351.
3) Häußerl 393. Berichte Lucchesinis 15., 18., 19. Oktober.
4) Sie war am 18. Oktober bei Martin-Fontaine südlich von Longuyon
abgeschlossen worden. (Häußer I 393; Heigel II 45.)
5) Bei Verdun war man dem nur dadurch entgangen, daß überhaupt
keine Ratifikation ausgetauscht worden war. Preußen brauchte den Vor-
wand, sie als überflüssig zu bezeichnen (Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß
40 III. Valence [an Kaikreuth] 15. Oktober. Kaikreuth [an Braunschweig]
16. Oktober).
6) Ch.R. 198.
Der Rückzug 355
und man konnte sich in das sonst unabänderliche Schicksal fügen.
So scheint mir auch der Wunsch des Königs nach Frieden seine
Erklärung zu finden und ausführbar zu werden. Aber diese
zweifellos bestehenden guten Aussichten für den Frieden wurden
durch verschiedene voneinander völlig unabhängige Ereignisse zu
Schanden gemacht, deren einem die entscheidende Be-
deutung beizumessen ich nicht wagen möchte.
Zunächst hielten die Franzosen an der Idee des Separat-
friedens mit Preußen vor dem allgemeinen Frieden ebenso fest
wie die Preußen an der eines allgemeinen Friedens. Diese dachten
nicht an eine Trennung von Österreich. Wir haben nun einen
unumstößlichen Beweis für den Wunsch der Franzosen, den Frieden
auch mit Österreich herbeizuführen. Es wird immer merk-
würdig bleiben, wie sich dieser Wunsch mit den Entschädigungs-
tendenzen der Mächte so zu vereinigen schien, daß die materielle
Befriedigung aller drei sichergestellt wurde. In einer Zusammen-
kunft mit dem Herzog von Braunschweig entwickelte der General
Valence am 21. Oktober mit bewundernswerter Offenheit das
französische Programm1). Frankreich wolle sich mit einer Zone
von freien Völkern umgeben und mit den Niederlanden den An-
fang machen. Österreich solle sie daher einem weniger mächtigen
Fürsten überlassen, als es der Kaiser sei2). Frankreich werde
dann den unmittelbar bevorstehenden Einfall in die Niederlande
aufgeben, unter Vermittlung Preußens einen allgemeinen Frieden
verhandeln, Ludwig XVI. einen anständigen Rücktritt3) ermög-
lichen, den weniger hervortretenden Emigranten eine Amnestie
und den anderen die Mittel für ein anständiges Auskommen in
der Fremde gewähren. Mit diesen Vorschlägen begab sich Haug-
witz zu Spielmann nach Luxemburg, und — man denke — dieser
lehnte sie nicht gleich ab, sondern wünschte durch Reuß den
französischen Vorschlägen näher auf den Grund zu sehen4). Er
folgte damit auch einem Wunsche Hohenlohes, der Waffenstill-
stand um jeden Preis wegen des Zustandes der Armee forderte
*) Bericht Lucchesinis 23. Oktober. Sybel II 359—360; Sorel
III 93.
2) Man dachte an Bayern. Dieser Tauschgedanke war den Franzosen
durchaus geläufig und den nicht allzu Radikalen auch angenehm. Sorel
III 168 und 250; Z e i ß b e r g, Karl-Hohenlohe 51—52; Poütisches Journal
1792 S. 1290.
3) Sortie passable.
4 ) Bericht Lucchesinis 23. Oktober und Spielmann an Reuß 23. Oktober.
Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 31. Haugwitz an Lucchesini 23. Oktober.
/
356 III. Abschnitt
und einen Frieden sehnlichst wünschte, gleichviel, ob auch die
Republik anerkannt wurde und ob man Gebietsteile für Öster-
reich eroberte1).
Das und wohl auch der Wunsch Friedrich Wilhelms, aller
Zweideutigkeit der preußisch-französischen Verhandlungen in
den Augen Österreichs und Rußlands ein Ende zu machen2),
wurde nun der Anlaß für eine Konferenz in Aubange am 25. Ok-
tober3). Kellermann und Valence, der Herzog von Braunschweig
und Lucchesini, inkognito Reuß und zufällig auch Hohenlohe,
nahmen an ihr teil. Erinnern wir uns daran, daß inzwischen der
Fall von Mainz bekannt geworden und die Note von Merle an-
gekündigt worden war. Valence führte nun seine Vorschläge
näher aus. Das erste sei die feierliche Anerkennung der Republik
durch eine preußische Deklaration (eine Demütigung ohne jeden
Gewinn [en pure perte], merkt Lucchesini dazu an), der Verzicht
auf Gegenrevolution. Österreich solle die Niederlande dem
Kurfürsten von Bayern überlassen, der sich mit der Würde des
Statthalters und einer festen Einnahme zu begnügen habe. Öster-
reich solle dafür Bayern erhalten. Um nun aber sicher zu sein,
daß auch dann Frankreich keinen Angriff von dieser Seite zu
gewärtigen habe, verlangte Valence auch die Rasierung der
Festungswerke von Luxemburg. Endlich wollte er wissen, ob
Preußen nach der Wiederherstellung des Friedens zwischen
Preußen und Frankreich neutral bleiben oder einen ewigen Bund
mit diesem schließen wolle.
Wenn diese Vorschläge von einer Regierung ausgegangen
wären, auf deren Ehrlichkeit und vor allem auf deren Stabilität
man sich hätte verlassen können, so ist nicht einzusehen, warum
Preußen nicht hätte darauf eingehen sollen. Es scheint in der
Tat, daß der Gedanke der Abtretung der Niederlande auf die
Österreicher wie die Preußen einen gewissen Eindruck gemacht
hat. Aber über die beiden Hauptfragen war man noch nicht
einig. Die Deklaration war für Preußen unmöglich. Die Absicht
der Franzosen, sich mit freien Völkern zu umgeben, mußte sie
mit ganz Europa in Konflikt bringen. Wenn Luxemburg ge-
schleift wurde, so war dazu die notwendige Voraussetzung, daß
Frankreich seinen dreifachen Festungsgürtel abtrug. Es erneuert
x) V i v e n o t II 614— 615.
2) F e u i 1 1 e t VI 373—374 und 394—395.
3) S y b e 1 II 359—360; Häußerl 393—394; S o r e 1 III 94—95;
Vivenot II 627—628; Feuillet II 374 und 395—396.
Der Rückzug 357
sich hier somit der Kampf um den Hausschlüssel. Ehe man einen
Vertrag schloß, war billigerweise von einem Waffenstillstand zu
reden. Die Versuche, Preußen von der Koalition abzutrennen,
waren zu häufig und in zu junger Vergangenheit gemacht worden,
als daß Preußen etwas anderes darin sehen konnte als eine Wieder-
holung derselben. Wenn Preußen seinen Frieden schloß, und er
bildete ja nach französischer Anschauung die Voraussetzung für
den allgemeinen Frieden, wer bürgte dafür, daß die Franzosen
nicht die Verhandlungen mit Österreich zum Scheitern brachten,
wie das nicht schwer sein konnte, und es dann der Niederlande
beraubten, ohne ihm Bayern zu verschaffen? Alle französischen
Regierungen hatten die Schwächung Österreichs verfolgt. Wer
bürgte ferner dafür, daß nicht eine neue Revolution die Regierung
stürzte und damit den Verhandlungen allen Boden entzog?
Autorisierte Unterhändler hatte man außerdem nach preußischer
Ansicht nicht vor sich. War es den Franzosen wirklich Ernst mit
ihren Vorschlägen1), so konnten in kurzer Zeit solche in Luxem-
burg eintreffen, wo Lucchesini und Thugut noch einige Tage
bleiben wollten2). Endlich, der Versuch schien auch darum ge-
macht zu sein, um Österreich durch die Furcht für die Nieder-
lande zum Frieden kirre zu machen. War der französische An-
griff erst fehlgeschlagen, so versprach man sich schon größeres
Entgegenkommen von französischer Seite. Gelang er aber, so
wurde es ein Interesse aller europäischen Mächte, sich dem Vor-
dringen der Revolution entgegenzustemmen. So spielte man mit
dem Feuer, an dem man sich so bald und so gründlich verbrennen
sollte.
Preußen — denn Lucchesini war der Sprecher der Verbün-
1) Lucchesini lehnte es ausdrücklich ab, selbst welche zu machen.
2) Am 20. September hatte Thugut Wien verlassen (Bericht Cesars
22. September). Seit dem 3. Oktober nachts befand er sich bei Spielmann
mit dem besonderen — nun allerdings durch die Verhältnisse überholten —
Auftrage, die Verhandlungen mit Frankreich unter der Leitung von Mercy,
der auch noch hatte kommen sollen, zu führen (V i v e n o t II 545 — 546,
561, 574, 577—579, 587—589. Derselbe, Vertrauliche Briefe von
Thugut [Wien 1872] I 2). Auch Breteuil und Caraman wollten hinkommen
(Rep. XI 89 k Caraman an Schulenburg 16. Oktober, sie jedoch in der Ab-
sicht, einen neuen kräftigen Feldzug vorzubereiten, was die Preußen und die
Österreicher doch immer nur als schlimmsten Fall betrachteten (Rep. XI
89 k Schulenburg an Caraman 3. November. Schulenburg an Tauenzien
11. Oktober). Den Russen stellten die Preußen anheim, ob sie nicht auch
jemand schicken wollten (an Goltz 8. November). Lucchesinis Bericht 21. Ok-
tober. Lucchesini an seine Frau 27. Oktober.
n
358 III. Abschnitt
deten — lehnte also weitere Verhandlungen ab1). Es sah keine
Möglichkeit, die Republik anzuerkennen, ohne seine Ehre und
seine Interessen auf das empfindlichste zu kompromittieren, und
zu dem so sehr gewünschten Frieden zu kommen; jene Erkenntnis
hielt seinem Friedensbedürfnis noch das Gleichgewicht2). Es
fühlte sich noch zu sehr in der Rolle des Gebenden gegenüber
Frankreich und konnte die neue Lage noch nicht recht würdigen,
und es ist klar, daß die Franzosen sich bei ihren Erfolgen zu
weiterem Nachlassen von ihren Forderungen nicht veranlaßt
fühlten3). So scheiterte denn dieser Versuch Frankreichs, den
Frieden herbeizuführen, trotz des Willens aller Beteiligten. Die
r Grundanschauungen waren zu verschieden, als daß diplomatische
Künste hätten eine Versöhnung herbeiführen können4). Nur
mündlich einigte man sich über einen partiellen Waffenstillstand
zwischen den Armeen Kellermanns, Hohenlohes und des Herzogs,
da ein allgemeiner mit Einschluß der Niederlande sich als un-
erreichbar herausgestellt hatte5). Der Kampf war also beschlossen,
und Spielmann dachte ihn zur Erweiterung des österreichischen
Gebiets auszunützen.
Zwei weitere Gründe bestimmten die Preußen, bei Österreich
zu bleiben: einmal die Eroberung von Mainz6) durch Custine,
dessen Siegeszug man einige Zeit in Worms beendet geglaubt,
ihn schon auf dem Rückzuge nach den Reden von Kellermann
gewähnt hatte. Am 23. Oktober im Lager bei Luxemburg er-
fuhr man davon7). Jetzt bestand geradezu eine große Gefahr
für Koblenz mit den preußischen Magazinen, und dieser Affront
durfte auch von Preußen nicht ruhig hingenommen werden.
Hatte es im Frühjahr den Eroberungskrieg mit ein paar schönen
. x) Die Bemerkungen von Manvitz (I 58—59, 73—74, 80—81) treffen
zwar für Österreich das Richtige, nicht aber für Preußen.
2) An Cesar 28. September, 5. und 15. Oktober. Lucchesini an seine
Frau 27. Oktober.
3) Lucchesinis Bericht 18. November.
4) V i v e n o t II 628; Ch.R. 200—202. Das schon von Chuquet mit
Recht abgelehnte Memoire Kellermanns siehe im Auszuge bei Feuillet
VI 374—375.
6) Vi veno t II 610.
6) Schon früh hatte man angeblich seinetwegen Besorgnis geäußert
(Massenbachl 125 [1. Oktober]?). Rep. XI 89k. Lucchesini an Schu-
lenburg 8. Oktober. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 38. Lucchesini an Stein
11. Oktober.
7) Bericht Lucchesinis 23. Oktober. Rep. 96, 170 L. Lucchesinis
Konzept zu einem Erlaß an Stein, 23. Oktober.
Der Rückzug 359
Phrasen über Reichs Verteidigung ausgeschmückt, so war jetzt
die Notwendigkeit gegeben, sein Wort einzulösen. Alle Welt
fürchtete einen Vorstoß Custines nach Koblenz, das sich schon
in der beschämendsten Weise, jeden Gedanken an Verteidigung
aufgebend1), dem Triumphator jammernd zu Füßen geworfen
hatte, noch ehe es in Not war. An Gerüchten, Custine gehe in
der Tat auf Koblenz los, fehlte es in der Tat nicht2). Wenn auch
die Eroberung von Koblenz und Ehrenbreitstein die preußische
Armee nicht geradezu vernichtet hätte, viel Ungelegenheiten
wären ihr doch sicher gewesen. Es galt daher, diesen Platz nicht
in die Hände der Franzosen fallen zu lassen, ihn eiligst selbst zu
besetzen. Aber man fürchtete allgemein, daß die Entsatztruppen
zu spät kommen würden. Schon auf die Nachricht von Custines
Marsch nach Mainz war der Abmarsch der Preußen nach
Koblenz beschlossen worden, auch um den unerhörten Schikanen
der Österreicher in Luxemburg zu entgehen. Die Nachricht von
der Katastrophe beschleunigte nur noch jene Maßregel3). Fried-
rich Wilhelm brannte darauf, den militärischen Ruf der preußi-
schen Armee wiederherzustellen, sich selbst mit Ruhm zu be-
decken4). Jeder kleine Rückschlag trug nur dazu bei, seinen
Eifer anzustacheln5). Dabei verlor sich mehr und mehr der
Gedanke einer Invasion in Frankreich mit Preußen an führender
Stelle. Die politischen Ereignisse des Winters trugen dann nur
dazu bei, ihn seine weitere Teilnahme am Kampfe lediglich als
Pflicht bezeichnen zu lassen, Österreich in den Vordergrund zu
schieben6).
Dazu kam die Entschädigungsfrage. Er bedurfte zu ihrer
Regelung des guten Willens von Österreich, so glaubte er wenig-
stens, vor allem aber von Rußland. Ganz ohne Landabtretung
von Seiten Frankreichs ließ sie sich nur schwer zu allgemeiner
Zufriedenheit lösen. Auch das sprach für die Fortsetzung des
*) Es hatte jedoch von der Regierung selbst den Befehl erhalten, sich
nur pro forma einen Augenblick zu verteidigen, um eine Kapitulation zu
erhalten (Rep. 96, 258 A Westfalen an Spielmann. Bonn, 22. Oktober).
2) Rep. 96, 170 L. 21. Oktober.
3) Vi veno t II 610, 612, 627, 630, 636, 649, 673; Feuillet VI
372, 392, 396; V a 1 e n t i n i 12—13. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 III.
Alopeus an Lucchesini 24. Oktober. Rep. 96, 170 L. Lucchesinis Konzept
zu einem Erlaß an Stein, 23. Oktober.
4) Vi veno tll 665.
5) Bericht Lucchesinis 11. November.
6)HäußerI 431.
360 IIL Abschnitt
Krieges, mehr jedoch die Rücksicht auf Rußland, das sich von
jeher als Hort der Legitimität aufgespielt hatte. Preußen durfte
scheinbar nicht Frieden schließen, wenn es sich die Aussicht auf
eine neue Teilung Polens offenhalten wollte1). Es hätte sonst
Österreich und Rußland hierin gegen sich gehabt. Konnte es
die Zustimmung des ersteren nachträglich einholen, so war die
des letzteren vorher erforderlich. War Katharina schon ent-
rüstet, als sie nach dem preußischen Rückzug von dessen Ent-
schädigungsforderungen hörte, so war gar nicht abzusehen, wie-
viel Schwierigkeiten Österreich und Rußland vereint den Preußen
hier hätten bereiten können, wenn dies mit den Franzosen seinen
Frieden gemacht hätte. So blieb Preußen in dem Geleise seiner
bisherigen Politik2) trotz des Zornes von Friedrich Wilhelm gegen
die Österreicher3), trotz der Wünsche des Kabinettsministeriums,
trotz der Mißstimmung der Armee, die Lucchesini mit ihrem
Wunsche viel Ärger machte, mit den Franzosen bei jeder nur
möglichen Gelegenheit zu verhandeln4). Friedrich Wilhelm be-
achtete das womöglich nicht. Nur die allzu lauten und unvor-
sichtigen Schreier in hoher Stellung wurden bestraft5). Die
französischen Generale mußten nach dem Bescheide vom 25. Ok-
tober einen Separatfrieden mit Preußen endgültig als gescheitert
ansehen.
5. Kapitel
Der Konvent nnd Europa
I.
Während die französischen Generale mit Genehmigung des
Konventes so in jeder Weise den Preußen entgegenkamen, aber
vergeblich versuchten, diesen gefährlichen Gegner neutral oder
l) Nassau jedenfalls versäumte nichts, um den König in seiner anti-
französischen Haltung zu bestärken und ihm die Gefahr dieser ewigen,
verdächtigen Verhandlungen mit den französischen Generalen recht lebhaft
vorzustellen. F e u i 1 1 e t VI 373—374 und 393—395; S o r e 1 III 93—94.
2)HäußerI 399.
3) F e u i 1 1 e t VI 368, 372, 390, 392—393 ; S y b e 1 II 351.
4 ) Berichte Lucchesinis 24. November und 15. Dezember. An Lucchesini
29. November und 19. Dezember. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12: L.
Au Roi 12. November.
5) Fersen II 60 — 61. Rep. XI 89k Schulenburg an Tauenzien
11. Oktober. Tauenzien an Schulenburg 5. November. Rep. XI 89 h.
Der Konvent und Europa 3ßX
gar zu Frankreichs Freunde zu machen, ließ der Konvent an
anderen Stellen seinen Generalen freie Hand, die revolutionären
Grundsätze zu verbreiten, und unterstützte sie sogar darin1).
Ich weise hier bloß darauf hin, daß am 21. September Montes-
quiou den lange geplanten Einfall in Savoyen vollzog, daß An-
selme sich Nizzas bemächtigte, daß Genua zur Neutralität ge-
zwungen wurde, daß Spanien trotz des aufrichtigen Mitgefühls
Karls IV. mit Ludwig XVI. die Republik anerkennen mußte,
um sich nicht auch erst durch die Waffen dazu zwingen zu lassen,
daß die Schweiz sich in Genf bedroht sah. Das alles waren Vor-
stöße, die zwar ursprünglich nur defensiven Charakter haben,
die Gegner teilen und im eigenen Lande beunruhigen sollten.
Die Absicht dazu reichte noch großenteils in die Anfänge dieses
Jahres zurück, wo die französische Regierung weit davon ent-
fernt war, sich mit Eroberungsabsichten zu tragen. Aber jetzt
bei der Ausführung fand man einen über Erwarten geringen
Widerstand, und es begann sich natürlich das Bestreben geltend
zu machen, ohne daß die Regierung hier etwa von Anfang an
nach einem festen Plan gehandelt hätte2), so leicht gewonnenes
Gebiet nicht wieder herauszugeben, damit sowohl die Macht
Frankreichs zu verstärken, wie die Völker von dem Joche der
Tyrannen zu befreien und den Grundsätzen der Revolution
einen immer weiteren Geltungsbereich zu verschaffen, zumal die
eroberten Gebiete eifrig um die Einverleibung in Frankreich
nachsuchten. Man darf das nicht einfach und für alle Gebiete
als erzwungen bezeichnen, da das Volk in der Tat vielfach von
der Abschaffung des ancien regime, die dem Einmarsch der
Franzosen meist auf dem Fuße folgte, große Vorteile hatte. Nur
durch eine feste Verbindung mit Frankreich aber konnte es sich
diese Errungenschaften sichern, und dies übte dabei nur Ver-
geltung für die geplante Zerstückelung seiner selbst3). Nur
durch die dauernde Vertreibung der Monarchen von seinen Grenzen
glaubten ferner die Franzosen die Ergebnisse der Revolution
sichern zu können. Vor solchen Tatsachen konnten die Be-
denken im Conseil executif und im Konvent nicht standhalten.
Reck an Schulenburg 28. November. Schulenburg an Reck 4. Dezember.
Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 31. Lucchesini an Haugwitz 22. November
1792.
*) Sorel III 97—112; Ternaux IV 212 ff., V 17 ff.
2) Sorel III 144—145.
3) ibid. III 168.
362 III- Abschnitt
Die Bewegung war im Gange, ehe die Leiter der französischen
Politik es geahnt hatten. Die Sache Frankreichs wurde damit
in ihren Augen zur Sache der Menschheit überhaupt.
Mit den genannten militärischen Operationen habe ich mich
hier nicht näher zu beschäftigen, wohl aber mit zwei anderen,
die an Bedeutung alle übrigen überragen und sich gegen Öster-
reich bezw. das Deutsche Reich richteten, mit den Angriffen von
Dumouriez und Custine. Dieser trat zuerst in Aktion. Auch
hier war der Ausgangspunkt die Verteidigung Frankreichs durch
einen Angriff auf die Operationsbasis des Gegners, die infolge
der schwachen österreichischen Rüstung fast schutzlos jedem
französischen Angriff preisgegeben war. Nur wenige tausend
Mann standen nach dem Abzug des Grafen Erbach nach Dieden-
hofen, wo er den nach der Champagne abgerückten Hohenlohe
zu ersetzen hatte, noch bei Speyer, wo sich große österreichische
Magazine befanden, dazu einige Reichstruppen, denen die Be-
wachung von Worms und Mainz beinahe allein anvertraut war.
Nur die grenzenlose Unterschätzung des Gegners, die schwache
österreichische Rüstung, dazu aber die außerordentliche Ängstlich-
keit des Herzogs von Braunschweig, sich mit einem schwachen
Heere auf den Marsch nach Paris in die Champagne zu be-
geben, hatten diesen Zustand herbeiführen können.
Die Franzosen hatten unter Biron am Oberrhein etwa 43 000
Mann, von denen unter dem General Custine etwa 17 000
Landau bewachten. Dieser drängte unaufhörlich bei seinen Vor-
gesetzten in Straßburg und Paris darauf, diese günstige Gelegen-
heit auszunützen. Trotz des Widerspruches von Biron und
Dumouriez, die ihn gegen Metz dirigieren wollten, gelang es ihm,
vom Kriegsminister die Erlaubnis zu einem Vorstoß nach Speyer
Ende September zu erhalten, also zu der Zeit, wo Dumouriez
sich eigentlich hinter die Marne zurückziehen sollte. Custine
aber dachte nicht daran, sich in den engen Grenzen zu halten,
die man ihm gezogen hatte. Er wollte sich militärisch einen
Namen machen und zugleich den Ruf eines feurigen Revolutionärs
erwerben. Der Gedanke, das linke Rheinufer für Frankreich
zu erobern, kam dazu. Damit handelte er nun zwar gerade den
Absichten entgegen, die Dumouriez früher ausgesprochen und be-
folgt hatte. Dessen Ziel war die Neutralisierung des Reiches
gewesen. Custine begnügte sich anfangs auch damit, die geist-
lichen Herren zu vertreiben und hielt getreu der alten französi-
schen Politik namentlich mit den Bayern, deren Gebiet er durch-
Der Konvent und Europa 363
ziehen mußte, gutes Einvernehmen1), das von den deutschen
Mächten allerdings anders bezeichnet wurde. Aber was sollten
diese Herren anderes tun? Bayern witterte österreichische Tausch-
gelüste und fürchtete sich, wie alle diese Kleinstaaten, seinen
schlecht geschliffenen Paradedegen wirklich zum Kampfe zu ge-
brauchen2). Die anderen kleinen Fürsten trieben die Soldaten-
spielerei nur in erheblich geringerem Umfange und konnten an
Widerstand nur denken, wenn sie eine kräftige Rückendeckung
hatten. Sie paktierten also vorläufig ruhig mit den Franzosen,
in dem Gedanken, sich ebenso ehrlich wieder gegen Frankreich
zu wenden, wenn der Wind aus einer anderen Richtung blies.
Am 29. September trat Custine seinen Marsch an. Schon
am 30. fiel nach kurzer, ruhmloser Verteidigung Speyer, am
4. Oktober Worms. Hier hielt er still3). Er selbst trug Bedenken
weiter zu gehen und einen Versuch auf Mainz zu machen. Er
wollte zunächst Befehle aus Paris einholen, und da erhielt er nur
von allen Seiten Mahnungen zur Vorsicht. Schon glaubte man auf
deutschem Boden die Gefahr als beseitigt darstellen zu können4).
Aber der Eindruck seiner Erfolge in Deutschland war doch ge-
waltig. Man erkannte sofort die Gefahr für Mainz5). Da kamen
nun Vertreter der „deutschen Jakobiner" in Custines Lager aus
Mainz und stellten ihm vor, wie leicht er sich dieser wichtigen
Festung bemächtigen könne. Sie trugen kein Bedenken, ihm
die schwachen Stellen der Werke anzugeben. Nun war überall
das Volk, die Armen wie die Gebildeten, einig in der Freude über
die Befreiung von dem Joche der Privilegierten. Überall war der
Widerstand gegen die Franzosen gering gewesen. Custine ließ sich
dadurch verleiten, den Schlag zu wagen. Am 19. Oktober war er
vor Mainz. Jetzt kamen alle Bitten um Hilfe bei den Mächten zu
spät6). Seinen pompösen Deklarationen hatte er es wohl hier wie
auch sonst mehr als seinen Truppen zu danken, daß am 21. schon
die Festung kapitulierte. Am 22. Oktober öffnete auch Frankfurt
einem seiner Untergenerale die Tore. Alle diese Städte mußten
1 ) S o r e 1 III 99 und 105; F e r s e n II 42; Rep. 96, 170 L. Bericht
Steins 2. Oktober; Politisches Journal 1792 S. 1135—1137.
2) Sbornik XXIII 578.
3) Sorel III 104—105.
4) Rep. XI 89 h Schulenburg an Reck 19. Oktober. Rep. 92 Lucchesinis
Nachlaß 38. Lucchesini an Stein 11. Oktober.
5) Fersenll 42. Rep. XI 89 h Reck an Schulenburg 22. Oktober.
6) Fersen II 387.
364 III. Abschnitt
hohe Kontributionen zahlen, die aber meist nur den Reichen
zur Last fielen und den Franzosen in ihrer Geldknappheit sehr
zu statten kamen.
Custine war hiermit wie mit der Überschreitung des Rheins
über die Absichten des Konventes beträchtlich hinausgegangen.
Man fürchtete den Rückschlag, die Erklärung des Reichskrieges,
und wollte doch gerade nur durch diesen Vorstoß den Krieg
rascher beendigen. Der Vorstoß hatte sich militärisch nur bis
zum Rhein ausdehnen sollen1). Aber man beabsichtigte noch
nicht einmal, dies Land für Frankreich zu erobern, höchstens
es zu republikanisieren. So natürlich dieser Schritt den Fran-
zosen auch erscheinen mochte, als so gefährlich erwies er sich
doch in kurzer Zeit, wie Dumouriez warnend hervorgehoben
hatte2), da er die Neutralität des Reiches unmöglich machte und
Österreich wie Preußen zu neuem Kriege gegen Frankreich trieb.
Der Eindruck dieser Vorgänge war ungeheuer. Es ist keine
Übertreibung, wenn man sagt, daß sich schon ganz Deutschland
von Custine bedroht fühlte3). Koblenz schien verloren4). Es
versprach Unterwerfung, da man die Franzosen in vollem Marsche
wähnte5). Wetzlar betonte seine Neutralität. Die Gesandten
am Reichstag in Regensburg hielten sich bereit, zu Schiff die
Donau hinabzureisen. Im preußischen Franken verlangte man
Truppensendungen, da die Franzosen am 1. November einfallen
wollten6). In Paderborn wurde ein Freiheitsbaum aufgerichtet7),
in Braunschweig fühlte man sich schutzlos8), und selbst in Berlin
wurde für den 31. Oktober der Einmarsch der Franzosen an-
gesagt. Der Eindruck war zu neu, als daß Custine ihn in seiner
ganzen Bedeutung sofort richtig gewürdigt hätte. Deshalb scheint
1 ) S o r e 1 III 152—155.
2) ibid. III 104, 149—150, 174, 183.
3) Sogar die Polen schöpften wieder neuen Mut (Ssolowjoff 304).
*) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 III. Alopeus an Lucchesini 24. Ok-
tober.
5) Rep. 96, 166 G Dohms Bericht 25. Oktober P.S. Köln schien be-
droht (Gronau, Dohm 247—248). Rep. XI 89h Reck an Schulenburg
11. November 1792.
6) Bericht Lucchesinis 12. November. W e 1 1 r i c h, Erinnerungen für
die Einwohner des Fürstentums Bayreuth aus den preußischen Regierungs-
jahren von 1792 bis 1807. Bayreuth 1808, S. 8. Politisches Journal 1792,
S. 1170—1171.
7) Bericht Lucchesinis 12. November.
s) Rep. XI 89 k Schulenburg an Feronce de Rothencreutz 5. November
mit Beilagen. Feronce de Rothencreutz an Schulenburg 9. November.
Der Konvent und Europa 365
es mir ganz unangebracht, ihm daraus einen Vorwurf zu machen,
daß er seinen Siegeslauf nicht noch bis nach Koblenz ausgedehnt
hat1), wie Dumouriez es jetzt gern gesehen hätte, um ihm hier
selbst die Hand reichen zu können2). Er kannte die Schwäche
seiner Macht und mußte befürchten, beim kleinsten Rückschlag
das Ganze aufs Spiel zu setzen. Er scheint in den ersten Tagen
gar nicht an diese Möglichkeit gedacht zu haben, die, wenn sie
zur Tatsache wurde, den Preußen doch große Schwierigkeiten
gemacht haben würde. Als ihm am 26. der Marsch von den
Koblenzern selbst angetragen wurde, da war es schon zu spät.
Am 26. kamen die Hessen unter Rüchel3) dort an. Um
sich nun von dem Verdachte zu reinigen, er habe seinen Sieg
nicht gehörig ausgenützt, beschuldigte er Kellermann vor dem
Konvente4).
Gleich als die Gefahr bekannt wurde, trafen ja Preußen und
Hessen Vorbereitungen, den Franzosen trotz der späten Jahres-
zeit entgegenzutreten. Die Vorhut schickte man auf Wagen
voraus, die Hauptarmee folgte in beschleunigtem Tempo. Wenn
es nach dem Herzog von Braunschweig gegangen wäre, so hätte
man sich zwar mit der „Deckung" des rechtsrheinischen Ge-
biets begnügt, soweit es nicht bereits in den Händen der Fran-
zosen war5) ; aber er stand allein, sein passiver Widerstand, sein
Versuch, die Ausführung des Planes so lange hinzuzögern, bis
sie unmöglich wurde, nützten nichts6). Der König, noch be-
sonders angefeuert von dem Freiherrn Karl vom Stein, und seine
1 ) Rep. XI 89 h Reck an Sohulenburg 22. Oktober. Ternaux V
17 — 19; Max Lehmann, Freiherr v. Stein I 142 — 143; Carisien
102 und 130.
2) Sorel III 175— 176.
3) Rüchel weilte seit dem August bei den Hessen, um die nötige Ein-
heitlichkeit der Operationen herbeizuführen. Zeitschrift des Vereins für
hessische Geschichte und Landeskunde. Neue Folge. Bd. 20. Kassel 1895.
S. 202 und 207. Aus Rücheis Nachlaß (Separatabdruck aus den Jahrbüchern
für deutsche Armee und Marine. Berlin 1878) S. 2 — 7. Politisches Journal
1792, S. 1348.
4) TernauxV9ff.
5) Es berührt merkwürdig, diesmal den kernigen Schlosser gewisser-
maßen auf der Seite des Herzogs zu finden (V 430). Er übersieht ganz die
moralische Bedeutung des Erfolges. Vgl. auch Vaissiere 569. Rep. 96,
258 A. Memoire Braunschweigs 13. November.
6) Berichte Lucchesinis 7. und 18. November. An Lucchesini 24. No-
vember. Lucchesini an seine Frau 28. November und 1. Dezember. Rep.
XI 89 k Tauenzien an Schulenburg 20. November 1792.
366 m. Abschnitt
Minister drängten auf einen kühnen Schlag. Vor allem der König
wollte ohne einen eklatanten Sieg nicht nach Berlin zurück-
kehren1). So schien man auch am besten der besonders den
geistlichen Gebieten drohenden Ausbreitung der revolutionären
Ideen Schranken setzen zu können2). Rüchel, Tauenzien, der
Freiherr Karl vom Stein, zuletzt auchLucchesini, für den es eben-
sowenig wie für Rüchel das letzte Mal blieb, bewogen den Land-
grafen von Hessen-Kassel, dem Könige auch jetzt noch seine
Truppen zur Verfügung zu stellen; aber wegen der Spionage-
gefahr teilte man ihm das Ziel der preußischen Unternehmung
nicht mit. In aller Heimlichkeit wurden alle Maßregeln ge-
troffen und der Feind in falsche Sicherheit zu wiegen gesucht3).
Vornehmlich die Hessen waren es auch, die unter Rücheis Leitung
am 2. Dezember Frankfurt einnahmen. Ein Angriff Custines
wurde abgeschlagen. Der Erfolg brachte nun all die Zauderer,
den Herzog von Braunschweig an der Spitze, zum Verstummen4).
Es gelang auch noch, Custine bis auf Mainz zurückzudrängen5),
aber ihn hier anzugreifen, ihn vom rechten Rheinufer überhaupt
zu vertreiben und ihn energisch darüber hinaus zu verfolgen,
wie man besonders in Berlin wünschte6), lehnte der Herzog, der
jetzt seinen Ruf wieder hergestellt glauben konnte7) und ihn
nicht von neuem aufs Spiel zu setzen wagte, auf das allerbe-
stimmteste ab. Ein Bombardement der Stadt schien nicht gut
möglich8), da es sich um die Stadt eines verbündeten Fürsten
handelte, und zu einer Belagerung fehlte es an schwerem Ge-
schütz9), an Truppen und an Zeit. Custine blieb also für den
Winter in der Hauptsache doch im Besitze seiner Eroberungen.
Die Preußen glaubten schon viel erreicht zu haben, als infolge
ihrer dringenden Vorstellungen und des Zögerns von Dumouriez
der unter der ungewohnten Last der Verantwortung fast zu-
*) ibid. Tauenzien an Schulenburg 21. November 1792. Politisches
Journal 1792, S. 1145—1146.
2) Bericht Cesars 27. Oktober. Rep. 96, 147 G II: F. S.A. Au Roi
5. November.
3) Bericht Lucchesinis 18. November.
4) Bericht Lucchesinis 2. Dezember.
5) Berichte Lucchesinis 3., 4. und 10. Dezember.
6) An Lucchesini 8., 10., 17., 19. Dezember. Politisches Journal 1792,
S. 1289.
7) Rep. XI 89 k Tauenzien an Schulenburg 3. Dezember.
8)Wassiltchikowri4, 209.
9) Rep. XI 89 h Reck an Scbulenburg 10. Dezember: Wieder ab-
bestellt (?).
Der Konvent und Europa 3(37
sammenbrechende Clerfayt auf dem linken Rhehmfer bei Köln
stehen blieb1). Die preußische Waffenehre vor allem war jeden-
falls wieder hergestellt. Friedrich Wilhelm wurde in Frankfurt
begeistert aufgenommen2), als Schirmherr des Reiches gefeiert.
Der Ruhm der Unbesiegbarkeit war Custine genommen. Der
erste Freudenrausch über die französische Eroberung verrann
in den rheinischen Gebieten. Man begann die Nachteile der
französischen Herrschaft zu empfinden. Der Umschlag der
Stimmung bereitete sich vor3).
IL
Noch rascher und stärker zeigte sich das bei der Aktion Du-
mouriez'. Die Österreicher trafen in dumpfer Resignation nur
die nötigsten Verteidigungsmaßregeln4). Am 19. Oktober war
Dumouriez in seinem Hauptquartier Cambrai. Nach sorgfäl-
tigen Vorbereitungen trat er am 28. mit einer starken Armee
den Marsch an5). Er mußte durch die Zahl zu ersetzen suchen,
was den Truppen an innerem Gehalt fehlte. Etwa 80 000 Mann
konnte er den etwa 25 000 Österreichern gegenüberstellen , die
ja wieder für Garnisonen viel abgeben mußten. Noch ist mili-
tärisch in seinem Vormarsch nichts von dem revolutionären
Feuer zu spüren. Mit großer Umsicht ging er vor. Am 6. schlug
er die Österreicher trotz tapferer Gegenwehr — aber was nützte
sie bei den schlechten Dispositionen! — bei Jemappes durch
seine numerische Überlegenheit und gewann damit mehr, als er
hatte hoffen können.
Denn nun gab es keinen Widerstand mehr, wie das bei Alberts
Charakter auch leicht vorauszusehen gewesen war6). Die Re-
gierung gab ihn zuerst auf und hörte auf keinen Gegenvorschlag?).
Sie gab das Land verloren und verließ trotz Mercys Malmen
zu Besinnung und Ruhe8) schon am 8. Brüssel. Erst ging sie
x) Damit sicherte er den Österreichern wenigstens eine günstige
Stellung für den Beginn des nächsten Feldzuges (Rep. XI 89 k Tauenzien
an Schulenburg 3., 17., 28., 29. Dezember. Schulenburg an Tauenzien
25. Dezember).
2) Bericht Lucchesinis 2. Dezember, 4 Uhr nachmittags.
3) Sorel III 176—179.
4) Rep. XI 89 h Reck an Schulenburg 22. Oktober und 3. November.
5) S o r e 1 III 150 und 159—160; Zeißberg, 2 Jahre, 181 ff.
6) Bericht Lucchesinis RS. vom 11. November.
7) Fersen II 51—52 und 56.
8) Bacourt-Städtler III 395; Fersen II 52-53.
368 HL Abschnitt
nach. Roermond, dann nach Düsseldorf, endlich nach der zwar
sicheren, aber unbequemen Festung Wesel, von wo dann der
Herzog Albert mit seiner Frau und dem Erzherzog Karl nach
Wien reisten1) ; die Regierung mußte in Wesel auf den Augenblick
warten, wo man sich wieder der Niederlande bemächtigen werde.
Das war ein schlechtes Beispiel. Nun floh alles in überstürzter
Eile. Namentlich die Emigranten suchten wenigstens ihr Leben
in Sicherheit zu bringen. Alle drückte ein dumpfer Schrecken
zu Boden. Von Unruhen war daher in den ersten Tagen wenig
zu spüren2). Die Armee war zu weiterem Widerstände nicht
mehr fähig, schon der Zahl nach konnte sie an ihn nicht mehr
denken. Der Herzog wurde durch Krankheit hart geplagt. Sie
veranlaßte ihn zu dem Entschluß, die Armee zu verlassen, um
nicht mehr zu ihr zurückzukehren. Als Clerfayt und Beaulieu
nun aber, ebenso kleinmütig wie er, es ablehnten, das Kom-
mando zu übernehmen, da gelang es nur dem kräftigen Auftreten
des Barons von Seckendorf, sie davon abzubringen. Clerfayt
übernahm es wenigstens provisorisch, wollte aber für die Dauer
nichts davon wissen3).
Am 14. zog Dumouriez in Brüssel ein, am 20. fiel Namur4),
am 28. Lüttich und Antwerpen, am 15. Dezember öffnete ihm
Aachen seine Tore. Wäre die französische Armee nicht selbst
in so schlechtem Zustande gewesen, so wäre es unerklärlich,
daß die Österreicher überhaupt noch einen Teil ihrer Truppen
in leidlicher Ordnung zurückbringen konnten5). Sie wurden
kaum verfolgt und gingen erst bis zur Maas, dann bis zur Roer,
endlich hinter die Erft bis zum Rhein in die Gegend von Köln
zurück. Hätten die Franzosen Anstalten zum Angriff getroffen,
so hätte alles Drängen von Friedrich Wilhelm, alle seine Rü-
stungen nichts geholfen, die an anderer Stelle noch dazu seine
Pläne in so unangenehmer Weise durchkreuzten6) — Clerfayt
1 ) F e r s e n II 52—53, 393—395 und 396—398 ;Zeißberg, 2 Jahre,
216—218. Rep. 96, 166 G Dohms Bericht 26. Januar 1793. Rep. XI 89 k
Tauenzien an Schulenburg 29. Dezember 1792.
2) F e r s e n II 51—57, 393—397; Bacourt-StädtlerHI 395,
397—398, 401-^05; Zeißberg, 2 Jahre, 215—216 und 219 ff.
3) F e r s e n II 57—58 und 392 und 398; Zeißberg, 2 Jahre, 229
bis 230. Rep. XI 89 k Tauenzien an Schulenburg 17. und 28. Dezember.
4) Zeißberg, 2 Jahre, 227—228; Ternaux V 16.
6) Zeißberg, 2 Jahre, 203—204.
6) Bacourt-StädtlerHI 395, 397—401, 404; F e r s e n II 58.
Rep. XI 89 h Reck an Schulenburg 11. November.
Der Konvent und Europa 369
wäre auch hinter den Rhein noch zurückgegangen. Er hätte
damit die Furcht der Preußen um Wesel gerechtfertigt, dessen
Kommandant — der Nachfolger Schlieffens — keine hervor-
ragenden geistigen Eigenschaften besessen zu haben scheint1).
Aber es gelang Dumouriez nicht, bis Koblenz vorzudringen,
wo er Custine hatte die Hand reichen wollen2). Wir haben hier
also militärisch ähnliche Vorgänge wie bei dem Rückzuge der
Preußen aus der Champagne, aber die Gründe für das Entkommen
beider Armeen sind doch recht verschieden. In Belgien er-
leichterte keine Verhandlung mit den französischen Generalen
den Rückzug. An einen Sonderfrieden mit Österreich dachte
kein Franzose. Der schlechte Zustand des französischen Heeres
erklärt auch nur zum Teil, nämlich für die erste Zeit, die Un-
tätigkeit Dumouriez'. Aber die Franzosen waren unter sich.nicht
mehr einig über die Behandlung ihrer Gegner und ihrer Freunde.
Dumouriez hatte im Frühjahr den Einfall in Belgien haupt-
sächlich aus militärischen und äußerpolitischen Gründen ge-
plant und durchzuführen versucht. Seine Absichten scheinen
im Oktober und im November doch schon stark andere geworden
zu sein3). Das erste blieb auch jetzt freilich der Friede mit
Österreich, den er, im Besitze eines so kostbaren Faustpfandes,
sich fordern konnte zu seinen Bedingungen, und dazu gehörte
die Errichtung einer selbständigen Republik, deren Verfassung
die Belgier allein regeln mochten4). So war es auch anfangs
vom Conseil executif und vom Konvent beabsichtigt worden.
Dumouriez scheint jetzt aber auch schon stark mit dem Plan
der Vernichtung der Jakobiner und der Wiederherstellung des
Königtums gerechnet zu haben, gestützt auf seine Erfolge in Bel-
gien. Der siegreiche General wollte an der Spitze der Armee
dem Auslande wie dem Vaterlande das Gesetz diktieren. Aber
dazu war er nicht der Mann, und die Zeit war noch nicht
reif. Überall stieß er auf Widerstand. Die Österreicher dachten
an keinen Frieden, und der Konvent hatte sich auf seiner Bahn
zu weit fortreißen lassen, die sich nur zu leicht aus den anfangs
*) Rep. XI 89 h Reck an Schulenburg 28. November, 8., 10., 19.,
29. Dezember.
2) Sorel III 174—175.
3) ibid. III 145—149, 172—175, 251—253; TernauxVI 421—422;
Zeißberg, 2 Jahre, 241 ff.
4 ) Vgl. etwa Ternaux V 3; Borgnet, Histoire des Beiges II
70—71 ; Zeißberg, 2 Jahre, 183—184.
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 24
370 HI- Abschnitt
aufgestellten Prinzipien ergab, die ihn aber in einen Krieg mit
ganz Europa hineinführen mußte1).
An Frankreichs Grenze sollte womöglich kein monarchischer
Staat mehr stoßen2), wenn er nicht die Republik anerkannte,
wie Spanien, vor dem man übrigens nicht sehr in Furcht war.
Diese neuen Republiken sollten sich ihre Verfassung selbst geben,
aber unter der Bedingung, daß die Rückkehr der „Tyrannen",
d. h. der Monarchen, ausgeschlossen sei3). Man rechnete in Frank-
reich mit einer Übernahme der französischen Verfassungsform.
Dem setzten sich die Belgier aufs heftigste entgegen, und Du-
mouriez wußte wohl, warum er sie in diesem Punkte so schonend
behandelte. Mit der Vertreibung der Österreicher schien ihnen
die Revolution beendigt zu sein. Von ihren provinziellen Sonder-
rechten wollten sie zum großen Teil nicht lassen, an der Kirchen-
verfassung alle nicht gerüttelt sehen. Der Konvent aber ver-
suchte, ihnen die französische Verfassung aufzuzwingen, be-
günstigte überall zunächst die Demokraten (die Vonckisten)
gegenüber den Statisten4). Nun näherten sich zwar deren Ideen
den französischen, aber denen der Konstituante. Der Konvent
erreichte mit seinen Maßregeln doch nur, daß sich die beiden Par-
teien, die einander sonst so spinnefeind waren, gegen den Kon-
vent mit seinem Radikalismus vereinigten und sich laut und
fast einstimmig gegen die Einverleibung in Frankreich erklärten,
die ihnen in gar zu große Nähe gerückt zu sein schien. Dazu
kam Paches schlechte Armeeverwaltung, der alles versprach
und nichts tat, wohl aber die Assignaten zum Parikurs in Belgien
zwangsweise einführen wollte. Es fehlte an Lebensmitteln wie
an Ausrüstungsgegenständen. Sie mußten in Belgien selbst
beschafft werden, wurden aber mit den Assignaten zu jenem
Zwangskurse bezahlt5). An Exzessen unter den Soldaten fehlte
es auch nicht. So wurde die Befreiung durch die Franzosen
bald als schwerere Last empfunden als die österreichische Herr-
schaft.
Dazu kam der Konflikt mit dem Auslande. Die österreichi-
sche Herrschaft war von den Engländern stets zur Aufrecht-
1 ) Vgl. aber S o r e 1 III 144 und 183.
2) Heigel II 75—78 und 85—86.
3) Sorel III 154.
4) Sorel III 162—163.
5) ibid. III 170—171, 206—208, 246—247, 258—260, 277—280, 282
bis 287; V i v e n o t II 790; H e i g e 1 II 85—86.
Der Konvent und Europa 371
erhaltung des europäischen Gleichgewichts gefordert worden.
So wurde hier Frankreich durch eine Großmacht im Zaum ge-
halten, Holland geschützt und den englischen und den holländi-
schen Handelsinteressen durch die Schließung der Scheide ge-
dient. Die Besetzung durch die Franzosen hätte England noch
hingenommen, wenn es nach dem alten Plan dabei sein Bewenden
gehabt hätte. Aber am 16. November wurde die Scheide für offen
erklärt, da die Schließung mit den Grundsätzen des Naturrechts
unvereinbar sei1). Am gleichen Tage beschloß das Conseil exe-
cutif den Einmarsch in Holland für den Fall, daß die österreichi-
schen Truppen auf ihrem Rückzuge dort Aufnahme finden sollten.
Am 19. versprach der Konvent allen Völkern, die sich ihre Frei-
heit erobern wollten, Schutz gegen auswärtige Angriffe. Damit
wurde nicht nur die holländische Verfassung bedroht, an deren
Bestehen England so großes Interesse hatte, sondern auch die
Möglichkeit der Einmischung in Englands eigenes Gebiet ge-
geben, wo Irländer, Schotten, auch eine Partei in England selbst
leicht den Anlaß dazu herbeiführen konnten und bald herbei-
führten2).
Hatte bisher das englische Volk, insbesondere Pitt, der Revo-
lution durchaus passiv gegenübergestanden und die Neutralität
zu wahren gesucht — jetzt begann es sich zu regen, um sich gegen
derartige Eingriffe in seine Privatangelegenheiten zu wehren.
Die revolutionsfreundliche Partei gab dabei ihren Gegnern kaum
etwas nach3). Das Dekret vom 15. Dezember endlich machte
der belgischen Unabhängigkeit tatsächlich ein Ende. Nach der
Einverleibung Savoyens in Frankreich, die auf den Wunsch
seiner Bevölkerung am 27. November erfolgt war, schien die
formelle Vereinigung auch mit Belgien nur noch eine Frage der
Zeit zu sein4). Das Dekret brach mit der bisherigen Gewohnheit,
die sich für Frankreich als so kostspielig erwiesen hatte, die
fremden Völker auf französische Kosten zu befreien. Es hob die
alte Verfassung einfach auf, wies den Franzosen die Aufgabe
zu, das noch unmündige Volk zu befreien, sanktionierte vor-
x) Bacourt-StädtlerHI 396; Aulardl 239—240; Sorel
III 167—170; Ranke 46, 124—125; Salomon, Pitt I 2, 576 ff.
2) SchlosserV 553—554; S o r e 1 III 214—215. Die Bedeutung
dieses Ereignisses darf jedocb nicht zu hoch angeschlagen werden. Andere
Momente entschieden hier den Krieg.
3) S o r e 1 III 212—217 und 262—263; WorontzowIX 267—273,
278—280, 294—297.
4) Sorel III 203, 277—280, 282—287, 307—312.
372 HI. Abschnitt
läufig die Herrschaft des französischen Militärs, lieferte diesem
das Vermögen des Staates und der Privilegierten aus und schränkte
die Volkssouveränität dahin ein, daß nur eine der französischen
entsprechende Verfassung anerkannt werden würde. Erst nach
Vollendung der neuen Organisation sollte das Volk aus der Vor-
mundschaft Frankreichs entlassen werden1). Es entsprang dem
Wunsche, die französischen Heere auf fremde Kosten zu ernähren,
für seine Kosten ganz nach Art des ancien regime entschädigt
zu werden und den vorwärts drängenden Tendenzen des Kon-
ventes, der überall dort Feinde sah, wo er keine Freunde fand.
Dadurch war der Bruch mit England, also auch mit Holland,
bald auch mit Spanien entschieden. Alle Versuche der beiden
l Regierungen, die den Kampf anfangs gern vermieden hätten
(von dem Konvent gilt das Wohl nur bis zum 15. Dezember),
Dumouriez und Lebrun waren hierin die Hauptakteure, konnten
nichts mehr helfen2). Es bedurfte wahrlich nicht mehr der Hin-
richtung Ludwigs XVI., um England in den Krieg zu treiben3).
Es war nur noch eine Frage der Form, wer ihn erklären werde.
Pitt verstand es, den Gegner auch hierin ins Unrecht zu setzen.
So wandelte sich die französische Verteidigung in einen Angriff
der allerbedrohlichsten Art um4). Mehr als zwanzig Jahre ver-
gingen, ehe Europa seine Ruhe wieder fand.
III.
Während dessen versuchte der Konvent oder besser das
Conseil executif seinen gefährlichsten Gegner Preußen5) mög-
lichst zu schonen, geheim mit ihm anzuknüpfen, ihn aus dem
Ringe seiner Gegner zu entfernen und dann mit ihm eine Allianz
zu schließen. Es ist die Politik, die Favier proklamiert hatte,
die von der Revolution gleich anfangs angenommen und in viel-
fachen Versuchen angewandt worden war. Welcher Partei das
Ministerium angehörte, welche Regierungsform herrschte, das
*) A u 1 a r d I 331—335; S o r e 1 III 232—237.
2) V i v e n o t II 712—714; S o r e 1 III 212—230, 239—245, 253—263,
271—282, 298—301, 312, 318—319; Bacourt-Städtler III 412,
417, 420, 422—425, 427—429.
3) S o r e l III 263, 271, 276; Ranke, Denkwürdigkeiten des Staats-
kanzlers Fürsten v. Hardenberg, Bd. V (Leipzig 1877), S. 34 und 38—39.
*) Politisches Journal 1792, S. 1310.
6) Von den Versuchen bei England kann ich hier absehen (Sorel
III 18—21).
Der Konvent und Europa 373
war hierbei fast völlig gleichgültig. Die Interessen waren so
stark, daß sie jeden Widerspruch gegen einen neuen Versuch
sofort zum Verstummen brachten.
Lebrun1) setzte tatsächlich nur die Politik Dumouriez' fort,
als er noch vor dem Zusammentritt des Konventes auf langen
Umwegen Friedrich Wilhelm zu einem Separatfrieden zu be-
wegen suchte. Er wandte sich an den ihm bekannten Herrn
von Dohm2). Dieser hielt sich damals in Köln auf und war in
den Jahren vorher von Preußen vielfach zu diplomatischen
Missionen verwandt worden, die die antiösterreichische Politik
Preußens veranlaßt hatte und die eine Annäherung zwischen
Preußen und Frankreich hatten herbeiführen sollen, so besonders
bei der Revolution in Lüttich. Auch seine Tätigkeit für den
Fürstenbund hatte sich in ähnlichen Bahnen bewegt. Persönlich
brachte er der Eevolution warme Sympathie entgegen. Sie ver-
anlaßte ihn wohl auch, den Feldzug der Verbündeten nicht nur
nicht zu billigen3), sondern ihm gleich anfangs einen schlimmen
Ausgang für die Mächte zu prophezeien4). Er schien also der
Mann dazu zu sein, um die französischen Anträge nicht nur weiter-
zugeben, sondern sie auch zu befürworten. Als Vermittler zwi-
schen ihm und Lebrun fungierte ein gewisser Mettra, der schon
1768 — 1771 von Friedrich dem Großen bei Verhandlungen mit
Frankreich verwandt worden war, die die Wiederanknüpfung
diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Staaten verfolgten5).
Er lebte jetzt seit längerer Zeit als Kaufmann und Publizist in
Neuwied. Aber noch zwei weitere Personen waren bei diesem
Versuche beteiligt. Denn Lebrun kannte bisher Mettra eben-
sowenig wie dieser Herrn von Dohm. Erst Andrea de Nerciat,
ein Literat niederer Sorte, machte Lebrun auf ihn aufmerksam6).
Bei Dohm wurde Mettra von einem Chevalier de Cologne ein-
geführt, der es vorzog, seinen hochgeborenen Vater nicht zu
1) Vgl. für die folgende Darstellung: Gronau, Dohm 241 — 249.
Ergänzungen dazu in Rep. XI 89 Frankreich varia 1790 — 1796 und Rep.
96, 166 G.
2) Sorel III 22—23.
3) Gronau 251.
*) Gronau 236—238.
5) ibid. 243; S o r e 1 III 113. V o 1 z in F.B.P.G. XVII 164. Ob jedoch
auch dieser Mettra schon 1752 verwandt worden ist, muß doch dahin-
gestellt bleiben.
6) Mettra scheint jedoch nicht zu diesem Zwecke nach Paris berufen
worden, sondern in Privatgeschäften dorthin gereist zu sein.
374 III. Abschnitt
nennen1). In diesem Einzelfall finden wir die Behauptung
Sorels in glänzendster Weise bestätigt, daß sich die Sitten des
ancien regime auch in die Revolutionszeit hinein fortsetzen.
Wir dürfen die Unterredung zwischen Dohm und Mettra mit
einiger Sicherheit auf den 29. oder den 30. September ansetzen
und können nun rückwärts schließen, daß etwa Mitte September
Lebrun seinen Auftrag erteilt hat. Er gab ihn Mettra nur münd-
lich, wohl aus Mißtrauen gegen diesen, und schrieb an Dohm
noch direkt; aber der Brief kam nicht mehr rechtzeitig an seine
Adresse2). Dohm gab also nur die Äußerungen Mettras an den
König weiter, als er am 30. September über diesen Antrag be-
richtete. Die französische Regierung fürchtete den Vormarsch
der Preußen und war auf die Idee gekommen, Friedrich Wilhelm
davon durch die tatsächlich richtige Bemerkung abzuhalten, daß
das Leben der königlichen Familie um so gefährdeter werde, je
mehr die Truppen sich Paris näherten. Man wird auch weiter
glauben dürfen, daß die Regierung die Absicht hatte, das Leben
ihrer Gefangenen vor der Wut des Pöbels zu retten3). Aber es
hieße doch fehlgehen, wenn man das nun für den Grund des
Schrittes hielte. Nur die Furcht konnte letzten Endes ein so
gefährliches Beginnen rechtfertigen; denn kam es heraus, so waren
seine Urheber verlorene Leute. Man wünschte also geheime Ver-
handlungen mit Preußen zum Zwecke eines Waffenstillstandes an-
zuknüpfen mit der Hauptbedingung, daß die königliche Familie
sichergestellt werde. Von dieser Basis konnte man dann ja weiter
vorgehen. Man wollte auf indirekte Art erfahren, ob Friedrich
Wilhelm zu Friedensverhandlungen während eines Waffenstill-
standes auf solche Bedingungen hin bereit sei. Genauere In-
struktionen und Vollmachten vom französischen Ministerium
1 ) Gronau 242.
2) ibid. 243.
3) Danach ist der Auftrag nach den Septembermorden erteilt. Mettra
sprach zwar nach Dohms Bericht vom 26. Oktober einmal vom National-
konvent, aber noch nicht als von einer zusammengetretenen Körperschaft.
Dabei kann auch eine Verwechslung Dohms vorliegen. Gronau spricht
ausdrücklich von einer Nationalversammlung (S. 242). Die Kabinetts-
ordre des Königs verlegt Lebruns Befehl in die Zeit, wo in Paris der preu-
ßische Vormarsch noch gefürchtet wurde. Das war allerdings auch noch
bis Ende September der Fall. Aber ich glaube doch den Auftrag in die
Mitte des September verlegen zu dürfen. Woher man in Köln die Gerüchte
vom Rückzuge der Preußen hatte, ehe dieser tatsächlich beschlossen wurde,
weiß ich nicht (Gronau 241).
Der Konvent und Europa 375
kündigte Mettra an. Man hoffe, durch Dohm so einen Kanal zu
finden, wie man ihn brauche. An dem Ernst der französischen
Regierung konnte kein Zweifel sein.
Aber Dohm, der gar nicht orientiert War, hielt sich begreif-
licherweise vorsichtig zurück. Er meinte für sich, Friedrich Wil-
helm werde Wohl auf der Unterwerfung der ganzen Kation unter
Ludwig bestehen. Er verwies auf das Bündnis mit Österreich
und auf den Herzog von Braunschweig, der solche Vorschläge
am besten entgegenzunehmen habe. Der König entschied, Wohl
unter dem Einflüsse von Lucchesini, sofort negativ wie immer.
Nach dem Rückzuge der Preußen und der Abschaffung des König-
tums, glaubte er, würden die Anträge von den Franzosen nicht
mehr aufrecht erhalten werden; aber noch stellte Preußen als
erste Bedingung für den Frieden die Befreiung des Königs auf.
Ob das Ministerium noch bestand, war unsicher; eine Vollmacht
hatte Mettra nicht aufweisen können. Dohm sollte daher weitere
Eröffnungen entgegennehmen, aber ohne sich darüber zu äußern.
In der Tat lehnte Dohm es am 22. Oktober ab, Mettra noch ein-
mal zu sprechen, da dieser doch noch keine Vollmachten hatte
und sich Dohm so lange kein Ergebnis davon versprach. Mettra
teilte daher nur dem Chevalier de Cologne mit, daß er täglich
Instruktionen erwarte desselben Inhalts, wie seine bisherigen
Äußerungen1).
Das Ministerium bestand in der Tat noch, beharrte trotz allem
bei seinen Vorschlägen und wies mehrfach auch kurz darauf jeden
Zweifel daran deutlich zurück2). Nur bediente sich Lebrun, um
die Sache zu beschleunigen, wie er sagte3), augenblicklich nicht
Mettras, sondern eines gewissen Mandrillon, der den Spectateur
americain redigierte und in dem man in Trier wie in Berlin einen
zweideutigen früheren Agenten der holländischen Patrioten zu
erkennen glaubte4). Es verschlechterte damit nur seine eigene
Lage bei Preußen. Denn hier konnte man dies ewige Hin und
Her von gar nicht oder nur schlecht bevollmächtigten unbekannten
Personen von wenig gutem Rufe, die nur dasselbe auszusagen
hatten wie die Generale Valence und Kellermann und der Graf
1 ) Berichte Dohms 23. und 26. Oktober.
2) Finckenstein und Alvensleben an Lucchesini 8. Oktober. Gronau
246. Bericht Dohms 23. Oktober.
3) Gronau 245. Bericht Dohms 25. Oktober.
4) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12. Friedrich Wilhelm an Lucchesini
(29. Oktober). Finckenstein und Alvensleben an Dohm 2. November.
376 III. Abschnitt
Gorani im Hauptquartier selbst1), und die leicht desavouiert
werden konnten2), nur dahin auslegen, daß man Preußen eine
Falle stellen und es endgültig mit seinem Verbündeten entzweien
wolle. Mandrillon hatte nun einen Zettel von Lebrun vom
19. Oktober aufzuweisen, als er sich am 25. bei Dohm einstellte3).
Der Vergleich mit Benoits Mission im April liegt sehr nahe. Er
wünschte sogar, daß Preußen auf der Befreiung Ludwigs und
seiner Familie bestehe. Trotz aller Schwierigkeiten hoffe man
das bei der nötigen Kühe zu erlangen. Er suchte Dohms alte
Vorliebe für den Fürstenbund zu benützen, um zum Ziele zu
kommen4). Aber er verlangte doch absolutes Geheimnis für die
Verhandlungen, bis sie ein gewisses Eesultat gezeitigt hätten,
und Ausschluß von Österreich. Friedrich Wilhelm solle Dohm
instruieren, inzwischen wolle Mandrillon warten. Dann könne
man sogleich an einem beliebigen, vom Könige zu bestimmenden
Orte beginnen. Aber rasch solle der König sich entschließen,
da das ganze politische System Frankreichs davon abhänge.
Jedoch Friedrich Wilhelm hatte für den Beginn der Verhand-
lungen die Bedingung gestellt, erst eine Zusage über die Be-
x) Das war ein Allerweltsaben teurer, der augenblicklich im Dienste
der Girondisten Flugschriften verfaßte und den Monarchen Europas in
manchmal recht merkwürdiger Weise ihre Interessen klar zu machen suchte
und der wohl auch sonst zu geheimen Missionen verwandt wurde (vgl.
Marc Monnier, Un aventurier italien 190 — 205). Über seine Versuche
bei Preußen habe ich Genaueres nicht finden können. — Auch die Franzosen
schrieben anfangs seinen Namen nicht richtig (Marc Monnier 186
und 196—198; V i v e n o t II 651 ; S o r e 1 III 19, 40—41, 113. Lucchesinis
Bericht 1. November, Friedrich Wilhelm an Dohm 1. November. Rep. 92
Lucchesinis Nachlaß 12, L. Au Roi 29. Oktober).
2) Finckenstein und Alvensleben an Dohm 13. November.
3 ) Am 20. Oktober war er von Paris abgereist und auf die Vermittlung
des Herzogs von Zweibrücken hingewiesen worden, von dessen Hofe Des-
portes die günstigsten Berichte gesandt hatte (Sorel III 21). Aber dieser
Weg erwies sich jetzt für die Franzosen als noch weniger gangbar als im
Sommer (Sorel III 88, 112—113, 156, 165, 290. Politisches Journal 1792,
S. 1212, 1248. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 III und IV. Desportes an
Esebeck 21. November 1792. Esebeck an Desportes 29. November. Esebeck
an Schulenburg 13. Dezember. Esebeck an Lucchesini 13. Dezember 1792
und 11. Januar, 29. Januar 1793. Pfeffel an Lucchesini 13. Februar. Bericht
Dohms 25. Oktober).
4) Bei Sorel III 113 ist wohl mindestens das Datum falsch. Es
müßte 25. Oktober heißen; aber ob die Note wirklich von Dohm ist, scheint
mir doch sehr zweifelhaft. Ist sie etwa mit jener vom 15. September
identisch, die durch Mettra und Nerciat vermutlich zur Kenntnis Lebruns
gekommen ist (Sorel III 23)?
Der Konvent und Europa 377
freiung der königlichen Familie zu verlangen. Frankreich wollte
trotz der Bereitwilligkeit, in diesem Punkte Zugeständnisse zu
machen, sich darüber nicht eher erklären, als bis sich der König
zur Verhandlung bereit erklärt hatte. Da die französischen
Generale vor weiteren Verhandlungen die Räumung des fran-
zösischen Territoriums verlangt hatten, so bestand Friedrich
Wilhelm auf der Räumung des Reichsgebietes durch Custine.
Von einer Separatverhandlung endlich wollte er durchaus nichts
wissen. Er hielt treu, vielleicht nicht ganz freiwillig, an dem
Bündnis mit Österreich fest. Auf dieser Basis aber zu verhandeln,
trug er kein Bedenken1).
So ging es also nicht. Wir sehen die Franzosen jetzt diesen
Weg als unnütz und sogar zeitraubend verlassen. Mandrillon reiste
am 4. November sofort nach Paris ab2), als er den Bescheid des
Königs erhielt, versäumte aber nicht, schriftlich die Vorschläge
zu hinterlassen, die beim Beginn der Verhandlung zu machen er
ermächtigt war, und von denen behebigen Gebrauch zu machen
er Dohm anheimgab3). Sie waren für Preußen unannehmbar.
Dohm zog sich den Tadel Lucchesinis zu, daß er ihre Annahme
nicht gleich verweigert hatte4). Separatfrieden, Allianz waren die
Stichworte, und mündlich versprach er sogar, über den das Schick-
sal von Ludwig betreffenden Punkt bald eine bestimmte Er-
klärung zu übersenden. Er betrachtete trotz allem die Verhand-
lungen nicht als abgebrochen, sondern nur als vertagt und suchte
sich in der damals üblichen Weise durch ein Präsent in Gestalt
eines Ringes Dohms guten Willen zu sichern5). Dohm lehnte es
jedoch ab, ihn anzunehmen.
Nun hatte aber Dohm Mettra wissen lassen, daß Lucchesini
im Hauptquartier zur Entgegennahme von Vorschlägen zur ge-
meinschaftlichen Verhandlung mit Preußen und Österreich bereit
sei, und hätte sich scheinbar selbst gern an weiteren Verhand-
lungen beteiligt6). Mettra hatte inzwischen seine Instruktionen
erhalten und reiste daraufhin zu Lucchesini. Damit beginnt eine
1) Vivenot II 651; Gronau 248.
2) Bericht Dohms 6. November. Gronau 245 — 246.
3) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 III. Mandrillon an Lucchesini
3. November 1792.
4) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 31. Lucchesini an Haugwitz 22. No-
vember. Lucchesinis Bericht 20. November.
5) Gronau 247. Der Ring stammte wohl von Lebrun.
6) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 III. Dohm an Lucchesini 10. No-
vember. Mettra an Lucchesini 5. November.
378 III- Abschnitt
neue Kette von Verhandlungen, die bis zum Baseler Frieden
eigentlich kaum noch abreißt1), mit denselben Tendenzen, den-
selben Mitteln wie bisher, nur noch schärfer. Ich kann nicht
daran denken, hier jeden einzelnen Versuch zu erzählen. Eine
Veröffentlichung der Aktenstücke würde da bessere Dienste
leisten. Nur einen besonders charakteristischen greife ich noch
heraus und schildere ihn möglichst genau, um zu zeigen, daß zwar
auf beiden Seiten der Wunsch nach Frieden lebhaft, besonders
bei den Franzosen, vorhanden war, daß aber prinzipielle Schwierig-
keiten sich in den Weg stellten und den Abbruch einer noch nicht
offiziell begonnenen Verhandlung herbeiführten.
Schon am 5. November hatte Mettra eine ergebnislose Be-
sprechung mit Lucchesini2), eine neue durch Vermittlung des Her-
zogs von Sachsen -Weimar am 19. November3), kurz darauf eine
weitere mit Mettra und dem aus Paris zurückgekehrten Mandrillon.
Aufträge politischen Inhalts erteilte Lucchesini Mettra in keiner
Konferenz. Er beschränkte sich auf das Zuhören, die Kritik und
die Betonung des Zusammengehens mit Österreich. Als Mettra
aus Paris zurückkam mit einem Privatbriefe Lebruns zu seiner
Beglaubigung und einer Instruktion für den jungen Custine, ver-
suchte er doch vergeblich, eine Unterredung mit Lucchesini in
Frankfurt zu erlangen. Friedrich Wilhelm war geneigt, darauf
einzugehen, augenscheinlich unter dem Einfluß seiner militärischen
Umgebung4). Aber Lucchesini erschien das zu gefährlich5). Je-
doch, da Mettra das vorige Mal schon von seiner Absicht, Preußen
von Österreich zu trennen und es zu einer Allianz mit Frank-
reich zu veranlassen, abgekommen zu sein und einen allgemeinen
Frieden zu wünschen schien, so konnte man ja immerhin einmal
seine Anträge anhören. Reuß wurde über diese Vorgänge immer
genau auf dem laufenden erhalten. Dabei hatte Preußen die
Nebenabsicht, den Österreichern klar zu machen, daß es jederzeit
aus dem Kriege ausscheiden könne, sie also auf Preußen angewiesen
seien6). Lucchesini schickte Mettra mit einem Paß aus Mainz,
1 ) Häußer I 430; Aulard in La revolution francaise 18 (Paris
1890) 232 ff.
2) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 III. Mettra an Lucchesini 5. No-
vember mit dessen Bemerkungen.
3) ibid. Note Lucchesinis für Reuß 21. November. Bericht Lucchesinis
24. November. S y b e 1 III 46; S o r e 1 III 181.
4) Bericht Lucchesinis 18. Dezember. An Lucchesini 24. Dezember.
5) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 31. Lucchesini an Haugwitz 17. Dezbr.
6) Bericht Lucchesinis 4. Januar 1793. An Cesar 10. Januar.
Der Konvent und Europa 379
von wo er nach Frankfurt hatte herüberkommen wollen, nach
Neuwied zurück, erbot sich aber auf einen Wunsch Mettras, an
einen beliebigen Ort zu kommen1). Das war für diesen genug.
So kam denn am 2. Januar 1793 nachmittags bei ihm in
Wiesbaden die letzte entscheidende Zusammenkunft zu stände.
Gleich der Anfang war für den Franzosen wenig verheißungsvoll;
denn sein Versuch, sich durch das Dekret vom 10. August zu
legitimieren, das dem Conseil executif die Macht Ludwigs über-
trug, scheiterte. Lucchesini nahm es nicht an; es habe ja schon
im Moniteur gestanden. Aber er ging nun seinerseits gleich zum
Angriff über. Er beschwerte sich über die Veröffentlichung der
Gespräche des Herzogs von Braunschweig und Kaikreuths mit
verschiedenen französischen Generalen in stark veränderter Form.
Er wolle jedenfalls keinen Stoff zu Zeitungsartikeln hefern.
Mettra entgegnete, die Generale hätten von Lebrun keine. Voll-
macht zum Verhandeln gehabt, Zeitungsartikel seien daher nicht
Weiter wunderbar. Er aber habe Vollmacht und sei der erste.
Das ganze Conseil executif wolle Frieden schließen, aber nur mit
Preußen, ein allgemeiner Friede sei ausgeschlossen. Der Grund
scheint mir in dem weiteren Vorgehen des Konventes zu liegen,
dem Lebrun zögernd und eigentlich nur notgedrungen folgte.
Es bleibe Preußen überlassen, führte Mettra aus, die Form zu
bestimmen. An Entgegenkommen würden es die Franzosen
nicht fehlen lassen. Sie rechneten aber auch darauf, daß Preußen
seinen natürlichen Verbündeten nicht zu Grunde richten lassen
werde. Bis zum Frühling müsse alles geheim bleiben, vor allem
aber müsse sich Preußen rasch entscheiden, sonst breche Frank-
reich die Verhandlungen ab. Der junge Custine habe schon
Vollmacht zur Verhandlung, wie Mettra glaube. Lucchesini schwieg
hartnäckig. Da spielte Mettra seinen letzten Trumpf aus. Er
zog aus seiner Tasche ein Schriftstück mit dem Titel : Instruction
pour negocier avec le Roi de Prusse sur les bases arretees par le
Conseil executif2) und begann es vorzulesen. Aber er kam nur
x) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 III. Lucchesini an Mettra 15. De-
zember 1792.
2) Es kann wohl kein Zweifel daran bestehen, daß diese Instruktion
mit der von S y b e 1 (III 47—48) und S o r e 1 (III 181—182 und 296)
exzerpierten identisch ist, obwohl dort der Titel anders wiedergegeben ist
und der erste Artikel eine noch schärfere Fassung gegen Österreich enthält.
Wir müssen uns erinnern, daß Lucchesini einen Tag nach dem Gespräch
seinen Bericht niederschrieb, sich also auch geirrt haben kann. Oder sollte
sich Mettra im Gespräch noch entgegenkommender gezeigt haben?
380 HI. Abschnitt
mit dem ersten Artikel zu Ende, in dem es hieß, man wolle allein
mit Preußen verhandeln, Österreich könne nicht dieselben Be-
dingungen erhalten. Das war für Lucchesini schon genug, und
so entging ihm der wirklich sehr preußenfreundliche Rest, der
beweist, wie sehr das Conseil executif mit der bisherigen Kabinetts-
politik zu rechnen sich entschlossen hatte1).
Zwar Lucchesini war jetzt, in einem gewissen Gegensatze zum
König, schon bedeutend mehr für den Frieden als einige Monate
früher2). Es wurde jetzt sein Hauptbestreben, ihn im Laufe des
Jahres wiederherzustellen. Aber er lehnte es auch jetzt ab, aus
1 ) S y b e 1 (III 48 — 49) hat schon hervorgehoben, daß Preußen
hierauf unmöglich eingehen konnte. Er hat darin aber auch einen Beweis
für seine Auffassung der Politik der Revolution finden wollen, nach der
sie, erfüllt von Ungestüm und Kühnheit, grenzenlos in ihren Ansprüchen,
maßlos in ihren Mitteln war. Er übersieht dabei, daß Frankreich für sich
selbst nicht viel wollte (vgl. S o r e 1 III 182), daß es aber den Preußen
schöne Bilder vorspiegelte, um es zum Systemwechsel zu bringen, an
deren Ausführung es selbst im Ernst kaum gedacht haben konnte. Aber
was tat man in Paris nicht, wo es möglich schien, Preußen aus der Koalition
zu entfernen ! Diesen Gegner konnte man direkt nicht zum Frieden zwingen,
wohl aber Österreich. So erscheint mir die Instruktion viel eher als ein
Beweis für das Verlangen Lebruns nach Frieden, das er nur dem vom
Konvent befolgten Systeme anpassen mußte. Die Politik war für den
Frieden, die Prinzipien entschieden für den Krieg. Ebenso schwach scheint
es mir mit dem Vorwurf der Windigkeit bestellt zu sein. In einer Republik,
wo anfangs alles politisiert, ist es kein Wunder, wenn ein Plan eines Generals
auch einmal dem des Ministers widerspricht (Custine gegen Lebrun); und
wenn der Minister eine sich ihm bietende günstige Gelegenheit ergreift,
um an einer anderen Stelle dasselbe zu erreichen, was ihm an der ersten
versagt wird, nämlich Frieden, so kann man ihm daraus doch keinen Vor-
wurf machen (S o r e 1 III 296—298. Politisches Journal 1793, S. 44—45.
V i v e n o t II 758. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12, L. Au Roi 24. Februar
1793). Ein hervorragendes Zeugnis für diesen Geist des französischen
Systems ist auch eine Denkschrift Caillards vom Jahre 1793. Überall zeigt
sich dort der Wunsch und die Notwendigkeit, die Politik des königlichen
Frankreich weiter zu verfolgen, nirgends die Absicht, die Propaganda weiter
zu tragen, als es für die Existenz des Vaterlandes nötig ist. Nicht nach der
Regierungsform, sondern nach der Macht eines Staates wird gefragt, wenn
es sich darum handelt, mit ihm zusammen die Gegner zum Frieden zu
zwingen. Er ist das Ziel, dem man mit allen Mitteln zustrebt. Aber den
Zugang dazu versperrte man sich durch andere Maßregeln, die sich nun
einmal notwendig aus den revolutionären Prinzipien ergaben. Ranke,
Denkwürdigkeiten des Staatskänzlers Fürsten v. Hardenberg. Bd. 5
[Leipzig 1877], S. 32—40. R a n k e 46, 126—127.
2) Berichte Lucchesinis 4. Januar und 30. Januar. An Lucchesini
11. Januar 1793. Luochesinis Memoire vom 17. März. Lucchesini an seine
Frau 18. Januar, 28. Januar, 18. und 22. Februar, 4. April 1793.
Der Konvent und Europa 381
seiner Zuschauerrolle herauszutreten. Er sah nur Gefahr, keinen
Vorteil, und erklärte, er habe keinen Auftrag, hierüber zu sprechen,
und sei auch nicht so neugierig, den weiteren Inhalt der Schrift
kennen lernen zu wollen. Auch Friedrich Wilhelm wünsche einen
raschen Frieden, aber mit Ehren. Das französische Ministerium
verhandle nun mit den Agenten der Mächte, aber der Konvent
Wolle nur mit den Völkern zu tun haben — ein starker Wider-
spruch, über den man nicht hin wegkönne. Vergebens war das
Bemühen Mettras, dieser von Lucchesini kunstvoll gelegten
Schlinge zu entgehen. Als einzige Antwort für Lebrun erhielt
er von Lucchesini die Bemerkung: Wie könne von einem Ab-
bruch der Verhandlung die Rede sein, wenn sie noch gar nicht
begonnen habe! Damit wünschte er ihm glückliche Reise, ver-
ließ ihn, begleitet von den Wünschen des Franzosen nach einem
raschen, allgemeinen Frieden, ging in sein Gasthaus und reiste
nach Frankfurt ab. Ein neuer Versuch von Lebrun, durch Maret
und Biron, Heymann und eine Frau v. Nostitz mit Preußen an-
zuknüpfen, wurde glattweg abgelehnt1). So scheiterten alle diese
Versuche zur Wiederherstellung des Friedens mit Preußen, da
von beiden Seiten Bedingungen gestellt wurden, die den Parteien
als unannehmbar erschienen. Es fehlte an einer gemeinsamen
Grundanschauung. Erst als Preußen sich keinen anderen Rat
mehr wußte, tat es schweren Herzens den Franzosen den Schritt
entgegen, um seine eigenen Interessen in Polen zu vertreten und
sich nicht für andere mißbrauchen zu lassen.
Wenn diese schon mit ihren offiziellen Unterhändlern kein
Glück hatten, wie konnte es ihnen dann mit inoffiziellen glücken2),
die diese delikate Sache so grob anfaßten wie etwa der alte
Custine! Er mochte mit seinen Proklamationen wohl Städte
einschüchtern und kleine deutsche Fürsten zur Flucht veran-
lassen; aber den Preußen eine andere Anschauung von ihren
Interessen beizubringen, vermochte er noch weniger als Dumouriez
1 ) Bericht Lucchesinis 4. Januar. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 14, VII:
Protocolle de mon entretien avec le Sr. Mettra dans la ville de Wiesbaden
le 2. Janvier 1793, a Francfort le 3. Janvier 1793. Ein Protokoll in unserem
Sinne ist das natürlich nicht. — Bericht Lucchesinis 25. Januar. Biron
an Heymann 11. Januar, Paris. Maret an Heymann 13. Januar. An Lucche-
sini 31. Januar. Dazu die Heymann in die Feder diktierten Antworten.
Lauzun-Serignan 294 — 295.
2) SorelHI 112— 113, 179—180. Bericht Lucchesinis 12. November.
Friedrich Wilhelm an Haugwitz 12. November. Custine an Friedrich Wilhelm
11. November. Vgl. auch Rep. 96, 258 A. Lucchesini an Manstein 12. Novbr.
382 HL Abschnitt
oder Lebrun. Er wurde mit all seinen direkten Anträgen im
preußischen Hauptquartier nicht ernst genommen; man fürchtete
bloß, ebenso hintergangen zu werden wie von Dumouriez und
Zeit zu verlieren. Als Beweis für seine lächerliche Großmanns-
sucht ließ man in der Vossischen Zeitung vom 20. Dezember 1792
seinen Bericht an den Konvent über den Fall Frankfurts ab-
drucken, den er auch an Manstein zu senden nicht verfehlt hatte1).
Er wie sein Sohn waren immer auf dem Sprunge, mit den Preußen
zu verhandeln2). Kur als er auf geheimem und nicht gerade
direktem Wege Preußen gar nicht so üble Vorschläge zukommen
ließ3), da hielt es Lucchesini wenigstens für richtig, sich darüber
zu informieren. Ob es ihm geglückt ist, weiß ich nicht, da er den
Landgrafen von Hessen-Homburg, den Vermittler in dieser Sache,
in Gießen nicht antraf und ihn am 28. November in Wetzlar
suchen wollte4). Viel Vertrauen hatte er nicht, und er glaubte
auch rasch zu erkennen, daß hier nichts zu holen sei5).
Es ist nicht ohne Interesse, daß sich jetzt nach dem Scheitern
der Kampagne die Partei in Preußen regt, die stets einen Krieg
mit Frankreich als verwerflich betrachtet und bezeichnet hatte,
die auch alle möglichen französischen Sendlinge dazu aufzu-
stacheln suchten6). Aber, um es gleich zu sagen, mit diesen
Leuten machten der König bezw. Lucchesini noch weniger Um-
stände. Sie wurden kalt abgewiesen oder erhielten gar eine derbe
1) Berichte Lucchesinis 10., 15., 26. Dezember. An Lucchesini 15.,
19., 27., 31. Dezember. Custine an Friedrich Wilhelm 20. Dezember.
Manstein an Custine 22. Dezember. Custines Bericht an den Konvent
7. Dezember. Au qu. general ä Mayence.
2) Sorel III 112, 180, 253—254. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12.
Lucchesini an Custine. Ohne Datum. Nr. 19 Lucchesini an Braunschweig
10. Mai 1793.
3) Ob er dazu Genehmigung hatte, weiß ich nicht. Möglich ist es
( S y b e 1 III 46 — 47 vereinigt sie wohl mit Unrecht mit den Versuchen
von Mettra und Mandrillon).
4 ) Bericht Lucchesinis 27. November. Lucchesini an seine Frau 28. No-
vember. Sybel hält ihn für zu entgegenkommend (III 46 — 47). Wie konnte
von einer Vollmacht die Rede sein, wenn man die Republik gar nicht
anerkannte ! Ich sehe darin eher einen Beweis für das Gegenteil von dem,
was Sybel annimmt.
5) Bericht Lucchesinis 24. November. Auszug aus Mansteins Brief
vom 23. November. Custines Vorschläge mit Schulenburgs Bemerkungen.
Bericht Lucchesinis 27. November.
6) Sorel III 112 — 113 und 180. Hertzberg war jedoch nicht so
ruhig. Vgl. K r a u e 1, Hertzberg 87 — 99. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 32,
wo er abgewiesen wird.
Der Konvent und Europa 383
Lektion. Einer der ersten, der sich so meldete, war der Bankier
Ephraim, der zwei Jahre früher mit geheimen Aufträgen des
Königs nach Paris gegangen war, dann aber, als sich die Lage
geändert hatte, desavouiert worden war1). Vergeblich hatte er
Anfang 1792 gegen das unpolitische Bündnis mit Österreich und
den Krieg gegen die Revolution protestiert. Preußen solle viel-
mehr versuchen, Frankreich kräftig zu machen und mit ihm
dann eine Allianz zu schließen. Der König hatte ihn vorläufig
abgewiesen, sich aber vorbehalten, von seinen Verbindungen in
Paris später Gebrauch zu machen2). Jetzt schien Ephraim dieser
Fall eingetreten zu sein3). Er nahm seine Korrespondenz mit
Bischoffwerder, der jetzt selbst gegen den Krieg war, nur große
Schwierigkeiten sah, ihn gleich abzubrechen4), Anfang November
wieder auf. Aber Bischoffwerder war jetzt „bloßer Beobachter".
Dazu wirkten Lucchesini wie Haugwitz sofort gegen diesen Juden,
der Preußen früher so kompromittiert habe und auch jetzt bei
dem Könige zuerst gute Aufnahme zu finden schien5). Auch eine
Reise Ephraims nach Frankfurt nützte daher nichts6). Alle seine
Vorschläge — er wollte sich an der Grenze von den Franzosen
gefangen nehmen lassen und dann in Paris Friedensverhandlungen
anknüpfen, die die Mächte nicht kompromittieren könnten —
wurden vom Könige auf den Antrieb Lucchesinis abgelehnt. Er
wollte ein für allemal nichts mehr mit Ephraim zu tun haben7).
Ähnlich ging es vorsichtigeren, aber auf dasselbe hinzielenden
x) Vgl. oben.
2) Rep. XI 89 Frankreich varia 1790—1796. Ephraim an Bischoff-
werder 24. Dezember 1791, 31. Januar 1792. Ephraim an Friedrich Wilhelm
13. Januar 1792. Königliche Entscheidung 15. Januar 1792.
3) Vgl. auch seinen Versuch, zu Lafayettes Gunsten zu vermitteln.
Rep. 96, 147 G III: S. Au Roi 23. November mit Beilagen.
4) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 IV. Struensee an BischoßVerder
4. Februar 1793.
6) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12, L. Au Roi 12. November 1792.
6) Daß er dahin berufen worden ist, möchte ich doch mit gutem
Grunde bezweifeln; er hat seine Vermittelung dem Könige in dringendster
Form angetragen. (Ephraim 125, dazu Ephraim an Friedrich Wilhelm
30. November 1792 in Rep. 96, 258 A.)
7) Bericht Lucchesinis 20. Januar 1793. L. Au Roi 20. Januar. An
Lucchesini 24. Januar. Rep. XI 89 Frankreich varia 1790 — 1796. Ephraims
Denkschrift und sein Memoire vom 7. November. Bischoff werder an
Ephraim 15. November. Denkschrift Ephraims vom 30. November 1792.
Ephraim an Bischoff werder Dezember 1792. Ephraim an Friedrich Wilhelm
22. Januar 1793. Denkschrift Ephraims 1. März 1793. Bischoff werder an
Ephraim 7. März und 30. Mai 1793.
384 III. Abschnitt
Anträgen Struensees, die beim Könige selbst vorzubringen er
wohl kaum gewagt hat1). Er konnte schon von seinem Ressort
aus nur gegen den Krieg sein. Ob dieser durch einen Sieg oder
durch Verhandlungen beendigt wurde, galt ihm gleich, voraus-
gesetzt, d a ß er überhaupt beendigt wurde2).
Von größerer Bedeutung hätte, sollte man meinen, der Schritt
einer anderen Persönlichkeit werden müssen, wenn man allein
die Höhe ihrer Stellung in Betracht zieht: Prinz Heinrich, der
Oheim des Königs, tat ihn. Aber vergegenwärtigen wir uns, daß
er seit dem Regierungsantritt seines Neffen von diesem zurück-
gewiesen worden war und in offener Opposition zu ihm stand.
Welchen Wert konnte der König auf seine Hilfe legen, wo er von
ganz anderen Grundsätzen ausging? Er machte zuerst den Fran-
zosen gegenüber, mit denen er ja stets in geheimer Verbindung
blieb3), kein Hehl aus seinem Wunsche, den Frieden herbei-
zuführen. Es lag wohl nicht an ihm, daß durch seine Vermitt-
lung kein französischer Versuch bei Friedrich Wilhelm gemacht
wurde4). Aber er hat jetzt wohl selbst den Gedanken an einen
Frieden ohne einen zweiten Feldzug fallen lassen. Er wollte in
ihm kommandieren und trug sich dem Könige als Retter aus der
Not nochmals an. Der Sieg schien ihm gewiß, und auf mäßige
Bedingungen hin gab es dann den so gewünschten Frieden. Der
König und seine Minister sahen das als Ausfluß seiner Eitelkeit
an. Jener lehnte seinen Antrag erst milde ab; als dieser wieder-
holt wurde und darin auch in der polnischen Frage eine durchaus
andere Anschauung zu Tage kam, als die der preußischen Regie-
rung war, da verbat sich Friedrich Wilhelm weitere Vorschläge5).
1) Lucchesini an seine Frau 14. Januar 1793.
2) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 IV und V. Struensee an Bischoff -
werder 2. und 4. Februar, 11. April 1793. Struensee an Lucchesini 5., 8.,
17. Februar 1793.
3) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 IV. Seegebach an Lucchesini
8. März 1793.
4) Vie privee 299 — 303. In den dort zu den Briefen gemachten Be-
merkungen werden jedoch die Jahre 1792, 1793 und 1794 durcheinander
geworfen. Krauel, Prinz Heinrich 60.
5) ibid. 61—62 und 187—190. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 37.
Schulenburg an Lucchesini 16. Januar und 15. Februar 1793. Die Briefe
Lucchesinis wurden auf seine Bitte von Schulenburg verbrannt. In denen
Schulenburgs kommt Heinrichs Name nicht vor, aber er ist nicht zu ver-
kennen. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12, L. Au Roi 9. Januar 1793. Rep.
XI 89 k Tauenzien an Schulenburg 27. Januar 1793. Heinrich an Tauen -
zien 10. Januar 1793. Schulenburg an Tauenzien 5. Februar 1793.
Der Konvent und Europa 385
Jeder Versuch zur Verständigung mit den Machthabern in
Frankreich scheiterte schon an der einfachen Tatsache, daß
Preußen die Republik nicht anerkannte. Noch bestand für Preußen
das französische Königtum, und noch immer war Breteuil sein
Vertreter. Friedrich Wilhelm gab ihm auf dem preußischen Rück-
zuge mehrfach die stärksten Versicherungen für seine Absicht,
den Krieg im nächsten Jahre fortzusetzen. Aber es sei jetzt die
Sache von ganz Europa, gegen die Revolution vorzugehen1).
Da er den Prinzen gegenüber doch einen beträchtlich kühleren
Ton anschlug als bisher, konnte das diese nur darin bestärken,
sich Breteuil wieder etwas mehr zu nähern2). Dieser ließ sich
dadurch in seinem Verhalten nicht irremachen. Er war ganz er-
füllt von der großen Aufgabe, das europäische Konzert gegen die
Revolution nun endlich zustande zu bringen. Aus dem geplanten
Kongreß anläßlich von Verhandlungen mit den Französen3)
wurde zwar nichts ; aber das schreckte ihn nicht ab, nun die ein-
zelnen Höfe durch seine Vertreter für diese große Sache bearbeiten
zu lassen. Nicht lange sollten sich die Jakobiner über ihren Sieg
freuen. Die kräftigsten Maßregeln sollten gemacht werden, und
namentlich die zunehmende Erbitterung Englands gab ja Anlaß
zu den erfreulichsten Aussichten4).
Jedes Mittel schien aber auch recht zu sein, um diesen Rebellen
ihre angemaßte Herrschaft zu entreißen, und ich habe jetzt einen
der merkwürdigsten Vorgänge dieser Zeit zu schildern. Breteuil
kam nämlich auf den Gedanken, falsche französische Assignaten
im Auslande anfertigen zu lassen, sie auf den französischen Markt
zu werfen und damit zugleich den französischen Kredit zu zer-
stören, dem Konvent die Möglichkeit zu nehmen, seine Heere
zu unterhalten, also den Frieden herbeizuführen, wie der Kasse
der Mächte und der französischen Regierung in partibus eine er-
freuliche Einnahmequelle zu eröffnen, die etwa zur Besoldung von
Schweizer Regimentern dienen sollte, die man gegen die Revo-
lution in Sold zu nehmen beabsichtigte5). Vorläufig konnte man
sich nur auf die Verträge Frankreichs mit der Schweiz berufen.
1 ) F e r s e n II 51, 59, 60, 385. Rep. XI 89 k Caraman an Schulenburg
16. Oktober. Schulenburg an Caraman 3. November 1792.
2) Fersen II 49, 387.
3) Politisches Journal 1792, S. 1005—1008, 1171—1173.
4) Fersen II 51, 61, 385, 390—391, 406^*07.
5) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 14 VI. An Lucchesini 16. Dezember.
Rep. XI 89 varia 1790—1796. Breteuil an Schulenburg 10. Dezember.
Scbulenburg an Breteuil 16. Dezember 1792.
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 25
386 HI. Abschnitt
Da man nichts zu bieten, die Schweiz aber von den französischen
Armeen scheinbar viel zu fürchten hatte, war das doch sehr dürftig
und konnte kaum zu etwas führen, höchstens die persönliche
Gefahr für Ludwig noch steigern, wenn man offiziell in seinem
Namen bei der Schweiz Schritte tat.
Der Gedanke der Fälschung war nun nicht neu. Schon im
amerikanischen Unabhängigkeitskriege war er von England gegen
seine widerspenstigen Kolonien verwirklicht worden, und der
Erfolg schien nur ausgeblieben zu sein, weil England zu spät
diesen Weg beschritt und Frankreich seinem Bundesgenossen
auch mit seinem Kredit zu Hilfe kam. In der Revolutionszeit
hatten die Emigranten, allerdings wohl hauptsächlich aus Privat-
rücksichten, dazu ihre Zuflucht genommen. Findige, skrupellose
Geschäftsleute hatten sich ohne jede politische Rücksicht diese
Einnahmequelle mit großem Vorteil zunutze zu machen ver-
standen. Ganz so tief dürfen wir Breteuil nicht stellen; es geht
nicht an, den politischen Zweck bei ihm völlig abzuleugnen. Er
rechtfertigte sein Unternehmen mit der Bemerkung, Ludwig habe
ja das Recht, Münzen zu prägen. Alles war schon vorbereitet.
Gelegentlich einer Anleihe zu Gunsten von Ludwig XVI. in Paris
sollten 150 Millionen falsche Assignaten eingeschmuggelt werden;
war das erst einmal gelungen, so konnte man ja auf diesem Wege
bleiben. Es schien sich nur noch darum zu handeln, die falschen
Assignaten gut, rasch und unbemerkt herzustellen. Dazu war
zunächst etwas Geld erforderlich zum Ankauf von Assignaten,
von Platten, von Papier, zur Bezahlung von Arbeitskräften; end-
lich brauchte man einen sicheren Ort.
Mit diesem Plane trat nun Breteuil an Friedrich Wilhelm und
Lucchesini scheinbar mündlich heran; sie sollten dann auch
Österreich ins Vertrauen ziehen. Man sollte meinen, der König
habe diesen Plan sofort von sich gewiesen. Weit gefehlt, er, der
angebliche Legitimist, ging auf diesen Vorschlag mit Interesse
ein. Ich kann mir das nur so erklären, daß er sich in der Tat
von Breteuil und Lucchesini über die rechtlichen und moralischen
Bedenken hinweghelfen ließ und darin ein Kriegsmittel wie andere
auch sah1). Nur schienen ihm die Schwierigkeiten für Herstellung
1 ) Er und Lucchesini haben jedenfalls nicht ein Wort des Bedenkens
für dies gefährliche Projekt übrig. Erst als Schulenburg widersprochen hat,
meldet sich auch Lucchesinis Gewissen. Rep. XI 89 varia 1790 — 1796.
Friedrich Wilhelm an Schulenburg 10. Dezember. Breteuil an Schulenburg
Der Konvent und Europa 387
und Vertreibung etwas größer zu sein, als Breteuil meinte. Aber
er hoffte, sie zu überwinden, schlug z. B. Magdeburg vor, also eine
der stärksten preußischen Festungen, wollte Jacobi mit Auf-
trägen für die Ausführung versehen und dergleichen. Er empfahl
seinen Berliner Ministern noch selbst die Beobachtung des tief-
sten Geheimnisses an1). Zunächst gab jedenfalls Friedrich Wil-
helm Befehle an Schulenburg, sich über Ausführbarkeit und Nutzen
des Plans zu äußern und Österreich ins Geheimnis zu ziehen.
Wir wissen nun schon, daß Schulenburgs Spannkraft in den
letzten Monaten stark nachgelassen hatte. Er konnte sich daher
durchaus nicht so leicht über die moralischen Bedenken hinweg-
setzen, und seine Kollegen stimmten ihm durchaus bei2). Außer-
dem, der Erfolg war ungewiß. 150 Millionen konnten den fran-
zösischen Kredit noch nicht zerstören. Die Herstellungskosten
waren größer, als Breteuil annahm. Die Ausführung war sehr
schwer. Gar zu leicht konnte es herauskommen und damit
Preußen in der unangenehmsten Weise bloßstellen. Wenn gar
die Emigranten etwas davon erfuhren, daß den Mächten Geld
des Königs zukomme, dann konnten sie mit Recht bei ihnen
um neue Geldhilfe bitten, und dieser unverschämten Gesellschaft
mußte man womöglich jeden Grund dazu nehmen. In Preußen
waren jedenfalls die Assignaten nicht herzustellen, wie Schulen-
burg nachwies. Es blieb nur noch die Möglichkeit, daß Öster-
reich sich darauf einließ3). Da Haugwitz vielleicht schon ab-
gereist war4), das Geheimnis aber doch vor jedem anderen gewahrt
werden sollte — in Berlin traf man die größten Vorsichtsmaß-
regeln — schrieb Schulenburg direkt an Ph. Cobenzl deswegen5).
Dieser nahm die Sache zwar moralisch nicht so schwer —
das Gegenteil müßte auch wundernehmen — aber er wie der
dazugezogene Staatsminister v. Zinzendorf verschlossen sich nicht
den von Schulenburg vorgebrachten Gründen für die Ablehnung.
10. Dezember. Rep. XI 89 k Lucchesini an Schulenburg 22. Dezember.
Schulenburg an Lucchesini 29. Dezember.
1 ) Vivenot II 728. 2 Anhänge dazu in Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß
40 III. In Nr. 14: P.S. zum Bericht Lucchesinis vom 10. Dezember.
2) Alvensleben sagte allerdings nichts darüber. Rep. XI 89 varia:
15. Dezember.
3) Rep. 96, 147 G III. S. Au Roi 15. Dezember. Rep. 92 Lucchesinis
Nachlaß 14 VI. An Lucchesini 16. Dezember. Rep. XI 89 k Schulenburg
an Lucchesini 29. Dezember.
4) So war es in der Tat. Vgl. unten.
5) Vivenot II 727.
388 III. Abschnitt
Cobenzl gab dem Kaiser nur anheim, Breteuil eventuell nach
England zu weisen. Der Kaiser aber wollte von „so einem in-
famen Projekt" nichts wissen1). Das teilte Cobenzl an Schulen-
burg und Breteuil mit2). Erst auf eine besondere Anfrage erhielt
dieser auch von Schulenburg die Nachricht, daß sich zwar Fried-
rich Wilhelm nicht weiter geäußert habe, Preußen aber so wie
Österreich vorgehe3). Nur ein schwacher Nachhall der Be-
strebungen Breteuils war es, daß in dem Artikel 5 des preußischen
Edikts vom 6. Juni 1793 den Assignaten das preußische Gebiet
versperrt wurde, um dem Feinde auch von dieser Seite Abbruch
zu tun4).
Es war der letzte Versuch gewesen, den Breteuil bei Preußen
gemacht hatte. Diese Macht trat von jetzt an für ihn mehr in
den Hintergrund, da sich die Zahl und die Gruppierung der krieg-
führenden Mächte zu ändern begann. England wurde das Zentrum
der Koalition, und es entsprach nur dieser Lage, daß Breteuil
Anfang 1793 seinen Sitz nach London verlegte. Aber er erreichte
dort noch weniger als bei Preußen. • Er verschwand allmählich
aus der Reihe der Diplomaten. Die Dynastie der Bourbonen war
in Frankreich für lange Zeit vernichtet, und als sie wieder zur
Herrschaft kam, da hatte sie eine andere werden müssen.
Aus allem sehen wir, daß Preußen seit dem Scheitern des
ersten Feldzuges die militärische und, soweit es sie überhaupt
besessen hatte, die diplomatische Rolle einer Hauptmacht in dem
Kriege gegen die französische Revolution abgab und hier nur
noch als Hilfsmacht auftrat. Seine ursprünglichen Hoffnungen,
sich in Frankreich einen Bundesgenossen zu erwerben, galten in
Preußen für die nächste Zeit als gescheitert. Der Krieg gegen die
Revolution verlor damit seinen Hauptreiz für Preußen, das sich
in seinem eigenen Bestände durch sie durchaus noch nicht be-
droht fühlte. Es ließ, soweit das möglich war, diese Offensive
M Vi veno t II 726.
2) Rep. XI 89 varia. Ph. Cobenzl an Schulenburg 2. Januar.
3) Rep. XI 89 varia. Breteuil an Schulenburg 8. Februar. Jacobi
an Schulenburg 15. Februar. Schulenburg an Breteuil 26. Februar 1793.
Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 14 VII. An Luccbesini 10. Januar 1793.
Bericht Lucchesinis 16. Januar. Rep. 96, 147 HI: S. Au Roi 10. Januar 1793.
4) Rep. XI 91 a. Edikt, das Verhalten der Königlichen Untertanen
bei dem gegenwärtigen Kriege mit Frankreich betreffend. Abgedruckt im :
Novum Corpus Constitutionum Prussico-Brandenburgensium praecipue
Marcbicharum. Bd. 9. Berlin 1796. S. 1620—1621. Rep. 96, 147 H I:
F. S.A. Au Roi 12. Februar 1793.
Der Konvent und Europa
389
fallen1). Um so mehr drängte sich nun aber die andere Aufgabe
in den Vordergrund, die man ursprünglich in Preußen so neben-
her zu lösen gedacht hatte: die polnische Frage. Sie zeigte sich
schwieriger, als man erwartet hatte. Polen war im Besitze Ruß-
lands; es galt, ihm einen Teil seiner Beute durch eine gemeinsame
Anstrengung Preußens und Österreichs wieder abzunehmen. Die
Verhandlungen über die Entschädigung für die Kriegskosten
hatten dazu den Anlaß geben sollen. Aber noch war zwischen
den deutschen Mächten nichts abgemacht. Erst wenn sie einig
waren, wollte Katharina in die Besprechungen eintreten. In Wien
hatte man sein Programm Anfang September endlich festgestellt.
Was sagte Preußen dazu?
x) Carisien 112—113.
IV. Abschnitt
Polens zweite Teilung
1. Kapitel
Merle
Spielmann und Haugwitz hatten sich am 12. September auf
den Weg nach dem preußischen Hauptquartier gemacht1). Bald
holte Haugwitz den Genossen ein; ihn trieb das Verlangen, mög-
lichst bald bei seinem königlichen Herrn zu sein. Haugwitz
war am 19. vermutlich schon in Frankfurt und bedauerte an-
geblich sehr, Schulenburg auf dessen Durchreise nicht mehr ge-
troffen zu haben2), mit dem Spielmann noch gesprochen und
dem er versichert hatte, Österreich verzichte auf die Markgraf-
schaften, verlange aber eine Zugabe an anderer Stelle3). Schon
War Haugwitz, so sagt er wenigstens, im Begriff, seinem Kol-
legen nachzureisen, um mit ihm die Lage zu besprechen — wir
1 ) Vivenot II 571, 574, 577, 606.
2 ) Rep. XI 89 k. Haugwitz an Schulenburg 20. September. Ich
möchte jedoch starke Zweifel an der Ehrlichkeit der Angaben von Haugwitz
geltend machen. Dem Kabinettsministerium teilte er nichts hierüber mit,
Schulenburg direkt auch nicht, höchstens, woran ich auch noch sehr
zweifle, sehr verspätet (30. September in Rep. XI 89 k). Die Übereinkunft
mit Spielmann teilte er ihm überhaupt nicht mit, nur am 19. Oktober das
darauf beruhende Memoire Spielmanns, und dabei heuchelte er Befrie-
digung darüber, daß die Instruktionen Spielmanns seiner Annahme ent-
sprochen hätten (Rep. I 170 Haugwitz an Schulenburg 27. Oktober).
Spielmann hielt auch damit hinter dem Berge, so daß sich Schulenburg
bitter (natürlich nur über Spielmann!) bei Haugwitz beschwerte (27. Ok-
tober); Preußen hätte sonst seine Kenntnis in Petersburg verwerten können.
Endlich, Haugwitz teilte auch Luechesini nichts mit (Lucchesinis Bericht
15. Oktober). So glaube ich denn, daß er mit dem Könige und Spielmann
allein das Geschäft hat abmachen wollen. Der Versuch schlug fehl.
3) Rep. XI 89 k. Schulenburg an Haugwitz 29. September.
Merle 391
wissen ja, daß er in Frankfurt weitere Befehle des Königs er-
warten wollte — da kam der Befehl, Haugwitz solle möglichst
rasch ins Lager reisen. Jetzt konnte ihn nichts mehr halten.
Bis Luxemburg reiste er noch mit Spielmann zusammen. Am
25. waren sie da1); aber ehe er sich von Spielmann trennte, ge-
lang es diesem durch unablässige Arbeit seit Frankfurt, die Zu-
stimmung von Haugwitz zu einem Plane zu erlangen, der alles
übertraf, was man bisher den Preußen zu bieten gewagt hatte.
Stimmte der König zu, so war er nicht mehr der Verbündete,
sondern der Sklave Österreichs2).
Man hatte sich in Wien schon bei der Abreise von Spielmann
mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß es nicht gelingen werde,
der Revolution in einem Feldzuge so Weit Herr zu werden, daß
man einen Frieden zu den gewünschten Bedingungen erhalten
werde. Man verstand darunter nicht gerade unbedingt die Auf-
rechterhaltung der monarchischen Regierungsform, wohl aber
die Einengung der Revolution in das französische Gebiet und
vor allem Eroberungen für Österreich auf französische Kosten.
Schon deshalb bedurfte man einer Fortsetzung des Krieges,
es sollte jetzt ein wirklich europäischer werden. Vor allem Ruß-
land, das man bei der ersten Kampagne so kühl abgewiesen
hatte, sollte teilnehmen, ebenso das Reich, und wenigstens Eng-
lands Widerstand sollte abgewandt werden3). Nur ein allge-
meiner Friede sollte zulässig sein, keine einseitigen Verhandlungen
(eine Spitze gegen Preußen!) geduldet werden. Aber dies Unter-
nehmen drohte außerordentliche Kosten zu verursachen, und
sie mußten natürlich ersetzt werden. Das war nun der eigent-
liche Kern des ganzen Planes, und ich weise noch einmal darauf
hin, daß der Krieg hauptsächlich unternommen wurde, um am
Schluß eine Kostenrechnung dafür präsentieren zu können.
War Preußen bei der ersten Kampagne vor allem in diesem
Sinne tätig gewesen, so übernahm jetzt Österreich diese Rolle.
Preußen zunächst sollte im Einverständnis mit Österreich und
Rußland in Polen den Geist des Aufruhrs bändigen und die auf
einer Karte4) angegebene Vergrößerung seines Gebietes auf
1 ) Briefe von Chamisso, Gneisenau, Haugwitz II 285 — 288. V i v e n o t
II 574 und 578; S y b e 1 II 356; S o r e 1 III 88.
2) V i v e n o t II 661—662. Rep. XI 89 k. Haugwitz an Schulenburg
30. September 1792.
3) Politisches Journal 1792, S. 1005—1006.
4) Ich habe sie nicht gefunden.
392 Iy- Abschnitt
polnische Kosten erhalten, um die Polen dauernd in Schranken
halten zu können (von Kußlands Anteil war begreiflicherweise
keine Rede) ; Österreich sollte endlich den Tausch Belgiens gegen
Bayern ausführen. Preußen sollte durch Haugwitz die Zu-
stimmung des Herzogs von Zweibrücken und seiner Agnaten
dazu erwirken, Österreich übernahm das Geschäft für München.
Zur Erleichterung konnte man ja seine Bereit Willigkeit äußern,
den Bayern auf französische Kosten noch einen Zuwachs zu ver-
schaffen. Aber Preußen sollte auch die Zustimmung der übrigen
Reichsstände erwirken, d. h. vor allem die von Hannover-Eng-
land, und zwar mit ganzer Kraft auch gegen eventuelle andere
Mächte die Durchführung des Planes bei deren Widerstand
sichern. Aber dieser Tausch brachte den Österreichern doch
bloß den Vorteil der Arrondierung ihrer Staaten; finanziell be-
haupteten sie dabei Schaden zu erleiden (vgl. oben die preußi-
sche Anschauung). Sie wollten ihn nicht nur ersetzt haben, sondern
auch so wie Preußen eine wirkliche Vergrößerung erhalten. Als
Mittel konnte nun nach den preußischen Erklärungen, die Haug-
witz jetzt fest übermittelte, keine Rede mehr von der Abtretung
der fränkischen Markgrafschaften an Österreich sein. Davon
überzeugte sich auch Spielmann. Er war gewandt genug, jetzt
nicht mehr erst einen Versuch zu wagen, sondern verzichtete
von vornherein auf diesen Punkt seiner Instruktion. Als Ersatz
dafür forderte er jetzt die Erwerbung des ganzen Elsaß, so wie
Frankreich es bis 1789 besessen hatte, und den Teil von Loth-
ringen und den drei Bistümern, der auf dem rechten Moselufer
liege mit den Festungen auf beiden Seiten dieses Flusses. So
würden gegen Frankreich zwei kräftige Barrieren für das Reich,
in den Niederlanden und an der Mosel, geschaffen, die durch
Assoziationsverträge mit den Reichsstaaten zu verstärken die
Mächte sich bemühen würden. Nun könnte aber diese Erwer-
bung sich in dem Frieden mit Frankreich als nicht erreichbar
erweisen. Um den Gewinn Österreichs aber für jeden Fall sicher-
zustellen, sollte es an der Besetzung polnischen Gebietes mit
Preußen und Rußland teilnehmen und seinen Anteil erst dann
räumen, wenn es in den Besitz der Erwerbung an der französischen
Grenze gelangt sei. Um den anderen beiden Mächten jedoch ja
nichts zu geben, wenn Österreich nicht auch etwas erhalte, sollten
sie erst nach dem Abschluß des Tauschvertrages mit den Höfen
von München und Zweibrücken zusammen mit Österreich an
die Ausführung der polnischen Teilung gehen.
Merle 393
Es war ein österreichisches Idealbild, gezeichnet nach den
strengsten Grundsätzen scheinbarer Parität auf Grund der
Interessen, die sich immer gewichtiger geltend machten, und
alter Wünsche. Es war daher kein Wunder, daß im Moniteur
vom 18. Oktober ein Vertrag zwischen Preußen, Österreich,
Spanien und Rußland aus dem Juli 1791 abgedruckt wurde,
der zwar gefälscht war, aber doch dieselben Grundzüge ent-
hielt1).
Während Spielmann in Luxemburg blieb, reiste Haugwitz
mit diesem Plan zum König, um dessen Befehle in Empfang zu
nehmen und Spielmann dann zu benachrichtigen, wohin er sich
zu begeben habe2). Aber die Zeit war für die Durchführung
dieses Planes nicht geeignet. Schlag auf Schlag trafen jetzt
die Unglücksnachrichten von der Armee und von der Um-
wälzung in Paris ein. Der Feldzug mußte als völlig gescheitert
angesehen werden. Selbst bei den gemäßigten österreichischen
Ansichten über die französische Verfassung ließ sich an einen
Frieden mit der neuen Republik nicht denken. Denn nur vor-
übergehend hat Spielmann die Anerkennung der Republik für
möglich gehalten, um sich den Frieden und Eroberungen zu sichern.
Ihm und seinen Wiener Kollegen war die Frage der französischen
Verfassung ziemlich gleichgültig, seit der Versailler Vertrag zer-
rissen worden war und Österreich in Frankreich nur noch einen
Feind sehen konnte. Die republikanische Form schien ihm
sogar den Vorzug vor der monarchischen zu haben, daß sie die
Kräfte mehr im Innern neutralisierte, also zur Verwendung nach
außen weniger freiließ3). Wenn Österreich also nicht gestört
wurde, warum sollte es nicht abschließen4)? Aber dann wären
seine Eroberungspläne hinfällig geworden, und das bestimmte
ihn zur Weiterführung des Krieges5), aber auch jetzt noch nicht
in wirklich kräftiger Weise, wie Preußen es vorschlug, sondern
mehr in der alten Form des Grenz- und Festungskrieges, wo
1) Sorel III 168; Sybel (II 362—363) bringt den preußisch-
österreichischen Plan nach meiner Ansicht in einen ganz falschen Zu-
sammenhang. Ende Oktober war von preußischer Seite gar keine Rede
mehr von gleichzeitiger Besetzung Polens und Bayerns, um nur
eins zu erwähnen. Dieses Protokoll wurde auch Ende Oktober gar nicht
erwähnt, ist eben totes Projekt geblieben.
2) V i v e n o t II 578 und 589.
3) Sorel III 88—89; Häußer I 397—398.
4) Vivenot II 578.
5) Bericht Lucchesinis 15. Oktober.
394 IV. Abschnitt
man auch nur so viel eroberte, als man behalten wollte1). Für
Österreich trifft es also in gewisser Weise zu, daß aus dem Krieg
gegen die Revolution ein Eroberungszug geworden ist2). Zwar,
noch waren die Niederlande in österreichischem Besitz, aber es
war den österreichischen Generalen nicht verborgen, daß Du-
mouriez' Truppen zu einem Einfall an die Grenze abmarschiert
waren. Der Einfall von Custine hatte für Österreich auch keine
Lorbeeren gezeitigt, und der Plan des Herzogs von Braunschweig,
die Winterquartiere an der Maas zu nehmen, war gerade an dem
Widerstände Österreichs gescheitert. Erreicht hatte man also
bisher nichts, was diese ausschweifenden Pläne begründen konnte.
Im Gegenteil, man war im eigenen Besitz bedroht und gestand
offen zu, daß man nicht allein imstande sei, ihn zu verteidigen.
Auf Preußen also kam es an. Würde es zustimmen?
Unbegreiflich ist mir, wie Haugwitz, selbst als die Lage mili-
tärisch für die Mächte durchaus günstig zu liegen schien, seinen
Namen für eine derartige Abmachung hergeben konnte. Nur
der bei ihm zur fixen Idee gewordene Plan, sich auf Polens Kosten
im Einverständnis mit Österreich gegen Rußland zu bereichern,
hilft hier wohl weiter. Er sah jetzt gar nicht mehr die öster-
reichischen Vorteile. Aber seine Meinung drang nicht durch.
Der König hörte auf Lucchesinis Rat, und der stemmte sich mit
allen Kräften schon aus Eifersucht auf seinen neuen Kollegen
Haugwitz, der ihn nicht einmal direkt davon unterrichtet, sondern
dem Könige diese Aufgabe überlassen hatte, gegen das heim-
tückische Projekt, dem gegenwärtigen Kriege den Charakter
eines Eroberungsfeldzuges aufzudrücken. Es schien ihm ein
Gegenstück zu dem österreichischen Verhalten gegenüber Frank-
reich im Vertrag von Versailles zu sein. Dahin durfte es Preußen
nicht kommen lassen3). Der König war außerdem in dieser
Frage selbst auch schon so entschieden, daß ihn nichts von seiner
Meinung abbringen konnte. Als Haugwitz zu ihm am 7. oder
8. Oktober ins Lager nach Consenvoye kam4), scheint der König
zwar schon auf seinen Antrag die neue preußische Grenze gegen
Polen festgelegt zu haben — denn auch Alopeus hatte jetzt seine
Eröffnungen nach einer Depesche Oster manns vom 3. September
*) Vi veno t II 606.
2) H ä u ß e r I 398; H e i g e 1 II 49.
3) Bericht Lucchesinis 15. Oktober.
4) Rep. 96, 147 H I: H. Au Roi 6. Mai 1793 (zitiert als Haugwitz'
Denkschrift). Ch.R. 181; Massenbach I 134; Vi veno t II 606.
Merle 395
gemacht1) — erteilte ihm, dessen Ernennung zum Kabinetts-
minister jetzt bekannt gegeben wurde2), aber zunächst nur den
Auftrag, sich Spielmanns Anträge anzuhören und dann weiter
zu berichten3). Soviel merkte Spielmann doch, daß Friedrich
Wilhelm an der Ablehnung der Markgrafschaften festhalte, dafür
aber bereit sei, den Tausch zu befördern und an anderer Stelle
den Österreichern zu einer reichlichen Zuwage zu verhelfen, um
die Entschädigungsfrage zum Abschluß zu bringen.
Aber ein Unstern waltete über dieser Heise der Diplomaten.
Reuß hatte inzwischen dem Staatsreferendar den Befehl des
Königs übermittelt, gleich nach Verdun zu kommen4). Dieser
hatte sich am 7. aufgemacht und war am 8. abends angekommen.
Am 9. hatte er mit Haugwitz gesprochen, am 11. wollte ihn der
König im Hauptquartier empfangen. Schon am 9. hörte er aber,
daß die Stadt in 24 Stunden geräumt werden müsse5). Anstatt
zum König zu gehen, reiste er am 10. wieder ab, und Haugwitz
folgte ihm; in der Eile hatte er nur ein paar Worte mit ihm
wechseln können. In Luxemburg, wo Spielmann erst am 12.
nachmittags, Haugwitz am 13. abends eintraf, wurde jener nun
so krank, daß er an Arbeiten einige Tage lang überhaupt nicht
denken konnte. Wieder mußte die Eröffnung der österreichischen
Forderungen hinausgeschoben werden. Auf sie drängte aber
Haugwitz immer mehr. Seine eigene Stellung hänge davon ab,
erklärte er dem Staatsreferendar. Das rührte diesen sonderbarer-
weise wenig; einen besseren Unterhändler konnte er sich doch
kaum wünschen. Preußen Wollte absolut nicht mehr warten.
Spielmann erkannte die Gefahr wohl, die eine Ablehnung oder
auch nur ein Hinausschieben der Entscheidung, wie es Öster-
reich wünschen mußte, mit sich bringen konnte.
Nun hatte sich die Lage ganz verändert, seit er mit Haugwitz
jene oben skizzierte Verabredung getroffen hatte. Von Winter -
x) Sybel II 358, Haugwitz' Denkschrift, An Goltz 25. Oktober.
An Lucchesini 22. und 25. Oktober. Friedrich Wilhelm an Katharina
17. Oktober. Alopeus will seine Mitteilungen Lucchesini jedoch erst
in Luxemburg gemacht haben. Bericht Lucchesinis 18. Oktober. An Goltz
3. Dezember. Rep. XI 133 B. Alopeus an Schulenburg 8. Oktober. Rep.
96, 147 G III: F. S.A. Au Roi 3. Dezember.
2) Vivenot II 606. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 38. Lucchesini
an Stein 11. Oktober 1792.
3) Rep. XI 89 k. Haugwitz an Schulenburg 15. Oktober.
4) Vivenotll 571—572, 577, 581, 589, 606; S y b e 1 II 356—357.
5) Hüf f er im Goethe-Jahrbuch IV (1883), S. 106.
39 G IV. Abschnitt
quartieren in Frankreich war keine Rede mehr. Von Ludwigs per-
sönlichem Schicksal sah Österreich jetzt so gut wie ganz ab;
aber das half ihm nichts, es mußte doch das nächste Jahr völlig
von vorn anfangen, ebenso im wohlverstandenen (?) eigenen
Interesse, wie deshalb, weil Preußen in jedem Fall auf Er-
oberungen in Polen bestand. Man kann nicht sagen, daß diese
Verzögerung für Österreich von Vorteil gewesen sei. Denn als
nun Spielmann widerwillig genug am 19. oder kurz vorher die
österreichischen Forderungen doch im Sinne des Protokolls aus-
einandersetzte, um auch endlich einmal Klarheit über die ver-
dächtigen preußisch-französischen Verhandlungen zu gewinnen,
durch die scheinbar ein Ausscheiden Preußens aus dem Kriege
herbeigeführt werden sollte1), und um für Österreich ebenso
große Vorteile zu erlangen wie für Preußen, da konnte Preußen
sie nur für deplaciert und durch die Ereignisse überholt halten.
Es hatte zwar militärisch gelitten, und das wurde ihm in Peters-
burg sehr angerechnet. Es hatte Hoffnungen aufgeben müssen,
die nur allzu verlockend gewesen waren. Aber zu fürchten hatte
es für sich nichts. Ja, es konnte sich sogar den österreichischen
Verlust der Niederlande als eigenen Gewinn anrechnen. Wenn
es sich also zur Fortsetzung des Krieges mit der bisherigen Truppen-
zahl bestimmen ließ aus allgemeinen Rücksichten und besonders
denen auf Österreich, so fühlte es sich berechtigt, dafür seine
Bedingung zu stellen2). Es war die Besitznahme seines polnischen
Anteils vor dem Beginn des neuen Feldzuges mit vorheriger
Billigung von Österreich und Rußland3). Alles andere, was in
dieser Note vonMerle gesagt wurde, dieHaugwitz am 25. Oktober
dem Staatsreferendar zustellte, um auf seinen schriftlichen Antrag
auch eine schriftliche Antwort zu geben, war nur Beiwerk,
so die Zusicherung der Teilnahme an einem Kriege des europäi-
schen Konzertes mit dem Ziel, die französische Anarchie zu
hemmen, die monarchische Regierung aufrechtzuerhalten4) und
Ludwig XVI. die dazu erforderliche Macht wieder zu verschaffen
*) Vivenot II 606 und 661. Gerade auf die kräftige Fortsetzung
des Krieges mußte Österreich schon wegen des Tausches das größte Ge-
wicht legen (Rep. XI 89 k. Haugwitz an Schulenburg 19. Oktober). Ein
Ausscheiden Preußens hätte die Vernichtung aller Aussichten auf Ent-
schädigung bedeutet.
2) Vgl. auch Politisches Journal 1792, S. 997—998.
3) Häußer I 399; Sorel III 128—129.
4) Dieser eine Satz machte alle Verhandlungen mit der Republik
unmöglich.
Merle 397
— wenn das Konzert zustande kam, woran man nicht glaubte1);
oder die Stellung des verfassungsmäßigen Reichskontingentes
nach Erklärung des Reichskrieges — woran nach Custines Einfall
ein Zweifel nicht mehr gut bestehen konnte, wenn es auch noch
bis zum 22. März bezw. 30. April des nächsten Jahres dauerte2).
Die Frage war nur die, ob der Offensivkrieg gegen die französische
Revolution (jetzt sagt man wohl besser gegen Frankreich) fort-
gesetzt und ob Preußen seine Armee in der alten Stärke dazu
hergeben werde.
Damit nähern wir uns der Entscheidung über diese so ver-
wickelte Frage, deren Anfang wir im Frühjahr, deren Höhepunkt
im Sommer wir schon kennen gelernt haben3). Preußen also war
Österreich gegenüber in der Tat in der Lage des Gebenden, wie
dies selbst zugestehen mußte4). Es zögerte nicht, diese Gelegen-
heit für seine Zwecke auszunützen. Erinnern wir uns daran:
Als sich im Mai und im Juni Schulenburg und Spielmann über
die Entschädigungsfrage einigten, war die Voraussetzung ge-
wesen und von beiden Teilen anerkannt worden, daß die Mächte
gleichzeitig in den Besitz der gewünschten Objekte gelangen
sollten. Schon in Mainz hatte Österreich Bedingungen gestellt,
die das in Frage stellen mußten. Jetzt nach dem Feldzuge hatte
eigentlich die Besitzergreifung erfolgen sollen. Aber die Mächte
waren nicht die Sieger, sondern die Besiegten. Es war also eine
ganz neue Lage geschaffen. Österreich wollte deshalb die Besitz-
ergreifung bis zum Siege und zum Frieden aufgeschoben sehen,
wie es in der Tat ganz natürlich gewesen wäre — aber auch nur
deshalb, weil es sich nicht vorher in den Besitz seines Anteils
setzen konnte. Preußen jedoch verlangte Barzahlung für die
geleisteten und Sicherheit für die noch zu leistenden Ausgaben.
Wenn irgend ein Umstand beweisen kann, daß Preußen weder
für ein Prinzip noch zur Verteidigung in den Kampf gegen
Frankreich eingetreten ist, sondern um zu erobern, so ist es dieser5).
Es hatte an sich kein so großes Interesse daran, daß es die in
der Tat großen Kosten für die Erhaltung von 50 000 Mann
seinem Lande länger als nötig zumuten konnte. Nur der Gedanke
1) Noch nie hatte es ja wirkliche Gestalt angenommen (Hei gel II 74).
2) S o r e 1 III 319; H e i g e 1 II 87—89.
3) Finckenstein und Alvensleben an Lucchesini 29. Oktober: Jetzt
sei der Höhepunkt erreicht.
*) Vivenot II 606; Häußer I 398.
G) S y b e 1 II 355, der für Österreich die Sache richtig darstellt.
398 IV- Abschnitt
an Eroberungen konnte es dazu veranlassen. Da lag es nahe,
sich nicht mit einem Versprechen zu begnügen, dessen Erfüllung
zum all ermindesten doch recht zweifelhaft war; ja selbst an der
ehrlichen Absicht des Kontrahenten, es zu erfüllen, zweifelte man
schon. Preußen verließ mit der Forderung, seinen polnischen
Bezirk vor Beginn des neuen Feldzuges in Besitz zu nehmen,
den Boden, auf den es sich früher mit Österreich gestellt hatte.
Es war ein vergebliches Bemühen der preußischen Minister,
Preußens Verhalten als konsequent in diesem Punkte darzu-
stellen1).
Aber diese Inkonsequenz wurde durch die Lage nur zu sehr
gerechtfertigt, gefordert, gefördert. Denn es wird immer zweifel-
haft bleiben, ob sich Preußen so darauf versteift hätte, wenn es
nicht sicher — allzusicher, wie sich bald zeigen sollte2) — gewesen
wäre, daß seine Wünsche in Petersburg schon gewährt waren,
ehe es sie ausgesprochen hatte. Auf den verschiedensten Wegen
nämlich war Friedrich Wilhelm zu Ohren gekommen, daß Katha-
rina eine neue polnische Teilung wünsche, und zwar bald3).
Preußen also durfte seine Erklärung nicht mehr so lange ver-
schieben, bis es mit Österreich einig war. Katharina selbst4),
Goltz5), Alopeus, dem nur der Rückzug mit seiner Unruhe nicht
gleich Gelegenheit gab, seine Aufträge auszurichten6), gaben sehr
gute Aussichten, abgeschwächt auch der Prinz Nassau trotz der
Niederlage der Preußen, nur vorausgesetzt, daß sie den Krieg
kräftig fortsetzten, und in dieser loyalen Haltung, die von der der
Emigranten doch recht abwich, verharrte er scheinbar den ganzen
x) Die Angaben von Sybel (II 360 und 361) lassen sich nicht ver-
einigen, da er das eine Mal der Denkschrift von Haugwitz, das andere Mal
Spielmanns Angaben folgt.
2) An Lucchesini 22. und 29. Oktober.
3) Vivenot II 650. Rep. XI 89k. Haugwitz an Schulenburg
19. Oktober.
4) Der Bruder ihres Günstlings Piaton Subow, Valerian, der am
27. September in Verdun angekommen war, überbrachte ihren Brief (Rep.
XI Rußland 133 B. Alopeus an Schulenburg 27. September. Bericht
Lucchesinis 18. Oktober).
5) Berichte 7./18., 14./25. September. An Lucchesini 8. Oktober,
18. Oktober; Sybel II 358—359.
6) Rep. XI Rußland 133 B. Alopeus an Schulenburg 8. Oktober.
Rep. XI 89 k. Lucchesini an Schulenburg 8. Oktober. Rep. 92 Lucchesinis
Nachlaß 37. Schulenburg an Lucchesini 21. Oktober. Mit dessen Eröff-
nungen war man zuerst gar nicht so recht zufrieden. Aber es bleibt zweifel-
haft, wieviel Lucchesini anfangs davon gehört hat.
Merle 399
Winter1). Aber auf ihn kam es nicht so an. Der König hielt sich
an die Tatsachen, und da war es denn äußerst erfreulich, daß
Katharina ihren Truppen in Polen den Befehl erteilt hatte, die
Palatinate Posen und Kaiisch nicht zu besetzen2). Tatsächlich
scheint außerdem auch noch Gnesen von ihnen nicht belegt
worden zu sein, wie sich schon aus der geographischen Lage er-
gibt3). Auf Rußland aber kam alles an. Der österreichischen
Zustimmung fühlte man sich durch sein Entgegenkommen in der
Kriegs- wie der Entschädigungsfrage sicher. Den Russen ver-
mochte man nichts zu bieten als seine Anerkennung ihrer Forde-
rungen, deren Ausführung man nicht hätte verhindern können.
War daher Katharina für Preußen, so war alles gewonnen4). Es
war ein Lichtblick in trüber Zeit.
Friedrich Wilhelm zögerte nach dem Eintreffen der guten
Nachrichten, die ihm das Kabinettsministerium übermittelte5),
nicht mehr mit der Antwort. Er schmiedete das Eisen, solange
es noch heiß war, und schrieb in der verbindlichsten, ja schmeichel-
haftesten Weise am 17. Oktober in Longuyon an Katharina6),
aber dabei ließ der Brief es nicht an der so nötigen Bestimmtheit
fehlen. Er teilte ihr seine Forderung mit, den Krieg nicht eher
fortzusetzen, als bis er im Besitz seiner Entschädigung sei7).
Denn was Preußen bisher so ängstlich vermieden hatte, die
Initiative zu ergreifen, um die Polen nicht den Russen in die
Arme zu treiben oder wenigstens nicht die russischen Forderungen
ins Ungemessene zu steigern — jetzt glaubte Friedrich Wilhelm
nicht mehr daran festhalten zu dürfen. Er teilte Katharina mit,
daß sein Gesandter schon Auftrag habe8), die preußische Forde-
rung zu überreichen, und gab sich der schönsten Hoffnung auf
1 ) F e u i 1 1 e t VI 373—374 und 393—395. Bericht Lucchesinis
6. November. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 14, P.S. zum Bericht Lucchesinis
10. Dezember. Bericht 12. März mit Beilagen.
2) An Goltz 19. Oktober. An Lucchesini 18. Oktober.
3) Rep. 9, 272. Möllendorff an das Kabinettsministerium 7. November.
Finckenstein und Alvensleben an Möllendorff 9. Dezember.
4) An Lucchesini 29. Oktober: Qu' eile soit de notre cote, et la chose
ira d'emblee.
5) Rep. 96, 147 G III: F. S.A. Au Roi 8. Oktober.
6) M a r t e n s VI 164. Rep. XI Rußland 133 B. Dazu Bericht Lucche-
sinis 18. Oktober.
7) Von Subsidien war jetzt natürlich noch keine Rede (Sorel III
92—93).
8) Auch Alopeus wurde durch Lucchesini davon in Kenntnis gesetzt.
(Bericht Lucchesinis 18. Oktober. An Goltz 27. Oktober P.S.)
400 lv- Abschnitt
eine baldige Regelung dieser wichtigen Frage zu allseitiger Zu-
friedenheit hin. Es war ein fein berechneter Schachzug, daß er
selbst Valerian Subow den Roten Adlerorden überreichte. Er
überließ es Lucchesini, dem Prinzen Nassau — er ist es wohl
gewesen1) — die preußische Forderung und die russische Teil-
nahme am Kriege im Interesse der Wiederherstellung der Ord-
nung als unumgänglich vorzustellen.
Niemals aber hatte Friedrich Wilhelm daran gedacht, sich
mit Rußland allein zu verständigen unter dem Ausschluß von
Österreich. Immer sollten die drei Mächte gemeinsam vorgehen,
schon damit Preußen eine gegen die andere ausspielen konnte
und dadurch eine allzugroße Abhängigkeit von einer der beiden
verhinderte. Das von Spielmann übermittelte Memoire mit den
österreichischen Forderungen gewährte nun die schönste Ge-
legenheit, den eigenen Standpunkt offen darzulegen, d. h. auf
der sofortigen Besitznahme in Polen zu bestehen, die Hilfe Öster-
reichs bei Rußland dafür in Anspruch zu nehmen, dafür seiner-
seits an dem Kriege wie bisher teilzunehmen und den Öster-
reichern die gewünschte Hilfe zu versprechen, wenn sie sich ihre
eigene Entschädigung sichern wollten2). Aber diese Fassung
schien doch für Preußen noch zu gefährlich, zu vieldeutig zu
sein. Vor allen Dingen aber war die Durchführung des Tausches
augenblicklich ganz unmöglich geworden. Es hätte genügt, daß
der Plan in München und in Zweibrücken bekannt wurde, um
diese Höfe ganz in die weitgeöffneten Arme Frankreichs zu
treiben und sich damit vor so gefährlichen Beschützern, wie es
die deutschen Mächte waren, zu sichern3). Es ist bedauerlich,
daß Vivenot nicht das Memoire Spielmanns veröffentlicht hat.
Wir müssen annehmen, daß darin nur von den österreichi-
schen Forderungen die Rede war. Das scheint dann der Anlaß
für Preußen geworden zu sein, auch seinerseits lediglich eine
Zusammenstellung der eigenen schriftlich an Spielmann zu
geben4).
Für den 24. Oktober5) berief der König eine Konferenz in sein
1) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 III. L. 18. Oktober.
2) Bericht Lucchesinis 19. Oktober.
3) Rep. I 170. Haugwitz an die Minister 27. Oktober.
4) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12. Friedrich Wilhelm an Lucchesini
21. Oktober 1792.
8) Vivenot II 661; Sybel II 360 gibt mit Unrecht den 25. an,
ebenso das Politische Journal 1792, S. 1212. Bericht Lucchesinis 23. bis
26. Oktober.
Merle 401
Hauptquartier Merle bei Luxemburg, an der wider Erwarten
auch der kranke Spielmann teilnahm, da er wohl die Bedeutung
der Stunde fühlte, dazu Mercy und Thugut, Haugwitz und
Lucchesini. Als Bischoff werder sein altes Amt ausüben und die
Österreicher dem König melden wollte, wies ihn dieser zurück;
Manstein habe diese Aufgabe — ein schlechtes Vorzeichen für
die Österreicher1). Erst speisten die Herren beim König; dann
gab dieser dem Staatsreferendar mündlich auf dessen nochmaligen
Wunsch die Erklärung, die er ihm schriftlich am Tage darauf
durch Haugwitz zugehen zu lassen versprach2), wie es auch am
25. Oktober spät abends geschah3). Ich habe schon oben ihren
Inhalt angegeben. Eine Diskussion fand überhaupt nicht statt.
Die ganz unnötige Feierlichkeit einer Zusammenkunft beim
Könige konnte nur den Zweck haben, den Österreichern recht
eindringlich den Ernst der preußischen Forderungen und ihrer
eigenen Lage bei einer eventuellen Ablehnung klar zu machen.
Friedrich Wilhelm wollte ihnen ein Ultimatum geben4).
Spielmann kam das deutlich genug zum Bewußtsein, wenn
er nachher die Sache auch zu Gunsten des Königs zum Nachteil
von Haugwitz anders darstellt5). Er sah sein Werk gescheitert,
sich selbst bereits verloren und dabei seinen Reisegefährten nicht
an seiner Seite zur Unterstützung, sondern sich gegenüber an
leitender Stelle. Denn Haugwitz hatte mit einer staunenswerten
Behendigkeit alle seine Pläne umgeworfen und sich ganz dem
König gefügt. So wie er im Frühjahr zuerst gegen den Krieg
opponiert, sich dann aber ganz in das entgegengesetzte Fahr-
wasser hatte bringen lassen, da er doch nichts mehr zu ändern
vermochte, so konnte er jetzt wieder seiner eigenen Ansicht
folgen, derzufolge das österreichisch-preußische Bündnis eine
Monstrosität und für Preußen das Gegebene eine Verbindung
1 ) F e u i 1 1 e t VI 372—373 und 392—393. Aber Nassau hat das erst
von Reuß erfahren. Woher hatte es dieser?
2) Vivenot II 661. Nach einer Angabe seiner Denkschrift hätte
sie Haugwitz am 25. in Merle unter den Augen des Königs aufgesetzt.
Ein andermal sagt er unter Lucchesinis Augen (Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß
31. Haugwitz an Lucchesini 5. Mai 1793). Ein Widerspruch braucht das
nicht zu sein. Jedenfalls schrieb Lucchesini das Hauptverdienst daran
Haugwitz zu. (Bericht 24. Oktober.)
3) Vivenot II 623 und 661.
4) Rep. 9, 272 Rapports I. Friedrich Wilhelm an das Kabinettsmini-
sterium 26. Oktober.
5) Vivenot II 661.
Hei d rieh, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 26
402 IV. Abschnitt
mit Frankreich sei, sowie dort erst einmal ein Zustand der Dinge
eingetreten sei, der auf einige Festigkeit rechnen lasse1). Dieser
Gefügigkeit und seinem persönlichen, dem Könige sehr an-
genehmen Wesen verdankte er es wohl, daß nicht Lucchesini,
wie dieser es eigentlich verdient hatte, sondern er hierin die
Hauptrolle spielte2). Persönlich war das eine unangenehme Sache;
denn er mußte demselben Manne gegenüber, mit dem er noch
eben so einig gewesen war, einen ganz anderen Standpunkt ver-
treten. Er ließ es diesmal zunächst nicht an sich fehlen; aber
als ihm Spielmann in aller Biederkeit eine besser konstruierte
Falle stellte, fiel er sofort darauf herein, und es bedurfte noch der
Wiener Erfahrungen aus dem Dezember, um ihn dazu zu bringen,
die Österreicher stets mit Mißtrauen zu behandeln. Er gab es
dann scheinbar auf, allein seine eigene Politik zu machen und
fügte sich in den Rahmen ein, der ihm gezogen war, d. h. er ging
mit seinen Kollegen zusammen vor oder fügte sich dem Wunsche
des Königs.
Haugwitz konnte dem Staatsreferendar die Pille aber wenig-
stens etwas versüßen3). Hatte Friedrich Wilhelm nicht schriftlich
seine guten Absichten versprechen wollen, Österreich in der Ent-
schädigungsfrage nach Möglichkeit zu unterstützen, so stand einer
mündlichen Äußerung doch durchaus nichts im Wege. So sehr
die Preußen diese Tatsache später auch nach einer Änderung der
politischen Lage in Abrede zu stellen sich bemühten, so bleibt
es darum doch wahr, daß Preußen im Oktober und noch ein
Vierteljahr lang die Absicht hatte, ehrlich, Wenn auch von Seiten
des Kabinettsministeriums mit etwas sauersüßer Miene, den
Österreichern zu ihrem Anteil zu verhelfen, wie es im Mai und
Juni vereinbart worden war. Man verlangte für Preußen etwas
mehr, wollte den Österreichern aber nur das Alte gewähren.
Damit Österreich nun nicht die preußische Absicht durchkreuzte,
wurde sie so offiziell kundgetan, daß man nicht mehr gut davon
zurücktreten konnte4).
II.
Konnte Spielmann sich nun dabei beruhigen? Wollte er es?
Ganz sicher nicht, und er setzte alle Hebel in Bewegung, um
x) Gronau, Dohm 248.
a) Bericht Lucchesinis 20. November.
3) Sorel III 128—129.
4) Rep. I 170. Haugwitz an die Minister 27. Oktober.
Merle 403
bessere Bedingungen für seinen Herrscher zu erlangen. Freilich
konnte er bei der veränderten Lage nicht ministeriell sprechen,
aber da er sich mit Reuß und Mercy einigte, so hatten seine An-
träge und Äußerungen doch ebensoviel Gewicht, als wenn man
sie von Wien aus gemacht hätte. Zunächst griff er mit vielem
Geschick die Fassung der preußischen Note an und legte deren
falsche Anschauungen an der Hand des oben skizzierten preußi-
schen Exposes dar. Denn Preußen hatte in der Tat zuerst auf
den Krieg auch ohne das Konzert bei Österreich gedrängt. Es
hatte sich zur Reichsverteidigung gedrängt, noch ehe überhaupt
die Rede von einem Reichskriege war. Es war vertragsmäßig
gezwungen, den Österreichern in einem Verteidigungskriege
20 000 Mann zu stellen. Es lag also gar nicht mehr in Preußens
Macht, beliebig aus dem Kriege auszuscheiden, den es sich selbst auf-
gehalst hatte, wenn es nicht offenbar gegen Treu und Glauben ver-
stoßen wollte. Preußen hätte in der Tat 1793 den Österreichern
ein Hilfskorps von 20000, dem Reiche nach dessen Kriegserklärung
ein solches von 12 000 Mann stellen müssen. Das ergab also nur
18 000 Mann weniger als in diesem Jahre. Ja, es konnte sogar
sehr ernsthaft die Frage aufgeworfen werden, ob Preußen nicht
sogar bis zur Beendigung des Krieges die ganzen 50 000 Mann
stellen mußte, wozu es sich im Frühjahr verpflichtet hatte. Spiel-
mann erklärte daher als guter Diplomat, der seinem Feinde
goldene Brücken baut, die preußische Note nur so auffassen zu
können, daß Preußen beim NichtZustandekommen des Konzertes
den „Endzweck" des Krieges ändern wolle. Das war ja nun
alles ganz schön und richtig, und Preußen hätte selbst das alles
zugeben müssen, aber es stellte trotzdem seine Forderungen und
bestand auf ihnen. Spielmann hielt nun dem Grafen Haugwitz
vor, wie gering Preußens Anspruch auf Entschädigung sei, wenn
es nicht an der Abmachung mit Österreich festhalte. Sie aber
wisse nur von völliger Gleichheit und Gleichzeitigkeit. Er scheute
sich auch nicht, trotz aller Versprechungen gegenüber Haugwitz
und dessen gutgläubigen Versicherungen, wieder die Forderung der
Markgrafschaften hervorzusuchen , wenn auch nur, um damit
einen Druck auf Preußen auszuüben.
So stark nun auch ideell die Stellung von Spielmann war —
Haugwitz hatte die tatsächliche Lage doch auf seiner Seite. Den
rechtlichen Bedenken Spielmanns hielt er die Anschauung vom
Frühling entgegen, wo jeder nur an einen Feldzug von höchstens
einem Jahr gedacht hatte, und lehnte auch entrüstet das Miß-
404 IV. Abschnitt
Verständnis von Spielmann ab, das durch den Wortlaut der Note
allerdings nur zu sehr gerechtfertigt war, daß Preußen im nächsten
Jahr gar nicht mehr am Kriege teilnehmen, selbst das Reichs-
kontingent nicht stellen wolle. Preußen wolle den Krieg für die
Aufrechterhaltung der monarchischen Regierungsform in der Tat
nur fortsetzen, Wenn der Krieg zu einem allgemein europäischen
werde. Aber an der Fortsetzung sei Österreich mehr interessiert
als Preußen. Dies könne seine Entschädigung nur in Polen
finden und müsse den augenblicklich gerade günstigen Stand der
Lage in Polen und in Rußland benützen1). Österreich solle sich
daher auch erklären; dann werde eine Einigung nicht schwer
sein.
Spielmann erkannte, daß er in seinem Mißtrauen zu weit
gegangen War, und verschloß sich nicht dem Gewicht der preußi-
schen Gründe. Er fürchtete bei einer Ablehnung alles, d. h. den
Zusammenbruch des österreichisch-preußischen Bündnisses, den
Fall des Tauschplanes, ohne die preußische Erwerbung in Polen
sicher verhindern zu können. Bei der Genehmigung aber sah er
ein, wenn auch nicht ungetrübtes, so doch verlockendes Bild.
Er lehnte also eine Verhandlung auf Grund der preußischen
Forderungen nicht ab, sondern suchte nur den preußischen Ge-
winn auf irgend eine Weise durch einen gleich großen und zur
gleichen Zeit erreichbaren österreichischen zu paralysieren. Mit
dem ersten Versuch freilich hatte er Unglück2). Er hielt an dem
Tauschplan fest und erkannte auch an, daß er erst später durch-
geführt werden könne. Er mußte sich also vorläufig mit der
offiziellen Zusicherung begnügen, Preußen werde den Tausch
nach Möglichkeit befördern. Haugwitz hatte es sogar beim
Könige durchgesetzt, daß dieser ihn nach Zweibrücken zur Befür-
wortung des Tausches senden werde; nur sei der jetzige Augen-
blick zu ungünstig dazu. Wenn Österreich jedoch darauf bestehe,
so wolle sich Preußen auch in diesen Wunsch fügen. Da die
Aussichten für die geplante Erwerbung in Elsaß-Lothringen unter
Null standen, so suchte Spielmann die Befriedigung für den öster-
reichischen Hunger in Polen an einem ebenso großen Stück, wie
Preußen es erhalten sollte, und sagte nur zu, einen Teil davon
nach der Durchführung des Tausches, ja es ganz wieder zurück -
1 ) Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium 26. Oktober in Rep.
9 — 272 Rapports I. Desgleichen vom 27. Oktober in Rep. 9 — 272 Korre-
spondenz mit Möllendorff.
2) Sybel II 362.
Merle 405
zugeben, Wenn Preußen sein Los erheblich vermindere1). Aber
damit traf er gerade die empfindlichste Stelle von Haugwitz,
der sich scheinbar auch hierin den Anschauungen von Friedrich
Wilhelm und Lucchesini gefügt hatte. Haugwitz ordnete alles
seinem polnischen Plan unter und glaubte jetzt mit Sicherheit
dessen Scheitern vorauszusehen, wenn nicht nur Preußen, son-
dern auch Österreich sich an die Teilung machen wollte. Er
lehnte diese Forderung schroff als unannehmbar ab. Der Tausch
biete für Österreich trotz des finanziellen Defizits unleugbare
Vorteile, und wenn Österreich nun auch noch polnisches
Gebiet erhalte, dann falle ja der preußische Vorteil weg; so viel
sei von Polen überhaupt nicht zu erlangen2). Den Widerstand
Rußlands gegen diesen Plan erwähnt er merkwürdigerweise gar
nicht.
Dieser Plan also schien gescheitert. Aber Spielmann wollte
lieber zu viel als zu wenig tun. Er verschaffte sich durch Bischoff-
werder eine lange Audienz beim König am 27. nachmittags in
Merle. Ihr Verlauf raubte ihm den letzten Zweifel an der Ehr-
lichkeit Preußens. Der König versprach selbst seine Unter-
stützung in Zweibrücken und fügte sogar dazu, mit Kurpfalz
könne man eine andere als persuasive Sprache reden. Für die
geplante österreichische Erwerbung in Polen Heß er sich endlich
durch die Betrachtung gewinnen, daß die endgültige Abtretung
der preußischen und russischen Anteile durch die Republik be-
deutend erleichtert werden würde, wenn Österreich sein Los
zurückgäbe. Ich bin hier doch noch zweifelhaft, ob sich der
König so deutlich, wie Spielmann behauptet, für Österreich ent-
schieden hat. Möglich wäre es schon; denn er ließ sich im Ge-
spräch leicht Zugeständnisse entreißen, die er nachher bitter
bereute. Wir wissen auch, daß sich Spielmann sehr erfreut über
den Verlauf der Audienz geäußert hat3). Er sagte zu Bischoff-
werder, die Unterredung habe alle seine Hoffnungen belebt und
seinem Leiden ein Ende gemacht. Er reiste von Luxemburg mit
der Überzeugung ab, daß der König zwar sehr die Besetzung von
1) V i v e n o t II 661. Rep. I 170. Haugwitz an Schulenburg 27. Ok-
tober.
2) In diesem Punkte folge ich nicht der Angabe von Spielmann (V i-
v e n o t II 661 ; S y b e 1 II 362), dessen Erinnerung mir durch die Audienz
beim Könige und eventuelle spätere Besprechungen mit Haugwitz getrübt
zu sein scheint, sondern der Angabe von Haugwitz, da sein Brief vom
27. Oktober datiert ist und sehr bestimmt lautet (Rep. I 170).
3) Vivenot II 649.
406 IV. Abschnitt
Polen, noch mehr aber die Fortsetzung des Krieges wünsche1).
Sicher ist aber auch, daß der König nachher anderen Sinnes
war. Es war kein guter Dienst, den Bischoffwerder seinem Herrn
leistete, daß er ihn allein ohne Lucchesini dem gewandten Öster-
reicher auslieferte. So hatte Spielmann hier eigentlich wider
Erwarten schon halb gewonnen. Wenn Preußen sich auch die
weitere Teilnahme am Kriege sehr gut bezahlen ließ, so vergaß
sich Österreich doch auch nicht2).
Noch ein anderer Weg eröffnete sich aber dem Staatsreferendar,
wie ich schon angedeutet habe: die sofortige Besetzung Bayerns.
Der Herzog von Braunschweig wurde nämlich von allen Seiten
gedrängt, die Franzosen nicht ruhig im Besitze ihrer Eroberungen
zu lassen. Allein erklärte er sich dafür aber außerstande;
er verlangte die Mitwirkung des hessischen Korps und von
20 000 Österreichern3). Diese sollten Heidelberg und Mannheim
besetzen, um damit den Franzosen die Möglichkeit zu nehmen,
den Herzog von Süden aus zu beunruhigen, und gleichzeitig da-
mit gute Winterquartiere sichern. Bayern hatte sich in den
letzten Monaten mehr als einmal Verstöße gegen die Reichs-
verfassung zu schulden kommen lassen und die Franzosen in
unverantwortlicher Weise begünstigt4). Man gab ihm sogar den
Fall Speyers schuld5). Jedenfalls war Mannheim den öster-
reichischen Verwundeten zuerst ganz verschlossen, dann wurde
ihnen nur der Durchzug gestattet6). Sein Anspruch auf Neutra-
lität drohte jetzt nicht nur sehr unbequem, sondern sogar ge-
fährlich zu werden. Er wurde von den Österreichern jetzt in dem
Zwang der Lage einfach ad acta gelegt7). Die militärische Lage
war augenblicklich derart, daß man mit einem Verrat Mann-
heims an die Franzosen ernstlich rechnete. Selbst bei ehrlichem
Willen wäre es wohl auch den Bayern schwer gefallen, den Fran-
zosen lange Widerstand zu leisten. Das Beispiel von Speyer,
1) Bericht Lucchesinis 15. Dezember.
2) Vivenot II 649.
3) Bericht Lucchesinis 6. November. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 38:
Lucchesini an Stein 31. Oktober 1792. Lucchesini an seine Frau 5. April
1793.
4) Vivenot II 585.
6) An Cesar 22. Oktober.
6) An Lucchesini 18. Oktober. Politisches Journal 1792, S. 1135—1137.
7) Berichte Cesars 31. Oktober, 10. November mit P.S., 14. November.
An Cesar 20. November. Bericht Lucchesinis. 16. November. Vivenot
II 702 und 656.
Merle 407
Worms und namentlich Mainz gab zu denken. Das Kommando
der österreichischen Armee wollte der Herzog nicht an Hohenlohe
übertragen wissen — mit dem hatten sich in den letzten Wochen
alle Preußen gar zu heftig gezankt — sondern an Clerfayt, dem
man preußenfreundlichere Gesinnungen zutraute, mit dem man
überhaupt recht zufrieden gewesen war. In dem ihm gezogenen
engen Rahmen hatte er doch zum mindesten kein Unheil an-
gerichtet, wie man es von dem tüchtigeren Hohenlohe hatte er-
fahren müssen1).
Haugwitz hatte sich vor Absendung des Briefes erst der
Billigung von Spielmann versichert und diesem ein Memoire des
Herzogs vom 3. November überreicht. Spielmann wollte an-
fangs nicht recht heran. Wo sollte man so rasch 20 000 Mann
hernehmen2)? Aber da kam ihm ein prächtiger Gedanke, den
ihm die Lage und die österreichischen Absichten geradezu auf-
drängten. Die Erzherzogin Christine hatte ihn schon am 7. Ok-
tober anläßlich der Nachrichten von dem Marsche Custines zu
Fersen ausgesprochen. Ich halte es nicht für ausgeschlossen,
daß Spielmann aus Brüssel hierauf noch geradezu aufmerksam
gemacht worden ist, eventuell auch mündlich durch Mercy oder
Thugut in Luxemburg. Spielmann sah hier einen neuen Weg,
die guten Absichten Preußens sofort in reelle Vorteile für Öster-
reich umzusetzen. Gutwillig würden Bayern und vor allem
Zweibrücken jetzt nicht auf den Tausch eingehen, das sah jeder.
Aber Spielmann wußte recht gut, daß Zweibrücken dem Plane
überhaupt ablehnend gegenüberstand. Eines mehr oder weniger
sanften Druckes von Preußen würde es hier doch immer be-
dürfen. Dann konnte man aber auch mit vereinten Kräften
gleich ans Werk gehen und den Kurfürsten nolens volens zum
Könige von Burgund machen. Den von dem Herzog an die
Hand gegebenen Anlaß wollte er nun benützen, nicht nur
Heidelberg und Mannheim, sondern ganz Bayern zu besetzen3).
Es sollte eine sogenannte prise de possession de sürete werden,
eine Art Reichsexekution, um ein widerspenstiges Glied des
1 ) Vivenot II 752. Rep. XI 89 k. Tauenzien an Schulenburg
12. Oktober, 5. November, 17. Dezember 1792.
2) Vivenot II 649 und 655.
3) Nach Haugwitz (P.S. zum 1. Dezember) ist diese Idee von Reuß
ausgegangen; aber das ist wohl irrig. Vielleicht bezieht sich seine Angabe
auch bloß auf einen Vorschlag in Wien. (Vgl. an Goltz 17. November.
An Haugwitz 6. Dezember.)
408 IV- Abschnitt
Reichskörpers zum Gehorsam zu zwingen. 40 000 Mann, meinte
Spielmann, würden dafür genügen.
Haugwitz unterbrach seine Reise nach Wien und ging noch
einmal ins Hauptquartier nach Koblenz zurück, um die Befehle
des Königs einzuholen1). Haugwitz, der König und Lucchesini
waren einig in der Annahme des Vorschlages von Spielmann,
Haugwitz sicherlich bona fide2). Für den König möchte ich den
ersten, für Lucchesini den zweiten Punkt in Anspruch nehmen
aus der von Lucchesini redigierten Kabinettsordre vom 9. No-
vember an das Kabinettsministerium. Um die Besetzung eines
Teiles von Polen durch österreichische Truppen unmöglich zu
machen, was Katharina sicher sehr gereizt, vielleicht den ganzen
Plan unausführbar gemacht hätte, ging er auf den neuen Vor-
schlag ein, der mehr der alten Abrede entsprach und Preußen
weniger schadete. Ja, der König versteigt sich zu der Behauptung,
darin liege nichts den preußischen Interessen Feindliches. Aber
nun sollte Haugwitz auch sofort noch einmal nach Wien gehen,
dort die preußische Einwilligung mitteilen, dafür verlangen, daß
Österreich sich für die preußische Besitznahme in Polen in Peters-
burg verwende, da vor ihr keine Rede von der Besetzung Bayerns
sein könne, ebensowenig von dem Marsche eines einzigen preußi-
schen Soldaten an den Rhein zur Verstärkung3). Sonst sei schließ-
lich Preußen die einzige Macht, die mit leeren Händen ausgehen
müsse. Erst wenn Preußen also die Zustimmung Rußlands zum
Einmarsch in Polen habe, dürfe die Sicherheitsbesetzung Bayerns
erfolgen4). Je schlechter die Nachrichten aus Petersburg lauteten,
um so wichtiger wurde die österreichische Verwendung für Preußen
bei den Russen; man hoffte jene dadurch zu erzwingen, daß öster-
*) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12. L. Au Roi 8. November (falsch:
Oktober).
2) Rep. I 170. Haugwitz an Scbulenburg 27. Oktober.
3) Die Bitte von Metternich nach Jemappes, nun durch preußische
Truppen Lüttich verteidigen zu lassen, wurde sofort abgelehnt. Sie wäre
in der Tat unerfüllbar gewesen (Bericht Lucchesinis 16. November. Metter-
nich an Reuß 10. November. Lucchesini an Reuß 14. November).
4) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12. L. Au Roi 8. November. Rep. 96,
147 G III und Rep. 9 — 272, Rapports I. Friedrich Wilhelm an das Kabinetts-
ministerium 9. November. Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium
10. November. Bericht Lucchesinis 10. November. Rep. 92 Lucchesinis
Nachlaß 38: Lucchesini an Stein 31. Oktober. An Haugwitz 20. und
23. November, 1. Dezember. Bericht Haugwitz' 8. Dezember. An Goltz
17. November.
Merle
409
reich sie in eigenem Interesse leisten mußte1). Hierin beharrte
Friedrich Wilhelm also völlig auf der Note von Merle.
Haugwitz reiste in der festen Überzeugung ab, in Wien keine
Schwierigkeiten mehr zu finden2). Dann erst, nach Erledigung
dieser Aufgabe, konnte er seinen Posten im Kabinettsministerium
antreten3). Die Stelle beim König hatte nicht er, sondern Luc-
chesini auszufüllen, und wir dürfen den allerverschiedensten
Quellen glauben, daß Friedrich Wilhelm mehr als zufrieden mit
ihm war. Der König dachte nun aber doch, Anfang Dezember
in Berlin zu sein. Er mußte dann den Termin immer weiter
hinausschieben, bis er den Gedanken ganz aufgab, diesen Winter
nach Berlin zurückzukommen. Lucchesini sollte zuerst nach
Brüssel gehen, um die Friedensverhandlungen mit Frankreich,
die jeden Augenblick beginnen konnten, mit den dafür bestimmten
Österreichern Mercy und Thugut zu führen. Er erhielt ' dafür
wie für die Niederlande als mutmaßlicher Nachfolger von Reck
besondere Beglaubigungsbriefe. Aber das war nur als Übergang
gedacht. Schon am 21. Oktober hatte Friedrich Wilhelm ihm
angekündigt, daß er ihn nach Wien schicken, aber erst die öster-
reichische offizielle Zustimmung haben wollte, die Spielmann für
sich schon gegeben hatte. Dort war er auch in erreichbarer Nähe,
wenn man sich in Berlin wieder einmal nicht helfen konnte.
Denn eine Stelle im Kabinettsministerium hatte er rundweg ab-
gelehnt4). Er zog einen ruhigen Posten im Auslande vor, der
vor allem auch gut dotiert sein mußte — sparsam war ja der
Marquis mehr als genug zum Ärger seiner Frau. Er benützte
die Gelegenheit, sich von Friedrich Wilhelm finanzielle Vorteile
zu verschaffen5). 10 000 Taler erhielt er vom Könige6). Aber
es blieb ihm doch schließlich nichts anderes übrig7), als noch bei
der Armee oder vielmehr beim Könige zu bleiben, bis wenigstens
Haugwitz da war, den er als Ersatzmann vorgeschlagen hatte8).
1) Berichte Lucchesinis 6., 10., 12. November. Friedrich Wilhelm an
Franz 12. November. Friedrich Wilhelm an Haugwitz 12. November.
2) Bericht Lucchesinis 20. November.
3) An Haugwitz 25. Dezember.
4) Carisien 131 — 132. Lucchesini an seine Frau 15. November 1792.
5) Desgleichen 8. und 10. Dezember.
6) Lucchesini an seine Frau 21. Dezember 1792.
7 ) Er fügte sich damit den dringenden Bitten Schulenburgs und seiner
Kollegen und dem Wunsche des Königs.
8) Lucchesini an Schulenburg 22. Dezember in Rep. XI 89 k. Lucche-
sini an seine Frau 28. Dezember.
410
IV. Abschnitt
n
Jedoch der Versuch scheiterte bald. Der König und Haugwitz
waren darin einig, ihn zu loben, und so reiste dieser nach etwa
zweimonatlicher Anwesenheit (Februar und März) aus dem
Hauptquartier wieder nach Berlin zurück, wo er es besser hatte.
Lucchesini blieb da, immer noch auf dem Sprunge, an dem ge-
planten Kongreß teilzunehmen, da ein anderer Preuße dafür
schlechterdings nicht in Betracht zu kommen schien1). Erst als
der König die Armee verließ, konnte er nach Wien gehen, um
bald wieder aus seiner Ruhe abberufen zu werden2).
Den Österreichern bot sich hier jedenfalls eine Aussicht, wie sie
sie vorher vergeblich gesucht hatten. War Bayern einmal mit preu-
ßischer Hilfe von ihnen besetzt, so hätten wohl alle späteren
Klagen, Proteste u. dgl. nichts mehr genützt. Es gehörte rasches
Ergreifen des günstigen Augenblicks dazu und der ungestörte Be-
sitz der Niederlande. Aber schon am 6. November war Jemappes
geschlagen, bald darauf die ganzen Niederlande für Österreich ver-
loren, und in Wien trug man, auch ohne davon zu wissen, doch recht
viele Bedenken, auf die provisorischen Abmachungen im Haupt-
quartier einzugehen. Es fehlte an Entschlossenheit und Ehrlichkeit.
Spielmann langte am 25. November abends in Wien an;
Haugwitz, der am 10. von Koblenz abgereist war, traf am 25.
mittags dort ein3). Friedrich Wilhelm sandte ihm noch ein
1) Schulenburg an Lucchesini 29. Dezember in Rep. 92. Lucchesinis
Nachlaß 37 und Rep. XI 89 k.
2) Lucchesini an seine Frau 27. , 28. Oktober; 1., 5., IL, 13., 15., 16., 18.,
20., 23. November; 7., 8., 10., 12., 17., 21. Dezember 1792; 18. und 28. Januar
1793. Rep. 9 — 272 Rapports I. Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium
26. Oktober. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12. Friedrich Wilhelm an
Lucchesini 21. Oktober. Rep. 9 — 272 Korrespondenz mit Möllendorff.
Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium 27. Oktober. Rep. XI 89 k.
Lucchesini an Schulenburg 22. Dezember. Schulenburg an Lucchesini
29. Dezember. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 37. Schulenburg an Lucchesini
13. November, 16. Dezember 1792, 8. Januar und 16. Januar 1793. Nr. 31:
Haugwitz an Lucchesini 21. Januar und 4. Februar 1793. Rep. 92 Cesars
Nachlaß 21: Lucchesini an Cesar 29. Dezember 1792 und 4. April 1793.
Berichte Lucchesinis 21. Oktober, 1., 10., 12., 16. und 24. November; 10.,
12., 18. Dezember. An Lucchesini 8. November mit Vollmachten vom
8. November, 17., 19., 24., 29. November, 13., 17., 19., 24. Dezember.
Rep. 96, 155 E. Friedrich Wilhelm an Haugwitz 22. Dezember. Bericht
Lucchesinis 16. Januar. An Lucchesini 21. Januar 1793.
3) S y b e 1 III 177. Cesar an die Minister 27. November in Rep. I 170.
Lucchesini an seine Frau 7. Dezember. Die Denkschrift Haugwitz' gibt
versehentlich den 26. an, sagt aber ausdrücklich, Haugwitz sei mit Spiel-
mann zusammen angekommen. Politisches Journal 1792, S. 1367 — 1368.
Wien 411
freundliches, aber entschiedenes Handschreiben an Franz nach,
der ihn am 29. Oktober zur Fortsetzung des Krieges aufgefordert
hatte, worin sich Friedrich Wilhelm auf die Note von Merle
bezog. Dazu erhielt Haugwitz einen Brief, den er weitergeben
sollte. Der König ermahnte ihn darin zur Festigkeit und be-
schwerte sich zugleich über Hohenlohe1). Noch war nichts fest
abgemacht2). Was beabsichtigte man in Wien?
2. Kapitel
Wien
I.
Zwei Dinge wünschte das österreichische Kabinett im Sep-
tember zu erreichen: raschen Frieden mit Frankreich und eine
anständige Entschädigung für die Kriegskosten, die der preußi-
schen gleichwertig war und gleichzeitig mit ihr in Österreichs
Besitz kam3). Für beides schienen die Aussichten nicht sehr
günstig zu sein. Man wünschte die Wiederherstellung der Macht
des Königtums in bescheidenen Grenzen zu erlangen; aber dies
schien sich nur ermöglichen zu lassen durch Verhandlungen mit
der Nation. Denn Welches auch die Wendung sein mochte, die
Ludwigs Schicksal erhielt, ob er in Paris ermordet oder dort
Weiter gefangen gehalten oder nach dem Süden verschleppt wurde,
immer mußte man versuchen, mit dem gemäßigten Teil des
Konventes anzuknüpfen, um ihm zu helfen. Schon rechnete man
mit dem eventuellen Zerfall Frankreichs in seine Bestandteile.
So trat die Nation in den Vordergrund, und es bedurfte nur noch
weniger Schritte bis zu dem Standpunkt, sich mit Ludwigs per-
sönlicher Freiheit zu begnügen und die Republik anzuerkennen,
endlich Ludwigs Schicksal ganz fallen zu lassen, um sich damit
den Frieden und die Entschädigung zu erkaufen. Man wagte
Wohl nur noch nicht, sich diese notwendige Konsequenz seines
Handelns einzugestehen. Das stand den Österreichern aber
1) Vivenotll 642. Bericht Lucchesinis 12. November. Friedrich Wil-
helm an Franz 12. November. Friedrich Wilhelm an Haugwitz 12. November.
2)HäußerI 400.
3) Vi veno t II 545—551, 556, 558—559, 561—562, 578. Zeiß-
b e r g, Karl-Hohenlohe 51. Politisches Journal 1792, S. 957, 1005—1006,
1083—1085, 1135—1137, 1171—1173, 1212, 1367—1368, 1379.
412 IV. Abschnitt
ebenso fest, daß die Zuwage zu dem Tausch auf Frankreichs
Kosten gesucht werden mußte; nur zur Sicherheit gegenüber
Preußen und Kußland sollten ja österreichische Truppen mit
denen dieser Mächte in Polen einmarschieren. Man war sicher,
daß die Preußen ohne Eroberung nicht wieder aus Polen abziehen
würden, und eine einseitige preußische Erwerbung, sei es nun in
Polen oder in Jülich-Berg, wollte man durchaus nicht dulden,
es eher auf den Bruch ankommen lassen. Gleichzeitig mit der
polnischen Teilung mußte daher der Tausch Belgiens gegen
Bayern dem erstaunten Europa bekannt gegeben werden können,
aber auch die Eroberung der Zuwage gegen Frankreich. Deshalb
wollte man lieber einen zweiten Feldzug führen, als sich Preußen
gegenüber benachteiligen lassen. - Für ihn galt es nun gleich,
sich gute Winterquartiere zu sichern. Dazu gehörte auch die
Eroberung einer Anzahl von Festungen in Feindesland.
Da kamen nun die Unglücksnachrichten1) von dem Einfall
der Franzosen in Savoyen, von den Verhandlungen Preußens
mit den französischen Generalen, von dem Rückzug nach Verdun,
dem aus Frankreich überhaupt ; sie wirkten um so schlimmer, als
man sich hier zuerst, gestützt auf falsche Nachrichten, bis zum
Kaiser und zu Kaunitz hinauf den schönsten Hoffnungen hin-
gegeben hatte2). Dazu hörte man von dem Fall von Speyer,
Worms und Mainz. Sie konnten die österreichische Regierung
im Gegensatz zum Volke und zu Kaunitz nur in der einmal an-
genommenen Haltung bestärken. Freilich gab es eine starke
Partei auch am Hofe, die von einer Fortsetzung des Krieges
nichts wissen und auf möglichst billige Bedingungen hin ab-
schließen wollte3). Ihr Wortführer war eben der alte Kaunitz,
der seinen Kredit beim Publikum damit äußerlich sehr hob und
den Spielmanns herabdrückte. Er war noch vorsichtiger als früher
geworden. Das Volk stimmte ihm natürlich bei; denn was hatte
es von dem Kriege? Nur höhere Steuern, wenn sie auch erst in
Aussicht waren. Wenn der Krieg länger als zwei Jahre dauerte,
schien der Ruin des Landes besiegelt zu sein. Dazu kamen dann
allerlei Unannehmlichkeiten4). An Eroberungen konnte einem
*) Vi veno t II 565, 586, 591—592.
2) Berichte Cesars 10. und 13. Oktober.
3) Hau ß er I 397. Berichte Cesars 6., 13., 17. Oktober.
*) Haugwitz an die Minister 4. September mit Beilagen. Die Minister
an Haugwitz 11. September. Berichte Cesars 15., 19., 26. September;
3., 17., 20. mit P.S., 31. Oktober, 7. November.
Wien 413
Österreicher, sofern er nicht gerade zu der herrschenden Partei
gehörte, damals nichts liegen1). Kurz, Unzufriedenheit, wohin
man blickte.
Gerade auf Eroberungen aber kam es der Regierung an.
Freilich, auch sie hätte den ganzen Winter hindurch noch sehr
gern den Krieg durch einen raschen Frieden beendigt; denn ob
man auf kriegerischem Wege wirklich zu dem gewünschten Ab-
schluß kommen werde, war manchem von ihnen doch ein großes
Problem2). Aber wie eines mit dem anderen verbinden? Was
nützte es den Österreichern, wenn sie Ludwigs Stellung preis-
gaben, die Republik anerkannten (nur das häßliche Wort ver-
mied man noch), die Emigranten zerstreuten und nur das Leben
und eine anständige Pension für Ludwig forderten, die ideelle
Seite des Kampfes also völlig preisgaben? Aussicht auf Ver-
ständigung war wegen der gewünschten Eroberungen doch- nicht
zu erzielen3). Ja es ist sehr fraglich, ob Frankreich sich auch nur
dazu herbeigelassen hätte, Friedensanträge bei Österreich vorzu-
bringen, worauf dies in falscher Schätzung der Lage noch bestand4).
Mercy erkannte sehr wohl, daß man zwar dem Kriege durch die
Preisgabe der Gegenrevolution, der Emigranten und für den
Augenblick auch der Monarchie ein völlig anderes Gepräge ge-
geben habe, daß aber ein sicherer Frieden erst nach einem sieg-
reichen Feldzuge möglich sei, wo man die Niederlande durch einen
Festungsgürtel vor den Franzosen geschützt habe5). Man hatte
eine Niederlage erlitten und mußte sie erst in eklatanter Weise
wieder gutmachen; sonst schwoll den Franzosen so sehr der
Kamm, daß sie aus Verteidigern zu Angreifern wurden. Ich
glaube, auch Kaunitz hätte mit seinen Plänen kein Glück gehabt,
da er prinzipielle Forderungen der Revolution ablehnte und Zu-
stände rückgängig machen wollte, die nicht mehr zu ändern
waren (Reichsfürsten, Avignon).
Wenn man nun aber doch Krieg führen wollte, so galt es,
1 ) Vivenot II 616—618. Berichte Cesars 19. September, 3. und
6. Oktober.
2) V i v e n o t II 630 und 650; Zeißberg, 2 Jahre, 224—225 und
Zeißberg, Karl - Hohenlohe 52—53; Sorel III 130; Vivenot,
Zur Genesis 33.
3) Vivenot II 604—605, 615, 629—630, 650, 653—654, 660. Be-
richte Cesars 20. Oktober, 7. und 25. November.
4) Vivenot II 654; Ranke, Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers
Fürsten von Hardenberg (Leipzig 1877) Bd. 5, S. 37—38.
5)Bacourt-Städtler III 388—394.
414 IV. Abschnitt
allem die beste Seite abzugewinnen. Dahin gehörte zunächst
die Interessierung von ganz Europa für den Krieg, der jetzt nur
noch den österreichischen Interessen dienstbar gemacht werden
sollte, den aber mit eigener Kraft allein siegreich zu beendigen
man kaum noch Hoffnung hatte1). Jeder sollte etwas dazu bei-
tragen, da jeder bedroht sei. Noch mehr kam natürlich das Reich
in Frage, das sich bisher in unverzeihlicher Schwäche habe miß-
handeln lassen und das auf die Vorstellungen Österreichs nicht
habe hören wollen2), das längst das Unglück vorausgesagt habe3).
Wenn es selbst nichts zu seiner Verteidigung tue, so würden auch
die Mächte es müde werden, sich unnötig zu opfern, und von
einer Entschädigung für die Verluste der Fürsten könne dann
natürlich keine Rede sein4). Man dürfe nur den Mut nicht gleich
sinken lassen. Solche Rückschläge seien nun einmal im Kriege
nicht zu vermeiden. Alle Stände suchte man für die „gute Sache"
in den Harnisch zu bringen, von Sachsen angefangen, das sich
zur Stellung von 8000 Mann freiwillig erboten hatte, bis zu den
Reichsrittern hinab5). Man erreichte ja auch erst die Aufstellung
eines Triplums, dann nach langem Zögern endlich die Erklärung
des Reichskrieges.
Dahin gehörte aber vor allem die Schonung der preußischen
Empfindlichkeit. Man hatte scheinbar alle Ursache, mit dem
Genossen unzufrieden zu sein. Der Herzog von Braunschweig
hatte sich, immer nach der österreichischen Ansicht, glänzend
blamiert. Er hatte einen Krieg geführt, ohne die geheiligten
1) ibid. III 396, 405—406; Vivenot II 596—597, 601, 613, 647,
657—659, 670, 761, 768; Zeißberg, 2 Jahre, 224—229; Heigel II
84—85.
2) Vivenot II 593—594, 600, 607—609, 611, 622, 633—635, 670,
685. Berichte Cesars 7. und 21. November. An Haugwitz 12. November.
3) Vivenot II 607—608. Ph. Cobenzl an Schlick und Westphalen
17. Oktober: „Die traurige Möglichkeit dessen, was geschah, sah man wohl
vor, und daher war man schon vor geraumer Zeit so sehr bemüht, die
vorliegenden Reichskreise zur Armierung zu bewegen und zu nachdrück-
lichen Defensionsanstalten aufzumuntern." Vgl. damit Vivenot II
609. Ph. Cobenzl an Borie 19. Oktober: „Der unglückliche Einfall in das
Reich, der die Gegenden am Rhein so sehr in Schrecken gesetzt, ist als
ein im Kriege auf einer oder der anderen Seite unvermeidliches Unglück
zu betrachten, worüber sich nach geschehener Sache freilich viel sagen
läßt, an das man anfangs zu denken keine Ursache hatte." Man sieht,
wie viel Wert man auf derartige Trostworte legen darf.
4) V i v e n o t II 607—608, 743—744, 751, 763—765. Bericht Cesars
31. Oktober.
5) Vi veno t II 678.
Wien 415
Regeln zu beachten, und war daran gescheitert1). Die öster-
reichischen Generale2) sprachen offen davon, nicht länger unter
ihm dienen zu wollen ; unter Friedrich Wilhelm — das wäre eine
ganz andere, sehr wünschenswerte Sache3). Dadurch hoffte man
Friedrich Wilhelm auch dazu zu bringen, seine Truppen über die
vorgesehene Stärke hinaus zu vermehren. Aber hierzu, wie zu
dem Kommando überhaupt, wollte sich wieder der König aus
leicht begreiflichen Gründen nicht verstehen4). Die persönliche
Integrität des Herzogs war scheinbar in Wien auch nicht über
jeden Zweifel erhaben5). Seine Unterhandlungen waren mehr
als verdächtig. Nur die Preußen jedenfalls hatten davon den
Vorteil gehabt, sich ungefährdet zurückziehen zu können; die
Österreicher waren stets beunruhigt worden. Man hörte ferner
von einer Reise Lucchesinis nach Paris6). Der Schluß lag allzu-
nahe, daß Preußen aus dem Kriege überhaupt ausscheiden wolle7).
Die Berichte im Moniteur, die trotz Cesars wiederholter Bitte
kein offizielles Dementi von preußischer Seite erhalten zu haben
scheinen8), gaben diesem Verdacht Nahrung mehr als genug.
x) Berichte Cesars 17. und 20. Oktober P.S., 24. Oktober, 10. No-
vember P. S. Cesar an die Minister 20. Oktober. Häußer I 395.
2) Hohenlohe und Lacy waren ihre Wortführer. Dieser strebte scheinbar
selbst nach dem Kommando über die österreichische Armee. (Berichte
Cesars 20. und 31. Oktober, 17. November.)
3) Berichte Cesars 24. und 31. Oktober, 23. November. Cesar an die
Minister 24. Oktober. An Cesar 2. November.
4) Bericht Lucchesinis 10. November.
5) V i v e n o t II 752. Vgl. oben.
6) Berichte Cesars 31. Oktober und 10. November. Lucchesini an
seine Frau 24. Dezember.
7) Vivenot II 603, 629, 632.
8) H e i g e 1 II 71—72. Berichte Cesars 17. und 20. Oktober. Cesar
an die Minister 20. Oktober. Berichte 24. und 31. Oktober, 24. November.
H ä u ß e r I 397. Der nächste dazu wäre natürlich der Herzog von Braun-
schweig gewesen, der persönlich kompromittiert worden war und seinen
Ruf durch die Ablehnung des Triplums in Regensburg auch nicht gerade
verbesserte (Lucchesini an seine Frau 24. Dezember. Bericht Lucchesinis
23. Dezember. An Lucchesini 27. Dezember. Rep. 96, 147 G III: F. S.A.
Au Roi 30. November. An Lucchesini 3., 8., 10., 15. Dezember). Aber er
hütete sich wohl, und, wie Lucchesini schrieb, das Schlimmste war noch
nicht einmal gedruckt. Kaikreuth, dieser unberechtigte Unterhändler
(negociateur illegitime, an Lucchesini 19. Dezember), als der er sich schon
in Holland gezeigt hatte, hatte gar zu unvorsichtig seiner Vorliebe für die
französische Allianz, seinem Widerwillen gegen die österreichische die
Zügel schießen lassen und gesagt, wenn man ihn hätte gewähren lassen,
so hätte er in vierundzwanzig Stunden dem preußischen Staate einen
416 IV. Abschnitt
Es hätte gar nickt erst der mannigfachen Nachrichten von der
österreichischen Armee und namentlich von dem Statthalter-
paar aus Belgien bedurft, um die österreichische Regierung arg-
wöhnisch zu machen1). Dem König traute man zwar einen
offenen Bundesbruch nicht recht zu; aber seine Minister, Luc-
chesini an der Spitze, konnten ihn schließlich doch herum-
bekommen. In Reuß schien man auch keinen schneidigen Ver-
treter der österreichischen Interessen an Ort und Stelle zu haben;
nicht einmal berichten konnte er häufig, und Spielmann ebenso-
wenig2). Alle diese Nachrichten konnten die Stellung des Mini-
steriums nur erschüttern, das seine Politik auf ein Einvernehmen
mit Preußen begründet hatte3). Merklich trat die Gegenpartei
unter Colloredo und Lacy hervor. Aber ein Wechsel hätte den
drohenden Bruch wohl nur noch beschleunigt. Der Kaiser hielt
also an sich, beruhigte den erzürnten Staatsvizekanzler, der unter
der Arbeitslast fast erlag und sehnsüchtig Spielmann herbei-
wünschte, um einen Gehilfen bei dem schwierigen Werke zu haben,
Preußen reinzuwaschen, während er selbst an seine Unschuld
nicht glaubte4).
Denn alles das mußte man geflissentlich übersehen5), wenn
man sich Preußens Teilnahme an dem zweiten Feldzug sichern
wollte. Kaunitz setzte sich jetzt persönlich für das Bündnis mit
Preußen ein, obwohl er die Absichten der Regierung nicht billigte,
vielmehr noch immer den Frieden wünschte und für durchführ-
bar hielt (die Zuwage gab er jedoch preis), bis ihn die Kriegs-
doppelten großen Vorteil verschafft: einen glorreichen Frieden mit Frank-
reich und den Bruch der österreichischen Allianz. Das kam Reuß und den
österreichischen Generalen zu Ohren. War es ein Wunder, daß sie da
argwöhnisch wurden? Ein Dementi war also wirklich nicht gut mög-
lich, ohne in seiner Bedeutungslosigkeit, Wahrheitswidrigkeit sofort
in Wien erkannt zu werden (Berichte Lucchesinis 15. und 18. Dezember.
Rep. 9 — 272 Rapports I. Die Minister unter sich 25. und 26. Oktober.
Rep. 96, 147 G III: F. S.A. Au Roi 26. Oktober).
*) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 31. Lucchesini an Haugwitz 22. No-
vember.
2) Berichte Cesars 20. Oktober P.S., 24. Oktober, 3. November,
21. und 23. November. Cesar an die Minister (21. Oktober). An Cesar
26. Oktober, an Haugwitz 9. November.
3 ) V i v e n o t II 648. Berichte Cesars 10. P. S., 21. und 25. November.
i) Bericht Cesars 21. November.
5) Häußer I 400; Vivenot II 629—630, 641—643, 646, 694.
Berichte Cesars 20., 24., 31. Oktober, 3., 14., 23., 24. November. Z e i ß-
b e r g , 2 Jahre, 174—175 und 179.
Wien 417
ereignisse eines anderen belehrten1). Nur ganz vorsichtig deutete
die österreichische Regierung an, daß sie gern Aufklärung über
die sonderbaren Vorgänge im preußischen Lager hätte2). Man
ließ auch Reuß auf seinem Posten zur Freude der Preußen3).
Man mußte sein Einverständnis mit Preußen überhaupt größer
darstellen, als es war4), und allen Tadel, besonders des Herzogs
von Braunschweig, durch seine Vertreter unterdrücken. Ja, man
mußte sogar sein Bedauern darüber aussprechen, daß die Elemente
einer so ruhmreichen Armee unter dem ersten Feldherrn Europas
den scheinbar schon sicheren Lorbeer unter den Händen weg-
gezogen hatten, und mußte seinerseits kräftig auftreten, keinen
Zweifel an der Fortsetzung des Krieges mit ganzer Kraft bis zur
glücklichen Beendigung lassen5). An Österreich sollte es nicht
liegen, daß er mit dem zweiten Feldzuge nicht beendigt sei6).
20 000 Mann erhielten Befehl, möglichst rasch ins Reich abzu-
marschieren, 12 000 nach den österreichischen Vorlanden und
10 000 nach der Lombardei7), also zusammen 42 000 Mann. Dazu
kamen dann nachträglich noch fünf Bataillone, gleichfalls für
die Lombardei8). Die Ausführung dieser Befehle verzögerte sich
aber derart, daß Lucchesini mit Recht schrieb, die Österreicher
beeilten sich langsam9). Das alles geschah natürlich nur im In-
teresse des Reiches, das man so bei der Ehre packen wollte —
das eigene schob man absichtlich, soweit es ging, in den Hinter-
grund. Dazu hoffte man von Preußen womöglich ebenso starke
Nachschübe an den Rhein zu erwirken10). Nach österreichischer
1) Berichte Cesars 17. und 20. Oktober, 7. und 25. November. Cesar
an die Minister 24. Oktober.
2) Berichte Cesars 3. und 7. und 10. November. Cesar an die Minister
8. November. Das Verdienst Lucchesinis um die Erhaltung des österreichisch-
preußischen Einverständnisses war also doch nicht so groß, wie er es gern
darstellte (Lucchesini an seine Frau 13. November).
3) Berichte Cesars 24. Oktober, 3., 10., 14. November. An Cesar
26. Oktober. Rep. 9— 272 Rapports I: Finckenstein 25. Oktober. Ph.
Cobenzl begünstigte Reuß.
4) Vi veno t II 573, 607—608, 634.
5) V i v e n o t II 619, 629, 638—639, 641—643, 652, 656, 666. Berichte
Cesars 20. Oktober, 3., 7., 10., 24. November.
6) Bericht Cesars 7. November.
7) Desgleichen 3. November.
8) Desgleichen 17. November.
9) Bericht Lucchesinis 10. Januar 1793.
1 °) V i v e n o t II 650, 660, 666, 693—694. Bericht Cesars 3. November.
Alvensleben 9. November. An Haugwitz 9. November. An Lucchesini
17. Dezember. S y b e 1 III 177.
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 27
418 IV. Abschnitt
Ansicht war ja stets dann das allgemeine Interesse in Gefahr,
wenn österreichisches Gebiet bedroht war.
Aber für den nächsten Feldzug wollte man doch womöglich
dem Herzog von Braunschweig keine österreichischen Truppen
mehr unterstellen. Man hörte auch schon, daß Preußen mit ihm
unzufrieden sei1). Das galt es auszunützen. Man fragte zwar
bei dem Herzog nach seinem Plan für 1793, vermied es, selbst
1) Politisches Journal 1792, S. 1194, 1250, 1252, 1264.** Lucchesini
an seine Frau 13. November: ... tu sais, combien j'estimais, combien
j'idealisais le Duo de Brunsvic. L'Europe entiere le placait a cote du grand
Frederic dans l'art de la guerre. Et certes, ses talents, sa bravoure, son
zele sont admirables, mais son caractere precautionneux, son excessive
sensibilite sur sa reputation militaire lui ayant fait craindre le moindre
echec, l'a conduit au point de manquer toute l'entreprise. Je le compare
ä un Komme qui craignant aventurer un ecu sur une carte ne s'apercoit
point qu'il joue de tout son reste et se trouve en effet d'avoir perdu. II
voudrait sortir de cette position humiHante et voudrait qu'une prompte
paix le met hors de jeu sans que l'on put dire qu'il a perdu la con-
fiance des souverains, qui lui avaient donne leurs armees ä Commander,
et l'attachement des soldats qu'il a prefere de faire mourir de faim et de
la dysenterie plutot que les mener a l'ennemi qu'ils meprisent et qu'ils ont
toujours repousse avec honneur plus d'une fois avec succes. De la est
venu son malheureux penchant pour les negociations directes avec les
generaux francais dont il a ete la dupe tant que je ne m'en suis point mele
de facon ä les interrompre et de l'empecher a ne plus les entamer. Lucche-
sini an seine Frau 28. November und 1. Dezember. Rep. XI 89 k. Lucchesini
an Schulenburg 22. Dezember: Le seul moyen de mettre fin aux mortelles
irresolutions du Duo de Brunsvic consiste en ce que S. M. prenne lo„com-
mandement de l'armee ayant le General Moellendorff ä ses ordres. Autrement
tout est perdu. Je ne m'arreterai pas davantage sur ce point delicat.
Schulenburg an Lucchesini 29. Dezember [ibid.]: Brunsvic . . . qui dans
la premiere campagne a fletri la gloire de nos armees et perdu toute con-
fiance politique et militaire. An Lucchesini 8. Dezember: . . . nous en
concluons que S. A. n'a pas encore renonce au commandement pour la
suite de la guerre; faut-il s'en feliciter tandisque toutes les lettres qui
nous arrivent ici et tous les bruits qui se repandent dans le public ne prou-
vent que trop jusqu'ä quel point ce prince a perdu la confiance de toutes
les cours et, tranchons le mot, de toute l'armee? An Lucchesini 14. Februar
1793. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12, L. Au Roi 20. Februar 1793. In
der Tat war der Unwille über ihn fast allgemein (Gronau, Dohm 249).
Haugwitz dachte darin wohl ebenso wie Lucchesini. Und doch behielt
der Herzog noch das ganze nächste Jahr über das Kommando, weil niemand
dem Könige energische Vorstellungen zu machen wagte und weil dieser
in übel angebrachter Güte und Schwäche den Herzog nicht geradezu
vor die Tür setzen wollte. Vgl. dazu das Verhalten Wilhelms I. Steinmetz
gegenüber im August 1870. Vgl. noch Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß
40 IV. Alopeus an Lucchesini 11. Januar 1793. Ranke 46, 130 — 131.
Wien 419
etwas vorzuschlagen, hoffte aber, ohne irgendwie zu verletzen,
auf verdecktem Wege doch zu dem gewünschten Ziel1) zu kom-
men2). An einen Marsch auf Paris dachte niemand mehr; alles
sollte streng nach den Kegeln eingeleitet werden, um so gefähr-
liche Rückschläge wie in diesem Jahre zu verhindern3). Nur das
stand fest, daß sich Österreich mit der doppelten Stärke wie
bisher an dem Feldzuge beteiligen werde. Nun bat der Herzog
selbst am 7. November den Kaiser um Enthebung von dem
Kommando über die österreichischen Streitkräfte. Spielmann
übergab daher gar nicht erst das dadurch veraltete Handschreiben
des Kaisers an ihn. Franz ging, natürlich mit großem Bedauern,
darauf ein. Zumal nach dem Rücktritt des Herzogs von Sachsen-
Teschen vom Kommando hatte er völlig freie Hand4). Am
7. Dezember wurde demzufolge der Prinz von Sachsen-Koburg
nach einer kaiserlichen Entscheidung vom 26. November, die
Lacy hatte herbeiführen helfen, zum Oberbefehlshaber über alle
österreichischen Streitkräfte ernannt5) — keine schlechte, aber
auch keine gute Wahl.
Die Entschädigungsfrage wollte ein Teil der Österreicher,
natürlich Lacy voran, vorläufig ganz zurückgestellt wissen bis
zur Beendigung des Krieges, dessen Ausgang man doch erst ab-
warten müsse6). Das erscheint uns heute ganz natürlich; aber
damals herrschte doch im ganzen eine andere Auffassung. Cobenzl
setzte beim Kaiser durch, daß Spielmann darüber mit Preußen
verhandeln dürfe. Nur so war überhaupt etwas von diesem zu
erlangen, und man brauchte eben seine Freundschaft. In Besitz
genommen sollten aber die Gebiete erst nach dem Friedensschluß
werden, Bayern und die Zuwage gleichzeitig mit dem polnischen
Anteil Preußens wie Rußlands?). Da sich nun zum Leidwesen
1 ) Als solches erschien die Beseitigung des Herzogs vom Oberkommando.
3) Bericht Cesars 31. Oktober. Vivenot II 638—640, 642—643.
Man lüftete nur allmählich den Schleier (Bericht Cesars 23. November).
3) Vivenot II 595, 602, 605, 630, 650, 653—654.
*) Bericht Lucchesinis 10. November. Zeißberg, 2 Jahre, 225 ff.,
232. Berichte Lucchesinis 28. Dezember und 4. Januar. Franz an Braun-
schweig 8. Dezember.
5) A. v. Witzleben, Prinz Friedrich Josias von Koburg- Saalfeld,
Herzog zu Sachsen, II (Berlin 1859), S. 31—32. Politisches Journal 1792,
S. 1367—1370. V i v e n o t II 690, 693, 698—699.
6) ibid. II 629—632, 638—641, 648, 650, 653—654; S y b e 1 II 357—358.
7) Vivenot II 604—605, 660; Heigel II 72. Bericht Cesars
15. September. Es scheint bei der Regierung keine Rede davon gewesen
zu sein, die Zuwage aufzugeben (Sybel III 178).
t
420 IV. Abschnitt
Österreichs jene beiden Mächte nicht bis zu dem Augenblicke
würden hinhalten lassen, so sollte auch Österreich ein gleich-
großes Stück von Polen besetzen. Der Gedanke der Parität be-
herrschte durchaus das österreichische Kabinett. Es ist also
richtig, daß Kaiser Franz den Rock kaufen, aber das Geld nicht
zahlen wollte. Doch darf man dabei nicht verkennen, daß jede
radikale Maßregel für Österreich äußerst gefährlich zu sein schien.
IL / /
Da aber kam die letzte Hiobspost dieses Jahres, wohl die
gefährlichste für Österreich: die Niederlande waren in fran-
zösischem Besitz1). Friedrich Wilhelm hatte sofort seinem Ge-
sandten in London, Jacobi, Befehl erteilt, anzufragen, wie Eng-
land seinen Vertrag mit Holland, an dem ja auch Preußen beteiligt
war, halten werde. Denn dies habe jetzt selbst im Reich zu tun
und könne nicht wie 1787 allein den Statthalter nur zum Vor-
teil Englands retten2). Wie sehr täuschte man sich doch in Berlin
und Wien mit der Annahme, nun werde die österreichische
Regierung erst recht geneigt sein, Frieden zu schließen, und be-
gierig auf englische Vermittlungsvorschläge eingehen3), die man
in Berlin schon seit Beginn des Krieges fürchtete und die in der
Tat am 21. November vom Großpensionär dem französischen
Vertreter Maulde gemacht wurden mit der Anerkennung der
Republik als Grundlage4). Besonders als England nun wirklich
sein Schweigen aufgab und bei den Mächten sich Aufklärung
über ihre Absichten ausbat, lebten diese Befürchtungen wieder
auf. Ph. Cobenzl selbst dementierte sofort ein derartiges Gerücht.
Nicht auf Vermittlung, sondern auf die Mitwirkung der See-
mächte gehe man aus5). Der Krieg schien nur beschleunigen zu
sollen, was Österreich für die Zeit nach seiner Beendigung ge-
plant hatte6). Aber da stieß man sofort auf die Haager Kon-
1 ) Vivenot II 673. Bericht Cesars 17. November.
2) Bericht Lucchesinis 16. November. Friedrich Wilhelm au Jacobi
15. November. An Lucchesini 22. November.
3) S o r e 1 III 218—219. Politisches Journal 1792, S. 1253. An Cesar
16., 23., 25., 30. November, 1. Dezember. An Haugwitz 1., 6., 10. Dezember.
Bericht Cesars 21. November. Bericht Lucchesinis 27. November. An
Lucchesini 23. November, 1. Dezember. An Goltz 23. November P.S.
*) Sorel III 223—224.
6) Bericht Cesars 24. November.
6) R. M. Keith, Memoirs and correspondances II 531 — 533.
Wien 421
vention, die infolge des österreichischen Widerstandes nicht
ratifiziert worden war1). Es bedurfte also der äußersten Vor-
sicht, um England trotzdem zu gewinnen. Dies konnte jetzt nicht
mehr so wie bisher den Dingen ihren Lauf lassen. Es war nicht
anzunehmen, daß die französischen Truppen an der holländischen
Grenze stehen bleiben würden, zumal wenn die Österreicher dort
Aufnahme fanden. Hatte England schon stets die Forderung
vertreten, die Scheide zu schließen, so mußte ihm das Schicksal
seines Verbündeten um so näher gehen. Am 13. November er-
ging der Befehl zur Anfrage in Wien2) ; kurze Zeit darauf erklärte
Lord Auckland im Haag3) — das war ganz, wie Preußen es
wünschte, ja England kam damit seinem Wunsche noch zuvor4)
— England werde seinen Bundespflichten gegen Holland pünkt-
lich nachkommen. Wieder einige Wochen später, am 1. Dezember,
wurde das Parlament zusammenberufen, dann das erste Geld
für Küstungen gefordert, aber mit der ausdrücklichen Bemerkung,
England wolle sich nur französischen Eroberungsgelüsten wider-
setzen, sich nicht in seine inneren Angelegenheiten einmischen6).
Kurz vorher hatte England den Österreichern auf deren Anfrage
hin die erfreulichsten Anerbietungen für eine gemeinsame Ab-
wehr Frankreichs gemacht. Nur der Anfang dieser Bewegung
war den Österreichern Ende November bekannt, aber er reichte
doch aus, um zu zeigen, daß England sich nicht bloß einmischen
wolle; es wurde Ernst. Österreich erhielt also durch seinen Ver-
lust einen neuen Bundesgenossen, er verdiente Berücksichtigung6).
Mit der französischen Eroberung der Niederlande wurde der Tausch
vorläufig ganz unmöglich, und die Rüstungen mußten in noch
umfassenderem Maßstabe betrieben werden als bisher. Öster-
reich kam sogar selbst, wenn auch erst andeutend, um sich zu-
1) Bericht Cesars 25. November.
2) Vivenot II 671 = 731, 681—682.
3) Bericht Lucchesinis 20. November. An Lucchesini 23. November,
10. und 17. Dezember. Rep. 9 — 272 Rapports I. Friedrich Wilhelm an
das Kabinettsministerium 3. Dezember.
*) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 III. Aucklands Erklärung: Fait
ä la Haye 16. November. Keller an Lucchesini: La Haye 19. November
1792. Bericht Lucchesinis 20. November. Politisches Journal 1792, S. 1247
bis 1249.
5) Bacourt-Städtler III 410.
6) Vivenot II 692, 696—697, 703. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß
40 III. Grenville an Woronzow (29. Dezember 1792). Woronzow an Grenville
28. Dezember. Rep. 96, 147 G III: Auszug aus der Depesche Grenvilles
vom 29. Dezember 1792.
422 IV. Abschnitt
vor der preußischen Zustimmung zu versichern, auf die Bitte um
russische Truppen zurück, die man vorher als überflüssig ab-
gelehnt hatte, um statt ihrer Subsidien zu erwirken1).
Ziemlich gleichzeitig wurde noch dazu die preußische Note
von Merle bekannt. Man befand sich also in der schlimmen Lage,
den Krieg in verstärktem Maße fortsetzen zu müssen und dabei
doch des bisherigen Genossen nicht mehr sicher zu sein, außer
wenn man sich dazu verstand, seine Absichten völlig zu ändern.
Die Folge davon war, daß Österreich von Preußen tatsächlich
etwas abrückte und sein Verfahren so einrichtete, daß es England,
Preußen und Rußland in gleicher Weise zu befriedigen hoffte.
Aber damit machte Österreich es natürlich keinem recht. All-
gemein war der Wunsch nach rascher Wiederherstellung des
Friedens, wozu die englische Vermittlung und Hilfe ja ein wert-
volles Mittel zu werden versprach; aber man erwartete seine
Wiederherstellung so gut wie nur noch durch kräftige Maß-
regeln. Daher wollte man den Wunsch nach Frieden nur vorsichtig
aussprechen und vor allem möglichst viele Mächte zur Teil-
nahme heranziehen, dabei jedoch sich darauf beschränken, der
Revolution Grenzen zu setzen und ihr im eigenen Lande freie
Hand zu lassen. Der Plan, die Monarchie in Frankreich wieder-
herzustellen, wurde endgültig aufgegeben. Überall hatte der
Staatsreferendar auf seiner Reise Spuren der „Ansteckung" ge-
troffen. Als sicheren Besitz werde man demnach die Frankreich
direkt benachbarten Niederlande nie mehr betrachten können.
Um so wichtiger wurde jetzt der Tausch. Man hielt auch darum
mehr als je an ihm fest und reklamierte aufs neue die Unter-
stützung Friedrich Wilhelms, für die Spielmann so gute Aus-
sichten gab, aber nicht für jetzt, er war augenblicklich nicht
durchführbar. Man verzichtete in Wien ganz darauf, jetzt Ver-
handlungen mit Bayern anzuknüpfen oder gar Bayern bereits
in Besitz zu nehmen, da dies sein Verhalten nach energischen
Schritten Österreichs mit den Reichsgesetzen mehr in Einklang
gebracht hatte2) und man sicher war, daß Mannheim sich halten
werde, seit die Bayern die Besatzung verstärkt hatten auf die
1) Vivenot II 673, 677 und 679. Bericht Cesars 3. November
1792, 3. Januar 1793. Bericht von Goltz 3./14. Dezember. Carisienll3.
Politisches Journal 1792, S. 1171—1173, 1367—1368, 1379.
2) S y b e 1 III 178; S o r e 1 III 314; H e i g e 1 II 87—88. Politisches
Journal 1792, S. 1237, 1353. Bericht von Goltz 14./25. Dezember. Rep.
96, 155 E. Bericht Haugwitz' 4. Dezember.
Wien 423
nicht mißzu verstehende Anzeige von dem Marsche seiner Truppen.
Erst die preußische Besitznahme in Polen und neue verdächtige
bayrische Maßregeln brachten den Plan bei Cobenzl wieder in
Aufnahme, bis die Annäherung an England ihn wieder in den
Hintergrund schob1). Von Säkularisationen, die Preußen nicht
nur in Petersburg, sondern auch in Wien angeregt zu haben
scheint, wollte Österreich auch nichts wissen, gleichviel ob es
fürchtete, für seine Erzherzöge keine Bistümer mehr zu finden
oder ob es religiöse Skrupel hatte, was ich nicht glaube, oder ob
es die preußische Begehrlichkeit fürchtete, am ersten wohl, weil
es das Reich nicht ganz den Franzosen in die Arme treiben wollte,
wie es bei einer solchen Maßregel nur zu leicht hätte eintreten
können.
Wenn diese Wege als nicht gangbar erschienen, so galt es
doch nichtsdestoweniger, Sicherheit für die Zukunft zu gewinnen.
Bisher hatte man dafür eigentlich nur die Möglichkeit gesehen,
sich provisorisch eines Teiles von Polen zu bemächtigen. Als
man sich jetzt den Engländern näherte, kam man auf den Ge-
danken, sich eventuell auch mit einer Garantie des Tausches von
Seiten der drei entscheidenden Mächte zu begnügen. So hoffte
man Preußen und Rußland zu schonen. Aber damit machte man
gerade den wesentlichsten Punkt der preußischen Forderung
illusorisch2). Auf das „Sofort" kam es an. Wurde nun die eng-
lische Zustimmung zu dem Tausch zu einer conditio sine qua non
für die preußische Besitznahme in Polen, so war ein Ende gar
nicht abzusehen. Österreich sagte ja absichtlich in seiner Ant-
wort auf die Note von Merle nichts über den Zeitpunkt der Be-
setzung3). England war stets gegen den Tausch gewesen. Belgien
mußte in der Hand einer starken Macht sein, um vor französischer
Uberrennung sicher zu sein und damit zugleich Holland zu
schützen. Nach Dumouriez' Siegen in Belgien waren deshalb die
1) Lucchesini an seine Frau 14. Dezember 1792. Berichte Cesars
31. Oktober, 10. und 14. November, 29. Dezember 1792, 5., 12., 17., 20.,
23., 26., 30. Januar, 2. und 13. Februar, 6., 11., 13. März, 24. April 1793.
An Haugwitz 20. November 1792. An Cesar 18. Januar, 22. Februar,
4. März (P.S. 3. März), 3. Mai 1793. Rep. 9— 272 Rapports I. F. S.A. AuRoi
17. November. Rep. 96, 147 G III: F. S.A. Au Roi 24. November. Berichte
Lucchesinis 4., 20., 30. Januar, 7. und 16. Februar, 6., 10., 27. März 1793.
An Lucchesini 11. Januar, 11. Februar, 4., 10. und 16. März 1793 etc.
2) Das wurde jetzt ein Hauptziel der österreichischen Politik (S o r e 1
III 314—315).
3)VivenotH 625.
424 IV. Abschnitt
Engländer in größter Besorgnis bei dem Gedanken, die Öster-
reicher könnten vorläufig die Niederlande preisgeben1). Preußen
hatte auch deshalb sofort auf eine Vereinbarung der Antwort an
England gedrängt, in der Absicht, den Engländern den Plan zu
verheimlichen; die Österreicher wollten ihn aber gerade mit-
teilen2). Auf diese Weise war Österreich sicher, es mit PreußeD
zu verderben und bei England mindestens nichts zu erreichen.
Man ging aber noch weiter. Den Russen wurde zwar die Bewilli-
gung des preußischen Loses in Polen empfohlen, ohne seine
Größe anzugeben — sie könne erst in dem Konzert mit Rußland
festgesetzt werden — aber gleichzeitig wurde doch der fatale
Vorschlag einer Besetzung polnischen Gebietes durch Österreich
gemacht, auf die Lacy besonderes Gewicht legte3). Sie sollte erst
aufgegeben werden, wenn der Tausch mit bezw. ohne Zuwage
zustande kam. Das war durchaus den russischen Absichten ent-
gegen. Alles andere durfte geschehen, aber nicht das4). Preußen
hatte dagegen in Wien auch schon protestiert5). Nur nebenher
erwähnte Österreich den Gedanken der Garantie.
Den Engländern endlich sollte der Entschädigungsplan der
Mächte mitgeteilt werden, wenn auch genauer nur der Öster-
reichs, selbst gegen einen Protest Preußens. Es genügte aber
für jeden Diplomaten die Angabe der Parität zwischen Österreich
und Preußen, um zu erkennen, woran und wo Preußen sich
schadlos halten werde. Der Widerstand Preußens stand deshalb
von vornherein fest. Man denke nur an die englischen Quer-
en treibereien bei der ersten Teilung Polens, bei dem Plan eines
polnisch-preußischen Handelsvertrages, der geplanten Erwerbung
von Danzig und Thorn, und man begreift, daß sich Preußen gegen
die Zuziehung Englands mit Händen und Füßen sträuben mußte.
Es war schon nicht leicht gewesen, drei Mächte unter einen Hut
zu bringen — noch war man des Erfolges durchaus nicht sicher.
Kam die vierte dazu, so fiel der ganze Plan. Schon meldete sich
auch das argwöhnische England und bat in Berlin um Aufklärung
über den angeblichen Plan einer polnischen Teilung. Eden kamen
1) Vivenot II 682.
2) An Lucchesini 10. Dezember.
3) Berichte Lucchesinis 10. und 20. Januar 1793.
*) Berichte von Goltz 15./26. Oktober, 22. Oktober/3. November
(H.E.B. 319).
5) An Haugwitz 1. und 17. Dezember. Rep. 9 — 27 2 Rapports I.
F. S.A. Au Roi 1. Dezember. S y b e 1 II 362 und III 178—179.
Wien 425
die Tränen in die Augen, seine Stimme zitterte, als er davon
sprach; ja den alten Finckenstein faßte er in seiner Erregung
sogar beim Kockknopf1). Es war kein Zweifel daran möglich,
was England bei Bekanntwerden des Plans tun werde.
Die oben kurz mitgeteilten Beschlüsse der österreichischen
Ministerialkonferenzen vom 29. und 30. November2) verließen
also völlig die Bahn, die man in Wien während der Monate Ok-
tober und November so beharrlich innegehalten hatte. Trotzdem
sind sie nicht unerklärlich. Fassen wir zunächst das Verhalten
Preußens ins Auge. Die Note von Merle war infolge des den
Preußen wenig erfreulichen Zögerns von Spielmann, seinen
Kurier abzuschicken, in Wien erst recht spät, vermutlich am
26. November, mit dem Berichte Spielmanns vom 6. bekannt
geworden. Ihr Inhalt konnte dadurch in seiner Wirkung nur
abgeschwächt werden. War in ihr klar und deutlich ein Ulti-
matum gestellt, so schien Spielmann in seiner Audienz beim
König und in den späteren Verhandlungen mit Haugwitz eine
Art von Widerruf erlangt zu haben. Dazu kam noch die Nach-
richt von dem preußischen Befehl, 10 000 Mann mobil zu machen
und an den Rhein zu schicken3).
Nun hatte ja der König auf die Vorstellungen von Haugwitz
und Lucchesini als Bedingung dafür die Annahme der Note von
Merle gestellt; eher sollte kein Mann marschieren, oder sie sollten
wenigstens nach Franken dirigiert werden, wo sie einen befürch-
teten französischen Einfall abwehren und noch dazu billiger
unterhalten werden konnten4). Aber diese Vorsichtsmaßregeln
hoffte man in Wien schon noch unschädlich machen zu können. In
der Tat ließ sich Friedrich Wilhelm durch den kleinmütigen Rück-
zug von Clerfayt, der bei weiterer Ausdehnung sogar für Wesel
*) An Cesar 23. November. Rep. 9 — 272 Rapports I. Die Minister
unter sich 22. November. F. S.A. Au Roi 23. November. An Lucchesini
23. November.
2)Vivenot II 683, 684, 686. Bericht Haugwitz' 1. Dezember.
3) An Cesar 13. November P.S. An Goltz 12. und 15. November.
An Lucchesini 12. bis 14. November. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 III.
Lucchesini an Goertz 10. November. Bericht Lucchesinis 6. November.
V i v e n o t II 689. Politisches Journal 1792, S. 1213, 1250—1251, 1272
bis 1273, 1290, 1349, 1378.
4) Bericht Lucchesinis 10. November. Rep. 96, 155 E. Bericht Haugwitz'
4. Dezember. Friedrich Wilhelm an Haugwitz 12. November. Bericht
Lucchesinis 12. November. An Lucchesini 19. November. Doch waren
die Truppen vor Weihnachten gar nicht marschbereit und konnten dann
direkt an den Rhein abmarschieren.
426
IV. Abschnitt
fürchten ließ1), neue Befehle entreißen, die ihn nur außerordent-
lich kompromittieren konnten2). Aber niemand, am ersten noch
das Kabinettsministerium3) , machte energische Vorstellungen
dagegen. Lucchesini hatte zwar, wie die Minister überhaupt,
auch in der Friedensfrage4), anfangs mit Haugwitz, der das
richtiger beurteilt zu haben scheint5), den König in anderem
Sinne zu beeinflussen gesucht, aber er hielt der in ihrer Inkonse-
quenz merkwürdigen Beharrlichkeit des Königs nicht stand und
fürchtete, gar zu sehr dessen Wunsch entgegenzutreten in einer
Frage, die gar nicht zum politischen, sondern zum militärischen
Departement gehörte. So bemühte sich Lucchesini denn auch
nach allen Kräften, dem Könige die Fortsetzung des Krieges zu
ermöglichen, wie 1793/94 das namentlich Haugwitz tat. Als die
Nachrichten aus Wien so lauteten, daß bei schlechtem russischen
Willen doch noch zum mindesten eine Verzögerung der Besitz-
nahme in Aussicht zu stehen schien, da schlug er dem König vor,
an Reuß ebenso wie in Wien zu erklären, er wolle den Plan für
den eventuellen nächsten Feldzug mit dem Prinzen von Koburg
beraten, aber nur Reichskontingent und Allianzhilfe daran teil-
nehmen lassen, bis er im Besitz des polnischen Anteils sei. So
/ließ er sich Schritt für Schritt zurückdrängen. Es scheint mir
außer Zweifel, daß die Österreicher ihn auch zur Teilnahme mit
den ganzen 50 000 Mann ohne Entschädigung bekommen hätten,
1 ) Bericht Lucchesinis 23. Dezember mit Beilagen. Bericht Lucchesinis
10. Januar 1793 mit Beilagen. An Lucchesini 27. Dezember 1792.
2) Zeißberg, 2 Jahre, 228 ff.; H ä u ß e r I 432—134; Bacourt-
Stadt ler III 396. Berichte Lucchesinis 3., 10., 12., 14., 15., 18., 23.,
26. Dezember. An Lucchesini 8., 15., 17., 24., 27., 31. Dezember. Rep. 96,
147 G III. F. S.A. Au Roi 9. November und 8. Dezember. Rep. I 170.
Die Minister unter sich 9. November. Rep. 9 — 272 Rapports I. Friedrich
Wilhelm an das Kabinettsministerium 3. Dezember. Friedrich Wilhelm an
Haugwitz 13. Dezember. Rep. 96, 155 E. Friedrich Wilhelm an Haugwitz
4. und 22. Dezember. Lucchesini an seine Frau 8., 10., 12., 14. Dezember.
Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 31: Lucchesini an Haugwitz 17. Dezember.
Nr. 12, L. Au Roi 25. Dezember. Nr. 37 Schulenburg an Lucchesini 16. Ja-
nuar 1793. Nr. 25 Cesar an Lucchesini 19. Dezember. Rep. XI 89 h. Schu-
lenburg an Reck 13. November. Reck an Schulenburg 8. Dezember. Rep.
XI 89 k. Schulenburg an Tauenzien 13. November. An Haugwitz 9. No-
vember. Memoire Braunschweigs vom 3< Dezember.
3) Rep. 96 147 G III. F. S.A. Au Roi 8. und 19. Dezember.
4)HäußerI 431.
5) Bericht Lucchesinis 10. Dezember. Haugwitz' Bericht 19. Dezember.
Vgl. aber auch Minerva Bd. 184, S. 5 und überhaupt sein Verhalten in den
Jahren 1793—1794.
Wien 427
wenn die Entscheidung darüber allein von ihnen abgehangen
hatte*).
Die preußischen neuen Truppen waren in der Tat zur Ver-
stärkung oder besser zur Auffüllung der Lücken bestimmt, die
der Krieg in die Armee am Khein gerissen hatte. Die Kriegslage
veranlaßte Friedrich Wilhelm auch noch, immer weitergehende
Zugeständnisse zu machen2). Aber kurze Zeit nach jenen wurden
noch mehr Truppen mobil gemacht, und sie sollten zur Besetzung
des preußischen Anteils in Polen verwandt werden, sowie die
russische Zustimmung da war. Dies Geheimnis wurde nun zwar
an Goltz und an Alopeus mitgeteilt, nicht aber ganz dem preußi-
schen Vertreter in Warschau, Herrn v. Buchholtz, der im all-
gemeinen den preußischen Plan kannte, und anfangs gar nicht
den Österreichern3). So verdarb diese Unaufrichtigkeit, verbunden
mit der tatsächlichen Inkonsequenz gegenüber der Note' von
Merle, das so energisch eingeleitete Spiel4). Was konnten gegen-
über solchen Tatsachen die sich häufenden preußischen Erklä-
rungen im Sinne der Merler Note nützen? Es scheint mir außer
Zweifel, daß sich Spielmanns mündliche Ausführungen zu seinen
Berichten in derselben Richtung bewegten, so daß man in Wien
hoffen konnte, Preußen werde sich mit ein paar schönen Phrasen
begnügen und sich im übrigen wieder als der getreue Schildknappe
Österreichs gebrauchen lassen, ja nicht nur mit 50 000 Mann,
sondern noch mit verstärkter Macht am Kriege teilnehmen5).
Je mehr sich für Österreich die Notwendigkeit zeigt, den zweiten
Feldzug so kräftig wie möglich zu führen, um so mehr drängt es
1 ) Bericht Lucchesinis 26. Dezember. Friedrich Wilhelm an das Kabi-
nettsministerium 26. Dezember. An Lucchesini 31. Dezember. Rep. 92
Lucchesinis Nachlaß 12, L. Au Roi 25. Dezember.
3) Vivenot II 704.
3) Märten s, Traites-Russie VI 162. An Goltz 15. November.
Rep. 96, 147 G III. F. S.A. Au Roi 14. November. An Cesar 13. November
RS., an Haugwitz 6. Dezember P.S., Bericht Haugwitz' 1. Dezember P.S.
Rep. 9 — 272 Rapports I. Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium
18. und 21. November 1792. Berichte von Buchholtz 19. September,
27. Oktober, 21. November, 12. Dezember. An Buchholtz 7. September,
20. November und 28. Dezember.
*) Bericht Cesars 21. November. Lucchesinis Berichte 10. und 12. No-
vember. Friedrich Wilhelm an Franz 12. November. Friedrich Wilhelm
an Haugwitz 12. November. Rep. 96, 147 G III. F. S.A. Au Roi 9. November.
Rep. 1 170. Die Minister unter sich 9. November. An Haugwitz 9. November,
1., 6., 13. Dezember. An Cesar 16., 30. November, 1. Dezember.
5) Vivenot II 738.
428 IV. Abschnitt
darauf, daß Preußen die gleiche Truppenzahl stellt, ohne daran
denken zu wollen, daß es einen großen Teil seiner Truppen zur
Besetzung von Festungen und zur Verteidigung verwenden
mußte, daß aber die preußischen Truppen sämtlich zum Angriff
verfügbar waren1). Den Russen, die ebenfalls in Wien auf rasche
Entscheidung drängten2), deren Drängen aber dort kein großer
Wert beigelegt wurde, sollte die angenommene österreichisch-
preußische Einigkeit imponieren. Die Engländer endlich hoffte
man durch teilweises Eingehen auf ihre Wünsche auch noch zu
gewinnen.
Dieser Beschluß hätte nicht durchgehen können, wenn der
Kaiser Ph. Cobenzl gefolgt wäre. Er, wohl sicher auch Spielmann,
opponierten heftig gegen einen Punkt, der in ihrem ganzen Pro-
gramm eine bedeutende Stelle einnahm und stets wiederkehrte:
Der Tausch sollte nach vorheriger Zustimmung von Preußen und
Rußland vollzogen werden; alle übrigen Mächte, besonders Eng-
land, dessen Widerstand sie vorher wußten, sollten davon über-
rascht werden. Haugwitz erfaßte die Lage richtig (nur hielt er
die Engländer für zu hinterhaltig). Er bearbeitete Cobenzl auch
kräftig, um zu verhüten, daß England überhaupt etwas von dem
Entschädigungsplan erfuhr, bevor er ausgeführt war, und daß
Österreich einen neuen Grund zum Hinzögern orhielt3). Cobenzl
verlangte also, daß die Erlasse an Stadion nach London vorher
von Preußen gebilligt wurden; das konnte füglich als ausgeschlossen
gelten.
Aber der Kaiser hörte auf anderen Rat. Starhemberg, Rosen-
berg, Colloredo-Wallsee, wohl auch der Preußenfresser Lacy, der
die Schuld an dieser betrübten Lage nur den Preußen zuschob,
waren alle darin einig, den Tausch den Engländern auf jeden Fall
mitzuteilen. Eine Einigung mit Preußen, deren Ergebnis man
vorausbestimmte, ohne Rücksicht auf den Partner zu nehmen,
kann auf den Titel der Freiheit ebensowenig Anspruch erheben
wie die den Kardinälen erteilte Erlaubnis, auf dem Konzil dem
Antrage des Papstes zuzustimmen. Zunächst ging an Reuß der
Befehl ab, bei Preußen auf einer Sendung von Truppen zu be-
*) Vivenot II 776.
2) Bericht Haugwitz' 1. Dezember P.S.
3) An Haugwitz 6. und 10. Dezember. Bericht Haugwitz' 1. Dezember
mit P.S. Damit übertraf Haugwitz noch die Erwartungen, ja die Absichten
von Lucchesini (Bericht Lucchesinis 10. Dezember. An Lucchesini 15. De-
zember).
Wien 429
stehen, wie sie der österreichischen entspreche1). Mit der offi-
ziellen Antwort auf die Merler Note ließ man sich, mochte Haug-
witz auch noch so sehr drängen2), mit echt österreichischer Lang-
samkeit Zeit. Die Geschäfte hätten sich eben durch die Ab-
wesenheit von Spielmann verzögert, Haugwitz müsse Geduld
haben; solche und ähnliche Trostworte bekam er in Menge zu
hören3). Am 6. Dezember wurde der Entwurf zu der Antwort
in einer neuen Ministerialkonferenz einstimmig gebilligt4), und
am 8. sagte Cobenzl zu Haugwitz, sie sei schon in der Ausfertigung5).
Am 9. wurde sie fertiggestellt, aber erst am 11. abends erhielt
Haugwitz sie6). Man wollte sich davon eine völlige Befriedigung
der preußischen Wünsche versprechen7) und sparte nicht mit
kleinen Mitteln, um Preußen gefügiger zu machen. Haugwitz
war zum Kabinettsminister ernannt und nur zur Kegelung der
schwebenden Fragen noch einmal nach Wien zurückgeschickt
worden. Friedrich Wilhelm hatte diesen Po-ten gleich Lucchesini
zugedacht, da der in Paris doch noch einige Zeit nicht zu besetzen
sein werde, wollte sich aber erst der österreichischen Zustimmung
versichern, da man in Wien dem Marquis nicht wohlwollte, be-
sonders seit Reichenbach und Sistowa. Jetzt erklärte Österreich,
durchaus nichts gegen seine Ernennung einzuwenden zu haben,
ihn mit Vergnügen dem Grafen Haugwitz folgen zu sehen8), den
1) Man ließ es nicht dabei bewenden, sondern stellte sich selbst als
den großmütigen Beschützer des Reiches dar (V i v e n o t II 690) und
kam schließlich mit der Forderung heraus, Preußen müsse außer den
50 000 Mann noch das Reichskontingent stellen, da der Reichskrieg erst
nach jener preußischen Verpflichtung erklärt worden sei. (Rep. 96, 155 F.
Cesar an Goertz 1. April 1793).
2) Bericht Haugwitz' 12. Dezember. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 31.
Haugwitz an Lucchesini 4. und 12. Dezember.
3) Rep. I 170 und Rep. 96, 155 E. Berichte Haugwitz' 1. und 4. De-
zember. Bericht Cesars 3. Januar 1793.
4) Vi veno t II 695; Sy bei III 178.
6) Bericht Haugwitz' 8. Dezember.
6) Haugwitz' Denkschrift gibt wohl irrig den 10. an. Bericht Haugwitz'
12. Dezember.
7) V i v e n o t II 690 und 702.
8) Der Kaiser selbst gab dem Grafen Haugwitz mündlich diese Ver-
sicherung (Rep. 96, 155 E. Bericht Haugwitz' 4. Dezember. Rep. 92
Lucchesinis Nachlaß 31. Haugwitz an Lucchesini 4. Dezember. V i v e n o t
II 691 ; S y b e 1 III 178. Bericht Haugwitz' 5. Dezember. Bericht Lucche-
sinis 10. Dezember. An Lucchesini 15. Dezember. Rep. 92 Lucchesinis
Nachlaß Nr. 12. Friedrich Wilhelm an Lucchesini 21. Oktober).
!?
430 IV. Abschnitt
zu verlieren man angeblich sehr bedauerte1). Ferner dementierte
man sofort ein Gerücht von einseitigen österreichischen Friedens-
verhandlungen mit den Franzosen, das der französische Unter-
händler Mettra aufzubringen gewußt hatte, um die Mächte zu
entzweien2). Franz schickte den Feldmarschalleutnant Wartens-
leben zu Friedrich Wilhelm ins Hauptquartier3), um die Ope-
rationen der Armeen zu vereinbaren, und gratulierte dabei recht
herzlich zu dem Erfolge von Frankfurt4). So suchte man mit
kleinen Mitteln ans Ziel zu kommen, wo doch nur große helfen
konnten. An jenem österreichischen Beschluß ist in seiner grund-
sätzlichen Bedeutung die nächsten Monate hindurch nicht mehr
gerüttelt worden. Nur um die Form der Mitteilung an die be-
teiügten Mächte drehten sich die späteren Verhandlungen.
Aber die Österreicher hatten sich gründlich verrechnet. Sie
hatten vergessen, die Tätigkeit des preußischen Kabinettsmini-
steriums und Lucchesinis, den festen Willen des_ Königs und die
dadurch geänderte Anschauung von Haiigwitz in Rechnung zu
stellen. Jetzt waren in diesem Punkte alle Preußen einig.
Ungeduldig wartete man in Berlin und im Hauptquartier auf die
Antwort und konnte sich nicht erklären, warum sie so lange auf
sich warten ließ. Man mußte unbedingt Österreichs Einwilligung
haben, sonst schien der ganze Plan zu scheitern. Hatte Friedrich
Wilhelm im Oktober geglaubt, der Russen sicher zu sein, und
damals den Einmarsch der preußischen Truppen in Polen nur noch
von der österreichischen Zustimmung abhängig machen wollen,
so war diese Ansicht bald vor den immer ernster lautenden Nach-
richten von Goltz aus Petersburg aufgegeben worden. Nur die
österreichische Intervention schien helfen zu können; sie lag im
eigensten österreichischen Interesse5), auf ihr bestand man.
Ferner bestand man ebenso auf der sofortigen Besitzergreifung
x) Bericht Cesars 27. Oktober P.S.
2) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 31. Lucchesini an Haugwitz 22. No-
vember. Nr. 40 III: Note Lucchesinis für Reuß 21. November. V i v e n o t
II 702.
3) Der König hatte um einen Offizier gebeten. Rep. 96, 155 E. Fried-
rich Wilhelm an Haugwitz 4. Dezember. Spielmann hatte den Bruder
des Fürsten Reuß dazu vorgeschlagen, aber bei der allgemeinen Unzu-
friedenheit mit diesem Vertreter Österreichs drang er damit nicht durch
(Bericht Haugwitz' 12. Dezember).
*) V i v e n o t II 702, 705 und 706. Berichte Haugwitz' 12., 18. und
19. Dezember. Bericht Lucchesinis 28. Dezember.
6) Rep. 9— 272 Rapports I. F. S.A. Au Roi 1. Dezember.
Wien 431
vor der Fortsetzung des Krieges, womöglich ohne Teilnahme
Österreichs bei jener und jedenfalls, ohne England vorher ins
Geheimnis zu ziehen. Alle Erlasse nach Wien sind voll von
diesen Forderungen1). Das Kabinettsministerium schlug sogar
schon ein Ultimatum mit einer Frist von vierzehn Tagen vor2).
Lucchesini setzte nach dem Muster des ministeriellen Erlasses
vom 6. Dezember eine neue ostensible Depesche an Haugwitz
auf, die sofortige Erklärung forderte, widrigenfalls der König
umgehend seine Truppen nach Hause marschieren lassen werde;
dieser mußte sich auch gegenüber Reuß mündlich aussprechen,
doch da klang es schon weniger energisch : wenn er nicht sofort
ein gut Teil seiner neuen Erwerbungen besetzen könne, so werde
er nur seine allianzmäßige Hilfe stellen3). Aber gleichzeitig zeigte
Friedrich Wilhelm neue Truppenmärsche noch über die Vervoll-
ständigung der 50 000 Mann hinaus an, um Clerf ayt zu stützen,
Dumouriez im Zaum zu halten. Selten wird man eine größere
Inkonsequenz finden, und Spielmanns Urteil war daher völlig
gerechtfertigt. Haugwitz hatte schon vorher das Seinige getan
und brauchte daher dies zweischneidige Schwert, das der König
ihm darbot, nicht mehr zu verwenden.
Als die österreichische Note endlich bekannt wurde, da konnte
sie nur beleidigend wirken. Man erhielt Steine für Brot, alle Ver-
abredungen waren durchkreuzt. Haugwitz hielt, zwar nicht ganz
konsequent, den Österreichern die militärischen Maßregeln
Preußens möglichst geheim4) und erklärte die Antwort sogleich
für durchaus ungenügend. Der Hauptpunkt, die sofortige Be-
setzung, sei übergangen, und gegen die Besitznahme Österreichs
in Polen machte er ernste Bedenken geltend, in der Furcht, daran
den ganzen Plan scheitern zu sehen; aber auf diesem Punkte
bestand er nicht gleich mit der wünschenswerten Festigkeit5).
x) Berichte Lucchesinis 3., 10., 18. Dezember. An Lucchesini 6. De-
zember. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 31. Lucchesini an Haugwitz
17. November.
2) An Lucchesini 19. und 24. Dezember.
3) Berichte Lucchesinis 12., 15. Dezember. An Lucchesini 15. und
17. Dezember. Friedrich Wilhelm an Haugwitz 13. Dezember. Friedrich
Wilhelm an das Kabinettsministerium 14. Dezember. Rep. 92 Lucchesinis
Nachlaß 12, L. Au Roi 15. Dezember. Rep. 96, 155 E. Friedrieb Wilhelm
an Haugwitz 4. und 22. Dezember.
4) Berichte Haugwitz' 8., 12. und 18. Dezember. An Haugwitz 13. De-
zember.
5) Sybel III 179. Berichte Haugwitz' 4. (Rep. 96, 155 E), 12.
und 18. Dezember. An Lucchesini 17. und 19. Dezember. Beriebt Lucche-
432 IV. Abschnitt
Er drängte darauf, ihm den Erlaß nach Petersburg mitzuteilen,
nach dem er sich erst ein vollständiges Bild von dem Grade des
österreichischen Entgegenkommens machen könne. Cobenzl
suchte ihn hinzuhalten und doch noch von Preußen die Teil-
nahme am Kriege zu erlangen, ehe es im Besitz der Entschädigung
sei. Aber Haugwitz blieb fest und bestand jetzt auch ausdrück-
lich darauf, daß Österreich nicht seinen Einmarsch in Polen zur
Bedingung für die preußische Besitznahme mache. Er forderte
also die Änderung der Antwort an Rußland und die vorherige
Vereinbarung der nach England zu erlassenden. Erst wenn
Österreich, Preußen und Rußland einig seien, sollten die Ent-
schädigungspläne mitgeteilt werden1).
Diesem festen Verhalten von Haugwitz, mit dem Friedrich
Wilhelm und das Kabinettsministerium übereinstimmten, wenn
auch der König durch seine militärischen Maßregeln seine poli-
tischen Pläne durchkreuzte2), hatte nun Österreich nichts mehr
entgegenzustellen. Die Frage hatte sich jetzt so zugespitzt, daß
nur zwei Fälle noch möglich schienen: Entweder gab Österreich
nach, dann fiel die Parität, mindestens die Gleichzeitigkeit,
oder es beharrte bei seiner Absicht, dann war der Bruch mit
Preußen da. Aber Cobenzl fand in dieser Not einen Ausweg, der
vielleicht seinem Spürsinn Ehre macht, aber die österreichische
Regierung in einer seltenen Weise diskreditiert und ihr nur wenig
geholfen, um so mehr aber geschadet hat. Er beschloß, zu dop-
pelten Instruktionen seine Zuflucht zu nehmen. Die ostensibeln
waren eigentlich nur zur Lektüre für Preußen bestimmt, die ge-
heimen lauteten ganz anders und suchten geradezu das unmöglich
zu machen, was in den ersten als österreichischer Wunsch be-
zeichnet worden war. Ich verkenne durchaus nicht die prekäre
Lage für Österreich und im besonderen noch das persönliche
Interesse, das Cobenzl und Spielmann an einer Einigung mit
Preußen hatten — das Scheitern mußte sie ihre Stellen kosten —
aber stets hat sich ein Mangel an Ehrlichkeit gerächt, und es
bezeichnet den kleinen Mann, daß er zu solchen Mitteln seine
Zuflucht nimmt. Es war ein Akt wohlfeiler, aber kurzsichtiger
Schlauheit. Tatsächlich gab es in der österreichischen Regierung
damals niemand, der den Mut hatte, die Lage so zu kennzeichnen,
sinis 18. Dezember. Vergleiche auch S y b e 1, Vorträge und Aufsätze
193 ff.
1) Berichte Haugwitz' 12. und 18. Dezember mit P.S.
2) In Berlin war man am festesten. Vgl. auch S y b e 1 III 179 — 180.
Wien 433
wie sie war. Am 19. regelte eine neue Ministerialkonferenz das
österreichische Verfahren nach dem Wunsche des Kaisers, den
der Entschluß dazu scheinbar viel weniger Überwindung kostete
als den Vizekanzler1). Am 19. war der Erlaß an L. Cobenzl schon
fertig, Haugwitz erhielt eine Abschrift davon2).
Zwar ganz zufrieden war dieser jetzt auch noch nicht. Öster-
reich forderte nämlich in Petersburg nur die eventuelle
Besitznahme für Preußen, und er hatte noch sonst allerlei an der
Fassung auszusetzen. So kann es ihm kaum entgangen sein, daß
Österreich auch hier nicht auf sofortiger Besitznahme bestand
und sich vor allen Dingen auf seine Antwort auf die preußische
Note bezog. Aber da die Forderung der Note von Merle doch
erfüllt war3), so ließ er sich auch noch durch mündliche Erklä-
rungen mehr bestimmen als von dem schriftlichen Text des
Erlasses, der doch entscheidend war, und gab sich vorläufig zu-
frieden. Er hoffte auch die Österreicher davon überzeugt zu
haben, daß Preußen sich vor der Besitznahme am Kriege' nicht
beteiligen werde. Er unterschlug deshalb sogar den Brief Fried-
rich Wilhelms vom 13. Dezember, in dem dieser weitere kriege-
rische Maßregeln anzeigte, um den guten Eindruck seines festen
Auftretens nicht dadurch wieder abzuschwächen.
Am 21. erhielt er Kenntnis von vier Erlassen an Stadion, von
denen aber nur der erste als ostensibel bezeichnet wurde; für alle
sollte erst die preußische Zustimmung eingeholt werden und sie
nur gemeinsam den Engländern mitgeteilt werden. Auch hier
schien also die sonst zweifellos vorhandene Gefahr beseitigt zu
sein. Aber Haugwitz glaubte zu größerer Sicherheit noch auf
einer Revision des Erlasses an L. Cobenzl bestehen zu sollen4).
Die interimistische Besitznahme Österreichs in Polen konnte
eventuell den ganzen Plan zum Scheitern bringen. Er erhielt
nun am 22. oder 23. vom Ministerium die Zusicherung, jedoch
trotz ihrer offiziellen Form nur mündlich, daß es diese Bedingung
x) Sybel III 183; Vivenot II 711.
2) Vivenot II 720. In der Abschrift im Rep. I 170 steht „beträcht-
liches" statt „buchstäbliches" Kriegsheer. Beilage zum Bericht Haugwitz'
19. Dezember.
3) Die Forderung, Österreich müsse Preußen in Petersburg unter-
stützen, war in der Merler Note selbst nicht enthalten ( V i v e n o t II 624).
Erst als die Nachrichten aus Petersburg schlechter lauteten, war sie for-
muliert worden.
*) Bericht Haugwitz' 23. Dezember. Denkschrift Haugwitz'. Sybel
III 181.
Heidrieh, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 28
434 IV. Abschnitt
fallen lasse und nur die Garantie des Tausches durch Preußen
und Rußland fordere mit der Begründung, daß Preußen nicht
eher am Kriege teilnehme, als es sich seines Anteils bemächtigt
habe. Als nun auch noch der Kurier nach Rußland mit der
Weisung an L. Cobenzl am 23. abends wirklich abgegangen war1),
da schien auch der letzte Stein aus dem Wege geräumt zu sein.
Österreich hatte sich nach der Meinung von Haugwitz in alles
gefügt, Englands Übelwollen war unschädlich gemacht, in Ruß-
land konnte man jetzt sicher auf Erfolg rechnen.
Haugwitz hielt seine Aufgabe für erfüllt. Er hatte sich schon
am 23. vom Kaiser verabschiedet, nahm kurz darauf eine prächtige
Dose mit dessen Bildnis als Abschiedsgeschenk in Empfang2), über-
ließ dem Legationsrat Cesar die Aufgabe, seine Abberufungsbriefe
zu überreichen, die er sich schon recht frühzeitig ausgebeten hatte,
um jeden Augenblick abreisen zu können, die er aber nicht mehr
zur rechten Zeit erhalten hatte3), und reiste am 26. Dezember
vormittags über Schlesien, wo er private Angelegenheiten zu
ordnen hatte4), nach Berlin ab6), in der festen Überzeugung,
Österreich zu ehrlichem Eingehen auf die preußischen Forde-
rungen gebracht zu haben6). Erst in Berlin, wo er am 14. abends
eintraf7), brachten ihn seine Kollegen zu der Einsicht, daß öster-
x) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 31. Haugwitz an Lucchesini 25. De-
zember. Nr. 25 Cesar an Lucchesini 27. Dezember. Bericht Cesars 16. Ja-
nuar 1793.
2) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 31. Haugwitz an Lucchesini 29. De-
zember.
3) Berichte Lucchesinis 10. November, 18. Dezember. An Lucchesini
13. Dezember. Friedrich Wilhelm an Haugwitz 13. Dezember. Bericht
Cesars 29. Dezember. Rep. 96, 155 E. Bericht Haugwitz' 29. Dezember.
Friedrich Wilhelm an Haugwitz 22. Dezember. Rep. 92 Lucchesinis Nach-
laß 31. Haugwitz an Lucchesini 4., 22. und 29. Dezember.
4) Lucchesini an seine Frau 17. und 28. Dezember. Rep. 92 Lucchesinis
Nachlaß 31: Haugwitz an Lucchesini 4. Dezember.
e) Bericht Cesars 29. Dezember. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 25.
Cesar an Lucchesini 27. Dezember. Vivenot II 730.
6) Berichte Haugwitz' 24. und 29. Dezember. Rep. 92 Lucchesinis
Nachlaß 31. Haugwitz an Lucchesini 25. und 29. Dezember. Lucchesini
an seine Frau 28. Dezember. H ä u ß e r I 438.
7) Rep. 92 Cesars Nachlaß 12. Haugwitz an Cesar 9. Januar 1793.
Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 37. Schulenburg an Lucchesini 16. Januar
1793. Seit dem 17. Januar unterzeichnete Haugwitz Berichte an den
König (Rep. 96, 147 H I). Vgl. v. M i n u t o 1 i, Der Graf v. Haugwitz
und Job v. Witzleben (Berlin 1844), S. 9. H ü f f e r 73. Schulenburg
unterzeichnete bis Ende Februar ministerielle Aktenstücke. Vgl. Stamm-
Wien 435
reich nach, seiner formellen Versicherung zwar offene Opposition
nicht mehr treiben könne, wohl aber um so mehr versuchen werde,
auf geheimen Wegen die preußischen Pläne zu durchkreuzen und
die endgültige Abtretung jedenfalls noch hinauszuzögern1). Seit-
dem ist das Kabinettsministerium in dieser Frage als Einheit zu
betrachten. Immerhin, Haugwitz hatte das Seinige getan, und
der Rote Adler war der — allerdings wenig erfreut begrüßte —
Lohn für seine Mühe2).
Er war allerdings wohl der einzige Preuße gewesen, der ganz
von der österreichischen Ehrlichkeit überzeugt war. Besonders
die Depesche an L. Cobenzl erregte in Berlin und Frankfurt
große Unruhe, da in ihr die preußische Besitznahme von einem
vorangehenden Konzert der drei Mächte abhängig gemacht wurde,
mit dem unangenehmen Zusatz, daß Österreich nur bei Annahme
einer schweren Bedingung nicht in Polen einrücken werde.
Der König ließ sich noch am ersten täuschen3). Er hatte bei
Reuß auf Lucchesinis Anraten, der es aber an der nötigen Schärfe,
wie immer in militärischen Fragen, hatte fehlen lassen, persön-
lich noch einmal Vorstellungen gemacht und die Wiedereroberung
der Niederlande sogar schon als reinen Gewinn Österreichs be-
zeichnet; aber einen eventuellen Feldzugsplan4) wollte er doch
mit dem Prinzen Koburg festsetzen5), und als er Haugwitzens
Depesche vom 23. Dezember in den Händen hatte, da erkannte
er nicht die vielen Vorbehalte und schweren Bedingungen, sondern
war von der österreichischen Ehrlichkeit überzeugt. Nur von
England schien ihm noch Gefahr kommen zu können6). Mochte
das Kabinettsministerium noch so oft empfohlen haben, nur
einen eventuellen Feldzugsplan festzustellen — er hielt
tafeln des Schulenburgischen Geschlechts, herausgegeben von Friedrich
Albert Graf v. Schulenburg auf Klosterroda. Wien 1821. Anhang I. Wien
1823. S. 46—48.
1) F. S.A.H. an Lucchesini 21. Januar 1793. Rep. 92 Lucchesinis Nach-
laß 37. Schulenburg an Lucchesini 16. Januar 1793.
2) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 31. Haugwitz an Lucchesini 21. Januar.
3) Sybel III 181; Sorel III 315; H.E.B. 315—316.
4) Man merkt gerade diesen Worten an, wie sehr hier der König in-
teressiert war. An Lucchesini 31. Dezember.
5) Vi veno t II 733; Sybel III 182.
6) Berichte Lucchesinis 26. und 28. Dezember 1792 und 4. Januar 1793.
Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium 26. Dezember. Rep. 9 — 272
Rapports I. Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium 28. Dezember.
An Lucchesini 31. Dezember 1792 und 3. Januar 1793. Rep. 92 Cesars
Nachlaß 21. Lucchesini an Cesar 29. Dezember.
436 IV. Abschnitt
diese Vorsicht nicht mehr für nötig, sondern beriet ihn in einer
Konferenz vom 30. Dezember als eine auch für Preußen schon
feststehende Tatsache, noch bevor er die entscheidende Nach-
richt aus Petersburg hatte.
Lucchesini war schon schwerer von der österreichischen Ehr-
lichkeit zu überzeugen1). Er fügte dem Briefe Friedrich Wilhelms
an den Kaiser vom 30. Dezember einen Passus ein, demzufolge
Friedrich Wilhelm erwarte, daß Österreich sich nach den Haugwitz
gegebenen mündlichen Versprechungen richten werde ; sonst könne
er an die Fortsetzung des Krieges nicht denken2). Als er gar von
dem Verfahren Österreichs gegenüber England und Rußland er-
fuhr, da will er in seinem Zorn gar keine Grenzen gekannt haben.
Er sah im Geiste schon Preußen und das Reich von Frankreich
durch eine Barriere getrennt, die das neue Königreich Burgund
und die geplanten österreichischen Erwerbungen auf französische
Kosten bilden sollten3).
Das Kabinettsministerium endlich sah in all den gewundenen
österreichischen Erklärungen nur den Wunsch, die Sache in die
Länge zu ziehen und Preußen zur kräftigen Teilnahme an dem
Kriege zu bringen, ehe es seinen Anteil in Polen erhielt4). Alles
schien zusammenzukommen, um den Ministern, die bisher noch
gezweifelt hatten5), Gewißheit zu geben: Die Langsamkeit der
österreichischen Antwort, Österreichs Absicht, selbst ein Stück
von Polen zu besetzen, die späte Expedition des Ratifikations-
dekretes nach Regensburg, die Verzögerung des Marsches der
Truppen, die Mitteilung nach England, der Plan einer Reise der
österreichischen Generale Wurmser, Ferraris und womöglich auch
Clerfayt nach Berlin zur Beratung des neuen Feldzugsplanes.
Sie sahen in dem österreichischen Verfahren bewußte Unehrlich-
keit und wollten wenigstens das Ihrige dazu tun, sie unschädlich
zu machen, um sich später keine Vorwürfe machen zu müssen6).
1 ) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12, L. Au Roi 25. Dezember. Bericht
Lucchesinis 28. Dezember.
2) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12, L. Au Roi 31. Dezember. Bericht
Lucchesinis 31. Dezember. Rep. I 174 Briefwechsel: Friedrich Wilhelm
an Franz 30. Dezember.
3) Bericht Lucchesinis 4. Januar. An Lucchesini 11. Januar.
*) Ich bemerke jedoch, daß es sein Urteil auf Grund der Depeschen
vom 18. und 19. Dezember abgibt.
6) An Lucchesini 17. Dezember. An Haugwitz 17. Dezember. An
Goltz 18. Dezember.
6) Haugwitz' Bericht 18. Dezember. An Haugwitz 25. Dezember. An
Lucchesini 24. und 27. Dezember 1792, 3. und 11. Januar 1793. An Goltz
Wien 437
Sie verlangten daher ein neues Ultimatum nach Wien, das den
Österreichern nur noch eine bestimmte Frist gab. Sonst gelang
es diesen wirklich, den preußischen Schatz zu vernichten, und
das war für Österreich ja ebensogut wie die Eroberung einer
Provinz. Von Parität konnte jetzt, wo Österreich die Nieder-
lande erst zurückerobern müsse, keine Rede mehr sein. Preußen
verlangte sein Recht. Als die Depesche von 19. Dezember be-
kannt wurde mit der österreichischen Antwort auf die preußische
Note und dem Erlaß an L. Cobenzl, da wurden die Minister in
ihrer Anschauung nur bestärkt. Die österreichischen Bedingungen
schienen die preußische Besitznahme ad Kalendas Graecas zu
vertagen und für den Tausch eine preußische Verpflichtung oder
Garantie zu fordern, die Preußen nicht geben konnte. Auch als
später aus Wien etwas bessere, aus Petersburg aber gute Nach-
richten da waren, versäumte das Kabinettsministerium — es
handelte ja ziemlich selbständig — keine Gelegenheit, den Öster-
reichern zu Gemüte zu führen, daß es mit der Antwort auf die
Merler Note durchaus nicht zufrieden sei, daß es sich aber an
die mündliche Versicherung des Kaisers halte1), der preußischen
Besitznahme in Polen vor der Eröffnung des neuen Feldzuges
zuzustimmen gegen die Verpflichtung Preußens und Rußlands,
den Tausch zu billigen2). Es erteilte dem preußischen Vertreter
in London, Jacobi, Befehl, Stadion genau auf die Finger zu sehen,
da Österreich die Besitznahme der preußischen Entschädigungen
stören wolle3). Damals war die Sorge in Berlin aufs höchste
gestiegen und ganz mit Recht.
Denn Haugwitz hatte sich völlig getäuscht, er hatte seine
persönliche Leistung überschätzt. Stadion erhielt tatsächlich den
Befehl, auch ohne Preußens Zustimmung, selbst gegen dessen
Befehl, vorzugehen. Nicht nur das erste Schreiben Ph. Cobenzls
sollte er dann mitteilen — damit hatte sich Haugwitz, immer
10. Januar. An Cesar 7. und 10. Januar. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 14.
F. S.A. Au Roi 25. Dezember. Rep. 9— 272 Rapports I, P.S. zu F. S.A.
Au Roi 25. Dezember.
1) Zu seinem größten Bedauern war sie nicht schriftlich gegeben
worden (an Lucchesini 3. Januar).
2 ) Das letztere war eine Unvorsichtigkeit Schulenburgs (Lucchesini sagt :
Sehr geschickt!) Rep. XI 89 varia 1790—1796. Ph. Cobenzl an Schulenburg
2. Januar. Schulenburg an Ph. Cobenzl 10. Januar. Rep. 92 Lucchesinis Nach-
laß 14 VII. An Lucchesini 10. Januar. Bericht Lucchesinis 16. Februar.
3) An Lucchesini 11. Januar. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 III.
An Jacobi 11. Januar.
438 IV. Abschnitt
die preußische Genehmigung vorausgesetzt, in der Tat einver-
standen erklärt1) — worin auch schon Entschädigungsforderungen
der Mächte für die Kosten im allgemeinen angemeldet wurden,
vor allem aber das Verhältnis der Mächte zu Frankreich nicht
ganz richtig gekennzeichnet wurde — nein, auch die Nachschrift
dazu war ostensibel gedacht, und dagegen hatte Haugwitz gerade
protestiert2). Aber das teilte Österreich seinen anderen Ver-
tretern im Auslande natürlich nicht mit3), da ja die öster-
reichisch-preußische Freundschaft in möglichst hellem Lichte er-
scheinen sollte. In ihr war der Tausch und seine angeblichen
Vorteile auch für England und Holland in breitester Weise er-
örtert, und von Preußen hieß es, es wolle noch kräftiger als bisher
am Feldzuge teilnehmen — eine Unwahrheit — aber nur wenn es
vorher für seine Kosten entschädigt werde, und auf französische
Kosten gehe das eben nicht. Man erwartet unwillkürlich eine
Fortsetzung des Satzes mit der positiven Angabe, aber sie fehlt,
und mit gutem Grunde. Wozu brauchte man das noch auszu-
sprechen, was sich jeder sowieso schon an den fünf Fingern ab-
zählen konnte und wonach England besonders sich schon voller
Sorge erkundigt hatte! Außerdem würden sich ja Preußen und
Rußland — ■ denn auch dessen Anspruch auf Entschädigung wird
wärmer als der preußische begründet, so daß der Graf Rasumowski
in der Tat mit dem Erlaß zufrieden sein konnte — selbst darüber
erklären. Damit wurde wohl der letzte Zweifel daran erstickt,
wo Preußen seine Entschädigung suchen werde. Aber Österreich
behielt formell die Möglichkeit, zu behaupten, von ihm sei das
Geheimnis nicht verletzt worden. Nur das letzte Stück mit der
Ausführung über die preußischen und die russischen Pläne sollte
wegbleiben, wenn Jacobi keinen Auftrag zur Mitteilung erhielt.
Ein Vertrauensbruch wurde also scheinbar vermieden, aber den
Tauschplan erfuhr England trotzdem, ebenso die Absicht Preußens,
sich gleichfalls für seine Kosten schadlos zu halten. Es war also
nur Spiegelfechterei, und dasselbe gilt für einen vertraulichen
Erlaß an Stadion, der für Haugwitz und Reuß umgeändert wurde,
so daß wenigstens der Anschein gewahrt blieb, als gingen Öster-
reich und Preußen zusammen vor4). Die Grundzüge konnte man
x) Berichte 18. und 21. Dezember. Vivenot II 717, 730, 732.
2) Bericht Lucchesinis 4. Januar. An Goltz 10. Januar.
3) Vivenot II 717, 730, 732.
4) Die Änderungen sind bei Vivenot II 7 15 durchaus unzureichend,
manchmal geradezu irreführend gekennzeichnet. Vgl. die Abschrift bei
Wien 439
aber damit doch nicht treffen, wie die preußischen Minister in
Berlin wohl erkannten. Kleine Mittel halfen nichts.
Aber, wird man sagen können, diese Erlasse kamen erst An-
fang Januar nach London; eine englische Gegenaktion konnte
also vor Ende Januar in Petersburg nicht gut beginnen, und was
konnte sie schaden, wenn Österreich, Preußen und Rußland einig
waren! Daran jedoch fehlte es eben. Noch nicht einmal Preußen
und Rußland waren einig, und Österreich suchte diesen Fall
nach Kräften hinauszuschieben, u m den Engländern die Mög-
lichkeit zu verschaffen, einzugreifen. Diese Tatsache wiegt bei
weitem schwerer als die erste. War es in England vor allem der
Wunsch, seine eigenen Pläne zu befördern, so bei Rußland, die
des Verbündeten zu hintertreiben, damit er nur ja nicht allein
oder auch nur vor Österreich den Lohn für seine Mühe ein-
streiche.
Zunächst mußte sich Österreich bei Rußland entschuldigen
Wegen der vorzeitiger! Mitteilung des Tauschplans in England1).
Dies wisse doch schon davon und würde nur Verdacht schöpfen,
wenn man es länger im ungewissen darüber lasse. Man müsse
also den günstigen Augenblick ergreifen und den Engländern die
österreichische Ansicht beibringen. Rasumowski habe diesen
Schritt auch schon als berechtigt anerkannt2). Dem folgte der
Entschädigungsplan, in dem man nicht, wie es Haugwitz ver-
sprochen worden war3), auf eine eventuelle Besetzung Polens
durch Österreich verzichtete, falls Tausch und polnischer Plan
nicht gleichzeitig durchgeführt werden könnten, und überhaupt
keine andere Möglichkeit offen ließ; ferner die Aufforderung,
seine eigenen Absichten zu äußern und zu dem nächsten Eeldzug
Truppen zu schicken.
Soweit waren die Erlasse noch ostensibel gedacht. Aber jetzt
kam erst das wahre österreichische Gesicht zum Vorschein4). Mit
dürren Worten erklärte man, Österreich befinde sich in der Zwangs-
lage, die preußischen Absichten öffentlich billigen, um seine Teil-
nahme am nächsten Feldzuge zu erlangen, und sie geheim hindern
der Depesche von Haugwitz vom 21. Dezember 1792 in Rep. I 170, dazu
V i v e n o t II 721.
1 ) V i v e n o t II 721.
2) ibid. II 732.
3) Der am 19. dem Grafen Haugwitz mitgeteilte Erlaß war unverän-
dert geblieben (V i v e n o t II 720). Preußens Einwilligung wurde aber
trotzdem an Reuß gemeldet (II 732).
4) Vi veno t II 722; Sybel III 182—185.
440 IV. Abschnitt
zu müssen, da sie dem österreichischen Interesse zuwider seien1).
Einmal habe Preußen die Zession von Ansbach-Bayreuth ab-
gelehnt, und da müsse der preußische Anteil stark verkleinert
werden, da man mit jener Abtretung gerechnet habe (das ist
falsch). Die wirkliche Besetzung Polens durch die Mächte sei
zwar eventualiter zu verabreden, aber vorläufig noch zu ver-
schieben. Sollte sich jedoch Preußen wirklich nicht länger hin-
halten lassen, so könnten ja wegen der Unruhen in Polen öster-
reichische und preußische Truppen einrücken. Insbesondere,
wenn russische Truppen aus Polen nach dem Rhein abmarschierten,
um am Kriege gegen Frankreich teilzunehmen, könnten statt ihrer
österreichische und preußische einrücken, scheinbar nur, um Ord-
nung und Ruhe aufrecht zu erhalten. Damit hätte dann Öster-
reich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Endlich sollte
Rußland den Preußen die Besetzung nur unter zwei Bedingungen
gestatten, daß sie nämlich den Krieg gegen Frankreich mit aller
Kraft weiterführten und die Ausführung des Tausches nach dem
Friedensschluß garantierten.
Nun tat aber Österreich einen Schritt zurück und erfüllte
scheinbar die von Haugwitz gestellte Forderung; es gab damit
seinem Vorgehen den Anschein einer Konzession an die Russen2).
Wenn Rußland und Preußen den Tausch garantierten, dann wolle
Österreich auf eine Besetzung polnischen Gebietes ganz ver-
zichten und habe auch deshalb noch nichts von der Größe des-
selben gesagt, wozu es ja erst die Größe des preußischen Anteils
kennen müsse. Alle Gründe gegen eine Garantie werden nun
mit vieler Beredsamkeit zu widerlegen versucht. Nicht nur die
alte Freundschaft zwischen Österreich und Rußland sollte dies
bestimmen, auf diese Wünsche einzugehen — man drohte sogar3).
Denn wie die Dinge auch ausgehen mochten, Rußland verlor
seinen beherrschenden Einfluß auf Österreich — der Gedanke
von Cobenzl und Spielmann aus dem Juli taucht in veränderter
Gestalt wieder auf. Preußen ist dabei nicht mehr der intime
Freund, sondern eventuell der scharfe Rivale, aber England ist
in die Rechnung mit eingetreten. Die Russen sollten sich selber
sagen, daß Rivalität zwischen Preußen und Österreich für sie
besser sei als Einigkeit. Deshalb sollten sie den Tausch begün-
1) Heigel II 82; Ssolowjoff 311—312. Vgl. auch den un-
veränderten Erlaß an Stadion (V i v e n o t II 715: 22. Dezember).
2) Vivenot II 723. Bericht Cesars 3. Januar 1793.
3) Vi veno t II 724.
Petersburg 44 \
stigen, ja garantieren. Aber welches Gewicht konnte Rußland
solchen Drohungen beilegen, wenn die Österreicher sich ihm zu-
gleich in einer Weise in die Hand gaben, die einer völligen Preis-
gabe einer selbständigen Politik mindestens in Polen ähnlich sah!1)
Katharina wurde damit in der Tat zur absoluten Gebieterin in
der polnischen Frage. Ihr starres Festhalten an dem ursprüng-
lichen Plan gegenüber Preußen scheint mir nur hieraus erklärlich
zu sein.
So löste sich das bisherige System völlig auf. Anfänge zu
einer Neubildung waren vorhanden, bedurften aber noch der
Zeit, um völlig ausreifen zu können. Drei Monate später war
der Systemwechsel entschieden, nicht ganz in dem Sinne Cobenzls
— er selbst stürzte dabei. Der Grund ist ein doppelter: Die Vor-
gänge in Frankreich und ihre Rückwirkung auf Europa, ferner
die zweite polnische Teilung zwischen Preußen und Rußland mit
Ausschluß von Österreich. Denn alle diese Künste von Philipp
Cobenzl waren ergebnislos gewesen, schon deshalb, weil man zu
lange gezögert hatte. Als das Kabinettsministerium die Nach-
richt von Haugwitz von der scheinbar glücklichen Lösung seiner
Aufgabe erhielt, da hatte es schon die Depesche von Goltz, die
das Eingehen Katharinas auf den Plan Preußens meldete. Diesen
entscheidenden Vorgängen müssen wir uns jetzt zuwenden.
3. Kapitel
Petersburg
I.
Es war den Preußen nicht so leicht gefallen, wie Friedrich
Wilhelm in seinem Briefe an Katharina vom 17. Oktober es dar-
zustellen für gut hielt, sich dazu zu entschließen, bei Rußland
zuerst ihre Forderung vorzubringen und damit die Entscheidung
diesem zu überlassen. Aber die österreichische Hartnäckigkeit
schien keinen anderen Ausweg zu lassen. Dazu bot der Abschluß
der Allianz eine besonders günstige Gelegenheit, mit Rußland
sich auch in diesem Punkte zu einigen2). Dabei gab Preußen zur
1 ) S y b e 1 III 184.
2) Politisches Journal 1792, S. 1134 — 1135. Man beachte den deut-
lichen Hinweis auf die Hoffnung, ein Stück Land für Preußen zu er-
442 IV. Abschnitt
Erleichterung des Geschäftes gleich mehr als deutlich seine Be-
reitwilligkeit zu erkennen, den Russen auch ein tüchtiges Stück
zu verschaffen1). Daß dabei die Ukraine zuerst herankommen
werde, schien sicher2). Seien erst einmal Preußen und Rußland
einig, so werde Österreich nicht mehr länger den Spröden spielen3).
Um einen Grund zum Einmarsch war man nie verlegen4). Das
Treiben von Descorches, mit dem früher unter anderen Ver-
hältnissen Lucchesini und der schwedische Gesandte Engeström
zusammen gearbeitet hatten, und dem antirussisch gesinnten Teil
der Bevölkerung5), die erfreulicherweise zahlreichen Grenzver-
letzungen oder der eventuelle Ersatz der Russen, die an den
Rhein geschickt werden könnten (also ein ähnlicher Gedanke wie
bei Österreich im Dezember), boten den Preußen stets einen An-
laß. Alopeus wurde daher instruiert, man müsse eventuell in
Polen zur eigenen Sicherheit einen Kordon ziehen, und gab das
als schon beinahe selbstverständlich weiter6). Aber Preußen
wollte eine ausdrückliche Billigung, und sie blieb aus. Es kostete
Katharina ja nur noch ein Wort, und Preußen ließ seine Truppen
einrücken?). Dies hatte also tatsächlich das Spiel aus den Händen
werben, und die Selbstverständlichkeit, mit der die neue pohlische Ver-
fassung seit dem erfolgreichen Vorgehen der Russen aufgegeben wird.
Vgl. dazu S. 1290, 1379; Jahrgang 1793, S. 45^6.
*) Ssolowjoff 294—295. An Goltz 17., 30. November, 3. und
18. Dezember. Berichte 1./12. Oktober, 24. November/5. Dezember.
2) Berichte von Buchholtz 21. November, 12. Dezember.
3) An Goltz 28. September, 1. und 21. Oktober, 3. November. An
Lucchesini 29. Oktober. Bericht 14./25. September.
4) Politisches Journal 1792, S. 956—957, 985—988, 1242.
5 ) S m i 1 1 II 530—531 ; Ssolowjoff 302—303. Politisches
Journal 1792, S. 1119—1120, 1237—1238, 1289, 1346. Berichte von Buch-
holtz 3. November, 27. Oktober, 31. Oktober, 24. November. An Buch-
holtz 4., 20., 25. November. An Lucchesini 25. März 1792. An Goltz
3., 8. und 25. November. Rep. 9 — 272: Friedrich Wilhelm an das Kabi-
nettsministerium 18. November. Rep. 96, 147 G III: F.S.A. AuRoi 24. No-
vember. Korrespondenz mit Möllendorff in Rep. 9 — 272.
6) Rep. XI Rußland 133 B. Alopeus an Schulenburg 27. September.
7) Bericht Lucchesinis 16. November. An Goltz 1., 8. Oktober, 3.,
8., 17., 22., 25. November. An Lucchesini 4. November. Bericht von Goltz
19./30. November. Es versteht sich unter diesen Umständen ganz von
selbst, daß die preußischen Rüstungen nicht eine Drohung sein konnten.
Das Geheimnis wurde vor den Russen absichtlich nicht gewahrt. (Rep.
9 — 272 Rapports I. Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium 9. und
10. November. Rep. 96, 147 G in. F.S.A. Au Roi 14. November. An
Goltz 15. November. Heigel II 79.)
Petersburg 443
gegeben. Das konnte deshalb so gefährlich werden, weil Preußen
beide polnische Parteien gegen sich hatte, Rußland aber nur
eine1). Diesem blieb also die Möglichkeit, sich mit jener ohne
oder sogar gegen Preußen zu verständigen. Daher mußte man
in Berlin nachher, beinahe ohne mit den Wimpern zu zucken,
sich in die schweren russischen Bedingungen fügen2). Der Vor-
schlag Lucchesinis, vorläufig nur zu vereinbaren, daß man teilen
wolle, und dann gleich die Truppen einrücken zu lassen, über
Größe der Stücke und Art der Teilung sich aber erst später
zu einigen, wie es bei der ersten Teilung gewesen sei (?), fand im
Kabinettsministerium keine günstige Aufnahme, da Katharina
ausdrücklich den bloßen Einmarsch für schädlich erklärt habe3).
Nicht die österreichische, sondern die russische Zustimmung war
nun aber die Hauptsache. Der König hatte zunächst beabsichtigt,
seine Truppen in Polen einrücken zu lassen, sowie er sie in den
Händen hatte4). Haugwitz wollte den König veranlassen, Möllen-
dorff den Befehl zu geben, sofort nach der österreichischen Zu-
stimmung einzurücken. Es gelang jedoch den Vorstellungen
Lucchesinis, der scheinbar die Leitung des Königs Ende Oktober
für kurze Zeit hatte an Haugwitz abtreten müssen5), und nament-
lich denen des Kabinettsministeriums, den König dahin zu
bringen, daß das Kabinettsministerium sofort nach Eingang der
Meldung aus Petersburg (die österreichische erwartete man dann
*) Politisches Journal 1792, S. 1178—1179.
2) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß Nr. 37. Schulenburg an Lucchesini
16. Dezember. Berichte Lucchesinis 2. und 3. Dezember. Rep. 96, 147 G III.
F. S.A. Au Roi 24. November. So kann man denn nicht sagen, daß sich das
Schicksal Polens an den Rhein- und Mainufern entschied (Ssolowjoff
292). An den Ufern der Newa fiel die Entscheidung. Häußer I 436.
3) Rep. XI 89 k. Lucchesini an Schulenburg 8. Oktober. An Lucchesini
3. Dezember. Berichte 15./26. Oktober, 22. Oktober/3. November, 26. Ok-
tober/6. November, 29. Oktober/9. November, 2./13. November.
*) Bericht Lucchesinis 10. November. Friedrich Wilhelm an das Kabi-
nettsministerium 9. und 10. November (in Rep. 9 — 272 Rapports I). An Luc-
chesini 17. November. An Haugwitz 20. November. Rep. 96, 147 G III:
F.S.A. Au Roi 17. November. Rep. 9— 272 Rapports I: Friedrich Wilhelm
an das Kabinettsministerium 26. Oktober. Ibid. Korrespondenz mit Möllen-
dorff: Friedrich Wilhelm an da^> Kabinettsministerium 27. Oktober. An
Möllendorff 5. und 6. November. Möllendorff an das Kabinettsministerium
5. und 6. November. Friedrich Wilhelm an Möllendorff 27. Oktober. Möllen-
dorff war an das Departement für das einzelne verwiesen worden.
5) Berichte Lucchesinis 23. — 26. Oktober, 6. November und 20. No-
vember. Vgl. oben.
444 IV. Abschnitt
schon zu haben) den Truppen den Befehl erteilen sollte, die
Grenze zu überschreiten1). Nun aber trat die Frage bestimmt
hervor: Wieviel sollte man fordern?
Erinnern wir uns an die Absicht Friedrich Wilhelms im März,
das ganze linke Weichselufer zu annektieren, um den rechten
Maßstab für die Art der Eroberung zu gewinnen. Widerstand
erwartete man in diesem Koloß nicht zu finden. Man brauchte
sich scheinbar nur zu bücken, um zu nehmen, soviel wie man
wollte2). Preußen werde im Gegenteil eher noch als der Erretter
erscheinen (vgl. oben). Irgendwelche Gedanken an die Nationalität
der neuen Untertanen und an ihre Keligion hatte man nicht;
ebensowenig machte man sich einen Begriff von den schweren
Aufgaben, die ein derartiger Gebietszuwachs der preußischen
Verwaltung stellen mußte. In keiner Weise dachte man an die
Assimilierung der neuen Provinzen an das Stammland. Das ist
vielleicht der schwerste Vorwurf, den man rückblickend erheben
könnte ; aber ihn wirklich erheben, bieße doch die damalige Lage
aus einem schiefen Gesichtswinkel betrachten und auch den tat-
sächlichen Zwang der Lage wie die Gesetzmäßigkeit historischen
Geschehens verkennen. Preußen durfte Rußland nicht zum
Herrn über ganz Polen werden lassen, ohne sich den schwersten
Gefahren auszusetzen3), und lange war es sein Ziel, sich eine
militärisch wie wirtschaftlich geschlossene Grenze zu verschaffen.
Da es Widerstand nicht erwartete und auch nicht fand, so ging
es über das Maß des Nötigen hinaus, und erst nach manchem
Hin- und Herwogen hat sich politisch das Gleichgewicht der
Kräfte hergestellt, als dessen Ausdruck die heutige Grenze wohl
betrachtet werden darf.
Gering waren die Anforderungen also nicht, mit denen Preußen
an die Lösimg der Frage heranging. Die Minister schraubten sie
1) Berichte Lucchesinis 10., 20., 24. November. An Lucchesini 17.,
19., 22. November. Rep. 9 — 272 Rapports I. Friedrich Wilhelm an das
Kabinettsministerium 21. November. Rep. 96, 155 E. Bericht Haugwitz'
4. Dezember.
2) S o r e 1 II 443. An Goltz 17. November, 1. Dezember, 18. Dezember,
22. Januar 1793. Bericht 19./30. November. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß
40 III. Buchholtz an Lucchesini 13. Februar 1793 1 Wenn Möllendorffs Kordon
fertig ist, toute cette comedie sera finie. Rep. XI 89 k. Schulenburg an
Lucchesini 29. Dezember 1792: la täche de Pologne doit etre finie en six
semaines, temps qui lui (Möllendorff) suffira pour diriger l'entree et la
dislocation de son corps de troupes.
3) H e i g e 1 II 79.
Petersburg 445
allerdings in der Mainzer Konferenz — es ist die erste genauere
Angabe, die ich finde — auf ein bescheideneres, zugleich aber
erreichbares Maß zurück: Danzig und Thorn, dazu die Palatinate,
die Preußen von Schlesien trennten, Gnesen, Posen und Kaiisch,
einen Teil Sieradiens, endlich Kujavien (vgl. oben). Darin sah
man ein Äquivalent für den bayrischen Tausch. Als nun aber
der Gedanke der Zuwage auftauchte, war es Haugwitz, der in
einem Berichte vom 16. August die Wage in die Hand nahm
und jeder Partei für die verschiedenen Fälle die Größe ihres
Anteils bestimmte. Er ging dabei ganz naturgemäß von Öster-
reich aus; denn für Preußen brauchte man die Grenze nur weiter
zurück- oder vorzuschieben. Er unterschied dabei drei Fälle:
1. Wenn Österreich nur einen Grenzstrich im Hennegau erhielt,
sollte Preußen die beiden Städte und einen Strich von Czen-
stochau an der Warthe entlang erhalten (noch war der Regierungs-
bezirk Posen polnisch). 2. Konnte Österreich den Tausch durch-
führen, so verlangte Preußen das Gebiet von Czenstoch.au- über
Sietzkow, Rawa nach der Mündung des Bug in die Weichsel
und von da in gerader Richtung nach Soldau. 3. Gab Preußen
aber den Österreichern noch die Markgrafschaften, so hatte es
Anspruch auf das ganze linke Weichselufer1). Wir wissen, daß
der dritte Fall infolge der preußischen Weigerung von selbst aus-
schied. Der erste kam noch nicht in Betracht. Es blieb also bei
Nr. 2. Daß die preußische Linie auch noch das halbe Land Weljun
von Polen abtrennte, hatte Schulenburg in Mainz wohl anzu-
geben vergessen. Haugwitz schien dabei den preußischen Anteil
doch unverhältnismäßig groß bemessen zu haben. Es ist auf
Schulenburgs Rechnung zu setzen, daß für Preußen im wesent-
lichen Haugwitzens Ansatz Nr. 1 in Vorschlag gebracht wurde,
getreu jenen Äußerungen Schulenburgs in Mainz. Der König er-
teilte ihm nämlich den Befehl, vermutlich am 27. oder 28. August,
nach seiner Rückkehr nach Berlin durch Goltz ein Gebiet fordern
zu lassen, das bis zu der Grenze Lipow (?) (westlich von Soldau
an der preußischen Grenze), Bolkowa (nordwestlich von Plozk),
Plozk, Gostynin (südwestüch von Plozk), Sleszyn, Grshegorshew
(östlich von Kolo), Uniejow an der Warthe, Warta, Sirads,
Wielcki (?) (nördlich von Weljun), Gorzow(?) (an der schlesischen
Grenze östlich von Kreuzburg) reichte. In einer Konferenz vom
27. September wurde der Erlaß an Goltz (vom 28.) festgestellt,
x) Rep. I 170. Bericht Haugwitz' 16. August. H.E.B. 292—296.
446 IV. Abschnitt
d. h. in einer Zeit, in der man in Berlin noch auf eine rasche,
glückliche Entscheidung in dem Kriege gegen die Revolution
hoffte1). Eine gewonnene Schlacht wäre die beste Nachricht
gewesen, die man sich auch hierfür nur hätte wünschen können2).
Schulenburg bedurfte übrigens zwar noch sehr der Schonung
und Ruhe und war zeitweise in ganz trostloser Stimmung, wollte
aber auf ausdrücklichen Wunsch des Königs wenigstens die
polnische Frage noch selbst zum Abschluß bringen3).
Nun war aber die genaue Kenntnis des polnischen Landes
noch nicht sehr weit verbreitet. Die Minister schickten daher
an Goltz unter einem falschen Namen (Johann Müller) nebst
anderen Karten eine solche von Polen, die 1790 ein gewisser
Müller in Wien (zu beachten!) herausgegeben hatte (sie erwies
sich nachher als ziemlich unbrauchbar), und zur größeren Vor-
sicht ließ man den Brief von einem Beamten schreiben, der sonst
mit der russischen Korrespondenz nichts zu tun hatte, und mit
einem Privatpetschaft versiegeln. Lucchesini scheint mit der
ganzen Frage bis jetzt noch nichts zu tun gehabt zu haben. Er
war für die Lösung einer ganz anderen Aufgabe ausersehen.
Auch Alopeus sollte noch nichts davon erfahren4); Lucchesini
bat ihn nur, Rußlands Erklärung über Polen möglichst zu be-
schleunigen5). An Österreich wurde wohl deshalb keine besondere
Mitteilung über die Größe mehr gemacht, weil man sich im
wesentlichen an die schon früher angegebene Grenze hielt und
deshalb scheinbar auf seine Ehrlichkeit pochen konnte, und ge-
rade das ist der beste Beweis dafür, daß man jetzt Österreich
von dem Geschäft vorläufig ausschließen wollte6).
Nun scheiterte aber der erste Feldzug. So gern man auch
in Berlin wie im Hauptquartier eine Fortsetzung des Krieges
vermieden hätte7), so stellte sich jetzt doch für Preußen die Not-
1 ) An Lucchesini 30. September. Alvensleben an Marconnay 28. Sep-
tember. An Goltz 28. September.
2) Bericht Lucchesinis 21. September. H.E.B. 297—300. Rep. XI
89 k. Schulenburg an Guionneau 29. September.
3 ) Rep. XI 89 k. Schulenburg an Cesar 4. und 9. Oktober, an Caraman
3. November, an Goltz 9. September, an Hardenberg 10. November. Rep.
92 Lucchesinis Nachlaß 37. Schulenburg an Lucchesini 13. November,
16. Dezember 1792, 8. Januar 1793. Politisches Journal 1792, S. 1085—1087.
*) An Lucchesini 30. September und 8. Oktober.
5) Lucchesinis Bericht 21. September.
6) An Goltz 28. September.
7) Rep. XI 89 k. Schulenburg an Tauenzien 11. Oktober 1792.
Petersburg 447
wendigkeit heraus, einen zweiten zu führen. Da mußte dann
selbstverständlich auch mehr gefordert werden. Wir erkennen
die Hand von Haugwitz in der Kabinettsorder vom 26. Oktober,
in der das Gebiet innerhalb einer Linie Czenstochau-(Inowlodz)-
Rawa-(Wyszogrod)-Soldau verlangt wird1). Außer dem bisher ge-
forderten Anteil war noch das fehlende Stück von Sieradien, das
Land Czenstochau, das Palatinat Lentschiza und Teile derjenigen
von Plozk und Rawa dabei2). Es wurde also der Rest Kujaviens
und fast ganz Großpolen (es fehlte die Hälfte von Rawa) und
noch Stücke anderer Gebiete gefordert (halb Plozk, Czenstochau).
Haugwitz hatte dabei zwar auch nebenher das Ziel im Auge,
Schlesien militärisch besser zu decken; aber das war doch nur
ein Grund für die Auswahl, nicht für die Größe des Gebietes,
und sie war das Entscheidende3). Es scheint mir außer Zweifel,
daß Haugwitz dabei nicht nur an die Kosten für einen zweiten
Feldzug gedacht hat, sondern auch an eine Vergrößerung
des preußischen Anteils, um bei der österreichischen Zuwage,
die jetzt mehr als je anerkannt wurde, nicht zu kurz zu kom-
men4).
Friedrich Wilhelm hatte zu der Forderung gar keine weitere
Erklärung gegeben. Es war diejenige des Kabinettsministeriums,
dem jedoch der Brief Friedrich Wilhelms an Katharina beträcht-
lich eher bekannt war als die neue Forderung (26. Oktober bezw.
3. November), daß Goltz bei der ersten Linie stehen bleiben,
wenn Preußen nach dem ersten Feldzug ausscheide, die zweite
fordern solle, wenn Preußen 1793 in gleicher Stärke am Kriege
teilnehme5). Der König billigte diese Auslegung seiner Befehle,
die aus der Sorge entsprungen war, Katharina könne eine sonst
völlig unbegründete Mehrforderung zurückweisen und überhaupt
in ihrem Ärger der Sache eine andere Wendung geben. Denn so
sehr das Kabinettsministerium Goltz in jedem Erlaß gedrängt
x) Rep. 9— 272 Rapports I.
2) Von ganz geringfügigen Teilen anderer Palatinate kann ich hier
absehen. An Haugwitz 4. November. Rep. 96, 147 G III. F. S.A. Au Roi
4. November. Rep. XI Rußland 135 A. Schulenburg 4. Januar 1793. An
Lucchesini 28. Januar 1793. Lelevelll 164.
3) Bericht Lucchesinis 10. November 1792.
4)HäußerI 398; S y b e 1 II 359; S s o 1 o w j o £ f 301. Bericht
Lucchesinis 10. November.
5 ) Schulenburg 26. Oktober. An Goltz 27. Oktober und 3. November.
An Lucchesini 29. Oktober und 4. November. An Haugwitz 4. November.
Rep. 96, 147 G III. F. S.A. Au Roi 4. November.
448 IV- Abschnitt
hatte, entsprechend seiner Instruktion bei Ostermann seinen An-
trag zu stellen, weil es an guten Nachrichten wirklich nicht
fehlte1), so ängstlich war es jetzt wieder geworden, da es die
schlechte Wirkung fürchtete, die der Fehlschlag des ersten Feld-
zuges in Petersburg erzielen werde2). Es galt, sie möglichst ab-
zuschwächen, indem man die Schuld an dem Scheitern den
Elementen zuschob und für das nächste Jahr einen kräftigen
neuen Versuch versprach3). Wie konnte man aber gleichzeitig
mit der Meldung der Niederlage seine Forderungen steigern?4)
Schon gut, wenn man vorläufig die erste Linie erreichte und
nicht alles hinfällig wurde5). Die Entsendung einer polnischen
Deputation nach Petersburg schien zu antipreußischen Umtrieben
Gelegenheit genug zu geben6). Ausdehnen ließ sich das Okku-
pationsgebiet immer noch, und bei den Verhandlungen würden
sich so wie so noch kleine Zugaben ergeben?). Nur die Rücksicht
auf die geplanten eigenen Erwerbungen, denen man in Preußen
gleich von Anfang an große Ausdehnung zuschrieb, konnte
Katharina scheinbar schon jetzt zur Annahme der zweiten Linie
günstig stimmen. Man mußte aber auch zufrieden sein, wenn
man weniger erhielt8).
Dazu hatte nun Katharina in der Tat gewissen Anlaß, auf
die Mächte, besonders auf Österreich, zu zürnen. Dies beob-
achtete über die Entschädigungsverhandlungen ein unerklärliches
Stillschweigen, und die geliebten Emigranten wurden von beiden
Mächten nicht so gut behandelt, wie Katharina es wünschte ; ins-
besondere der Plan der Regentschaft war an ihrem Widerstände
gescheitert. Endlich verlangten sie — das ging besonders gegen
Österreich, das die Preußen in dieser Frage vorangehen ließ9) —
1) An Goltz 5., 8., 19., 21. Oktober.
2) An Lucchesini 22. und 29. Oktober, 4. November. An Goltz 25.
und 27. Oktober. Friedrich Wilhelm an Katharina 17. Oktober. Rep. XI
89 k. Schulenburg an Lucchesini 21. Oktober.
3) Es war dann gar nicht so schlimm, wie man es sich in Berlin aus-
gemalt hatte. (S s o 1 o w j o f f 300—301. Bericht 12./23. Oktober.)
4)HäußerI 436.
5) Berichte Lucchesinis 10. und 16. November.
6) Bericht Lucchesinis 18. November.
') An Lucchesini 17. November.
8) An Lucchesini 4. und 8. November. Rep. 96, 147 G III. F. S.A.
Au Roi 4. November. Berichte Lucchesinis 10. und 16. November.
9) Auch Breteuil hatte von sich aus davon gesprochen (Fersen
II 307).
Petersburg 449
nun Truppenhilfe1), wo Katharina, ihrem Wunsche nachgebend,
sich zu einer Geldzahlung bequemt hatte2). Wenn nun auch
der gewandte Lucchesini diese durch Nassau übermittelten Vor-
würfe geschickt zu entkräften wußte, so blieb doch ein gewisser
Groll immer zurück. Und wenn auch Nassau wider Erwarten
der Preußen seinen Berichten eine für sie günstige Wendung gab,
so waren doch immer noch die Emigranten und ihr Beschützer
Romanzow, vielleicht auch Valerian Subow, zu fürchten3). Da
konnte denn in der Tat ein Sieg der Preußen über Custine nicht
nur militärisch sehr wichtig werden und den preußischen Ruhm
wieder herstellen, sondern auch Rußland dazu günstig stimmen,
den Preußen ihre Entschädigung sofort zu gewähren4). Aber die
Sache hatte sich durch die russische Weigerung zum Nachteil
Preußens dahin verschoben, daß nicht die preußische Besitznahme
zur Bedingung für die Fortsetzung des Krieges wurde, sondern
umgekehrt diese die Bedingung für jene5). Da schien denn den
Preußen sehr zu statten zu kommen, daß die Instruktion, vom
28. September noch gar keine praktische Bedeutung gewonnen
hatte6). Goltz hatte bisher in seiner Vorsicht noch keinen Ge-
brauch davon gemacht.
Ludwig Cobenzl, sein österreichischer Rivale, mit dem er
nicht durch seine Schuld auf so gespanntem Fuße stand, daß er
dessen Abberufung als den größten Gewinn betrachtet hätte7),
1 ) Als Kuriosum möchte ich erwähnen, daß Preußen nach der zweiten
Teilung in Petersburg vorschlug — 2000 Kosaken von den in Polen stehenden
Truppen an den Rhein zu schicken, um durch sie — schon ihre Tracht
schien dazu sehr geeignet zu sein — Schrecken in Frankreich zu verbreiten
und dem Feldzug eine entscheidende Wendung zu geben (Rep. 96, 147
H I. F. S.A. Au Roi 14. Februar 1793. Rep. XI Rußland 135 A. Friedrich
Wilhelm an das Kabinettsministerium 20. Februar 1793. An Goltz 28. Fe-
bruar und 31. März. Berichte 1./12. März und 4./15. März). Auch das
war vergebens. Rußland tat nichts.
2) Ssolowjoff 372. Bericht 5./ 16. Oktober. An Goltz 8. November.
3) Bericht Lucchesinis 6. November. An Lucchesini 8., 12. — 14., 24. No-
vember. An Goltz 8. November. L. Au Roi 1. November. Rep. 92
Lucchesinis Nachlaß 12. L. Au Roi 12. November. Bericht Lucchesinis
10. Dezember P.S. m Lucchesinis Nachlaß 14.
4) Die Nachricht von der Einnahme Frankfurts kam aber erst nach
der Entscheidung in Petersburg an. Bericht 10./21. Dezember 1792.
5) Bericht Lucchesinis 6. November. An Lucchesini 12. — 14. November.
An Goltz 27. Dezember.
6) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 37. Schulenburg an Lucchesini 13. No-
vember.
7) Bericht 31. August/11. September.
H ei d rieh, Preußen im Kampfe gegen die französische Eevolution 29
450 IV. Abschnitt
gehörte zu dem kleinen Kreise der Vertrauten Katharinas, die
sie zu allerlei festlichen Veranstaltungen hinzuzog1). Die Minister
folgten in der Art, die Gesandten zu behandeln, ganz natürlich
ihrer Herrin. Goltz witterte nun hinter jedem derartigen Besuch
eine diplomatische Intrigue, argwöhnte geheime russisch-öster-
reichische Separatverhandlungen2) und glaubte sich auch von
seinem eigenen Hofe zurückgesetzt. Für den Abschluß des Ver-
trages hatte er aus Berlin nichts bekommen3). Gesellschaftlich
konnte er sowieso mit Cobenzl nicht konkurrieren4) und ließ sich
auch durch eine gelegentliche Liebenswürdigkeit von Katharina
nicht zu einer Änderung seiner Ansichten bewegen5). Er schlug
mit diesen Klagen beim Kabinettsministerium bezw. beim König
wirklich gleich eine bessere Behandlung heraus — man brauchte
ihn jetzt sehr nötig — und vor allem die Aussicht auf eine tüchtige
Belohnung bei günstigem Abschluß6). Cobenzl ließ auch keine
Gelegenheit vorübergehen, ohne ihm die österreichischen Forde-
rungen nachdrücklich vorzulegen7). Besonders bestand er auf
der Abtretung der Markgrafschaften als einer conditio sine
qua non.
Goltz übersah in dieser Lage beinahe geflissentlich die gün-
stigen Anzeichen, die er selbst meldete. Ostermann sprach ja
sogar schon von einer Vollmacht; es konnte nur die von Goltz
gemeint sein8). Er meinte, die Lage sei noch zu gefährlich, und
hielt sich in jeder Weise zurück. Er sagte nichts wegen der Ver-
teilung der polnischen Truppen an der preußischen Grenze, die
man in Berlin so unangenehm empfand9). Er wollte nur ganz
leise die Interessen Kurlands zur Sprache bringen, die Friedrich
Wilhelm ihm persönlich anempfohlen hatte10). Er wollte endlich
x) Memoires posthumes du Feld-Marechal Comte de Stedingk rediges
par le General comte de Bjömstjerna (Paris 1844) II 2.
2) Bericht 3./14. September.
3) Rep. XI 89 k. Goltz an Schulenburg 29. September/10. Oktober.
Schulenburg an Goltz 27. Oktober.
*) An Lucchesini 17. November und 24. Dezember.
8) Bericht 14./25. September 1792.
6) Bericht 26. November/7. Dezember. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12.
L. Au Roi 23. November.
7) Bericht 3./14. September. An Goltz 1. Oktober.
8) Berichte 14./25. September, 1./12. Oktober, 5./16. Oktober, 12./23. Ok-
tober. An Lucchesini 8. Oktober.
9) Bericht 3./14. September.
1 °) Das schadete am allerwenigsten (an Goltz 5. und 8. Oktober,
10. November, 29. Dezember). Politisches Journal 1792, S. 1178—1179, 1287.
Petersburg] 451
die Entschädigungsfrage erst dann anfassen, wenn er genauere
Instruktionen hatte als bisher (er hörte nicht auf, um sie zu
bitten) und wenn er sich des russischen Entgegenkommens
sicherer fühlte1). Dazu erklärten die Russen, von Cobenzl bestärkt,
erst dann weitergehen zu können, wenn der österreichische
Kurier mit genauen Instruktionen da sei2). Die einzige Schwierig-
keit bot in der Tat die Frage der Entschädigung Österreichs;
für Preußen und Rußland konnte es wirklich nicht viel zu ver-
handeln geben3). Goltz begnügte sich daher damit, das preußische
Verlangen in immer deutlicherer Weise allgemein erkennen zu
lassen4).
Als die lange erwartete österreichische Ratifikation des Ver-
trages mit Rußland endlich eintraf, ohne daß Cobenzl zugleich
Instruktionen über den Entschädigungsplan erhielt, aber die
Reise Spielmanns ins Hauptquartier bekannt wurde, da hoffte
Goltz schon, die ganze Verhandlung werde nun dort geführt
werden. Er atmete auf6), eine schwere Last schien von ihm
genommen zu sein. Er sah jetzt nur sie, nicht die Ehre, die für
ihn dabei zu gewinnen war, ganz abgesehen von materiellen Vor-
teilen, auch nicht den Vorteil, den sein Staat erlangen konnte.
Er ähnelt darin in gewisser Weise dem Herzog von Braunschweig.
Aber da er nur ausführendes Organ seiner Vorgesetzten war, so
vermochte er nicht so viel zu schaden. Aus Berlin, wo man seine
kleinmütige Gesinnung schon kannte6), ergingen an ihn absicht-
lich recht zuversichtliche Weisungen, in denen mit Lobsprüchen
für ihn nicht gekargt wurde, wo man innerlich doch recht bange
war und auf den saumseligen Goltz zürnte7). In seiner Hoffnung
wurde er deshalb auch bald enttäuscht. Aber seine Instruktion
veranlaßte ihn nicht, die günstige Stimmung Ostermanns wahr-
zunehmen, der gegen L. Cobenzl immer kälter, gegen Goltz immer
1) Berichte 7./18. September, 14./25. September, 28. September/O.Ok-
tober, 12./23. Oktober. An Goltz 10. November.
2) Berichte 17./28. September— 2./13. November.
3) Bericht 26. Oktober/6. November. Kep. XI Rußland 133 B. Alo-
peus an Schulenburg 27. September.
4) Bericht 15./26. Oktober.
5) Berichte 21. September/2. Oktober und 12./23. Oktober. An Lucche-
sini 18. Oktober. An Goltz 19. Oktober.
6) Rep. XI Rußland 133 B. Alvensleben 12. November, Finckenstein
12. November.
7) An Goltz 10., 12., 25., 30. November, 1. und 9. Dezember. An
Lucchesini 8. und 12. November.
452 IV- Abschnitt
liebenswürdiger geworden war. Nur schrittweise wollte er vor-
gehen, noch eine Instruktion für ministerielle Eröffnung ab-
warten1).
Das war nun wirklich überflüssige Ängstlichkeit, und vor
allem: Katharina war von Friedrich Wilhelm auf Goltzens Er-
öffnungen als wohl schon erfolgt hingewiesen worden. Man hatte
jetzt auch Alopeus eingeweiht. Längeres Zögern von Goltz konnte
also nur schaden, nichts nützen. Goltz wurde kategorisch an-
gewiesen, dem Vizekanzler die betreffenden Eröffnungen zu
machen2). Trotzdem erhielt er zu seiner Beruhigung noch eine
besondere Vollmacht vom 8. November für die Verhandlungen
über die Entschädigung und die eventuelle Fortsetzung des
Krieges3). Dazu kam nun noch die englische Eröffnung, wonach
man eine Vermittlung, aber vor allem den Versuch fürchtete,
die polnische Teilung zu hintertreiben, die Mächte zu entzweien4).
Denn mochten die Russen sich immerhin ein Stück von Polen
aneignen — Danzig und Thorn durften nie und nimmer in
Preußens Hände fallen, wenn nicht der Weichselhandel den
Engländern verschlossen werden sollte. Derartige praktische
Interessen trieben die Engländer an, im Namen der Humanität
gegen die Zertrümmerung des polnischen Staates zu protestieren.
Jetzt galt es keinen Augenblick zu verlieren, um Rußland nicht
kopfscheu werden zu lassen. Preußen wollte sich das Verdienst
sichern, den Russen die Mitteilung hierüber zuerst und sie auf die
Gefahr aufmerksam gemacht zu haben; aber es schwächte ge-
flissentlich die Bedeutung ab und betonte, wenn Preußen, Ruß-
land und Österreich einig seien, könne England doch nichts tun5).
Den Einwand endlich, daß erst Preußen und Österreich einig
sein müßten, ehe Rußland sich erklären könne, lehnte es mit
der Bemerkung ab, daß Preußen nichts gegen Österreich,
sondern alles für diese Macht tun werde, daß Tausch oder
*) Bericht 1./12. Oktober.
2) An Goltz 27. Oktober P.S.
3) Das Original folgte nach der Unterzeichnung durch den König.
An Goltz 8., 17., 22. November. An Lucchesini 19. und 22. November.
Rep. 96, 147 G III. F. S.A. Au Roi 8. November. HäußerI436;Smitt
II 521.
*) Sorel III 218. An Lucchesini 23. November und 10. Dezember.
Bericht Lucchesinis 27. November. An Haugwitz 23. November. An Goltz
23. November. Rep. 9— 272 Rapports I. F. S.A. Au Roi 22. November.
Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium 3. Dezember.
5) Rep. 9— 272 Rapports I. F. S.A. Au Roi 23. November.
Petersburg 453
Säkularisationen im Reich, gegen die bei preußisch-österreichisch-
russischer Einigkeit niemand etwas machen könne, oder bei der
Fortsetzung des Krieges Eroberungen auf Frankreichs Kosten
Mittel genug böten. Eine Zuziehung Österreichs zu der polnischen
Teilung liege in dem Interesse von keiner der drei Mächte.
Namentlich Rußlands Interesse schien damit gewahrt zu werden1).
Goltz erhielt gleichzeitig das Material, um den Verleumdungen
der Emigranten entgegenzutreten, die die außerordentlichen
preußischen Geldopfer am liebsten geleugnet hätten2). Dazu
teilte man ihm den Marsch der Verstärkungen an den Rhein
mit und die Mobilmachung der gegen Polen bestimmten Truppen,
die man öffentlich als gegen Frankreich bestimmt bezeichnete3).
Wenn eine Steigerung des Tones der preußischen Befehle
noch möglich war, so wurde sie jetzt erreicht4). Es traf sich gut,
daß Friedrich Wilhelm, den Goltzens Bericht vom 19./30. Oktober
in neue Sorge versetzt hatte, die Abreise von Valerian Subow
benutzte, um vertraulich an Katharina zu schreiben, aber natür-
lich entwarf Lucchesini den Brief5). Er entwickelte ihr die Gründe
für das Vordringen der Franzosen, teilte seine Absicht mit, kräftig
einen zweiten Feldzug zu führen, gedachte dabei seiner schon
bisher großen Aufwendungen auch für die Emigranten und stellte
höflich, aber bestimmt, seine Forderung dafür. Er verfehlte nicht,
ihr zu schmeicheln, indem er sie auf eigene Eroberungen in Polen
hinwies, um dort endlich Ruhe zu schaffen, und schickte ihr auf
einen Wink Nassaus außer einem kostbaren Schmuckstück nach
österreichischem Muster für Piaton Subow — er vermied jedoch,
den Namen zu nennen — den Schwarzen Adler6).
Inzwischen hatte sich aber Goltz nun doch schon am Abend
des 9. November erklärt7). Nach seinen zahlreichen Andeutungen
x) Bericht von Goltz 15./26. Oktober. An Goltz 10., 17., 19. November,
1. Dezember. An Lucchesini 1. Dezember.
2) An Goltz 12. November.
3 ) An Goltz 15. November. Ssolowjoff 302.
4) An Goltz 22. — 23. November, 25. November. An Lucchesini 29. No-
vember, 1. Dezember etc.
5) Berichte Lucchesinis 16., 18. und 24. November. Rep. 92 Lucchesinis
Nachlaß 12. L. Au Roi 20. und 21. November.
6) Die Minister unter sich 12. November. An Goltz 12., 22., 30. No-
vember. An Lucchesini 12. November. Bericht Lucchesinis 24. November.
Rep. 96, 147 G III. F. S.A. Au Roi 22. Dezember. Bericht von Goltz
28. Dezember 1792/8. Januar 1793. Friedrich Wilhelm an Katharina
21. November 1792.
7) Cobenzl hatte natürlich wieder noch keine Nachrichten.
454 IV. Abschnitt
brauchte er in der Tat nur noch die letzte Hand ans Werk zu
legen. Er gab Ostermann die Karte, auf der die neue preußische
Grenze eingetragen war, aber nicht nach den Instruktionen vom
26. Oktober und vom 3. November, sondern nach denen vom
28. September; es handelte sich also um die erste Grenze.
Da Ostermann natürlich diese kleinen Städte nicht alle kannte
— viel Ahnung von der Geographie scheint er überhaupt nicht
gehabt zu haben — gab Goltz ihm noch ein Verzeichnis der neuen
Grenzorte. Das Los war geworfen. Kußland bedurfte wirklich
nicht mehr des so begehrten preußischen Chiffres, um hinter
dessen Geheimnisse zu kommen; es gab für Rußland hierin keins
mehr1). Nach allem schien die Entscheidung rasch fallen zu
müssen2).
Aber zum großen Erstaunen von Goltz, von allen Preußen,
wich Ostermann aus. Er nahm die Sache nur ad referendum.
Er kenne Katharinas Ansicht nicht genau genug, spreche daher
nur für sich, sehe aber sehr viel Schwierigkeiten, die einen raschen
Entschluß wohl verhindern würden, so die militärischen Erfolge
der Franzosen (das ging Wohl besonders auf die Preußen!), die
Schwierigkeit, für Österreich etwas Passendes zu finden, und
endlich die Anwesenheit der polnischen Deputation. Man könne
auch nicht so mir nichts dir nichts seine den Polen gegebenen
Versprechungen brechen, müsse doch irgend einen Grund dafür
angeben. Jedenfalls brauche Katharina noch Zeit; sie liebe es
nun einmal nicht, sich so rasch zu entscheiden, und Goltz müsse
also etwas Geduld haben8). Was war an diesen Einwänden be-
gründet, was nur Vor wand? Wie stand Rußland in der zweiten
Hälfte des Jahres 1792 zu dem Gedanken einer neuen polnischen
Teilung?
II.
Es scheint mir außer allem Zweifel, daß Katharina in dieser
Zeit stets an dem Plan einer Teilung festgehalten hat4). Es galt
1) Wassiltchikow II 4, 164.
2) Berichte 29. Oktober/9. November und 2./13. November.
3) H äußer I 436. Bericht 2./13. November.
4) Sybel (besonders III 168—169, 192—193; vgl. dazu S m i 1 1 II
495—497 und 521 ff.; Ssolowjoff 304; Sorel III 316; Clapham
174 — 176 und 215; Marwitz I 83 — 86) sucht nachzuweisen, daß die
Polen selbst erst durch ihre politische Uneinigkeit und Unfähigkeit, dazu
die unabwendbaren Forderungen der Mächte Katharina veranlaßt hätten,
die Teilung wirklich vorzunehmen. Dabei scheint er mir aber doch die
Petersburg 455
für sie, ihre eigene Macht dauernd und gut fundiert zu vergrößern.
Ganz Polen im Zaume zu halten, hätte außerordentlich viel Opfer
gekostet und den selbstverständlichen Widerstand von Preußen
und Österreich herausgefordert. Für den Augenblick war es
jedenfalls nur ein schöner Traum, und Katharina begnügte sich
daher vorläufig mit einem — allerdings recht tüchtigen — Stück
aus dem Kuchen. Ich glaube nicht, daß sie sich von dem Ge-
Bedeutung des russischen Zögerns zu überschätzen und die Instruktion
für Sievers vom 22. Dezember 1792/2. Januar 1793 für ein intimes Akten-
stück zu halten. Das ist nun ganz sicher nicht der Fall (S m i 1 1 II 521 ff. ;
S s o 1 o w j o f f 306—310; Blum, Sievers III 455—457 und 468—469
Instruktion für Igelström. Dazu 38 ff.). Es ist eine Rechtfertigung der
russischen Politik, die immer bloß das Beste für Polen gewollt habe, aber
u. s. w. Ferner ist zu erwägen, daß Katharina es womöglich vermeiden
wollte, sich selbst zu erklären, und schon deshalb abwartete, daß die Mächte
es täten, in dem richtigen Gedanken, daß sie dann die Leitung in die Hand
bekomme. Es war nicht ihre Schuld, daß Österreich so lange mit seiner
Antwort zögerte, daß sich Katharina mit Preußen allein verständigte.
Der positive Beweis dafür liegt in den Anträgen von Alopeus im preußischen
Hauptquartier Anfang Oktober nach einer Weisung Ostermanns vom
3. September und gedruckt in einem Briefe Markows an Rasumowski
vom 4./15. Oktober, in dem er darauf drängt, daß Österreich sich rasch
entscheide; sonst gewinne Preußen in Petersburg Einfluß, und den Schaden
davon habe nicht Rußland, sondern Österreich (W assiltchikow II
4, 161 — 162). Endlich, sogar der vorsichtige preußische Gesandte Goltz
war sicher, daß Rußland trotz aller scheinbaren Uneigennützigkeit eine
polnische Teilung wünsche (Bericht 14./25. September. H.E.B. 319.
Bericht 24. September/5. Oktober). Einen interessanten Ausdruck findet
dieses scheinbare zeitweilige Zurücktreten der Teilungsgedanken bei Ruß-
land in den Briefen Woronzows aus London. Er teilte ja in diesem wie
auch in anderen wichtigen Punkten nicht die Ansicht seiner Regierung.
Im Frühjahr 1792 konnte er sich nicht genug gegen die bevorstehende
Teilung ereifern. Dazu fürchtete er noch langen Widerstand Polens und
allerlei unangenehme Zwischenfälle. Aber der Krieg war rasch zu Ende,
und von der Teilung wurde es still. Da atmete er auf. Um so schlimmer
wirkte dann die Enttäuschung im Winter und im Frühjahr 1793. An
Worten stärksten Tadels über die russische Politik fehlt es deshalb in
seinen Briefen wirklich nicht. Ich habe schon hervorgehoben, daß sein
Urteil mehr den Engländer als den Russen verrät (W orontzow IX
239—244, 249, 252—254, 257—258, 283—294, 302—303). Vgl. auch
Worontzow XVIII 57 — 58. Der Briefschreiber Kotschoubey befand
sich in der nächsten Umgebung der Kaiserin, sprach aber noch nicht ge-
radezu von einer Teilung, vermutlich weil er die ihm bekannten Ansichten
Woronzows schonen und den Ereignissen nicht vorgreifen wollte. Das
Gleiche scheint mir von einem Briefe Markows zu gelten, worin er wohl
auch seinen Widerspruch gegen die Teilungspläne stärker als richtig darstellt,
vor allem aber seine Feindschaft gegen Preußen hervorhebt, und darin
war er ja mit Woronzow einig. Worontzow XX 27 — 32 und 46 — 54.
■SA
456 IV. Abschnitt
danken hat bestimmen lassen, sie habe die Glieder der ortho-
doxen Kirche von der Herrschaft der Katholiken zu befreien
und damit das zerstückelte Rußland zu einigen1). Bei der Freundin
Voltaires und Diderots, der ursprünglich deutsch-protestantischen
Prinzessin würde man einen derartigen Fanatismus auch nicht
annehmen dürfen. Sie selbst hat uns berichtet, daß in ihr ein
ganz anders gearteter Fanatismus glühte. Macht wollte sie er-
langen, herrschen. Nur weil ihr dazu die religiöse Einigkeit der
Untertanen2), und damit ist hier die nationale identisch, ein er-
wünschtes, gutes Mittel bot, verwandte sie diese Idee, ohne sich
nachher von dem Glaubensunterschied abhalten zu lassen, sich
auf den Rest der Beute zu stürzen, als die Gelegenheit ihr dies
zu fordern schien3).
Aber der Augenblick war von Preußen zur Erklärung in der
Tat recht ungünstig gewählt. Ich stehe nicht an, die von Oster-
mann angeführten Gründe als richtig anzuerkennen. Der Krieg
gegen Frankreich war gescheitert, und noch war über seine Fort-
setzung nichts entschieden — ein wichtiger Punkt für die Stellung
Katharinas4). Trotz ihres Unwillens über die schlimmen Nach-
richten aus Paris und von der Kampagne und der starken Ein-
wirkung auf ihr Gemüt kann aber keine Rede davon sein, daß
deren Ausgang wesentlichen Einfluß auf ihre Pläne gehabt hat5).
Auf die Reden von Subow hörte sie nicht. Esterhazys Unter-
stützung des spanischen Antrages, die allen Tatsachen keck
widersprach, entlockte ihr keine ernsthafte Maßregel6). Wenn
1 ) Bericht 24. Dezember 1792/4. Januar 1793. Ssolowjoff
305—306 und 310; Sybel III 193.
2) Wassiltehikow II 4, 167—170.
3) Es ist doch ein merkwürdiger Gedanke Sybels, ihr die Ansicht
zuzumuten, sie habe durch ihren Schritt eine Teilung Polens durch die
deutschen Mächte ohne ihre Zuziehung verhindern wollen (Sybel III 193).
4) Vgl. auch M a r w i t z I 60 und 83.
5) Ssolowjoff 301; Märten s, Traites-Russie VI 161 ; S b o r-
nik XXIII 578; Sorel III 316. Berichte 31. August/11. September
und 12./23. Oktober. Worontzow VIII 62 und XVIII 38, 41, 44,
46-48, 50—51, 64—67; dazu Blum, Sievers III 17—18.
6) Sie konnte nur die Emigranten nicht sofort fallen lassen, immer
geringer wurde ihr politisches Interesse an ihnen. Note Esterhazys vom
4./15. Oktober. Russische Antwort vom 19./30. Oktober. Berichte
26. Oktober/6. November, 16./27. November, 19./30. November, 24. No-
vember/5. Dezember. An Goltz 22. November und 18. Dezember. W o-
rontzow VIII 63 und 71 (6./17. Juli 1793): On est deja las de cette
revolution et on ne lit les nouvelles que par habitude.
Petersburg 457
sie gar zu ungestüm an die versprochene Teilnahme am franzö-
sischen Kriege gemahnt wurde, so wies sie auf ihre starken
Rüstungen hin, um Polen, Türken und Schweden im Zaum zu
halten — nicht ohne eine gewisse Berechtigung, da es an Um-
trieben gegen Rußland nirgends fehlte1). In Schweden nahm die
Hinneigung zu Frankreich doch schon bedenkliche Formen an.
Ein Wort Katharinas hätte genügt, um die Preußen zur Be-
setzung von Schwedisch-Pommern schreiten zu lassen2). Nament-
lich in Konstantinopel gärte es; auch ohne Semonville gab es
dort Unruhe genug, angeblich Rüstungen gegen Rußland, jeden-
falls Widerhaarigkeit gegen Österreich in der Frage der Heraus-
gabe Chotins und der endgültigen Ausführung des Friedens von
Sistowa-Jassy3). Die Tradition und das Interesse wiesen stark
auf Frankreich hin, gleichviel welche Regierung dort am Ruder
war. Aber das war hauptsächlich ein Vorwand, um sich Ruhe
zu schaffen4). Ebensowenig konnten Katharina die Unruhen in
Polen überraschen. Sie nahm hier denselben Standpunkt ein
wie Preußen, sich eher darüber zu freuen als zu ärgern; boten
doch derartige Schreiereien (in der Hauptsache waren sie harm-
loser Natur) den besten Vorwand zum Einmarsch5). Als sie sich
noch die kostspielige polnische Deputation nach einer völlig be-
deutungslosen, ganz offiziellen Audienz am 3./14. November vom
Halse geschafft hatte, war sie auch hierin nicht mehr gehemmt.
Sie erklärte, nicht mehr die Garantin, sondern die Verbündete
Polens zu sein6). Aber sie ließ durch Subow wiederholt alle Ge-
1 ) H.E.B. 349; W o r o n t z o w XX 33—36.
2) Ob sie daraus wieder abgezogen ■wären, scheint mir sehr zweifelhaft.
Lescure II 634. Rep. 9 — 272 Rapports I. F. S.A. Au Roi 1. Dezember.
An Goltz 3., 20., 27. Dezember. Bericht 24. Dezember 1792/4. Januar 1793.
3) Vivenot II 737; Sorel III 136—139, 157—158, 301—305;
F e r s e n II 40.
*)WassiltchikowII 4, 165—166; Vivenot II 760; Sso-
lowjoff 368—371.
5) Es kann gar keine Rede davon sein, daß sich Rußland oder Preußen
große Sorgen über diese revolutionären Anzeichen gemacht hätten. Der
Erfolg gab ihnen im nächsten Jahre nur zu recht (Sybel III 188 — 191;
Ssolowjoff 302—304. Berichte 19./30. November, 24. November/5. De-
zember und 5./16. Dezember).
6) Die Deputation bedankte sich bei Katharina für ihre tatkräftige
Unterstützung der Konföderation. Während ihrer Anwesenheit konnte
man füglich nicht eine Teilung ihres Reiches vornehmen. Politisches Journal
1792, S. 1115—1117, 1241, 1347—1348. Berichte 19./30. Oktober, 22. Ok-
tober/3. November, 26. Oktober/6. November, 2./13. November, 9./20. No-
458 IV- Abschnitt
rüchte von einer bevorstehenden Teilung dementieren1). Die
österreichischen Pläne ferner waren noch nicht genau genug
bekannt. Gerade hier konnte die Kriegslage stark ihren Ein-
fluß geltend machen.
Aber alles das waren eben nur Gründe, die Sache etwas
hinauszuschieben. Ostermann beruhigte Goltz sofort, als dieser
seinen Unwillen in ungewohnt deutlicher Weise zu erkennen gab.
Einige Wochen des Wartens vergingen so. Es waren für Preußen
die gefährlichsten, da gleichzeitig Österreich ihm unerwartete
Schwierigkeiten machte. Besonders an seiner geplanten Be-
setzung Polens schien alles scheitern zu können. Rußland brauchte
bloß diesen Vorwand zu ergreifen, um seinen Rücktritt von dem
Plan zu verschleiern, der es auch mit England in Kollision bringen
mußte2). Wenn man dessen nicht Herr wurde, wie konnte man
in Petersburg zum Abschluß kommen? Zwar war Alopeus von
der Armee nach Berlin zurückgekehrt, wie es das preußische
Kabinettsministerium gewünscht hatte3), scheinbar weniger auf
einen russischen Befehl, als weil mit dem Feldzuge auch der
Auftrag, sich bei dem Könige und der Armee aufzuhalten, er-
loschen war und die Verhandlungen wieder in Berlin geführt
werden sollten4); aber auch er hüllte sich noch in ein unheim-
liches Schweigen.
Dazu gewann erst nach der Eröffnung von Goltz Friedrich
Wilhelms Befehl vom 26. Oktober über die Größe des preußischen
Gebietes Bedeutung. Goltz gab ihn sofort am 15. oder 16. No-
vember weiter, und — es schien merkwürdig — Ostermann wieder-
holte ihm zwar die Gründe für eine Verzögerung der russischen
Antwort und betonte dabei schon in erfreulicher Weise die be-
sondere Notwendigkeit für Preußen und Rußland, sich zu einigen,
vember. 19./30. November. An Goltz 20. Dezember. Worontzow
XVIII 04—67; S y b e 1 HI 187; Häußerl 436; S y b e 1 III 191. An
Goltz 7., 14., 18. Dezember.
1) Oginski I 204 und 207 ff.
2) An Lucchesini 17. Dezember. An Haugwitz 17. und 25. Dezember.
Rep. 96, 147 G III. F. S.A. Au Roi 19. Dezember. Rep. 92 Lucchesinis
Nachlaß 14. F. S.A. Au Roi 25. Dezember.
3) An Goltz 5. und 25. Oktober, 17. November.
*) Rep. XI 89 k. Schulenburg an Alopeus 8. Oktober. Schulenburg
an Goltz 9. September. Lucchesini an Schulenburg 8. Oktober. Rep. XI
Rußland 133 B. Alopeus an Schulenburg 27. September und 8. Oktober.
Goltz an Schulenburg 21. September/2. Oktober. Rep. 92 Lucchesinis
Nachlaß 40 III: Alopeus an Lucchesini 24. Oktober.
Petersburg 459
aber über die Größe des preußischen Anteils sagte er kein Wort1).
Preußen drängte, es widerlegte alle Gründe für das russische
Zögern, fügte andere für rasche Entscheidung dazu. Ja, es drohte
ganz offen, so wie in der Merler Note, mit seinem Rücktritt vom
Kriege, wenn es nicht vorher entschädigt werde, und hier störte
der König das Kabinettsministerium nicht in seinem Vorgehen2).
Da war eine ministerielle, in sehr verbindlichen Formen vor-
gebrachte Eröffnung von Alopeus am 2. oder 3. Dezember ein
erstes verheißungsvolles Anzeichen. Katharina entschuldigte
darin ihr Zögern mit dem Ausbleiben der Nachrichten aus Öster-
reich, drängte auf kräftigen Krieg und erwartete Schritte beim
Reich und bei England, wo ihr Vertreter zu kräftigem Vorgehen
angewiesen sei. Besonders erfreulich war es, daß Alopeus aus-
drücklich für den Fall einer Einigung der drei Mächte auf Ent-
schädigungen für Rußland bestand und dafür an eine Depesche
Ostermanns vom 3. September erinnerte. Jetzt konnte Preußen
sein Verdienst recht kräftig in den Vordergrund stellen. Es war
alles schon geschehen, aber man wollte es noch einmal versuchen,
sich die neuen von den Franzosen gelieferten Gründe dabei zu-
nutze machen, wollte aber endlich Gewißheit. Denn die Besitz-
nahme sei eine conditio sine qua non für Preußens weitere Be-
teiligung am Kriege. Die Furcht, Österreich wolle sich in Polen
entschädigen, schien Rußland nach der Wiederaufnahme des
Tauschplans durch Spielmann nicht mehr drücken zu können3).
Man hoffte, daß Goltz schon die günstige russische Antwort habe,
und erklärte das russische Verlangen für durchaus gerechtfertigt4).
Alopeus tat das Seinige, um in Petersburg zu drängen5).
Rasumowski drängte in Wien ebenso6). Ostermann zeigte sich
1 ) Worontzow XX 31 — 32. Bemerkenswert scheint mir auch
der frühe Termin der Berufung von Sievers für den Posten eines Bot-
schafters in Warschau (Blum, Sievers III 21 ff.). Man dachte in Peters-
burg eben an gar keinen Widerstand gegen den preußischen Plan. Auch
in Petersburg wollte man die Teilung. Berichte 5./16. und 9./20. November.
2) An Goltz 1., 9., 14., 18. Dezember. H ä u ß e r I 437.
3) An Goltz 1. Dezember. H.E.B. 319—320. Rep. 9— 272: F. S.A.
Au Roi 1. Dezember.
4 ) Bericht von Goltz 12./23. November. Martens, Traites-Russie
VI 161—162. An Goltz 3. Dezember.
5) An Lucchesini 3. Dezember. Rep. 96, 147 G III: F. S.A. Au Roi
3. Dezember.
6) Bericht Haugwitz' 1. Dezember. Bericht von Goltz 24 Novem-
ber/5. Dezember. Bericht Cesars 3. Januar 1793. Sybel III 178.
460 IV. Abschnitt
trotz seines Schweigens entgegenkommender1) und verwies
immer wieder auf den österreichischen Kurier, der zum Ärger
der Russen, wie wir aus bester Quelle wissen, so lange auf sich
warten Heß2). In Petersburg scheint man ganz mit Recht an dem
Einvernehmen zwischen Österreich und Preußen stark gezweifelt
zu haben3). Endlich fragte Ostermann sogar, wie Preußen einen
so raschen Einmarsch beschönigen wolle und was man den Polen
auf ihre Klagen zu erwidern habe. Das war nur noch ein Mittel-
chen, Zeit zu gewinnen, da Rußland, wie Goltz gleich anfangs
bemerkte, sich diese Fragen schon längst vorgelegt haben mußte4).
Es fiel Goltz auch nicht schwer, darauf zu antworten. Gegen
England war man in Petersburg schon immer gereizt. Als jetzt
dessen Schritte in Berlin bekannt wurden, da konnten sie nur als
Einmischung in Sachen erscheinen, die England gar nichts an-
gingen. Mochte es sich nur lieber um die Franzosen kümmern,
die Holland bedrohten. Dieser Schritt hielt also Katharina nicht,
wie vielleicht ihren ängstlichen Vizekanzler Ostermann, zurück,
wie man in Berlin gefürchtet hatte und noch fürchtete, sondern
trieb sie sogar noch vorwärts5). Ebenso war es mit den gefähr-
lichen Meldungen aus Stockholm und Konstantinopel; aber es
bedürfte eines chronologischen Kunststückes, um einen Zu-
sammenhang herzustellen zwischen der Ermordung Ludwigs XVI.
und dem kriegerischen Vorgehen der Jakobiner gegen England
und der zweiten polnischen Teilung; diese war bereits im De-
zember entschieden, die Hinrichtung aber erst Mitte Januar.
Sie erfolgte erst zwei Tage vor der Unterzeichnung der Kon-
vention, und auch nach der französischen Kriegserklärung brach
England die Verhandlungen mit Frankreich nicht ab6). Frank-
reich konnte für seinen alten Verbündeten nichts tun und
schmiedete vergeblich kühne Pläne für die Zukunft, um wenig-
stens das jetzt unvermeidliche Ereignis später rückgängig zu
machen7). Subow ferner behandelte Goltz besser als seine Kol-
x) Bericht 9./20. November. An Goltz 7. Dezember. An Lucchesini
6. Dezember.
2) Berichte 12./23., 16./27., 19./30. November, 24. November/5. De-
zember. Wassiltchikow II 4, 161 ff.
3) Bericht 24. November/5. Dezember.
4) Berichte 2./ 13. November und 24. November/5. Dezember.
5) Berichte 10./21. Dezember, 21. Dezember 1792/1. Januar 1793,
24. Dezember 1792/4. Januar 1793. An Goltz 18. Dezember.
6) S y b e 1 III 195—196.
7) S o r e 1 III 304—306.
Petersburg 461
legen1). Marko w, der sich auch hier wieder als der gesprächigste,
aber auch als der hinterhaltigste erwies2), versprach, die Ant-
wort in wenigen Tagen zu beschafEen3). Besborodko hielt sich
wie stets auch hierin zurück — es mag dahingestellt bleiben, ob
bloß aus Bequemlichkeit oder weil er sich nicht exponieren wollte.
Der einflußlose und ängstliche Ostermann, der nur das Instrument
von Subow und dessen Berater Markow in dieser Frage war4),
bestätigte Markows Worte kurz darauf5). Zahlreiche Truppen
an der Grenze der Ukraine erhielten Befehl, sich marschbereit
zu halten6), und die vermutete Ernennung von Igelström zum
Oberbefehlshaber über die russischen Truppen in Polen an Stelle
von Kachowski versprach Gutes, da er über den preußischen
ähnliche Pläne im vergangenen Winter mit Goltz gesprochen
hatte?).
So waren denn alle Anzeichen günstig. Am 5./16. Dezember8)
konnte Goltz diesem trotz allem ungemütlichen Zustande ein
Ende machen mit der Meldung, Rußland gehe auf Preußens
Vorschlag ein9). Ostermann lüftete selbst den Schleier, der bis-
her über den Gründen für das russische Verhalten gelegen hatte.
Er gab zu, daß Katharina Türken und Schweden nicht fürchte
und daß man nach allem auf den österreichischen Kurier nicht
mehr zu warten brauche. Man hatte keine Lust, sich von Öster-
reich hof meistern zu lassen10). Der Rücksicht war es nun genug,
Preußen und Rußland konnten unterdessen ihre Geschäfte er-
ledigen, die jetzt keinen Aufschub mehr vertrugen. Die Teilung
1 ) Friedrich Wilhelms Aufmerksamkeit wurde aber erst später bekannt
(Bericht 28. Dezember 1792/8. Januar 1793).
2) Bericht 3./14. Dezember.
3) Bericht 26. November/7. Dezember.
i) Sie selbst erhielten wieder von Katharina direkt ihre Befehle.
(Berichte 14./25. Dezember 1792, 24. Dezember 1792/4. Januar 1793,
31. Dezember 1792/11. Januar 1793, 7./18. Januar, 16./27. März 1793.
Blum, Sievers III 32—33; S m i 1 1 II 493—494; Wassiltchikow
II 4, S. 4 und 14. An Goltz 3. Januar 1793. Worontzow VIII 52—53,
56 ff., 66—67, 72—74, 79—80, 85—86; XVIII 50—51 u. 60; XX 19—20, 30).
5) Berichte 30. November/11. Dezember und 3./14. Dezember.
6) Bericht 24. November/5. Dezember.
7) Berichte 30. November/11. Dezember und 3./14. Dezember.
8) Die Note Besborodkos darüber ist vom 2., d. h. 13. Dezember da-
tiert (Ssolowj off 305). Aber da Goltz einen Kurier zur Verfügung
hatte, so erhielt er zweifellos erst am 16. Kenntnis davon.
9) Smitt II 528—529; H.E.B. 320—321; Sybel III 194.
1 °) Wassiltchikow II 4, 167—171. Bericht Cesars 3. Januar 1793.
462 IV. Abschnitt
Polens mußte entschieden sein, bevor der neue Reichstag zu-
sammentrat. Schon wurden die Wahlversammlungen in den
Provinzen abgehalten1), im April sollte der Reichstag zusammen-
treten. Damit hätte dann die von Katharina anfangs begünstigte
Targowicer Konföderation festen Bestand angenommen2). Außer-
dem, jeder Tag kostete Rußland erhebliche Summen; wozu un-
nötig diese Ausgaben erhöhen?3)
Aber — das ist das Merkwürdige dabei — Rußland wünschte
das Geheimnis vor Österreich bewahrt zu wissen. Goltz hatte
sich zu Ostermanns Freude auf die allgemeine Mitteilung an
L. Cobenzl beschränkt, daß Rußland den Einmarsch der preußi-
schen Truppen gestattet habe4). Dies lenkte damit wieder in
die Bahn ein, der es etwa bis zum Juni gefolgt war. Der Grund
scheint mir nicht in dem Ärger über Österreichs Schritte in
London zu suchen zu sein, da diese erst im Januar in Petersburg
bekannt wurden, Ostermann sich aber am 16. Dezember er-
klärte5), sondern vor allem in der Furcht, Österreich könne sich
so ungeheuren russischen Forderungen widersetzen, die von
Polen in der Tat nur noch einen verhältnismäßig kümmerlichen
Rest übrig ließen; ferner in der Absicht der Österreicher, an der
Besetzung, wo nicht gar an der Teilung Polens selbst teilzu-
nehmen, von der Rußland nach Ostermanns Reden unterrichtet
war. Dagegen aber hatte Rußland stets protestiert6). Hatte es
bisher die Nachricht aus Wien erwartet, daß die deutschen
Mächte sich auf der schon im allgemeinen bekannten Grundlage
geeinigt hätten, um dann mit seiner Forderung hervorzutreten,
so wurde jetzt ein längeres Zuwarten gefährlich. Österreich mußte
zunächst beiseite geschoben und vor eine vollzogene Tatsache
gestellt werden. Mir scheint, daß Rußland auch nach einer
eventuellen Erklärung Österreichs zunächst mit Preußen allein
verhandelt haben würde. Von diesem war ein so heftiger Wider-
stand nicht zu erwarten, und auf Schnelligkeit kam jetzt viel
an. Damit ließ sich dann sehr gut Rücksicht auf Österreich bei
den Verhandlungen vereinigen7).
1) Bericht 16./27. November.
2)WassiltchikowII4, 161—165.
3) ibid. 164—165; V i v e n o t II 760.
*) An Cesar 29. Dezember. Bericht von Goltz 5./16. Dezember.
5)HäußerI 481.
6) Sorel III 316.
7) Wassiltchikow II 4, 164—166.
Petersburg 463
Katharina hatte trotz ihres Höhnens über die Leute, die nach
einem fehlgeschlagenen Feldzug Entschädigungen verlangten, die
preußische zweite Grenzlinie gebilligt; aber dafür erwartete sie
ein gleiches Verhalten ihren Ansprüchen gegenüber. Sie zog
eine Linie von Semgallen an der Düna bis nach Galizien in die
Nähe von Chotin und trennte damit von Polen ein Gebiet von
250 700 qkm ab. Preußen erhielt nur 58 730 qkm. Selbst wenn
man die Zahl der Einwohner der Berechnung zu Grunde legte,
so hatte Rußland immer noch beinahe den dreifachen Vorteil im
Verhältnis zu Preußen (3 Millionen und 1,1 Millionen)1). Nun war
auch hierbei der Gedanke der Parität in Rechnung gestellt2).
Ihm schien das russische Vorgehen doch gar zu sehr zu wider-
sprechen. Goltz hob es — bei seiner Vorsicht bemerkenswert —
zweimal hervor. Aber Ostermann verstand es mindestens ebenso-
gut wie die Österreicher, Gleichheit herauszurechnen, wo die Un-
gleichheit auf der Hand lag. Er verglich eben nicht die Aus-
dehnung, sondern den inneren Wert der Gebiete. Natürlich hütete
er sich wohl, diesen vagen Begriff weiter zu erläutern. Denn
mochte man auch den preußischen Anteil mit Recht für qualitativ
besser erklären, zu solch einem Unterschied berechtigte das doch
noch immer nicht3). Es ist schon möglich, daß Rußland auf eine
größere preußische Forderung, eventuell sogar auf Widerstand
gegen die seinige gerechnet hat4). Als Goltz dann eine Andeutung
machte5), man müsse die preußische Grenze weiter vorschieben
(er, der Vorsichtige, dachte an die Weichsellinie), da wurde Oster-
mann ungeduldig, und man verließ vorläufig dies Thema. Goltz
hatte damit jedenfalls seinem Hofe die Möglichkeit vorbehalten,
weitere Forderungen zu stellen, und mehr wollte er nicht. Nun
war noch ein heikler Punkt zu regeln. Das Kabinettsministerium
hatte die zweite Linie gefordert für den Fall, daß Preußen so
1 ) Brandenburger, Polnische Geschichte 171. S or e 1 III 316.
1793 S. 65.
2) Martens, Traites-Russie VI 161; Sorel III 316.
3) Rep. 96, 147 G III. F. S.A. Au Roi 27. Dezember. Rep. XI Ruß-
land 135 A. Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium 31. Dezbr. 1792.
4) Berichte 24. Dezember 1792/4. Januar 1793,31. Dezember/11. Januar.
An Goltz 21. und 22. Januar. Wenn man den Briefen Markows glauben
darf, so wurde der russische Anteil nur nach der Größe des preußischen
bemessen. Nur so schien die gefährliche preußische Vergrößerung einiger-
maßen unschädlich gemacht werden zu können (W orontzow XX
31—36, 40—54).
5)HäußerI 437.
464 IV. Abschnitt
kräftig wie bisher am Kriege teilnahm. Goltz fragte vorsichtig
an, ob das in der Konvention festgesetzt werden sollte. Da hätte
dann eine ähnliche Verpflichtung Rußlands nahegelegen, und da-
von wollten natürlich die Russen nichts wissen. Also war es am
besten, davon überhaupt nicht zu sprechen. Das wäre für Preußen
von außerordentlicher Bedeutung gewesen.
Die Anzeichen waren demnach durchaus gut, einem Einmarsch
der Preußen stand nach Rußlands Erklärung nichts mehr im
Wege. Beide Mächte hatten die Polen schon darauf vorbereitet.
Es mag dahingestellt bleiben, woher den Polen die Nachricht
davon zugekommen ist. Jedenfalls fragten sie in Berlin und in
Petersburg deswegen an. Die Antworten lauteten niederschmet-
ternd. Jeder Staat könne in seinem Gebiet machen, was er wolle,
und die Polen gäben ihren Nachbarn nur zuviel Anlaß zur Be-
sorgnis, sagten die Russen — von Rüstungen gegen Polen und
von einem Einmarsch sei ihnen offiziell nichts bekannt, das gehe
nur das Militärdepartement etwas an, die Preußen1). Kein
Wunder, wenn die Mitglieder der polnischen Deputation, ja alle
Polen in Petersburg, soweit sie nicht von Katharina ganz ab-
hängig waren, wie etwa der General Branicki, gegen Rußland
„Feuer und Flamme" spien und zum großen Teil abreisten, um
über eventuellen Widerstand zu beratschlagen2). Aber es blieb
natürlich beim Reden. Viel Köpfe, viel Sinne. Hier wie bei den
Emigranten wollte jeder kommandieren, niemand gehorchen, und
weite Kreise der Bevölkerung, die der bisherigen Unruhe und
Mißwirtschaft überdrüssig waren, standen einem preußischen Ein-
marsch mindestens nicht feindlich gegenüber3).
In Berlin und Frankfurt war helle Freude über den russischen
Entschluß4). Über so ein Weihnachtsgeschenk konnte man sich
auch schon freuen. Nun waren alle Besorgnisse, die das Ver-
halten Österreichs nur allzusehr gezeitigt hatte, grundlos ge-
worden. Man brauchte diesen sonderbaren Verbündeten nicht
mehr, und die politischen Verhältnisse zeigten wieder jenes Bild,
das der Natur der Dinge entsprach: Preußen mit Rußland im
1) Bericht 5./ 16. Dezember. An Goltz 20. und 23. Dezember. Be-
richte von Buchholtz 1. und 5. Dezember.
2) Berichte 5./16., 14./25. Dezember 1792, 13./24. Januar und 25. Ja-
nuar/5. Februar 1793.
3) 1793 S. 2—3.
4) Am 26. war die Nachricht in Berlin, in der Nacht vom 30. zum
31. in Frankfurt (Lucchesini an seine Frau 31. Dezember).
Petersburg 465
Bunde, halb gegen Österreich gewandt1). Der König schrieb an
die Berliner Minister : „Nun haben wir, Gott sei Dank, unser großes
Ziel erreicht; um dazu zu gelangen, hieß es sich anstrengen, und
wer nichts wagt, gewinnt nichts. Die Unruhe, die Ihnen Ihre
patriotische Besorgnis verursachte, ist also gegenstandslos ge-
worden, und ihr ist die Genugtuung gefolgt, unsere Arbeit von
dem glücklichsten Erfolg gekrönt zu sehen."
Das erste mußte nun sein, den Einmarsch zu regeln. General
MöllendorfE war schon um die Wende von Juni und Juli dafür
instruiert worden. Am 27. Oktober teilte ihm der König die
Linie mit, bis zu der er die Truppen vorschieben und die sich
mit der neuen preußischen Grenze decken sollte2). Am 8. No-
vember erhielt MöllendorfE den Befehl, mit der Mobilmachung
zu beginnen. Man brauchte jetzt also nur noch die letzte Hand
ans Werk zu legen. Nun gab jedoch das Kabinettsministerium
dem General nicht gleich den Befehl zum Einmarsch, wozu es
ja Vollmacht hatte, sondern wartete erst noch die Entscheidung
Friedrich Wilhelms ab. Aber diese kleine Verzögerung, die sich
nicht vermeiden ließ, benützte es, um zwei Dinge zu erlangen:
Eine Deklaration über den preußischen Einmarsch — damals
ein kapitaler Punkt — wurde entworfen, französisch und deutsch
gedruckt und mit dem Datum vom 6. Januar veröffentlicht, als
die preußischen Truppen sich in Bewegung setzten3). Am 16. Ja-
nuar wurde sie in Berlin den fremden Gesandten mitgeteilt, die
das schon erwartet zu haben schienen (auch Herr v. Zablocki
machte keine Ausnahme); am gleichen Tage überreichte Buch-
holtz sie in Warschau; am 22. erschien sie in der Zeitung. Man
wartete ferner noch die Abreise des russischen Generals Igelström
aus Petersburg ab4), damit MöllendorfE sich bei eventuellen
*) An Lucchesini 27. Dezember. Lucchesinis Bericht 31. Dezember.
Smitt II 529—530; Häußer I 437^39; Heigel II 73.
2) 1793 S. 1—2.
3) An Lucchesini 4. Januar. An Goltz 4. Januar. An Cesar 7. Januar.
Rep. 96, 147 H I. F. S.A. Au Roi 4. und 17. Januar. Rep. 92 Lucchesinis
Nachlaß 37. Schulenburg an Lucchesini 16. Januar 1793. Rep. 96, 147
G III. F. S.A. Au Roi 31. Dezember 1792. Rep. 9— 272 Rapports I. Friedrich
Wilhelm an das Kabinettsministerium 4. Januar 1793. Worontzow XX
33—36.
4) Die Reise von Sievers verzögerte sich zum großen Ärger der Preußen
(Rep. 9, 27 L A. An Buchholtz 13. Januar 1793. Die Minister unter sich
12. Januar) bis zum 16. Januar. Erst am 10. Februar war er in Warschau,
da er sich in Grodno aufhielt. Preußen hielt die Anwesenheit von Igel-
ström für genügend, besonders als es erfuhr, daß Sievers zum Nachfolger
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 30
466 IV. Abschnitt
Zwischenfällen gleich mit ihm ins Einvernehmen setzen könne1).
Am 21. Dezember verließ Igelström Petersburg, am 20. Januar
war er in Warschau, einen Tag darauf reiste Möllendorfl zur
Armee ab2). Am 14. traten die etwa 20 000 Preußen ihren Marsch
in sechs Kolonnen an3), am 24. passierten die ersten die polnische
Grenze bei Schwerin an der Warthe4). Widerstand fanden sie
so gut wie gar nicht, da etwaige polnische Gelüste, ihn zu organi-
sieren, von den Russen sofort im Keime erstickt wurden5). Es
blieb bei großartigen Worten, und dagegen hatten die Mächte
nichts einzuwenden6). Die polnischen Regimenter räumten vor
der Ankunft der preußischen ihre Quartiere7).
von Bulgakow ernannt und Igelström allein mit dem Kommando über die
Truppen betraut sei (S y b e 1 III 206; Blum, Sievers III 25 ff. und 50;
Nesselrodel 241;Smitt II 530. Rep. 96, 147 G III. F.S.A. Au Roi
27. Dezember. Rep. 96, 147 H I. F.S.A. Au Roi 4. Januar und 28. Januar 1793.
An Goltz 26. Dezember, an Buchholtz 28. Dezember. Bericht von Goltz
7./ 18. Januar, an Goltz 29. Januar. An Lucchesini 28. Januar. Rep. 9 — 27,
I A. Bericht von Buchholtz 13. Februar. Rep. 9 — 27a. Korrespondenz
mit Möllendorff. Sievers an Möllendorff 12. Februar).
1) Das Kabinettsministerium hatte beim Könige durchgesetzt, daß
Möllendorff nicht schon vorher an die Grenze abrücken solle, dort bis zur
Benachrichtigung über die Ankunft des russischen Generals in Warschau
stehen bleiben und dann einrücken solle, um unnützes Aufseben zu ver-
meiden (Rep. XI Rußland 135 A. Friedrich Wilhelm an das Kabinettsmini-
sterium 31. Dezember. Friedrich Wilhelm an Möllendorff 31. Dezember.
Rep. 96, 147 H I. F.S.A. Au Roi 4. und 17. Januar. Rep. 9—27, 1 A.
F. 16. Januar. Bericht von Buchholtz 18. Januar). Anderseits ließ sich
Möllendorff nicht von Buchholtz aufhalten, der Zusammenstöße mit den
polnischen Truppen scheinbar um jeden Preis vermeiden und ihnen deshalb
die Möglichkeit gewähren wollte, sich zu konzentrieren. Das hätte den
preußischen Einmarsch auf unbestimmte Zeit verschoben; das ging also
nicht an, schon wegen der verdächtigen österreichischen Gesinnungen (Rep.
92 Lucchesinis Nachlaß 12, L. Au Roi 23. Januar 1793). H e i g e 1 II 80.
2) Rep. 96, 147 H I. F.S.A.H. Au Roi 21. und 28. Januar. S c h 1 i e f f e n
II 753. An Goltz 22. Januar 1793. Bericht 10./21. Dezember 1792. Po-
litisches Journal 1793, S. 111.
3) 1793 S. 2—3. Sybel HI 194.
*) Auch Danzig wurde bald darauf besetzt, um den Widerstand sich
nicht erst organisieren zu lassen, vor allem um englischen Intrigen zuvor-
zukommen, die man sehr fürchtete. Ursprünglich hatte man es aus Rück-
sicht auf Katharina noch unbesetzt lassen wollen. Sie billigte dann aber
durchaus dies Verfahren.
6) Sybel III 203—205. Politisches Journal 1793, S. 201—203.
An Goltz 18. Februar. O g i n s k i I 230—232.
6) Oginski I 229—230; Lelevel II 162.
7) Aus der letzten Zeit der Republik Polen. Gedenkblätter eines
Posener Bürgers. 1760 — 1793. Herausgegeben von Christian Meyer.
Petersburg 467
In dem Manifest war alles vermieden, was Katharina hätte
reizen können1). Polen wurde als Herd von Unruhen bezeichnet,
die teils von der sogenannten patriotischen Partei gegen die
russischen Truppen ausgingen, die zum Schutze eines großen
Teiles der Nation auf dessen Ersuchen eingerückt seien, teils
aber auch von der Verbreitung demokratischer und jakobinischer
Prinzipien herrührten, die aus Frankreich herüberkämen. Preußen
könne ein so unruhiges Volk, das die Grenze schon oft verletzt
habe und viele Ausschreitungen sich habe zuschulden kommen
lassen, nicht in seinem Rücken lassen, während es sich zur Teil-
nahme am zweiten Feldzuge gegen Frankreich anschicke. Es
müsse zu seinem eigenen Schutze die nötigen Maßregeln ergreifen.
Deshalb würden im Einverständnis mit Österreich und Rußland
preußische Truppen unter MöllendorfE in Großpolen einrücken,
wo sich das Gift der französischen Revolution schon am weitesten
verbreitet habe, zum Schutze Preußens, zur Aufrechterhaltung
der Ruhe und zum Schutze der wohlgesinnten Polen2).
Das ist wieder eines jener Manifeste, die scheinbar dazu da
sind, die wahre Absicht zu verschleiern. Jeder konnte sich sagen,
daß die preußischen Truppen nicht gerade „zum Spiel" ein-
rücken würden. Es muß wundernehmen, daß man dieses diplo-
matischen Vexierspiels nicht eher überdrüssig geworden ist3).
So war der Grund für die tatsächliche Besitznahme gelegt, deren
weiterei Verlauf ich hier nicht mehr zu schildern habe. Es
handelte sich nun noch darum, die diplomatische Form dafür zu
finden und sie für Preußen günstig zu gestalten. Denn so er-
freulich auch der erste Bericht von Goltz gewesen war, so konnte
man doch erst sicher sein, wenn der Abschluß erfolgt war. Noch
waren einige Punkte unklar, und noch wünschte man für Preußen
etwas mehr herauszuschlagen.
München 1908, S. 80. Rep. 9—27, 1 A. Berichte von Buchholtz 18., 23.,
26. Januar, 5. Februar.
x) Nur den Satz über die vorherige Billigung von Österreich und
Rußland hätte sie am liebsten weggelassen (Bericht 7./18. Januar).
2) 1793 S. 21— 22. CarisienllO; Politisches Journal 1793, S. 76
bis 78, 93—97; H e i g e 1 II 79—81; H ä u ß e r I 482; S y b e 1 III 194;
Lelevel II 162 — 163; Ranke, Denkwürdigkeiten des Staats-
kanzlers Fürsten v. Hardenberg, Bd. V (Leipzig 1877), S. 36; Worontzow
IX 283—294 und 302—303; Schlosser V 240—242; S c h 1 i e f f e n
II 753—754.
3) Die Instruktion für den General Sievers (Ssolowjoff 305 bis
310 etc.) ist ein Gemisch von Gründen und Vorwänden, die noch be-
sonders zu trennen ich nicht für nötig halte. Vgl. oben.
468 IV. Abschnitt
Man war in Preußen zwar erschrocken über die ungeheuren
russischen Ansprüche1) und in Sorge vor den russischen Be-
dingungen überhaupt2); aber man erkannte, daß hier kleinliches
Feilschen nicht am Platze sei, daß man nur alles damit verderben
könne. Man unterschrieb also doch die russische Forderung und
wollte sich daraus noch ein besonderes Verdienst machen3). Man
wünschte nur, zwei Punkte berücksichtigt zu wissen4). Der eine
betraf Österreich, und es war doch ein starkes Stück der preußi-
schen Bundestreue, daß es in dem Augenblick, in dem es sich
von Österreich hintergangen glaubt, diesem doch bei Rußland
einen Vorteil auszuwirken sich bemühte. Es schlug den Russen
vor, ihre Grenze in Podolien und Wolhynien nicht direkt an die
österreichische in Galizien stoßen zu lassen; einen schmalen
Streifen sollten die Polen behalten5). Preußen hätte zwar auch
davon seinen Vorteil gehabt; die preußischen Remonten aus der
Moldau und der Walachei nahmen ja ihren Weg stets durch dies
Gebiet, und es war in der Tat beschwerlich, jedesmal für sie in
dem weit entfernten Petersburg um Pässe zu bitten. Aber das
kam nur hinzu, war nicht die Hauptsache. An anderer Stelle
jedoch wollte Preußen etwas für sich selbst haben. Der Distrikt
Polangen an der Ostsee, der noch zu dem polnischen Palatinat
Samogitien (auch Szamaiten genannt) gehörte, trennte die
preußische Grenze von der Kurlands. Preußen wünschte ihn zur
Sicherheit der Kuriere seinem Lose hinzuzufügen ; sie hätten dann
einen fremden Staat weniger zu passieren brauchen. Die Aus-
sichten schienen günstig zu sein, da Rußland selbst im Sommer
Preußen aufgefordert hatte, ihn zu besetzen. Aber das sollten
nach preußischer Ansicht beides nur bescheiden vorgebrachte
Wünsche sein, keine Bedingungen, an denen das ganze Gebäude
der preußischen Pläne scheitern sollte.
*•) An Goltz 26. Dezember. An Lucchesini 27. Dezember. Rep. 96,
147 G III: F. S.A. Au Roi 27. Dezember. Rep. XI Rußland 135 A. Fried-
rich Wilhelm an das Kabinettsministerium 31. Dezember 1792.
2) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 37. Schulenburg an Lucchesini
16. Dezember 1792.
3) Rep. XI Rußland 135 A: Friedrich Wilhelm an das Kabinettsmini-
sterium 31. Dezember 1792. An Goltz 4. Januar 1793.
4) An Goltz 26. Dezember 1792 und 4. Januar 1793. H ä u ß e r I 481.
6) Der König schärfte das den Ministern noch besonders ein, da er
glaubte, die Russen wollten die militärisch wichtige Position auf dem
linken Dnjestrufer gegenüber von Chotin haben, die kurz vorher eine so
große Rolle im Türkenkrieg gespielt habe.
Petersburg 469
Ebenso war es mit zwei anderen Wünschen, die wieder ein-
mal erkennen lassen, daß sich, der Hunger beim Essen einstellt1).
Schulenburg war es, der seine Kollegen darauf aufmerksam
machte, daß sogar Goltz schon an die Weichsellinie gedacht
und mit Markow davon gesprochen habe2), um mit den Russen
einigermaßen gleichen Schritt zu halten. Nun schien man in der
Tat an einer Stelle die preußische Grenze militärisch noch ver-
bessern zu können, wenn man den Rest der Palatinate Rawa und
Plozk noch dem preußischen Lose hinzufügte. Dazu wollte
Schulenburg noch ein Stück von Masovien oder Czersk hinzu-
fügen mit der Stadt Zakrocyyn, einer wichtigen Position an der
Weichsel. Seinen Kollegen leuchtete das ein, jedes Stück war
ja für Preußen ein Gewinn. Sie gaben diese Bitte sofort, ohne
erst viel beim König anzufragen3), nach Petersburg weiter, aber
fügten wieder hinzu, daß Goltz dabei die größte Vorsicht an-
wenden müsse. Das österreichische Verhalten gegenüber. Eng-
land, das ihnen inzwischen genauer bekannt geworden war und
das kaum noch mißdeutet werden konnte, erhielt sofort seinen
Lohn in der Anweisung an Goltz, eventuell das Zusammenstoßen
mit der österreichischen Grenze zuzulassen, wenn er damit den
neuen preußischen Gebietszuwachs erkaufen könne. Um Ruß-
land zu schonen, ließ man augenblicklich auch auf eine Anregung
von Goltz hin die kurländische Frage ganz fallen4). Kurze Zeit
darauf gab Preußen einem russischen Antrage nach — nur eine
x) Rep. XI Rußland 135 A. Schulenburg 4. Januar. Bemerkungen
von Finckenstein und Alvensleben dazu. An Goltz 4. Januar P.S. und
22. Januar. Rep. 9 — 27, 1 A. Die Minister unter sich. An Buchholtz
28. Januar.
2) Bericht 10./21. Dezember.
3) Rep. 96, 147 H. Ad. Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium
2. Februar. H ä u ß e r I 481. Möllendorff erhielt schon vom Kabinetts-
ministerium Befehl, die Palatinate Rawa und Plozk ganz zu besetzen,
einigte sich aber mit dem russischen General Igelström, der ihm in jeder
Weise entgegenkam, dahin, bis zur Entscheidung Katharinas beiderseits
das streitige Gebiet unbesetzt zu lassen. An Goltz 29. Januar. An Lucchesini
28. Januar. Bericht Lucchesinis 3. Februar. Rep. 96, 147 H I. F.S.A.H. "
Au Roi 28. Januar und 3. Februar.
4) Berichte 10./21. Dezember P.S., 24. Dezember 1792/4. Januar 1793.
An Goltz 21. Januar. Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium
9. Januar. Rep. 9 — 272II. F. S.A. Au Roi 4. Januar. Friedrich Wilhelm an
das Kabinettsministerium 9. Januar. Rep. 96, 147 H I. F.S.A.H. Au Roi
21. Januar und 15. Februar. Berichte Lucchesinis 10. Januar und 25. Ja-
nuar. An Goltz P.S. II zum 11. Februar. Note verbale vom 6. Februar
für Alopeus.
470 IV. Abschnitt
Anstandsfrist bedang es sich aus — und berief seinen Vertreter
Hüttel aus Mitau ab, nachdem sich sogar noch ein Grund dafür
gefunden hatte1). So endete diese Mission noch rascher, als
Preußen angenommen hatte. Rußland war von jetzt an schon
der eigentliche Herr in Kurland2). Wir sehen hier also sich ähn-
liche Vorgänge vorbereiten wie bei der ersten Teilung. Endlich
hätte Preußen gern die lästige Verpflichtung für den französischen
Krieg vermieden3) und gab darüber dem bayrischen Tausch
gleich eine Auslegung, die die Gefahr für Preußen abwehrte4).
Aber diesmal blieb es auch bei dem Plan, zur Ausführung ließ
es Katharina nicht kommen. Mochte auch Goltz zunächst ganz
günstige Aussichten geben5), so entsprach dem der Erfolg doch
nicht. Markow, dessen Geschicklichkeit schon über so manche
schwierige Klippe hinweggeholfen hatte6), stellte den Entwurf
für eine russisch-preußische Konvention auf. Wir wissen, daß
er stets die beiden deutschen Mächte gegeneinander auszuspielen
suchte, um die Stellung der Russen um so mehr zu verbessern.
Deshalb vertrat er jetzt die Idee, Österreich zu schonen, seine
Interessen möglichst zu berücksichtigen, die Preußens aber in
die engsten Grenzen einzuschließen, und schlug während der
geheimen Verhandlungen mit Preußen den freundlichsten Ton
an7). Dazu kamen nun die österreichischen Depeschen an Ludwig
Cobenzl mit denen an Stadion an. Über diese war in Petersburg
nur eine Stimme der Mißbilligung. Man traf ganz die Absicht
Preußens, wenn man auf um so schnelleren Abschluß drängte,
um nicht erst den Engländern Gelegenheit zu geben, Schwierig-
keiten zu machen8). Preußens Verhalten erschien, damit ver-
x) An Goltz 28. Februar.
2) An Goltz 13. Februar P.S. II und 25. März. Berichte 21. Fe-
bruar/4. März und 25. Februar/8. März.
3) Goltz erhielt reiches Lob für sein geschicktes Vorgehen in diesem
Punkte und die Aussicht auf eine Belohnung durch den König (an Goltz
27. Dezember. Rep. 96, 147 G III. F. S.A. Au Roi 27. Dezember).
*) F. S.A. Au Roi 3. Februar 1793 in Rep. 96, 147 HI.
6) Berichte 24. Dezember 1792/4. Januar 1793, 31. Dezember 1792
und 11. Januar 1793, 4./15. Januar. An Goltz 21. Januar und 1. Februar.
6) Bericht 7./18. Januar.
7) WassiltchikowII4, 165—176; Worontzow XX 33—36,
40—54.
8) Berichte 28. Dezember 1792/8. Januar 1793, 31. Dezember 1792/11. Ja-
nuar 1793, 11./22. Januar. Berichte Lucchesinis 16. Januar mit P.S.
20. und 30. Januar. An Lucchesini 21. Januar und 4. Februar.
Rep. 96, 147 H I. F. S.A.H. Au Roi 17. Januar. Hei gel II 80;
Petersburg 471
glichen, um so loyaler. Es hatte, notgedrungen dem österreichi-
schen Vorgehen folgend, das den Abmachungen mit Haugwitz
widersprach1), in ähnlichen Erlassen auf die englische Anfrage
seinen Plan einer polnischen Erwerbung in ganz allgemeinen
Zügen mitgeteilt, in Verbindung mit den österreichischen Tausch-
plänen, und nur davon gesprochen, daß man über die russische
Zustimmung noch verhandle. Damit war in der Tat recht ge-
schickt vermieden, von dessen Plänen etwas zu sagen2). Da
England inzwischen selbst in die französischen Händel hin-
eingezogen wurde, mußte es sich jetzt noch mehr als früher
mit nutzlosen Drohungen3), dann sogar nur mit Protesten be-
gnügen*).
Das Volk ereiferte sich sehr über diesen Rechtsbruch, aber
mehr als Geldsammlungen und flammende Reden für Humanität
hatte das nicht zur Folge5). Die Geldsammlungen ergaben
einen so bescheidenen Betrag, daß er weniger einer Unterstützung
zu kriegerischen Rüstungen als einem Almosen glich. Die
Regierung ging endlich auf den ihr von Preußen hingeworfenen
Gedanken ein, sich selbst etwas auf Frankreichs Kosten zu holen,
Worontzow XX 33 — 36. Woronzow hatte hier wieder seine^ eigene
Ansicht (ibid. IX 283—294).
*•) Aber Haugwitz selbst hatte die Erlasse an Stadion mitgeteilt.
2) S m i 1 1 II 532—534. Rep. I 170. An Cesar 29. Dezember. Die
Minister unter sich 29. Dezember. Dreger an Finckenstein ( ?), das Kabinetts-
ministerium an Dreger 29. Dezember. Rep. 9 — 272 Rapports I. Schulen-
burg an Le Coq 29. Dezember. Rep. 96 , 147 G III. F. S. A. Au Roi
27. und 31. Dezember. An Jacobi 29. Dezember (3 Stück und 1 P.S.).
An Goltz 26. und 30. Dezember und 10. Januar. An Lucchesini 3. Januar
und 14. Januar. Bericht Lucchesinis 31. Dezember. Bericht Cesars 3. Ja-
nuar. An Cesar 10. Januar.
3) In Petersburg vermied es, sie vorzubringen. Hier knüpfte es lieber
Handelsvertragsverhandlungen an.
4) In dieser Beziehung war über Polens Schicksal schon durch den
Rückzug Englands vor Rußland im Frühjahre 1791 entschieden worden.
Noch vor dem Beginn der englisch-französischen Verwickelungen erklärte
England, Polen seinem Schicksal überlassen zu müssen und erteilte einem
seiner Vertreter im Auslande einen Verweis, als er sich bei Friedrich Wilhelm
gar zu lebhaft für Polen verwandte (Salomon, Teilung 3 — 5, 56 — 57
und 73—79; Salomon, Pitt I 539—540 und 564, 569, 585—586. Be-
richt Lucchesinis 16. Januar P.S. Rep. 96, 147 H I. F.S.A.H. Au
Roi 17. Januar. An Goltz 18., 22., 25. Januar. An Cesar 18. und 25. Ja-
nuar).
5) Salomon, Teilung 72— 73; Salomon, PittI2, 585; Worontzow
IX 249, 252—254 und 283—294.
472 IV. Abschnitt
und ließ Polen fallen1). Rußland sparte mit dem Lobe für Preußen
nicht. Im tiefsten Geheimnis wurden die Verhandlungen geführt2).
Dem Grafen Cobenzl wurden von Goltz wie von den Russen nur
ganz vage Andeutungen gemacht3), auf besonderen Wunsch der
letzteren, die vorher so eifrig die Einigung zwischen Österreich
und Preußen gepredigt hatten. In einer offiziellen Sitzung vom
23. Januar, an der Ostermann, Besborodko, Markow und die
beiden russischen Staatsräte Koch und Weidemeyer, dazu Goltz
teilnahmen, wurde der russische Entwurf genehmigt, da Goltz
fürchtete, den Abschluß zu verzögern, wenn er die nicht berück-
sichtigten preußischen Wünsche geltend machte4). Der erste
Beamte des russischen Auswärtigen Amtes, Koch, kopierte selbst
zu besserer Geheimhaltung die Konvention.
Nun ist zwar durch Goltz nichts davon bekannt geworden,
daß die österreichischen Depeschen auf die Abfassung der Kon-
vention von Einfluß geworden sind. Aber das kann natürlich
kein Grund gegen eine solche Annahme sein, ich möchte sogar
in dem beinahe gänzlichen Fehlen von Nachrichten über ihre
Wirkung — man behauptete schon vorher durch Alopeus und
Rasumowski im allgemeinen über die österreichische Auffassung
der Lage richtig orientiert zu sein — einen Beweis dafür sehen.
Noch mehr spricht dafür der Wortlaut der Konvention selbst
trotz aller Spitzen gegen Österreich, die eben allein den Russen
1) Berichte Lucchesinis 20. und 30. Januar, 16. und 24. Februar.
An Lucchesini 24. Januar u. 4. Februar. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12. L.
Au Roi 28. Januar. Rep. 96, 147 H I. F. S.A. Au Roi 19. Februar und
25. Februar, 9. April, dabei an Jacobi 8. April. An Goltz 18. Februar und
3. März. Bericht Cesars 6. Februar. An Cesar 15. und 19. und 22. Februar,
dabei Finckenstein 17. Februar.
2 ) Ich bemerke jedoch, daß von eigentlichen Verhandlungen
in unserem Sinne keine Rede war. Goltz sprach mit Ostermann über die
Sache. Gleichzeitig arbeitete Markow den Entwurf aus. Preußen mußte
sich dann dem russischen Gebot fügen. Es war kein Kampf zwischen
Gleichberechtigten .
3) Bericht 7./ 18. Januar.
*) Berichte 13./24. Januar und 11./22. Januar. An Lucchesini 4. Fe-
bruar. Katharina an Friedrich Wilhelm 25. Januar. Einen raschen Ab-
schluß wünschten alle Beteiligten. Berichte 24. Dezember 1792/4. Januar
1793 und 31. Dezember 1792/11. Januar 1793. Die Minister unter sich,
nach Finckensteins Vorschlag an Goltz 22. Januar. Berichte 28. Dezember
1792/8. Januar 1793 und 7./18. Februar, 8./ 19. Februar. Berichte
Lucchesinis 16. und 30. Januar. An Lucchesini 21. Januar. An Goltz
21. Januar. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12. L. Au Roi 6. Februar.
Sybel III 197.
Petersburg 473
zugute kamen1). Sehen wir hier davon ab, daß wieder der Geist
der französischen Revolution für das Einschreiten Rußlands und
Preußens im Einverständnis mit Österreich (?) auch in Polen
verantwortlich gemacht wird, um sich Ruhe und zugleich Ersatz
für die außerordentlichen Kosten zu verschaffen — das sind ja
die üblichen Floskeln — und halten wir uns an die Sache. Ruß-
land versprach zunächst, seine Truppen in demselben furcht-
erweckenden Zustande zu erhalten wie bisher, solange die von
der Revolution verursachten Unruhen dauerten, um das eigene
Land zu verteidigen, seinen Verbündeten eventuell die vertrags-
mäßige Hilfe zu leisten, in Polen wie in den benachbarten öster-
reichisch-preußischen Provinzen auf den ersten Wunsch der
Mächte hin Ruhe und Ordnung zu halten. Dafür verleibte es
seinem Reiche das Stück Polens östlich einer Linie von Semgallen
bis zur galizischen Grenze ein. Zwischen dem 25. März und dem
10. April alten, d. h. dem 5. und dem 21. April neuen Stils sollte
die Besitznahme erfolgen und auch dann erst veröffentlicht
werden. Preußen verpflichtete sich, den Krieg gegen die fran-
zösischen Rebellen zusammen mit Österreich bis zu einem ge-
meinsamen Frieden oder Waffenstillstand fortzusetzen, in dem
sie das Ziel erreichten, das sie sich in ihren Erklärungen gesteckt
hätten, nämlich jene zu zwingen, ihre feindlichen Unterneh-
mungen nach außen wie ihre Ruhestörungen im Innern aufzu-
geben. Dafür erhielt Preußen zu derselben Zeit wie Rußland
das Gebiet westlich der Linie Czenstochau - Rawa - Soldau mit
der Stadt Danzig (Thorn wurde nicht besonders erwähnt, da es
keine Enklave war). Den Österreichern verpflichtete man sich,
den Tausch zu seiner Zeit und, wenn man darum gebeten werde,
mit allen guten Diensten und anderen wirksamen Mitteln zu er-
leichtern und zu verschaffen, dazu die Vorteile, die mit der all-
gemeinen Konvenienz vereinbar sein würden. Nach dem Ab-
schluß sollte Österreich sofort zum Beitritt und zur Garantie
aller getroffenen und daraus sich ergebenden Abmachungen auf-
gefordert werden, sowie Rußland und Preußen ihrerseits nach der
Ausführung den Österreichern den Tausch garantieren würden.
Angriffe wegen dieser Konvention verpflichtete man sich ge-
meinsam abzuwehren. Ebenso wollte man bei den Polen gemein-
sam vorgehen, um ihre Anerkennung herbeizuführen.
1) Martens, Traites-Russie II 228 ff.; Vivenot II Nr. 785;
Sorel III 316—317; Heigel II 80; Häußerl 482.
474 IV. Abschnitt
Preußens Meorforderungen waren also in keinem Punkte be-
willigt worden1). Die Russen lehnten sie ab, da Österreich nichts
davon wisse (ein merkwürdiger Vorwand!). Den Transport der
preußischen Remonten aus der Moldau werde Rußland tunlichst
erleichtern2). Dafür war die Verpflichtung für den französischen
Krieg zum mindesten sehr lästig trotz einer mündlichen Ver-
sicherung Ostermanns. Wenn Österreich beitrat, so bedurfte es
schon eines Vertragsbruches, um sich ihr zu entziehen. Man teilte
in Preußen jetzt nicht mehr so sicher die Meinung, daß der Krieg
mit dem zweiten Feldzuge zu Ende sein werde. Daher hoffte
man beinahe, Österreich werde seinen Beitritt verweigern, und
dann war diese Verpflichtung hinfällig. Es blieb dann nur das
Versprechen von Merle, 1793 so kräftig wie bisher teilzunehmen.
Über das Jahr hinaus war man dann also nicht verpflichtet3).
Die Abmachung über den Tausch endlich war so gefaßt, daß man
daraus auch die Verpflichtung lesen konnte, mit den Waffen den
Tausch durchführen zu helfen. Das aber hatte nie in Preußens
Absicht gelegen4). Der König hatte sich gelegentlich im Oktober
1) Sybel III 197. Berichte 7./18. Januar, 13./24. Januar, 8./19. Febr.
2) Berichte 13./24. Januar, 1./12. Februar, 4./15. März. An Goltz
28. Februar und 31. März.
3) Berichte Lucchesinis 24. Februar und 26. Mai. An Lucchesini
28. Februar. Berichte von Goltz 8./19. Februar, 4./15. und 11./22. März.
Haugwitz' Denkschrift. Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 31. Haugwitz an
Lucchesini 5. Mai 1793.
*) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 14 und Rep. 9 — 272 Rapports I.
F. S.A. Au Roi 25. Dezember. An Lucchesini 24. Dezember. An Haugwitz
25. Dezember. An Cesar 29. Dezember. An Goltz 27. und 29. Dezember.
H.E.B. 315—319. Rep. 96, 147 G III. F. S.A. Au Roi 29. Dezember und
an Jacobi 29. Dezember. Rep. 96, 147 H I. F. S.A. Au Roi 3. Februar,
19. Februar. F.A.H. Au Roi 9. April. An Goltz 22. Januar, 3. und 8. Fe-
bruar, 8. und 31. März. Bericht 8./19. Februar. An Cesar 7. Januar, 7. und
19. Februar, 8. , 28. und 31. März, dabei Finc kenstein und Alvensleben 27. März,
14. April. Berichte Cesars 24. März und 6. April. An Lucchesini 14. Januar,
7. Februar, 8. April. Bericht Lucchesinis 10. Januar. H ä u ß e r I 481.
Lucchesini, dem in Frankfurt auch Haugwitz beigestimmt zu haben scheint,
wich in einem wesentlichen Punkte von seinen Kollegen ab. Sie wollten
womöglich den Tausch verhindern, er hauptsächlich die Zuwage auf
Frankreichs Kosten, die so mannigfaltig geplante Barriere (Lucchesinis
Memoire mit Nachtrag 17. März. Berichte Lucchesinis 18., 22. und 31. März.
Finckenstein 22. März. Alvensleben 22. März. An Lucchesini 24. März.
Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12. L. Au Roi 17. März), bis ihn die Vor-
gänge von Ende März und vom April der Ansicht des Kabinettsministeriums
zuführten (Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 25. Lucchesini an Cesar 23. April.
Rep. 92 Cesars Nachlaß 21. Lucchesini an Cesar 26. Mai 1793). Der König
Petersburg 475
so ein unüberlegtes Wort entschlüpfen lassen. Aber das war
längst wieder durch offizielle preußische Erklärungen ausgelöscht,
daß man nur seine guten Dienste (darunter verstand man diplo-
matische Unterstützung, besonders bei Zweibrücken, Bayern und
England) versprochen habe und leisten werde. Deren Bedeutung
schlug man absichtlich immer geringer an1). Preußen hielt sich
mehr als je in der Rolle der Hilfsmacht, die es ablehnt, bestimmte
Grenzen zu überschreiten. Der König war zwar militärisch stets
für energischen Kampf; aber politisch wollte er, teilweise im
Gegensatz dazu, im Einverständnis mit seinen Ministern zurück-
halten2).
Diese beiden Punkte halte ich für eine Folge der Instruktionen
Ph. Cobenzls an seinen Vetter, da Ostermann von jenen vorher
nicht gesprochen oder sie abgelehnt hatte; sie bedeuteten nicht
so sehr einen Vorteil Rußlands wie einen solchen Österreichs
zum Schaden von Preußen. Um seinerseits aber ganz sicher zu
gehen, hatte sich Rußland die Geheimhaltung bis zur Ratifikation
ausbedungen. Preußen verkannte nicht, daß sich Österreich
gerade dadurch sehr verletzt fühlen werde, aber es gab auch
hierin nach. Die Konvention schien für Österreich sowieso schon
günstig genug zu sein3). Rußland hatte damit erreicht, was es
wollte: die Anerkennung seiner Ansprüche auf ein ungeheures
Stück polnischen Gebietes und die möglichste Einengung der
preußischen Ansprüche. Schon war es dafür tätig, seine Zu-
stimmung überhaupt als eine Art Notwehr erscheinen zu lassen,
deren schlechte Folgen zu beseitigen es sich angelegen sein lassen
müsse. Kurz, die preußische Allianz hatte für Rußland ihren
Zweck erfüllt. Es begann, diese Bande zu lockern, und sich nach
neuen, vorteilhafteren Verbindungen unter den Mächten umzu-
endlich kam nach dem Sturz des österreichischen Ministeriums von den
geplanten kräftigen Schritten gegen Bayern ab und sah mindestens ohne
Ärger die Schwierigkeiten für den Tausch sich vermehren. (Berichte
Lucchesinis 8., 15., 16., 22., 27. April, 9. und 13. Mai. An Lucchesini 21.,
22., 28. April, 3. und 10. Mai.)
x) An Cesar 17. März.
2) Häußer I 482^83; Sybel III 256—257; Heigel II 82
und 95. Lucchesinis Memoire vom 17. März. An Lucchesini 24. März.
Von der Rückeroberung der Niederlande sehe ich hierbei natürlich ab.
Der im Vertrag angenommene Fall setzt voraus, daß Österreich in ihrem
Besitz ist.
3) S y b e 1 III 198. An Goltz 3. Februar. Rep. 96, 147 H I. F.S.A.
Au Roi 3. Februar (zweimal).
476 IV. Abschnitt
sehen, die es mit der Publikation der Teilung aufs stärkste ver-
letzte. Namentlich nach Wien richteten sich da seine Blicke,
wo es die Verbindungen ja nie ganz abgebrochen hatte. Es suchte
den Österreichern die augenblicklich so unangenehme Lage durch
die Aussicht zu verschönern, daß es nur vorläufig den Preußen
einen so großen Teil von Polen überlassen habe, daß sich ja aber
die Zeiten ändern könnten und Polen auch wieder eine sichere
Existenz gewinnen könne. Rußlands Vorgehen richtete sich da-
mit nicht nur gegen Polen, das es sich unterwerfen und dem es
damit eine „sichere Existenz" verschaffen wollte, sondern auch
immer mehr gegen den unbequemen Teilhaber, gegen Preußen1).
In Preußen herrschte zwar keine reine Freude, als die Kon-
vention bekannt wurde, aber man sagte sich doch, daß die Vor-
teile so außerordentlich groß seien, daß man die Nachteile
schon in den Kauf nehmen müsse2). Man hoffte auch eine
Zeitlang, bei dem endgültigen Vertrage mit Polen noch diesen
oder jenen Vorteil zu ergattern. Alopeus versprach, sich dafür
zu verwenden. Man brauchte ja auch die Konvention nicht
zu ändern, nur eine andere Karte beizulegen. Dies würdelose
Betteln um die russische Zustimmung — Schulenburg scheint
dabei besonders tätig gewesen zu sein — hatte aber keinen Erfolg.
Nachher war Preußen sogar darüber erfreut, daß es sich streng
an seine Angaben gehalten habe3). Besonders der König war
jetzt des Lobes voll und sparte nicht mit Gunstbezeigungen.
Endlich hatte er das erreicht, wohin sein rastloser Ehrgeiz schon
seit Jahren auf so verschiedenen Wegen und so oft vergeblich
gestrebt hatte: die Vergrößerung des preußischen Territorial-
besitzes. Anstandslos ratifizierte er am 8. Februar die Kon-
vention. Was hätte er auch anders tun sollen? Es blieb ihm gar
keine andere Wahl. Aber er war auch so schon zufrieden4). Am
11. Februar früh war das Exemplar in Berlin, am 13. ging es
x) W a s s i 1 1 c h i k o w II 4, 161 ff.; V i v e n o t II 759—760; W o-
rontzow XIV 253—254, XX 33—36 und 40—54; Blum, Sievers
III 42 ff.
2) An Lucchesini 3. Februar. Bericht Lucchesinis 7. Februar.
Rep. 96, 147 H I. F. S.A. Au Roi 3. Februar. Rep. 9— 272 Rapports
II. Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium 8. Februar. Häußer I
481-^82.
3) Bericht 14./25. Februar. An Goltz 28. Februar, 8., 14., 22. März.
Ostermann an Alopeus 25. Februar/8. März. An Cesar 24. März.
4) Rep. 9 — 272 Rapports II. Friedrich Wilhelm an das Kabinettsmini-
sterium 8. Februar.
Petersburg 477
weiter nach Petersburg, wo am 28. Februar neuen Stils der Aus-
tausch der Ratifikationen erfolgte1), sofort als das preußische
Exemplar eingetroffen war, da jede Verzögerung, wie Ostermann
bemerkte, unnütz sei2). Am 15. März war das eine Exemplar
in Berlin3). Am 7. April erfolgte die offizielle Kundgebung der
Besitznahme mit der Publikation des auf den 25. März datierten
Patentes4). Jetzt gab auch Schulenburg, dessen Krankheit sich
wider Erwarten kaum gebessert zu haben scheint, sein Amt als
Kabinettsminister auf. Haugwitz trat nach seiner Rückkehr nach
Berlin5) an seine Stelle6). Eine Änderung in der Politik, wie sie
1) Bericht von Goltz 7./18. Februar. An Lucchesini 11. Februar
und 14. April. Eep. 96, 147 H I. F.A. Au Roi 18. März. V i v e n o t II
766; Sy bei III 262. Goltz 21. Februar/4. März. H.E.B. 371. An Goltz
11. und 13. Februar.
2) Bericht 14./25. Februar.
3) An Lucchesini 15. März. An Goltz 18. März. Rep. 96, 147 H I.
F.A. Au Roi 18. März.
*) S s o 1 o w j o f f 312; H e i g e 1 II 81. An Goltz 18. März. "Auch
diesmal wurden Präsente von beiden Seiten verteilt. Das war in Petersburg
eine ganz besonders wichtige Angelegenheit (an Lucchesini 3. Februar.
Rep. 96, 147 H I. F. S.A. Au Roi 3. Februar). Die russischen waren wieder
recht dürftig (Berichte 21. Februar/4. März und 1./12. März. An Lucchesini
29. März. Rep. 96, 147 H I. F.A. Au Roi 21. März). Preußen hielt sich
dabei genau an das im vorigen Sommer beobachtete Verfahren. Nur kam
diesmal einiges dazu. Für Goltz als Belohnung (die ich nicht als wohlver-
dient zu bezeichnen wage) außer dem Generalmajorspatent und dem
Roten Adler 20 000 Taler (beinahe so wie Sohns seinerzeit bei der ersten
Teilung belohnt worden war. Rep. 96, 147 G III. F. S.A. Au Roi 27. De-
zember. Bericht Lucchesinis 31. Dezember. An Lucchesini 4. Januar),
für die russischen Staatsräte Koch und Weidemeyer ein Ring für 1300
bezw. eine Dose für 1100 Taler, für den Sekretär Subows ein Ring für
1100 Taler (das letztere war eine Eigenmächtigkeit von Goltz). Im ganzen
beliefen sich die Kosten diesmal auf 89 358 Taler und 8 Groschen. Gern
hätte man daran gespart, wenn man es für möglich gehalten hätte. Man
tröstete sich nur damit, daß eben noch alles so billig wie möglich einge-
richtet worden sei. (Vgl. darüber Rep. XI Rußland 135 C. Rep. 9 — 272
Rapports IL Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium 8. Februar.
Rep. 96, 147 H I. F. S.A. Au Roi 4. Januar, 3. Februar, 18. Februar. F.A.
Au Roi 18. und 21. März, 26. März. Berichte Lucchesinis 31. Dezember
1792, 7. und 8. Februar. An Lucchesini 4. Januar, 3., IL, 14. Februar.
Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium 31. Dezember. An Goltz
4. Januar, 11. Februar, 18. und 22. März. Ostermann an Alopeus 25. Fe-
bruar/8. März. Bericht 21. Februar/4. März.)
5) Er war provisorisch nach Frankfurt gereist, trug aber selbst dazu
bei, daß Lucchesini beim Könige blieb.
6) Lucchesini an seine Frau 8. Februar 1793. Rep. 96, 147 H I.
Adh. Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium 10. Februar. Rep. 92
478 IV. Abschnitt
Rußland zu seinem Schaden befürchtete, trat damit nicht ein1).
So war also beinahe wider Erwarten das Werk gelungen, nicht,
wie Preußen zuerst gewünscht hatte, mit Österreich gegen Ruß-
land, sondern mit Rußland ohne, ja besser, gegen Österreich2).
Aber dieser Ausschluß war nur als provisorischer gedacht. Jetzt
nach der Ratifikation konnte man endlich in Wien die Mitteilung
machen. Nach genauen Verabredungen erfolgte der Schlag am
23. März in Wien. Er konnte nur niederschmetternd wirken. Alle
Befürchtungen wurden noch übertroffen. Er veranlaßte Franz,
die schon lange vorbereitete Absicht endlich durchzuführen, das
Ministerium anderen Händen anzuvertrauen.
Lucchesinis Nachlaß 12. L. Au Roi 19. und 20. Februar. Schlieffen
II 755; Sorel III 320.
*) Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12: L. Au Roi 8. März.
2) Wie übrigens Preußen von den Russen ausgebeutet wurde, beweist
folgendes Vorkommnis. Im Herbst 1792 hatte Friedrich Wilhelm an
Valerian Subow den Roten, an Piaton den Schwarzen Adlerorden verliehen.
Nun wollte auch Valerian den Schwarzen haben. Katharina unterstützte
nach dem Abschluß der Konvention durch Alopeus seine Bitte. Abzu-
lehnen wagte man das in Preußen nicht geradezu. Aber Valerian war erst ( !)
Generalmajor, und der Schwarze Adler verlieh in der preußischen Armee
den Rang eines Generalleutnants. Daher wurde der Orden an Goltz ge-
schickt mit dem Befehle, ihn erst dann zu überreichen, wenn Valerian in
der russischen Armee zum Generalleutnant befördert worden sei. Katharina
wollte jedoch gerade einen Anlaß zur Beförderung von außen erhalten
und verlangte, Preußen solle darum nachsuchen. Das war selbst diesem
zu viel, und der Orden blieb vorläufig bei Goltz liegen (Berichte Lucchesinis
7. und 8. Februar. Bericht von Goltz 21. Februar/4. März. Rep. 96, 147
H I. F.A. Au Roi 3. und 18. März. An Goltz 13. und 18. März, 9. April.
Friedrich Wilhelm an das Kabinettsministerium 2. April. Vgl. auch
Worontzow VEII 70—78).
Schluß
Denn diese Nachricht führte nur die Lösung einer schon längst
unerträglich gewordenen Spannung zwischen dem Kaiser und
seinen Ratgebern herbei. Die bereits oben angedeutete Änderung
der Verhältnisse hatte sich derartig weiter entwickelt, daß das
System Philipp Cobenzls den österreichischen Interessen nicht
mehr entsprach. Er wollte England in den beiden Hauptfragen,
der Entschädigung und der Kriegführung, beiseite halten und
sich, auf Preußens und besonders auf Rußlands Hilfe gestützt,
deren er ja sicher war, Bayerns bemächtigen statt der Nieder-
lande, damit Österreich aus der gefährlichen Lage befreien, in
die es seine weit zerstreuten Besitzungen schon so oft gebracht
hatten. Hatte sich Österreich erst einmal so konsolidiert, so
brauchte es von Frankreich nichts mehr zu fürchten, brauchte
England nicht mehr, von dem es besonders bei einer erneuten
Annäherung Englands an Preußen wieder abhängig zu werden
fürchtete, und konnte gegenüber Preußen, aber auch gegenüber
Rußland, einen festeren Ton anschlagen als bisher1). Wenn schon
England den Tausch nicht förderte, wie Cobenzl doch hoffen
wollte2), weil England jetzt selbst das größte Interesse an einer
Annäherung an Österreich habe3), so, meinte er, werde es sich
jedenfalls in diesem Augenblick wegen des gespannten Verhält-
nisses zu Frankreich seiner Durchführung doch nicht widersetzen.
Österreich müsse nur fest darauf bestehen, sich zwar zu Konzert
und Frieden bereit erklären, aber keine Eile zeigen, darauf ein-
zugehen. Endlich müsse es in England sorgfältig den Argwohn
*) Vivenot II 730 und 783.
2) Berichte Cesars 3., 16., 20., 23., 26. Januar, 6. und 9. März.
3) Vivenot II 725. Nur für den Notfall scheinen Maßregeln zum
Einmarsch österreichischer Truppen in Polen getroffen worden zu sein
(Berichte Cesars 26. und 30. Januar, 2., 6., 16., 25. Februar, 21. März).
Von seinem gebieterischen Tone werde England dann schon abkommen;
er habe es schon um die preußische Freundschaft gebracht (Vivenot
II 730).
480 Schluß
unterhalten, es wolle die Niederlande nicht zurückerobern, wenn
sie nicht eingetauscht würden1). Man könne an anderer Stelle
mit größerem Vorteil den Krieg beginnen2). Dann aber hätte
England sogar die Überlassung der Niederlande an Frankreich
befürchten müssen; der Tausch würde ihm da immer noch als
ein notwendiges Übel lieber sein. Zugleich würde es sich ebenso
wie Holland zu ihrer Sicherung energisch am Kriege beteiligen,
von dem es sich sonst als nicht gefährdet fern halten könne3).
Ph. Cobenzl erwartete von der Ausführung dieses Planes die Be-
freiung Österreichs von dem Zwange, in jedem Kriege Bündnisse
eingehen zu müssen, die es teuer zu bezahlen habe, und von denen
es doch nur die Abwehr der dringendsten Not erwarten könne
ohne irgendwelchen greifbaren Vorteil für Österreich. Es wollte
sich selbständig machen und aus eigener Kraft seiner Gegner Herr
werden, zumal es gar nicht sicher war, daß man in der zweiten
oder auch nur in der dritten Kampagne Frankreich wirklich zur
Annahme der Bedingungen bringen konnte, die bei einem Fallen-
lassen des Tausches sich aus dem Prinzip einer gleichen Ent-
schädigung für die Mächte ergeben hätten4). Gewiß ein Ziel,
wie es sich ein österreichischer Minister nicht höher setzen konnte.
Aber Cobenzl spann dabei seine Pläne in solcher Ruhe, als wenn
Österreich im tiefsten Frieden gelebt und sich nicht recht gefähr-
licher Feinde zu erwehren gehabt hätte. Er bewies wieder einmal
das heitere Selbstvertrauen, das man ihm in seinem Kreise zu-
schrieb5). Er vergaß ganz die notwendigsten Forderungen der
Gegenwart über den zwar recht schönen, aber noch völlig traum-
haften Gebilden der Zukunft. Ferner, der Weg dahin verlangte
von den Österreichern eine gewisse Selbstverleugnung und eine
Größe der Anschauung, die weder beim Kaiser und den Ministern,
noch weniger bei den Generalen zu rinden war.
Jedenfalls mußten Preußen und Rußland den Tausch tat-
kräftig unterstützen. Es ergingen daher die betreffenden Wei-
sungen nach Berlin und Petersburg6). Denn es war sicher, daß
x) Vivenot II 725.
2) ibid. II 730.
3) ibid. II 746.
4) Berichte Cesars 30. Januar, 6., 16., 25. Februar, 6. März. Bericht
Lucchesinis 8. Februar. An Lucchesini 28. Februar.
5) Vivenot II 752. Vgl. auch seine Memoiren (Archiv für öster-
reichische Geschichte, Bd. 47).
6) V i v e n o t II 787—789 und 795.
Schluß 481
sich der Herzog von Zweibrücken mit allen Kräften dem Tausch
seines Erbes widersetzen werde. Der Zustimmung des bayrischen
Kurfürsten fühlte man sich jetzt auch durchaus nicht so sicher,
wie ein Jahr vorher1). Doppelzüngig war er stets gewesen, da er
für Bayern und die Pfalz zu sorgen, also Österreich und Frank-
reich zu schonen hatte. Aber 1792 war die Lage besser als jetzt,
wo die Franzosen einen Teil seiner Staaten besetzt hielten2) oder
wenigstens bedrohten. Sein Verhalten war doch mehr als ver-
dächtig. Scharfe österreichische Maßregeln, zum Teil auch
Drohungen, trieben den Kurfürsten auf dieser Bahn nur immer
weiter3). Trotzdem hielt Cobenzl den Tausch für durchführbar.
Je mehr sich der französisch-englische Gegensatz verschärfte,
um so mehr glaubte er daran.
Aber in seiner Rechnung stimmten doch verschiedene Fak-
toren nicht. Preußen und Kußland hatten an dem Kriege gegen
die Revolution nur, wenn ich so sagen darf, ein individuelles
Interesse. Sie fühlten sich nicht bedroht, benützten aber die
Gelegenheit, um unter allerlei durchsichtigen Vorwänden ihren
Staat zu erweitern. Sollten sie sich nun noch in einer Sache groß
anstrengen, die den Russen nur deshalb angenehm sein konnte,
weil sie den Gegensatz zwischen Preußen und Österreich ver-
stärkte, die aber den russischen Einfluß auf das Reich sehr ge-
schwächt hätte? Von Preußen war nach seinen zahlreichen Er-
klärungen zwar diplomatische Hilfe zu erwarten, aber jedenfalls
kein besonderer Eifer für ein Projekt, das man mehr und mehr
als den preußischen Interessen äußerst schädlich erkannte. Noch
waren außerdem die Niederlande in den Händen der Franzosen.
Man mußte sie erst zurückerobern, um das Geschäft vollziehen
zu können. Selbst wenn Rußland 15 000 oder gar 25 000 Mann
für den zweiten Feldzug gestellt hätte — wann wären sie an-
gekommen, was hätten sie ausrichten können (der Konflikte
zwischen den Generalen der verschiedenen Mächte gar nicht erst
zu gedenken)?4) Daß Preußen den Krieg nur noch gezwungen
mitmachte, war trotz alles Eifers des Königs nicht zu verkennen5).
Dagegen konnten alle österreichischen Anträge auf „nachdruck-
samste" Unterstützung, womöglich in der Stärke der öster-
1) Vi veno t II 780, 790—791; Sorel III 320.
2) Heigel II 87.
3) ibid. II 88; Sybel III 255—256.
4j Vivenot II 736, 759, 760.
6) Luechesinis Memoire vom 17. März 1793.
Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die französische Revolution 31
482 Schluß
reichischen Truppen, nichts helfen. Ja sie schadeten nur, da
Preußen ganz mit Recht betonte, es habe in der Note von Merle
nur versprochen, zum zweiten Feldzuge ebensoviel Truppen zu
stellen wie zum ersten1).
England aber fühlte sich in seinen wichtigsten Interessen
bedroht, und seine Absichten trafen in den meisten Punkten
besser mit denen Österreichs zusammen als die preußischen2).
Es sah von dem Schicksal Ludwigs XVI. ganz ab, wollte von
einer Gegenrevolution zu Gunsten der alten Monarchie nichts
wissen und verlangte nur die Eindämmung der Revolution in
die französischen Grenzen — als ob sich Ideen solche Grenzen
durch einen Truppenkordon setzen ließen, wie man es etwa mit
der Pest machte3). Aber wer teilte damals diesen Irrtum nicht!
Noch träumten einflußreiche Kreise in Wien davon, die Revo-
lution durch Schrecken und durch Gewalt zu bezwingen4).
Gleichviel, damals hielt man es für möglich und hoffte eben durch
die Revolution Frankreich in einem Zustand der Schwäche zu
erhalten, der England wie Österreich mit Recht als gleich vor-
teilhaft erschien. Ferner sollte nur gemeinsam Friede geschlossen
werden, und Frankreich sollte alle Eroberungen herausgeben,
worunter Österreich auch Avignon und die Besitzungen der
Reichsfürsten im Elsaß verstand5). Die Entschädigungsfrage
endlich wollte England je nach dem Ausfall des Krieges behandelt
wissen. Dabei lehnte nun aber Grenville mündlich den Tausch
ab6). Es ist wohl sicher, daß er bei dieser Gelegenheit von Er-
oberungen auf Frankreichs Kosten gesprochen hat, um den lei-
digen Tauschplan gleich positiv zu bekämpfen7).
Aber dadurch bestärkte er nur Cobenzl in seiner antienglischen
Haltung. Dieser hatte sich in seinen Plan so verrannt, daß er alle
anderen Gedanken diesem Plan unterordnete. Das wurde schon
im Januar der Anlaß zu einem heftigen Zwist mit dem Kaiser.
1) Vi veno t II 738, 776, 788; Heigel II 82. Rep. 96, 155 F.
Cesar an Goertz 1. April. Berichte Cesars 28. Februar P.S. II, 2. März,
21. März P.S. Bericht Lucchesinis 10. Februar. An Lucchesini 14. Januar.
2) Vi veno t II 757 und 767. Rep. 96, 147 G III. Grenville an
Woronzow 29. Dezember. Bericht Lucchesinis 16. Januar 1793 und Gren-
ville an Chauvelin 31. Dezember 1792.
3) Bacourt-StädtlerlH 318; Clapham 240.
4) Vi veno t II 752.
5) V i v e n o t II 767 und 788.
6) ibid. II 767, 776, 790.
7) S y b e 1 m 257; V i v e n o t II 767.
Schluß 483
Cobenzl hatte den Grafen Stadion in London dahin instruiert,
Österreich brauche durchaus nicht sofort die Niederlande wieder-
zuerobern, sondern könne zunächst in Frankreich mit einer im-
ponierenden Heeresmacht einfallen, um hier den Frieden rascher
zu erzwingen, als er in den Niederlanden zu erreichen sein werde1).
Dabei wurde die Freundschaft mit Preußen und Kußland so stark
betont, wie er es nicht mehr verantworten konnte2), und jetzt
ihre Unterstützung für London noch einmal ebenso nachgesucht
wie die österreichische früher von Preußen für Petersburg3).
Aber er wollte dadurch England auch nur veranlassen, sich selbst
kräftig an dem Kriege zu beteiligen, besonders entsprechend
seinen Interessen an der Wiedereroberung der Niederlande, und
hier sollte nun Stadion durchbücken lassen, Österreich wolle sie
nicht behalten, sondern eintauschen4). England sollte dem
Tausche zustimmen, ehe Österreich sich daran machte, Belgien
wieder zu erobern6).
Es war doch ein recht gefährliches Spiel, das Cobenzl damit
wagen wollte. Daß die Engländer nicht auf Drohungen reagierten,
hatten sie den Franzosen bewiesen. Wie sollten sie es den Öster-
reichern gegenüber anders machen! Dazu schien es die Ehre gar
zu sehr zu erfordern, daß man das verlorene Land sofort wieder
in Besitz nahm und damit den französischen Grundsätzen die
Möglichkeit raubte, sich fest einzunisten. Die militärischen Aus-
sichten schienen gerade dafür besonders günstig zu sein, und der
am 30. Dezember provisorisch im preußischen Hauptquartier
festgestellte Feldzugsplan6), der sich im übrigen streng an die
*) Qobenzl, scheinbar auch Lacy und. Spielmann (Bericht Cesars i
13. rebruar)T~wollte in der Tat einen Einmarsch in Frankreich mit Er-
oberungen von imponierender Art, also ein abgeschwächtes Gegenbild zu
dem Zuge des Herzogs von Braunschweig, um dadurch die Franzosen zum
Frieden zu zwingen und sich zugleich der Zuwage zu versichern, die in
Polen nur schlecht und gegen die Absichten von Österreich, Preußen und
Rußland zu erreichen war (V i v e n o t II 746). Aber man "braucht sich
bloß zu vergegenwärtigen, wie der Herzog von Braunschweig den Krieg
geführt hatte, und vor allem, wie ihn die Österreicher führen wollten,
um gegenüber der Hoffnung auf raschen Erfolg einer derartigen Unter-
nehmung sehr skeptisch zu werden (S y b e 1 III 251).
2) Vi veno t II 730.
3) Vi veno t II 769.
4) Vgl. schon Vivenot II 715.
6) SybelIII251.
6) Heigel II 90. Mitteilungen des Kriegsarchivs, Neue Folge 12,
148. V i v e n o t II 733.
9
484 Schluß
Regeln der Vorsicht hielt, die man im vergangenen Jahre nach
der Ansicht der Österreicher mit so viel Schaden vernachlässigt
hatte, hatte das auch als selbstverständliche nächste Aufgabe an-
gesehen. Er wurde also gebilligt1), und bald wurden auch die
nötigen politischen Maßregeln für die Wiedereinrichtung der
österreichischen Herrschaft in Belgien getroffen2). Der Kaiser,
alle Generale und Minister — Cobenzl und Starhemberg aus-
genommen — waren dafür und ließen deren Bedenken unberück-
sichtigt3). Sie beschlossen die sofortige Rückeroberung der
Niederlande, ohne dafür die Bedingung aufzustellen, daß Eng-
land vorher dem Tausch zustimme. Ließ sich Cobenzl von der
englischen Antwort vom 15. Februar in seinem System bestärken4),
so machte die Gegenpartei daraus ein Argument für das ihre.
Sie handelte dabei in der Anschauung: der Tausch sei zwar sehr
wünschenswert, und Österreich wolle sich für seine spätere Durch-
führung die positivsten Versprechungen sichern, aber in den
nächsten zwei bis drei Jahren werde er, namentlich bei den un-
sicheren Versprechungen von Preußen und Rußland, doch nicht
durchgeführt werden können. Man lasse ihn daher vorläufig
fallen und verlange nicht einmal mehr von England das Ver-
sprechen, ihn später nicht zu hindern5). Dafür müsse sich Öster-
reich jetzt wegen der russisch-preußischen Annexionen Ent-
schädigungen auf andere Weise sichern, die den preußischen aber
mindestens entsprächen, wobei Österreich immer noch Schaden
erleide. Aber um ihre Größe bestimmen zu können, müsse es
eben erst die russisch-preußische Konvention kennen und mit
England vorläufig nur vereinbaren, die Entschädigung auf Frank-
reichs Kosten zu suchen und die Niederlande mit den österreichi-
schen Stammlanden zu verbinden6). England solle derartige
Vorschläge in Berlin und Petersburg machen, weil Österreich es
nur indirekt tun könne. Man bitte um rasche Antwort, wolle
i) Vivenot II 749.
s) ibid. II 754 und 756.
3) ibid. II 749, 767, 769; S y b e 1 III 251.
*) Vgl. auch die vor deren Bekanntwerden abgefaßte Weisung an
Stadion vom 22. Februar 1793 in Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 40 IV.
Dazu Bericht Cesars 13. Februar.
6) So wurde die berechtigte Furcht Bayerns vor einer österreichischen
Okkupation vorläufig gegenstandslos (H e i g e 1 II 88 — 89).
6) Es ist der Gedanke der Barriere gegen Frankreich, den Cobenzl
und Spielmann in anderer Form verwirklichen wollten.
Schluß 485
England aber nicht den Inhalt vorschreiben1). Denn die Allianz
mit England war aller Voraussicht nach unmöglich, wenn man
auf dem Tausch bestand. Das gespannte Verhältnis zu Preußen
und Rußland, die gefährliche Kriegslage schienen aber die Allianz
unweigerlich zu erfordern. Bei Preußen wollte man das sofortige
Eingehen auf den englischen Antrag mit der Notwendigkeit be-
gründen, sich rasch der englischen Hilfe für die Eroberung der
Niederlande zu versichern und — angeblich — das Tauschgeschäft
zu berichtigen. Einen Teil der Instruktionen für Mercy richtete
man daher ostensibel ein.
Also nicht mehr der Tausch, wie Cobenzl und Starhemberg
wollten2), sondern die Allianz mit England sollte den Haupt-
punkt der neuen Verhandlung bilden, dem alles dienstbar zu
machen sei. Sie wurde jetzt als das summum bonum für die
österreichische Monarchie betrachtet. Sie sollte ein Gegengewicht
gegen die geheimnisvolle und verdächtige russisch-preußische
Annäherung bilden und den Kern für eine Verbindung zwischen
England, Österreich und Rußland, die ihre Spitze nur gegen
Preußen richten konnte, da man Frankreich noch stärker, als
Cobenzl es beabsichtigt hatte, in seiner Macht durch Eroberungen
beschränken wellte3). Das war das System Thuguts, eines Schülers
von Kaunitz, soweit man bei ihm überhaupt von einem System
sprechen kann4). Ich stehe nicht an, es den österreichischen
Interessen besser entsprechend zu finden als das Cobenzls.
Jedenfalls dürfen wir heute uns nicht mehr von persönlichen Ab-
neigungen gegen den österreichischen Staat verleiten lassen, dessen
Diener schlecht zu machen, sondern müssen versuchen, ihnen
gerecht zu werden, so unsympathisch auch gerade die Persönlich-
keit Thuguts sein mag5). Er gewann jetzt einen so beherrschenden
Einfluß auf den Kaiser und damit auf die Geschäfte, daß ein
1) Verhandlungen über den Tausch konnten die so nötige rasche
Entscheidung nur verzögern. Die Mehrheit der Konferenz und der Kaiser
fürchteten auch, gerade dadurch die Engländer von der Teilnahme am
Kriege fernzuhalten.
2) Sie wollten Russen und Preußen nichts erwerben lassen, wenn
Österreich nichts bekomme, und diese Frage nur insofern von den Kriegs -
ereignissen abhängen lassen, als sie die Zuwage betraf.
3) Vivenot II 752, 767, 769—772, 774—778, 781—782; Sorel
III 330. Bericht Cesars 21. März. Politisches Journal 1793, S. 164—166.
4) S y b e 1 III 257—263; H e i g e 1 II 94; V i v e n o t II 799; R a n k e
46, 127—129.
6)Bacourt-StädtlerI 244—245 und 303—304.
486 Schluß
Kenner der Verhältnisse gesagt hat : „Alles, was der Kaiser selbst
vermochte, hat Thugut vermocht"1). Die Partei Colloredos, des
Erziehers von Franz, brachte ihn empor2). Langsam führte ihn
der Kaiser in die Geschäfte ein. Cobenzl mußte ihn erst im all-
gemeinen informieren, ihm dann auch die geheimen Erlasse mit-
teilen — angeblich, damit Thugut von allem unterrichtet sei,
wenn er die Stelle eines diplomatischen Gehilfen bei dem Herzog
von Koburg übernehme3) — endlich wurde er auch noch zugleich
damit zu den Ministerialkonferenzen zugezogen. Der Kaiser hatte
sich bereits entschieden, ihn zum Nachfolger Cobenzls zu machen
und behandelte diesen mit unverkennbarer Schärfe4).
Er und Thugut — oder umgekehrt — gingen daher auf den
Vorschlag Englands, sich genauer über das Konzert zu verstän-
digen, ein und schickten Mercy sofort nach London, um nicht
bei einer Verhandlung im Haag dem antiösterreichischen Lord
Auckland Gelegenheit zu Quertreibereien zu geben und um in
London die günstige Gesinnung des russischen Gesandten Wo-
ronzow auszunützen, der mit Stadion so gut und mit Jacobi so
schlecht stand5). Aber noch hielt der Kaiser mit seinem Ent-
schluß zurück6). Es ist doch eine häßliche Episode, daß er an
Mercy und Stadion, der jenem helfen sollte, geheime Instruktionen
von Thugut schicken läßt, die den offiziellen stark widersprechen,
obwohl Cobenzl sich darin schon sehr dem Standpunkt des Kaisers
angenähert hat und nur im Sinne seines Separ?tvotums vom
14. oder vom 13. März die Verhandlungen über Tausch und
Allianz nebeneinander hergehen lassen wollte7). Auf Umwegen
forderte Franz geheime Berichte ein. Diesen Leuten fehlte doch
der Charakter. Nirgends wirklich eine großzügige Behandlung
der Aufgaben, wie in Petersburg, in London und schließlich trotz
aller Velleitäten auch in Paris. Franz ließ sich zu diesem Verhalten
dadurch bestimmen, daß die russisch-preußische Mitteilung über
1) Bacourt-Städtler I 245.
2) Vivenotll 752; S y b e 1 III 254— 255; Heigel II 94. Wenn
auch die Schrift dem Kaiser wohl kaum vorgelegen hat, da er selbst darin
arg mitgenommen wird, so kennzeichnet sie doch den Geist der Kreise,
die ihn beeinflußten.
3) Vivenot II 750, 762, 767, 788; Bacourt-Städtler HI
418—419, 430 und 434. Bericht Cesars 9. März.
*) V i v e n o t II 754 und 756.
6) Vivenot II 767 und 776; Worontzow IX 283—284.
6) Vivenot II 781, 782, 788; S y b e 1 III 259.
7) Vivenot II 774 und 788.
Schluß 487
die Konvention für die nächsten Tage erwartet wurde. Noch
hatte man ja keine Gewißheit, nur Vermutungen, die allerdings
das Bild trotz gelegentlicher Lichtblicke1) schon recht düster er-
scheinen ließen. Vergeblich suchte man sich den Schlüssel zu
dem Chiffre von Rasumowski zu verschaffen2) oder versah
L. Cobenzl mit Geld zu Bestechungszwecken. Dieser erfuhr
nichts, jener sah sich vor und — wußte nichts. Die seit dem
letzten Herbst umgehenden Gerüchte über einen Wechsel im
Ministerium traten mit immer größerer Bestimmtheit auf3).
Cobenzl machte inzwischen noch einen letzten Versuch, den
Kaiser für seine Politik zu gewinnen, und fand in den guten
Nachrichten aus den Niederlanden einen neuen Grund für seine
Ansicht4). Der Kaiser ging nicht darauf ein, in seiner An-
schauung bestärkt durch die Meldungen aus Petersburg und
Berlins).
Denn am 23. März hatten Rasumowski und Cesar in Wien
die Konvention mitgeteilt6). Wir dürfen es den Österreichern
glauben, daß alle ihre trüben Erwartungen noch weit übertroffen
wurden. Rußland und Preußen motivierten die Verzögerung da-
mit, daß Goltz in Petersburg am 23. Januar nur sub spe rati
habe zeichnen können und daß man bei dem Eintreffen der
preußischen Genehmigung aus dem Hauptquartier auch sofort
die Ratifikationen ausgetauscht habe7). Die beiden Mächte
gingen auch hierin noch gemeinsam vor, fest entschlossen, sich
durch österreichischen Widerstand nicht von der Durchführung
ihrer Pläne abbringen zu lassen, hierin Europa vor eine vollendete
1) V i v e n o t II 759 und 760; S y b e 1 III 253—254.
2)WassiltchikowIIl, 143.
3) Häußer I 483.
4) Vivenot II 793. Das Datum des 23. März macht mich nicht
darin irre, daß das Memoire noch vor der russisch-preußischen Mitteilung
entworfen worden ist (vgl. H ä u ß e r I 483; S y b e 1 III 262—263).
5) Bericht Cesars 24. März. Vivenot II 793.
6 ) Preußen hatte — ohne rechten Erfolg — in Petersburg auf beschleu-
nigte Eröffnungen in Wien gedrängt; die Lage war ihm doch zu peinlich.
Jetzt ging Rußland schon selbst rasch vor (an Goltz 13. Februar).
7) Vivenot II 766. Bericht 21. Februar/4. März. L. Cobenzl
erfuhr auch vorläufig nur die Tatsache des Abschlusses, nicht den Inhalt
der Konvention. Sie wurde erst in Wien den Österreichern bekannt.
Vgl. noch Berichte 18./29. Januar, 21. Januar/1. Februar, 27. Januar/7. Fe-
bruar, 1./12. Februar, 4./15. März. An Goltz 18. Februar (dabei Ostermann
an Alopeus 27. Januar/7. Februar). An Cesar 19. Februar. Bericht Cesars
13. März.
488 Schluß
Tatsache zu stellen1). Preußen ließ in diesem unangenehmen
Geschäft die Russen vorangehen und teilte speziell nur seine
Erwerbung mit2). Schon in den ersten Tagen des Januar hatte
sich Österreich damit abgefunden, daß Preußen und Rußland
ihr Gebiet besetzten3). Allerdings wollte man die dauernde
Regelung der Frage dem Friedenskongreß vorbehalten4). Man
verzichtete für jetzt auf gleichzeitige Besetzung eines Stückes
von Polen, da man noch auf die Garantie des Tausches durch
Preußen und Rußland hoffte und nötigenfalls in Polen mindestens
ebensoviel wie Preußen besetzen wollte, dazu aber dessen An-
sprüche kennen mußte. Um eines kleinen Vorteils willen
wollte man den österreichischen Ruf nicht gleich so schwer
kompromittieren, wie es die Teilnahme an der Zerstückelung
Polens zur Folge haben mußte5). Man beschloß also, noch abzu-
warten, hielt sich dabei jedenfalls alle Wege offen, wenn sich
eine Okkupation für Österreich als wünschenswert erweisen sollte6).
Inzwischen stellte man möglichst laut die russische Einwilligung
für die preußische Besetzung als Folge des österreichischen Vor-
gehens in Petersburg dar. Das war nun doch ein zu plumpes
Verfahren, als daß irgend einer von den Beteiligten darauf herein-
gefallen wäre. Eine einfache chronologische Feststellung reichte
aus, diese Angabe zu widerlegen. Am 16. Dezember willigte
Rußland (in Petersburg) ein, erst am 25. ging der österreichische
Kurier nach Petersburg ab7). Ende Februar hatte Österreich
*) An Goltz 22. März, Ostermann an Alopeus 25. Februar/8. März
(4 Stücke). Ostermann an Sievers 25. Februar/8. März. Ostermann an Ra-
sumowski 25. Februar/8. März (H.E.B. 371). Bericht 25. Februar/8. März.
Bericht Cesars 24. März P.S. An Goltz 5. April. Friedrich Wilhelm an
das Kabinettsministerium 8. April. An Goltz 31. März. Bericht 11./22. März.
Bericht Cesars 6. April. An Cesar 31. März, 14. April. Bericht Lucchesinis
31. März und 22. April. An Lucchesini 4. April. Worontzow XX
40^5; XIV 253—254.
2) Berichte Cesars 21. und 24. März. An Cesar 19. Februar, 8., 15.,
17., 24. März. Bericht von Goltz 21. Februar/4. März. An Goltz 18. und
22. März mit Beilagen. V i v e n o t III 9 S. 19.
3) Berichte Cesars 3., 9., 26. Januar. Bericht Lucchesinis 10. Januar.
Rep. 92 Lucchesinis Nachlaß 12. L. AuRoi 23. Januar. Häußerl 482;
Vi veno t II 738—739.
4) Berichte Cesars 17. und 26. Januar.
5) VivenotII739-742und799;SybelIII251-252;HeigelII84-85.
6) Vi veno t II 779.
7) Berichte Cesars 3., 5., 16. Januar. An Cesar 10. und 25. Januar.
Bericht von Goltz 27. Januar/7. Februar. An Goltz 25. Januar. Rep. 92
Cesars Nachlaß 12. Cesar an Haugwitz 3. Januar.
Schluß 489
die Hoffnung aufgeben müssen, Preußens Anteil durch Rußland
verkleinert zu sehen1). Es konnte die russische Verdrehung der
Tatsachen kaum scharf genug tadeln. Um so erfreulicher schienen
die guten Aussichten für Bayern und eine Zuwage zu sein2).
Nun war aber der preußische Anteil schon größer, als Österreich
erwartet hatte. Um so mehr stiegen die österreichischen Ansprüche.
Cobenzl drängte seinerseits bei Mercy noch stärker als vorher
auf den Tausch3). Aber das war doch nur eine Kleinigkeit, die
man schon halb erwartet hatte, verglichen mit dem ungeheuren
russischen Anteil. Von Polen blieb jetzt ungefähr nur noch die
Hälfte übrig — zum Leben zu klein, zum Sterben zu groß. Der
österreichische Plan, den England billigte4), den jetzt auch
Preußen sich anzueignen beginnt und gegen dessen Abänderung
in russischem Sinne es allgemeinen Widerstand Europas voraus-
sieht5), da es nach der polnischen Seite selbst im ganzen saturiert
war und Polen als Pufferstaat zwischen den drei Mächten zu er-
halten wünschte, schien undurchführbar zu werden. Schon
stießen russisches und österreichisches Gebiet direkt zusammen6).
Endlich (und das war für Österreich wohl das gefährlichste!),
die Zusicherung der beiden kontrahierenden Mächte über die
Entschädigung schien so unsicher ausgefallen zu sein, daß hier
nichts Ernsthaftes erreicht werden konnte7).
Völlig umsonst also hatte man in Petersburg seine anti-
preußischen Minen gelegt; umsonst waren die Bemühungen für
den eigenen Vorteil, umsonst das Abwarten in der Besetzung
eines polnischen Landstriches gewesen. Man fühlte sich in jeder
Weise betrogen und hintergangen. Nur mühsam wurden Philipp
Cobenzl und Spielmann ihrer Bewegung Herr, als ihnen die Mit-
teilung gemacht wurde8). Die Nachricht drückte dem Entschluß
x) Vivenot II 759—760. Berichte Cesars 20., 23. und 25. Fe-
bruar, 22. März. An Cesar 1. März.
2) Bericht Cesars 9. März; S y b e 1 III 251—252. An Goltz 18. Februar.
3) Vivenot II 784.
4) Bericht Lucchesinis 30. Januar. L. Au Roi 28. Januar (in Rep. 92
Lucchesinis Nachlaß 12).
5) An Goltz 7. April.
6) Worontzow XIV 253.
7) Rasumowski ging in dieser Frage zum Ärger der Preußen in der
Auslegung der Worte natürlich wieder weiter als jene. (Bericht Cesars
21. März P.S. II. Alvensleben 27. März. Finckenstein 27. März. An Cesar
28. März.)
8) WassiltchikowII 1, 144—145.
490 Schluß
des Kaisers nur noch das Siegel auf1). Am 27. März erhielten
Cobenzl und Spielmann in einer für den Kaiser sehr charakte-
ristischen Weise2) ihre Entlassung aus den bisherigen Ämtern.
Spielmann schied aus jeder amtlichen Tätigkeit, da er es ab-
lehnte, sich mit einem geringfügigen Ruheposten zu begnügen.
Cobenzl behielt nur die italienischen Geschäfte, die von jetzt an
nicht mehr im Bureau der auswärtigen Angelegenheiten, sondern
in einem eigenen Departement bearbeitet wurden, wie man es
kurz vorher auch mit den niederländischen Geschäften gemacht
hatte, und bekam den Titel Hofkanzler3). Thugut und als sein
Gehilfe Daiser traten an ihre Stelle. Es bezeichnet den tat-
sächlichen Bruch mit den bisherigen Verbündeten, die Annäherung
an England.
Das konnte auch Preußen nur auf der Bahn weitertreiben,
die es seit dem Oktober 1792 beschritten hatte und auf der es
schon in der zweiten Teilung Polens ein so erfreuliches Ergebnis
erreicht hatte. Hier ist ein wichtiger Einschnitt in der preußischen
Politik zu erkennen. So wenig er uns in den militärischen Ereig-
nissen entgegentritt4), politisch ist er um so wichtiger und nicht
nach Valmy, sondern hier zu machen5). Von jetzt an nahm
1) Häußer I 483—484; S y b e 1 III 254—255 zieht die englische
Verhandlung zwar auch heran, aber bewertet die polnische zu hoch ; denn
was auch Österreich auf Grund der früheren Verhandlungen mit Preußen
wissen konnte — es war doch über die neue preußische Grenze im
unklaren und suchte sie zunächst auf Grund der Mainzer Abmachungen
(V i v e n o t II 739 und 759 — 760) jedenfalls nicht dort, wo sie hinkam.
Für den Tausch waren die Nachrichten aus Rußland und Preußen immerhin
nicht schlecht. Hier mußte man jedenfalls vor einem entschiedenen Urteil
genauere Nachrichten abwarten. Da nun die Entscheidung schon vor
ihrem Eintreffen gefallen ist und da den Hauptstreitpunkt zwischen
Kaiser und Minister seit Ende November, besonders stark seit dem Ja-
nuar, das Verhältnis zu England bildete, so glaube ich hierin den Grund
und in den Nachrichten aus Petersburg und Berlin nur den Anlaß zu dem
Sturze von Cobenzl und Spielmann zu sehen. Vgl. noch H.E.B. 376.
Berichte Cesars 29. März und 3. April. S y b e 1 III 259 und 263 ; H e i g e 1
1193—96; Sorel III 325—326. H. Freiherr Langwerth v. Simmern,
Österreich und das Reich im Kampfe mit der französischen Revolution
(Berlin und Leipzig 1884), Bd. I, S. 320 und 339 ff.
2) Sybel III 263.
3) Vivenot II 796—798 und 802—803. Rep. I 174. Ph. Cobenzl
an Cesar 28. März. Thugut an Cesar 30. März. Bericht Cesars 3. März P.S.
4) Die Gründe dafür habe ich oben angeführt.
5) H e i g e 1 II 82 — 84 setzt den Umschwung in den März 1793. Aber
das war nur der Abschluß einer Bewegung, die schon monatelang im Gange
Schluß 491
Preußen am Kriege nur noch teil, weil es sich dazu verpflichtet
hatte, nicht weil es eigene Interessen dabei verfolgte. Der Traum
war verflogen, in Frankreich nach der Wiederherstellung der
Monarchie, deren Kraft noch zu stärken Preußens Absicht ge-
wesen war, einen Bundesgenossen zu finden, die Absicht auf-
gegeben, die Verfassung im eigenen Sinne umzugestalten; die
neuen Zustände wichen doch zu sehr von den bisherigen ab und
waren noch zu wenig geklärt, als daß man darauf schon irgend
einen Plan hätte bauen können. In dieser Zeit schied Frankreich
für die Zukunftsrechnungen der preußischen Politiker aus. Das
Bündnis mit Österreich war tatsächlich zerrissen. Wen die
Schuld daran mehr trifft, will ich hier nicht genau abzuzirkeln
wagen; ich möchte aber doch hervorheben, daß auf preußischer
Seite in dem ganzen Jahre das ehrliche Bestreben nachzuweisen
ist, dem Genossen gerecht zu werden, daß für die Österreicher
aber mehrfach das Gegenteil gilt.
Doch auch die neue preußische Freundschaft mit Rußland
begann schon einen Riß zu bekommen1), der sich mehr und mehr
erweitern und Vorgänge herbeiführen sollte, die Preußen veran-
laßten, in Basel seinen Frieden mit der französischen Revolution
zu machen. Damit war dann die Isolierung Preußens vollendet
— denn von dem Bruch des Bündnisses mit den Seemächten
waren wir ja ausgegangen. Es begann jene Epoche preußisch-
norddeutscher Neutralität im europäischen Kriege, in der uns
zwar so herrliche Blüten unserer klassischen Literatur beschert
Worden sind, in der aber eine politische Weiterbildung kaum
stattfand. Solange ein Konflikt mit der neuen Großmacht sich
nicht ergab, konnte man sich über die Schwäche dieses Zustandes
täuschen. Als er nicht mehr zu vermeiden war, zeigte sich die
Schwäche des Alten im Kampf mit dem Neuen. In einer Zeit,
wo man von einer militärischen Promenade nach Paris sprach,
wo man für die Sekte der Jakobiner nur Worte der Verachtung
hatte, wo man es stolz ablehnte, mit einer Regierung zu pak-
tieren, die für die Ehrlichkeit ihrer Versprechungen und für ihre
eigene Existenz keine genügende Sicherheit zu bieten vermochte,
sehen wir demnach die Katastrophe von Jena sich vorbereiten.
war. Die Entscheidung war bereits um die Wende von Dezember und
Januar gefallen. Ich möchte die Zeit vom Oktober 1792 bis zum April
1793 für die preußische Politik als Übergangszeit bezeichnen.
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der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts. Zwei Bände. Dritte, in Verbindung
mit Dr. Arthur Gold mann umgearbeitete Auflage
Geheftet M. 15.— In Halbfranzband M. 18.—
— ,,— Die Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben
kritisch erörtert Geheftet M. 7. — In Leinenband M. 8. —
— ,,— Die Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben.
Zweiter Teil. Auch unter dem Titel: Leopold von Ranke,
Die Generationenlehre und der Geschichtsunterricht
Geheftet M. 8.— In Leinenband M. 9.—
— ,,— Genealogisches Handbuch der europäischen Staatengeschichte.
Dritte, vermehrte Auflage des „Genealogischen Hand- und Schulatlas ".
Bearbeitet von ErnstDevrient In Leinenband M. 14. —
— ,, — Lehrbuch der gesamten wissenschaftlichen Genealogie. Stammbaum
und Ahnentafel in ihrer geschichtlichen, sociologischen und natur-
wissenschaftlichen Bedeutung Geheftet M. 8. — In Leinenband M. 9. —
— ,, — Staatsmänner und Geschichtschreiber des neunzehnten Jahr-
hunderts. Ausgewählte Bilder Geheftet M. 6. — In Leinenband M. 7. —
Inhalt: Fürst Mettemich. — Aus der österreichischen Revolutionszeit. —
Friedrich Wilhelm IV. — Sächsische Erinnerungen. Ein Lebenslauf von Julius
Fröbel. — Charakterskizzen
Johann Losertn, Die Reformation und Gegenreformation in den inner-
österreichischen Ländern im sechzehnten Jahrhundert Geheftet M. 12. —
M. Manitius, Deutsche Geschichte unter den sächsischen und salischen
Kaisern (911—1125). Mit 1 Karte Geh. M. 8.— In Halbfrzbd. M. 10.—
Erich Marcks, Deutschland und England in den großen europäischen
Krisen seit der Reformation. Zweite Auflage Geheftet M. 1 —
Fr. meinecke, Das Leben des Generalfeldmarschalls Hermann von Boyen.
Mit Porträt Boyens. Zwei Bände Geheftet M. 20.— In Leinenband M. 22. —
Eduard Meyer, Geschichte des Altertums. ErsterBand. Zweite Auflage.
Erste Hälfte. Einleitung. Elemente der Anthropologie
Geheftet M. 4.50. In Halbfranzband M. 6.—
Zweite Hälfte unter der Presse
ZweiterBand. Zweite Auflage. Erste und zweite Hälfte inVorbereitung
Dritter Band. Das Perserreich und die Griechen, Erstes
und zweites Buch: Bis zu den Friedensschlüssen von 448
und 446 v. Chr. Mit 1 Karte
Geheftet M. 13.— In Halbfranzband M. 15.50
Vierter Band. Das Perserreich und die Griechen. Drittes
Buch: Athen (vom Frieden von 446 bis zur Kapitulation Athens im
Jahre 404 v. Chr.) Geheftet M. 12.— In Halbfranzband M. 14.50
FünfterBand. D as Perserreich und die Griechen. Viertes
Buch: Der Ausgang der griechischen Geschichte
Geheftet M. 11.— In Halbfranzband M. 13.50
Annie Mittelstaedt, Der Krieg von 1859, Bismarck und die öffentliche
Meinung in Deutschland Geheftet M. 3.60. In Leinenband M. 4.60
Verlag der J. Gr. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolger
Stuttgart und Berlin
Engelbert Mühlbacher, Deutsche Geschichte unter den Karolingern.
Mit 1 Stammtafel und 1 Karte Geheftet M. 8. — In Halbfranzband M. 10. —
Hermann von Petersdorff, Kleist-Retzow. Ein Lebensbild. Mit einem
Porträt Geheftet M. 8.— In Halbfranzband M. 10.—
— „— König Friedrich Wilhelm fv. Geh. M. 4.50. In Leinenband M. 5.50
Albert Pfister, Deutsche Zwietracht. Erinnerungen aus meiner Leut-
nantszeit 1859 bis 1869 Geheftet M. 6.— In Leinenband M. 7. —
— ,,— Die Amerikanische Revolution 1775—1783. Entwicklungsgeschichte
der Grundlagen zum Freistaat wie zum Weltreich. Zwei Bände. Mit
zwei Karten Geheftet M. 12. — In zwei Leinenbänden M. 14. —
Hanz Prutz, Preußische Geschichte. Vier Bände
Geheftet M. 32.— In Halbfranzband M. 40 —
Sigmund Riezler, Geschichte der Hexenprozesse in Bayern
Geheftet M. 6.— In Halbfranzband M. 8.—
Moriz Ritter, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation
und des Dreißigjährigen Krieges (1555 — 1648). Drei Bände
Geheftet M. 22.— In Halbfianzband M. 28.-
Albert von Kuville, William Pitt, Graf von Chatham. Drei Bände.
Mit Porträt und 5 Kartenskizzen Geh. M. 24. — In Halbfrzbd. M. 29. —
Richard Schwemer, Papsttum und Kaisertum. Universalhistorische
Skizzen Geheftet M. 2.50. In Leinenband M. 3.50
Alfred Stern, Geschichte Europas seit den Verträgen von 1815 bis zum
Frankfurter Frieden von 1871. Erste Abteilung: 1815—1830. Drei
Bände Geheftet M. 26.— In Halbfranzband M. 32.—
Zweite Abteilung: 1830—1848. Erster Band
Geheftet M. 12.— In Halbfranzband M. H.-
Heinrich von Sybel, Geschichte der Revolutionszeit 1789—1800.
"Wohlfeile Ausgabe. Zehn Bände Geh. M. 24. — In Leinenbd. M. 30. —
Veit Valentin, Frankfurt am Main und die Revolution von 184849
Geheftet M. 10.— In Leinenband M. 11.50
Karl Friedrich Graf Vit zi hu m von Eckstädt, Berlin und Wien
in den Jahren 1845 — 1852. Politische Privatbriefe. Zweite Auflage
Geheftet M. 5. — In Leinenband M. 6. —
W. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter bis zur
Mitte des dreizehnten Jahrhunderts. Erster Band. Siebente von Ernst
Dum ml er umgearbeitete Auflage. Mit einem Porträt
Geheftet M. 11.— In Leinenband M. 12.50
— ., — Geschichte des römischen Papsttums. Vorträge. Zweiter Abdruck
Geheftet M. 7.— In Leinenband M. 8.20
Eduard Wertheimer, Der Herzog von Reichstadt. Ein Lebensbild.
Nach neuen Quellen. Mit 6 Lichtdrucken und einer Briefbeilage in
Faksimiledruck Geheftet M. 9.— In Leinenband M. 10. —
II. von Zwiedineck-Südenhorst, Deutsche Geschichte im Zeitraum
der Gründung des preußischen Königtums. Zwei Bände. Mit 1 Karte
Geheftet M. 16.— In Halbfranzband M. 20.—
— ,,— Deutsche Geschichte von der Auflösung des alten bis zur Errichtung
des neuen Kaiserreiches (1806—1871). Drei Bände. Mit 1 Karte
Geheftet M. 20.— In Halbfranzband M. 26.—
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