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FRDMTHE- LlfeRARY OF
TRINITYCOLLEGE TORONTO
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THE WILLIAM CIAARK
MEMORIAL LIBRARY
DONATED 1926 A.D.
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Digitized by the Internet Archive
in 2010 witli funding from
Univers ity of Toronto
Iittp://www.arcliive.org/details/psycliologisclieun01lierb
Psychologische
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Untersuc B^ii n ff e n
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Erstes Heft.
Mit zvvev lithographirtcn Tafeln.
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Drnclj und Verlag der Dlelcriclisclien Biicliliandhing.
t § 3 9.
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LIBRARY ^
V o r r e el e.
Für die Psychologie sind zwey Klassen von
Untersuchungen gleich nolhwendig; die eine von
den zugleich sinkenden , die andre von den zu-
gleich steigenden Vorstellungen. Jene muss voran •
gehn, weil die ursprüngliche Klarheit, welche in
der Wahrnehmung liegt, erst einen Verlust muss
erlitten haben, bevor sich das Vorstellen der ver-
lornen Klarheit wieder bemächtigen , oder wenig-
stens wieder annähern kann. Aber die zweyte
Klasse von Untersuchungen muss folgen, wenn
nicht eine Art von Einseitigkeit in der Wissen-
schaft entstehen soll, \Yodurch ihr praktischer Ge-
brauch , und selbst die richtige Auffassung des Gan-
zen leiden würde,
Der ersten Klasse einige niatheraallsche Be-
stimmtheit zu geben , hatte der Verfasser schon
vor vielen Jahren versucht; da er in einem grössern
Werke die Begriffe der Statik und Mechanik des
Geistes durch die ersten nothwendigen Grundfor-
meln zu hxiren suchte. Was die zweite Klasse
anlangt, so wird schon etwas dadurch gethan seyii,
dass die Einseitigkeit, welche ohne sie entstehn
.1 *
IV
könnte, angezeigt wird; übrigens ist ein, freylich
sehr schwacher, Keim dessen was hlehcr gehört,
In jenem Werke zu finden *).
Etwas mehr auch hierin zu leisten , dazu wurde
das jetzige Unternehmen anfänglich bestimmt ; al-
lein indem die Papiere, welche sich darauf bezie-
hen, fiir den Druck zu ordnen waren, ergab sich,
dass zuerst selbst der frühem Arbelt einige Erwei-
terungen von solcher Art nöthig scyn möchten, wo-
durch bestimmte Thatsachen könnten benutzt wc-
den, um daran die Theorie erproben zu lassen.
So ist das vorliegende erste Heft entstanden ; wel-
ches seinen Werth hauptsächlich in der Auswahl
der Thalsachen sucht. Nicht als ob dieselben an
sich zu den am meisten interessanten gehörten.
Sondern darum, weil es darauf ankommt, aus den
Yorräthen der empirischen Psychologie solche Ge-
genstände auszuwählen, die sich mit Präclsion auf-
stellen lassen; und deren glebt es nur sehr wenige,
daher man eben diese wenigen sehr sorgfältig be-
nutzen muss, wenn man wissen will, ob eine ge-
gebene Theorie sich in der Anwendung bewähre
oder nicht.
Mögen nun Andere, die eine bessere Theorie
zu besitzen glauben, nicht bloss widersprechen,
*) Psycliologle als Wissenschaft, neu gegründet auf
Erfalirung, INletapliysik uud IMaltiematik. §. 93.
sondern auch mit eignen Kräften sich auf diesen
l ebungsplälzen hervorthun. Für einzelne Facta
lassen sich leicht scheinbare Deutungen erkünsteln;
wo aber ganze Systeme von Thatsachen auf ein-
mal vorliegen, die man nicht vereinzeln kann, da
muss es sich verralhen, ob die Erklärungen er-
künstelt sind, oder sich ungezwungen auffinden
Hessen. Alsdann verliert die Frage, was Dieser
oder Jener einräumen und bewilligen möchte, alle
Bedeutung. Klare Thatsachen liegen ausser dem Be-
reiche der Wortgefechte ; einmal richtig verslan-
den, reden sie lauter als irgend eine Schule re-
den kann *). •
*) Gegen die elugeblldele Herrschaft euiiger Scluilen
zu protestiren wäre überflüssig; gegen die Streitsucht,
die sich immer von neuem regt, vmd bey jedem neuen
Anlauf wieder leichtes Spiel zu haben meint, soll hier
bloss an den ersten Band der Metaphysik, nebst der
— damit zu verbindenden — analytischen Beleuchtung
des Natnrrechts und der Moral, erinnert werden. Zur
Fortsetzung dieser kritisch -historischen Schriften wäre
Stoff genug vorhanden; die jetzige Absicht ist aber nicht
darauf gericlitet , den Formwechsel aller Lehrmeinungen
in seinem Gange zu stören. Wegen des allgemeinen
Zusammenhanges der Untersucluuigen ist auf des V erfs.
kurze Encyklopädie zu verweisen. Dort ist einiger-
maassen für die Bequemlichkeit Derer gesorgt, die noch
immer das "NTort ^letaphysik scheuen. Auf den all-
gemeinen Zusammenhaug hinzuweisen, ist um desto
nöthiger, je mehr man (wie in der vorliegenden Schrift
geschieht) sich auf specielle Gegenstände einlässt, denn
VI
Mathematische Psychologie sieht der Natur der
Sache nach zwischen Metaphysik und Erfahrung.
Mit blosser Erfahrung allein würde sie nicht in
Gang kommen ; denn die Analysen der Erfahrung
linden eine solche Verwickelung von Umständen
vor, — das, was in uns geschieht, zeigt sich der
Beobachtung so bunt und so schwankend, dass
man nicht deutlich sieht, was für ein Gegen^
stand eigentlich vorliege, an welchen die Rech-
nung angebracht werden könne. Ob man durch
glückliche Hypothesen den Eingang der Unter-
suchung hätte finden können , mag dahin gestellt
seyn ; es ist wenigstens Jahrhunderte lang nicht
geschehen. Gesetzt aber auch, es geschähe: so
würden Begriffe, welche der Metaphysik angehö-
ren, dabey nicht zu vermeiden seyn, nämlich die
Causal- Begriffe. Alles kommt darauf an , welche
Meinung von der gegenseitigen Wirksamkeit des-
sen was sich ?»bwechse|nd in uns regt, man zum
Grunde lege. Für den Vortrag entsteht hieraus
ferner die Schwierigkeit, dass, wie bestimmt auch
diese Meinung gedacht seyn möge, sie auf neue
Schwierigkeiten stösst, wenn sie in \^^orten aus-
gedrückt werden soll. Für metaphysische Gedan-
ken bleibt der sprachliche Ausdruck allemal man-
über dem Einzelneu darf das Ganxe nicht aus den Au'-
cen verloren werden.
VIl
gelliaft, weil er entweder von der gewöhnliclien
Umgangssprache sich zu weit entfernt, oder, falls
er populär seyn will, die Einmischung des popu-
lären Melnens und Denkens nicht abwehren kann.
In dieser Beziehung können die mathemalischen
Formehl zu Hülfe kommen ; nämlich in der Vor-
aussetzung, dass man sie benutze, um von ihnen
aus, nachdem sie einmal da stehn , auf die bey
ihnen zum Grunde liegenden Ca usal -Begriffe zu-
rückzuschliessen. Man wird in dem ersten der
nachstehenden Aufsätze (womit noch der Schluss
der dritten Abhandlung kann verglichen werden,)
die Begriffe der Spannung, der Energie, und der
Wirksamkeit zusammengestellt linden ; und zwar
gemäss der früher schon angegebenen Piechnung;
dergestalt, dass aus der Piechnung erkannt wer-
den möge, wie der Begriff des Gleichgewichts un-
ter den Vorstellungen hier zu verstehen sey. Es
zeigt nämlich die Piechnung kein Gleichgewicht un-
ter den Spannungen, auch keius unter den Ener-
gien; sondern unter den Wirksamkeiten, welche
darin bestehn, dass jede Vorstellung der Hemmung,
die über alle verhängt ist, hinreichend entgegen-
ßtrebt, um nicht mehr als ihr zukommt davon zu
übernehmen. Denn jede einzelne Vorstellung wehrt
der Hemmung, und setzt ihr eine Gränze. Die
Annäherung ,an diese Gränze geschieht allmählig ;
bey denjenigen Vorstellungen , die ganz aus dem
VIII
ßewusstseyn verdrängt werden, ist diese Gränze
imaginiir; (sie fällt ins Negative, was bey Vorstel-
lungen nicht möglich ist,) die übrigen gelangen
niemals ganz dahin. Würden die Gränzen erreicht,
alsdann wäre Piuhe vorhanden; und nichts ande-
res, als diese Pvuhe, verstehn wir unter dem Gleich-
gewicht der Vorstellungen. Dies wirft ein Licht
zurück auf die der Piechnung zum Grunde liegen-
den Causal- Begriffe. Würde ein anderer Begriff
von dem Causal- Verhältnisse der Vorstellungen
zum Grunde gelegt, so würde derselbe ohne Zwei-
fel in einer andern Form der Pvechnung seinen
Ausdruck finden; und hieraus zurückschliessend
würde der Leser den Unterschied der Causal -Be-
griffe deutlicher erkennen , als ihm derselbe in
blossen Worten könnte dargelegt werden. Wel-
cher von den Causal - Begriffen aber nun der Wahr-
heit gemäss sey, dies würde nicht die Pvechnung
entscheiden , sondern einerseits müssten die Be-
griffe metaphysisch untersucht werden, anderer-
seits käme es auf Erfahrung an , welche die Re-
sultate der Piechnung zu erproben und zu be-
währen hätte. Dass übrigens neue Untersuchun-
gen der Prüfung und vielleicht der Berichtigung be-
dürfen, weiss Jedermann, und gilt hier wie es bey
allen ähnlichen Unternehmungen gelten wird.
Inhalt.
Seite
I. lieber die Wichtigkeit der Lehren von den
Verliältnissen der Töne, und vom Zeitmaasse,
für die gesanimte Psychologie 1
IL Ueber die Tonlehre 39
IIL Ueber die ursprüngliche Auffassung eines
Zeitmaasses 143
IV. Bemerkungen über die Bildung und Ent-
wickelung der Vorstellungsreihen .... 184
lieber die TTichtlijkeit der Lehre von den f^erhält-
nissen der Töne ^ und vom Zeitmaasse , für die
gesummte Psychologie.
Als Kant, die reine Vei'nunft krltlslreutl , deu Ver-
stand auf die Erfalaung verwies: da war es Zell, den
Iransscendenten Begriiren einstweilen Ruhe zu gönnen ;
und über die Möglichkeit der Erfahrung zuvörderst ge-
nauer nachzudenken, um später mit besserer Vorbei'ei-
lung zu höhern Untersuchungen zurückzukehren.
]Man würde bald gefunden haben, dass aus angenom-
menen Formen des Vei'standes imd der Sinnlichkeit sich
keine Möglichkeit der Erfahrung ergiebt ; weil Formen,
die auf immer gleiche Weise in uns liegen, keine Un-
terschiede dessen, was sich zur Beobachtung darbietet,
erklären köiuieu.
Man würde weiter gefunden haben, dass die Granzo
zwischen Sinnlichkeit und Verstand unrichtig müsse ge-
zogen seyn. Denn um die Formen des Verstandes, die
Kategorien, vollständig aufzufinden, hatte sich Kant an
die reine Logik gewendet; diese sollte ihm einen Leit-
faden gewähren, welcher den Einthoilungen der Urlheile
entlehnt war. Eben diese Logik nun, welche für die
eigentliche Wissenschaft des Verstandes galt, verräth
durch ihre ganze Kunstsprache ein Bedürfniss räumlicher
Vorstellungsart; ohne welche weder von Gegensalzeu
A
noch vom Unifang imd liihnlt tler Begriire, ■weder von
Sätzen iiüih Sclilii.ssen, weder von Prämissen iiüch Con-
clusioneu zu reden Nvure. Das ganze Oben, Unten, ]Mit-
ten, was bey Begrillen und Scldüssen uns überall be-
gleitet, zeigt eine Gemeinscbalt mit dem Uaume, der
vei-meinlen Form der Sinnlichkeit.
Nach solchen Bemerkungen gegen die Art, aus einer
Zusanunenwirkung der Sinnlichkeit luid des Verstandes
die Möglichkeit der Erfahrung zu erklären, musste auch
die Frage, wie sind synthetische Urtheile a piioi-i mög-
lich? von neuem in Erwägung kommen. Das mindeste,
was man dabey thiui konnte, war, den Umfang des
Feldes zu betrachten, worin dergleichen Urtheile sich
darbieten. Gleich der Raum liefert nicht bloss mathe-
matische , sondern auch ästhetische Urlheile in Menge.
Die Zeit liefert dergleichen in Verbindung mit der
Sprache und IMusik. Die Musik hat an der Tonleiter
eine Fülle von Verhältnissen, die als consonirend und
dissonirend unmittelbar beintheilt werden; mit einer
Evidenz, wie bey geometrischen Axiomen. Woher diese
synthetischen Urtheile? Sollte dafür eine neue Form
der Sinnlichkeit, die Tonlinie, analog dem Räume, an-
genommen werden? Oder meinte man im Ernste, der
Tonkünstler, welcher Musik nicht bloss hört sondern
denkt, em])finde einen Nervenkitzel in Folge zusammen-
trelf ender Schallwellen? —
Diese kvu'zen Erinnerungen an INIanches , was schon
anderwärts gesagt worden, müssen hier als Anknüpfungs-
pvmcte genügen. Man gedenke dabey der Schwierigkeit,
für die Psychologie solche Thatsachen aufzustellen, wel-
che hinreichend scharf beobachtet sind , um der Unter-
suchung zu Slützpunctcn zu dienen. Wo es an vesten
Palleten fehlt, deren Bedürfnlss man lebhaft fühlt, da
ist immer eine grosse Versuchung vorhanden, nach eig-
ner Bleinung solche Vestungswerke zu errichten, wie
Kant und so Viele nach ihm unternahmen , indem sie
jedes einzelne Seelenvermögen durch genaue Granzbe-
slimmungen veslstellen wollten , tuid dabey besonders
über Verstand luid Verninift in niclit geringe Streitig-
keiten geriethen. Kein Wunder, dass späterhin es sehr
übel genommen winde, als der Verfasser die sammtli-
chen Seelenvermögen für mythologische V\^esen erklärte.
Giebt es aber wirklich gar keine vesten Puncto iür
die Psychologie ? Oder müssen w ir uns w ohl gar nocli-
mals auf das Fichtesche Ich einlassen , so wenig Vestig-
keit dieses auch in der neuern Geschichte der Philosophie
bewiesen hat ?
Veste Puncte in der Psychologie wird man vor allem
xmter den stehend und bleibend gewordenen Producten
des menschlichen Vorstellens zu suchen haben. Diese
erzählen zwar nicht selbst die Geschichte ihres ersten
Ursprungs und ilu-er alhuahligeu Ausbildung; aber auch
nicht bey allen ist diese Geschichte so verwickelt und
60 schwer zu finden, wie beym Ich; und nicht alle in-
dividualisiren sich so mannigfaltig wie das Selbslbewusst-
seyn. Auch stehen nicht alle so vereinzelt wie dieses,
für welches mau keine passenden Vergleichungen auf-
finden kann. Sondern es giebt deren, die gruppenweise
beysammen liegen, so dass die Erklärung, nachdem sie
irgendwo einen Anfang gewann, leicht von selbst fortlauft.
Als bleibende Erzeugnisse des menschlichen Geistes
müssen besonders die ächten und anerkannten ästheti-
schen Urtheile angesehen werden. Diese Producte ha-
ben das Schwankende abgelegt, was sonst die Bevve-
A*
4
gungen des Denkens und Fühlcns charakterlsirt ; und die
andersvärts so schwierige Frage: ob sie einen realen
Gegeusland unniltlelbar zu erkennen gelten ? — diese
Frage, welche die Untersuchung über das Ich so un-
säglich erschwerte, — findet bey ihnen gar nicht statt.
Denn Jedermann weiss, dass ein ästhetisches Verhält-
niss das nämliche bleibt , ob es nun bloss vorgestellt
oder äusserlich walu'genonunen werde.
Schon die Geschichte, wo sie Völker und Zeiten in
deren Figenthümlichkeit aufzufassen sucht, findet ein
wichtiges Ilülfsmittel der Charakteristik in den "Wer-
ken der schönen Kunst, welche zu Documenten aus der
Vorzeit dienen. Sie betrachtet diese als sprechende Re-
präsentanten der Bildungs - Stufe und Bildungsweise der
Orte und Zeiten; während in den Thalen, ja selbst in
den Gesetzen, viel mehr Schwebendes, Abhängiges, Zu-
fälliges liegt; welches selbst, wenn es sich lange blei-
bend einhielt, docli oft nur blieb, weil es einmal da
war. Was durch seine Schönheit bleibt, hat dagegen
zugleich das Zeugniss der nachfolgenden Zeilen für sich,
die es gegen den Untergang schützten.
"Wiederum aber ist nnter den ästhetischen Gegen-
ständen ein grosser Untersclüed für die Psychologie, je
naclidem ihre Regel mehr oder w^cniger genau vestge-
stellt ist. Die Frage: worin liegt der Grund
dieser Regel? wie hängt sie mit den Gesetzen der
geistigen Thätigkeit (sowohl bey den Künstlern als den
Zuschauern und Hörern) zusammen? diese psycholo-
gische Frage wird schwierig, wo die Regel noch
schwankt; — hingegen veranlasst sie desto belehren-
dere Untersuchungen, je entschiedener die Ueberzeugung
ist, dass die Regel nur so und nicht anders anecuoju-
jiien Nvcrilen könne. AN äre liior von räumlichen Ge-
genstanden zu reden , so würden wir eben deshalb der
Psychologie friilieren Gewinn von der Bclrachlung ar-
chitektonischer Regeln versprechen, als von Reilexionen
über Plastik und jMalcrey. ISicht als ob den letztern
ein geringerer AVerth beyzulegen wäre! Aber die Ar-
chitektin' hat weit veslere Formen ; luid bey ihr kann
man viel leichter das Felilerhafte im Gegensatze des
Richtigen erkennen.
Wer indessen bey der AYahl des Gegenstandes, wor-
an die Unlersuclnnig sich üben viud bewähren soll, die
Einfachheit luid hiemit die Bcslimmtheit der Probleme
zu schätzen weiss, worauf eine anhaltende INIedilalion,
fern von aller Zerstreuung durch ein buntes Vielerley,
sich heften muss: der wird den Raum, mit den Ver-
wickelungen seiner Gestalten in drey Dimensionen, gern
80 lange zur Seite legen, als ihm die Zeit, die nur
eine Dimension hat, noch Fragepuncte genug darbietet«
Und einfacher, möchte man glaulien , lasse sich kaum
etAvas finden , als das Zeitmaass , welches zwischen
zwey momentanen AA^ahrnehmungen eingeschlossen,
sich gleichföi-mig wiederhohlt , wenn die nämlichen
AA'ahrnelmmugen stets in gleichen Zeitdistauzen erneuert
werden.
Dennoch giebt es einen Gegenstand, der den ersten
ElementarbegriiTeu der Psychologie noch näher liegt als
die Zeit mit ihrer Couliuuität, und der Tact mit seinen
Abtheiluugeu. Es sind die Zusammenstellungen einfacher
Töne, wodurch die Tonkunst ihre charakteristisch ver-
schiedenen Intervalle und Accorde bildet. "VA'ir werden
diesen Gegenstand zuerst ins Auge fassen. Denn hier
lässt sich bestimmter, als irgendwo sonst, augeben:
Was soll die Psycliologie erklären?
Wie genau trifft die Erklärung mit dem Erklär-
ten zusammen ?
INIan bemerke wolil , in ^vclcllem Sinne hier von
vesten Punctcn für die Psychologie geredet wii-d. Die
Meinung ist niclit etwa diese: als sollten die vesten
Puncte als Principicn der Erklärung gebraucht -werden.
Die Psychologie liat in demjenigen Gebiete, -worin wir
uns hier versetzen, nicht eigentlich zu lernen, sondern
sie lehrt, in Folge der Principien, die sie schon besitzt;
und ihre Lehre geht ohne allen Vergleich -weiter, als
bloss auf üie Tonkunst, die vielmehr ein sehr unt^r-
geordneter Gegenstand für die Lehre im Ganzen genom-
men ist. Allein indem sie lehrt, — indem sie Con-
structionen a priori entwirft, — entsteht der uns -wohl
bekannte Zweifel, ob die Lehre nicht etwan ein Hirn-
gesjiinnst sey, wie es viele giebt. Darinn bedarf die
Leine einer Bestätigung; und hiezu werden in der
Erfahrung veste Puncte gesucht, mit denen die Lehre zu-
sammentreffen soll. Denn eben diese sind das, was sie
erklären soll. Rünnte man solcher vesten Puncie
viele finden, so hätte die Tonlehre keinen besondern
\ orzug. Allein während es der Bestätigungen viele und
mancherley giebt, sind sie doch nicht alle von gleichem
Werthe, weil in vielen andern Fällen die Leliren der
Psychologie bestimmter lauten, als dasjenige sich beob-
achten lässt , was in der Erfahrung mit ihr zusammen-
treffen sollj indem es vielmehr so schwankend, zerflie-
ssend, vieldeutig ist, dass für die Yergleichung keine
sichern Resultate gewonnen werden. Was würde es
nützen , wenn wir z. B. eine psychologische Lehre zur
Erklärung des Unterschiedes zwischen dem Bittern, Schar-
feil, Gewürzliafleu , besasson':' Diesen Unterschied un-
abhängig von aller Tiehre, schon bloss ihatsächlich, vest-
zustellen, würde nidit gelingen ; man ^viirde die Theorie
mit keiner sichern Erfahrung vergleichen können. Ganz
anders verhält es sich mit dem Unterschiede zwischen
einer Quarte, falschen Quinte, i-eiuen Quinte ; deren jede
von der andern so weit getrennt ist, dass es lächerlich
se}ai würde, hier von einer Gefahr der Verwechselung
auch nur zu träunien ; und zwar dergestalt getrennt, dass
lediglich das musikalische Denken , ohne leibliches Hö-
ren, luid vollends ohne Theorie, hinreicht, um sie zu
luilerscheiden.
Jedoch wollen wir nicht verhelilen, dass eine abso-
lute Genauigkeit auch hier nicht statt findet. Wenn
wir die Lehren der Psycliologie noch beyseite setzen, so
finden sich schon zweyerley Bestimmungen der Tonver-
hältnisse, von denen nicht geläugnet werden kann, dass
aus ihnen eine geringe Schwankung hervorgeht. Die
erste Bestimmung ist das ästhetische Urtheil selbst, wel-
ches im blossen Hören oder Denken die musikali-
schen Intervalle von den dazwischen fallenden (deren
Zahl unendlich ist) unterscheidet. Würde man aber ver-
langen, dass hiediuxh alle Intervalle bis auf ein Tauseud-
theil der Octave sollten vestgeslellt werden, so möchte
wohl der geübteste Musiker, wenigstens bey Dissonan-
zen, sich dazu unfähig bekennen. Die zweyte Bestim-
mung ist vollkommen scharf, denn sie geht von den
Schwingungen oder den Längen der tönenden Körper
aus; und man verdankt sie den mathematischen Physi-
kern. Indem sie aber praktisch angewandt wird , zeigt
sich ein kleiner Unterschied zwischen dem leiblichen Hö-
ren und dem musikalischen Denken. ]Man hört schon
8
bey geringer vVbAVciclmng von den Angaben der Pliysiker
ein gewisser Ziltcrn der Töne, und hält dies leicht für
das Zeichen imreiner Intervalle. Deiniocli liisst man
sich bey Tasten -Instrumenten die gleichschweb ende Tem-
peratur gefallen, (die nolhwendige Bedingimg freyer
Bewegung durch alle Tonarten,) welches nicht möglich
wäre, ■svenn das musikalische Denken, welches dem Hö-
ren von innen her appercipireud entgegenkommt, an
jener vorausgesetzten Unreinheit Ansloss nähme. Hier
bleibt nun zweifelhaft, ob das musikalische Denken aus
Nachsicht einen Nothbehelf sich gefallen lassl ; — oder ob
insgeheim das ästhetische Urlheil mit der gleichscliwe-
benden Temperatur naher , als man meinte , überein-
stimmt ; so dass es sehr zufrieden seyu würde, w e n n
sich tönende Körper fänden, die im Stande
wären, ihre Schwingungen nach der gleich-
schwebenden Temperatur einzurichten. Ein
solcher Zweifel fällt denen nicht ein, welche, um die
Reinheit eines Intervalls zu prüfen, sich aufs Horchen
legen, ob die leiblich gehörten Töne schwirren imd zit-
tern oder nicht. Darauf aber können wir die psycho-
logischen Lehren nicht beschränken; vielmehr werden
wir bey einigen geringen Dillerenzen das Zeugniss der
gleichschwebenden Temperatur als Bestätigung anführen,
wo die physikalische Angabc zugleich von ihr und
von unserer Rechnung \un ein Geringes abweicht.
Jetzt aber müssen wir fragen : welcher Zusammen-
hang ist überhaupt zwischen den Schwingungen tönen-
der Körper, und dem musikalischen Denken? Ohne
Zweifel hat mau eher Töne gehört, als Töne gedacht;
so wie man eher Körper sah luid belastete, ehe man
geometrische Körper daehte. Allein die synthetischen
9
UrllieJle a priori, deren ^vIr vorhin erwähnten, binden
sicli in der JNIusIk eben so ^venig als In der Geomclrie
an das ansserlicli Angescliaule. Um dies benierklleh zu
machen, und den F.niplrlsnuis des leiblichen Hörens zu
vermeiden, Avollen wir einen Augenblick annehmen, Je-
mand bestünde auf der nicht ungewöhnlichen (beym
Mangel aller bessern l'^rklarung nicht übel zu deutenden)
Hypothese: Das Harmonische des reinen Accordes be-
ruhe auf dem Zusammentreffen der Schallwellen im leib-
lichen Ohre. ^A'ir könnten ihm etwa folgende Fragen
vorlegen :
1) Wenn zwey reine Accorde einander in gleicher
Lage unmittelbar folgen : wariun sind die Quinten und
Oclavcn unerträglich? Und zwar so ganz mileidlicli,
dass sogar die sogenannten verdeckten (nur als Ucber-
gang hinzugedachten, kelnesweges •wirklich gehör-
ten) Q)uinlen und Octaven von den Tonkünsllcrn ver-
boten und gemieden werden? Und warum doch nur
dann verboten, wenn einerley Paar von Stimmen
diese Fortschreitung macht? Was haben die Schallwellen
mit den paarweise zusaiumengefassten Stimmen zu thun?
2) "Woher der Unterschied zwischen den beyden
gleich reinen Accorden , dem Dur inid INIoll ? "VVas liat
die kleine Terze düsleres, wenn sie vom Grundloii be-
stimmt wird, da sie im Dur -Accorde doch aucli vor-
handen ist, nämlich zwischen der grossen Terz und der
Quinte ?
3) Warum bedient man sich in der jMusik der Disso-
nanzen, deren schlecht zusammeustosseude Schallwellen
mau ja vermelden sollte?
4) Warum liegt in der Septime eine Notliwendlgkcit,
sie nach unten, — im Leitton, ihn nach oben aufzulösen?
10
5) Warum ist der übermässige Secundenspriiiig ver-
hol en?
C) Warum bleibt ein Aecord sich immer gleich, wie
man auch die Lage desselben verändere; während die
Veränderung eines einzigen Tones, nur um eine kleine
Secundc, den ganzen Aecord iimschafft?
Am hall)en Dutzend Fi-agen mag es genug seyn, lun
anzudeuten, was Derjenige unternimmt, der die Tonlehre
erklären will. Soviel möge man einstweilen glauben,
dass hier mit Schallwellen wohl nimmermehr etwas aus-
zurichten SC}!! dürfte. Wir gedenken luis ihrer gar
nicht zu bedienen; denn Schwingungen der Körper sind
keine Vorstellungen, keine innern Zustände der Seele;
inid die Angaben der Physiker konmien uns nur in so-
fern in Betracht, als das ästhetische Urtheil — w^elches
uns die verlangten vesten Puncte darbietet, — damit lui-
ZNveydeutig einvei'standen ist.
Da nun die Wichtigkeit der Tonlehre für die Psy-
chologie darin gesetzt wird, dass hiedurch eine Bestäti-
gung zu gewinnen ist: so entsteht die zwiefache Frage:
Erstlich: was soll bestätigt werden?
Zweytens : worin liegt vmd wie weit reicht die
Bestätigung ?
Auf die erste Fi'age ist nur Weniges zu antworten.
]Man kennt die Schwellenformel c = b 1/ — ~t j >velche
' a -j- b '
in verschiedenen Schriften ist entwickelt worden ; und
auf deren Ableitung wir weiterhin noch zurückkommen
müssen. Diese Formel kann in derjenigen Bedeutung,
worin sie ursprünglich gefunden wird_, unmöglich diuxh
die Eifahrung bestätigt werden, — nämlich wenn mau
11
Gcnauigkcll verlangt. r3cnn im Allgciiiciucn zwar ist
gcvviss, dass unsere Vorstellungen einander ans dem Bc-
Avusstseyn \erdrangcn ; aber zu beobachten , ob z>vey
stärkere Vorstellungen a luid b gerade hinreichen , um
ein nur wenig sclnvächeres c, als das obige, verschwin-
den zu machen, diess würde erstlich eine luiniögliche
Abmessiuig der Stärke des a und des b, und noch oben-
drein die Beobachtung dessen erfordern, was sich der
Beobachtung entzieht , indem es aus dem Bewusstseyn
entweicht. Da waren wir also bey den Unmöglichkei-
ten, die oft genug der malhemalischen Psychologie von
Unkundigen sind vorgeworfen worden. Hätte man sich
erinnert, was schon vor mehr als dreyssig Jahren in den
Hauptpuncten der INIetaphysik war gesagt worden, so
würde man viel leere Worte gespart haben.
Die erwähnte Formel soll nun dennoch bestätigt wer-
den ; nämlich in solcher Anwendiuig, die sich beobach-
ten lässt. Dazu gehört nicht das, was aus dem Be-
wusstseyn verschwindet, sondein was bey gewissen Ver-
liältnissen des Drucks und Gegendrucks im Bewusstseyn
bleibt. Und hiezu wiederum ist nölhig, dass die Vor-
stellungen in Gegenwirkung wider sich selbst versetzt
werden; wie es erfolgen muss, wenn eine Vorstellung
in Bezug auf eine andre gleichzeitige in Gleiches und
Entgegengesetztes zerfällt. Solches geschieht schon bey
zwey gleichzeitigen Tönen ; es ereignet sich auf eine
mehr verwickelte Weise bey drey gleichzeitigen Tönen,
d.h. beym Dreyklange. Und die Folgen davon werden
gefühlt, indem man den Dreyklang als harmonisch oder
disharmonisch bezeichnet. Es ist nun auf vielfacheWeise
jene einzige Formel , welche den Aufschluss über den
Unterschied der Intervalle und Accorde liefert. JNoch
12
melir: wir werden (lurcligelicnds nur zwey ver-
scliledeue Anwendungen gebraiiclien , indem entweder
a m b, oder a ZZ 5 und b ZI 4 (beynahc, denn die
genauere Bcstinnnung Ijleibt vorbehalten) zu setzen ist.
Das Zusammentreffen der Rechnung mit den Thatsacheii
muss selbst Derjenige vor Augen sehn, der sich
in die Begriffe nicht finden kann; inid diess
ist die Bestätigung, um welche es zu thun ist. Denn
wenn die Formel sich in der Tonlehre bewährt, und
zwar nicht bloss einmal, sondern sovielemal, dass die
ganze Toulehre davon erleuchtet wird, so ist sie, sammt
dem ganzen Zusannnenhange, in den sie gehört, bestät-gt.
Die zweyte Frage war; worin liegt, und wie Aveit
reicht die Bestätigung ?
Hier ist Verschiedenes zu sondern. Erstlich, die In-
tervalle zweyer Töne. Dann die reinen Accorde. Dar-
auf die nicht consonircndcn, xuid. besonders die Auflö-
sung der Dissonanzen. Von den einzelnen Intervallen
"wurden zuerst die Erklärungen der Quinten, der Quarte,
der Terzen inid der Secvmde gefunden, und. schon iu
den Hauplpunctcn der JMetaphysik kurz angezeigt. Ganz
neuerlich beym Rückblick auf die ältere Arbeit, bot
sich die Erklannig der übrigen Intervalle, (der beyden
Sexten und der Septime) dar, genau übereinstimmend
mit jenen früher erklärten, welche auch als Umkehrun-
gen der letztem können betrachtet werden.
In einem Aufsatze vom Jahre 1811 (im Rönigsber-
ger Archiv) wurde die Erklärung der reinen Accorde
gegeben 5 der wichtigste Punct von allen. Damals blieb
aller noch im Dunkeln, worin der Unterschied bcyder
reinen Accoixlc bestehe; hierüber, so wie über einiges.
13
was ille Dissonanzen luul ille Tonleiter belnlFt, w.nren
dort unrichtige IMelnungen geäussert.
Die neuerliche Untersuchung liat nun auch hierüber
Licht gegeben.
AA'egeu der Grundlage imscrer, hier anzuwendenden,
Theorie sollte es billig genügen, auf die früheren Schrif-
ten lediglich zu verweisen. Allein während hier auf
die Frage: wie jene Grundlage gefunden sey, nichts
ankommt (denn wir wollen hier nicht begründen son-
dern l)est;iligen, inid dazu dienen die Thalsachen): ist
dennoch dahin zu sehen, dass die Theorie in den Haupl-
])inKten richtig verstanden Averde. An JMisverständnis-
scn aber ist kein JMangel. Und nicht alles jMisverstehcn
rührt her von Uebelwollen oder Unverstand. Auch der
"Wohlwollendste sucht mit Piecht eine neue Lehre mit
seinem frühern \A issen in Ziisanunenhang zu bi'ingcn;
darum werden Verknüpfungen gewagt, Analogien ver-
folgt, die allmiihlig den alten Voriirlheilen den Zugang
olTnen , und ihnen das Uebergewicht verschallen. Vie-
les thut auch die Sprache, vieles die Darstellung. Wo
sich noch keine vesle Kunstsprache gebildet hat, da kann
man sich nicht in der Kürze verständlich machen; wel-
che Darstellung man aber auch Avähle, sie wird eine
Quelle von JMisverstandnissen schon durch das Ueber-
ilüssige, was sie, blosser Erläuterung wegen einmischt.
So ist es namentlich der Lehre von der llcnnnungs-
summe ergangen ; wobey viär iinsre eigne Darstellung
einer L^ngenauigkeit beschuldigen müssen , die freylich
der Zusanunenhang sehr leicht aufklären koinile '*').
*) Psycliologle §.42. Es licisst dort; Die Ilemmungssuiiiiiie sov
entweder u, oder L ; und weiter: "das Zu - Hemmende ^^iir-
de zu a sevn, wenn b ungehemmt bleiben sollte." Diese
14
Schon tlies einzige Beispiel ermahnt uns , dass es nicht
iiberilüssig seyn werde, die Begrill'e von der llemmungs-
sunime und dem Henimiuigs - Verhältnisse hier noch-
mals kurz zu entwickeln. Erreichen wir auch damit
nur andre Worte, so mag man wenigstens diese mit
den friibern vergleichen, um sich nicht so gar leicht
an den einzelnen Ausdrücken und Rede - Wendungen
zu stossen.
Jedermann weiss, dass unsre Vorstellungen im Be-
wusstseyn bald mehr bald weniger hervortreten. Die
gewöhnlichsten Beyspiele abwechselnder Rellexionen kön-
nen dies schon allenlalls vorlaulig bezeugen. Denkt
man sich eine Rose und eine Lilie, so kann man bald
auf die Farben dieser Blumen, bald auf den Lilienstan-
gel und den Dornstrauch der Rose die Aufmerksamkeit
richten ; betrachtet man die letztern , so vermindert sich
das Vorstellen der Farben. Zufallig ist jedoch in die-
sem Beyspiele der Umstand, dass ein willkührliches
Aufmerken angenonunen wurde ; denn unsre Gedanken
wechseln oft genug auch ohne alle W illkühr so sehr,
dass andre an die Stelle treten, wähi-end die frühern
mehr oder minder schwinden; auch einige ganz ver-
schwinden.
Ungeachtet dieser Veränderlichkeit aber, bleiben die
Vorstellungen selbst (z. B. jezie der Rosenfarbe und
Worte bezeichnen bloss eine vorläufige Reflexion dessen, der
die H. S. noch sucht , und nicht gefunden hat. Gleich wei-
terhin zeigt sich, dass die wahre H. S. n: b ist, woraus un-
mittelbar folgt, die Vorstellung b bleibe ungehemmt,
wenn auch von a nur ein Quantum nz b gehemmt wäre,
so dass der Rest a — b ebenfalls ungehemmt bleiben würde.
Ein solches Ilemmungs - Verhältniss ist zwar unmöglich,
allein wir reden hier von der Ilemmungssu m nie.
15
der liillonfarbe) die uämllchen. Auch ihr Vei'hällniss
(z. Vi. der Unterschied des Uoseurolh und Lilien-
>veiss) bleibt luiverändert.
AVir wollen dieses unveränderliche VerhÜltniss jetzt
zuerst in Betracht ziehn ; und können dabey schon jetzt
auch auf solche Beysplele hinweisen , die uns -weiterhin
besonders beschälfligen sollen ; nanilich auf die unverän-
derlichen Unterschiede der Töne. Eine reine Quinte
bleibt immer das nämliche Intervall, ob man nun den
Gnuidlon stärker, und die Quinte schwacher, oder um-
gekehrt, höre oder deidce.
In dem Unveränderlichen Hegt zunächst das, was
wir die Hemmuugssumme nennen. Unsre Theorie sagt
nämlich, (gleichviel aus welchen tiefern Gi'ünden, um
die wir uns hier nicht bekümmern,) dass bey Vorstel-
lungen, die im conträren Gegensatze stehen, (wie jene
beyden Farben oder Töne) aus dem Gegensatze selbst
eine Nothwcndigkeit entstehe, vermöge dei*en die Vor-
stellungen an Klarheit verlieren nn'issen; ein Verlust,
der oft so weit geht, dass die Vorstellungen völlig ver-
dunkelt, imd im Bewusstseyn nicht mehr gegenwärtig
sind. \Yie gross ist diese Nothwendigkeit ? — Da sie
gar nicht vorhanden ist bey ganz gleichartigen Vorstel-
lungen, welche vielmehr zu einem einzigen xmgetheilten
Vorstellen verschmelzen, so bestimmen wir ihi'e Grösse
nach der Abweichung von der Gleichartigkeit; also nach
der Grösse jenes Unterschiedes oder conträren Gegen-
satzes ; den wir den H e m m u n g s g r a d nennen ; erinnern
uns aber dabey, dass die Vorstellungen auch schon ur-
sprünglich eine verschiedene Stärke besitzen, (wie bey
hellerem oder schwächerem Lichte die Farben, und bey
släxkerem oder schwächerem Klange die Töne) ; welche
16
ursprüngliche Intonsllat luclit verwechselt -werden darf
mit jener veranderliclien Klarheit im Bewusslscyn. Die
ursprüngliche Starke mxd ihre Verschiedenheit, fnidet
man in den Wahrnehmungen des Hörens, Sehens xi. s. \v.
liingegen die veränderliche Klarheit in den Erinnerun-
gen, welche nachbleiben ; in den Gedanken, welche kom-
men und gelieu. Soll nun die Nolhweudigkeit jenes
Verlustes, d. h. die llemmungssumme, ihrer Grösse nach
beslimmt werden, so koiiunt es zugleich auf den Ilcjn-
mungsgrad und aul" die lusprüngliclie Stärke an. Je
grösser der llemnuuigsgrad, desto mehr Nolhweudigkeit
des Verlustes oder des Sinkens ; je grösser die ursprü'ig-
liclic Stärke, desto weniger JNolli wendigkeit des Sinkens.
Allein hier droht schon eine Verwechselung. üic
ursprüngliche Stärke ist das Eigenlhum jeder einzelnen
Vorslellung für sich; hingegen der Henmuuigsgrad ist
für keine einzelne au sich vorhanden ; er beruhet auf
ihrem coulrären Gegensalz, also auf dem Verhältiüss der
einen zur andern. Welches von diesen beyden: — Ilcn:-
nuu'gsgrad, — ursprüngliche Stärke, — konnnl nuix
zuerst in Betracht, wo das nolhwendige Sinken soll bc-
sliniml werden? Oll'enbar xilclit die Stärke. Durclx sie
aüeiu erlitigt kein Sinken; vielmehr, weim schon die
IN'olli wendigkeit des Sinkens da ist, dann widcrslelit
jetle Vorstellung luu desto mehr, je stärker sie ist.
AVolil aber kommt zuerst der Hemmungsgrad in Be-
tracht; denn in ihm beginnt die Nothwendigkeit des
Sinkens. Da nun, wie zuvor bemerkt, der Hennnungs-
grad für keine einzelne Vorstellung allein , sondena nur
für ohi Paar derselben vorhanden ist ; und in ihrem Un-
terschiede liegt: so kommt die jNothwendlgkelt des Sin-
kens zuerst für das Paar in Betracht, imd daraus
17
erst kann cUo nämliche Notliwencligkeit für jetlc ein-
zelne Vorstellung abgeleitet werden. j\Ian darf also
die eine und die andre dieser Betrachtungen nicht ver-
wechseln. Mit andern "Worten: man muss die Hem-
niuugssumme von. dem Hemmuugs - Verhaltiiiss
unterscheiden.
INIöchte auch das Hemmungs -Verhaltniss, worin jede
einzelne Voi'Stellung an der Nothweudigkeit des Sin-
kens ihren Antheil bekonunt, unbestimmt bleiben ; möchte
sich darüber nichts ausmachen lassen: nichts destoweui-
ger müsste sich die Henmiungssumme erkennen lassen,
wenigstens für ein Paar von Vorstellungen. Denn hat
die Nothweudigkeit zu sinken einen Grad : so ist eben
dieser auch der Grad des Gegensatzes, wenn man einst-
weilen die Stärke bey Seite setzt, das heisst, sie gleich
annimmt. Und umgekehrt: caeteris paribus ist der
Grad des Gegensatzes seinem Begriffe nach die Grössen-
bestimmung der Nothweudigkeit des Sinkens. Will
man das leugnen , so hat mau dem Begriffe etwas von
Unterschieden beygemischt, wobey die Yorstellmigeu
mit einander vertraglich bleiben wüi-deu, wie bey dis-
paraten Verschiedenheiten. Die conträr entgegengesetz-
ten schliessen einander gegenseitig aus ; und wie der
Gegensatz erfahrungsmässig eine Grösse hat (wie bey
höhern und tiefern Tönen) so soll hier, — das ist unsre
Grund - Annahme — diese Grösse den Grad der Noth-
weudigkeit des Sinkens bestimmen. Realisirt sich
diese Grösse in einem Paar schwacher oder starker
Vorstellungen (die Avir für jetzt als unter sich gleich
betrachten): so ist sie dem gemäss weniger oder
mehr realisirt. Sind also x und y ein paar verändex--
liche Grössen, wodurch wir die Stärke der beydenVor-
B
18
Stellungen bezeichnen, ist ferner xzzy, und der Hem-
mungsgrad rz: m , einem ächten Bruche, der liöchstens
=r 1 werden kann , so ist m x rr m y die Hemmungs-
sumnie; luid dass sie es ist, liegt imniiltelbar in ihrem
Begriffe.
Oder sollte etwan mx -\- my die Hemmungsumme
seyn? Das widerlegt schon der erste Blick. Wenn
mx gehemmt ist, so braucht niclit auch noch my, we-
der ganz noch theilweise geliemmt zu werden-, eins
von beyden ist genug, weil der Nothwendigkeit des Sin-
kens Genüge geschali , und dieselbe aufhört, sobald von
zweyen Entgegengesetzten das eine verschwindet.
Ist nun ferner y <<^ x ; so realisirt sich die Grösse
des Gegensatzes darum nicht in einem grössern Paar.
Der Ueberschuss des x über y vergi^össert zwar x selbst,
aber auf x allein passt kein Begriff eines Gegensatzes.
Darum ändert sich auch nicht die Hemmungssumme,
sondern sie bleibt = m y ; weil sie mit keiner einzel-
nen Vorstellung etwas zu thun hat.
Wemi dagegen y>x, so ist der Ueberschuss des y
über x niclit für das Paar vorhanden; die Hemmungs-
simime ist nun z:z mx.
Sollen wir nun etwa diese Darstellung noch ver-
einfachen? Wir würden es können, wenn die Vor-
stellungen eben so wenig ein Quantum ursprünglicher
Stärke in sich trügen, wie die Fixsterne für das Auge
einen merklichen Durchmesser haben. Dann bliebe doch
noch immer eine Gradbestimmuug für Klarheit und
Verdunkelung; so wie, im Gleichnisse, für die Fix-
sterne ein Unterschied der Klarheit in Folge der heitern
oder trüberen Atmosphäre. Dann würden wir geradezu
sagen: der Hemmungsgrad m ist selbst die Hemmungs-
19
summe ; uiul zwar unmittelbar durch den BegiülF, well
tue Hemmuugssumme eben uiclils anderes seyu soll, als
die gefoderte Negation der Klarheit, d.h. der Wirk-
lichkeit des Vorgestellt- Wer de n s in dem gege-
benen Paar. (Wir drücken uns so aus, damit man
nicht eine Verdunkelung mit einer Verminderung der
ursprünglichen Starke verwechsele.)
Wie aller bcy den uns nähereu leuchtenden Körpern
es einen Durchmesser, also eine Vervielfältigiuig der
leuchtenden Puncte giebt, und ausserdem auch eine
Intensität des Lichts für jeden einzelnen Punct : so giebt
es für ein Paar Vorstellungen , die gleich stark sind,
erstlich einen gemeinsamen Grad dieser gleichen Stäi'ke
(analog der scheinbaren Grösse der leuchtenden Fläche)
und zweyteus eine Intensität des, in diesem Paare lie-
genden Gegensatzes ; (analog der Intensität des Lichts).
Darum entsteht ein Product, worin beyde Grösseube-
stimmimgen sich vereinigen. Den Grad der gleichen
Stärke nannten wir oben x oder y; die Intensität des
Gegensatzes m; daher das Product mx oder my. In
diesem Product ist m der Multiplicandus ; x oder y der
Älultiplicator ; wären aber x und y etwan nicht gleich,
so könnte der Ueberschuss des einen über dem andern
sich mit dem Begriff m nicht verbinden, der überall,
bey jedem INIinimum seiner Anwendbarkeit, ein Paar
voraussetzt.
Ungeachtet dessen nun , was hier vom Ueberschusse
gesagt worden , liegt vor Augen , dass , falls x > y, die
Hemmungssumme auch dann verschwindet , wenn mx
gehemmt wird; lediglich dariun, weil die wahre Hem-
mungssumme my in der Grösse mx als ein Theil der-
selben enthalten ist. Diese Ueberlegung gehört dahin,
B *
20
wo für drey Vorstellungen die Hemmungssumine ge-
sucht "Nvird*); welches für jetzt in Ansehung der Schwie-
rigkeit, die aus Verschiedenheit der Henunungsgrade
entstehen kann, nicht in Betracht kommt. Nur einen
Pimct müssen wir erwähnen.
IMan könnte nämlich aus dem Vorstehenden den un-
richtigen Schluss ziehen, bey drey Vorstellungen gäbe
es drey Paare, folglich für jedes Paar eine Hemmungs-
sunnne, die sich solchergestalt aus drey Grössen zu-
sammensetzen würde. Wenn z. B. m z=: 1 , und für
drey Vorstellungen a, b, c (wovon a die stärkste, c die
schwächste) die H. S. zu suchen wäre: so hätte man
in dem Paare ab , die H. S. rrr b ; in ac wäre sie c , in
bc nochmals c; mithin zusammen b -|- 2c.
Allein in dem Paare ab — wiewohl wir von dem
Henunungs-Verhältuiss noch nichts Bestimmtes erwähn-
ten , wirtl doch gewiss nicht a den grössten Theil der
Hemmung erleiden, sondern mehr als die halbe Hem-
mungssumme wird auf das schwächere b fallen. Des-
gleichen in dem Paare ac mehr als die halbe Hemmungs-
simime wird auf c fallen. Also auf b und c zusammen
2c
mehr als 4 (b -j- c) , mithin mehr als — zz: c. Daher ist
die Hemmungssunune, welche in dem Paare bc anzu-
nehmen wäre, schon überstiegen; wie könnte man denn
dieses Paar noch von neuem in Rechnung nehmen?
Die Hemmungssimime ist demnach b -{- c.
Was nun ferner das Hemmungs - Verhältuiss anlangt,
so ist der einfachste Gedanke, der sich sogleich dai'-
bietet, dieser: Nachgeben -Müssen ist Schwäche; das
Gegeutheil ist Stärke. Je mehr Stäi'ke, desto geringer
*) Psychologie §. 52.
21
die Nolhwendigkelt, nach/Aigeben. Also Nvenn die Ilem-
muugssumnie , die ^vir durch den allgemeineu Begriff
der Nollnveiidigkeit des Sinkens dachten, jetzt auf jede
eiuzehie Yox-stelking bezogen wird : so entsteht — zwar
nicht Vertheikuig einer wirklichen Last, — aber eine
solche Determination jenes allgenWuen Begriffs, dass es
für die schwächeren Vorstellungen nothwendiger sey zu
sinken (d. h. an Klarheit zu verlieren), als für die
stärkeren. Auf den Comparativ: nothwendiger,
kommt es hier an; denn der Positivus: noth wendig,
liegt schon in der Hemmungssumme. Die Stärke hat
Widerstand zur Folge gegen die Veränderung des Zu-
standes jeder Vorstellung; die stärksten Vorstellungen
erleiden die geringste Veränderung, und zwar einfach
in Folge der Stärke. Das heisst, sie erleiden die Vei'-
dunkeluug im umgekehrten Verhältniss ihrer Stärke.
1 11
Daher a, b, c in den Verhältnissen — , — , — oder
a b c
bc, ac, ab; imd weil die Hemmungssumme ein Quan-
tum ist, welches den sänimtlichen einzelnen Verdunke-
lungen gleich kommen muss, so wird die Vertheilungs-
rechnuug nötliig, welche so steht:
'bc bc (b + c)
bc -^ ac -|~ ab
(bo + ac + ab): jac =(b + c): ^^
[ab , ab(b + c)
bc -J- ac -}" ab«
Daran knüpfen wir sogleich eine leichte Bemerkung.
INlan multiplicire a mit dem was von ihm soll ge-
hemmt werden; desgleichen b ; endliche. ]Man bekommt
a.bc(b-{-c) b.ac(b + c) c.ab(b + c)
bc -f- ac -|- ab bc -j- ac -|- ab bc -}- ae + ab.
22
Diese Grossen slud 'srinimtlicli gleich. Auf ähnliche
Weise kann man schon für zwey Vorstellungen gleiche
Producte erhalten , wenn jede Vorstellung , sofern sie
durch eine Zahl als Bezeichnung ihrer verhältnissmassi-
gen Stärke ausgedrückt ist, multiplicirt wird in das
Quantum Hemmung, -♦•was sie zu erleiden hat. Der
Sinn hievon ist nicht schwer zu finden. Nach der Hem-
mung sind die Vorstellungen im Gleichgewichte. Die
allgemeine Nothwendigkeit des Sinkens war für alle
gleich; diese Gleichheit zeigt sich eben so wohl in dem
geringeren Nachgeben der stärkeren, als in dem grossem
der schwächern. Betrachtet man die Hemmung als
Spannung, d. h. als einen Grad des Zurückstrebeus in
die ursprüngliche Klarheit, so ist die Wirksamkeit der
zurückstrebenden Vorstellung theils abhängig von der
ursprünglichen Stärke, theils von der Spannung; wenn
nun jede Vorstellung gleich stark wirkt gegen die an-
dern , vun ihnen die allgemeine Nothwendigkeit des
Sinkens aufzuerlegen; so ist Ruhe mitten in der Span-
nung. "Weitere Aufkläruug hierüber hängt ab vom Be-
griffe der Spannung. Zuvörderst aber können wir die-
jenige Formel erreichen, auf welche im Folgenden am
ijieisten ankommt. Es ist diejenige, welche entsteht, wenn
ab (b + c)
c —
bc -j- ac -j- ab
Gesetzt wird. Daraus ersieht sich
=b/^;
a -j- b
Wir haben diese Formel mit dem Namen der
S c h w e 1 1 e n f o r m c 1 bezeichnet. Wäre die schwächste
der drey Vorstellungen genau in dem Verhältniss zu
beyden stärkern, wie die Formel anzeigt, so wäre das
23
Gehemmte gerade so gross wie die Vorstellung selbst ;
sie würde ganz "gehemmt, doch so, dass der mindesle
Zusalz ihr die Kraft geben würde, nocli eine Spur von
Klarheit neben den stärkern Vorstellungen zu behalten,
also gleichsam sich auf der Schwelle des Bewusstseyns
zu behaupten.
Die Bemerkung, dass für ar=b sich ergiebt
cr^bv^i-,
wird im Folgenden oft gebraucht werden.
Gegen die obige vorläufige Darstellung vom Gleich-
gewichte der Vorstellungen wird man vielleicht ein-
^venden, sie passe nicht auf mehr als zwey Vorstellun-
gen in den Fällen, wo ungleiche Hemmungsgrade vor-
kommen *). Die Quanta der Hemmung erscheinen näm-
lich dort vuiter der Form:
für a, für b, für c,
bcfS acTjS abi>S
Lcf -|- ac;; -\- ahO- bc« -\- ac;y -j- ahO- hci -\- aciy -}" ^'^"^
IMultiplicirt man diese Grössen nach der Reihe mit
a, b, c, so fallen die Producte ungleich aus, weil die
Factoren f, i-, d, ungleich sind. Allein diese lucon-
gruenz ist blosser Schein.
Zwischen a und b sey der Hemmungsgrad p, zwi-
schen a und c sey derselbe n, zwischen b und c S3y
er m; wo p, n, m, ächte Brüche oder höchstens zu 1
sind. Alsdann bedeutet in den obigen Formeln allemal
£ ~ p -j- n , i]^i^-\-m, 1? = m -{- n. Diese Werthe
setze man in die Formeln, und überlege zugleich, dass
dadurch das Gehemmte von a, b, c, jedesmal in zwey
Theile zerfällt, und dass es darauf ankommt zu sehen,
ob a mit b, a mit c, b mit a, b mit c, c mit a, c mit b,
*) Psychologie §. 54.
24
also saimnlliclie Paai'e unter sich im Gleichgewichte seyen.
Nach geschehener Blultipllcatioii der Hemniungsgrössen
mit a, b, c, erglebt sich, weuu wir den überall gleichen
Divisor weglassen :
für a für b für c
1) a . bcSp 3) b . acSp 5) c . abSm
2) a . bcSu 4) b . acSm 6) c . abSn
wo 1 mit 3, 2 mit C, und 4 mit 5 im Gleichgewicht,
und hiemit Pvuhe vorhanden ist.
Dies wirft ein Licht zurück auf die obige Reclmung
für den überall gleichen Hemmungsgrad mml. Denn
dort auch muss eigentlich a sowohl mit b als mit c,
desgleichen b mit a ,imd mit c, und c mit a sowohl als
mit b ins Gleichgewicht treten. Ist m iz: n zu p =r 1,
-, 1- r^ .. 2bcS
so wird £ rz: ?; i^ ^ = 2 ; und die (jrossen - — ■
' ' 2bc -J- 2ac + ^ab
U.S.W, verlieren bloss den Factor 2, weil er im Neuner
und Zähler gleich ist. Dagegen wenn m, n, p, ungleich
sind, bestimmt jeder von diesen Hemmungsgraden in
einem Paare die Hemmung.
Es bleibt jetzt noch übrig, dass M'ir den Begriff der
Spannung genauer bestimmen. Er drückt das Verhält-
niss aus, welches zwischen der ganzen Vorstellung, in
Hinsicht ihrer ursprünglichen Stärke, und ihrcju Ge-
hemmten statt findet. ]Man kann von einer Vorstellung
rz 10, wenn ein Q)uantum derselben zzz5 gehemmt wor-
den, sagen, sie sey eben so gespannt, wie eine andre
r= 6 , wenn von derselben das Quantum zzz 3 gehemmt
ist. Heisst das Gehemmte, oder j^ie Depression, D,
die Vorstellung A, so ist die Spannung r=: — . Wendet
A.
mau dies an auf das Hemmungsverhältniss dreyer Vor-
25
stellimgen a, b, c, also auf tlic Vcrliäluüsszalileu
hcs , ac>;, abi9',
so ist das Verhälluiss der Spaunuugen
l)Cf ac/; al)i9-
> —r- »
a I) c
oder h'^c'^6, a^c^;;, a^b-ö ,
so dass, wenn g -rr 7; zz i9- , alsdann die Spannungen dem
(Quadrate der Verliällnisszahleu gemäss bestimmt wer-
den. Der Begriff der Spannung ist nun ein ganz ab-
stracter Begriff von dem Zustande, worin eine Vor-
stellung sich befinde, indem sie mehr oder weniger ge-
hemmt, also von der ursprünglichen Klarheit abgewichen,
und in Verdunkelung gerathen ist. Das Quantum des
Gehemmten sowohl als das Quantum des ursprünglich
klaren Vorstellens ist hier durch die Abstractiou bey
Seite gesetzt. AVill man den abstracten Begriff durch
Determination zu demjenigen zurückführen, welcher die
ATirksamkeit jeder Vorstellung im Gleichgew^ichte mit
andern bestimmen soll : so gehören dazu zwey Schritte,
und man kann sich dieselben in folgender Art deutlich
machen. Erstlich ist die angegebene Spannung in jedem
beliebigen Theile der von der Hemmung betroffenen
Vorstellung zu finden ; und die Energie , welche aus
der Spannung hervorgeht, ist grösser oder kleiner, wenn
bey gleicher Spannung die Vorstellung selbst grösser
oder kleiner ist. ]\Ian multiplicire also die zuletzt an-
gegebenen Verhältnisszahlen , welche der Spannung gel-
ten, durch die Stärke der Vorstellungen selbst; so kommt
ab2c2£ , ba2c2j; , ca2b2^.
Jetzt ist weiter zu überlegen, dass diese gefundeneu
Energie- Verhältnisse, (welche den Hemmungsverhält-
nissen bc£, ac?;, abi9^, gleich sind, weil man durch abc
26
divldiren kann ,) noch mit demjenigen müssen verglichen
■vs^ertlen, was jede Energie zu bewirken hat, und worauf
sie deshalb verwendet ward. Bey der schwächsten Vor-
stellung ist zwar die Energie, worin sie duixh stärkere
Spannung versetzt ist, am grössteu; dagegen ist desto
mehr vou ihr gehemmt worden , und die Wirksamkeit
der Energie fällt desto geringer aus, je mehr da-
durch zu vollbringen ist. Umgekehrt verhält sichs bey
den starkem Vorstellungen. W^as zu vollbringen ist,
das bcslimiut sich nach dem Quantum des Gehemmten;
denn dies soll wo möglich wieder in die Klarheit zu-
rückversetzt werden. Um also aus den Energiecn die
"Wirksamkeiten zu finden, mulliplicire mau die Energie-
Verhältnisse mit den umgekehrten Verhältnissen des
Gehemmten. IMan hat demnach
ab^c«* ba^c^iy ca^b^Ö-
bcf ac;/ ab«9-
oder abc, bac, cab,
das heisst, die Wirksamkeiten sind gleich; oder das
Gleichgewicht ist vorhanden, während die Spannungen
von dem umgekehrten Verhältniss der Quadrate der
ursprünglichen Stärke abhängen.
Es war demnach nicht einmal nöthig, die Factoren
€, r, &, in ihre Bestandtheile aufzulösen; jedoch war
es dienlich, um das Gleichgewicht in sämmtlichen Paaren
nachzuweisen. Sind die Hemmungsgrade gleich, so kann
mau, statt mit bc, ac, ab zu dividiren, auch mit a, b, c
muUipliciren. Dies dient zur Vergleichuug mit dem
Obigen.
Hiemit wird die Irrung vermieden seyn, welche aus
einem minder behutsamen Gebrauche des Worts Span-
nung in dem grössern Werke, vielleicht dann ent-
27.
stehen kÖnnle , Nvenn man den Z\i?aninienliang ausser
Acht Hesse '''").
Die Liei' entwickcllen Begriffe sind allgemein;
imd man mag sie in ihrer Allgemeinheit prüfen, nm
sich zu überzeugen, dass dabey auf keine specielle An-
wendung gerechnet wird; während alle Proben, wox'iu
sie sich bewähren sollen, nur speciell seyn können.
Nur Weniges ist noch bej zufügen in Ansehung des
zweyten der hier folgenden Aufsätze. Weniges kann
genügen , weil die Wichtigkeit der Untersuchung über
das Vorstellen des Zeitlichen für die gesammte Philo-
sophie , allgemein bekannt vind anerkannt ist. W ir
erinnern kurz an Kant. Bey ihm hing die Religions-
lehre an der Freyheitslehre; die Freyheit aber, als ein
Glaubens -Artikel (nicht als ein Gegenstand des eigent-
lichen Wissens, denn das sollte sie nach ihm überall
nicht seyn,) hing am kategorischen Imperative. Wie
war denn diese Verbindung beschaffen':' Das kategori-
sche Sollen trat in deu schärfsten Gegensatz gegen alles
I>lüssen; dem IMüssen aber, das heisst, der ISaturnoth-
wendigkeit, wurde die gesammte Zeitlichkeit zuge\^ie-
sen. In die Zeit fiel die Causalität, soweit Causal-
\ erhältnisse Gegenstände der Erkenntniss seyn möchten.
Um der imbegreiiliclien Causalität, welche daneben der
Freyheit eingeräumt bleiben sollte , Respecl zu ver-
schailen , musste ihr Zeitlosigkeit bejgelegt werden.
Dies stand in der genauesten Verbindung mit der Kanti-
schen Lehre von der Zeit als einer reinen Anschauung,
*) Psychologie §. 58. weiset zurück auf §. 43. , und liieniit auf
den Satz: die Vorstellung wirkt in dem Verhältniss, in
welchem sie leidet.
28
welche, mau weiss nicht warum? und wie? niui ein-
mal dem menschlichen Geiste inwohnen sollte.
Was wir gegen diese Lehre (sowohl in der Psycho-
logie als in der JNIetaphysik) schon laugst vorgetragen
haben , bedarf für jetzt keiner Wiederholung noch wei-
teren Ausführung. Wir lassen auch hierüber die That-
sachen reden; Thatsachen, die man hatte genauer un-
tersuchen können, wenn auch nur der mindeste Gedanke
an Mechanik des Geistes dazu gekommen wäre. Scheut
man sich freylich vor diesem Gedanken, so unterlässt
man die Untersuchung; aber die Thatsachen bleiben.
Dass eine solche Untersuchung an die, in der Zeit
fortlaufende, Evolution luiserer Vorstellungsreihen erin-
nert , liegt vor Augen ; und die Wichtigkeit der Reihen-
bildung wird immer mehr erkannt werden, je tiefer
mau in die Psychologie eindringt.
Auf der Pieihenbildung, und der davon abhängenden
reihenförmigen Reproductiou, beruht auch, wie am ge-
hörigen Orte gezeigt, die Auffassung des Fiäumlicheu.
Hiemit sind Hemmungen wegen der Gestalt
verbunden ; deren Untersuchung durchaus verschieden
seyn muss von jener Bestimmung der Hemmuugssiunme
und des Hemmuugs- Verhältnisses in Ansehung derjeni-
gen Wahrnehmungen, welche in unmittelbarer Empfin-
dung bestehn. Wer nur im mindesten geübt ist, Form
und INIaterie der Erfahrung zu unterscheiden, der sollte
dies wissen ; allein es scheint dennoch nöthig daran zu
erinnern. Denn der Hauptgi'und, weshalb die obigen
Lehren von der Henunungs- Summe und dem Heminungs-
Verhältniss so wenig sind begriffen worden, liegt allem
Anschein nach darin, dass man versuchte, sie anzubrin-
gen wo sie nicht passen. Die Henummg wegen der
29
Gcslalt dringt sich jeden Augenblick als Thatsaclic auf;
wer nur nieinl , diese Tlialsache habe umniltelbai'
durch jene Principien erklärt ^verden sollen, der ^ven-
dct die Principien falsch an , und es kann nicht fehleuj
dass er in Verwirrung gerathe. Lediglich um solcher
Verwirrung zu steuern , ^vollen wir hier einige Satze
nackt hinstellen , die man leugnen mag wenn man kann ;
ihren Dienst werden sie leisten, wenn sie begr^eillich
machen, dass Hemmung wegen der Gestalt etwas an-
deres seyn müsse, als Hemmung imter einfachen Em-
pfindungen.
Ein Puuct, auf einer gleichfai'bigen Ebene gesehen,
zieht den Blick you allen Seiten zu sich hin, und ent-
lässt ihn nach allen Seiten.
Zwey Punkte, auf einer gleichfarbigen Ebene gesehen,
ziehen den Blick gegen ihren IMittelpunct hin.
Eine gerade Linie lenkt den Blick von einem Puncte
zum andei'n , und nach beyden Seiten über die End-
puncte hinaus zu einer unbestinnnlen Verlängerung der
Linie.
Ein W^inkel lenkt den Blick zwischen seine Schenkel,
gegen den Winkelpunct hin, und von da zurück unbe-
stimmt in den Sector hinaus, welcher dem ATinkel zu-
gehört.
Drey Puncte in einer Ebene können gleichmässig
nur von dem JMittelpuncte des Kreises aus gesehen wer-
den, in dessen Peripherie sie liegen. Nun entstehen
grosse Unterschiede , wenn dieser jMittelpunct in der
Fläche des Dreyecks , oder ausserhalb derselben liegt.
Beym gleichseitigen Dreyeck findet das Auge ihn leicht;
beym spitzigen gleichscheuklichten Dreyeck sucht es ihn
auf der JMittellinie , wird aber bald gegen die Mitte der
30
Gruiidlinie , bald gegen die Spitze liingeleukt ; bc) m
slumpfen gleichschenklichlen Dreyeck gelaugt es kaum
über die , dem Dreyecke zugehörige Fläche hinaus ;
beym ungleichseitigen Dreyecke, besondei's wenn darin
ein stumpfer \Yinkel yotkommt, gerath es vollends in
ein ungewisses Schwanken. Derjenige Punct, von wel-
chem die Entfernungen der gegebenen drey Puncte zu-
sammengenommen , ein IMinimum ausmachen würden,
sollte eigentlich das Gesichtsfeld, als Mittelpunct des-
selben , bestimmen ; allein wenn auch der Blick sich
auf diesen Punct heftete, so würde doch immer der
entfernteste Punct des Dreyecks schwächer gesehen \^er-
deu , als die beyden näher liegenden , die das Auge
mehr für sich gewinnen, und es gegen den INlittelpunct
ihrer Distanz hinziehn. Sobald dies geschieht, geht die
Auffassung der Gestalt fühlbar vei-loren; der entfernteste
Punct wird wieder gesucht ; aber die ganze Auffassung
pflegt eher abzubrechen , bevor jenes Hin - und Her-
schw^anken völlig zur Ruhe .gekommen ist.
Wir wollen nun nicht etwa noch bis zu uuregel-
mässigen Vierecken und Fünfecken fortschreiten , deren
Auffassung noch schwieriger, und mit grösserer Unruhe
verbunden ist, weil sich der ]Mittelpimct desjenigen Ge-
sichtsfeldes, welches dem Zusanunenfassen zinn gleich-
massigen Sehen am günstigsten wäre, noch scluverer
möchte bestimmen lassen; und weil selbst, wenn er
gefunden wäre, doch immer noch an der Gleichniässig-
keit etwas mangeln vnirde.
Regelmässige Polygone, je mehr Seiten sie haben,
werden um desto leichter gefasst, weil sie sich dem
Kreise nähern, und hiemit den Blick in dessen IVIittel-
punct lenken. Daraus ersieht man sogleich, dass die
Vorstellung eines regelmässigen Hundertecks und eines
regelmässigen Tausendecks sich fast gar nicht hemmen,
weil bcyde in der Vorstellung des Kreises bcynahe
zusammenfallen •, während Quadrat und gleichseitiges
Drcyeck einander noch stark entgegengesetzt sind, ob-
gleich bey weitem nicht so sehr, als die Voi'stellungen
solcher ungleichseitigen Dreyeckc, deren Winkel sehr
verschieden sind.
"Wie nun , wenn Jemand ims zwey ungleichseitige
Dreyecke vorlegte, mit der Zumuthung, hier die Hem-
mungssumme und das Henimungsverhältniss zu bestim-
men ? Wie vollends , wenn man eine solche Aufgabe in
Bezug auf zwey verschiedene Gesichts -Bildimgen, oder
nur in Bezug auf die Mienen stellte, in welche ein vnid
dasselbe Gesicht kann verzogen werden?
Fragen aufwerfen, imi Zweifel zu erregen, ist leicht.
Wer aber Fragen zu beautAvorten wünscht, muss zu-
erst Ordnvmg in die Fragen bringen.
Wer noch an dem Vorurtheil hängt, das Räumliche
sey simultan, folglich auch die Vorstellung des
Räiunlicheu ohne Succession , der enthalte sich aller
Fragen an die Psychologie in Bezug auf das Räumliche.
Die Rcintische JNIeinung von den sogenannten reinen
Anschauungen a priori, als den Schätzen, worin alle
räumlichen und zeitlichen Constructionen enthalten wä-
ren, so dass man sie nach Belieben herausgreifen könne,
hatten alle Untersuchung dieser Gegenstände erdrückt ;
aus dieser Befangenheit musste man zuerst herausgehn.
Dann aber folgte die Ueberlcgung, dass die Nachfor-
schung in Ansehung des Zeitlichen wenigstens einfacher
ist, als die des Räumlichen mit seinen drey Dimensio-
nen; und dass selbst die des Zeitlichen nicht eher mög-
lieh ist, als bis man die Reprotluctioiis- Gesetze kennt,
nach welchen dei' Gedankenlauf sich zeitlich entwickelt
luid gestaltet.
Fragt z. B. Jemand , welche Hemnuing statt finde
zwischen einem Hexameter mid einem Pentameter? so
bietet sich leicht die Antwort dar: der Pentameter lässt
in der Mitte und am Ende eine Sylbe Yermisseu, welche
der Hexameter besitzt. Aber woher das Vermissen ?
Das setzt eine versuchte Reproduction voraus; und um
dies. zu verstehen, muss man erst Untersuchungen über
die Auffassung der Rhythmen angestellt haben, zu wel-
chen wieder die Untersuchung über das Zeitmaass den
yVeg bahnen muss.
Wäre die Rede von der Abschätzung räumlicher
Grössen durchs Augenmaass, also, um beym Einfachsten
stehen zu bleiben, davon, wie man es anfange,' die
Distanz zweyer Puncte so aufzufassen, dass man den
dritten Punct finden könne , welcher vom zweyten eben
so weit abstehn solle, als der zweyte vom ersten: so
kämen drey Umstände in Frage. Erstlich : die Ver-
schmelzung unter den Vorstellungen des ersten und
zweyten Punctes; denn diese Verschmelzung wird ge-
ringer, wenn der Zwischenraum grösser ist. Zweytens
das Einschieben des Umgebungsraums, den Avir zu jedem
sichtbaren Gegenstande, vermöge der unbestimmten Re-
production früherer Raum- Vorstellungen, hinzudenken.
Drittens diejenige Reproduction des ersten Puncts, durch
welche wir denselben in Gedanken an die Stelle des
zweyten setzen, lun von da aus noch einmal die näm-
liche Distanz zu wiederholen; auf ähnliche Weise, wie
wenn man einen Maassstab, anstatt ihn unizuschlagen,
vielmehr soweit fortrückt, als seine ganze Lange be-
33
tragt. Alle ilrey Umstände können beym Augenmaasse
zusammen \virken. jMan bemerkt leicht, dass es für
jeilen derselben eine Analogie beym Zeitmaasse giebt.
Daher mag luan Vergleichuugen zwischen Augenmaass
inid Zeilmaass anstellen; nur ist nicht zu vergessen,
wie viel schwieriger die Betrachtung des Zeitmaasses
werden muss , weil für das yVuge zwar die gegebene
Kaum -Distanz stehen bleibt, und der Beobachtung im-
mer zugänglich ist, hingegen das^ Zeitmaass verloren
geht, wenn es einmal verfehlt war inid nicht von neuem
gegeben wird.
Dass aber das Zeitmaass sich festhalten lasst, zwar
nicht mit mathematischer Genauigkeit, jedoch zu man-
nigfaltigem Gebrauche hinreichend, ist Thatsache. ISun
liegt jedes Maass zwischen zwey Grunzen, und bedarf
sowohl der einen, als der andern, um vestgehalten zu
werden. Also kann das Zeitmaass nicht eher gegeben
seyn, als bis der zweyte Einschnitt in die Zeit zum
ei'sten hinzukommt; und es wäre schon verloren noch
ehe es gegeben ist, wenn der erste Einschnitt nicht
vestgehalten wäre, indem der zweyte dazu trit.
Das blosse Vesthalten aber würde auch nichts hel-
fen. Bliebe eine durchs Wahrnehmen gewonnene Vor-
stellung unverändert im Bewusstseyn, so würde sich
dieselbe durch W iederhohlung bloss verdoppeln, ver-
dreyfachen, überhaupt verstärken. Also muss die Vor-
stellung, durch welche der erste Einschnitt in die Zeil
gegeben , uml der erste Zeitpunct vestgestellt wird,
sich während der von nun an verlaufenden Zeit irgend-
wie verändern. Diese Veränderung muss nahe der Zeit
selbst proportional seyn, weil sich das Zeitmaass inner-
lialb solcher Gränzen , die sich nicht genau angeben
C
34
lassen, beliebig vestslellen liisst. Es gle])t nämlich Zelt-
absclinilte, die zu nahe, andere, die zu fern slehn, als
dass ihre Distanz sich unmittelbar schätzen, vollends
sich zur Auffassung des Tacts gebrauchen Hesse; es
glebt aber z^Yischen Beydem noch eine ziemlich ^Yeit
offene Möglichkeit schnellern und langsamem Tactes,
•worin die Zeit so abgemessen wird , wie man ihr Blaass
willkiihrlich bestlnunt halte.
Welche Veränderung ist es mm, die, proportional
der Zeit, mit der Vorstellung des ersten Tactzeichens,
■während des ersten Zeit-Thcils, vor sich geht; derge-
stalt, dass die Grösse dieser Veränderung zum IMaassc
■wird, dessen Gleichheit sich wieder erkennen lässt,
■wenn zum zweyteu Tactzeicheu das dritte, zum dritten
das \ierte, und so ferner, hinzukommt? — Wenn der
Arzt den Puls fühlt, so sind die Pulssclilage die Tact-
zeicheu. Wie ■weiss nun der Arzt, ob der Puls gleich-
massig geht oder nicht? Sein Vorstellen dessen, was
er fühlt, muss während der Zwischenzeiten beharren,
aber auch sich verändern ; die Veränderung muss be-
stimmt seyn durch den langsamem oder schnellem Puls;
luid die Gleichheit der Veränderungen muss ihm be-
merklich seyn, mit hinreichender Genauigkeit, damit
er den Zustand des Kranken darnach beurtheile. Wel-
ches sind diese Veränderungen? Das ist die Frage.
IMan kann an qualitative oder an quantitative Ver-
änderungen denken. Eine qrialltalive Veränderung er-
eignet sich bey solchen Vorstellungen, die an Schärfe
der Bestimmtheit verlieren. ]Man hat etwa eine Per-
son im blauen Kleide gesehn ; sollte man aber dean
Kaufmann, der viele blaue Tuchproben vorzeigt, ange-
ben, welches Blau? so würde mau schwanken zwischen
35
mehrern Nuancen. INIan Aveiss clwa, dass eine eben
gehörte Musik in C dur gesetzt ist ; brächte aber nun
Jemand meln-erc Slimmgabehi lierbey, und man sollte
sagen, nach welcher von diesen Stinnngabeln die Instru-
mente gestinnnt waren, so bemerkt man, dass die Vor-
slellungen, die man aufbehalten hat, nicht so vest be-
stimmt sind, um hierüber zu entscheiden.
Vielleicht also ist jene Veränderung während des
Verlaufs einer kurzen Zwischenzeit, nach welcher beim
Pulsschlage gefragt wurde, auch schon ein anfangendes
tJbergehn aus Bestimmtheit in Unbestimmtheit; und die
Erneuerung der Pulsschläge ist eine Wiederkehr zur
vorigen Bestimmtheit. Die Auffassung des Tacts wäre
dann zum Theil eine Art von Grad-lNIessung solches
Übergangs, nämlich wegen der Zeit, welche der IJbex'-
gang verbraucht.
]Man wird tiefer unten die verworrenen Neben -Vor-
stellungen berücksichtigt finden '''•), durch welche die
Tactzeichen ihre Bestimmtheit verlieren können. Wir
haben geglaubt, diesen Umstand von der Untersuchung
nicht ausschliessen zu dürfen; jedoch wir sind weit ent-
fernt, uns auf ihn allein zu verlassen. Nicht sowohl
deshalb, weil die Unbestimmtheit eben unbestimmt ist,
denn wenn sie in den nach einander folgenden Zeit-
Abschnitten nur gleich bleibt, so kann sie auch deren
Gleichheit fühlbar machen. Es ist nicht einmal nöthig,
dass sie ganz gleich bleibe; die entferntem Neben-
vorstelluugen können durch die Hemmung abgeschnitten
*) Dass man die verworrenen Vorstellungen dessen , was iiim
Umfange eines Allgemein -Begriffs gehört, von den bloss ver-
dunkelten sorgfältig unterscheiden niuss, haben wir längst be-
nierklich gemacht. Psychologie §. 122.
36
werden, •wälirend die nähern, fast gleichartigen, sich
mehr emporheben; im Aufmerken auf den Tact liegt
xil)erdies ein absichtliches Abslrahiren von dem, was
nach dem Tacle geschieht oder gethan wird. Es ist
auch gewiss, dass der Tact wirklich nicht immer, wo
er vorkommt, auch wahrgenommen wird; vielmehr
wird er leicht verloren, luid es gehört nicht geringe
tibung dazu, ihn vestzuhallen ; zunächst aber kommt
nur das iu Betracht, was der Möglichkeit einer solchen
IJbung lU'sprünglich zum Grunde liegt. Endlich darf
mau die Frage, ob Jemandem die Zeit lang oder kurz
vorkomme, hier nicht einmischen, denn was lang oder
was kurz scheint, kann gleich gefunden werden; auch
hängen die Gränzen, innerhalb deren im Allgemeinen
der Tact bemerkbar ist, nicht von subjectiven Gemüths-
Slimmungen ab.
Allein es giebt eine Klasse von Thatsachen, die uns
erinnerten, auf jene qualitative Veränderung des Vor-
stellens nicht zuviel zu rechnen. Diese Thatsachen sind
dem Zeitmaasse so eigenthiimlich, dass schwerlich beym
Aulfassen gleicher Grössen im Räume etwas Ähnliches
kann nachgewiesen werden. Es sind die Unterschiede
der guten und schlechten Taclzeiten, die in der ]Me-
trik lind INIusik eine so wichtige Rolle spielen. Diese
aus irgend welchen Einschiebungen verworrener Neben-
vorstellungen zu erklären, scheint unmöglich. Rlag im-
merhin das Eingeschobene, und liiemit der Übergang
aus Bestimmtheit in Unbestimmtheit, gleich gross seyn;
vuid mag damit das Einschieben eines Voi'Stelleus des
Umgebungs- Raumes zwischen zwey Raumpuncte (etwa
zwischen zwey Sterne, während man den nächtlichen
llinunel betrachtet,) noch so genau correspondiren : so
37
Nverileii doch ilie guleii mul scIiIclIiUmi Taclzeileii ini-
gleidi aufgefassl; und diese Ungleiciiheit bey aller
Glcicliheil der Zeildislanzen, welche gei'ade dem Zeil-
liclien seilest beygelegt wird, und keineswegs elwan ans
andern, fremden Umständen hergehohll ist, scheint das
Problem in solchem Grade zu erscluveren, dass wir von
jedem Versuch der Aullösung hätten abstehen müssen,
wären uns nicht die Principien der Mechanik des Gei-
stes zu Hülfe gekommen.
Auch hier aber musste erst ein Zweifel überwun-
den werden. Es konnte nämlich scheinen, als wäre
das Fortsetzen einer Zeilreihe uacli gegebenem Zeit-
maasse bloss ein besonderer Fall der Reproduction ge-
gebener Reihen übei'haupt ; auch lässt sich nicht leug-
nen , dass Verse oder Melodien , die man aus dem Ge-
ilächlnisse wiederhohlt, zur Evolution der Reihen gehö-
ren. Aber nach allem, was wir von dieser Evolution
erforscht haben , geschieht sie durch ein continviirliches
Heben und Sinken der Reihen -Glieder; und so blieb
in Frage , woher denn die bestinunten , plötzlichen Ein-
schnitte in die Zeit kommen sollen, welche man durch
Tactschläge bezeichnet';' Dieser Umstand wies uns end-
lich dahin , das Zusammenlrell'en einer sinkenden und
einer steigenden Vorstellung, die, in wiefern sie in Ge-
meinschaft gerathen sind, auch eine gemeinschaftliche
Bewegung zu macheu hätten , genauer zu untersuchen.
Bey dieser Gelegenheit liat sich das Resultat herausge-
stellt , dass man für 'die psychologische Rechnung die
Einheit der Zeit mit Wahrscheinlichkeit auf zwey
bis drey Secunden setzen kann; schwerlich viel kürzer
und gewiss nicht viel längei\ Die Frage nach den Ein-
heiten , welche den Zahlen zum Grunde liegen , ist dem-
38
nach kein IMeclusenliaupt, woinlt man ille matliemati-
sclie Psychologie schrecken könnte.
Diejenigen, welche gewohnt sind, In ihren Betrach-
tungen über das Zeitliche mit der unendlichen Zeit an-
zufangen, mögen zusehn, wie sie in ihrem Herabsteigen
zum Endlichen das Zeitmaass erreichen, und die ange-
führten Thatsachen erklären wollen. Rönnen sie das
nicht, oder begnügen sie sich mit Allgemeinheiten, die
sich nicht ins Einzelne vei'folgen lassen, so mögen sie
begreifen, dass sie vom Unendlichen nicht hätten aus-
gehen sollen. Ferner mögen sie alsdann begreifen, dass
ihnen der unendliche Ilaiun eben so wenig dienen kenn,
ihm bestimmte Constructionen abzugewinnen; am we-
nigsten solche , die einen ästhetischen Werth oder Un-
werth in sich tragen. Das Abwerfen der Schranken
bezeichnet in der Philosophie den Anfänger; Maass
und Gestalt wieder zu gewinnen, Ist die Aufgabe für
die INIelster.
Nicht anders verhält sichs Im Gebiete der Begriffe.
Leere Allgemeinbegriffe treiben sich überall herum; da-
mit Ist weder die geistige noch die köiperliche Natur
zu erkennen.
Unser Zweck war, die Quellen der Psychologie
weiter als bisher zu eröffnen. Darum haben wir inis
becpiemt, aus der Höhe der Allgemeinheiten so tief
als möglich herabzusteigen, und bestimmte Thatsachen
in Betracht zu ziehn. Gelangt man einmal zu der Ein-
sicht, wie viel diese zu denken g'eben, so wird man ja
hoffentlich auch überlegen, wie viel noch zu thun, und
wie die Hülfsmiltcl des Denkens zu benutzen sind.
39
lieber die Tonlehre*
1. Erste That Sache. Von jedem beliebigen
Toue aus kanu man continuirlich zu höhern und zu
liefern Tönen forlschi-eiten, ohne dass die höchsten oder
tiefsten Töne, die man hören, vollends die man sich
denken könne, sich bestimmt angeben Hessen.
2. Zweyte Thatsache. Die Unterschiede je
zweycr Töne lassen sich als Maasse gebrauchen , nach
welchen man andre gleich grosse, grössere oder klei-
nere Unterschiede abmessen kanu. Solche Waasse sind
unter dem Namen der Intervalle bekannt.
3. Anmerkung. Für die IMusik sind alle gleich-
namigen Intervalle gleich gross. Innerhalb einer jeden
Oclave l)efinden sich die kleine und grosse Secunde,
kleine und grosse Terze, Quarte, falsche Quinte, reine
Quinte, kleine und grosse Sexte, kleine und grosse Sepr
lime, — völlig auf gleiche Weise, ob nun der Grund-
ton, von welchem anfangend diese Intervalle bestimmt
werden, höher oder tiefer liege. Eine Octave liefert
genau eben so viele und eben solche zu unterscheidende
Intervalle , als eine andre. Die geometrischen Verhält-
nisse der Physiker verwandeln sich für die Musik in
arithmetische.
4. Folgerung, Da zwischen je zwey Tönen
ein Contlnuum möglicher Übergänge vom tiefern zum
höhern liegt: so muss jedes endliche Intervall sich
40
dlvIcHreu und nuilliplicireu lassen; mid joder endliche
Divisor oder JMulliplicalor inuss eine endliche Grösse
liefern.
5. Frage: Gesetzt, man habe ein Inlervall, wel-
ches nicht unendlich klein, sondern schon zu gross sey,
als dass die Töne , z^yiscllen denen es llcgl , für völlig
einerley genommen werden könnten: mit Nvelcher Zahl
würde man es nniltipliclren oder dividircu müssen, um
dasjenige Intervall zu finden, dessen Töne völlig ver-
schieden seyen ?
G. Anmerkung: Es liisst sich leicht crrathen,
dass, wenn jenes Intervall ein Bruch der Octave ist^ es
mit dem lungekehrten Bruche müsse nuilliplicirt wer-
den, imi die Octave, luid hiemit das Intervall der völ-
ligen Verschiedenheit zweyer Töne zu ergeben. Um
aber dieses zu beweisen, müssen wir weiter gehn.
7. Dritte Thatsache. Z\xey Töne, deren Di-
stanz eine Octave ist, haben gegen jeden mittlem Ton
die gleiche harmonische Bedeutung in sofern, als sie zu
einem und demselben Accorde gehören.
Das heisst: die Secundeu sind umgekehi'te Septi-
men, die Terzen umgekehrte Sexten, die Quarte ist
die umgekehrte Quinte.
Damit man nicht bloss das, worauf es hier an-
kommt, sich genau vei'gegeuwärtige , sondern auch an
eine weiterhin ganz unentbehrliche Bezeichnung sich
gewöhne: dienen zunächst die ersten vier Figuren auf
Jjeyliegender Tafel. Der Ton c ist hier immer durch
eine Querlinie angedeutet , welche dreyzehn senkrechte
Parallelen durchschneidet. Zu diesem c ist das obere
d die Secunde; das untere d die Unter- Septime j der
Abstand beyder betragt eine Octave; und der Secunden-
41
Accorcl von c gilt gleich dem Scplinicn -Accorde von d.
\\\ der Figur ist das obere d durch einen Slricli nacli
ü^en, das iinlcre durch einen Strich nacli miten ange-
deutet; man darf aber nicht an der Stelle des Strichs
den Ton d selbst suchen, welcher hier lediglich In
so lern betrachtet wird, als c demselben nahe, hinge-
gen von e, f, fis weiter entfernt Hegt. Die Absicht
der Figur wird klarer werden, wenn man sich c auf
einem Tasten- Instrumente liegend denkt, wo rechtshin
d folgt, aber linkshin , Nveiter abwärts, das um eiiie
Oclave tiefere d seinen Platz hat. Vergleicht mau näm-
lich «jetzt die zweyte Figur mit der ersten, so ist leicht
zu bemerken, dass ein paar Striche, deren einer, auf-
wärts gerichtet, das obei^e e, der andre abwärts ge-
hende , das untere c bezeichnen , beyde weiter rechts-
hin liegen , als die ähnlichen Zeichen für d in der er-
sten Figur. Eben so liegt f in der dritten Figur noch
weiter rechts; desgleichen fis in der vierten Figur,
während man aiich hier sich hüten muss, die Töne an den
Sielleu zu suchen, wo ihre Zeichen stehu; da vielmehr
die ganze Lange der Querlinie uur den Ton c bedeutet.
Dasjenige, worauf es in diesen figürlichen Darstel-
lungen am meisten ankommt, ist dies: für den gegen-
wärtigen Zweck kann ein solcher Ton , der , wie hier
c , als liegend zwischen höhern und niedern soll auf-
gefasst werden, nicht bloss als ein Fun et in der
Tonlinie (was er eigentlich ist), sondern er muss
so betrachtet werden, als ^väre er auseiuandergezogen,
und als besässe er eine Ausdehnung in die
Länge. Denn es soll in ihm seine Verschiedenheit
von einem höhern und von einem niedern, als ein Quan-
tum angesehen werden, auf dessen Bestijnnumg sein
42
harmonischer Werlli beruhet. Die Ausdehnung rechts-
hin nun bedeutet Gleichlielt mit Tönen, die rechts
liegen, und Gegensatz gegen Töne die links liegen;
die Ausdehnung linkshin bedeutet GleicJdieit mit Tö-
nen, die links liegen, und Gegensatz gegen Töne zur
Rechten. In der vierten Figur, wo c als liegend zwi-
schen dem obern und dem untern fis erscheint , sieht
man sogleich , dass dem c gleich viel Ausdehnung
rechtshin und linkshin musste geliehen werden, um
anzudeuten , dass In Ihm der Unterschied von dem
untern fis und dem obern fis gleich gross sey. Hat da-
gegen c mit dem untern fis noch etwas gemein, —
^velches als das Gleiche in beyden betrachtet wer-
den könne , — so hat es mit dem obern fis gerade ebeu
so viel gemein, denn es soll hier als der genaue IMIt-
telpuuct zwischen beyden angesehen werden.
Geht man nun rückwärts zu den vorigen Figuren,
so sind auch diese leicht zu vei'stehen. Hat c mit dem
obern ßs noch etwas gemein , so ist seine Gemeinschaft
mit dem, ihm näher liegenden/, e, J, gewiss grösser
und grösser; darum giebt ihm jede Figur, von dem
aufwärts gerichteten Theilstriche an, mehr Ausdeh-
nung rechtshin, das heisst, dorthin, wo auf Ta-
sten-Instrumenten der höhere Ton zu suchen
ist. Umgekehrt, hat c mit dem untern fis noch etwas
gemein, so ist seine Gemeinschaft mit dem, ihm ferner
liegenden, untern/, e, tf, gewiss kleiner und kleiner;
darum giebt ihm jede Figur, von dem abwärts ge-
richteten Theilstriche an , weniger Ausdehnung links-
hin, das heisst, dorthin, wo auf Tasten -Instrumenten
der liefere Ton zu suchen ist. Wie nun die Ausdeh-
nung rechtshin, Gemeinschaft mit höhern, so bezelch-
43
net die Ausdehnung llnkshln, Verscliledcnlielt von hö-
heru, — und wie die Ausdehnung links hin, Gemeinschaft
mit niederu , so bezeichnet die Ausdehnung rechtshin,
Vci'schiedenheit von uiedern Tonen.
Worin besteht aber das Älerkwürdige der oben an-
gegebenen dritten Thatsache? Darin, dass die Ausdeh-
nungen rechts und links sich allemal zur Octave er-
gänzen müssen, wenn sie für den mittlem Ton (hier
beyspielsweise den Ton c) seine Gemeinschaft oder seine
Verschiedenheit mit zwey solchen Tönen bezeichnen
sollen, die, gegen ihn, die gleiche harmonische
Bedeutung haben.
8. Könnte denn nicht ein gleicher Absland nach
oben und nach unten, einen gleichen harmoni-
schen AVerth ergeben? Etwa wie in Figur 5, das
obere g und das untere / nach entgegengesetzten Sei-
ten gleichen Abstand von c haben? Die Erfahrung ver-
neint dies durchaus; es wäre denn, dass man, wie in
Figur 4, die halbe Octave, oder aucli die ganze Octave
zur Bestimmung des Abstandes wäldle.
9. Oder könnte nicht dasjenige Intervall, zu wel-
chem die beydeu Abstände sich ergänzen sollen,
kleiner oder grösser seyn, als die Octave? Etwa
wie in Fig. 6, wo die Querlinie immer noch den Ton
c bedeutet, aber statt der vorigen drcyzehn Senkstriche,
zwischen denen zwölf kleine Absfände Platz hatten,
nur zehn Senkstriche mit neun Abständen übrig gelas-
sen sind. Das Intervall, zu welchem sich ergänzend
die beyden andern den gleichen harmonischen Werlh
bekämen, wäre also nicht mehr die Octave, sondern
die grosse Sexte. Die übermässige Secunde c — dis ist
jdavon ein Drittheil ; und die falsche Quinte dii — a
44
zwey Dritthell. TSach uuten hin ^vürde man /Air Er-
gänzung die falsche Quinte c — fis nehmen, um die
übermässige Secunde bis zur Sexte zu erweitern; und
die Gemeinschaft zwischen c und fis betrüge nicht mehr
(wie oben) gleichviel wie die Verschiedenheit, sondern
nur noch halb soviel, nämlich soviel als die Distanz
von ßs bis zuni untei'n dis. Demnach sollten in Be-
zug auf c nunmehr die beiden Töne dis untl fis den
gleichen harmonischen Werth haben ; eine musicali-
sche Ungereimtheit der ärgsten Art. Ahnliche Unge-
reimtheit wird man unter ähnlichen Voraussetzungen
überall finden.
Es ist hier für das Verstehen der Figur immer ge-
nau vestzuhalten , dass der Querstrich allemal den näm-
lichen Ton c bezeichnet. Diesem hat man die Ausdeh-
nung gegen dis rechtshin, gegen fis linkshiu geliehen,
um nach Abzug der Verschiedenheit, das übrige Ge-
meinschaftliche darzustellen. Die Unwahiheit der Fi-
gur liegt in der Unwaluheit der Voraussetzung. Der
Wahrheit gemäss müsste die Figur für dis , w^elches von
c rechts liegt, rechtshin; für ßs, v?elches von c links
liegt, linkshin, um die w^eggelassenen drey Senkstriche
erweitert werden; dann aber käme sogleich zum Vor-
schein , dass ßs und dis keineswegs für c die nämliche
harmonische Bedeutung haben; denn zählte mau die
Senkstriche von links nach rechts, so käme, M'ie sichs
gebührt, das Zeichen von dis zwar auf den vierten,
hingegen das für ^5 auf den siebenten.
10. Jetzt lässt sich die (unter 5) aufgeworfene
Frage zuvörderst nach ihrem Sinne näher bestimmen.
Sie betrifft dasjenige Intervall, bei welchem die Gleich-
heit, die im contiuuirlichen Fortschreiten oder vielmehr
45
Fort {Hessen der Töne nicht plölzlicli verschwinden
konnte, ganz aufhört. Dies Aul'hören kann nur da
eintreten, avo die Verscliiedenheit, oder besser gesagt,
der Gegensatz (weil die Töne nicht disparat, son-
dern contrar sind) \ollständig wird. Denn die Intensi-
tät der Töne wird liier überall als gleich angenommen ;
inid so nuiss das Entgegengesetzte wachsen, wie das
Gleiche abnimmt.
Gleichheit und Gegensatz als wirklich abgeson-
dert vorstellen zu wollen, als ob jedes einzeln wahr-
nehmbar wäre, ist desto luizulässiger, da offenbar bey-
des die Relation zu einem willkührlicheu Grundion vor-
aussetzt. Die Absonderung geschieht nur in Begrif-
fen; ist aber durchaus nothwendig, weil mau das con-
tinuirliche Fliessen, w^elches bey v o 1 1 k o m m n e r Gleich-
heit der Töne seinen Anfangspunct hat, nicht ab-
leugnen kann.
11. Satz. Das Intervall des vollkommenen Ge-
gensalzes ist die Octave.
Beweis. Obere und untere Töne können in An-
sehung eines mittlem niemals einerley Gleichheit oder
Gegensatz erlangen; denn gerade der Unterschied des
Oben und Unten besteht daiün , dass jeder positive Zu-
wachs nach der einen Seite einen negativen nach der
andern in sich schliesst. iSichtsdestoweniger lehrt die
Thatsache, dass obere luid untere Töne hai-monisdi
gleichgeltend für den mittlem seyu können; sie lehrt
hicmit, dass es zwar auf die Eintheilung, aber nicht
darauf ankomme, welcher Theil gleich, und wel-
cher entgegengesetzt sey. Da nun der mittlere Ton
in bey den Fällen in Gleiches und Entgegengesetztes
zci'legt wird, ob mm ein oberer, oder ob ein unterer
46
Ton die Elntlielliuig bestimme: so kann die Zerlegung,
die von beiden Seiten heri'ülirend gleiclie Wirkung tlmt,
Hur in Ansehung des Theilungspunctes, wohin sie fällt,
mithin des Verhältnisses unter den Th eilen,
von solcher Bedeutung seyn, dass der harmonische
Werth dadurch bestimmt wird. Die Einerleyheit des
Theilungspuncts aber ist nur möglich, Avenn das, was
von der einen Seite als Gleichheit abgeschnitten wird,
von der andern Seite als Gegensatz zurückbleibt; und
umgekehrt. Nun ist der mittlere Ton der Nullpunct,
zu dessen beyden Seiten Grössen liegen, deren jede, ne-
gativ genommen, zu der andern positiven kann addirt
werden. Diese Addition, bezogen auf die Gleichheit,
nniss anzeigen, wie weit die Gleichheit, hingegen auf
den Gegensatz bezogen, anzeigen, wie weit der von
der Gleichheit noch nicht völlig befreyte Gegensatz sich
erstrecke. Bey den Tönen ergiebt sich aus solcher Ad-
dition allemal die Octave. Also ist die Octave das In-
tervall verschwindender Gleichheit und vollgewordenen
GegenSiitzes.
12. Folgerung. \Yenn wir bloss um jenen har-
monischen Werth vuis bekümmern, so ist einerley, wel-
cher von zwey gleichnamigen (um eine Octave ent-
fernten) Tönen über oder unter dem mittlem liege. In
so fern kann also z. B. die Figur 1 , anstatt den Ton
c zweymal darzustellen, so verändert werden, dass ein
einziger Querstrich genügt, in welchem das Theilungs-
zeichcn zugleich aufwärts und abwärts geht; wie Fig. 7
anzeigt; wo man sich d oberwarts oder unterwärts den-
ken mag.
13. Der Umstand, dass alle Verschiedenheit der
harmonisclien Werlhe innei'halb der Octave liegt (3),
47
lind class in liöhern luiil nieilern Oclavcn sich immer
dieselben Werlhe wiederhohleii , — ^vährend vom Grade
des Gegensatzes einzig luid allein solche Werthbestim-
nnuig abhängt, — reicht eigentlich schon hin, um den
obigen Satz zu beweisen. Denn über die Gräuze hin-
aus, welche die Octave gesetzt hat, können Unter-
schiede des gi'össern und geringern Gegensatzes nicht
mehr unmi t telb ar statt finden; so gewiss es übri-
gens ist, dass ein nur einigermaassen geübtes Ohr sie
noch mittelbar (vermöge eingeschobener, d. h. hin-
zugedachter Octaven) i-echt gut vernimmt. Allein die
vorstehenden Entwickelungen waren für das Nachfolgende
durchaus unentbehrlich.
14. Weitere Folgerung. Zwey Töne zerlegen
sich allemal gegenseitig; und da das Gleiche in bejden
gleich gross, so muss allemal nach Abzug desselben auch
das rein-Entgegengesetzte des einen, der Quantität nach
gleich seyn dem rein -Entgegengesetzten des andern. Es
giebt demnach allemal zum mindesten drey Grössen für
eine Hemmungs- Rechnung; nämlich zwey gleiche Quanta
des rein-Entgegengesetzten, und das Quantum der Gleich-
heit welche als Gleichheit nur eine ist, und von
den gleichen T heilen, die dem einen und dem
andern zukommen , noch luiterschieden werden nuiss.
15. Satz. Die Gleichheit widerstrebt, als Eine,
den beyden Gegensätzen.
Beweis. Wären die Töne ganz gleich: so würde
ihre Gleichheit der Grund ihres völligen Zusammenge-
hens in Ein Yorslellen seyn; da es in der Seele keine
Scheidewände giebt. Dasselbe sollte statt finden, in
wie weit die Gleichheit \orhauden ist. Aber dann
müsste das Entgegengesetzte, weil es sich in den ein-
48
fachen Tönen niclit von den Gleichen absondern kann,
in dieselbe Einheit hineingezogen werden. Die Gleich-
heit lindet also Widei'Stand, und ist hierin jedem der
beyden rciu-Enlgcgengesetzlen auch ihrerseits rein und
vollkommen entgegen. Die gleichen Theile, einzeln ge-
nommen , gelangen entweder gar nicht , oder doch nur
imvoUkommen , zur Vereinigung; und können deshalb
nicht unmittelbar als Eine Summe in Rechnung kom-
men, welche als eine durchaus uugetheilte Kraft wirk-
sam wäre. Ob und wie fern eine solche Summe den-
noch in Betracht zu ziehn sc}', wird sich in der Folge
zeigen.
16. Vierte Thatsache. AVenn die Octave in
zwey, oder drey, oder vier gleiche Theile zerlegt wird:
so entsteht allemal Dissonanz. Diese Dissonanzen sind,
wenn c für den Grundton genonunen wird:
a. Bey zwey gleichen Abständen: c inid gcs,
die falsche Quinte ; oder c fis, die übermässige Quarte.
h. Bey dreyen : c, e, gis , c , drey grosse Tei--
zen. Den Unterschied der grossen Terze von der ver-
minderten Quarte gis c können wir hier, wo es nur
auf den Abstand ankommt, bey Seite setzen.
c. Bey vieren: c, dis, fis, a, c; vier kleine Ter-
zen; (der verminderte Septimen -Accord von dis.^ Auch
hier kommt der Unterschied der übermässigen Secunde
von der kleinen Terz nicht in Betracht.
17. Anmerkung. Dieser Umstand ist von der
grössten Wichtigkeit in Ansehung des Unterschiedes
zwischen IMusik und den ästhetischen Bestimmungen
über räumliche und zeitliche Verhältnisse; für welche
die Symmetrie allemal von Bedeutung, und meistens
Bedingung des Schönen ist.
4Ö
Im Allgemcluen ist der Grund der Dlslmrmonle nicht
■vveit zu suchen. Die gleichen Theile , worin eine jede
VorsteHung zei'legt wird , streiten mit gleichen Kräften
wider einander. AVir betrachten zuvörderst näher
18. die falsclie Quinte. Hier sind nicht bluss
die TJieile des einen und des andern Tones gleich, son-
dern die Gleichheit beyder (15) strebt, das Entgegenge-
setzte von beyden zusanunen zu zielien; so entsteht ein
Conilict unter drey gle ich e u Kräften; ein Streit ohne
IJbergewicht auf einer Seite.
19. Fünfte Thatsache. Die reine Quinte wird
als die vollkommenste Consonauz nächst der Octave all-
gemein anerkannt.
20. Fragen: a) Da die reine Quinte (z. B. c, g)
von der falschen Quinte (z. B. c ßs oder genauer aus-
gedrückt c gcs) sich nur inn einen halben Ton {fis g)
imterscheldet, wie kann bey solcher Nahe ein so grosser
Conti-ast entstehn , wie der zwischen einer harten Dis-
sonanz und einer vollkommeuen Consonauz?
h) Da die reine Quinte von der Octave beynahe
um die Hälfte der ganzen Octave entfernt ist: wie
kann sie der Beschail'enheit nach, nämlich als Consonauz,
der Octave zunächst stehen?
21. Vorbereitung zur Antwort. Wenn die
Autwort völlig klär und zureichend seyn soll: so muss
aus einem und demselben Grunde erhellen : d) derje-
nige Streit, an welchem die falsche Quinte leidet, sey
bey der reinen Quinte auf ein minimum reducirt; und
V) die Gleichheit, welche bey der Octave gar nicht statt
findet, (indem sie gerade das Intervall der verschwin-
denden Gleichheit ist, nach 11,) sey bey der reinen
Quinte der Wirkung nach aufgehoben.
D
50
AnlNVOrt. Beydes findet In der Tliat zugleich
statt, weil die Gleichheit der reinen Quinte zu beyden
Gegensätzen gerade In dem Verhältnisse sieht, nach
welchem unter drey geistigen Kräften, deren beyde
stärksten gleich sind, die dritte schwächere auf die
Schwelle des Bewusstseyns getrieben wird; nämlich die
Gleichheit verhält sich zu jedem der Gegcnsätzp wie
y^i zu 1. Hiemit haben die Gegensätze vollkommnes
Übergewicht.
Dies kann man, einstweilen nur die Octave In zwölf
gleiche Distanzen theilend (genauere Rechnung bleibt
vorbehalten,) schon daran erkennen, dass in Fig. 8.
beyde Gegensätze durch 7 von jenen Distanzen ausge-
drückt werden, mithin nur 5 für die Gleichheit übrig
bleiben =^). Es Ist nämlich y/^^ : 1 =: 1 : sT'^— 1^ '• ^^^ ^^
oder nahe 5:7.
23. Verglelchung mit der Angabe der Phy-
siker. Gestützt auf Seh wingungs- Verhältnisse tönen-
der Körper, oder auf Saiten - Längen , giebt man ge-
wöhnlich das geometrische Verhältniss der Quinte zum
Grundton an wie 3 : 2. Nun sind im musicalischen Ge-
braviche nicht nur alle Octaven gleich gross, sondern
es müssen überhaupt anstatt der von den Physikern be-
*) Die Figur kann benutzt werden , um die Art der Bezeich-
nung nochmals in Betracht zu ziehn. Der Ton g ist eigent-
lich ein Punct in der Tonlinie; man denke ihn sich ur-
sprünglich da, wo der mit c bezeichnete Theilungsstrich
steht. Von hier an ist er auseinander gezogen, um links-
hin die Gleichheit mit c, rechtshin den Gegensatz gegen
c hemerklich zu machen. Aber auch c ist ein Punct in der
Tonlinie; diesem musste wegen der Gleichheit mit g die
Ausdehnung rechtshin, wegen des Gegensatzes linkshin ge-
liehen werden.
5t
stimmten geometrischen Verhältnisse die entsprechenden
arithmetischen gesetzt werden; (nach 3.) Das lieisst :
wenn die Physiker den Gnindton durch 1, die Octaven
durch 2, die reine Quinte durch | ausdrücken, so muss
gesetzt werden
statt 1, 2, §
hier 0, log 2, log ^
wo , weil es niu- auf Verhältnisse der Logarithmen an-
kommt, mit gemeinen Logarithmen eben so gut als mit
natürlichen kann gerechnet werden. Es ist nun 12
= 0,30103; %| = 0,17009; dem gemäss verhält sich
der volle Gegensatz der Octave zu dem Gegensatz der
Quinte wie 30103 : 17609 =: 1 : 0,58496; zieht man nun
0,58496 ab von 1 , so ergiebt sich 0,41504 als die
Gleichheit der Quinte. Es ist aber 0,41504:0,58496
— 1 : 1,4094, nahe wie U y/^2, oder 0,58496 : 0,41504
= 1 : 0,70952, nahe wie 1 : -y^^.
Der Unterschied beyder Berechnungen ist an sich
unbedeutend; er kommt vollends deswegen nicht in
Betracht, weil bey Tasten- Instrumenten die sogenannte
gleichschwebende Temperatur nöthig ist, wenn man sich
in den verschiedenen Tonarten frey bewegen will ; wäre
aber der einen oder andern Rechnung ein Vorzug zu
geben, so hat man zu überlegen, dass Bestimmungen,
welche den tönenden Körpern gelten, eigentlich ganz
verschieden sind von psychologischen Erklärungen des-
sen, was im Vorstellen sich ereignet; und dass die letz-
tern sich nicht im mindesten auf jene stützen, obgleicli
sie nahe genug damit zusammentreffen, um von daher
eine Bestätigung zu empfangen. Weitei'hin wird sich
noch eine, etwas weniges abweichende, Berechnung aus
einem andern psychologischen Grunde ergeben.
D=^
52
24. Anmerkung. Nachdem die reine Quinte be-
stimmt worden, scheinen die übrigen Ii\tervalle sich aus
dem Quinten - Cirkel (r, g, d, a, u. s. w. bis zu his,
welches auf Tasten - Instrumenten mit c zusammen fal-
len muss) von selbst zu erzeugen. Allein das ist viel
zu weit hergehohlt. In der INIusik werden die Inter-
valle nicht erst abgeleitet, sondei-n immlllclbar empfun-
den, und eine psychologische Erklärung kann sich auf
Ableitungen welter nicht einlassen, als ftur in wiefern
wirklich eins zum andern hinzugedacht, wenn auch
nicht leiblich gebort wird. Dagegen aber Ist allerdings
das musikalische Denken die Hauptsache ; und dar
thörichten Einbildung, als \väre die INIusik ein Nerven-
kitzel, widerspricht die Untersuchung schon dadurch,
dass sie Fragen aufglebt und beantwortet, die sonst nicht
aufs entfernteste angeregt wurden.
25. Sechste Thatsache. Die Quarte wird zwar
oft als umgekehrte Quinte vernommen ; dennoch couso-
nirt sie weit weniger als diese ; ja es giebt Einige , die
ihr kaum den Rang einer Consonanz zugestehen mögen.
26. Erklärung. In der reinen Quarte verhält sich
der Gegensatz zur halben Gleichheit wie 1 : \^h'
Sollte nämlich die Gleichheit in der That das Entgegen-
gesetzte vereinigen: so müsste sie den einen Ton zum
andern , aber auch den andern zu jenem fügen ; ibr
Streben müsste demnach in eine zwiefache , ja selbst
entgegengesetzte Wirksamkeit übergebn. Diese "VTIrk-
samkeit wird bey der Quarte im Entstehen gehemmt ;
denn die Stärke der rein entgegengesetzten Thelle ist
hier noch hinreichend, um die Hälften der Gleichheit
auf die Schwelle des Bewusstseyns zu treiben. Die
Quarte macht daher eine Gränze zNvischen dem Gebiete,
53
wo die Gleichheit vorherrscht (bey den engern Inter-
vallen) und der Gegend, worin sie streitet und welter-
liin bald unterliegt. Davon mehr bey der Melodie. (05.)
Das angegebene Verhällniss leicht zu erkennen,
theile man zuerst mir wie vorhin , die Octave in zwölf
gleiche Abstände. Fig. 9 zeigt 7 Theile Gleichheit ge-
gen 5 Theile Gegensatz. Die halbe Gleichheit verhält
sich demnach, obenhin genonnnen, zum Gegensatze wie
7- : 5 = 7 : 10 = 0,7 : 1, nahe wie y^h : 1.
27. Verglelchung mit den Angaben der
Physiker. Wie oben in Bezug auf schwingende Sai-
ten giebt man der Quarte das geometrische Verhältulss
zum Grundton wie 4: 1, also zur Octave wie 4:2,
Nach (23) ist nun zu setzen
anstatt 1, 2, 4
hier 0, log. 2, log. 4
Es ist Z 2 = 0,30103; log i = 0,12494. Dem ge-
mäss verhält sich der volle Gegensatz der Octave zu dem
Gegensatze der Quarte wie 30103 : 12494== 1 : 0,41504.
Zieht man 0,41504 ab von 1, so erglebt sich 0,58496
als die Gleichheit der Quarte. Davon soll aber hier die
Hälfte genommen werden, weil es darauf ankommt, die
ältere Bestimmung in die Verglelchung mit obiger TheOr-
rie einzuführen. Also die halbe Gleichheit ist :=: 0,29248;
und diese nun verhält sich nach der alten Lehre zu je-
dem Gegensatze wie 0,29248 ; 0,41504 = 0,7047: 1, d, h.
nahe wie y/^h • 1.
28. Siebente Thatsache. Nach der gleichschvve-
benden Temperatur, welche bey Tasten - Instininienteu
die Bedingung ihres glelghmässigen Gebrauchs für alle
Tonarten ist, müssen drey grosse Terzen (wie c, e, gis, c)
und vier kleine Terzen (wie c, es, gcs oder fis, a, c)
54
die Octave gleichmässlg ausfüllen. Demnach hat die
grosse Terz ein Drittheil Gegensatz gegen den Gnmd-
ton, lind zwey Drittheile Gleichheit; die kleine Terz
aber ein Yiertheil Gegensatz und drey Viertheile Gleich-
heit. Hievon -Nveichen die Bestlmnuingen der Physiker
in so weit ab, dass auch dem Gehör einiger Unterschied
merklich wird.
29. Zusatz. Die psychologische Bestimmung der
Terzen kann zwey verschiedene Wege einschlagen, welche
nicht genau dasselbe Piesultat liefern. Allein bevor dies
gezeigt wird, ist derjenige Unterschied zu bemerken,
welcher zwischen dem leiblichen Hören imd dem nui-
slkalischen Denken statt findet. Die psychologische Be-
stimmung gründet sich auf letzteres allein; jenes hinge-
gen hängt zum Theil von den Schwingungsgesetzen der
tönenden Körper ab. Daher kann mau, leiblich hörend,
ein Verhältniss als disharmonisch empfinden, wo im
musikalischen Denken keine Disharmonie vorhanden
ist. Und so hat die gleich -schwebende Temperatur für
einen jNothbehelf der Tasten-Instrumente gelten können,
Avährend sie dem musikalischen Denken mehr angemes-
sen war, als man glaubte. Indessen ist in diesem Puncte
eine tiberlegung von allen Seiten nöthig.
30. Frage. Lassen sich die beyden Terzen unab-
hängig vom Dur imd JMoll der reinen Accorde zuläng-
lich bestimmen?
31. Antwort. Einerseits sind die reinen Accorde
die Hauptstützen der INIusik; anderentheils sind doch die
beyden Terzen nicht auf reine iVccorde beschränkt, son-
dern von weiterem Gebrauche. Kommt es nun einst-
Aveilen bloss darauf an , die Terzen durch bestimmte
INIcrkmalc als gewisse Puncte auf der Tonlinie von al-
55
leu anderen Punclcn zu unterscheiden: so hat man nicht
nölhig, die Terze bloss als den dritten Ton zu zweyen
schon gegebenen (Gruudton luid Quinte) zu betrachten.
Daher niuss die obige Frage verneint werden 5 allein
mit dem Voi'behalt, auch die Bedingungen des reinen
Accordes zu erwägen, und diese nicht etwan von jenen
]Merkmalen, als durchaus vestgestellt, abhängig zu machen.
Was nun zuvörderst die grosse Terze anlangt, so ist
ohne Zweifel der Punct der Tonlinie, wo die halbe
Gleichheit dem Gegensatze gleich, und ihre vereinigende
Wirkung mit jedem Gegensalze im Gleichgewichte' ist, —
als ein von anderen Puncten der Tonlinie verschiede-
ner, sich auszeichnender, zu betrachten. Dies triift zu-
sammen mit der gleichschwebeuden Temperatur, nach
welcher, wie schon gesagt, (28) die ganze Gleichheit
zwey Dritlheile gegen ein Drittheil Gegensalz betiägl.
Hieraus allein aber würde sich das Hai-monlsche der
grossen Terz, was sie im reinen Dur bekonmit, nicht
erklären lassen.
Was zweytens die kleine Terz anlangt: so hat man
den Punct aufzusuchen , wo die beydeii Hälften der
Gleichheit gegen die beydeii Gegensätze stark genug sind,
irni letztere auf die Schwelle zu drängen. Nach der
bekannten Formel czizh 1/ L_ oder wenn b=:a,
'^ a + b
c = i^^, muss hier, wenn jeder Gegensatz =0;, die
Gleichheit = 1 — a;, die halbe Gleichheit = -Ilf , ange-
setzt werden
2 -
woraus %
1 + 2 V^2
5(5
= 0,201203,
und die halbe Gleichheit r= 0,3C939.
32. Vei'gle i chimg mit deu Angaben der
Physiker. JNach ihnen yerlialt sich die grosse Terz
zum GrundlQn wie 5:4, die kleine zmn Gruudtou wie
6 : 5. Diese geometrischen Yerliällnisse mit Hülfe der
Logarithmen auf arithmetische zurückführend, haben wir
1) für die grosse Terz, anstatt des Verhältnisses der
Tei'ze zur Octave wie 5:8, oder ^^2, das Ycrhältniss
hg ^: log 2 = 9691 : 30103 = 0,32193 : 1 , mithin, da
der Gegensatz r= 0,32193, die Gleichheit rz: 0,67807,
und deren Hälfte r=: 0,33903, etwas grösser als den G*»-
gensatz.
2) für die kleine Terz, anstatt des Verhältnisses der
Terz ziu' Octave, wie 6 zu 10, oder f : 2, hier das
Verhältniss log | : log 2= 7918 : 30103 = 0,26303 : 1,
welches nach obiger psychologischer Bestimmung (31)
hätte seyu sollen 0,261203 : 1, also nahe damit zusam-
mentrifft.
33. Frage. Da die beyden Sexten als umgekehrte
Terzeu vernommen werden (nach der dritten Thatsache
in 7): müssen sie nur hiedurch bestimmt werden; oder
gibt es für sie auch unmittelbar solche Gründe der Be-
stimmung, dass füglich die Terzen als umgekehrte Sexten
zu betrachten wären?
34. In Ansehung der grossen Terze liegt sogleich
am Tage, dass, was bey ihr Gleichheit, bey der kleinen
Sexte Gegensatz ist, und umgekehrt. Also ist bey der
letztern zwischen dem ganzen Gegensatz jedes Tons,
und der Summe ihrer gleichen Tlieile, Gleichgewicht
vorhanden. Rechnet man nach Zwölfteln der Octave,
so hat beym Intervall der kleinen Sexte jeder Ton acht
57
Zwölflcl Gegensatz und vier Zwölftel Glelclilielt relativ
gegen den andern Ton; gesetzt also, man könne die
l)eyden gleichen Theile addiren , so ist ihre Summe
gleich gross ^vie jeder von den Gegensätzen.
Bey der kleineu Terze kann ebenfalls in Bezug auf
die grosse Sexte bemerkt -werden, dass Glciclies und
luitgegengesetztes ihre Stellen vertauschen; inid dies
führt hier zu folgender Rechnung.
Die Summe der g 1 e i c h e n T h e i 1 e sey zu jede ni
der rein-entgegengesetzteu Theile in dem Vei"hältnis8,
dass sie auf die statische Schwelle gedrängt werde: so
hat man, wenn jeder gleiche Theil =zx, jeder entge-
gengesetzte r= 1 — X,
2a; = (l— o;) ./^-^
oder X =
1 + 2 y/ 2
welches genau mit der Angabe in (31) zusammentrifft,
nur dass hier Gleiches ist was dort Entgegengesetztes war.
Sind die Vorstellungen der Töne nach der Hennnung
sattsam verschmolzen , so hat die vorausgesetzte Addition
kein Bedenken; man kann also dann auch die Terzen
für umgekehrte Sexten nehmen ; eine nothweudige Ab-
hängigkeit der Sexten von den Terzen ist nicht zu be-
haupten.
35. Frage. Kann man auf ähnliche "Weise, wie über
Terzen und Sexten, auch über die Septimen und Se-
cunden Aufschluss erlangen?
36. Antwort, a) In Folge der Verschmelzung
kann jeder einzelne Ton als verbunden mit dem, was
im andern ihm gleich ist, betrachtet w^erden. So eul-
slelin durch die Addition jedes Tons zu der Gleichheit,
zwey Kräfte, neben welchen die entgegengesetzten Theile
58
auf die Schwelle mögen gedrängt wei'deu. Das Gleiche
heisse x, das Entgegengesetzte 1 — x; so entstellt fol-
gende Rechnung:
(1+:.) V"4=:l-a;
woraus tv = ( ^/^2 — 1 ) 2 z=: 0, 1 71 58
i) Oder man nehme an, die Vorstellungen, AA'elche
durch die halben Gleichheiten zur Vereinigung getrie-
ben werden, seycu, durch diese halbe Gleichheit ver-
stärkt, im Conllicte mit den einzelnen dergestalt, dass
jede verstärkte wider die andere einzelne, aber auch
jede gegen die andere verstärkte dränge. Das Entge-
gengesetzte heisse jetzt x, also die halbe Gleichheit
= , so hat man ( 1 -|- ) -^/^h-^^l; wenn 1 auf
die Schwelle fallen soll ; woraus wiederum
o; = 1 — 2 V^2 -|- 2 z= (^2 — 1 ) 2 z= 0,17158.
Von diesen beyden Rechnungen dient die erste zur Be-
stimnuing der kleinen Septime; die zweyte bestimmt
die grosse Secunde; und beyde, unabhängig von einan-
der, treffen genau zusammen. Es ist nämlich, wenn
man den Gegenstand obenhin nach Zwölfteln der Octave
betrachtet, leicht zu sehen, dass die kleine Septime
nur noch zwey Zwölftel Gleichheit enthält. Addirt
man diese zwey Zwöflel der einen Vorstellung zu der
andern ganzen, so entsteht das bekannte Verhältniss
zum Gegensätze wie 14 : 10; und hievon ist die erste
der beyden Rechnungen nur der genauere Ausdruck.
Bey der grossen Secunde beträgt die Gleichheit nahe
zehn Zwölftel; davon die Hälfte, nämlich fünf, addirt
zu jeder ganzen Vorstellung, so konunt das Verhält-
niss zur andern un verstärkten wie 17 : 12, nahe wie
14 : 10; und dies isls, was die zweyte Rechnung ge-
59
nauer bestimmt. Der Buclislabe x bedeutet in der er-
sten Rechnung das Gleiche, in der zweyten das Entge-
gengesetzte, -weil Septime und Secunde sich zur Octave
ergänzen.
37. Vergleichung mit den Angaben der
Physiker. Die kleine Septime, als Quinte der klei-
nen Terz, (eine ganz unpassende Voraussetzung, weil
die ursprüngliche kleine Terz von der des reinen Ac-
cordes bedeutend abweicht,) soll sich zum Grundton
verhalten wie 3^ : 1 ; also zur Octave wie ^ : 2. Nach
einer andern Angabe (wobey richtiger die Septime als
Quarte der Quarte betrachtet wird) soll das Yerhält-
niss zum Grundtou =z^^ : 1 , also zur Octave =:: ^y" zu
2 seyn. Nun ist
log 1^6 : log2z= 0,24988 : 30103 = 0,83008 : 1,
mithin bey der Septime der Gegensatz r:= 0,83008, also
die Gleichheit r=0,lG992, welches von unserer Bestim-
mung, = 0,17158, nur sehr wenig abweiclit.
Die grosse Secunde wird so angegeben , dass ihr
Verhältniss zum Grundton sey r= ^ : 1 , also zur Octave
= Ä : 2. Aber
/ I : / 2 n: 5115 : 30103 = 0,16992 : 1
also stimmt diese Angabe der Secunde mit jener der
Septime genau zusanunen, wie es seyn muss, weil der
Secunden- Accord nichts anderes ist als der umgekehrte
Septimen - Accord.
Dass hier die Abweichung zwischen der Aussage
der Physiker und der psychologischen Bestimmung äu-
sserst unbedeutend ist, erhellt sogleich, wenn man sich
erinnert, dass sich die angegebenen Brüche, welche um
etwa anderthalb Tausendtel verschieden sind , auf die-
jenige Einheit beziehen, welche den Ausdruck der
60
Octave ausmacht. Bey einer Septime oder Sccunde,
also einer Dissonanz, ein paar Tausendtel der Octave
mehr oder weniger zu untei'scheiden , möchte schwei'-
lich selbst geübten Ohren gelingen. Und bey allen
diesen Rechnungen darf man nicht einen Augenblick
ausser Acht lassen, dass (nach obigem Beweise, 11,)
die Octave dasjenii:e Intervall ist, wo der Gegensalz
voll, oder =:= 1 wird; so dass von dieser Einheit die
sämmtlichen Bestimmungen so wohl der Gleichheit als
des Gegensatzes abhängen.
3S. Schon oben (31) blieb vorbehalten, der reinen
Accorde wegen, den bisherigen Bestimmungen der In-
tervalle einige andre an die Seite zu setzen, von denen
man nicht voraussetzen darf, dass sie, auf eigenthüm-
lichcn Gründen beruhend, mit jenen ganz genau zu-
sammen treffen werden. Bevor wir jedoch dazu kom-
men, ist hier noch die Frage nach der kleinen Secunde
oder grossen Septime zu erheben, welche den sogenann-
ten halben Ton ergeben muss. Ware der Unterschied
des Entgegengesetzten überall gleich bey zwey nächsten
der zuvor bestinunten Intervalle : so könnte man diesen
Unterschied als den halben Ton betrachten.
Das Entgegengesetzte — was wir manchmal der
Kürze wegen den Gegensatz nennen, — muss zuerst
nachträglich für die reine Quinte und Quarte aufgesucht
werden.
Nach (22) soll bey der reinen Quinte der Gegensatz
r= X sich zur ganzen Gleichheit zrz 1 — x verhalten wie
1:V^^. Also
: l — x = l:y/^^
woraus x— ? — — 2 (i—xTk) = 0,58578.
1 + V^i ^ V 2;
61
Nach (26) soll bey der reinen Quarte der Gegen-
satz zzz X zur halben Gleichheit sich verhalten wie
1 : v^i. Also
woraus x = -^^r- = V"2 — 1 =z 0,41421.
2 + ^2 ^
Hiermit stellen wir die obigen Angaben (31, 34, 36,)
zusammen, und erhallen folgende Tafel, woraus das
Fortschreiten des Gegensatzes von einem Intervall zum
andern hervorgeht:
Gegensalz der
grossen Secunde
kleinen Terze
grossen Terze
Quarte
= 0,17158
=z 0,26120
= 0,33333
= 0,41421
falschen Quinte — 0,50000
reinen Quinte = 0,58578
kleinen Sexte zzz 0,66666
grossen Sexte =r: 0,73879
Unterschiede
• 0,08962
0,07213
■ 0,08088
• 0,08579
• 0,08579
- 0,08088
- 0,07213
■ 0,08962
kleinen Septime = 0,82841.
INlan sieht, dass die Abweichung In diesen Unter-
schieden hauptsächlich von der kleinen Terz und gro-
ssen Sexte herrührt; es entsteht daraus die Frage, ob
beyde nicht in anderer Hinsicht einer andern Bestim-
mung entgegengehen werden? Dies muss sich bey der
Untersuchung über die Accorde aufklären. Gicbt es hier
eine Bedenklichkeit, so liegt sie dai-iu, dass unsre Ta-
sten-Insti'umeute, deren gleichmäsölge Temperatur glel-
62
clie Unterschiede mit sich bringt, dem Gehör keine so
bedeutenden Fehler, als daraus anscheinend entstehen
müssten, fühlbar machen. Die Bestimnmng der Physi-
ker, (32), nach welcher anstatt 0,2G120 vielmehr
0,26303 zu setzen wäre, macht die Abweichung nicht
geringer sondern grösser; daher kann von dorther keine
Abhülfe der anscheinenden Schwierigkeit erfolgen. Wir
müssen erst welter gehn.
39. Fragen, ä) Worin liegt das Harmonische der
reinen Accorde?
t) Wai'um glebt es nur zwey reine Accorde?
c) Worin liegt der Griuid, dass, bey gleicli voll-
kommner Harmonie, doch das Dur einen Vorzug der
grossem Ruhe besitzt, das Moll dagegen mehr einer
getrübten Gemüths - Stimmung entspricht?
40. Vorläufige Bemerkungen. Die ersten
beyden Fragen laufen in einander zurück; so dass,
wenn die erste vollständig beantwortet Ist, sich die
zweyte von selbst erledigen muss. Wir werden daher
die zweyte als Anlass benutzen, der Antwort auf die
erste einige nähere Bestimmungen beyzufügen. Denn
wenn das Harmonische des reinen Accordes genau er-
klärt ist, so kann die Erklärung nicht welter passen
als nur auf die beyden reinen Accorde; sonst würde
es deren mehr als zwey wirklich geben.
Glaubt man aber Im Zusammentreifen der Schall-
wellen, (welches, beyläufig, eine unausführbare Genauig-
keit und Reinheit, sowohl des Gesanges als der Instru-
mental-IMusIk erfodern würde,) den Grund der reinen
Accorde, zu finden: so bleibt die dritte Frage unbeant-
wortet. Denn ob im reinen Accorde die kleine Terz
(wie c, es) unten, und die grosse Terz oben liege (wie
63
es, g) oder umgekolirt, (wie c, e, g): Immer haben
beyde auf gleiche Weise Platz in der Qiiinlc (wie c, g);
da immer, nach den angenommenen Verhällnissen, 4.^
= # gie1)l. Unsrc frühem Bestinunungcn ofienbarcn
dagegen eine sclieinbare Schwierigkeit. Der Gegensatz
der Quinte soll seyn m 0,58578 , aber die beyden Ge-
gensätze der Terzen addirt geben 0,26120 -f- 0,33333
n:: 0,59453 ; niilhin hat die Quinte nicht Raum genug
für die beyden Terzen. Es wird sicli zeigen, dass dar-
aus für das jMoll etwas anderes folgt als fürs Dur. Im
leiblichen Hören kann übrigens der Grund des Unter-
schiedes um desto weniger gesucht werden, da auch die
Tasten -Instrumente bei gleichschwebender Temperatur
keinen Unterschied offenbaren; denn sie geben der gro-
ssen Terz ein Dritlheil, der kleinen ein Viertheil der
Octave; und immer ist |^ -{- ^ = j'j, wie man die beyden
Terzen auch legen möge. INIan muss das musikalische
Denken untersuchen.
41. Beantwortung der ersten Frage. Indem je
zwey VorsteHuugen von Tonen sich gegenseitig brechen,
(niimlich in Gleiches und Entgegengesetztes,) müssen
drey solche Yoi'stellungen sich doppelt brechen; derge-
stalt dass in jeder drey Theile zu unterscheiden sind.
Im reinen Accorde verhalten sich die drey Theile alle-
mal wie die Zahlen 3, 4, 5, beynahe; sucht man nun
zu 4 und 5 die dritte auf der statischen Schwelle, so
ergiebt die Formel cr=Z» /^ " , wenn i=4, a nr 5,
a -|- b
für c den Werth =2,9814; das heisst, beynahe 3; der-
gestalt, dass bey höchst geringer Abänderung der Zah-
len 3, 4, 5, vollkommen ein solches Verhaltniss statt
finden wird, wie schon oben bey den luteivallen als
64
der Grund der Consonanz erkannt wurde. Jedoch ist
liier ein wichtiger Unterschied. Bey den Intervallen
befanden sich solche Kräfte im Conllict , die yon den
Vorstellungen zwcyer Töne herriilu'ten; liiugegen hier
enthält jeder einzelne Ton des reinen Accordes iu
Folge der doppelten Breclnnig alle drey Theilcj unter
denen das angegebene Verhällniss sich findei.
42. Erläuterung. In Figiir 10 sieht man die
Brechungen in sämmtlichen Tönen des reinen Accordes
von c dur. In Figur 11 dagegen die Brechungen in
sämmtlichen Tönen des reinen Accordes von c niüll.
Die Figuren stellen dasjenige als abgesondert vor Au-
gen, was man abgesondert nicht hören kann, aber, als
wäre es abgesondert, denken muss, um die Art des
innern Streits zu überlegen, worin eine an sich einfache
Vorstellung begriffen ist, indem sie von zwey andern
zugleich zerlegt wird in Gleiches und Entgegengesetztes.
43. Zusatz. Der angegebene Grund der Harmonie
ist so allgemein, dass er nicht bloss in jeder Lage, die
man dem reinen Accorde geben kann , der nämliche
bleibt, sondern auch die von jenem abgeleiteten Ac-
corde, den Sexten- ixnd Sext- Quarten- Accord, sammt
ihrem Unterschiede, erklärt. Die veränderten Lagen,
welche entstehen, wenn man entweder die Octave, oder
die Terz, oder die Quinte oben legt, verändern in den
Figuren bloss die Pachtung dei'jenigen Striche , ^velche
die Brechung anzeigen, in so fern, dass man sie jenen
Abänderungen gemäss nach oben oder nach unten zie-
hen kann , je nachdem die Brechung von einem obern
oder untern Tone herrührt. Damit ändert sich an der
Brechung gar nichts; das heisst , der Unterschied ist
nicht harmonisch, sondern er hat nur Bedeutung für die
65
Melodie, von der wir liier nicht sprechen. Was aber
den Sexten- und Sext - Quarten -Accord anlangt, so ent-
stehn diese dui'cli Ilinzufügiuig einer Bass-Note, welche
entweder der Grundton, oder die Terze, oder die
Quinte ist. Dies nun verstärkt wohl eine oder andre
Brechung, verändert sie aber auch nicht. "Wird eine
Brechung durch die Terze oder Quinte verstärkt, so ist
die Art der Auffassung des Harmonischen nicht im
Gleichgewichte ; (man kann sich das an den Figuren
vor Angen stellen, wenn man von den Strichen, welche
die Brechung anzeigen , einen oder den andern etwas
dicker oder länger zeichnet.) Daher gewähren die ab-
geleiteten Accorde nicht die vollkommene Ruhe, wie
der reine Accord besonders dann, w^enn der Grundion
unten, und zugleich die Octave oben liegt. Die Octave
bringt keine neue Brechung hervor; sie sichert aber
dem Grundton das IJbergewicht, indem sie nicht ihn,
wohl aber gemeinschaftlich mit ihm die beyden andern
Töne bricht. Wer etwa fragen möchte , welcher Ton
das Vorrecht habe , der Gruudton zu seyu , der müsste
vei'gesseu haben, dass die Quinte die vollkom-
menste Consonanz ist, und dagegen die Quarte,
welche aus ihrer Umkehrung entsteht , ihr in der Con-
sonanz nicht gleich kommt. Im Accorde von c muss c
selbst der Grimdton seyn, damit g als Quinte deutlich
vernommen werde , nicht aber etwa die Q)uarle bilde ;
und so bey jedem andern reinen Accorde. Man vergleiche,
w^as oben (22 und 26) von der Quinte xuid Quarte
gesagt worden. Die Quarte endigt nur die Wirksam-
keit der halben Gleichheit, die Quinte erst endigt
den Streit der Gleichheit wider die Gegensätze ; und
dadurch kommt sie der Octave als Consonanz am nächsten.
66
44. Beslaligung durcli eine That Sache.
Besonders nierkvviirilig ist, dass unler allen Lagen, die
man dem reinen Accorde geben kann, diejenige am
vollkonimenslen das Harmonische fühlbar macht, welclie
cnlsleht, wenn man den Accord nicht in die Distauz
einer Oclave einschliesst , sondern ihn dergestalt in zwey
Octaven verlheilt, dass zunächst über dem Grundton
die Quinte liegt, dann statt der Terze die Decime folgt,
und oben ibe zwe) te Oclave den Accord abschliesst.
Die Folge da\on ist, dass der Grundton xuimitlelbar
nur durch die Quinte gebrochen wird, luid hiemit voll-
kommen consonirt ; dann aber bey der Quinte sowohl
als bey der Decime sich ein Umstand ereignet, den wir
näher beleuchten müssen.
INIan vergleiche Fig. 12 mit Fig. 10, und eben so
Fig. 13 mit Fig. 11. Der einzige Unterschied in Anse-
hung der Töne e und g, es und g, scheint darin zu be-
stehen, dass die Richtung der Brechungsstriche etwas
verändert ist. Allein hiemit hangt eine Erinnerung
zusannnen an die Bedingung, unter der die allge-
meine Schwelleuformel zur Anwendung gelangt. Soll
c^^h [/ auf der statischen Schwelle sevn: so müs-
sen ö, /», c im vollkommenen Gegensatze stehen. Nun Ist
zwar jeder Brechungsslrich das Zeichen des vollkom-
menen Gegensatzes, denn er sondert die Älischung des
Gleichen und Enlgcgengeselzten, und die JNlischung ist
damit rein aufgehoben. Allein in Fig. 10, avo der Ac-
cord als innerhalb einer einzigen Octave eingeschlossen
ei'scheiut, ist der mittlere Theil zwischen den beyden
Brechungsslrichen z^^iefach in Betracht zu ziehen. Ei-
nerseits als Entgegengesetztes, anderutheils als ein Stück
67
der Gleichheit. Um dieses für einen Fall beyspiel weise
vollends zu beleuchten, nehme man in Fig. 10 (h'e Dar-
stellung des Tones e. Der Theil zwischen heyden
Brechungsstrichen ist einerseits ein Slück von dem, was
e mit g Gleiches hat, und in so fern demjenigen, was
von ilim links liegt, rein entgegengesetzt; er ist ande-
rerseits ein Stück von dem, was e mit c Gleiches hat,
und in so fern demjenigen, was von ihm rechts liegt,
rein entgegengesetzt: aber in anderer Rücksicht ist er
gleichartig dem, was links liegt, wiefern beydes zusammen
die Gleicheit mit c bezeichnet; und eben so gleichartig dem,
was rechts liegt, wiefern beydes zusammen die Gleichheit
mit g bezeichnet. Dieses In -wiefern und In-sofern ver-
schw^indet bey der vollkommensten Lage des reinen
Accordes. In Fig. 12 sind die Theile rechts und links
die Gleichheiten nach unten und nach oben, daher unter
einander entgegengesetzt wie Unten und Oben; der
mittlere Theil aber ist nun Gegensatz in doppeltem
Sinne; zugleich nach oben und nach unten. Dasselbe
bemeikt man ohne IMülie bey Fig. 11 vmd 13.
45. Antwort auf die zweyte Frage. Da der
Grund der Harmonie durch die Schwellen form el ange-
geben worden: so kann es scheinen, dieser Grund wäre
nicht ausschliessend , wie er doch seyn soll. Denn in
der Formel c-=.h l^ — sind a und h beliebig an-
'^ a + b
zunehmende Grössen; man kann demnach für c unzäh-
lige Werthe finden. Nun kommt zwar hier eine zweyte
Gleichung hinzu , nämlicii a -\- h -\- c = 1 , indem a , h,
c als entstanden aus einer einzigen Vorstellung zu den-
ken sind, welche Vorstellung durch Brechung in die
Theile a, b, c, weder grösser noch kleiner wird, son-
68
dem (las Eine uiul Ganze ist, worauf jene, als Brüche
desselben, sich beziehen. Allein wo bleibt die, zur völ-
ligen Bestimmiuig nölhige drille Gleichung? — Nach
einer solchen darf man hier gar nicht fragen ; wir ha-
ben der Bestimmungen nur zu viele. Es sollen näm-
lich so genau als möglich diejenigen Bestim-
mungen vestgehalten werden, Avelche in den
einzelnen Intervallen, wo die Töne paar-
weise genommen wurden, schon liegen. In
diesem Betracht ist die Aufgabe, den reinen Accord zu
conslruiren, sogar mehr als beslinunt, und eine ganz
genaue Auilösung überall nicht möglich. Für den prakt*-
schen Gebrauch genügt eine Annäherung vollkommen j
aber sie ist nur in den beydeu reinen Accorden erreichljar.
46. Auslührlichere Beantwortung der
zweyten Frage. Da die. Quinte nächst der Octave
die vollkommenste Consonanz ist, (22) so nehme man
zuvörderst in der Schwellenformel für a die Gleichheit
der Quinte. Der Gegensalz ist =z 0,58578, also die
Gleichheit rr: 0,41421. JMan versuche, ob sich hieraus,
in Veibindung mit jenen beyden Gleichungen , für h und
c solche W^rlhe gewinnen lassen, welche der Voraus-
setzung entsprechen, dass die reine Quinte aus einer
grossen und einer kleineu Tcrze bestehen, und dieselben
in sich fassen solle.
Die drey Bestimmungen sind also :
a -\~ h -\- c ^:::z \
a = 0,41421
c = b /IL
a-f b
Nun ist r = 1 — (a -|- h)
]Man setze a -|- h z=zx-^ und h =z x — a, so konimt
69
1 — 2u; -j- :v^ ziz : , \vürau» die Cleicliung
:v
a;3 — (2 -|- rt ) a;2 _|. ( 1 _|_ o^z^) ^ — a"' = 0
Diese Gleichung förjnlicli aulVAilösen ist nicht nölhlg,
denn man kennt x schon sehr nahe. Man weiss , dass
h fast ^== Yj -— ^ j "^^*i ^ f^*'*^ — - T"- '■> ^^^'^ sehi' nahe
a -|- Ä r::^ a; = ^; daher ist nur die gewöhnliche Annä-
herung zur "Wurzel nocli übrig. Also setze man ;i;rz:^
-{- u. Nach gehöi-iger Rechnung findet man
u =: 0,0003. . . woraus b = 0,3361 ; o =z 0,2497
so dass b noch über 4, c noch nicht völlig =: ^ wird.
Das heisst: die grosse Tei-ze müsste (freylich sehr we-
nig) mehr betragen, als ihr die gleichschwebende Tem-
peratur, einstimmig mit unserer obigen Angabe, ein-
räumt : dagegen weicht die kleine Terze merklich ab
sowohl von unsrer frühern Rechnimg als von der An-
gabe der Physiker, während ihr die gleichschwebende
Temperatur, nach der sie nz: ^ seyn muss, so nahe kommt
als man irgend verlangen kann. Unsre frühere Rech-
nung, da wir die kleine Terz unabhängig vom reinen
Accorde bestimmten, gab ihr den Gegensatz, d. h. elie
Entfernung vom Grundton, =: 0,2612; eine so grosse
Distanz passt aber nicht in den reinen Accord , näm-
lich nach der jetzigen Voraussetzung, welche sich dar-
auf stützt, die Quinte solle vollkommen i'ein seyn. Be-
kanntlich ^vird ihr dies von der gleichschwebenden Tem-
peratur nicht zugestanden , sondern sie muss inn ein
"Weniges, was jedoch dem Gehör schon merklich ist,
abwärts schweben ; also dem Grundtone sich annähern.
Dass dies einen sehr guten Grund hat, wenn man ihn
gleich in etwas weiterer Ferne sachte , als da , wo er
zu allernächst Hegt, wird sich bald vollends aul klären.
70
47. Zweyteus uelinie man die kleine Terz als
schon bestimmt an, nach (31). Ihr Gegensatz ist dort
m: 0,2612 gefunden worden. Nun lasst sich zwar schon
vorausselm, dass dies die schlechteste Bestinunung des
reinen Accordes seyn wird. Denn wenn c =. 0,2612,
mithin grösser als vorhin, so zeigt schon die Schwel-
lenformel c =. b f^ — ~ — , dass b ziemlich nahe propor-
a -|" 1^
tioual mit c wachsen muss, Avelches die grosse Terz
noch grosser, die Gleichheit der Quinte kleiner, also
die Quinte selbst nicht kleiner, sondern grösser, und
über den Punct der Reinheit hinaufgetrieben gebep
würde. Indessen wollen wir die Rechnung dennoch
ausführen, da für die Untersuchung dieser Gegenstand
bedeutend ist. Man hat also
a-\- b-\-c = l
c = 0,2612 .
c=:b l/Jl
a+b
Nun ist a = 1 — [}> -\- c), und a -\- b =. \ — c
Daher c'^ (1— c) = /.^ (^\_i_c), oder
i3_/,2 (l_c) =:c2 (1 — c) =0
wo b die unbekannte Grösse ist.
Da b nahe := i , so setze man & =; ^ -f- " 5 die Rech-
nung ergiebt jf = 0,0336, also Ä = 0,3669, und a — 0,3719,
so dass der Gegensatz der Quinte ::= 0,628, welcher
seyn soll =z 0,58578, sogar die Hälfte der Distanz von
hier bis zmn Gegensatz der kleinen Sexte — welcher
0,6666 beträgt, — noch übersteigen würde.
48. Drillens nehme man die grosse Terz als schon
beslinnnt an; nach (31). Ihr Gegensatz ist dort := ^
gefunden. jNIan hat demnach
71
a + b
IMaii sclze a-\- b :=. x, also <; =r I — x-, luul
( 1 — a )2 ^= /;2. , woraus
X
X^ — 2.i;2 -f- ( 1 _ ^2) ^ _j. /,5 — 0
Wiederum sey :i; r=: ^ -{- u , so Ihulet sich u ^=: 0,00 136,
X = 0,75 1 36 , a = x — h=: 0,4 1 80 , der Gegensatz der
(^)uinte =: 0,5819; da er nun seyii sollte n:: 0,5857, so
braucht mau die Quinte nur kaum merklich abwärts
schweben zu lassen. Der Gegensatz der kleinen Terz
wird jetzt c r= 0,2486 , also sehr wenig kleiner als ^;
daher nunmehr Alles ganz nahe mit der gleichschwc-
beudeu Temperatur übereinkommt, welche nach dem,
was hier entwickelt worden, wohl nicht mehr für ei-
nen Nothbehelf gelten diirlte.
49. Beantwortung der dritten Frage (in 39).
Die sehr befremdende und schwer sclieinende Frage,
weshalb das IMoll völlig gleich consonirend wie das
Dur, dennoch — man weiss nicht recht wie? — mui-
der befriedigt, wie jenes, (so dass vortreffliclie Musiker
selbst in Werken, die dem INIoll angehören, oft ganz
am Ende ansiall des IMoll noch im Dur schliessen, lun
den letzten FUdiepunct zu gewinnen); weshalb es über-
dies mehr geeignet ist, Trauer, Schwermulh, Zorn,
selbst Grillen und Humor auszudrücken, als das Dur,
während es zur reinen Heiterkeit und zum Frohsinn
nicht passt: diese Frage kann auf dem jetzigen Staud-
puucle der Untersuchung auf eine W^eise beantwor-
tet werden, die ins Auge fällt, sobald man nur auf die
72
schon bekannten Zeiclinungen zurückblickt. Beym Diir-
Accorde, wie ihn Fig. 10 darstellt , entsteht der schwäch-
ste unter den drey Theilcn, worin jede Ton -Vorstel-
lung gebroclien wird , allemal dadurch , dass er übrig
bleibt, naclidem in Bezug auf den Grundton die grosse
Terz und die Quinte vestgestellt worden. Beym INIoU
hingegen ist es der Grund ton, gegen welchen die kleine
Terz unmittelbar bestimmt wird. Hätte nun dies
Intervall freyen Raum im reinen Accorde , — oder dürfte
der Accord ihm genügend construirt werden, so läge
hierin nichts, was dem Dur nachstände. Allein es ist
(in 47) gezeigt worden, dass alsdann die grosse Terz
und die Quinte unerträglich müssten überspannt werden.
Demnach ist nicht bloss die kleine Terz gepresst, son-
dern im Moll fällt die Abweichung, die sie erleidet, auf
den Grundton selbst , welcher sich vertiefen müsste,
wenn dem wahren Verhältnisse sollte genügt Averdeu.
Dies kann eben so wenig geschehen , als die Quinte darf
erhöhet werden.
50. Vergleichung mit der Angabe der Phy-
siker. W'^as die kleine Terz anlangt, so ist diese, wie
oben schon bemerkt, nach der Bestimmvuig durch die
Schwingungen tönender Körper sogar noch grösser, als
wir sie fanden ; nämlich ihr Gegensatz beträgt nicht bloss
0,2612, sondern 0, 26303. So hätte sie noch weniger
Platz im reinen Accorde. Dagegen verengt die Angabe
der Physiker die grosse Terz so sehr , dass , wenn sol-
ches dem musikalischen Denken gemäss wäre, die gleich-
schwebende Temperatur unerträglich seyn müssle. Wäh-
rend nun diese ein unverwerlliches Zeugniss gegen das
Verfahren , Töne nach Schwingungen der tönenden Kör-
per zu bestimmen , ablegt : versperrt die physikalische
73
Ansicht sich ganz und gai- den "Weg , zwischen Dur und
Moll einen -w-esentllchen Unterschied zu linden. Ihr ist
der i-eine iVccord immer recht, denn immer giebt 0,2G303
den Abstand der kleinen, 0,32193 den Abstand der
grossen Terz ; und immer ist 0,32193 -f 0,26303 = 0,58496,
dem Gegensatz der Quinte, ob nim die kleine Terz un-
ter oder über der gi'ossen liege. Die Tauschung , dass
hierin kein wesentlicher harmonischer Unterschied lie-
gen könne, wird desto vollständiger, da die bekannte-
sten Thatsachen es bezeugen , dass durch Umkehrungen,
w^ie man sie auch anstellen möge , kein Intervall seinen
harmonischen Wertli verändert; — nämlich wenn das
Intervall selbst umgekehrt wird.
51. Frage. Woher rührt es, dass die INIusik
bey einiger Abweichung von der strengen Reinheit (die
sich in der Ausführung olmehiu nicht mit mathemati-
scher Genauigkeit erreichen lässt) noch verständlich und
selbst wohlklingend bleibt? Und wie lassen sich dafür
mit einiger Bestimmtheit die Granzen angeben?
52. Jenes rührt nicht bloss her von Unvollkom-
menlieiten des Geliörs, sondern wesentlich auch davon,
dass einige Verschiedenheit in der Art, den reinen Ac-
cord zu bestimmen, (vergl. 46 und 48) und einige Ab-
weichung der hieraus hervorgehenden von den ursprüng-
lichen Intervallen muss zugelassen werden. Was inner-
halb der Gränzen solcher Verschiedenheit und Abwei-
chung schwebt , kann nicht schlechthin als unrein ver-
worfen werden.
53. Zusatz. Indem wir zu den beyden Gleichun-
gen a-\- h -\- c= 1 und c = b y ^ noch eine Be-
a-|- b
Stimmung für ein schon vestgestelltes Intervall,
74
also für «, oder für b, oder für c hiiizunaluuea : er-
schöpften wir die ganze Sphäre der Möglichkeit rei-
ner Accorde; (denn dass nicht daran zu denken war,
eUva die falsche Quinte oder die Secunde mit den Be-
dingungen des reinen Accordes zu vereinigen, übersieht
mau auf den ersten Blick) wenn wir also jetzt weiter
fortgehn, so verlassen wir gewiss diese Sphäre; aber
es fragt sich, ob wir damit sogleich in das Gebiet der
Dissonanz eintreten werden, oder ob es noch etwas
IMillleres gebe? Dies veranlasst zunächst, an Thalsachen
zu erinnern.
54. That Sachen. Es giebt Accorde, denen die
Ruhe der reinen Accorde fehlt, bey denen man also
nicht bleiben kann, sondern auf welche etwas folgen
muss. In einigen dieser Accorde sind Töne, die eine
bestimmte Pachtung anzeigen, wohin man, von ihnen
ausgehend, sich -wenden müsse. Diese Töne heissen
Dissonanzen im engei'n Sinne. Dasjenige Beispiel, was
sich als das nächste, gewöhnlichste darbietet, ist die
kleine Septime im Septimen-Accorde mit der grossen Terz.
Die Frage, wie sind Dissonanzen möglich?
zerfällt hiemit in die allgemeinere : wie kann es Accorde
geben, denen eine solche Unruhe iuwohnt, dass man
bei ihnen nicht bleiben könne? und in die mehr spe-
cielle : wie kann es in diesen Accorden Töne geben, die als
Dissonanzen eine bestimmte Art von Auflösung erfodern?
55. Thatsaclie. Derjenige Accord, welcher aus
dem JMoU entspringt, wenn man in ihm anstatt der
reinen Quinte die falsche nimmt, enthält keine Disso-
nanz im engern Sinne (54); aber es liegt in ihm eine
unbestimmte Unruhe , vermöge deren man bey ihm nicht
bleiben, dagegen aber auf verschiedene Weise von ihm
75
aus fortschreiten kann. Man sehe die bekannten Fort-
schreitungen in Fig. 14, 15, 16, welchen, wenn man
die INIelodie nicht zu verletzen fürchtet, der über-
mässige Secundensprung Fig. 17 um so mehr beygefügt
werden kann, da das Harmonische in Fig. 18 eigent-
lich das nämliche ist.
56. Frage. Was ist der Grund der Unruhe in
dem vermintlerten Dreyklange?
57. Vorbereitung der Antwort. Innere Un-
ruhe , vermöge deren etwas nicht bleiben kann , ent-
hält eine Negation, die nicht auf etwas Äusseres, also
auf einen Punct im Innern gerichtet seyn muss. So
lange man nicht Eins vom Andern im Innern dergestalt
unterscheiden kann, dass klar werde, w^ie imd warum
jenes diesem widerstreite, lässt sich der Grund der in-
nern Unruhe nicht augeben. Im vorliegenden Falle kennt
man nun zwar die falsche Quinte, bey welcher jeder
Ton in zwey gleiche und entgegengesetzte Kräfte ge-
brochen wird ; allein diejenige Unruhe , Avelclie daraus
entsteht, ist nicht nolhweudig dieselbe wie im erwähn-
ten Accorde ; denn sie nünmt einen ganz andern Cha-
rakter an, und gewinnt die Bestimmtheit einer eigent-
lichen Dissonanz, Avenn man einen Grundton hinzufügt,
gegen welchen die falsche Quinte zur Septime wird ;
z. B. wenn man zu h f den Grundton g oder gis hin-
zudenkt. Auch kann zu den nämlichen Tönen, die wir
h. f nannten, eis hinzukommen, dann entsteht eine ganz
andre Bestimmtheit; nun wird/ als übermässige Quarte
gegen h, die aufwärts strebt, vei-nommen, unter dem Na-
men eis, ohne dass der Ton selbst merklich braucht
verändert zu werden; den wir vielmehr gemäss der
gleichschwebenden Temperatur, beständig als in der
76
Mitte der Octave von h zum höhern h slebeud voraus-
setzen. Die falsche Quinte allein wüide also die iiu-
bestiinuite Unruhe des Accordes h d f nicht erklären,
viel weniger die Verschiedenheit seiner Fortschreitun-
gen begreiflich macheu.
58. Antwort. JNIan kennt aus dem Obigen den
Gegensatz der kleinen Terz. Beyde kleine ,Terzen h d
imd d f sollen hier passen in die Distanz der falschen
Quinte h f. Allein wenn wir den Gegensatz der klei-
nen Terz =0,2612 verdoppeln, so giebt dies 0,5224;
welches sehr merklich grösser ist als die Distanz der
falschen Quinte z=z 0,5. Um diese Grösse zu schätzen,
muss mau sie mit der Distanz der falschen und reinen
Quinte vergleichen, die wir oben =0,08578 fanden.
Die Überschreitung der falschen Quinte, welche zwey
kleine Terzen hervorbringen würden, beträgt, wie man
sieht, 0,0224, nähme mau sie vierfach, so käme 0,0896;
also nähert sich eine so arg überschrittene falsche Quinte
um jnehr als ein Viertel der Distanz, ihrer Nachbarin,
der reinen Quinte. Eine solche Abweichung von der
ursprünglichen Bestimmung der Intervalle ist unmög-
lich ; sie Avürde allen Zusanmienhang der JMiisik aufhe-
ben. Also die falsche Quinte bleibt ; aber jede der
kleinen Terzen wird beynahe in den nämlichen Piaum
eingeengt, den im reinen Accoi'de eine einzelne bekommt.
Hiezu kommt noch ein andrer Umstand, den die Figur
bemerklich macht.
In Fig. 19 sieht man die Brechung des Grundtons
h durch d und /. Die drey Theile sind im Verhält-
nisse von 6, 3, 3; oder 2, 1, 1. War schon Gleich-
heit der Kräfte zwisclien den Theilen , welche in der
falschen Quinte gebrochen sind; so ist nun wiederum
77
Gleichheit der Kräfte, also grösst-mögliclier Streit ohne
Sieg, zwischen den beyden kleinern, unter sich entge-
gengesetzten Theilen.
Demnach , während das Streben , die kleinen Terzen
rein zu hören, wider die falsche Quinte wirkt, sind
auch nocli die beyden Terzen unter sich im Widerstreit.
Kennte man nicht thatsachlicli diesen Accord : -würde
man es einer Theorie wohl glauben, dass die blosse
Veränderung der reinen Quinte in die falsche, durch
Erniedrigung eines Tones um ein Zwölftheil der Octave,
eine solche Corruption des reinen Accordes hervorbrin-
gen könne? Vermuthlich eben so wenig, als der Un-
kundige das, %vorauf es ankommt, in den Zeichnungen
erblicken wird.
Was nun die Fortschreitungen anlangt : so hat zwar
derjenige Ton , der einer eigentlichen Dissonanz am näch-
sten kommt, nämlich die falsche Quinte, eine vorwie-
gende Neigung nach unten, aber nicht mit der Entschie-
denheit, wie wenn derselbe zur Septime ^vird. Wollte
man in Fig 15 den Gruudton g hinzufügen oder hinzu-
denken , so würde die Fortschreitung / g nicht ertra-
gen werden. Dagegen , dass die Fortschreitung /
gis nur des Secundensprunges wegen gern vermieden
wird, während sie in der Umkehrung (Fig. 18) höchst
gewöhnlich ist, — dies zeigt gerade, dass ein, für die
Harmonie zufälliger. Umstand den Grund der vorherr-
schenden Neigung nach unten enthält. Setzt man, wie
in der Tonleiter, von a moll, fis statt /", so ist durch
diese , der Tonart fremdartige Erhöhung der Weg nach
oben geöffnet, und es fehlt nicht am Streben, ihn zu
betreten.
In dem Allen ist nichts Anderes zu erkennen, als
78
eine Compresslon der Terzen durch die falsche Quinte,
wobey es auf Nebenumstande der Tonart und dessen
was vorhergeht, ankommt, nach welcher Seite hin der
Druck gelüftet werde. Der Druck entsteht hier aus
dem Bestreben, das Intervall in seiner eigenthümlichen
Bestimmtheit zu vernehmen.
59. Thatsachen. In den verschiedenen Septimen-
Accorden, sammt deren Umwandlungen, sind die Septi-
men selbst Dissonanzen im engeren Sinne; das heisst,
sie bestimmen die Fortschreitung, durch welche sie auf-
zulösen sind.
Dies aber gilt in ganz vorzüglichem Grade von der
kleinen Septime in Verbindung mit der reinen Quinte
und grossen Terz , welche letztere dann zum Leitton wird.
CO. Frage. Woher rührt diese Entschiedenheit,
womit der eben erwähnte Septimen -Accord die ihm ge-
bührende Auflösung anzeigt und fordert?
61. Vorbereitung zur Autwort. In der klei-
nen Septime, für sich allein betrachtet, kann der Grund
nicht liegen. Denn:
Ei'stlich: für 'sich allein lasst sich die kleine Septime
von der übermassigen Sexte nicht zulänglich unterschei-
den. Wenn man in (38) zum Gegensatze der grossen
Sexte ziz 0,73879 einen halben Ton als Erhöhung der-
selben addirt und den halben Ton (dessen Grösse, wie
dort gezeigt, sich nicht bestimmt angeben lasst,) auch
nur zu 0,08088 annimmt, so kommt schon 0,81967 als
Gegensatz der übermässigen Sexte; nimmt man ihn,
was eben so füglich geschehen kann , rr 0,08578 ( der
Unterschied der falschen Quinte von der reinen,) so
ergiebt sich für die übermässige Sexte der Gegensatz,
oder die Distanz vom Grundion , =: 0,82457. Beydes
79
ist von 0, S2841, dem Gegensatze der kleinen Septime,
nicht hinlänglich verschieden, um zu erklaren, -Nveshalb
die Septime, wie c i, nach innen zu c a, hingegen die
übermässige Sexte, wie c ais , nach aussen zu h h hin-
drängt.
Zweytens. Die kleine Septime sowohl als ihr Um-
gekehrtes, die grosse Secunde , sind nicht ursprünglich
verständliche Intervalle. IJberlegt man die Weise, wie
ihre Bestimmungen , unabhängig von einander und doch
genau zusammentreffend , oben gewonnen wurden ( 36 ),
so sieht man gleich, dass die Auffassung eines solchen
Intervalls nicht unmittelbar geschehn kann. Soll die
kleine Septime aufgefasst werden, so müssen die Töne
dergestalt abwechselnd vernommen seyn, dass jeder
sich in der Verschmelzung das Gleiche des andern zueig-
nen konnte ; dann müssen sie wieder ziisanniien klingen,
damit nun erst das Übergewicht der vorhin vei'stärkten
Vorstellungen über dem Entgegengesetzten der einzel-
nen empfunden werde. Soll die grosse Secunde zur
Auffassung gelangen, so müssen zuvor beyde Töne zu-
gleich vernommen , und durch die halbe Gleichheit mög-
lichst vereinigt seyn ; dann müssen sie wieder abwech-
selnd gehört werdeir, damit sie als einzelne der vori-
gen zwiefachen Vereinigung widei'stehend noch eben
aus derselben hervorlauchen.
Zusatz. Der hier gefoderte Wechsel kann einige
INIodification dadurch ei-leiden, dass bey längerem Hören
verweilend die Empfänglichkeit für das Gleiche all-
mählig abnimmt, und das Entgegengesetzte sich mehr
verstärkt. *) Darauf kann hier niclit eingegangen werden.
') Psychologie §. 98.
80
62. Antwort. Zuerst kommt es auf den Zusam-
menhang an, damit man nicht die übermässige Sexte zu
hören glaube. In Fig. 20 hört Jedermann ais , und
nicht h; denn man ist im Zusammenhange von e moll.
Hingegen in Fig. 21, wo ä zum reinen Accorde von c dur
hinzutritt, denkt Niemand an ais. Nur von Fällen wie
der letzten reden wir hier.
Wir setzen demnach den reinen Dur-Accord voraus,
zu welchem die kleine Septime hinzutrete ; und betrach-
ten zuerst die Veränderung, die sie hervorbringt.
Zuvörderst zeigt die Fig. 22 , verglichen mit Fig. 10,
dass durch den Einbruch der Septime der reine Acccrd
in seinem stärksten Theile verletzt, — also gewiss
verunreinigt wird. Denn sowohl in c , als in e , als in
g kommt der Theilungsstrich, welcher h bezeichnet, fast
in die Mitte der fünf Zwölftel hinein, welche das Über-
gewicht hatten.
Zweytens: nun gewinnt der Theil, welcher vier
Zwölftel beträgt, und durch die grosse Terz abgeschnit-
ten ist, das IJbergewicht.
Drittens: vs^iewohl auch der kleinste Theil, welchen
im reinen Accox'de Terz und Quinte übrig liessen, jetzt
aus dem Drucke, der ihn zur statischen Schwelle trieb,
auftaucht: so ist doch sein Hervortreten geringer, als
das der vier Zwölftel; dadurch wird an der Gränze,
welche die grosse Terz bezeichnet, nur der Conflict
vermehrt.
Endlich viertens : der kleinste Theil von zwey Zwölf-
teln, welchen jetzt die Septime abschneidet, sollte auf
die statische Schwelle fallen, und zwar schnell, so dass
er bald ganz aufhören würde, zu der Bestimmung des-
sen, was vorgestellt werde, mitzuwirken. Allein die
81
Vorstellung jedes Tons, wie sie auch gebrochen werde,
bleibt immer eine und dieselbe; und so lange sie selbst
nicht ganz gehemmt oder verändert ist, kann auch kein
Theil von ihr sich so absondern, als ob unabhängig von
ihm das Übrige den Zustand des Vorstellens bestimmte.
Daher muss in Ansehung dieses kleinsten Theils die
ganze Vorstellung in einen Zustand gerathen, den wir
nur nach einer entfernten Analogie mit dem, was in
der Metaphysik Selbsterhal tu ng heisst^ mit der glei-
chen Benennung bezeichnen können.
63. Fortsetzung. Es folge die Aullösung , wie
Fig. 23 zeigt: was geschieht dadurch?
Erstlich , der Theil , welcher schon mit seinem Über-
gewicht die andere drängte, wird noch verstärkt, in-
dem die grosse Terz (durch die Forlschreitung des Leit-
tons) sich zur Quarte erweitert, (welche Quarte bey
gehöriger Bewegung des Basses zur Octave des neuen
Gruudtons wird.) Dadurch geschieht, was dem Über-
gewichte gemäss ist; es wird gleichsam seiner Forde-
rung entsprochen.
Zweyteus, die beyden kleinen Terzen geben der Com-
pression (58) nach, indem sie in eine grosse zusam-
menfallen. Sie gehorchen dem Drucke.
Drittens: dem Streben der Selbsterhaltung in Anse-
hung des kleinsten Tlieiis wird ebenfalls genügt, indem
derselbe sich bis zu dem Raum der kleinen Terze (statt
deren die grosse Sexte eintrit,) erweitert. Hiezu fol-
gende Erläuterungen :
64. Was die eben erwähnte Compression anlangt,
so ist sie noch grösser als aus (58) schon erhellet. Man
addire den Gegensatz der grossen Terz zu den Gegen-
sätzen zweyer kleiner Terzen, um zu sehn, ob daraus
F
82
die kloine Septime entslelm könne. Wir wissen, dass
im reinen Accorde die grosse Terz mindestens ^ be-
tragen muss; (46,47,48); aus 0,3333 -j- 0,2612 -f 0,2612
wird aber 0,8557, wälirend der Gegensatz der kleinen
Septime nur 0,82841 gefunden wurde. Nicht einmal
eine grosse Terz und falsche Quinte hat Raum genug
in der kleinen Septime, denn jene beyden ergeben 0,8333.
Also wird selbst die falsche Quinte gepresst, da, wie
wir gesehn haben, (xuid wie das Gefühl des Leittons
Jeden lehrt) die grosse Terz im Septimen- Accorde sich
ein Übergewicht aneignet, indem die Septime den rei-
nen Accord stört. Die Terz giebt nicht nach; die fal-
sche Quinte muss sich in die Septime fügen ; sie thut
es, indem sie sich zusammenzieht.
65. Aber mau könnte fragen, ob denn der Septime
eine Kraft eigen sey, die falsche Quinte zu unterwerfen?
Zuvörderst, wenn die Töne, welche die kleine Septime
bilden, des Zusanuneuhanges wegen als übermässige
Sexte vorkommen werden , — nicht leiblich sondern im
musikalischen Denken, in welchem allein der Unter-
schied liegt, — so erfolgt das Umgekehrte. Die über-
mässige Sexte wird gesprengt wie von einer ausdehnen-
den Gewalt. Vgl. Fig. 20. Der Septime braucht in-
dessen nicht der Zusammenhang mit schon früher ange-
regten musikalischen Gedanken die Kraft zu geben,
comprimireud sowohl auf die falsche Quinte als auf die
darin enthalteneu Terzen zu wirken ; sondern die über-
mässige Sexte ist es, welche erst aus dem Zusammen-
hange erhellet, wenn sie vorkommt; alsdann aber ist
zugleich die falsche Quinte nicht vorhanden, sondern
die Töne, aus denen sie besieht, werden als übermässige
Quarte vernommen. Das Umgekehrte der übermässigen.
Sexte ist die veriiiiiideite kleine Terz (wie ais c ,)
diese aber kann gleichfalls nur in Folge des Zusam-
menhangs vernommen werden; die Töne, aus denen sie
besteht, bilden an sich eine grosse Secunde. Da nun
dies factisch veststeht, so kann auch die Thatsache,
da SS die kleine Septime im Septimen- Accorde gegen
die darin liegende falsche Quinte zusammenziehend wirke,
nicht bezweifelt werden. Unter den Erklärungsgründen
aber, die schon oben (62) dafür angegeben worden,
ist einer, der einer Auseinandersetzung bedarf, näm-
lich der, welcher davon hergenommen ist, dass der
kleine Theil von zwey Zwölfteln , welchen die Septime
in dem Grundtone und in allen Tönen des reinen Accor-
des abschneidet, auf die statische Schwelle gedrängt wird.
66. Dass neben dreyen geistigen Kräften, die sich
verhalten wie 4, 3, 3, eine vierte, die nicht stärker
ist als die Verhältnisszahl 2 anzeigt, nicht bestimmend
wirksam bleiben könjie , zeigt sich in Folge der Schwel-
len form el
j __ //"abc (b-Hc)
bc-^-ac-|-ab
welche gefunden wird, wenn man In der bekannten
Hemmungs -Rechnung für a, Z», c, d erstlich berechnet,
wieviel von d, der schwächsten Kraft, zu hemmen ist,
und dies alsdann :=. d setzt. *) Nehmen wir in der
Formel h =z c , so wird kürzer
d= /"^
2a + b
und dies giebt für a := 4 , ä rr: 3 , den Werth yfW
■=. 2,5584. Hätte der kleinste Theil unter denen, welche
beym Septimen- Accorde avis der Brechung in jedem
') Psychologie §. 51.
F*
84
Tone entstelin, diese Grösse, und könnten dabey (was
unmöglicli) die andern bleiben wie sie sind: so wäre
liier etwas Älinlicljes wie beym reinen Accorde. Eine
geistige Kraft, die gerade nur auf die statische Schwelle
gedrängt zu werden geeignet ist, kommt nur in unend-
licher Zeit, d. h. niemals dahin; sie wird nicht wirk-
lich luiterdriickt , sondern, sie vermag nur nicht, den
Conllict der andern unter sich zu vergrössern ; dereu
Hemmungs- Summe vielmehr desto langsamer sinkt, je
mehr davon auf die schwächste fällt. So ists beym rei-
nen Accorde. In dem Falle des Septimen- Accoixles aber
kann man fragen, wieviel wohl daran fehle, dass es
sich hier eben so verhalte? Gesetzt, der kleine Theil
von zwey Zwölfteln ^\^i-de vergrössert, und in Fig. 22
rückte der Theilungsstrich, welcher von b herrülirt, (im
Septimen -x'Vccorde von c) etwas weiter vor, um die
Vergrösserung auszudrücken: so würde derjenige Theil,
welcher von der kleinen Terze h g herrührt, um eben
so viel kleiner. Angenonunen ferner, die grosse Terze
erweitere sich um eben so viel, und die kleine Terz
g e Averde dadurch verengt : so lässl sich bestimmen,
welche Veränderung mit dem Septimen- Accorde vor-
gehu müsste, wenn er jener Bedingung der Harmonie,
dass der schwächste Theil auf die Schwelle zu sinken
bestimmt, und hiemit gegen die andern Theile entwaff-
net sey , — Genüge leisten sollte. Nennen wir das
kleine Quantum der Veränderung, die mit jedem der
vier Tlieile vorgehn soll, x, da es noch unbekannt ist:
so ist 4 -|- a; anstatt 4,3 — x anstatt 3, und noch2-|-a;
statt 2, in die B'ormel für // zu setzen. Also
d= /4Ii±ZI5EZ)!z=2+.
2(4 + .v)4-(3-.)
85 ,
Geordnet : 28 — 78 .»; — 19 t'^ -j- a;3 = 0
Da man weiss, dass o; nur ein kleiner Bruch seyn kann,
so lasse mau co^ einstweilen weg, luid behandle die
Gleichung wie eine c^uadralische. Oder, da mau aus
den ersten Gliedern schon sieht, dass o; nahe i=:|-|i:z4j*,
mithin wenig über 0,3 seyn müsse, so nehme man x^
0,027 ; alsdann hat man 28,027 — 78 x — 19 :i;2 — 0, oder
a;2-f 4,1053 a; = 1,4751
vuid x = — 2,0526 rt A^( 2,0526 )2 -}- 1,47^1
= 0,3324 (wobey ^ als Einheit zu denken ist.)
Sollte um so viel die grosse Terz erhöliet, und zu-
gleich die Septime erniedrigt werden, so würde die
falsche Quinte sich einer Quarte um mehr als die Hälfte
eines Zwölftels der Octave (also eines halben Tons)
nähern. Eine so gewaltsame Veränderung der Inter-
valle -würde sich zu keinem Versuche eignen ; man kann
aber ziemlich nahe dasselbe Resultat auf eine weit glimpf-
lichere Weise erreichen. Die gesuchte Quadratwurzel
wird nicht viel grösser ausfallen, wenn die grosse Terz
nur um ein Fünftheil eines halben Tons erhöhet, die
Septime um etwas mehr als ein Viertheil desselben er-
niedrigt wird. Man hatte ursprünglich die gegebenen
Zahlen 4, 3, 3, 2; nun setze man
anstatt 4 3 3 2
jetzt 4,2 2,8 2,7 2 -f a;
so findet man durch Ausziehung der Quadratwurzel
aus dem Bruche , der jetzt durch bekannte Grössen ge-
geben ist, x = 0,386, welches anzeigt, dass bey der an-
genommenen Bestimmung der kleinste Theil nicht mehr
weit von der statischen Schwelle entfernt ist.
Um dem gemäss einen leichten Versuch nur oben-
hin, (denn grosse Genauigkeit würde die JMühe nicht
86
Jolineu), anzustellen, kann man auf einem Pianoforle
elwan die Töne e und h des Septimen- Accoixles von
c, um etwas verslimmen ; es ist nicht schwer, nach dem
Gehör die grosse Terz e ungefähr luii ein Fünftel des
halben Tons zu erhöhen , und zugleich die falsche Quinte
h reichlich um ein Viertheii des halben Tons zu er-
niedrigen. Schlägt man den so verstimmten Septimen-
Accord an , so ist der erste Eindruck wegen der schreyend-
iiberspannten grossen Terz sehr widrig; da aber dieses
seinen Hauptgrund in den Schwingungen der Saiten hat,
also dem leiblichen Hören zur Last fällt, so suche man
den Versuch davon zu befreyen. Dies gelingt meistens,
wenn man gleichzeitig im Basse ein paar vuitere Octaven
des Grundtons c stark anschlägt, und nach einer klei-
nen Weile die linke Hand aufhebt, während die rechte
noch den verstimmten Accord vesthält. Man vernimmt
nun das Nachlönen desselben. Der verdorbene Septimen-
Accord ist noch zu erkennen; aber die Dissonanz hat
ihr Salz verloren; das Getön ist nicht gerade beleidi-
gend, es klingt vielmehr etwas süssKch - fade. Lasst
man die gewöhnliche Aullösung des Septimen -Accordes
folgen (c/a): so vei-misst mau die gewohnte Befrie-
digung, Und dies gerade bestätigt unsre obige Darstel-
liuig. Denn darauf kam es an, zu zeigen, worin die
treibende , und zwar \i\ bestimmter Richtung zur Auf-
lösung treibende Kraft der Dissonanz liege. Die Be-
griffe hievon lassen sich nun noch etwas mehr ausein-
andersetzen.
67. Erstlich: die vier Kräfte, worin der Septimen-
Accord jede einzelne Tonvoi'stellung bricht, sind weit
vom Gleichgewichte entfernt. Wird eine geistige Kraft
von den übrigen so stark gehemmt, dass sie beträcht-
87
lieh unter die slalische Schwelle fallen soll, so giebt
ihr dies einen Anlrieb, welchem gemäss sie nicht elvvan
iu unendlicher Zeit (wie wenn sie bloss auf die Schwelle
gedi'ängt würde), sondern iu sehr kurzer Zeit aus dem
Bewusslseyn verdrängt werden nuiss, falls dies an sich
möglich ist*). Nun ist im Septimen -Accorde eine so
starke Hemmung des kleinsten Thcils vorhanden , denu
eben zuvor Avurde berechnet, dass neben 4, 3, 3, auf
die Schwelle schon eine Grösse rz: 2,5584 würde getrie-
ben werden ; folglich ist die Grösse z=: 2 gewiss be-
trächtlich unter der Schwelle.
Zweytens. Geschähe das völlige Verdrängen wirk-
lich: so würden in demselben Augenblick auch die bey-
den Theile, welche durch die Verhaltnisszalil 3 be-
zeichnet wurden , einen plötzlich verstäikten Sloss zum
Sinken '*'*) bekommen ; den man erfahrungsniässig bemer-
ken müsste. Diesen bemerkt man nicht , während die
innere Unruhe jenes Accordes sehr fühlbar ist.
Drittens: Da es unmöglich ist, von der an sich
einfachen Vorstellung eines Tons ein bestinnntes Stück
so abzuschneiden, wie wir dies iu der Zeichnung thateu •,
vollends es dergestalt abzusondern, dass es dem ferne-
ren Andringen der entgegenwirkenden Kräfte unzu-
gänglich würde (wie dies der Fall bey den ganzen Vor-
stellungen ist, sobald sie wirklich auf die Schwelle ge-
sunken sind): so ist an ein wirkliches Versinken jenes
kleinsten Theils nicht zu denken. Gleichwohl ist wirk-
lich ein so starker Druck vorhanden, der* ein solches
Versinken , soviel an ihm ist , hervor zu bringen ge-
*) Psychologie §. 75 , wo die Beispiele tu vergleichen sind.
'*) Ebendaselbst.
88
eignet wäre. Dieser Druck kann nur durch eine Ge-
genwirkung aufgehalten werden, welche in demselben
Maasse, als der Druck andringt, zunehmen muss. Solche
Gegenwirkung muss in der Vorstellung selbst sich er-
zeugen, denn das ganze Verhältniss, von dem wir hier
reden , ist ein inneres in jeder einzelnen Vorstellung,
weil jeder Ton in jene vier Kräfte gebrochen wurde.
Diese Gegenwirkung nun ist es, die wir Selbsterhaltüng
nannten, weil etwas Ahnliches unter diesem Namen in
der Metaphysik vorkommt, wiewohl unter andern Um-
ständen und nähern Bestimmungen.
Viertens ; Dem Streben , was in dieser Gegenwir-
kung liegt, kann von aussen Genüge geschafft werden,
wenn der kleinste Thell, den die stärkste Hemmung
traf, durch veränderte Brechung verstärkt wird. Dann
hört die Selbsterhaltüng auf.
Fünftens : Dasselbe Streben aber entsteht gar nicht,
wenn die Brechung gleich Anfangs darauf eingerichtet
wird, dass der Druck nicht hinreiche, es zu erzeugen.
Es wird abgespannt , indem man durch eine minder
wirksame Brechung den Druck schwächt. Das ist der
Fall des vorerwähnten Versuchs, welcher die Dissonanz
entkräftet, anstatt sie durch Auflösung in reine Harmo-
nie zu befriedigen.
68. Jetzt fällt ein neues Licht auf den Grund der
Harmonie in den reinen Accorden.
Wir haben zwar schon oben auf's Bestimmteste ge-
zeigt, dass der Schwellenwerth des kleinsten unter drey
Thellen, worin drey Ton -Vorstellungen einander ge-
genseitig brechen, der allgemeine Charakter des reinen
Accordes ist ; dergestalt dass dieses Kennzeichen bey
jedem einzelnen Tone des Accordes, in j e d e r L a g e,
89
in allen abgeleiteten Accorden , untl gleicher-
weise beym dur und vwU , zutriiFt. Wir haben fer-
ner die Schwierigkeit gezeigt, dieses Rennzeichen mit
der vorgängigen Bestimmung der einzelnen Intervalle zu
vereinigen; dergestalt, dass bey den reinen Accorden,
aber auch nur bey ihnen, eine genügende Annäherung
möglich ist; daher dies zugleich als das ausschlies-
sende Kennzeichen der reinen Accorde muss anei'kannt
"werden. Und schon hierüber verbreitet die nächst voi'-
hergehende Untersuchung ein helleres Licht. Denn
man sieht nun in bestimmten Fällen, (dem verminder-
ten Dreyklange und dem Septimen-Accorde) unmittel-
bar vor Augen, wie weit andre Brechungen abweichen
von dem Schwellenwerthe des kleinsten Theils.
Allein bey der frühern Darstellung konnte man sa-
gen: man sey zwar genöthigt, eiuzui-äumen , der all-
gemeine und zugleich ausschliessende Charakter des rei-
nen Accordes müsse den Grund des Harmonischen,
was in ihm eigenthümlich liegt, enthalten; man begreife
aber den Zusammenhang des Grundes mit der Folge
noch immer nicht.
Nun ist gewiss , dass nimmermehr eine speculative
Erklärung ästhetischer Urtheile aus sich das Gefühl,
was in diesen liegt , erzeugen kann. Aus dem Fühlen
wird man herausversetzt durchs Denken. Wohl aber
wird gerade umgekehrt bey solchem Denken gefodert
und vorausgesetzt, man habe längst schon gefühlt was
zu fühlen war, sonst würde man nicht einmal wissen,
vrovon die Rede sey, und welcher Gegenstand solle er-
klärt werden.
So wenig wir demnach jetzt erst das vorausgesetzte
Fühlen hinlennacli erzeugen wollen ; so können wir doch
90
jetzt nachweisen , welchen Contrast der dissonirentle
Accord gegen den consonirenden macht.
Erstlich ist schon die Compression der kleinen In-
tervalle, durch die grossem, in denen jene Platz finden
sollen, — oder überhaupt die Incongruenz der Inter-
valle zum Accoi'de — von welcher schon der reine Ac-
cord nicht ganz frey, docli grösser beim dissonirenden.
(Man vergleiche 64 mit 48).
Zweytens und hauptsächlich. Beym reinen Accorde
vermag einerseits der kleinste Theil nicht, den Conllict
unter den starkem zu vermehren; denn beym Schwel-
lenwerthe der di'itten, kleinsten Grösse ist die Hei.i-
miuigssiunme für die grössern die nämliche als ob der
kleinste nicht da wäre*). Andrerseits aber wird auch
das zuvor beschriebene Streben der Selbsterhaltung ver-
mieden, welches nur eintreten könnte, wenn der kleinste
Theil geringer wäre, als der Schwellenwerth anzeigt.
W ir erkennen demnach die Harmonie des reinen Ac-
cordes als die richtige JNIitte, zu welcher die Mu-
sik bey allen Bewegungen eben so oft zurückkehrt, als
sie den reinen Accord hören lässt.
Drittens: Da diese richtige Mitte sich in allen
Tönen erzeugt, die zum reinen Accorde gehören, und
da sie dieselbe durch gegenseitige Brechung bestimmen:
so unterstützen sie sich gegenseitig darin, —
ilire verschiedene virsprüngliche Eigenheit verschmilzt
darin; und man könnte sagen, dass die richtige Mitte
sich in jeder von ihnen abspiegelt, um übei'all als die
gleiche erkannt zu werden.
Hier aber soll uns eine Bemerkung nicht entgehen,
*) Psychologie §. 47, 50.
91
die siel» ia der Vergleicluuig des kleinen Septimen - Ac-
cordes (mit grosser Terz), und aller andern dissoniren-
den Accorde, leicht darbietet.
69. That Sache. Der Accord der kleinen Septime
mit der grossen Terz ist, obgleich dissonirend, doch
heiterer, und einer Consonanz ähnlicher, als der ver-
minderte Dreyklang, und als alle andern Septimen-
Accorde.
70. Frage. Da sich die dissonirende Septime,
und das von ihr gestörte Verhaltniss des reinen Ac-
cordes in allen Tönen des Septimen -Accordes verviel-
fältigt, und gleichsam abspiegelt (wie in Fig. 22 über-
all die Theile 4, 3, 3, 2, wiederkehren); wo kann d.^n-
uoch eine Ähnlichkeit mit der allgemeinen Bedingung
der Consonanz vorkommen?
71. Vorbereitung zur Antwort. JMan durchmu-
stere den Accord, um zu bemerken, ob bey Weglassuug
eines oder des andern der vier Töne, derjenige zu finden
ist, auf welchem der erwähnte Vorzug beruhe.
Erstlich : die Septime kann man nicht weglassen ;
ohne sie wäre der Accord ein reiner.
Zweytens: die Quinte wird oft genug weggelassen;
sie wird in Gedanken so leicht ergänzt , dass es bey-
nahe scheinen kömite, sie wäre überilüssig. Das Hei-
tere des Accordes wird auch so noch empfunden.
Drittens : die Terze darf nicht fehlen ; der Accord
wird sonst unbestimmt , da die kleine Terz eine ganz
andre Harmonie bildet, wenn sie hinzu gedacht wird.
Aber in ihr kann dennoch jene Heiterkeit nicht hinläng-
lich begründet seyn , denn :
Viertens , wenn mau den Grundton weglässt , so
bleibt nur der trübe verminderte Dreyklang.
92
Nach dieser Vorerxnnerung isl leiclil zu erratheii,
dass iii dem Grundlon ein liarmoiiisches Veihältiiiss
liegen möge, welclies sichtbar werde, wenn man die
Quinte ^veglässt.
72. Antwort. Man untersuche in Fig. 22 den
Grundton dergestalt, dass der Gegensatz desselben gegen
die Septime , ferner die Gleichheit mit der Terze , und
derjenige Theil, welchen jeder dieser Theile in dem
andern absondert, verglichen werden.
Der erste ist nahe rn: \%, der zweyte = ^.,-, der
dritte mittleie =:: ^;t- Das Verhältniss ist wie 10 : 8 : 6
d. h. wie 5 : 4 : 3 5 also gleich dem Verhältniss der
Thoile, welche im reinen Accorde aus der Brechung
entslehn.
Bekanntlich kommt nichts darauf au, welcher von
diesen Theilen eigentlich Gleichheit oder Gegensatz sey,
da sich dies durch die verschiedenen Lagen des Accor-
des lunkehrt. Die Theilung bleibt die nämliche ; luid
mit ihr das Verhältniss der Theile , welches allein in
Betracht zu ziehen ist. Nachdem dies einmal empfun-
den wordefi , bleibt die Reminiscenz auch noch , wenn
die Quinte "wieder hinzugefügt wird.
73. Thatsache. Der Septimen - Accord mit der
kleinen Septime und kleinen Terze (wie c, es, g, h)
Fig. 24, lässt sich nicht unmittelbar aullösen, sondern,
indem die Septime sich auflöset, entsteht aus ihm ein
andrer Septimen - Accord , (oder dessen abgeleiteter);
welches so fort geht, bis ein solcher gefolgt ist, der
die grosse Terz enthält; wie Fig. 25.
74. Frage. Was unterscheidet diesen Septimen-
Accord mit der kleinen Terz so sehr von jenem mit
der grossen Terz?
93
75. Vorbereitung zur Autwort. Zuerst fallt
auf, dass jenes Hai'inonische des Grundtons, welches
vorhin beym Septimen - Accorde mit der grossen Terze
bemerkt worden , (72) hier wegfallt. Die Verhältniss-
zahlen 10, 9, 7 können dergleichen nicht ergeben. Setzt
man a=z 10, i :=:9 in die Schwellenformel cz=zh y ? ,
a -[■ 1j
so kommt c z^z 6,529, was weit von 7 entfernt ist.
Auch fehlt hier das Heitere; der Accord klingt wie ein
schwer zu lösendes Problem. Man vernimmt zwey
reine Accorde, die aber einander gegenseitig stöi'en.
{c muH und es dur.) Untersucht man genauer, so mei-kt
man , dass es die kleine Terz ist , welche den Knoten
bildet. Die andern Töne des Accordes gehn den näm-
lichen Weg der Auflösung, wie im Septimen -Accorde
mit der grossen Terz; aber der Ton, welcher die kleine
ergiebt, ist damit nicht weggeschafft; er bleibt liegen,
imd verwandelt sich in die Septime des neuen Accordes,
der jenen zur Aullösung dient. Also ist hier eine par-
tielle Auflösung, und zwar, so weit sie reicht, die näm-
liche, wie man sie schon kemit (62 — 67) ; daher müssen
auch die Gründe, welche dort gegeben wurden, hieher
passen, mit Ausnahme dessen, was die kleine Terz an-
geht. Das Obige kann demnach hier von neuem ge-
prüft werden.
76. Antwort. Wenn zu c moll die Septime b
gesetzt wird, so bricht der Theilungsstrich , welcher h
bezeichnet , (Fig. 24) überall den stärksten Tlieil des
i^einen Accordes; und es gewinnt auch hier derjenige
Theil, welcher vom Gegensalz der grossen Terz her-
rührt, das tjbergewicht ; es entsteht an der Stelle,
welche der Brechung durch die Terz entspriclit, ein
94
vermehrter Conflict ; wie oben (62). Auch ist der Grund
der Selbsterhaltung wegen des kleinsten Theils hier der
nämliche. Selbst die Compression der kleinen Terzen
ist hier zum Theil wie vorhin; (64) denn auch hier sollen
deren zwey nebst der grossen Terz innerhalb des Um-
fangs der Septime statt finden. Alles dies schafft die
kleine Terz des Septimen- Accordes nicht weg. Denn
der Septimen-Accord mit der kleinen Terz enthält keine
falsche Quinte ; an ihrer Stelle steht hier die reine
Quinte es b. Da nun die beyden kleinen Tei-zen, die
sonst (im Septimen-Accord mit der grossen Terz) zu-
sammen in der falschen Quinte liegen, jetzt getrennt
sind : so fällt der grössere Theil ihrer Compression (58)
hier weg; und es bleibt nur der Druck der Septime (64).
Dieser Druck, verbunden mit dem Übergewicht und der
Expansion der grossen Terz, treibt die kleine Terz gegen
den Grundtou, also nach unten, anstatt nach oben; und
dieser Richtung folgt sie wirklich nach ihrer Verwand-
lung in die Septime des folgenden Accordes, durch wel-
chen sie jedoch zu solcher Bewegung einen weit kräfti-
gern Antrieb bekommt.
77. Zusatz. Ist einmal eine raschere Bewegung
im Gange, so kann sie derselben Richtung auch sogleich
entsprechen. Man sehe Fig. 26. wo derjenige Septimen-
Accord, der uns jetzt beschäfftigt, nur im Durchgange
vorkomr t. Hier braucht die Terze es nicht zu warten,
bis sie sich in die Septime verwandle, (obgleich sie es
füglich kann, wenn man in der Oberstimme einen Vor-
halt anbringen will). Allein die grössere Besonnenheit
bey langsamen Bewegungen verlangt, dass sie erst als
Septime vernommen werde, damit der Knoten sich
auflöse, und niclit zerliauen werde.
95
78. Anmerkung. Eine scheinbare Ausnahme von
der Regel entstellt in dem Falle der Fig. 25*^, wo statt
des Septimen -Accordes sein abgeleiteter, der Sext-
Quinten-Accord, gesetzt worden. Hier ist sehr ge-
wöhnlich, zunächst bloss einen roinen Accord folgen zu
lassen ; allein damit erreicht man keine Ruhe sondern
man muss weiter fortfahren. Die Regel ist ignorirt,
aber das Gefühl bleibt. Noch ungenügender fällt eine
solche Bewegung aus, wenn man statt des abgeleiteten
den ursprünglichen Septimen- Accord setzt.
79. Die Erweiterung der, in dem Septimen -Ac-
corde enthaltenen grossen Terz (es g in dem Accorde
c, es, g, b) zur Quarte (es, as) , w^elche der Expansion,
womit der Leitton im Septimen-Accorde mit der grossen
Terz vordringt, einigermaassen ähnlich ist, hat zwar
nichts gegen sich; allein sie verändert auch nichts We-
sentliclies. Will man nicht g in f gehn lassen, so nuiss
f im Basse angegeben werden ; die Brechung der Töne
bleibt aber im Grunde die nämliche, da zu jedem Tone
sehr leicht seine Octave hinzugedacht wird.
80. Thatsache. Wenn man die Distanz der
Octave in vier gleiche Theile zerlegt , und die ent-
sprechenden Töne zugleich hören lässt : so entsteht ein
unverständlicher Streit, der einer nähern Bestimmung
bedarf, damit die richtende Kraft einer Dissonanz in
ihm vernommen werde.
81. Erläuterung. Sey c der Grundton: so
weiss man im angegebenen Falle nicht , ob man
i) c (lis ßs a, oder
2) c es ßs a, oder
3) c es ges a, oder
96
4) his dis fis a, gehört habe. INIau erfahrt aber so-
gleich die Entscheidung , wenn
1) // dis ßs a, oder
2) c d ßs a, oder
3) c es f a, oder
4) his dis ßs gis , nachfolgen. Anstatt dieser Accorde
können auch sogleich deren Aullösungen gebraucht wer-
den , nämlich
^) h e 8
2) b d g
3) desfb
4) eis e gis; welche sammtlich reine Moll - Accorde^
oder von solchen abgeleitet sind.
Die Entscheidung kann aber auch (wiewohl nicht
ganz sicher) schon durch das zunächst Vorhei'gehende
gegeben seyn ; nämlich wenn vorherging
1) c d ßs a, oder
2) c es f a, oder
3) c es ges as , oder
4) fi dis ßs a.
Ganz sicher ist diese Entscheidung nicht, denn sie Ist
nicht immer für Erhöliung eines Tons zu nehmen; al-
lein wir wollen sie hier als solche in Betracht ziehn.
"Wir reden demnach hier vom verminderten Septimen-
Accorde und seinen abgeleiteten.
82. Zusatz. Es sollen jedoch hier nicht die man-
nigfaltigen Verwickelungen vollständig untersucht wer-
den, welche aus verzögerten Auflösungen entstehn kön-
nen (wie Fig. 27). Solche interessiren mehr die prakti-
sche Musik als die Psycliologie.
Aus diesem Grunde übergehn wir auch den Septi-
men-Accord mit der kleinen Terze und falschen Quinte.
97
83» Frage. Wie und warum iinterscliculcl sidi
der verminderte Septimen " Accord von dem Scptimen-
Accorde mit der grossen Terz, aus wekliom er durch
Erliüliung des Grundtons entsteht?
84. Vorbereitung, zur Antwort. Zuerst
nmss man überlegen , dass der verminderte Septimcn-
Actord zNvey verminderte Dreyklänge (55—58) elilhall.
Er scy eis, e, g, h: so ist eis, e, g, ein Accord für sidi ;
e, g, b, desgleichen. Jeder von beyden enthält zwey
kleine Terzen eingeschlossen in dem Umfange einer fal-
schen Quinte, die von derselben zusammen gedi'ückt
sind. Der ganze Accord eis, e, g, h, liegt demnach in-
nerhalb drey Vierteln der Oclave; und der Gegensalz
zwischen eis und h muss 0,75 betragen. Löset sich h
in a auf, welches von eis die kleine Sexte ist: so giebt
die Distanz von eis bis a den Gegensatz der kleinen
Sexte := 0,C6GG ; also ist h um 0,08333 . . . herabgesun-
ken, d. h. genau um ein Zwölftel der Oclave, welches
der durchschnittliche oder mittlere Werth des halben
Tones ist.
jNuii aber kommt es ferner darauf an, wie viel die
Erljöhimg oder Erniedrigung der Töne betrage, denen
man ein Kreuz oder ein b vorsetzt; denn durch Erhö-
hung des Grundtons entsteht die verminderte Septime
aus der kleinen. Hier giebt es nicht weniger als drey
verschiedene Bestimmungen.
1. Aus der Vestsetzung der einzelnen Intervalle,
wie sie ohne PuicUsicht auf die Accorde zuerst vorge-
nommen war, fand sich der Unterschied der kleinen
und grossen Terz, also die Erhöhung der letztern über
die erste, r^ 0,07213. Aber
2. Als wir die reinen Accorde untersuchten, fand
08
sFcli boy (lovjenlgen Berechmmg, die mit der glouhscliwo-
beiiden Temperatur am besten übereinstimmt (4.S), die
grosse Terz = 0,3333 , die kleine 0,2486 ; der Unter-
schied = 0,0847. Hicmit trirtt die DÜFerenz der falschen
Quinte, einerseits von der Quarte, andrerseits von der
reinen Quinte sehr nahe zusannncn ; denn sie beträgt
0,08578. (Vergl. oben die Angaben in 38). INIan kann
demnach den Werth der Eihöhung oder Erniedrigung
(durch welche die falsche Quinte aus der reinen muss
entstehen können) im Durchschnitt auf 0,085 setzen.
Ware davon die grosse Secunde das Doppelte, so be-
trüge ilu- Gegensalz 0,170; sie käme hiemit der Bestim-
mung der Physiker nach Schwingungsverhältnissen fast
gänzlich gleich, aus welcher sich der Gegensatz 0,16992
ergab. Die kleine Septime, welche die grosse Secunde
zur Octave ergänzt, -wäre nun 0,83. Ilievon die ver-
minderte Septime, d. h. anderthalb falsche Quinten, oder
0,75 abgezogen, lasst den Rest 0,08.
3. Unabhängig von einander, und genau überein-
stimmend*), sind die Bestimmungen der grossen Secunde
und kleinen Septime gefunden worden (36). Legt man,
diesen gemäss, den Werth der kleinen Septime, nämlich.
0,82841, zum Grunde, und zieht liievon die verminderte
Septime, also 0,75, ab: so bleibt der Rest 0,0784 als
die Erhöhung des Grundtons. Diese Zahl fällt zwar
zwischen 0,07213 und 0,0847; allein sie weicht von der
letztern noch bedeutend ab. Was folgt nun aus dem
Allen?
*) Überdies noch genau übereinstimmend mit der Distanz. zAvi-
scben der Quarte und reinen Quinte. Man vergleldie die Zahlen
in 38, und nehme (»,08579 doppelt. Daraus findet sich genau
0,17158.
99
S5. Antwort. Krstlich, wenn die vier Töne »los
vernundeilcn Septimen- Accordes zugleich veriioninien
werden, olnie dass etwas voraus ging: so bleibt \uibo-
stlniml, welcher von den vier Tönen derjenige sey, den
die Erhöhung IjelroH'en halie. Alle oben angezeigleii
vier Fülle (81) sind möglich-, daher hört man nur einen
unverstandlichen Streit. (IG) Diesen Streit characlerisirl
bloss das Trübe und Gepresste des veiuninderteu Drey-
klangs , der hier zwiefach vorhanden ist. (.58) Drey
kleine Terzen scheinen vorhanden zu seyn (wie c es, es
ges , wnd fis ä) • der Hörende strebt sich diese völlig
zu vergegenwärtigen: es ist aber nicht möglich; denn
diese miissten zusanmien den Ujiifang 0,7830 einnehmen;
welches von 0,75, den anderthalb falschen Quinten , in
welchen der Accord eingeschlossen ist, weil abweicht.
Der Unterschied 0,0336 ist ein bedeutender Theil vom
halben Ton, dessen mittlerer "NVerlh, wie nur eben zu-
vor erinnert, ein Zwölftel rz: 0,08333 ausmaeht.
Zweylens: sobald dagegen aus dem Zusammenhange
bekannt ist oder wird, welcher von den vier Tönen als
erhöhet aus einem niedrigem entstanden sey: so richtet
sich danach die Art der Auirassiuig. Das musikalische
Denken , (welches geringe Mängel des leiblich Gehörten
allemal verbessert, und für welches der Schall der In-
strumente oft nur eine Art von Zeichensprache ist.)
vollzieht die Erhöhung so, wie sie erfolgen soll ; derge-
stalt dass sie 0,085 oder mindestens 0,0847 betrage,
wenn auch wirklich nur eine Erhöhung von 0,0784
leiblich gehört wird. Dadurch aber wiid die vermin-
derte Sei^time, welche nur den letztern A^ erth zulasst
zusammengedrängt. Oder, was dasselbe ist, aber noch
stärker empfunden wird, die übermässige Secunde —
G*
100
das Umgekelirle und Harmonisch-Gleicligellendc der ver-
minderten Septime, — wird expandirt, niclit anders als
ob eine starke Feder dazwischen gespannt wäre. \Ycr
dies etwa niclit fühlte , dem könnten wir es in andrer
Art nachweisen; nämlich als eine mei^kwiirdige :
87. Thatsache. Der übermässige Secmiden-
Spning ist verboten.
Gleichwohl wird er oft genug gemacht , und zwar
da, wo man gerade das Harte desselben, das Gefühl
des Schwer- zu- Übersteigenden beabsichtigt. Und dann
wii'd er empfunden, auch Avenn die Tasten des Instru-
ments genau dieselben Töne augeben, die sonst eine
kleine Terz ausmachen. Es ist gar nicht nöthig, dem
leiblichen Hören zu gefallen den Stimmhammer zu ge-
brauchen ; das musikalische Denken ist in diesem Falle
mächtig genug, um die nämlichen Töne bald als bequeme
kleine Terzen, bald als widerspenstige übermässige Sc-
cunden zu vernehmen. Noch mehr: die übermässige
Secunde ist wirklich nur sehr wenig grösser, als die
kleine Terz im reinen Accorde ; und nicht eiimial so
gross, als die kleine Terz an sich seyn würde.
88. Das Übrige der Erklärung ergiebt sich nun
leicht. Der Septimen - Accord mit der kleinen Septime
und grossen Terze ging entweder wirklich vorher, wie
in Fig. 28, oder für das geübte musikalische Ohr ist es
soviel, als wäre er vorhergegangen. Die sämmtlichen
Töne haben also schon ihre Richtung ; nur der Grundton
ausgenommen. Jene folgen der Richtung die sie haben ;
dieser, aufwärts dringend, vollendet seinen Gang. Fig. 29
und 30 sind leichte Abänderungen, die keiner weitern
Erläuterung bedürfen.
89. Zusatz. Bey dieser Veranlassung ist es am
101
gclegcnston, die Bemerkung veslzuhalten, class sowohl
lirniedrigung als Erliöhuug eines Tones, obgleich nicht
ganz genau bestimmbar, (weil der Unterschied der Ter-
zen au sich etwas schwankend, und jedeufalls ein we-
nig kleiner ist als der Unterschied der falschen Quinte
von ihren beydcn Nachbarinnen) doch etwas mehr be-
tragen als der mittlere halbe Ton. Dieser ist 0,08333
jene, die Erhöluuig oder Erniedrigung, haben wir im
Durchschnitt r= 0,085 gefunden. (84). Wenn nun von
ZNveyen Tönen, die um ein Sechstheil der Octave, also
ungefähr um eine grosse Secunde verschieden sind, der
obere erniedrigt, der untere erhöhet wird: so treffen
beyde Veränderungen nicht genau in Einem Puncle zu-
sammen; sondern sie greifen über einander weg, und
lassen zweynial den Unterschied des mittlem halben
Tons von der Erhöhung oder Erniedrigung zwischen
sich ; <1. h. zweymal 0,00106 , also 0,00333. So ge-
ring diese Grösse ist: so muss doch bemerkt werden,
dass wir hiedurch dasjenige in Abrede stellen, was die
physikalischen Schiüften von der sogenannten cnharmo-
nischen Tonfolge zu sagen pflegen. Nach ihnen sollen
die Töne so aufeinander folgen; c, eis, des, d, dis, es, e,
u. s. w. anstatt dass sie so folgen müssen;
c, des, eis, d, es, dis, e, u, s. w.
Damit man dies einsehe, verweisen wir auf Fig. 31.
Forlschreitungen dieser Art sind in der INIusik nicht
selten. Nun weiss Jedermann, dass die falsche Quinte
es im Sext - Quinten -Accorde sich unterwärts auflösen
muss; hingegen der Leilton dis nach oben zu e hin-
slrebt. Wenn filso ein Violinspieler oder Sänger es
spielt oder singt, so treibt ihn sein Gefühl nach unten;
soll er nun es in dis verwandeln, so bekonnnt er einen
102
Impuls iiacli oben. In Folge dieses Impulses muss er
den Ion es nicht erniedrigen (denn es \vird ihm verbo-
ten, nach unten liin sich zu ^Yenden) sondern ihn er-
höhen, denn nach ol)en hin Avird er getrieben in dem-
selben Augenblick, nvo ihm vorgeschrieben ist, dis an-
statt es zu denken inid zn spielen. Dagegen federt jene
physikalische Lehre von ihm , er solle rückwärts nach
luiten gehn in demselben Augenblick, wo er einen Au-
trieb aufwärts bekommt; und zwar, (was das Wider-
sinnige ist) eben derjenige Impuls, der ihn vorwärts
treibt , soll ihn xmmittelbar rückwärts ti^eiben. Das
wird nicht geschehen, wo nicht eine falsche Theorivj
sich einmengt, und ihr aus Vorurlheil gehorcht wird.
Der Anfang des Irrlhums liegt bey der ersten Be-
stimmung der grossen Terz'^). Diese nehmen die Phy-
siker zu niedrig, indem sie den Schwingungen nach-
gehn, welche auf das Klingen der Schallwellen, nicht
aber auf das musikalische Denken Eiuiluss haben. Unsre
psychologische Betraclitiuig hat gezeigt, dass im reinen
Accorde die grosse Terz mindestens ein Drittel der
Octave betragen muss , indem die beyden andern Be-
stimmungen, (deren zweyte wegen der dadurch über-
spannten Quinte unbrauchbar ist, die erste aber von
der reinen Quinte ausgeht), sie noch grösser geben.
90. That Sache. Zu einer IMelodie — einer zu-
sammenhängenden Folge von Tönen , worin eine Stimme
*) Nimmt man J/s für tlic grosse Terze der Secunde d, und
addirt die Gegensätze beider Intervalle nach den Angaben der
Physiker (32 und 37), nämlich 0,32193 -f- 0,16992 ;= 0,49185,
so erreicht man für die Distanz von c bis zu ßs , (dem Leitton
'^ug), nicht einmal die falsche Quinte 0,5. Zieht man den Ge-
gensatz der Quarte, (27), nämlich 0,41504, davon ab, so bleibt
ntu- 0,07681 für die Erhöhung des / zu ßs.
103
sich bcNvogl . — imisa eine iiiöi^lirlie Folge von llaiiiio-
iiien liiiizugedaclit Avenleii können. Sonst >viiiden ilie
Töne sich von denen einer l)loss gesprochenen , und ge-
dehnten Hede nicht luüei'scheiden , sie würden keine
musikalische lieileuUnig haben.
91. Folge. Daher sind nicht bloss alle Mitleltöne
ausgeschlossen, die ausser der l'onleiter liegen >viir-
den; sondern die JMelodie nuiss auch bey jedenx Tone,
den sie angieiU, so lange verweilen, ilass man die Ilai-
monie dazu iinilen oder vernehmen könne. lliemit er-
gicbt sich, dass die Melodie aus discrelen (wiewohl der
Zeit nach zusammen hängenden) Tönen bestehn niuss,
und kein Continuiim derselben in sich aulnehmen kann.
Sie bewegt sich auf einer Tonleiter, aber nicht in der
Tonlinie; selbst bey durchgehenden Noten.
92. \\ eitere Folge. Da kein einzelner Ton für
sich eine musikalische (Jeltung hat, die reine Quinte hin-
gegen abgesehen \ou der Octave , die vollkommenste
Consonanz ist, (19 — 22) so nniss der erste veste An-
fangspunct (weim ihm auch andre Töne als blosse Ein-
leitung vorausgehii sollten,) die reine Quinte zulassen,
oder besser, hören lassen. Diese giebt ihm die erste
enlscliiedene Brechung, von der alle weitere Bedeutung
abhiingt. Die Octave würde dazu nicht taugen, weil
bey ihr die Bi-echung gerade Null ist. (H).
93. That Sachen. Wenn eine Stimme sich eine
grosse Secunde aufwärts bewegt, und alsdann in den
ersten Ton zurückkehrt, so bemerkt man entschieden,
dass mau sich bewegt hat, und nun bey der Rückkehr
Buhe iindet. (Fig. 32.) •
Dasselbe gilt, wenn eine Stimme sich eine kleine
Secunde abwärts bewegt, Fig. 33.
104
Dagegen contrastiren die Bewegungen und das Rück-
keliren auf verschiedene Weise, wenn ein grösseres In-
tervall durclilaufen wurde. Fig. 34. War das Intervall
eine Terze, so hat mau zwar Ruhe bey der Rückkehr,
aber mau bemerkt weniger Bewegung. AVar es eine
Quarte, so hat man mehr Bewegung, aber am Ende
weniger Ruhe. War es eine falsche Quinte, oder, was
hier gleich gilt, eine übermässige Quarte, so ist der
Grundton zum Ruhen verdorben. War es eine reine
Quinte, so ist zwar Bewegung und Ruhe vorhanden,
aber man vernimmt die Quinte auf eine zweideutige
Weise; vreil Verschiedenes kann hinzugedacht werdcj.
Endlich vergleiche man nocli Fig. 35; wo die kleine
Untersecuudo luid grosse Obersecunde um eine Octave
höher sind gelegt worden. Diese Gange sind ganz un-
befriedigend, und können durchaus nicht anstatt jener
ersten (in Fig. 32 und 33) gebraucht werden.
94. Folge. Man sieht also, dass bey der IMelo-
die nicht mehr gleichgültig ist, was für die harmoni-
sche Geltung gleichbedeutend war, nämlich ob ein Ton
eine Octave hölier oder tiefer liege. Deshalb wixxl man
für die INIelodie zuerst in Betracht ziehn, wie weit
die Gleichheit eines Tons mit den höhern oder tiefem
w^irksam werden könne.
95. Satz, Die Wirksamkeit der Gleichheit um-
fasst eine kleine 3eplime, in deren INlitte der Hauptton
liegt. (^lan verwechsele hier nicht die Gleichheit mit
den gleichen Theileu, woyou oben, 15, das Nölhige ge-^
sagt ist.)
96. Beweis. In der Quarte verhält sich der Ge-
gensatz zur halben Gleichheit wie 1 : y/"^. Das heisst,
hier ist die Gränze, bis wohiii die Töne durch die
105
z^vic fache Wirkung dessen, was In ihnen gleich und
in sofern Eins ist, einer zum andern hingedrängt
werden, als ob sie in einen Ton zusanunen fallen soll-
ten. (26.) Bcy grössern Intervallen unterliegen die
Hälften der Gleichheit; bey der falschen Quinte sind die
Gegensätze schon eben so stark, wie die ganze Gleich-
heit; bey der reinen Quinte herrschen sie dergestalt,
dass bey noch grössern Intervallen nicht mehr die Gleich-
heit, sondern die gleichen Theile, welche man in Ge-
danken absondert, in Beti'acht kommen. Dies Alles
ist oben ausführlich entwickelt worden.
Da man dieses Aveiss: so erhellt der Salz sogleich
von selbst. Denn vom Haupttoue nchtne man eine
Quarte aufwärts ; beyde zusammen unifassen eine kleine
Septime; und diese ist das Gebiet, worin seine Gleich-
heit dergestalt wirksam ist, dass sie die Töne zum Zu-
sammenfallen antreibt.
97. Zusatz. Da die eine Hälfte dieses Gebiets
imter dem Haupttone liegt, so versetze man dasselbe
eine Octave höher, und mau erhält Platz für die Ton-
leiter; dergestalt aber, dass dieser Platz aus zwey ge-
trennten Theilen besteht, luid zwischen beyden die
Distanz einer grossen Secuude (mit einer merkwürdigen
Genauigkeit) offen bleibt. Die falsche Quinte liegt mit-
ten in dieser Distanz isolirt; aucli gehört sie nicht zur
Tonleiter.
98. Frage. Wenn eine Stimme sich um eine
grosse Secunde aufwärts und wieder zurück bewegt:
wie wirken die daraus entstehenden Vorstellungen?
99. Vorbereitung zur Antwort. Innerhalb
der Distanz einer kleinen Terze können ein paar Töne
als beyaahe gleichartig angesehen werden , so dass ei-
100
iier grösstenthells die Forlselziing des antlern sey. Denn
die Bestimmung der kleinen Terz ging davon aus, dass
die beyden Gegensätze von den halben Gleichheiten zur
Schwelle gedrängt werden. Dies gab die Gegensätze
r^ 0,2612; -welcher Werlh späterhin für den Gebrauch
in den Accorden noch zu gross gefunden wurde. (47 u.s.w.)
Nun sollen zwar bcy der grossen Secunde (36) die
einzelnen Ton- Vorstellungen noch auf der Schwelle
seyn neben der, durch die halbe Gleichheit verstärkten;
die wir als durch frühere Übung gewonnen voraussetzen
(nach einer Bemerkung in 61.) Allein während dies
für zusammenklingende Tone gilt, verändert es sich da,
"WO einer nach dem andern vernommen wird. Der vor-
hergehende erleidet hier eine Ilenuiiung durch den fol-
genden ; zugleich wird er in der früheren Yerworreu-
lieit reproducirt inid bestärkt; er kann denmach über-
haupt nicht ganz, aber am wenigsten in seiner ui'sprüng-
lichen Integrität im Bewusstseyn bleiben. Rückwärts
gilt dies von dem folgenden Tone nur in so fern , als
man von dem momentanen Hören des ursprünglich rei-
nen Tons hinwegsieht. Das schon Vernonunene wird
von der halben Gleichheit ergrilfen , und mit dem noch
übrigen Vorstellen des vorigen Tons verschmolzen.
Daher wird die Secunde als ein andrer Ton, der nur
nicht völlig der erste sey, vernommen. Wäre die Se-
cunde der Hauptton selbst: so würde sie nur als sie
selbst, ohne ein Gefühl des Andersseyns und Abwei-
chens, vernommen werden. Iliezu nehme man Folgendes:
100. Antwort. Wir haben vorausgesetzt, der
erste Ton habe schon eine entschiedene Brechung durch
die reine Quinte (92). Kommt nun cltuch die Secunde
eine neue Brechung hinzu: so ist der erste Ton dop-
107
pell gcbroclieii, mul z^var dcrgcslall , ilass in Anseluing
seines kleinsleii Theils eiue Selbslerlialtiiiig statt finden
sollte; (02, 67.) nämlich in dem INIaasse , als derjenige
Druck, welcher von den starkem Theilen der niimli-
chen Vorstellung herrührt, den sclnvachsten zu verdran-
gen im BegrilF ^vare. Dies setzt den Druck als eben
letzt wirksam, mithin die Brechung als geschehen voraus.
Allein in wiefern der erste Ton seiner Inlegrilät beraiil)!,
also nicht in völliger Bestimmtheit dem BeNvusstseyn ge-
genwärtig ist, trüft ihn die Brechung weniger.
Dagegen hat der zwcyle Ton, (die Sccunde) in je-
dem Augenblick des Hörens seine ursprüngliche Klar-
heit; er ist der Brechung bloss gestellt, welche iheils
vom Hauptton, iheils von der hinzugedachten Quinte
desselben ausgeht. Bey ibm also irit die Selbst -Erhal-
tung um desto sicherer ein, da er im Anfange des Er-
tönens ein erst entstehendes, nur bey längerem Verwei-
len anwachsendes Vorstellen liefert, welches der schon
starken Vorstellung des frühei-n Tons sehr geringen A>'i-
dersland entgegensetzt.
iSun rührt die TSülhigving zur Sclbsterhallung bloss
von der zu starken Gleichheit her; und >vürde ver-
schwinden, wenn dieselbe sich nur um ein Zwölflhoil
der Octave verminderte, — oder wenn statt des Haupl-
tons, sofern dieser uoch im Bewusstseyn gegenwärtig
ist, dessen kleine Unlersecuude (der Leittou), zu hö-
ren wäre.
Der Leitton macht mit der Ober-Secunde
eine kleine Terz. Diese Distanz würde der Se-
cunde die Selbsterhaltung ersparen, weil ihr gemäss
die Gegensätze schon auf der Schwelle , und nicht mehr
darunter sind. (Vergl. 99.)
108
Gesetzt nun, es sey in Folge zweckmässiger Übung
(wie jede JMusik sie fast jeden Augenblick darbietet,)
neben der Obersecunde der Leitton gehört worden ; so
wird derselbe, falls kein Ilinderniss eintrit , leicht hin-
zugedacht, wenn man vom Haupttone zur Secunde fort-
geht; denn er ist es, welcher das durch jene Brechung
ci'regle Streben befriedigt.
Damit ist aber die Vorstellung des Haupttons nicht
sowohl verdrängt als verworren; denn nur die Integri-
tät dieser Vorstellung war verschwunden. Hingegen
die Hemmung selbst ist so unbetleutend, dass, nachdem
die Secunde aufgehört hat, zu ertönen, sich der Haupt-
ton von selbst wieder hervordrängt , und sobald er wirk-
lich erklingt, Ruhe in ihm gefunden wird.
101. Thatsächliche Bestätigung. INIan gehe
die Tonleiter durcli, und versuche, den Grundton, so-
viel möglich dabey vestzuhalten. Den Erfolg zeigt
Fig. 36. Gleich bey der Secunde verschwindet der
Grundton ; späterhin kann man ihn in Gedanken behal-
ten, bis zum Leiltüu; zu welchem die Secunde muss
hinzugedacht werden.
102. Erläuterung. Warum verschwindet der
Grundton bey der Secunde? Was verdrängt ihn aus
dem Bewusstseyn? Darüber mag man sich wundern!
Denn au eine starke Henmiung ist hier nicht zu den-»
kcn. Die entferntem Töne, Terz, Quarte, Quinte, Sexte,—
alle haben einen stärkern Hemniungsgrad gegen den
Gruudton, als die ihm so nahe liegende Secunde. Warum
dulden sie den Gruudton neben sich ; und wie macht
es die Secunde, ihn zu vertreiben? Besonders aber,
wenn sie ihn vertrieb, wie ist es möglich, dass ein
starkes Streben, ihn wieder zu hören , entstehe, welches
100
sich <lmgcnl)llcklich befnetligt fiiulcl, sol)aKl entweder zu
ihm selbst, wie in Fig. 32, o<ler auch nur zti seiner
Terze, wie liier, zurückgegangen wird?
Die Distanz der Secundc ist nur 0,17158, oder nahe
ein Scchstlieil der Octave. Tlieilte sich nun auch die
hieraus entstehende Ilemniungs-Sunune zwisclien der
Secunde und dem Grundloue sogleich: so würde die
Henunung des letztern nur jV betragen. Aber ersllkb:
eine so geringe Hemnumgs -Summe sinkt laugsam; und
zAveytens, der Klang der Secunde muss verweilend an-
halten, bevor die Vorstellung desselben eine gleiche
Starke erlangt, wie der vorhergegangene Grundton im
verweilenden Hören schon erlangt hat.
INlit einem Worte: an ein wirkliches, so bedeuten-
des Verschwinden , an eine so plötzliche Hejiimung der
Vorstellung des Grundtons, wie hier im ersten Augen-
blicke, da die Secunde ertönt, sich zu ereignen scheint,
ist nicht im Ei-nsle zu denken. Nicht Hemmung , son-
dern Verworrenheit ist eingetreten. Die halbe Gleicli-
heit macht sich gelten. Das von ihr verunreinigte Vor-
stellen verdrängt die reine , lautere Vorstellung. Darum
kann maji nicht sagen, dass man den Grunton im Ge-
danken vcst gehalten habe ; ausser mit einer Art von
Anstrengung, deren Widi'iges man fühlt. Vollends wer
den Leitton kennt, der denkt ihn hier unwillkührlich
hinzu ; er verändert dadurch die Brechung soweit uö-
thig, um dem Sti-eben der Selbst erhaltung zu Hülfe zu
kommen. Eben darum nun, weil der Grundton bey-
uahe gar nicht gehemmt war , bedarf die Vorstellung
desselben auch keine merkliche Zeit, um wiederzukeh-
ren, sondern das Gleichgewicht ist sogleich wiedei'her-
gestellt, und Ruhe trit ein, indem der Grundton er-
110
klingt. ]\Iaii fiiick't Hin \invei"iinilerl wieder, (leÄi er
halte keine ^YesentIiclle Brecliung erlitten.
103. Fernere Erläuterung. Den stärksten Con-
Irnst gegen diesen letztei'u Umstand macht der Gang in
die falsche Quinte oder übermässige CKiarte. Fig. 34*^.
Kehrt man von da zum Grundton zurück, so ist er ver-
dorben; er gewahrt keine Ruhe mehr. Denn er ist in
der jMitte gebrochen , und befindet sicli im stärksten
Widerstreit mit sicli selbst. Die andern Fälle der
Fig. 34 verralhen zwar ebenfalls sämmtlich, dass an dem
Grundlone etwas kleben bleibt; allein die Ursache ist
von andrer Art. Terzen und die reine Quinte, Sexien
und die Quarte passen mit dem Grundtone in Einen
Accord. AVenn in ihnen die IMelodie fortschreitet, so
empfindet man wenig Bewegung, weil die Harmonie
auf gleiche A\ eise hinzugedacht wird , wenn dies nicht
dmch nähere Bestimmungen gehindert ist. Hingegen
darin gleichen sich die Secunde und die falsche Quinte,
dass beyde gegen den Grnndton dissoniren; und dieser
Ähnlichkeit ungeachtet un terscheiden sie sich
dennoch so, dass bey der Secunde nicht deren Accord,
sondern dessen Aullösung, hingegen bey der falschen
Quinte der Accord selbst, in welchen diese mit dem
Grundton passt, (zunächst, wenn andre Bestimmungen
fehlen, der verminderte Dreyklang) hinzugedacht wird;
und zNvar so, dass dies Hinzugedachte nicht w eicht son-
dein bleibt, indem man in den Grundton zurückgeht;
anstatt dass mit der Secunde auch die Vorstellung ihrer
Aullösung verschwindet, und der Rückgang in den Grund-
ton die Ruhe wieder herstellt. Dies war der Punct,
a\if den es ankam. Die Secunde verändert ihre
eigne Brechung, indem der fieitton hinzxigedacht wird;
lll
die falsclio Qiünle bleibt in iler Brocliimg, iiml bricht den
(jrundloii. Jenes gesiliieht durch die Selbslcrlialtung gegen
die -Nlaclit der Gleichheit; dieses trit ein, weil die Gleichheit
viel zu gering Ist, lun eine Selbsterhaltung licrvorzurufen.
Sehr zu beachten ist hiebey der Umstand, dass der
Gang in die Secunde nicht luit dem Gange in die Noue,
oder Unterseptime (Fig. 35 // und c) darf verwechselt
^verden. Hier fehlt es an Gleichheit, daher fehlt die
Sclbstcrhaltung sannnt der veränderten Brechung. Es
geht wie bey der falschen Quinte ; man denkt den dis-
sonirenilen Accord (etwa d, f, a, c, oder c,f, a, d,) hinzu,
und behalt ihn In Gedanken auch bey der Rückkehr
in den Grundion, die niui keine Ruhe gewährt.
104. Frage. A\ enn eine Stimme sich um eine
kleine Secunde abwärts luid aufwärts bewegt: wie wir-
ken die daraus entstehenden Vorstellungen?
105. Vorbereitung z u r A n t w o r t. Wir setzen
hnmer voraus, der Ilauptton sey als solcher vestge-
stellt ; und zwar hauptsächlich durch seine reine Quin-
ten. In andrer Verbindung z. B. wie Fig. 37, wüi'de
ein ganz andres Resultat lierauskommen , als für den
Hauptton c In Fig. 33, der die Bewegiuig c, //, c, macht,
während g hinzugedacht, ist. Aur von diesem Falle Ist
hier die Rede; imd h soll unter c liegen; keinesweges
oberwärts, wie in Fig. 35 a.
IOC. Antwort. Alles kommt wieder auf die
Gleichheit an. Indem h ertönt, scheint c aus dem Be-
wusstseyn zu verschwinden ; In der That aber wdrd es
nur sehr wenig gehemmt; dagegen trit die Vorstellung
desselben als durch h vorworren hervor, indem die
halbe Gleichheit hier noch weit wirksamer ist als Im
vorigen Falle. Die Brechung, welche h erleidet, würde
112
chien noch klclnoi-n Tlicll von ihm ahschnculcn, und
dieser >vürde ditnh die grössern Theile derselben Vor-
slelhuig noch schneller auf die Schwelle geworfen wer-
den, wenn nicht die SelbslcrhaUung zuvorkäme. Ihrem
Streben aber wird genügt, wenn die Gleichheit derge-
stalt vermindert wird, dass die Brechung sich bis zu
der einer kleinen Terz verändert ; welches liier durch
die obere Secunde d geschehn muss. Rennt man diese
Befriedigung einmal: so wird sie, wenn nicht gehindert,
leicht hinzugedacht. Allein die kaum ein wenig ge-
liemmte Vorstellung des Haupttous drängt fortwährend
dagegen; trit nun der Ilauplton wieder ein, so ist Iluhe
vorhanden. Der Fall ist die Umkehrung des vorigen,
nur noch entschiedener wegen der grössern Gleichheit.
107. Frage. Warum ereignet sidi nicht das Näm-
liche, wie in den vorigen Fällen, dann, wenn die Stimme
eine kleine Secunde aufwärts und ziunick, oder eine
grosse Secunde unterwärts und zurück sich bewegt?
Und worin liegt der Unterschied vom vorigen? (JMan
sehe Fig. 38.)
lOS. Antwort. In der That wird aus obigem
Grunde leicht die kleine Terz (zu des h, zu b des) hin-
zugedacht; allein die Quinte ^, .durch welche der Haupt-
ton c bestimmt ist, bildet nun mit des und b den ver-
minderten Dre) klang, dessen unbestimmte Unruhe man
kennt. (55 — 58). Diese lässt sich durch llückkehr iu
den Hauptton niclit wegschaffen.
109. Zusatz. Eigentlich ist die Auffassung der
kleinen Ober -Secunde schwankend, wenn nichts hinzu-
kommt ; denn sie kann gegen die Quinte auch Erhöliung
des Griuidtons und Übergang zur grossen Secunde seyn,
wie Fis. 39.
113
110. Frage. AA'üiliircli w'nd dio (Jiii'nto zur ohcrn
Doniinaule?
111. Vorho r oi t II ng zur Antwort. Zuerst
iiiuss der Uiilerscliied liemerkt wei'den zwischen iler
Domliiaiile uiul der Ijlossen Q)uinte. Es koninit auf den
ITnterscIiIed der jNlelodle und Harmonie an. Nnr ^^enn
eine Stimme sicli so bewegt, dass zum ersten Ton der
tlur- Accord der Quinte geliürt, inid alsdaini der reine
Accord des Haupitons folgt, wird in dieser Mewegmig
die Quinte ziu- Dominante.
112. Antwort, lügentlicli domlnirt die Quinte,
wie aus dem Obigen erhellet, schon dadurch, dass durch
sie der Ilauptlou vcstgcslellt Ist. Zugleich aber halben
wir gezeigt, dass die nächsten IJewegungen des llaupt-
tons, wenn beym Iiückgange in ihn llulie entslelin soll,
nicht jene in die kleine Obcrsecunde oder grosse Unter-
secunde seyn können , sondern entweder in die grosse
Secunde aufwärts, oder in die kleine Secunde unter-
wärts geschelien müssen; und dass in beyden Fallen
der Dur -Accord der Quinte, wo nicht gehört, so doch
gedaclit wird. Darum Ist die Quinte, als Grundton die-
ses Accordes , dergestalt vorherrschend , dass sie die
nächsten Bewegungen des Hanpttons beslinnnt.
112. Anmerkung. Die Quarte dagegen bestimmt
die nächste Bewegung, welche die reine Harmonie ma-
chen kann, während der Hauptton ruliet. Man weiss
aus dem Obigen, dass sie die Gränze setzt, bis zu wel-
cher die AYirksamkelt der Gleichheit mit dem HaujU-
ton sich ei'streckt (9.')). Als untere Quarte fällt sie mit
der Oberdominante zusammen; als obere Quarte hat sie
die Terzen zu nächsten Nachbarn , welche sich ohne
Sprung zu ihr hin jjcwcgen können. Zur Ausfüllung
H
114
der leinen Harmonie geliört alsdann diejenige Sexte^
\v eiche von der kleinen oder grossen Terze die reine
(Quarte ist; daher richtet sich das Dur oder Moll des
hieraus entstehenden Accordes nach demjenigen des
Haupttons, indem über die, den Terzen zugehörige
Sphäre der Gleichheit nicht hinausgegangen wird. Beym
Dur macht denmach die Quinte die Bewegung einer
grossen Secunde aufwärts; beym INIoU geht die Terze
den nämlichen Gang. Aus beyden ergiebt sich ein natürli-
cher Rückgang in die Töne des reinen Accordes vom
Hauptton. Will man nun Bewegung des Haupttons
selbst folgen lassen , so entsteht der bekannte Gai.g
Fig. 40, \^'elcher die nächsten Bewegungen sowold des
Haupttons als seiner reinen Harmonie zusammenfasst,
und ihn hiemit in möglichster Kürze veststellt.
114. That Sache. Die Tonleiter stellt sämmlliche
Töne, welche zu den eben erwähnten beyden Bewegun-
gen gehören, in eine Reihe, die man nach zweyen ent-
gegengesetzten Richtungen durchlaufen kann. Ilierbey
zeigt sich der Leitton als empfindliche Note, die selbst
bey der IMoll- Tonart im Heraufgehn nicht entbehrt
werden kann, obgleich sie dort den übermässigen Se-
cundensprung (87) hervorbringt, wenn man nicht den
vorhergehenden Ton erhöhen will.
115. Frage. Woher rührt die Empfindlichkeit
des Leittons, und die in ihm fühlbare Nothwendigkeit,
ihn, als ob er eine Dissonanz wäre, in die Octave auf-
zulösen?
116. Vorbereitung zur Antwort. Blan nehme,
indem man die Tonleiter hinaufgeht, statt seiner die
kleine Septime : so bleibt man innerhalb der Linie, wor-
in die Quarte den Mittelpunct bildet; also wird diese
115
iler Punct , iii welclion die Wirksamkeit der Glelcliheit
alle Töne /iisainmenzuzielm siiclil (05).
117. Antwort. Der Leittou übersclireltet diese
Tiinie; die Gleichheit mit ihm zieht die beydeu vorigen
'lonc nach oben , während sie die Quarte nicht mehr
beheri'schend sondern streitend erreicht (18).
Die übermässige Quarte nämlich, welche der Leitton
gegen jene Quarte des Grundtons bildet, Ist In Ansehung
der Distanz als gleich der falschen Quinte zu betrach-
ten. (Vergl. 84 mit 38.). Der Leitton versetzt sich
also nicht bloss in Streit gegen die Quarte, sondern er
entzieht ihr auch die JMacht, den IMiltelpunct , wohin
alle Töne sich neigen würden , zu bestimmen. Hiezu
kommt seine schon früher gewonnene Veibindung mit
der obern Secunde des Grund tons (100). In Ansehung
der, ihm zunächst vorhergehenden, Sexte, ist ein Un-
terschied beyni Heraufgelni im Dur und jNIoII, näher zu
betrachten.
Nämlich bey der Dur-Scala, welche von der grossen
Sexte zum Leitton fortschreitet, beträgt diese Foii-
schreitung eine grosse Secunde ; was daraus folgt, weiss
man aus dem Obigen (102). Die Viustellung der Sexte
geräth in Verworrenheit. Das Streben der Selbsterhal-
tung (106) wird dm-ch Rückkehr in einen tiefern Ton
befriedigt, wozu sich hier die nur kurz vorhergegangene
Oberdoniinante darbietet. Alles zusammen erglebt den
Gang Fig. 41.
Etwas anders verhält sich die Moll-Scala, wenn die
hier einheimische kleine Sexte gebraucht wird, und
darauf der übermässige Secunden-Spruug folgt. Fig. 42.
Hier ist die Gleichheit zwischen der kleinen Sexle und
dem Leitton zu gering, um die Sexte in Verworreuheit
H^
116
zu vcrsel/eij. Man Jiört vielmcljr fortdauernd das Marie
der übermässigen Secunde ; s i e 1j 1 e i b t k 1 c I) e n , und
bildet mit dem Leitton, der Quarte tiud Secunde einen
Sext- Quinten - Accord. Dies wird beym gewölmlichen
Gange durcli die grosse Sexte vermieden, welcher Gang
aus der ^Nachgiebigkeit gegen den, vom Leitton herrüh-
renden Zug nach oben entstanden ist.
118. That Sache. Beym Contrapuncte, d. h. bcy
der Bewegung einer Stimme gegen eine andre, hat man
nothig gefunden, .drey Falle zu unterscheiden; indem
die andre entweder still steht, oder in entgegengesetzter
oder in gleicher Richtung sich bewegt. Der letzte Fall
wird im allgemeinen als gefährlich bezeichnet, indem
leicht Fehler dabey begegnen können; vorbotene Quin-
ten, Octaven , Terzen.
119. Frage. Lässt sich hiebcy ein allgemeiner
Grund der Gefahr angeben?
120. Antwort. "Wenn eine Stimme ruhet, wäh-
rend eine andre sich bewegt: so ändert sich das Ver-
hältniss der Gleichheit zum Gegensatze. "\Venn die be-
wegte Stimme sich der ruhenden nähert , so wächst die
Gleichheit, und der Gegensalz nimmt ab; das Umge-
kehrte gilt, wenn jene sich entfernt. Beydes geschieht
aus doppeltem Grunde bey der Gegenbewegung. Allein
bey der sogenannten geraden Bewegung, welcher gemäss
beyde Stimmen einerlcy Richtung nehmen, kommt et-
was vor, das sich aufhebt. Eine Stimme nähert sich
der Stelle, welche soeben die andre einnahm; die andre
enlfernt sich von derselben Stelle, und v^ereitclt, wenig-
stens tlieilwcise, die Annäherung. Hatten sich nun
Gleichheil und Gegensatz in Wechselwirkung gesetzt :
117
so wild diese AVechsehviikung zugleich aiifgeliulien und
wiederhergestellt.
121. Thalsaclie. Octavcu, die sich vom Anfang
eines nuisikalisclien Salzes an, foi'l\vahrend begleiten,
sind nicht anslössig.
122. Erklärung. INIan hört in diesem Falle ei-
nerley jMelodie doppelt, indem von Anfang an, die
Slimmeu sich niclit gegenseitig ))rechen , sondern nur
die Tone, welche in eiuerley Stimme liegen, unter
einander in Veihältniss treten.
123. Tliatsache. Dagegen sind in solchen Salzen,
worin Anfangs die Stimmen andre Intervalle bildeten,
mehrere Oclaven nach einander unzulässig; und so
widrig, dass selbst die sogenannten verdeckten Oclaven,
welche durch leicht hiuzugedaclite IJborgänge entstehen
können, gern vermieden werden.
124. Erklärung. Hatten einmal die Stimmen
sich durch irgend ein Intervall in gegenseitige Brechung
versetzt, so wird die Oclave als ein Aufhören der Bre-
chung , und als ein Durchgang durch verschiedene Bre-
chungen empfunden. Folgt nun eine zvveyte Oclave: so
nähert sich eine Stimme der Stelle, wo so eben die andre lag ;
hiemit entsteht ein Grad von Gleichheit, welcher, im Au-
genblick des Überganges vernommen, sogleich durch
die sich ausbildende neue "NYahrnehmung völlig zurück
gestüssen wird.
125. Tliatsache. Noch unerträglicher sind zwey
reine Quinten unmittelbar nach einander bey gerader
Bewegung der nämlichen Stinnnen; während sie bey
eu tgegengesetzter Bewegung, oder wenn es nicht
die nämlichen Stimmen sind, die in das zweite Quinten-
Verhältniss treten, kaiuu empfunden werden. I'"ig. 43, u,h,c.
116
126. Erklärung. Es kommt aiitli hier auf den Au-
genblick des Überganges , und die in ihni entsiebende
Wahrnehmung einer Gleichheit au, welche zurückge-
stossen wird. Sind es nicht dieselben Slininieu, so
fehlt der Übergang; bey der Gegenbevvegung fehlt die
entstehende Gleichheit, wenn sie nicht, wie freylich
durch Transposition in die höhere Octave leicht geschieht,
hinzugedacht wird.
Aber in dem eigentlich fehlerhaflen Falle erhebt
sich nicht bloss die Gleichiieit durch die sich der vori-
gen annähernde Stimme: sondern dieses gleicht der Er-
liebung nach einer Niederlage zu neuem Streite.
Denn bey der reinen Quinte wird die Gleichheit von
den Gegensätzen auf die Schwelle getrieben (20 — 22).
Folgt nun eine Quinte der andern, so empfindet man
bey der zweylen Quinte eine gewaltsame Spannung der
Töne gegen einander, die uotlnvendig erfolgen muss,
indem die Selbstständigkeit jedes Tons gegen den
andern wider die, von neuem auftauchende, Gleichheit
sich geltend macht.
127. T hat Sache. Auch eine falsche und eine
reine Quinte dürfen einander in dem nämlichen Paar
Stimmen nicht unmittelbar folgen; doch ist dieser Feh-
ler nicht so unerträglich wie der vorige.
128. Erklärung. Auch hier nähert sicli eine
Stimme der Stelle, wo unmittelbar zuvor die andre lag.
Auch hier also entsteht im Moment des Übergangs ein
neuer Grad von Gleichheit, der sogleich niedergedrängt
wird. Der Unterschied vom vorigen Falle ist jedoch
der, dass, wenn die falsche Q)uinte vorangeht, nicht
eine ganz darniederliegende sondern im Streite begriffene
Gleichheil sich vergrössert und dann zurückgedrängt
119
^vird; ^vomx uingekclirt die i'eine Quinte vürangolit, die
im JMomcnt des Lberganges auftauchende Gleichheit
nicht ganz verdrängt sondern nur wieder in den Stand
des Streits wider die Gegensatze zuriickgebracht wird-
129. T hat Sache. Zwey grosse Terzen sind in
einigen Fällen (die wir nicht einzeln durchlaufen wollen)
ebenfalls in so fern verboten, dass sie nicht in dem
nämlichen Paar Stimmen einander unmittelbar folgen
dürfen.
130. Erklärung. Bey der grossen Terz sind die
Gegensätze im Gleichgewicht mit dem zwiefachen An-
triebe der Gleichheit, wodurch die Vorstellungen in
Kine würden verschmolzen werden (31). In dem, am
gewöhulichsleu vorkommenden Falle, Fig. 44'', erhebt
sich die Oberstimme aus der grossen Tei'z zur übermäs-
sigen Quarte, welche, wie öfter bemerkt, als Distanz
betrachtet der falschen Quinte gleich kommt. Hiemit
trit an die Stelle des vorigen Gleichgewichts der be-
kannte Streit In der falschen Quinte. Würde nun die
Unterstimme eben so hoch sich erheben, wie In Fig. 44^;
so wäre der Gleichheit In demselben Übergänge Streit
gedroht und Gleichgewicht eingeräumt. Dies wird
Fig. 44<^ vermieden durch Erniedrigung der Unterstimme
in eine tiefere Octave; zum Zeichen, dass es bloss dar-
auf ankam, die Gleichheit nicht wachsen zu lassen;
und ebenfalls wird es Fig. 44*^ vermieden, indem die
Oberstimme sich theilt, während die Uuterstlmme ruhet ;
zum Zeichen, dass nur der Übergang soll vermieden
werden, worin einerley Paar Stimmen mit sich selbst
in ^yiderstreit geratheu würde.
131. Zusatz. Bleiben die Fortschreitungen inner-
halb der Distanz einer Quarte, — wie wenn ein paar he-
120
uaihbarle kleine Terzen, oder ancli eine grosse Terz
einer kleinen Iblgt, — oder sind es Quarlcu, die ein-
ander folgen : so bleibt man auf eine oder andre Weise
iu dem Bezirk, >voriu von einem gegebeneu Pimcle
nach einer Seite hin die halbe Gleichheit ^^•irksam ist.
Dass alsdann die Folgen der streitenden Gleichheit
nicht entstehen können, w'n\\ keiner -sveilern Erläute-
rung bedürfen.
Alhjemcinc Anmcvkuuijcn.
A. Thatsächliches.
Ein Gelehrter, der die Tonkunst theoretisch inid
praktisch kennt, hat folgendes mitgethellt:
„Achte Erfahrungen des ästhetischen Ifrlheils über
Tonverhältnisse werden gemacht bey dem zwey - und
mehrstimmigen Gesänge ohne Instrumental -Begleitung ;
vorausgesetzt, dass die Sänger reine Ohren und
Stimmen haben , ohne durch akustische Berechmnigen
der Intervalle zu vorgefassten JNIeinungeu bestunmt zu
seyu. Die Unterschiede sind zu klein, als dass nicht
JMeinuugen, wo sie einmal vorhanden sind, auf ihre Be-
urtheilung einen Einlluss ausüben sollten. Die folgen-
den Bemerkungen gelten nur unter jener Voraussetzung".
„1. Cis ist höher als des, äis höher als es, u. s. av.
Es gilt dies von jedem zufällig crhöbetcn und zufällig
erniedrigten Tone, wenn beyde auf dem Clavier die-
selbe Taste haben".
„Dem Scheine nach macht folgendes Beyspiel hievon
eine Ausnahme. IMan nehme a.\d fis den Sext-Quinten-
Accord mit der falschen Quinte und grossen Sexte (//*,
a, r, dis , Fig. 45). JNIan lasse nun , während die drey
übern Stimmen auslialleu, fis in / herabsinken; imd
121
gclie von da zum Soxl-Quartcn-Atconl auf c (r, a, c, e,)
>vclchem der reine Aecord \ün c ihir lolge. Hier Tühll
der Sänger der tielslen Summe eine Surge, das aui Jis
iülgende / ja liocli genug zu singen. Hingegen in einem
andern Falle ist von dieser Sorge keine Spur mehr 7ai
l'ühlen. ]Man l^eginne nämlich mit dem Secunden-Ac-
corde auf ^e^, ^vekhem mit obigem Sext- Quinten - Ai-
corde von Jis die gleichen Claviertaslen gehören , [ges,
a, c, es, Fig. 4(3j; lasse nun ges in /herabsinken, und
schliesse in b diir. Hier könnte man erwarten, dass
der Sänger um desto eher besorgt seyn würde, das /
hoch genug zu trelfeu, weil ges tiefer ist ah Jis ; daher
denn das auf ges folgende / leichter zu lief werden
könnte, als im Ijbergange von fis zu/. Allein diese
Besorgniss bemerkt mau ulcht".
Es dürfte nicht schwer seyn , den Grimd liievon zu
finden. ]Man sehe zurück auf das, was oben von der
Veränderung gesagt woi'den, welche sich schon Ijeym
reinen Accorde ereignet, wenu zu ihm die kleine Sep-
time trit, also wenn die grosse Terze sich in den Leil-
ton verwandelt. Diese Terze bekonnnt dadurch ein
tjbergewicht ; sie strebt, sich zu erNveileru. AYill der
Sänger diesen Effect nicht hervorbiüngen , (und im
ersten der angegebenen Falle darf er es nicht,) so nniss
er sich hüten , den Grundton (im Beyspiele das /) zu
tief zu nehmen; daher jene Sorgfalt, es ja hoch geiuig
zu treffen; denn sonst könnte nicht der Sext-Quarten-
Accord von e folgen, wie doch geschehn soll. Umge-
kehrt, wo der Sclduss in b dur beabsichtigt wird, da
Süll a der Leitton werden; also muss /tief genug gc-
nonunen werden, und wird so geuonuneu, obgleich es
auf ges folgt.
122
„2. Eine ähnliche Sorge, wie im obigen ersten Falle,
empfindet der Sänger, wenn er eine IMoll - Tonleiter
herabsingend dabey den übermässigen Secundensprung
anbringen soll; z. B. a, gis, f, e u. s. w. Auch hier
liegt ilim daran, das / hoch genug zu nehmen".
Dieser Fall ist vom vorigen verschieden, ungeachtet
der anscheinenden Gleichartigkeit. Hier kommt ein
Leitton nur in so fern in Betracht, als rückwärts vom
Hauptton zum Leitton herabgegangen war. Vorausge-
setzt nun, man habe gi's hoch genug zu nehmen sich
bemüht, so könnte, wenn darin zu viel geschehen wäre,
die Distanz von gi's zu / eher zu gross als zu klein
werden. Nach unserer obigen Angabe (84) soll die
verminderte Septime genau -J der Octave (anderthalb
falsche Quinten), mithin die übermässige Secunde nicht
mehr als ^ der Octave betragen. Hierauf können wir
folgende Berechnung gründen: Mau nehme gis, wie es
seyn niuss, als grosse Terze von e, der reinen Quinte
des Grundtons; zu welchem die Scala heruntergeht.
So ist der Gegensatz der grossen Terz z= 0,33333 . . .
vuid der reinen Qiüute z=: 0,58578 zu addiren, um die
Höhe des Leittons gis n:: 0,91911 zu finden. Hievou
abgezogen ^ z::^ 0,25 ergiebt nun 0,66911 für die Höhe
des Tons /, Eben dieses /, als kleine Sexte des Haupt-
tons, hat die Höhe = 0,66666 (man sehe oben 38).
Der Sänger, wenn er genau um eine übermässige Se-
cunde herabsteigt, wird also noch nicht ganz die kleine
Sexte, oder untere grosse Terz des Haupttons, erreichen,
und es wird scheinen, als hätte er sich gefürchtet, sie
zu tief zu nehmen, weil er sich hütet, die übermässige
Secunde zu übertreiben. Die Beobachtung ist eben so
richtig als fein. Nähme man auch die vcrnüuderle Sep-
123
tiDie für die Summe einer falschen Quinlc und eiiier
solchen kleinen Terz \vie im reinen Accordc (48), also
0,5 -j- 0,2486 rzz 0,7486, demnach die übermässige Se-
c»inder=0,2514: so käme doch, dies vom Lcillon al)-
gezogen, noch immer 0,0677 für jenes /; millüu iimner
noch mehr als 0,66666.
„3. Säuger von geringer Reizbarkeil, denen also
Ruhe ein grösseres Bedürfuiss ist, als Bewegung, ■ —
nehmen die grossen Terzen meistens zu stumpf, so dass
ein bedeutendes Sinken, eine Unreinheit beynx Forl-
schritt unvermeidlich wird. Z. B.
e f d e f
c a b g a
Nach einer solchen Folge von Terzen und Sexten
kann die letzte Sexte {f ci) fast schon um i Ton zu
tief geworden seyn, wenn die zweite Stimme der ersten
im Sinken folgt. Sank sie aber nicht uiit, zwang sie
vielmehr die erste Stimme, schon beym ersten Fort-
schritt von e zu /, das / rein zu nehmen, so wird eine
misfällige Rückung fühlbar, indeju der halbe Ton e f
zu gross wird. Sänger von viel I^eizbai^keit , die auch
zum Beschleunigen der Bewegung geneigt wären, neh-
men die grossen Terzen immer scharf; doch selten hö-
her als die gleichschwebende Temperatur sie giebt."
Das obige Beispiel enthält zweymal den Fortschritt
vom Leittou zum Hauptton ; dabey dürfte wohl eine
Art von natürlicher Nachlässigkeit im Spiele seyn, mit
der man gewöhnlich auch im Vortrage den Hauptton
behandelt, wenn er dem Leitton, der ihn schon auniel-
deto, nachfolgt. Er wird hart, wenn man ihn eben
so stark hervorhebt, als den Leitton.
„4. Im INIoll-Accorde wird der Grundton leicht
124
zu tief genommen; uud es ist nicht die kleine Terz,
sondern die Quinte, welche ihn veslhält; vielmehr drängt
die kleine Terz ihn abwärts, indem er zugleich von
der Quinte rein erJiailen wird. (Dies ist nichts als Er-
fahrung, und für die trübe AVirkung des jNloll-Accor-
des liegt kein anderer Erklärungsgrund näher.) Das
Obige ist am fiihlbai-sten in Sätzen von solcher Art,
wo zuerst nur der Gruiidton , dann hinzutretend mit
ihm gleichzeitig die kleine Terz, und zu beyden hinzu-
kommend, gleichzeitig die Quinte vernommen wird."
Diese wichtige Bemerkung bestätigt das, was oben
vom Unterschiede des IMoU vom Dur gesagt worden, so
auffallend, dass es scheinen wird, die Theorie (in 40J
sey aus der Erfahrung geschöpft. Gleicliwohl sind die
vorliegenden rein praktischen Bemerkungen erst mitge-
thcilt worden, nachdem der Druck dieser Blätter schon
begonnen war. Folgendes gehört noch dazu:
„5. IMischt sich dagegen, etwa durch den Sinn der
untergelegten AA'orte, der Affect der Trauer in den Ge-
sang, dann wird nicht bloss die kleine Terz leicht zu
tief genommen, sondern auch der Sauger der tieferen
Stimme hält den Grundton gern dagegen vest, in so fci'u
er den Affect theilt. Bleibt er aber gleichgültig und
sorglos, dann lasst er sich abwärts drängen; und die
Quinte muss ihm folgen, wenn der Accord nicht völlig
unerträglich werden soll. IMerkwürdig ist, dass, wenn
Griuidton und Quinte rein bleiben, und die kleine Terz
luitcr den angeführten Umständen hcrabgedriickt wird,
die nun zu scharfe grosse Terz (es g in dem Accorde
von c Moll) nicht bemerkt wird, ja die Wirkung zu be-
^iünstisen scheint."
..6. Ich liörle cliisl folgoudc ("adrii/, :
h a
f
8 f
f
in sehr laugsamer Bewegung dimmuendo so vortragen,
(auf Bogen -Instrumenten,) dass der erste Geiger sein
h ins a, der zweytc sein e ins /, alhnählig überiliessen
Hess; was mir aus mehreren Gründen das giösste IMis-
fallen erregte; besonders aber deswegen, weil es e i-
nen jMoment gab, in welchem a nicht mehr als
Auflösung der \orhergehenden Septime b erschien;
und der f dur Accord, zwar mit freundlichem Gesiclit,
wie ein Fremder in die Gesellschaft trat, die ihm
seine Freundlichkeit nicht gleich erwiedern konnte."
Sprechender konnte wohl kein Ausdruck gewählt
werden für das, was oben über die Abstumpfung der
Dissonanz, ohne Gewinn einer wahren Cousonanz, ge-
sagt worden, wenn die allgemeine Bedingung der Har-
monie, aber durch unreine Intervalle, erfüllt wird. (G6. 67.)
F.s folgt nun eine Bemerkung über consccutive reine
Quinten, womit man zunächst Fig. 43 4 , dann aber vor-
züglich Fig. 47 vergleichen mag. Der Fortschritt vom
zweyten zum dritten Tacle war von geübten Ohren
neu und ausserordentlich schön gefunden worden. Das IJr-
theil änderte sich nicht, als auf die Quinteufolge hin-
gewiesen wurde. Darin liegt eine Bestätigung zum Obi-
gen (in 125). Lbrigeus werden liier die Quinten desto
eher bemerklich, weil die Altstimme den Grundton ver-
doppelt. Es wäre leicht, sie noch weniger misfallig zu
machen, wenn der Alt in es ginge, und darnach die
126
weitere Tonfolge sich riclitele, welches tlurcli einige
Al)anderung des Tenors gescheliu könnte.
Hier mag niin noch eine Erinnerung an durcligelientle
\oten Plalz finden, und an das, womit ihre INIöglich-
keit in Verbindung steht, nanilich die Bestimmungen
der Starke und der Zeit (sowohl des Eintritts als der
Dauer) der Töne.
Durcligehende Noten gehören nicht der vorliandenen
Harmonie, sondern der Melodie einer einzelnen Stimme.
Der Hörer soll also nicht alles Gleichzeitige zusammen-
fassen, sondern er soll den Gang jeder einzelnen Stimme
für sich verfolgen. Das wird zwar leicht, und ist leicht
begreiflich , wenn der Klang der Stimme verschieden ist,
wie etwa der Klang der Hoboe und der Geige; aber
diese Voraussetzung passt nicht überall. Singstimmen,
Bogen- Instrumente, selbst Blas -Instrumente sind, jede
Gattung für sich genommen, nicht immer deutlich ver-
schieden; die Tasten des Forte -Piano geben vollends,
wenn eine Fuge gespielt wird, keine Hülfe, damit dein
Zuhörer die Unterscheidung der Stimme, worauf docii
sehr gerechnet Ist, erleichtert werde. Nun gelingt dies
zwar dem Ungeübten sehr schlecht, aber schon damit
es eine Möglichkeit der Übung gebe, müssen durchge-
hende Noten wenigstens in Einer Stijnme sich leichter
mit den Hauptnoten dieser, als der übrigen Stimmen,
Yei'binden. Dabey kommt es zuerst daranf an, dass die
durchgehenden Noten den Hauptnoteu nahe, gewöhn-
lich dazwischen (im Durchgange) liegen. Ferner ist
hier die Geschwindigkeit der Bewegung sehr wesentlich.
Anfänger im Spielen eines Instruments, die nur lang-
sam fortkönnen und oft stocken , finden die vortrefl-
lichsteu Musikstücke voll unerträglicher Disharmonie,
127
McIl sie den diircligcliertden Noten zu viel Daner geben,
und denselben gestalten, in die Auffassung der Harmo-
nie einzugreifen. Also: Beym richtigen Vortrage ver-
sclinielzen die durchgehenden Noten nur mit den Ilaupl-
ncften der Stimme "Nvozu sie gehören ; dies geschieht
schnell, denn die Verschmelzung "wird durch die Nahe
])egünstigt ; sie verschmelzen nicht (oder doch nur un-
iH'deutend -wenig) mit den entlerntern Tönen der an-
dern Stimme, denn dazu würde mehr Zeit gehören als
man ihnen liisst. So ists meistens ; und abgesehen von
solchen Fällen, wo die Sonderung der Stimmen entweder
al)sichtlich erschwert und verzögert , oder nur dem Ge-
übten zugemuthet wird. Jedenfalls tragen die durchge-
henden Noten dazu hey , ein allzulangsames Tempo zu
verbieten. *)
*) Der gelehrte Freund, von welchem die obigen Bemerkun-
gen herrühren, hat unmittelbar vor dem Abdruck tlicses Rogens
noch Folgendes nachgeliefert, was nicht füglich mehr in den Text
kann verwebt werden:
,, Vorhalte, durchgehende Noten, Orgelpuncte, treffen darin
zusammen, mehrere, in sich vollständige INIelodien lu einem Gan-
zen zu vereinigen. Den Begriff des Orgelpuncts muss man der-
gestalt erweitern, dass er nicht bloss am Schlüsse eines Stücks,
sondern auch in der Mitte, und allenthalben angewandt werden
dürfe, und dass der liegende Ton nicht bloss im Basse, sondern
in jeder beliebigen Stimme sich finden, ja gän/Jich fehlen dürfe;
zu welchem allen J. S. Bach die Beispiele liefert."
„Ein in sich vollständiger melodischer Satz ist eine Reihe von
Tonvorstellungen , in welcher nicht bloss die einzelnen Glieder
innig mit einander verschmolzen sind, sondern es gesellt sich auch
noch zu den wirklich klingenden Tönen eine blosse Ton -Vor-
stellung, nämlich die von dem Ziele, wohin der melodische
Satz eilt, und welches bald nach dem Anfange der Reihe nicht
mehr iweifelhaft ist. Diese Vorstellung als blosse Vor -Ahnung
von dem Ziele, schliesst sich, sobald sie hervorgerufen ist, jedem
Gliede der melodischen Reihe an , und wird durch jedes folgende
128
Der rldiüge Vortrag — ille Bedingung richtiger
AuiFassnng, — erfodert ferner solclie Unterschiede, die
sich theils auf die Starke und Schwäche, theils auf die
Dauer der Töne beziehn. Nicht bloss das sogenannte
Forte und Piano für ganze Theile der grössern musi-
kalischen Perioden, sondern die Stärke und Schwäche
Glied verslürkt iiiid voi-(l(:ut!icht , Ms sie am Schhisse wirklicli in
<lIo Wiilirnchnumg einifit. Sie ist glelclisam im Zuslande «ler
lJcgiei-(le, die ihrer Befriedigung bis /.um Schlüsse immer iiälicr
kommt, und die also einen immer stärkeren Rei?. erliäU. — Sol-
cher Reihen von JMelodien können melirere gehlldet werden, die
alle nach demselben Ziele streben, in denen also dieselbe vorge-
fiihlte \ orslelliing. sich jedem Gliede stets verstärkt anschliesst,
und wodurch alle diese verbundenen Reihen mit einander harmo-
nlren ; besonders wenn sie so gebildet sind, dass der Reiz des
Wachsens jener gemeinsamen Vorstellung auf die gleichzeitigen
Glieder der Reihe trifft, und durch das harmonische Zusammen-
treffen noch gesteigert wird. — Nun braucht aber jenes Ziel
nicht ein einziger, nicht derselbe Ton zu seyn , sondern es liegt
nahe, dafür etwa den Accord der Tonica zu nehmen. So strebte
dann der Sopran zur obern Octave, der Alt zur Quinte, der Te-
nor zur Terz, und der Bass zur Prime. INIachen nun die Melo-
dien sich gellend als vollständig verschmolzene A'orstellungsreiheu,
dann verschwindet das ästhetische Rediirlhiss ungetrübter Harmo-
nien von den einzelnen lusammentrefienden Puncten ; und das
l rtlieil ist nicht auf das Verweilende gerichtet, sondern auf das
zum gemeinsamen Ziele Forteilende. Alles Ist, mit einem Worte,
melodisch ; und selbst das Harmonische wird nur in diesem Sinne
gedacht, nämlich als vorwärts drä'ngend.
„Eins der rcichslen Beispiele vom Oigelpuncte befindet sich
In einem Vorspiele vcm J. S. Bach auf dem Choral: ^ om llim-
mel hoch da komm Ich her."
(Man sehe, am Ende der beyliegenden Tafeln, A und B.)
„a. Erste Strophe. b. .\hnlich der umgekehrten ersten Stroph'e.
c. Zwevte Strophe ; d. Dritte Strophe. e. Ahnlich der umge-
kclirten ersten Strophe. f. Letzte Strophe, luid die untere Terz
derselben ähnlich, g. Ähnliche erste Strophe."
,, liier sind also alle Stropiien einer Choral-Meloilie fast gleich-
zeitig über einem liegenden Basse zu einem fünlstimmlgen Ge-
129
einzelner Noten koninit hier in Pjclraclit ; iibcrclicss
Avollen einige gestosscn , andi-c gelullten und z.mveilen
selbst gedcliiit, einige sorgfältig verbunden, andre ge-
trennt seyn. ITier kommen auch Quanliläls- Bestim-
mungen zum Vorschein; aber diese Quantitäten sind
von ganz andrer Art, als jene der Intervalle und Ac-
corde; luid die Beslininuuigeu sind nicht so scharf,
nicht so leicht zu verletzen \vie jene. Kia jMusikslück
niisFällt darum noch niclit, wenn auch etwas an dem
Licht und Schatten fehlt, was der Vortrag hineinbrin-
gen sollte. Es ist hier wie bevm Vorlesen ; wer deut-
lich lieset, wird iu)ch verstanden, obgleich an dem Ac-
cent, am Hervorheben der ITauptworle, an BeoI)acliUiug
der Interpxniction u. s. w. vieles vei'misst werden möge.
Die Gedanken können die nämlichen bleiben, ob auch
einer oder der andere mehr oder minder Im Bewusst-
snnge vereinigt. Der Rass ist lilor noiliwendig, weil die vier ge-
gebenen Melodien, selbst in ^'el•bindnng mit der fiinften Stimme,
sich auf den Scbluss - Accord nicht stark genug beziehen, um die
Vorstellung von ihm früh genug /.u erwecken; er muss also in
seinem Grundtone sich wirklich hören lassen. Harmonisch l)e-
trachtet ist nun in diesem Satze des INlisfälligen genug ; aber die
N'erelnigung mehrerer in sich geschlossener Melodien drängt sich
zum gemeinsamen Schlüsse; man muss nur die iNIelodien bestimmt
und deutlich genug im Sinne haben".
„Auf das Tempo kommt weniger an, als man glauben sollte.
Jenes Beyspiel soll in dem grossen Räume einer Kirche verständ-
lich werden: man muss es also langsam spielen. Von den Achteln
dürfen höchstens 80 auf die Minute gehn. Indessen ist in den
so verbundenen Ton- Vorstellungen eine bestimmte Unruhe; die
ein gewisses r>Iaass der Bewegung hat, welchem das gewählte
Tempo nicht widersprechen darf. Eine zu grosse Langsamkeit
könnte, wenn ein sehr starkes Drängen zum Ziele in den ver-
bundenen Reihen fühlbar wäre, den Zuhörer zur ^'erz^vciflung
bringen".
I
130
soyii Jicrvürirc'to. So bleibt ein Accord der nämliche,
üb nun die Qiünle, oder die Terze , oder die Oclave
lauter gesungen werde. Die Septime soll freylich da,
wo sie am rechten Platze ist, deutlich angegeben wer-
den, und hinreichend zu hören seyn, damit sie nicht
bloss als Slöinnig des reinen Accordes, sondern als trei-
bend zur Auflösung vernommen werde; aber wenn
auch dagegen gefelilt würde, der Septimcn-Accord bleibt
doch iniverändert ; er hängt nicht ab von der Stärke
oder Schwäche einzelner Töne.
Dagegen hängen mit dem Vortrage sehr wesentlich
die Gemiilhs -Zustände zusammen, welche beym Zuhö-
rer entstelui. Dies gilt, wie beym Vorlesen, so auch
l)ey der Musik. Sie verliert grossentheils ihre so oft
bewunderte Gewalt, Airecteii zu erregen und zu be-
sänftigen, zur Freude oder zur Trauer zu stimmen,
wenn man sich begnügt, die Töne bloss rein und tact-
mässig vorzubringen. Diese Gewalt liegt mehr in der
Melodie , als in der Harmonie ; sie ist anders bey der
Flöte als bey der Geige; sie ist stärker bey der Slng-
slimme als bey irgend einem Instrumente ; sie wächst
ihells durch die Kunst des Gesanges, theils durch die
Anzahl der Singstimmen.
Nichts desto weniger würde mau der IMusik ihre
Basis entziehen , wenn man die Harmonie wegnähme ;
denn schon die einfachste Melodie, von einer einzelnen
Stimme ohne Begleitung vorgetragen, setzt voraus, dass
eine Harmonie liinzugedacht werde, wodurcli die Inter-
valle, welche der Gesang durchläuft, ihre Bedeutung
erhallen.
]Mit der Erwähnung der Airccleu aber, welche von
IM
der JMusIk erregt werden köiiiien, eröffnet sich i'iii
Blick auf das Ganze der Psychologie. Denn die INIiisik
steht hier niclit mehr in ihx'cr Eigenthümlicldveit allein.
IJie nämlichen Aü'ecten können ganz andre Ursachen
haben. INlan mag nun überlegen, worin das Gemein-
schaftliche aller solcher Ursachen bestehe, was sich in
der Gleichartigkeit ihres Wirkens zeigt. Damit können
wir uns hier niclit beschäfftigen ; genug, Nvenn wir an den
Unterschied des Dur und JMoll, an die innere Unruhe
aller andern Accorde ausser dem reinen, an das Trei-
bende der Dissonanzen, an halbe inid Trugschlüsse, an
die solchergestalt gespannten und immer veränderten
Erwartungen, an Kühe und Bewegung, an die Ver-
schiedenheit der Bewegung beym Contrapunct erinnern j
welches y\lles zu den ersten Bedingungen gehört, ohne
welche die IMusik jene Gewalt über die Alfecten nicht
besitzen würde. Etwas Analoges muss überall vorkom-
men, wo Affecten erregt werden ; und die letzten Gründe
davon können denen, die wir in der JMusik nachge-
wiesen haben, nicht ganz ungleichartig seyn.
Damit ist aber nicht gesagt, dass man nun andre
Gegenstände der Psychologie eben so behandeln solle,
wie wir hier die IMusik behandelt haben. Wenn ander-
wärts die Zustände, worLn die Vorstellungen sich durch
ihre Unterschiede versetzen, anders geartet sind,
wenn daraus auf andre Weise Ruhe und Unndie, Ei-
wartung und Täuschung, Autrieb und Befriedigung ent-
springt: so hat man erst die Eigenthümlichkeit solcher
Zustände zu erforschen, bevor man die Untei'suchung
in Gang setzt, die sich darauf beziehen soll. Welche
Behutsamkeit dabey nöthig sey, wird einigermaassen
schon aus dem Folgenden erhellen.
r
132
B. Theorellsclie Bemerlamyen.
Wir wollen jetzt auf die Grundlage unserer Unter-
suchung einen Rückblick werfen. Als Ankniipfungs-
punct mögen die Farben dienen. Gesetzt, es wolle Je-
mand die Farben auf ähnliche Weise, wie die Töne,
In Betracht ziehn, so wird er zuerst die Frage auf den
Hemmungsgrad zweyer Farben richten müssen.
Iliitlen w^ir nicht die Octave als die Distanz voller
Hemmung unter zwey Tönen gekannt, Innerhalb welcher
Distanz die merkwürdigen Puncte aufzufinden
seyn miisstcn, welche das ästhetische Urlheil auszeich-
net, weil in ihnen die Hemmung l^esonderc Kigenhelien
gew'Iunt : so w ürde die vorstehende Untersuchung kei-
nen Anfang gefunden haben. Es wäre dann nicht mög-
lich gewesen, die allgemeinen Begriffe, der Hemmungs-
smnmc, des Hemmungs -Verhältnisses , der Schwellen
u. s. f. darauf anzuwenden. Wussten wir dagegen, dass
z. B. die falsche Quinte dem Grundton halb entgegen
nnd halb gleich ist, dass überdies die Gleichheit aus
zwey Vorstellungen Eine macht, so sahen wir nicht
bloss überhaupt den Streit des Verelnigens und des Un-
vereinbaren, sondern auch das Beharren In diesem
Streite zwischen drey Thellen , deren keiner stärker Ist
als der andre. Wussten wir, dass die reine Quinte
nahe ein Zwölftel Gegensatz mehr, mithin ein Zwölftel
Gleichheit Aveniger als die falsche Quinte, in sich trägt,
so konnten wir nach schon vorhandenen Formeln den
Sieg der Gegensätze über die Gleichheit finden ; womit
das Gefühl der Selbslstaudigkelt beyder, um eine i'clne
Quinte entfernten Töne genau übereinstimmt. Auf
ähidiche Weise konnten wir auch die andern merkwür-
digen Puncte nicht nur finden und bestimmt anzeigen,
133
soutlcru auch uacliwelseu, woilu die Kiyeiilhiimlichkeil
eines Jeilcu besiehe; wiihreiul andre Puncle der Tou-
linie keine besondre Auszeidinung besilzeii. Siihe man
aber zwey Rosen, eine weiss, die andre iölhlich, so
würden zNvar die Farben durch ihren Unlersthied ein
Gefülil hervorbringen, indem irgend ein Grad der
Gleichheit und des Gegensatzes in Conilict träte: allein
so lange man nicht angeben kann, welcher Grad der
Gleicliheit und des Gegensalzes, ist hier keine Unter-
suchung möglich , wenn man auch den weit wichtigem
Unterschied der Gestalt, also der Raum- VerhäÜnisse,
die von ganz andrer Art sind, bey farbiglen Gegenstän-
den beseitigen könnte.
Wir wissen bis jetzt nicht, ob die reinen Farben,
roth, blau, gelb, paarweise genommen, einen vollen
Gegensatz, wie die Oclave, ausmachen; wir wissen nicht
eiimial das reine roth, blau, gelb, bestimmt nachzu-
weisen. Soviel ist klar, dass , wenn reines roth und
reines blau etwa noch nicht den Gegensatz der Oclave
erreichen sollten, er dann auch, voju Rolhen zum
Blauen fortschreitend, nicht mehr jenseits des Blauen
erreicht werden kann , weil es über das Blaue hinaus
keine Fortsetzung der Entfernung vom Rothen zum
Blauen mehr giebt. Das ganze Conllnuum der Farben
ist anders beschaffen als das der Töne.
Um die Sache näher zu beleuchten, nniss man zu-
riickgehn auf die charakteristische Eigenthiimlichkcil der
Oclave (11). Diese lasst sich in allgemeinen Begrillen
denken, ohne Rücksicht aid" Töne; aber die ßegrille
linden in der Erfahrung keine andre Anwendung, ausser
nur auf Töne. Der allgemeine Gedanke lüssl sich ehva
so ausdrücken:
134
1) ürey Vorslelluiigen , V, Q, R, sollen so be-
sclialTeii seyn, dass, ^veiin Q näher au R rückt, es sich
xnn eben soviel von P entferne. Die drey Vorstellun-
gen sollen also in einem qualitativen Continuum liegen.
Annäherung ist hier ein Übergang, dessen Fortsetzung
zur völligen Gleichheit führt ; die Continuität aber liegt
darin, dass bey der Entfernung die Gleichheit nie plötz-
lich verloren geht, sondern, indem sie sich vermindert,
der Gegensatz allmählich wächst. Hieraus folgt:
a) Der abnehmende Gegensatz des Q gegen R
bildet einen zunehmenden Gegensatz des O gegen P;
und eben so die Avacliscnde Gleichheit des Q mit R
eine abnehmende Gleicliheit des Q und P.
h) Erstreckt sich die Gleichheit mit P über O
hinaus, so, dass R noch Antheil habe an derselben, so
ist dieser geringere Antheil enthalten in der grössern
Gleichheit des (> mit P.
c) Desgleichen, wenn umgekehrt die Gleichheit
mit R sich über Q hinaus erstreckt , so dass P noch
Antheil daran hat , so liegt dieser Antheil in der grös-
sern Gleichheit des Q mit R.
d) Also begegnen einander die beyden Gleich-
heiten in Q ; und ein Theil von Q kann angesehen
werden als gemeinsame Gleichheit sowohl mit R als mit P.
e) Wenn hingegen diese gemeinsame Gleichheit
in {) verschwindet: dann ist auch keine Gleichheit zw^i-
schen P und i? ; sondern zwischen beyden reiner und
vollkommner Gegensatz.
2) O soll einen ästhetischen Charakter durch R be-
kommen , imd dieser Chai'akter soll von der Distanz
des Q und /{ allein abhängen; dergestalt, dass er mit
der Voränderuiiii dieser Distanz sich verändere.
138
3) Der Uslhelische Charakter des O soll am li (UulIi
P bestiiniul werden können.
4) Q wird in beyden Fällen in Gleiches und Ent-
gegengesetztes gebrochen ; es fragt sicli nun , ob seine
Gleichheit mit P etwas gemein hat mit der andern
Gleichheit zwischen Q und R.
5) Findet eine gemeinsame Gleichheit (ci) wirklich
statt, so liegt diese gemeinsame Gleichheit zwischen
zwey Gränzen, deren eine durch R, die andre durch /'
bestimmt wird. Daraus folgt:
a) die beyden Brechungen sind veischicden;
also auch die ästhetischen Charaktere.
b) P und R sind nicht in vollem Gegensatz, son-
dern es giebt zwischen ihnen noch einige Gleicliheit.
6) Verschwindet dagegen die gemeinsame Gleichheit,
so fallen deren Gränzen zusammen. Daraus folgt :
a) Beyde Brechungen, sowohl durch P als durch
R, ergeben einerley Theilung des Q; und hiemit eiuer-
ley ästhetischen Charakter desselben ;
b) P und R sind alsdann im vollen Gegensalz,
mid es giebt zwischen ihnen keine Gleichheil.
7) Beyde eben angegebene Folgen (a imd b) llies&en
dergestalt aus Einem Grunde, dass wenn auch die ge-
meinsame Gleichheit sich nicht abgesondert zu erkennen
giebt, daim doch aus dem gleichen ästhetischen Charak-
ter, welcher durch Brechungen von entgegengesetzten
Seiten her in Q entsteht, auf den vollen Gegensatz
zwischen P und jR zu schliessen ist.
So weit die allgemeine Darstellung ohne Ijeziig auf
Töne und Farljen. Nimmt man P für einen beliebigen
Ton, R für dessen Octave, Q für irgend einen mittlem
Ton zwischen beyden , so kann man veigleichen . was
13(5
üben (11) schon kurz gesagt Avar. Dort wurde» Q, ei-
gentlich eui Punct in der Tonliule, unter dem liilde
einer Linie vorgestellt, auf welcher man Gleiches und
Entgegengesetztes sowohl mit höhern als mit tiefern
Tönen abschneiden könne. Wäre zwischen P und li
eine kleinere Distanz als die Octave, so würde das,
was Q mit dem einen und dem andern gemein hat, in
einander greifen, wie in Fig. 10 bey derjenigen Quer-
linie, welche den Ton e als gebrochen durcli das liefere
c und das höhere g vorstellt ; wo die gemeinsame Gleich-
heit zwischen den mit c und mit g bezeichneten Tliell-
slrichen Hegt. Soll die gemeinsame Gleichheit ver-
schwinden, so muss man für P imd R solche Töne neh-
men, die unter sich eine Octave bilden. Erfahriuigs-
mässlg gegeben ist nun zwar nicht diese bildliche Dar-
stellung, wohl aber der gleiche harmonische Charakter,
welcher dem mittlem Tone durch den hohem sowohl
als durch den tiefern zu Thell wird, sobald dieselben
unter einander eine Octave ausmachen. Durch diese
EInerleyhelt des harmonischen Charakters wird bekannt,
wie viel Ausdehnung nach entgegengesetzten Seiten mau
einem Tone beilegen müsse , um seine Gleichheit und
seinen Gegensalz gegen einen andern Ton richtig abzu-
theilen. Dass man alsdann die Gleichheit, negativ ge-
nommen, zum Gegensatze addiren, oder als dessen Er-
gänzung beti-achten könne, versteht sich von selbst.
Jetzt aber nehme man Farben anstatt der Töne. IMan
kann zwar dieselben so annehmen, dass deren drcy in
gerader Linie liegen; Avie z. ]'. Grün dem Gelben desto
näher liegt, je weiter es vom Blauen entfernt ist. Auch
bekommt Grün einen ästhetischen Charakter; w'enn
Blau, oder wenn Gell) daneben slclilbar ist. Allein Nie-
137
maiul ^Yil■^l sagen, dass aus irgend Nvelclien Ziisanimcn-
slellimgen dieser Art die Ein crley h eit des aslheli-
sclieu Charakters für eine mittlere Farbe entstelle, wenn
von entgegengesetzten Seilen her ein paar
andre mit ihr verglichen wei'dcn. Wenigstens ist nichts
Ahnliches bekannt; ^vährend die verschiedenen Lagen
eines und desselben Accordes, und die damit verbunde-
nen Umkehrungen der Intervalle zu den bekaruiteslcn
Dingen gehören. Jede solche Umkehi'ung versetzt von
zweyen Tönen einen um eine Octave höher oder tiefer,
während der Accord im Wesentlichen der nämliche bleibt.
Noch mehr ! Bey gleichzeitiger Auflassung zwcyer
Farlien ist immer ein Auseinandersetzen im Gange; man
kann nicht z\vey Farben an Einem Orte sehen. Bey
gleichzeitigen Tönen alier giebt es kein Auseinander-
setzen (es wäre denn die Unterscheidung der Stimmen
in der Reflexion des geübten JMusikers). Hier würde
Derjenige, der von gesonderten oder imgesonderten
Theilen einer und der andern Vorstellung spräche, wenn
er daraus Einwürfe gegen uusre Theorie ableiten wollte,
nicht weit kommen; denn die Töne eines Accordes durch-
dringen einander; untl die Sonderung der geschriebenen
Noten in ihren fünf Linien ist keine Trennung der Voi'-
stellungen, wenn die Töne ins Ohr fallen, oder besser,
wenn sie im Geiste ihre harmonische Wirkung ihun.
Dagegen würde man nicht ganz ohne Gi'und bey Farben
die JMöglichkeit, dass deren Vorstellungen einander
dui'chdringen könnten, bezweifeln — oder vielmehr be-
schränken , obgleich bei weitem nicht ganz ableugnen
können. Demi wenn verschieden gefärbte Puncte ein-
ander gar zu nahe liegen, so glaubt man eher eine mitt-
lere Farbe, als ein Verhällniss >Yahrzunehmen. Dem
138
Auseluaudersetzen miiss einiger Spielraum gestattet wer-
den, welches allerdings einer ganz vollkommenen Durch-
dringung einigen Alibruch thut. Übrigens wird ganz
unleugbar eine Harmonie der Farben oft genug empfun-
den; und höchst wahrscheinlich wüi'de mau zu bestimm-
teren Resultaten, als bisher bekannt sind, durch geord-
nete Versuche gelangen, wenn dieselben von richtigen
theoretischen Gesichtspuucten ausgehend geleitet wären.
Fände mau unter Farben einen ähnlichen Übergang von
Verhältnissen, wie jener aus der falschen Quinte in die
reine, von da in die Sexten u. s.w.; so hatte man hie-
mit Bestimmungen der Hemmungsgrade; und von da
aus könnte man hoffen weiter zu kommen; nämlich
durch continuirliches Abändern der Verhältnisse; wozu
allerdings die Geduld und Genauigkeit experimentireu-
der Physiker, verbunden mit dem scharfen Blicke eines
geübten IMalers gehören würde. Vielleicht finge man
sicherer mit Zusammenstellung dreyer Farben an, als
mit zweyen, um nämlich die erste Spur der Untersu-
chung zu gewinnen. Denn darin scheinen (wie mau
bey bimteu Blumenbeeten und ähnlichen Gegenständen
leicht bemerkt) die Farben den Tönen ähnlich zu seyn,
dass die einzelnen Vorstellungen doppelt gebrochen wer-
den müssen, um ein lebhaftes Gefühl des Schönen her-
vorzurufen. Alsdann hätte man rückwärts die Paare
zu untersuchen, welche in der harmonischen Ternion
von Farben lägen ; nämlich um die richtigen Intervalle
zu bestinmien.
Wir wollen hier eine Vermuthung wagen. Zwi-
schen je zwey möglichst reinen Farben , in deren Un-
terschied sich nichts vom Schwarz und AVeiss
139
ciiiiiusclit *) , sclieint überall keine so grosse Distanz,
wie die Octavc, statt zu finden. Die paarweise zu-
sammengestellte Farben, welche man auch wähle, ^vii'-
keu zu stark auf einander, als dass man die Abwesen-
heit aller Brechung, wie bey der Octave, glaublich fin-
den möchte. Reines Gelb und reines Roth oder Blau,
erregen zusammengestellt eher ein Gefühl der Selbststän-
digkeit jeder Farbe, ähnlich dem der reinen Quinte.
Vielleicht gäbe es einen Weg, dies mit einiger Wahr-
scheinlichkeit näher zu beleuchten. Eine Analogie der
Erhöhung der Töne oder auch der Erniedrigung (wie
des d in dis oder des) lasst sich bey Farben in so weit
erkennen, als manchmal bey der Vergleichuug nahe liegt
zu sagen, die eine Farbe sey nur eine Abänderung der
andern. INicht aber alle Farben, welche zwischen zwey
andern liegen, werden so aufgefasst. Grün liegt zwi-
schen Gelb und Blau; gleichwohl wird reines Grün ge-
wiss nicht als Abänderung vom Blau oder Gelb aufge-
fasst. Gesetzt nun, das, was wir eben vom reinen Grün
sagten, gelte eigentlich nicht bloss von einerley, sondern
von zweyerley Grün, welches überdem eins vom an-
dern noch vseit genug verschieden sey, um nicht als
eine blosse Nuance angesehn zu werden ; ja es sey eine
hinreichende IMannigfaltigkeit des Grünen zwischen Gelb
und Blau vorhanden, um selbst noch etwas mehr als
zwey, von einander ganz entschieden abweichende grüne
Tinten zwischen Blau vmd Gelb einzuschieben : so ge-
wönne das vorhin Gesagte, nämlich die Vergleichung
dieser Distanz mit der reinen Quinte, an Wahrscheiu-
*) Zinnober-Roth, Schwefelgell), Himmelblau, möchten einiger-
maassen für reine Farben, oder solchen nahe kommend, gelten
können. Schwerlich gicbl es hier ganz vestc l'uncte.
140
lichkelt. ÜMau würde naniHch etwas mehr als drey
grosse Secunden zwischen Blau iiud Gelb einschalten,
Avcun Blau, Blaugriin, Gelbgrün, und Gelb, eine Unter-
scheidung abgäbe, die noch etwas zu grosse Schritte
machte, um die ganz entschiedenen Abweichungen des
einen Punkts \om andern nächsten angemessen zu be-
zeichnen. Fände sich gar, dass drcy uud ein halber
solcher Schritte uothig Avaren, so hätte man beinahe die
Analogie der Schi-itte von c zu d, e,fts, g.
AVir wollen diese sehr unsichern Betrachtungen niclit
verfolgen. Wichtiger ist eine Erinnerung an die Cau-
salbegriil'e, Avelche hier zum Grunde liegen; und an die
Verschiedenheit der Art und Weise, wie Vorstellungen
als Kräfte auf einander wirken können, ohne doch ur-
sprünglich Kräfte zu seyn oder zu haben. INIan braucht
luu', um sich vor Einseitigkeit zu hüten, neben den.
Farben auch der räumlichen Foi'men zu gedenken. Ein
Beet voll blühender Ilyacinthen, Aurikeln, Nelken, Geor-
ginen, gefällt nicht bloss dui'ch die Gegensätze der man-
nigfaltigen Farben, die es dem umherwandelnden Blicke
darbietet; sondern jede Blume besitzt eine Schönheit
der Gestalt, welche die nämliche bleibt bey verschie-
dener Farbe. ISichtsdestoweuiger kann die Gestalt nur
gesehen werden mit Hülfe dessen was sichtbar ist; das
Sichtbare aber ist eben die Farbe. Also das nämliche
Sichtbare veranlasst zweyerley ganz verschiedene Klas-
sen von ästhetischen Urtheilen. Es muss eine doppelte
Causalität unter den Vorstellungen geben, die uns ei-
nerley Anblick gewährt. Wir wollen hier nicht auf
die psychologische Frage von dem Grunde des räumli-
chen Vorstellens eingehn; mir damit man auch hier
nicht bey leeren Allgemeinheiten Hülfe suche, dient eine
141
noyallvo Benicrkiau;; iiäjnllch diese, dass ^Yietlerum In
den räumlichen Aiiirassungen eines und dc8se]l)en (ie-
genslandcs grosse Uiilerschiedc vorkommen. Die CJe-
stalt einer ßlume sielil man nicht, ^vie der Mathema-
tiker eine Linie von doppelter Krümminig auifasst, durch
Projectionen auf zwei Ebenen , sammt zugehörigen Ab-
scissen, Ordinalen, Gleichungen. Die Schönheit der
Ijlume ist niclit jene intellecluale Scliönheit der Cykloidc,
■welche einst durch ihre besondre Fügsamkeit in Kech-
nungsformeln den INIalhematikern so viel Vergnügen
machte. Niemand aber kann sagen, die mathematische
Betrachtxnigsart \v;ire den Gegenständen nicht angemes-
sen. Vielmehr besteht hier mancherley neben einandci*.
So nun auch bestehen neben einander die verschie-
denen Anwendungen, welche von der Hemmungs-Rech-
lunig auf die Töne gemacht werden. Die Brechung der
Töne, worauf ihr nnisikalischer Werth beruht, ist un-
abhängig von der Starke-, die Stärke aber thut ilire
Wirkung, indem die schwächern Vorstellungen mehr
aus dem Bewusstseyn vei-drangt werden. Anzuzeigen,
dass die INlelodie einer Singstimme solche inid solche
Intervalle durchlaufe, dazu reicht die leiseste Beglei-
tung hin; und die Begleitung muss leise seyn , wenn
jene allein als Ilauptstimme soll vernommen werden,
(wie in Liedern und Arien.) "VVofei-u aber mehrere
IMelodicu zugleich, und mit gleicher Aufmerksamkeit
sollen verfolgt werden , wie Cliöre und vollends Fu-
gen dies fordern) , so ist gleiche Stärke der Stimmen
nothweudig, weil sonst die allgemeinste Wirkung
eintrit, vermöge deren das Entgegengesetzte sich
aus dem Bewusstseyn vordrängt, und die schwächern
Vorstellungen davon am meisten zu leiden haben. Darin
142
liegt nichts Befremdendes. Die Brechung, welche einen
Ton zu einem bestimmten Intervall macht, versetzt ihn
in einen bestimmten Innern Zustand; mit diesem Zu-
stande kann er im Bewusstseyn steigen oder sinken.
Eben so bey Gemälden. Die Vorstellung eines solclien
enthält alle einzelnen Vorstellungen der farbigten Stel-
len in denjenigen Brechungen, welche das Gemälde zu
diesem und keinem andern machen ; das ganze Gemälde
kann vergessen und wieder in Erinnerung gebracht wer-
den; was nun im Bewusstseyn sinkt und steigt, das
sind die Vorstellungen mit und in den Zuständen, welclie
das Kunstwerk in ihnen erzeugte. Bey diesem Sinken
und Steigen sind sie den allgemeinen Gesetzen der Hem-
und Reproduction unterworfen.
Aus dem Umstände, dass Kunstwerke einen weit
tiefern Eindruck zurücklassen als das Kunstlose und Re-
gellose, folgt ohne Zw eifel eine grosse Gewalt ästhetischer
Verhältnisse; allein man braucht darum noch nicht an-
zunehmen, dass ursprüngliche Gesetze einer weit stär-
keren Vei'schmelzung für solche Vorstellungen statt fin-
den , die mit einander ästhetische Verhältnisse eingehn ,
als für die, welche dazu imtauglich sind. Denn die häu-
fige Wiederholung jirägt diejenigen Verhältnisse immer
tiefer ein, von welchen die Künste, sobald sie einmal
in Gang kommen, fortwährend erneuerte Anwendiuigen
maclien; mit Ausschluss alles dessen, was ihnen nicht die-
nen kann. Daraus entspringt die Übung der Zuhörer
undZuscliauer; deren Empfänglichkeit für die Kunst we-
nigstens eine Zeitlang mit der Übung wächst; wenn
schon späterhin eine nur zu oft bemerkbare, Übersätti-
gung eintreten kann.
143
Über die ursprüngliche yiuffassung
eines Zeitnuiasses.
Vor erin n erung. Wir reden niclit vom BegiulF
eines solchen Zeitmaasses, welches durch Älultiplicatlon
oder durch Division eines andern, schon aufgefassten,
Zeitmaasses entstehen kann; auch nicht von dem allge-
meinen Begriffe irgend eines Zeitmaasses, welcher durch
Abstraction von bestimmten Zeitmaassen erhalten wird;
sondern von der ursprünglichen Auffassung einer solchen
Zeit , die , nachdem sie da ist , zum IMaasse dient ; also
sich vervielfältigen und dividiren lässt ; und alsdann
auch in Gedanken eingeschoben werden kann zwischen
solche Zeitpunkte, die einander zu fern oder zu nahe
stehn, als dass man unmittelbar und ursprünglich ihre
Distanz hätte bestimmt wahrnehmen können. Über die
anscheinende Schwierigkeit des Gegenstandes ist schon
in der ersten Abhandlung (S. 33 u. f.) gesprochen.
1. That Sache. "Wie gross die Zeit sey, die sich
unmittelbar auffassen lässt, kann man zwar nicht genau
bestimmen; allein zur becfuemen Auffassung eignet sich
eine Zeit-Secunde , oder, ihr nahe kommend, die Zeit
zwischen einem Pulsschlage und dem nächstfolgenden.
2. That Sache. ]\Ian kann aber auch beträchtlich
kleinere oder grössere Zeitmaasse willkülirlich veststel-
len , so dass sie, einmal angegeben, sich wiederliohlen
und beobachten lassen. Solches geschieht unter andern
beym Älarschiren, Tanzen, Trommelschlagen.
144
3. Thalsaclic. INIaii kann eine solche, zum ]Maassc
einmal angenommene Zeil auch eintheilen, (nicht etwan
bloss in Begriiren, sondern unmittelbar im Vorstellen
luid Handeln.) Solches geschieht in der IMusik, wo der
einmal gegebene Tact in halbe Tacte, Viertel, u. s. vv.
zerlegt Avird.
4. Thatsache. Diese Zerlegung geschieht am be-
quemsten nach den Brüchen -J, ^, deren Producten mid
Potenzen. Daher der -4 Tact, ^, ^, u. s. w. bis zum
lg- Tact; und die klelnei'n Zerlegungen bis zu ^t^.
5. Thatsache. Auch die JMultiplicationen ganzer
Tacte werden unmittelbar empfunden. Daher der Pe-
riodenbau der Älusik. Eine leiclite Probe sintl die zu-
sammengehörigen acht Tacte in der Tanz-]Musik, statt
dereii man nicht sieben oder neun Tacte würde anwen-
den dürfen.
C. Thatsache. Die Zeitdistanzen lassen sich nicht
bloss auffassen , sondern sind ül)erdies Gegenstand ästhe-
tischer Urtheile, wie in der Älusik und Äletrik.
7. Thatsache. Nicht bloss erfüllte Zeiten, in
denen etwas wahrgenommen wird, lassen sich als län-
ger oder kürzer unmittelbar auffassen: sondern auch
leere Zelten zwischen den "SA'ahruehmungen, d.h. Pau-
sen. Diese werden in der ^Musik eben so nolhwendig
beobachtet, als die Dauer eines Tons.
8. Thatsache. AVenn man beabsichtigt, ein Zeit-
maass vestzustelleu , so findet man es am bequemsten
imd sichersten, dasselbe durch Pausen anzugeben. IMan
vermeidet zu diesem Behufe die Dauer jeder AA ahruch-
mung so viel als möglich.
9. Thatsache. Es ist an sich gleichgülüg, durch
welchen Sinn die Wahrneluuungen geschehen, wofern.
145
sie nur so nalie als möglich nionienlan sliiil, damit das
Zeitmaass als Pause zwischen ihnen leer bleibe. iJbri-
gens -würde eine Gesichts-Empfindung, (durch plötz-
liche und sehr kurze Bewegung eines Stabes, beyiu Di-
rigiren einer Musik,) oder eine Gefühls -Jünpfindung
(wie beyrn Pulsfühleu,) die nämlichen Dienste leisten,
wie eine Gehörs -Empfindung, -wenn sie nur der Fede-
rung, momentan zu seyn, eben so nahe kommen köimte,
■wie beym Hanunerschlage , beym Tropfenfalle , bey den
Schlägen der Secunden-Uhr.
10. That Sache. Die mojncnlanen Wahrnehmun-
gen , deren leere Zwischenzeiten als Pausen sollen vor-
gestellt werden, wählt man am bequemsten so, dass sie
unter sich gleichartig seyen; luul bey der ursprünglichen
Veststellung des INIaasses müssen sie gleich stark seyn.
11. Erläuterung. Wenn der Musikdirector die
Schläge dergestalt luigleich macht, dass der erste, dritte,
fünfte Schlag (und so fort nach ungeraden Zahlen) unter
sich gleich stark, aber stärker seyen, als der zweyte,
vierte, sechste, (und so fort nach geraden Zahlen): so
wird die Zeit zwischen dem ersten, dritten, fünften,
zum JMaasse, und die schwachem Schläge theilen dies
Maass in Hälften. Wenn er aber den ersten, vierter,
siebenten, zehnten, u. s. f. stärker macht als die jedes-
mal dazwischen fallenden zwey andern, — den zweyten
und dritten, fünften und sechsten, achten und neunten,
u. s. f.: so ergeben die stärkern Schläge tuiter sich
das Zeitmaass, welches nun durch die zwischen fallen-
den schwächereu in Drittel zerfällt. Die Stärke ist
also nicht gleichgiillig; sondern die Wahrnehmungen,
welclie das jNIaass veststelleu sollen, müssen unter sich
gleich stark seyn.
R
146
12. Frage: Was ^vircl vorgestellt, indem man
eine Pause wahrnimmt?
13. Vorbereitung zur Antwort. Die Frage erin-
nert an die berülinvte Schwierigkeit, leere Zeit wahrzu-
nehmen ; und nichts ist gewisser , als dass eine solche
nicht bloss wahrnehmen , sondern auch als kürzer oder
länger unterscheiden, ganz etwas Anderes seyn muss,
als ein bloss sinnliches Wahrnehmen. Das Vorstellen
darf während der Pause nicht aufhören, wenn sie soll
beobachtet werden , und das fortdauernde Vorstellen
muss auch ein Vorgestelltes haben, denn Vorstellen ohne
Vorgestelltes ist eine Ungereimtheit.
Bey der Antwort werden wir, wie sich von selbst
versteht, uns nicht auf die blosse Möglichkeit einlassen,
dass vielleicht eine ganz zufällige, fremdartige Vorstel-
lung während der leereu Zeit ins Bewusstseyn treten
könnte. Dadurch würde ein ganz andrer Gedankengang
beginnen. So etwas geschieht bey gar zu langei> Pau-
sen ; mit der Beobachtung der Pause ists aber dann
vorbey.
Wir werden aber auch nicht einen noch ungebilde-
ten Geist voraussetzen; denn alle obige Thatsachen
können wir nur im Kreise von einigermaassen gebilde-
ten Menschen nachweisen. Jedoch ist gar keine Be-
stimmung einer gewissen Bildungsstufe uölhig, wie man
sogleich sehen wird.
14. Ant-svort. Wir bezeichnen zuvörderst dieje-
nigen, möglichst momentanen Wahrnehmungen, wo-
zwischen die Pausen fallen sollen, (Trommelschläge, Tact-
scliläge, Schläge der Secuuden-Uhr 10 d. gl.) mit hi, h^,
h^ , A4 , u. s. w.
Ferner sclzcii wir voraus, eine solche Vorstellung,
147
wie h, soy doin Waliruelimcnden nichts Neues, sondern
er hal)e sie sclion früher, -svenn man Nvill, längst gehabt,
und viehnals wiederholdt.
So ergiebt sich aus der Waln-uchmung des ielzigen
hl sogleich eine zwiefache Folge.
Erstlich, die ältere gleichartige Voi'stellung , welche
wir mit // bezeichnen, beginnt, sich zu reproducircn.
Diese Reproductlon braucht einige Zelt, welche man'
immerhin sehr klein annehmen mag; aber ohne Still-
stand; denn die re[)roducirte Vorstellung ist fortwährend
im Stelgen oder Sinken begrllFen'""). Nach Verlauf der
Zeit /. habe sich von der ganzen Vorstellung IJ das
Quantum r reproducirt.
Zweitens: die Wahrnehmung }ii sey noch so mo-
mentan: dennoch verschwindet das hiemll begonnene
Vorstellen lii nicht plötzlich aus dem Bewusstseyn,
sondern es muss sich allmählig ins Gleichgewicht setzen
gegen irgend welche andre Vorstellungen, (an denen es
nie ganz fehlen kann,) die entweder unmittelbar oder
mittelbar, durch ihre Verbindungen, darauf hemmend
wirken.
Also gleichzeitig, während der Pause, ist r im Stei-
gen uikI hl im Sinken begriffen.-
Beyde verschmelzen iil)erdies, so weit sie können.
Hierauf würde das Vorstellen während der Pause
sich beschränken, wenn die Vorstellung // in keinen
Verbindungen stände. Allein wofern sie zu irgend
einem Contlnuuni gehört, (wie jenes der Töne.) oder
wofern sie auch nur mit einigen andern verschmolzen
ist, so beschränkt sich die Reproductlon nicht auf sie
allein; sondern gemäss der abgestuften Verschmelziuig
«) Psychologie §. 82.
148
erhebt sie, schneller Einiges, langsamer Anderes,
mit sich empor; es entsteht eine Wölbung, d. h.
mehr von den nächsten, minder von den entferntem
Neben- Voi'steiluugen; ti-it verworren mit ihr ins Be-
wusstseyn hervor.
15. Zusatz. Vorausgesetzt nun, die ältere Vor-
stellung H stehe in solchen Verbindungen, und repro-
ducire mit sich ein solches verv^'^orrenes Vorstellen: so
verschmilzt auch dies, soweit das während der Pause
geschehen kann, mit der sinkenden Vorstellung Äj.
16. Frage. Was verändert sich, indem die mo-
mentane Wahrnehmung A2 hinzukommt, und liiemit die
erste Pause geendigt wird?
17. Antw ort. Die verworrenen Nebenvorstellun-
gen , sofern sie dem h entgegengesetzt sind, erleiden ei-
nige Hemmung; indem zugleich der altern Vorstellung
H mehr freyer Raum geschafft, und mit ihr verbunden
dem noch im Sinken begrilfenen hi möglich gemacht
wird, sich von neuem zu erheben; wiewohl bey wei-
tem nicht ganz bis zum ungehemmten Vorstellen.
IVIan bemerke, dass auf die ältere Vorstellung //
zwey entgegengesetzte Wirkungen gemacht werden.
Einerseits ist es der von ihr ausgehenden Reproduction
entgegen, dass ihre Nebenvorstellungen eine Hemmung
erleiden ; andrerseits Avird ihr eignes Steigen begünstigt,
und dem zufolge auch ihr Reproduciien. Der Unter-
schied dieser ihr widerfahi'enden Gunst und Ungunst ist
um deslo grösser, je stärker die momentane Wahrneh-
mung ho ; und für die entfernteren Nebenvorstellungen
ist er ungünstiger als für die näheren.
18. Frage. \^'as ereignet sich während der zwcy-
len Pause?
149
19. Antwort. Wir nehmen an, hx sey eben so
stark wie hi : so ist zur Reproduction der Nebenvor-
stellungen eben so \Iel Grund vorhanden, "vsie in der
ersten Pause. Die Hemmung derselben kann also nur
vorübergehend seyn , und die Reproduction erneuert
sich ; beginnend wieder von den näheren , und fortlau-
fend zu den entfernteren Nebenvorstellungen, die mehr
von der Hemmung waren getroffen worden. Aber diese
Reproduction geht jetzt nicht bloss von der altern Vor-
stellung H. aus. Sondern //j, wie weit es während der
ersten Pause mit den Nebenvorstellungen verschmolzen
war (15), so weit wii'kt es mit, um dieselben steigen
zu machen.
Auch sinkt hi während der zweyteu Pause aus dem-
selben Grunde, wie hi während der ersten sank. Gleich-
zeitig steigen y und hi , indem beyde mit h^ verschmel-
zen , so weit sie können. Die verworrenen Nebenvor-
stellungen, so weit sie reproducirt werden, verschmel-
zen mit //2.
20. Frage. Vorausgesetzt, die zweyte Pause sey
eben so lang wie die erste; auch seycn Äj , //^ , und
das am Ende der zweyten Pause hinzukommende h^, alle
gleich stark: was verändert sich, indem h^ nun
eintrit ?
21. Antwort, Die verworrenen Neberivorstellun-
gen, in so weit sie dem h entgegengesetzt sind, erlei-
den für den Augenblick wieder einige Hemmung. Da-
gegen hört //2 auf, zu sinken. Es gewinnt freyen
Raum , um sich heben zu können. Desgleichen erlangen
y und hl noch mehr freyen Raum, als sie schon hatten.
22. A n m e r k u n g. Der Faden der verwori-enen
Nebenvorstellungen, welche an sich im continuirlichen
150
Hervorlreten begriiren sind , war durch hi an einer
beslinunten Stelle abgesclmitlcii worden, indem hier die
Hennnuug eintrat. Bey gleicher Länge der zweyteu
Pause mit der ersten, hat hi dazu mitgewii'kt, sie ge-
rade so weit, als sie mit ihm während der ersten Pause
verschmolzen waren, wieder hervorzuheben; aber nicht
weiter, weil die Vei-schmelzung nicht weiter ging. Un-
terdessen ist eben so viel von jenem Faden mit /i2
verschmolzen,
23. Frage. Was geschieht während der nun fol-
genden dritten Pause?
24. Antwort. In den gegolienen freyen Raum
erheben sich alhnähllg y, lii luid h^, wahrend A3 sinkt.
JNach kurzer Hemmung der verworrenen Neben vorstel-
limgen wirken mit y auch hi und //2 111 so weit gemein-
scliaftlich zur Erhebung dieser Nebeuvorstellungen, als
sie mit denselben verschmolzen sind. Da nun eine
gleiche Länge jenes Fadens der Nebenvorstellungen
mit lii und hl verschmolzen war : so sind beyde auch in
gleichem INJaasse zur Reproduction desselben Fadens wirk-
sam. ]\lit der reproducirten Länge verschmilzt auch h^.
25. Frage, Vorausgesetzt, die zweyte Pause sey
länger als die erste: alles librige wie vorhin (20); wie
uutersclieidet sich dieser Fall vom vorigen?
26. Antwort. Während der Pause wirken y luul
hl zusammen reproducirend auT die Nebeuvorstellungen ;
allein mit dem Unterscliiede, dass hi nur soweit dazu
wirkt, als seine Verschmelzung ging; dagegen y wei-
ter fortfährt, die Nebenvorstellungen zu reproduci-
ren ; also den hervortretenden Faden derselben ver-
längert.
27. Folge. Also können während der dritten
15t
Pause auch nicht gh'iclic Reproduclioneu durch //i mul
//2 bewirkt werclen; denn ilire Verschmelzung ist nicht
gleich.
28. Frage. Vorausgesetzt, die zweyte Pause sey
kürzer als die erste; alles iJbrige -wie vorhin: wie un-
terscheidet sich dieser Fall vom vorigen ?
29. Antwort. Da der Faden der Nebenvorstel-
lungen kürzer abgeschnitten wird: so kann /<2 nicht
so weit mit ihm verschmelzen als //j ; welches letzlere
nun sammt y in seinem Streben, Jioch weiter zu repro-
duciren , gehindert ist.
30. Folge. Also können während der drillen Pause
wiederum nicht gleiche Repi'oductionen durch Äj und //^
bewirkt werden.
31. Anmerkung. Wegen der verworrenen Ne-
ben - Vorstellungen kann auf die vorige Abhandlung
verwiesen werden. Der Ton c (Fig. 4S) gehe über in
d, und mag dort, grösserer Deutlichkeit wegen, länger
verweilen; so dass man schon beym Anfange des fol-
genden Tactes sehie Piückkehr erwarte. Wird d als
Secunde vernommen , so geschieht dies tladurch , dass
die Vorstellung c nicht so wohl gehemmt, (denn die
Hemmung ist gering,) als verunreinigt ist durcli cUe mit
ihr verbundene halbe Gleichheil des d und c. (Vorige
Abhandlung, 36, 101, 102) Die solchergestalt verun-
reinigte Vorstellung c ist ein ßeyspiel verworrener Ne-
benvorstellungen. Ein eben so gutes, ja noch stärkeres
Beyspiel giebt der Gang von c in des (Fig. 48"^); deuu
din-ch die halbe Gleichheit beyder Töne wird die Vor-
stellung c noch stärker aus ihrer Reinheit heraus ver-
setzt, weil die Gleichheit grösser ist. Ein minder gutes
ßeyspiel wäre Fig. 49, wo ein es geht; denn bey der
152
kleinen Terz, wenn sie genau ist, beginnen die Gegen-
sätze schon gegen die halben Gleichheiten aufzutauchen ;
das heisst, die Keinheit ist nicht mehr ganz getrübt.
Für den jetzigen Zusammenhang kommt es auf ein be-
stinnntes Intervall nicht an, dergleichen sich ausserhalb
des Tongebiets, und für solche Wahrnehmungen, wo-
durch man den Tact anzugeben pflegt, ohnehin nicht
nachweisen lässt. Soll aber eine Pause wahrgenom-
men werden, so darf die Vorstellung, welche die Tact-
schläge angiebt, eben so wenig in ihrer Pveinheit vest-
gelialten werden, als völlig aus dem Bewusstseyn ver-
schwinden. Zwar kann Jenjand, während c, c, init
zwischenfallenden Pausen ertönen, leicht die Vox'Stellung
c absichtlich vesthalten (wie Fig. 50 andeutet) ; je bes-
ser ihm aber dies gelingt, desto gewisser giebt es für
ihn keine Pause. In der Pause muss das Voi'gestellte
seine Bestimmtheit fahren lassen.
32. That Sache. Wähi^end der dritten Pause kann
schon die Gleichheit der Zeitdistanzen wahrgenommen
werden; nicht aber früher. Denn die zweyte Pause,
welche der ersten gleich ist, wird durch den dritten
Schlag abgeschnitten; so lange dies noch nicht geschah,
waren nicht zwey gleiche Zeitdistanzen gegeben.
33. Zusatz. Die dritte Pause muss aber minde-
stens eben so lange dauern, als die beyden vorigen, wo-
fern die beyden gleichen Reproductiouen (24) sich ent-
wickeln sollen.
34. Frage. Wie geschieht das Vesthalten des
Zeit-Maasses in Gedanken?
35. Vorbereitung zur Antwort. Dazu ist nö-
thig, dass diejenigen Vorstellungen, von welchen eine
Reprodnction ausgehen und bewirkt werden soll, sich
153
liiiireiclicnd stark im Bewusslseyn crliallen; und ilass
auch die Art ihrer yerbindiiiig unter einander nicht
verändert werde. Es wird also das Vesthallen des Zeil-
inaasses befördern , wenn noch mehrere Tactschläge mit
gleichen Pausen einander folgen.
36. Antwort. Dem gemäss verlängern wir die
Reihe der hi , h^, fi^ . . . bis h,t , wo n eine beliebige
Zahl seyn mag. Je grösser diese Zahl , desto mehr
ist die Stärke der Vorstellung h durch die Wiederhoh-
lung und Verschmelzung gewachsen.
Nun würde aber die blosse Verstärkung der Vor-
stellung h nichts weniger als ein Zeitmaass ergeben. Ein
jedes Maass liegt zwischen zwey Abschnitten. Das Ab-
schneiden ist eine Negation dessen, was abgeschnittea
wird. In den Vorstellungen selbst, die wir mit h be-
zeichnen, liegt keine Negation.
Ferner ist beym Gebi-auche jedes Maasses nolhwen-
dig, dass seine Abschnitte dahin gelegt werden, wo die
abzumessende Grösse ihre Gränzen bekommen soll. Und
beym Erkennen der Gleichheit solcher Grössen, die schon
nach dem Maasse bestimmt sind, müssen die Abschnitte
des Älaasses mit den Gränzen der gegebenen Grössen
wahrnehmbar zusammenfallen.
Wii'd ein Zeitmaass durch Tactschläge gegeben, (wie
bey den Schlägen der Secundeu-Uhr, um hier an das
einfachste Beyspiel zu erinnern), so sind die Pausen das
IMaass, welches zuerst abgeschnitten wird durch die
Tactschläge; dann aber auch, nachdem es duixh öftere
Wiederhohlung gehöiig eingeprägt war, leisten die Tact-
schläge den Dienst, den Gebrauch des Maasses zu ver-
mitteln, indem sie den Anfang und das Ende jeder ab-
zvunessenden Zeitgrösse bezeichnen. Hiebey muss jedoch
154
die Reproduction vorausgesetzt werden. Würden nicht
die Vorstellungen der früheren Tactschlage reproducirt,
und zwar dergestalt, dass in den Augenblicken, da die
spateren gegeben worden, die Reproduction beginne,
so wären die Abschnitte des IMaasses, und hiemit das
Maass selbst, verschwunden ; folglich könnte keine Gleich-
heit der Zeitdistanzen wahrgenommen werden. Über-
dies muss die Reproduction auch die Abschnitte in ihrer
früher bestimmten Distanz wieder darbieten ; denn wenn
die Distanz sich vermehrte oder verminderte, so wäre
das Maass verändert.
Also geschieht das Vesthalten des Zeitmaasses in Ge-
danken durch das Vesthalten eines bestimmten Rcpro-
ductionsgesetzes ; welches weiter zu untersuchen ist (50.)
37. Zusatz. In vorstehender Antwort kann zu-
nächst das dunkel scheinen, dass Negation und Position
ihre Plätze tauschen. Das JMaass ist positiv; seine Be-
gränzung durcli Abschnitte ist eine Negation. Hier aber
ist eine Pause das Maass; die Vorstellungen der Tact-
schlage bilden die Abschnitte. Und doch ist Pausireii
eine Negation; Vorstellen dagegen positiv.
Bevor wir weiter gehn , wollen wir an das Maass
im Räume erinnern. INlan kann INlaassstäbe aus Holz
und Äletall verfertigen. Mau kann aber auch mit dem
geölfneten Zirkel messen; alsdann liegt zwischen den
Zirkel-Spitzen ein leerer Raum ; dieser dient zum Maasse,
indem man die Spitzen hier und dort einsetzt.
Zu näherer Beleuchtung können noch andre That-
sachcn beytragen.
38. That Sache. Zum Zeitmaasse kann auch eine
fortdauernde Wahrnehnuuig dienen , wofern in ihr Ab-
schnitte mit hinreichenden Zwischenzeiten gemacht wer-
L-)5
den. Figur 51 stellt ilics vor Augen, indem lange No-
ten durch Vorschlage abgethcilt wei'den ; wobey jedocli
die Abwechselung, welche durch die Vorschläge entsteht,
nicht bis zur Geschwindigkeit eines Trillers gehu darf,
denn dieser ist zum Zeitmaasse nicht passend.
39. Zusatz. Auf ähnliche Weise vernimmt man
das Zeitmaass in manchen andern Fällen ; z. B. da wo
ein tönender Körper wiederhohlt mit einem Hammer
angeschlagen wird ; indem jedes Anschlagen ein augen-
blickliches Geräusch und eine momentane Verstärkung
des Tons hervorbringt. Beym Singen der Worte auf
lange .Noten bewirken die Consonanten ein Zwischen-
Geräusch, auch wenn die Noten die nämlichen bleiben.
Ja schon beym blossen Sprechen sind^ es die Consonan-
ten , welche dadurch , dass sie die Sylben tlieilen , Ein-
schnitte in die von den Vocalen ausgefüllte Zeit machen ;
daher sich der Tact zuei'st in der Sprache durch das
IMetrum geltend gemacht hat.
40. F'rage. Was leisten hier die momentanen
Wahrnehmungen, wodurch die Abschnitte bezeichnet
sind?
41. Antwort. Es ist klar, dass die momentanen
Wahrnehmungen nicht mit den Augenblicken , in welche
sie fallen, so verscliwinden dürfen, als ob sie ver-
gessen wären. Sobald Vergessenheit einträte, würden
sie aufhören, das Maass zu bestimmen, dem sie zur Be-
gränzung dienen sollen. Also werden die Vorstellungen
jener begranzenden Wahrnehnmngen fortdauern, und
sich mit den anhaltenden Wahrnehmungen dessen, was
zwischen die Abschnitte fällt, verbinden. Diese Ver-
bindung aber darf auch nicht einen Augenblick genau
die nämliche seyn, wie im andern j sonst würde die
156
längere oder kürzere Zeltdlstanz zwischen den Abschnit-
ten keinen bemerkbaren Unterschied des INIaasses erge-
ben. Auch muss diese Zeitdistanz gross • genug seyn,
damit ein merklicher Unterschied in der Verschmelzung
entstehen könne.
42. That Sache. Das Zeitmaass kann auch durch
abwechselnde Wahrnehmungen von gleicher Zeitlänge
gegeben werden ; wie Fig. 52.
43. Zusatz. Dahin gehört das Sehen einer Pen-
del-Schwingung. Hier eben sowohl als bey wechseln-
den Tönen liegt in der zweyten Wahrnehmung eine
Verneinung der ersten; indem beym Pendel die Bewe-
gungen in entgegengesetzter Richtung geschehen; unter
den Tönen aber ein Hemmungsgrad statt findet.
44. Frage. Worin besteht der Unterschied dieser
Ai't, das Zeitmaass anzuzeigen, von den vorigen?
45. Antwort. Da hier jede Wahrnehmung die
andre abschneidet, so ist das Zeitmaass eigentlich zwey-
nial gegeben; jedoch vereinigen sich beyde INIaasse zu
einem doppelten , "welclies zwischen dem Anfange und
der W'iederkehr einer und derselben Wahrnehmung liegt.
W eil nun sowohl die erste als die zweyte dieser Wahr-
nehmungen zum Anfange des doppelten INIaasses dienen
kann (wobey Fig. 50 mit 49 zu vergleicli^n) : so muss,
wenn diese Unbestimmtheit soll gehoben werden, der
Anfangspunct noch auf andre Weise vestgestellt seyn,
welches wegen des bekannten Unterschiedes der guten und
schlechten Tactzeit ohnehin nöthig ist. Davon weiterhin.
46. In die Zeit, welche das JMaass erfüllt, können
die mannigfaltigsten Vorstellungsreihen fallen ; und dies
wird auf die verworrenen Neben -Vorstellungen, falls
eine Pause eintrit, Einiluss haben. Anders wird Der-
157
jenige während der Pansen in Erwartung seyn, der Verse
zu reciliren, anders der, welcher Gestirne zu beobachten,
anders der, welcher IMusik zu machen, anders der, wel-
cher zu tanzen oder zu niarschiren gewohnt ist. Für die
blosse Beachtung des Zeitniaasses sind diese Unterschiede
gleichgültig. JNicht einmal auf das Quantum der ein-
geschobenen Neben -Vorstellungen kommt es unmittelbar
an. Wer am Pendel die Zeit beobachtet, mag Schwin-
gungen in grössern oder kleinern Bogen vor sich ha-
ben ; bey den grössern sind zwar mehr veränderliche
Bügen des Pendels gegen den unbeweglichen Hintergrund
zu sehen, als bey Schwingungen in kleinern Bogen, und
die Vorstellungen werden durch den Gegensatz jener
Bogen in stärkere Hemmung unter einander gerathen ;
allein es kommt hier nicht auf die Dichtigkeit dessen
an, was in die Zeitabschnitte eingeschoben wird, sondern
nur darauf, dass gleiche Zeitabschnitte durch die Gleich-
heit der Zeit erkannt werden, welche jedesmal zu den
Reproductionen erfordert werden, wodurch die Tact-
schläge wirken.
47. Wenn dagegen bestimmte Vorstellungsreilien
durch mehr oder v>'eniger Übung geläufig werden, so
verkürzt sich mehr oder minder das Zeitmaass, welches
den Abschnitten in diesen Vorstellungsreihen entsprechen
soll. Auswendig gelernte Gedichte oder Tonstücke lang-
sam vorzutragen, kostet desto mehr Anstrengung, je
weiter die llbung fortschrit.
48. Dabey nun ollenbart sich, dass jedes "Werk,
welches zu einer successiven kuustmässigen Darstellung
gelangen soll , sein Tempo erfodert ; indem bey zu lang-
samem Vortrage das Successive nicht genug ineinander
greift; bey zu schnellem dagegen das Gefühl sich iu
158
keinem Puncte ausbilden kann; zum Beweise, dass die
Vorstellungen Ihre bestimmte Zelt brauchen, um alle
diejenigen Zustände zu durchlaufen, auf welche das Kunst-
werk eingerichtet Ist.
49. Ob das Zeltmaass durch Pausen und eintretende
Nebenvorstellungen , oder durch Einschnitte in fort-
dauernde Wahrnehmungen (38) oder durch Bewegungen
und Stillstände, wie beym Pendel, oder durch abwechselnde
Wahrnehmungen mit gleichen Zeitlängen (42) gegeben
werde: es kommt Immer auf eine Folge von Zuständen
an, welche die, den Tact bezeichnenden, oder ausfüllen-
den, Vorstellungen während der Zeit, welche dem Zelt-
maasse gleich Ist, durchlaufen müssen.
50. Um nach dieser vorläufigen Beleuchtung der
nothwendigsten Thatsachen eine genauere Untersuchung
einzuleiten, müssen wir uns an die Princlpleu der Me-
chanik des Geistes anwenden; und es muss zuerst der
Unterschied zwischen dem Sinken und nachmaligen Stei-
gen einer Vorstellung bemerkt wei^den, die zu andern
hinzukommend von denselben gehemmt, dann aber durch
eine ihr gleichartige reproduclrt wird.
Die momentane Vorstellung Äj werde eben jetzt ge-
geben: so entsteht zwischen Ihr, und andern im Bc-
wusstseyn vorhandenen Vorstellungen eine Hemmungs-
summe, wovon ein Theil auf Äj fällt. Dieser Thoil
von hl sinkt in der ersten Pause nach einem solchen
Gesetze, dass, für eine kurze Zeit, das Sinken als pro-
portional der Zeit kann angesehen werden. ]Man er-
kennt dies schon in der allgemeinen Formel für eine
sinkende Hemmuniissumme. nämlich
159
0 = 5(1 — c-')
wo 0 (las Gehemmte nach Ablauf der Zeit /, und S die
ganze Henunungssuninie bedeutet. Noch genauer geliört
hieher die Formel
ö= — (1— c-'/O
•wo (j den Bruch von Iij bezeichnet, welcher soll ge-
hemmt werden *).
Schon nach diesem Gesetze wird das Sinken allmäh-
lig langsamer. Ein anderes Gesetz des noch langsamem
Sinkens trit ein, nachdem die Hemmungssumme vollends
gesunken ist.
Dagegen richtet sich die Reproduction , wenn am
Ende der ersten Pause h^ hinzukommt, anfangs nach
dem Quadrate der »Zeit**), wie aus Nachstehendem er-
hellen wird.
51. hl sey während der ersten Pause so weit ge-
henniit, dass von ihm noch Y, ein Quantum wirklichen
Yorstellens, im Bewusstseyn übi'ig bleibe. Also h — Y
ist gesunken. Dies ist die Energie des Strebens, womit
lii ins volle Bewusstseyn zurückkehren würde, wenn
auf einmal alle Hemmung wegfiele. Jetzt aber kann
das hinzukommende /i2 mir die vorhandene Hemmung
des hl vermindern; indem es den hemmenden Vorstel-
lungen einen neuen Antrieb zum Sinken giebt, welchem
sie allmählig gehorchen. Es entsteht nämlich durch h^
eine neue Hemmungssumme. Wir wollen dieselbe fürs
*) Psychologie §. 77.
**) ebendaselbst, §. 82, wo aljcr auf Aiilass der Voraussetzung,
die reproducirtc Vorstellung sey auf der statischen Schwelle, ein
Irrlhuni entstanden ist, welcher hier soll berichtigt werden.
160
erste bloss in so fern in Betracht ziehn, als sie aber-
mals im ersten Beginnen nahe proportional der Zeit
sinken muss. Derjenige Tlieil von ihr, ^velcher auf die
hemmenden Vorslelhnigen fallt, nölhige dieselben zu
einem allmähligen Sinken r=a;; welches wir einstweilen
nur so bestimmen, dass xmnt seyn möge. Nun erhält
eben durch dieses Sinken, das heisst, durch das Nach-
lassen der Hemmung, jenes aufstrebende // — Y Freylieit,
hervorzutreten. Nach Verlauf der Zeit =zt sey bereits
ein Quantum von ?ti , welches wir mit y bezeichnen,
hervorgetreten, also h — y noch gehemmt und im Auf-
streben begriffen. Im nächsten Zeittheilchen dl ist die
Freylieit des weitern Hervortretens =: a;J/; die Energie
des Hervortretens = A — y, also das Hervortretende
x{h — y) (lt:^dy.
Und da wir voiläufig x=int geeelzt haben,
dti
ntdt=:,— —
h — y
— i«/^ = log tzl
lur i:=^o wird 1 :r= — — —
... 1 n / " ''
mithin e i"^ = r
h — Y
und r = h — {h — Y) e— 2 "''
Schon hier sieht man, dass der Zuwachs von r sich
Anfangs nach dem Quadrate der Zeit richtet.
Wir haben die Grösse n unbeslimmt gelassen; weil
über das etwa noch fortdauernde Sinken der hemmen-
den Vorslellungen wegen der Wirkung von hi nichts
161
vesigeselzl werden soll. Nelinieri wir aber an. dass die
liemmenden Vorstellungen sclion wieder nahe zu ihrem
vorigen Znstande ziu'iickgekehrt seyen , oder dass die
lleniniungssunmie gleich Anfangs zu gering gewesen sey,
um den Zustand derselben, verglichen mit ihrer ganzen
Stärke, bedeutend zu verändern: so kann folgende, der
AValu'heit nahe kommende Rechnung Platz finden.
Es sey mo das Quantum der Hemmungssumme,
welches auf die hemmenden Vorstellungen wirke ; aucli
wie oben (50), o^zS (1 — c~0' ""'^ sonst nichts zu
berücksichtigen: so ist nun, anstatt dass wir voihiu
a.rz:n/ setzten, vielmehr xzn^mS (\ — ^~^)'t und
mS (l — e - 0 {It — r) dt = dy
oder mS (1 — e~*) dt:=i — - —
// — y
Alsdann wird
// — \
mSt ■•\' mSe * z=. — log
c
p.. . , — wi5 h —
lur t:=.o wird e :
C
C
mithin C—{h— Y) e"^^
und {h — Y)e'''^^^-'~'-^^—h — y
also y = h— (/i_J)ß '»*(!- <■"'-')
Nun ist \—e—t—t = — ^t^^-il^—,..
woraus erhellt, dass y wiederum mit einem Gliede, wie
y-}-ih—r).hnSt^
anfangen muss, wo das vorige nz=mS.
Oder wenn, nach der andern Formel in 50, gi= — (1 — e~ ^ ),
wo (/ ein ächter Bruch, — und wenn wir allgemein
162
slalt h die Ilenimungssumnie, die gerade vorhanden seya
mag, r= S, iiuthin a;=: (1 — e '') setzen: so koninit
7
7 ■
m S . „ ,^ d y
i\—e~1*)dt=-~-
ij h — r
(/-f.— e-V')=— log ^
w5 . < —'7'^
C
7nS j y rnS
Fiir/z=o, e ^2 z=. a\soCz:z(Ji — l')e tj'i
rnS — qt
also r =h — [h — l)e(/2' ^
Nun ist 1 — 7/— ß- '/<= — . iv^i^+i y'/^ — ...
und)Z=iY-\-(li—r).mS{U^—^qt^...)
52. Um nun das Vorige zusammenzufassen, erlu-
uern wir uns der ersten Voraussetzung, unter welcher
überhaupt nur an ein Wahrnehmen des Zeltmaasses
kann gedacht werden; es ist ohne Zweifel die, dass
während desselben keine bedeutende Veränderungen
in Ansehung der Bedingungen des Laufs der Vorstellun-
gen sich ereignen. Dies schliesst jedoch erfahruugsniäs-
sig die Beschäfftigungen nicht aus, die nach dem Tacte
(nur nicht gegen ihn) so oder anders können vorge-
nommen werden. Demnach werden wir annehmen,
1G3
(]a89 die Spaiiming der hemmenden Vorstellungen diirdi
den ersten Tacischlag niclit nierklkli verändert sey;
dass also die Vorstellung hx niclit bedeutend anders
sinke als //j gesunken ist; sondern -wie diese nahe |)ro-
portional der Zeit vvälirend der ersten Pause sinkt,
eben so muss auch dasselbe, unter niclit Nvesenllich ver-
änderten Umständen, von h^, in der zweyten Pause gellen.
Allein wälircnd hi sinkt, erhebt sich, nach dem so
eben angegebenen Gesetze, Zij. So lange die Zeit klein
ist, bezeichnet das Quadrat der Zeit noch kleinere Forl-
schritte; jedoch solche, die sich beschleunigen. Geht
die Zeit fort .wie j^^, -^^, ^^^, so gehört dazu ein Fort-
schritt wie -ihö'i T^ö' To^ü* ^" solciier Weise sich erhe-
bend, kann lii während der zweyten Pause zwar nicht
beträchtlich hoch steigen, (besonders wenn h — Y, d. h.
das vorige Sinken, und inS, also der Druck, welchen
die hemmenden Vorstellungen durch ]i2 erlitten, nicht
zu beträchtlich ist,) allein da seine Bewegung beschleu-
nigt wird, und da es zugleich mit dem sinkenden //2
allmähllg verschmilzt, so kann es sehr wohl auf letzte-
res einen last momentanen Stoss dann ausüben , wann
hl eben vniter die Tiefe h — Y herabzusinken im Begrld"
ist. Verschmolzene Vorstellungen nämlich
geben einander einen Antrieb z u m g e m e i n-
Samen Steigen oder Sinken. Bliebe nun auch lii
in der Tiefe h — Y während der zweyten Pause stehn,
so würde es, in dieser Stellung mit hi in Verbindung
getreten, dieselbe nicht behaupten können , wenn hi
noch tiefer sänke. Nun ist aber wegen des beschleu-
nigten Stelgens die Verschmelzung des hi mit hi im
schnellen Zunehmen begriffen, ihre entgegengesetzten
Bewegungen müssen in einem Augenblicke, da beyde
164
gemeinscliafllich sich bejnalie in der Tiefe Ji — Y befin-
den , einen Stillstand , oder vielleicht ein paar Ilückun-
gen hervorbringen , indem erst die eine , und gleich
darauf die andre der beyden Vorstellungen mehr in ih-
rer Bewegung unterbrochen wird. AVir wollen, nicht
unternehmen, dies genauer zu b^limmen: es ist auch
nicht uöthig. Denn jedenfalls entsteht hieraus ein Ge-
fiihlzusland ; wie allemal, wenn eine Vorstellung einen
Antrieb zum Sinken empfangt oder empfangen hat, dem
sie nicht nachgeben kann.
Dieser Gefühls -Zustand wird nun noch anders mo-
dificirt, indem am Ende der zweyteu Pause, also fast
in dem eben bezeichneten Augenblick, h^ dazu kommt;
wodurch jenen beyden freyer Kaum zum gemeinsamen
Steigen eröffnet wird.
53. Jetzt können wir den Unterschied der zwe)^-
l heiligen und dreytheiligen Tact- Arten, desgleichen die
sogenannten guten \md schlechten Tact-Zeiten berück-
sichtigen.
Zuvor ist zu erinnern, dass der Viervierteltact schon
durch seinen Namen als das eigentlich vollständige Ganze
bezeichnet wird, wovon die gebräuchlichem andern Tact-*
Arten Brüche, einige seltnere aber Erweiterungen sind.
Ferner ist zu erinnern, dass im Viervierteltact der
Anfang die beste Zeit, die Glitte eine minder gute,
das zweyte und vierte Viertel aber die schlechte Zeit
ausmachen.
Auf ähnliche Weise werden oft in Versen zwey
Füsse zusammengefasst um ein Ganzes mit den Unter-
schieden besserer und schlechterer Zeiten zu bilden.
]Man denke sich nun //j als das erste, //2 ^•'^•^ zweyte
165
//j das dritte Viertel anzeigend. So erhellet aus deju
Vorigen, dass ^2 ^^^ Dienst leistet, hi zu reprotluciren,
und zNvar aus einer Tiefe des Sinkens, zu weicher /12
seihst herahgedrückt wii'd , bis es den Gegeustoss des
reproducirteu hi empfangt, und in demselben Augen-
blick mit diesem zugleich durch h^ wieder gehoben wird.
Hier kann der Zweifel enlstehu , ob der Gegenstoss
nicht zu früh erfolgen werde? Denn //^ erhebt sich;
und wenn auch h^ nicht merklich schneller sinkt als
in der ersten Pause hi gesunken war: so scheint es
doch, die Verbindung beyder wei'de eine JNöthigung des
gemeinsamen Sinkens oder Sleigens noch eher herboy-
tiihren, als die zweyte Pause der ersten gleich gewor-
den ist.
Der Umstand aber, dass A^ iü die schlechte Tact-
zeit fällt, zeigt au , dass dieser Tactschlag schwächer
seyn darf als der erste. INun ergiebt eine frühere Un-
tersuchung, dass wenn zu andern Vorstellungen eine
neue kommt, diese unter übrigens gleichen Umständen
etwas mehr Zeit zum Sinken braucht, wenn sie schwä-
cher, als wenn sie stärker ist*). Kigentlich braucht
also ^2 nicht ganz die Tiefe h — Y zu erreichen, wofern
es zu einer geringern Tiefe langsamer sinkt, und dies
wird geschehu, wenn es schwächer ist als hi. Um wie-
viel schwächer? das fühlt man freylich leichter als es
sich möchte berechnen lassen; viel beträgt der Unter-
schied nicht. Aber stärker darf /j2 gewiss niclit seyn
als hl ; sonst verliert sich der Eindruck, dass der Tacl
nüt lii begann, luid Ä2 auf //| sich bezieht, indem es
elasselbe erneuert.
■') Psychologie §. 77.
166
AA aruiii 7/3 iu eine bessere Taclzell füllt als hj,, kann
nach dem Vorstehenden ^vol)l kaum zweifelhaft seyii.
INIit ihm vereinigt sich//i, welches jetzt schon im schnel-
lern Steigen begriffen, durch die unvollkommne Ver-
schmelzung mit Ä2 um desto weniger seine Bewegung
verzögert, da beyde zusammen freyen Raum gewinnen.
Das Gefühl der Vereinigung des dritten mit dem ersten
Tactschlage wird Psicmand leugnen ; es äussert sich na-
türlich durch die etwas grössere Stärke, welche man
dem dritten Tactschlage zu geben pllegt.
54. Bey dem vierten Viertel entscheidet die grös-
sere oder geringere Stärke des Schlages, ob der Tact
drey oder vier Vierlei enthalten wird.
Es ist leicht möglich, dass der vierte Schlag ein
erster des neuen Tacts werde. Denn //j und Ä2 gemein-
schaftlich üben jetzt einen Gegenstoss gegen das sin-
kende //3 ; das Gefühl davon w^ird stärker seyn als beym
dritten Tactschlage; und es braucht nur unterstützt zu
werden durcli den vievten stärkern Schlag. Der vor-
herbemerkte Umstand , dass schon der dritte Schlag
stärker seyn konnte als der zweyte, steht hier gar
nicht im AVege; vielmehr ist es erfahi-ungsmässig be-
kannt genug, dass im Dreyviertel- und vollends im Drey-
achtel-Tact, oft das drille Tactglied sich vor dem zwey-
ten hervorhebt, und sich vorbereitend zugleich dem fol-
genden Tacte anscjiliesst.
Allein gesetzt, es erfolge gar kein vierter Schlag:
was wird in Folge des psychischen Älechanismus geschehn 1*
Zweyerley kann sich ereignen. Erstlich wird der
vierte Zeitpunkt schon durch //2, welches gegen h^ sich
erhebt, bemerklich geniachl. Zweylens, auch ein fünf-
167
tcr Zollpunct kann bezeichnet werden, uud zwar als
erster eines neuen Tacts. Dazu ist nur nötliig, dass
der dritte Tactschlag gegen den ersten in ein solches
Verhällniss getreten sey, wie in andrer llinsiclit der
zweyte gegen den eisten. Und dies geschieht sehr
leiclit. Hat der dritte Tactsclilag irgend eine grössere
Ahnliclikeit mit dem ersten als der zweyle, so entsteht
eine Rcproduction dieser Ähnlichkeit, die nun eine dop-
pelt so lange Zeit einnimmt wie die vorige. Am be-
stimmtesten lasst sich dies erkenneu, wenn die guten
Zeiten doppelt oder selbst dreyfach durch eigne Zeichen
angegeben werden, wie in Fig. 54. Allein dies ist
nicht durchaus nöthig. Beym Reeitiren von Vei'sen
reicht sclion eine geringe Hebung und Senkung der
Stimme, oder eine vermehrte und verminderte Stärke
der ausgesproclienen Laute, dazu hin, dass sich dop-
pelte und dreyfache Reproductionen bilden, wodurch die
schlechteren Tactglieder in die besseren eingeschlossen
weixlen. Hierin mag etwas dunkel bleiben , was sich
bis jetzt nicht ganz aufklären lasst; wie sehr aber diese
Reproductionen von der Ähnlichkeit, also von der
grössern Verschmelzung unter den Vorstellungen
abhängen , sieht man sogleich , wenn man den Tact mit
denselben in Widerspruch setzt, wie Fig. 55 und 56;
wo Fig. 55 einem zwoytheiligen Tacte angehört, und
in den dreytheiligen hineingezwungen; Fig. 56 aber
noch auffallender dem dreytheiligen Tacte entspricht,
und dagegen in den viertheiligen gesetzt ist. Schreibt
mau IVIusik im Fünfvierteltact, so zeigt sich vollends,
wie leicht derselbe in zwey und drey, oder drey und
zwey unter sich verbiuidene Glieder gleichsam zerbricht:
daher derselbe nicht üblich ist. Die nündesle Hervor-
168
raguiig des dritten oder vierten Viertels eutscheidet, ob
sich dißs jenem, oder jenes diesem uutci'ordneu soll.
Folgt mau also dem unwillkülirliclieu psychisdien
Mechanismus, so entsteht der Viervierteltact, indem
das dritte Viertel, irgend wie dem ersten ähnlicher
als das zweyte, auch vollständiger auf das erste repro-
ducirend wirkt, und gleichsam dasjenige nachhohlt, was
an der ersten Reproduction gefehlt hat. Hiemit brau-
chen nur die Wahrnehmungen wirklicher Tactschläge
zusammenzutrelTen. IMan kann das vierte Viertel des
ersten Tacts durch hjf. angel)en ; man kann dies auch
fehlen lassen; jedenfalls trllft //5 mit dem Stosse zusam-
men, welchen h^ durch die von ihm bewirkte Repro-
duction aus dem ei'sten Tactschläge empfängt. Solcher-
gestalt liegt das eigentliche Zeitinaass, nämlich der halbe
Tact , zweymal in dem Ganzen; der ganze Tact aber
wird in der musikalischen Periode wiederum verdoppelt,
seltener verdreyfacht, wo nicht kühnere W^euduugeu
einen andern Pihylhmus in Anspruch nehmen.
Die Zerfällungen der Viertel in Achtel, Sechzehntel,
u. s. w. wiederhohleu solche Einschaltungen im Kleinen.
55. Zwey Bemerkungen bieten sich hiebey noch
dar. Die eine: Der Stoss, welchen eine reproducirte
Vorstellung durch ihre beschleunigte Bewegung hervor-
bringt, wird unter gleichen Umständen desto nachdrück-
licher ausfallen, je tiefer dieselbe zuvor gesunken war;
wenigstens innerhalb gewisser Gräuzen. Darauf deutet
die Formel in 51, indem / mit dem Quadi^ate der Zeit
um so mehr wächst, je grösser h — Y, das heisst, je
kleiner Y. IMan unterstützt dies, indem man zugleich
diejenigen Tactschläge verstärkt, welche in den Anfang
jedes Tacts fallen, wodurch m S vergrössert wird.
169
Die zweyle Bemerkung: Aus den untergeordneten
Gliedei'u, in welche man den Tact zerlegt hat, entstehn
lieihen von Vorslelluugen, welche mit den Ilauplschla-
gen verschmelzen , von ihnen wo möglich reproducirt,
und in spätei'e Zeildislanzen eingeschaltet wei'den; mei-
stens aber sich in ein unbestimmtes Streben zur Repro-
duction verlieren müssen, wegen der Gegensätze, die sie
unter einander bilden. .So wenn Jemand eine Zeitlang
mit IMusik oder Poesie oder Beobachtungen beschUfftigt
war. Kurz: wir sind hier wieder bey jenen verworre-
nen Neben- Vorslellungen, für welche zwar ein be-
stimmtes Reprodiiclions -Gesetz sich nicht nachweisen
lässt, die aber doch nicht als gesetzlos auzusehen sind;
und wobey es für jetzt nur darauf ankommt, dass sie
in die nach einander folgenden Zeitdistauzen auf gleiche
Weise eingeschoben werden. Wenn z. B. der Uuter-
ofücier seinen Piekruteu marschireu lehrt, und dabey,
jede Sylbe dehnend, spricht:
Rechten, Linken, Rechten, Linken,
oder Einundzwanzig Zweyuudzwanzig ,
so liegt das Einschalten in der Dehnung jeder Sylbe;
ohne dass ein bestimmtes Vorgestelltes könnte angege-
ben werden, wodurch die ausgedehnten Sylbeu an-
schwellen; wohl aber soll in die angezeigten Zeitdi-
stanzen die Bewegung des Rekruten fallen. Eben so,
wenn Jemand während des Clavierspieleus den Tact
lautsprechend zählt, so liegt in dem
Eins, Zwey, Drey, Vier
an sich keine Zeilbestimmung, denn man kann schnel-
ler oder langsamer zählen; aber man hat längst diese
Zahlen zu mannigfaltiger ]Musik ausgesprochen; daher
fehlt es gewiss nicht an unbeslinunleu Neben -Vors lel-
170
lungeu, die man lu den einmal angegebenen und aufge-
fassten Tact einschalten könne; und "welche nur beytra-
gen, um ihn gleichmassig festzuhalten, während die eben
jetzt auszuführende IMusik durch ihn geordnet werden soll.
56. INIan wird die Gestaltungen in der Zeit, zu welchen
für Metrik und IMusik der Tact die Grundlage bildet,
ohne Zweifel zu Gegenständen erneuerter Untersuchung
machen. Wir ziehen uns hier zu einem ganz einfachen
Fragepuncte zurück, welcher übrig bleibt, wenn man
alle Unterschiede der Tactschlage und alles JMancheiley,
was In gegebenen Zeitdistanzen eintreffen oder hinein-
gedacht werden kann, bey Seite setzt. Wir wollen an-
nehmen, Jemand habe lediglich die ganz einförmigen
Sehläge einer Uhr, oder das Fallen der Tropfen, oder
ähnliches völlig gleichartiges in gleichen Zeitdistanzen
wahrgenommen; aber so oft wiederhohlt, dass an keine
Unterscheidung des ersten, zweyten , dritten , u. s. w. zu
denken Ist. ATir suchen nun das Einfachste, was erst-
lich ihn bestimmt , die Zeitdistanzen als gleich zu er-
kennen, zweytens ihn befähigt, dieselben fortgesetzt an-
zugeben, auch wenn die Wahrnehmung aufhört.
Wenn die gleichen Wahrnehmungen hi , Ä2 , //s , A4,
... Ä//, hn-\-l, sich sehr oft wiederhohlt haben, so kann
jede neu hinzukommende nur noch unbedeutend wenig
an der Stärke der aus allen verschmolzenen allmählig
entsprungenen Gesanuntvorstellung verändern; besonders
da die Empfänglichkeit abnimmt *). Auch wird sich
nach gehörigem Zeilverlauf diese Gesammtvorstellung
sehr nahe nül dem hemmenden Voi'Stellungen ins Gleich-
gewiclil gesetzt haben. Jedoch kann nicht etwan alle
») Psychologie §. 94.
171
Hemmung aufgeliürl haben; sonst würde die Vorstellung
// fortwährend ungehennnt vorhanden seyn, und die
Pausen könnten nicht vom erneuerten Eintreten unter-
schieden werden. Hieraus erglebt sich niui eine leichte
Abänderung dessen, was in 52 schon angegeben ist. Die
dortige Tiefe h — Y, wozu das erste // herabsank, kann
hier nicht passen, weil eine sehr verstärkte Vorstellung,
nach vielfacher Wiederhohlung, nicht mehr so sinken
wird wie die erste sinken musste. Aber wie gering
auch, bey geringer Henunung die Tiefe sey, worin sich
h^ beym Einlrilt von h >. befindet, dennoch schafft
letzteres einigen freyen Raum, einige Repi-oductiou , ei-
nigen Zusanimenstoss derselben mit ihm selbst, dem sin-
kenden, welches nun gleichsam auf elastischen Boden
fällt, und wenigstens im Sinken aufgehalten wird, indem
CS der stärkeren und älteren Gesammtvorstellung den
Antrieb giebt, mit ihm zu sinken, welches nicht gesche-
hen kann. Der Augenblick des Zusammenstosses muss
nach den, sich gleich bleibenden Zeitdistanzen der Schläge,
nach der Starke derselben, nach der Grösse der noch
übrigen Hemmung, sich längst gleichförmig bestimmt
haben. "NA'ir brauchen nicht anzunehmen, dass die Zeit-
dislanz dieses Augenblicks von dem vorigen Schlage,
gleich sey der Zeitdislanz zwischen den Schlägen selbst.
Gesetzt, der nächstfolgende Schlag komme später: so
hat sich, weil derselbe schon innerlich vorgebildet wurde,
ein Gefühl des Aufschubs, luid des Wartens erzeugt,
welches selbst ein Gegenstand der Innern Apperccption
wii'd; die Folge der Schläge wird nun als mehr oder
weniger langsam empfunden. Oder der nächstfolgende
Schlag kommt früher: so beschleunigt er die Repro-
duclion, und es enlsleht ein Gefühl der Aufregimg; lür
172
die Appercepliou die Empfindung des Sclinellcu und
Eilenden. Haben diese Gefühle sich durch Wiederhoh-
lung ausgebildet, so braucht der Appercipirende, um
das Zeitmaass nicht bloss aufzufassen, sondern selbst
fortgesetzt anzugeben, nur die Vorstellung h in Gedan~
keu vestzuhalten, und es alsdann geschehen zu lassen,
dass sie den Wechsel der Gefühle durchlaufe, die rei-
henförmig mit ihr \erbunden sind. Trifft er beym Ver-
such, im äussern Handeln eine ähnliche Zeilreihe her-
voi'zubringeu , nicht gleich das i^echte JMaass, so Avird
auch nicht das nämliche Gefühl des Langsamen, oder
Schnellen, oder Bequemen hcrvorgehn ; abgeänderte Ver-
suche werden den ersten bald berichtigen; vorausgesetzt,
dass niclit Umstände, dergleichen wir bey Seite gelegt
haben, sich einmischen.
57. Die Thatsache nun, dass es einen Unterschied
des Bequemen im Gegensatze des Langsamen und des
Geschwinden wirklich giebt, ist das Allerwichtigste in
dieser ganzen Untersuchung ; denn sie zeigt , dass wir
mit unseren psychologischen Rechnungen nicht so im
Finstern tappen, wie diejenigen sich einbilden, die von
solchen Rechnungen lieber nichts hören möchten. Eine
Tertien-Uhr taugt nicht, das Gefühl des Tactes zu er-
wecken; schon unsere Taschen -Uhren sind unbequem
dazu; eine Uhr, die alle IMInute nur einmal Ihren Schlag
hören Hesse, wäre auf entgegengesetzte Weise dazu ganz
unbrauchbar. Sehr bequem dagegen fasst man millelsl
der Secunden-Uhr den Tact auf, wenn mau zwischen
je zwey nächstfolgenden Schlägen noch einen in Ge-
danken einschallcl geschieht dies Einschalten nicht, so
findet man ihre Schlage eher etwas langsam, sie lassen
auf sich warten. INun ist nus dem Vorigen klar, dass
173
7A\!\r auch nach ciiioi ^Mimile, iiml selbst nach viel laii-
geren Zeilen die Rcproduction keine "Schwierigkeit hal;
aber sie allein yorliilft zii keinem Gefühl des Tacls.
Soll sie dieses ergeben , so muss sie die Vorsfellnng des
vorhergehenden Schlages nicht bloss noch im Bewnssl-
seyu antreffen, sondern es nuiss auch nicht eincrley seyn,
ob sie früher oder später mit derselben sich verbinde.
Kommt sie zu spat: so ist das Sinken der Vorslellimg
des vorhergehenden Schlages schon so langsam gewor-
den, dass es fast dem Slillslchn gleicht; und daini isls
einerley, ob sie noch etwas später oder früher eintrifft ;
der Unterschied, auf dem das Tactgefühl beruht, ist nun
verloren. Die Hemmung muss noch nahe der Zeit
proportional seyn , damit mehr oder weniger Zeit be-
merklich "sverde, und zwar so genau bemerklich, dass
man unmittelbar nach dem Gefühl diess IMehr oder
Weniger anzugeben unternehmen könne.
Von den beyden Formeln in 50 verliert die zweyte
ihre Gültigkeit , sobald die Zeit = — log gewor-
(j \ — q
den ist '''■); wir brauchen uns aber hier nicht um die
Bestimmung des achten Bruches q zu bekümmern ; denn
schon die erste Formel
G = S{\—e-t)
welche, wenn die Umstände ihrer Voraussetzung gemäss
unverändert blieben, selbst für unendliche Zeit gelten
würde, zeigt hinreichend das, worauf es ankommt. Die
Hemmungssumme S mag grosss oder klein seyn, das
Gehemmte, oder a, trägt in sich den Factor 1 — e—*,
welcher von der Zeit t abhängt. Nun ist für / r= -^
*) Psychologie §. T7.
174
auch 1 — e ' bcliialie \, es Ist nainllch = 0,22H ...
hingegen für <rz:^ ist 1 — e ' nur =r 0,3034. Also
hiei' ist die Proportionalität der Zeit schon sithtljar ver-
loren. Wir werden dem gemäss nicht sehr weit von
der Wahrheit abirren, wenn wir die Einheit der Zeit
auf zwey Secuudeu setzen; da, wie nur eben zuvor be-
merkt, nach hallten Secuudeu sehr bequem gezählt wird,
wenn man den Tact abmessen will. Wo dagegen der
IMusiker kein Moderalu, sondern ein AUegru oder yldagio
vorschreibt, da sagen schon seine Kiuislausdriicke , dass
er darauf rechnet, ein Gefühl entweder von Aufregung
oder Verweilung solle mit dem Tacte verbunden seyn;
niemals aber wird er fodern, dass man die Zeit nach
Tertien oder nach Minuten abmesse. Für die Besve-
gung des Lichts durch den Raum einer Äleile, oder für
das Wachsen des Grases in einer Minute, haben wir
niui vollends zwar Begriffe, aber keine W\ihruehnuuig ;
weil in zu kurzer Zeit unsre Vorstellungen ihren Stand
im Steigen oder Sinken nicht merklich verändern ; bey
zu langsamer Bewegung aber wir ihren Lauf nicht auf
eine entsprechende Weise zurückhalten können.
58. Dass aber auch auf die Reproduction unbestimm-
ter Vorstellungsreiheu von bestimmter Länge in den
Künsten gerechnet wird, erhellet am deutlichsten aus
der Beybehaltung der nämlichen Versart in den Gedich-
ten. ]Man wird im Verlauf einer Älinute ungefähr ein
Dutzend Hexameter mit lauter Stimme (wie ein Rhap-
sode in grösseren Versammlungen ihun mochte) reciti-
ren können ; mithin braucht ein Hexameter etwa fünf
Secundeu. Diese Zeit wäre als Pause unmittelbar für
das Tactgcfühl zu lang; dagegen als erfüllte Zeit wird
175
die gleiche Dauer der Hexameter sehr lelclit walirge-
noinmen, und doch kann hier kein beslimmler einzehicr
Hexameter augegeben werden als derjenige, durch wel-
chen die Abmessung geschähe, deiui die Verse selbst sind
verschieden, und dem Zuhörer wird auch nicht etwan
ein Schema des Metrums mitgethellt ; es. wird ihm nicht
aufgetragen, den Vers zu beobachten ; er wird vielmehr
mit dem Gegenstände des Gedichts beschäffligt ; und die
ganze jMühe der Verskunst wäre verloren, wenn nicht
unwillkiihrllch das INlaass sich im Gemüthe des Zuhö-
rers bildete, und die Gleichheit der wohlgemessenen
Verse empfunden würde.
59. Unter den mancherley Fragen, die sich in An-
sehung der Schätzung längerer Zeiträume noch aufwerfen
Hessen, wollen wir nur eine erwähnen. "Wenn Bilder
zur Schau gestellt werden, wie lange darf ein jedes der-
selben stehen bleiben, wenn der Zuschauer wahrnehmen
soll, dass die Zelten, die man ihm zur Betrachtung ge-
stattet, unter einander gleich sind? Ollenbar hängt dies
sehr von der Beschaffenheit der Bilder ab. Ist der Ge-
genstand reich an Figuren, so dauert es eine ganze
Weile, bis sich die räumliche Auffassung vollendet ; von
Gemiithszuständen höherer Art, von Rellexionen über
die Kunst wollen wir ganz abslrahlren. Einfache geo-
metrische Figuren sind schnell aufgefasst, besonders wenn
dem Zuschauer nicht daran Hegt, sie sich bestimmt ein-
zuprägen. Bleibt nun das Aufgefasste länger stehen,
als es beschäff'tigt, so sinken die Vorstellungen, indem
die Empfänglichkeit ermattet, sehr bald zu lief, als dass
auch nur einigermaasseu der Wechsel der aufzufassen-
den Gegenstände ein Tactgefühl erzeugen könnte. Bcy
zusammengcselztcu Gegeustäudeu im Räume kommt
176
eben sowolil als bey poelisclien oder rhetorischen Dar-
slellungeii viel auf die LJbuiig und Vorbildung derjeni-
gen Personen an, welchen das Sehenswerlhe gezeigt oder
der Vortrag gehalten wird. Dennoch wird für grössere
Versammlungen ein gewisses Älittelmaass der Verwei-
lung gesucht, welches, wenn es richtig getroffen wurde,
bey der Mehrzahl der Anwesenden ein Geiiihl von gleich-
massiger Beschäftigung und Zeit -Erfüllung hervorbringt.
Das Bemühen ein solches JMittelmaass zu finden, scheint
nicht ganz so vergeblich zu seyn, als man bey der gro-
ssen Verschiedenheit der Individualitäten wohl erwarten
möchte.
Zusatz.
Die angegebene Bestimmung der Zeit -Einheit, näm-
lich zwey Secunden ungefähr, wird überall in Betracht
kommen, w^o die psychologische Rechnung die Zeit durch
Zahlen ausdrückt. Wenn z. B. nach den einfachsten
statischen Gesetzen eine Vorstellung zur Schwelle sinkt,
so liefert die Reclmung eine Zahl für die Zeit dieses
Sinkens.
Bisher konnten wir solchen Zahlen nur den Werth
beylegen, dass sie zu Vergleiclmngen dienen. Wenn die
Vorstellung ozr:3,irr2, c z=i \ , so sinkt c zur
Schwelle in der Zeit 0,944; wenn aber üt r=: 4, h-=.Z,
c ■=. 2, so findet sich die Zeit r= 2,015 *). Im zwey-
ten Falle dauert also das Sinken mehr als doppelt so
lange. Hier konnte man fragen, ob die Zeit, welche
sich mehr als verdoppelt, nach INIinuten oder nach Se-
cunden zu schätzen sey. Denn freylich versteht sich
*) J*S}xhologie §. 75.
177
von selbst, dass man an Stunden oder gar an Tage nlilit
denken könne, weil der Wechsel unserer Vorstellungen
in einer Stunde viel zu gross ist, um mit dem höchst
einfachen Ereigniss, dass eine einfache Vorstellung aus
dem Bewusstseyn verschwindet, irgend passend vergli-
cliexi zu werden.
Jetzt können wir mit Wahrscheinlichkeit bestinun-
ter sprechen. Im obigen ersten Falle wird die Zeit
= 1,9 Secunden, im zweyten etwas über vier Secun-
den betragen.
Am angeführten Orte findet sich noch eInBeyspiel.
Es sey an: 10, in: 10, c-=.7\ die Zeit, in welcher c
zur Schwelle sinkt, wüi-de unendlich werden, wenn c
cn 0,707... wiire; dennoch findet sich, dem Scliwellen-
werlhe \on c so nahe, ifrr:4,44.. also S,S8 Secmideu.
In allen diesen Beyspielen ist der grösste mögliche
Hemmungsgrad unter den sanuiitlichen Vorstellungen
angenommen. Da der Gegenstand durch die gefundene
Angabe der Zeit in Secunden ein neues Interesse ge-
winnt, so wollen wir einige Pi'oben derjenigen Abän-
derungen aufsuchen, welche vom Hemmungsgrade ent-
springen.
Man findet am angeführten Orte die Formel
i = log. nat. ~~
qö — c
wo </ den ächten Bruch bedeutet, welcher das Quotum
der sinkenden Hemmungssummc für c angiebt; S ist die
anfängliche Hemmungssummc. Ware ^^S' nicht grösser
als c, so würde c nicht gänzlich aus dem Bewusstseyn
verdrängt; die Formel setzt also voraus, der Nenner
solle immer positiv seyn, indem qS'^c. Sie zeigt hie-
mit, dass nur in äusserst seltenen Fällen, nämlich bey
178
selir gcringei' Differenz zwischen qS und c, eine grosse
Zahl für t herauskommen kann.
Nach dieser Formel (deren Zusammenhang man am
gehörigen Orte nachsehen wolle), ergeben sich folgende
Zeitbestimmungen :
A. Für a — 2, b = 2, c — \,
sey der Hemmungsgrad m =r 1 ,
so ist t — 1,0986 = 2,1072 Secunden.
m = 0,9 giebt t = 1,3499 = 2,6998 —
m = 0,8 — i= 1,7917:= 3,5834 —
m 1=0,7 — f = 3,0445 = 6,089 —
Für m :==. 0,6 wird schon der Logarithme, w^elcher
die Zeit anzeigt, unmöglich; d.h. c siiikt nicht mehr
zur Schwelle; der Hemmuugsgrad 0,6 reicht nicht mehr
hin, um das Drängen des a und b gegen c so stark zu
machen, dass c ganz aus dem Bewusstseyn verschwin-
den müsste.
B. Für «=10, ÄrzlO, cr=l,
sey der Hemmungsgrad /n rz: 1 ,
so ist < = 0,11552 1=0,23104 Secunden
m=z0,9 giebt i=: 0,12921 = 0,25842 —
7H=:0,8 — /=: 0,14660 =: 0,2932 —
m=z0,7 — / = 0,16942 = 0,33884 —
m = 0,6 — / = 0,20067 = 0,40134 —
m = 0,5 — < = 0,24613 = 0,49226 —
m = 0,4 — i = 0,31845 = 0,6369 —
m = 0,3 — / = 0,45198 = 0,90396 —
m = 0,2 — / = 0,78845 = 1,5769 —
Für m rr 0,1 wird der Logarithme unmöglich.
Diese beyden Beyspiele, in welchen wir der Kürze
wegen einerley Hemmungsgrad für sammtliche Paare
179
von Vorslcllungen augeiioiiuncn lial)en, küiiiiou zu ei-
niger LJbersiclil schon liinreichen.
Dass für a z=. b z=. 2 der Henimungsgrad m zz: 0,6
nicht mehr zu gebrauchen seyn würde, und eben so
wenig für a zzz b z=. \Q der Henimungsgrad in =z 0,1 :
dies zeigt ein Täfelchen in dem grössern psychologi-
schen Werke *).
Denn für «j =r 0,0 soll dort, wenn b=:a, beydes
= 2,18 seyn, um cz=l auf die Schwelle zu treiben.
Desgleichen für ??2:rzO,5, arrÄrz 2,561
mz=:(),4, a = b = 3,MS
m = 0,3, a = b = 4:
m=zO,2, a = b = b,74
m = 0,1 , a=::b=z 10,84
welche letztre Angabe zu erkennen giebt, dass für a z=.
Äz=10 der Hemmungsgrad mz=i(),\ schon zu klein war.
Die Gleichheit des a und b ist hier nur der beque-
mern llbersicht wegen angenommen worden. Den merk-
würdigen Umstand, dass für den Scliwellen>verth crzl,
bey grösstcr Verschiedenheit der Werthe von a, sich b
innerhalb sehr enger Granzen halten muss, kennt man
aus dem frühern Wei'ke **). Eine Analogie damit wird
sich anderwärts zeigen.
Beym Anblick obiger Zahlen wolle man nicht fragen,
mit welchen Erfahrungen wir unsre Hunderttauseudtheile
von Secundeu belegen. Es versteht sich von selbst, dass
nicht einmal die Huuderttheile zu verbüi^gen sind. Die
Zahlen sind so hingeschrieben, wie die Piechmuig sie
gab ; indem die Fortschreitung solcher Zahlen einiges
*) Daselbst §. 56. In der Formel für b ist dort ein Druck-
fehler. Statt 8/rt^ lese man 8/n.
*») Daselbst §.55.
180
Interesse liat, und zu künftigen Yergleichungen Anlass
geben kann. Die Psychologie wäre glücklich, wenn ihr
in allen Puncten soviel erfahruugsmässig bestimmtes zw
Hülfe käme, wie oben (in 57) ist nachgewiesen worden.
Mögen aber Andre versuchen, uns Erfahrungen entge-
gen zu stellen! Das würde leicht seyn, wenn unsre
Formeln, anstatt der Bruchtheile von Secuuden etwa
Minuten , oder selbst viele Minuten anzeigten. Denn
alsdann würde man mit Pvecht sagen, ein so spat sich
herstellendes Gleichgewiclit unter drey einfachen Vor-
stellungen lasse auf eine Trägheit aller geistigen Bewe-
gungen schliessen , der man die menschlichen Köpfe im
Allgemeinen nicht anklagen könne.
Ein andrer wichtiger Punct, bey welchem die Ein-
heit der Zeit auf Bestimmung wartete, ist- das zeitliche
Entstehen der Vorstellungen *). AYenn man die Werlhe
nachsieht, welche aus der Formel
2 = ^(1 — e-Z^O
wo fp die Empfänglichkeit, ß die Intensität einer an-
haltenden sinnlichen Wahrnehmung bedeutet, für ange-
nommene Zeilen hervorgehn *''') , so kann man es eini-
germaassen befremdend linden, dass in so kurzen Zeiten
Avie i=^^ und fzrrl, also in einer oder zwey Secun-
den, schon ein so bedeutendes Quantum des Vorstellens
entstehen, und so viel von der Empfänglichkeit erschöpft
werden solle. Allein erstlich konunt hiebey Alles auf
die noch zu bestimmende Grösse ^ an. Diese wurde
in unsern Rechnungen bloss willkülirllch , zum Behuf
der Rechnung, angenommen. Zweytens darf man gar
') Psychologie §. 94 u. s. f.
**) Daselbst §. 95 vergleiche man die Werlhe von z in den
Täfelchen.
niclit glauben, das, was uns im sinnlichen Wahrnehmen
eigentlich beschäftigt, und worüber die Zeit merklich
hingeht, sey das blosse Sammeln der momentanen Wahr-
nelimungen. Es ist vielmehr hauptsächlich die Repro-
duction der älteren gleichartigen Vorstellungen, nebst dem,
was sich daran knüpft, die Wölbung und Zuspitzung in
Ansehung der oben erwähnten verworrenen Neben-\or-
stelluugen. ]Man sieht, und man strebt genauer zu sehn«
IMan hört, und man will genauer hören. Denn das
früher schon Gesehene und Gehörte drängt sich herbey'
und doch ist es nicht genau oder nicht ausschliessend
das, was sich eben jetzt, zum Sehen und Höien dar-
bietet. Dazu kommt nun noch die Configuration; beym
Sehen die räumliche, beym Hören gesprochener Worte
die Verknüpfung der Vocale und Consonanten zu Syl-
ben, Worten, Sätzen, Perioden. Wer auf Umstände
der Art nicht achtet, der wird niclit einmal richtige
psychologische Analysen zu Stande bringen; vielweniger
zwischen Rechnung und Erfahrung die gehörige Ver-
gleichung machen können.
Den obigen Zeitbeslimnuuigen könnten noch andre
beygefügt werden ; allein es scheint nicht nöthig. Was
die Zeiten des Sinkens zur Schwelle -anlangt , so fallt
zwar in die nämlicbe Zeit ein geringeres Sinken der
stärkeren Vorstellungen, neben welchen die schwächeren
aus dem Bewusstseyn verschwinden; und es wäre leicht,
auch dies Sinken seiner Grösse nach zu berechnen, um es
jenem Verschwinden gegenüber zu stellen. Man weiss
aber schon aus den früheren Untersuchungen*), dass
dieses durch die Ilenuiiungs «Verhältnisse bestinnnt ist.
Indessen wollen wir nicht unbemerkt lassen , da(>s
") Psychologie §. 75.
182
sich von diesem proportionalen Sinken mehrerer ein-
ander' widerstrebender Vorstelhmgen eine x\nsicht fas-
sen lässt, dergleichen Einige bey der Lehre vom stati-
schen IMoment am Hebel anznbringen pflegen. Denn ob-
gleich hier nichts vorkommt, was sich mit der Länge der
Hebel-Arme vergleichen Hesse, so zeigt sich doch eine Ana-
logie mit dem grössern Bogen, welche ein Gewicht am
längern Arme durchlaufen miisste, wenn es zur Bewe-
gung käme. Dem Bogen nämlich würde die Geschwin-
digkeit entsprechen ; imd das kleinere Gewicht hätte
eine grössere Geschwindigkeit, mithin gleich viel Be-
wegung, wie am kurzem Hebel-Arme das grössere Ge-
wicht. Gegen diese Art, den Hebel zu betrachten, ha-
ben wir zwar andei'wärts eine Erinnerung gemacht*);
allein passender ist eine analoge Betrachtung hier, wo
Vorstellungen zusammen sinken, weil sie noch nicht im
Gleichgewiclite sind, sondern erst dadurch, dass sie sin-
ken , sich demselben nähern. An sich nämlich ist eine
schwächere Vorstellung gewiss nicht im Gleichgewicht
mit einer stärkern; sie kann nur dazu gelangen, indem
sie gerade durchs Sinken in den Zustand des Strebens
übergeht. Hiedurch gewinnt sie nicht bloss übei'haupt
Energie, sonder» mehr Energie als die minder sinkende
stärkere ; und durch diesen Factor erst kann sie ersetzen,
was der ursprünglichen Stärke ziun Gleichgewichte fehlt.
Vorstellungen, die in endlicher Zeit zur Schwelle sinken,
gelangen z\\ar niemals dahin; sie müssten negativ wer-
den, welches ungereimt ist. Aber bevor sie zur Schwelle
getrieben sind, haben sie dennoch eine solche Geschwin-
digkeit, welche der Annäherung zum Gleichgewichte (ob-
gleich ein solches hier nur ein imaginäres ist), entspricht,
*) Melaphysik §. 387.
183
indem sie von der ursprünglichen gcnieiiischarilichcii
Hemniungssumme, in Verbindung mit den Heninuuigs-
Verhältnissen, bestimmt wird. Setzt man nun in Ge-
danken die Gesclnvindigkeiten des Sinkens, wodurch
die Energien erzeugt werden (da die Vorstelhuigeu an
sich weder Kräfte sind noch Kräfte haben), an die Stelle
der Energie selbst, so hat man hier eine ähnliche Ansicht
wie dort, wo entgegengesetzte Bewegungen sich aufheben
sollen, wenn den Geschwindigkeiten das umgekehrte Ver-
hältniss der bewegten Älasseu zugeschrieben wird ; nur
dass hier nicht Bewegungen einander aufheben son-
dern einander entsprechen, weil sie von einem ge-
meinschaftlichen Grunde abhängen, dem sie, bey unglei-
cher Stärke der Vorstellungen, doch gleichmässig Genüge
leisten müssen.
184
Jicmerkunifen über die Bildung und £ntiviehelunij
der VorstelliuKjsreihen.
Am geliörigeu Orte ist gezeigt worden, dass die Pve-
pi'oduclion einer vorhandenen Reilie von Vorstellungen
in der nämlichen Ordnung und Folge, Avie dieselbe war
gegeben worden, hauptsaclilich von der Abstufung der
Reste herrühre, welche bey der reproducirenden Vor-
stellung zu untei'scheiden sind. Denn die grössern Reste
wirken anfangs geschwinder auf ihre Clienteu , wenn
wir solche Benennung denjenigen Vorstellungen geben
dürfen, welche reproducirt werden. Die kleinem Reste
wirken anfangs langsamer, aber beharrlicher. Wofern
nun hemmende Kräfte entgegen wirken , so giebt es
Maxima, über welche die Reproductioneu nicht hinaus-
gehn; diese IMaxima folgen nach einander in der Ord-
nung jener grossem und kleinem Reste, wenn man das
Übrige gleichsetzt *).
Diese Theorie bedarf nun noch gar sehr der wei-
teren Ausbildung. Gegenstand derselben ist zunächst
der gedächtuissmässige Gedaukeulauf, welcher den Fa-
den früher erworbener Vorstellungen auf gegebenen
Anlass treulich so wieder abwickelt, wie die Verknüpfung
war gebildet worden.
Will man die Formeln dafür ohne nähere Bestim-
mung so gebrauchen wie sie vorliegen , so finden sich
zwar die IMaxima nach einander gemäss der Oi'dniuig
*) P.N\cliülc)gie §.. 8() U.S.W.
185
jener Pvcste , allein es zeigt sich daboy folgender Um-
stand. Seyen die Vorstellungen a, h, c, d, so gelangt
h zu einem Maximum, während a nicht bloss noch im
Bewusstseyn gegenwärtig ist, sondern auch noch nicht
unter jenes Maximum des b herabgesunken ist. Dem-
nach bleibt a hervorragend über b ; desgleichen b über
c; c über d, und so ferner. Die Vorstellungen kommen
dem gemäss zwar allmählig zu einander hinzu, aber die
frühern weichen nicht vor den folgenden.
Nun lässt sich nicht leugnen, dass es der Erfahrung
gemäss oft wirklich so geschieht ; und es kann noch
weit öfter so geschehn als wir es bemerken. Denn so-
bald irgend ein äusseres Handeln hinzukommt, wäre es
auch nur Sprechen oder Schreiben, so brauchen die
frühern Vorstellungen gar nicht ihr Maximum zu er-
reichen , lim die Handlung zu veranlassen ; erfolgt aber
die Tliat und deren äussere Erscheinung, so wer-
den hiedurch , nämlich durch die Wahrnehmung dessen
was gethan ist, die entsprechenden Vorstellungen höher
gehoben ; dadurch verlieren die reproducirenden Reste
ihre Spannung gemäss der Folge der ausgeführten
Handlungen; diese Spannung bleibt aber den folgenden
Resten , - bis auch diese zum Thun gelangen ; und die
Reihe läuft ab, ^vährend die dazu gehörigen Handlun-
gen eine zur andern hinzukommen.
Im täglichen Leben greift der INIensch zu den äussern
Hülfsmitteln der Beschäfftigung, oder er sucht Gesell-
schaft, wenn er sich seine Vorstellungen zu entwickeln
wünscht. Dem Einsamen und zugleich UnbeschälFtigten
stocken die Gedanken. Das stille Denken ist übei'dies
grossentheils merklich ein zin-ückgehaltenes Sprechen ;
und man hat allen Grund anzunehmen, dass wirkliih
186
ein Handeln dabey vorgeht, welches liir die Seele schon
ein äusseres Handeln ist; nämlich ein Anregen der Ner-
ven, welche die Sprachorgane regleren; nur nicht stark
genug um die Äluskeln zu bewegen.
Daher ist die Theorie nicht bloss richtiger sondern
auch vollständiger als sie auf den ersten Blick scheinen
möchte. Sie macht aufmerksam, dass man die Erfahrung
genauer beobachten soll.
Gleichwohl Ist es einer fortgesetzten Untersuchung
werth, ob die Sache sich immer und nothwendig so
verhalte ; ob also die Vorstellungen wirklich nur zu
einander hinzukommen, oder ob unter naher zu bestim-
menden Bedingungen die frühern vor den spätem zu-
rückweichen.
Sehr verschiedene Puncto kommen hier zugleich In
Betracht, die aber nur nacli einander können angege-
ben werden.
I. Die erste Voraiissetzung, unter welcher die schon
längst bekannt gemachten Formeln auf jenes " Resultat
führen , Ist diese : die reproducireude Vorstellung habe
einen vesten Stand im Bewusstseyu. Wie aber wenn
sie selbst Im Sinken begriffen ist; so dass eben die
lleste, welche reproducirend wirken, zugleich während
dieses Wirkens, einer nach dem andern im Be-
wusslseyn eine niedrigere Stellung bekommen? Dass
ihr Reproduciren sich dadurch vermindern muss, dass
hiemit auch die rcproducirten Vorstellungen eine nach
der andern einen Verlust erleiden, also die frühern den
spätem mehr Platz machen müssen, leuchtet im Allge-
meinen schon ein. Und die Voraussetzung eines vesten
Slandes im Bewusslseyn passt zwar näherungsweise auf
die herrschenden Vorstellungsmassen, nicht aber auf
187
solche Vorstellungen, die selbst in einer sich cvolvlrenden
Reihe liegen ; auch nicht auf die stärkern unter denselben.
Um nun die Sache zu prüfen, müssen wir zuerst
das Gesetz des Sinkens zurückrufen.
Die Vorstellung P sey irgend einer Hemmungssumme
dergestalt unterworfen, dass ein Bruchtheil von ihr sinken
müsse, den wir mit AP bezeichnen. Kommt keine weitere
Bestimmung hinzu, so ist ko der entsprechende Bruchtheil
des Gehemmten o in der Zeit t. Demnach kP — ko das
noch Übrige, welches in demZeittheilchen rfHürPdieNoth-
weudigkeit seiner ferneren Hemmung bestimmt, mithin
k (P — o) dt = kda
Wofern aber die nämliche Hemmungssumme zugleich
auf ältere Vorstellungen fallt, und diese nöthigt, für
kurze Zeit unter ihren statischen Punct herabzusinken,
so streben sie fortwährend, zu demselben zurückzukeh-
ren ; wirken dadurch gegen P, dass es noch schneller
sinke, welches wiederum auf sie zurückwirkt; und dies
geschieht in dem IMaasse, wie ein andrer Theil der Hem-
mungssumnie sie während der Zeit i zum Sinken gebracht
hat. Das Gesunkene derselben sey k'o, so vermehrt sich
die ganze Nöthigung zum Sinken während des Zelt-
theilchens dt um k'o, imd hievon fällt auf P der Bruch-
theil k. k'o; mithin ist nun
k (P — a-{-k'o) dt^=:kda
wo, wie schon zuvor, der Factor k für die Rechnung
überflüssig Ist. Es sey aber ferner 1 — liz:z<], so isl
kürzer ausgedrückt
(P — (jo) dt=zda
und da für t zzz u auch a =^ o,
9
188
wobey zu bemerken, tlass wenn jener Bruclithell li,
(welcher andeutet, wiefern die andern Vorstellungen un-
ter ihren statischen Punct herabgedriickt , also aus dem
Gleichgewicht gebracht sind) sehr gering ist, alsdann q
sehr nahe =: 1 seyn muss. Dies braucht aber nicht im-
mer der Fall zu seyn.
Es sey nun P bis auf seinen Rest = /■ herabgesun-
ken. So ist
r=zP — ko=P (1— e— 9')
9
Ein eben so grosser Rest sey aus früherer Zeit ver-
schmolzen mit dem Reste q der Vorstellung 77; er habe
während der Zeit t das Quantum ^, einen Theü von
Q, reproducirt; so ist dies geschehen nach einer schon
bekannten Formel
oj = Q (l—e-^)
welche sich erglebt aus der Differentialgleichung
rg Q — M
-—. . at=zd(o
n Q
Hier ist r die wirkende Kraft 5 — das Verliältnlss , in
welchem 77 die Wirkung annimmt; — das Verliält-
Q
niss, worin, nachdem schon 0; im Verlauf der Zeil /
hervorgetreten, jetzt, im nächsten Zeitlhcilchen, die Wir-
kung noch fortdauert *). Dabey wird /• als conslanl
vorausgesetzt.
Weil nun die obige veränderliche Grösse
*) Psychologie §. 86.
189
in diese constante übergegangen ist, so muss man für
/ einen bestimmten Wertli setzen. Die abgelaufene Zeit
also, während welcher durch den mit g verbundenen
Kest r die Grösse w bis zu dem Quantum A gehoben
wurde, — werde mit t bezeichnet. So lange diese Zeit
noch in ihrem Vei'laufe begriffen war, sank zwar P,
allein die reproducirende Wirkung auf 77 hing immer
\on einerley /• ab, welches mit q verbunden war. Jetzt
aber sinkt P unter die Grösse = r herab ; also muss
auch die Reproduction sich vermindern, vnid die Formel
dafür muss verändert w^erden. "Wir werden also die
Differentialgleichung so abfassen :
L 9 J i?
und dieselbe so integriren , dass für tz=i{ auch o}^=-A
sey. INIan findet zunächst
(p-c«)e-7/[0-7)''-f.- ^"''J
und hieraus
w = o — (p — A) e
xve„„ „ = ^ [(l _ 1) (, _ /) +^ (.-«'_,-'/')]
Um den Sinn dieser Formel zu überlegen, gehn wir
zurück zu dem Ausdrucke für r. Da nämlich r ein
Bruch von P seyn soll, so sey /• =z mP; alsdann ist
mithin e~^' = 1 — -^ (1 — m)
1 1^
und t = ~ lo2 r
(Q-J)e-^[0-iy'V^- ' ''J
k — (1 — m) q
190
Hier darf der INenner niclit negativ und nicht mo
werden, damit nielit eine unniögliclie oder luiendliclie
Zeil herauskomme; also ist folgende Gleichung:
/c :r= (1 — m) q
k
eine Gränzgleichung, welche anzeigt, dass m > 1 ,
7
also dass r nicht jeder beliebig kleine Bruch von P wer-
den könne , sondern dass dieses nach den angenomme-
nen Brüchen k und q seine Gränze habe, die in keiner
Zeit könne überschi'itten werden. Hat man, innerhalb
der Gränze, vi bestimmt, so ergiebt sich hieraus, und
aus k und q, die zugehöi-ige Zeit.
Es kommt ferner darauf an, k und q zu bestimmen.
Soll die allmähligc Hemmung der Vorstellung P eine
bedeutende Folge haben, so wird man k nicht zu
gering — etwa zwischen ^ und 1, — annehmen. Als-
dann ist das Einfachste, k'=:q zw setzen. Dies ist oh-
nehin die Voraussetzung, wenn die Hemmungssumme
zwischen P und den dadurch unter ihren statischen Punct
lierabgedrückten Vorstellungen getheilt Averden soll; denn
alsdannn ist {k -\- li) a "=■ o, k -{- k'=z 1 , und da 9 r= 1
— k', so folgt qzzzk. Hiemit verkürzt sich die Formel
k
für w. Denn nun ist 1 z=o, also
und oj r= p — (q — A) e~JfZ ^^ — e~^ )
Indem t wachst, verschwindet mehr und melir e ' >
und 0) nähert sich einer Gränze, die man, wenn i ein
kleiner Bruch ist, durch den Ausdruck
191
huireiclientl angeben kann. Das abzuziehende q — A
verscliwindet also nicht ganz; sondern die Gränze für
CO, welche sonst q ist, findet sich um so mehr erniedrigl,
wenn das reproducirende P gegen fj nicht zu gross ist.
Während aber diese Reproduction des Restes r sich
vermindert, wirken andre kleinere Reste von Pnoch so
lange unvermindert auf die mit ihnen verbundeneu 77 ,
77', 77""' u. s.w., bis auch sie von dem allmähligen Sin-
ken des P getroffen werden. Stehen nun allen diesen
Reproductionen die hemmenden Kräfte entgegen, (wovon
weiterhin,) so lasst sich schon hieraus zum Theil begrei-
fen, wie die Reihe abläuft ; indem ein früher gehobenes
w dem Widerstände nicht bloss überhaupt (was schon
die altern Rechnungen lehren) früher weicht, sondern
auch schnell genug sinkt, um sich hinter dem nächst-
folgenden 0} zurückzuziehu. Und dies kann selbst
dann, wenn q ein wenig grösser ist als k, sich nicht
stark verändern , da der Unterschied zwischen zwey
ächten Brüchen, die beyde nahe an 1 seyu sollen, nicht
gross seyu kann.
II. Auf Vorstellungen, die im Sinken begriffen sind,
wirkt, so lange die Hemmungssumme nicht ganz gesun-
ken ist, eine Kraft, der sie noch weiter nachgeben
müssen. Dies gilt auch denjenigen, von welchen die
Hemmung herrührt, so ^nge die Reproduction, welche
sie zwar verzögern aber nicht ganz hindern können,
noch fortschreitet. Während nun die Reste der Vor-
stellung P das Hervortreten der 77, 77', 77 ", 77' "u. s.w.
noch fördern können, ist für diese 77 freyer Raum vor-
handen; und es kommt in Frage, ob sie bloss passiv
192
gehoben werden, oder ob sie den freyen Raum, wie
gering er auch seyn möge, vielleicht selbslthällg be-
nutzen werden ?
Um hier wenigstens den Begriff des Fragepuncts klar
zu machen dient folgende kurze Rechnung.
Wenn w = p (1 — e jj)
doi r^ ^
SO ist r= e, II'
dl n ^^
Dieses ist der Ausdruck für die Geschwindigkeit, wo-
mit in dem Zeitlheilchen dt die Reproductiou des w
durch den Rest r vor sich geht. In demselben Augen-
blick würde die Vorstellung 77, wovon w ein Theil ist,
sich, falls sie dazu stark genug wäre, mit einer Energie
r= TT — w erheben, da dieser Tlieil von ihr noch ge-
liemmt ist. Also wäre dann
do) „
— = 77— w
dt
und es kommt in Frage, ob dieser oder jener Diiferen-
tialquotieut der grössere sey? Denn der grössere be-
stimmt die augenblickliche Geschwindigkeit. Nim wird
bey der ganzen Betrachtung vorausgesetzt, Anfangs habe
sich 77 nicht von sich selbst heben können, wohl aber
sey die Reproductiou durch /• begonnen worden.
Anfangs also war
d 10 r Q
dl~~n
welches sich erglebt, indem man in dem obigen Aus-
druck t = o setzt. Zugleich ergiebt sich,, dass diese Ge-
schwindigkeit grösser war als 77; sonst wäre Anfangs
dio = IJdt gewesen. Aber aus
193
folgt - > --
n Q
■\volclio Unglelclilielt der Verhältnisse muss voslgehallen
werilcu. Da luui die Geschwindigkeit, welche der
liest /• bewirkt, bestandig abnimmt, so fragt sich, ob
zu irgend einer Zeit die Abnahme so weit gehe, dass
die andre Geschwindigkeit TT — o) grösser werde?
denn wenn dies geschieht, so wird sich w gleichsam
losreissen von /•, um für den Augenblick seinem eignen
Zuge zu folgen.
Zum Versuch setzen wir die Gleichung auf:
rg
n
//O \ _LL rr
woraus I— — q \e ji^zlU —
Deutlicher vielleicht
— lo
' - —1
wo der Logarlthme nicht negativ seyn kann, weil
— ;>> — seyn soll, nacli der Voraussetzung. Die Eln-
n Q ^
Wendung, der Nenner würde unendlich, wenn U^^^o,
kann nicht statt finden ; denn eine geringe Diirerenz
ist hier hinreichend, und im strengsten Sinne ungehemmt
konnte U nicht mit ;• verschmelzen, sobald die Vor-
stellungen n und P auch nur im mindesten verschieden
sind.
III. Wir fassen jetzt einige, hier zunächst minder
bedeutende Umstände kurz zusammen.
N
194
1) Die friiliern Glieder tler Reihen bereiten das
Steigen jiiclit bloss der nähern, sondern aucli der ent-
fernlern unter den nachfolgenden. Daraus entsteht für
jedes spätere eine Zusammenwirkung von mehrern vor-
hergehenden ; die sich jedoch mit dem Sinken der frii-
herji vermindert.
2) Die weiterhin folgenden wirken zurück auf die
vorhergehenden. Dies konmit unter andern in Anse-
hung des absichtlichen Handelns in Betracht, wo die
Vorstellung des Zwecks die Mittel herbeyruft, dei'en
Reihe bis zum Zwecke fortläuft.
3) Je zwey nächste Glieder sind unter sich verbun-
den; oft so nahe, dass sie fast in einander fliessen;
wovon die beyden Vocale eines Diphthongs ein aulfal-
lendes Beyspiel geben; und kaum weniger auffallend
die zunächst einander folgenden Consonanten, wenn
solche nicht durch einen Vocal getrennt sind. Dass
hiebey keine Umkehrungen vorzukonniien pflegen, ist
eine starke Probe von der Gesetzmässigkeit, welcher
die einmal gebildeten Vorstellungsreihen in ihrer Ent-
wickelung treu bleiben.
Indessen diese Umstände sind nicht gleich wesent-
lich, denn es giebt in Hinsicht derselben grosse Ver-
schiedenheiten, die sich zwar daran ofteubareu, dass ei-
nige Vorstellungsreihen weh leichter als andere gefasst
und behalten werden; die aber eben deswegen anfangs,
so lange man nur im Allgemeinen die IMöglichkeit der
Reproduction untersucht, müssen bey Seite gesetzt wer-
den. Wir eilen zur llauplscjclie.
IV. Von sehr allgemeiner Anwendung ist folgendes.
Man weiss, dass in der Psychologie, wo kein Be-
harrinigsvermögen (keine sogenannte m inertiae, wie bey
10.-)
Körpern) vorküininen kann, tlas Slolgen oder Sinken
der Vorstellungen unniillelbar durch die Kräfte bestinunl
wird; indem also — die Geschwindigkeit anzeigt, nvo-
(Jt
mit eben Jetzt w sich hebt, erkennt man darin nicht
etwa die blosse Fortsetzung einer frühem Bewegung,
sondern die jetzige Wirksamkeit, wodurch w steigt;
mag übrigens der Sitz dieser Wirksamkeit seyn wel-
clien man -svolle.
Gesetzt nun, es gebe mehrere solche Wirksamkeiten
zugleich , und für alle einen gemeinsamen Widerstand :
so wird zwar dieser \A'idersland, so fern er nachgiebig
ist, durch jene alle gemeinschaftlich zum Weichen ge-
bracht; allein dazu gehört Zeit;, luul in wie fern die
Geschwindigkeit diese-s Weichens nicht kann plötzlich
vermehrt werden, bleibt in jedem Augenblicke ein Hin-
dcruiss jener Wirksamkelten , worunter die schwächern
derselben desto mehr leiden jnüssen, je mehr — für
den Augenblick, — die stärkeren sich gelten machen.
In diesem Sinne kann man sagen, die stärkeren drän-
gen den 'V^ iderstand gegen die schwächeren.
AVenn eine eben aufgeregte Vorstellungsreihe sich
Bohn macht unter den andern Vorstellungen, die sonst
im Bewusstseyn würden ungestört gewesen seyn, so
können wir diese andern als einen gemeinsamen "Wi-
derstand ansehen , (zufällige Unistände bey Seite set-
zend;) und alsdann unser Augenmerk auf die Geschwin-
digkeiten (wie -—1 richten, welche den einzelnen Glie-
dern der Vorstellungsreihe zukommen.
Zwey von diesen Gliedern seyen, wie vorhin, 77'
luid n" \ gehoben durch die mit ihnen verbundenen
196
Reslc /•' und ;•" der reproducirendcn Vorstclliing P.
Also gemäss dem, was sdion oben (11) erinnert worden,
ciobt die allgemeine Formel
) — (jQl—e j^ij
d 0) /•' o ^ (I (•)' r o 1^
n: -^ e ii' imd rrr — ^ c ii"
dt n ^^ dt n" '^
Fi-agl man, welche von diesen Geschwindigkeiten die
grössere, und liiemit gegen den Widerstand die stär-
kere sey, so zeigt der Augenschein, dass zwar für
f=2 o, wenn 77' r=: Tl" , bey gleichem q, hingegen
;•' ^ r" , die Geschwindigkeit die grössere und slär-
dt
kere ist; dass sie aber nicht die grössere bleibt, indem
ihre Exponentialgrösse desto schneller verschwindet, je
grösser /•. Demnach wird der Widei'Stand zwar An-
fangs dahin stärker drängen , wo in der Vorstellungs-
reihe die schwächern r sich befinden; allein späterhin
sich mehr gegen die vordem Glieder der Pieihe wenden,
und diese gegen jene zurückdrängen.
Es nuiss einen Augenblick geben, in welchem je
zwey solche Geschwindigkeiten wie die obigen, unter
sich gleich sind, also auch gleichen Druck des Wider-
standes tragen. Alan setze
r Q _^ r"Q _^
r'if r't
so ist r : r' = ^ "" 77 • ^ 7/
T , . . „ r'i r't
und \o" r — log /• zz: —
n n
nuthm /7. — ^- -X — =/
197
JNIaii dividire die Differenz der Logarilluneii der
reproducirenden Picsle durch die Diircrciiz der llestc.
selbst; der Quotient, nuilliplicirt mit der, als gleich an-
genommenen, Stiirke derjenigen Vorstellungen, welche
reproducirt werden , ergicbt den Zeitpuncl , in wekheju
die Reproductionen zu gleicher Geschwindigkeit gelangen.
Diese Zeitpuncte scheiden die beydeu Zeilen , w o-
do) df(/' 1 ,T-i 1
rin, zuerst — , dann , mehr gegen den >\ nlerslanu
' dt' dt' ö o
vordringt. Um al)er die Folge dieser Zeitpuncte , wor-
auf vorzugsweise die Evolution der Vorstelluugsreiheu
zu beruhen scheint, zur (jbersiciit zu bringen , wollen
wir für /•', /', u. s. w. eine lleiiie von Zahlen anneh-
men. F.s versteht sich, dass hier natürliche Logarith-
men gebraucht werden.
,, , „ . /lO — /9
Ls sey /• r=10, /• =9, so ist
;'=10, /■"' z=8,
/•' — 10, /•"" = 7,
' 10— u
. , /^> — /8
ferner/- =: 9, /• ^=: 8 giebt< = 0,11778
"/9~/7
/• = 9, /• z=7 . =0,12505
9—7
/9— /O
r — 9, r =0 ^ = 0.13515
' 9— 0 '
/8— /7
ferner;- = 8,/- =7 giebt = 0,13353
'' 8—7
, /8 — /6'
/- ' = 8, /• =0 = 0,14384
8=6'
u. s. w.
10— 9
z 0,10536
/lO — /8
=0,11157
10— 8
110— n
-0,11889
10—7
/10 — /f)
= 0,12770
198
Damit die Formel richtig verstaiulcii werde, muss
man bemerken, dass -; eine Zalil ist, die mit einer
r — /•'
andern Zald , nämlich log /•' — log /•", multiplicirt, wie-
der eine Zahl giebt. Diese letztre nun ist anf die Ein-
heit der Zeit zu beziehen. Die Einheit für tlie Stärke
der Vorstellungen ist hier nicht bloss unbestimmt, son-
dern gleichgültig,
Ist der Zeitpunct der gleichen Geschwindigkeit ver-
llosscn, so kann man fragen, ob der entstandene Unter-
schied bedeutend zunehme? Es gehe i über In t-\-u,
so sind die beiden Geschwindigkeiten
do) r o _]l(tA.,t) ^do)" r'o _. ll' /,_l ,a
dt fi ^^ dt n ^
und wenn ii klein ^enug, so ist nahe
_f:'" i'ii ^ L^' r"ii
^^ n ^^ n
Beyde Geschwindigkeiten sind Im Abnehmen begrif-
fen ; die Verluste verhalten sicli einer zum andern nahe
wie /• : /• '; die Abnahme übei'haupt ist nahe dem Zeit-
iheil u proportional.
Für die obigen Zahlen kann man Beysplelswelse
77 :== 5 annehmen ; da nun (laut voriger Abhandlung)
die Einheit der Zeit auf 2 Sccunden zu schätzen ist,
so wird das Zehnfache jener Zahlen für die Zeiten, In
welchen die Geschwindigkeiten gleich werden, die An-
gabe in Secunden liefern. Diese Zeitbestimmung ist
unabhängig von q ; welches jedoch für jede Geschwin-
digkeit und für jedes w bestimmt seyn nniss. Nicht
jeden Theil von Fl darf man In diesem Zusammen-
.199
r n
hange für o annolimcn, da (iiacli II) — > — st'\iiinuss.
// (>
]'!s scy p m 4; dies wird passen, wenn mir niclil /■ l)is
auf () herab verjiiindert ist.
Also liir /7 = r), {) = 4, /'zizlO, rindet man
d 0)
Avenn / zz: 0, dann w = 0, inid — =i S
dt
do) ^ ^
wenn /=:= 1,0530 Secunden, w zz: 2,()Ü53; — — zz:2,/S<).
dt
Für dieselben VVerlhe \on JI und q, aber r zz:9,
do)
wenn i:=(), w=^0, — = ^/-^
dt
wenn /z:n l,0r)3G Secunden, w^z: 2,4502, zz: 2,789.
dt
Hiebey ist nun noch kein Widersland in Rechnung
gezogen; aber man sieht, dass ein solcher vor der an-
gegebenen Zeit anders als nach derselben einwirken
werde, wenn er jedesmal die geringere Geschwindigkeit
noch mehr verzögert. Denn die zuvor grössere Ge-
schwindigkeit verliert jetzt in dem Verliältniss 10 : 9
gegen den Verlust der andern , die ihr gleich gewor-
den war.
Anmerkung 1. Wenn man den Ausdruck für
r 7 ', -VI. rr^^S'' — log'" . 1 ,- 1-
die Zeit, namlich i zm H ; , ni den iur che
/• — /•'
/■' o ''^ r Q ' "^
Geschwindigkeit, also in — ^ e TT oder in — e "/7 ^
n 77
substituirt: so findet sich eine Bestinmunig der gleichen
Geschwindigkeit durch /•' und r". Um die gestrichelten
Buchstaben zu vermeiden, sey nun r zzz a luid r"z:^f'\
so giebt jene Substitution
200
1
~dt~~dT ~n' Wy
b
Dies fülirt auf den Gedanken, man könue die gleiche
Geschwindigkeit , worin je zwey Reste /• für einen be-
stimmten Allgenblick zusanimenlreirend wirken müssen
beliebig annelimen , auch zugleich die Diirercnz jener
liestc willkührlich voraussetzen; und hieraus die Reste
selbst berechnen.
oey das obige =z— . ß , also / rz: ( — - )
"" dt n ' Kaf'J
1 _ / '^"
luul 7^-" "==—-, auch die bekannte Differenz n — h-=irt.
während a und h unbekannt sind: so konuut a* /'"rz: ä«,
oder b log a -\- n log J^z=^a log // ; und Aveil az::zb-\-n,
b log (b-\- n)-\-n log /'= {b -\- n) log b
Da log (b -f n) = log b -\- log f 1 -I- -^), so folgt
b log b -\- b log f l-\ j -j- n log /'= b log b -]- n log b.
oder/Joo(l4-^)=„_^^'i.-|-X^^_l'i_ _{_... + „ logr
2 3
= nlog/>undl—i— + 4- -,— 4:^-^4-... -hlogr=log/y
Hat man F und « passend angenommen, so dass
b hitaeichend gross gegen n seyu müsse, so wird
nahe 1 -\- log Frzz log ä
]Man kann also auch noch immer n so wählen, dass
die Rechnung bequem sey zur weitern Annäherung,
nachdem /" schon vestgeselzt worden.
Beyspiel: lür /7 =: .^ und o= 4 soll die gleiche Ge-
201
schwincH"keit ir: 5 sc^n. Also nr^ F m 5, \iiul
° ^ dt '
'^-^ -z^V. Nun ist 1 -|- log /' := log 17 bejnahe; mau
kann also fÜGlIcli n ■==■ \ setzen; es ist alsdann 1 — ^t-
-|- log '-^ ::=log 16, 49G; so dass imgcfalii- iz3:lC,5 und
a:=17,5 wird. INlan kann aber aucli «rz:2 setzen, woraus
1 — J^ -|- log ^ = log 1C,018; also nahe h:=^ 16 luul
a=18. In beyden Fallen wird die Zeit etwa 0,6 Se-
cuuden betragen; und die Gescliwindigkeiteu sind An-
fangs beträclillich grösser, als in dem frühem Beispiele.
log/-' — logr' ,
Anmerkung 2. Aus frzzll- -. siehtman
/■ - — •/•
unmittelbar, dass die Zeit so kurz seyn kann wie man
will, wofern man TT im nämlichen Yerliältuiss verklei-
nert. In Ansehung der Reste, wenn ;•' lim /•" -|- '^j fi^^"
dct sich
i 1 , , mN 1 u , tfl
n u r y r r ^ r ^
welches, wenn die Reste gleich sind, also « n: 0 ist,
1
sich in — verwandelt; eine Gränze, die nicht über-
/•
schritten werden kann; so dass, wenn t sehr klein seyn
und dabey // nicht in demselben Verhältnisse abneh-
men soll, beyde Reste sehr gross sein müssen. IMan
kann auch log -77 =/ als eine gegebene Grösse ansehn ;
dann ist /• =/• ef und — /• (e/ — l)=izf, mithin
n
ir"
wo/=, 0 für /•' izz r" wird, und nicht negativ genom-
men werden darf.
202
V. Wenn eine Vorstellungsrellie sicJi im Bewussl-
seyii entwickelt, so liat sie niclit bloss denjenigen Wi-
derslaud zu überwinden, welcher von andern Vorstel-
lungen herrülirt , die sonst im Bewusstseyn wüi'den ge-
wesen seyn , luid nun mehr oder weniger zui-iickge-
drängt werden: sondern auch unter den Gliedern der
Reihe wird es Gegensätze gel)en*, daraus wird eine
Hemmungssumme entslehn; diese Hemmungssumme wird
sogar eine Zeitlang anwachsen, luid jenen Widerstand,
der zu üljerwinden ist, noch verstärken. Wenn wir
nvui, der Einfachheit wegen, auch nur Eine reprodu-
cirende Vorstellung P annehmen, deren verschiedene
Reste /•', r", r" u. s. w. mit IT , 77', iX" u. s. w.
(den Gliedern der Reihe) verschmolzen sind : so geschieht
doch die Reproduction von Anfang an durch alle diese
Reste zugleich; die Gegensätze der verschiedenen /7
bildöu unter sich eine wachsende Hemmungssumme , zu
welcher die sänuntlichen 77 in dem Maasse beytragen,
wie sie im Bewusstseyn emporsteigen. Wie gross diese
Hemmungssumme sey, und nach welchem Gesetze sie
wachse, lässt sich im Allgemeinen nicht vestselzen; weil
die Reihen höchst verschieden seyn können. Im gemei-
nen Leben wird oft genug bemerkt. Einiges sey schwe-
rer. Anderes leichter zu behalten; diese Unterschiede
kann man in demjenigen, was während der Repro-
duction verschiedentlich nach Zeit und Umständen iju
Bewusstsejai ist, nicht suchen, denn die grössere oder
geringere Schwierigkeit des Behalteus (also eigentlich
des Reproducirens , worin die Probe des Behalteus sich
zeigt,) wird den Reihen selbst zugeschrieben.
Überdies kommen noch pliysiologische Nebeniun-
slände hinzu ; indem Jemand mehr oder weniger aufge-
203
legt ist, sich mit diesem oder jenem Gegenstande zu
beschäfFtigen , wenn das leibliche Befinden besser oder
schlechter, wenn auch nur diejenige Disposition, welche
durch AfTecten irgend einer Art hcrbeygeführt wurde,
günstiger oder ungünstiger einwirkt.
Die IMannigfalligkeit dessen, wovon der Widerstand,
abhängt, ist demnach so gross, dass an eine allgemeine
Regel seines Wirkens nicht zu denken ist; eben des-
halb aber ist es passend, dass wir uns verschiedene
Formen aufsuchen, wie er möglicherweise beschaffen
seyn könnte, und welche Folgen, die mau in der Er-
fahrung wieder erkennen wird , daraus liervorgeliu
mögen.
VI. Die einfachste Voraussetzung ist folgende:
Wenn durch den Rest r der reproducirenden Vorstel-
lung P, von dem mit ihm in Verbindung getretenen
Reste Q der Vorstellung 77, im Laufe der Zeit / das
Quantum oj hervorgetreten ist: so soll im nächsten Zeit-
theilchen^/^ der Bruch « von w zum Sinken gedrängt
werden; dergestalt dass a eine constante Grösse sey.
Also
~ {q — w) di — awdt r=z d b)
woraus w = ~ f 1 —e ^^/ "*" ")'^
r
Vergleicht man dies mit der bekannten Formel
~q\\—e n)
welche aus dem eben gefundenen Ausdruck Avieder her-
vorgeht, wenn « = o gesetzt wird: so zeigt sich, dass
w nun einer niedrigem Granze sich geschwinder nähert;
204
(lass aber ein elgenlllchcs IMaximum , worauf ein Sin-
ken folgen würde, niclit statt findet; nämlich nicht un-
ter der Voraussetzung, « sey constant.
Nun kann man diese Voraussetzung zunäclist da-
durch zurücknehmen, dass man eine schnelle Verände-
rung zulasst, die einer plötzlichen nahe kommen möge.
Hieraus entstehn schon zwey Fragen. Erstlich: wie
stark müsste sich a ändern, wenn z=.0 werden sollte?
dt
Zweylens : wie gross wäre eine Veränderung, wodurch
die Erhebungsgräuze von w unter den , zu einer be-
stimmten Zeit schon erreichten Standpunct sollte her-
abgesetzt werden?
1) Aus wrr:--i-- (i_,-(y7+0')
^ 1 _1_ all \ y
r
folgt ^^.::.'^-(r7+0'
"" dt n
Dieses würde m 0 werden, wenn eine gleiche nega-
tive Grösse plötzlich hinzukäme. War also für ein be-
stimmtes t und 0)
— (p — w) dt — aojdtz=.do),
so müsste im nächsten Augenblicke statt dessen
— (^ — oj) dt — u i<) dt — iuo dt::::^ do)
eintreten, wo ä den nöthigen Zusatz zu « ausdrückt,
oder a sich in fx -\- ü dei'gestalt verwandeln würde, dass
« w = — e V y/ ' y wäre, luu obiges — —
fl dt
aufzuheben. Hieraus folgt mit Zuziehung des Werllis
von (u niui
2o:i
/• \- an 1
ji
Xt-+«)'_,
^vclchcr Ziisalz um tlcsto geringer wäre, je giösser t
sdiou angewaclisen seyii ^Yiin^e. (^lan denke sich elwa
'• , . , 1
— = 2, « — 0,3, / = 1, so ist « = 2,3. ^ ^^^ _ ^ , also
wenig über ^.)
X' . .. I ^ dif) rn C —J- J_ '^
von letzt an Nvare uemnacli rz: — e K.ji't'^'r'' jt,
^ dt n ^'
zNvar kleiner als zuvor, aber nicht negativ; und die Er-
hel)ungsgränze von lo , wäre nicht mehr, wie vorhin,
— , sondern herabgesetzt auf — -
Auch würde sich wegen der Veränderung des Ex-
ponenten, 0) dieser Gränze sclineller nähern als zuvor.
Wenn die Veränderung von « noch mehr betrüge,
als hier gefunden worden , so müsste , im Augenblicke
der Vei-änderung, w eine negative Geschwindigkeit be-
kommen, also herabsinken von der erreichten Höhe;
es würde aber gleich darauf doch fortfahren zu steigen;
nur noch weniger als zuvor.
2. Der Ausdruck w ">» ~ — bezeiclinet einexler-
/• + (i /7
gestalt herabgesetzte Erhebuiigsgräuze , dass w augen-
l^licklich zurückgedrängt, obgleich dann wieder steigend,
nicht njehr auf seinen schon erreichten Stand sich von
neuem erheben könnte. ]Man halte also
oder, Avenn man der Gränzbeslinimung wegen das Gleich-
heilszeichen anstatt des Zcicliens der Ungleichheit selzl.
206
+ T,
e — 1
■wo der Nenner die Vei'gleicliung mit dem \orliin (1.)
gefundneu Werllie erleiclitert; indessen kann man viel-
leicht noch deutliclier so schreiben :
■Ct+«)''
« + 77^
u
<^+«>
1 — e ^'n
Dass nun auch minder plötzliche Veränderungen des
"Widerstandes doch schnell entstehen, inid den vorigen
nahe kommen können , wird nach dem was oben (be-
sonders unter IV) gesagt worden , wohl nicht zu be-
zweifeln seyn. Auch ist klar, dass wenn u plötzlich,
oder schnell, kleiner wird, alsdann umgekehrte Erfolge
eintreten müssen. AYahrscheinlicher jedoch sind solche
Bestimmungen, vermöge deren der Widerstand allmah-
lig wächst, indem die Glieder der Vorstellungsreihe
emporsteigen, und dasjenige gegen sich in Spannung
versetzen, was ihnen im Wege ist. Zu einer solchen
gehen wir jetzt über.
VlI. Anstatt des obigen a setze mau ft (o , wo /t
einen beliebigen ächten Bruch bedeutet. Also:
-— (o — w) dt — II CO '^ill =:z du)
n ^^
dio
oder di r=
n ^ 77
— W /tW*
I r I
Setzen wir ^ 4/t ^ -^ -{- ^-^zzz a, so giebt die Rech-
7/ ' W
nunc
2o:
t = — log ■ . ( onst.
r
a ■
uiul da tzz=.o für w = ü, so ist Const z=. inilliia
voUstaudia
fl -j — - 4" 2/? w a
1 ' 77 ' ' 7/
/=r — .log .
und liieraus, \\cnn man noch der Kürze wecen — = Z»
'' n
setzt,
nt 4
/.2
e
Avoraus ferner, indem nr — ^,
(i — ])
Wenn die Zeit unendlich, Avird w = ; das ist,
^ '^'
w rr: — — — — ; luid eben ilen nämlichen
2 /, /7
AVerlh findet man, Avenn, um JwrrrO zu setzen, der
iSenner —^ — w — /t w^ in Facloren zerlegt, also die
Gleichung ii oj^ + -— w = — ^ aufaelöset wird. Dem-
' '77 n
nach ist die Erhebungsgränze für oj zugleich das IMaxi-
mum ; und auch hier, wie im vorigen Falle, findet ein
eigentliches ]Maximum, worauf ein Sinken folgen sollte,
nicht statt.
208
Setzt man in dem so el)en angegebenen Ausdrucke
^f = (), so wird w=r|}; wenn man aber Nenner luid
Zähler nach /t did'erenliirt, und alsdann ^( z::: 0 setzt, so
hnclet sich -—^ =: q, wie es seyn
muss, indem für fi-ziz{) nichts Anderes als das längst
— — ^
l)ekannte w :=:=:() V 1 — ^ 7/ y herauskommen kann, des-
sen llrhebinigsgränze zu q ist.
Ueberhaupt kann für geringe Werlhe von fi die
jetzige Foi^mel nidit weit von jener abweichen. Die
zuvor mit a bezeiclinete Grosse r 4 n o ist
=■ — für jii z= 0; xmd dann auch az:=i b.
Um nun den Faden der Untersuchung in IV wieder
aufzunehmen, müssen wir zuerst für zwey versclüedene
Pieste /•' und /•" den Zeitpunct aufsuchen, wo beyde
dem steigenden m eine gleiche Geschwindigkeit erlheilcn.
Hier würden M'ir in eine abschreckende ATeitlauftigkeit
der Piechnung gerathen, wenn unmittelbar aus der Gleich-
heit zweyer, von ?•' und /•" abhängiger Differentiale doj
und dai' sollte t gesucht werden. Allein wenn p nicht
zu gross genommen wird, ist durch die Rechnung in IV
der Werth von t schon nahe gefunden, und wird sich,
so weit uöthig, berichtigen lassen.
Bey spiel: Wie oben sey /•' =: 10, /•" rr 9, n=z5,
() ri: 4, fizuz^-; demnach ö zz: 2,6833 und /; zrr 2 für
?' =: 10: und a =z 2,4738 und b =z 1,8 für r" z= 9. Aus
/ — 77 ^og f' — log f"
209
und — = — ^ . —
do) , d(o'
ergiebt Sich nun — = 2,3835 und = 2,4108 :bey-
dt dt
des, wie natürlich, etwas kleiner, als in dem Beyspiel,
, ^ du)
welches oben in Iv berecJuiet wurde, — -= 2,789: uber-
dt
du)" do)
dies ist aber — — >> •- — : die Zeit der gleichen Ge-
dt dt
schwindigkeit ist also überschritten, da im Anfange dm
grösser war als Jw"; und so weit, als die eben gefun-
denen Zahlen angeben, können daher die Geschwindig-
keiten im rechten Augenblicke noch nicht abgenommen
haben. Es kommt nur darauf an, eine nicht gar zu
beschwerliche Correctur zu gewinnen, wenigstens auf
den Fall, dass man eine solche für nöthig hielte.
Der Nenner werde entwickelt; alsdann Zähler und
Nenner mit e " dividirt ; und in das letzte Glied des
letztern der vorige AYerth von i subsütuirt, welches
füglich angeht, weil dieses Glied gering ist im Ver-
gleich gegen tlie andei^n. Nach gehöriger Rechnung kann
man ferner i=.i -\~u setzen, und auf bekannte Weise
dem Werthe von u sich annähern. Wäre es nöthig,
so würde man mit dem hiedurch verbesserten / die
Operation wiederhohlen. Also:
<l(ö_2rQ^ 2a2e«'
__2r'Q 2a2
n \(^a-j- bf e"^ -^ 2{a^— b^)-{~{a—bye-''^
Hier wird man in e~ "* den Werth setzen, welcher
0
210
für / in IV gefunden war, und folglicli (a — h)'^ . e~ "
einstweilen als conslant belrachlen. Wenn nun auf
, d 0)
älmliclie "N'V eise auch nut verfahren worden , lasst
di
sich beydes gleich setzen, und naclideni die beyden ver-
anderliclien Grössen auf eine Seite gebracht worden, hat
die Gleichung folgende Form :
y4e" - — Be."*:z^C, oder, t' -\-ii für t gesetzt,
> a"t au T, nt' au /-.
Ae . e — iJe . e := C,
alsdann kann e" " und e"" in eine Reihe aufgelöset,
luid u mehr oder weniger genau berechnet >vei'den.
Wir wollen lür das obige Beyspiel nur e""= l-\-au
nehmen. Es ergiebt sich « =r — 0,0577, und da (nach
IV) der Werth von 1 =. Fl . 0,10536 war, mithin für
77=: 5, /:= 0,5268, so haben wir nunmehr verbessert
/n: 0,469. Setzt man dies in — , so kommt für /'nr 10,
dt
-^ = 2,7518 ; und für r' = 9, -^ = 2,7465 ; die Dif-
dt dt
fereuz der Werlhe , welche eigentlich gleich seyn soll-
ten, beträgt jetzt also nur noch 0,0053; anstatt vorhin
0,0273. Der Fehler in t ist nun dem vorigen entgegen-
gesetzt: denn ist noch nicht zur Gleichheit mit
" ' Jf dt
gelangt; und t sollte noch ein w^eniges grösser sejn;
gewiss aber liegt es nun bedeutend näher bey 0,469
als bey 0,5268, und ist hiemit hinreichend begranzt.
VUl. Da für /• die Erhebungsgränze von
— /• + V";2 4-47-p^r /7
: selunden wurde (NU): so
211
suche man dasjcuiye fi' , (ür Avelclics der Host /■" dio
jiämliche Erliebungsgräiizc gebe, Avic /•' liir //. y\lso
T ^' + \/ r'^ ^4r of,' n _ —,''-{-^fr'^^4r"Qft"n.
2/('// "~ 277' 77
Der Ivurzc NVOüien soy ^^-^i zzi/%
so llndct man
Im obigen Bcyspiele (Vll) ist Zi'=r: 3,416; und die-
ses ist das nämliche für fizri-^^ und /•'r:rlO, wie für
/t" = 0,0901 und 7'" = 9. Es versteht sich von selbst,
dass Avenn das kleinere /•" die Reproduction des m eben
so weit bringen soll, als das grössere /•', dann der Wi-
derstand etwas geringer seyn nuiss. Der Unterschied
aber ist klein zwischen beyden p, wenn nicht die Reste
Aveit verschieden sind. Wird der Unterschied des Wi-
derstandes grösser, also //' kleiner oder fd grösser, so
gehört zu /• ' eine höhere Erhebungsgrauzc , als zu dem
grössern /■'.
Nun kann in Folge dessen, was in IV und V über
den Widerstand gesagt worden, (vollends wenn noch
das hinzukäme, was in I angeführt ist,) nachdem der
Zeitpunct der gleichen GescliAvindigkeit (Vll) vorüber
gegangen, jener Unterschied leicht grösser werden; und
hiemit wirklich für w" eine höhere Granze der Annä-
herung eintreten als für w'; mithin lo, wenn schon stei-
gend, doch hinter oj" zurückbleiben. Es kommt jetzt
darauf an, dies genauer zu untersuchen.
Zu diesem Zwecke wenden wir uns nochmals zu
der Integration von
0*
n
woraus gefunden war
212
(o — w) (1t — /' w^ dt^=.ä 0)
. a-\ ]- 2ifM
' — los— . tonst.
a
n '
In dem Zeitpuncte glelclier Gescliwindlgkelt sey
iz::zT, und oj= 0; die Constaule soll dem gemäss be-
slimmt, also in so fern die Rechnung abgeändert werden,
imi alsdann ein grösseres oder geringeres /i nach jenem
Zeitpuncte aimehmen zu können.
Zuvor sey noch bemerkt, dass bis zu dem erwähn-
ten Zeitpvmcte hin die beyden fi füglich für gleich kön-
nen angenommen wei'den, in der Voraussetzung näm-
lich, dass auf r' und /•" noch viele andre kleinere Reste
/•"', /•'"', u. s. w. folgen , vermöge deren die reproduci-
rende Vorstellung P auf die spätem Glieder der Vor-
gtellungs- Reihe wirkt. Denn wenn schon der grösste
Rest /•' anfangs am meisten vordringend den Widerstand
gegen die spätem Glieder treibt, so leiden doch davon
die schwächern Reproduclionen gemeinschaftlich, inid
diejenige, welche unter ihnen noch die stärkste ist, also
die von /•" ausgeht, am wenigsten: so dass /•' von /•"
sehr verschieden seyn niüsste, um hier eine bedeutende
Verzögerung zu veranlassen. Dagegen ist schon in IV
gezeigt, dass /•' nicht bloss von /■", sondern sehr bald
auch von /•'" überilügelt wird, also jti schon deshalb
einer fortgesetzten Vergrösserung unterworfen ist.
Da nun 7'=i; — log ~- , Const.
a a — - 2/, O
213
. ,r . a—h-2jiiO aT , .
so ist Lonst. izz — ; . e , indem wir, Nvie
vorhin, — r=. b setzen. Also voUständiG
' n
1 . a-\-h A~2 no) a — h—2fiO „r
a ^ a — b — % fi oi' a -\- b -\- 2 lii O
wo nun vor Augen liegt , dass die Erhebungsgränze so
bestimmt wird, als ob vor Ablauf der Zeit T kein an-
deres /( statt gefunden hätte. Denn wenn t r— CX),
kann der Logarithme nur dadurch unendlich werden,
dass a — r b z=. 2 fiw,
a-\-b 4- 2 f, O
Zur Abkürzung sey — ~- — ■- — r::: K ,
a — b — 1 fi 0
1 a + A + 2 /f fo e " ^
also i := — log
so ist w r:^
a a — b — 2 jitoj K
(a — b)Ke'*^'~'^^—(a-{-b)
2^i{Ke"^'-^^-^l)
und
da, a^ Ke"^*-^^
dt ft (^'/('-^^-{-1)2
Um hier das obige Beyspiel zu verfolgen, müssen
wir zuerst vi und w" nach der Gleichung in VII für
den Zeilpunct der gleichen Geschwindigkeit, also für
/ nz 0,469 oder kürzer für t =■ 0,47 (da es etwas grö-
sser seyn wird,) berechnen. Dies giebt w = 2,3513,
und w" ::zr 2,2072. Nun wollen wir niu" eine geringe
Veränderung von fy annehmen, so dass füglich aus den
angegebenen Gi-üuden eine stärkei^e, zwar nicht plötz-
liche, aber sehr bald entstehende, könnte erwartet wer-
den. Es sey also, anstatt des frühem /t' = 0,1, jetzt
/t zi: 0, 12. Da so eben gefunden woi'den, dass die
veränderte (oiislante keinen Einlluss auf die Formel für
die Erlicbungsgränze liat, so ist in die naiuliclie Formel
nur das veränderte // zu setzen; alsdann ergiebt sich,
dass ('/ sich bis zu dem AVerthe rz: 3,3333 erheben
würde, wenn die Zeit unendlich wäre. Hingegen w",
dessen ft" wir unverändert lassen, würde steigen bis
zu dem Werthe m 3,369. Vermöge der Art, wie w'
und w" von Exponentialgrössen abhängen, ist klar, dass
sie bey längerer Zeit sehr bald so gut als constaut wer-
den; man kann also das Empoi'stcigeu von den zur Zeit
/ r= 0,47 erlangten Werthen bis zu den Erhcbungs-
gränzen fast als gleichförmig, demnach als geradiinigt,
ansehen. Demnach, wenn, nach jenem Zeitpuucte, w'
)ioch um 3,3333 — 2,3513 rzz 0,982, luid oj" noch \nu
3,309 — 2,207 zz: 1,162 steigen soll: so kann man dem
(')" eine grössere Geschwindigkeit des Steigens beylegen;
und zNvnr so, dass näherungweise die Geschwindigkeiten
des 0) und w" sich verhalten, wie der Wachsthum in
gleicher Zeit, also wie 0,982 : 1,162. Es wird dem ge-
mäss einen Zeitpunct geben, in welchem w z=: w". jMan
setze 2,2072 -|- a =^ 2,3513 -{- r, wo a und y dasjenige
bedeuten, um wieviel w' und lo noch zunehmen müs-
sen, um gleich zu werden, und zwar in gleicher Zeit.
Verhält sich solches Zimehmen wie 1,162 : 0,982, so
0.982
ist X irr 1,162/ und r rz: 0,982/, und r =: — a.
' ' 1,162
Hieraus x = 0,9303, y = 0,7862, / =: (),800G. Da
liier / von dem Zeitpuucte der gleichen Geschwindig-
keiten anfängt, so nuiss man für die obigen Formeln
0,47 -}- 0,8006 rr; 1,2706 = / nehmen; und es fragt
sich nun, ob dieser Werlh nahe richtig sey. Wir könn-
ten, um dies zu prüfen , in die Formel für to", welche
unverändert ihr voriges /«" irr 0,1 behält, das eben ge-
215
fuudene t selzen; allein das Verfaliren lasst sich um-
kelu'cn , und wix' wei'den, weil t sicli mehr verändert
als w, vielmehr in die Formel für t (nach VII) denjeni-
gen Werlli von w selzen, welcher als der wahrschein-
liche ans der ehen geführten Rechnung hervorgeht.
Wenn uämlich x oder y zu dem Irüliern w" \n\d o) ad-
dirt wird, so findet man oi" =z oj' z::z 3,1375. Ange-
nommen dies sey richtig, so giebt die Formel für t in
VII nunmehr / zzz 1,1378; welches von dem, als erste
Annäherung gefundenen, 1,2706, nicht so sehr abweicht,
dass weitere Rechnung deshalb nöthig wäre, die Jeder
leicht würde anstellen können.
Hier kam es nur auf den Begriif dessen an, was zu
berechnen Ist. ]Man sieht nämlich, dass b e y der R e-
production der Vo.rstelluugs - Reihen die frü-
hern Glieder, während sie selbst noch steigen,
von den nachfolgenden können überstiegen
w e r d e n.
IX. Wir wenden uns zu andern möglichen Formen
des Widerstandes ; und zwar zu einer ganzen Klasse
dieser Formen, von denen die einfachsten näher in Be-
tracht sollen gezogen werden. Der Widerstand kann
nach Potenzen der Zeit bestimmt seyn; er mag einfach
tler Zeit, oder einer Potenz der Zeit proportional, oder
eine solche Function derselben seyn, die man nach Po-
lenzen der Zeit entwickeln würde. An die Stelle des
vorigen fi o)^ trete jetzt fi i, so haben wir
— (o — 0)) dt — ft / d t ":=: d w,
woraus, wenn für / z= 0 auch w nz 0,
= Q^-^'"T^O-' ^i^-f' 7
216
Hier kann w := 0 werden, nachdem es ein INIaxi-
niuni hatte. Der Dißerential- Quotient zeigt, dass w bis
gegen das JMaxiniuni hin fast eben so zunimmt, wie
Avenn kein Widerstand wäre ; vorausgesetzt nämlich,
dass /t ein kleiner Bruch sey. Alan kann auch so schreiben :
also fürs Maximum
Ist diese Zeit gross genug, damit man allenfalls
rt
e ^^ neben 1 weglassen könne, so kann imi desto ge-
wisser für w = 0 dasselbe zur ersten Annälierung dici-
neu; und danr» igt, indem w verschwindet, nahe
fin ^ r
Für die vorigen Annahmen r ^ 10, ^ = 4, /7r=:5,
ft m y!g, wird fürs IMaximum t ^=: 2,54, imd für w r= 0,
/ nz 80,5 •, also steigt oj schnell und nimmt langsam bis
auf 0 ab.
Da für kurze Zeiten die Bewegung des w fast gänz-
lich derjenigen gleichkommt, die für fti. = 0 statt fin-
den würde, so kann hier verglichen werden, was oben
(in IV) gefluiden worden. Die Geschwindigkeiten zweyer
Reste, wie r =■ 10 und /•' z= 9, werden unter Voraus-
setzung jener Werthe von 77, Q , fi , viel früher gleich,
als das JMaximum eintrit. "VYenn nun wiederum der
Zeitpunct gleicher Geschwindigkeiten eine Veränderung
des /i herbey führt, so muss der Erfolg dem schon be-
217
kannleu (VIIl) zlcmlicli ähnlich ausfallen; nur wird ilann
zugleich das Älaximum für r z=z 10 etwas eher kommen.
x\ndre Werlhe von r, 77, q, fi, so weit solche brauch-
bar sind, bringen in der Zeit fürs INIaximum nur ge-
ringe Veränderung hervor. INIan weiss aus II, dass
— >> — ; überdies ist o ein Theil von 77, und obgleich
77 Q
hier /t ^ 1 genommen werden kann , so wird man
doch nicht leicht eine grosse Zahl dafür nehmen, wenn
die Enlwickelung der Yorstellungsreihe nicht unter-
drückt werden soll. Innerhalb der hiedurch vorgeschrie-
benen Gränzen ändert sich eine logarithmische Grösse,
wie t, nur wenig; vollends wegen des Coefficienten — ,
/•
welcher kleiner wird, wenn /• gegen 77 vergrössert. Hier,
wo ein Maximum statt findet, kann man die Zeit des-
selben nicht viel leichter verrücken, als bey dexa zuvor
angenonuuenen Gesetzen des Widerstandes (in VI, VII,
VIII,) ein Maximum denkbar gewesen wäre.
Es richte sich jetzt die Form des Widerstandes nach
dem Quadrate der Zeit. Also:
— (o — <jj)dt — fit'^dt — d (a
W^oraus tu ^=-
do) r /- 2fin\-- 77 ,ium
dt UK r^ J '^ r ;'2
und
welches letztere man auch schreiben kann
dm
dt
dm rp -^4 . 2/r772
'^r^+i^0-.-;7)_^^,
218
Bcy der Integration ist w r= 0 für t er: 0 genommen.
Um die Zeit des Maximums aus der Gleichung
r / 2^cn\ -^
1' r"
bequem zu finden, kann zunächst die Bemerkung dienen,
dass t gewiss grösser ist als — , weil dadurch die bey-
/•
den letzten Glieder sich aufheben würden. Man nehme
n/7
< :r= , wo n eine beliebige Zahl; so lasst sich für die
/•
angenommenen Werthe, mit Hülfe der bekannten Tafeln
70 — '» 2 /« 77 2
leicht erkennen , ob — . e ~> — — - — ■ (n — 1). Ist
hiedurch ein nahe kommender Werth von t gefunden,
>velehen wir mit T bezeichnen, so sey t nr T-\-u,
,.2
r
— — ■ T
und e il z::z 31; alsdann ist
w^oraus wegen e II :^ 1 —u-^-^-pr:^ u^ — . . •
u leicht gefunden wird.
Hier kann nun eher als im vorigen Falle für /» eine
Zahl > 1 gesetzt werden, da, so lange ^ <C 1 , das
Hervortreten von w durch das Glied jut'^dt nicht so
sehr gehindert erscheint, als vorhin durch fitdi.
Indem für die jetzt angenommene Form des Wider-
slandes eine ähnliche Untersuchung, wie in VII, soll
geführt werden, stossen wir zuerst wieder auf die Frage
nach dem Zeitpuncte, wo die Geschwindigkeiten für /•'
und r" gleich sind. Diese Frage bedarf jedoch hier
1219
iiiclil viel mehr als eine Riickweisung auf IV. Um iiäni-
(l M d 10
hell — ziiz zu rinden , wird man die Wcrllie die-
dt dt '
ser DilFerenlial - Quotienten für /•' und /•" zu bestimmen
haben. Wenn nun dort, weil t für den gesuchten Zeit-
r t
puncl nicht gross scyn kann, 1 — e ^l in die Reihe
vi r'^t^ r^t^
1 — 1 -{- -=r ^ — 7r — ^ + } — : — ' • • • aufgelöset, und mit
2 n n^
dem Factor — multiplicirt wii'd, so sieht man gleich,
,.2
1 '^f' n^ rt 2/, 77
class . — . — sich gegen das lolgende (jlied t
v^ n r
2/«, 772 /•2/2
aulhebt ; ferner dass — . ^ -:—— =: /( i^ für /•' und
,.2 - /72 /"
r' gleich ausfallt, und liiemit aus der Gleichung ver-
schwindet; endlich dass auch die Glieder, welche von
i^ abhängen, nur sehr wenig verschieden seyn können,
wenn nicht eine grosse Dillerenz zwischen r und /•'
, , ., dvi d Oi"
vorausgesetzt war. Also bleibt von zzz nicht
° dt dt
r' t ,t r"t
viel mehr librig als „ e IL ^z. — e ^^ , Dies aber
" 77 77
ist aus IV bekannt, und wir werden die dortigen Wer-
the liier gebrauchen können.
Nun müssen, wie in VIII, w' und w' für jenen Zeil-
punct berechnet werden. Wir nehmen Beyspielsweise
wiederum /•' nr 10, /•" = 9 ; also den Zeitpunct glei-
cher Geschwindigkeit m 5 . 0,1053 =: 0,526. Dies in
die Gleichung für w gesetzt, wobey [i -z^ \ seyn mag,
(desgleichen wie zuvor q ■=:. A, Tl z:=. 5,) giebt
w' = 2,445 und w" 1= 2,406
220
Ferner soll aus den früher angegebenen Gründen der
\^ idersland sich, \on dem erwähnten Zcilpuucte an,
mehr gegen w' wenden. Wie in VIII verändern wir
die Constanle in der Formel für w, damit o) = 0 für
/ z=. T seyu möge; um alsdann ein etwas grösseres ft
eintreten zu lassen. Die Integration von
— (() — w) dt — fii'^ dlz^du)
crgiebt ursprünglich
e, == ^ _ ^, ZZ^/2_?_?^,_.^^^^Con8t.e~ 5?
EsseyO = Q — fc--{T^ — ^^^ (t ))+ Const.e~7/^
und man bezeichne 0 — q-{-/c — (T^ (T ) )
r
— T
r^ K, so ist KeJJ^ = Const. 5 und vollständig
/j 77/' ^ 217/' n-\\ —L(t_T) , ,
woraus
do) InTJrTl \ ^^ r —~{t—T)
dt r Kr J 77
Soll dieser Differentialquotient nr 0 seyu, so hat man
2 ,(t 77 /* 77n ^^ r _ — (f _ T)
Um in der Berechnung des Beyspiels fortzufahren,
suchen wir zuerst aus jenem, der Formel (//) zugehö-
rigen Diiferentialquotienten, auf die schon angegebene
Weise, die Zeit des JMaximum für /•" ^r 9, also für w";
indem /i =;: 1, wie vorhin , stehen bleibt. Es ergicbl
sich t zzi 1,2176; und daraus das IMaximum selbst,
nämlich w" =:::: 3,1705. Nachdem dies gefunden, wel-
221
dies der Vergleicliung wegen nölliig ist, kann in der
Formel (B) nunnielir nach Belieben fi verändert wer-
den; indem man sich den Widerstand gegen w mehr
oder weniger vergrössert denkt, w'elches, wie aus dem
Obigen erhellet, nach den verschiedenen Umständen ver-
schieden scyn kann. Hiebey wird also der Bequemlich-
keit der Rechniuig etwas einzuräumen seyn. IMan kann
die Zeit des JNIaximums für w als die anzunehmende
Grösse beti-achlen ; so erglebt sich daraus das hiezu nöthige
veränderte jti. ]Man setze z. B. in dem zur Formel (B)
gehörigen Differcntialquotienten, / r=z 1,2 ; so findet man
f( nr: 1,061 ; und das IMaximum von w' = 3,236. Oder
soll t = 1,15 seyn, so kommt jii n: 1,263, und das
IMaximum von w' r= 3,1653. Im ersten Fall steigt oi
höher als w' sich etwas später (in der Zeit / nr 1,2176)
erheben wird ; im zweyten Falle, bey verstärktem Drucke
des durch ft angedeuteten Widerslandes hat w' sein
Maxinnun noch früher als vorhin ; es gelangt nur bis
3,1653. Für die nämliche Zeit, t :=^ 1;15, findet man
0)' = 3,171; schon nahe seinem jMaximum nr: 3,1765.
Da nun w' von Anfang an grösser war als w', so nuiss
es einen Zeitpunct gegeben haben, worin beyde gleich
waren ; und dieser Zeitpunct nuiss eingetreten seyn,
während beyde noch im Steigen begrilfen waren. Die-
ser Fall ist ähnlich dem, was schon in VIII gefunden
wurde. Allein es lässt sich erwarten, dass auch ein an-
drer Fall — der dort nicht vorkommen konnte, weil das
Gesetz des Widerstandes kein JMaximum, sondern nur
eine Erhebungsgränze erlaubte, — hier möglich sey ;
nämlich der FalL, dass eine Vorstellung erst vom JMaxi-
mum wieder herabsinke, bis die andre ihr naclikommt
und sie übersteist.
22'i
Wir setzen nun die Zeit des JMaxinnims für 0/ aiil
/ = 1,16; und finden /t z= 1,219; 0/ = 3,1802. Von
liier sinkt w' herab •, und bey dem naniliclien fi lii-t es
um die Zeit < n:: 1,2176 nur noch den Werth 0/ = 3,1752;
geinnger als der gleichzeitige Werth von w"r:r 3,1765.
Fasst man dies mit dem vorigen zusanunen, so ergiebt sich :
für t = 1,16 o/=r 3,180; 0/' zwischen 3,171 und 3,176,
für t = 1,2176 ü)' = 3,1752; w" = 3.1765.
Also muss ein gleicher Werth für beyde statt gefunden
haben, nachdem schon m sein Maximum erreicht hatte.
Indessen fällt hier der Zeitpunct der gleichen Wcr-
the sehr nahe an den Zeitpunct des Älaximums für w".
]Man kann das Beyspiel verändern. Wir nehmen den
Zeitpunct des IMaximums für od' ein wenig früiier; etwa
/ z=z 1,155; und finden das dazu nöthige /t rr 1,2407;
woraus w' ==: 3,17244; hingegen für t = 1,2179 ist
0/ =: 3,1669. Ferner ist, für / rz: 1,155, w" = 3,1716.
Zusammengestellt
für t — 1,155; 0) =. 3,17244; 0/' = 3,1716
für i = 1,2176 0) z= 3,1669; 10" = 3,1765.
Sucht man nun die Stelle, wo die beyden w sich
kreuzen oder wo sie einerley Werth haben, so macht
hiebey sich der Umstand bemerklicli, dass eine Grösse
in der Nähe ihres IMaxinuuns sich nur wenig verändert.
IMan versuche t = 1,17, es findet sich 10 = 3,1721,
aber zugleich co" = 3,1735, welches zu gross ist, und
anzeigt, man müsse die Zeit noch kleiner nehmen. Also
sey nun / = 1«16; hier wird w' rr: 3.17240, und 10"
z=: 3,1723; also sind beyde noch nicht vollends, doch
ganz nahe gleich, allein 0/ ist kaum von dem Werthe,
der sein IMaximum war, zu unterscheiden. Dieser Um-
stand, der allgemein seyn muss, weil er auf einem all-
223
gemeinen und bckannlen Grunde beruht, ist Nviclilig in
Ansehung der Art, ^vie die Voi'Stellungen selbst da, wo
die vorige, von ihrem JMaxInnun herabsinkend, der fol-
genden weicht, in einauder greifen. Die spätere steigt
sclinell, während die vorige noch ihren Platz zu be-
haupten scheint, wiewohl sie sclion im Sinken begrilfen
seyn mag.
Ueberhaupt zeigt sich nun, dass wenn zwey re-
producirte Vorstellungen nach einander ein
Maximum haben, zwischen beyden eine Kreu-
zung i h r e r W er t li e statt finden könne. Die
genauem Bestimmungen hievon sind jetzt zu suchen.
X. Die Gleichung (y^), nämlich
nimmt durch Auflösung in eine Reihe folgende Form an:
= «>(l - """) -i/'t' + r'il'^t*
Hier sieht man deutlich, dass die Grösse /n nicht
eher merklich vermindernd in Betracht kommt, als bis
der Kubus der Zeit bedeutend wird; und dass alsdann
selbst dass Verhältniss /• : ü auf diese Verminderung
noch wenig EinQuss hat, der jedoch sehr gross wird,
wenn die spätem Glieder heranwachsen. Indessen auf
lause Zeit wird die Bedeutun" der Formel niemals
224
ausgedehnt werden; mid bekanntlich shid Reihen dieser
Art ihrer Natur nach elgentllcli immer convergent, we-
gen der zunehmenden Zahlen in den Nennern der Coef-
ficienten.
Unterwirft man die frühere Gleichung
einer ähnlichen Behandlung, so erglebt sich
dass also hier, wo der Widerstand proportional der
Zeit wachsend angenommen war, der Eiulluss der Grösse
/i zunächst schon vom Quadrat der Zeit abhängt.
In Ansehung des Differentialquotienten zu (//) ist
die analoge Bemerkung schon vorhin gemacht worden.
Jene Umformung kann veranlassen, für kleine t einen
zum Rechnen bequemen Ausdruck für die Differenz
Oi — w" zu suchen. Aus
C5 = Q {l-e-n)-ifct^ + _l^y 1 ,4_ ,^l_^,' L.^,5
und
r"A 't II •! iin
wird w — lö' ■=:Q{e n — e JI ) (/* — fi )
, t^ {fl r — fi" r") _ f^{f{ r'^ ~ f^' ''"^) _\
"^ 12/7 GOT/ '^"'
225
Auch aus der urspfüuglicheii Geslnlt der Gleichung
iasst sich ein endlicher Ausdruck für w' • — w' linden;
>vie für grössere t nüthig ist. Aus
»'=(?- -71-) (»-» ")+-7^-'--r'
luid
wird
Könnte man diesen Ausdruck zz: 0 setzen, und dar»
aus t berechnen j so waren die Kreuzungen der Werthe
mehrerer w gefunden; und der \Veg wäre gebahnt, tun
unter diesen Kreuzungen die maucherley nähern Be-
stimmungen aufzuspüren, welche bey der Keproductiou
der Yorstellungsreihen eintreten können. Nim lässt
sich ohne Zweifel eine einzelne Gleichung von solcher
Form leicht genug auflösen; damit aber ist wenig oder
nichts gewonnen; denn es kommt auf eine bequeme
Uebersicht der verschiedenen Falle an, welche unter
jenem Ausdruck enthalten sind, Drey vei'schiedene Mög-
lichkeiten lassen sich sogleich aus der Menge hervor-
heben :
1) -r = ^. NVüdurCh das letzte Glied wegfalll.
/' . r '
P
226
2) 4^ = 773 j wodurch das vorletzte Glied verschwindet.
» it
3) ~z=:-r^. Was dieser Fall bedeute, erkennt
man am leichtesten aus den Gleichungen für w' und w",
deren erstes Glied eine Erhebungsgränze anzeigt. Diese
» 'f
Gränze wird für beyde die nämliche, wenn -7:=v5>
nur geht für w' die Annäherung an dieselbe schneller
als für w'. Dass es bey dieser Annäherung nicht bleibt,
vielmehr nothwendig für jedes w ein Maximum eintrit,
war schon durch den oben angegebenen Differential-
Quotienten ersichtlich.
Vor genauerem Eingehn auf die einzelnen Fälle muss
im Allgemeinen bemerkt werden, dass für das IMaximum
von (f) , wenn die Zeit dafür als bekannt angesehen
wird , ein selir einfacher Ausdruck statt findet. Denn
weil — = — ( p '—r- ) ß n —2u—t4- ~^—^-
dt 77 V r^ / ^ r ^ r^
, / 2/»773\ ~ 2/^772
= 0 seyn muss, so ist auch { g ~-z — ) e Jl ~ t
2/1 77^
-|-^^^— -r— ^^ ^5 "^^^ ^^ ^^^® diese Glieder sich in dem
allgemeinen Werthe von w belinden, so verschwinden
sie für den Fall des INIaximums, und es bleibt bloss
übrig 10=: Q 1^ ; wie auch aus der ursprünglichen
Differentialgleichung erhellet. Folglich sind für w' und
w" die Maxima gleich, wenn -, i"^ = - — ;,— t"^, das
heisst, wenn
227
<'2 • <"2 Z=^— • ^ =Z "/•' • '," = — ■ —
r" r fi fi'
Nach dieser Vorerinuerung wenden wir uns zu dein
zweyten der nur eben vorhin unterschiedenen drey
Fälle. Es sey also —-=-;—, oder /«,':#(," r= r'^ : r"^.
Denn ein gx-össeres -7- gehört zur kürzern Zeit t, ein
/•
kleineres -7; zur längern Zeit t" , um die beyden w auf
/•
denselben Punct zu bringen. Dies lässt sich mit dem
vorigen verbinden, und giebt
• <'2 : i"2- — ,." : ,.'
DieQuadrate derZeiten für s jMaximum v er-
halten sich alsdann umgekehrt wie die zu ih-
nen gehörigen r e p r o d u c i r e n d e n Reste, wenn
die JMaxima gleich sind.
Nun ist von selbst klar, dass wenn w' und w' nach
einander ein gleiches Maximum haben, in der Zwischen-
zeit beyde, das eine sinkend und das andre steigend,
irgendwo zusammentreffen müssen , wo w' — oi' zzz 0 ist.
Der zweyte jener drey Falle entspricht also ganz vor-
züglich dem, was im Vorhergehenden untersucht wurde;
und die Bcyspiele welche schon in IX berechnet sind,
können dies hinreichend ins Licht setzen; obgleich dort
nicht streng ein ganz gleiches IMaximum gefodert wurde,
sondern nur zwey, zwisclien denen die Kreuzung
sich ereignen könne. Wenn /t," z=i \ , und /•' : r" =:= 10 : 9,
so ist /•'2 : ,"2 —100 : 81 = 1, 2346 : 1, und die
Zahl 1,2346 fällt zwischen die dortigen /»/ =z 1,219 und
/* =■ 1,2407. Desgleichen in dem zweyten Beyspiele, wo
dlelNIaxima fast ganz gleich sind, quadrire man die Zei-
228
len 1,155 und 1,2176. Man findet 4,3340 und 1,4826,
ferner ist ^\ . 1,4826 — 1,33534, also sind die Qua-
drate der Zeiten fast ganz im umgekehrten Verhältnisse
der zugehörigen Reste, obgleich das Beispiel nicht eiu-
inal genau für den vorliegenden Fall gewählt war. End-
lich nehme man die Biquadrate der Zeiten 1,155 und
1,2176; man findet ihr Verhältniss wie 1 : 1,235, wel-
clies fast ganz dem obigen Verhältnisse der beyden ft,
entspricht. Es folgt nämlich unmittelbjxr aus dem Vorigen:
.'4. . ,'' A. __ " <y '7 " t
i * : t ^ ^=. r ^ l r ^ =z ft : ft,
Wenn also reproducirte Vorstellungen nach dem jetzt
angenommenem Gesetzp des Widerstandes gleiche Maxima
im Bewusstseyn erreichen, so werden sfe einander sehr
schnell folgen , wofern nicht die reproducirenden Reste
bedeutend verschieden an Stärke, und die Grade des
Widerstandes noch mehr verschieden sind. Die Zeiten
rücken zusammen wie die Quadratwurzeln der Reste,
und wie die Biquadratwurzeln der Grade des Wider-
standes. Jener Eine Zeitpunct aber, in welchem w' — w"
ciro, oder in welchem ihre Werthe sich kreuzen, kann
alsdann nicht schwer zu finden seyn, denn er liegt zwi-
schen den beyden Zeiten des JMaximums.
Wir betrachten nun zunächst den ersten der unterr
'. ''
schiedeneu drey Fälle; essey-r :^= —7, oder n' j-" =:jii"t'.
/• /•
Wollte man diese Annahme mit der obigen Bedingung
der Gleichheit des JMaximums verbinden, so kämp eine
Ungereimtheit. Nämlich
/ 2 : <" 2 c= jii" r '. fi' r" gäbe nun i zzz l" ; welches
ein gleiches Bewegungsgeselz beyder ta voraussetzen
würde. Vielmehr ist klar, dass hier dem stärkern Reste
bey AV eitern nicht genug Widerstand entgegentritt, um
229
(las von Iliin l)ewirktc Maxiimnn so weit zurückzudrän-
gen, bis es dcmienigeu gleich ^YÜrde, Avelches von dem
scliwäcliern Reste abhängt.
Dennoch wird es in diesem Falle eine Kreuzungs-
slclle geben; nur weit entfernt von jedem JNIaximum.
Um dies zu erkennen, ist nur nöthig, die Glieder in
dem Ausdrucke für to' — vi' durchzumustern. Das erste
Glied entliält vei'sclnviudende Exponenlialgrössen. Das
zweyle ist constant. Das di'itte enthält abermals ver-
schwindende Exponentialgrössen. Das fünfte ist der
Voraussetzung gemäss z=z o. Das vierte aber enthält den
Factor -7- — - -rn; , welcher, wenn —r=:^rr} sich so
j. j, j. 2 r r
schreiben lässt: —7- ( — ; ;; ). Da nun j-" <^ r, so ist
r \r r /
11
—r<C—rr] das Glied also ist negativ ungeachtet des po-
r r
sitiven Yor^seicheus , und da ilun der Factor t enthalten
ist, so wächst dies negative Glied, bis zu w' — (a"=zo-,
auch bekommt es von hier an einen negativen Werth,
indem oj' nun > lo.
Für /•' — 10 , 7" = 9 , IT= 5, q=^4, fi" :=\, sey
der Annahme gemäss, dass ^t'/"rr /t"r', nunmehr /t' r= y
= 1,111... Man setze / := 1,8 in die Gleichung für
0/ — w", so ei'hält man to' — w" = — 0,005837; also
ist die Zeit der Gleichheit beyder w schon ein wenig
überschritten. Für die nämliche Zeit findet sich unge-
dw doo"
fähr — r ==: — 1,37 . . . desgleichen rrz — 1,12 .. .
dt ° dt
und beyde w über 1,5 ; wo die negativen Differential-
Quotienten anzeigen , dass die Maxima überschritten,
und die positiven Werthe von oj, dass die reproducir-
230
ten Vorstellungen noch im Bewusstseyn gegenwärtig
sind. Hieraus erhellt die Möglichkeit ei-
ner solchen Kreuzung, wo beyde reprodu-
cirten Vorstellungen zugleich von ihrem Maxi-
mum herabsinken, und während dieses Sin-
kens noch diejenige, welclie bis dahin die
andre überragte, hinter derselben zurücktrit.
I ff
Was den dritten Fall • anlangt , nämlich -y-z = v^>
so lässt sich voraussehn, dass er keine gleichen Maxima
ergeben wird. Denn zu solchem Behuf muss , wie oben
gezeigt, von einerley o die gleiche Grösse ' i"^ abge-
r
zogen werden. Soll diese Grösse in einer kurzem
Zeit entstehn, so erfordert dies nach der Natur der
Sache ein grösseres r; xmd für das einfach grössere r
soll die Zeit quadratisch abnehmen. Wenn nun t"^ : t'^
11 /t /i"
rz:-77 : — ;-, und überdies t"^ : t^ = —r : -rr, s,o folgt
r r r r
11 /l' ft ,, fl fl , -
aus — ;; : — 7" rr: -7- : -77 von selbst -7- zz: -^ , welches
r r r r r^ r ^
jener zweyte rall war; aber nicht -pr:r=-— , wo
fb : fl' z:=z r^ : r" ^ einen viel zu sehr verstärkten
Druck in der kurzem Zeit anzeigt, als dass die JVIaxima
gleich werden könnten.
Um das Beyspiel mit denen in IX vergleichbar zu
machen, muss es unter den dortigen Umständen nach
der Formel B berechnet werden. Für / =:: 10, /•" m: 9,
,'3
,."3"
n'=\, wird /; nun ''At^ =: V,^ = 1.3718. Der
r
zur Formel B gehörige Diilerentialquotient , (in welchem
231
man der lelchlcrii Kcclmung wegen , erst für angenom-
mene t suchen mag ein fi so zu fnulen , dass es dem
gegebeneu nahe komme,) erfordert für jenes /t ein
/n: 1,1276. Hieraus das Maximum von w'r:r3,1277S.
AYie zu erwarten war, die Zeit ist kürzer, luid das
JMaxinumi niedriger als bey den Beyspielen in IX; auf
welche übrigens nur nölliig ist zu verweisen.
XI. Die vorhin schon angegebene Dillxirentialglei-
clunig
-— {q — w) dl — füdt rz: din
erfodert ztuii IMaximum
dui f(. nt fi Jlt
— — =: o; Q — o)=z , und w=:=(»
dt r r
Also für gleiche 31axima bey gleichem q und 77
, ,, /t" ^ /^
r /•'
Aus dem Integral
nt
fokt
Von den in X bemerkten drey Fällen giebt es hier
nur zwey: nämlich
. fi /t"
Ij — r = — 77, wodurch das letzte Glied wegfällt, und
/• /■
«'ine Curve üljer das IMaximum der andern hinweg geht;
augenoninien werden -7- r= — 77,- also fi z=. ^y** =:r i,lll . . .
232
2) -— = -— ; wodurcli das zweyte Glied verschwln-
r ^ r ^
det, und gleiche Maxima entstehn.
Beysplel für den ersten Fall. Es sey r" z^9, (>::=: 4,
77= 5 , fi" =. 1 ', nun soll für r = 10 , p rz: 4, 11=:^,
t n
r r
Wir suchen zunächst die Maxima für beyde w, und
setzen alsdann die zugehörigen Zeiten aus jeder Glei-
chung in die andere, so findet sich
für t r= 1,3672 w' =3,2405 w" =3,1814
für / =1,4645 ü) =3,2262 w" =3,1864
Setzt man in die Gleichung für w' — w" nun t =2,21,
so erhält man schon einen kleinen negativen Werth,
nämlich w' — oi' z=z — 0,00167. Dass aber beyde w
lüer noch lange nicht aus dem Bewusstseyn verschwun-
den seyn können, zeigt ein Blick auf den Werth von
/ für w = o, welcher schon in IX angefülut worden,
nämlich t = --— -1- — . hier nahe gleich für beyde w ;
fiTl r
beynahe 8,5 n: ^ IMan sieht, dass die Curve für 0/
über das Älaximum von w" hinweg geht, aber um die
Zeit 2,2 die Werthe sich kreuzen, so dass w' sich nun
hinter w" zurückzielit.
Beyspiel für den zweyten Fall. Es sey /•" = 9,
ß = 4, iT=5, /t"=l; nun soll für /•'=:10, () = 4,
' i<
n=z^), angenommen werden -— =:= -;7-; also /f'^= 1,2346.
Aus dem (schon oben , in IX angegebenen) Werthe der
Zeit fürs IMaxinmm findet man / r= 1,31809; imd das
INIaximum w'rr 3,1864. Diesem gleich ist, wie schon
für den ersten Fall gezeigt, w" für /zz: 1,4645. Nimmt
233
man zwischen den Zelten das arltlimetische Mittel, also
< = 1,3913, und setzt diesen Werlh in die Formel für
V) — w", so ergiebt sich w' — oj" = 0,0003 , also bey-
uahe ^= o.
> (/
Also auch hier giebt -7- = —- gleiche IMaxima. Der
r ^ r ^
Grund ist der nämliche wie in X, und er lasst sich
leicht noch weit allgemeiner fassen. Es sey angenommen
— (e — w) dt — /it*'Jt=d(a
Welclje Zahl nun auch n seyn möge : immer folgt
ab) 11 Fl'
aus — — rr;o, o — w= t
dt ^ r
Zu i^ gehört immer ein bestimmtes /•, und aus der
Natur der Sache folgt immer, dass je kürzer /, desto
11
grösser r. Wenn nun <' "^ : < ' " zz: — ^ : -77 , und über-
r r
dies , weil für gleiche IMaxima die Grösse t " gleich
r
bleiben muss, auch t^ : <"" z=. —r, i -ry ^ so folgt
r r
1 1 ti' II it" it
— :— = -,:—, und -- = — .
r r r r r ^ r ^
Je höher die Potenz n, desto naher bey einander
liegen die Wurzeln von r, denen die Zeiten proportio-
nal seyn sollen. Umgekehrt, wenn n ein ächter Bruch
wäre^ würde das Verhältniss der Zeiten durch Poten-
zen der Reste bestimmt werden, und es gäbe mehr
Zwischenzeit zwischen einem INIaximum und dem andern.
Wir haben bisher nur solche Gesetze des Wider-
slandes in Betracht gezogen, deren Begrilf sehr leicht
fasslich, luid iür die Rechnung nicht besonders schwie-
234
rig ist. Alan könnte zu anderen übergelien; auch ge-
hören hieher noch Untersuchungen anderer Art*); al-
lein es ist besser, der Recluiung einstweilen Ruhe zu
gönnen, und dagegen über die Anwendungen etwas bey-
zu fügen.
XII. Schon die oberflächlichste Vergleichung dieser
und der beyden vorhergehenden Abhandlungen reicht
hin , um eine grosse Verschiedeulieit wahrzunehmen,
die ihren Grund in dem Gegenstande hat. Thatshclieu
lassen sich voranstellen, wenn sie eine präcise Auffas-
sung ohne Mühe gestatten ; allein dies ist in dem wei-
ten Gebiete der Psychologie nur eine seltene Ausnahme.
Viel öfter muss die Selbstbeobaclitung erst durch die
vorangehende Theorie auf dasjenige hingewiesen wer-
den, was zu bemerken ist; und auch aladann lässt sich
nur unvollkommen wiederfinden, was die Rechnxmg be-
stimmt angiebt. Diles ist besonders deshalb unvermeid-
lich, weil das Verschwinden und schon die Verminde-
rung des Vorstellens sich niemals unmillelbar beobach-
ten lüsst. Dass man etwas vergessen habe, bemerkt
man oft; dass man eben jetzt etwas vergesse, weiss
man niemals und kann es nicht wissen. Auch steigende
Vorstellungen mögen innerlich beobachtet werden, wenn
sie sich ihrem INIaximum nähern , aber der Anfang des
Steigens bleibt unbeiiierkt. W ie soll man es denn an-
langen, jene Kreuzungen steigender und sinkender Vor-
stellungen factisch nachzuweisen , von welchen zuvor
geredet worden? Doch etwas lässt sich thuu ; man kann
*) Im §. 100 der Psychologie ist ein andrer Faden angespon-
nen, dessen weitere Benutzung vorbehalten bleibt.
in den Proiluclcii ilcs Vorslcllcns im AUgeincInen er-
kennen , dass so elNvas vorgegangen seyn müsse.
Unsre Vorstellungen gestalten sich, indem sie re-
producirt werden. Diese Gestaltung ist nicht genau eine
bleibende; ihr Producl keine veste Gestalt, doch aber
oft der Vestigkeit nahe genug, um erkannt zu werden.
Drey verschiedene Arten, wie die Vorstellungen sich
kreuzen können, sind im Obigen als möglich zum Vor-
schein gekommen.
1) Die zweyte Vorstellung, anfangs hinter der er-
sten zurück, kann diese übersteigen, während beyde
fortwährend steigen. INlan setze, dass eine dritte gleich
darauf die zweyte eben so übersteige ; so wird nun die
zweyte ihre Stellung zwischen der ersten und dritten
haben; diese Stellung wird während des Steigens nahe
die nämliche bleiben. Eben so werde die dritte von
der vierten, die vierte von der fünften, u. s. f. über-
stiegen. Nähern sich alle diese Vorstellungen einer Er-
hebungsgränze (VII, VIII,) so erscheint das gesammte
Vorgestellte gleich einem emporgestiegenen Bau, dessen
aümähliges \^ eiden man mit angeschaut hat.
2) Die zweyte Vorstellung bleibt hinter der ersten
lange genug zurück, damit die erste ihr JMaximum er-
reichen könne; dann durchkreuzt sie dieselbe, und ge-
winnt selbst ein nahe liegendes JVIaximum. Nun folge
eben so der zweyten die dritte; so wird die zweyte
ein Durchgangspunct, durchweichen, als den zwischen
liegenden , man von der ersten zur dritten gelangt.
Wenn dies bis zur vierten, fünften, u. s. w. fortgeht,
so entwickelt sich ganz eigentlich eine Reihe, von der
jedes vorhergehende Glied dem folgenden weicht. So
236
bey der gedächtnissmässigen Reiiroduction ; Beym Auf-
zählen, Aufsagen, u. d. gl.
3) Die zweyte Vorstellung, von der ersten gleich-
sam eingehüllt , hat ein Maximum , und erst von diesem
herabsinkend übertrifft sie die erste, welche jetzt noch
schneller sinkt, und dadurch hinter der zweyten sich zu-
rückzieht. Eben so sey eine dritte Anfangs von den
beyden vorhergehenden eingehüllt; indem sie langsamer
sinkt als die zweyte , ziehe sich diese hinter ihr zurück.
AVähreud des Sinkens hat nun wieder die zweyte eine
mittlere Stellung, aber die Ordnung der ersten und drit-
ten ist umgekehrt. Dies geht so fort zur vierten, fünf-
ten, U.S.W. So giebt das Gesammt -Vorgestellte das
Gegenstück zu einem sich erhebenden Bau; es ist das
Bild eines Verfalls , welcher, während das Höhere sammt
dem INiedern sinkt, zugleich das Innere nach aussen
kehrt und nackt vor Augen stellt.
Von der Wichtigkeit des Zwischen für die Psy-
chologie ist in frühem Schriften vielfältig gesprochen ;
es wird kaum nöthig seyn, hier noch an den Raum,
und dessen Analoga zu erinnern, die man bis in Logik
und Sprachlehre hinein verfolgen kann. Jedermann
weiss, dass die Präpositionen durchgeheuds auf räum-
liche und zeitliche Verhältnisse hinweisen. Wichtiger
noch für den Gedankenbau sind die Conjunctionen , auf
die wir vielleicht anderwärts zurückkommen ; hier schlic-
sseu wir mit einem Worte von Jean Paul : „im einzi-
gen Zwar steckt ein kleiner Philosoph,"
Psychologische
Untersuchungea
von
H e 1* 1» a r t.
Ziveytes Heft.
Crötting^eii^
Druck lind Verlag der Dietcriclisehcn Buchhandlung.
19 40.
Vorrede.
Dies Heft enthält die, schon im vorigen er-
wähnte, Untersuchung über zugleich steigende Vor-
stellungen ; und hlemit den nothwendigsten Nach-
trag, welcher zu des Vfs grösserem psychologi-
schen Werke musste geliefert werden.
Ausserdem wird man hier eine Abhandlung fin-
den, worin die Kanfischen Kategorien mit den Con-
junctionen, deren sich die Sprache bedient, zusam-
mengestellt werden. Der Bau der Sprachen giebt
Thatsachen an die Hand, welche zwar nicht ma-
thematische Bestimmtheit (wie Tonlehre und Zeit-
maass), aber doch grammatische Vestigkeit besitzen;
Thatsachen, die jedem Individuum auf gleiche Weise
vorliegen, und nicht mit den Schwankungen zu käm-
pfen haben, welchen die innere Wahrnehmung un-
terliegt. Sucht man für die psychischen Thatsachen
eine solche Reihenfolge, in welcher sie mehr oder
weniger genau können aufgefasst werden, so kommt
eine ganz andere Rangordnung zum Vorschein, als
die, welche unsre psychologischen Compendien dar-
bieten. —
a2
IV
Kurz vor geendetem Drucke dieser Blätter wurde
dem Verfasser eine Stelle aus einem Buche in glaub-
hafter Abschrift vorgelegt, worin ein Ausfall auf
die mathematische Psychologie enthalten ist. Man
kann wohl einmal nachsehn, von wo das Wider-
sprechen ausgeht, und wie weit es führt.
Herr geh. Ilofrath Fries widerspricht, indem
er behauptet :
„Blosse Verhältnisse sind nur eine malhema-
„tische Abstraction, bey deren Anwendung
„auf bestimmte Falle, wenn auch nicht die
„Messung, doch die Messbarkeit der vergliche-
„nen Grössen vorausgesetzt werden muss."
Also Anwendung auf bestimmte Fälle — davon
redet Hr. geh. Hofrath Fries. Er zeige nun die-
jenigen Anwendungen auf bestimmte Fälle, die er
widerlegt habe.
Messbarkeit verglichener Grössen — davon redet
Hr. F. Wie beweiset er, dass denjenigen Grössen,
welche zu messen bis jetzt keine Hülfsmittel bekannt
sind, die Messbarkeit abzusprechen sey?
„Die Messbarkeit von intensiven Grössen ist
„nur möglich, wenn ihnen eine extensive Scale
„an die Seite gesetzt werden kann."
Also vom Messen -Können — nicht von der Mess-
barkeit der Grössen selbst und an sich — redet
hier Hr. F.; vertieft, wie er zu seyn pflegt, in sei-
nen eignen Gedanken.
Wir müssen doch wohl für Solche, die nicht
bloss Sich hören, sondern das beachten, wovon
ihnen g^egeuüber die Rede ist, obige Stelle etwas
verändern.
Blosse Verhältnisse, in nialhematlscher Abstra-
ction gedacht, müssen so weit verfolgt wer-
den, bis sich Gesetze und charakteristische Un-
terschiede zeigen, die sich in ganzen Klassen
von Thalsachen wiedererkennen und zu fort-
gesetzter Vergleichung benutzen lassen. Da-
bey werden Grössen vorausgesetzt, die an sich
messbar seyn würden, wenn wir zur wirkli-
chen Messung schon die Mittel besässen.
Von Anwendungen auf bestimmte Fälle, des-
gleichen von empirisch gemessenen Grössen, die
man, um nur überhaupt zu Anwendungen zu ge-
langen, in die Formeln substituiren müsste, ist hier
im Allgemeinen nicht die Rede; und um so weni-
ger von extensiven Scalen für intensive Grössen.
Gegen folgende Behauptung :
„für die intensiven Grössen des geistigen Le-
„bens könne keine Einheit gegeben werden",
welche Behauptung sich etwas voreilig auf die Hö-
hen des geistigen Lebens verstiegen hat, — wird
man in der Region, wo die Fundamente der Psycho-
logie liegen, ganz einfach sagen, dass zwey Lich-
ter doppelt so stark leuchten als eins; dass drey
Saiten auf einer Taste dreymal so stark tönen als
VI
eine. Kurz: jede, erste beste sinnliche Empfindung
dient .ils Einheit, wo das Empfundene sich gleich-
artig vervielfältigt. Um die Unsicherheit, welche
dabey Stall finden kann, kümmern wir uns hier,
wo es auf Einzelnhellen nicht ankommt, wenig;
noch viel weniger jedoch um eine andre Art vor-
geblicher Unsicherheit, worauf Hr. F. ein Gewicht
legt, als hätte er von hoher Hand einen Schatz
empfangen. Er trägt nämlich ganz ernsthaft fol-
genden Satz vor:
„Bey Intensilätsrechnungen gelten die ersten
„Grundsätze der Arithmetik nicht sicher.
„Zum Beysplel : wenn die eine Grösse
„kleiner, die andre grösser, als eine
„drille ist, so folgt nicht, dass die grössere
„auch grösser als die kleinere sey."
Worauf beruhet denn die Evidenz der Arithmetik
bcy extensiven Grössen ? Etwan auf der Extension,
die in den Zahlen mangelt? Der anthropologische
Empirismus wird vielleicht sagen : Man sehe mit
den leiblichen Augen, dass drey Fuss mehr ist
als zwey, vier Fuss mehr als drey, und dann auch
vier Fuss mehr als zwey. Man lerne durch die
tägliche Erfahrung, dass zweymal zwey Fuss
wirklich vier Fuss ergeben ! Achtet aber Hr. F.
eine solche Sprache (als ob die Zahlbegriffe Zwey,
Drey, Vier, an den Füssen klebten,) seiner unwür-
dig, so zeige er nun das Vorrecht des Exten-
VII
siven vor dem Intensiven, welches zu beweisen
seine Sache wäre. — Statt des Beweises bringt er
ein Beyspiel für jenen Satz vom Intensiven; ein
Beyspiel, weit erhaben über die Fundamente der
Psychologie, und das doch in der That handgreif-
lich zu heissen verdient. Es ist hergenommen von
— der Geschicklichkeit im Schachspiel.
„Wenn A mit B spielt, gewinnt meist A\
„wenn B mit C spielt, gewinne meist B\ so
„folgt nicht, dass, wenn A mit C spielt, C
„meist verlieren würde."
Wenn der Körper A langer ist als B^ und der
Körper B breiter als C, so folgt nicht, dass A
grösser sey als C Auch bey Extensitäts-Rechnun-
gen gelten die ersten Grundsätze der Arithmetik
nicht sicher, — vielmehr, sie gelten ganz und gar
nicht, wenn man bey einer Grösse, welche meh-
rere Factoren enthält, unterlässt, die Factoren ein-
zeln und sämmtlich zu berücksichtigen. An Facto-
ren der Geschicklichkeit im Schachspiel — als da
sind : Geschick im Gebrauch des Springers, Läufers,
Thurms, der Königin, der Bauern u. s.w. erinnern
die eignen W^orte :
„denn die Unterschiede der Geschicklichkeiten
„können von sehr verschiedener Art seyn."
So schlägt sich Hr. F. mit seinen eignen W^affen.
Das Beyspiel lehrt, dass in Bezug auf intensive
Grössen einige Übung im Denken nöthig ist. Hr.
VIII
F. stelle sich in Gedanken neben einem in aller
Hinsiclit grössern Mathematiker, und einem in al-
ler Hinsicht kleineren. Er wird sogleich wissen,
dass Jener grösser sey als dieser; und die mathe-
matische Evidenz wird hier nicht von Lineal und Zir-
kel abhängen. Oder auch: Hr. F. stelle sich, wenn
es ihm beliebt, an die Spitze der Philosophen. Er
gehe nun den verschiedenen Geschicklichkeilen nach,
welche im Philosophiren liegen. Er stelle alle ihm
bekannten Philosophen, — nicht etwan in Fveih'
und Glied, — sondern von sich ausgehend weise
er, nach seinem Gutdünken, allen andern die Plätze
an , die sie in gehörigen Distanzen als grössere
oder kleinere Logiker, grössere und kleinere Meta-
physiker, Psychologen, Naturphilosophen, Ethiker
U.S.W, einnehmen sollen. Er spalte wiederum die
GeschickHchkeiten, um die Distanzen genauer zu
bestimmen. Wir wollen diesmal um die Plätze
nicht streiten; Hr. F. wird aber wissen, dass es
Streit darum giebt, weil die Grössenschätzung
nicht ausbleiben kann, obgleich keine Messung
nach Füssen und Zollen, mittelst extensiver Scalen,
hiebey anzubringen ist. Bey aller Unsicherheil
solcher Grössenschätzung wird Hr. F. doch genug
davon in Gedanken behalten, um nicht Schüler und
Meister durch einander zu werfen, Forlschritte der
Schüler abzuleugnen, Geschwindigkeit oder Lang-
samkeit des Fortschreitens der Unbestimmtheil preis
IX
zu geben. Die Quantiläts - Begriffe werden ihn
nicht verlassen, obgleich man ihm hiebey nicht
mit Rechnungen beschwerlich zu fallen gedenkt.
Was un gewiss bleibt, ist darum noch nicht an
sich unbestimmt und maasloss; es giebt auch hier
Grössenverhällnisse, nach denen gefragt wird; es
giebt Proben , Zeichen , indirecle Erkenntnissmitte],
aus denen ein Mehr oder Weniger kann geschlossen
werden. Dass aber den sehr zusammengesetzten
geistigen Thätigkeiten des wissenschaftlichen Den-
kens andere, minder zusammengesetzte zum Grunde
liegen, — dass man, immer weiter zurückgehend,
endlich deren so einfache annehmen kann, welche
sich der Rechnung unterwerfen lassen , — und
wozu das diene : dies Hrn. F. deutlich zu machen,
darauf muss man, wie es scheint, Verzicht leisten;
wenn er n'ämlich nicht selbst des mathematischen
Hebels, des Falls im luftleeren Räume, der Schwin-
gung ohne Reiben, und dgl. sich erinnert.
Zurückblickend auf jenen angenommenen Fall
des Schachspiels könnten wir noch die Wahr-
scheinlichkeit bemerken, dass wenn B gegen ^,
C gegen B oftmals*) verliert, dann auch C ge-
gen yl verlieren werde. Sind aber die Intensitäten
so sublimer Natur, dass sie sich den ersten Regeln
*) Anstatt des verfangliclien IVIeist; wobey luibe-
stimmt bleibt, wiefern das Gewinnen als Probe der Ge-
schicklichkeit im Ganzen könne angesehen werden.
der Arillimetik entzielien, so geht nicht bloss diese
Wahrscheinlichkeit verloren, sondern es ist zu be-
sorgen, dass an ihnen auch eine Auctorltät, die
— messbar oder nicht, — doch eben nicht grösser
ist, als die der Arithmetik, die Auctorität der logi-
schen Regeln, denen man bekanntlich keine exten-
siven Scalen an die Seite setzen kann (wenn nicht
etwa die Cirkel, wodurch man wohl die Sphären
der Begriffe zu bezeichnen pflegt, anstatt der Sca-
len gelten sollen,) etwas einzubüssen haben werde.
Beliebe denn unser berühmter Logiker nachzusehn,
ob etwa folgender Syllogismus seinen Beyfall hat:
Geschicklichkeit im Schachspiel ist nicht mess-
bar. Geschicklichkeit im Schachspiel ist eine
intensive Grösse. Also: keine intensive Grösse
ist messbar?
Es mag nun das Ende des letzten Aufsatzes in
diesem Hefte verglichen werden; wo sich Gelegen-
heit gefunden hat, einiges hieher Gehörige beyzu-
fügen. Der Aufsatz ist zwar nicht gegen Hrn.
geh. Hofr. Fries geschrieben; es kann aber theil-
weise so scheinen, und mag dafür angesehen wer-
den. Dabey ist um desto weniger Bedenken, weil
Hr. F. nicht bloss (um seine eignen Ausdrücke zu
gebrauchen,) verwerfend angefangen und abspre-
chend geendigt hat, sondern auch seine, nach ei-
ner andern Seite hin geäusserte, Geneigtheit zum
Unterhandeln an durchaus unzulässige Bedingun-
gen knüpft. Qualitäten im Pluralis und Seelenver-
mögen sollen die Basis der Unterhandlung abgeben.
Eine unbekannte Qualität gilt ihm für keine; er er-
zählt (mirabile diciii) von einer „Hypothese, die
ein qualitätsloses einfaches Wesen zum Grunde
\^^^'^ Schreiber Dieses weiss zwar von keiner sol-
chen Hypothese, wird aber niemals einräumen,
dass man das Einerley, was die Seele ist, mit dem
\ielerley, was sie kann, verwechseln und vermen-
gen dürfe. Die vielen Qualitäten würden keine
wahre Einheit, nicht das, was die Seele ist, aus-
machen; und wenn wirkliche Qualitäten in blossen
Möglichkeiten, die man Vermögen nennt, bestehn,
oder umgekehrt diese Vermögen die Stelle wirkli-
cher Qualitäten vertreten sollen, so schwankt Alles
zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit auf eine
Weise, die man zwar blossen Empirikern nicht
übel nimmt, die aber bey einem so entschiedenen
Freunde der Kategorien, wie Hr. F., beynahe ins
Unbegreifliche fällt. Was endlich solche Imperative
anlangt, wie: „man hätte sich sollen schon durch
Kants Antinomien abhalten lassen", so darf sich
Hr. F. das Zeugnlss geben, dass Er es während
beynahe vier Decennien an Ermahnungen zum Ge-
horsam im Kantischen Reiche keinesweges hat er-
mangeln lassen. Warum der Gehorsam nicht er-
folgte, scheint er noch bis jetzt nicht zu wissen.
Monadologie ist bey Hrn. F. ein unbeliebtes Wort.
XII
Gleichwohl bedient er sich desselben, und zwar
auf eine Weise, die noch mehr als das Übrige
zu einer Entgegnung- auffodern könnte. Anstalt
auf Leibnitzens Lehren und Kantische Kritiken ein-
zugehn, genüge es hier, auf ein neues, vielumfas-
sendes Werk zu verweisen, welches Hr. Taute zu
Königsberg, unter dem Titel: Pieligionsphilo-
sophie, schreibt, und wovon die erste Lieferung
bereits vorliegt. Für einen so stabilen Kantianer,
wie Hr. F., hier einige Worte aus der Vorrede:
„Ganz und gar der wissenschaftlichen Forschung
hingegeben, hatte Kant, wie man es nennt, eine
Pievolution im Reiche der Begriffe vollbracht. Wo-
rin dieselbe bestehe, und was ihre Hauptergebnisse
seyen, — ob das Ding an sich, oder die Ideen, ob
die Verstandeserkenntnisse mit ihren Kategorien, dem
synthetisch-apperceptiven Ich und den Grundsätzen,
oder die Vernunftansicht mit den regulativen Prin-
cipien; ob die metaphysische oder die ethische Seite
des Systems, die Begründung des Wissens oder
des Glaubens — das weiss man eigentlich nicht.
Vielleicht soll auch der Begriff der Revolution, die
bekanntlich niemals recht weiss was sie will und
was sie schafft, darauf hindeuten."
Hier war geschlossen, und die Abschrift aus
des Hrn. F. psychischer Anthropologie (S. VI — VIII)
bey Seite gelegt. Aber es kommt eine neue Ab-
schrift, welche des nämlichen Hrn. F. Geschichte
XIII
der Philosophie (zweyten Bandes S. 708) citirt. Je
langer Hr. F. sich macht, desto mehr müssen wir
abkürzen ; also nur eine Probe ! Da ist etwas zu
lesen von stetigen Grössen, welche der Einfachheit
der Seele untreu werden. Wer einmal vom Hören-
sagen (oder weiss Hr. F. eine bessere Quelle?)
die Spukgeschichte vom qualitätslosen Wesen auf-
nimmt, dem müssen sich wohl die Selbsterhaltun-
gen, sammt deren Grössen, in ein gespenstisches
Treiben verwandeln, denn Was hätte wohl ein
qualitätsloses Wesen zu erhalten? — Da sollen
ferner „nur bey dem musikalischen Yerhältniss der
Töne hinlänghch einfache Vorslellungs -Reihen
zur Anwendung der Formeln gefunden seyn."
Herrn F. diene zur Nachricht, dass wir die psycho-
logische Untersuchung musikalischer Vorslellungs-
reihen recht füglich dem zwanzigsten Jahrhundert
überlassen können, sie ist bis jetzt unberührt. In-
tervalle und Accorde bestehen aus gleichzeitigen Tö-
nen; auch die Auflösung einer Dissonanz wird Nie-
mand eine Reihe nennen. Die ganze Untersuchung
über Bildung und Wirkung der Reihen hat damit
nichts zu thun ; auch sind wir noch nicht so weit,
dass wir diese auf das melodische Fortschreiten
anwenden könnten. Hr. F. thäte wohl, auf seinem
heimathlichen Grunde und Boden, das heisst, in
seinem System zu bleiben; denn mit seiner Geo-
graphie des Auswärtigen ist es noch schlechter be-
XIV
stellt, als bey jenem Franzosen, der ein paar Fremde,
einen ans dem Norden, den andern aus dem Süden
von Deutschland, einander als Landsleute vorstellte,
und da beyde sich über die weite Entfernung ih-
rer \Yohnorte äusserten, zur Antwort gab: n^'im-
porte; c'est toujoiws lä bas. — Hr. F. weiss auch
zu erzählen: „H. hat sich von Anfang an von
Fichtes Phantasie leiten lassen, dass alle mensch-
liche Erkenntniss aus dem Sich -Selbst- Setzen des
Ich abzuleiten sey; dies führte ihn auf seine Hypo-
these, dass die Seele ein einfaches, gestörtes We-
sen sey"; — welches dann noch obendrein der „ei-
gentliche Grundfehler" seyn soll. Dass jahrelang
vor dem Eintritt in die Fichtesche Schule des Vfs
philosophisches Denken durch Wolfische und durch
Kantische Lehren in Gang gesetzt war, natürlich
in weiterem Umfange, als den die bekanntlich sehr
enge Fichtesche Schule hätte eröffnen können: dies,
sollte man meinen, brauche eigentlich nicht gesagt
zu werden, da es offenkundig ist, wieviel Anzie-
hungskraft die Fichtesche Sphäre gegen Andre aus-
geübt hat. Aber so etwas zu errathen, ist der Di-
vination Derjenigen zu schwer, die, was sie syste-
matisch nicht begreifen, gleichwohl historisch zu
deuten und zu erklären unternehmen, ohne damit
auch nur factisch bekannt zu seyn.
Inhalt.
Seite
I. Über Analogien , in Bezug auf das Fundament
der Psychologie 1
II. Über frey steigende Vorstellungen ... 35
III. Über Kategorien und Conjunctionen . . . 171
Uehev Analoijlen,
in Bezug auf das Fundament der Psychologie.
Der Empirismus fühlt sicli slark durch seine Ver-
bindung mit der Mathematik; oh a])er die IVIathematik
an den Epiplrismus gebunden sey ?, das ist die Frage.
Zwar begnügen sich die Physiker gewöhnlich, die Ge-
setze zu kennen, welche die Erscheinungen dergestalt
befolgen , dass man im Stande ist sie vorherzusagen.
Für die Wissenschaft aber hat das Prophezeihen nur
den Werth einer Probe , ob man auf dem rechten Wege
der Forschung sey; und daraus folgt nicht, dass die
JMathematik in ihren möglichen Leistungen auf jene Ge-
nügsamkeit sich beschranken müsse.
Im vorigen Hefte Nvurde die Tonlehre auch zu einer
Probe benutzt, ob die psychologische Rechnung auf
richtigem Wege sey. Es kam aber nicht darauf an, zu
prophezeihen was längst bekannt ist, sondern darauf,
ein ganzes System von empirischen Kenntnissen durch
Nachweisung seiner innern Gründe in Zusammenhang
zu bringen. Dabey Avurde die Mathematik auf Begriffe
angewendet, die nicht aus der nackten unmittelbaren
Erfahrung nach der Weise des Empirismus , sondern aus
der durch Metaphysik bearbeiteten Erfahrung hervor-
gehn, und die mit Hülfe der Rechnung zur Erfahrung
II. Heft. A
zurückkehren. Es hat sich dort gefunden, dass zweyer-
ley ganz verschiedene Erfahrungskreise, nämlich von
Sch^vingungen tönender Körper, und von ästhetischen
Urtheilen über vorgestellte Töne, darum Vf^eil sie sich
in einigen wenigen Puncten sehr nahe zusammentreffend
berühren , vermengt worden sind ; w^ährend von Disso-
nanzen und deren Auflösung , von den Grundregeln des
Contrajiuncts, von den verbotenen Fortschreitungen ge-
rade der reinsten und vollkommensten Consonauzen u.
s.w. in den bloss physikalischen Kenntnissen, hätte man
diese sich selbst allein überlassen, keine Spur anzutreffen
seyu würde. Nur durch jene Vermeugung hat der
Chladnische Sand dahin gelangen können , für ein Hülfs-
mittel der Akustik zu gelten. Für die Bewegungen
schwingender Körper mag er seine belehrenden Curv^n
zeichneu ; damit weiss mau noch nichts von der Thätig-
keit des Gehörnerven ; viehveniger vom Hören selbst,
und am allerwenigsten vom musikalischen Denken.
Durch unsre Untersuchung der Tonlehre ist nun zu-
gleich für die Psychologie eine Vormauer gegen mög-
liche Angriffe gewonnen.
Nachdem solchei'gestalt für die Sicherheit gesorgt
ist, kommt jetzt die Reihe an den Versuch, Vorkehrun-
gen gegen Älisverständnisse zu treffen , welchen vorzu-
beugen, als ob sie noch nicht da w^äreu, oft besser ist,
als mit einer schon ausgebildeten falschen Ansicht und
JMeinuug sich zu befassen. Wer richtig verstehen will,
wird gern zurückgehen bis auf eluen Standpunct, wo
das Misverstehen noch nicht angefangen hatte.
Schon im ersten Hefte Avurde der Analogien gedacht,
welche, wo sie zur Anknüpfung des Neuen an das alte
Bekannte sich darbieten, zu Ilauptquellen von Misver-
stäuduissen >ver(len können. Es hat niclil an Veranlas-
sungen gefeliU, hierauf zurückzukommen. Folgendes ist
ein Beyspiel. Von schätzbarer Hand wurde die Bemer-
kung milgelheill, es könnte wohl Jemand auf den Ge-
danken kommen, eine Analogie mit der Wahrschein-
lichkeitslelue hervorzurufen. Denn wie Ein Ton, ob-
gleich an sich einfach, doch in Bezug auf einen andern,
höhern oder tiefern Ton, in Gleiches und Entgegenge-
setztes zerlegt zu denken sey, so zerfalle in der Wahr-
seheinlichkeitslehre die Einheit , als Ausdruck der Gewiss-
heit, in die einander entgegengesetzten Wahrscheinlich-
keiten. .Freylich aber müssten nun (natürlich um die
Analogie zu verfolgen) auch beyde Theile, worin Ein
Ton zerlegt worden, als Gegensätze erscheinen; und da
sey denn das Wort Gleichheit anstössig. —
Gäbe es keinen weitern Anstoss als nur diesen , so
wären wir freylich bald fertig. Denn in der That ist
die Gleichheit, als treibend zur Verschmelzung zweyer
Töne, vollkommen entgegen jedem der Gegensätze,
welche sich der Verschmelzung widersetzen; und hier-
auf beruhet, wie am gehörigen Orte gezeigt, unmittel-
bar die Bestimmung der reinen und der falschen Quinte.
Nun aber kommen noch die Terzen, die Sexten, die
Secunde und die Septime; mit ihnen kommt der Unter-
schied der halben Gleichheiten von der ganzen, und der
gleichen Theile von der Gleichheit. Es ist nicht zu er-
warten, dass man jene Analogie auch hier werde vest-
halten wollen; da aber einmal aus so weiter Ferne —
Wahrscheinlichkeilslehre und Musik sind doch wohl
entfernt genug! — sich eine Analogie zufällig eingestellt
hat, so mag man den Zufall benutzen. Man berechne
also die Wahrscheinlichkeit, welche unsre Theorie zu-
A*
YÖnlerst dadurch erlangt, dass sie in der Tonlinie
eben so viele merkwürdige Puncte nachweiset, als
bekannte Intervalle in der Dur- und Moll-Scala vor-
lianden sind. Sollte etwa diese Wahrscheinlichkeit noch
gering scheinen, so nehme man den Umstand hinzu,
dass jedem einzelnen dieser Puncte seine Stelle durch
eine besondre Rechnung bestimmt ist, welche mit dem,
was bisher für richtig galt, nahe genug zusammentrifft,
und, (was beynahe noch bedeutender ist,) die gleich-
schwebende Temperatur da vertheidigt, wo sie von der
bisherigen, vermeintlich richtigen Rechnung merklich
abweicht. Hat man auch so noch nicht Wahrschein-
lichkeit genug, so steht nun die ganze Lehre von den
Accorden u. s. w. in Rereitschaft, die man freylich wohl
nicht in jene Wahrscheinlichkeits- Rechnung wird auf-
nehmen können, denn die innere Consequenz einer zu-
sammenhängenden Theorie ist darüber hinaus, nach ei-
ner Summe von zutreffenden Einzelnheiteu geschätzt zu
werden.
Vor Analogien , die nicht sehr nahe liegen , sich zu
hüten , darf man wohl einem Jeden überlassen , der ge-
nauer auf unsern Gegenstand einzugehen ernstlich be-
absichtigt. Anders verhält es sich mit solchen fast un-
vermeidlichen Vergleichungen , die schon durch den Aus-
druck Statik herbeygerufen werden. Deshalb ist schon
im ersten Hefte des Hebels Erwähnung geschehen ; denn
der Hebel ist ja das erste, einfachste Beyspiel, was
sich aufdringt, wo Etwas vom Gleichgewichte vorkommt.
Es ist wiinschenswerth , dass solche Eiünneriuigen , die
man nicht wegschaffen kann, einer Umformung zugäng-
lich seyn mögen, wodurch sie, anstatt den Gesichtspuuct
zu verrücken, vielmehr behülilich werden ihn sicher
zu stellen. Bey genauerem Nachdenken über den He-
bel hat sich mm Einiges dargeboten, welches hier soll
vorgelegt werden ; ohne Besorgniss , als würde es gar
zu fremdartig scheinen. Am Ende dieses Aufsatzes wird
sich zeigen, dass hinreichender, und selbst doppelter
Grund vorhanden ist, die Betrachtung des Gleichgewichts
vmter Vorstellungen mit derjenigen, wozu der Hebel
Anlass giebt, in Verbindung zu setzen.
Beym Hebel pflegt man sogleich zunächst an Umdre-
hung einer unbiegsameu Linie um einen vesten Puuct
zu denken; dabey treten die drehenden Kräfte unter
einander in Gegensatz. Man vergleicht also die Pro-
ducte aus den Kräften in die Wege, welche, wenn die
Umdrehung geschehn soll, müssen durchlaufen werden;
und Alles scheint fertig, wenn diese Producte gleich und
entgegengesetzt sind. Um Bestinunung des Drucks, wel-
clien der veste Punct leidet, brauchte man demnach sich
nicht zu bekümmern. Gleichwohl gehört derselbe sehr
w^esentlich zur Sache, denn wenn der Punct diesem
Drucke ohne Widei'stand nachgiebt, ist an Umdrehung
um ihn nicht zu denken. Vollständiger vrenigstens ist
eine andere sehr bekannte Darstellung, welche ausge-
liend vom gleicharmigen Hebel mit gleichen Gewichten
P, im Unterstützungspuncte dem dort aufwärts gerich-
teten Gegendrucke ein halb P niederwärts entgegensetzt,
überdies einen Hebelarm verdoppelt, am Ende dessel-
ben auch ein halb P niederwärts anbringt, alsdann noch
ein ganzes P mitten zwischen den halben, aufwärts zie-
hen lässt, und endlich ausstreicht was sich aufhebt; so
dass nicht bloss J P am doppelten Arme mit P am ein-
fachen im Gleichgewichte steht, sondeini auch der Druck
r= # P im Unterstützungspuncte deutlich hervortritt:
— vou wo der Weg zum dreyfachen , vierfachen , «fa-
chen Hebelarme u. s. w. offen steht, indem an flngirten
Gewichten, die beym wirklichen Hebel uiclit vorkom-
men , die aber als Rechnungsgrössen eingeführt und wie-
der weggestrichen werden, niemals Mangel seyn kann.
Allein mit dieser Darstellung können wir uns nicht be-
freunden. Denn
Erstlich: Auf solche Weise wird zwar demonstrirt,
aber nicht erklart. Die Frage bleibt offen, was denn
da geschehe, wo die zur Demonstration nöthigen Hiilfs-
gewichte nicht vorhanden sind, und dennoch Gleichge-
wicht statt fuidet. Der Hebel ist hier wie ein Gedan-
kending behandelt. Die nämliche Einwendung gilt ge-
gen alle Beweise, welche durch Hülfsgrössen und belie-
bige W^endungen des Denkens ans Ziel gelangen, ohne
sich um die innere Nolhwendigkeit ihres Gegenstandes
zu bekümmern. Man kann gar mancherley denken;
die Frage ist, ob man durch die Natur der Sache dazu
gezwungen sey, und ob es zur vollständigen Auffassung
derselben wesentlich gehöre. Beliebige Hülfsgrössen
sind nun schon schlimm in der reinen Mathematik; aber
der Übelstand, den sie verursachen, wird auffallender
in der angewandten, wo bey allen Abstractionen , die
man nicht vermeiden kann , doch immer die Aussicht
auf wirkliche Dinge, und auf das, was mit ihnen ge-
schieht, offen bleiben muss.
Zweytens: nicht bloss der veste Punct, und der Druck,
den er wegen seiner vorausgesetzten Vestigkeit leidet,
ist beym Hebel wesentlich, sondern das Gleichgewicht
selbst hat hier zunächst seinen Sitz ; und die Umdrehvmg,
welche geschehen würde, wenn kein Gleichgewicht
wäre, gehört nicht wesentlich zur Sache. Wenn paral-
lele Kräfte an einer unbiegsameu Linie ziehen, so wir-
ken sie, um die Linie zu bewegen, zusammen, und nicht
wider einander; wenn nun ein vester Punct ihnen wi-
dersteht, so trifft dieser Widerstand beyde zugleich;
und wenn er beyde zugleich aufhebt, so ist Ruhe vor-
handen, ohne irgend ein Streben zur Umdrehung. Man
nehme den bekanntesten und einfachsten Fall : Gewichte,
welche, ihrer Natur nach, parallel niederwärts ziehen.
Dass man diesen Gewichten ein Streben zur Umdrehung
beylegt, ist eine Absicht, die man ihnen unterschiebt;
sie wollen Nichts, als nur sinken. Befindet sich zwi-
schen ihnen der veste Punct gerade an der rechten Stelle,
damit sein Widerstand sich auf beyde gehörig verthei-
len könne , um beyden das Sinken zu verwehren , so
geschieht weiter nichts; die Sache ist abgethan.
Also: die Vertheilung des Drucks, ist das, worauf
es zuerst ankommt. Dass nun auch keine Umdrehung
erfolgen kann, ist ein Umstand, den man hinzudenken
mag; wir beseitigen für jetzt diesen Umstand, mit dem
Vorbehalte, darauf zurückzukommen.
Schon hier erhellt, dass die Analogie zwischen dem
(Jleichgewicht am Hebel und dem Gleichgewicht unter
Vorstellungen eine etwas bequemere Gestalt gewinnt,
indem hier wie dort eine Vertheilung vorliegt. Damit
ist noch lange nicht gesagt, dass man der Analogie sich
nun dürfe unbehutsam überlassen; wohl aber giebt es
noch einen Punct, auf den die jetzige Betiachtung hin-
weiset, um Vorsicht zu empfehlen; nämlich auf den
Fragepunct: wo denn eigentlich das Gleichgewicht zu
suchen sey, und zwischen welchen gleichen und entge-
gengesetzten Grössen es eiceutlich statt finde i' Dieser
Fragepiuict kann bey den Vorstellungeu noch leiclitei*
verfelilt werden, als bey in Hebel.
Was hier nun weiter vom Hebel soll gesagt wer-
den, bezieht sich bloss auf den angegebenen Begriff der
Vertheilung des Drucks. INlit dem Winkelhebel haben
wir nichts zu thun; denn Zerlegung der Kräfte (oder
vielmehr der Richtungen) ist etwas fremdartiges, worauf
uns einzulassen hier nicht nöthig seyn wird. Eben so
wenig wollen wir die angenommene unbiegsame Linie
weiter untersuchen; genug wenn irgend eine solche Vc-
stigkeit vorausgesetzt wird, die man sich unter dem
Bilde einer geraden unbiegsamen Linie denken könne.
In Einer Hinsicht aber werden wir die Vorstellung
des Hebels nach unsrer Bequemlichkeit umformen. Die
unbiegsame Linie braucht nicht zur Drehung bereit zu
liegen , nachdem wir diesen Begrilf schon zurückgewie-
sen haben. JMan mag an Vertheilung einer Last denken,
die von einer auf zwey Puncten ruhenden Stange ge-
tragen wird; ein Gegenstand, bei welchem gewöhnlich
die Lehre vom Hebel als bekannt vorausgesetzt wird,
obgleich kein Drehen dabey vorkommt. Der Hebel ist
das Umgekehrte jener Stange. Das Wesentliche aber
ist: dass ein Druck, der von einem Puncto auf
einen andern entfernten wirken soll, erst die
Distanz dieser Puncto durchlaufen muss;
sonst wäre keine Verbindung vorhanden.
C
t
A 1) E B
Es gehe ein Druck in C aufwärts; die Linie AB sey
in A und B bevestigt; man fragt, wie sich der Druck
von C aus auf die Puncto A und B vertheile, wenn
CB =z "^AC,
9
Der Druck geht von C aus nach bcyden Selten die-
ses Puncts gleichniässig, Avofern, wie hier vorausgesetzt
wird, die Linie ylB gleichförmig in sicli zusamnienhiingl.
Ist der Druck linkshin bey yl angelangt, so wird er
hier aufgehalten durch die Bevestigung in yi. Soll die
Linie in Ruhe bleiben, so nuiss in J), wo ein gleicher
Druck statt findet, wenn CD :=:CA, derselbe mit eben
so viel Gewalt zurückgehalten werden wie in J. \Yenn
der ganze Druck in C :=: 1 , so ist er in A und in I)
:=:= ^2. Er wird aber in D nicht zurückgehalten, weil hier
keine Bevestigung vorhanden ist. Demnach gilt in l),
was in C galt; der Druck aufwärts in V wdrd von Z>
aus gleichmässig nach beyden Seiten fortgepflanzt. Er
gelangt also nach A und B gleichmässig, das heisst, auf
B kommt ^ und auf A \. Nun war der Druck, der
von C nach A gelangte, =. 4. Da nun .^- -{- -|^ nr ^ , so
ist der Druck in A dreymal so gross als in B ; und
hiemit im umgekehrten Verliältnisse der Entfernungen
vom C.
Man verlängere in Gedanken die Linie AB über B
hinaus, also rechts hin, bis zu einem Puncte, den wir
F nennen; dergestalt, dass BF=zAB; überdies verlege
man die Bevestigung von B nach J^. Wird der Druck
in B, wo er z=z ^ war, nicht aufgehalten, so vertheilt
er sich nach A und F gleichmässig ; und beträgt an
beyden Orten ■^. Also in A Ist ein Druck |^-|-^zrr|.,
und in F ein Druck = ^; da nun AB :=■ 4 AC = BF,
so ist AF— AB + BF=: 8 AC, und CF= AF— AC = 7AC,
und hiemit wiederum der Druck in umgekehrtem Ver-
hältnisse der Entfernung von C vertheilt.
Die Entfernung AU war =^2AC; die Entfernung
AB z= 4AC; ferner AF = S AC. Man nehme über F
10
hinaus eine Entfernung AG = 2"^ylC. Der Di'uck, wel-
cher in 1) :=. ^ Avar, inuss in G := (.^-)" seyn; desgleichen
der in A ist z= ^ -j- ^ -}- i -|- . . . + Q.)- = 1 _ (^)«.
Nuu ist CG = AG — AG = 2«y/C — AG == (2« —1)AG,
also AG : GG = 1:2"^ — i; und der Druck iu G verhält
sich zum Druck in A wie (^)" : f 1 j = 1 : (2" — 1),
also entspricht der Druck in A der Entfernung des an-
dern Puncts G von C, welche Zalil auch möge für n
angenommen werden.
Wir kehren jetzt in den Anfang der Betrachtung
zurück. Der Druck , welcher von G ausgehend sich
eben jetzt nach beyden Seiten ausbreitet, sey bis A und
1) gelangt. Nacli dem Vorstehenden sieht man voraus,
in welches Gleichgewicht der Druck A mit dem in F
treten wird, wenn dort die Bevestigung angebracht ist;
eben so, in welches Gleichgewicht der Druck in D mit
einem links jenseits A treten müsse, falls dort, in
einer Entfernung, die von G angerechnet z=. GB sey, der
veste Punct sich befindet. Es soll nämlich laut dem
Vorstehenden beti'agen
der Druck in A, ^\ in F, ^
in Z), 1^; links in der Entfernung GB, \.
Also zwischen dem Druck in A und iu F das Verhältniss
7:1, zwischen dem in 1) und jenem links , das Ver-
hältniss 3:1. Oder das erste Verhältniss ist 1:^, das
andre 1 : 4-. Setzt man nun den Druck in A und in D
z=. \ , so stehn damit die Drucke in den Entfernungen
7 AG und "iAG im Gleichgewichte, wenn sie sich ver-
halten wie ^ : -1-.
Allgemein: die Entfernungen nacli beyden Seiten von
G seyen im Verhältniss (2'^ — 1) AG : (2" + ^ — 1) AG, und
11
mau nehme die Einheit des Drucks in der Entfernung
AC auf beyden Seiten, so steht damit einerseits ein
1 . . 1 .
Druck , andrerseits eui Druck - — , - im
2«— l' 2" + *— 1
Gleichgewichte ; also sind diese Drucke unter sich im
Gleichgewichte, wenn sie sich verhalten wie
(2" + l_l) : (2«— 1).
Nun kann man AC so klein nehmen wie mau will,
und n so gross wie man will. Es sey n = CO, so
verschwindet die Zahl 1 neben 2"t* und 2". Aber
2"t : 2" :=::: 2 : 1 ; das heisst, wenn die Eutfernungen
sich verhalten wie 1:2, so müssen fürs Gleichgewicht
die Drucke sich verhalten wie 2:1.
Dies lässt sich durch einen Rückblick auf das Vorige
auch direct zeigen. Es sey nämlich jetzt die Bevesti-
gung in yl und in E ; auch CE zz: 2 AC. Hat der Druck
von C aus, sich einerseits bis A ausgebreitet, so ist er
andrerseits bey D gleich stark. Da er hier keinen Wi-
derstand findet, so vertheilt er sich von D gleichmässig
nach E und C. In E beträgt er -^j in ^, ^\ iu C auch
^, aber dies muss wegen IMaugels an Widerstand aber-
mals vertheilt wei'den. So kommt auf A noch ^, auf
D -^j welches wieder vertheilt für E noch J^^ für c auch
j^Q giebt. Verfolgt man dies weiter ins Unendliche, so hat
man für den Puuct A die Reihe 4 + g- -{- ir^ + • • • (i)^" "'" *'
für den Punct E die Reihe 7 -}- tf ~1~ • • • (^)^"* ^^^ erste
Reihe hat eine Gränze =^, die andre =-n-, also ist der
Druck auf yl doppelt so stark wie auf den doppelt ent-
fernten E; allein die Sache ist hier doch nicht so einfacli,
wie im vorigen Falle ; die unendlichen Reihen wollen
durchlaufen seyn; sie zeigen eine Annäherung, aber kein
plötzliches, auf Einen Sclilag vorhandenes Gleichgewicht.
12
Denn der Druck Uaiin nicht eher zu den eiit-
feriilern Stellen gelangen, bis er die nähern
erreicht hat; und erst nachdem er vollständig ver-
tlieilt worden , bildet sich das Gleichgewichl.
Noch etwas verwickelter ist der Fall , wenn ein He-
belarm fünfmal so lang ist als der andre. IVIan denke
sich rechts von C einen Punct //, so dass CH irr 5 AC.
Ist der auf C angebrachte Druck bis ü gelangt, so ver-
theilt er sich, wie gleich Anfangs gezeigt, von hier wie-
der auf A und B, da er früher nicht aufgehalten wird.
Er beträgt bey ß, wie vorhin, J. Weil auch hier die
Bevestigung fehlt, muss er sich v^iederum verlheilen.
Wälirend von ilnn i bis // gelaugt, wirkt das andre -^
auf ü; luid sö beginnt von diesem Puucte aus eine neue
Vertheilung, welche den schon gezeigten Weg immer
von neuem durchlaufend eine unendliche Fveihe bildet.
Man hat nun die Gränze dieser Reihe für den Punct //
zu bestimmen. Der ersle Druck auf D betrug -^ ; der
jetzige ^; von dem ersten gelangte nach//^, von jetzigen
1
"8.4
111 1
die unendliche Reihe -- -f- f- — — — - + • • • ^
8 ' 8.4 ' 8.4.4 ' 8.4"
4« _}_ 4'i-i 4- 4'£ — 2 J_ ... 4 _1_ 1
:rz ' ' wo nz=OC.
8 . 4«
4« + l
Die Reihe im Zähler ist = -— ; also die Gränze
o
4 1
des Bruches r= = -. Es versteht sich von selbst,
3.8 G
dass am andern Ende, bey J, der Druck bis zu der
Gränze := | anwächst, da der Druck sich ganz auf J
und // vertheilcn muss. Das Yeriiältniss hier und dort
ist demnach 1:5.
, weil |- : i =r 4 : 1. Dieses verfolgend findet man
13
Von tleni Falle , da ein Arm siebenmal ;;o lang ist
als der andre, wurde schon gesprochen ; man hat ge-
sehn, dass er keine iniendliche Reihe erfordert, son-
dern nächst jenem, wo CB = 3 yj C , der einfachste ist,
und aus diesem uuniiltclbar folgt.
Wir ziehen noch ein paar Falle In iiclracht; wäre
es aucli nur, um die Verschiedenheit einlcuchlender zu
machen. Der Punct // rücke weiter hin; und CII sey
nun nz 1 1 yiC. Vorhin hatten wir C F ■=z 1 AC; bey
F war der Druck r= i. Fehlt nun bey F die Bevcsti-
gung , und befindet sich dieselbe bey //, so gelangt dort-
hin zunächst J- ; das andre -rV aber kehrt von F zurück
1 o ' 1 o
in eine Entfernung zzz F 11; es findet dort den Punct
B, denn BF ■r:z FIl := 4: JC. Also von B aus geht
nun eine Vertheilung in unendlicher Reihe fort. Be-
kannt ist aus dem Vorigen, dass von dem Drucke r= i
bey B sich auf das jetzige // der Druck r= -^^j vcr-
pllanzt; nun beträgt der neue Druck auf jß nur j^^, also
1
der daraus entstehende auf H ist ; dies fortgesetzt
16.4' ^
11 1 4
giebt die Reihe \- -|- ... ;:== — —
^ IG ' IG. 4 ^ 16. 4"- 3.16
= ^V; '"^'ii andern F.nde ^.V; und das Verhältniss 1: 11.
Der Punct //rücke noch weiter; es sey CH = ISAC.
Von dem Drucke rr i bey F gelangt nun ^f. nach H;
aber FII ist jetzt =z 6y/C, also das andre ^L kehrt zurück
bis ü, weil auch FD =z (S AC. Bey B betrug der er-
ste Druck ;|-; von dort gelangle nach dem jetzigen f/yL.
Aber i- : Jg^ ri: 8 : 1 . Vom jetzigen neuen Druck
1
— J|j gelangt also nach // noch : inul die Fieihe
16.8'
der successiven Vertheilungeu ergiebt für 11 nun
14
1 18 1
'''^+ iöTs + ••• TO^ = 7Tl6 = 15- Auf d« an-
dre Ende kommen |^, und das Verhaltnlss ist 1 : 13.
Fragt man, wohin dies Alles führe , so ist die na-
türliche Antwort: gewiss nicht dahin, das Ungleichar-
tige gleichartig zu machen. Unendliche Reihen, und
deren Granzen , sind nicht gleichartig mit solchen Grös-
sen , die auf einmal bestimmt vorliegen ; imd die ange-
gebenen Fälle zeigen deutlich, dass selbst die unendli-
chen Reihen nicht immer von den nämlichen Puncten
ausgehn ; indem ihnen mehr oder weniger von bestimm-
ter Vertheilung muss voraugeschickt werden. Verlangt
man aber einen Weg zu dem bekannten allgemeinen
Resultate, unbekümmert um die verschiedenen Weisen
wie es erreicht wird, so lasst sich etwa Folgendes
bey fügen.
Zuvörderst ergeben sich aus den Bestimmungen für
ungleiche Hebelarme nach den Verhältnissen 1:2, 1:3,
1:5, 1:7, 1:11, 1 : 13, viele Zusammensetzungen von
selbst. Theils nach Potenzen; indem z. B. der Druck
A am neunfachen Arme dem i am di-ej fachen , und die-
ser dem Drucke 1 am einfachen , also der i am neun-
fachen dem Drucke 1 am einfachen gleich gilt. Theils
dadurch dass man die Potenzreihen unter einander zu-
saminenstellt; also etwa den Druck h am dreifachen,
J am neunfachen Arme mit dem Drucke 4 am doppel-
ten , -i am vierfachen Arme ; wo der einfache Druck
am einfachen Arme das JNlittelglied der Vergleichung
bildet. Die Producte kommen hinzu ; z. B. der Druck
1 am Cfachen Arme gilt gleich dem Drucke ^ am dop-
pelten; dieser dem ganzen am einfachen Arme: also
dem letztern auch J am sechsfachen; eben so beym zehn-
15
fachen Arme als ilcni doppelt fünrfachen. Auch bey
Primzahlen vermittelt der einfache Druck bey einfacher
Länge die Vergleichuug. So findet sich der allgemeine
Satz für alle kleinem Zahlen der Reihe nach richtig,
so weit man gehen will. Hicbey kann mau die Ein-
heit der Längen unendlich klein nehmen. — Ferner,
imi zu grössern Zahlen zu gelangen , dient die Bemer-
kung, dass zu einer, den Armen lungekehrt proportio-
nalen Verthcilung des Drucks eine andre eben so pro-
portionale liinzukommt. Das Verhältniss der Arme sey
1
1 : m, der Drucke wie 1 : — ; der ursprüngliche Druck
m
(in C) sey rz 1 ; man verlängere den längsten Arm , und
das Verhältniss sey nun 1 rm-j-n; so muss der Druck
1 . .
; — - sich welter vertheilen ; und zwar umgekehrt wie
m -j- 1
n zu m -j- 1. Auf den Endpunct des verlängerten Arms
1
kommt — I — -, auf den andern Endpunct kommt
('« r 1 + ")
71
Dies letztere vereinigt sich mit
dem dort schon vorhandnen Drucke nr ; die
m4- 1'
^ . m (m -f- 1 + n) -j- « (m 4- n)
Summe ist —V-l ! — ^_ ' — — ^ ~ ^ . also
die Drucke auf beyde Endpuncte sind wie m -\- n : 1.
Aus dem Drucke yL ^'^^ zehnfachen Arme^ und der Ver-
tiieilung desselben für die Endpuncte nach der Verlän-
gerung, (wenn m z= 10 , n =: 3) konnte man das Ver-
hältniss 13 : 1 finden, wenn man nicht ausführlich die
Art der Vertheilung, sondern nur das Resultat wissen
wollte. So Nvird man überall von kleinem zu grössern
Verhältnissen fortgehn können: und hierin liegt die be-
16
kannte allgemeine Regel. Aber auch das liegt vor Au-
gen, (lass die Regel ungleichartige Fälle umfasst, die sie
nur scheinbar gleichstellt.
Wir wollen den Gegenstand , den wir nun einmal
berührt haben, noch etwas weiter verfolgen; nämlich
zu der Yertheilung des Drucks auf drey veste Punete,
die mit der gedrückten Stelle in einerley Ebene, aber
nicht in gerader Linie liegen. ]\Ian denke sich ein Drey-
eck, dessen Seiten a, h, c, und gegenüberstehende Win-
kel bey den Puncten A, B, C; gesucht wird der Druck
n auf A, n' auf />, /7" auf C. INichts ist leicbter
und scheinbar mehr genügend als folgende Vorschrift:
Auf c falle von der, innei'halb des Dreyecks liegenden,
Stelle Q, wo der Druck -^iz P unmittelbar angebracht
ist, ein Perpendikel; dies mit P multiplicirt giebt das
]Moment der Umdrehung um die Seite c. Ein andres
Pei'pendikel aus dem gegenüberstehenden Winkelpuncte
C auf dieselbe Seite c, multiplicirt mit dem dortigen
Drucke 77 ', muss ein eben so grosses Moment der näm-
lichen Umdrehung ergeben, damit der dortige, dem 77'
entgegen wirkende, Widerstand die wirkliche Umdre-
hung um die Seite c verhindere. Die beyden Perpen-
dikel zeigen die Höhe der beyden Dreyecke , welche
Q, und C, mit der Seite c, das helsst, mit den Win-
kelpuncten yl und B bilden; und da die Dreyecke bey
gleicher Grundlinie c sich wie die Hohen verhalten , so
kann man sagen: P verhalt sich zu 77' wie das Dreyeck
ABC zum Dreyecke ABQ. Eben so gut aber, als eine
Umdrehung um die Seite c , kann auch eine Umdrehung
um a und um h angenommen werden; mögen denn
aus den gegenüberstehenden Winkelpuncteu und aus Q
die nöthlgen Pei'pendikel auch auf a und b fallen ; da-
17
nach bestimmen sicli auch hier die Momcnlc der Um-
drcliung , welclie gleich scyn müssen; und die Höhen
der Dreyecke ABC, BCQ, ACQ. OlFcnbar zerOillt also
dei- ganze Druck irr P in 77, TI' , 11 " , nach den näm-
lichen Verhältnissen , wonach das ganze Dreyeck ABC
zerfällt in die Dreyecke BCQ, ylCQ, ylBQ.
Damit ist die Frage beantwortet; und doch kann
man weiter fragen : wandert der Druck P wirklich so,
wie die eben angestellte Betrachtung, bey den Seiten
des Dreyecks vnnher, versuchend, ob um eine oder an-
dre die Umdrehung gelingen könne ; und protestiren
alsdann jedesmal die gegenüberstehenden vesten Puncte?
Oder versucht der Druck P etwan alle drey Umdrehun-
gen zugleich? Wenn nicht: was geschieht denn ei-
gentlich, indem die Stelle Q wirklich gedrückt wird,
und die vesten Puncte wirklich widerstehen?
Damit die Frage etwas fühlbarer wex'de, wollen
wir einen Fehlschluss anzeigen, zu welchem man durch
die vorstehende Betrachtung wohl verleitet werden
könnte. Wir denken luis noch einmal jenes Perpen-
dikel, welches aus dem Puncte Q auf die Seite c fällt;
derjenige Punct auf der Linie c, wohin das Perpen-
dikel fällt , heisse K. Nun bleibt die Linie QK inuner
die nämliche , wohin auch der Wijikelpunct C , und mit
ihm der Druck 17" fallen möge, gegen dessen JMoment
das Product P . QK im Gleichgewicht stehen soll. Aber
auch der Druck 77" kann unverändert bleiben, wenn
der Punct C nur nicht seine Entfernung von der gegen-
überliegenden Linie c verändert. IMan ziehe durch C
eine Parallele mit c ; in dieser Parallele verrücke man
nach Belieben den Punct C\ immer wird die Höhe des
Dreyecks ABC die nämliche bleiben; immer auch einer-
II. Heft. B
18
ley Verhällniss P : H" gerunclen werden; und da dies
Verhältniss immer durch die Linie QK bestinnut ist, so
\Yird vernnithlich der Punct /i^ immer einerley Widerstand
leisten ; welcher Widerstand ohne Zweifel z=z P — J7"
seyn wird. Alsdann kann dies P — Tl' auf die Tra-
gepuncte A und B der Linie c so vertheilt werden, wie
das umgekehrte Verhältniss der Entfernungen AK und
BK es mit sich bringt ; — und hiemit ist der unge-
reimte Satz fertig : wenn der Punct C sich in der
Parallele mit c verrückt, so bleibt sowohl II'' als
der Gegendruck in K unverändert; dieser Gegendruck
vertheilt sich immer auf gleiche Weise auf A und ß;
das Verhältniss /7, Tl' , FL" , ist immer dasselbe.
Diese Absurdität zu widerlegen ist nicht nöthig;
es kommt vielmehr darauf an, sie zu vermeiden, also
den Aulass wegzuschaffen, der dazu verleitete. Mau
werfe das halbe Dutzend Perpendikel, die zur obigen
Demonstration gehören, auf einmal weg; denn durch
diese wurde im buchstäblichen Sinne der rechte Punct
verfehlt. Folgende Betrachtung , wiewohl etwas weit-
läuftiger als die obige Demonstration, (die im Fluge
ans Ziel kam , aber die Sache nicht aufklärte) , gehört
wesentlich hieher.
In der Ebene ABC verbreitet sich der Druck P vom
Puncte Q aus gleichförmig nach allen Seiten; also con-
centrlsch in Kreisen lun Q. Läge nun etwa Q im Mit-
telpuncte des , ein gleichseitiges Dreyeck ABC um-
fassenden Kreises; so wäre ohne irgend einen weitern
Beweis 11 =^ Tl' = TT' z= ^ P. Da jedoch dies nur
Ein Fall unter miendlich vielen möglichen Fällen ist, so
wollen wir das Dreyeck ungleichseitig, und die
Distanz OC kleiner nehmen als die Distanzen QA und OB.
19
Hat miu die krelsföi-mige Ausbreitung des Drucks den
nächsten Punct C erreicht , so erfordert das Glcichge-
wiclit einen zweyten Widerstand , welcher dem Wider-
stände in C direct entgegenwirke, wie zwey Kräfte am
Hebel. IMan ziehe eine gerade Linie durch die Puncte
C und Q; in dieser Linie muss der zwcyte Wider-
stand liegen, damit der Druck in Q sie nicht bewege;
und zugleich in der Linie yiB , oder c; denn er kann
nur von den Puncten yd und B geleistet werden. Wir
kommen also hier nicht auf den vorigen Punct K , wo-
fern nicht etwa die Linie CQ senkrecht gegen c gerich-
tet ist; und das ist sie gewiss nicht immer, wofern,
wie vorhin angenommen wurde, der Pimct C seinen
Ort in der Parallele mit c verändert. Derjenige Punct,
in welchem die Linie c von CQ durchschnitten wird,
heisse q. Allerdings muss nun der Druck in q, welcher
die Linie CQ in Ruhe halten, folglich mit 77" gleiches
Moment haben soll, sich auf die Puncte /i und B gehö-
rig vertheilen. Um dies vollends zu bestimmen, be-
zeichnen wir zuerst die, in dem gegebenen Dreyeck
y^BC gleichfalls gegebene , Distanz QC mit /; und be-
nennen mit u und y die Winkel , worin durch die Linie
/ der Winkel C zerlegt wird. Diese Winkel mögen
ebenfalls gegeben seyn ; so dass auch die Winkel bey
dem Puncte (j bekannt sind ; man wird nämlich im
Dreyeck JC(j einen Winkel =: 180^ — (y^-j-^) an
einer Seite der Linie Cq , und im Dreyecke BCq den
Neben - Winkel = 180° — (ß -j- u) an der andern Seite
der Linie Cq haben. Endlich werde noch die Linie
Cq ■=. F gesetzt. So ist Sin (^A -\- v): Sin A zzz b : F;
und Sin {A -\- i>): Sin B =: a:F; also Fz= ^;r^ ,—7-. — ;
Sin(^-j-(>)
B 2
20
a Sin B
— -,. , ^ , .-• Um nun zuerst den Druck 77" zu
bin (^-j-i')
bestimmen, hat man P. {F — f) = 11" F; also 77"
P.F—f f
= — -^; P — n" =z P~, das heisst P — 77'
F F
P.FSm(J 4- i>)
= 7~—~ — -• Dieser Druck P — 77 fällt
h Sin ^
auf q, luid er ist es, welcher auf die Puncte y4
und B sich vert heilt; und zwar im umgekehrten
Verhältnisse der beyden Theile, worin die Seite y^B
(oder c) durch den Puncl q zerfällt. Einer dieser Theile
findet sich durch die Proportion Sin (^yl -\- c) : Sin \>=^Ij
• ^; — , — r ; der andre durch die Proportion Sin (^-j-c)
Sm (^-|-o)
„. a Sin u , ...
: Sm u =: a : - — :—r—. — i , wobey man sich erinnern
Sin(^-l-p)' ^
mag, dass Sin (^-f-p) = Sin (ß -{- ")• ^^® ^^"'^ ^^^
b Sin p
ganze Seite c sich verhält zu ihrem Theile r — - — : ,
Sin {^A -Y v)
80 soll der Druck P — 77 sich verhalten zu demjeni-
gen Theile von ihm, der auf B fällt; und wie die ganze
a Sin u
Seite c sich verhalt zu ihrem Theile -^ — ; ; — , , so
Sin {A -|- i>)
soll der Druck P — 77" sich verhallen zu demjenigen
b Sin Q
Theile von ihm, der auf ^ fällt. Demnach c : -: — ; — r
Sin i^A -f- v)
f Sin (A-\-i>) Sin c , a Sin u
b Sin ^ ' ■^' c Sin ^ ' Sin {A -j- c)
^ f Sin (A-\-v) ^ a Sin u ,^. . .
= P. -^ -^^ !— '^ : Pf. . Hiemit ist die
b Sin A -' cb Sin A
a Sin u
Vertheilung geschehen. Denn wir haben 11=: Pf — ■— ,
cb Sin A
«' ^r Sin '' „„ /• / Sin (A -4- v)>.
n' =z Pf-^r^, 77" zz: P fl - ^— -1_X__^>)
c bin ^ \ b bin ^ y
21
und die ganze Sache lautet kurz so: durch de^ gedrück-
ten Puuct und den nächsten Tragepunct ziehe man eine
gerade Linie; der Durchschnittspunct dieser Linie mit
der gegenüber liegenden Seite des Dreyecks verbindet
zwey Hebel, deren jeder im Gleichgewicht stehn muss.
Dass nun dies mit obiger Vorschrift im Resultate
zusammenstimmt, lasst sich leicht zeigen. Das Dreyeck
BCQ = -h af Sin u und das Dreyeck JCQ = ^ bf Sin o
werde dividirt durch das ganze Dreyeck ^£C::=: ^ hc Sin A,
so findet man 77 und II \ das dritte Dreyeck yJBQ ist
= I c (F— /) Sin (^+('); die Division durch JBC
(F — f) Sin (J -f v) Sin (J+o)
giebt ^^ 4r ^ -^-- = 1 — / ^.-^— ' weil
^ b Sin yj ' b Sin A
F =2 —- — ; , und hiemit ist auch 77" gefunden.
Sin (^ -[- f)
Aber die Flächen der Dreyecke sind überflüssig, wo
nur drey Tragepuncte gegeben werden.
Was ist nun erträglicher , jene Lehre von den drey
Umdrehungen, oder die übliche Darstellung des Hebels
mit fiugirten Gevvicliten, die wieder verschwinden sol-
len, weil sie sich unter einander aufheben? In solcher
Vergleichung möchten die Umdrehungen doch noch ei-
nen Vorzug behalten. Denn obgleich es einleuchtet,
dass die drey Umdrehungen nicht auf einmal können
versucht werden; auch schwer zu sagen seyn möchte,
ob etwa der erste Versuch, zudrehen, gegen die Seite,
welche dem gedrückten Puncte zunächst liegt, mithin
die grösste Winkelgeschwindigkeit darbietet, oder lie-
ber gegen die entfernteste , wogegen der Druck das
grösste INIoment hat, solle vmternommen werden, —
jedenfalls noch ehe der Druck auf die Endpuncte be-
stimmt worden, denn diese Bestimmung will man ja
22
erst durch die sämmtlichen Drehungs- Versuche errei-
chen, — so liegt doch wenigstens der Gedanke des
möglichen Umdrehens , falls etwan einer der Stützpuncte
ein wenig nachgäbe, im Kreise der Frage und der mit
ihr verbundenen Begriffe ; er ist nicht gänzlich aus der
Luft gegriffen , sondern die Fiction wiid vom Gegen-
stande dargeboten. Wann hingegen am Hebelarm von
dreyfacher Länge das einfache Gewicht sich mit dem
dreyfachen Gewichte am einfachen Hebelarme ausgleicht,
so findet sich hierin nicht die mindeste Sjour ron Nö-
thigung zu folgender Annahme:
A C B DE
1) In ^ 3 Pfund niederwärts; in ß 3 Pfund nieder-
wärts; in C 6 Pfund aufwärts.
2) In C 2 Pfund niederwärts; in D zwey Pfund nie-
derwärts; in B 4 Pfund aufwärts.
3) In E 1 Pfund niederwärts; in ß 1 Pfund nieder-
wärts; in ü 2 Pfund aufwärts.
4) Also in A 3 Pfund niederwärts; in C 6 — 2=4
Pfund aufwärts; inß3 — 4+1 = 0 Pfund, in
D 2 — 2 =z 0 Pfund, in E 1 Pfund niederwärts.
Hier hat map
wirkliche Pfunde
1) in ^, 3 Pfund
in C,
4 Pfund
2)
3) in E, 1 Pfund
8 Pfund
fingirte
Pfunde
in B,
3 Pfund
in C ,
2 Pfund
in C,
2 —
in D,
2 —
in B,
4 —
in B,
1 —
in D,
2 —
16 Pfund
23
Sechzehn fiugirte Pfunde, um acht wirkliche Pfunde
ins Gleichgewicht zu bringen.
Es giebt allerdings Falle genug , wo man froh seyn
muss, Begriffe durch Begriffe verknüpfen zu können,
ohne sich an die Reihe Dessen was geschieht, zu bin-
den. Der spinozistische Satz: ordo et Cünnexio idea-
rum idem est ac ordo et connexio reriim , ist ganz und
gar kein Canon für das menschliche Forschen. Allein
hier ist nicht einmal bloss die Abweichung der Gedan-
kenreihe von der Folge des "Wirklichen, sondern sogar
die Abweichung der Gedanken vom gedachten Gegen-
stande zu tadeln. Ein ähnliches ganz einfaches Bey-
spiel, wo überall nicht vom Wirklichen die Rede ist,
mag der Satz geben : Sin {A-\-B) z= sin J cos B -{- sin
B cos yL Bekanntlich giebt es Lehrbücher , die sicli
ganz ernsthaft die IMühe geben , diesen Satz zu beweisen,
während er nur einer zweckmässigen Zeichnung bedarf,
wenn man nicht etwan die Nachweisung, dass in der
Figur sich ein Winkel wiederhohlt , für einen Beweis
gelten lässt. Alan zeichne, um es bequem zu haben,
den ersten Radius horizontal , öffue aufwärts den Win-
kel A, weiter aufwärts den Winkel B; zeichne ferner
die linearen Sinus von A, B, und A -\- B wie gewöhn-
lich; und bemerke nun den Punct, wo der Sinus und
der Cosinus von B zusammenstossen. Aus diesem Puncte
werde eine horizontale und eine lothrechte Linie gezo-
gen , und zugleich beachtet , dass in dem obersten Puncte
der Figur, von wo sich der Sinus von ß und von y4-}~ ^*
herab senken , der Winkel A sich wiederhohlen muss ;
(wegen Gleichheit zweyer Scheitelwinkel und zweyer
rechter Winkel, die gar nicht zu verfehlen sind). Weiss
man dieses , so liegt der Sinus von A -\- B als beste-
24
hend aus zwey Theilen, immillelbar vor Augen ; dem
obern Theile kann man keine andi'e Benennung geben
als Sinus B mal Cosinus A, dem untern keinen andern
Namen als Cosinus B mal Sinus yl. Daher bleibt hier
zum Beweisen kein Raum; und eben so unmittelbar
liegt in der nämlichen Figur der Satz Cos (^A -{- B)
=z cos B cos yj — sin B sin A vor Augen.
Man vergleiche hiemit den, halb construirenden halb
rechnenden , aus einem Viereck und einem Dreyeck im
Kreise hergeholillen, und die Eigenschaften des Kreises
mehrfach in Anspruch nehmenden, Beweis, welchen
Klügel in seinem mathematischen Wörterbuch (Artikel
Goniometrie,) für den leichtesten Beweis aus-
giebt. Histoiüsch merkwürdig mag es seyn, dass Pto-
lemäus auf den nach ilim benannten Satze die Berech-
nung der Chorden gegründet hat ,• für den iunern Zu-
sammenhang aber entscheidet dieser Umstand nichts
mehr, als der, dass einst ein Mathematiker begehrte,
man solle den Pythagoräischen Lehrsatz aus dem Pto-
lemäischen beweisen. Warum nicht gar etwan den
Satz von den gleichen Rechtecken , wenn zwey Chorden
des Kreises sich schneiden, aus der allgemeinen Lehre
von den Kegelschnitten ableiten? Wirklich scheint zu-
weilen durch Erhebung zum Allgemeinsten der Logik
ein Respect erwiesen zu werden , den sie schwerlich
verdanken möchte, wenigstens nicht durch einen Ge-
winn an Klai'heit verdanken kann. Nicht alle abslrac-
ten Begriffe werden dadurch gewonnen , dass man un-
nölhige IMerkmale beseitigend die Begriffe vereinfacht ;
und niclit jeder abstracte Satz enthält alles das, wor-
auf bey den ihm luitergeordneten Fällen die volle Ein-
sicht in seine Walirheit beruhet. Man kann den Kreis
25
der Ellipse, als dem allgemeinern Begriff, subsumircn ;
dennoch ist der Begriff der Ellipse weit mehr zusam-
mengesetzt; man soll zwey Axen unterscheiden, man
kommt zu zwey Breuupuncten , man verliert die gleich-
förmige Krümmung des Kreises , es kommen die Durch-
messer, die Krümmungshalbmesser zum Vorschein, u. s.w.
Wo läge nun ein Verdienst, wenn man wirklich den
Kreis aus der Ellipse demonsti'iren könnte? Und was
die volle Einsicht in die Falle anlangt, die unter einer
allgemeinen Regel befasst waren : davon ist eben hier
, ein Beyspiel gegeben. Mau mag überlegen, ob das volle
Einsicht ist, dass am Hebel das Gleichgewicht ein um-
gekehrtes Verhältniss der Arme und der Kräfte erfo-
dert ; so lange nämlich die Frage umgangen war, wie
denn der Druck , welcher den Kräften entgegenwirkt,
an den Hebelarmen fortgeleitet werde, um sich
mit den Kräften und die Kräfte unter einander in Ge-
meinschaft zu bringen. Dass er von Ort zu Ort muss
fortgeführt werden, und zu den entfernteren Stellen
nicht gelangen kann ohne die näheren zu durchlaufen,
liegt am Tage ; aber man hatte sich nicht darum be-
kümmert, und die ungleichartigen Falle des mehr oder
weniger schnell und bestimmt sich ausbildenden Gleich-
gewichts wurden nicht unterschieden.
Zu unserer Absicht ist hoffentlich nicht nöthig, auch
noch desjenigen Falles zu gedenken, welcher eintrit
wenn ein Balken auf drey oder mehrere Stützen gelegt
wird, die in gerader Linie stehn. Bekanntlich reicht
hiebey die gewöhnliche Betrachtung des Hebels nicht
hin. Auch würde die Vertheilung auf drey Puncte in
gerader Linie unmöglich seyn, wenn der Balken voll-
kommen uubiegsam, oder die Stützen durchaus vest
26
Nvären; denn alsdann müsslen die beydeu Stützen, zwi-
schen welche der Schwerpunct fällt, das Gewicht ganz
tragen. Anders ists, wenn der Balken gedacht w^ird,
als hinge er in drey Stricken ; da lasst sich die etwas
schiefe Lage bestimmen, welche der Balken annehmen
wird, und hiemit auch der Antheil am Gewicht, wel-
chen jeder Strick zu tragen bekommt. Oberflächlich
angesehen, hat dieser Fall noch mehr Ähnlichkeit als
die vorigen mit dem ungleichen Sinken dreyer Vorstel-
lungen von ungleicher Stärke ; allein er ist zu verwickelt
für unsern »Zweck; und wir gehen nicht darauf aus,
Analogien zu empfehlen , sondern solche die sich auf-
dringen, unschädlich zu machen.
Mag der Druck, dessen Verth eilung untersucht
wurde, sich so oder anders vertheilen: immer wird er
getragen; es ist Druck und Gegendruck, es ist auch
Gleichheit beyder vorhanden, luid hierin kein Unter-
schied zwischen vertheiltem Druck und demjenigen, wel-
cher unvertheilt getragen wird, wo eine Masse auf Ei-
ner vesten Stütze ruhet.
Allein die Bedeutung des Wortes Gleichgewicht
ist hierauf nicht beschränkt. Der Gegensatz zwischen
Statik und Mechanik erfodert, dass mau Ruhe und Be-
Nvegung einander entgegen setze. An die Stelle der Be-
wegung, einer Veränderung des Orts, trit alsdann für
Vorstellungen , die einmal nichts Räumliches sind , das
Ubergehn von Klarheit in Verdunkelung und umgekehrt.
Dies IJbergehn hat in jedem Augenblicke für jede Vor-
stellung seine bestimmte Geschwindigkeit; wenn aber
die Geschwindigkeit, welche durch wider einander wii'-
kende Vorstellungen notliwendig gemacht war, jetzt rz: 0
wird , dann ist Stillstand , und mit ihm Gleichgewicht
27
in so fern vorhanden , als die Vorstellungen in ihrer
"Wechselwirkung den Punct erreicht haben, über den
sie nicht hinaus, jenseits dessen sie nichts mehr aus-
richten können.
Nun gehe man zum Hebel zurück. Ungleiche Ge-
wichte an ungleichen Hebelarmen , bey umgekehrtem
Verhältnisse, sind unter sich im Gleichgewicht. Aber
hier ist nicht jenes zuerst erwähnte Gleichgewicht zweyer
gleich starker Drucke, die wegen entgegengesetzter
Richtung sich aufheben. Die ungleichen Gewichte wer-
den nicht dadurch gleich, dass mau sie an ungleichen
Hebelarmen aufhängt. Nur darum , weil keins das an-
dre bewegen kann, schreibt man ihnen Gleichgewicht
zu. Man denke hier an die Umdrehung des Hebels,
welche jedes Gewicht bewirken würde, wenn das an-
dre schwächer oder dem Unterstützungspuncte näher
wäre. Man verrücke ein Gewicht , und die Umdrehung
erfolgt; man bringe es wieder au die rechte Stelle,
und die Älöglichkeit des Drehens verschwindet. Also
diese Stelle, die wir die rechte nannten, bringt die JMög-
lichkeit der Bewegung auf Null.
Wo nun zwischen ungleichen Kräften Gleichgewicht
erfolgen soll, da sieht man sogleich, dass ein Umstand
hinzukommen muss, der die Ungleichheit aufhebt. Das
heisst nicht: die ungleichen Kräfte au sich gleich macht,
denn sie sind eben der Voraussetzung nach ungleich,
— sondern der hinzukommende Umstand muss einen
Erfolg , den die Kräfte haben , begünstigen auf der einen
Seite , und vermindern auf der andern. Beym Hebel isls
die Länge der Arme, welche hier günstig dort ungün-
stig auf den Erfolg, nämlich auf die Umdrehung nach
einer oder der andern Seite wirkt. Was bey den Vor-
28
stelluugen au die Stelle der Hebelarme trit, davon gleich
weiterhin; wiewohl jnau es als längst bekannt voraus-
setzen dürfte.
Zunächst aber wollen wir hier aussprechen, dass
bey den frey steigenden Vorstellungen, (welche den Ge-
genstand der folgenden Abhandlung ausmachen), auch
jener erste, engste Begriff des Gleichgewichts, — wirk-
liche Gleichheit des Drucks und Gegendrucks — seineu
Platz finden wird. Es wird ein Unterscliied zum Vor-
schein kommen, dessen Analogon wir am Hebel schon
nachgewiesen haben. Ein Unterschied, der nothwendig
beaclitet werden muss, weil zwey ganz verschiedene Be-
griffe sich dem Nachdenkenden leicht wechselsweise dar-
bieten können, die, wenn man unvermerkt aus dem einen in
den andern hinübergleitet, einander gegenseitig verderben.
Am Hebel ist eigentlich, wie oben gezeigt wurde,
Gleichgewicht zwischen beyden Gewichten zusammen-
genommen einerseits, und dem Gegendrucke amUnter-
stützungspuncte andererseits, vorhanden. Hier ist die wirk-
licheGleichheit desDrucks und Gegen drucks.
Aber am Hebel können auch die Gewichte, in so
fern sie, anders angebracht, eine Umdrehung hervor-
bringen würden, einander entgegengesetzt werden, und
hier haben wir jene Gleichheit nicht der Kräfte
sondern der Erfolge.
Beyde Begriffe sollen auf die Vorstellungen an-
gewendet werden; nur nicht vermengt sondern jeder
am rechten Orte.
1) Älehrere, unter sich entgegengesetzte, Vorstellun-
gen seyen aus dem Bewusstseyn verdrängt gewesen:
plötzlich verschwinde alle Hemmung. Sogleich w^ird
jede , gemäss ihrer ursprünglichen Stärke , anfangen,
29
sich empor zu riclitcn. Aber indem sie sämmllich her-
vortreten, entstellt unter ihnen selbst, gemäss den Gra-
den ihres Gegensatzes, eine Hemmung. Wie lange
werden sie fortfahren zu steigen? Und wie weit wer-
den sie kommen':* — Noch ehe dies durch Rechnung
bestimmt wird, sieht man im Allgemeinen gleich Fol-
gendes: die Hemmung ist das Hinderniss; die ursprüng-
liche Stärke ist es , welche zum Steigen treibt. Da ist
Druck und Gegendruck. Wie gross das Quantum der
Hemmung, so gross muss der noch übrige Antrieb zum
Steigen seyn ; nicht eher kann das Steigen aufliören;
nicht länger und nicht weiter kann es fortfahren. Also:
ist die Gränze des Steigens erreicht, so muss sich fin-
den, dass, wenn das Quantum des hervorgetretenen
Vorstellens abgezogen wird von der Summe der Vor-
stellungen selbst nach ihrer ursprünglichen Stärke, der
Rest gleich sey der hervorgetretenen Hemmungssumnie.
Wegen der hieher gehörigen Rechnungen verweisen wir
auf die folgende Abhandlung.
2) Mehrere, unter sich entgegengesetzte Yoi*stellun-
gen entstehen eben jetzt in unmittelbarer Wahrnehmung.
So können sie nicht bleiben ; sie sind weit entfernt
vom Gleichgewichte ; sie müssen sinken wegen des Ge-
gensatzes. Wie unterscheidet sich aber dieser Fall vom
vorigen? — Erstlich: die ganze Hemmungssumme ist
auf einmal da; sie entsteht nicht erst, sie hängt nicht
ab von dem was noch geschehen ^vird ; ihr kann nichts
versagt werden; sie ist eine unabäudei'liche Nothwen-
digkeit dessen was geschehen muss. Also kann sie auch
nicht in irgend ein Gleichgewicht , wie wenn sie ein
Glied desselben wäre, eintreten. Aber zweytens; sie
kann auch nicht allein bestimmen , wieviel von jeder
30
einzelnen Vorstellung sinken werde; sondern dies hängt
davon ab , In welchem Verhältnisse die Vorstellungen
gegen die Hemmung nachgiebig sind. Drittens : die Vor-
stellungen sind nicht ursprünglich Kräfte ; aber sie wer-
den es in dem Maasse , In welchem der gewaltsame Zu-
stand wächst, worin die Hemmung sie versetzt. Also: un-
ter den Vorstellungen muss sich das Gleichgewicht bilden;
und zwar dadurch, dass die schwächern mehr, die stärkern
weniger In den gewaltsamen Zustand versetzt werden.
Diese Begriffe sollen nun zwar nicht aus der Lehre
vom Hebel verstanden werden , als ob sie von dort ent-
lehnt oder abgeleitet wären. Aber vorausgesetzt, man
könne sich der Analogien nicht enthalten, so mag man
nun zusehii, wie jene, beym Hebel vorkommenden Be-
griffe hieher passen.
Wo die Hemmungssumme nur soweit anwächst, als
das Stelgen der Vorstellungen sie mitbringt, da gleicht
sie einer Last, die getragen wird, und sich mit den
Krähen ins Gleichgewicht setzt. Hier haben wir den
Druck, der sich verthellt.
Wo aber die Hemmungssumme ursprünglich da ist,
da soll unter den Vorstellungen ein Umstand hinzu-
kommen, welcher mache, dass der Erfolg eine Gränze
finde , worüber hinaus kein weiteres Wirken statt habe.
So soll unter den Gewichten , so fern sie den Hebel
drehen könnten, eine Ungleichheit der Arme hinzu-
kommen , vermöge welcher das kleinere Gewicht Im
Stande sey, die Umdrehung durchs grössere zu hindern.
Anstatt der Ungleichheit der Arme hat man bey den
Vorstellungen die schon geschehene Hemmung, also den
gewaltsamen Zustand, welchen die schwächern mehr als
die stärkern erleiden müssen, bevor an Gleichgewicht
31
denken ist. Naclulem dieser Unterschied des Mehr und
Weniger seine gehörige Grösse erreicht hat, ist die
Möglichkeit der weitern Hemmung, des tiefern Sinkens,
auf Null gebraclit; in so fern sie nämlich von den in
Wechselwirkung beginfFenen Vorstellungen abhängt. Man
hat also hier nur ein Gleichgewicht des Erfolgs; es be-
darf keiner Gleichheit weder der Energien noch der ur-
sprünglichen Stärke ; eben so wenig als beym Hebel
Gleichheit der Gewichte und Gleichheit der Hebelarme
uothwendig ist. Vielmehr dienen gerade die entgegen-
gesetzten Ungleichheiten zur Ausgleichung.
Wir haben gesagt, die Gleichheit des Drucks und
Gegendrucks komme bey den zugleich steigenden Vor-
stellungen zur Anwendung. Dies darf nicht so verstan-
den werden, als ob dort die andre Art des Gleichge-
wichts fehlte. Vielmehr liegt es in der Natur der Saclie,
dass nicht bloss die Hemmungssumme sich gegen das
noch übrige Aufstreben der Vorstellungen ins Gleich-
gewicht setzen muss , sondern überdies noch in An-
sehung der Hemmungssumnie , als einer unabänderli-
chen Nothwendigkeit des Sinkens, die Vorstellungen
selbst durch die Art, wie sie dies nothwendige Sinken
unter sichtheilen, unter einander ins Gleichgewicht
treten. Die folgende Abhandlung wird zeigen , dass zur
Unterscheidung beyder Foderungen der Calcul selbst
eine ungesuchte Hülfe leistet; indem er, mit einer merk-
würdigen Genauigkeit , zweyerley Exponentialgrössen her-
beyführt, von denen nur die eine sich auf die Hem-
mungssumme bezieht.
Soviel von der Analogie mit dem Hebel. Mau erin-
nert sich vielleicht einer andern , ebenfalls beynahe un-
vermeidlichen Analogie der Vorstellungen mit elastischen
32
Körpern. Diese Vergleichung ist unentbelirlicli im Vor-
trage für Anfänger, die von dem Beharren der Vorstel-
lungen, — und zwar in ihrer ganzen ursprünglichen
Stärke — auch dann , wann sie aus dem Bewusstseyn
verdrängt sind , ]\lühe haben den Gedanken anders als
so zu fassen: Die Vorstellungen seyen elastisch, und
hieinit einer Form- Änderung fähig ohne Verlust des
Vermögens , sich von selbst wieder in ihren ursprüng-
lichen Zustand zu versetzen, naclidem das Hinderniss
entweiche. Will man nun diese Analogie weiter durch-
führen, so bietet sich zunächst dieses dar, dass meh-
rere neben einander liegende Stahlfedern gemeinschaft-
lich ein Gewicht zu tragen haben, unter welchem die
schwächern Federn sich mehr, die stärkern weniger
krümmen -werden; das Gewicht bedeutet die Hem-
mungssumme, die verschiedene Nachgiebigkeit der Fe-
dern das Hemmungsverhältniss. Allein diese Analogie
vei'leitet zu der Meinung: wie das Gewicht zwar um
Etwas sinke, dann aber getragen werde, so sinke auch
die Hemmuugssumme ein wenig, dann setze sie sich
ins Gleichgewicht gegen den Widerstand der Federn,
und sinke nun nicht weiter. Sie muss aber ganz
und gar sinken; sie ist nichts anders als diese Noth-
•wendigkeit des Sinkens so lange, bis sie wirklich voll-
ständig gesunken ist; und auch bey steigenden Vorstel-
lungen geschieht das Sinken während des Steigens ; man
kann zuletzt, das heisst eigentlich nach unendlicher
Zeit, denjenigen Theil der noch aufstrebenden Vorstel-
lungen, welcher am ferneren Steigen gehindert ist, als
die gesunkene Hemmungssumme betrachten , so dass man
auch sagen kann , sie ist nichts Anderes als die Unmög-
lichkeit des ferneren Steigens; welche aus dem gegen-
33
scitigeii Drucke des wirklich hervorgetretenen Vorstel-
lens entsteht. Als llechnungsgrösse betrachtet, findet
man sie nun auch in diesen , wirklich hervorgetretenen
Vorstellungen; dann aber ist sie anzusehen als eine Last,
die nicht im geringsten sinken kann , weil sie zuletzt,
bey völlig ausgebildetem Gleichgewicht, auch vollkom-
men getragen wird.
]Man kann versuchen , auch diese Analogie in eine
andre Form zu bringen , daniit wenigstens jeuer Irrthum
vermieden werde. Wir denken uns zuvörderst eine
Reihe von Cykloiden, dergleichen ein Punct in der Pe-
ripherie eines Rades nach einander beschreibt , während
das Rad auf ebenem Boden immer fortrollt. Zvvey oder
drey solcher an einander gehefteten Cykloiden seyen
eben so viele Stahlfedern. Die beyden ausserslen End-
puncte dieser Reihe von Bogen (auf deren cykloidali-
sche Gestalt hier nichts ankommt) seyen eingeschroben
in ein paar Balken ; und von diesen beyden Balken stehe
der eine vollkommen vest ; der andre sey beweglich.
Nun werde mit Gewalt der letztere wirklich von der
Stelle gerückt, so dass seine Entfernung vom erstem
um ein bestimmtes Stück wachse ; alsdann aber wei'de
derselbe gleichfalls an seinem jetzigen Platze vollkom-
men bevesligt. Die zwischen den Balken befindlichen
Stahlfedern w^erden sich ausdehnen müssen; alle um
gleichviel, wenn sie gleich stark sind; falls aber unter
ihnen einige starker, andere schwächer sind, so ist
nicht eher Gleichgewicht unter den Federn, als bis die
schwächern eben dadurch , dass sie sich mehr aus-
dehnen, auch mehr Energie gewinnen, um der fernem
Ausdehnung sich zu widersetzen. Nach solcher Umfor-
mung der Analogie gewinnt man soviel, dass die Hem-
Heft II. C
34
inungssuinme nicht mehr einem wirklichen Dinge (wie
vorhin dem Gewiclite) kann verglichen werden; und
überdies, dass die Entfei-nung der Balken, welche eben
das Gleichniss für die Heninuuigssumme ist, als eine
unabänderliche Nothwendigkeit sich darstellt, die nicht
selbst in ein Gleichgewicht eingeht, sondern, (wie bey
sinkenden Vorstellungen) bloss die Stahlfedern nöthigt,
unter einander ein Gleichgewicht zu bilden, indem sie
die erzwungene Ausdehnung unter sich theilen. Allein
nun fehlt der Analogie ein Hauptpuuct; dieser nämlich,
dass die Hemmungssumme von den Vorstellungen, in so
fern sie entgegengesetzt sind , lierrührt , während das
Gleichniss ihr das Ansehen einer äussern Gewalt giebt.
Um wiederum diesen Uebelstand zu vermeiden,
könnte man gar auf den Gedanken kommen, die Vor-
stellungen mit chemisch dilferenten Stoffen, etwan Säu-
ren und Alkalien , zu vergleichen. Da wäre der Ge-
gensalz selbst der Griuid einer Hemmung, — nämlich
der Neutralisirung , wobey die sinnlichen Eigenschaften
jedes einzelnen Stojffes verloren gehn, — und zugleich
der Grund einer neuen Gestaltung, — nämlich der Kry-
stallisation , womit nun die Bestimmung des Hemmungs-
verhältnisses , und die hievon abhängende Verschmel-
zung der Vorstellungen nach der Hemmung , verglichen
zu werden sich gefallen lassen müsste. Was ist das
Ende? Alle Analogien werden Denjenigen im Stiche las-
sen, der nicht Achtsamkeit oder Fähigkeit genug be-
sitzt, um die Sache selbst, unnüttelbar wie sie ist,
zu begreifen. Onine sintile Claudicat. Alan kann durch
Gleichnisse nur aufmerksam machen ; den Begriff selbst
muss immer nocli das eigne Nachdenken erzeugen.
35
lieber ß'ey steigende f^or Stellungen.
Einleitung.
Die Untersuchungen, -welclie hier folgen, können
ihren Kreis erweitern bis zu einem Seitcnstiick für die
schon bekannten Gruntllinien der Statik inul INlechanik
des Geistes ; denn man stösst hier und dort auf ähnliche
Fragepuncte. Damit ist ihnen nun zwar ihre Stelle be-
zeichnet; allein es ist nicht ganz so leicht, ihren Zu-
sammenhang mit den Thatsachen vor Augen zu legen.
Zwar iSsst sich kurz sagen , man möge sich erinnern
an das Erwachen aus dem Sclilafe, und an die hiemit
von selbst hervortretenden Gedanken; an das Wieder-
kehren zum Geschafft nach einer störenden Unterbre-
chung, Avobey die Vorstellungen der Gegenstände, wo-
mit man beschäfftigt war, sich von selbst aufs neue er-
heben , nachdem sie für eine Zeitlang verdrängt waren.
Das freye Steigen solclier Vorstellungen ist keine Re-
production in dem Sinne, wie wir dies Wort zu neh-
men pflegen: denn es bedarf dazu keiner reproduciren-
den durch Wahrnelmuuig gleichartiger, oder durch Ver-
bindung anderer Gegenstände mit dem, was sich jetzt
im Bewusstseyn erliebt. Die Störung braucht nur auf-
zuhören; der Scldaf braucht nur zu entweichen. Dass
nun , wenn mehrere unter einander entgegengesetzte Vor-
C2
Stellungen unter solchen Umstanden zugleich steigen,
sich die Fragen nach ihrer Hemmung und Verbindung
erneuern müssen; und dass die Untersuchung eine andre
Gestalt annehmen wird als bey den zugleich sinkenden,
sieht man auf den ersten Blick. Fragt man nach der
Möglichkeit der Untersuchung , so ist die Antwort, sie
geschieht in Folge schon bekannter Gründe, und ist
nur Fortsetzung des längst Begonnenen. Dies Alles
reicht jedoch nicht hin, um das Eingreifen der Betrach-
tung frey steigender Vorstellungen in das Ganze der
Psychologie hinreichend deutlich zu machen.
Wollte man sich an die verschiedenen Seelenvermö-
gen wenden, so würden deren Anhänger vielleicht je-
dem derselben frey steigende Vorstellungen beylegen
wollen; frey steigende Begriffe, Urtheile, Schlüsse eben
so wohl als Phantasien und Vorräthe des Gedächtnis-
ses. Wir lassen uns darauf nicht ein, sondern erinnern
bloss, dass zwar gegen das freye Steigen auch der ver-
schiedensten Vorstellungen nichts einzuwenden ist, dass
aber die Untersuchung ihren Anfang nur da nehmen
kann, wo noch keine Verwickelungen vorkommen; und
dass man des Anfangs wegen zu der Voraussetzung ein-
facher Vorstellungen zurückgehen muss.
Gerade dieses nothwendige Beyseitsetzen aller Ver-
wickelungen nun erschwert am meisten die Anknüpfung
an das Bekannte; denn wir finden in unserer Selbst-
beobachtung den Zustand unserer Vorstellungen nicht
einfach ; wir finden uns mitten in der Verwickelung,
die im Laufe langer Jahre entstanden ist.
Den allbekannten JMiltelpunct unseres Bewusstseyns
bildet das eigne Selbst, das Ich. In dem grössern psy-
chologischen Werke, welches diesen Untersuchungen
37
zum Grunde liegt, Ist vom Selbslbewusstseyu , und noch
früher von der Apperceptlon , ausfühillcli gehandelt \s Or-
den, Vom dortigen Vortrage gehe man im eignen Nach-
denken weiter, nur nicht vorwärts zu den Folgen, son-
dern rückwärts zu den Voraussetzungen ; imd man wird
gelangen bis zu dem Gegensatz zwischen unserm Innern
und Ausseren ; man wird überlegen, dass eine beständige
Wechselwirkung Statt findet zwischen dem, was die
Wahrnehmungen von aussen bringen, mid was im In-
nern schon ist , sey es nun , dass man dieses Innere als
einen vorhandenen Vorrath oder als reizbar und reg-
sam betrachte.
Richtet Jemand den Blick auf sich selbst, und soll
das Selbst mehr bedeuten als bloss den Leib, so ist
dieser Blick gewiss ein Blick nach Innen. Betrachtet
Jemand sich als ein vorstellendes Wesen , so hat er
ohne Zweifel schon Vorstellungen als solche unterschie-
den von vorgestellten Dingen. Vergangenes, oder Ab-
wesendes hat ihm vorgeschwebt ; oder irgendwie hat
er Dinge ihrer Beschalfenheit nach angetroffen >vo sie
in der Wirklichkeit nicht waren ; er hat sie dort als
Bilder angesehen , denen die Wirklichkeit fehle. Ohne-
hin ist der Mensch in einem beständigen Durchgehn
durch mancherley Wohl und Wehe; in diesem Durch-
gange finden sich Voi'stellungen, zu denen der Vorstel-
lende hinzugedacht wird, Dass nun der Mensch seine
Vorstellungen ursprünglich mit Hülfe der ihm verlie-
henen Sinne erzeugte , diese Betrachtimg würde uns hier
zuweit rückwärts fiihren; in dem Augenblicke der Er-
zeugung werden die Vorstellungen nicht als solche,
nicht als blosse Bilder aufgefasst; der Sehende glaub l
die Dinge selbst zu sehen , der Tastende glaubt die Dinge
selbst zu belasten. Dass die Yorslellungeu, welche der
IMenscli sich zuschreibt, einer fei-nern, höchst mannig-
faltigen Ausbildung fähig sind, diese Betrachtung würde
uns zu weit vorwärts führen; denn hier soll nicht von
höhern Bildungsstufen geredet werden. Dass sowohl
die im Innern schon vorhandenen Vorstellungen , als
auch' die neuen, noch hinzukommenden Wahrnehmun-
gen , in langen Reihen reproducirend auf andre und
andre Vorstellungen wirken, diese Betrachtung würde
uns seitwärts von unserm Ziel ablenken. Vieles von
dem, woran man unwillkührlich denkt, wenn ins In-
nere der Blick gelenkt wird, muss absichtlich bey Seite
gesetzt werden , weil es die Untersuchung stören würde.
Auch des Selbstbewusstseyns ist hier nur deshalb Er-
wähnung geschehen, um einen bequemen oder doch be-
kannten Auknüpfungspunct zu haben. ISicht einmal die
Apperception dessen, was der JMensch als zeitlich wech-
selnd in sich wahrnimmt , gehört Ijieher. Freylich kann
man sich schon die gewöhnlichsten geistigen Zustände
(noch abgesehen von jeder besondern Aufregung) nicht
anders deutlich auseinandersetzen, als indem man die
vorhandenen Vorstellungen, die hinzukommenden Wahr-
nehnunigen , die von beyden ausgehenden Reproductio-
nen , und die x\pperceptionen beachtet inid unterschei-
det. Von diesen vier Buncten aber sind es bloss die
ersten beyden , die hieher gehören ; und wiederum sol-
len von den eben vorhandenen Vorstellungen diejenigen,
welclie etwan kurz zuvor durch Reproduclion oder
Wahrnehmung mochten herbeygeführt seyn, abgerechnet
werden , damit nur die frey aufgestiegenen übrig bleiben.
Bey weiterer Ijbertragimg indessen wird man leicht
gewahr werden , dass jenes zur Seite Gelegte darum
39
nicht bestimmt ist iu Vergessenheit zu geralhen. Wie-
wohl die bevorstehende Untersuchung es nicht unmittel-
bar in sich auTnehmen kann, so hat sie doch darauf sehr
nahe liegende Beziehungen. Denn welche VorstelUui-
gen mögen diejenigen seyu, die zum freyen Hervortre-
ten sich eigneten? Die schwächsten gewiss nicht; denn
sie müssen der Hemmung überlegen seyn , die Alles das-
jenige, was nur als Vorralh von Kenntnissen dienstbar
ist, aus dem Bewusstseyn entfernt hält solange es nicht
gebi-aucht und durch das Bedürfniss reproducirt wird.
Hat man sich einigermassen mit dem Gedanken solcher
Hemnuing vertraut gemacht, so weiss man schon, dass
unter den frey steigenden Vorstellungen gerade die stärk-
sten, bleibendsten, einflussi-eichsten müssen gesucht wer-
den ; Vorstellungen von dem , was zu thun , zu bewir-
ken, oder doch zu erwarten, zu hoifen, zu fürchten
sey; Vorstellungen, welche in unsere ZweckbegriiTe
eingehen, wo nicht gar zu denen gehören, die dem
IMenschen selbst wider seinen Willen Anti'ieb und R^ich-
tung im Denken und Handeln geljen; Voistellungen, die
nicht bloss einmal steigen imd bald wieder sinken, son-
dern jeden Tag mit jedem neuen Erwachen von neuem
steigen, und, einmal hervorgetreten, nun nicht mehr
weichen, ausser in kurzen FVisten, um sogleich ihren
alten Platz wieder einzunehmen.
Dass solche Vorstellungen den entscheidendsten Ein-
lluss auf das Selbslbewusstseyn haben, dass sie bestim-
men, was der INlensch von sich halt, was er seyu will
und nicht will, was er wagt und wovor er zagt, ja
selbst was er in sich sieht weil er sucht, oder in sich
verkennt, weil er es vermeiden möchte: dies gehört
zu den bekannten Dingen , deren Ausmalung man hier
40
iiiclil erwarten wird. Auch darf mau nicht allen frey
steigenden Vorstellungen die nämliche praktische Wich-
tigkeit heylegen. Es gieht deren genug, die als alte Er-
innerungen auftauchen, als Phantasien und Träume um-
herschweben ; auch sind sie nicht alle gleich stark ;
luid manche scheinen nur die leere Zeit zu benutzen,
welche entsteht, wenn ein Geschafft nicht vorrückt oder
zu ernstem Denken die leibliche Disposition ungünstig ist.
Im Allgemeinen haftet die Wichtigkeit unserer jetzi-
gen Untersuchung an jener schon erwähnten Wechsel-
wirkung zwischen dem Innern und dem Äusseren; wo-
bey nicht unbeachtet bleiben darf, dass die Glieder die-
ser Wechselwirkung, und hiemit auch ihr Verhalten
zu einander, sich im Laufe der Jahre beständig verän-
dern. Das Innere w'ird bereichert durch Erfahrungen ;
seine Regsamkeit aber wird vermindert durch das was
abgelhan oder misluugen ist. Der Knabe spielt; der
JManu ist des Spiels grössteutheils müde , und kennt den
Widerstand der Aussenwelt. Das Kind phantasirt; seine
fi'ey steigenden Vorstellungen beleben die Puppe ; sie
zeigen sich im Bauen imd Zerstören; der Knabe ver-
sucht; der ]Maun handelt oder denkt; je reifer», je um-
fassender seine Pläne, desto mehr hat sich das Innere
vom Äussern geschieden, und desto empfindlicher wird
der Gegensatz zwischen der Aussenwelt, wo sie den
von innen vordringenden Gedanken nicht entspricht, und
diesen Gedanken selbst, welche entweder sich dennoch
nach eignen Gesetzen weiter ausbilden , oder aber nach-
geben, ermatten, zurücksinken.
Es bedarf indessen keiner harten Proben, damit diese
Empfindlichkeit sich zeige. Schon das Gewöhnlichste,
was man hörte oder sah, verändert seine Form, wenn
41
es frey steigend wieder ins Bewusstseyn trit. Gescliicli-
tcn werden anders weiter erzählt als sie geschahen; die
Sage ist keine wahre Geschichte mehr. Ja man braucht
nur eine Landcharte, die man früher sah, noch einmal
anzusehen, um zu bemerken, dass ihre Züge anders
sind als man meinte ; besonders aber, dass sie vester, be-
stimmter sind als die schwebende Erinnerung, die da-
von übrig geblieben war. In solchen Fällen mag man
zwar fragen, ob das Steigen ganz frey vor sich ging,
oder ob nicht vielmehr die erneuerte Wahrnehmung
das Ihrige beytrug, die Hemmung zurückzutreiben. Al-
lein die Frage vom ganz freyen Steigen ist die ein-
fachste; sie nuiss zuerst zur Sprache kommen, ehe man
etwas fremdartiges einmischt.
Die genauere Betrachtung hat nun vorzugsweise den
Unterschied zwischen den zugleich sinkenden (wohin
die Wahrnehmungen gehören,) und den zugleich stei-
genden Vorstellungen (den innern) ins Licht zu setzen.
Dieser Unterschied beruht wesentlich auf der Hem-
mungssumme; welche für die zugleich sinkenden gleich
Anfangs eine gegebene constante Grösse ist; hingegen
bey den steigenden sich erst im Steigen selbst erzeugt,
und nicht grösser werden kann, als das Entgegengesetzte,
indem es hervortrit, sie mit sich bringt. Die Folge
hievon ist, dass die steigenden einen höhern Stand im
Bewusstseyn erreichen, als denjenigen, bey welchem
die nämlichen Vorstellungen , falls sie sinken , sich im
Gleichgewichte befinden.
Mit diesem ersten Hauptpuncte verbindet sich ein
zweyter : die Vorstellungen treten steigend in ein Ver-
liältniss, welches der Gleichheit näher ist als beyiu
42
Sinken. Denn sie welchen von ihrem ursprünglichen
Verhältniss nicht so weit ab.
Und cli'itteus : diese Abweichung geschieht nur aUmählig.
Zu Beyspiclen der einfachsten Art, nur für zwey
Vorstelhmgen , benutzen wir die Formehi , welche man
^ l f,2
im ersten Capitel linden wird: a =^ a • — ;
k a
k a-\~b
1) für a =: 2, b = 1.
Hieraus u =: ^, ß '==: ^. Dies ist die Granze des
Steigens, oder die Ei-hebungsgriinze für a und /;. Das
Verhältniss wie 3 : 1. Zugleich sinkend behielte a jmr
den Rest 4, b den Rest ^; das Verhältniss wäre 5 : 1*).
Die Gränze würde erst in unendlicher Zeit erreicht
werden. Für t = 1 findet man a = 1, 1914 ; ß =z 0,4866 ;
hier ist das Verhältniss noch wenig mehr als 2 : 1.
2) für a = 10, b = 1.
Hieraus a = -.^ , ß = ^{, Das Verhältniss 209:11.
Zugleich sinkend behielte a nur den Rest ^^j, b den
Rest Jy; das Verhältniss wäre 109 : 1.
Überlegt man die Folgen, welche diese Umstände im
Grossen haben müssen, so wird bald klar, dass unsi'e
frey steigenden Vorstellungen sich unter einander weit
besser vertragen , als imsre Wahrnehmungen. In der
Gedankeuvvelt slossen sich die Dinge lange nicht so arg,
als in der wix'klichen. Die Gedankenwelt behält immer
etwas phantastisches, mährchenhaftes, ja traumähnliches,
im Vergleich gegen das Harte, Strenge, SchroIIe der
Erfahrung. Konunt die Wahrnehmung' zu dem Gedan-
o
*) Psychologie §. 44.
43
ken , so findet sie immer etwas zu corrigiren , zu be-
gränzen ; noch glücklich, wenn sie den Gedanken nicht
geradezu umstösst, wie das Wachen den Traum ver-
scheucht. Oft genug zwar rührt dies von übersehenen
Umständen her, die man wohl hätte bedenken können?
— wenn nämlich die Reproduclionen bekannter Reihen
sich vollständiger entwickelt hätten. Aber dies erklärt
tlie Sache hey weitem niclit ganz. Man duldet oft
recht gern auch das, was keinesweges übersehen wii'd.
JNIan ergötzt sich am Spiele, am Phantastischen und
Mährchenhaften, wohl wissend, es sey nur Spiel, und
gar nicht gesonnen, daraus Ernst zu machen und es in
der Wirklichkeit zu einfahren. Dies Dulden selbst des
Ungereimten wäre nicht möglich , wenn die Gegensätze
der frey steigenden Vorstellungen sich so scharf und
so dringend schnell abstiessen wie jene der Walirneh-
mungen. Der handelnde JMensch aber nuiss sich bey
allem seinen Thun gefallen lassen, dass die Dinge an-
dei's kommen als er meinte; er versucht, er lernt und
versucht aufs Neue. Das ist jene Wechselwirkung zwi-
schen dem Innern und Ausseren.
Die Formeln, welche bald folgen werden, geben
noch einen besondern Umstand zu erkennen. Sie ent-
halten immer zwey Exponentialgrössen , 1 — e ~ * und
1 — e ~ ^'^ , wo k grösser als 1. Demnach haben die
steigenden Vorstellungen eine doppelte Bewegung; mit
der einen steigen sie schneller als mit der andern. Die
Grösse e — ^^ verschwindet früher als die Grösse e— '^.
Dabey ist das Auifallendste , dass die Hemmuugssumme
immer nur von einer dieser Grössen , nämlich 1 — e — ^t
abhängt, also von dei-jeuigen Exponentialgrösse, welche
am ersten verschwindet. Die Hemmuusssumme kann
44
demnach sclion als constant angesehen werden, während
die Vorstellungen noch in merklicher Bewegung sind,
um vollends ins Gleichgewicht unter einander zu treten.
Boy dreyen oder melirern steigt alsdann die stärkste am
meisten, während die schwächste allemal zui'ücksinkt.
Man kann sich fragen, was wohl geschehen würde,
wenn irgend eine Gewalt hinzukäme, wodurch die Vor-
stellungen gegen das Ende ihrer Bewegung gehindert
■würden, dieselbe fortzusetzen? Wenn sie gleichsam un-
terwegs gefesselt stehen bleiben? Eine solche Gewalt ist
nicht w^eit zu suchen; der Leib übt eine solche im
Traum , — und theil weise , — nämlich für die soge-
nannten fixen Ideen, im Wahnsinn. Da werden auch
diejenigen Vorstellungen, welche wegen der Hemmung
durch die Gegensätze zum Sinken bestimmt sind, vest-
gehalten. — Allein dieser Faden der Untersuchung mag
für jetzt fallen; es ist nöthig, einenx andern nachzugehen.
Die Grösse k ist abhängig von den Vorstellungen ;
sie ist verschieden mit jeder Verschiedenheit der Fälle ;
ehen so die Grösse 1 — e — ^^ Dies kann nicht uner-
w^artet seyn. Schon im vorigen Aufsatze kam der Haupt-
satz vor:
Wenn das Quantum des hervorgetretenen Vorstel-
lens abgezogen wird von der Summe der Vorstel-
lungen selbst nach ihrer ursprünglichen Stärke; so
ist der Rest gleich der hervorgetretenen Hem-
mungssumme.
Dieser Rest nämlich ist das noch übrige Streben zum
Hervortreten ; und gegen ihn muss sein Hinderniss, die
Hemmungssumme, sich genau ins Gleichgewicht stellen.
Indem nun, wie die Folge zeigen wird, die Rechnun-
gen diesen Satz bestätigen , müssen sie für jeden Fall
45
von der Annahme der Vorstellungen ausgelin; die Grösse
k, welche in den Formeln für die Vorstellungen, und
auch in denen für die Hemmungssumme vorkommt, niuss
nach Verschiedenheit der Falle eine verschiedene Bedeu-
tung annehmen, um sich jedesmal der vorkommenden
Hemmungssumme, und ihrem Gleichgewichte, anzupassen.
Desto seltsamer mag es auf den ersten Blick schei-
nen , dass noch eine zweyte Exponentialgrösse , die mit
der Hemmungssumme nichts zu thun hat, (denn sie rich-
tet sich nicht nach der Grösse A,) in den Formeln für
die Vorstellungen angetroffen wird; und zwar, was das
Sonderbarste ist, immer eine und dieselbe Grösse 1 — e — '.
Sie findet sich schon in der Formel für die stärkste
unter zweyen Vorstellungen ; dann aber in allen For-
meln für drey und mehrere Vorstellungen ; ja sie kehrt
wieder bey zugleich steigenden Complexionen. Endlich
erinnere man sich, dass es die nämliche Grösse ist, die
auch bey zugleich sinkenden, noch nicht verschmolze-
nen, Vorstellungen allemal vorkommt. HIemit nun ist
der Aulschluss des Rathsels so gut als gefunden; man
darl nur zurückblicken in den vorigen Aufsatz, und die
dortige Entwickelung zweyer verschiedener Arten des
Gleichgewichts hier anwenden.
Nämlich bey zugleich sinkenden Vorstellungen ge-
nügt eine einzige Exponentialgrösse 1 — e— '^, welche
aus der höchst einfachen Gleichung Ja = (S — o) dt
hervorgeht ; — weil hier die Vorstellungen zwar in
Folge der Hemmungssumme, aber nicht mit ihr, son-
dern unter sich ins Gleichgewicht treten sollen ; indem
die Hemmungssumme eine unabänderliche Nothwendig-
keit ist, der nichts versagt werden kann. Bey zugleich
steigenden Vorstellungen muss nun diese Nolhweudig-
46
keit, die Heminungssnmme , sich erst nach ihren eignen
Bedingungen des Gleichgewichts ausbilden; ist aber dies
so gut als geschehn, — das heisst , ist die Zeit so
weit vorgesclirilten, dass man ohne merklichen Fehler
1 — e — ''^ = 1 setzen könne , — dann ist noch ein
anderes Gleichgewicht uöthig, nämlich eben jenes der
Vorstellungen unter sich, (und nur in Folge der
liemmungssumme, aber nicht gegen dieselbe,) welches
auch schon bey sinkenden Vorstellungen eintreten muss.
Diese Foderung ist immer die nämliche, bey aller Ver-
schiedenheit der Hemmungssumme ; daher immer einer-
ley Formel 1 — e — '.
Zwar grössteutheils bildet sich dieses zweyte Gleich-
gewicht schon während der nämlichen Zeit, in welcher
das erste entsteht; und in völliger Strenge kann man
überhaupt die Zeiten nicht von einander sondern.
Nichtsdestoweniger ist es wahr, dass eine Grösse wie
1 — e — ^'^j wo /c ^ 1 , sich schneller ihrer Granze
nähert als eine andre wie 1 — e — ^; die Coefficienten,
welche von den Vorstellungen selbst abhängen, mögen
übrigens seyn welche sie wollen. Der verschiecfene
Rhythmus im ersten und zweyten Falle ist vollkommen
hinreichend, um die BegrÜFc der beyden Arten des
Gleichgewichts, und ihre wesentliche Verschiedenheit,
aufs deutlichste zu bezeichnen. Weshalb das zsveyte
Gleichgewicht sich langsamer ausbildet als das erste, ist
nun ebenfalls klar. Das zweyte, nämlich das der Vor-
stellungen unter einander, folgt seiner Natur nach aus
der Hemmungssumnie als einer schon bestinunten Quan-
tität des n otli w eu dig - bc vor s t e h e nde n allinäh-
ligen Sinkens; daher kann es innner nur in so fern
nachfolgen , in wiefern die Hemmungssunune wirklich
47
sclion besllnimt ist. Die Formeln zeigen lilcrin , wie
sie müssen, die strengste Consequenz iler liegrilFe; und
leisten Alles , was man nur wünschen mag, um dieselben
klar vor Augen zu stellen.
Jetzt blicke man zurück auf den Hebel, um zu über-
legen, welche zweydeutige Hülfe die Analogien leisten.
Nichts ist leichter , als zu sagen : Auch beym Hebel
giebt es ein zwiefaches Gleichgewicht ; die Kräfte zu-
sammengenommen, sind mit dem Widerstände am Un-
terst iitzungspuucle im Gleichgewicht; die nämlichen
Kräfte stehen auch, in wie fern sie im Begriff sind
den Hebel zu drehen, unter sich im Gleichgewichte.
Aber auf welche dieser beyden Ansichten soll nun der
Beweis des Gleichgewichts sich immittelbar beziehen?
Auf beyde zugleich mit Hülfe der fingirten Kräfte?
Dass ein solcher Beweis zwar demonstrirt, aber nichts
erklärt, Ist im vorigen Aufsatze gezeigt worden. Ver-
lässt man diese Art des Beweisens, so scheint es gleich-
gültig, ob man die eine oder die andre Ansicht vorziehe.
Genau genommen, wie oben bemerkt, gehört das Dre-
hen nicht einmal wesentlich zur Sache; die parallelen
Kräfte sind einander nicht entgegen; luid der gleiche, Ge-
gendruck am Unterstülzungspuncte bringt sie zur Ruhe.
Also — man kommt leicht dahin, die eine oder die
andre Ansicht vorzuziehen, und damit sich zu begnügen.
Zum Behuf der Psychologie hingegen müssten beyde
Ansichten, eine und die andre, ausgebildet vorliegen,
wenn die Analogie, welche der Hebel darbietet, zu
etwas dienen sollte. Dies um desto mehr, da die Be-
griffe völlig verschieden sind. Der erste Begriff, wel-
chen das Wort Glelcligewicht herbeyführt, ist unstrei-
tig der zweyer gleicher und entgegengesetzter Kräfte.
Der zweyte aber, vermöge dessen Statik und IMechanik
einander entgegenstehn, stützt sicli auf Ruhe als Gränze
der Bewegung; also auf Erfolge, die nicht bloss von
den Ri'äften sondern auch von den Bedingungen des
Wirkens derselben abhängen. Werden beyde vermengt,
so wird keiner deutlich gedacht; und wo sind Analo-
gien, die nicht, anstatt Hülfe zu leisten, vielmehr selbst
der Hülfe bedürften, um dem deutlichen Denken voll-
ständig zu entsprechen?
Am Ende dieser Einleitung mag noch eines Puncts
gedacht werden, der Schwierigkeit machen kann; und
der zwar schon die sinkenden, aber auch die steigenden
Vorstellungen betrifft. Hat man Summe und Verhält-
niss der Henuuung, \vie sichs gebührt, sorgfältig imter-
sclüeden, also einerseits das Quantum des noth wendigen
Sinkens, andererseits die verschiedene Nachgiebigkeit
der stärkern und schwächern Vorstellungen ins Auge
gefasst; — luid fragt man sich nun, welchen Einiluss
denn die Verschiedenheit der Hemmungsgrade mit sich
bringen möge: so entsteht leicht die IMeininig , dieser
Einiluss liege in der Hemmungssumme , welche bey ge-
ringern Hemmungsgraden geringer, bey grössern grösser
ausfallen müsse, — also liege er nicht in den Hem-
mungsverhältnissen, welche vielmehr lediglich nach der
Stärke der Vorstellungen zu bestimmen seyen. Oder
aber, falls dennoch auch diese Verhältnisse von den
Hennnungsgraden abhingen, so werde der ganze Unter-
schied zwischen der Summe und dem Verhallniss un-
deutlich, wo nicht gar zweifelhaft.
Um nun hierüber kurz und bestimmt zu spre-
chen, wollen wir gleich drey Sätze neben einander
hinstellen.
49
1) Die Ilemmungssummc kann niclit das Vcrliallniss
ilcr HemmuDg bestiimneii.
2) Das Hemimingsverhältniss kann niclit die Ilcin-
mungssumme bestimmen; aber
3) Bcyde entspringen aus einem gemeinsamen Grunde,
Avelclieni jedes von beyden vollständig entsprechen muss.
Die ersten beyden Sätze sollten wohl keiner Erläu-
terung mehr bedürfen. Mau erinnere sich erstlich, dass
schon unter zwey Vorstellungen die stärkere wachsen
kann bis zum Unendlichen, ohne im mindesten die
Hemmungssumme zu vermehren , weil diese aus dem
Gegensatze entspringt, der Gegensatz aber nur in einem
Paare als solchem vorhanden ist. IMan mag sich allen-
falls den Gegensatz verdünnt denken , wenn das kleinere
h dem grossem und noch immer wachsenden a gegen-
über steht, und sich über dem a der Gegensatz verbrei-
ten muss; aber grösser wird das Quantum des Gegen-
satzes durch diese Verdünnung oder Verbreitung nicht.
Hingegen das Verhältniss der Hemmung vei'ändert sich
fortwährend zum Nachtheil des Schwächern , wenn das
Stärkere im Wachsen begriffen ist. Man erinnere sich
zweytens, dass, wo nur ein einziges Paar Vorstellungen
angenommen wird, in der That ohne Piücksicht auf den
Hemmungsgrad das Verhältniss der Hemmung sogleich
als das imigekehrte der Stärke hervor springt , während
die Hemmungssumme nicht eher kann bestimmt werden,
als bis man den Hemmungsgrad vestsetzt. Werden drey
Vorstellungen bey voller Hemmung (d. h. für den Hem-
mungsgrad r= 1) angenommen, so ergiebt sich durch
sehr leichte Proportionen, die im Kreise herumgehn,
wieviel von der ersten die dritte leide, weil sie in einem
gegebenen Verhältniss schwächer sey als die zwcyte, u. s. f.
Heft IL D
50
Dies ist am gehörigen Orte *) ausführlich entwickelt wor-
den , und es zeigt sich dort das Verhältniss der Hem-
mung völlig entschieden, während das Quantum derselben
durch eine unbekannte Grösse ausgedrückt ist und bleibt.
Jetzt aber andere mau bey drey Vorstellungen die
Voraussetzung des vollen Gegensatzes dahin ab, dass
in jedem Paare ein eigner Hemmungsgrad statt finde.
Hätte nun auch jedes Paar seine eigne Hemmungssumme,
so wäre, wie zuvor, der Hemmungsgrad gleichgültig.
Aber nichts könnte verkehrter seyn, als die Hemmuugs-
summe für jedes Paar insbesondre zu bestimmen 5 wäh-
rend jede Vorstellung den Gesanimtdruck aller andern
erleidet, und rückwärts jede einzelne, in so fern sie
weicht, dadurch jeder andern etwas an der Noth-
wendigkeil des Weichens erspart; denn die ganze Ver-
theihiug des nothwendigen Sinkens beruht auf dem Ent-
weder Oder , dass , welchen Tlieil die eine auf sich
nimmt, diesen die andre niclit zu tragen braucht. Also:
weil die Hemmungssumme nur Eine für alle ist, darum
kann ein Paar unter dreyen Vorstellungen , wenn sein
Hemmungsgrad geringer ist, mehr gegen die dritte drän-
gen , und diese mehr leiden machen , als dem blossen,
umgekehrten Verhältniss der Stärke gemäss seyn würde;
und dies kann nicht bloss geschehn, sondern es muss
geschehen. Denn für die Vorstellungen a, h, c seyen
die Hemmungsgrade m, n, p\ und zwar m zwischen a
und h, n zwischen a und c, p zwischen b und c; mau
weiss ferner für den Hemmungsgrad = 1 die Ver-
hältnisse *'*)
*) Psychologie §. 43.
***) Bekanntlich muss man hier vor Augen haben , dass keine
Vorslellung an sich eine angreifende Krafl Ist. Man darl daher
51
ilcr Hemmung des /; durcli a :rr -; des a durcli /; z=. -
h a
des c durcli az=: --^ des a durch r i= —
c a
des h durch c n: - ; des c durch h ■=. —
b c
Nun vermindern sich alle diese Hemmungen durch
die ächten Brüche m , n , p ; also werden die Verhältnisse
der Hemmung des h durch a = — -; des a durch bzrz —
h a
des c durch a z= — ; des a durch c = —
c a
des h durch c =. — : des c durch b =. —
b ' c
INIIlhin ist die Verhältnisszahl
(m -}- n) X
des a, ■=■ —
a
A.. 1 — (^" + P) *
des b , rz:
' b
des c, = ^'L±Al
c
wobey der Hemmungssumme vorbehalten bleibt , das un-
bekannte X zu bestimmen, nicht aber an den Verhält-
nissen etwas zu ändern.
In dem Gegensatze, als dem gemeinsamen Grunde,
wurzelt das Verhältniss eben so wohl als die Summe
durchaus nicht dem Einfall nachgehen, als miisste c mehr von a
als von b leiden, weil a'^h, — sondern man muss schliessen:
weil c ■<t,h, so leidet c mehr als b dadurch, dass a gegen den
Druck reagirt; denn a wirkt nicht aggressiv sondern defensiv.
Daher darf der Satz nicht befremden : bey gleichen Hemmungs-
graden leidet jede Vorstellung von der zwe)ten und von der drit-
ten gleichviel. Anders ists, wenn ungleiche Hemmungsgrade wie
ungleiche Federn in den Paaren wirken.
D 2
52
der Henimimg. Ist der Gegensatz für die verschiedenen
Paare verschieden, so kann das Gedränge in den Paaren
nicht gleich stark seyn ; vielmehr ist es gleich Anfangs,
sclion im ersten Augenblick, indem die Vorstellungen
da sind, verschieden. ]Mau darf sich nicht der Einbil-
dung überlassen, als ob in der Wirklichkeit so wie in
der Rechnung die Hemmungssumme früher, das Ver-
hältniss später käme; sondern die verschiedenen Hem-
muugsgrade müssen sich sogleich doppelt gelten macheu,
erstlich in den Verhältnissen des Sinkens, zweytens
in der Geschwindigkeit des Sinkens, welche der
Hemmuugssumme entsprechen muss. Da jedoch niemals
ein Hemmungsgrad grösser seyn kann als die Summe
zweyer anderer , so nähern sich die Grössen m -{- n,
m -\- p, n'\- p , allemal der Gleichheit ; deshalb ist zu
oberflächlichen Schätzungen die Annahme eines gleichen
mittlem Hemmungsgrades meistens hinreichend.
Es wird in der Folge nicht bloss von einfachen Vor-
stellungen, sondern auch von Complexionen zu sprechen
seyn. Bey solchen ist das Hemmungsverhältniss etwas
verwickelt; und es mag nützlich seyn , hier gleich etwas
darüber beyzufügen , weil doch einmal dasjenige, was
zur Erörterung jenes Verhältnisses beyti^agen kann, schon
bereit liegt. Zuerst ist uöthig, die Bezeichnung des
Vorhergehenden dergestalt abzuändern , dass sie für Com-
plexionen a -\- c(=z A , b -^ ß=^B, c -{- y =.C bi-auch-
bar werde. Wir schreiben zunächst
Hemmung des B durch Azi^- — : des ^ durch 5 = —
° B ' A
des C durch ^ zr: — : des A durch C :=. —
C' A
des B durch C= — : des C durch J5 r= —
B ' C
53
Wir schreiben ferner 1 .m slalt m, l .rt slall n, 1 . /»
^1 , ^^ ^ ^
statt o. Oder auch — . m statt //i, - . n statt n, —slalt
ABC
p ; welche Schreibart wiederum in . m statt /;/,
u. s. w. kann verwandelt werden. Diese Verwandlun-
gen sind nun freylich höchst unnütz, so lange die gros-
sen Buchstaben A, B, C, nichts anderes bedeuten, als
was oben die kleinen, a, h, c bedeuteten. Allein man
kann doch schon jene obigen einfachen Vorstellungen
a, b, c in Gedanken aus Stücken zusammensetzen; und
nachdem A anstatt a, B anstatt b, C anstatt c geschrie-
ben worden, können nun die Stücke von A durch a
und a, die Stücke von B durch b und ß, die Stücke
von C durch c und y bezeichnet werden. So seltsam
es nun aussehen mag, Brüclie wie m, n, p, die etwan
§, ,Vj ^j bedeuten können, in die Weitläufigkeit jener
Schreibart hinzuziehen, so kann man doch nicht leug-
nen
, dass , wenn a -\- a =^ A , alsdann m z=z
A
am 4- um am ivn
=z =. — -f- — seyu niuss ; welche ochrexb-
A A yl
art man ohne Mühe auf n und p übertragen kann. W^er
nun vergleicht, was am gehörigen Orte*) über das Mem-
nuuigsverhältniss der Complexionen schon längst gesagt
W'orden , der wird die Absicht des Vorstehenden leicht
erratheu; indessen wollen wir geduldig die Sache hier
nochmals entwickeln , weil die dortige Darstellung Eini-
gen nicht ganz klar geschienen hat,
]Man denke sich, das Stück « von A vei'löre auf ein-
**) Psychologie §. 59. Daselbst §. 58 setze man statt des Wor-
tes Spannung den Ausdruck : die in Folge der Hemmung
erlangte Energie.
54
mal die Eigenschaft, dem B entgegengesetzt zu seyn; so
nuisste man sagen, der Henunungsgrad m passe nicht
mehr auf et, und ma sey zr u) der Hemmungsgrad zwi-
schen A und B sey nicht mehr m, sondern nur noch
— . Uder umgekehrt, wenn das Stück u bliebe wie
^ I
zuvor, hingegen das andre Stück a von solchem Verlust
des Gegensatzes gegen B betroffen würde, so müsste
am ,«"».,,,
— - r= o gesetzt, und statt in nur noch, bcybehalten
werden. Nun soll zwar weder dieser nocli jener Ver-
lust wirklich eintreten ; dagegen aber soll die Com-
plexiou A aus zwey Vorstellungen a und a bestehen,
deren eine durch den Hemmungsgrad m, die andre durch
den Hemmiuagsgrad m auf die Theile b imd ß der Com-
plexion B einwirkt. Es gilt also m nur für a, vmd m
nur für a, so dass für jedes das andre Stück von yl
nicht vorhanden ist. Also wird man nun in der That
am um am -j- am
statt m setzen müssen — ■+- ziz Diese
A ^ A A
Betrachtung muss nun hinreichend erweitert werden.
iVlan kann auch — m z=z - -^ «z = — ^ 4- ' — schrei-
B B B B
ben; und wo die Hemmung des A durch B angezeigt
werden soll, da muss man m und m' unterscheidend
hm -\- ßm
statt m setzen — . Eben so bekommt man ein
B
zwiefaches n\ nämlich die Complexionen A und C ha-
ben zwar in ihren Theilen a und c den Hemmungsgrad
«, aber für ihre Theile a und y den Hemmungsgrad li.
Wiefern nun C durch A gehemmt, also A als das Wir-
na-\-na
kcnde angesehen wird , muss man statt // setzen ;
53
nc — 1- 71 y
und wiefern A durch C, setzt man ; . Endllcli
giebt es auch noch ein zwiefaches p\ nämlich die Com-
plexionen B und C erfodern im ähnlichen Falle, dass
hp -{- ßp 1 cp -\- yp
man statt p setze — und .
^ B C
Wird nun in den Anfang der Untersuchung zurück-
gegangen , so zeigt sich, dass die Grundbegriffe überall
die nämlichen bleiben, dass aber die Hemmungsgrade
da, wo sie verschieden sind, eine Modificatlou herbey-
führen, die bey Complexionen mehr zusamujengesetzt
ausfällt, als bey einfachen Vorstellungen. Hat mau nur
zwey einfache Vorstellungen, so ist der Hemniungsgrad
lediglich für die Hemmungssumme bedeutend; aus dem
Henunungsverhältniss fällt er heraus, weil er auf einer-
ley Weise zu der Hemmung des a durch h, wie des h
durch a, seine Bestimmung giebt. Sind al)er drey Vor-
stellungen vorhanden, so leidet jede von zweyeu, und
zwar ungleich, wenn die Hemmuugsgrade ungleich sind.
Giebt es drey Complexionen, so hängt die Wii'ksamkeit
jedes Tlieils derselben von dem eignen Hemmimgsgrade
dieses Theils ab; und deshalb wird rückwärts der Ein-
(luss des Hemmungsgrades jedesmal von dem Theile,
welchem er angehört, — aber nicht bloss vom Quan-
tum dieses Theils bestimmt, sondei-n von dem Vei-
hältniss dieses Theils zum Ganzen. Wo vorhiu, bey
einfachen Vorstellungen, nur der Hemmungsgi-ad m stand,
da darf auch jetzt, bey Complexionen, nur eine Zahlen-
grösse vorkommen. Diese Zahlengrösse soll jetzt durch
m und m bestimmt werden; aber in wie weit vou jeder?
Von m nur in so weit, als a ein Theil //, von in in
soweit, als a ein Theil vou A ist; beydes unter der Vor-
56
aiissetzung, A sey wirksam zur Hemmung von JS; oder:
die Hemmung des B rühre von yi her. Wenn umge-
kehrt dem A durcli B die Hemmung augethan wird, so
müssen h und ß unterschieden werden, daher nun an-
T r, . , inb -\- m 8 . -. , ,, . ,
statt m die Zahl ■ . Aus diesem Allen ei'giebt
B
sich nun folgende Zusammenstelhnig.
(ma -f" "* tt) -^
Hemmung des B durch A, :=■ ;
A . B
(mb 4- m'ß) X
des A durch iJ, = ^ -^ ^
5 . A
(na -f- H u) X
des C durch A, = ^ ' — :
' A . C '
1 ^11/^ ("^ + '^V) • *
des yf durch 6 , z:=
des ß durch C.
C , A
C . B '
des C durch 5, = (p^^JiMl^
B . C
Mithin ist die Verhältnisszahl
, /inb -{- m ß , nc 4- ny\ x
des y/, = ( A ~ ) . -
\ B ^ C J A
des B, = (
/'ma -}- rn a pc -|- py
p^-\-jj\ X
^ C J' B
aes c, = r" + " " -{- ^i±_^^ . t
' V ^ ^ BJC
vs'obey immer noch x von der Hemmuugssumme ab-
hängt; oder aus den Verhältnisszahlen herausfällt.
Verlangt mau nun die Hemnunig der einzelnen Theile
jeder Complexion, so findet man sie duixh die einfache
Vertheilungsrechnung.
57
\ ^ B ^ C J A
V
(ml) -f- m ß . nc -\- n y'\ x a
li ' C ) A ' A
(mh -\- m ß nc -j- n'yN 00 a
B ' C J Ä ' Ä
Will man die Spannung des a und a wissen, so divi-
dirt man durch diese Grössen ihr Gehemmtes; es er-
giebt sich in beyden Fällen
/mb-^-mß nc-}-ny\ x
die gleiche bpannung f 1 I. — \
b 1 "= \ B ^ C J AA
Diese Gleichheit des gewaltsamen Zustandes in allen
Theilen ist dem Grundbegriff der vollkommenen Com-
plexlonen gemäss ; denn in ihnen soll alles Leiden ge-
meinschaftlich seyn , welches eine völlige Gleichförmig-
keit des Zustandes hervorbringt. — Wir haben hier
X von X unterschieden, um nicht die ganze Verthei-
luugsrechnuug hersetzen zu müssen. In dem x' ist der
Divisor, welchen die Addition der Verhältnisszahlen
herbeyf ührt , mit inbegriffen; desgleichen die Hemmungs-
summe, die uns hier nicht angeht; und bey Complexio-
nen keine besondre Schwierigkeit macht.
58
• E r s t e r A b s c h n i 1 1.
f^om Steigen unverhiindener f^orstellunffen.
E rstes Ca p i tel.
f^om Steiljen bey gleichen Uetnmunysnraden,
§. 1.
Sind drey entgegengesetzte Vorstellungen a,b, c, im
Gedränge wider einander begriffen : so hat jedes Paar der-
selben, nämlich ab, ac, hc, einen bestimmten Grad des Ge-
gensatzes, den wir mit einem kurzenWorte den Hemmungs-
grad nennen, und mit /?/,«,/;, bezeichnen. Diesem, n,/>, sind
ächte Brüche, oder höchstens z^ 1, weil höchstens der
Grad des Gegensatzes so gross seyn kann, dass von zweyen
Voi'Stellungeu eine ganz gehemmt werden müsste, falls
die andre ganz ungehemmt bleiben sollte, m '=■ -k be-
deutet dagegen, dass h zur Hälfte gehemmt werden
müsste, wenn a ganz ungehemmt bleiben sollte. Zwi-
schen den Paaren ab, ac , bc können m, n, p, sechsfach
versetzt werden *). Hiernach richtet sich nicht bloss die
Hemmungssumme; sondern für die nachstehenden P<.ech-
uungen macht es einen grossen Unterschied, ob die
Hemmungsgrade gleich oder ungleich , und wie sie vei*-
theilt sind. Um nun vom Leichtesten anzufangen, setzen
wir Anfangs die mögliche Ungleichheit bey Seite, als
ob in das Steigen der Vorstellungen nur dadurch ein Un-
terschied hineinkäme, dass sie von verschiedener Stärke
*) Psychologie §. 52.
59
sind, lind jede sich gemäss ihrer Slärke unter den übri-
gen hervordrängt.
Ist nur ein einziges Paar, ah, voi-handen, so fällt
ohnehin die Ungleichheit der Hemmungsgrade weg, weil
in diesem Paare der Hemmungsgrad nur ein einziger
seyn kann. Für diesen Fall , den leichtesten von allen,
Avenn keine Nebenumstände hinzutreten, findet man den
Anfang der Untersuchung schon in dem grössern Werke*),
und es kann daran hier unmittelbar angeknüpft werden.
Der Hemnnuigsgrad zwischen a und h sey m; nach
Verlauf der Zeit t seyen a und ß , Theile von a und
h, hervorgetreten. Nun wird ß kleiner seyn als «,
wenn h schwächer als a; demnach ist, nach den Regeln
zur Bestimmung der Hemmungssumme **) , die jetzige
Hemmungssumme r= mß) eine wachsende Grösse, so
lange ß wächst, d. h. so lauge die Vorstellung h mehr
hervortrit. Während aber die Hemmungssumme aus die-
sem Grunde wächst, nimmt sie andrerseits ab, weil sie
ihrer Natur nach im beständigen Sinken begriffen ist.
Ferner weiss man aus den ersten Vorbegrilfeu , dass die
Hemmungssumme nichts für sich bestehendes, noch ir-
gend einer Vorstellung insbesondre angehöriges ist ; ob-
gleich also ihre Grösse nach dem Quantum ß bestimmt
wird, so niuss dennoch a sowohl als b am Sinken Theil
nehmen; und zwar in umgekehrtem Verhältniss der
Zahlen, wodurch man die eigne Stärke beyder Vorstel-
, , hmß
langen ausdrückt. Folglich ist mß zu theileu ni -
a-\-h
amß . hmß . a i •• o- i
luid ; uamlich — p — ist der Anlheil am öinken,
a-\-b a-\~b
*) Psycbologie §. 93.
*«) Daselbst §. 42.
60
welcher auf a fallt, und — ~— der Antheil des h. End-
licli eriunere mau sich, dass jede Vorstelluug , die ihreu
Zustand äuderu muss, dies, in so weit es von ihr al-
lein abhängt, mit derjenigen Geschwindigkeit thut, wel-
che für jeden Augenblick der noch vorhandenen Ent-
fernung von dem zu erreichenden Puncte angemessen ist.
Wäre a ganz allein sich selbst überlassen ; so würde,
nachdem dessen Theil u hervorgetreten, luid nur noch
die Differenz a — a, sich im gehemmten Zustande be-
dn
fände, die Geschwindigkeit — zzz a — « sej^n ; und mau
dt
du
hätte um a zu berechnen, nur nöthig, ■=. dt zu
a — ß ^
integriren. Nicht ganz so leicht ist unsre jetzige Auf-
gabe, von
J« = ( a — « — — TT I dt
das Integral zu suchen; denn es ist offenbar, dass jeuer
Antheil an der Hemmungssumme, welchen a überneh-
men muss , und der zur Verminderung seines Steigens
(also zur Verminderung von du) in jedem Zeittheilchen
dt beyträgt, von der Grösse /S abhängt; daher man erst
ß suchen, und alsdann den gefundenen Werth in die
eben angezeigte Formel einführen muss,
§' 2.
Wenden wir das eben Bemerkte auf das Steigen von
i an : so finden wir den Anfang der jetzt zu führenden
Rechnung, wie er in dem frühern Werke schon war
angegeben worden.
Nach Verlauf der Zeit t sey das Quantum ß von L
hervorgetreten. Wirkte nun weiter nichts auf //: so
6t
wäre (Iß ■=. (Ji — ß) (U; d. h. das augenblickllclic Stei-
gen des b wäre proportional seinem noch geliemmlen
Theile. Da aber die Ileninuingssumnie mß vorhanden,
und von ihr der auf b lallende Antheil rz: eben
a-\-b
jetzt zum Sinken drangt , so ergiebt sich
dß = (''-/* -^J *
und ß =: -- (jl — e — Ä'^ ) wenn ^ =: 1 -| • .
k a-\-b
Dies ist der Werth von ß , welchen man in die obige
Foi-mel für da einführen muss. Demnach ist zu integriren:
/- mb^ , mb^ , N
oder da + adt = {a— , -f ^-^-jr-,- e - ''' ) dt
Nach einer bekannten Rechnuugsregel setzt man
u =■ uT, demnach da = udT -j- Tdu\ und wenn, um
abzukürzen, ferner
udT 4- Tdu + uTdt = qdt
gesetzt worden, desgleichen, um T zu bestimmen, udT
dT
-\- uTdt =z 0, woraus — = — dl und folglich T=ze— '^,
a = u ß — * , so hat man noch Tdu z=. du . e — * r= Qdt,
mithin
(mb"^ \ , mb'^
fl— , T-] e' dt -\- -—-—-. e(t-A)'^ dt
{a-\-b)kJ ~{a-\-b)k
r mb'^ N mh'^ 1
u=( a— ; ■ ,., ) e*4- ^. .e(i — ^)'4-Consl.
mb'^ m/;2 1 , . ^
{a-\-b)k {a-j-b)k 1 — k '
und weil a =z o für t = o, (denn die Zeit < fängt erst
an, indem a beginnt zu steigen,) also
62
r '( — TTw • :; 7 ~1~ ^onst.
so ergicbt sich
welcher Ausdruck eine bec£uemere Form bekommen kann.
Zuvorderst ist ^z r:: — . — ■ — , da-
1 — k k — 1 am
"er ; — rr : um nun - — ; — ^ . e — t
ia-\-L) k.{\- k) ak' {a-\-h)k
und —■ .e * zusammenzuzlehn , woraus der Coefticxent
ak
h'^ /' m \\
— i — - — A- - ] entsteht , bemerke man , dass
k \a^b~ aJ '
ma-\-a-\-h ^. r-, ^'^ ^
• z=. k\ ferner kann man die Grösse — ad-
a -\- h ak
diren und zugleich subtrahiren; so erhält mau
womit zu verbinden, was oben schon angegeben
(2) ß =|(1 -e-^0 f^r/i = l + ^^.
§. 3.
Gleich hier lasst sich ein schon erwähnter Satz ent-
wickeln, der zwar zum Behuf der weitern Rechnung
noch nicht nöthig, aber sehr geeignet ist, Licht auf den
vorliegenden Gegenstand der Untersucluing zu werfen.
Während die Exponenlialgrössen e~t und e~^'ver-
, . -. . . f'^
schwinden , nähert sich a seiner Erhebungsgränze a
a
Ä2 b
-| , und ß der Gränze — . Die Summe dieser Grössen
ak k
(i3
ziehe man ah von a -\- /j , so wiril man die Tlemmuugs-
sunnnc erhalten.
/>2 />2 /,2 1,2^
«Ä a ak a-\- h -\- am
h h (a A- h) — b^m ,
hiezu -- , so wird ; ; abgezogen von b,
n a -\- b -f- am
(Indem a sich ohne Weiteres von selbst hebt,) und
„ , TTiab -f- mbb , . i . i tt
man Imdet — j — ; welches gleich ist der llem-
a -j- b -^ am
mb
mungssumme mß , oder — .
ri
Dies Hess sich voraussehn. Es muss allgemein gel-
ten, dass die Vorstellungen nicht eher auf-
hören zu steigen, als bis ihr ferneres Auf-
streben gerade gleich ist der Hemmungs-
summe, die sie Ins Bewusstseyn gebracht ha-
ben; vorausgesetzt, dass nicht fremdartige Umstände
sich einmischen. Das fernere Aufstreben ist zunächst
gleich dem noch übrigen Gehemmten; hiemit muss die
Hemniungssumme ins Gleichgewicht treten , wenn sie
das wirkliche AVeiterslelgen verhindern soll. Man wird
den Satz unmittelbar einleuchtend finden , sobald man
überlegt, dass die Hemmungssumme, also das Hinder-
nlss des Stelgens, durch das Steigen selbst gewachsen
ist; und dass Stockung eintreten muss, sobald irgend
eine Bewegung sich selbst ein HInderniss in den Weg
legt , welches dem Antriebe zur fex'nern Bewegung
gleich ist.
^. 4.
Es seyen nun drey Vorstellungen a, b, c, worunter
a die stärkste und c die schwächste, im freyen Steigen
64
begriffen. INIau sucht ihre nach Verlauf der Zeit lier-
vorgctretenen Theile a , ß ^ y.
Der Hemmungsgrad für alle Paare sey i= m, so ist
die Hemmungssunime r= m (^ -j- y). Die Hemmungs-
,,..111
Verhältnisse kennt mau"); sie sind — , — , — , oder Ar,
a b c
hc , ac
ac , ah. Es sey j — ■ ::= n
bc -\- ac -\- ab bc -\- ac -\- ab
ab ,„ , .11,-.
= 7t ; so hat man , gemäss dem Vorigen,
bc -\- ac -\- ab
jetzt die drey Gleichungen
da :=^ {a — a — n'm {ß -\- y)) dt
dß = {b — ß — n"m {ß -{- y)) dl
dy z:= (^c — y — n"'m [ß -\- y)) dt
]Man addire die zweyte und dritte Gleichung, so geht
hervor
d{ß^y)=::[b-\-c-(ß-{-y)-in"-{'n")miß-i-y)]dt
woraus
Mso k = l-\-{n + n ) m = -— — —
bc -\- ac -f- ab
Der Werth von ß -\- y muss nun in die drey Glei-
chungen gesetzt ^verden. ]Maii findet auf ähnliche Weise
w^ie oben, zuvörderst
(, b-\-c\,, ., , , b4-c 1 .
Um nun diesem Ausdruck eine schicklichere Form zu
geben , hat man wiederum die jetzigen Werthe von k,
k — 1, und n zu beachten. Dann wird
n'm bc 71 m b -\- c bc
k^ ~ ^{b-\-cy "" k — l ' k ~ ^
*) Psychologie §. 44.
65
rasst man ferner n vi . e ' niii — . e '' znsam-
k ak
. , VI . (b -\- c) . a -\- he -\- ac-\- ah bc
luen , so wird bc . — ^ — ^ — -; j — ; = — ;
\l)C -{- ac -{- ab) ak a
bc
und indem man noch — sowohl addirt als subtrahirl,
ak
ei'liäli mau
« = („-^)(1-.-0+,l(»-^-*') (3)
Bey ähnlicher Rechnung für die beydeu andern For-
n'm b -\- c . c
mein verwandelt siel
k—\ ' k k'
n m b-\-c , b c b
- — -— . — - — in — ; daher man , — und — an den gehö-
k — 1 k k k k
rigen Orten addirend und subtrahirend, erhalten wird
ß = {b - c) (i_e-o 4-^(1 -.-^0 (4)
y = {c- b){l-e-^) + I (l-e-^O (5)
Der gemeinschaftliche Hemmungsgrad m zeigt sich in
diesen Formeln deswegen nicht, weil er in k versteckt
liegt, dessen Werlh sich nach ihm richtet.
Vor allem weitei^n Verfahren aber untersuche man,
ob die Piechnung auch hier den Salz des §. 3 bestätige.
Wenn die Exponentialgrössen verschwinden, so hat
bc bc
sich a erhoben bis zu « zu a — — -}- -—
a ak
b ß = b — c -^ ^
k
, h
c y ^=1 c — b "TT
Die Summe dieser Grössen ^=. a 1 — .( — -{-<: + ^^)
a k \a /
Heft II. E
66
ist das mmmelir vorhandene Ganze des wlrkllclien Vor-
stellens. Zielit man dies ab von der Gesammlheit der
Vorstellungen a -^ h -{- c , so muss das noch übrige
Streben vorzustellen, welches unbefriedigt bleibt, her-
auskommen. Eben dies Streben nun muss gleich seyn
derjenigen Hemnunigssumme, die als Rechnungsgrösse,
nämlich als Bestimmung des gegenseitigen Drucks , in
dem wirklich gewordenen Vorstellen enthalten ist; denn
nur nach dein Maasse dieses Drucks ist es verhindert,
ebenfalls in ein wirkliches Vorstellen iiberzugehn. Die
Hemmungssumme z= m (^ß ■\- y) ist aber nach dem Ver-
h -{- c
schwinden der Exponentialgrössen r= m . . Um
k
nun mit Einem Blicke zu übersehen, dass die verlangte
Bestätigung des Satzes hier wirklich durch die Rech-
nung geleistet wird, stelle man die Gleichung so, wie
sie dem Satze gemäss ausfallen muss , und sehe dann
zu , ob die Gleichheit eintrifft. Es soll also seyn
oder k (ah -\- ac -\- bc) :rz bc -\- ac -\- ab •\- in (/; -j- c) . «
bc-^(\^m){ac-^ab)^
woraus k =: ■ — ^ — ■ —^
ab -\--ac -{- bc
und dies ist eben der Ausdruck, welcher durch k be-
zeichnet wurde.
§. 5.
Die Formel (5) enthält ein negatives Glied , indem
nach der Voraussetzung b grösser ist als c. Es entstellt
also die Frage, ob y nicht rr o werden könne? Denn
wofern die Formel einen negativen Werth erlangt, so
hört ihre Gültigkeit auf, da Vorstellungen nicht negativ
67
werden können. Dasselbe gilt dann von den Formeln
(3) und (4); dergestalt, dass , nacluleni y völlig gehennnt
ist, die alsdann vorhandene Hcmmungssumme auf a und
b fallen niuss ; w^elches eine neue Reclininig erfordern
wird. Hieran nun knüpfen sich die folgenden Unter-
suchungen.
Zuerst bietet sich die Granze dar, welcher y sich
nähert, indem dieExponentialgi'össen verschwinden. Sie ist
y = -^- -ir^c
Findet man für angenommene Werthe von a, /;, c, diese
Grösse negativ : so ist für dieselben Werthe die obige
Frage bejahend beantwortet; und daraus entsteht die
Aufgabe , die Zeit zu berechnen , wann y = o wird.
Vorbereitet wird die Aullösung dieser Aufgabe zunächst
durch ein paar leichte Bemerkungen.
1) ;/ hat allemal ein INIaximum. Denn
dy
kt __ (i _ ^A e — ' = 0
dt
1 h ^.
ergiebt t =■ . log. nat. (6)
k — 1 ü — c
welche Grösse immer möglich ist, da ä ^ c.
2) y, als Curve gedacht, deren Abscissen die Zeit
darstellen , hat allemal einen Wendungspunct. Denn
dl^ ^ ^
1 kfj
ergiebt t = log. (7)
k — 1 b — c ■
Auch diese Zeit ist allemal möglich.
§. 6.
Zwischen den Fällen , da der angegebene Granzwerth
positiv und negativ ausfällt, liegt" der Fall
E2
68
h , , hc A- ac -\- ah
Ä J_c oder h . . ^ \ ,"^ . ; — I,-\-c=zO
ab
daher c zzz
- /> + a (1 + m)
A^
a'^ b^ . ab'^m /c\
+ T-i 77-n — ^ • • • • l»)
(Ä ^ a {!-{- m))2 ' ^, -I- a (1 -|- ^)
Hat c diesen Werth : so wird y nicht früher und nicht
später ^=0, als wann die Exponentialgrössen völlig
verschwinden , d. h. in unendlicher Zeit. Oder mit an-
dern Worten : es wird nie ganz gehemmt ; wäre aber
c auch nur im geringsten kleiner im Verhältniss gegen
a und b, so würde sich eine Zeit angeben lassen, in
welcher es, von seinem JMaximum wieder herabge-
drängt, völlig aus dem Bewusstseyn verschwände.
Man sieht hier ein Analogon der statischen Schwelle *).
Wenn m = 1 , so giebt die Formel
yTU — 1
für a=l,b=l,c= = 0,4342 . . .
6
a = 2, b = 1, c = =: 0,4G33 . . .
5
a z= 3, b =: 1, c = ^ = 0.4745 . . .
' ' 14
V^235 — 5
a=10,b=:l, c^= ~ — 0.491
' 21
V^9 — 1
a z= CO, b =z 1, c = ~ =z 0,5
4
Wenn a = i z= 1 , so findet sich
für rn = 1, c = 0,4342 wie vorhin,
m = ^, c = 0,2899
jn =z ^jy, c = 0,08487
*) Psychologie §. 47.
69
§. 7.
Die Gleichung
0 = {c — b) (i — e -') + - (1 — ,; -A')
aufzulösen, und liiemit die Zeit zu beslimmen , wann y
aus dem Bewusstseyn verschwinde, (vorausgesctzl , dass
c unter der angegebenen Schwelle zurückstehe,) kann
nicht besonders schwer fallen, ungeachtet diese Glei-
cliung transscendeut ist. Denn wo nur Ein Älaximum
und nur Ein Wendungspunct , wo beydes überdies so
leicht zu finden ist, als oben gezeigt (§. 5.): da orien-
tirt man sich bald , um auch die Wurzel durch eine
zweckmässige Annälierung zu entdecken. Indessen bie-
ten sich einige Hiilfsmittel dar, die wir nicht überge-
hen wollen.
Zuerst ist eine allgemeine Älethode der Annäherung
nöthig, w^obei angenommen wird, man habe irgendwie
einen minder genäherten , doch auch nicht gar zu feh-
lerhaften AVerth schon gefunden. Dann ist von der
Art, einen solchen zu finden, nach Verschiedenheit der
Umstände Verschiedenes zu sagen.
1) IMan ordne die Gleichung so :
b — c — — =:(Ä — c) e ' — - e — ^*
k k
und setze t -=. T -\- i , mithin, wenn A :=: h — c -,
B — (b — c) e-T, und C = - tj-^^,
A — Be-t' — Ce- ^^
= B —Bi '\- ^ Bi"^ — . . .
— C -\-Cki — \CkH"^-\- . . .
welche Reihen man verlängern kann. Indessen nuiss /
schon aus den ersten Gliedern nahe genug gefunden seyn.
70
damit man aus dem erlangten \N'erllie die liöhern Po-
tenzen oline bedeutenden Felder berechnen, und der
bekannten Grösse beyfiigeu könne.
2) Um T, denjenigen W'erlh von f, welcher mir noch
einer gelungen Berichtigung duixh /' bedürfen soll, zu
linden, wii-d auf die gegebene Grösse k das Äleiste an-
kommen.
Wir wollen zuvörderst annehmen, diese Grösse, welche
allemal zwischen 1 und 2 fallen muss, sey beynahe
z=: 2; so ist die Gleichung beynahe quadratisch; dem-
nach sey /c :::= 2 — u, auch setze mau e — * ::= -x, mit-
hin e~~^^ = x^ =. ■x'^~ "■ , und
0 =: — — b-\- c -\- {h — c)x — --.%'^.x — ^, oder
ri li
k(h—i) , k(b—c)
0 =z :t;2 . o; - " ^^ ^ . x -j- -^- ^ — 1.
Hier ist x~ "■ ein Coeflicient der unbekannten Grösse,
mit welchem man die Gleichung dividiren würde, wenn
er bekannt wäre. "Wofern nun u nicht zu gross, mit-
hin u; ~ " der Einheit nahe ist, so wird man diesen
Coefficienten hinreichend kennen lernen, indem man
anfangs, ohne ihn zu berücksichtigen, die Gleichung
aullöset. Dies macht keine Älühe. Denn die Gleichung
hat folgende Form :
0 = x"^ — qx -\~ (^ — 1 , wo q =. — — .
Hier ist offenbar eine "NYurzel z:r 1 , und unbrauchbar,
weil sie von den vei^schiedenen Wertheu, welche (j ha-
ben mag, nicht abhängt. Die brauchbare Wurzel aber
ist fj — 1 , welches ohne weitere Rechnung vor Augen
liegt. Man nehme also (j — 1 für x, berechne x — ",
dividire hiemit die Gleichung, und behandle sie wie
71
jede quadratische behandelt wird. Die weitere Berich-
tigung bleibt dann der obigen allgemeinen Näherungs-
nietliode überlassen.
3) Die Gleichung wird beynahe kubisch seyn, wenn
k seinem mittlem Werthe :=z ^ nahe ist. Man setze
alsdann x =z y"^, und berechne y aus der Gleichung
b h
Man hat nämlich x^ = j2fe =: ^2(4 — w) ^- ^3 — 2» und
der noch unbekannte Coefficient, durch welchen zu di-
vidiren vorbehalten bleibt, ist nun y~~^^'-. Die Form
der Gleichung
0 =r y^ - ^y2 ^ ^ - l
zeigt auch hier, dass 1 eine Wurzel der Gleichung ist.
Daher lasst sich mit y — 1 ohne Rest dividiren, und
diese Division giebt y"^ + (1 — ?) 7 ~l~ (^ — ?)? wobey
zu bemei'ken, dass nach der Natur der Sache «/ ^ 1.
Man schi'eibe also
y2 _ (,/ -l)y- (y-1) = 0
woraus y =^ -^ (ij — OH" ^ — — -j- V — !•
Ist dies berechnet, so findet sich der Coefficient j— 2i<
mit welchem die Gleichung muss dividirt werden, inn
für eine berichtigte kubische gelten zu können; deren
brauchbare Wurzel man schon so weit kennt, als nö-
thig , um die gewöhnliche Annäherung zu unternehmen.
Zur letzten Berichtigung wendet man sich wieder au
die obige allgemeine Näherungsmethode. — Es versteht
sich von selbst, dass u positiv oder negativ zu nehmen
ist, jenachdem k entweder >» oder <! |.
4) Man gebe der Gleichung folgende Form:
h _ 1 — e-t
k{b—c) ~~ 1 — e-^^*
72
Wenn nun die ersten Versuche schon zeigen , dass e — ^'-
gegen 1 gering ausfallen müsse : so wird eine sehr leichte
Rechnung hiureichen. Aus dem ersten Werthe \on
xzz: e — ^, der sich darbietet, bestimmt man e — ^'^, mul-
tiplicirt dann mit 1 — e — ^', berechnet hier-
^ k{h—c)
aus ß ~~ ', sucht hieraus von neuem e — ^*, und setzt
dies fort wie zuvor.
5) Wäre keine von den angegebenen Verfahmings-
arten bequem genug, so bliebe für solclie Falle immer
noch das Hülfsmitlel, zuerst den Wendungspuuct durch
seine Abscisse und Ordinate zu bestimmen ; von wo
aus die Wurzel sicli durch Versuche (mit Hülfe des
dortigen Differential- Verhältnisses) entdecken lässt.
In folgenden, unter sich vergleichbaren, Beyspielen
soll zugleich das Maximum berücksichtigt werden.
Erstes Beysi^iel. a=:il5, Z/=10, c ■=. \, und
mn:l. So ist Ä = 1,9428 , und zt = 0,0571. Daher
^ — 1 n= 0,7485. Dies für t genommen, giebt nach
der Division mit % — " (oder Älultiplication mit x ") die
berichtigte Gleichung
a;2 _ 1,7198a; -j- 0,73623 = 0
woraus x = 0,8033; und folglich t = 0,21904. Wen-
det man hiei^auf die zuerst gezeigte allgemeine Nähe-
rung an, so ergiebt sich t = 0,01894, mithin das ge-
suchte t = 0,23798. Bis zu dieser Zeit war y im Be-
wusstseyn gegenwärtig, dann verschwand diese Vorstel-
lung. Um die Zeit 0,1123 hatte sie (nach der Formel
(C) im §. 5.) ihr INIaximum gehabt; und während der
Zeit 0,1257 war sie von da herabgesunken. Sie sank
also ein wenig langsamer als sie stieg. Ihr IMaxi-
nuun betrug 0,0552 (nach Formel 5 im §. 4, in welche
t = 0,1123 zu selzen ist). In tliesem Zeilpuncte des
JMaxiimim für y war /; bis ßz=: 1,057, und a bis «=i 1,59
gestiegen (nach Formel 3 und 4). Diese Grössen ver-
hallen sich ziemlich nahe wie a zu b. Für den Zeit-
punct des Verschwindens von y, also für t =. 0,23798,
ist (ungefähr) /J i= 2,1 ... und « =z 3,2 .. .
Zweytes Beyspiel. c z=. 2; a, b , m wie vorhin.
IMan findet A r= 1,9; uz=. 0,1; q — 1 := 0,52; die berich-
tigte Gleichung
a;2 __ 1,4238 a; -{- 0,48708 = 0
woraus x = 0,57154, und hieraus t = 0,55943 ; als-
dann noch zur Verbesserung t =. 0,01529, also das
verbesserte t = 0,57472. Die Zeit des Maximums war
z=: 0,24794. So lange dauerte das Steigen ; hingegen
das darauf folgende Sinken bis zum Nullpuncte brauchte
eine Zeit =z 0,32678. Das IMaximum, wozu sich y er-
hob, betrug 0,2207; ungefähr viermal soviel als im vo-
rigen Beyspiel, obgleich die Vorstelhuig c selbst nur
doppelt so stark angenommen worden; sie hat aber auch
mehr als doppelt so lange Zeit zum Steigen gehabt.
Indem;/ dies Maximum erreicht, findet sich ^ rz:: 2,15 . .
und a = 3,26 . . Im INIoment des Verschwindens von
y, für t = 0,5747, ist (ungefähr) /? = 4, 1 ; und a z= 6,3 ...
Drittes Beyspiel. c=4; a, b, m wie vorhin.
Mau findet k =. 1,840; u = 0,16; q — 1 = 0,104; wel-
ches zuei'st für X zu nehmen ist , also für e— '^. Hier
sieht man gleich, dass e—^'^ gering ausfällt gegen 1;
man kann also von der Form
b __ 1 — e-t
k{b — c)~'\—e-''t
Gebrauch machen, wie oben gezeigt; und findet nach
einander e — t~ 0,10828, dann e — '^ = 0,10936, hier-
, 74
auf e — tz= 0,10905, woraus t = 2,2104. Diese Zelt
ist mehr als das Dreyfache vou der im vorigen Bey-
spiele, obgleich der Werth von c nur verdoppelt ist.
Die Dauer einer Voi\stelking im Bevvusstseyn gewinnt
in weit grösserem Verhältnisse als ilire Stärke. Das-
selbe gilt vou der Zeit des Steigens bis zum Maxinuun,
welche hier rr 0,60812 gefunden wird; noch mehr vou
dem ]Maximum selbst, denn y erhebt sich bis zu 0,9261.
Um eben diese Zeit ist b bis zu /? =z 4,197 und a bis
zu « = 6,595 hervorgetreten. In jenem Zeitpuncle,
worin y verschwindet, ist ß =■ 7,48 . .. und a n: 12,4 ...
Viertes Beyspiel. Hier soll der Hemmungsgrad
m , der Vergleichung wegen, verändert werden. Es
sey demnach m z=. -4^. Man weiss aus ^. 6, dass für
c = 4, y nicht zur Schwelle zurückfallen würde; wir
nehmen nun c = 2, zur Vergleichung mit dem zweyten
Beyspiele; übrigens wie vorhin, a =z Ih , b =z 10.
Hieraus wird k =. 1,45. Mau kann zwar im vorlie-
genden Falle durch Aufsuchung des Wendungspuncts
leicht zum Ziele gelangen ; allein derselbe lasst sich
auch zu einem Rückblick auf das angezeigte Verfahi'eu
mittelst einer kubischen Gleichung benutzen ; und dies
soll hier geschehen. Nachdem q — 1 = 0,16 gefun-
den worden, hat man y z::z 0,48792, und hieraus, nach
geschehener Division mit r — o,i^,Jie berichtigte Gleichung
0 = f — 1,0797 f + 0,14892
woraus, nach gewöhnlicher Verbesserung des vorigen
Werths, / = 0,5110, oder a;=: 0,2617, oder ^r= 1,3404.
Wenn jetzt noch die allgemeine Näherung hinzukommt,
so ergiebt sie /' = 0,0044, also das gesuchte /zu: 1,3448.
Diese Zeit ist wenig mehr als das Doppelte von jener
im zweylen Beyspiele. Die Vorstellung o bleibt also
75
iingelalir doppelt so lange im Bewusslse) u , well ihr
Ilemimmgsgrad mir halb so gross ist als zuvor. Ihr
IMaximum hal sie in dem Zeitpuucte 0,4959, und das
IMaximum selbst beträgt 0,4087. Im zweyten Beyspicl
war es 0,2207, also ist es nicht völlig verdoppelt. In
eben diesem Zeitpuncte 0,4959 hat ß den Werth 3,83 . .
erreicht, und « ist rz: 5,814. Für die Zeit 1,344 ...
da ;/ = 0 wird, ist ß = 7,063 ... und a= 10,84 . . .
§. 8.
Wir richten jetzt unsere Aufmerksamkeit auf die
Voi'Stellungen a und /;; zuvörderst um zu sehen, wel-
che Veränderung ihrem Aufsteigen dadurch begegnet,
dass eine dritte ihnen entgegengesetzte zu gleicher Zeit
mit ihnen hervortrit. Das dritte Beyspiel kann den
Unterschied am axifTallendsten machen, weil c dort am
grössten angenommen wurde. Die Formeln (1) und (2)
des ^^. 2 müssen zeigen , wie hoch a und // sich zu den
im dritten Beyspiele angemerkten Zeitpuncteu würden
erhoben haben, wenn keine dritte Vorstellung vorhan-
den gewesen wäre.
Wir nehmen also, wie dort, a = 15, i r= 10,
7}i =z 1. Hieraus k =z 1,6. Man findet
für die Zeit 0,60812, « = 6,388; ß z= 3,887
für die Zeit 2,2104, « = 11,46 ; ß = 6,068.
Demnach a beydemal fast doppelt so gross als ß. Dies
kann nicht befremden, wenn man die Formeln (1) und
(2) ansieht. Die Exponenlialgrösse e — ^^ nimmt schnel-
ler ab als e — '^. Auch ist gleich Anfangs erinnert wor-
den, dass, wenn a oder 6 einzeln, und gar keiner Hem-
mung unterwoi'fen , aus dem ganz gehemmten Zustande
hervorträten, dann ihre Differentiale seyu würden
76
da =z (a — a) dt und dß =z (h — ß) dt
mithin « =: a (1 — e — ') und ß -=ih (1 — e — ').
Zusammen steigend aber hindern sie einander; und da-
bey leidet h, als die scliwachere, am meisten; es wird
h , . . . .
ihr eine Gräuze zzz — cesetzt, der sie sich mit einer
dß
Geschwindigkeit =: — :=. h — kß annähern muss. Die
dt
stärkere Vorstellung leidet weniger; dies zeigt sich in
dem ersten Gllede der Formel für « ; worin noch die
Grösse 1 — e — '^ vorkommt, wiewohl nicht mit dem
ganzen a multlplicirt.
Vergleicht man aber die Beyspiele des vorigen §, so
fällt sogleich der grosse Unterschied ins Auge. Dort
wird die Hemmungssumme ziun grössten Theil auf die
dritte, schwächste Voi'stellung geworfen. Daher sind
dort sänimtliche Werthe von « und ß für die nämli-
chen Zeiten grösser gefunden ; und überdies behält ß
gegen a noch ziemlich nahe das ursprüngliche Verhält-
niss von i zu a, nämlich 10 : 15 :=: 2 : 3. Der Vor-
iheil ist also am grössten für ß.
Dies ist nicht so zu verstehen, als ob die stärkern
Vorstellungen gegen die schwächern in Verbindung trä-
ten ; vielmehr werden für jetzt noch die Vorstellungen
als völlig unverbunden betrachtet. Sondern es ist die
blosse , unmittelbare Folge von der Natur der Ilem-
mungssumme, die aus allen gleichzeitigen VorstelUmgeu
als eine gemeinschaftliche Last für alle hervorgeht, im
umgekehrten Verhältnisse des "Widerstandes sich ver-
thellt, und In jedem Augenblicke mit einer, ihrer Grösse
proportionalen Geschwind gkeit sinkt.
77
§. 9.
Was ^vir(l mm geschehn, nachdem y gesimken ist
bis axif Null? Die Hemnuingssummej welche eben vor-
hauclen ist , und unmittelbar zuvor noch am meisten
gegen y drängte, fallt auf einmal dem a uhd b zur Last;
vorzüglich dem letztern, als dem schwächeren. Ähnliches
kommt schon bey sinkenden Vorstellungen vor *) ; nur
ist es hier mehr verwickelt, und die plötzlichen Abän-
derungen können im Bewusstseyn merklicher werden.
In dem Augenblicke , da y = 0 wird , sey ß z= B',
und a '=■ A. IMan lasse von hier eine neue Zeit be-
ginnen; so müssen die Formeln (t) und (2) in Anse-
hung der Constauten verändert werden. Aus
dß z= Ch — ß —f^^-'\ dt oder {h - kß)dt .
^ ß — J— by
folgt zwar auch jetzt noch
loa ^LUJII — — kt
* Coust.
aber Const. z=z h — kB, und
kt
(9) ß = -(i-.-Ä.) ^ B
Hiernach bekommt die Formel für « einen Zusatz, in-
dem das (> des ^^. 2 noch ein Glied in sich aufnehmen
muss. Die ganze Formel kann übrigens bleiben, vi^ie
sie war; mau hat nur folgendes beyzufügen :
Bmh . 1 s , 1
Wenn a = i5, b =z 10, wie in vorigen Beyspielen, so
ist die Erhebungsgränze des ß nach Formel (2) nicht
10 . 5
höher als — '— =z 6,25. Im dritten Beyspiele war
*) Psychologie §, 75.
78
aber ß emporgestiegen bis 7,48 ■=. B. Folglich
(11) dß = {h — Bk) e — ^t dt
ist beyni Anfang der neuen Zeit r= — \ß(Jdt. Die Ge-
dß , . . ,
schwinuigkeit = -y ist negativ; h nuiss sinken.
Ferner giebt die Formel (1), in Verbindung mit
dem so eben augezeigten Zusätze
du / Ä^ mhB \ e t
— =^ ( (i — ^'* + T. ; — ; ; r i
dt y a {fi — 1) (« -f Ä)y
4- ( . ) e- f"' ... (12)
Für die angenommenen Werthe , welchen gemäss
m==: 1 und ^ = 1,6; auch tzzzO, giebt dieser Ausdruck:
— 0,401 ; also ist auch die Geschwindigkeit von a negativ.
i2 rnhB
öetzt mau endlich a A-4- ; ^^^P,
a ^ fk—\){a-{-h) ' '
ä2 k mhB _
7 "~ {k — 1) ' (a + b) — ~ ^7'
und alsdann pe — '^ z= <je — ^'^, oder — =: 0,
In . .
woraus / z=. . log. — (13)
k — 1 p
so muss um diese Zeit a ein IMiuimum haben. Im Bey-
spiel findet sich « rr 12,313; es war aber in dem Au-
genblick, da y verschwand, « r= 12,409; also ist es
um 0,096 gesunken. Die Zeit seines Sinkens betragt
0,6069. Nach Verlauf dieser Zeit ist ß von 7,4806
herabgesunken bis auf 6,7159; also hat es 0,7647 ver-
loren ; ungefähr 8 mal so viel wie «.
Alan bemerke noch, dass die Zusätze wegen yJ und
B, welche die vorigen Formeln liier bekommen haben,
an den Glänzen, denen sich u und ß annähern, nichts
verändern können. Denn sie hängen von Exponential-
79
grossen ab, die für grössere t bald so gut als völlig un-
bedeutend Nverden. Vielmehr sinkt ß langsam zu sei-
ner Granze 6,25; und a steigt vom JMinimum allmäli-
lig bis 12,5.
^ 10.
Vermuthen lässt sich, dass von vier Vorstellungen,
ß, Z», c, d, die drey scliwächern zuerst sich grossen-
theils ähnlich jenen bewegen werden; und dass, nach-
dem d zur Schwelle gesunken, ihm c bald nachstürzen,
lind dadurch für a und b das vorige Verhalten eintre-
ten werde. Anstatt hierüber vveitlauftige Piechnungen
anzustellen*), wollen wir die schon geführte Rechnung
etwas erweitern.
Gesetzt, es gebe mehrere Vorstellungen von gleicher
Stärke z=. h, deren Anzahl nr fi, und auch mehrere
r::r c, deren Anzahl r= ^/: so hat man die nämlichen
Diflerentialgleichungen wie im §. 4, allein die zweyte
und dritte mehrmals. Um zunächst die Grössen n, n",
hc
n
zu bestimmen: so findet sich n =■
hc -j- ftac -{- rab
ab
hc ■\- pac -\- 1 ab bc -\- /nac -\- pab
Ferner da =^ {a — « — n in {fiß -\~ vy)) dt
dß={b — ß^ n"m (/,ß + ry)) dt
dy = (c — y — n"m {ftß -}- vy)) dt
giebt beym Addiren der dß und dy
*) Zu bemerken ist, dass man auch bey vier Vorstellungen
nicht mehr als zwey Esponenlial - Grössen, von der Form
("l — « *0 und (1 — <?— 0» finden wird; nur die Coenicienlen
sind weit mehr verwickelt.
80
(1 [fiß -}- vy) rr [fih -f- vc — [fiß -\- vy) — (/m" -|- vn")
m {iiß-\-vy)]di, uml fiß -^ vy =^"\/''\l — e-''')
ri
wo /c := 1 -f- (/(TT -\-r7i ).m=l-\-T}i.
hc -\- fiac -{- rab
Ist hier /« zz: 1 , so wird für ein kleines c sich k — 1
fast ganz nr 1 , oder A; :rz: 2 setzen lassen. Uberdem ist
dann n sehr gering, d. h. « bewegt sich fast wie wenn
keine Hemmung darauf wirkte. Daher wollen wir die
Rechnung nui: für ß und y fortsetzen. Wie im §. 2
schreiben wir
dß -\- ßdt = Qdi, woraus, wie dort, du .ß— '^:rr Qdt,
du—Qc'dt—\ h—n.- ' )e,'dt-\-n ^ . e ^^-^)tdi
^ k ^ k
„ = {^,-n .-— ;.,+u __^..(i-;c>4_Const.
un
d weil ^ — 0 für f = 0,
r 7 " 1"^' + *'^^ I ', /<^' -^ rc , ^
» = (.''-«• '-^J + « '^^T) + ^°"^^-
so ergiebt sich
oder h (1— ß — ,) _ n" . ^'^"^^^ (1 — ß^O
Falls ohne bedeutenden Fehler k z=: 2 und k — 1 1= 1
genommen werden kann, ergiebt sich
81
1//; —L. -r/f
(15) .../S = b{\—e — t)—n ' ^ (i-j-g— A^— 2e— ^)
und eben so
(16) ...y=c(l—e-^) — n"J^^^i^il-]-e—^^ — 2e—')
K
Die Berechnung für y=zQ ist liier ausserordentlich
leicht, da man, die nämliche Abkürzung durch /c nz 2
beybehaltend, schreiben kann
0— c(l— e— ') — -1- n" (/,i + rc).(l— e — 0^
oder 0 = c — ^ yi'" (/(^-{-rO (1 — e, — ')
2c
also 1 — e — t = -77 r-r-r-r — ;:
n" {fih -\- rc)
n" {jub -\- vc) — 2c
Dieser Ausdruck lässt sich für manche Falle noch
ab
bedeutend abkürzen. Denn n" = 1 ; :
bc -f- fiac -j- rab
wird für ein grosses fia oder rn, indem man bc
b
weglässt, beyuahe n: j , daher nahe
fic -\-vb
b (nb -{- rc
t r= log. — -, ,. . Ist ferner c klein ge-
" fl (i2_2c2)— vbc
nug, damit vorläufig auch noch 2c'^ neben b'^ wegge^
lassen werden könne, so hat man beynahe
rc
fib -\- VC "•" /77> r*'^ ''^^'
und log. „. . . . : ~ = t
log. ' /'^>_2r:^+^^ +...-1
fib ^^ ...
1
Übrigens lassen sich die Formeln auch nach Analo-
gie der obigen (3, 4, 5) anordnen ; um dies an der For-
mel für b kurz zu zeigen , dient Folgendes.
iib — t— i'C
Anstatt — n' '- (1 — e — 0 schreibe mau
Heft II. F
„ fih-\-vc ,, f(b-\-vc 1 — k
nämlich — n • — ; = n • — . — ; — , oder
k k — 1 k
82
„ [nh -j- rc „ ftb -\-vc
getrennt — n . ; -f- ii - ^ — S und
k k
vereinige den letztern Tlieil mit n" r- ß ~ ' ; so
k.{k — 1}
. 1 ^ . ^ -,(/'^'+»'') _,
wird wegen 1 + r= , -aus beydem n — —e •
k — 1 k — 1 k — 1
Ferner zerlege man den ersten Thell in zwey Ausdrücke;
lämlich — n • — ; —
k
„fih 4- fC ,, fth-\-VC ^. ,
u ■ n . Dieser letztere negative
{k—\).k k — \
Ausdruck, zusammeugelasst jiiit jenem, der die Grösse
e — '^ mit sich führt, ergiebt — n" — (1 — e—')
k — 1
welclies mit h {X — ^ ~ ') zu verbinden ist. Eben so
• 1 . " f'^' -\-vc . . .
lasst sich jenes n — mit demjenigen 1 heile der
\K — l j • fi
Formel verknüpfen, welcher die Exponentlalgrösse e — ^'^
,, r. h -4— 'i'C
enthält: man hat alsdann n ' (l — e — ''O« Die
[k — l).k^ ^
ganze Formel ist nun
Und eben so
Beyspiel. a = 15, i r= 10, c = 1, /t = l, r=4.
Jedes der vier y hat um die Zeit = 0,3533 das Maxi-
mum = 0,1488; und verschwindet aus dem Bewusst-
83
seyn um die Zeit rz: 0,9044. Dies Bcyspiel gcslaüet eine
iloppelle Vergleicliung. Zuersl juil tloiu erslcii Boyspicle
des ^^. 7. Wir stellen also zusammen
Maximum Zeit des Maximum. Zeit desVe^sch^^indcns
dort 0,0552 0,1123 0,2370
hier 0,148S 0,3533 0,9044
Der Grund des Unterschiedes ist klar. Der bclrachl-
liche Theil der Hemmuugssumme, der aus ß enispringt,
fiel dort meistens auf ein einziges c. Hier ist, ^Yie
dort, c zzz \ gesetzt, aber es sind solcher c vier ange-
nommen. Diese vermehren zwar die Hemmungssumme;
allein weit erheblicher ist der Umstand, dass sie als
Träger der gemeinsamen Last dienen; als solche hallen
sie mehr imd länger aus ; beyuahe dreyfach.
Die zweyte Vergleichimg bietet das dritte Beyspiel
des \. 7. Dort war nur ein einziges c rzz 4 angenom-
men; hier ist dieselbe, dem a und h entgegenwirkende
Grösse in vier Tlieile gleichsam zersplittert. Es war
IMaximum Zeit des INIaximum. Zeit desVerschwiudens.
dort 0,9261 0,6081 2,2104
hier 0,1488 0,3533 0,9044
wobey besonders auffällt, wieviel länger dort die Zwi-
schenzeit zwischen der des INIaximums und des Ver-
schwiudens verhältnissmässig dauert, als hier. Dort
wird die Zeit des Älaximums beynahe vierfach genom-
men den Zeitpunct des Verschwindeus ergeben ; liier
nicht einmal dreyfach. Das Sinken geht viel langsamer,
wo eine grössere, das heisst in diesem Falle, eine bes-
ser concentrirte Energie sich demselben widersetzt. Am
meisten gewinnt das Maximum, welches sich im Rey-
spiele nahe sechsfach vergrössert zeigt, wo der Wider-
stand als Gesammlkraft wirkt.
F 2
84
Wir liaben noch auf « iiml ^i zu sehen. Wegen
li ist sclioa erinnert worden, dass darauf die Ilemnuuig
unter den jetzigen Voraussetzungen keinen sehr merk-
lichen Eiufiuss haben könne. In der That ist n hier
nicht vollends r= -q^^, also kann ein so kleiner Tlieil
der Hemnuuigssumme, neben « selbst , in der Gleichung
du = {a — « — n {ftß -\~ ry)) dt kaum in Betracht
kommen. Denkt ujau sich nmi « ganz ohne "Wider-
stand steigend, so ist um die Zeit =z 0,9044, u =
a (1 — e — ') = 8,9283. Beynahe dasselbe könnte
man auf b anwenden ; denn n" ist noch nicht vollends
■Jy*, stiege nun ß ohne Widei-sland, so wäre um die
nämliche Zeit, p zzz 5,9522. Bloss um die Geringfü-
gigkeil des Unterschiedes zu zeigen, wollen wir ^ aus
der Foimel berechnen; mit der Bemerkung, dass der
Unterscliied hier dennoch bedeutender ist als bey <;,
weil fj kleiner ist , und ein grösserer Zusatz daneben
weniger darf vernachlässigt nn erden. Es findet sich
nämlich /? = 5,8927.
Jetzt erneuern sich die Betrachtungen des §. 9. Es
sind a und /> fast ohne Widerstand bis zu u und ß
emporgestiegen , so lange die vier gleichen c ihren Druck
übernehmen. Plötzlich verschwindet diese Unterstü-
tzung; und die beträchtliclie Ilcmmungssumme = 5,8927
fällt auf a und b. So eben noch stieg ß fast mit der
Geschwindigkeit b — /? = 4,107; plötzlich trit die viel
geringere Geschwindigkeit, = 0.5716, an deren Stelle,
die sich (nach Formel llj noch überdies coutinuirlich
vermindert. Auch die Geschwindigkeit von a muss sich
auf einmal vermindern, wie man ohne Rechnung leicht
genug übersieht. Zu einem JNIinimum von « kommt
es indessen hier nicht, weil kein Sinken erfolgt.
85
sondern nur ein Stocken, das lür h fast einem Slil!-
stande gleiclit.
Werden zwey Vorstellungen , jede von der Stärke
rr 10, statt, wie zuvor, einer solchen, angenommen,
das iibi'ige wie vorhin: so findet sich jedes ^ nz 0 für
die Zeit 0,43947; um diese Zeit ist jedes ß =. 3,502;
und « = 5,3343. Die Formchi (4) und (5) ergeben
zur Erhebungsgränze für jedes ß, 5 -|- ^ ; und zur Gränze
von « , 12 -{- I ; demnach sind beyde b und u noch
weit von ihrer Gränze , können noch beträchtlich stei-
gen, und ihre Gescliwindigkeit wird weniger gestört,
indem die sammtlichen c zur Schwelle zurücksinken.
Die Zeit war zu kurz, als dass sich jene schon bedeu-
tend hätten ilirer Gränze nähern können. Hätte man
eine grössere Anzahl der c angenommen, so würde die
Zeit ihres Zurücksinkens sich verlängert haben, wie
aus dem vorigen Beyspiele zu ersehen war.
Zweytes Capilel.
f^om Steigen hey uniflcichen Hcmmunifstfradcu.
^. 11.
Das bisherige Verfahren berulit wesentlich auf der
Addition derjenigen Gleichungen , welche zusammen ge-
nommen die veränderliche Hemmungssumme ergeben
müssen. Dieser Vortheil der Rechnung geht verloren,
wenn die Hemmungsgrade ohne Einschränkung ungleidi
seyn sollen-, man kann ihn aber noch beybehalten, wenn
w^enigstens diejenigen Hemmungsgrade gleich sind, die
in der llemmungssunune vorkonunen. Um dies kurz
zu zeigen, nehmen wir an, in einer Hejnmungssunune
wie nß -\- py, sey n=z p.
Es scy nun ii z=z
86
Lee
hc8 -j- CIO] -\- ahd"
y* = .- — i ; — ~ , n
aiuh die liennnungssuninie := n (/i-}-^), und mau habe
wie vorhin die drey Gleicluingen
du =^ (a — a — ii'n (/? -{- y)) dt
dß =(/j~ ß — nn {ß 4- y)) dt
dy = (c — y — n"'n (ß -j- y)) dt
so ist auch jetzt nocli
d(ß ]-y) = {h-]- c— k (ß -{- y)) dt
„ f,,. . ao] -\- ahd
^\o k=z\-{-n {n + 71 ') r= \ -\- n . ■ -^-! —- —
' ^ ' ^ ' ÄC5 + aci] 4- ab»
und die Rechnung lauft auf bekanntem Wege fort bis
zu den drey Gleichungen von völlig gleicher Form:
tt r= 1 a — 71 n — ^ — J (1 — ^~0
+ ^''" ^^ . ^,j . («-' - ^-^0 (17)
ß = Q, - ^"«^) (1-^-0
4- 7*"/z --^ . -1^ (,-^ _ e - ^0 • • • • (18)
y = (c — ^"'„iif) (1-e-O
Ä -I- r 1
+ n"n — ^— . — e —t — e—^') .... (19)
^ k — 1
*) Ps} chologle §. 54, wo die Verhähnisszahlen , (nach denen
das Qiianlum, was gehemmt wird, zu verlheilen ist,) durch -, ^
a o'
— , ausgedrückt sind; indem i, y, &, jedesmal solche Summen
von Ilemmungsgraden , wie p •\- n, oder /j -|- w , oder m -^ n be-
deuten, gemäss den verschiedenen Umständen, wie dieselben mit
«, b, c, zu verbinden sind.
87
welche nach Verschiedenheit der n\ tt", n" , und nach
dem Unterschiede der Ilcninningssummen und Henimungs-
grade , andre und andre Bedeutungen annelinien wer-
den. Ist die Ilemmungssumnie n (« ~\~ y) ^ s^ addirt
man die erste und dritte Gleichung; ist sie n ((< -j- ^i),
die erste und zweylo.
^. 12.
Für die Reclinung mit drey verscliiedenen Hem-
mungsgraden sollen andre Buchstaben gewählt werden,
damit man denselben die vorhin ge!)rauchten nach Ver-
schiedenheit der Umstände substituiren könne. Hiedurch
wird nicht bloss den Verwechselungen vorgebeugt, wel-
che sonst bey verschiedenen Hemmungssunnnen entste-
hen möchten, sondern die Rechnung wird auch auf
mehrere gleich starke Vorstellungen (wie im ^^. 10) sich
erweitern lassen.
Zum Anfange bedarf man nur der beyden Gleichun-
gen, worin diejenigen Vorstellungen sich befinden , von
welchen die Hemmungssumme abhängt. Diese beyden
Vorstellungen bezeichnen wir ihrer Stärke nach mit ,1'
und Y, welche Grössen constant sind ; ihre veränder-
lichen Theile mit x imd y. Zu ihnen gehören zwey
Hemmungs-Coefficienten, wie die obigen n" und ti' ';
diese mögen jetzt /. und A' heissen. Die Hennnungs-
summe sey fx -|- hy, wo / und h die darin vorkommen-
den Hemmungsgrade bedeuten. Alsdann hat man fol-
gende Gleichungen :
dx = {X — X — k {fx + Ar)) dt
dy =z{Y — y - X {fx -f hy)) dt
oder etwas anders geordnet
dx -f- {x -{- )fx) dt = {X — ;.//,) dt
dy -y {y -f- A'Aj) dt = (F — Xfx) dl
88
Die zweyte dieser Gleichungen multiplicire man mit ei-
ner noch unbestimmten Grösse, deren Bestimmung vor-
behalten bleibt*); dieselbe sey d^. Also
ddy J^ dy {l -\- X'h) dt = & {Y — y.fx) dt.
Diese Gleichung zur ersten addirt giebt
dx 4- ddy ■\- [x (! + ;/)-{- dy (1 + A'//)] dt
— [x - Ihy -f. ^ (r — A'/x)] dt
und geordnet
Ja- + ddy -f Lc ^_|_ Xfd^ -h r \ + AÄ J <^^
z= {X + &Y) dt.
Der Integration wegen führen wir eine neue veräudor-
liche Grösse z ein ; dergestalt dass
* ( ^ V/^ + :^ i + ).h — (^ + ^/ + ^y-^) ^
mithin
"" + 1 + V + x/^» -^
Jetzt werde das vorhin angenommene ^ so bestimmt, dass
9. _ ;./^ + (1 + >^'h) ^
1 + ¥ + /'/^
Dies führt auf eine quadratische Gleichung für &.
Der grössern Deutlichkeit wegen schreiben wir anfangs
_ B +_ß>
oder r/i^ + ^/,92 = B -\- B'&, woraus
2./' 4^' 2
Da nunß' — ^z= 1 -f A'ä — (1 + A/), also (ß' — ^2—.
(;;ä)2 — 2A'ä;/-j- (Ay)2, und 4A'b = 4A'//ä, so lässt
**) Die Mflhode leint u. a. Lacroix im traite^ ele'm. de calc.
d. el int. §. 286.
89
sich die Quadratwurzel ausziehen; und die ilechnung
giebt
^ Xh - ;/ 4- AjMrJ/
2A'/ 2;;/
h
also der eine Werth ist ^ r= —
der andre . . . . S- "=■ ^
Ferner hat man für die neu eingeführte veränderliche
z die Gleichung
dx -f &dy -j- Cl + ;/ 4- Xf&) zdt = {X -\- {tY) dt
das heisst
Jz -f (1 + ;/ + X'f&) zdt = (X + ^Y) dt
weil zuvor ^ auf die angegebene Weise war bestimmt
worden. In diese Gleichung führe mau die beyden be-
rechneten Werthe von ^ ein, so hat man
1) dz-\- (1 4-;i/-f A'Ä) zdt = (X -j- -^ Y) dt
2) dz ^ zdt = {X — ^ Y) dt
Beyde Gleichungen haben die Form
dz + Fzdt = Cdt
imd ergeben
1 , C — Fz
-j.lo,.^^^ = t
woraus alsdann
F ^ ^
Das heisst, weil z z=: x -\- ^y.
1) 2 — -^^iM_ ^|_._(l + >l/+iA)/N _^ 1 -^y
^ X' (.^ — e-') = X — j, y
Aus diesen beyden Gleichungen ergeben sich x luid /.
90
IMan setze zur Abkürzung k z= l -\~ ).f -\- )!h, so ist
;/+;;// fk ^^ ' ■> ;/+;//; a' '^ ' ^-^
X'f X fX-\-hY ,^
äZ-HAä X fk ^ ^
-f-;y-}-A'Ä*/ A' ^^ ^ ;-'«'
oder, etwas mehr symmetrisch und mehr zusammen-
gezogen :
Es bleibt jetzt noch übrig, das Hervortreten der
dritten Vorstelhmg zu bestimmen, welche in den Aus-
druck der Hemmungssumme nicht eingeht.
Die Stärke dieser Vorstellung sey nr U; der ver-
änderliche Theil dieses constanten U, welcher Theil all-
mählig im Bewusstseyn hervortrit , sey n: u, der zu-
gehörige Hemmungs-Coefficient (den wir sonst mit n
bezeichneten) sey A"; so hat man
du =: (U — u — A" {fjo -\- h')) dt\ und
dx =: {X — X — A {fa -^ hy)) dt ; ferner
~, du ■=. {-TT {U — ") — X (fx -\- hy)j di; woraus
d {co-L u) = {X - X - ^ (U - »)) dt,
= (A- - ^ f/ - (o. - i, «)) dt
also
a - i « r= (.r - ^, U) (1
A A
und
91
(22) u = '-,,-\-(U-^ X) (1 - e- ')
Daher, wenn :i; berechnet ist, u sehr leicht daraus ge-
funden wird.
f. 13.
Zur Probe der vorstehenden Rechnung kann es die-
nen, aucli in dieser Allgemeinheit den Satz des ^^. 3
nachzuweisen. Zu diesem Behuf stellen wir zuerst die
Gränzwerthe von m, o; , / zusammen, wozu, wie be-
kannt, nöthig ist, die Exponential - Grössen wegzulas-
sen , indem diese beym Verlauf der Zeit verschwinden.
Die Gränzen sind folgende:
;;(A" + hY) f{xx- XY)
Von Y,
()f^X'h)k Xf-\-Xh
x(fx-\-hr) , h(X'Ä'—xr)
V on i: - - I ^ {
■ ' (;/ + x'h) k ^ xj + x'h
X" (fX + hY) X"h {X'X- XY) X'
^-^ "' TT/ +WT + T(;/+ Xk) - 1 ^ + ^-
Die Summe dieser Werthe, welche y, x, u, in unend-
licher Zeit erreichen würden, heisse S] die ganze als-
dann vorhandene Hemmungssumme fx -\- hy heisse ^,
(worin also x und y nach ihren eben angegebenen Wer-
then zu nehmen sind,) so ist der Satz dieser:
U-\-X-\-Y— S = S,
oder U-\-X^Y— Z=S.
Nun ist zuvörderst klar , dass U von selbst wegfällt,
denn es ist in S enthalten ; und man mag schreiben
X-l- Y — Z = S — U.
Ferner hebt sich in 2 nach geschehener INIultiplicatlon
mit /und h sogleich der negative Theil von y gegen den
entsprechenden positiven Theil von x, und es bleibt nur
92
JMan hat also auf der einen Seite der Gleichung
-■?+-- V"
Jetzt ist zu bemerken, dass X -}- X' -{- X" = 1, daher
i — X = X' -\- X" und X -{- X' = i — X".
Auf der andern Seite der Gleichung hat man
Man fasse erst die Grössen zusammen, welche von X
abhangen , dann die , worin Y vorkommt. Jene müs-
sen zusammen X — ausmachen ; diese müssen sich
k
^ hY . .
zu y — — veremigen.
k
Von X abhängis ist
O'O
ßc , x'x {hx—fx-\'X"h) r ,, ,
-|- ^h— ! Ä, oder
(A — 1)./£'Ä — 1 X X
,, f. , , ' Vf+kX' {hX-fX-\-X"h)~X"{k-l)lc],
(& — l).k.X
Anstatt X" (k — i) k schreibe man k . {X'X'h -{- X'Xf),
so wird die eingeklammerte Grösse
-Xf-\-k, {xx'h - fi (;; -h r)) z=z ;/+ k (xx'h-fx (i-x)).
Aber xx'h — fX (1 — A) = X (X'h + /A — /) ist
= X {k — l — f); ferner Xf -\- k (XX'h—fX (1 ~ X)
= XU-\- k(k-l) - kn=z X.ik-1) {k-f).
Nachdem die eingeklammerte Grösse hierauf red ucirt ist,
zeigt sich sogleicli , dass gefunden worden was vorher-
X
zusehen war; denn . X {k — \ {k — /)
__ X {k - f) __ fX
~ k - '^~T
93
Von Y abhängig ist die Grosse
hY XY
G-/+^);oclerbe
sser ae-
{k — i) k k — l\ •'' A
ordnet . \~ —).h-\-}f~X"h\ Anstatt /i (A + A'')
setze man h (l — A), so verwandelt sich die eingc-
h
klammerte Grösse in — — fi 4- k — 1
k
__ h — hk-{- k (k — 1) {k — 1) (k — h)
— , = ; , also die
k k
ganze von Y abhängige Grösse ist nunmehr
k- h Yh .
=■ 1 . - — ; z= 1 — -— - ; wie verlaugt und er-
k k
wartet.
§. 14.
In §. 10. wurde angenommen, man habe mehrere
Vorstellungen von gleicher Stärke = h, deren Anzahl
m jti , desgleichen mehrere c , deren Anzahl = v , in
Rechnung zu bi'ingen. Was dort unter Voraussetzung
gleicher Hemmungsgrade entwickelt worden, ist nun auf
vuigleiche Hemmungsgrade zu erweitern. Die Hem-
mungs-("oefficienten sind, ähnlich deueu im §. 11,
hce -j- ^lact] -\- tab& bce -f- //flc»; -}- 'vabd-
n" := ; ; — die gegebnen Gleichungen
bcs -j- /tacf^ -f- rab&;
aber müssen eine Heminungssunime enthalten , welche
durch /(Ä und o^c bestimmt wird, wofern nämlich dieselbe
von b undc abhängt; die nöthige Veränderung, falls a dar-
in vorkommt , wird leicht zu finden seyn. Überdies ent-
hält die Hemmungssumme noch ein paar Hemmungs-
grade, wie m, «, p, um deren Auswahl wir uns hier
94
nicht bekümmern *) ; ihre Bezeichnung durch / und h
kann für jetzt beybehalten werden. Demnach sey die
Hemmuugssumme rz: ffiih -\- hrc, und die gegebenen
Gleichungen seyen
du = (a — a — n {fpß -\- hry)) Jt
dß ={b — ß~ n" {ffiß -f hpy)) dt
dy = {c — y — n" {ffiß -j- hvy)) dt
Dergestalt, dass die Gleichung für dß , [i mal, und die
Gleichung für dy, v mal statt finde. Nun sey ftß z=. a,
^fZ» = A', /<7i'' = A, vy ^=- y i vc =z Y, vn" = Xt
so ist
fulß = (/tb — f,ß — /m" iffß + /'i'7)) ^^
und vdy =z [rc — ry — vn" (J'/tß -\- hvy)) dt
ausgedrückt durch
dx = {X — X — l (> -j- ///)) dt
und dj = ( Y— y — X U'x + Ä/)) dt
Hieraus wird man nach ;J. 12, a; und y , folglich auch
X T
H z=: — und y zz: - , berechnen.
Zur Vergleichung mit der frühern, auf ganz andere
Wege geführten Rechnung nehmen ^Yir f ■=. h zzz rn;
überhaupt die Hejnmungsgrade gleich; alsdann ergiebt
sich, indem auch noch m rzi 1 gesetzt wird,
^j.b-hrc^^_ _^^-(n"L-n"c) _
' /^ — 1 k ' ^~ k — l ^
welches mit der im f. 10 für ß gegebenen Formel ei-
uerlcy seyu nuiss. Um die Einerleyheit nachzuweisen,
bemerken wir zuerst, dass n' -\- /iin -j" ^^"' ^^^ ^»
*) Vergl. Psychologie §. 52.
95
nillhln rn" r= 1 — n — /m". Al)cr 1 — ii"
hc
z=. \ — ; r (tlenn wegcu Gleichlicit der
hc -\- ['MC -j- roh
ITejiumuigsgrade sind auch f, ?;, & gleich, und fallen
(lac -\- vah
weg,) also \ — 71 = j j = k -~ \,
bc -f- fiac -\- vab
. , . VII , iin' - V .{n' h — n r)
niilhin =r 1 — -, und ;
k ~ \ k — 1' k ~ 1
- '' ' ]r=ri - Y^^x - ^ - r— l ^^'^+"'^
Folglich ß = -^J±±^ i^, - e-^.)
-\- {h — n"' — — ) (1 — e — ') welches mit der
Formel am Ende des ^. 10 genau übereinstimmt.
f. 15.
Wenn die Formeln (20) und (21) im ^. 12 differen-
tiirt, und. die Diirerentiale r:r 0 gesetzt werden , so er-
giebt sich für das Älaximum von Y ,
(23) i = -^ log. >^Aß±lIl
und für das IMaximum von cc,
(24) . ^ -1- log. im^tAD
^ ^ k— 1 ° h {XY—k'Ä)
wo sogleich ins Auge fällt, dass wenn eins davon un-
möglich ist, (wegen X'X << A Y) alsdann das andre mög-
lich wird. Beym Wenduugspuncte kommt die nämliche
Bedingung der Älöglichkeit vor.
In den meisten Fällen enthält die Hemmungssumme
die beyden schwächern Vorstellungen b und c; also
meistens J =: b und Y =z c; auch ist Ä "^ Y oder
96
mindestens .1':= Y zu nehmen; überdies gewölinlicli
X > ). ; Ausnahmen hievon können nur bey einer be-
sondern Stellung der Hemmungsgrade vorkommen. Wir
richten daher die Aufmerksamkeit jetzt vorzüglich auf
y, welches, wenn es, wie gewöhnlich, ein Maximum hat,
die Frage veranlasst, ob es nicht auch z=^ 0 werden könne?
§. 16.
Zuvörderst muss, wie im §. 6, die Gränze unter-
sucht werden, welcher sich y nähert, wenn man die
Zeit unendlich setzt. Diese Granze ist in f. 13 ange-
geben; wir setzen sie r^ 0, und suchen den Werth von
-v, welcher dazu erfordert wird. Also
X' (fX+ hY) _ f{XX- XY) ^
{li ~~ \) k k — 1
oder /' {fX -^ hY) = kf {X'X — XY)
IVlan schreibe 1 -\- k — 1 für k, und lasse weg was
sich aufhebt; mithin
X'hY + )JY = ik — 1) Y = {k-\)fQ:x—XY)
folglich Y -\-fXY = fX'X, oder Y = J^^-
Hat man also für gegebene Grössen die Hemmungs-
Coefficienlen X' und X berechnet, so findet sich sehr
fX'X
leicht, ob Y grösser ist als 1^ — —, dass heisst, ob es
über der Schwelle bleibt; oder ob es kleiner ist als
dieser Ausdruck, wodurch angezeigt wird, dass es in
endlicher Zeit aus dem Bewusstseyn verschwindet. Will
man aber dasjenige 1^ bestimmen, welches neben den
übrigen gegebenen Grössen in unendlicher Zeit zur
Scliwelle sinken würde, so muss die Rechnung noch
einen Schritt weiter gehn. Es ist hier nöthig, die
97
Henumings - Coefiicienten X und /' zu eiilwickeln ; zu-
gleich sey nun F :=z c, Ä =z b; wahrend / immer den
Hemmungsgrad bezeichnet , der in der Hemmungssumme
als Factor von ä vorkommt. Da A ::= • ,
bce -\- ac7j -\- abd-
abd- .. ^^ fk'X
A rr ; — - , so ist anstatt Y = —^,
hce + ac7] + abd-' 'l + /A
fab'^S-
nunmehr c rr: ; ; — — ; zu setzen.
bcF. -\- acf] (1 -\-f) -f t^^d"
Bequem ist, c für die Einheit zu nehmen, und dafür b
zu bestimmen. Also
b {e-\-ad) -f at^ (1 -t-./) =fab'^S'
woraus
2fad- V 2fad- ^ "^ & f
Dies führt auf eine Betrachtung ganz ähnlich jener im
f. 55 der Psychologie. Der kleinste Werth von a ist
a ziz. b , der grösste a r= OO» Setzt mau a'=z b , so
muss die Gleichimg etwas anders geordnet w^erden ; man
findet nach der Division mit b
aus e-^ b&-^ 7]{\-\-f) =fb'^d-
hingegen für o = CO, aus (23)
SO dass der Unterschied bloss auf der Weglassung von e
(welches höchstens = 2) beruhet. Der Sinn hievon ist,
in Worten ausgedrückt, folgender:
Wenn die schwächste der drey VorsteUuugen , näm-
lich f r= 1 , durch die zugleich mit ihr frey steigenden
b und a nicht mehr und nicht weniger soll gehindert
Heft II. G
98
■werden, als so, dass sie erst in luiendlicher Zeit wieder
ganz aus dem Jjewusstseyu würde verdrängt werden :
so ist h, die mittlere an Stärke, innerhalb enger Gränzen
dergestalt zn wählen, dass, wäre b schwäclier als in
(25), auch das stärkste a nicht hinreichen würde, um
den verlangten Druck gegen c hervorzubringen ; wäre
aber b stärker als in (24), alsdann a (welches der Vor-
aussetzung nach mindestens r:= b ist) jedenfalls, wie man
es auch annehmen möchte, mehr als den verlangten
Druck gegen c ausüben , also c schon in unendlicher
Zeil aus dem ßewusstseyn ganz verdrängen würde.
Kurz: eiue Veränderung der mittlem Grösse b ist
hier viel bedeutender als eine gleich grosse Veränderung
der stärksten seyn kann; und dieses gilt, welches
auch die Hemmungsgrade seyn mögen ; obgleich von
ihnen die angegebenen Gränzen abhängen.
Setzt man die Hemmungsgrade gleich , also auch
£ 3= ?; = i9^, so folgt
1 + xTl -I- 8/+ 4/2
b —
und
^
1 -{- V"l -{-4/-J-4/2
1 -4- yJ \%
für i z=. \ sind also die Gränzen • und 2.
J 2
Hier schliesst sich die Rechnung an jene im f. G. Dort
war A = 1 gesetzt, und es ergaben sich für c die Werlhe
und A- Es ist aber, da jetzt c zum Maasse
6
der Grössen genommen, oder als Einheit betrachtet wird,
1 -f \/^13 _ \l^\l — 1
• 2 "~ 6 ~~ ■
»uul 1 : 2 z=: 1 : L
99
^". 17.
Aus (loni Vorstehenden wird nun vollends klar, dass
die Fälle, in welchen die dritte frey steigende Vorstel-
lung von den beyden släi'kern ganz zurückgedrängt wird,
zwar mannigfaltig genug, aber doch weit seltener seyn
müssen , als die andern Falle , in wclclien es bey eini-
gem Zurücksinken vom erreichten IMaximum sein Be-
wenden liat. Um dies ausführlicher zu betrachten, mag
als Gegenstück der früliern Voraussetzung, die Hem-
mungsgrade seyen gleich, nun die Annahme dienen, die
Vorstellungen selbst scyen von gleicher Stärke, und nur
die Hemmungsgrade ungleich. Bevor diese Annalmie
entwickelt ist, wollen wir die Ausdrücke für die Gränz-
werthe von A" und Y (j. 13) noch um etwas vereinfachen.
X {fÄ -{- hV) f{XX—XY) ^ .,
Anstatt ; — schreibe man
{k — \) . k k — \
1 p; CA- + hY) ~ kf{Xx ~ xrn
und im Zähler statt k noch i -\- k — 1 , so ergiebt sich
1 FA'/X jl-k) -\- Y {X'h f ;/) + (/c - 1) uf-\
/.— 1 L k J
also, weil k — 1 ::= Xh -\- ).f,
k
und el)en so wird aus
als Gräuze von r für t =: (3C ;
X {fX -j- hY) h {XX — XY)
{k— i)7k "' k — 1
X+hiX'X—XY) ^ ^ .. „.. ^ ^^
nunmehr — ■ als Granze von :i; lur / = (\j.
k
Dass aus x die stärkste Vorstellung u sehr leicht folgt,
ist schon im §. 12 bemerkt,
G2
100
Wem» nun .1 zz: Y =: l , so sind die Granzwcrllie
1 -I-(A-A')/ 1 + (A' - ;■) h
lur r W'id für x zwar
k ■ k
nicht bloss durch die Hemmungsgrade bestimmt, denn
die Ilemmungs-Coelficienten A und X hängen nocl» von
U ab; allein wir können auch dies :rz 1 setzen, und
alsdann beyspielsweise die Hemmungsgrade recht ungleicli
nehmen, damit sich zeige, wie viel Einfluss diese Un-
gleichheit auf das Steigen der Vorstellungen ausübe.
Es seyen nun die Vorstellungen a, h, c sämmtlicli
=: 1; die drey Hemmungsgrade m, n, p, mag man so
gestellt denken, dass m nz 1 zwischen a und c , n = %
zwischen a und b, endlich p zz: ^ zwischen b und c
statt finde. Die Hemmungssumme hängt nun von a und
c ab, weil diese den stärksten Druck erleiden; sie ist
= jia -\- pc zn \ , (bei jeder andern Voraussetzung wäre
sie grösser, und deshalb unrichtig angenommen), also
für die veränderlichen a und y ist sie na -\~ py, und
weil a noch mehr gedrückt wird als c, so ist das obige
Y hier rz: a, mithin hzz:n=z ^, x dagegen ist hier = ;',
mithin f z=: p zzi ^. Auch ist e^=-n-\-Tnz=.^-^')^zzin
-\- p zzz \\ -d- '=zz m -\- p ^=. ^. Ferner X , der Hemmuugs-
Coefficient für x, oder hier y, wird j
bc£ -\- act] -4- abd-
zzz 4; und eben so /', der Uemmungs-
6 -\- Tj-^ d
Coefficient für a , wird
zz: -f>.j, mithin a — A' = — ^V, also, da k = 1 -j- )./
-\- hX' =^ 1 + ^ . i -|- ^ . j •^- z= ^^, der Granzwerth für
1 ■+ (A — ;.') f
a zz: — zz: 4^ . || zzz 0,7; und der Gränz-
101
werlh für c = ^ — 'i^ ' 2 o =^ "' ^^ ! ^'"^^-
lieh der Gräuzwerlli für u, hier />, isl A (r — ;/),
wo A ^= . T-~ =:=■ ",- 7 :::= 4 , also --
hcs -\- acy -{- abß- e-\-i;-\-& "* A
zn: 3^ _ (c _ p,) = 3 (1 _o,7G) = 0,18; mithin der
A
Gränzwerth für h in Zahlen = 0,82. Man sieht , dass
die drey Gränzwerlhe 0,7; 0,76; 0,82 iingeaclitet der
grossen Verscliiedenheit der angenommenen llcmnuuigs-
grade doch nur wenig von einander abweiclicn. Lber-
dies trit die Abweichung nur alluiählig ein. Das IMaxi-
nunn für u fällt in die Zeit 6,9635; es beträgt 0,70006 ;
kaum zu unterscheiden von dem Gränzweithe 0,7. Die
Exponeutial- Grössen sind um diese Zeit beynahe ver-
schwunden, also auch die andern beyden Vorstellungen
ihren Granzen schon so nahe, dass sie für stationär
gelten können. Schätzen wir die Einheit der Zeit auf
zwey Secunden, so ist das ganze Steigen ungefähr nach
einer Viertel -Minute so gut als vollendet. Und diese
Zeit ist lang im Vergleich gegen jene in den Bcyspielen
des §. 7.
102
Zweite 1' Abschnitt.
f^om Mitivirhen der Hülfen.
Erstes Capitel.
f^on Ilülfen bey fr ey steinenden Vorstellnngen von
(fleichev Stärke.
§• 18.
Damit zuvörderst die Fragepuncte ins Licht treten,
beginnen wir, wie zuvor, bey der leiclitesteu Voraus-
setzung. Die Stärke der Vorstellungen lässt sich nicht
ganz bey Seite setzen; es ist aber am einfachsten, sie
als gleich stark anzunehmen.
Von a sey ein Theil a mit b verbunden; gleichviel
zunächst, ob complicirt oder verschmolzen: so kann
man fragen, ob diese Verbindung irgend einen Einlluss
auf das Steigen des a oder des b haben werde? Ganz
allgemein nun sieht man, dass hier, wo inmier nur
vom fr eye n Steigen die Rede ist, die Verbindung
nicht anders wirken kann, als in dem Falle, wo das
freye Steigen langsamer geschehn würde, wenn es sich
allein überlassen bliebe; die Frage ist also, ob die Hülfe
eine grössere Geschwindigkeit bewirken könne. Hiemit
beschränkt sich die Allgemeinheit der jetzigen Frage;
sie passt nicht auf Complicationen, sondern nur auf Ver-
schmelzungen. Denn da wir a und b gleich stark an-
nehmen, so leuchtet ein, dass ein Theil von a nicht im
Stande ist eine grössere Geschwindigkeit zu vermitteln,
als die, welche die ganzen Vorstellungen schon von
selbst haben; es sey denn, dass wenigstens irgend ein
llinderniss zu überwinden vorkomme. Ein solches liegt
103
nicht in der Coui[)lic'aüoii clisparator , wohl aher in dci-
Heniniuug eutgegengesetzler Vorstcllnngeii. Dies ein-
heimische ilinderniss, auch bey übrigens freyeni Steigen,
haben wir in der vorstehenden Untersuchung schon
überall vorausgesetzt, au die ohne eine llenimungssunune
nicht zu denken war.
Damals nun , als a und h zuerst in Verbindung tra-
ten, mussle ihr Gegensatz diese Verbindung beschran-
ken. War nun der Theil a von a im Bewusstseyn
gegenwärtig, als das ganze h sich mit ihm Ins Gleich-
gewicht setzte, so konnte auch nur von a die ITem-
nuingssumme abhängen, wahrend das Ve r ha 1 1 n i s s
der Hemnuuig durch die ganze, ursprüngliche Slärke
von a und b beslinunt wurde. Das ganze b wäre un-
gehemmt geblieben: bey voller Hemmung, wenn «'.
oder bey dem H emmun gsg rade m, wenn via ge-
hemmt wäre. Demnach ist, nach bekannten Grund-
sätzen, ina die Hemmungssumme, wo übrigens m auch
=z 1 seyn kann. Diese Summe aber musste sich verthei-
ma b tun a
len in — j — iura, und hw h\ das erste Quanlum
a-\- b a -\- b
, , ina b
abgezogen von a gab den Rest a , das zwevle
a -\- b
den Rest b — — ■ . Hieraus die Verschmelzuiigs-
a -\- b
hülfe *)
nib
und
(inb \ / niaa\
^ a -\- b) ' \ ~ a-j-b)
a
\ aA-bJ \ a4-h/
für u
b
**) Psychologie §. (i3 u. 09.
' ^ - für b.
104
Allein der Unterschied der Buchstaben a und /> erin-
nert hier nur an die Vorstellungen einzeln genommen.
Ihre Stärke haben wir gleich gesetzt ; wird also bloss
auf das Quantum gesehen, so verwandeln sich beyde
Ausdrücke in folgenden :
— . (1 — \in) . [a — ^ma)
a
Jede Yerschmelzungshülfe wirkt nur bis zum Ver-
schmelzuugspuncte *). Also a kann von h nur gehoben
mab , . , N , •
werden bis a j — • :rz a (1 — i-w), hingegen h
md a , , 1 TT 1 • 1
von fl bis Z» — — ; — zzz a — i ma , wo der unterschied
a-\-b
zwischen a und d ergiebt, dass h höher von a, als a
von b gehoben werden kann, obgleich die Stärke der
Hülfe an sich gleich ist.
Wenn nun die Hülfen zur Wirksamkeit gelangen,
so ist nach den Grundsätzen der Mechanik des Geistes,
ähnlich der Formel -^ . . dt z=. dio, wo sich q
n Q
im Nenner und Zähler hebt, hier
d« 1 / mda \ / , mdb \
(25) — = -.(/> nJl" i-y— «)
dt a \ a-^ by \ a-\-b J
z=. — (a — -|- md^ {d — -i ma — «)
a
, . dß 1 / , mdb\/ mda \
= - (1 — 1 m) (a — ^ md — ß)
a
wobey sogleich mag bemerkt werden, dass, weil für
t ^z 0 auch « und ß z= o sind, im ersten Beginnen der
») Psychologie §. 86.
105
Hebung, falls dieselbe wirklich durch die Hüllen ge-
schähe, d(t und d^j gleich seyu würden; hingegen
weiterhin ist dß allemal grösser, indem der Factor
a' — 4- ma — a sich der Null schneller nähert , als
a — ^ ma — ß , weil a <1 a.
Nach der Anwendbarkeit der so eben aufgestellten
Gleichungen wird nun gefragt , und es sollen deren
Gränzen und Bedingungen entwickelt werden. *
§. 19.
Vor weiterm Eingehen in die bevorstehende Unter-
suchung mag hier eine Nebenbemerkung Platz finden,
die sich zwar eigentlich von selbst versteht, aber doch
das Folgende erleichtern kann.
Ohne alle Formeln weiss man im Allgemeinen, dass
die Verschmelzung desto mehr Wirksamkeit erwarten
lässt, je grösser das Verbindungsglied a, und je kleiner
der trennende Hemmungsgrad m genommen wird. In-
dessen wii'd dies doch dui'ch die Formel etwas be-
schränkt. Betrachtet man die Verschmelzungshülfe als
abhängig von a, so kann man sie füglich so schreiben :
1 , , , ,
— . (1 — h m) [aa — ^ rim a )
a
und ihr Differential wird
— . (1 — }f tu) {a — ma) da .
a
Sieht man m als veränderlich an, so hat man aus
a , ,
das Diilerential
106
Also was mau im Allgemeinen erwartete, ist der
Wahrheit um desto mehr gemäss, je kleiner ä und vi\
aber es passt weniger auf grössere d und m. Ein
grösseres ä giebt zwar mehr Verbindung, aber auch
eine grössere Hemmungssumme. Ein kleineres m giebt
eine geringere Hemmungssumme ; aber auch im Product
der Reste ein Glied, worin ni^ mit dem positiven Zeichen
vüilvommt, und dies wächst mit m.
§. 20.
Die Bewegung des Steigens geschieht, wenn mehr'^re
Gründe dafür zusammentreffen, immer nach dem Rhyth-
mus desjenigen Grundes, der die grösste Geschwindigkeit
liervorbringt *). Die übrigen Gründe können gegen Hin-
dernisse mitwirken, aber nicht beschleunigen. Folglich
wird in unserm Falle die Verschmelzung nicht eher
helfen, als bis etwa das fi'eye Steigen jeder Vorstellung
durch sich selbst, seinem Zielpunct so nahe gekommen
ist , dass es langsamer wird als diejenige Bewegung,
■welche von der Hülfe kann bewirkt werden. Ob ein
solches Nachlassen des freyen Steigens, und ein Über-
treffen des letzlern durch die Hülfe möglich sey, muss
nun untersucht werden.
Zu diesem Zwecke sehen wir nach , was heraus-
komme, wenn man beyde Geschwindigkeiten, die des
freyen Steigens und die von der Hülfe bewirkte, ein-
ander gleich setzt ? Dabey wird sich ein Unterschied
für a und b ergeben.
1) Wir haben aus §. 1 für das Steigen von a die
Gleichung
*) Psychologie §. 87.
107
(bmß N
a — a j-— ) dt
oder, da a = b, du = {a — (1 -]- i '«) «) dt, weil für
gleiclie a und h auch a '=■ P seyn muss.
Hieniit verbinden wir die Formel (25) im !?. 22; und
versuchen, ob folgende Gleiclisetzung der Geschwindig-
keiten bestehen könne :
du /IN 1 /^ mci\ /" , ma N
- = a-(l+im)„ = -.(^a-— j.i^a- — -«;.
Nun leuchtet auf den ersten Blick ein , dass wenigstens
der Anfang des Steigens nicht von der Hülfe beginnen
könne. Denn für « r:: o ist da = adt vermöge des
freyen Steigens, während die Hülfe mit der sehr viel
geringeren Geschwindigkeit d {\ — h ni) C \ — J
beginnen würde. Die Frage ist nur, ob das freye
Sieigen, was freylich allmählig nachlassen wird, irgend
einmal so sehr langsam werde, dass ein späterer Werth
von a in die versuchte Gleiclisetzung passe ? Es findet
sich nämlich
a - a (l-im)(l _ ^) = „ . ■ „, . (l + ^^
Also je grösser a, desto grösser müsste « erst im
freyen Steigen geworden seyn, bevor die Hülfe ein-
greifen könnte. Nehmen wir a so klein als möglich,
damit a sich hinreichend erheben möge : so ist doch
mindestens a z:^ d ; das Ganze gleich seinem Theile.
Aber dann kommt « = a (1 — ^m) oder a (1 — \ m).
Diese Höhe kann die Hülfe überall nicht erreiclien. Sie
reicht nur (wie schon im ^^. 22 erinnert) bis d (l — l, m).
Also findet die versuchte Gleichselzung nicht Statt.
2) Wir haben für ß die Gleichung
108
., = (.-, -^^j.
oder für a '=z h ,
d^ = (Ä — (1 + ^ m) ß) dt.
Wir versuchen nun die Gleichsetzung nach Formel (26)
(27) .... demnach
ß r(l + i-m) — - (\—y,n)] = b~"^ (1— 1 m){a—hrna).
Gesetzt nun , es wäre h ■=. (1 -\- ,V m) .{a — \ nia),
so Hesse sich diese Gleichung durch den Coefficienten
a
von ß, nämlich durch 1 -|- ^m (1 — -^m) dividiren;
a
man behielte nur ß =z a — ^tna; dies aber ist gerade
die Höhe, wohin b von a kann gehoben werden. {§'22)
Unter dieser Voraussetzung würde freylich diejenige Ge-
schwindigkeit, welche dem frey steigenden b schon für
sich allein zukommt, von der Hülfe gerade erst in
dem Puncte erreicht, über welchen hinaus die Wir-
kung der Hülfe nicht geht. Aber es sey b kleiner als
(1 -^ ^m) .{a — ^ ma) , so gehört zu einerley ß ein
dß .
schwächeres — im freyen Steigen ohne Hülfe : und
dieser geringeren Geschwindigkeit des freyen Steigens
kann eine Geschwindigkeit der Hülfe gleich kommen,
noch ehe letztere das Ziel erreicht findet, wohin sie zu
heben im Stande ist. Ist sie erst derselben gleich, so
wird sie weiterhin dieselbe übertreffen ; welches die
Rechnung darzuthun hat.
§. 21.
Aus /> zii: rt <[ (1 -j- i m) . (a — k niti) folgt
a — a' > ^ mä ,
109
mithin ^ C~ — 0>*"»
oder ■ "^ a.
2 -\- m
Dies ist die Bedingung der jetzt folgenden Rechnung,
welcher gemäss die Beyspiele zu wählen seyn werden.
Aus den beyden Gleichungen
dß = (b — (1 -f -i m) ß) dt
imd dß =: — (\ — h ni) (« — ^ ma — ß) dt
a
hat man ß=-^^(\ — e- (1 + ^'«)') (A)'
und ß = {a—lma){\ — e « ' )---(B).
(28)
welche beyde Formeln nur für den einzigen Werth von
ß zusammen stimmen sollen , welcher einer gleichen
Geschwindigkeit, oder einem gleichen — angeliört.
dt
Wir betrachten zuerst die Erhebungsgränzen. Statt
26 .2a
— setzen .»'ir ; wegen h nz a. INun soll
2 -f m *> -f m ^
2a , , 2a
~> a seyn. Setzen wir dennoch a zz: .
2 -}- m -^ 2 -f- m
2a
in a — 4 'fia , so giebl dies — — , d. h. die Erhebungs-
2 -j- m
gränzen erscheinen gleich, weil wir die in Formel (B)
zu klein gemacht haben. Also ist der Wahrheit nach
die Erhebungsgränze der Formel (B) höher als die der
Formel (A) ; d. h. die Hülfe hebt höher, als ß für sich
allein würde gestiegen seyn.
Ferner : — ist ein ächter Bruch , und — (1 — | m)
a a
ist kleiner als 1 -|- 4 m. Daher verscliwindet die Ex-
110
ponentialgrösse in der Formel B langsamer, als in der
Formel A; d.h. die Hülfe wirkt aulialtender, als ß für
sich allein würde gestiegen seyn; ihre Geschwindigkeit
lässt weniger nach , als die eigne Geschwindigkeit vo-n
ß, nachdem sie dieselbe einmal erreicht hat.
Demnach : bis derjenige Werth von ß erreicht ist,
dß
welcher nach beyden Formeln dem nämlichen — ange-
dt
hört, steigt ß mit der ihm eignen Geschwindigkeit,
welche bis dahin die grössere ist. Sobald aber dieser
Werth eintrit, folgt nunmehr ß der Hülfe, weil von
jetzt an deren Geschwindigkeit die grössere ist ; und
wird zu der, ihr angehörigen Höhe gehoben.
Zu den beyden Formeln A und B gehören nun noch
die , welche die Zeit bestimmen sollen. Um dieselben
zweckmässig einzurichten, muss die erste mit einer Con-
stante für f=.o und ß-=.o, die andre aber mit einer
Constante für t :== T und ß =: B versehen seyn , derge-
stalt dass man zu dem aus (27) gefundenen ß =. B zu-
vörderst aus der ersten Formel t ziz T bestimme, und
dieses sammt B alsdann in die zweyte Formel setze,
um die fernere Erhebung durch die Hülfe, verfolgen
zu können.
Zu (A) gehört t = -^ . log. j—j.\_, ,. • • • (A) (29)
Zu (B) gehört zunächst
log. Const. — log. (a — ^ma — ß) = — (i — \m)t.
a
Wenn nun / = T für ß = B, so kommt
2a a — h rtia — B .„. . .^^,
T 4- 7^,—- .-7 . log. ; , ^ = / . . . (B)(29)
(2 — m)a a — k rua — ß
111
woraus endlich , wenn (2 — vi) .—- .(t — T) = (j ,
(a — -i ma') (1 — e" 1) + Be- 1 — ß (30).
h' 22.
Noch ein Schritt Ist nölhig, bevor wir zu Beyspielen
füglich übergehen können. Nämlich ß ist als eine Func-
tion von d zu betrachten, und lässt sich als solche
differentiiren. Setzt man alsdann dß z=z o, so findet
man ein Miniinum von ß für
rsn - = 1 4- ^ "^ - V^l "" + 7 "'"^
^ ^ ' ' ' ' a \ - }r m
Natürlich ist hier die Rede von demjenigen ß, bcy
welchem die vorerwähnten Geschwindigkeiten gleich
werden ; und welches aus der Formel (27) gefunden
wird. Also von dem Puncte sprechen wir, bey welchem
das fernere Steigen anfängt von der Hülfe beschleunigt
zu werden , in so fern als die Hülfe schneller wirkt,
als das freye Steigen. Diesen Punct findet man für das
angegebene — niedriger als für jedes grössere oder klei-
a
uere — . Sind also viele h mit verschiedenen a, das
a
heisst, kleinern und grössern Theilen von a verbunden,
so entsteht hier eine bestimmte Ordnung, in welcher
die von a ausgehenden Hülfen auf die verschiedenen h
wirken um ihr Steigen zu fördern. Alan begreift ohne
Zweifel, dass davon die Gestaltung bey frey steigen-
den Vorstellungen abhänsen müsse.
112
Wennmrrrl, so ist aus (31)— z= 3 — ^f'^ =0,35425
a
m = ^ I r=0,4
5 — /"iS
in — ^k = 0,46481
3
m = \ 4 . . . . =0,57143
21 — xTei
^^ - = 0,69419
19
_i
10
§. 23.
Beyspiel. m = ^, am^izr^l, a'::^:^. Aus der
Formel (27) wird ß = ^^. Um so weit aus eigner
Kraft zu steigen , braucltte ß die Zeit == 2,3879 nach
Formel (29, A). Bliebe es nun seinem eignen Steigen
überlassen, so käme es nach Formel (28, A) in der Zeit
= 3 bis zu den Werthe 0,71550. Es steigt aber vermöge
der Hülfe in der Zeit t — T = 3 — 2,3879 = 0,6120,
geschwinder; so dass um die Zeit := 3 , /j? rz: 0,72127
nach Formel (30) geworden ist. Die Erhebungsgränze
der Hülfe ist = 0,85 ; sich selbst überlassen hätte ß
nur die Gränze = 0,727 erreicht.
Z NV e y t e s Beyspiel, z u r Y e r g 1 e i c h u n g mit
dem vorigen. AVie vorhin m r= ^, a =^ h =z l,
aber a = V- Aus (27) ß = 0,7022 ; soweit zu steigen
braucht ß die Zeit = 2,4507. Also T= 2,4507, und
t — T=: 0,5493, wenn, wie vorhin, < = 3. Um diese
Zeit =z 3 wird ß von der Hülfe gehoben bis zu dem
Werlhe = 0,71958, Die Eihebungsgränze der Hülfe ist
zz: 0,8125. Beyde zuletzt gefundenen Wertlie sind ge-
ringer als im vorigen Beyspiele, Die Formel hat a mit
dem negativen Zeichen in dem Factor a — .^ ma. Dass
der Anfangspunct der Einwirkung der Hülfe spater
113
koiiimeii, imd erst bey einem grössern ß zu finden
seyn würde als im vorigen Falle, dies wiissle man vor-
aus; da für a zzz '^ ein IMinimum statt finden sollle.
Drittes Beyspiel, zu vergleichen mit bey-
den vorigen. Wir wollen jetzt a' <1 § nehmen. Es
sey wie vorhin 7«:=|^, a z=i i z:::: 1 , aber a -^z \. Aus
(27) ß =: 0,7000. Dazu die Zeit des Steigeus = 2,4119.
"Wenn nun, wie vorhin, für ^ =: 3 gesucht wird, wie
hoch die Hülfe, die bey dem eben angegebeneu ß ein-
trat, dasselbe heben muss, so ist t — 7" n: 0,5881; vind
um die Zeit = 3 findet mau ß =z 0,72097. Die Erhe-
bungsgränze ist ■=. 0,875.
Es bedarf keiner weitern Beyspiele. Man lasse nur
d abnehmen bis auf 0, so wird in (27) ß{\-\- ijvi)^^h,
. dß
aber für diesen Werth ist — = 0, d.h. die Geschwin-
dt
digkeit hat aufgehört; und in Formel (29, A) wird t
unendlich, d. h. die Zeit kommt nie. Die Erhebungs-
gränze, wenn es eine solche gäbe, wäre ziz a nach (30);
d.h. wenn a sehr klein, nur nicht völlig Null ist,
dann hebt die Hülfe bis zum höchsten Puucte; sie fängt
aber auch immer später an, zu wirken, je kleiner a ist.
Umgekehrt lasse mau a wachsen : so stösst man
2a
nach ^.21. an die Bedingung a <C •; iii unseren
2 -j- m
Beyspielen a <C i\. Bis dahin findet mau die Hülfe
immer mehr verspätet, imd die Erhebungsgränze a — hma
immer abnehmend.
f. 24.
Im ersten und dritten Beyspiele lässt sich, indem
man sie vergleicht, bemerken, dass die Hülfe des a'=^,
Heft II. H
114
später begonnen, jene des a=^ bald einholen und
übertreffen muss. Schon um die Zeit =. 3 ist das Ein-
holen sehr nahe; der Unterschied zwischen 0,72127 und
0,72097 ist gering; die Erhebungsgräuze des kleinen a
liegt aber höher als die des grössern.
Solches Einholen kommt bey den Hülfen durch grössere
a jenseits des Minimums nicht vor; wohl aber bey
denen durch kleinere a', welche durchgehends später
beginnen und höher führen.
Man kann fragen, wie der Zeitpunct des Einholens
zu berechnen seyn möchte? Das Einholen setzt einerley
^ und einerley t voraus , welche durch zwey verschie-
dene Gleichungen, beyde von der Form wie (30), be-
stimmt seyn müssen. Wie oben für die Zeit zrr 3,
nach (30), /5 = 0,72127 aus a' = | und T = 2,3879
gefunden worden, desgleichen aus derselben Formel (30)
ß = 0,72097, aber mit verändertem a'. und T, nämlich
a =z ^ und Tzr: 2,4119, eben so soll für eine noch
unbekannte Zeit, die man suchen wird, aus der Formel
(30), aber mit zweyerley a' und T, einerley ß hervor-
gehn, welches gleichfalls unbekannt ist. Welches nun
auch dies ß seyn möge; die Einerleyheit desselben ist
der Punct, worauf es ankommt. Wir schreiben also:
(a — 4 ma') (1 — e" !?') -j- B'e- 9' ^ ß
r= (a _ I rna") (1 — e" ^") + ß'e- ^"
oder abkürzend, wenn a — ^maz=:A' , und a — ^ma"=:A",
A' (1 — e- -?') -I- JB'e- ?' = A" (1 — e" l") + B"e- ?",
, 2 — m , , ,^ , „ 2 — m ,, , „„^
wo q = .a .{t~T), und o = ,a .{t — T ).
1a 1a
Hier sind q und q" beyde unbekannt, so lauge t noch
gesucht wird.
11')
Für jene Beyspiele hat mau
Ä =z 0,85 ./" == 0,875
in
.1
B' = 0,7 ß" = 0,7009 a — I
« = -r «
5
T' = 2,3879 r" = 2,4119.
Bekannt ist, dass die gesuchte Zeit etwas grösser seyu
nuiss als 3. Es sey t=z3-{-:i , also t — T' = 0,6121 -|- ■x;
t—T"=0,588l-}-cv; ti—0,n30-^^x; (f"= 0,1225 -\-^\x',
daher wird die Gleichung
A' — {A' — B') e- <l' = A" — {A" — B") e" 'j" nun
0,85 — 0,15e-<*''^53-|.v_Qg75_(^j^4j^_0,1225-^.r.
Das ist
— 0,12872 e-i-^' — 0,025 — 0,15403 g-^-^
oder 12872 e~ ^ -^ =z 15403 e~^'' — 2500
oder 2500 e^"^" = 15403 e^-^' — 12872
oder endlich , wenn ^ x ■=. y,
2500 ey = 15403 e^^ — 12872.
Wir lösen die beyden Exponentialgrössen auf bis
zur dritten Potenz; also
2500 [1 -f-y + .Vj2_|. i^.3j
= 15403 [1 + 1 y + ^V y^ 4- töVf /^] - 12872,
daher
404,7 j3 _|. 1036 y2 -- 67^1 ^ _^ 31^
Da vorherzusehn ist, dass / ein kleiner Bruch seyn
muss, so kann diese Gleichung mit vorläufiger Weglas-
sung des höchsten Gliedes wie eine quadratische be-
handelt werden. Demnach
y2 _ 0,06477 y = 0,02992,
woraus / = 0,20836.
Wird dieser Werth in das zuvor weggelassene Glied
gesetzt, so ergiebt sich verbessert y =. 0,19803. Folg-
H2
116
lieh a- r= 0,79212; und die gesuchte Zeit =3,79212.
Dass Jiian die Auflösung der Exponentiälgrössen noch
weiter treiben, und zu grösserer Genauigkeit benutzen
könnte, bedarf kaum einer Erinnerung.
§. 25.
Was hier von der Hülfe des a':rr ^ gezeigt worden,
das gilt nach §. 23 von allen a', welche kleiner sind
als a'rz:^, d.h. kleiner als dasjenige, welches für den
Henimungsgrad m rz: ^ zuerst auf das mit ihm verbun-
dene h erhebend wirkt. Sie alle holen dies b, oder das
wachsende ß wieder ein, obgleich sie spater anfingen.
Ein ähnliches System von Vorstellungen, wie diese
b, welche von a gleichsam entfaltet werden, kann
es nun für jeden andern Hemmungsgrad auch geben; es
giebt also für ein einziges a unendlich viele solche Sy-
steme unendlich vieler b; ohne dass wir noch die anfäng-
liche Beschränkung auf a zzz b zurückgenommen hätten.
Nur um der Betrachtung hierüber noch einige Stütz-
puncte mehr zu geben, suchen wir die kleinsten ß des
f. 22 auch noch für die andern dortigen m.
für m r= 1 und - = 0,35425 ist das kleinste ß = 0,64576
a
m = | 0,4 bekanntlich 0,7
m = i 0,46481 0,76760
m = | 0,57143 0,85714
m = ^ 0,69419 0,93060
Hiebey aber muss man sich die Gränze gegenwärtig
r
erhalten, welche — nicht überschreiten darf (f. 21).
a
^T ,. , ö' 2 '
Nämlich — < •
a ^ 2 4- m'
117
also für m zz: 1
1 ,
a
<l — 0,0666
s
7 5
a'
a
< fr = 0,7272
1
o'
a
< t1t= 0.8
i>
a
a
< f rz 0,8888
tV,
d
< -2 0rr: 0,9524.
Das System von Vorstellungen also, welches in Folge
eines bestimmten Hemmungsgrades von einer einzigen
Vorstellung kann gestattet vs^erden , ist bey grössern
Hemmungsgradeu vorzüglich dadurch beschränkt, dass
der helfende Theil dieser Vorstellung nicht zu gross
darf genommen werden (weil er sonst die Hemmungs-
summe allzusehr vergrössert) ; bey kleinern Hemmuugs-
graden aber beginnt die Hülfe später, und wirkt erst
dann, wann die Vorstellungen schon von selbst ihrer
Erhebungsgräuze nahe kamen.
?. 26.
Um nun das Resultat der Untersuchung noch augen-
fälliger zu macheu, kehren wir in den ^^.23 zurück,
und fügen demselben einige Erhebungsgrauzen bey. Es
sey also wiederum mrz:^ , so sind die Erhebungsgrauzen
folgende :
für a' rr y^
Gränze: 0,7272 0,7 0,775
Dahin kommt
ß von selbst
Anfänge grössere^
der Erliebung:
0,812
0,7022
0,85
0,7
Klein-
stes
0,875 ,0,925
0,7009
grö- -
ssere /5
118
Man bemerke, dass die Erhebungsgranzen gleichsam
eine gerade Linie bilden ; wie natürlich nach der Formel
a — -i ma , wo nur a als veränderlich angenommen
wird. Auch versteht sich von selbst, dass für grössere
ß die Anfänge der Erhebung (nämlich durch die Hülfe)
später kommen ; weil , um bis dahin zu gelangen , h
länger aus eigner Kraft hat steigen müssen.
Wenn m ^= 1 , so findet mau
für a =i
Gränzen : keine
3
ö
0,7
Anfänge: grössere^
0,354 . . l \
0,8 0,822 0,9 I
0,645 grössere ß
Kleinstes
Denkt man sich die gleichen Erhebungen vieler glei-
chen h , wie sie imverbunden , von selbst steigen , als
Annäherungen an eine wagrechte Linie : so erhebt da-
gegen das System der von a ausgehenden Hülfeu sie
alle zu einer schrägen Linie, welche mehr oder weniger
schräg liegt , je nachdem der liemmungsgrad grösser
oder kleiner angenommen wird. Diese Linie macht
gegen jene einen Winkel in dem Puncte , wo die Erhe-
buugsgränze der Hülfen in die der unverbundenen b
hineinfällt. Die nämliche Linie bildet sich aber im
Laufe der Zeit nur allmählig aus. Ihre erste Spur zeigt
sich in dem Puncte des vorerwähnten kleinsten ß-^ von
da erhebt sie sich zu beyden Seiten. Deutlicher möchte
sich das, was die Formeln gelehrt haben, schwerlich in
Worten aussprechen lassen.
Nimmt man noch hinzu, dass die verschiedeneu h
auch unter einander ihre llemmungsgrade haben können;
so wird das eben Beschriebene zwar nicht genau so zur
Ausführung gelangen : dann ist aber dagegen ein B e-
streben im Bewusstseyn, es zu Stande zu bringen,
119
Avelches Bestreben in der Vorstellung a seinen Sitz hat,
sofern man bey der bisherigen Voraussetzung bleibt, die
verschiedenen b seyen unter e i n a n d e r nicht ver-
bunden. Viel mannigfaltiger wird Alles, wenn auch die
b auf einander gegenseitig wirken. Allein auf die Ver-
wickelungen vieler Vorstellungen wollen wir nicht ein-
gehen ; wir kehren zurück zu zweyen.
Zweytes Capitel.
f^on Hülfen bey freysteiy enden yorstelUingen von
ungleicher Stärke.
§• 27.
Es sey immer a die stärkere Vorstellung. Diese
nun kommt entweder mit ihrem Theile a in Verbin-
dung mit b; oder umgekehrt, ein Theil b' von b ist
mit a verbunden. Der Fall, wo nur Theile von beyden
in Verbindung getreten waren , lassen wir unberührt.
In der ersten Voraussetzung aber ist noch etwas zu
unterscheiden. Der Theil a' ist entweder kleiner als b,
oder grösser.
I.
§. 28.
a sey kleiner als b. Wobey hinzugedacht werden
mag, dass etwan das im Sinken begriffene a bis auf den
Theil a aus dem Bewusstseyn verschwunden war, als
b gegeben wurde. Die Hemmungssumme wird nun
=zma', wie oben §.18; wo auch schon die Verschmel-
zungshülfe für b ist angegeben worden, nämlich
a / inb \ / ma a \
l'V- a-fb) • V' ~ H^J-
120
Soll nun für irgend einen Werth von ß die Wir-
kung der Hülfe gleich werden der Geschwindigkeit,
womit h von selbst steigt, so muss seyn
dß a / mb \ / viä a \ / . am \
l=r('-.+i)-0-.-+*-'*)='-0+;^)^'
nach ^^. 20.
[am a' f mh \'
a / mh \ / vm a \ . .
~ h . ( 1 — ).(/,_ -_^ ) . . . (32).
(am \ /' rna a \
1 A 1 ) ' [ f' — — i — )' ^o
a -\- by \ a-\- by
liesse sich durch den Coefficienten von ß dividiren , und
ma' a „ , ,. , dß
man hätte ß z=.b — ■ — — , folglich — = 0. Afso muss
a-\-b dt
h kleiner seyn, d. h.
(a -{- />)^ . b <C. (ö! ~{~ ^ ~}~ '^"O • iP^ -\- bb — ma'a), oder
< /> — a,
mithin ni -<^
und a' <C
a -\- b
{b — a) {a + b)
a a
b (a -j- b)
fl -[- Ä -|- ma
Sey fl rz: 2, b zzz \ , so ist zAivördei'St m <C ; — . o-
a
INIan nehme m = 1 , so ist a' <:;^ ^
m =^ Ir, a <C ^
Sey a rr 5 , b = i , so ist m < ^ . f. Man
nehme
m =-^, a <f^.
1 — «'
ft r= 1 , so ist m <C ;
a
6
m = 1 , so ist a' <C. yV
m = h, a < if
m =iTs, a < f|.
121
Wäre a sehr gross, und könnte man h daneben
vernacldässigen , so näherten sich jene Ausdrücke den
folgenden :
b — a
m <
und a <C
1 -f m
für m r= 1 liieraus a <1 .i
m :=: 4t a <C -j
Dies, verglichen mit §.25, zeigt schon, dass hier alles,
was im voiigen Capitel betrachtet worden, wiederkehrt;
mit der geringen Veränderung, dass für grössere a sich
die Schranken, welche dort gesetzt waren, um etwas
Weniges enger zusammenziehu.
f. 29.
Differenllirt mau dasjenige ß, welches der vorher-
gehende § ergiebt, nach a, so wie im §.22 geschehen
war, so erhält man für dß =z 0 folgenden Ausdruck
für a :
(33) . . . . a
= —.[a^b^am — V {a^b).{2a^b) .m-\-Tn^a%
welcher für a-=.b sich in jenen des §. 22 vei'wandelt.
Hingegen für ein grosses a nähert sich derselbe nach-
stehendem Werthe :
a = b {\ -\- m — yTlm -}- m^)
Es mag nun genügen , einige wenige berechnete
W^erthe anzugeben.
Für a = 5 , /; = 1 , sey zugleich m ■=. \. Das
Minimum von ß, welches alsdann von der Verschmel-
zungshülfe kann erreicht, und zum schnellern Steigen
122
gebracht werden , findet nach der so eben angegebenen
Foi'inel statt für a z=z 0,2921. Das IMinimuni selbst
beträgt ^r^ 0,51313. Dazu gehört die Erhebuugsgränze
0,7565. Setzen wir einen grössern Werth Yon a' , so
muss ^ schon höher steigen, um von der Hülfe weiter
gefördert zu wei'den. Ist a nz: .V ? so gehört d
azu
ß :=■ 0,53432, und die Erhebungsgränze ist niedriger
als vorhin ; nämlich ==. 0,58333. Ein kleineres a' er-
fordert auch ein grösseres ß; aber die Erhebungsgränze
liegt nun höher. Für a' = j\j findet sich ß =■ 0,52778,
aber die Erhebungsgränze ist = 0,91667.
Ahnliches zeigt sich für kleinere m. JMan nehme
wie zuvor a rr 5 , /; rz: 1 , aber m z^: -^. Das kleinste
ß gehört nun für a' = 0,52174. Das Kleinste selbst ist
/?= 0,78261; und hiezu die Erhebungsgränze —0,8913.
Dagegen giebt a' = ^ den Anfang der Beförderung für
/S' = 0,81762. Die Erhebungsgränze =0,8333. Und
a' — jiy giebt ,5 = 0,81452; die Granze = 0,97916.
Die Voraussetzung a' <^ h sciiehit demzufolge wenig
]Manu ig faltig es darzubieten. Wir schreiten fort zur zwey-
ten Voraussetzung.
II.
i^. 30.
Der Theil a sey grösser als b. Hiemit ändert sich
schon die Hemmungssumme, welche jetzt nicht mehr
von a , sondern von h der Grösse nach bestimmt wird,
weil mb <^ ma . Die Verschmelzungshülfe' für b ist daher
1 ^ , mhh N /' mal x
und die Geschwindigkeit der Einhebung, falls diese von
der Verschmelzungshülfe abhängt,
12c
dß 1 /- , nth'^ N /' mah v
11 ~~ ~b ' \ ~ a-\-h) ' \ ~ '^b ~ ^)'
Die Frage ist, ob eine Gescliwindigkeit der Hülfe
für irgend einen Werlh von ß gleich seyn könne der
eignen Geschwindigkeit des Steigens ohne Hülfe ; ob
demnach von dem Puncte dieser Gleichheit an, wie im
Vorigen, ein solcher Wechsel statt finden könne, ver-
möge dessen eine der beyden Geschwindigkeiten von
der andern übertroiren werde? So allgemein fassen
wir die Frage , weil noch unentschieden ist , ob die
Geschwindigkeit des freyen Steigens sich von der Hülfe
übertreffen lasse, oder umgekehrt diese von jener.
Wir setzen demnach wiederum versuchsweise
dß /■a mh "N ^ mah •\ /" . am N
am. /'a mh
(a mh "N /" mah N
i - ^ J 0 - ^ü ■ ■ ■ (3*>
Hier kann man freylich nicht, der Analogie mit den
frühern Fällen nachgehend, schreiben
/' , am \ /' am N
b = (l -] — ) . ( 1 ■ ) . b.
\ ^ a -\- hj \ a -\- hj
r , am /"a mb "\~i
woraus ß \ l -\- — ; ( )
^ L ^ aA-b \b a-\- hJj
^bj ' \ « +
(ii ^m ^ ^
1 ) b :
allein eben darum setzen wir
/" am \ /" mah \ , ö^m^
' = C* + a+J ■ (' - V+d + ^^+l)^ ■ *'
so findet sich in Folge der Division mit dem Coefficien-
ten von ß
mah . a^m'^b
ß :^:z h
L '^ a\b \b a + bJj
124
wobey offenbar das letzte Glied sich mehr zusammen-
zieht, so dass herauskommt
Cam aP'rn^b -i
^ ~ a-{-h ~ Ja -f /;)2.(a'_(l ^ m)h)J
Sollte es Verdacht erregen, dass dieser Ausdruck
sich nicht von selbst auf dem gewöhnlichen Wege des
Caiculs darbietet, so mag es nützlich seyn, denselben
noch durch folgende, freylich viel weitläufigere Rech-
nung zu erweisen.
Mit dem Coefficienten von ß dividirend haben wir
unmittelbar
Ä _ r^ _ -^^-^^ (b - -^^^^
\b a-{- by \ a -\- bj
p = , oder
1 4- m
~ h
(a -}- b)H — [ja -}- //) a' — mh'^] .{a-\-b— am)
^' (a -f Ä)2 . {b — a -\- mb) *
Der Zähler hievou wird sich in fünf Glieder entwickeln.
Bevor wir sie hersetzen, ist anzuzeigen, dass wir erst-
lich die Grösse (a -j- b) mab addirend und subtrahirend
beyfügen werden; zweytens desgleichen noch atn{a-j-byyib
addiren und subtrahiren ; endlich, drittens das addirte
am (a -\- b) mb auflösen werden in a^m'^b und in am'^b'^.
Jetzt schreiben wir die Glieder, worin sich der
Zähler entwickelt, in einer verticalen Reihe unter ein-
ander, und bemerken das Beyzufügende.
(a + bfb
— (a 4- bfa
-j- (a -|" '0 ^' • ^"* — (^ ~h ^) ^<^^ — ^"^ (^ \' ^'^ "'^
-f- (a + Z/) m/y2 + (a -f //) mab = mb (a -f- b)^
— amH^ -}- am%'^ = 0
+ a'^mH.
125
Man fasse die Glieder zusammen, ^\elclle {a-\-lj)'^ ent-
halten, desgleichen die, welche am {a -\- h) enthalten,
so ergiebt sich der obige Ausdruck für ß; nämlich
r am a^m% ~]
P-^'\}--^l-{a^l,Y.{a-{\^m)h)y''^^^^'
Hier leuchtet sogleich ein, dass ß kleinei' als h seyn
muss ; aber auch
a^vT^'h
1 > -7-7 +
indem ß nicht negativ seyn kann. Ferner ist a' grösser
zu nehmen nicht bloss als b, sondern auch, wie aus
dem Vorigen unmittelbar folgt,
^ h (1 + '«)^' < « (36).
{a -Y bf — (a + b)am ^ "^ ^ ^ ^ ^ J
Überdies ist a höchstens =. a. Dies vorausgesetzt, so
folgt eine Bestimmung für m. Nämlich
a^m^b
{a -\- bf — (a 4- b)am
wird
+ (1 4- m)b == a
(a+Ä).(a2 + Ä2) («_Ä).(« + i)_2^^^^^^^^
a&2 ab"^
Wo sogleich klar ist, dass man nicht a'=.b setzen darf,
(was ohnehin gegen die jetzige Voraussetzung wäre,)
weil sonst m > 1 würde , oder vielmehr = 0 , indem
man das negative Zeichen vor der Wurzelgrösse wird
nehmen müssen. Allein bey der Auflösung der Gleichung
zeigt sich auch, dass für grosse a wiederum m sich der
Null nähert. Es mag genügen, hier einige obenhin be-
rechnete Werthe von m anzugeben, welche den Gang
dieser Grosse hinreichend bezeichnen.
126
für Ij =z l , « = 2 , isi m z= 0,65 liöchslens.
ß rz: 3 /n rr 0,85 —
a = 4 m = 0,925 —
o =: 5 m = 0,951 —
ß = 10 m = 0,99 —
Grössere Genauigkeit ist hier nicht nöthig, weil man
a' nicht völlig n: a nehmen wird.
§. 31.
Es wird sich nun lejcht darthun lassen, dass in vie-
len Fällen nicht bloss ein Wertli von ß statt findet,
welchem gleiche Geschwindigkeit der Hülfe und des
eignen freyen Steigens angehört , sondern dass aucli,
gerade entgegen den bisher betrachteten Fallen, alsdann
die Geschwindigkeit gleich Anfangs von der Hülfe be-
stimmt wird ; daher der so eben erwähnte Wertli von
ß hier zu erkennen giebt, dass mit ihm die Hülfe
nicht erst anfängt, sondern schon aufhört, das
weitere Steigen zu bestimmen ^ welches von diesem
Puncte an sich selbst überlassen bleibt.
Für den Anfang, also für ßz=0, ist die Geschwin-
digkeit des freyen Steigens — =■ h. Die der Hülfe
dt
dagegen ist nach §. 30
dß /'a mb N /" ma N
It ~ \J ~ a-{-bJ \ ~~ a-{- bj *
Man setze sie gleich, also
(a mb N /" ma \
T ~ a -\- bj V ~ a-flj ~ *'
Nun ist im vorigen § gefunden , a sey grösser als
(1 -{- my». Also — >> 1 -|- wj. Demnach sey — := 1 -|- mx,
127
iiiul man sclireibe mm
1 + mx -— ) . ( 1 — ■ 1 = 1,
daher x = ^ — (38).
Wäre dies der Werth von x in der Bestimmung
r
1 -j- mx = — , so hätte im Anfange die Hülfe gerade
die Geschwindigkeit des freyen Steigens. Nimmt man
X grösser, und demzufolge auch a' grösser, so ist gleich
Anfangs die Hülfe geschwinder j also lässt sich die Vor-
stellung b dann gefallen , eine Zeitlang von a empor
getragen zu werden ; und dies dauert bis zu dem Werthe
von ß, welchen die Formel (35) anzeigt.
Die Formel (38) ist wesentlich die nämliche wie
jene (36), nur etwas transformirt imd auf einem andern
Wege der Betrachtung gefunden, wodurch die Sache
klärer wird.
Aus §. 30 hat man nun ferner
dß /a mb \ / mab
mb
/a mb \ / mab \
, =: ( , - ) ib — r — ß), und hieraus
dt \b a-\-b/ \ a-\-b ' /
^^n^ 1 h{a^b) , hb-\-ab(^i—m)
(40) und i = -ri — ^-^^ — - — log ^^ <■
^ ^ a{a-\-b) — mbb ^ bb-\-ab{l—m) — ß{a-\-b)
Hat aber nach (39) ß den Werth erreicht, welchen
(35) anzeigt, so sey dieser Werth =B, für eine Zeit
= T: man setze beyde in das Integral von
äfi = iö-(i + ^^-) fi) *
= (6 — kß) dt wenn 1 -{ — = k,
a -f- b
128
so erhält man für den Fortgang des nunmelir freyen
Stelgens
(41) ^ r3 - (1 - e^ (^ - ')) + Be^ (^ " ')
ri
^. 32.
Beysj)iel. a=z:5, h z=.\. Hier müssen wir uns
zuerst nach der Begränzung von m umsehu. Es darf
nach f. 30 nicht rz: 1 gesetzt werden, sonderen <1 0,951.
Demnach sey m =z 0,9. Um nunmehr vor einer un-
passenden Wahl von a' gesichert zu seyn , wenden wir
uns au die Formel (38). Das dortige x wird hier
36 ~ 4,5 31,5 , , , . , n . , . .
=. ■ ; daher a "> 4,15: alsdann ist gleich
36 — 27 9 ' ^ ^ •> ö
im Anfange das Steigen nicht frey, sondern empfängt
eine grössere Geschwindigkeit durch die Hülfe. (Für
eben dieses a kann man sich auch der Formel (36)
bedienen, welche mit jener gleichgeltend ist.) Es sey
nun a rr 4,5. Jetzt muss die Formel (35) den Werth
von ß angeben , bey welchem die Geschwindigkeiten
gleich werden. Er ist := 0,10864.
Fragt man nach der Anfangs - Geschwindigkeit des
Steigens: so hat man für ßzzLQ\
— = { ) ( b =z ) hier = 1,0875.
dt \b a + bJ \ a^bJ
Das heisst, die Anfangs -Geschwindigkeit vermöge
der Hülfe ist 1,0876 mal so gross als sie durch freyes
Steigen gewesen wäre, denn für letzteres hätte man
hier ^ = & nr 1.
dt
Nun nimmt die Geschwindigkeit schnell ab ; wie
die Exponeutialgrösse in (39) anzeigt, deren Exponent
129
m 4,3') ist; und es lohnt nicht, für dieses Beysplel die
kurze Zeit zu berechnen, bis ß = 0,10864 wird, von
wo das freye Steigen beginnt. Docli ist ß zu diesem
"VYerthe etwas früher gelangt, als durch freyes Steigen
geschelm wäre; und dies Verfrühen trifft alle Zeit-
inincte für die AVerthe, die es nach einander erlangt.
Absichtlich haben wir ein Beyspiel gewählt, bey
welchem die Hülfe nur wenig Einiluss auf das Steigen
hat; nämlich um bemerklich zu machen, wie sehr ein
grosser Hemmungsgrad diesen Einfluss vermindert. Denn
indem m n: 0,9 angenommen war, blieb für a' nur
eine Wahl zwischen den Gränzen 4,15 und 5; auch
konnte die Foi^mel (35) nur ein geringes ß anzeigen.
Zweytes Beyspiel. a = 5 , b = 1 , m = ^.
Die Gränze für a ist z= 1,3048. Jetzt lässt sich eine
Reihe von Werthen für a annehmen, nebst zugehörigen
Anfangsgeschwindigkeiten ; desgleichen den Werthen von
/?, bey welchen die Hülfe dem freyen Steigen Platz
macht; und den Zeitpuncten bis zur Erreichung dieser
Werlhe. So ergiebt sich folgende Zusammenstellung:
Anfangsge-
Aufhören
Zeit des
schwindigkeit.
der
Hülfe.
Aufhörens.
1,4
dß
dt
= 1,0753
bey^:
= 0,50231
t = 0,74097
1,5
1,1545
0,61805
1,0405
2
1,5503
0,73379
1,3357
3
2,3420
0,76686
1,1706
4
3,1337
0,77588
0,98908
Am auffallendsten ist hier das Zu- und Abnehmen
der Zeit. Indessen sieht mau aus (40) wie dies zu-
sammen hängt. Ändert sich a' wenig, ß mehr, so
Heft II. I
130
■wJicbst / Hill tlen Logarillinien in jener Foiniel; ändert
sicli ß \Yenig, und a mehr, so nimmt der Coefficient
des Logarillinien ab, indem a zunimmt. Starke Hülfen
Avirkeu nicht lauge; aber sie bringen die Vorstellungen
viel früher auf die Standpuncte, welche bey freyem
Steigen später wären erreicht worden.
^. 33.
Im §.30 haben wir gefunden, a sey grösser als
(1 -f- vi)h-) während sich doch recht gut Fälle denken
lassen, iu welchen zwar die Bedingung a ~^ h erfüllt,
aber zugleich a <^{\ •\- in)h seyu würde. Es ist nun
leicht einzusehen, dass diese Fälle aus der jetzigen Un-
tersuchung ausgeschlossen sind, indem sie gar keinen
Eiulluss der Hülfe herbeyführen, sondern das freye Stei-
gen ganz imgeändert lassen. Durch eine grössere An-
fangsgeschwindigkeit kann es iu Folge der gefundenen
Gräuzbestimmung nicht verändert werden; aber auch
nicht später, nachdem das freye Steigen schon im Gange
ist, kann die Hülfe eingreifen. Denn wir wissen aus
§.29, dass solches Eingreifen nur möglich ist, wenn a
um eine bestimmte Grösse kleiner ist als h. Zwischen
den Fällen, die wir beobachtet haben, in welchen die
Hülfe entweder Anfangs oder später die Geschwindigkeit
bestimmt, liegt der mittlere Fall, dass im freyen Steigen
nichts verändert wird; und zwar dergestalt, dass die
Sphäre dieses mittleren Falles gleichsam zu beyden Sei-
ten iu der Nähe der Voraussetzung a' ziz h eine ge-
wisse Breite hat. So klar nun dies aus dem Vorigen
schon ist, so kann man doch sehr leicht den Frage-
punct, w euu es ein solcher wäre, der Rechnung unter-
werfen.
131
Die Formel (35), nämlich
r am o^mH "1
^^^•L^~HPi~(a + Ä)2.(a'-(l+m).6)J
kann für a' << (1 -|- m)i auch füglich so geschrieben
werden :
Cam a^m^b -|
^ " a-\-b "^ (« f /O^ • [(^ + "0 ^ — «']-!*
Nun darf zwar ß nicht negativ, und auch nicht grösser
als h seyn. Man könnte aber als Gränze den Fall so
stellen , dass gerade ß '=.1 wäre , mithin
am a'^m'^b
a-\-h (a 4- bf .{(1 -I- vi) b — a']
amb
a =: (1 -{- m) Ä j z=: b -\-
, oder
und
a -\- b a -\- b
Setzt man diesen, oder einen kleinern Werth (denn
grösser darf er nicht seyn, damit nicht ß 'P' b) in
dß /"«' mb N •* ma 'S
dt ^ \b ~' a-\-b) \ ~~ a-\-bJ * '
. ^ dß ^ / ma \
so wird -^ ^ ( 1 ; — ) . b <C b,
dt = \ a-\-b/
also kann davon die Anfangsgeschwindigkeit nicht be-
stimmt werden; und setzt man denselben Werth in
mab
(39), so findet mau dort die Erhebuugsgränze b — -,
a-\-b
welche niedriger liegt als dasjenige ß, welches sollte
erhoben werden. Mithin kann wxder Anfangs noch
später, als ob die Geschwindigkeiten gleich geworden
wären, die Hülfe wirksam eintreten.
12
132
in.
§. 34.
Ein Tlieil // von h sey in Verbindung mit a. Bevor
ilie Verbindung sich ausbildete, inussle die Heuimungs-
sunnne mh' \erllieill werden ; von h' -wurde gehemmt
"'"^' ,,-,11, .' "'"^'' T X-
— j — ; es blieb clor liest rr ^ j — ; tue Vcrschniel-
ti-\- b a-\- h
zungshülfe für h wurde
b \ a+ bJ \ a -Y f>^
die Frage ist jetzt, ob
seyn könne? so dass
(a mb *\ /" , mab x
T ~ ^'/J*V " a -}- bj'
IMan bemerkt leicht, dass im vorliegenden Falle ß nicht
■Nveit zu steigen habe, wofern dies auf die Hülfe an-
kommt. Denn a soll grösser seyn als b; b wiederum
grösser als sein Thcil // ; wird nun /j von der Hülfe
mab
abhängig, so fände es seine Gränze bey b — ,
a -j- b
wenn es nicht zum freyen Steigen übergehn könnte.
Indessen wird doch lür ein grosses a die Hülfe be-
trächtlich; dann ist zu vermuthen, dass sie gleich An-
fangs wirksam seyn werde. "NYir untersuchen daher zu-
vörderst die Bestinnnungeu, welche bey der Anfangs-
^esch^^ilHliakeit vorkonuneji können.
133
b'uv li z::z i) haben wir
(a ml/ \ /" , wafj \
j ~ 7+1,) V - ,7+t; ' "''"■
Ä __ /"a nib' N z'// rnb' N
a \fj " "j- ^'^ V a a -\- bj
Da CS auf die Bestimmung von m und b' ankominl,
und eine kleine Grösse seyn kann, so setzen vvir
a -\- b
vib
zu. x 5 und
a -]- b t
'ab ■* \ ö/y /ab
^voraus r
Die Wurzelgrösse verträgt liier nur das negative
2 I 17'
Zeichen. Denn o; ist ein achter Bruch ; .V . —
ab
aber ist ^ .U Nun darf aber x auch nicht negativ seyn;
«2 I IjII
also muss die \^'urzelgrösse kleiner seyn als ^^ . }
ab
. . b b'
mithin — <<[ — Hat man diese Bedingung in der An-
a b
nähme von // neben a und b eriiillt , so ist das dazu
, .. . '-^ {a -I- /.)
i!elioi!i;c 7// z::: .
Hiebcy kann noch erinnert werden, dass x?- in man-
chen Fällen klein genug seyn mag um vernachhässigt zu
werden; dann hat man näherungsweise, oder zur vor-
, . • . ai: — b"^
läuhiien Lbersicht, x n^ .
"" ' «2 _|. /,/,'
Dies Alles unter der V'oraiisselzung /? =r 0 . d. h.
%venn die gesuchte Gleichheit der Geschwindiiilsciten ia
134
mb'
den Anfang des Steigens fällt. Ist aber x z^
a -\- b
kleiner als nach diesen Angaben, so Ist die Geschwin-
digkeit der Hülfe gleich Anfangs die grössere, und ß
folgt zunächst der Formel
WO/U gehört
(aA-h)b , hb' ^ ab' (l —■ m) , ^
•«2-[-/;(a— 7«Ä') ^ bb'-^ab\l—Tn)—ß{a-\-b)
f. 35.
Zur weltern Auseinandersetzung wird es dienen,
1
"wenn wir b z= 1 nehmend der Foderung — <I ^' nach-
a
gehen , und für eine Reihe von a einen der kleinsten
und einen der grössten Werlhe von b' wählen, um
dafür X und hiemit m zu bestimmen. Da wir uns aer
Kürze wegen hiebey der Formel xz=- — — , bedienen
a^ -\- b
wollen, so ist noch in Ansehung der Correctur, die
man vermissen könnte, etwas zu erinnern.
Aus — = (— — xj f xj folgt nämlich
2 «2 _|_ /,// _ ^2 _ fjl^'
ab ab
Gesetzt nun, man habe einen Werlh von x gcfimden,
welcher der Wahrheit nahe konunend zugleich ein kleiner
ächter Bruch ist, so wird man diesen quadrirt für x"^
setzen, und, wenn wir ihn mit ti bezeichnen, folgender-
maassen weiter rechnen:
135
ä2 ._ ah' «2 _j_ i,f;
«^ r= x . -— ,
ab ab
li^ . ah ah — ä^
daher - , + , = x,
a-^ -f- hh a^ -{- üb
au^ ^ ah' — 1 ., , ^ ^^^
oder -- — j y -4 — j =: x weil 6 rr 1. Weiiu
a-^ -\- h a^ -\- h
nun h' ein geringer Bruch ist, so beträgt die Correctur
nicht völlig — ; und lasst sich hiemit schätzen , auch
a
w^un man sie nicht berechnen will.
Folgende Zusammenstellung mag nun die llbersicht
gewähren, deren die fernere Betrachtung bedarf. Bey
den drey grössern Werthen von h' für a=:2, 3, 5, ist
die Lorrectur benutzt worden.
«2 _(- h'
, lA'rr:0,6 wirdrrrr^ daher m = A
iur az=:2 und <
\h'=:0
9 0,1741 0,5805
(// — 0
für a r= 3 und
\Z*'^0,9 0,1806 0,8028
h=()ß 0,1386 0,9244
-./. 1 K'— ^'^ • -weniger als ^i^ ly^
furö=ilOund< , ,^ ,, ^ „^
1 _ 5 5
1
0,08
^. 36.
Es ist nun leicht, passende Beyspiele zu wählen.
Für a — 2., h =z 1 , sey h'=:z 0,7; m z=i ^. Man findet
die Anfangsgeschwindigkeit, welche von der Hülfe her-
rührt, = 1,3607; dasjenige f>\ worin die Geschwindig-
keiten gleich werden, so dass die Fortsetzung des Steigens
von i selbst abhängt, m 0,4398.
Für azzzS, t rz= 1 , sey // =: 0,7; m == 4. Die An-
fangsgeschwindigkeit ist grösser, nämlich =; 1,7642.
136
Hingegen das vorerwähnle /?rrr 0,42105 ist sogar kleiner.
Die Exponentialgrösse in (43) verschwindet hier schneller.
Etwas vollständiger wollen wir die Voraussetzung
a =: 5 , b ^^ 1 , m=::z-^, durchführen. Es sey nun
Aufangsge- Aufhören Zeit des
schwindigkeit. der Hülfe. Aufliöi'eus.
^'^
//=:0,3; ^ = 1,1845 für /5 = 0,04882 / = 0,04613
(it
1/ =2 0,5 ;
1,9709
0,25747
0,2111
b' ~ 0,7 ;
2,7547
0,46G37
0,37064
b' — 0;9 ;
3;5358 '
0,67540
0,59601
Dritter Abschnitt.
fon steigenden Couiplexionen.
f. 37.
Bey Complexionen , deren Wesen, wenn sie voll-
kommen sind, darin besteht, dass die verbundenen Vor-
stellungen stets in gleichem Zustande der Spannung scyn
müssen , liegt es schon in diesem Begrill'e , dass jede
Hemnumg sich unter den verbundenen gleichmässig ver-
1 heilt. Ist hier der Hemmungsgrad zwischen a und b
grösser als zwischen den mit ihnen complicirten a und
ß, so überträgt sich die stärkere Hemmung des ersten
Paars auf das letztere ; und es kann das paradoxe Re-
sultat herauskommen , dass von einer starken Com-
plexion ein weit grösseres Quantum gehemmt wird, als
von einer schwachen, weil inngekehrt von einer schwa-
chen Vorstellung weniger gehemmt wird als von einer
starken. Davon ist am gehörigen Orte '"'') ein Beyspiel
gegeben, welches eine nähereBeleuchlung veranlassen kann.
*) Psychologie §. öd.
137
Die ^ orslelluDg eines Farbiglen sey r:=3, die eines
anelcrii Farbiglen = 1. Wenn diese beyden aliein unter
sicli in Hemmung traten , so würde für den Ilcmmungs-
grad := 1 , die llemniungssumnie z=z 1 sicli so verllieüeii,
dass ein Viertel \ün 3, und drey Viertel von 1 zu
liemmen wären. Der hieraus entspringende gewaltsame
Zustand, oder die Spannung, wäre nun in der scliwä-
cliern Vorstellung neunmal so gross als in der stärkern;
weil die dreyfacli scliwädiere dreymal soviel verliert.
Dies kann verhindert werden, wenn eine dritte Vor-
stellung mit jener schwachem coniplicirt ist; denn als-
dann überträgt sich das Leiden der schwachem auf die
dritte; wie stark aber auch die dritte seyn möge, sie
wird ganz in dies Leiden hereingezogen, und ihre Wirk-
samkeit besteht alsdann nicht bloss darin, der Hemmung
jener schwachem eine Gränze zu setzen , sondern sie
strebt auch, ihr eignes Gehemmtes wieder ins Bewusst-
scyn zu bringen. Im Beyspiel ist angenommen, die
dritte sey =11, eine Gefühlsvorstellung; während noch
eine vierte z=. 1 , ein Klang , mit jener m 3 coniplicirt
sey. Zwischen einem Gefühl (etwa eines Stosses oder
der Wärme) und einem Klange ist kein Gegensatz; und
diese beyden können nur mittelbar, durch die Farben,
in Gegenwirkung treten. Hiebey ist ein offenbarer Nach-
llieil für die Vorstellung irz 11, da sie nur durch die
schwache rz: 1 mit den andern in Verbindung gesetzt
wird. Wäre statt dieser schwachen :zr 1 vielmehr eine
zz: 2 vorhanden, so würde die =z 11 jener nz 3 besser
entgegeuNvirken können. Dies übersieht man ohne Rech-
nung; wir wollen aber jetzt die Grössen allgemein be-
zeichnen. Statt des obigen 3 und 1 setzen wir a und
h-, statt 11 nun /^ ; jenes 1, welches nüt 3 coniplicirt
138
ist, lieisse a. Die Hemniuiigssuinme sey z= S. Diese
vertheilt zwischen a und b siebt die Theile und
• — — ; und daran kann die Coniplication nichts ändern,
a -f- b
weil ci und ß nur dem Druck unterworfen sind, der
ihnen mitgetheilt wird, und nur in dem IVIaasse wirk-
sam seyn können, als sie von diesem Drucke getroffen
werden. Je grösser nun ^, um desto weniger gerath
es durch einen Druck von einmal gegebener Grösse in
Spannung; man darf also nicht erwarten, dass es be-
sonders stark zurückwirken werde. Vielmehr, die Hem-
mung j — zerfällt in zwey Theile nach dem Verhält-
a -\- b
nisse der complicirten b und /?; eben so die Hemmung
in zwey Theile nach dem Verhältnisse der com-
a-}-b ^
plicirten a und « ; die vier Theile sind :
abS . baS
für a, ; — . für b,
(a +/.)(«-{-«) {^a-^b){b^^)
übS ßaS
'"' "' {a + ,,)(a + .) f" ^' la+lW+ß)
woraus man die Spannung einer jeden Vorstellung so-
gleich findet, indem man ihr Gehemmtes durch ihre
eigne Grösse dividirt. Das Verhallniss der Spannungen
b a / I z \ / I \
von a und b ist nun : — ; — -:=: b{b-\- /yj : a[a-\- a),
a-\- a b-j- p
im obigen Zahlenbeyspiele demnach wie 1:1, während
es ohne Coniplication, also für ^ z= 0, a = 0, seyn
würde wie b'^ : a^; in jenen Zahlen wie 1 : 9. Das
Gehejnmte von b in Zahlen ist nur y^jj anstatt ohne
Complicalion |z:;:z };^. Der Erfolg der Coniplication ist
139
also für das schwache i rr 1 sehr bedeutend ; aber er
■wird damit erkauft, dass von ^=11 das Gehemmte
nicht weniger als ^^r beträgt; und dass diese stärkste
Vorstellung gleich stark wie das schwache a in Span-
nung geräth. Nähme man /? noch grösser, so würde
zwar seine Spannung geringer, aber sein Antheil an der
Hemmung würde wachsen.
Wir haben hier den äussersten Fall der Verschie-
denheit beyder Hemmungsgrade (p =z 1 , n =-0) ange-
nommen ; andere Fälle mag man danach schätzen.
Ferner ist das Zahlenbeyspiel so gewählt, dass es
den Nachtheil zeige, worin sich ß wegen des geringen
b (ähnlich einem Gewicht an einem kurzen Hebel-Arme)
befindet. Wäre Ijz=2, die andern Zahlen wie vorhin,
so ergäbe sich das Verhältniss der Spannungen wie
20 : 12 = 13 : 6.
In solchen Fällen, wie der vorliegende, hat man
zwar keine Hoffnung, das Resultat der Rechnung pünkt-
lich mit Erfahrungen vergleichen zu können. Fragt man
sich aber, woher die so häufig bemerkbare Empfindlich-
keit in Kleinigkeiten kommen möge, z. B. die Empfind-
lichkeit gegen Sprachfehler, verzogene Mienen, geringe
Abänderungen der gewohnten Kleidung u. dgl.; so sieht
man sogleich, dass an sich das Scliwache nicht Grund
einer starken Empfindung ist, sondern dass es auf die
Gewohnheit, d. h. auf die Complication starker mit
schwachen Vorstellungen ankommt. Hiebey ist zu über-
legen, in welchem Zustande sich das obige b befinden
muss. Wiewohl sein Gehemmtes im Beyspiele nur yL
beträgt — den zwölften Theil dessen, was es ohne die
Hülfe der Complication betragen würde , — so ist es
doch darum nicht befreyl von dem Drucke des stärke-
140
reu n, soiuleru dieser Druck ^A'J"rcl nur aufgeliobeu, iu-
dem durch b liindurch wirkeud das noch stärkere ^i
sich dem Siiikcu des ö entgegensetzt; dalier b gei-ade
in wiefern es nicht sinken kann , sondern im Bewussl-
seyu gehalten wird, von beyden Seiten Gewalt leidet;
und dies ist die, sich von selbst darbietende Erklärung
jener Empfuidlichkeit, deren Sitz gerade dann schwache
Vorslellungen sind, wann sie mit starken in angewohn-
ter Verbindung stehen. Doch darüber ist schon ander-
wärts gesprochen worden.
§• 38.
Nach diesen Vorerinnerungen mag nun die Beli'acli-
lung zweyer zugleich steigender Complexionen folgen.
Hier bietet sich gleich eine Verschiedenheit dar, welche
auf die Rechnung Einlluss hat. Die Hemmungssumme
für die Complexionen a-\-a und b-\- /S richtet sich nach
den Hemmungsgraden p zwischen a und b, und n zwi-
schen ci und ^. Ist a>Z/, so braucht zwischen bey-
den nur pb gehemmt zu werden. Ist a'^ ß, so ist hier
•aß zu hemmen; allein während a'^b, kann a<Cß seyn ;
alsdann ist für dieses Paar na zu hemmen; daher wird
die ganze Summe, die sich aus den beyden Paaren er-
gibt, entweder pb-\--nß oder p b -\- n a. Alan denke
sich etwa ein paar Gegenstände, die zugleich dem Ge-
sicht und dem Gehör, oder dem Gesicht und dem Ge-
ruch oder Geschmack ihre IMerkmale liefern — wie
Rose und Eilie, Nelke und Tuberose, "Wasser und Wein;
jeder solthe Gegenstand ist für uns eine Complexion sei-
ner jMerkmale ; aber es gibt zwischen solchen eine mehr-
fache Hemnuiug, indem ein paar Merkmale fürs Gesicht,
ein anderes Paar für einen andern Sinn einen Gegen-
141
salz bilden. Nennen wir ') die ganzen Coniplcxionen
«-|-fi;=:y/, und h -\- ß z=. B , ihre im Verlauf der Zeil
/ hervorgelrelcnen Theile yf und li' , die bereits vor-
haudeue Heniniungssumme S' , die Hemmungs-Coefficieu-
ten, welche das Verhälluiss der Hemmung anzeigen, n
und n": so strebt im Zeittheilchen dt, yl — A und
B — B' liervorzutrcten, zugleich aber sinken n S' dt
und n' S' d t ; also allgemein :
dÄ = [A — A' — n S'] dt
dB' z= [B — B' — n"S'] dt
Die Rechnung erfodert nun, dass mau für S' seinen
Werth setze; das Gleiche kann geschelm für A' und B'.
Also entNveder
1) da-\- du'— [A — {a-\- «') — n {j>h' ^ nß')] dt
db'^ dß'=^ [B — {b'-\- ß') — n'iph'-^. 7xß')] dt
oder 2) da'-\- du'=^ [A — (a'-|- u) — n {pb'-{- na')] dt
db'-\- dß'— [B — (Ä'+ ß') — n"{pb'-\- na)\ dt
Im ersten Falle ist die Gleichung für db'-\-dß' eine
Summe zweyer Gleichungen, nämlich
dU = [b — V — n'pb'] dt, und
dß' =: [ß — ß' — n" iiß'~\ dt, AYOraus
h = 7-7—77- . i (1 — e )
1 -f- n p
/5 = ,-^-77- ./^(l -- ^
Hieraus würde sich B= ^ ~\~ ß' ergeben , wenn die
Theile der Ilemmungssumme abgesondert wirkten, und
keine andre Bedingung zu erfüllen wäre. Allein nach
der Natur der Complexionen soll ein Theil nur in so
fern steigen als der andre in gleichem Verhältniss fol-
gen kann. Es sollen also die veränderlichen b' und ß'
») Psychologie §. 58—60.
142
immer das ursprüngliche Verhältuiss b : ß beybehalten ;
mithin h' : (// ^ ß') = b : {b ^ ß) oder b' : B' = h '. B;
ein constantes Vei'hältniss; eben so ß''.{J)'-\-ß'^z=zß'.{b-\-ß\
oder ß':B' = ß:B', auch pb' : nß' :=. ph mß; und wenn
pb' =: // B', desgleichen nß' = h"B', so ist auch // : //'
= ph : ^ß , ein constantes und gegebenes Verhältniss.
Nun sey h = h -\- 7i' = ^ ^ = , so
^ ^ B ^ B b -\- ß
kann man statt pb' -]- nß' setzen hB', und aus
dB' = {B — B' — n'hB') dt wird
1 + n h ^
Der Unterschied gegen die vorige Rechnung ist klar
genug. Denn h ist weder ^:z p noch r^ n, sondern .ent-
hält einen Bruchtheil von beyden, daher kann weder
die Expouential-Grösse genau so verschwinden, noch die
Erhebungsgränze die gleiche seyn wie oben.
Der gefundene Werth von B' , und hiermit von hB' ,
ist nun anstatt pb' -\- nß' in die Gleichung für dA' zu
setzen.
dÄz:=.lA-Ä— -,--"- . 5 (1 - e ' ^ 'm
also
-f-n nj (\-fnh)n h
Die Erhebungsgräuzen sind
für B, —.
, /, n'hB \^^ -^ , n'hB 1- "^ -(l+:r"A)^
^K^-1 JT^Y^-' ^^7Tr-^^' —i^'-' )
\ 1 4-71 h/ {14-n h) n h
1 + n"h
für A, A — — ■ -—
' 1 -f yi h
n
Deren Summe, A -\ tt (1 — Ti'h) abgezogen von
i -\- n h
143
J4-B lässt i^ ( 1 — ) — i~ =z --
^ V l-\-n'hy l-j-n'/t l-^n"h
weil die lleinnuings-Coefficienten n" und n' zusanunen
der Einheit gleich sind. Die zuletzt hervorgetretene
Hemmungssuuime ist ebenfalls j^— wie gehörig,
1 -{- n h
weil sie mit dem noch übrigen Streben der Vorstellun-
gen im Gleichgewichte stehen muss, wie mehrmals er-
innert worden.
Die Hemmungs-Coefficienten sind bekanntlich (wie
r^ ■ \ ' hp -{- ßn -
a. a. 0. gezeigt), n = f , j. , ^ . >?^ "°^
,, ap -\- an
n ^^ .
(a -\- h) p -\~ {a -\- ß) n
Zu dem jetzt berechneten ersten Falle gehören un-
ter andern die ähnlichen Complexionen, für welche
a : n = b : ß, oder a : b =. a : ß , denn wenn hier
b kleiner als a, so ist auch ß kleiner als a, daher dann
durch b und ß die Hemmungssumme bestimmt wird.
"Wir gehen über zum zweyten Falle, wo a <i ß,
daher die Hemmungssumme -^z pb -\- na. Hier setze
man, wie zuvor, pb' z:^ kB', und diesem ähnlich, na'
= iA' , so kommt
dA' =z [A — A' — n (JiB' -{- iA')'] dt
dB' = [B — B' — n" (//ß' + iA')] dt
oder
dA' -\- A' {\ + n'i) dt = {A — nliB') dt
dB' 4- JB' (1 -{- n"h) dt = {B — n"iÄ) dt
Die erste Gleichung multiplicirt mit &, und zur zwey-
ten addirt, giebt
= {B-\-d-A) dt
144
Man selze B 4- dA = zz=zB A ;, . / . A
also d^ = 7-|^'/-T^ '7 o.
ni — n"h 1/ fni — ^'''"N^ i^ ^'"'
~" 2yi7i ~ \~1 n'h ) •" ^
f. r'7 '. I "i
ni — nh ni -j- n n
— -I— . !
2nh 2 n'h
tt
das lielsst, d- ist entweder = — oder rr -
h n
Wenn ferner dz -{- Fzdt = Cdt , woraus
so Ist hier Cz^B-\-&A, und F:=:\-\-n"h-\-nhd',
also wegen des doppelten Werths von ^9- kommt ein
zwiefaches z, nämlich
. ST . ^i B — n A _/
z=B r^= -, (1 — e )
Jetzt sey /c = 1 -|- 7i"h -\- ni, so findet sich
n'B — n'A _/
-, {1 — e )
Nach verschwundenen Exponential-Grössen ist dife letzte
Hemmungssumme hE -\- iA -=. , weil in' -\-hn"
145
=z k — 1. Um zu zeigen, dass auch hier die letzte Hem-
mungssumme im Gleichgewichte steht mit dem noch übri-
gen Aufstreben der Vorstellungen, muss man in den Gränz-
werthen von A' und B' die Tlieile, welche von yi, und
die, welche von ß abhängen, zusammenfassen; und sie
dann abziehen von y4 und von B. Man hat nämlich
\ k — 1 k )~ k—\\ k)
B—B=B(i—- — -. 4- — - 1 + ^-^ -(l— t)
\ k-\ k )~ k — 1 V k/
Da k=l-\-k — i, so wird ni-]-kh7i"={k — l){l-]-h7i")
und n" li -\- kin wird (k — 1) (I-J-Zti). Daher nun
. /• \-\-hn"\ , hn
B — B'=B^^ 1 + in
0-^)+--'f
Es ist aber k — ■(!-{- hn") :=: i'ti', und k — (1 -{- in) r= n'h
also
j^B-(^J'^B') = j {in + in") -\- j {hn + hn)
wobey nur noch zu erinnern , dass die Hemmungs-Coef-
ficienten n -\-n' :=z\ , so findet sich wie gefo-
k
dert war.
Man bemerke hier die bequemern Ausdrücke für die
Gränzwerthe. Es ist nämlich von yl' der Gränzwerth
A {\-\-hn") — nhB , „- . ^ .
= und von B der Gränzwerth
k
_ B{\^in')~in"A
~~ ~~k '
Es sind nun die Maxima zu bestimmen. IMan findet
Heft II. K
146
<1A' __ nJhB 4- lA) _ j^f'-- h (n'B — n'A) _ ,
IT ~" k^^l ^ k — 1
, JE' ii"(hB-}-L4) _j^t , i(nB — n"A) _,
und r= e -\ ; e
dt k — 1 ^ k — 1
Daher fürs Maximum von A'
— ^ Tt' {hB + JA
* ~~ r^^ ""^ h {n'B — n"A)
und fürs INIaximum von B'
1 , n" (hB 4- T^
t ■=. lor
k — V "" i {n'A — n'B)
Die Nenner zeigen, dass die Logaiithmen für B möglich
sind wenn unmöglich für A, und umgekehrt. Über das
Maximum sogleich ein INIehreres.
Es trit liier ein Unterschied hervor zwischen dem
ersten und zweyten Falle. Denn im ersten Fall zeigt
die Formel für B' auf den ersten Blick, dass kein INIaxi-
mum von B' möglich ist; viehveniger von dem grösse-
ren A' , sondern beide Vorstellungen eilen zu ihrer Er-
hebungsgränze. Hingegen im zweyten Fall muss es für
eine der beyden Complexionen ein IMaximum geben;
ausser von n" A'=:=- n'B', denn alsdann wird die Zeit da-
für unendlich. Diesen Umstand müssen wir zuerst ins
Auge fassen.
Aus den, nur kurz vorhin erwähnten, Werthen von
n und n' ergiebt sich, dass n A z=. n B nach Weglas-
suug der gleichen Nenner von n und n" , soviel heisst als
{ap -\- e(n)A = {hp -\- ßn) B
"Wenn dies wirklich statt findet, so folgt
ttuA — ßnB r= hpB — apA
, aA — ßB p
oder — - z=. —
bA — aA n
welcher Bruch ein ächter oder ein unächter seyn wird,
147
je nachdem n oder p der grössere Hemmiingsgrad ist.
Es muss aber — eine positive Grösse seyn. Da nun
vorausgesetzt wird, A sey grösser als B, so muss, wenn
€t<Cß, (wie der hier angenommene Fall es mit sich bringt),
nothwendig a'^h seyn; folglich hB <CciA. Deshalb
IM • P ßB — aA ^^ , , , .
schreiben wir — =z . Nun kann man « klein
n aA — hB
genug nehmen, damit diese Bedingung sich erfülle. Nimmt
man es noch kleiner, so wird n" A <C n B, das heisst,
die Complexion A bekommt ein Maximum. Doch wird
dies natürlich der seltnere Fall s^yn ; auch ist zu erin-
nern , dass der Logarithme , welcher die Zeit anzeigt,
nicht bloss möglich seyn muss, sondern auch nicht ne-
gativ seyn darf.
Hieran knüpft sich die weitere Frage, ob A oder B
könne auf die Schwelle gedrängt werden? Um dies zu
beantworten, muss der Gränzwerth, etwa der von B',
= 0 gesetzt werden ; ergiebt sich daraus ein brauchba-
rer Werth, so folgt, dass ein noch kleineres B in end-
licher Zeit verschwinden kann.
Der Gränzwerth ist
_ n" QiB + iA) i {n"B — n'A
Dies = 0 gesetzt giebt zunächst
{n"h -f kin) B = in" A (k—l)
und weil k zur 1 -|- /c — 1 , auch k = 1 -\- n'h -\- n'i,
(1 + in) B =z in'A,
_ in"A n . 77« .
B = — : = — ; 7 wegen lA :=. na.
\-\-in \-\-in
Da n und n ächte Brüche, so ist dieser Werth von B
gegen die Bedingung u<Cß, also auch (jc<CB. Das heisst,
K 2
148
B darf nicht so klein angenommen werden, dass der
Gränzwerth von B' könnte r= 0 werden.
Da gleichwohl ein Maximum statt findet, so kann man
vermuthen, dass die Zeit für dies Maximum durchgehends
viel später, als bey gemeinsamem Steigen dreyer einfa-
cher Vorstellungen, eintreten, und alsdann bald der Wen-
dungspunct folgen wird, von welchem an das Sinken
äusserst langsam fortgeht , und die sinkende Complexion
beynahe als stehend zu betrachten ist. Einige Beyspiele
werden dies bestätigen. Zuvor ist nur noch die Formel
für die Zeit des Wendepuncts anzugeben ; sie ist
1 , kn"(hB4-iA
t = log -—V — ,
k — l ° i {n'A — nB)
Hier mag nun auch daran erinnert werden, dass bloss
der Rechnung wegen der Ausdruck hB' -\- iA' anstatt ph'
•\-ncc, also hB -\- iA statt pb-\-na, eingeführt wurde.
Will man Beyspiele berechnen, so ist die Grösse k
beschwerlich , denn ä r= 1 -j- n"h -j- n'i bedeutet
. ap-\-un ph bp-\-ßn na
~" («+*) P-\-{^-\-ß) n'B^ {a-\-b) p^{a-\-ß) n ' ~2
Anstatt aber aus angenommenen a, b, a, ß, p, n, die-
ses k zu berechnen, wird man, wo es nur um Beispiele
zu thuu ist, bequemer n und n" annehmen (mit der Be-
dingung n'-j- n"=^l) und hiernach insbesondere für die
übrigen Annahmen den Hemmungsgrad n bestimmen.
Wir wollen für nachstehende Beispiele p =: l setzen,
damit der Einfluss der Hemmung deutlich hervortrete;
ferner sey a = Xb, und n" > n, auch n" : n ■=. m: n,
daher n" = ■ — und n = j — . Alsdann ist auch
m-{-n m-\-n
{ap '\-(xn)' {bp -\- ßn) = mi n; oder, da p=zl,
n {a -\- Xbn) = m . (/> -{- ßn)
149
uud n ::=
pr mß — nXb
Für die nächsten Beispiele mag X=^\, d. li. a:=-lj seyn.
Erstes Beyspiel. a = 10, h = 2, « = 2, ß = \0,
p=:l, n"=^%, n = jr, also jn=: 2, n = 1 . Hieraus
10 — 4 "
~- =71=:^. Nun kann das Beyspiel der beque-
men Übersicht wegen so gestellt werden :
\ 2 10/
11 II
tt 71 ^ ß
Man hat vor Augen, dass die Complexion B, wiewohl
an sich gleich stark mit ^, doch stärkern Druck von
^ erfährt als sie zurückgeben kann ; weil a und ß ein-
ander weniger drängen als a und b, und /; weit mehr
von a angegriifen wird als umgekehrt. Indem A luid B
zugleich steigen, lehnt sich die wachsende Hemmungs-
summe immer mehr gegen /i wegen der Schwäche von
b, und dies kann nicht durch einen gleichen Druck des
ß gegen a aufgewogen werden; denn diese beyden er-
zeugen den geringem Tlieil der Ilemmungssunnne, luid
der stärkere Druck, den ß erfährt, rührt her von sei-
pb
uer Vei'bindung mit b. INIan findet nun // nz -- = ^,
X»
ff» r/
/ — — = Jg, mithin /i = 1 -{- § . 1 -I- 4 . yV o<ler k =z
\ -{- j^^; ferner 71" (///>-{- iJ) oder n" {pb -\- na) =■ *y^,
luid i {ji" A — n'B)'^^'^, daher endlich fürs Maxijnum
von ß die Zeit / r= Y log. nat. 1/. f = 16,04; vuid für
den >^ endepunct / = V ^og |^ . V'. | = 16,98.
150
Schätzt man die Einheit der Zeit auf zwey Secimden,
so veriliesst bis zum IMaximum ungefähr eine halbe Mi-
nute, und ein paar Secunden später erfolgt dei* Wende-
punct, von welcliem an das Sinken sogut als aufhört,
Zweytes Beyspie . ar=Z» = 4; das Übrige wie
vorhin. Man findet 71^=-^, und das Beyspiel steht so:
a p = l h
II II
(10 41
B
4 101
}=
« n = l ß
Hier wird kz=z \-\- ^, und die Zeit des Maximum
t = ff log. nat. 2 . 1 . 3 . 2 z= 14, 28
etwas kürzer wie vorhin, da die Henimungssumme ver-
hältnissmässig grösser ist wie zuvor. Dass auch hier
der Wendungspunct bald folgen muss, zeigt der Werth
von k, der wiederum nicht viel über 1 beträgt.
Maximum und Wendepunct sind aber in Beyspielen
solcher Art kaum zu unterscheiden von Ei'hebungsgrän-
zen. Denn wenn schon Werthe wie t =14 oder t z=zl6
hervorgehn, so sind Grössen wie 1 — e~^ oder 1 — e~~^^
lür :^=1 zu nehmen, da e~^^ schon weniger ist als ^2W1>*
Drittes Beyspiel. Es sey 7i"rr0,9; Tc'rrO,!.
Also m = 9, n=z 1; ferner A=2, a =z 10, h=zl, a
= 2, ß — 3. Man findet n = ^, Ä = 1 -f -ß^, und
am Ende i z= 11,7; also wiederum die Exponentialgrössen
sogut als verschwunden, daher das Maximum auch hier
anstatt einer Erhebungsgränze kann genommen werden.
Gleichwohl ist der Unterschied des zweyten Falles
vom ersten, der kein Maximum mit sich bringt, nicht
151
unerheblich. Denn ein sehr geringer Druck, eine fremil-
artige Hemmung aus andern Ursachen, kann lelclit das
Maximum verfrühen und erniedrigen, da schon einige
Zeit vorher die Geschwindigkeit des Steigens fast ver-
schwunden seyn musste.
Das dritte Beyspiel erinnert daran, dass der Hem-
mungsgrad n sehr klein seyn muss, wenn in dem Hem-
mungsverhältnisse m : n eine bedeutende Ungleichheit vor-
kommen soll. Der Vortheil, durch welchen die stärkere
Complexion u4 der andern so weit überlegen ist, beruht
darauf, dass ihr schwächerer Theil wenig Widersland
findet, während ihr starker Theil gegen den schwachen
der andern Complexion mit starker Hemmung vordringt.
Noch ein Beyspiel, worin n'P'p, und welches auf
ein Maximum für die stärkere Complexion hinweiset.
fl n J_ A
r — 10
li 11
A = a 2\z=zB
\l 3f
il II
n 7E = 1 ß
Man findet hier n = ^^, n"=z^l, k=l-\-^\^^, n'B
— n"A = ^^, und fürs Maximum
t = Wy*. 3,6889, grösser als 36, über eine Mi-
nute, so dass längst zuvor die ExponentialgrÖssen als ver-
schwunden gelten müssen. Merkwürdig ist hier dennoch
die Wirkung der Complication, indem A bedeutend grösser
ist als B. Im vorliegenden Fall kann der starke Theil
von A, wegen des geringen p, das nicht zurückweisen,
was er um des schwachen Tlieils willen zu leiden hat.
Hier ein Rückblick auf die Differenlialquotienten.
Wie A' und B' selbst, so hängen auch diese von zwey
'\ 152'
Exponentlalgrössen , aber nicht beyde auf gleiche Weise
ab. Dasjenige Glied , worin e~ ^ vorkommt, ist negativ
für die Complexion , welche ein Maximum hat; hingegen
positiv für die andre. Jene steigt nur in so fern, als sie
zugleich von der Exponentialgrösse e bestimmt wird.
Noch ist zu zeigen, dass es auch Beyspiele geben
kann, worin die Zeit fürs Maximum kurz genug aus-
fällt, damit noch nach demselben die Vorstellungen eine
merkliche Bewegung behalten. Um dies zu finden, muss
ein grosses a, hingegen zwischen a, ß, h, wenig Ver-
schiedenheit angenommen werden.
Es sey a — 990, « = 10, A = 1000; ferner h = 12,
ß =z 11 , B = 23; auch p =^ n = i. Demnach n =
. _2 3 „" 1000. /, _ 12
i = ^ = j-LOj^, k — l = n'h + n'i = 0,51024; und k
A
1=1,51024. Hieraus / r= 1,5462 fürs Maximum; das
heisst, ungefähr drey Secundeu. Für diesen Werth von t
sind die Exponentlalgrössen noch keineswegs als ver-
schwunden auzusehn , xmd die Complexionen sind noch
ziemlich weit von ihren Gränzwerthen entfernt.
{. 39.
Wir gehen über zu drey zugleich steigenden Com-
plexionen. Dieselben seyen ^rzra-}-«, B:z=.h-\-ßj
C :=. c -\' y. Hierzu gehören sechs Hemmungsgrade ;
nämlich
p zwischen a und h
n a . . . c
m fj . . . c
153
n zwischen « und ß
V ..... a . . ' y
!'• ß "' Y
Wie die Hennnungssumme zwischen «, h, c, zu bestim-
men sey, desgleichen zwischen a, ß, y, wird als bekannt
vorausgesetzt *). Für die folgende Rechnung aber das
obigG Verfahi'en beobachtend, werden wir die Grössen
a, h, c, a, ß, y, sofern davon einige oder andere in die
Hemmungssumine eingehn, auf yi , B, C zurückführen.
Daher muss jetzt ausser der obigen IiB und i'A noch eine
Grösse gC vorkommen, wobei g, so wie vorhin h und /,
zu bestimmen ist. Wäre z. B. die Hemmungssumme
=z mc -\- ph' -\- 7ia-{- vy, so hätte mau pl/ zzz kB' , na
=.iA', und mc -\-vy' = gC, daher auch mc-\-vy = gC,
mc -{— ■j'V
und g = — . Jedenfalls sind die drey Gleichungen
folgende :
dJ' = [A — A'—n ijA' + hB' -{- gC')] dt
dB' =:[B — B' — n" (W -f hB' -\- gC')] dt
dC = [C — C— n" (/>/'+ hB' 4- gC')] dt
wo n , n' ■) n" wiederum die Vertheilung der jedesma-
ligen Hemmungssumme (welche bekanntlich im Wachsen
begriffen ist) bedeuten; daher n -\- 7i'' -\- n"' = 1.
Man multiplicire die zweyte Gleichung mit S^, die
dritte mit &', und addire alle drey Gleichungen. Also
dA'-\-^dB'-{' d'dC'-\-A', [1 + n'i -f n'id- + n"id^';\ dt
+ B'. [(1-|- 7i"h)d'-\- nh -h 7i"'hd'] dt
-\-C 1{IJ^ n"'g)^'-\-n'g-\-n"gä'\dt
= {A + dB -{- d-'C) . dt
nh + (1 -f- n"h)d- -\- n"hd'
Jetzt sey & ~ LA — ! _^ ! — _ — _
\ -\- n i -\- n id- -\- n i&
**) Psychologie §. 52.
154
und ^' z= ^>+'^'V'»+0 + ^"»'
1 -f~ !^ * i~ 7l"?d' 4~ ^" iif''
SO folgt
^ ; ,9-' z= (ti'A + (1 + n"h)9- + 7i"'äö-') : (7^V + n'gd-
+ (i-{-^"V)^')
oder //^' (n-^ n"& + n'"y) = g& {n' ■\- n^d + ti"'-^')
oder kurz ^' rr - ^
Ä
Dies für ^' in den Werth von & substituirend , findet
man aus
&{\-\- ni-\-n"i^-\' n'id-') = n'h + {\-\-n"h)&-\- n'hb'
zuvörderst
I {n'li -\- n"g)&^-\- h . n'i — n'h — n"'g)d- "==■ n li^
und nach der Auflösung der Gleichung ergeben sich die
beyden Werthe:
1) ^ = + *
2) ^ =
"l. I "'
n n-\- n g
wozu noch gehören die beyden Werthe von d-'
1) y = -{- f
i
f gn
2) & = ^
71 fl -]- 71 g
INIau hat nun wie oben
dz -\- Fzdt z= Const. dt
und hieraus z =. . (1 — e~ )
Aber in jetziger Rechnung ist
F=:l-\- Tii -\- Ti'id- -\- 7i"'iit'
und Const. z= A -\- dB -j- &'C
welche Grössen wegen ■& und d' zwey Werthe haben,
155
nämlich
1) F = l-\- ni + n'h + n'g
Const. :=z A -\- :
i
2) F=l
Bhn Cgn
Const. ^=. A —
n n -\- n g n li-\- n g
Demnach
i (1 -j- ni 4- n"h -\- n"'g)
i i
und
/ , hB-^gC\^^ -^_^' hnB'-\-gnC'
\ TrÄ-f-Ttg^/ n li-\- n g
Um hieraus ^', 5' und C zu finden, muss man zu den
gegebenen Gleichungen zurückgehn. Aus
dA' =[A — A' — n (jA' -{-hB'-\- gC')] dt
und dB' =[B — B' — n'ijA'^ hB' -\- gC)] dt
wird durch Multlpllcatlon der zweyten mit —77, und Sub-
traction von der ersten,
dA'-'^'„dB'=:l'A-^B-{A'-^B ')! dt
also (a^^,b'^ (\-e-')=zA-^,B'
\ n y n
und B'='^A'~('^A-B^.{1~.
-')
Man kann diesen Werth von B' substitulren ; es er-
glebt sich, wie zu erwarten,
*) Diese Gleichung ist eigentlich ein Inbegriff zweyer andern,
welche, wie sogleich folgt, durch Elimination gefunden werden.
Um dies z.u bemerken , mag man entweder li oder g = 0 setzen.
156
n \n y
Also -5'-f-l^'
__ hn" ■irn"g ^^^, nm"-^gn" ^ _ hJB-^gC\ _,
n'i ^ ni i '
Mau setze 1 -|- n'i ■\- n"h -\- n" g = ä; so ist
TT .(1 — e j — ^ -| —- Ji
iK n i
__ /hn-\-gn"' ^ _ hB-VgC\ ^i_^-/)
, fiA-\-hB-\-gC\ , -kt
oder nA ^ A ) (^ — ^ )=r(^' — 1)^
- [(A^" + ^^"')^ - "'(/^ß + ^C)] (1-e-O
mitbin endlich
n'.{iyl-\-hB-{-gC) kt.
'*' /t — 1 ^ ^
^ = -^ -k-{l—l ^*~' ^
+ -f—Ti ^^-' ^
_ n"'{iJ-\-hB^ gq ,,
■^ k—1 ^ ^
Nach verschwundeneu Exponenlialgrössen ist die letzte
iJ^hB-\-gC
Hemimingssumme ij4 -\-hB -\- gC =::: > >
indem die mit (1 — e ') multiplicirten Grössen sich auf-
heben, und in-\~/in" -{- gfi" z=.h — 1. Zur Uechnungs-
157
probe dient nun, dass die letzte Hemmungssumme hier,
wie immer, dem noch nicht hervorgebrachten Vorstellen
gleich seyn muss; also nach verschwundenen Exponen-
tialgrössen
Auf ganz ähnlichem Wege, wie dies oben für zwey
Complexionen gezeigt worden, wird man finden
B-B' = B(\-'^ "''/ " ^'^ ) + """'^ + """^^
C^c' = c(i- i±iii±^') i- !Li^^^^?
,^ . 1 + n'h + 7r" V 71 i l+n'i-h n"g
N„u ,s, 1 -^ ^ = -^; 1 j ^
n"h \-\-ni-\-n'h n" g
= — - — ; 1 =. — - — . Also die öumme
k k k
jener Grössen A ^ B -{- C — ^— B' — C
— - (.^ ~r ^ "T ^ ) ~ 7 — — ~
und n -j- n' -\- n" = 1 ; daher das Resultat wie voraus
gesehen war.
Bey Vergleichung der jetzigen Rechnung für drey Com-
plexionen mit jener für zwey dergleichen, ergiebt sich
in den gefundeneu Gleichungen eine so deutliche Ana-
logie, dass man für vier und mehrere Complexionen
ohne vorgängige Berechnungen die Formeln leicht treffen
könnte. Dann würde auch der Gang des Bewei-ses für
das Zusammentreffen der Formeln mit dem Satze von
der Gleichheit der Hemmungssumme und des noch zurück-
gehaltenen Vorstellens, eben so leicht gefunden werden.
158
Die Hauptsaclie ist , dass sich die Anzahl der Exponen-
tial- Grössen nicht vermehrt, und dass die Abänderung
des Werlhs der Grösse h ebenfalls vor Augen liegt.
Die Bewegung der Vorstellungen bleibt also wesent-
lich die nämliche, wie gross auch die Anzahl der zu-
gleich steigenden Complexionen seyn möchte.
Die IMannlgfaltlgkelt der Bedeutungen, welche man
den gefimdenen Formeln geben kann , ist sehr gross ;
und soll hier nicht ins Einzelne verfolgt werden. Es
muss genügen, etwas Specielles herauszuheben.
Es sey b =zc, ß = y, also B = C. Ferner p = n,
n "=■ V'i um nun zuvörderst die Hemmungs-Coefficienten
n', 7i", ii" zu bestimmen, muss man zu den Hemmuugs-
Verhältnissen für vollkommne Complexionen zurückgehn.
Diese sind *) im Allgemeinen
'bp -\- ßn cn -\- yv^ 1
für A
(bp -{- ßn cn -\- yv\
~~B C ^
A
1
A C ^'B
für C: K:—r- ^'i,— ) ' n
inrB:^—-— —77— J •
A B ^ C
Sie vereinfachen sich unter den gemachten Voraussetzun-
gen dergestalt, dass herauskommt
für Ai 2{bp-\-ßn)B
für J5 : B {ap -\-an) ■\- A (bm + ßjri)
auch für C : B (ap -{- an) -\- A (bm -\- ß/t)
Auch so noch würden n, n", n" ziemlich verwlk-
kelt ausfallen. Wir vereinfachen weiter durch die An-
nahme p = n, 7n = f,i; auch kann man noch j?i z= ft,
= cjp setzen, wo jedoch q nicht grösser als z= 2 seyn
•) Psychologie §. 59, und im vorliegenden Hefte S. 56.
159
darf, well der grösste Hemmungsgrad nicht grösser als
höchstens die Summe der beyden kleinen seyn kann.
Jetzt ergeben sich folgende Verhältnisszahlen:
für A, 1B
für B und C, {\.-\'q)A
Also fi'r=
^ „''_.-_ (1-f^)^
yi = ,, . ^. . — r — :» TT
und 7i'-|- n •\- n ' =■ 1 wie gehörig.
Ferner, wenn a'^b und c, u'^ß und y, so Ist die
Hemmungssumme für a, b, c gleich pb-^pc, und für a,
ß, y gleich pß-\~pyj also die ganze Hemmungssumme
= 2p(Z>-j-^) z=. 2pB. Es kann nun kein Tlieil von ihr
durch A ausgedi'ückt werden, folglich ist ? znO; hinge-
gen IiB =z p(b-\- ß), also h=p, und gC==p(c-\-y)
= p{b+ß), also g=p. Mithin X- ^ l + p ^^i±^H_
Setzt man nun diese Werthe in die Formel für B' oder
C', so zeigt sich gleich, dass derjenige Theil, welcher
1 — e~^ enthält, Null wird; daher können B' und C"
kein Maximum haben ; sie nähern sich vielmehr einer
Erhebungsgränze um desto geschwinder, je grösser /-,
das heisst, je grösser p imd je kleiner B. Dies ist ana-
log dem ersten Falle bey zwey Complexionen.
Jetzt sey a'^b und 0, aber cc<aß ^^^ /• Die Hem-
mungssumme für a, b, c bleibe demnach = pb-\-pc,
aber für «, ß, y sey dieselbe z= pa my oder ^=z pu
PK
-\-pcjß. Hiemit pa=:iA, also iz=-—-, ferner j^b-^-qpß
A
= kB, also h = Pttjl'l ^ uud pc - gC, also ^ r= ^
:=.——. Es ist hier eine Zweydeutigkeit, die aber nicht
160
schadet; man könnte nämlich wegen ß z=. y clen Thell
qpß auch auf C zurückfiitiren ; allein in der Formel ent-
steht bey h und bey hB-\-gC die gleiche Summe, und
in dem Theile, welcher 1 — e~^ enthält, heben sich we-
gen n" = n" und B = C die Grössen , worin g und h
vorkommen. Nun wird
'^ B-{-{\-\-q)A' a'^ 2{B-\-[\-\-q)A'\ B ~^ b)
__ , , p (^ , (i + y)-^-(26-f-^/m
und mit Weglassung der Grössen, die, wie so eben be-
merkt, sich aufheben; überdies mit Beachtung, dass n'
1B
(1 + ?)^'
B' — C
p,{\-\~q)J r« + 2& + (7^ j,t
mBf (--")
2 (ß -f- (1 + 9) ^) L ^^.(^' — 1)
+ ^((45- -0 (--')]
woraus
dB^_clC^_ p.{\-{-q)J ra^lh^qß _kt
dt dt 2(J5+(14-^)^) L k—\
^ k—\ V(l -1-^)^2 y J
und nachdem dies =:= 0 gesetzt worden, fürs Maximum
X- — 1* '' «[(l + fy)^2_2Z?2j
Wäre a z=: OOj also auch A-=zOD, so würde in h — 1
Ba
sowohl B neben {\-\-q)A, als auch — — verschwinden;
demnach wäre ä; — 1 r= — ^ — -^ — , und
2B
25
p(26-{-r//¥)
. log f 1 -f ^^^ J
V et ■^
161
welches für g r= 2 sich verwandelt In
^ := - log ( 1 H )
Gesetzt nun, p wäre = |^, i? =r 2, a i= 1 , so hatte man
^ nz 2 log. nat. 5 n: 3, 21 ... Wiewohl nun dies nur eine
Gränzbestimmung ist, so sieht man doch hinreichend, dass
auch zwey schwächere Complexioneu neben Einer stär-
kern in ziemlich kurzer Zeit zu einem IMaximum kön-
nen gebracht werden, von wo sie wieder herabsinken
müssen.
Dass neben zwey stärkern Complexioneu eine dritte
schwächere, nachdem sie vom Maximum herabsank, auch
ganz aus dem Bewusstseyn könne verdrängt werden, ist
nicht zu bezweifeln. Hieher gehört Folgendes.
Zuerst muss der Gränzwerth für C einfacher ausge-
drückt werden, ohne ihn zu beschränken. Derselbe ist
nach dem Vorhergehenden , indem wir die Exponential-'
grossen weglassen :
, _ •jt"'{iA-^hB^gC) {iii-^rn'h) C — n"{iA-^hB)
^ — /• .{k — \ ' h —1 ■
Man multiplicire das zweyte Glied im Zähler imd Nen-
ner mit /■, und setze Tczzzl-\-h — 1, so kommt, da X' — 1
= ni -{- ii'Il 4- n"g ,
{k-.\)C^{k — \) [(tz'Z -f- n"h) C — n"\iA -\- kB)]
C' =
k . {k — 1)
C (1 + ni + n'h) — n"\iA -\- kB)
k
Soll nun dieser Gränzwerth Null seyn, das heisst, soll
C in unendlicher Zeit aus dem Bewusstseyn verschwin-
den — so dass, wenn es noch kleiner ist, als nach die-
ser Bestimmung, es in endlicher Zeit verschwindet, —
so hat man
Heft II. L
162
C (1 -I- n'i + n'h) = n" {iA -{- kB)
Hieraus C zu finden, kann wegen der Verwickelung in
n , n' , n", beschwei-licbe Rechnungen veranlassen; es
genügt für jetzt, die sämmtlichen sechs Hemmungsgrade
pz:znrzi?n=:n^^r:=-jit=1i zu setzen. Dadurch
111
werden die Hemmungsverhältnisse wie —z '• ^ '• y^j ^^so
BC „ AC
n
BC-\-AC-\-AB' ~~ BC-\-AC-\-AB'
r,r AB
^^ ~ BC + AC-\-AB
mithin
C (BC 4- AC-\- AB + BCi + ACh) = AB (iA -|- 7iB)
Hier muss bemerkt werden, dass i und h sich in ihren
Bedeutungen nach der jedesmaligen Hemmuugssumme
richten; da iA und kB jedesmal aus a oder a, und b
oder ß entstanden sind. Kommt weder a noch a in der
Hemmungssumme vor, so ist i =z o', kommt weder b
noch ß darin vor, so ist Ämro; kommen b und ß
beyde in der Hemmuugssumme vor, so liegen beyde in //,
welches immer das Quotum von B bezeichnen muss, was ,
in die Bestimmung jeuer Summe eingeht. Dies voraus-
gesetzt, so hat die Auflösung der Gleichung keine Schwie-
rigkeit ; denn aus C^ [B (1 -\- i) -^ A (1 + Z^] -{-ABC
ci b
=: AB(iyJ-\-hB) wird, falls i := , und h=: —j
A B
Falls aber nichts von A in der Hemmungssumme
vorkommt, dagegen sowohl b als ß, so fällt i weg; und
für unsere jetzige Annahme, dass alle Hemmungsgrade
=:1, wird auch h ziz i , indem das ganze B in die Be-
163
Stimmung der Hemmungssiimme eingclit. Dann hat man
C'2 {B -i- 2A) + JBC =: ^B^
Beyspiel. n = i ß z= 'i
rt = 9 b = 2
^ = 10 B — 5
Da C unbekannt, so kennt man auch seine Theile c und
y nicht; und die Rechnung, welche nur das ganze C
ergeben wird, lasst die Annahme Frey, dass weder c
noch y gross genug sey, um aus der Bestimmung der
Hemmungssumme wegzubleiben. Demnach wird
zwisclien a, b, c die Hemmungsumme 2 -f- c
zwischen cc, ß, y '^ ~{- y
also ist i^ = 1 und 7iB = 2; hiemit i = ^L und h
= ^; daher giebt die Rechnung C = i,77. . . Wie man
dieses C auch theilen möchte, weder c noch y kann
gross genug seyn, um aus der Hemmungssumme wegzu-
bleiben; die Theile c und y bleiben demnach unbestimmt.
Zweytes Beyspiel, vergleichbar mit dem vorigen.
« = 5 /? = 3
a = 5 6 = 2
^=10 ^=5
Hier ist zwischen n. b, c die H. S. =z 2 -f- c
zwischen a, ß, y . . . . 'i -{- y
also 1=^0, h=zl; und man muss die zweyte Formel
brauchen; woraus C= 2,3166; grösser als vorhin, ob-
gleich y4 und B unverändert blieben. Der Grund liegt
vor Augen; die Hemmungssumme ist grösser, Indem
nicht a sondern ß in sie eingeht. Die Theile c und v
sind auch hier unbestimmt.
§. 40.
Es ist noch übrig, von den unvollkommenen Com-
j)lexionen das Nöthigste zu sagen. Zuerst muss in An-
L2
, 164
sehung der sinkenden dasjenige ergänzt werden, was Im
grössern Werke nur obenhin und niclit ganz richtig
angedeutet war; doch werden wir wegen der Verwicke-
lung, die in dem Gegenstande liegt, uns auf zwey Com-
plexionen beschränken ; sclion diese erfodern nicht weni-
ger als zehn von einander iniabhängige Grössen. Zur
Vorbereitung dient
Erstlich: folgendes Schema
Cl r Q cc
p it
h r Q ß
a und « sind complicirt, jedoch nicht vollkommen,
sondern nur deren Reste r und q sind in die Verbindung
eingegangen. Eben so /"' und p', die Reste von b und ß.
Zwischen a und h ist p der Hemmungsgrad; desgleichen
n zwischen « imd ß.
Zweytens: folgende Abkürzungen: Man setze
Daher auch
a'
-\-rQ '' /S-^-hre
Die Entwicklung der Sache lasst sich nun ganz an
die Betrachtung der vollkommneu Complexionen knüpfen.
"Wie dort, ist die Hemmungssumme der Inbegriff zweyer
Hemmungssummen, nämlich zwischen a und b, und zwi-
schen ö und ß. Nur das Hemmungsverhältniss ist ver-
wickelt.
165
Die Einleitung zu gegenwärtiger Abhandlung schloss
mit folgender Angabe der
{ina -\- nia)x
Hemmung des B durch Jl, =
A . B
des A durch B, = (^^Jlllh
B . A
Anstatt m und m wollen wir die sonst gebrauchten Buch-
staben p und n zurückführen ; zugleich ist zu erinnern,
dass (wie die Einleitung zeigte) der Ausdruck — • — —
an die Stelle des Hemmungsgrades m getreten war, wo
die, von der Complexion Az^. a-\~ a ausgehende,
Hemmung des B sollte bezeichnet werden ; eben so
bui-\-ßm , wo B das Hemmende, A das Gehemmte ist.
Anstatt des ersten dieser Ausdrücke schreibe man nun
(ap ttn\ 1 - ,
—j- -f- —jj . -— , und statt des zweyteu
(
A ' A/ B
B '^ b)' A
Für vollkommene Complexionen A und B verhält es
sich so; allein diese Verhältnisszahlen müssen für un-
vollkommene Complexionen eine Abänderung erleiden.
Denn wo sonst Az=za-\-a stand, da ist jetzt a nicht
mehr mit dem ganzen u verbunden, sondern ihm gehört
von « nur noch der Rest p, beschränkt durch die An-
eignung im Verhältnisse /• : a ; oder kurz ; die Compli-
cationshulfe — . Ebenso: wo sonst B stand, da gehört
a
dem h nur noch die Hülfe —^ . Ahnliches gilt von a
b
und ß. Um dies desto sicherer zu verstehen, überlege
man, dass man anstatt A auch sagen kann: a, welches
m
verbunden ist mit a, oder: a, welches verbunden ist
mit a, Beydes ist vollkommen gleichbedeutend, wenn
eins mit dem andern ganz verbunden ist; aber es bleibt
nicht gleichbedeutend, sondern spaltet sich in zwey Be-
deutungen, wofern « nur theil weise mit a, und a nur
theilweise mit u verbunden ist, A ist vermindert; aber
auf zweyerley verschiedene Weise; und nun ist a, so-
fern es verbunden ist mit «, r:: a -}- — , und cc , so-
a
ro
fern es verbunden ist mit a, = «-j- . Der Bruch
a
a . a^ , . « • . -11
— ist nun — : hingegen — ist nun so viel als
A a^-\-rQ' ^ ° A
— ; denn A nuiss im erstem Falle dem a, im zwey-
«^ 4" ^Q
teil Falle dem (x, entsprechen. Also
ap ap a^p
anstatt — setze man z=. —^- z^ pui)
' a
an an a'^n
A «4-— o.^-\-rQ
' b
ßn ßn ß'^n __
B
ß^q. ß^ + r^
rj-=n{ß)
Nun fällt der Druck p{ci) von a, und n{a) von a, zwar
auf B, aber i? selbst ist zerfallen, und es giebt slalt des-
sen zwey unvollkommene Verbindungen h -\- — ^ und
b
ß -\ . Dies hat eine doppelte Folge.
167
Erstlich: der Druck p{a) trifft unnuttelbar b, und
durch dieses auch dessen Complicationshiilfe — . Also
der Druck vertheilt sich in dem Verhältniss hi , das
b
ist b'^irg', daher die Vertheilungsrechnung
[rg
i. ,,"(<.) ^j^=K«).('')
Ebenso geschieht die Vertheilung der Drucke n (a) , p (b),
n{ß)] demnach
p(a) theilt sich in p(a).(b') und /?(«).[! — (b)]
n{a) n{u).{i5) . . n (a) . [i - (/3)]
/'W /'W-C«) • . K^) •[!-(«)]
n(ß) ^(/^).(«) . . niß).[l-iu)]
Zweytens: Um nun zu bestimmen, in welchen Verhält-
nissen a, b, a, ß von der Hemmung leiden, muss man
1 1
auch die Divisoren — und — gehörig abändern. Diese
Divisoren bezeichnen den Satz : jede Vorstellung wider-
steht der Hemmung im umgekehrten Verhältniss ihrer
Stärke. Das galt auch von J5 und A als voUkommnen
Complexionen ; jetzt gilt es von jeder einzelnen Vorstel-
lung, sofern dieselbe mit ihrer Complicationshiilfe eine
Gesammtkraft ausmacht und als solche Widerstand lei-
stet. Also hat man
r- 1 ,.. . 1 « («)
mr a den Divisor - — —
für h
' a
1
*+r
h
168
lur a den Divisoi' rz: —
,.,....... -^ =»
Jetzt lässt sich Alles zusammenstellen. Man über-
lege, dass a einestheils unmittelbar den Druck von ij,
und andern theils mittelbar -wegen seines Piestes /•, der
zur Complicalionshülfe für « gehört, einen Druck von /S
leidet. Der erste ist ■=zp{b){a)-, der zweite ist n{ß^
[1 — («)]• Ebenso leidet jede andere Vorstellung gleich-
falls einen doppelten Druck, theils den unmittelbaren,
theils den, welcher die von ihr ausgehende Hülfe trifft.
Daher besteht die Verhältnisszahl für eine jede aus zwey
Tlieilen mit Beylügung des ihr gehörigen Divisors. Also
für a ist die Verhältnisszahl (p{h){a)-\-n{ß)\\—{u)'\\r^
für 6 (^p(^a){h)^n{u)[\-mY^
für « {n{ß){a)^p(h)i\-{a)i^H
für/^ (<«)G?) + K«)[l-W])-y
So verwickelt nun die Vertheilungsrechnung, da man
alle diese Verhältnisszahlen addiren, und alsdann die
Summe ins Verhältniss zu jeder einzelnen stellen muss :
so lassen sich doch zum Behuf willkührlicher Beyspiele
auch einfachere Fälle herausheben. Was sich auf den
ersten Blick darbietet, ist folgendes Verfahren : Nachdem
die acht Grössen a, h, a, ß, r, q, r, q beliebig angenoui-
nien sind , so setze man
p{b){a) =: n{ß){a), mithin -- = -— — -
169
Belracbtet man das Verliällniss der rieniimingsgrade p : 71
liieiuit als gegeben, so liat man noch die Wahl, entwe-
der p oder 71 Nvillkiilirlich anzunehmen; und die Ver-
hältnisszahleu sind nun
für a , 71 (/*;) "^"-^
iur /;, n ((<:) -—
h
für « , p (/>) -^"^
deren Summe = {a){ß) [^ + j^] + (-OC^O [^ + f]
Den hierunter begriffenen Fällen werden andere, in wel-
chen die Differenz p{}i){ii) — 7i\ß){u) nicht gross ist,
nahe kommen.
Für zugleich steigende unvollkommene Complexiouen
muss nun vorausgesetzt werden, man habe die Hemmungs-
Coefficienten 77', 71", 71", ti"" , welche entstehn, indem
jede einzelne Verhältnisszahl durch die Sunune aller di-
vidirt wird, bereits gefunden. Es sey die Hemmungs-
summe =iiph-\-7iu, so sind für die veränderlichen d, b',
u, ß' folgende Gleichungen anzusetzen:
1) da = {a — a — tx' {ph' -\- na)) dt
2) da =■ (« — a — 7c" {jph' -{- yra')) dt
3) dh' ={h — b' — 7i"'lj>b'-\-7ia))dt
4) dß' =lß ~ ß' — n""{ph'-\-7ia)) dt
Mit Hülfe der früher schon gebrauchten Rechnungs-
arten ergiebt sich :
zuvörderst aus 2) und 3), indem k'=:.\-\- 71'" p-\- 71" 71,
, _n"{pb-\-7ia) _iLf p{7i"b—7i"u) _/
170
;/ — ^^H:^) f. ^^ i•/^ , ^ {n"b—n"u) t
Hieraus zunächst die Hemmungssumme
;>Ä + 71« — '-— I- {\—e ^')
K
weil nn' -\- pn" z=: k — 1 ; luid indem diese Hemmungs-
summe in die beyden noch übrigen Gleichungen gesetzt
wird,
Ist die Hemmungssumme pb -}- nß, so wird man auf
Uhnliche Weise die Gleichungen 3) und 4) verbiudenj uod
daraus 1) und 2) berechnen.
Ueher Kutetjorien und Conjunctionen.
In der Sprache liegen die Conjunclionen als Formen
der Gedanken -Verknüpfung; in der Sprache suchte Ari-
stoteles die Kategorien als Erkenntnissbegriffe; dem An-
schein nach ganz verschiedene Dinge. Allein die Kanti-
schen Kategorien bilden einen Übergang. Erkenntniss-
begriffe wollen sie seyn , ähnlich den Aristotelischen ;
aber auch Formen der Verbindung. Durch die Art,
wie sie aufgesucht wurden, stehn sie mit jenen im offen-
baren Gegensatze. Aristoteles sagt :
7.\ov "keyofiiviov ta fuv y^ara cv/inXont^v )JyeTai'
ia öh avfv ov/tnXoi(ijg. t« /idv ovv aara ovf(nXoy.r,v'
oiov cüvdQOiiJos TQfXH-, cCv&QMnog rtxc'c z« d'h üvtv
ovfinXoitijs' olov äv&Qwnog, ßovs<, ZQtyet, riy.u. Und
weiter: 2V)V zard fii^äe/iiciv cv/dnXoyijP Xtyojiievwv 6-
VMorov ihoi ovoiav oj/iiaivsi ^ 0} nooor, y noior, tj
nQog Tc, rj vioij-, y nore, y neiG&ui, y lyeiv^ y 7ioiEtr,
y nüoyfir. Hier ist beym Aufsuchen der Kategorien
die Urtheilsform geradezu abgewiesen. Kant im Gegen-
theile wendet sich eben an die Urtheile, indem er, um
die Kategorien vollständig zu finden, von jenen die be-
kannten Eintheilungen nach Quantität, Qualität, Rela-
tion und Modalität zusammenstellt.
172
IJber Kategorien als Erkenutnissbegrlffe, bey deneu
mit vollem Rechte die ovat'a an der Spitze steht, und die
ccviiiceijceva wenigstens nachgeholt werden (im achten Ca-
pitel beyin Aristoteles), ist schon anderwärts gesprochen''').
Bey Gelegenheit der Conjunctionen wurde später bemerkt,
dass deren genauere Betrachtung zugleich die Kantisclicu
Kategorien trifft. Wie dies möglich sey, lasst sich im
Allgemeinen leicht begreifen. Urtheile sind Verknüpfun-
gen von Gedanken ; ihre Eintheiluugen geben verschie-
dene Formen der Verknüpfung; die Conjunctionen sind
auch Formen der Gedanken- Verbindung; diesen und je-
nen Formen sind ähnliche psychische Gründe nachzuwei-
sen, über welche die Sprache ilir eben so wichtiges als
unwillkürliches Zeugniss ablegt. Dabey ist nicht zu ver-
gessen, dass das Urthellen die Form ist, welche das Den-
ken beym Sprechen annhnmt; nur begnügt sich dann
das Denken nicht mit einzeln stehenden Urllieilen, son-
dern die Urtheile müssen auch unter einander ver-
knüpft werden; und hier ist vorzugsweise der Ort für
die Conjunctionen.
Bekanntlich nennen die Grammatiker copulative, dls-
junctive, conditlonale, adversative, causale, concessive,
conclusive, ordinative Conjunctionen; sie bemerken, dass
dadurch bald einzelne Worte, bald Satze, bald ganze Pe-
rioden verbunden werden. Das heisst : in der Vorstel-
lungsmasse, welche durch eine oder mehrere Peiiodeu
ausgedrückt wird, giebt es für die Begriffe, welche
den iSennwörtern, Zeltwörtern, Adverbien entsprechen,
nicht bloss Verknüpfungen durcli Flexlonszelchen und
durch Präpositionen; sondern die Gedanken -Bewegung,
welche die kleinern und grössern Verknüpfungen durch-
*) Psychologie §. 124.
173
laufend (las Gefiige der Vorstellungsmasse erkennen lasst,
bedarf noch besonderer Fingerzeige, um verständlich zu
machen, dass sie, von mehr oder weniger vesten Punc-
ten ausgehend, bald gerade, bald in verschiedenen, oft
wider einander stossenden Richtungen sich fortsetzt.
Hieran hat die Urtheilsform zwar ihren Antheil, und kann
nicht unerwähnt bleiben; aber auf einzeln stellende Ur-
theile kann man sich nicht beschränken ; da vielmehr
die innere Construction einer Yorstellungsmasse
den eigentlichen Gegenstand der Untersuchung ausmacht.
Eine bloss analytische Untersuchung würde nicht wei-
ter führen , als man längst war. Für eine bloss synthe-
tische aber ist der Gegenstand zu schwierig. Man muss
die Synthesis mit der Analysis verbinden; und vom Leich-
testen ausgehn. Zur Anknüpfung dient das Evolutious-
Vermögen einer Reihe ; und da von der Sprache soll ge-
handelt werden, mögen die Buchstaben eines Wortes
das nächste Beyspiel abgeben. Auf die Kategorien wer-
den wir am Ende zurückkommen ; voraussetzend,
dass man vor Augen habe und vergleiche, was hierüber
in der Psychologie schon war gesagt worden. Es wird
sich finden, dass die Kantischen Kategorien in eine viel
weitere Sphäre der Untersuchung müssen versetzt wer-
den. Um diese Sphäre zu bezeichnen, sind die Conjun-
ctionen genannt worden; man wird sich indessen nicht
wundei'n , auch einige Bemerkungen über den Satzbau
mit eingeflochten zu finden ; denn es kommt überhaupt
darauf an, die Sprache als einen Spiegel für die geistige
Thätigkeit zu benutzen; wenigstens in so fern dies nö-
thig ist, um für jene Kategorien einen freyern Blick zu
gewinnen.
Iliemit werden wir die Betrachtung einfacher Vor-
174
Stellungen und der aus Ihnen gebildeten einfachen Reihen
überschreiten. Dies ist, falls man Ungeübte berücksich-
tigen will, schon ihrentwegen nolhwendig; denn in den
elementarischeu Untersuchungen "wissen sie sich gerade
der Einfachheit wegen nicht zu Orientiren. Für sie giebt
es zuerst Dinge, das heisst. Complexionen von Merk-
malen ; aber schon daran halben sie IMühe sich zu gewöh-
nen, dass sie die Vorstellung eines Dinges als zusammen-
gesetzt aus den Voi'stellungen der JMerkmale betrachten
sollen; vollends stocken ihnen die Gedanken, wenn sie
die Vorstellung eines bekannten Dinges als eutslanden
aus dessen vielen successiven Wahrnehmungen, und dann
noch jede Wahrnehmung, die eine gewisse Dauer hafte,
als ein Integral ausehn sollen, dessen Dilferential die mo-
mentane Wahrnehmung ist. Kommen nun Eigenschaf-
ten und Verhältnisse der Dinge an die Reihe, so
meinen sie dabey bald das Ding, bald den Raum, bald
die Zeit, bald die Verstandesbegriffe, bald das Ich, bald
dies Alles zusammen als schon vorhanden annehmen und
voraussetzen zu müssen, welches die richtige psycholo-
gische Ansicht verdreht und verdirbt. Daher Einwürfe,
an deren Widerlegung man die Zeit verlieren würde.
Schon deshalb ist es nothwendig, die Gewohnheiten des
angelernten Kantianismus in ihrem ursprünglichen Sitze
aufzusuchen. Aber auch abgesehen von den Ungeübten,
kann man in der Erklärung der psychischen Thatsachen
uicht umhin, sich auf die Zusammensetzungen einzulas-
sen; weil bey dem ausgebildeten, zur Selbstbeobachtung
fähigen INIenschen die Vorstellungen schon längst nicht
mehr einzeln slehn und einzeln wirken, sondern in gan-
zen Massen; dergestalt, dass selbst die Betrachtung der
einzelnen Massen noch als elementarisch erscheint in Ver-
175
glclcli gegen die geistige ThÜtlgkelt im Ganzen genommen,
welche durchgeliends von melirern Massen zugleich ab-
hängt. INIau wird aber kaum irgend eine bequeme Form
der Darstellung, auch nur der Construction einer einzel-
nen Älasse gewinnen können, wenn man sich nicht zu-
erst an die Sprache wendet. Kann man irgendwo die
Gedankenbewegung, die von den Innern Verbindungen
der Vorstellungsmasse abhängt, als ein Object fassen, und.
vorlegen, als ob es ein stehender Gegenstand wäre, der
sich der Beobachtung unterwerfen und für sie still hal-
ten müsste, — so ist es hier. Dazu kommt, dass die
Muttersprache zu den bekanntesten und geläufigsten, die
fremden Sprachen zu den gesuchtesten, zu den am mei-
sten studirlen Gegenständen gehören. Ferner, dass die
Sprachen zu den ausgedehntesten, reichhaltigsten Syste-
men von Thatsachen unter allen, die sich der psycho-
logischen Analyse darbieten, zu rechnen sind. Daher
gilt hier wieder, was schon im ersten Hefte bemei'kt
wurde : wo ganze Systeme von Thatsachen auf einmal
vorliegen, die man nicht vereinzeln kann, da muss es
sich verrathen, ob die Erklärungen erkünstelt sind, oder
sich ungezwungen auffinden Hessen.
In einem Hauptpuncte freylich stehen die Thatsachen
der Sprache weit zurück hinter denen, welche im er-
sten Hefte den Gegenstand der Untersuchung ausmachten.
Die Spraclilehre hat nichts, was schon nach Zahl und
IMaass bestimmt wäre. Dagegen bot uns die Tonlehre
ihre schon abgemessenen Intervalle dar; und wiewohl
die vorgefundene Abmessung nicht genau richtig war,
— da man sie aus dem ganz falschen Princip, Schall-
wellen mit Ton -Vorstellungen zu verwechseln , abgelei-
tet hatte, — so kam doch das ästhetische Unheil zu Hülfe,
176
lim (las In jenen Abmessungen Verfehlte zu bericlitigen.
F.benso beyni Zeilmaasse. Bey weitem nicht soviel Ge-
nauigkeit Irisst sich in der Auffassung des Factischen er-
reichen, Avenn von Conjnnctionen und vom Satzbau die
Rede ist. Hinter einer reinen oder falschen Quinte, ei-
ner Terze und Sexte, einer Secundc und Septime, liegt
der psycliische IMechanismus lange nicht so fern und so
tief verborgen als hinter dem Zwar und Doch , dem
Entweder-Oder, den Partikeln Jpa und ye. Deshalb
müssen wir dem Leser hier etwas Mehr znmulhen als
dort, wo schon die Kenntniss der ersten Elemente hin-
reichen konnte. Hier, bey den Conjunctioneu, ist auf
den analytischen Theil der Psychologie zu verweisen;
der Ursprung der Pieihenformen (Raum, Zeit, Zahl, Grad
U.S.W.) wird hier als bekannt angesehen; desgleichen
der Ursprung der Negation, — oder wenn nicht als be-
kannt, danu als ein Solches, was jeder Einzelne seiner
künftigen Untersuchung vorbehalten mag. Denn die
Analyse der Conjunctioneu führt nicht tiefer als bis auf
Reihenform, Negation, Gewissheit und Ungewissheit; (un-
ten 47). Wem noch das Zwischen — das Charakteri-
stische aller Pveihenformen — ein Räthsel ist, der muss
nicht verlangen, dass man ihm das fidv und rJV, ja auch
nur das le und nal, und den Unterschied des re vom
einfachen d'i', psychologisch erkläre. Wer noch nicht ge-
fragt hat, wie es zugehn möge, dass aus der kleinen An-
zahl der Sprachlaute, welche das Alphabet anzeigt, die
W^orte so vieler Sprachen ihren Stoff hernehmen, —
dass also die Bezeichnung der Gedanken weit mehr
durch die Stellung der Si)rachlaute in den Worten, als
durch die Laute selbst erreicht wird , — dass eben diese
Stellung schon von dem Kinde behalten und angeeignet
177
wird, indem es die Spraclie lernt, statt deren es jede
andere Sprache auch hatte lernen können , — dass für
die unzähligen Genossen der nämlichen Spraclie diese
Stellung unverriickt bleibt, während die mindeste Ver-
änderung auch den Sinn der Worte verändern kann, —
dass die Yestigkeit dieser Stellung sich in den Sprach-
wurzeln selbst mitten unter den Flexionen und Ablei-
tungen behauptet : wer für diese erste Bedingung der
Sprache noch keinen psychologischen Grund verlangt hat,
der ist auf dem Standpunkte unserer Untersuchung noch
nicht angelangt.
Schon hier mag eine vorbereitende Bemerkung Platz
finden, für welche weiterhin sich keine bequeme Stelle
darbieten möchte. Als Sprach -Wurzellaute betrachtet
man gewöhnlich nur die Cousonauten, da die Vocale
sich die mannigfaltigsten Abänderungen gefallen lassen.
Allein es kommt nicht bloss auf die Consonanten , auch
nicht bloss auf deren Stellung an. Niemand verwech-
selt bald und Blatt; obgleich in beyden Worten, da der
Unterschied des d und t am Ende nicht hörbar ist, nach
Wegnahme des Vocals nur die Laute llt in gleicher Stel-
lung übrig bleiben. Dasselbe zeigt sich in den W^orten
gilt und glitt, w^o auch nach Wegnahme des Vocals, in glei-
cher Stellung nur die Laute glt übrig bleiben. Und doch
würde man eher Geld als glitt mit gilt verwechseln ; imd
eher glitt als galt mit glatt; keius von diesen W^orten aber
mit Geleit. Eher bey etwas unrichtiger Aussprache den
Imperativ gleite mit kleide. Offenbar kommt ausser der
Stellung noch die Distanz der Consonanten in Be-
tracht. In einem Falle liegt das / näher dem t oder d;
im andern das l näher dem g; in Geleit ist das / vom
G und vom t gesondert. Die Distanz hat Einfluss auf
Heft II. M
178
die Reproductions-Geselze, welche weiterhin den Haiipt-
gegenstand der Betrachtung ausmachen werden. Fürs
erste wollen wir nur die Thatsache: dass ein anschei-
nend so geringer Unterschied , wie der zwischen geleiten,
gleiten, gelten, doch hinreicht, um durch das mehr oder we-
niger Successive der Laute g, l, i, ganz verschiedene Be-
griiFe zu bezeichnen: mit einer andern, schon früher be-
leuchteten Thatsache zusammenstellen, nämlich dass der
Unterschied des Successiven vom Simultanen die JMelodie
von der Harmonie trennt, und hiemit sogar ganz ver-
schiedene ästhetische Urtheile begründet. Man denke
an jene, im ersten Hefte gleich Anfangs erwähnte Frage
von den verbotenen Quintengängen zurück. Unerlaubt
ist, eine Stimme von / zu a oder as, und zugleich die
andere Stimme von c zu e oder es fortschreiten zu
lassen; aber der Accord face oder fasces, welcher
die nämlichen beyden Quinten simultan in sich ent-
hält, kommt oft genug im strengsten Satze vor. Darum
bezog sich unsere Erklärung der verbotenen Quinten auf
das, was sich im Übergänge ereignet; und wird sich
hier auf die Abstufung in der Verschmelzung beziehen.
Analytische Untersuchungen müssen einander aushel-
fen, und zwar dadurch, dass sie von verschiedenen Sei-
ten her sich in der Verstärkung ihrer gemeinsamen syn-
thetischen Grundlage vereinigen. Die Tonlehre dient den
ersten Elementen zur Bestätigung; aus den Elementen
ergiebt sich, was zur Erklärung der Reihenform, der
Negation, der Gewissheit und Ungewissheit nöthig ist;
die Richtigkeit dieser Erklärung wird bestätigt durch
die Sprachlehre. Auf diese Weise muss man fortschrei-
ten; und man würde es leichter als jetzt vermögen,
wenn nicht Vorurtheile — alten und neuen Ursprungs —
179
im Wege ständen , die wir fürs erste umgehen, weiter-
hin zum Theil erwähnen werden.
1. Die Vorstellungen P und 77, deren Hemmungs-
grad :=. m, seyen mit ihren Piesten /• und p vei'sclimol-
zen; dann beyde aus dem Bewusstseyn Yerschwunden.
Jetzt erhebe sich P. Man setzt alle Neben -Umstände
bey Seite, und fragt bloss nach der Reproduction des P,
inwiefei'u zugleich g durch r reproducirt wird.
Auch ohne Rechnung ist klar, dass mit q eine wacli-
sende Hemmiingssumme hervortritt, die zwar Anfangs
unbedeutend (wenn r, g und m nicht gross sind), doch
mehr und mehr theilweise der Erhebung des P selbst
entgegenwirkt. Sie wird die Erhebungs-Grenze des P
fortwährend erniedrigen; und P muss mit g in ein sol-
ches Gleichgewicht treten, wie es durch die gegebenen
Grössen bestimmt wird.
2. In wirklichen Fällen wird P nicht bloss mit Ei-
nem 77, sondern mit vielen verbunden seyn; es wird
dafür viele verschiedene Reste r und g geben , und die
wachsende Hemmungssumme wird von ihnen allen zu-
gleich ausgehn, besonders wenn auch noch die Jl unter
einander entgegengesetzt sind.
3. Nach diesen Vorerinnerungen ist das Evolutions-
Vermögen, welches der Gesammt -Vorstellung eines Wor-
tes zukommt, näher zu überlegen. Es sey das Wort
Hamburg; und wir nehmen an, die Vorstellung der
Stadt sey mit allen Buchstaben in diesem Worte gleich
genau verbunden (wenn auch diese vorausgesetzte Gleich-
heit weiterhin einiger Beschränkung möchte unterworfen
werden). Beyspiels weise sey nun das obige P hier der
Vocal a, und 77 der Vocal u. Wenn die Vorstellung
der Stadt den Namen hervorruft, so werden a und u
M2
180
gleichmässig gehoben , und würden liiedurch gleichzeitig
ins Bewusstseyn treten. Allein der Name lieisst nicht
Hiimbarg sondern Hamburg; mithin war a sclion im
Sinken begriffen, als u hinzukam; hingegen u war un-
gehemmt, als von a nur noch ein Rest im Bewusstseyu
war; diesem Umstände gemäss sind r und q zu bestim-
men*). Während r nur ein Theil von a ist, muss
dagegen p fast dem ganzen u gleich geschätzt werden;
wenigstens ist hier q'^t.
Daraus ergiebt sich sogleich folgendes: Sollte dem
Streben des P vollständig Geniige geschehn, so miisste
nicht bloss P selbst, sondern auch q zur Reproductiou
vollständig gelangen; an dem letztem wird aber desto
mehr fehlen, je geringer /• ist, von welchem die Re-
production des q abhängt. Soll andererseits dem Stre-
ben des 77 genügt werden , so muss mit 77 auch r ganz
hervortreten; dies letztere nun kann desto leichter ge-
schehn, je kleiner /•, und je grösser q ist. Sieht man
also auf das Ende der Reproductionen, so gelhigt eine
solche dem 77 besser als dem P.
4. Dieser Umstand ist vollständiger zu überlegen ;
er gilt nicht bloss denVocaleu, sondern auch den Cou-
sonanten eines Wortes ; er gilt allen entgegengesetz-
ten Gliedern einer Vorstellungsreihe. Jedes vorherge-
hende Glied strebt die sännntlichen nachfolgenden zu re-
prodnciren, und zwar eben so weit, als sie mit ihm
verschmolzen waren. Es ist aber Mehr von ihnen mit
immer geringern Resten des vorhergehenden verschmol-
*) In dem gegebenen Bejspiele sind die beyden Vocale durch
zwey Consonanlen getrennt. Ware nur ein Consonant dazwischen,
so wäre r grösser; ständen drey oder mehr Consonanlen dazwi-
schen , so wäre r kleiner.
181
zen ^ als imigekelirt ein uaclifolgendes Glied, du es noch
fast ungehemmt eintrat, von den schon sinkenden vor-
liergehenden in sich aufnahm. Sieht man nun auf das
zu reproducirende Quantum, so sollte das vorhergehende
Glied beynahe die ganze Summe der nachfolgenden ins
Bewnsstseyn erheben; hingegen das nachfolgende hat nur
die abgestuften Reste des vorigen zurückzurufen. Sieht
man auf die Kraft: so wirkt das vorhergehende nur nut
seinen abnehmenden Resten auf die folgenden, und die
Abnahme der Reste richtet sich nach dem Abstände der
weiter und weiterhin folgenden; hingegen das spätere
Glied der Reihe hat mit seiner ganzen Starke die Reste,
die es beym Eintreten vorfand, sich angeeignet, kann
also auch mit seiner ganzen Starke (abgesehn von der
Beschränkung durch die Hemmiuigsgrade, die auf bey-
den Seiten die Verbindung schwächen) zur Reproduction
wirken. Das Ende der Reproduction fällt demnach so
aus, dass dem Streben des Nachfolgenden mehr Erfolg,
dem Streben des Vorhergehenden weniger Erfolg ent-
sprechen wird.
5. Anders verhält eichs mit dem Anfange der Re-
production. Wenn mit dem ganzen 77 der Rest r ver-
bunden ist, so muss 77, falls es aus einem gehemmten
Zustande eben jetzt erst wieder hervortrit, für jeden
Grad seiner eignen Reproduction auch eine proportio-
nale Reproduction des r anstreben. Hinwiederum, wenn
mit dem Reste r das ganze IT verbunden ist, so ist zwar
/• nur ein Theil von P; und P, falls es aus einem ge-
hemmten Zustande liei'vortrit , wirkt für jeden Gi-ad sei-
ner eigenen Reproduction nur in dem Verhältnisse r : P
dahin, dass auch 77, aber dieses ganz, wieder hervor-
trete. Wenn nun auch nicht das ganze 77, sondern
182
dessen Rest q mit r Yerbunilen Ist, so bleiben wir doch
bey der obigen Voraussetzung, dass g'^r; so dass Tl der
höchste Werth ist, welchen man dem q beylegen kann.
Der Anfang der Reproduction ist das, was wir nun ge-
nauer zu entwickeln haben.
6. Da hier die reproducirende Kraft als wachsend
soll betrachtet werden, müssen wir die sonst gebrauchte
Bezeichnung um etwas abändern.
Derjenige Rest von P, -welcher mit dem Reste q von
n verschmolzen ist , soll jetzt nicht mehr mit r, son-
dern mit R bezeichnet werden. Aber auch der Buch-
stabe Q muss jetzt, wie /•, eine veränderliche Grösse
bedeuten; daher wollen wir den constanten Rest von
77, welcher sonst g hiess, für jetzt mit dem griechischen
P benennen. Denniach ist die Verschmelzungshülfe
für P nicht mehr nüt -^ zu bezeichnen, sondern mit
n
——. Wenn R gleich Anfangs im Bewusslseyn wäre,
und unveräudei't Stand lüelte, so müsste die bekannte
Formel für do) so geschrieben werden:
-— : ( P — to) dt=.d(a
Auch ist das eben erwähnte Verhällniss nicht, wie
zuvor, durch /• : P, sondern durch RxP auszudrücken.
Es ist nun zwar nicht nöthig", das Gesetz zu bestim-
men, wonach P reproducirt wird; allein soviel sieht
man, dass diese Reproduction nicht ganz frey seyn kann
(als ob plötzlich alle Hemmung für P verschwunden
RP
wäre); denn alsdann wäre Anfangs dm =z — - dt, in-
dem auch die Hülfe frey wirken würde. Unsre jetzige
183
Meinung ist aber, dass ihre Wirkung nur in Folge des
allniälilig hervortretenden R geschehe. Denuiacli niuss
auch P nur alhnählig freyen Raum bekommen. Man
weiss, dass in solchem Falle der Anfang des Ilervor-
tretens dem Quadrate der Zeit proportional ist*).
Die wachsende Freyheit des Hervorlretens ziz x
kann alsdann bekanntlich für den Anfang als der
Zeit proportional angesehen werden; also x :^z nf, wo
n unbestimmt bleibt, und von den Umständen abhängen
mag; t ist hier als das erste Glied von 1 — e~^ zu belrach-
ten ; oder vielmehr von — (1 — e ^) wo q ein achler
Bruch ist, und oft ein kleiner Bruch seyn kann. In
dem Maasse, wie diese Freyheit wächst, wirkt P zu
seinem eignen Hervortreten mit der ganzen Stärke seines
noch gehemmten Theils '■''*) ; aber nur in dem vorerwähn-
ten Verhältnisse R : P, um den noch gehenmiten Theil
von 'P zu reproduciren. Heisst nun das wirksame
r
Quantum von P jetzt ;•, so ist /• zzz Pnt, und anstatt —
(o — oj) dlzzzdo) haben wir
— . (P — Ol) dt zzz dvi
p n ^ ^
oder —-ntdt =::: ^
n p—Vi
woraus w=: /' l 1 — e - IL )
Dieser Werth von w entspriclit, der Form nach,
dem Werthe für die sich selbst reproducireude Vor-
stellung /i, nämlich
•) S. 160 — 162 (los ersten Hefts; wo man Y = o setzen
kann, wie wir es hier für t = o voraussetzen.
") A. a. O. mit der Stärke h — Y.
184
y — h (1— e ^ )
^venn h anstatt P, und F= o (a. a. 0.) gesetzt wird,
■woraus man scliHessen mag, dass auch wenn nicht bloss
obenhin xzr^iit genommen, sondern der freye Raum ge-
nauer bestimmt würde, die Pieproduction durch Ver-
schmelzung ähnlich der Art, wie P sich selbst reprodu-
cirt, ausfallen müsste; wie dies ohnehin zu erwarten
ist. Indessen liegt immer noch eine bedeutende jNlodi-
fication im Exponenten, welcher von P». und 77 abhängt.
Man bemerke, dass r hier nicht der wirklich her-
vorgetretene Theil von P, sondern grösser ist; indem
das Hervortreten allemal hiutoi' der gegebenen Freyhelt
zurückbleibt.
Es kann aber nur für den Anfang xr=znt genommen
werden; daher man nicht eine so schnelle Annäherung
an die Erhebungsgränze, wie die Formel anzeigt, fort-
wahrend erwarten darf.
7. Wir haben bisher P als die reproducirende Voi'-
stellung betrachtet. Es sey nun umgekehrt 77 die re-
producirende; und 10 derjenige Theil von P, welcher
durch 'P, insofern es zur freyen Wiiksamkeit gelangt,
soll reproducirt werden. Um die Umstände gleich an-
zunehmen, soll wiederum die wachsende Freyheit a;n://f
seyn. Anstatt der Formel ^ (/• — w') dt =:: dm haben
wir nun, da q^=z fjnt seyn muss, vuid dessen Wirk-
samkeit durch das Yerhältniss 'P : TT beschiänkt wird;
'p rint .
'^r . — 7j- {R — w) dlz:::zdvi)
woraus 0}=:zR il — e ' ^ j
8. Unsre Absicht ging dahin, (5) den Anfang der
185
beyden Rcproduclionen zu vergleiclien. Löset man luui
w und 10 in eine Reihe auf, so ist
von w das Aufanasclied n^ 'P . i — fi
von v) das Anfangsglied m: R . }f -7-. {^
'Pn
also beyde sind für HzzzP gleich; und im Bisherigen
ist noch kein Grund zu erkennen , \YeslialI) die Repro-
duction des einen oder des andern frülier beginnen
sollte ; besonders da ein Glied mit i^ nicht vorkommen
kann, indem das zweyte Glied schon t'^ enthält. Würde
man o; genauer bestimmen, so käme zwar ein Glied mit
t^ zum Vorschein; aber es könnte nur unbedeutend ge-
ring ausfallen, so lange %—int eine hinreichende Annä-
herung gewährt. Daraus folgt nun, dass man die Be-
trachtung erweitern muss. Ohnehin liegt am Tage, dass
weder P noch 77, falls keine andre Bestimmung hinzu-
kommt, auf die Verschmelzungshülfe warten könne.
Oben (3) ist angenommen worden, dass beyde gleich-
massig gehoben werden. Welches nun auch das Gesetz
der Erhebung seyn möge, die Hülfen, die sie einander
gegenseitig leisten können , sind immer nur in so fern
zur Wirksamkeit geeignet, als sie selbst schon von der
Hemmung Irey gemacht wurden, welcher sie bis dahin
unterlagen.
9. W^ähreud P und Tl zugleich freyen Raum be-
kommen , entsteht unter ihnen beym Steigen eine Hem-
muugssumme; und zwar schleunig wachsend, indem
beyde sich gemäss dem Quadrate der Zeit erheben. Da-
durch wird nicht der gegebene freye Raum vermindert,
aber das wirkliche Hervortreten muss sehr bald eine
Vci'zögeruns erleiden. So können nicht bloss die Hül-
186
fen Zelt gewinnen, um zum Mitwirken zu gelangen,
sondern nun kommt es auch noch darauf an, welche
von den Hülfen mehr oder "weniger geeignet sey, den
Widerstand zu überwinden. Ob nun dieser Wider-
stand bloss von der Hemmungssumme, oder wovon
sonst herrühren möge: wir wollen ihn mit a bezeich-
nen. Unter den Vorstellungen P und 77 ist hier der
oben bemerkte Untei'schied , (4) welcher aus R <^ ' P
folgt. Das kleinere R soll dem grössern ^P, das grös-
sere 'P dem kleinern R zur Reproduction Hülfe leisten.
Findet die zwiefaclie Pxeproduction Widerstand: so
trifft derselbe mehr das grössere ' P, minder das kleinere
R. Also wenn der Formel für doi und do) ein negati-
ves Glied wegen « beyzufügen ist, so kann man es für
do) durch - — - u, hingegen für du) durch ,— a ausdrü-
cken; indem die Verminderung des Wachsens (also des
du) und dl»') desto mehr beträgt, je geringer die
Kraft im Verhältniss dessen was durch sie
geschehen soll, librigens muss w als Factor hinzu-
kommen, weil, je grösser es schon ist, desto mehr sein
W^achsen Widerstand erleidet. Demnach ist in der
'P
Formel für doi noch das Glied — — «wt//, für dw nocli
— , — ao)dl beyzufügen. Also
- — -- tdt — "„- midi — — UV. dt =z dca
ff 77 R
unu — —— tdt — ,^ V) tdt — - — ■ «tu dt = dm
P P 'P
10. Für den jetzigen Gebrauch lassen sich diese
Formeln abkürzen. Bekannt ist, dass die Ueihe für w
mit einem Gliede anfangen muss, worin /^ vorkommt.
187
Ein solches cnlsl(>lü aus idi] tlagegcn aus v.dt ein Glied
niil /^, aus o)idf ein Glied mit t"^ durch die Inlcgration
hervorgehn muss. Das letztere kann vernachlässigt
werden, da nur kleine Werllie von i beabsichtigt sind.
Beyde Formeln bekommen alsdann die Gestalt
hidt — cvull = du)
und hieraus durch Integration
das heisst w r:: t 1^ — h uO -\- ...
, , , 'PnR „ n7l2
und w = -h —jj— V- — \ —73- ut^ -\- ...
11. Unter der Voraussetzung P ^n 11 erleidet dem-
nach b) weniger, hingegen w mehr Abzug in Folge des
Widerstandes a\ also c/ ^ w; das heisst, P empfangt
Anfangs mehr Hülfe von // als es ihm leistet, liiemit
ist das frühere Hervortreten des P entschie-
den; und das um so mehr, da die Glieder, welche den
Unterschied in sich tragen, nicht vom einfachen Ver-
hältnisse ' P : Fl, sondern vom quadratischen ' P"^ : B?-
abhängen.
Was die Zeit anlangt: so kommt es hier darauf
an, wie weit man 1 — e~ annäherungsweise durch
das blosse t darstellen kann. In der Abhandlung über
die ursprüngliche Auffassung des Zeitmaasses *) ist be-
merkt, dass für t =z ^ der Fehler noch nicht gross,
und bis etwa f^z^ noch eine leidliche Schätzung ge-
stattet ist; auch dass t=:z\ für ungefähr zwey Secun-
den kann genonunen werden. Nun ist zwar die Länge
«) Erstes Heft, S. 174.
188
der Sylbeu eben sowohl als Geschwindigkeit des Spre-
chens sehr verschieden; da man jedoch allemal auf eine
Secunde mehrere Sylben rechnen kann, so bedarf es
gewiss keiner gar zu langen Zeit, damit beym Sprechen-
Lernen die Verschmelzung der einzelnen Sprachlaule
sich bilde , und ^viederum damit beym Gebrauch der
Sprache die Keproduction sich nach der Stellung, und
selbst nach der Distanz der Buchstaben (wie in bald
und Blatt) gehörig entwickele.
12. Ganz kurz nuiss hier nun noch an einen wich-
tigen Umstand erinnert werden. Wir haben vorhin
x-=.nt gesetzt. Dies hangt ab von der Voraussetzung,
dass die Hemmungssumme, welche freyen Raum schallt,
(6) momentan entstehe. Eine solche Annahme ist die
einfachste, und in der angeführten Abhandlung über
das Zeitmaass war sie die passendste, weil die Tact-
schläge wo möglich momentan seyn sollen , indem sie
für sich keine Dauer haben, sondern das Dauernde ab-
zutheilen bestimmt sind. Obgleich nun die Hemmungs-
summe momentan entsteht, (man vergleiche im ersten
Hefte, S. 159, die Worte: es entsteht durch Ä2
eine neue Hemmungssumme,) so sinkt sie den-
noch succcssiv, und zwar Anfangs nahe proportional der
Zeit; daher ot^^^nt. Allein dies verhalt sich anders,
sobald die Hemmimg der eben vorhandeOen Vorstellun-
gen durch eine solche neue Wahrnehmung bewirkt ist,
welche niclit als momentan kann betrachtet wei'den,
sondern eine merkliche Zeit verbraucht. Im Grunde
geschieht es so bey jeder sinnlichen Wahrnehmung,
selbst bey denen des Gehörs, obgleich hörbare Tact-
schliige sich noch am ersten als momentan betrachten
lassen. INinunt man nun Ilücksicht auf die Dauer ei-
189
ner Wahrnehmung, so ist die daraus entstellende Hem-
mungssunime eine waclisende oder überhaupt eine ver-
änderliche Grösse. Gesetzt (um das Einfachste anzu-
nehmen), die Empfindung behalte während ihrer Dauer
einerley Starke z=z ß, so entsteht daraus ein Vorstellen
rr: 2 r= y (1 — e~ ^' ), wo (p die Empfänglichkeit be-
deutet, und hieraus, wenn man durch 7^ den Grad des
Gegensalzes gegen die vorhandenen Vorstellungen an-
deutet, eine Hemmungssumme
_ ijßrp ( _^j^ _A
V^=- \e. ' — e I
1—/!? V /
nämlich wenn v = für < ziz: o. Das augenblickliche Sin-
ken dieser Hemmungssumme ;:::: rät ergiebt das Gesun-
kene nach Verlauf der Zeit /,
In eine Reihe aufgelöset enthält dieser Ausdruck
keine Constante, auch nichts in der ersten Potenz; son-
dern die Reihe beginnt mit ^ y ß'^ t"^. Über dies Alles
mag die vollständigere Auseinandersetzung am gehörigen
Orte*) verglichen werden; hier brauchen wir nur das
•) Psychologie §. 94, 95, und 97. Im §. 97 bat man statt
fudt — az — bz^ — y T-M setzen {fvdt — az — bz^) (h — j )
in Folge der Beiichligung, welche im ersten Hefte dieser Unter-
suchungen S. 160 gegeben worden. Auch mag noch bemerkt
werden, dass wegen a = — nicht völlig 5 = o anzunehmen,
und von den schon berechneten Werthen von Z nur einer in
Gebrauch zu ziehen ist, um b zu bestimmen. Dies reicht aber
auch hin, da nur für den Anfang der Zeit, oder für sehr kurze
Zeiten, die Rechnung gelten soll; überdies ist 5 genau genommen
niemals vollkommen =: o, wie dies §. 95 der Psychologie schon
erinnert worden, und ein geringer Werlh von ä kann als zurei-
chend betrachtet werden.
190
Resultat In Anseliung des freyen Raums, welcher durch
die sinkende Hemmungssuninie gesclialft wird.
]Mag eine neue Wahrnehmung, (oder irgend ein
andrer Grund) gl eich massig anhaltend diejenige
Hemmung herbeiführen, welcher nachgebend die vor-
handenen Vorstellungen entweichen , so dass die ältere,
der neuen Walnuiehmung gleichartige (oder irgend wel-
chem Grunde der Reproductiou entsprechende) , nun
Freyheit zum Hervortreten gewinnt : diese Freyheit
richtet sich immer nach dem Entweichen des Hinder-
nisses, das heisst, nach dem Sinken der Hemmungs-
sunime; und wächst folglich gemäss dem Quadrat der
Zeit, wofern dies Sinken in solcher Art fortschreitet.
Daher müssen wir, falls die Hemmungssumme nicht
momentan entsteht, sondern auf die vorbeschriebene
Weise zugleich anwächst und sinkt, das obige x nicht
mehr zzz nt , sondern x rr nt'^ setzen ; und hiernach
die Rechnung verändern.
Hiemit wird r = Pnfi, und eben so ^ rr 77«/'^. Fer-
ner giebt
—— [ P — w) dt=do)
, / 1 / s\
nunmehr wrzrPM — e ^77 1
'Pni'2
vuul eben so (R — w') dt =:: doj
giebt oj =R\t — e~^ p '^J
Desgleichen t'^dt i'^ohU aiodt = dta
° n n R
, 'PriR ^ 'Pn , , , R , ,
und — — - t'^dl — - t^oi dl — ,— aw dt = du)
101
können jetzt, da nocli mehr als vorhin zur Weglassung
des Gliedes mit / und (o, Grund \urlianden ist, abge-
kiirzt durch
ht'^dt — co.dt m du)
ausgedrückt werden, ^voraus sich ergiebt
w = _ . (c2z2 _ 2ct 4- 2 — 2e~ "^'j
RnP 'P
das heisst w = "^Tn" (^^ — i "^ ut"^ -^ . . .)
oll Jri
und oj r= -^-- (^3 _ ^ _ «i+-f . . .)
]Man -wird \vohl nicht zweifeln , dass In Ansehung
des schleunigen Ilervorspringens reproducirter Vorstel-
lungen, diese Formeln der Erfahrung noch besser ent-
sprechen als die vorigen. Auch die Wirkung des Wi-
derstandes, worauf es uns hier hauptsächlich ankommt,
zeigt sich noch mehr beschleunigt.
13. In Bezug auf das obige Beyspiel (in 3) könnte
man sich nun so ausdrücken: Wenn wir an die Stadt
Hamburg denken, und hiemit uns des Namens erinnern,
so mag immerhin das a und das u gleich genau mit
dem Gedanken der Stadt selbst verbunden seyn; es
mögen auch die Umstände, dass dem a mehr vom u
inwohut, aber schwächer, hingegen dem u weniger vom
a, jedoch vollständiger, verschmolzen ist, einander ge-
genseitig compensiren; (daher in 8 noch kein Unter-
schied zum Vorschein kam): dennoch wird das a seinen
Vortritt vor dem u behalten, weil es von diesem nach-
drücklicher gegen den Widerstand unterstützt wird,
als es seinerseits dem u zu Hülfe kommen kann (11).
Dasselbe Verhältuiss , wie hier , ist zwischen jedem
192
vorhergelieuden untl allen seinen nachfolgenden Gliedern,
desgleichen zwischen jedem nachfolgenden und allen
seinen vorhergehenden Gliedern einer Reihe.
14. Fasst man aber die Sache allgemeiner, so ist
nicht zu übersehen, dass jede Hülfe nur bis zum Ver-
hindungspuncte wirkt. Hebt sich eins der vorhergehen-
den Glieder, so wii'd es von der Hülfe der hintersten
Glieder bald verlassen , nämlich sobald es den Verbin-
dungspnnct übersteigt, welcher bestimmt wurde als die
Reihe sich bildete. Damals konnte mit dem hintersten
nur noch der geringste Rest des vorhergehenden ver-
schmelzen. Ein grösserer Rest verband sich mit jedem
näher stehenden unter den nachfolgenden Gliedern. Die
gesammte Hülle läuft demnach in so fern von hinten
nach vorn, als die minder entferntem länger mitwirken
können.
15. Wir haben angenommen, die Hauptreproductlon,
welche von dem Gedanken zu dem Namen geht, sey
vollkommen gleichförmig (3). Ganz streng richtig kann
dies nicht seyn , da die ersten Buchstaben noch vor der
Hemmung durch die folgenden mit dem Gedanken com-
plicirt wurden. Im Beyspiele war die Sylbe Harn früher
mit der Vorstellung der Stadt verbunden, ehe die andre
Sylbe Burg dazu kam. Hingegen die folgenden Glieder
der Reihe — hier die Laute der zweiten Sylbe, —
wurden vernommen, indem die vorigen schon hem-
mend einwirkten , und die Complication des Gedan-
kens mit dem Namen um etwas verminderten. Wenn
nun ein solcher Unterschied nicht als völlig un-
bedeutend zu vernachlässigen ist (welches jedoch
allermeistens der Fall seyn möchte,): so liegt schon
in der Haupt -Reproducliou ein Grund, weshalb der
193
Name vom Anfangs- Buchstabeu ausgehend ins ßewussl-
seyn trit.
16. Wenn dagegen die Haupt-Reproduction nicht von
einer ganz oder doch beynahe gleichmässigen Coniplicalion
des Gedankens und des Namens bestimmt wird : so ist
ein Streit zwischen ihr und jenen partialen Reproductio-
neu der einzelnen Buchstaben unter einander leicht mög-
lich. Alle diese partialen Reproductionen zusammen
wollen wir die innere Reproductiou nennen. Diese ist
wenig verschieden bey den Namen Hamburg, Homburg,
Homberg, Amberg u.s.w. Daher werden geringe Ne-
ben-Umstände Anlass zu Verwechselungen geben können,
wenn nicht die Haupt-Reproduclion durch eine slarke
Complication gesichert ist.
17. Den Namen einer Stadt haben wir als Beyspiel
eines Worts in Bezug auf den dadurch bezeichneten Ge-
danken gewählt. Bey kurzen Worten wird der Lauf des
Denkens nicht merklich durch Reproductiou der Worte
aufgehalten; hingegen lästig wäre jenes bekannte Distichon
conturlahaniur Constantinüpolitani
innumerahilibus soUicitudinibus
schon weil der Gedanke der bedrängten Stadt nicht leicht
so lange unentwickelt still hält als der Ausdruck fodert,
auch wenn die Verse ilu-en Rhythmus nicht so unbehol-
fen fühlbar machten. Die innern Reproductionen müs-
sen zu Stande kommen während der Zeit, die ihnen
der Gedaukeulluss willig zugesteht. Man wird übrigens
von solchen überlangen Worten beym Lesen weit weni-
ger gestört als beym Hören, weil beym Lesen, welches
schneller geht, nur eine höchst geringe Evolution der
Reihe von Sylben und Buclistaben nöthig ist, um den
Gedanken zu erkennen.
Hefi II. N
194
18. Ferner sind Worte überhaupt als Beyspiele für
solche Picproductloneu zu betrachten, da mit Erhebung
Eines Gedankens eine Vorstellungsreihe sich evolvireu
muss. Andre Beyspiele würden mancherley Fertigkeiten
liefern können , in deren Ausübung kaum eine Succession
bemerkt wird, z.B. das Anziehen oder Ablegen eines
Kleidungsstückes, nachdem die nöthigen Handgriffe so
geläufig wurden, dass man ihre Folge kaum noch ge-
wahr wird.
19. In den bisher betrachteten Fällen ist die Re-
production wesentlich der besimmteu Form einer Reihe
unterworfen. Sie bleibt es noch, wenn wir, zurückkeh-
rend zu Worten und Namen, die benannten Gegenstände
als eine Reihe beti-achten. Wer etwa die sieben römi-
schen Könige nach ihrer Folge hersagen will, der ent-
wickelt eine Reihe von Personen so, dass bey jeder ein-
zelnen Person der Gedanke zugleich die Evolution der
Buchstabenreihe fodert, welche in jedem Namen liegt.
Die Haupt -Reproduction aber geht hier von dem Be-
griffe der römischen Könige aus; und in Beyspielen wie
dieses wird es schon merklich, dass eine genaue Gleich-
mässigkeit der Complication , welche zum Grunde liegt,
nicht immer darf erwartet werden. Man denkt wohl
eher an den Servius TuUius als au den Tullus Hostilius,
eher an den Tarquinius Superbus als an den Ancus IVIar-
cius; und man darf sich nicht zu sehr in das Eigene ei-
nes Jeden vertiefen, wenn die Reihe als solche hervor-
treten soll.
20. Was an solchen Reihen zu beachten am nöthig-
stcn ist, das wollen wir mit dem Ausdrucke specifi-
sche Schwere bezeichnen. Nämlich jedes Glied dei'-
selben besteht selbst aus entgegengesetzten Gliedern ; in
193
diesen liegt eine Hemmini^ssiimnic, die bey der Repro-
duction allmäldig liervorlrelend anfangs mehr die hintern,
sjfater mehr die vordem Theile drückt, im Ganzen aber
auch der Ilaupt-lleproduclion entgegenwirkt, und von
jeder zufällig gerade vorhandenen Hemmung muss imtcr-
schieden werden.
Es ist nicht zu verkennen, dass hiebey ein Maximum
der Gegenwirkung vorkommen muss. Denn Anfangs er-
heben sich die vordem Tlielle, gegen den Widerstand un-
terstützt durch die hintern; dann treten mehr und mehr
die länger anhaltenden Geschwindigkeiten der Reste je-
ner vordem Theile hervor, wodurch die hintern gehoben
werden (nach der frühern Abhandlung*)), je mehr aber
die hintern gewinnen, desto geringer wird das Quantum
dessen, was von den vordem bis zu deren Verschmel-
zungspuncten im Bewusstseyn zu halten ist (nach 4.).
Die Hemmungssumme, welche zuvor im Wachsen begrif-
fen war, vermindert sich demnach, indem ihr zufolge
die vordem Theile wirklich sinken. So geschieht es in
jedem einzelnen Gliede der Hauptreihe. In dem Bey-
SjDiele jenes Distichons (17) liegt eine solche Hebung und
Senkung, also ein INIaximum, zunächst in dem Worte coii^
fui-babanluj", dann eine zweyte Hebung und Senkung in
dem: Constaniinopülitani; u.s. f. Der Gedanke, welcher sich
in dem Distichon ausspricht, muss demnach umgekehrt
bey der Repi'oduction jedes einzelnen Wortes eine Hem-
mung und wiederum eine Erleichterung erfahren.
21. Erweitert man diese Betrachtung von einzelnen
Worten auf die Satze, aus welchen die Perioden bestehn,
so ergiebt sich von selbst, dass lauge Sätze und seltene
Interpuuclionen auf ähnliche Art lästig werden müssen,
*) Der IcUlen des ersten Heftes,
N2
196
wie ille vielsylbigen Worte. Sie strengen an, weil eine
zu lang anwachsende Hemninngssumme durch den Ge-
danken getragen seyn will , der liir sich allein schneller
forteilen würde.
22. Hier aber slossen wir auf das sonderbare IMis-
verhältniss zwischen der Sprache, welche genölhigt ist
alle Worte in die gerade Linie einer Zeitreihe zu stel-
len, und der, davon vielfach abweichenden, iuuern Con-
s t r u c t i o n d e r G e d a u k e n. JMan bemerkt dies am leicli-
testen, wenn ein räumlicher Gegenstand, mit seinen drey
Dimensionen, und mit den verscliiedenen Eigenschaften
seiner einzelnen Tlieile, soll beschrieben werden; wozu
die Reihe der Worte, die nur Eine Dimension haben kann,
durchaus nicht passl.
23. An einem Körper kann jeder hervorragende Punct
als Anfang oder als Ende vieler, von dort ausgehenden,
oder dorthin zusammenlaufenden und wider einander
stüssendeu Reihen angesehu werden. Wie nun eine von
solchen Vorstellungsreihen sich bey der Auffassung ge-
bildet hat, so wird sie unter Umständen bereit seyn,
sich zu reproduciren; aber in der vollständigen Auffas-
sung liegen alle diese Reihen ; und wenn auch die Re-
production nicht vollständig ist, so lasst sich doch er-
warten, dass mehrere 'dieser Reihen zugleich anfangen
hervorzutreten. Alsdann aber reproduciren die Glieder
der Reihen einander gegenseitig im Durchgehen durch
das Zwischenliegende. Es beginnt eine Gestaltung theils
nach innen (wie wenn man den Zusammenhang der Stras-
sen einer Stadt durchläuft), theils nach aussen (wie wenn
man sich die Umgegend ins Gedächtniss ruft).
24. Gesetzt, die Gedankenfäden, welche durch die
Sprache sollen bezeichnet werden, seyeu auch geeignet,
197
mehrfach von Einem Puncte auszngehn, und in einander
zurückzulaufen, ja einander hemmend zu begegnen: so
muss die Sprache nicht bloss den Vorrath des Gedachten
mit Namen belegen, sondern auch ihre unpassende Form
der gerade fortgehenden Zeilreihe verbessern.
Nun wenden wir uns, schon der Deutlichkeit wegen,
zu analytischen Betrachtungen, welche die Grammatik
veranlassen kann, indem sie auf die Formen der Gedan-
ken-Verknüpfung aufmerksam macht. Weniger Licht
aber möclite die conventionelle Grammatik der neuern
Sprachen geben, als die natürliche und reichhaltige der
alten ; und wiederum liegt uns weniger an dem kunst-
reichen Ausdrucke der rhetorisch gebildeten Schriftstel-
ler, als an der Sprachweise solcher, die «ngezwungen
dem Gedankenflusse folgen, und ihn so zeigen, wie er
den einfachen Gesetzen des psychischen IMechanismus am
nächsten bleibt. "Während nun die periodische Schreib-
art klassischer Auetoren ohne Zweifel vorzugsweise geeig-
net ist, von der Ausbreitung verschiedener Gedanken-
reihen, die in Einer Yorstellungsmasse liegen, ein Zeiig-
niss abzulegen; ja man möchte sagen, ein anschauliches
Bild darzubieten: wollen wir doch fürs erste noch die-
jeliigen Conjunctionen und Flexions- Zeichen bei Seite
setzen, welche jedem Theile einer Periode seinen Platz
und Zusammenhang anweisen; denn es ist zuerst nöthig,
solche Beyspiele vor Augen zu haben, wie sie auch der
Rinderspraclie eigen sind, die noch keinen in sich ver-
wickelten Gedanken auszudrücken im Stande ist. Wir
wählen zu ßeyspielen zuerst den Homer; wo wir neben
grosser Fügsamkeit der Sprache auch für mannigfaltige
Verflechtung der Gedanken, doch den einlachen kind-
lichen Ausdruck, wenn er hinreicht, lüclit verschmähet
198
lincleii. W eilerhin könnten etwa Beysplele von Xeno-
plion und von Cäsar folgen, denen die Rhetorik zwar
zu Gebole stand, die sich aber nicht von ihr beherr-
schen Hessen. Weniges wird hinreichen, was Andere
weit vollständiger ausführen mögen.
25. Als die einfachste Gedanken -Verbindung, der
eine blosse Reihenbildung der Vorstellungen zum Grunde
liegt, wird diejenige ei'scheinen, welche in den, von den
Grammatikern so genannten copulativen Conjunctionen
ihren Ausdruck findet. Allein hier müssen wir sogleich
einen Unterschied bemerklich machen; nämlich den zwi-
schen der bloss copulativen und der cumulaliven Form.
Das deutsche Sowohl — als auch ist cumulaliv, das
deutsche Und wird oft als hinreichend gebraucht, wo
der Lateiner durch sein wiederholtes et die Cumulation
andeutet; das griechische zui entspricht dem lateinischen
et] wo aber der Grieche die blosse Copulation, ohne cu-
mulative Absicht, ausdrückt, da bedient er sich des ein-
fachen ^f , welches Homer ohne Scheu vor der Eintönig-
keit immer wiederholt, so lange der Gedanke keine an-
dere Anknüpfungs weise verlangt. So in dem Verse
/lovnrjöev öh neomv^ ciQäßtjas (J'e Tsvyy in cwtoj.
Desgleichen: — TIÜtqohXos Se (f'iXu) ene7i£i&e& iraiQO),
iit ^' aya'/e nXio'ir^Q JjQiOffida actXXtnaQyov,
ddöxE ö'uyetV 10) d^ avTig I'tijv nugci vijccg ^Ayatöiv.
tj 6'^ aezova äfia toiot yvvt] zUv *)
und mit wenigen Unterbrechungen über zwanzigmal in
der Erzählung von der Wunde, die Odysseus auf der
Jagd empfing **) :
rj/iios (5' rjihoQ natidv, neu int Hviqag ijXdi-,
*) Iliados I, 345.
^*^) Otlyss. XIX , 42f).
199
()'/; T0T6 KOl/LtfJGCCVTO-) ««/ V71V0V SmQOV {-XoVtOt
y/ios ö' r.Qtyiviio, (fävT] QododdutvXos ')jo)g,
ßccv Q i'jtiev es '&i^QijV 7]ftlv nvveSi '>]^£ Kai avrol
viees AviolvKov. /tetci toIgi Se ^iog 'OSvooevg
i}'t'€V' Ktnv d' oQos nqoslßuv yaTuei/iiivov vXy
JlaQvijoaov' tuya ö' inavov nrvyag '^ve/iioeGauS'
Ol d^ ig ßijGoav i'xavov inanriJQes' ^Qo ()' «^ ccviwv
'X^V ^Q^vrwvTig xvveg t^iouv' avTccQ onicdev
v'ihg ^vToXvHov' fuexa toicc dh Stog 'OövoGsvg
i]iev Kyyi kvvmp-, tcQaddcov öo)uyoGHiov e'yyog.
l'vd^a (J' (xQ IV Xöyjc}] nvmvfj zatixeno [.Uyag ove'
Tov d^ avSoöJv Tc zvvöjv IS 71£q\ KTvnog 7]X&e nodoi'i'v-,
vtS indyovreg inf^caV 6 d' dmi'og in ^vXoyoto
ffQi'^ug £v Xoffir^Vi nvQ d 6^&aX/ioiGi ^'eJ'opjjw^,
orij Q ttvT(äv oyjEÖo&sv o J" äga nQOJtiGTog^OdvoGsvg
£OOVt\ uvuGyöftevog d'oXiyov öoqv y^eiQi vraysii]-,
ovTafuvai /Lie/iaug' 6 de jittv ffda^ierog sXuoev cvg
yovvog vneQ' nolXov dh önjfpvoe octQxog oöovic
XiHQi(p\g (x'i^agt ov^ ooriov ihsio ywTog.
tov ö' OdvGosvg ov%r^Ge ivyß)V xavtl (^£^i6v o)/tov,
fxvTixQV d'e öir;X&£ (fcc£ivov dovgog cckojk/^
«aJ 6' £7ita' iv HovhjGi fiunoip' and d' emaro &v/iog»
TOV fthv liQ Av%olvY.ov naidsg (plXoi djKfftnivovto'
wzetXtjV ()' OdvGoriog dfivfiovog, dvTi&ioio
diJGav iTtiGTafiirwg' inaoidi] ö ai/iu y.£).aivov
£Gy£^ov' aJxpa ()' i'xovio rpiXov ngog öiöpaTu naTQog^
200
Kurz vor dieser Stelle findet sich eine andre cumulative,
wo das Gastmahl des Autolykos beschrieben wird *).
aiiTiaa d eiüüyayov ßovv ccQüeva •nsvrcujr^Qov'
i6v digov^ d/Kfi d^ l'nor-, v.ai fnv ditymav ünavTci^
/(iGTvXXov % liQ tTitora/iiiVwg, iieigdv % oßfXoiair^
v'jnT7]aür ts THQKpQadiwg, Säoavzo ts fioigac.
wo das TS ebenso ungescheut wiederholt wird, wie zu-
vor das St.
26. Hier gleich mag eine der allerhäufigsten An-
knüpfungen der Homerischen Redeweise bemerkt wer-
den; nämlich durch die Partikel ic(>(i oder öa. Der Sinn
ist weder copulativ, noch cumulativ; die Rede schreitet
dadurch nicht fort; sie verbindet nicht eins und ein
anderes; sondern sie bleibt auf derselben Stelle, oder
beydem, was man zunächst erwarten konnte; oder sie
tührt auf den Punct wieder zurück von dem sie ausging.
Daher steht diese Partikel, wo es heilst, so habe Einer
gesprochen. Z.B. Ilias XIII, 125: ojg ^a xsXevriöwv
yanjoyog wqcsv' Ayaiovs; Hi^s XIII, 754: ^ qcc, ^iai o)Q-
/n]d^t]; 821 : ws aga ol einövii. Oder bey Gleichnissen,
wie Ilias XIII, 198:
WGTE dv^ (xlya Xtovre, kvvmv vno xaQyaQoöovrcjv
iiQ7id^avT€, (piQi^TOV civa gwnr/i'a nvHPn,
vipov viiIq yah]Q aa%d ydfirpißijOiv s'yovre'
wg (ja rov vxjjov i'yovTs övm yii'avis hoqvotu
revyea mi}.ijTi;v.
Desgleichen ebendaselbst 334:
(oe J' öd' VTio Xiymv (ive/nwv anegycoGii' deXXui
ij/tiari TW, 6'tc tc nXelort] y.6vig dfi^l KeXtvd^ovg,
o'iT dfivdis KOv'n]S fteydXt]v cozccoiv o/ilyXi^v'
wg dgu 2WV Ofiöo ijXd-e fi>dyr^.
201
Und XV, 361 :
sQeine (Jh reiyog ^ jiyamv
Qeia fidX\ ojg öre rig ipa/na&ov nai's ^^yj- S^aXaoGtjs-)
'60% insi ovv notrjaf] uß-vQ/iara Vfjnth^oiv,
äip avTig üvveyevs noaiv kki yeQGtr^ u&vqvw.
log Qa oVf o^i'e ^oiße^ noXvv yM/itaiov ymI oi'^vv
avyyeag 'u4Qye('o)V.
In andern Stellen findet sich dieselbe Partikel schon
in den Gleichnissen eingeschaltet, mit der nämlichen Be-
deutung, dass hier die Erzählung nicht fortschreitet, z. B.
Ilias XIII, 795:
Ol de i'aav, agyaXfWV avipiav uialuvioi afXX?j,
7; Qcc -d- vno ßgovzijg nargog //16g sJoi nidovöe»
Ahnlichen Stillstand bezeichnet der Vers :
ojg €(pa&'' Ol d ccQa navxeg d-/,r]v eytvoPTO Gttünij'
Hier ist Stillstand in der Begebenheit, obgleich Forl-
sclu'itt zu andern Personen ; und auch so noch ist das
i'iQo, das Gegentheil von öh , durch welches immer die
Vorstellungsreihe wächst, indem zu deren vorigen Glie-
dern ein neues hinzukommt ''').
*) In der Schrift des Aristoteles von den Kategorien kommt
das uQu nicht häufig, aber an folgenden Stellen vor:
1) III, 22 : fl 117] uQU Tt? fvloraiTO, (f ((axo)ji x. t. X.
2) IV, 9: rwv di uk^Mv ovö'iv uino xad^ uino, uXX' tj uqu xutiI
axiixßfßt]xö<;.
3) IV, 11: il fijj UQU ro Ttokv tw okLyo) ifcuT] nq (tvui ivuvriov.
4) IV, 14: il yuQ iari, to fiiyu tw fiixQO) (vuvtiov, to J'' amö
iaxiv ufia i^lya xal fiiy.Qov' y.al uvto fainü uv firj ivavTiov.
iiXXu T(üv aSvvuxüiv iariv, ui'ro fuvrm ti ih'Uv IvuvtIov. ovk
iartv UQU TO fifya tw juixqm ivavTLov.
5) VI, 20: il l'oriv ij dixfiioowi] rij uö'iy.iu h'uvriov, noiov di //
6iKui,oaiivtj ' Tioiov ufja x«i ij ddixla,
<)) VI, 26: röiv di xad- i'xaorov oiid\v «i'to, öntQ fOiiv, hfiioii
Xfyniu' oiov 7] yftuf^/A.arty.i'j ov )JyiTut nvoq youft/iurix»'/ ' oi'df
// iiovaix7] xivoq novaix7']. iIXa y uqu y.urn ro yhoi y.<d uviai
202
27. Mau kann von hier übergehen zu dem fdv und
diy dessen eigentliche Bedeutung in dem Auseinander-
TMv nnöq xi Xfyovrut,' olov i] yQKft/iurixrj Xfyirui ri.vog iTii-
aTrji.li], Ol' xivoq yQu/ii/LiurixTj ' x.r.k,
Vielleicbt sind dies die sämmllichen Stellen; viele andere wird
man in der genannten Schrift nicht mehr finden. Wir wollen sie,
den Zusammenhang andeutend, übersetzen. Man mag die Stellen
im Zusammenhange nachlesen.
1. Der Begriff des Dinges gestattet Gegensätze, ohne sich zu
vervielfältigen; ein und derselbe Mensch ist bald warm bald kalt,
bald zu tadeln bald zu loben. Bey den andern Kategorien zeigt
sich so etwas nicht, wenn nämlich hier nicht Jemand wider-
spricht, indem er sagt, u. s. w.
2. Ursprünglich nennt man Quantum nur das schon Erwähnte;
alles andre nur gemäss einer Nebenbestimmung. — Also nur das
Erwähnte; von Anderem hingegen nichts an und für sich, sondern,
wie gesagt, nur gemäss einer Nebenbestimmung.
3. Wenn nicht hier Jemand sagt, Viel sey das Gegentheil
vom Wenig.
4. Wenn das Grosse vom Kleinen das Gegentheil, und Einer-
ley zugleich gross und klein ist (nämlich in verschiedenen Verglel-
chungen) , so wäre Einerley sein eigenes Gegentheil. Aber das
kann nicht seyn. Demnach ist das Grosse nicht das Gegentheil
vom Kleinen.
5. Wenn die Gerechtigkeit das Gegentheil von der Ungerech-
tigkeit, und die Gerechtigkeit eine Beschaffenheit ist, so ist dem-
nach auch die Ungerechtigkeit eine Beschaffenheit.
6. Einzelnes ist das, was es ist, nicht eines Andern. So die
Grammatik nicht Grammatik von Etwas, Musik nicht Musik von
Etwas. Sondern nur nach dem Gattungsbegriff, wie gesagt,
gehören beyde zu dem, was sich auf Anderes bezieht. So ist die
Grammatik ein Wissen von Etwas. (Kurz vorher hatte Aristoteles
schon gesagt: a/iöoy tnl vtüvrojv roiv roiot'ioiv rä yh'T] röiv 7i()uq rt
Xfymu. Ebenso verhält es sich bey der zweyten der angeführten
Stellen; es wird hier wie dort unzweydeutig eine Wiederholung
durch das uQa zu erkennen gegeben.)
Nun heisst u[}u nicht nämlich, denn nämlich bedeutet na-
mentlich; es heissl nicht hier, denn hier bezeichnet einen Ort;
CS Leisst nicht wie gesagt, denn das setzt ein Sagen ' voraus;
CS heisst auch nicht demnach, denn darin liegt ein Nach. Aber
203
treten nach verschiedeneu Richtungen besteht, ohne dass
jedoch ems über dem andern aus den Augen verloren
wird ; daher häufig der Sinn bloss copulatlv zu seyn scheint,
während man ilin bey genauerer Betrachtimg vielmehr
cumulativ findet, aber mit Unterscheidung dessen, was
zusammengehäuft wird. In der nämlichen Rhapsodie der
llias, woraus die vorigen Beyspiele entnommen waren,
spricht Poseidon mit dem Idomeneus; am Ende des Ge-
spi'ächs trennen sie sich, v. 239:
WS dnoiv y o filv avris t'ßt] •deog d/itnorov uvÖqmv'
Iöo/(£V6vs 6 Öte öf] xXtGirjV ivTVurov inavsv, etc.
Ebenso llias XIV, 224, wo Here und Aphrodite sich
trennen, und nach verschiedenen Seiten fortgehn:
7] filv eßy ngos Swfia /tiog d^vy^tr^Q ^^ffQodiif]^
' Hqtj 6^ uT^aoa, Xinev q'iov OvXvinnoio
und daselbst 286, wo der Gott des Schlafs zurückbleibt,
e'V'dt vnvos filv i'/uive, nuQOS ^los oaaa idio&ai
"Uqt] äh TtQccinvüJs ngoge/Sr^oaro Pvcgyccgov aKOOV.
Auffallend ist das verlegene Hinschauen nach entgegen-
gesetzten Seiten in den Worten des Eurymachos zum
Odyssevis, nachdem Antinoos gefallen war, Odyssee XXII,
45:
:ille diese unsere Ausdrüclce bezeichnen ein Stillstehen, An-
ita Iten des Gedankenflusses. Dieses giebt das h(ju zu erkennen.
Daher passt es be)'^ Einwendungen; bey Wiederholungen und Kück-
weisungen; bey Folgerungen, indem es auf deren Prä m issen
zurückweiset. Eben darum giebt es unzählige Stellen, worin maa
es mil also übersetzen kann, ohne dadurch ein Fortrücken des Ge-
dankens auszudrücken. Im Anfange der Republik sagt Piaton : yii-
S«To UQU, bjq ioiAiv, o 2i.[i(i)vidij<; noiTjTty.wi; ro d'Uuiov o liij ; und
einige Zeilen weiter: ro toi'? qü.ovq uqu ni TioifTy, xul zoig f/-
i'/^ioi'i; y.uy.wq'^ dixuionvvijv )Jyfi. In bejden Stellen wird nur ein
Gedanke vesigehaltcn , der schon ausgesprochen v ar.
204
el fuv St] 'OSvoaevs 'I&aKfjotos elXfjXovß^ctg-,
TavTo, fiEV aiatfia slnsgy öoa Qf^eonov y^yaiol,
noXXd fdv iv /nsyaQoioiv drda&aXa, noXXa d'en dygov-
«AA.' o fihv i^Si] itaTtti, 6g aiTiog enXcTO ndvioiv,
vvv ()' 6 jtdv iv fio'iQf] niffaTai' ov Sh qjeiSso Xccmv.
Sehr verschieden würde hier das /tiiv im Deutschen lau-
ten. „Wenn du denn wirklich gekommen bist — zwar
jenes hast du mit Recht gesagt, — theils im Hause,
theils auf dem Lande, — aber jener dort liegt gestraft
— und Du schone." Das Gemeinschaflliche in allen die-
sen /lev ist nur der Gegensatz, in den jetzigen Umstän-
den gegen die frühern, im Recht und Unrecht, in den
Orten und den Personen.
Auf den ersten Blick scheint hiervon die cumulative
Bedeutung, die man häufig findet, weit abzuweichen.
Z. B. bey Xenophon gleich auf den ersten Blättern der
Cyropädie, wo das ftev und Ss fast unserem nicht nur
sondern auch entspricht: Kvqm yovv io/iiev id-e?Jj-
GciVTag Tisi&eo&ai, rovg ftev, aneyoviag nccfinöXXiop
TjusQvyv odov^ Tovg de, nal fit;vür, Tovg J'f, ovS £w-
Qa^oiag nomote uvtcv, rovg Sl, zat ev elSozagt Ott
orS' dv löoicv. Und weiterhin: wgt ndvra fuv növov
dvarXri^'ait ndvTcc dh Y.ivSvvov xnofieivat tov inatvel-
cdai e'vencc; (nicht nur INlühe sondern aucli Gefahr).
Dagegen heisst es unmittelbar zuvor, wo die Eltern des
Cyrus genannt werden, einerseits und andererseits,
naioog fdv — fir^xQog de. Mau bemerkt aber leicht,
dass diese letztere Bedeutung in die cumulative über-
geht, sobald dasjenige, was zu einem andern Jiinzukom-
mcn soll, zuvor als demselben gegenüberstehend belrach-
205
tct wird. Das deulsclie nicht nur tragt eine Negation
hinein, die in dem ftiv genau genommen nicht liegt.
Nocli weniger al)er darf man diese Negation in das grie-
chische 16 — Tf, oder %e und vmI hineinlegen, welche
Partikeln heyde rein affirmativ sind , und nicht einmal
den Gegensatz des Einerseits und Andererseits in
sicli tragen. Das für und öl hält die Glieder, deren
eijis zum andern kommen soll, nur bestinmit auseinan-
der; und die Cumulation wird nicht so unmittelbar aus-
gedrückt, wie die in dem le imd nai.
28. Die deutschen Conjunctionen Zwar und Aber
führen dagegen immer auf einen solchen Gegensatz, der,
ganz ausgesprochen, eine Negation erfodern würde. Z. B.
zwar klein aber stark; zwar kräftig aber rauh;
zw^ar stolz aber ehrlich. Bcy der Kleinheit würde
man die Stärke nicht erwarten, an dem Kräftigen ist
die Rauhheit nicht zu loben, des Stolzes wegen -will
man den Charakter nicht verwerfen. Hier enthält das
Aber die Verneinung, welche das Zwar schon von fern,
als entgegentretend, anmeldete. Deutlicher trit beydes
hervor, wenn die beyden Conjunctionen vor ganzen Sa-
lzen stehn. Z.B. Z%var die Blut he stand gut, aber
die Frucht ist abgefallen; zwar der Vortheil ist
gering, aber die Ehre ist gross. Hier enthält die
Vorstellungsmasse, welche sich entwickelt, zwey Vor-
stellungsreihen, deren eine sich wider die von der an-
dern herrührende Hemmung hervorarbeitet. Daher ist
das Zwar nicht häufig im Munde der Kinder; die Hem-
mung hält es zurück. Eben dahin gehört das Obgleich,
und überhaupt alle concessiven Conjunctionen. Viel frey-
gebiger sind sie mit dem Aber, dem Doch, den adver-
sativen Partikeln; in welchen die Negation hervorbricht,
206
und iiiclit erst, wie im Zwar, als eine künftige voraus-
gesehen wird. Übrigens mag bemerkt werden, dass
ausser der, in dem Aber schon liegenden Negation aucli
eine unmittelbar ausgesprochene vorhanden seyn kann.
Alan vergleiche die vier Fälle:
zwar M, aber N,
zwar nicht 3T, aber N,
zwar M, aber nicht N,
zwar nicht 71/, aber auch nicht iV,
welche Formeln sich leicht von Begriffen auf ganze Sätze
erweitern lassen.
Den deutschen Adversativ- Conjunctionen entspricht
das griechische cc},Xü, aber, sondern, doch. Z.B.
Ilias I, 387, wo Achill über den Agamemnon klagt:
dkXd tiaxöjg ufp'ui^ ugaregov ^ inl fiv&ov ersXXe.
Aber es gefiel ihm nicht, — sondern er gab Übeln Be-
scheid. Etwas früher v. 280:
£1 öh ov xaQteQÖs ioat^ -^eu Si oe yeivazo firjtrjQy
«AA' 'öys (ftQxeQog ioriv.
Wenn du stärker bist, er ist doch mächtiger. Man
sieht hier den Unterschied des copulativeu J'f vom ad-
versativen «AA«.
Das deutsche Sondern ist das Gegenstück zum Zwar.
Dies letztere lässt eine kommende Negation voraussehu;
jenes, das Sondern, hält die Erinnerung an die schon
vorübergegangene Negation vest, indem es dasjenige an-
meldet, was an den Platz des Verneinten treten soll.
Das Doch ist der Ausdruck des Bestehens wider eine
Hemmung; es ist weniger geeignet, das Hemmende selbst
zu bezeichnen. Alan sagt etwa : ich möchte wohl,
aber icli habe dazu kein Geld; nicht leicht liingegcii:
207
ich möchte wohl, doch ich habe dazu kein Geld.
Eher so: ich möchte wohl, doch will ich weder
Geld noch Zeit daran wenden; welche Redensart
das Veslstehen anderer Entschlüsse ungeachtet dessen,
was sie wankend machen könnte, verkündigt.
29. Im Begriff zu den digjunctiven Conjunctionea
übci'zngehn, erwähnen wir das Weder — Noch; worin
die Cumulation des Sowohl — Als auch verboi'gen Hegt,
aber mit der Verneinung verbunden, die auf dem An-
stossen an die Hemmung beruht*). Aus dem Weder
entspringt das Entweder, und hiemit auch das Oder.
Das Entweder enthält eine Negation, die man zurück-
zunehmen bereit ist, wenn sie auf das andere Glied fiele,
welches durch Oder angekündigt wird. Die lateinische
Sprache hat dafür nicht bloss ihr aut — aiit, sondern
auch ihr uirum, — an, und überdies die Adjectiv-Forni
vtcr, so wie die griechische ihr ti6t£Q0V und noTfQog.
Daneben besitzt jene noch das uterque, jeder von bey-
den, welches wir durch unser gewöhnliches beyde nur
unvollkommen ersetzen, denn hier fehlt die Gegenüber-
stellung der zusammengefassten Glieder. Die griechische
Sprache hat das ty^ÜTSQOS, welches sammt dem izuoTOS
von ixcig., ferne, abstammt; und hiemit deutlicher als
unser Je — Der anzeigt, man solle je -Einen gelrennt
vom andern betrachten, obgleich man sie so, wie zwey
räumlich entfernte Gegenstände, beyde zugleich vor Au-
gen hat.
Wenn für einen Zweck unter mehrern Sachen oder
Personen soll gewählt werden: so wird das oder der
erste sich darbietende entweder gefallen oder nicht.
Gefällt es, so wäre die Wahl vollzogen, aber noch an-
») Psychologie §. 123.
208
dere bieten sich dar; damit ist sie aufgeschoben. Es ent-
sieht nun Ungewisshelt, weil nur Eins kann gebraucht
oder angeschairt werden. Gefällt es nicht: so wäre es
verworfen; aber die andern sich darbietendem sind viel-
leicht nicht besser; damit ist das Verwerfen aufgescho-
ben. Es entsteht wieder Ungewissheit, weil Eins muss
gebraucht werden. Im ersten Falle wird durch das Ent-
weder Oder eine Position zui-ückgehalten ; im andern
eine Negation. In beyden Fallen aber bildet der Begriff
des Zweckes einen vesten Punkt, von wo die Betrach-
tung nach zwey Richtungen ausgeht, zwischen denen sie
schwankt.
Wenn wegen der möglichen Erfolge einer Begeben-
heit ein Entweder Oder bemerkt wird, so bildet die Be-
gebenheit einen ähnlichen vesten Punct ; die Schwankung
ist der vorigen analog.
"Wenn bey Eintheilungen das Entweder Oder vor-
kommt, so ist es der einzutheilende Begriff, welcher
den vesten Punct ausmacht; die Theilungsglieder schlies-
seu einander aus, wie jene verschiedeneu möglichen Er-
folge, oder die zur Wahl dai'gebotenen Gegenstände.
Wenn dagegen der blossen Willkühr, ohne voraus-
gesetzten Zweck, melirere Güter oder mehrere Übel
vorliegen, so würde die Willkühr eine Summe aus die-
sen Übeln machen, und jene sämmtlich ergreifen, diese
sämmtlich verwerfen, wenn sie könnte. Hier fehlt ein
vester Punct; und das Schwanken zwischen abwechseln-
den Gemüths -Zuständen während der Unentschiedeuheit
würde gar keine Zusammenfassung durch das Entweder
Oder ergeben, wenn nicht die Person sich selbst ein Ge-
genstand der Beobachtung, und ihr Sclnvanken für sie
selbst ein Schauspiel wäre. Hiemit aber kehrt dieser
200
Vall lii ieiieii zurück, wo eine Begebenheit, nämlich ilie
Anerbictung otler Zuniulhiing der ^^ ahl, eine >rehrheit
enigogengcöclzler Folgen crwaitcji lässl.
30. Zuuaclisl verwandt mit dem lintweder Oder
ist die Disjunclion Üb — oder Ob. Hier bemerkt man,
dass eigentlich kein Oder nölhig ist; das blosse Ob kann
für sich allein vorkommen. Alsdann ist von dem Knt-
Nvedcr nur die Ungewissheit vorhanden; der andere be-
slimmte Punct, welchen das Entweder schon ini Voraus
erblicken liess, mangelt; und anstatt desselben schwebt
in Gedanken ein unbestimmtes Oder nicht, welches
die mannigraltigslen liestimmuugeu annehmen könnte.
Den Übergang dazu macht das Entweder Oder in sol-
chen Fällen , wo eine vmübersehbare INlenge derjenigen
Glieder, die mit dem Oder könnten bezeichnet werden,
aus dem Gesichte verlöre« wird. jMan fragt zum Bey-
spiele, ob etwas an einem bestinunten Orte zu finden,
oder zu einer bestimmten Zeit geschehen sey, wofür sich
viele andre Orte und Zeiten denken lassen, so dass alsdann
der beslimmle Ort oder Zeitpunct davon nicht besetzt
seyn würde. Jener veste Beziehungspunct, iür welchen
das Entweder Oder seine entgegengesetzten Glieder zu-
sammenhält,— jener Zweck, für welchen die \A ahl zu
trelleu ist, jene Begebenheit, von welcher die möglichen
Folgen erwartet werden, jener BegrilF, welchem in der
Eintheilung entweder dieses oder jenes jMerkmal soll bey-
gefügt werden , — kann bey dem Ob ganz füglich fehlen,
da keine Zusammenfassung des Entgegengesetzten ver-
langt wird.
31. Logisch genommen lässt sich die Disjunction:
Entweder A oder B, auflösen in die beyden Hypothesen:
AYenn r/, dann nicht B] und wenn B, dann nicht A.
lieft 11, O
210
Für hypolhelisclie Sätze ist jedoch eine solc}ie Verbin-
dung zufällig; sie ist nur als ein specieller Fall dersel-
ben anzusehn. Daher sind die disjunctiven Salze den
liypothetischen logisch untei'zuordnen. Allein für die
Psychologie ist das Verhältuiss umgekehrt. Das Vor-
stellen beginnt nicht vom Allgemeinen, sondern es er-
hebt sich zum Allgemeinen. Deshalb knüpfen wir die
condilionalen Conjunctionen an die disjunctiven; und der
Übergang liegt in dem eben erwähnten Ob. Zwar aucli
ohne dies ist der Gedankengang natürlich: P ist entwe-
der A oder ^; wenn nun A, dann /!/; wenn B, dann
A^. Allein man braucht nicht auf beyde Falle sich ein-
zulassen; man konnte einfach fragen, ob P wohl J sey?
und fortfahren: wenn es A ist, so folgt M. Hier bleibt
in dem Wenn die Ungewissheit des Ob; von dem Un-
gewissen aber geht der Gedanke als von einem neuen
Anfangspuncte aus zu dem, was damit zusammenhängt.
Bey den bedingten Sätzen macht bekanntlich jede
Sprache, besonders die griechische, einige Verschieden-
lieiten der Auffassung beanerklich. Die Verwandtschaft
der hypothetischen mit den disjunctiven Sätzen trit mehr
oder weniger hervor, je mehr oder weniger Rücksicht
auf die in der Disjunclion auszuschliessenden Fälle genom-
men wird. Au diese erinnert vmser deutsches falls und
das griechische iap, welches den Conjunctiv herbejiührt,
nämlich so, dass sie zum Vorschein kommen können
oder auch nicht. Der blossen Ungewissheit, ohne Er-
wartung dessen, was man noch erfahren wii'd, dient et
mit UV oder mit dem Optativ. Dagegen hat il den lu-
dicativ, wenn das, was wir nicht wissen, doch an sich
bestimmt vorhanden oder nicht vorhanden ist.- Versetzt
man sich aber in eine andre Lage der Umstände, die
211
von der wirklichen abweicht, so enlsleht die eigentlich
couditionale Ilede, die wie in einer Gedankenwelt fort-
lauft; und wo sie für die dahin gehörenden Vorstellungs-
reihen die Anfangspuncle durch wenn ausdrückt, findet
sich im Griechischen das Iniperfectum mit «V im Nach-
satze, oder für die vergangene Zeit der Aorist. Im
Deutschen : „wenn jenes geschehen wäre oder geschehen
könnte, so würde ich dies oder das thun;" mit der hinzu-
gedachten Negation : „nun geschah es aber nicht, also" — .
32. Von den beyden IMerkmalen des Wenn, dass es
eine Ungewissheit, also ein Schweben zwischen Position
und Negation ausdrückt, und dass es den Anfangspunct
einer neuen Vorstellimgsreihe bezeichnet, kann eins oder
das andre bleiben oder verloren gehn. Die Ungewissheit
bleibt in dem concessiven Wenn auch, Wenn schon.
Wenn gleich; während hier nicht eine damit zusam-
menhängende, sondern entgegengesetzte Vorstellungsreihe
folgt; und der Begriff der Dependenz, den man den hy-
pothetischen Sätzen zuzuschreiben pflegt, von der Ver-
neinung getroffen wird. Die griechische Sprache, wo sie
die Negation voranstellt, zeigt dies selir deutlich. Z. B.
Ilias IX, 385, wo Achill spricht:
ovS' et fioi Toaci doir], öaa ipä/tadSg re novig 7«,
oväe aev wg tti ßviiiov ijLiov naiaei y/ya/ni/ivco}'-
ovo' 61 yQVoeifj Arfood'nT] aaXXos iQi^oi,
i'gya J'' '^d}]Vah] yXavuomid'c ioocpaoi^oi,
ov^i fiiv tiuff yafübu
Diese Satze sind weit verschieden von den hypothe-
tischen mit negativem Nachsatze, nach der Formel:
Wenn A ß ist, so ist C nicht D.
Denn hier wii'd der Satz, C sey D, verneint auf den Fall
02
212
dass A wirkllcli }] sey; die Verneinung \vlrd demnach
als depeudent anerkannt; liingegen bey dem "NA enn-auch
Avird die Dependeuz, welche jemand annehmen möchle,
geleugnet.
Die Bezeichnung des Anfaugspuncles einer neuen Reihe
bleibt dagegen in dem Übergänge des "Wenn ins Weil,
der conditionalen zu den causalen Coniunctionen, wah-
rend hier die Ungewissheit verschwindet.
33. Von den causalen Conjunctioneu erinnern wir
nur, dass einige, das Weil und die verwandten, den
Grund vorstellen können; das Denn hingegen ihn nach-
holt, also den Gang des Vorslellens umkehrt (von der
Couclusion zu den Prämissen zurückweiset); das Damit
aber, und die ähnlichen Piedensarten , eine Absicht, de-
ren Erfüllung in der Zukunft liegt, als Giund angiebt.
Dies letztere hängt bekanntlich damit zusammen, dass
im Lateinischen yw/a imd t^uod zwar den Indicativ, m/,
nCy (juo hingegen den Conjuncliv regieren, indem die Zu-
kunft stets etwas Ungewisses oder doch Unbestimmtes
in sich trägt.
Die conclusiven inid ordinativen Coniunctionen wer-
den kaum einer Erläuterung bedürfen. Jene führen eine
Gedankenreihe fort ; diese weisen den Gliedern derselben
ihi-e Plätze au.
Nur einen merkwürdigen Punct wollen wir hier noch
berühren, der im Deutschen seltsamer aussieht als im
Griechischen; diesen nämlich, dass bey einer vorausge-
selieuen, entfernten Negation eine Art von Rückzug auf
einen vesten Punct geschehen kann, der sich in eine
verstärkte Bejahung verwandelt. Alan vergleiche unser
deutsches und zwar nüt dem griechischen ye. Letzte-
res sucht man bekanntlich im Lateinischen mit (/indem
213
oder certe auszudrücken; Im Deutschen muuler treffend
durcli wenigstens. Dem Weniger, wohin sich das ye
zurückzieht, stellt ein grösserer Ansprucli gegenüber,
den man wohl machen möchte, der aber versagt werden
könnte. In dieser vennutheten Verweigerung liegt eine
Negation, der man eutgegentrit, damit sie nicht zu weit
greife. INIan behauptet also das \A eiligste; dieses aber
um desto gewisser. Daher gewinnt das ye die Kraft der
Bejahung. Viel wunderlicher ei'scheint auf den ersten
Blick das deutsche und zwar; in solchen Redensarten,
wie: Ich will, dass es geschehe; und zwar sogleich.
Hierin liegt kein Wenigstens; und doch dient die näm-
liche Partikel, die sonst eine entfernte Negation anmel-
det, zur verstärkten Foderung oder Behauptung. Indes-
sen ist der Fall dem vorigen ähnlich; denn eine Weige-
rung oder Leugnung wird vorausgesehn , welcher man
eutgegentrit. In jener Redensart liegt eine Ellipse. Ich
will, dass es geschehe, und (zwar wird man zö-
gern, doch will Ich es) sogleich. Ebenso ists mit
dem lateinischen qui(lcm\ die Sprachen untersclieideu sich
mehr durch häufigem oder seltenern Gebiauch, als durch
die Bedeutung der A'N orte. 8ie kommen darin iiberein,
eine Zuversicht ungeachtet der Beschränkung auszudrük-
ken; nur enthält das griechische ys deutlicher eine Ge-
wissheit mitten in der Unge wissheit.
34. Um die Art und Weise, wie die Vorstellungs-
niassen sich beym Aussprechen entfalten, vollständiger
zu ei'grüuden ; oder (was dasselbe ist), um aus dem
sprachlichen Ausdruck die wahre innere Constructiou
einer Vorstellungsmasse zu erkennen : wird man sich
noch auf die Satzbildung einlassen müssen. Es wäre er-
wünscht, wenn die Ausdrucks-Weise Homers auch liiezu
214
Wiuke au die Haiid gäbe. Um ihr wenigstens Etwas
abzugewinnen, erinnern wir zuerst an die oft bewunder-
ten und gewiss bewundernswürdigen Umrisse der grös-
sern Partien in den Homerischen Kunstwerken. Wir
sehen nicht bloss ein scheinbar kunstloses Sammeln und
Vei'kniipfeu kleinerer Theile zu einem grössern Ganzen :
— so erwächst in der Ilias aus dem Hader des Achill
und Agamemnon, aus der iniuria spreiae forniae zweyer
olympischer Damen, aus einem Siegslraum des Agamem-
non, aus der Prahlerey des Paris und dem treulosen Pfeil-
schuss des Pandaros ganz allmälig die Gluth des Streits
und die Gefahr iür die Schilfe der Griechen. Und so
häufen sich in der Odyssee die Leiden des Odysseus aus
den mannigfaltigen Fehltritten seiner Gefährten, aus sei-
ner Hache am Polyphem , aus dem Unfuge der Freyer
und der Schwäche der Volksversanmilung in Ithaka bis
zu dem Grade, dass er im eignen Hause als Bettler auf-
treten und durch den gewagtesten Kampf sich Recht
schalfen inuss, Wir sehen noch mehr; nämlich eine
kunstreiche Concentratlon der Erzählung dadurch, dass
sie von einigen Hauptpuncten rückwärts sowohl als vor-
wärts greifend eine jMenge von Anknüpfungen möglich
macht; daher ein reich ausgestattetes Ganze sich zur
Übersicht weit bec[uemer darbietet, als dies durch blosse
Fortführung eines historischen Fadens geschehen würde.
"VN Ir sehen überdies das gemächlichste Fliessen der Er-
zählung durch die kleinsten Umstände, deren Geringfü-
gigkeit mit der Grösse und Pracht anderer Schilderun-
gen einen wohlthätigeu Contrast hervorbringt, welcher
kaum irgendwo das Gefühl der Überspannung aufkom-
inen lässt, dagegen eher und öfter ein Verlangen der Ab-
kürzung aufregt.
215
35. ISIaii mag überlegen, ob etwas Analoges in dem
Satzbau bey Homer zu erkennen ist. IMelirenlbeils bil-
det schon ein einziger Vers einen Salz; oft sind zwey
Verse dazu nölhig; zuweilen drey, selten vier und noch
seltener fünf. Also keine langen Perioden; auch nicht
künstlich verschränkte Wortstellungen ; der Vers aber
Nvird manchmal durch eine für den Gedanken unnöthige
Dehnung gefüllt. Sehr häufig findet man das Verbum
in der Mitte, das Object wohl eben so oft als das Sub-
ject vorgeschoben, dann aber hinter dem Pradicat aller-
ley nachgeholte Bestimmungen, und an diese noch man-
cherley angeknüpft, welches den weitei'n Verlauf der Rede
veraulasst. Dabey eine sehr genaue Anordnung der Ge-
danken, "WO es dai-auf ankommt, einen bestimmten Zu-
eammenhaug derselben auf einmal vorzulegen. Hiervon
ein paar Proben ; zuerst bey einem minder bedeutenden
Gegenstande. Odysseus geht mit der Hekatombe zu Schiiie
nach Chryse; Ilias I, 435.!
— — Tijv ^'' US ÖQfiov 7iQotQvaaav igerfiois.
ix d evvag tßaXov^ y.ara de -nQvpvr^oi tdijOuV
in de Hai avioi ßuivov int QV/y/iivi S-aXaoofjs'
ix rf' ixarü/ußijv ßi]aav ixijßoXw A^ioDmvI"
ix dh XQVO%(g V7;6s ßij novronoonio.
Hier wird die Vorstellung des Aussteigens vestgehal-
ten, während vier verschiedene Reihen, in gehöriger
Folge, von ihr auslaufen. Wichtiger ist die Zusammen-
stellung dreyer möglicher Fälle in Ansehung des Vertrags
zwischen Griechen und Trojanern, IHas III, 281:
€1 fiiv xtv MeviXaov jlXi^avÖQos xaTani(pv>]^
uvios tmid- ' EXivr^v kyttu) y.ui XTi^ftciTa navta^
tjlLuig d iv rr^iooi reojji(6&ic novionögoiüiv'
1216
'TQMag t7retd EXiVtjv v,iu v.Ti^ftaxu iiuvx Cmodovvui,
Tifir^v d \tQY^iois unorirt/uv ijvriv' ioixev,
H le xui tooo/ui'oiot /m ih'S(jomotoi nt).r^%cii.
ei ()' (XV ejiioi Ti/n;v Jlgia/iog Ugiä/ioiö ts naid'eg
2\veiv ov» idtXowiVf \'i).tlävÖQOio ntoovTOSt
uvitiQ tyvi nai tixKTu /iiuytooo/tat^ eivexcc noivi;s-,
UV dl fitnor^ t'iwg ns teXog noliuoio xtyeio).
Aliiiliche Pünklliehkeit der Auseinauderselzung des
Vergangenen, Jetzigen, Kiiufligeu, nach allen Rücksich-
ten, zeigt sich im Gebete des Achill, da er den Palroklos
entsendet, llias XVI, 23G:
7; fthv 07] noT* ifiüv i'nog i'icXveg eir^a/tievoto.
tifn]ocig fitv tjnl, fityu ö* i'UiciO /.aov ^ jiyamv'
fjd tri yal vvv ftoi Tod iTitHQijrjvov iiXdviQ'
avtog fitv yuQ tyio fuvto) vr^öiv iv ayiövi,
ciXX i'jdQov nefino)^ noXiaiv /ttstu 31vqjiu^6v6üüi ,
ftüQvciodcit' TW Kvdog ü/ia ngöeg, evgvona Ztv'
^uQOvrov öi Ol 7;toq tri ffofotv, öifQa vm! " Ekxioq
ii'otzuif ij ga neu oiog i7iioti;r(xL noXe/m'^eiv
ijiiieQog ■dcQunwv, i] 01 tots ytiQsg uamoi
fiaivovd^^ onnox iyd) mg iia psTa /miöXop 'y/gi;og.
livrao iTi€i ia vino vavcpi fxuyr^v h'onrjv re öir^iat,
c(Gxi;ß^}'^e /toi i'nena &o(xg htl rf^ag izono,
levyf.oi rt ^vr iiäoi xaJ ctyyejtiüyoig irügoioiV'
]Mit dieser glänzenden Klarheit, die keiner ^veilern
Proben bedarf, ist jedoch keine Künslliclikeit der Ein-
schalliuigen verbunden, IMan sehe z. }), Hins XIV, 409,
wo Ajas nach dem Heklor vs irft :
lov /ilv i'-Ji^n LiiiiövTci fnyag Te)Mfi6viog jii'ag
yi{)/iud'l('), tu ()ii jioAA«, do^Mv i'y/iuTu vidi',
iiug iivo) f(uQvci/iiro)v tyivXivöb'io' <ivJv iv ihioug,
ojfiJog ßtßXl^y.^i,
217
liier geht die Conslrucllon übei* die Linsclialliiiig vcilo-
ren, oder wird wenigstens so inideiillich durch das 7V)V
fv vceiQui;, dass man sie nur mit undankbarer IMiihc ver-
theidigeu würde. Anders wäre es, weiui twj' weglicle,
und yiQfuiöio)V als Genitiv dem ev tuigus voranginge.
Desto leichter verliert sich die Hede in Gleichnissen,
verfolgt dieselben, und bedarf alsdann einer neuen An-
knüpfung an den Ilauplgegcnsland. So llias X\ I, bald
nach dem vorhin angcfülirten Gebete; da die INlvrinido-
nen ausziehn :
uvTi'y.a J'e affii';x6aatv toiy.öies f^iyjovjo
sivodioig, oi/j? nalö'es f:Qidpa.ivovoiv tdovies-)
cui Hegrojitiovieg, od'iö i'nt oiy.i l'yovias-^
vr^niayoi' ^vvov dh tcccy.ov no/.ieooi itSewi.
Tovs (H' £t ^£Q nagu ti's T£ y.tojv avOQMnog oöiii^s
Hivi^oei i'i6xo)r, oi ()' u).yjpov i^joQ l'yovits
TiQoooo) viäg iiiieTaii xat ufivrti oioi ir/.taaiv.
iöjv tote MvQjiiidöreg nQudnjv y,cii &v}iov i'yovies
ix vr^o)V tyjovjo.
AVer beyni Lesen des Homer kritischer Laune ist,
der möchte wohl, wenn auch die IMyrmidouen durch
die starkmülhigeu AYespen schicklich bezeichnet werden,
doch fragen, was denn der uv&Qomos öd)'ji;s bedeuten
solle ; ja schon die spielenden Knaben könnten überflüs-
sig ei'scheinen, da sie an sich nichts bedeuten, sondern
blos den Zorn der AVespen erklären sollen. Anstatt aber
solcher Kritik auch nur den mindesten Werth beyz.ule-
gen, wollen wir vielmehr dem Dichter, der seine Ge-
danken so rein und zwanglos ausspricht, vertrauen, er
werde inis auch durch seinen Salzbau dasjenige bezeu-
gen, was über die nalürlicUe F,nlfallung des Gedankens
218
zu sagen ist, der iii der Form eines Satzes seinen Aus-
druck sucht.
36. Bekanntlich rechnet man zum Satze vor allem
Subject und Pradicat; dann die nächsten und eutlerntern
Objecte, ferner die Nebenbestimmungen durch Adjective,
Participien, Adverbien, oder vermittelst der Präpositio-
nen ; endlich die Conjunctionen , falls solche dem Zusam-
menhange nöthig sind. Der Gedanke, welcher soll aus-
gesprochen werden, ist die Verbindung aller dieser Theile;
und wenn Jemand, der viel zu sagen hat, irgendwo un-
vorbereitet auflrit um zu reden, so entwickeln sich
seine Gedanken erst während des Redens zu einer Rei-
henfolge von Worten. AYie wird diese Reihenfolge sich
bihlen?
Durch jeden Satz will er Etwas aussagen von den
Gegenständen, die ihm vorschweben. Das, was er ei-
gentlich sagen will, liegt im Prädicate; nur dass dieses
nicht allgemein, sondern schon in der Bestimmtheit, wie
es den Gegenständen zukommt , gedacht wird. Unter
diesen Gegenständen ist der Unterschied des Subjects und
Objects, wo beyde in dem Verhältniss des Thätigen und
Leidenden stehn, nicht wesentlich; man kann die acti-
ven Sätze auch in gleichgeltende passive verwandeln,
deren Subjecte die nämlichen Gegenstände sind, welche
in der activen Form die Stelle der nächsten Objecte ein-
nehmen. Da jedoch im activen Satze der Accusativ das
Object anzeigt, so kann der Gegenstand, welcher als lei-
dend gedacht wird , falls dessen Vorstellung mehr her-
austrit , auch ohne Hülfe der passiven Form seinen Platz
einnehmen, wenn nur die Sprache durch Ihre Declina-
lionsformen den yVccusatIv kenntlich 'genug macht.
Wir bedürfen hier der ßeyspiele, inid werden mit
219
deren Hülfe deutlicher seyn als es im Allgemeinen mög-
lich wäre.
3IyviP c(€nh, Qed, ni]h'jiädeta ^^yiUjos
Fragt man sich, in welcher Ordnung hier die Gedan-
ken eigentlich hervortreten, so sieht man gleich, dass
die einzelnen Worte und deren Folge darauf keine hin-
reichende Antwort geben. Ein Gesang wird verlangt ;
aber nicht ein beliebiger ; auch nicht bloss von irgend
einem Groll, sondern der verderbliche Groll des Achill
soll besimgen werden. In dem Worte /ii^vtr liegt diese
Beslinmiung nicht , aber der Gedanke trägt dieselbe
gleich in sich, und dieser Gedanke bleibt der stehende
von Anfang bis zu Ende des Verses; und selbst noch
weiterhin. Mitten im Verse steht das Wort aeide, von
welchem der Accusativ fni-viv ovXo/iivtjV abhängt. Dem-
nach wird die Foderung eines Gesanges weder früher
noch später gedacht ; sie ist gleichzeitig mit dem unge-
theilten Gedanken des zu besingenden Gegenstandes.
Hier, wo das Subject im Relativum liegt, steht das
Verbum am Ende. Dies wird auf den ersten Blick zu-
fällig erscheinen, besonders beym Dichter, dessen Wort-
stellung vom Verse grossentheils bestimmt wird ; eine
Einwendung, die bey jedem andern Verskünstler vom
gross teu Gewicht seyn w^ürde. Bedenkt man indessen,
dass die deutsche Sprache, die sonst das Prädicat dem
Accusativ in der Ptegel voranschickt, davon bey relati-
ver Anknüpfung regelmässig abweicht, so kann mau
aufmerksam werden. Nun ist zwar das Relativum beym
Homer nicht sehr gewöhnlich; luid man könnte mühsam
nach Beyspielen suchen, um zu finden, ob die INIehrjcaiil
220
der Beysplele jener Woi'tslellung gemäss sey; wenn niclit
tler Schiirskalalüg deren eine jMenge auf einmal vorlegte.
Dort aber ist das oi' iö' 'Tgii^v irt/iovTo, oi % ^ Eltw
tlyovt oi' te KoQMvetuv y xal noil^vS-^ ^j4Xi(xQT0Vi oi'
TS TD.axaiov t'yov u. s. w. so dicht bey einander, dass
die entgegengesetzte Wortstellung , wie o'i % eyov A'i-
yirav (llias II, 562), gerade nur dazu dient, um zu zei-
gen, der Dichter sey niclit durch eine Sprachregel ge-
bunden; er hätte können viel öfter, dem Verse zu ge-
fallen, den Accusativ hinter das Verbum stellen, und hie-
mit auch nach dem Relativum das PiUdicat in die Mitte
bringen. Doch wir gehn weiter.
noXXus d^ l(pdifiovs V'vyug ä'i'^i i(QoiurpiV
Hier gilt wieder, was bey der ersten Zeile bemerkt
wurde; der Gedanke trill't ungetheilt die rpvyug t'gown'',
mitten zwischen den Worten steht das aTd't nQo'i'uV'eVi
welches von jenen, als dem Gegenstande, ausgesagt wird;
das Geschehen und der leidende Gegenstand sind hier
gleichzeitig. Alan folge dem Dichter immer weiter nach,
so findet mau die Verba tevye, — eTeXn'eTO, — diaaTf}-
T7]V, — Ivvhjxe, — if'iQOs — rjTijiir^oe — u. s.w. so häu-
fig zwischen den Worten, wodurch die Gegenstände be-
zeichnet werden , und verhältnissmässig so viel seltener
am Ende oder im Anfange, dass schwerlich ein Zweifel
übrig bleiben wird, welche Wortstellung sich als diejenige
ankündige, die sich dem zu cntwickelndeii Gedanken am
besten anschliesse. Doch wir wollen noch den Anfang
der Odyssee vergleichen.
37. l'ls kann kaum inibemerkt bleiben, dass die bei-
den Ankündigungen der llias und Odyssee wie nach Ei-
nem INlusler ccformt sind.
"Avö'QCi fioi L'rrt'iif,Movoaf no'/.viQonot', 6<; [tuXu, noD.ä
nXi'tyy&i;.
INichl irgend ein Mann, sondern der vielfach Undier-
ge\vorrene soll besungen werden; die AN'orle lirÖQa 7io-
XvTQonov bilden einen gleich anfangs hervorlrelenden,
luid mit dem i'i'vene gleichzeitigen Gedanken, der im
Begriir ist, sich noch ^veiler zu entwickeln. Das Re-
lalivum ög hat sein Yerbum hinten, und die nächsten
AVorte
in£t TQoii;g legov niohedQov i'nsQoe
scheinen noch in derselben Abhängigkeit gedacht zu seyn.
Hingegen in den folgenden Versen
noXküv ()' livÜQconoiv idev uorea, y.ixt voov t'yvio'
noXXci ä' öy iv növrio nüd^ev äXyecc 6v xard dv/nor.
sieht wieder das idev und das na&tv in der jNlitte; und
dem Verse
avirnv ya.Q afp€TiQijoiv utaGdaXhjoiv oXovto
folgt gleich ein Zusatz, so dass beym öXovJO der Ge-
danke nicht sinken kann :
vijniot, 0? KUTu ßovs vnegiovog IltXioio
i'ja&tov ccvTccQ 6 toioiv (xtfeiXtro röort/iov ij/iag.
Anstatt nun weiter die Beyspiele zu häufen, welches
zu nichts führen würde, wollen wir nur auf ein irülie-
res zurückblicken, und ein einziges Paar beyfügen. In
jener Stelle, welche das Anlanden bey Chryse beschreibt,
ist der Hauptgedanke das Aussteigen; und alle drey Verse,
welche das Wort ßaivtiv enthalten, haben es in derlMitte.
Giebt es feiner irgend eine Stelle im Homer, welche
Ruhe auszudrücken bestimmt ist, so ist es der schöne
Vers (Odyssee XIII, 92)
dtj T07f y ccTQe/ius fvJ't, XeXuofiivos öoa ^neiiov&et.
Dieser schliesst zwar mit einem Zeilwort, aber mit dem.
222
welches von dein relativen '6oa abhängt ; der Hauptge-
danke Hegt in dem evöe, welchem noch das XeXaa/nivog
als Zusatz zum SubjectbegrilTe nachfolgt. Nicht anders
ist es ebendaselbst 79:
«ai zw vijövfioQ vnvos i'^it ßXsrpaQoiai'i' tnime
vt^yQETog, ijöiaros, davaroi uyytoTu ioittoog,
wo ebenfalls über das enime hinaus die Bezeichnung
des Subjects sich vei-längert.
38. Bloss des Contrastes wegen, und damit das eben
Gesagte noch besser hervortrete, erinnern wir nun an
die bekannte Gewohnheit der römischen Wortstellung.
Beym Cäsar, der ohne Zweifel der Sprache vollkommen
mächtig war, und sich in der Beschreibung seiner Kriege
zum Künsteln keine Zeit nahm, finden wir zwar Stellen,
welche dem Anschein nach, der Homerischen Redeweise
ähnlich sind; insbesondere bei geographischen Beschreibun-
gen, wo auf allgemeine Fragen nach der Lage, Grösse,
Eintheilung des Landes, Antwort zu geben ist. Gallia
est omnis divisa in partes tres, — una pars initium ca-
pit a flumine Rhodano, continetur Garumna — attingit
Rheuum — vergit ad Septemtriones. Belgae — perli-
nent ad inferiorem partem Rheni. Ebenso, wie hier im
Anfange der Bücher vom Gallischen Kriege, lauft auch
der Faden der Rede im vierten Buche, cap. X. Mosa
profluit ex monte Vogeso, qui est in finibus Lingonum,
et parte quadam Rheni recepta — insulam efficit Bata-
vorum. Rhenus autem oritur ex Lepontiis etc. Mau
könnte versucht werden, diese Stellung, nach welcher
dasVerbum in der Mitte oder voi'u seinen Platz bekommt,
bey allen Beschreibungen zu erwarten. Allein um sich
vom Gegentheil zu überzeugen, braucht man nur die Stelle
im sechsten Buche aufzuschlagen, wo die Druiden, und
1223
weilei'liln die Geriiianen beschrieben wertlcn. Selbst in
den kürzesten Sätzen, wo die Functionen der Druiden
aufgezählt werden, trit der Gegenstand voran; das Ver-
bum folgt nach. Uli rebus divinis inlersunt, sacrificia
publica et privata procurant, religiones interpretantur ;
ad hos niagnus adolescentum numerus disciplinae causa
concurrit. De controversiis constitmuit, et si quod est
admissum facinus, si caedes facta, si de hereditate, de
linibus controversia est, iidem decernunt. — Gerniaui
multum ab hac consuetudine difFerunt, uam neque Drui-
des habent, qui rebus divinis praesint, neque sacrificils
Student. Eher findet man in lebhaften Erzählungen Stel-
len, wo das Verbum vorangeht; z. B. VI, 38: Erat aeger
in praesidio relictus P. Sextius Baculus, qui — dieni iam
quintum cibo caruerat. Hie diffisus suae ac omnium sa-
luti, inermis ex tabernaculo prodit; videt immiuere ho-
stes, atque in summo esse rem discrimine; capit arma
a proximis — seqiiuniur hunc cenluriones, — relinquit
animus Sextium, — prucurrunt equites, etc. Aber hier
bilden die voranstehenden Verba eine Reihe von Zustän-
den, welche Reihe soll zusammengefasst werden. Auf
ähnliche Weise soll aus den Zügen, wodurch die Ner-
vier charakterisirt werden (II, 15), ein Bild hervorgehn;
quorum de natura moribusc£ue Caesar quum quaereret,
sie reperiebat: milluni adituni esse ad eos mercatoribus;
ulhil pati vini, relic[uarumque rerum ad luxvn-iam per-
tinentium, inferri; quod his rebus relanguescere animos,
eorumque remitti virtutem existimarent. Esse homines
feros, niagnaequae virtutis; increpitare atque incusai'e
reliquos Beigas, qui se populo Romano dedidissent, et
patriam virtutem proiecisseut. Confirmare, sese neque
legatos missuros, nec^ue uUam conditionem pacis acceptu-
224
ros. Reyläiifig bemerken wir hier, tlass die Nebensalze,
welche mit quod, qui, oder in Form des Accnsativs mit
dem Infinitiv angelügt sind, das Verbum auch hier hin-
ten haben. Was die Lebhaftigkeit der Schilderung an-
langt, so würde diese allein schwerlich eine Abweichung
von der gewohnten Wortstellung veranlasst haben. Cä-
sar konnte eher etwas aufgeregt seyn, als er den An-
griff der Nervier beschrieb (II, 10) Subito Omnibus copiis
provolaverunt , impetumque in noslros milites fecerunt.
His faciie pulsis ac perturbalis, incredibili celeritale ad
ilnmeu decucurrerunt, ut paene uno tempore et ad Sil-
vas, et in llumine, et iam in manibus nostris hostes vi-
derentur. Eadem autem celeritate adverso colle ad no-
slra castra, alque eos, qui in opere occupati eraut, con-
tenderunt. Caesari onniia uno tempore erant agenda.
Yexillum proponendum, quod erat insigne, cum ad arma
concurri opoi'teret. Signum tuba dandum; ab opere re-
YOcandi milites; qui pauUo longius, aggeris petendi causa,
processerant, arcessendi; acies instruenda, milites cohor-
landi, signum dandum: quarum rerum magnam partcm
temporls brevitas et incursus hostium impcdiebat. INoch
lebhafter hebt sich die I-'.rzählinig da, wo der beyuahe
iniglückliche Ausgang, welchen die Schlacht schon zu
nehmen drohte, beschrieben wird. Ein Unfall folgte
dem andern; quibus rebus permoli Treviri, quorum in-
ter Gallos virtutis opinio est singularis, qui, auxilii caussa
a civilntc missi, ad Caesarem venerant, quum nudtitu-
diue hostium castra nostra compleri, legiones premi et
paene circumventas teneri, calones, equites, funditorcs
Numidas, diversos dissipatosque in omnes partes fugere
vidissent, desperatis nostris rebus domum conlcnderunl ;
Uomanos pulsos superalosque, caslris impedimentistjuc
225
eonim hostes potitös, civitati renuntiaverunt. Caesar,
ab decimae legionls coliortatlone ad dextrum cornu pro-
fectus, tibi siios urgeri, signisque in unuin locuni coUalis
duodeclmae legionis milites confertos sibi Ipsis ad pugnam
esse impedimento, quartae cohortis Omnibus centurioni-
bus occisis, signiferoque interfecto, signo omisso, reli-
quarum cohortium Omnibus fere centurionibus aut vul-
nei'alis aut occisis, in liis primipilo P. Sextio Baculo,
fortissimo \iro, niultis gravibusque vulneribus confeclo,
ut iam se sustinere nou posset, i^eliquos esse lai-diores,
et nonnullos a novissimis desertos proelio excedere ac
tela vitare; bestes necjue a fronte ex inferiore loco sub-
euutes iutermitlere, et ab utroque latere inslare^ et rem
esse in angusto vidit, neque ullum esse subsidium, c|uod
submitti posset: scuto ab novissimis uni militi detracto
(quod ipse eo sine scuto veuerat); in primam aciem pro-
cessit; centurionibus nominatim appellatis, reliquos co-
hortatus milites, signa inferre et manipulos laxare ius-
sit, quo facilius gladiis uti possent. Huius adventu spe
illata militibus, ac redintegrato animo, cum pro se
quisque in conspectu imperatoris etiam extremis suis
rebus operam navare cuperet, paullum hostium impetus,
tardatus est.
Der Moment, da Cäsar, den ersten besten Scbild er-
greifend, vortrat, bat ibm obne Zvs^eifel in der Erinne-
rung scbon vorgescbwebt, indem er die Worte: ubi suos
urgeri niederscbrieb, und das dazu gebörige vidit noch
aufschob, um sich das Gedränge zu vergegenwärtigen, wel-
ches durch die lauge Einschaltung geschildert ist. Die
ganze Masse der Ereignisse musste sich in den Vorder-
satz zusammenpressen, damit Piaum wurde für den Um-
schwung, den seine Entschlossenheit herbeygeführt hatte.
Heft II. ' P
226
Man sieht hier in einem grossen Beysplele und nach ei-
nem grossen INIaassstabe, das Verhältniss eines Vorder-
satzes, der seine Abhängigkeit gleich anfangs durch die,
au die Spitze gestellte, Conjuuclion ankündigt, zu dem
Nachsatze, welcher den eigentlichen Hauptgedanken ent-
halt. In diesem liegt die treibende Kraft der ganzen
Aussage.
39. Es lässt sich nicht leugnen, dass im Ganzen die
römische Prosa sich zu der Gewohnheit neigt, diejenigen
Verba, welche den Hauptgedanken des Prädicats aus-
drücken, nach hinten zu bringen; allein wenn man die
kunstreichen Perioden des Cicero näher betrachtet, so
findet man sehr oft eine Ähnlichkeit mit dem Homeri-
schen Salzbau, nach welchem das Prädicat in der Mitte
liegt, und gewissermaasseu als der Träger des Ganzen
erscheint, welches auf ihm ruhend sich gemächlich ver-
breitet. Von unzähligen Beyspielen nur wenige Proben.
Gleich im ersten Capitel des ersten Buchs de oratore
findet sich folgendes : neque vero nobis cupientibus at-
que exoptantibus fructus otii datus est ad eas artes, qüi-
bus a pueris dediti fuimus, celebrandas, interque nos re-
colendas. — Tibi nec[ue hortanti deero, neque roganti,
nam neque auctoritate quispiam apud nie plus valere te
potest, neque voluutate. Ganz in ähnlicher Art geht
der Vortrag fort. Weiterhin : cjuocumque te animo et
cogitatione converteris, permultos excelleutes in quocjue
geuere videbis non mediocrium artium, sed prope maxi-
marum. Und um noch eine Probe herzusetzen von der
Art, das conditionale si, welches sonst an der Spitze des
Vordersatzes seinen Platz hat, gleichsam einzuwickeln,
entnehmen wir folgende wenige AVorte aus den 28steu
Capitel: quae singularum rerum artificcs singula si nie-
227
diocriter adcpti sunt, probanlur, ea, nlsi onmia sumnta
sunt in oratore, proljari non possunt. Eine solche Stel-
lung ist aber ollenbar nur Ausnalime; im Allgemeinen
muss nicht nur das Wenn, sondern auch das Weil
vorangehn; die Prämissen verdienen ihren Namen, so
wie der Vordersatz den seinigen; und es ist immer eine
Art von Inversion, wenn die Behauptungen früher aus-
gesprochen werden als die Beweise. Doch dies hangt
zusammen mit dem Verhältnisse des Subjecls und Pra-
dicats ; und eben davon ist jetzt genauer zu sprechen,
lun das Vorige zusammenfassen und erläutern zu können.
40. Zunächst blicken wir zurück auf die Verschie-
denheit der Thatsachen, welche uns beschäfftigt haben;
und zwar in Bezug auf die Frage, in wie weit diese
Thatsachen geeignet sind, der psychologischen Untersu-
chung einen erwünschten Stoff darzubieten. Auf Be-
quemlichkeit ist hier nicht zu rechnen. Das am mei-
sten Interessante ist dasjenige, was an Unbestimmtheit
und Schwankung am meisten leidet. Ganz vest liegt nur
das Factum, dass die Laute der Worte, die Buchstaben,
in einer einmal geläullg gewordenen Sprache, sich bcy
jedem Gebrauche in der nämlichen Reihenfolge reprodu-
ciren. Nicht so ganz bestimmt lässt sich das Thatsäch-
liche in Ansehung der Conjuuctionen hervorheben, son-
dern das Conventionelle der Sprachen macht sich hier
fühlbar. Lange genug wird man darüber streiten kön-
nen, — wenn auch ohne Grund und ohne Gewinn, —
ob das griechische de mehr als eine coj)ulative, oder als
eine adversative Conjunction zu betrachten sey? Ob das
uQc< zu den conclusiven gehöre, da man es mit also zu
übersetzen, oder kaum zu beachten pflegt? Ob das jitiv
noch eine concessive Conjunction heissen dürfe, da man
P2
228
weiss, dass oft genug die Übersetzung durch unser zwar
ganz unpassend ist? Ob eben dies deutsche zwar, des-
sen Stelking gegen das nachfolgende aber klar genug ist,
einen Zusammenhang mit dem streng veststellenden und
zwar habe, wodurch andre, abweichende Auffassungen
zurückgewiesen werden? Dies, und so \ieles Andre,
was die Grenzbestimmung zwischen den Conjuuctionen
disputabel macht, erinnert uns, dass wir hier nicht mit
solchen Thatsachen zu thun haben, die gleichen Ranges
mit denen, welche Im vorigen Hefte behandelt wurden,
für die Theorie zu Prüfsteinen dienen könnten;
sondern mit solchen, die von der Theorie ihre Ausein-
andersetzung erwarten. Zu der grossen Klasse der letz-
tern gehören nun vollends die, welche der Perlodenbau
darbietet; denn die Bemerkungen, zu denen er veranlasst,
müssen von Beysplelen hergenommen werden, welchen
man, wie zahlreich sie auch seyn möchten, immer noch
andre Beyspiele entgegensetzen kann ; so dass dem Zwei-
fel Raum bleibt, als habe hier der Vers, dort der Wohl-
klang, und mehr als beyde die Gewohnheit über die
Sprache geherrscht. In solchen Fällen lasst sich der
blossen Beobachtung, der Zusammenstellung dessen, was
factisch vorliegt, bey allem auch noch so grossen Reich-
thum an Thatsachen, doch nicht unmittelbar ein klares
und entscheidendes Resultat abgewinnen. Vielmehr muss
die Theorie eintreten, um das Wesentliche vom Zufälli-
gen, das Ursprüngliche von den Umbildungen zu unter-
scheiden. Hier eröffnet sich ein weites Feld, welches
durch nachstehende Bemerkungen vollständig zu durch-
laufen wir keinesweges gemeint sind.
41. Anknüpfend bey dem, was schon oben (36.) ge-
sagt war, bemerken wir zuerst, dass im Prädicate jedes
229
Satzes dasjenige zu suchen ist, was vom Subjecte soll ge-
sagt \verden. INIag ein verbum activum oder passivum,
oder intransitiviuu zum Pradicate dienen, in jedem die-
ser Fälle drückt zwar das Wort, welches der Sprechende
gebraucht, den allgemeinen BegrilF eines Thuns, Leidens,
Zuslandes aus : allein derselbe versetzt sich nicht in den
weiten Umfang dieses Begriffs, sondern ihm schwebt ge-
rade der bestimmte oder doch begrenzte Fall vor, wel-
cher das Subject betrifft. Bey dem Satze: Cäsar er-
oberte Gallien, denkt Niemand an die Franken, welche
auch Gallien erobert haben. Bey dem Satze: alle Köi'-
per sind theilbar, denkt Niemand an die Theilbarkeit
einer Erbschaft, oder an die logische Theilbarkeit der
Sphäre eines Allgemeinbegriffs. Während nun auf den
Umfang des Prädicats nichts ankommt: ist dagegen
der Inhalt des Subjects in Betracht zu ziehn. Dieser
hat noch andre INIerkmale ausser denen , welche das Prä-
dicat angiebt; und sehr gewöhnlich bezeichnet das letztre
eine Veränderung des Zustandes; insbesondere ist immer
das Thua oder Leiden im Gegensätze gegen die vorige
Ruhe. Sagt man im Frühjahr: die Bäume werden
grün, oder im Sommer: die Früchte werden reif,
oder im Herbste: die Blätter fallen ab, so hat man
Bäume, Früchte, Blätter in ihrem früheren Zustande
vor Augen; aus welchem sie jetzt heraustreten, um
die Pradicate anzunehmen. In Bezug auf Urtheile die-
ser Art kann man sagen: das Prädicat (sofern es in dem
Satze vorkommt und gedacht wird,) ist ganz verschmol-
zen mit dem Subjecte; hingegen das Subject nur theil-
weise mit dem Prädicat. Yei^folgeu wir die Pieihe je-
ner Beyspiele bis zum Winter, und sprechen etwa: der
Schnee ist weiss, so entsteht die Frage: ob wohl Je-
230
mand wirklich im Winter eine so triviale Bemerkung
vorbringen möchte? Und warum nicht? Hier ist das
Subject: Schnee, ganz verschmolzen (oder vielmehr
complicirt) mit dem Prädicate weiss. Wer aber Frey-
lieh zur logischen Ijbung, etwan im Vortrage der Logik,
vom Schnee aussagt, er sey weiss, kalt, locker, krystal-
linisch, der bildet aus den Älerkmalen eine Reihe, und
nachdem diese Reihe auseinander getreten ist, findet sich,
dass man den Schnee auch von andern Seiten betrach-
ten konnte. Nun ist die so zerlegte Vorstellung des
Schnees nur theil weise, nämlich insofern man auf die
Farbe reflectirt, in Verbindung mit dem Prädicate; und
damit fallt dieses, sammt allen ähnlichen Urtheilen, mit
den vorerwähnten wieder in Eine Klasse.
Hieraus ergiebt sich nun zunächst, weshalb das Sub-
ject als das Vorhergehende, das Prädicat als das Nach-
folgende angesehen, und meistens auch so ausgesprochen
■wird.
IMan blicke zurück zu dem , was gleich anfangs (3.)
von dem Worte Hamburg gesagt worden. Der vorher-
gehende Vocal a war im Sinken begriffen, als der Vo-
cal u vernommen wurde. Darum ist a theilweise mit
dem ganzen (oder beynah ganzen) u verschmolzen. Wei-
terhin ergab sich, dass hierin unter Voraussetzung eines
Widerstandes der Grund liegt, weshalb a früher als u
reproducirt wird. Das nämliche ist nun auf Subject und
Px'ädicat anzuwenden.
42. Allein eben dies gilt auch vom Prädicate und
Objecte. Nicht bloss vom Cäsar wäre mehr zu sagen,
als dass er Gallien eroberte, sondern auch von Gallien
mehr, als dass es vom Cäsar erobert wurde. Der näm-
Uche Antrieb, vermöge dessen dieses Ereigniss ausge-
231
spiocheii wird, kann demnach sowohl Gallien als den
Cäsar voi-anstellen. Dennoch isl die passive Form: Gal-
lien ^vurde von Cäsar erobert, nicht ganz so natür-
lich als die active: Cäsar eroberte Gallien. Der Un-
terschied liegt hier nicht in der Art, wie Subject und Ob-
ject mit dem Prädicate verbunden sind; sondern in der Na-
tur einer Handlung. Diese geht vom Thal igen zum Lei-
denden; darum wird mit Recht die active Form als die
primitive angesehen; die passive als die umgewandte.
43. Nun aber treten in Ansehung derjenigen Ent-
wickelungen, welche dem Subjecte, dem Prädicate, dem
Objecte angehören, die grössten Verschiedenheiten hervor.
Jedes von bliesen kann sich zu einer Reihe, oder zu ei-
nem Geflechte von mehrern Reihen ausdehnen. Ist der
thätige, oder auch der leidende Gegenstand (letzterer
entweder in der passiven Form als Subject, oder in der
activen, vermöge des Accusativs) vorangestellt worden,
und soll nun gleich seine Picihe sich ausdehnen, so muss
das Prädicat warten, bis es zum Worte gelangen kann;
dieser Stillstand ist aber nicht ohne Zwang gegen den
psychischen Älechanlsmus möglich. Gemächlicher fliessen
die Gedanken, wenn bald nach Ankündigung des Gegen-
standes (gleichviel ob des leidenden oder thäligen) das
Prädicat ausgesprochen wird, und nun erst die vestge-
haltene Vorstellung des Gegenstandes sich vollends aus-
breitet, fortwährend getragen durch das immer noch ge-
genwärtige Prädicat.
Es wird kaum nöthig seyn, hier noch gegen eine Ein-
bildung zu warnen , die nur dem ganz oberflächlichen
Beobachter begegnen könnte, nämlich als ob wirklich
die Gedanken so kämen und gingen, wie die Wortlaute
nach einander ins Ohr fallen, oder wie die Buclistabea
232
sich vor den Augen in Reih' und Glied stellen. Die ganze
Bewegung der Vorstellungen ist, wie man längst weiss,
nur ein Schwanken mit geringem Übergewicht der einen
über der andern. TSlan rufe zurück, was oben (36.) über
den Homerischen Satzbau gesagt wurde.
44. Offenbar jedoch ist diese bequeme Art, die Vor-
stellung des Gegenstandes gleichsam über das Prädicat hin-
weg fortlliessen zu lassen, nicht immer möglich. Dann
nämlich nicht, wenn beyde, Subject und Prädicat, oder
vollends alle drey, Subject, Object und Prädicat, auf eine
weitere Entwickelung Anspruch machen. Hier verengen
sie sich den Raum, treten einander in den Weg; imd es
bleibt nichts übrig, als dass eins aufs andre warte, bis
Platz wird.
Dies nun ist ganz besonders bey Vordersätzen und
Nachsätzen der Fall; das heisst, da, wo das, was man
eigentlich sagen will — der Nachsatz — nur als verbun-
den mit einer Voraussetzung, die selbst schon die Form
eines Satzes hat, vorgetragen wird. Der Vordersatz bil-
det hier das Subject, der Nachsatz das Prädicat. Ander-
wärts (in der Logik) ist bemerkt, dass die sogenannten
kategorischen Sätze (wie: v4 ist B), wenn man sie streng
nur als Urtheile auffasst, in die Klasse der hypotheti-
schen zurückfallen (wenn imd inwiefern A gedacht wird,
kommt ihm B als Merkmal zu). Hier können wir bey-
fügen, dass der gewohnten Art, kategorische Sätze mit
Voraussetzung des Daseyns oder doch der Gültigkeit ih-
rer Subjecte auszusagen, diejenigen Vordersätze analog
sind, welche mit weil oder nachdem, oder irgend ei-
ner solchen Partikel beginnen, wodurch das schwankende
wenn von der Ungcvvissheit, die es ausdrückt, und von
dem Vorbehalt, es zurückzunehmen, befreyet wird.
233
In allen solchen Verbindungen, ^vo ganze Salze an
die Stelle der blossen Begriffe treten, wird jenes Aus-
dehnen uölhig ; mul auch Homer konnte hier seineu
sonst so bequemen Satzbau nicht anbringen. Eine andre
kunstreiche Verbindung bietet er uns in jenem Beyspiele
des Vertrags mit den Ti'ojanern dar (35.). Agamemnon
will sagen: auf den Ball, dass, wenn Paris unterliegt,
die Trojaner mir nicht genügen, so werde ich den Krieg
fortsetzen. Hier liegt eine Bedingung in der andern ;
eine neuere Sprache möchte sich Yielleicht nicht besser
zu helfen wissen, als durch das copulative und. „Wenn
Paris fällt, und wenn alsdann" u. s.w. Diese Copulation
bildet zwar .eine richtige Zeitreihe; aber sie drückt die
Bedingtheit der Bedingung, dass die Trojaner nicht ge-
nügen, nämlich durch die Voraussetzung, Paris sey ge-
fallen, nicht ganz so deutlich aus, als dieses die Home-
rischen Worte : AXt^uvÖQOio neaövTOS leisten, welche
dem: et ()' uv tfioi iifir^v lireiv ovx id^elwatp beyge-
lügt sind. INachdem auf diese Weise der Vordersatz be-
seitigt ist, bleibt offener Raum lür die kräftige Ei'klä-
rung, der Krieg solle fortgehu, bis die Trojaner wer-
den gebüsst haben.
45. Es wird nun, im Allgemeinen wenigstens, ein-
leuchten, dass für solche Darstellungen, worin bey je-
dem Gegenstande auf Vielerley zugleich Rücksicht zu neh-
men ist, also für den rhetorischen, historischen, philo-
sophischen Vortrag, sich ein Periodenbau allmälig aus-
bilden musste, woi'in, durch die Eutwickelung des Sub-
jects und der Vordersätze, das Prädicat mit den ihm an-
gehörigen Bestimmungen nach hinten gedrängt wurde;
so dass nun mehr Kunst dazu gehörte, es nur nicht im-
mer ans Ende zu stellen, sondern zur Abwechselung es
234
manclinial der Mitte näher zu bringen, und wenigstens
deniVerbum einen frühem Platz zu verschaffen, über wel-
chen dann ein Theil der Rede hinweglliessen mochte.
Nur Eines Umstandes erwähnen wir noch, der oben
schon berührt wurde; dessen nämlich, dass in Zwischen-
sätzen, die mit dem Pronomen relalivum beginnen, das
Verbum noch häufiger als sonst, nach hinten zu i'ücken
liflegt. Wenn das Subject schon im Vorhergehenden liegt,
und nur durchs Relativum noch braucht darauf hinge-
wiesen zu werden , so wirkt der vom Prädicate aus-
gehende Antrieb, welchem in Ansehung des Subjects
schon genügt ist, desto eher aufs Object; und umgekeiirt,
wenn auf das Object, als dem schon Hervorgehobenen,
nur hinzudeuten ist, dann treibt das Prädicat desto leich-
ter aufs Subject; in beyden Fällen bekommt das Verbum
die letzte Stelle ; doch wird man sich nicht wundern,
wenn in den beweglichen Sprachen des Alterthums der
geringste Umstand irgend eines Nachdrucks, der auf dies
oder jenes Wort soll gelegt werden, einer so wenig noth-
"wendigen Anordnung entgegentreten und dieselbe abän-
dern kann.
46. Was die Coujunctionen anlangt, so liegt der Un-
terschied der cumulativen von den copulaliven offenbar
darin, dass bey jenen die Vorstellungen zusammen im
Steigen begriffen sind, während bey diesen das vorige
Glied sinken mag, indem das folgende dazu trit. Hier-
über ist eine frühere Abhandlung *) zu vergleichen ; und
nur dabey zu erinnern , dass dort von einfachen Vorstel-
lungen die Rede war, hier aber von Gedanken, die nicht
bloss ganze Worte, sondern oft schon ganze Sätze zu
ihrer Bezeichnung nölhig haben. Schien dort der Fall,
*) Dif: letzte des ersten Helles.
233
dass ein vorhergehendes Glied einer Reihe sinkt, wäli-
rend ein folgendes steigt, vex'haltnissniässig seilen, und
der andre Fall, dass die frühere Vorstellung noch steigt,
während sie von der folgenden überstiegen ist, häufiger
vorzukommen: so wird dagegen bey zusammengesetzten
Vorstellungen zu erwarten seyn, dass die oben (20.) er-
wähnte specilische Schwere derselben ein Ilinderniss des
Steigens ausmachen werde; daher dann die Cumulatiou
leicht seltener werden kann, als die blosse Copidalion.
Bekanntlich zeigen aber die alten Sprachen oft genug
die Cumulation bestimmt an, während es in den neuern
bey der Copulation sein Bewenden hat.
47. Von dem Zwar und Aber, desgleichen vom
Entweder Oder ist kavun nöthig noch etwas anzumer-
ken. Da hierin Negationen verborgen sind , so sieht man
sogleich, dass in Einer Vorstellungsmasse meh-
rere Reihen liegen, die in ihrer Eutwickelung
sich gegenseitig hemmen. IMan gehe nun zurück in
den Anfang der Betrachtung (32. 24.). Was gegen die Hem-
mung anstösst, ist insofern einVerneintes, worüber das All-
gemeine längst anderwärts vorgetragen worden *). Dass
eine Verneinung als bevorstehend sich anmeldet in dem
Zwar, sich ausspricht im Aber, in Erinnerung gebracht
wird durch das Sondern, zurückgewiesen wird durch
das Doch, liegt in den obigen Entwickelungen ; das Ent-
weder Oder ist ebenfalls betrachtet worden; man weiss,
dass es einen Punqt voraussetzt, von wo mehrere Vorstel-
lungsreihen ausgehn; überdies, dass es ausser der gegensei-
tigen Verneinung noch dieUngewissheit des Wenn in sich
schliesst. Wir brauchen jetzt nicht auch noch an das Ob
und das Damit zu erinnei'u, um zum Resultate zu gelangen.
») Psychologie §.123.
236
Es Ist nämlich mm leicht genug, den Hauptgedanken
aus Allem, was über die Conjunctionen gesagt worden,
hervorzuheben ; — und liiemit zugleich die Verwandt-
schaft der Conjunctionen mit den Kantischen Kategorien)
sofern dieselben aus der Urtheilsform entsprungen seyn
wollen, darzuthun. Indessen ist zu bevorworten, dass
von der metaphysischen Bedeutung der Begriffe, welche
Kant unter die Kategorien versetzte, keinesweges die
Rede ist ; mithin weder von der Substanz noch von der
Ursache — worüber auf die Metaphysik zu verweisen
wäi-e, — sondern vom kategorischen und hypothe-
tischen Denken, vom Fortschreiten des Vorstel-
lens im Bereiche des Vielen, sey es Mehr oder
Weniger, von der stärkern oder schwächern
Assertlou, wenn das Wirkliche zwischen dem
INIögllchen und Nothwendigen erscheint; kurz
von dem, was von den Kategorien übrig bleibt, wenn
man die eigenthümliche Bedeutung jedes einzelnen Be-
griffs bey Seite setzend bloss den Umstand vesthält, dass
ihr ursprünglicher Sitz in den Urthellsformen
sollte nachgewiesen werden. Was war In diesen
Urthellsformen zu finden ?
48. Auf drey Puncte, auf die Reihenform, die Ne-
gation, die Gewissheit, lässt sich das Wesentliche reduciren.
Der Reihenform gehören die copulativen und cumu-
lativen Conjunctionen; auch das aQa, welches auf seiner
Stelle stehen bleibt oder auf die alte Stelle zurückwei-
set, ebenso das jiuv und ds, welches sich nach verschie-
denen Richtungen verbreitet. Der Reihenform gehört In ,
den Urtheilen das Umhervvandern im Gebiete der Viel-
heit, möge man sich zur Allheit ausdehnen oder auf Ein-
heit conceutriren.
237
Das Reich der Negation liaben wir bey den Conjun-
cllonen gross und mannigfaltig genug gefunden; wahrend
das Ja und Nein von der Urtheilsform gerade die Grund-
lage ausmacht.
Gewissheit trit im Weil und Denn, und im katego-
rischen Urtheile hervor, sofern man es (gleichviel hier
ob logisch giillig,) dem hypothetischen Urtheile entge-
gensetzt. Ungewissheit dagegen findet sich im Wenn,
im Entweder Oder, vollends im Ob. Die nämliche
Ungewissheit liegt im hypothetischen und disjunctiven
Urtheile; und überdies auch in dem Gegensatze des bloss
Möglichen gegen das Wirkliche und gegen dessen gestei-
gerte Gewissheit im Nothwendigen ; wobey zu bemerken,
dass der Unterschied der Gewissheit und Ungewissheit
zwar nicht ausschliessend aber doch vorzugsweise von
dem Unterschiede zwischen den zugleich sinkenden und
den zugleich steigenden Vorstellungen herrührt. Denn
die letztern sind es, welche sich eine Gedankenwelt bauen,
deren meistens sehr unsicheres Verhältnlss zur wirklichen
die Erfahrung jeden Augenblick von neuem in Erinne-
rung bringt. Aus solchen Erinnerungen entspringt die
Gewohnheit des Rückzugs aus dem Ungewissen ins Ge-
wisse, welchen das den Griechen habituelle ye ausdrückt.
49. Was nun die Reihenform und die Gewissheit an-
langt, so kann zwar das Urthell von dort her Bestim-
mungen annehmen; aber sie entspringen nicht aus ihm;
sie sind der Urtheilsform nicht wesentlich. Wenn man
spricht : das Brod ist theuer, so ist der Quantität nach
das Urtheil allgemein für den Ort, wo es theuer ist;
aber particulär für die Zeit, denn nicht immer war und
bleibt es theuer; die Quantität hängt ab von der Auf-
fassung des Subjecls. Wer da spricht: wenn der Mond
238
aufgellt, so wird der Weg hell genug zum Pieisen, der
mag wissen oder nicht wissen, ob es jetzt Neumond
oder Vollmond sey; die Urtheilsform bleibt die näm-
liche, obgleich das Urtheil zwischen Gewissheit imd Uu-
gewisshcit schwankt. Wesentlich für die Fornr des Ur-
theils ist von den angegebenen Arten allein das Ja luid
Nein; wenn dies weggenommen wird, giebt das Urtheil
keine Entscheidung; es ist nicht mehr Urtheil sondern
Frage. Denn in der Frage liegt das Yerhältniss zwi-
schen Subject und Pradicat, welches vom tJrtheil nur
die erste Grundlage ausmacht.
Sollte also den Einthellungen der Urtheile, welche
in der Logik vorkonunen, noch etwas IMehr abgewon-
nen werden als die Kategorien Piealitat und Negation,
— oder, wie es eigentlich hätte heissen sollen, die Be-
griffe des Bejahten und Verneinten *), — so mussten
tiefer liegende Gründe, sowohl von den Vorstellun-
gen der Reihenform, als der Gewissheit und Un-
gewissheit, aufgesucht werden. Das Wesentliche der
Uilheilsform reichte nicht hin. Und selbst von der Ver-
neinung würde man umsonst versuchen nachzuweisen,
dass sie ausschliesslich nur in den Urtheilen entspringe,
während sie vielmehr dem Vermissen und Entbehren
verwandt ist.
50. Kant hat zwar von seinen Kategorien die man-
nigfaltigsten Anwendungen gemacht; besonders von den
vier Begriffen Quantität, Qualität, Relation und INIodali-
tät, die eigentlich seine Haupt -Kategorien, nicht aber
blosse Überschriften und Rubriken sind. Allein an der
Stelle der Vernunftkrilik, wo der Sitz der Lehre ist,
*) Von eigentlicher Realität kann hier gar nicht die Rede seyn.
Vergl. IVIelaphysiii I. §. 37.
239
sieht man iliii weit weniger mit der Verscliiedeuheit der
Kategorien, als vielmehr mit der Behauptung beschäirtigt:
die Kategorien seyeu sämmllich nur zum Erfahrungs-Ge-
brauche bestinmit. Hier ist die Gegend, von wo später-
hin die Fichtesche Icldehre ausging.
51. Fichte gei'ielh in die Widersprüche des ideali-
stischen Ich, welches sich als Totalität der Realität se-
tzen sollte, statt dessen aber sich durch ein ungeheures
Nicht-Ich (die gesammte Aussenwelt) begränzt setzt, und
hiemit sich selbst verneint. Dabey kam der Widerspruch
in dem, seiner nothwendigen Beziehungen beraubten,
nackt hingestellten Begriffe des Ich zum Vorschein, nach
welchem sich das Ich nicht bloss in Object und Subject
spaltet, sondern auch mitten in der Spalte das wahre
Ich liegen soll, nämlich die Identität beyder Entgegen-
gesetzten. Dass die blosse Analyse der Ichheit, wenn
man die nothwendige synthetische Untersuchung (die
nicht im Ich stecken bleiben darf) uuterlässt, nichts
Anderes ergeben kann als diesen Widerspruch, daran zu
denken war Kant weit entfernt. Ihn beschäfftigte eine
ganz andre Synlhesis; eine solche, die längst vor Augen
lag, und die er viel zu weit herholte, indem er dazu
eigener Handlungen des Geistes zu bedürfen meinte. Er
fragte sich : wie doch das IMannigfaltige der Wahrneh-
mung in die Vorstellung Eines Ob jects zusammentreten
möge ? Und er antwortete : „die Einheit der Apperce-
„plion ist diejenige, durch welche alles in einer An-
„schauung gegebene IMannigfaltige in einen Begriff vom
„Object vereinigt wird" ''). Ferner: „unter der Synthe-
-,,sis der Appreheusion verstehe ich die Zusammensetzung
„des Mannigfaltigen in einer empirischen Anschauung,
*) Kritik der reinen Vernunft §. 18.
240
„wodurcli Wahrnelimimg möglich wird" *). Und einige
Zellen weiterhin : „Wenn ich die empirische Anschauung
„eines Hauses durch Apprehension des JMannigfaltIgen der-
„selben zur Wahrnehmung mache, so Hegt mir die noth-
„wendige Einheit des Raums zum Grunde; — wenn ich
„das Gefrieren des Wassers wahrnehme, so apprehendire
„ich zwey Zustände, Flüssigkeit und Vestigkeit als solche,
„die in einer Pielatiou der Zeit gegen einander stehen."
Nun sollen, nach Kant, Pvaum und Zeit schon selbst
Anschauungen seyn ; sie sollen ein JManuIgfaltlges ent-
halten, verbinden, vereinigen; sie sollen Bedingungen
aller Wahrnehmung seyn, und hieniit auch die Bedin-
gung der Syuthesis aller Apprehension enthalten. Und
diese Synthesis soll eine andere voraussetzen, die nicht
den Sinnen angehört. Denn: „die synthetische Einheit
(welche als Bedingung der Synthesis aller Apprehension
schon mit jenen Anschauungen gegeben Ist), kann keine
andre seyn , als die Verbindung des JMannIgfaltigen einer
gegebenen Anschauung überhaupt in einem ursprüng-
lichen Bewusstseyn, den Kategorien gemäss, nur
auf unsere sinnliche Anschauung angewandt."
Schon vor dieser Stelle findet man **) den Satz: „die Ein-
heit der Anschauung ist allein möglich durch
die ursprüngliche synthetische Einheit der Ap-
perception"; und noch früher **''') ist diese ursprüng-
liche Apperceptlon erklärt als dasjenige Selbst be-
wusstseyn, was, indem es die Vorstellung: Ich denke
hervorbringt, die alle andern muss begleiten können, —
und in allem Bewusstseyn ein und dasselbe ist, — von
*) Kritik der reinen Vernunft §. 26.
**) Ebendas. §. 20.
***) Ebendas. §. 16.
241
keiner weiter begleitet werden kann. — So
sehr verlegen war Kant wegen der Verbindung aller,
zur Wahrnehniung eines Objccts (des Hauses, des Was-
sers II. dgl.) gcliörigcn Tiieil -Vorstellungen, dass er, an-
sialt unmittelbar deren Gestaltung in Betracht zu ziehn,
erst den Raum, „als Gegenstand vorgestellt, wie man es
in der Geometrie bedarf", und auf ähnliche Weise die
Zeit, zu Hüire rief; und dann noch den Verstand in
Bewegung setzte, um vermittelst der Kategorien endlich
den vesten Einheitspunkt des Selbstbewusstseyns zu er-
reichen. Denn so lautet seine Aussage: „Ein Mannig-
„faltiges, das in einer Anschauung, die ich die meinige
„nenne, enthalten ist, wird durch die Synthesis des
„Verstandes als zur nolhwendigen Einheit des Selbslbe-
„wusstseyns gehörig vorgestellt, und dieses geschieht
„durch die Kategorie" *).
Fichte hingegen scheint aus der, nicht wenig verwor-
renen Kantischen Kategorien -Lehre sich vorzugsweise
den Satz heraus gelesen zu haben: „Wie aber das Ich,
der ich denke, von dem Ich, das sich selbst anschauet,
unterschieden, und doch mit diesem letztern als das-
selbe Subject einerley sey; wie ich also sagen könne: Ich,
als Intelligenz und denkendes Subject, erkenne mich
selbst als gedachtes Object, sofern ich mir noch
üb er das in der Anschauung gegeben hin (nur,
gleich andern Phänomenen, nicht wie ich vor dem Ver-
stände bin, sondern wie ich mir erscheine), hat nicht
mehr und nicht weniger Schwierigkeit, als wie ich
mir selbst überhaupt ein Object, und zwar der An-
schauung und innerer Wahrnehmungen seyn könne."
Hätte sich Kant selbst ei^nstlich mit dieser Fi'age beschalf-
*) Ebcndas. §. 21.
Heft II. Q
242
tigt, so wäre seiue Lehre, und liiemit ,die ganze neuere
Philosophie, eine andere geworden.
52. Ein starkes Zeiclien, dass Kant diesen Theil
seiner Untersuchungen nicht durchgearbeitet, nicht zur
Reife gebracht hatte, liegt in der gänzlich vernachlässig-
ten, und dennoch sich unmittelbar aufdringenden Frage:
warum wird nicht das Haus mit dem Baum daneben,
mit dem IMenschen davor, — warum nicht das AYasser
mit seinem Gefässe als Eins aufgefasst? Die Synthesis,
welche in der Vorstellung des Raums schon liegt, die
Einheit des Selbstbewusstseyns, worin jene Vorstellun-
gen als die meiuigen zusammentreten, sammt dem be-
gleitenden: ich denke, und sammt allen Kategorien,
alles dies steht bereit, um noch viel mehr Mannigfalti-
ges, als das, was zu Einem Objecte geliört, zu vereini-
gen. Woher nun Begränzung und hiemit Gestaltung
der Objecte ?
Das ist leicht, möchte Einer sagen. Man sieht ja
die Dinge sich bewegen. Die Menschen gehn vor dem
Hause vorüber; das Wasser wird ins Gefäss hinein und
wieder heraus gegossen.
Aber diese natürliche Antwort scheint sehr fern ge-
legen zu haben; denn Kant sagt in einer Note: „Bewe-
gung eines Objecls im Räume gehört nicht in eine reine
Wissenschaft, folglich nicht in die Geometrie; weil, dass
etwas beweglich sey, nicht a priori, sondern nur durch
Erfahrung erkannt werden kann. Aber Bewegung, als
Beschreibung eines Raumes, ist ein reiner Actus der
successiven Synthesis des JMannigf altigen in der äussern
Anschauung überhaupt durch productive Einbildungs-
kraft (später ein Lieblingswort Fichte's,) und gehört
nicht allein zur Geometrie, sondern sogar zur Trans-
243
sceudental- Philosophie." So vertiefl war Kaut in die
Synthesis, dass ihn die Frage nach der Sonderung und
Gegenüberstclhing der Objecte gar nicht zu berühren
schien. Und doch, wenn ein Gegenstand verschiedene
Theile hat, kann er nicht einmal als Ein Ganzes aufge-
fasst werden , bevor seine Theile gesondert sind ; denn
ohne Theile giebt es kein Ganzes.
53. Will man sich in die Kantische Kategorien-
Lehre vollständiger hinein versetzen , so ist dienlich,
jene berühmte Stelle in Betracht zu ziehen, welche uer
Unterscheidung zwischen Phänomenen und Noumenen
voransteht. „Wir haben jetzt das Land des reinen Ver-
standes nicht allein durchreiset, und jeden Theil davon
sorgfältig in Augenschein genommen , sondern es auch
durchmessen, und jedem Dinge auf demselben seine Stelle
bestimmt. Dieses Land aber ist eine Insel, und durch
die Natur selbst in unveränderliche Gräuzen eingeschlos-
sen. Es ist das Land der Wahrheit, umgeben von einem
weiten und stürmischen Ocean, dem eigentlichen Sitze
des Scheins, wo manche Nebelbank und manches bald
wegschmelzende Eis neue Länder lügt ; und indem es
den auf Entdeckungen herumscliwärmenden Seefahrer
unaufhörlich mit leeren Hoffnungen täuscht, ihn in
Abentheuer verflicht, von denen er niemals ablassen,
und sie doch auch niemals zu Ende bringen kann."
Diese Stelle schon drohet der rationalen Psychologie, den
autinomischen Sätzen, der speculativen Theologie; es sind
kritische Zwecke, welche dem Kritiker vorschweben,
und der Hauptsatz seiner Kategorien -Lehre ist der:
„die Kategorie hat keinen andern Gebrauch zur Erkeunt-
uiss der Dinge, als ihre Anwendung auf Gegenstände
der Erfahrung."
Q2
244
Für (leu ki'itischen Zweck nun seinen nicht nöthJg,
dem Ursprünge der Kategorien tiefer nachzuforschen.
Daher die Behauptung: „Von der Eigenthiimlichkeit un-
„seres Verstandes, nur vermittelst der Kategorien, und
„nur gerade durch diese Art und Zahl derselben, Eiu-
„heit der Apperception a priori zu Stande zu bringen,
„lässt sich eben so wenig ferner ein Grund angeben, als
„warum wir gerade diese und keine andre Functionen
„zu urtheilen haben; oder warum Zeit und Raum die
„einzigen Formen unsrer möglichen Anschauung sind."
In demselben Sinne fortfahrend würde ein Gramma-
tiker sagen : von der Elgenthümlichkeit unserer Sprache,
nur vermittelst der Conjunctiouen, und nur gerade durch
diese Art und Zahl derselben, Zusammenhang in den
Ausdruck unserer Gedanken zu bringen, lässt sich eben
so wenig ferner ein Grund angeben, als warum zu ei-
nem Satze ein Hauptwort und ein Zeil wort gehört, und
warum Sätze zu Perioden verbunden werden können.
54. Was war denn nöthig für den kritischen Zweck? —
Nichts weiter, als die Sache so liegen zu lassen, wie sie
in der Kautischen Ansicht schon lag? Freylich nach die-
ser Ansicht standen nun einmal das Mannigfaltige der
Empfindung und die Einheit des Bewusstseyns einander
gegenüber; zwischen beyden gewisse Formen, die sich
geschickt zeigten, das Mannigfaltige in sich aufzunehmen.
War es nun genug, auszusprechen: Seht! diese Formen
sind die Eurigen; gebraucht sie, wozu sie gut sind — ?
In der Tiiat enthält die Stelle der Vernunftkritik "),
wo der Gel^rauch der Kategorien auf Erfahrung be-
schränkt wird, sonst nichts Wesentliches. Es heisst dort:
ö) A. a. O. §. 22.
245
„Zur Erkenntniss gehören zwey Stücke: erstlich der Be-
griff, wodurch überhaupt eiu Gegeustaud gedacht wird
(die Kategorie); uud zweytens die Anschauung, wodurch
er gegeben wird."
Wie, wird man fragen, zuerst der leere Gedanke,
und dann erst das Gedachte? was ist denn ein Denken
ohne Gedachtes?
Unbekümmert um solche Fragen fahrt Kant fort:
„Denn, könnte dem Begriffe eine corresiDondirende An-
„schauung gar nicht gegeben werden, so wäre er ein Ge-
„danke der Form nach, aber ohne allen Gegenstand, —
— „und durch ihn gar keine Erkenntniss von irgend ei-
„nem Dinge möglich; weil es, soviel ich wüsste,
„nichts gebe, noch geben köxinte, worauf mein Ge-
„danke angewandt werden könnte."
„Nun ist alle uns mögliche Anschauung sinnlich,
„also" —
Das Übrige versteht sich von selbst; die vorgebliche
intellectuelle Anschauung wird sich dadurch nicht wider-
legt bekennen.
55. Was unternahm aber Kant für seinen kritischen
Zweck durch seine Kategorien -Lehre?
Die vorhandenen Formen, welche zur Aufnahme des
Mannigfaltigen (seiner Meinung nach) bereit standen,
mussten wenigstens aufgesucht, und durchmustert wer-
den. Mangel an Vollzähligkeit, Aufraffen dessen, was
sich gerade dargeboten habe, wirft er dem Aristoteles
vor; in die weite Schatzkammer der Sprache lüneinzu-
gehn mochte ihm als Anlass zu ähnlichem Aufraffen be-
denklich scheinen. Das Capitel von den Urtheilen in
der Logik ist freylich nicht so gross, dass man wegen
der Weite des Raumes sich darin veriiren könnte !
246
Eben hier nuu meinte er den Leitfaden zur Entdeckung
aller reinen Verstandesbegriffe zu finden.
Das Wesentliche, worauf er sich stützt *), ist die Be-
hauptung : jeder Begriff sey als Prädicat eines
möglichen Urtheils zu denken. „Er ist also nur
dadurch Begriff, dass unter ilim andre Vorstellungen
enthalten sind." Darum, meint er, könne der Verstand
von Begriffen keinen andern Gebrauch machen,
als dass er dadurch urt heile. Natürlich ist nun
der Schluss: also lernt man alle Arten des Verstandes-
gebrauchs kennen , wenn man die Arten der Urtheile
kennt.
Sind denn aber die sämmtlichen Begriffe nicht an-
ders zu gebrauchen, ausser so, dass sie in den Urthei-
len die Stelle des Pradicats einnehmen? Woher dann
die Subjecte für diese Pradicate? Und wie sollen sich
die Arten des Verstandesgebrauchs in Kategorien ver-
wandeln, do h. in Begriffe von den Gegenständen,
welche mögen erkannt werden? Gesetzt z. B. es gebe
eine kategorische Urtheilsform , vermöge deren man sa-
gen könne: grosse Hitze und Kälte sind tödlich, — ist
denn nun diese kategorische Art, den Begriff tödlich
als Prädicat für Hitze und Kälte zu gebrauchen, etwa
die Kategorie der Substanz ? Und was ist nun die Sub-
stanz in diesem Beyspiele? der Begriff tödlich gewiss
nicht, denn eine Substanz ist nur Subject und nicht Prä-
dicat. Sind denn etwa die Subjecte Hitze und Kälte,
beyde auf gleiche Weise, für Substanzen erkläi't oder
auch nur dalür gehalten und angenommen, weil einer-
**) A. a. O. im Eingange zum §. 9; unmittelbar vor der Tafel
der Eintheilungeii der Urtiieile.
'247
ley Prädicat ihnen kategorisch beygelegt wurde? Oder
stehen hier etwa Hitze und Kälte am unrechten Orte,
indem sie nicht als Prädicate auftreten, wiewohl sie frey-
lich Prädicate anderer möglicher Urtheile seyn können?
Es scheint schwer, hier nur irgendwie den Kantischen
Zusammenhang der Gedanken zu errathen.
Begriffe treten so oft und überall in den Platz des
Subjects, dass kaum zu begreifen ist, wie auf den Um-
stand, dass sie auch als Prädicate vorkommen, ir-
gend ein Gewicht mochte gelegt werden *). Wo \on
Bäumen und Steinen, von IMenschen und Thieren etwas
ausgesagt wird, da wird geurlheilt, und indem die Be-
griiFe Baum, Stein, Mensch, Thier, anstatt sichtbarer
Gegenstände gebraucht sind, liegt der Act des Urlheilens
dai'in, dass ihnen selbst, als den Fieprasentanten dieser
Gegenstände, irgend welche Prädicate beygelegt werden.
Darum sind sie Subjecte, wiewohl sie auch Prädicate
seyn könnten.
Man mag alles Vorerwähnte — die gesuchte Verei-
nigung des Mannigfaltigen in der Wahrnehmung, damit
ein Begriff vom Object herauskomme, also die Synthesis
der Apprehension, die Einheit der Apperception , das be-
gleitende: Ich denke, selbst jene successive Synthesis
durch productive Einbildungskraft, — kurz Alles, was
in dieser speculativeu Angelegenheit wesentlich schien,
zusammennehmen : damit erreicht man noch immer keine
Erklärung des Misgriffs, die Kategorien nach Anleitung
der Verschiedenheit in den logischen Urtheilsformen zu-
sammen zu suchen. Auch ist in den andex'n Schulen,
*) Wir wollen hier nicht wiederholen, was gegen den Fehler,
den Begriffen schon als solchen einen Umfang beyzulegeii, ander-
wärts ist gesagt worden. Man vergleiche Psychologie §. 120.
248
die späterliiu aus der Kanllsclien hervorgingen, dieser
WIsgrllT allmälig unwirksam geworden.
Selbst der Satz : „die logische Form aller Urthelle
besteht in der objectiven Einheit der Apperception der
darin enthaltenen Begriffe" *), konnte Anlass zu besse-
rer IJberzeugung geben. Denn die objective Einheit der
Apperception lasst keine nolhwendigen Verschieden-
heiten der logischen Formen erblicken; als ob in ihr,
als dem eigentlichen Sitze aller Urthelle, etwas von
Quantität, Qualität, Relation, Modalität begründet wäre.
Dagegen halte man Jahrhunderte lang in den Vorträgen
der Logik das A, E, I, 0 imterschleden , ohne an obje-
ctive Einheit der Apperception zu denken.
56. Schon die Gerechtigkeit gegen Kant erfodert,
an den wahren und richtigen Aufaugspunct seiner Be-
trachtungen zu erinnern. Diesen erkennt man am leich-
testen aus der Art, wie er seine Lehre von Raum und
Zeit einführt. Er sagt: „Damit gewisse Empfinduu-
„gen auf etwas ausser mir bezogen werden, desgleichen
„damit ich sie als ausser und neben einander vorstellen
„könne, dazu muss die Vorstellung des Raumes schon
„zum Grunde liegen."
Also bis auf die Empfindungen ging Kaut zurück.
Der Zusatz, die Vorstellung des Raums müsse schon
zum Grunde liegen, ist zwar nichts als eine petiiiu pn'n-
cipn; aber was die Empfindungen anlangt, so ist unbe-
streitbar, dass in dem Grün, Gelb, Hart, Weich, jedes
einzeln genommen, kein Ausser -Einander liegt; und dass
hieraus vorläufig eine Ungewissheit folgt, woher die Vor-
stellung — zwar nicht des Raums, der noch nicht hle-
her gehört, — aber des Räumlichen, als einer Sonde-
*) Kritik der reinen Vernunft §. 19.
249
rung des Empfundenen, wohl kommen möge? Die
Auseinanderselziing, und ebenso das Nacheinauder-Setzen,
bedarf einer Erklärung, denn das Gegebene scheint,
wenn man es in alle Partial-Vorstellungen auf-
lösen könnte, die nämliche Summe derselben
zu enthalten, wenn auch die Gestaltung verän-
dert würde.
Über den Fehlschluss aus der Notfcv.'endigkeit der
Vorstellung des Raums, desgleichen über die imrichtige
Behauptung, der Raum werde als eine unendliche gege-
bene Grösse vorgestellt, ist anderwärts gesprochen *).
Diese Unrichtigkeiten hindern nicht, dass man jene
Bemerkung über die Empfindungen weiter benutze. Im
Gegentheil, die nämliche Bemerkung trifft die sämmt-
lichen Formen der Erfahrung.
Dass nun die Synthesis in Raum und Zeit, die Syu-
thesis in den Begriffen von Substanz und Accidens, Ur-
sach und Wirkung, die Synthesis in den Urtheilen, die
Synthesis im Selbstbewusstseyn, dem anscheinend un-
verbundeuen Mannigfaltigen der Empfindung gegen-
über hervortrat; dass Kant hierauf seine ganze Aufmerk-
samkeit richtete, dass er hierin die ursprüngliche Mit-
gabe des menschlichen Geistes zu finden glaubte: — dies
Alles, fehlerhaft wie es ist, konnte bleiben wie es war,
ohne dass deshalb die Erkenntuissbegriffe, die Katego-
rien, in den Arten der Urtheile brauchten gesucht zu
werden.
57. Hingegen würde dies Alles sich plötzlich bedeu-
tend vei'ändert haben, wenn Kant sich die Frage vorge-
legt hätte: wie ist Beobachtung möglich?
Denn in der Beobachtung eines gegebeneu Gegeu-
*) Psychologie §. 144.
250
Stands hängt die Synthesis von der Empfindung ab. Be-
dürfte man keiner Empfindung, um zu -den Bestimmun-
gen des Objects zu gelangen, so könnte man die Mühe
des Beobachtens sparen; was man a priori besitzt, bringt
man schon mit; aber damit erfährt man nichts von dem:
Wie lang? wie breit? wie früh? wie spät? — Nichts
von den Umständen, welche bey einem Experiment we-
sentlich oder zufällig sind. Zu allem diesen gehört Se-
hen, Hören, Tasten, also Empfinden.
Und die Empfindung bestimmt nun wirklich gIc ver-
laugte Synthesis. Also war es eine unrichtige IVIeinung,
dass sie nur ein uuverbundeues Mannigfaltiges liefere.
Also ergiebt sich, dass Verbindung zwar nicht im Em-
pfundenen liegt, aber mit dem Empfundenen gege-
ben wird, indem das Empfundene sich unter ein-
ander verbludet.
58. Daraus folgt nun eine gänzliche Umkehrung der
Rantischen Ansicht über jene Synthesen ; und über die
vorgeblich bereit stehenden Formen.
Die Synthesis versteht sich überall von selbst, weil
keine Scheidewände im Bewusstseyn (eigentlich in der
Seele) vorhanden sind.
Dem gemäss sollte Alles In ein ungeschledenes Eins
zusammenfallen. Insbesondere der Raum, — von wel-
chem Kant bemerkt, er enthalte Zusammenfassung des
Mannigfaltigen in eine anschauliche Vorstellung, — sollte
völlig in einander schwinden, so dass es kein Ausser-
einander mehr gäbe; die Zeit sollte ebenso ihr Nach-
einander vei'lieren, und nur ihr Zugleich behalten. Das
ereignet sich aber nicht. Und dass es sich nicht ereig-
net, davon sind die Gründe aufzusuchen, weil es kei-
ner Gründe der Synthesis bedarf.
251
Man weiss, dass wir dainlt bescliäfliigt waren mid
sind; denn von nichts Anderem ist die Rede, als \on
den gegenseitigen Hemmungen unter den dazu geeigne-
ten Vorstellungen. Es kam hier nur darauf an, gele-
gentlich den Gegensatz gegen die Kantische Lehre zu be-
zeichnen. Formen der Hemmung (anstatt der Formen
der*Synthesis), wie wenn dergleichen ursprüng-
Hch in der Seele lägen, wird Niemand hier erwar-
ten; und es ist nicht daran zu denken, obgleich sich da-
durch das Gegenstück vollenden würde. Dennoch sind
Raum und Zeit allerdings eben sowohl Formen der Tren-
nung, als Formen der Zusammenfassung. Doch wir
kehren zurück zu den Kategorien; und zwar zunächst
zu den Kanlischeu.
59. Es ist aus dem Vorhergehenden offenbar, dass
man dieselben in doppelter Hinsicht betrachten kann,
erstens als Begriffe von den Verschiedenheiten in den
Formen der Urtheile, zweytens als Erkenntniss-Begriffe.
Nach ihrem Ursprünge können sie nur das erste, nach
ihrer Bestimmung sollen sie das zweyte seyn.
Der erste Gesichtspunkt veranlasst zwar zuvörderst
die Frage, ob die vier Eintheilungen der Urtheile rich-
tig aufgestellt seyen? Darüber können wir indessen xms
hier hinwegsetzen. Denn von der logischen Geltung ist
nicht die Rede ; für die Psychologie aber ist die That-
sache, dass die bekannten zwölf Arten der Urtheile
wirklich vorkommen , und beym Gebrauch unterschieden
werden, nicht zu bezweifeln; der Anspruch auf Voll-
ständigkeit kommt, wie mau bald sehen wird, nicht in
Betracht. Allein wenn wir nun die Tafel jener Einthei-
lungen nehmen wie sie vorliegt, so können wir doch
unmöglich einräumen, dass die Kautischen Kategorien
252
daraus abzuleiten seyen; denn es ist kaum zu begreifen,
wie man je daran denken konnte, blosse Bejahung für
den Begriff der Realität, kategorisches Urtheilen für An-
zeige der Substantialität, logische Dependenz, wenn sie
auch wirklich immer das Verhältniss von Grund und
Folge enthielte, für Ursach und Wirkung, Disjunction
für reale Gemeinschaft gelten zu machen. Da dies Alles
gänzlich unzulässig ist, müssen wir zuerst diejenigen Be-
griffe hinstellen, welche wirklich das Verschiedene der
zwölf Urtheilsformen anzeigen *). Sie mögen so benannt
werden :
Quantität
Allgemeines
Besonderes
Einzelnes
Qualität Relation
Bejahung Entscheidung
Verneinung Bedingung
Begränzung Schwankung
Modalität
Zulassung
Annahme
Behauptung
60. Jetzt fragt sich: haben diese Begriffe da, wo sie
sich finden, nämlich in den Urtheilen, auch ihren Grund
und Boden; dergestalt dass, wenn sie noch anderswo
vorkommen, nöthig sey, sie als abgeleitet aus sol-
chen Functionen unseres Geistes, wie Bejahen, Vernei-
nen, Entscheiden, Bedingen, Zulassen, Annehmen u.s.w.
anzuerkennen? — (Den Ausdruck: Functionen, bietet
*) Aus Nachgiebigkeit ist hier die Begränzung an ihrer ge-
wohnten Stelle gelassen; es ist hier nicht nöthig, dagegen Ein-
spruch zu erheben. Man vergleiche unten 68 und 71.
253
uns Kanl, tlcr von der logischen Function des Verstan-
des in Urllieilen redet, und kurz zuvor von den Functio-
nen der Einheit in den Urtheilen.)
Gesetzt, man müsse diese Frage bejahen, so entsieht
die Aufgabe, jene Conjunctionen der Sprache, die copu-
hTliven und adversativen, die conditlonalen , causalen,
conchisiven , sammt den disjunctiveu und concessiven,
aus dem Innern der Urtheile, aus den Formen jener
Einheit, worin sich das Prädicat dem Subjecte anlügt,
abzuleiten. Jenes Zusammenfassen also, was vollstän-
dig in der Form des allgemeinen, minder vollständig in
der des parlicularen Urtheils liegt, müsste von dort-
her, wo Alle oder Einige als Subject auftreten, herüber
gewandert seyn, um sich in die engen Behausungen sol-
cher Wörtchen, wie: Und, Sowohl als auch, te und
VMi (allenfalls auch fiiv und Jf ,) zu begeben. Dies um
desto gewisser, wenn die logische Allgemeinheit sich in
Allheit, die logische Particularität in Vielheit trans-
formiren soll. Ferner müsste das Nein, welches zwi-
schen Subject und Prädicat steckt, seinen dortigen, ver-
meintlich ursprünglichen, Wohnsitz verlassen haben, um
die verschiedenen Gestalten des Zwar, Aber, Sondern,
Doch, Weder Noch, Entweder Oder anzunehmen.
Am Entweder Oder würde sich dann auch das Be-
dingen und Schwanken einen Antheil vindiciren. Aus
dem Zulassen und Bedingen möchte man das Ob, sammt
den Verwandten, dem Obgleich und Wenngleich, zu
construii-en vei'sucheu; doch bey letzteren würde auch
etwas vom Verneinen sich einmischen. Um aber voll-
ends das Weil, und Dann, und Damit zu erreichen,
möchte wohl das Annehmen, ja das Behaupten sich mit
dem Bedinceu in ircend eine Verbinduns einlassen müssen.
254
Man mag nun liier die obigen Auseinandersetzungen
(45 — 47, sammt dem was vorliergelit) vergleichen.
61. Hat man vom psychischen Mechanismus, und
von der möglichen Verschiedenheit und Bewegung der
Vorstellungsmassen, auch nur den ersten BegriiF gefasst:
so weiss man , dass zwar alle Sprachen der Welt, sammt
allen ihren Conjuuctionen und Hülfsmitteln jeder Art,
immer nur einen unvollkommenen Ausdruck für die Stru-
ctur der Vorstellungsmassen liefern können; dass aber
die Urtheilsformen davon noch viel weiter entfernt sind,
indem selbst der Periodenbau mit aller seiner INIannigfaltig-
keit noch lauge nicht hinreicht, um das Innere völlig aus-
zusprechen. Gleichwohl liegt in den Perioden und deren
"'Verknüpfungen das Bestreben, sich auszusprechen;
die Urtheile, als Bestandtheile der Perioden, müssen zur
Äusserung jenes Bestrebens bey tragen, soviel sie können.
Kein Wunder also, dass Etwas von dem, was man
in den Conjunctionen vollständiger wahrnimmt, auch
schon in den Urtheilen zu sehen ist; nur kann man
aus den Urtheilen nicht mehr herausnehmen, als was
i n ihnen liegt ; die Verbindung der mehrern Urtheile
in der Periode, der Perioden in der Rede, endlich der
aus der Gedanken -]Masse hervortretenden Rede in
dieser IMasse selbst, welche der Schooss und Ursprung
von dem Allen ist, — bleibt die Hauptsache; und diese
Hauptsache ist weder in den einfachen Urtheilen, noch-
in dem Wenigen, was die Logik von den zusammenge-
setzten (den hypothetischen und disjunctiven) Urlheilen
zu sagen pflegt, gehörig zu erkennen.
Hatte nun Kant einmal die Richtung genommen, Re-
flexionen über die, ihatsachlich vorhandenen, in der Lo-
gik verzeichneten. Formen der Urtheile anzustellen; gc-
255
dachte er die wahre Natur unseres Verstandes durch
solche Reflexionen zu ergründen; wollte er davon einen
kritischen Gebrauch machen : so musste diese Art von
Kritik einen viel breitern Boden bekommen, und sie
konnte ihn erreichen, wenn von Urtheilen zu Perioden,
von Perioden zum Bau der Sprachen überhaupt fortge-
gangen wurde. Dann wäre der unglückliche Name:
trausscendentale Logik, wodurch dem Worte Logik
ganz falsche Nebenbedeutungen angehängt wurden, wahr-
scheinlich niemals in Gebrauch gekommen; denn die philo-
sophische Untersuchung über den Sprachbau, der das blosse
Aneinanderreihen der Worte zu verbessern sucht,
damit die wahre Configuration der Gedanken zu erken-
nen sey, — würde sich wohl passendere Benennungen
gewählt haben.
Durch solches Fortschreiten in der einmal eingeschla-
genen Richtung hätte sich nun freylich Kant noch wei-
ter vom Aristoteles entfernt; aber die Folge wäre kein
Nachtheil, sondern sehr annehmlich gewesen. Die Kate-
gorien, welche man schon in einzeln stehenden
Worten entdeckt, wären dem Aristoteles als sein
Eigenthum verblieben; den Zusammenhang derselben mit
dem psychischen IMechanismus hätte Kaut noch immer
aufzudecken Gelegenheit genug behalten.
62. Soll nun zweytens (nach 59.) auch noch von der
Bestimmung der Kantischen Kategorien gesprochen wer-
den: so ist zuvörderst offenbar, dass dieselbe den Kreis
der Aristotelischen nicht überschreitet. Aristoteles redet
von Erfahrungs- Gegenständen; selbst seine oi'o/a, die
man unpassend mit suhstantia übersetzt hat, ist ein sinn-
liches Ding, wie Mensch, Pferd; und er findet zunächst
nur uöthig, dem Worte eine zwiefache Bedeutung zu ge-
256
ben, nämlich so, dass es erstlich und vorzugsweise (ttqo)-
ro)S xat fiuXiGTo) das Individuum, dann zweytens die
Art {eldos) bedeute. Erst gegen das Ende der Betrach-
tung bemerkt er, die ovoia könne, ohne sich zu ver-
vielfältigen , entgegengesetzte Bestimmungen annehmen
{f] ovoia, EV zal Tavtov rtÖ ccQid-/i(p ov, dszrtni] xwv
ivaVTiwv ioTiv). Dabey aber fällt ihm luoch immer nicht
ein, den Kreis der Sinneudinge zu überschreiten. Der
Mensch, sagt er, kann warm und kalt, besser vmd
schlechter werden *).
Dass die Kantischen Kategorien ebenfalls bestimmt
waren, den Erfahrungskreis nicht zu überschreiten, liegt
am Tage; denn wir lesen ausdrücklich bey ihm den Satz:
„die Kategorie hat keinen andern Gebrauch zur Erkeunt-
niss der Dinge, als ihre Anwendung auf Gegenstände
der Erfahrung."
Ob er diesem Satze treu geblieben sey, ist eine an-
dre Frage. Er lehrt weiterhin : bey allem Wechsel der
Erscheinungen beharret die Substanz, und das Quantum
derselben wird in der Natur weder vermehrt noch ver-
mindert. Er fährt fort: „Ich treffe von diesem synthe-
tischen Satze nirgends auch nur den Versuch von einem
Beweise an. In der That ist der Satz, dass die Sub-
stanz beharrlich sey, tautologisch. Denn bloss diese Be-
harrlichkeit ist der Grund, warum wir auf die Erschei-
nung die Kategorie der Substanz anwenden; und man
hätte beweisen müssen, dass in allen Erscheinungen
etwas Beharrliches sey, an welchem das Wandelbare
*) Kaum ist noch der Mühe werth, etwas so Offenbares zu
bestätigen, sonst könnte wegen des Worts ovala noch auf des Por-
phyrius isagoge 11, 24 verwiesen werden, wo es heisst: we.Tfo y
ovoia, uvonäcm ovaa tm fiTj&iv ilvui, noo uvvij<i yivog, ijv xo yivi-
y.ioTUTov y.. %• A,
257
nuhls als Beslimmnng seines Daseyns ist." Also in den
Erscheinungen inAvohuend soll etwas Beliarrliclies seyni'
Das müsste selbst erscheinen, und brauchte dann nicht
erst be%'V"iesen zu \Yerden. Dass aber in die Exschei-
nungeu etwas hineingedacht wird, welches als der ge-
meinsame Träger (das suhslratum) aller simultanen und
successiven sinnlichen IMerkmale Eines und desselben Din-
ges angesehen wird: das ist eine Thatsache nicht des Er-
scheinens sondern des Denkens. Dabey erhebt sich die
zwiefache Frage: erstlich, ist das Denken richtig und
gültig? Zweytens: wenn richtig und gültig, ist es auch
vollendet? oder nur ein angefangenes, weiter fortzufüh-
rendes? — A\& solches haben wir es längst nachgewie-
sen und entwickelt; hier ist nicht der Ort, diese rein
metaphysische Betrachtung zu erneuern *). Der Kanti-
*) Man wird leicht beinerK'cn, dass die vorliegende Ahliand-
lung weit davon entfernt ist, sich auf i\en Standpunct zu stellen,
von wo eine umfassende Kritik der Kanlischen Lehre möglich
seyn würde. Die Kategorien, von denen hier gesprochen wird,
sind zu den einzelnen fehlerhaften Parlhien dieser Lehre zu rech-
nen, dergleichen überhaupt nicht hätten vorkommen können, Wenn
die Anlage der ganzen Arbeit richtig gewesen wäre. Bey Ivant
ist zwischen den Erscheinungen und der inlelligibeln Welt eine
unübersleigliche Kluft, weil die Motive, derentwegen diese zu je-
nen muss hinzugedacht werden, nämlich die Widersprüche in den
Formen der Erfahrung, bey ihm gänzlich im Dunkeln bleiben.
Daiier sieht seine ganze Speculation so aus, als käme es nur dar-
auf an, sich mit guter Manier aus einem verwickelten Handel zu
ziehn. Dass die Späteren in den Widersprüchen stecken blieben,
war ihr Fehler, den man jedoch durch Rückschritte zur Kanti-
schen Lehre iiichi wieder gut machen würde. Die vermeinte Kluft
kann nicht bloss übei'slicgen werden, sondern das muss in so weit
geschehen, als Psychologie und Naturphilosophie den menschlichen
Erfahrungskreis zu ergänzen dienen ; nur darf damit nicht eine
Schwärmerey verbunden werden, als ob man jenseits der Milch-
strasse eine Heise gemacht hätte, und davon zu erzählen wagen
Heft IL F^
258
sehe Beweis aber ist leJiglich cljarakteristisch für Kants
Ansichten. „Die Zeit — bleibt und wechselt nicht.
Die Zeit aber kann für sich nicht wahrgenom-
men werden. Folglicli — muss in den Gegen-
ständen der Wahrnehmung das Substrat anzu-
treffen seyn, welches die Zeit überhaupt vor-
stellt. Es ist aber das Substrat alles Realen
die Substanz."
Dieser vorgebliche Beweis ist nun eine unpassende
Darstellung jener Thatsache des Denkens; denn die Zeit
ist hier unnöthig, und der Einheitspunct schon der si-
multanen Merkmale verfehlt. Das Gold muss schon als
Substanz gedacht werden, wenn es als das Eine aufge-
fasst wird, welches ausgedehnt, starr, gelb, glänzend,
schwer, und in gewissem Grade hart, zugleich ist;
man hat gar nicht nölhig, es auch noch als dasjenige
zu denken, welches zu anderer Zeit dehnbar, schmelz-
bar, feuerbeständig, und seinen chemischen oder mer-
kantilischen Verhältnissen angemessen befunden wird.
Die Zeit dagegen muss als die Form des Wechsels ge-
dacht werden; und bevor dies geschehen ist, lässt sich
in den Worten: sie bleibe und wechsele nicht, auch
nicht einmal ein Sinn finden. Das Beharrliche bloss als
solches kann gar keine Zeit vorstellen; es ist das Zeit-
lose, und geräth in die Zeit nur durch das, was als zu-
fällig an ihm wechselnd angesehen wird. Auf das selt-
same Postulat: die Zeit müsse wahrgenommen werden,
dürfte. Übrigens bleibt das grosse Verdienst Kants, die prakti-
sche Philosophie gänzlich unabhängig von der theoretischen hin-
gestellt zu haben , hier unberührt und unbestritten. Man mag
vergleichen, was im ersten Baude der iMela[)h)Äik über die Kan-
lischc Lehre gesagt worden.
welches dem vorgcbliclicn Beweise zum Grunde liegt
(den« ohne diese VoraussetzAUig wäre niclit abzusehen,
warum ein Repräsentant der Zeit auftreten müsstc),
brauchen wir uns hier nicht einzulassen.
Also während Aristoteles sich im Kreise der Erfah-
rung hält, geht Kant widg:* seinen Willen darüber hin-
aus, indem er vom Substrat alles Realen redet, welches
jenseits der Erscheinung liegt, und niemals in den Kreis
derselben eintreten kann. War dies Hinausgehen ein-
mal geschehen, so musste es fortgesetzt werden; wir
wollen es als nicht geschehen betrachten ; denn wir wol-
len (ür jetzt im Kreise der Kategorien, ihrer angekün-
digten BestinuHung gemäss, bleiben.
63. Die am gehörigen Orte *) längst gegebene An-
zeige der vier Haupt -Kategorien, Ding, Eigenschaft,
Verhältniss, Verneintes, war der Hauptsache nach
nicht als etwas Neues auzusehn. Sie trifft ganz nahe mit
der Angabe des Aristoteles zusammen ; wie auch schon
dort hinreichend bemerklich gemacht worden. Es kommt
zuerst darauf an, dass die ovoia (ohne Anspruch an die
metaphysische Bedeutung des Seyenden) an die Spitze
gestellt werde, oder vielmehr stehen bleibe, wie Aristo-
teles sie gestellt hatte. Denn die Kategorien sollen Er-
kenntuiss -Begriffe seyn ; das setzt den Gegenstand vor-
aus, woi-auf unmittelbar imd zunächst das Erkennen
sich richtet. Dann trit die Urtheilsform hinzu; nämlich
die ganz allgemeine aller Urlheile, ohne Erwähnung ir-
gend welcher Arten und Eintheilungen. Das Allgemein-
ste, was selbst die BVage mit dem Urtheile gemein hat,
ist die Anknüpfung des Prädicats an das Subject; der
«) Psychologie §. 124.
R2
2G0
bestimmte Unterschied des Urtlieils von der Frage liegt
im Ja und Nein. Das Nein aber liegt in der Kategorie
des Verneinten, und entspringt mit ihr aus den wi-
der eine Hemmung ans tossenden Vorstellungen,
wo sie mit dem Vermissteu , Entbehrten, Begehrten ei-
nerley Grund und Boden hat. Die Kategorie iür jedes
Prädicat würde Eigenschaft seyn, wenn nicht sehr viele
Prädicate ihren Sitz bloss im zusammenfassenden Den-
ken hätten ; so dass ein Unterschied hervortrit , je nach-
dem ein Gegenstand für sich allein, oder in Verbindung
mit andern aufgefasst war. Nur im ersten Fall kann
das Prädicat ihm selbst zugeeignet werden, so dass er
es behalte, auch wenn Anderes kommt und geht. Im
zweyten Falle, wo der Gegenstand nur für die Zusam-
menfassung mit Andern ein Prädicat annimmt, welches
wegfällt sobald die Zusammenfassung verschwindet oder
sich ändert, entsteht die Kategorie des Verhältnisses.
Diese letztre, wenn man ganz genau seyn will, beruht
auf dem bedingten Verneinen ; nämlich auf dem Weg-
fallen des Prädicats nach aufgelöseter Zusammenfassung;
allein bey veränderter Zusammenfassung wird das Auf-
hören der vorigen wenig bemerkt ; daher natürlich ge-
nug Eigenschaft und Verhältniss einander können gegen-
über gestellt werden.
Nun hat Aristoteles in den letzten Capiteln der Schrift
von den Kategorien einige Nachträge hinzugefügt; der
erste davon ist der BegrilT des Entgegengesetzten, jle-
ystai exeQov irfQO} avTineiodai rergcr/olg' y oig tcc
TiQog iif rj ojg Ta tvavri«^ ?; ü)S oreQv^üis neu l'^ig} fj
WS y.mu(paGis nai anöffaoiS' Dass hier die Verneinung
zum Grunde liegt, bedarf keiner Erläuterung. Das tiqos
11 war schon in der ersten Angabe der Kategorien mit
261
aufgeführt. Das nooov und iioiov haben wir als Ualer-
abllieiliuig der Eigenschaft betrachtet, worüber weiter-
hin noch eine Bemerkung folgen soll. Was die übri-
gen Aristotelischen Kategorien anlangt, so ist das äyeiv^
wie das letzte Capitel aussagt, vieldeutig, jedenfalls aber
den vorigen unterzuordnen-, das nov , norl^ Ktladui,
noielv, nüay^eiv gehören sännntlich in die Klasse des
7i()6s 11.
G4. Für den Mangel bey Kant, dass dort an der
Spitze der Kategorien die ovo.'tu fehlt, kann man auf
den ersten Blick glauben, dreyfachen Ersatz bey ihm zu
finden. Unter der Rubrik: Qualität (gemäss dem was
bey den Urtheilen Qualität heisst) hat er die Realität;
unter der Rubrik: Relation Hihrt er die Subsistenz auf;
endlich bey der JModalität bietet er noch die Wirklich-
keit an. Ist nun die ovot'u, das Ding, unter der Rea-
lität, oder Subsistenz, oder \'V irklichkeit zu verstehen?
Vielleicht unter allen dreyeu; vielleicht unter keiner
von diesen. W^as er bey der Realität gedacht hat, zeigt
die sogenannte Anticipation der Wahruehmuiig , das
Reale, was Gegenstand der Empfindung ist, habe inten-
sive Grösse, oder einen Grad. Es ist nun schon ein
sehr wunderlicher Ausdruck, von einem Gegen stau de
der Empfindung zu reden. Empfindungen sind Zu-
stände; nämlich in uns, nicht aber etwas, das uns ge-
genüber steht. Dass aber die Gegenüber-Stellung nicht
und niemals in der Empfindung liegen kann, war ge-
rade der Hauptgedanke (55.), aus welchem die notli-
wendigsteu Betrachtungen über Raum und Zeit hervor-
gingen. Für den BegrüF des Grades oder der intensiven
Grösse sollte ein Plat'z gesucht werden. Diesen räumen
wir ihm uubedcriklich bey der Empfindung ein ; eben
26'i
darum aber kann das Empfundene nicht dasjenige Be-
jahte seyn, welches dem Begriile des Dinges entsprechen
soll. Oder was würde wohl' Aristoteles gesagt haben,
wenn man ihm zugejiiuthet hatte, bey Mensch und Pferd,
als Beyspieleu der otola., vollends bey den allgemeinen
Begrilfen davon, die er als eine zweyte Art von Dingen
betrachtet wissen will, an den Grad der Empfindung zu
denken, welcher, wenn wir jene Gegenstände sehen,
von der starkem oder schwächern Beleuchtung, wenn
wir den Menschen reden und das Pferd wiehern hören,
von der Stärke des Schalls bey der weitern oder gerin-
gern Entfernung abhangt? Soll Realität das Bejahte der
Empfindung, Negation das Mangelnde der Empfin-
dung bedeuten, so hat jene nicht die Bedeutung des
Dinges, diese nicht die Bedeutung des Verneinten.
Was zweytens die Subsistenz anlangt, so hat ihr
Kant das Correlatum: Inhärenz ausdrücklich vorge-
schoben. Da hätten wir auf einmal die bey den Kate-
gorien Ding und Eigenschaft, wenn nicht beyde lür
Eine gelten wollten, und wenn nicht diese Eine sich
schon»»unter die Rubrik Relation gelügl hätte. Nun ist
ein Ding gewiss keine Pielation. Wohl aber kommt
eine sehr wichtige Relation zum Vorschein, wenn Ein
Ding viele Eigenschaften — zum Theil gleichzeitig,
zum Theil nach einander — besitzt ; denn da sollen die
Vielen, obgleich sie viele sind, doch auf das Eine, wel-
ches nicht Vielerley seyn darf, bezogen werden. Dass
Kant nicht an die simultane, wohl aber voreilig an die
successive Vielheit dachte, und dass er hiemit auch in
die allerdings sehr natürliche Versuchung gerieth, den
Erfahrungskreis zu überschreiten, wurde schon oben be-
merkt (Cl). Also bey der Subsistenz ist das Ding über-
263
Sprüngen, was bey der Realilat, welche In der Empfin-
dung gesucht wurde, noch niclit erreicht war.
Wie steht es- denn um die Wirklichkeit, welche
zwischen der INIoglichkeit und Nolhwendigkeit Platz ge-
nommen hat? Rauls eigne Aussage lautet: „Die Kate-
gorien der IModalität liaben schon das Eigene an sich,
dass sie den Begriif, dem sie als Prädicate beygefügt
werden, als Bestimmungen des Objects nicht im minde-
sten vermehren, sondern nur das Verhältniss zum Er-
keuntuissvermögen ausdrücken." Also das Object setzen
sie voraus; das Ding muss schon da seyn, ehe man
überlegen kann, ob und wie man es in ein weiteres Ge-
biet der Möglichkeit hineindenken könne. Wiederum
war demnach bey der Wirklichkeit der Begriff des Din-
ges schon überspriuigen.
Das Resultat ist: unter den Kantischen Kategorien
fehlt die erste und nolhwendigste aller Kategorien. W^e-
der die Realität, noch die Subsistenz, noch die Wirk-
lichkeit kann dafür gelten.
65. Ungeachtet alles Redens von der Synthesis also,
und von der objectiven Einheit der Apperception, —
ungeachtet jener viel zu weit offenen Einheit des beglei-
tenden: Ich denke, in welche nicht bloss die gege-
bene Einheit der Merkmale Eines Dinges, sondern die
sämmtlichen, gegebenen und gedachten, Dinge hinein-
fallen, — sieht doch die Reihe der Kategorien so aus,
als ob jene Synthesis entweder noch bevorstände, oder
schon andern Reflexionen Platz gemacht hätte. In dem
wahren Erfahrungsbegriff des Dinges ist dagegen die Syn-
thesis der JNlerkmale vorhanden, noch ehe und bevor
deren Vielheit unterschieden und die Synthesis be-
merkt wird. Weit eher werden viele Dinge unter-
264
schieden , ehe die Vorstelhing Eines Dinges in das
Vielerley der Eigenschaften zerlegt wird. Hievou
nuisste Rechenschaft gegeben werden, wenn es darauf
ankam, den psychischen Process der Auffassung von
Erfalirungs -Gegenständen psychologisch zu entwickeln.
Aber der Salz: die Kategorien seyen nur zum Er-
fahrungs - Gebrauche bestimmt, sollte der JMctaphysik
den Weg sperren. Das half nichts ; denn bey der Zer-
legung kommt das Vielerley der Eigenschaften Eines
Dinges doch zum Vorschein ; die vorhandene Synthesis
wird nicht bloss zum Räthsel, sondern es wird auch
noch überdies ihre Gültigkeit bezweifelt ; wie dieses in
Ansehung des veränderlichen Dinges , und seiner wech-
selnden, entgegengesetzten IMerkmale, schon bey den
Allen, namentlich den Eleaten und dem Piaton, so
deutlich hervortrit , dass eben der Veränderung wegen
das Sinnliche als Schein verworfen, höchstens als Ge-
genstand des Mcinens, aber nicht des Wissens, be-
trachtet wird.
Wir haben anderwärts erinnert, dass Kant den
Widerspruch fühlte, an welchen jene xAlten Anstoss
nahmen*); aber auch, dass er ihn seltsam genug be-
deckte. Eben dahin gehört das Obige (62.), dass er
die Substanz bloss als das Beharrliche bezeichnet, und
sie zum Repräsentanten der Zeit macht. Freylich ent-
hält die Zeit nichts von den entgegengesetzten
wechselnden Merkmalen, denn die Zeitpuncle werden
als gleichartig vorgestellt. Wer seinen Blick lediglich
auf die Zeit riclitet, der übersieht gerade das, worauf
es bey den Sinnengegenständen ankonnnt, sobald sie als
Substanzen gedacht werden.
*) Psychologie §. 142, in der Anmerkung.
265
Wie i'sl es denn aber nur niöylicli, dies zu über-
sehen? Gerade dadurch ist es möglich, dass der BegiilT
des Dinges viel fiiiher vorlianden, viel tiefer in der all-
gemeinen Gewohnheit gewurzelt ist, als der Begriff der
Substanz. Den meisten Menschen fallt es gar nicht ein,
die Einheit, welche der Substanz zukommt, zu unter-
scheiden von dem Aggregat der ]Merkmale und dem Fa-
den der Veränderungen, wodurch das Ding als ein un-
geschiedenes Eins gedacht wird.
Wo nun der BegrilF des Dinges nicht gehörig vest-
gestellt wird , da ist für den Erfahrungsgebrauch nicht
einmal der gehörige Anfangspuuct bezeichnet ; natürlich
wird also auch die Fortsetzung verfehlt , welche dem
rechten Anfange wurde entsprochen haben. So konnten
die Rantischeu Kategorien ihre Bestimmung, als Er-
kenntnissbegriffe, (58.) nicht erreichen.
66. Während man nun hiemit der heutigen Zeit
nichts Neues sagt, — denn die heutigen dreyzackigen
Systeme legen wenig Werth auf die Rantischen Katego-
rien , — ist es doch nicht überflüssig , die „artigen
„Betrachtungen, welche vielleicht erhebliche
„Folgen in Ansehung der wissenschaftlichen
„Form aller Ver n u n f t - Er k e n n t uiss e haben
„könnten"*), wieder ins Gedächtniss zu rufen. In
diesem Puncte hat Kant einen unbegreillichen Gehox'sam
erlangt. Wo Quaiitität, Qualität, Relation und Moda-
lität vergessen sind, wo man sich um das Verbot, den
Erfahrungsgebrauch der Kategorien nicht zu überschrei-
ten, schon längst nicht mehr kümmert, da ist gleichwohl
noch jene Symmetrie der Dreytheiluugen im hohen Grade
beliebt, welche Kant zwar nicht bey den vier Haupt-
«) Krit. d. r. V. §. 11.
266
Kategorien (die man als blosse tJberschriften gering
schätzt), aber bey den untergeordneten einführte. Es
ist der Mühe werlh , von der langen Geschichte dieser
Symmetrie den Anlang zu beleuchten.
Die artige Beti-achtung selbst, welche hieher gehört,
lautet so: „dass allerwärts eine gleiche Zahl der Kate-
„gorien jeder Klasse, nämlich drey sind; welches zum
„Nachdenken auffodert, da sonst alle Eintheilung a priori
„durch BegriiFe, Dichotomie seyn muss *). Dazu kommt
„noch, dasa die dritte Kategorie allenthalben aus der
„Verbindung der zweyten mit der ersten ihrer Klasse
„entspringt. So ist die Allheit (Totalität) nichts Anderes
„als die Vielheit als Einheit betrachtet, die Einschrän-
„kung nichts Anderes als Realität mit Negation verbun-
„den ; die Gemeinschaft ist die Causalität einer Substanz
„in Bestimmung der andern wechselseitig; endlich die
„Noth wendigkeit, nichts Anderes als die Existenz, die
„durch die IMögllchkelt selbst gegeben ist.''
Ehe wir uns auf dieses — an Spinoza erinnernde —
nßiil aliud einlassen, - — waren denn wirklich allerwärts
Drey, noch vor dem Nachdenken, zu welchem sie
auffodern? Man sollte meinen, das Nachdenken hätte
vorangehu, und die Drey herbeyführen sollen. Ver-
muthlich setzen INIauche, die sich noch jetzt die gemäch-
liche Dreyzahl wohl gefallen lassen, im Stillen voraus,
das Nachdenken sey, bey einer so zur Sitte gewordeneu
INIanier, schon durch ihre Vorgänger lange abgethan.
Bey Kant ist es ernstlich zu nehmen, dass die Drey
allerwärts — erst sind, und dann zum Nachdenken
aulTodei'u. Denn am Ende des uachstvorhergeheuden
*) Bekanntlich nach dem contradictoriscben Gegensalze, des-
sen Vollständigkeil sicher isl.
2ü7
Paragraphen sagt Kant : „Die Fächer sind einmal da ;
es ist nur nöthig, sie auszufüllen." Wo sind denn diese
Fächer? Antwort: „Dieselbe Finiction, welche den
„verschiedenen Vorstellungen in einem Urtheile Einheit
„giebt, die giebt auch der blossen Synlhesis verschiede-
„ner Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche,
„allgemein ausgedrückt , der reine Verstandes - Begiill"
„heisst. Auf solche Weise entspringen gerade so viel
„reine Verstandes -Begriffe, als es in der vorigen
„Tafel logische Functionen in allen möglichen Urtliei-
„len gab; denn der Versland ist durch gedachte Func-
„tionen völlig erscliöpft, und sein Vermögen dadurch
„gänzlich ausgemessen." Die vorige Tafel ist keine an-
dere als jene der eingetheilten Urtheile. Wenn also
neben dem alten A, E, I, O, die einzelnen, und die
unendlichen Urtheile weggelassen werden, so fehlt
in der entsprechenden Kategorientafel die Einheit und
die Limitation ; wenn Jemand die disjuuctiven Urlheile
auf verkürzte hypothetische zurückführt (31.), oder gar
den logischen Unterschied der kategorischen von den
hypothetischen Urtheilen nicht gelten lasst, so fehlt dort
die Kategorie der Gemeinschaft, hier gar die der Sub-
stanz; und es ist, als halle man dem Verstände sein
Urrecht auf sein angebornes Eigenlhum bestritten. Kein
Wunder, dass einige Kantianer für die Eintheilungen
der Urtheile wie pro ans et focis gestritten haben.
An das eben erwähnte nihil aliud sind folgende Be-
merkungen in der Kürze anzuknüpfen :
1) Die Allheit erfodert, dass von dem Vielen, wel-
ches als vereinigt aufzufassen ist, nichts un vereinigt
übrig bleibe.
2) Einschränkung setzt den Versuch der weitern
268
Ausdehnung des Bejahten voraus. Ein Baum ist nicht
darum eingeschränkt, weil er nicht spriclit und nicht
leuclitet, sondern wenn er in einem schlechten Boden
oder einem rauhen Klima nicht gehörig wachst, blüht,
Früchte trägt.
3) Unter Gemeinschaft versteht Kant erst Einfluss
(„wie eine Substanz Ursache von etwas in einer andern
Substanz werden könne",) dann Wechselwirkung („wie
in einem Körper, dessen Theile einander wechselseitig
ziehen und auch widerstehen"). In beyden Fällen ent-
steht die Frage, ob er hey der Causalität noch nicht
an die Ursache als Substanz gedacht hatte , da erst die
Kategorie aus der Verbindung jener beyden (Substanz
luid Ursache) entstehen soll?
4) Wäre Nothwendigkeit die durch blosse Möglich-
keit gegebene Existenz , so hatte die JMöglichkeit mehr
gegeben, als sie hat, und geben kann.
Aber Kant liess sich durch solche Bedenken nicht
abschrecken. Am Ende der Einleitung zur Kritik der
Urtheilskraft (jener reilectirendeu Urtheilskraft, welche
in der Natur eine Art von Zweckmässigkeit nicht fin-
den, sondern in sie hineintragen, und, wenn das etwa
zuweilen gelänge, sich daran wie an einer erreichten
Absicht freuen sollte , — gewiss eine der seltsamsten
Paradoxien, womit je ein geistreicher Kopf gespielt
hat,) macht er einen Unterschied zwischen analytischen
(den gewöhnlichen logischen) und synthetischen Einthei-
lungen , welche letzteren allemal dreytheilig ausfallen
sollten. Denn — es sollen dazu gehören: 1) Bedin-
gung, 2) ein Bedingtes, 3) der Begriff, der aus der
Vereinigung des Bedingten mit seiner Bedingung ent-
springe. Ungefähr wie wenn Jemand eiu Urtheil so
260
cinlhcilon würde: 1) Subject, 2) Prädicat, 3) das Ur-
theil selbst, welches aus der Vereinigung des Subjecls
und Prädicats entspringt. Nanilicli Bedingung und Be-
dingtes beziehen sich auf einander; das helsst, jedes
setzt das andere voiaus; es giebt keine Bedingung ohne
Bedingtes, und kein Bedingtes ohne Bedingung; der
BegrilF der Bedingtheit umfasst.beyde, so wie der
Begriff eines Urtheils Subject und Prädicat umfasst.
Nun giebt es zwar für jede Beziehung, auch wenn sie
nur einseitig ist, eine Theilung; man kann Bezogenes
und Beziehungspunct von einander untei'scheiden ; aber
die Theilung ist keine Eintheilung; am wenigsten darf
mau die Beziehung selbst noch als ein Drittes neben
jene beyden Theile hinzählen, denn sie lag schon in
beyden als deren Voraussetzung.
G7. Gleichwohl wurde in der Periode des Kantia-
nismus das Kunststück nicht bloss angestaunt, sondern
nachgeahmt.
Zwar lässt sich die Confuslon , die Fichte anrichtete,
als er analytische und synthetische Urtheile mit beja-
henden und verneinenden, den Satz des Grundes mit
einer Vereinigung Entgegengesetzter durch den BegrilF
der Theilbarkeit, ja sogar Spinoza's Substanz mit
dem Substrat der Theilbarkeit, worin beyde,
das Ich und Nicht-Ich, — Spinoza's Intelli-
genz und Ausdehnung — gesetzt seyen, durch
einander warf und vermengte*), nicht vollständig aus
den vorerwähnten Rantischen IMisgriffeu ableiten oder
dadurch entschuldigen; vielmehr liegt die wahre Ent-
schuldigung darin, dass zu jener Zeit, da die schon von
den Alten bemerkten Widersprüche der Erfahrungsfor-
*) Ficlile Wissenschaftslehre vom Jahre 1794, S. 31 — 48.
270
men in tiefer Vergessenheit begraben lagen, iloch end-
licli einmal Einer der Erste seyn niussle, der in de«
Wald dieser "Widersprüche hinein gerieth 5 wozu denn
allerdings die nähere Betrachtung des Ich einen hin-
reichenden Anlass darbieten konnte. Dass aber hiebey
so verkehrt zu Werke gegangen wurde, daran hatten
allerdings die Ranlischen Kategorien und vermeinten
Synthesen einen bedeutenden Antheil. Ich, ]\icht-Ich,
gegenseitige Begränzuug beyder, wurden auf die Kanti-
schen Kategorien der Qualität gedeutet. Fichte schliesst
seinen ersten Theil '*') ausdrücklich mit den Worten:
„W^enn von der bestimmten Form des Urtheils, dass es
„ein entgegensetzendes oder vergleichendes, auf einen
,,Unterscheidungs- oder Beziehungsgrund gebautes ist,
„völlig abstiahirt, und bloss das allgemeine der Hand-
„luugsart, — das, eins durchs andre zu begränzen, —
„übrig gelassen wird, haben wir die Kategorie der Be-
„stimmung, Begranzung, bey Kaut Limitation. Nämlich
„ein Setzen der Quantität überhaupt, sey es nun Quan-
„tität der Realität, oder der Negation, heisst Bestim-
„numg."
Was ferner die Kantischeu Synthesen anlangt, —
jene Syuthesis in der Apprehensioii des Mannigfaltigen,
wodurch etwa die Anschauung eines Hauses zur Wahr-
nehmung gemacht wird, (50.) — dann jenen reinen
Actus der successiven Syuthesis durch productive Ein-
bildungskraft , vermöge dessen Bewegung als Be-
schreibung eines Raumes, vorgestellt wird, (51.) —
überdies jene Syuthesis des Verstandes, wodurch ein
INIannigfalliges der Anschauung als zur nothwendigen
Einheit des Selbstbewusstscyns gehörig gedacht wird
») A. a. O. S. 48.
271
(51.): so wollen wir denselben zur kurzen Probe eine
Aussage Fichte's *) gegenüber stellen.
„Keine Antitliesis ist möglich ohne eine Synthesis ;
denn die Antitliesis besieht ja darin, dass in Gleichen
das entgegengesetzte Merkmal aufgesucht wird" ; —
(Darin besieht sie nun zwar nicht; wohl aber erfo-
dert sie , dass in Einem Vorstellen die Entgegengesetz-
ten zusammen gehalten seyen ;)
„aber die Gleichen wären nicht gleich , wenn sie
nicht erst durch eine synthetische Handlung gleich-
gesetzt waren. In der blossen Antitliesis wird davon
abstrahirt, dass sie erst durch eine solche Handlung
gleichgesetzt worden : sie werden schlechthin als gleich,
u n u n t e r s u c h t woher, angenommen" ;
(soll heissen : nach der Älöglichkeit des Zusammenhal-
teus der Entgegengesetzten wird nicht gefragt;)
„bloss auf das Entgegengesetzte in ihnen wird die
„Reflexion gerichtet, und dieses dadurch zum klaren
„und deutlichen Be wuss tseyn erhöbe n."
(Also in der Reilexion steigen die Vorstellungen,
in der Abslraction sinken sie im Bewusstseyn).
„So ist auch umgekehrt keine Synthesis möglich,
ohne eine Antithesis. Entgegengesetzte sollen vei'einigt
werden; sie wären aber nicht entgegengesetzt, wenn
sie es nicht durch eine Handlung des Ich wären,
■von welcher in der Synthesis abstraliirt wird, um bloss
den Beziehungsgrund durch Reflexion zum Bewusstseyn
zu erheben."
Hier handelt zwar nicht dies oder jenes Erkeuntniss-
vermögen, Sinnlichkeit, Einbildungski-afl, Verstand;
sondern das Ich , welclies zuvor als Grund aller Realität
ä
) A. a. O. S. 35.
272
proclamlrt worden, trit selbst handelnd auf; dennoch
hat es von den Rantischen Seelenvermögen sein Han-
deln gelernt, und setzt nur unter etwas veränderten
Jjestiinmungen fort, was jene begonnen hatten.
Kein Wunder, dass nun das Sinken und Steigen
der Vorstellungen im Bewusstseyu mit solchen Namen
Abstraction und Pie flexi on, belegt wird, als ob
auch dazu eigne Handlungen von dem Ich miissten vor-
genommen ^yerden. Das Fichtesche Ich hat überhaupt
das Schicksal, Vieles zu thun, wovon es nichts weiss,
und dies Nichtwissen erst durch eine späte Selbster-
kenutniss zu verbessern. So lesen wir unter andern
S. 286. der Wissenschaftslehre : „Da alle diese Functio-
„nen des Gemüths mit Noth wendigkeit geschehen, so
„wird man seines Handelns sich nicht bewusst, luid
„muss noth wendig annehmen, dass man von aussen er-
„halten habe , was man doch selbst durch eigne Kraft
„nach eignen Gesetzen producirt hat."
So lautet die Sprache des Idealisten, der den psy-
chischen Älechanismus nicht kennt, aber sucht, in-
dem er allerdings speculative Bedürfnisse empfindet, von
denen die IMenge nichts merkt und begreift.
68. Durch Anführung jener Stelle, welche besagt,
ein Setzen der Quantität heisse Bestimmung, Begrän-
zung, bey Kant Limitation, haben wir es Fichten über-
lassen , eine Bemerkung auszusprechen , die freylich
beym Anblick der Kantischen Kategorientafel sich Jedem
leicht aufdringen kann; nämlich, dass die Limitation,
welche dort unter der Rubrik: Qualität, erscheint,
in das Gebiet der Quantität zurückgreift. Dieser
Punct wurde oben (63.) schon vorläufig erwähnt. Ohne
uns hier auf den offenbaren Kanlischen Fehler weiter
277
einzulassen, haben wir mit Fichten — und mit dem
Aristoteles zu thuu.
Fichte will zwar den Begriff der Schranken nicht
analytisch aus der Vereinigung der Realität mit der
Negation entwickeln. Aber ein Paar Seiten weiter hin
schreibt er: „Alles Entgegengesetzte = — A ist ent-
„gegengesetzt einem A'., und dieses A ist gesetzt. Durch
„das Setzen eines — A wird A aufgehoben, und doch auch
„nicht aufgehoben. INIithin wird es nur zum Theil
„aufgehoben." Wir iintei'brechen ihn hier; denn un-
abhängig von dem anscheinend räthselhaften Fortgange
seiner Hede ist hier eine Entwicklung nöthig.
A ist hier zum Gegenstande einer Bejahung und
Verneinung gemacht; luid gefodert wird, dass die Ver-
neinung nicht als auslöschend das Bejahte angesehen
werde. Also das Bejahte bleibt stehen ; das Verneinte
bleibt auch stehn. So steht zweymal A] einmal für
die Bejahung, das audremal für die Verneinung. Es
sind zwey Exemplare von A gedacht worden ; beyde
fallen unter Einen allgemeinen Begriff, den Begriff von
A, welcher, wie jeder Multiplicandus, logisch höher
steht, als die Anzahl der vorhandenen Exemplare.
Wie nun jedem hohem Begriffe ein Umfang zugeschrie-
ben wird , so hat auch hier der allgemeine Begriff des
A eine Sphäre, und in diese th eilen sich die Exem-
plare. Das Seltsame, demjenigen A, welches Gegen-
stand der Verneinung seyn soll, einen Platz in der
S|)häre des Begriffs A anzuweisen, mildert sich etwas,
indem Fichte gleich weiterhin ein B einführt, welches
durch das Setzen des A nicht gesetzt, und in so fern
ein verneintes A sey; darauf fährt er fort: „Durch das
Heft II. 8
278
Gleicliselzen beyder (B = A) wird weder A noch B,
sondern irgend ein X gesetzt, welches z= X und rr A
und =B ist." Was er damit sagen will, zeigen etwas
weiterhin die Beyspiele. Der Vogel ist ein Thier
(der Beziehungsgrund soll seyn: animalisch belebte Ma-
terie, der Unterscheidungsgruud : zwey oder vier Füsse
u. dgl.). Eine Pflanze ist kein Thier (Bezieluings-
grund : Organisation ; Unterscheidungsgrund : specifische
Differenz zwischen Pflanze und Thier). Die Beyspiele
zeigen eine logische Theilung logischer Sphären. Damit
ist nun noch immer nicht der Begriff der Limitation ge-
wonnen; wohl aber allerdings eine Annäherung an den-
selben. IMan braucht nur in das letzte Beyspiel noch
den Begriff der Zoophylen einzuführen, und mit ihnen
einerseits die verschiedenen, mehr ausgebildeten Pflan-
zen, andererseits die mehr ausgebildeten Thiere zu ver-
gleichen, so bilden in dieser Vergleichung die Zoophy-
ten einen Übergang aus einem Gebiete in ein anderes,
nachdem jedes dieser Gebiete für sich eine Weite der
Ausdehnung bekommen hatte, worin mancherley grad-
weise musste unterschieden werden. Der Übergang
setzt eine Gränze voraus; und der Begriff der Limitation
entsteht da, wo Vieles mehr oder minder Entgegenge-
setzte zusammengehalten, und nach entgegengesetzten
Richtungen zusammeugefasst wird.
Um Fichtes eigentliche Absicht an dieser Stelle, das
absolute Ich als den Grund und Boden darzustellen,
worauf das beschränkte Ich und das beschränkte Nicht-
Ich neben einander stehen sollten, bekümmern wir uns
nicht weiter, da unsre Absicht bloss auf die Kategorie
der Quantität gerichtet ist; welche wir am gehörigen
Orte der Qualität coordinirt, beyde aber dem höheren
279
Begriffe der Eigenschaft subordinirt haben. Zur Erläu-
terung mag Aristoteles veranlassen.
69. Aristoteles stellt zwar ganz gemächlich sein no-
aov und iioiov neben einander; ja er lässt in der nä-
hern Betrachtung noch das tiqos ti dazwischen kommen,
welche Einscliiebung wenigstens nicht mehr pflegt nach-
geahmt zu werden. Allein die fernere Entwickelung
zeigt Quautitäts-Begriffe, wo man dergleichen nicht er-
warten möchte, wenn man die Aufzählung der Katego-
rien als eine reine Auseinandersetzung ansieht. Ob bey
den einzelnen Kategorien ein Mehr oder Minder vor-
komme ? dies wird bey ihm zur vielfach wiederkehren-
den Frage. Bey der ovai'a und dem noaov wird die
Antwort verneinend, bey dem ngog it-, dem noiov,
dem noieiv und ndoyeiv wird sie bejahend gegeben.
Zwar auf die Individuen soll der Begi-iff der ovoi'a
mehr passen, als auf die Arten und Gattungen; aber in
der Anwendung dieser Kategorie auf einen und densel-
ben Gegenstand soll kein Mehr und Minder (kein Com-
parativ des Seyn) vorkommen. Beym tiooov wird das
Maass von zwey Ellen, die Zahl Drey oder Fünf bey-
sj)ielsweise angeführt ; darin nun , dass ein Gegenstand
durch solches Maas oder solche Zahl bestimmt ist, Hegt
kein INIehr oder Äliuder. Hingegen bey einigen Verhält-
nissbegriffen passt, nach Aristoteles, ein Älehr oder We-
niger; Ähnlichkeiten sind grösser oder kleiner. Bey den
Beschaffenheiten gleichfalls; Weisses kann noch weisser
werden; Warmes noch wärmer; der Traurige noch trau-
riger; daher auch das Erwärmen, Betrüben, und das
solchem Handeln entsprechende Leiden (Caleg. VI, 21;
VII, 3).
Halle nun Aristoteles auf dasjenige Weisse, welches.
280
obgleich es weisser seyn könnte, doch nicht weisser ist,
— oder auf dasjenige Warme, welches, obgleich es wär-
mer seyn könnte, doch nicht Avärmer ist, reflectirt:
so würde er seineu Satz von dem tiocov haben anbrin-
gen können, dass hier, nämlich in der Anwendung ei-
ner einmal vestsleheuden Gradbestimmung, kein Mehr
und kein INIiuder Statt finde. Allein er scheint sich mit
intensiven Grössen nicht sonderlich befreundet zu haben.
Bey dem nooov beginnt er seine Betrachtung damit,
discrete und stetige Grössen zu unterscheiden. Zu jenen
rechnet er nicht bloss die Zahlen, sondern auch die
Worte, mit dem etwas harten Satze: ov yaQ iori itoivog
OQOS) ^Qos ov cil ovD.ußvu ovvdmovoiv, «AA lnäoit]
dtMQio%ai ciVT'^ }ia&' aviTjV. Dagegen erkennt er dem
Räume und der Zeit die Contluuität zu. Nachdem nun
noch ein Unterschied zmschen Lage und Ordnung ge-
macht worden (jene für das Räumliche, diese für Zeit
und Zahl:) fährt er fort: nvQi'o}s <Jf noau ravta )Jye-
rcii fiova T« uQijf^dva' xa 81 uXXa mxVTa ttccra ovfi-
ßeßi;yiög' eis Tumcc yciQ caioßlinovteg nal ra allu
Tiood /Jyofiev. oiov nolv 10 hvxov XlysTai, rw ys
%rjV intrpdveiuv nollr^v tlvai' aal 1) nqalis fiaKQa,
70) ys %6v yQovov noXvv tivat' hcci 1] idvrjGts noXh;'
ov yccQ ycad- uvro e'y.aozov tovto)V nooov Xfyerai' —
y.ai 10 Xtvy.ov nooov 11 dnoöiöovs-, tf] inKpavela ogtei'
Ööf] yccQ äv rj enirpäveia ei'i], tooovtov y.cu Xevzov (f>i]-
oeuv i(V elvai. Wo bleibt hier jenes Mehr oder INlin-
der des Weissen, welches noch weisser werden kann?
Daran erinnert sich Aristoteles erst beym noiov. An
solche Quantitäten und Begränzungen , wie jene inner-
halb der logischen Sphären (68.) scheint er bey den Ka-
tegorien vollends nicht zu denken.
281
70. Wer die Weisse dei' Leinwand, des Papiers,
des Bley weisses, des Älondes, des Schnees verglelcl»t,
der bekümmert sich nicht um die grössere oder kleinere
Oberlläche; wohl aber findet er bestimmte Grade der
Weisse, zwischen welchen ein JMehr oder Weniger
liegen könnte. Er findet ein nooov, ein bestimmtes, in-
tensives Quantum Weisse des Schnees, von dem die min-
deren Grade als Brüche zu betrachten sind. Bey wach-
sender Beleuchtung würden diese Grade zugleich wach-
sen; und wenn die Leinwand auf dem Schnee liegt, so
wachsen sie beym Anbruch des Tages wirklich zugleich
iür den Zuschauer.
Wer eine IMelodle von mehrern Stimmen zugleich
singen hört, der hört stax'kere, Töne von Vielen, schwä-
chere von einer kleinei'n Zahl der Sänger; und wenn
zu den vorigen Säugern auf einmal zehn neue hinzutre-
ten, so überspringt die Verstärkung des Tons auf ein-
mal alle diejenigen geringern Verstärkungen , welche
durch einen oder zwey, durch acht oder neun Beytre-
tende wären erreicht worden. Allein w-enn der Hörende
sich dem Gesänge allmählig nähert, so wird für Ihn die
Stärke des Tons contluulrllch wachsen ; und die Distan-
zen jener spruugweisen Verstärkungen werden für ihn
ausgefüllt seyn.
Wenn Jemand In eine schwache Salzlauge eine Hand-
voll Salz auf einmal nachschüttet, so wird der salzige
Geschmack sprungweise stärker werden ; während die
allmählige Verstärkung durch langsames Zugiesseu einer
gesättigten Salzlösung konnte bewirkt werden.
Auf den Unterschied der stetigen und der discreten
Verstärkiuig ist hier deshalb hingewiesen, weil beym
Aristoteles das [iCdXov neu ijrzov einen weitem Umfang
282
bekommen hat als das noGov. Es sieht aus, als hätte er
in der intensiven Grösse nicht vesten Fuss fassen kön-
nen, und als wäre es ihm zwar leicht geworden, ein
unbestimmtes Mehr oder Weniger in Gedanken zu ver-
folgen und vorüber schweben zu lassen, aber schwer,
das Schwebende in irgend einem Puncte vestzuhalten,
wobey es sich in ein bestimmtes Quantum würde ver-
wandelt haben.
Am leichtesten findet es dagegen Aristoteles, mit Hülfe
der d-iots imd zalig Raum- und Zeit- Grössen aufzufas-
sen. Freylich ist das: nov Ixciarov nelrai hier bequem
anzugeben; das aber wird gewöhnlich nicht bemerkt,
dass man in die Widerspiüche der Continuitat eben des-
halb hineingeräth , weil das Intensive hier nicht an sei-
ner rechten Stelle, und doch nicht zu verscheuchen ist.
Der Raum sollte ein reines Ausser-Einander, die Zeit
ein reines Nach-Eiuander seyn; die nächsten Theile aber
fliessen in einander, und ihre Unterscheidung darf nicht
veslgehalten werden. Alte Gewohnheit bedeckt hier die
Schwierigkeit. Doch zurück zur Hauptsache.
71. Eben deshalb, weil bey den Erfahrungs- Gegen-
ständen das nooov sich überall ins noiov eindrängt, —
weil man Beschaffenheiten ohne Quantitäten nirgends an-
geben kann, — und weil die Kategorien ihre Bestimmung
in dem Erfahrungskreise haben (59. 62.), und so genom-
men werden müssen, wie sie dort vorkommen: haben wir
in der Psychologie bey der Haupt -Kalegox'ie der Eigen-
schaft (63.) sogleich Qualität und Quantität zusammen-
gestellt. Auf die Frage: was iür ein Ding? kommen
desto gewisser, je bestimmter man sie beantworten will,
beyde zugleich zur Sprache; bald die Quantität der Qui>li-
tät — der Grad; bald cUe Qualität der Quantität — die
283
Gestalt, der Rliyllnmis u. dgl. in. Dies nun hindert zwar
nicht, dass man Quantität und Qualität als zwey Kate-
gorien unterscheide ; vielmehr behält Aristoteles Recht,
dass unter den sprachlichen Ausdrücken (to^j^ Xeyo/Kt-
VMv) einige das Wieviel, andre das WiebeschaiFen an-
zeigen. Allein beyde müssen zusammen der Kategorie
des Verhältnisses, dem 7700^^ ri, gegenübertreten, bey
welchem die allgemeine Frage Was? überschritten, imd
von einem zu einem andern hingeschauet wird. Quan-
tität und Qualität bleiben noch bey Einem Dinge, oder
bey Einem Aggregat von Dingen ; ihr Unterschied ist
€in subordinirter ; er gehört nicht in die Reihe der
Haupt -Kategorien. Fragt mau nun aber nach der rech-
ten Stelle für den Begriff der Limitation, so sieht man,
dass eine neue Unterordnung uöthig wird. Ohne Zwei-
fel gehört Begränzung zu den Quantitäts-Begriffen; mit
blosser Position und Negation ist hier nichts auszurich-
ten. Die Gränze erfodert ein Feld, in welchem sie laufe;
oder mindestens ein zwiefaches Quantum nach entgegen-
gesetzten Seiten; wenn nicht eiu wirklich zurückwei-
sendes, so doch ein gesuchtes für den Versuch, jenseits
der Gränze noch etwas zu setzen, wäre es auch nur
das Leere, wo das Etwas vermisst wird. Bis an die
Gränze muss ein Zusammenfassen stattgefunden haben,
welches nicht weiter geht, aber den Gedanken des Wei-
ter in sich trägt. Darum haben wir bestimmte Quanti-
tät von der unbestimmten unterschieden; dergestalt, dass
Einheit und Allheit zu jener, die blosse Vielheit aber
zu dieser gehören.
In dem nämlichen Zusammenhange, da der Ursprung
der Kategorien sollte angezeigt werden, musste denn
auch der natürlichen Neigung, alle Grössen als exten-
284
slve vorzustellen, Erwähnung gescliehn. Der Ursprung
liegt in den Reproductionsgesetzen. „Ohne die Repro-
ductionsgesetze, die Eins zwischen Anderes setzen,
würde es eben so wenig jemals eine Kategorie der
Quantität gegeben haben, als einen Raum und eine Zeit;
denn die Einheit der Seele würde die Theile des Vielen
so völlig verschlingen und in sich versenken, dass gar
kein Mannigfaltiges mehr in ihm könnte geschieden wer-
den. Was insbesondere die Zahlen anlangt, so scheint
hier alles Zwischen -Liegende, welches die darin enthal-
tenen Einheiten trennen könnte, zu mangeln. Allein
dies beweiset, dass die Zahlbegriffe nichts Primitives sind.
Die ursprünglichen Zahlen sind Anzahlen gesonderter Ge-
genstände. Diese zeigten sich den Versetzungen unter-
worfen. Also hemmten sich die bestimmten Reihen,
welche die Wahrnehmung erzeugt hatte. Dennoch blieb
das Streben zur Sonderung. Alle Zahlen suchen, sich
auseinander zu setzen ; sie streben zur Gestaltung. Da-
her die allgemeine Neigung, sie bald als Abscissen und
Ordinaten darzustellen, bald als figurirt zu betrachten;
bald sogar ihnen mystische Eigenschaften beyzulegeu."
Diese Stelle mag an ihrem Orte '*) im Zusammen-
hange nachgelesen werden. Die rä^ig, welche Aristo-
teles der Zeit und der Zahl zuschreibt, verwandelt sich
in eine ^eoig, sobald die Zeit (wie das merkwürdige
Wort Zeitraum andeutet) zwischen bestimmten Gräu-
zen zusammengefasst, oder vollends nach Kant als das-
jenige angesehen wird, „welches bleibt und nicht wech-
selt" (62.); und sobald zwischen den Zahlen Brüche ein-
geschaltet, Irrationalgrössen gesucht, die immer dichter
liegenden Wurzeln grösserer Zahlen in Betracht gezo-
*) Psychologie §. 124.
285
gen werden. Dies geschieht, ohglelch mau keinen Zelt-
raum nach Füssen und Zollen ausmessen , keiner Distanz
zweyer Zahlen, für sich allein betrachtet, eine bestimmte
Grösse beylegen kann. Es geschieht, weil jeder Unter-
schied der Zelten oder Zahlen zum Maassstabe für an-
dere gleichartige, gi'össere oder kleinere, Unterschiede
genommen werden kann , indem es dabey bloss auf
Vergleichungen und Verhältnisse ankommt. Was aber
möchte Aristoteles zu der heutigen Unterscheidung von
Sternen erster, zweyter, dritter, vierter Grosse u. s. w.
gesagt haben? Hatte er seinen Satz vesthalten wollen:
das Quantum des Weissen werde nach der Grösse der
Oberflächen bestimmt (68.), so müsste er auf den Schluss
gekommen seyn, der Sirius gebe uns eben so, wie der
Jupiter , viel Weisses zu sehn , nämlich wegen einer
grossen Oberfläche ; die schwächern Sterne weniger we-
gen kleinerer Oberflächen; während heutiges Tages Je-
dermann weiss, dass die Fixsterne für uns mathemati-
schen Puncten gleichen, bey denen wir nur die Intensi-
tät unserer Licht -Empfindung einer Grössenschätzung
nach Zahlen unterwerfen können. Diese Grössenschä-
tzung schwankt; aber nur in unserm Denken, welches
die Empfindung zu seinem Gegenstände macht. Dabey
liegt die Voraussetzung zum Grunde, dass die Intensität
jeder einzelneu Licht-Empfindung nicht etwan auch eben
so schwanke, wie der Gedanke, der in den angegebenen
Zahlen einen Ausdruck sucht, ohne ihn genau verbür-
gen zu können; dass vielmehr jedesmal jede gegebene
Licht -Empfindung an sich eine bestimmte intensive
Grösse besitze, die nicht au sich maasslos, sondern nur
für die Künste unserer Photometrie unerreichbar ist.
Läge diese Voraussetzung nicht zum Grunde, so hätte
T
286
man niemals, auch nicht bey solchen Vergleichungen,
die mehr oder minder erreichbar sind, an eine Photo-
metrie denken können; denn was an sich schwankt, da-
von kann Niemand hoffen eine veste Auffassung zu ge-
winnen. Übrigens wollen wir das blosse Abzählen ei-
ner Folge bemerkbarer Unterschiede (wie bey den Ster-
nen) auf keine Weise mit einer Messung vergleichen;
dagegen aber wollen wir uns erinnern, dass Zahlbegriffe
ihrem wahren Sinne nach weder mit Extension noch mit
Intension etwas gemein haben. Zahlen sind Multiplica-
toren, welche über die Frage, von welcher Art ihr Mul-
tiplicandus sey, überall nichts bestimmen.
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