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Full text of "Real-Encyklopädie für protestantische Theologie und Kirche. [With] Generalregisterband"

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600038343R 


Neal-Encyflopädie 


für 


proteſtantiſche Theologie und Kirche. 


In Verbindung 
mit vielen protefantifchen Theologen und Gelehrten 
herausgegeben 


Dr. 


ordentlichem Profeflor ber Theologie kn Erlangen. - 





Einundzwanzigfier Band 


oder dritter Supplement-Banbd. 


Schwarzenberg bis Bwifchenzuftand. 


Gotha. 
Verlag von Nudolf Beffer. 


a7 d.2.]. aoo. Nun. | 
— u} : (am! Ra: W 


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a9 


Schwarzenberg. Yohaun Freiherr zu Schwarzenberg und Hohen» 
land&berg gehdrt dem feiner Heimath nach fräufifchen, fpäter in den Fürſtenſtand 
erhobenen Geſchlechte der Schwarzenberge au. Unter den hervorragenden Männern der 
Reioemationszeit nimmt er feine Stelle deshalb ein, meil er die Geſammtheit der bie 
dentfche Welt damals beivegenden großen Anliegen in feinem Streben vereinigte und 
als Staatsmann, Bolksfchriftftellee und tapferer Bertreter der Reformation bleibende 
Früchte ferner Arbeit uadygelafien hat. Die letztere Seite feines Wirkens ſetzte ihu zu 
Luther in nähere Beziehung, der feinen hohen Werth vollſtändig begriff. Noch elf 
Jahre nach Schwarzenberg’6 Tode (1539) fagt Luther in der Schrift „Bon Conciliis 
und Sicchen zur näheren Erläuterung feiner Gedanken über die rechte Zuſammenſetzung 
eines Concilinms: „Man müßte aus allen Landen fordern die recht gründlich gelehrten 
Lente in der heil. Schrift, die auch Gottes Ehre, den chriſtlichen Glauben, die Kirche, 
der Seelen Heil und ber Welt Friede mit Ernft nnd von Herzen meinten: darunter 
etliche vom weltlichen Stande (deun es gehet fie andy an), die auch verfländig und 
treuherzig wären, als wenn Herr Hans von Schwarzenberg noch Lebte, dem wüßte man 
ju vertraun® (f. Wald XVI. 2774). Und ſchon früher, aber auch ſchon nah Schwar⸗ 
zenberg’6 Tode hatle Luther das gemüthvolle Wort über ihn geſprochen (im 9. 1530): 
„Siehe did nach feinen frommen Edellenten, als Herr Hans von Schwarzenberg ; 
an denfelben tröfte und labe bich“ (f. Walt X. 520, Man flieht, der ganze Dann 
war mad) Luther's Herzen. 

Geboren am 25. December 1463 umd nur zum Rittersmann ausgebildet, hatte 
es in feinen erften Yünglingsjahren den Anſchein, als follte er ganz in dem äußerlichen 
Zreiben der finfenden Nitterzeit auf- umd untergehen. Hervorragend durch gewaltige 
Gebße und Stärle des Körpers wie duch Kunft und Muth der Waffenführung, mar 
er auch in den Unfitten des Spieles und ber Böllerei einer der erften. Aber bald 
fährt ihn eine ernfle Mahnung feines Bater zu einem enticheidenden Wendepuntte. 
Die eiferne Energie feines Willens ſchließt ein» für allemal mit diefem nichtigen, Leib 
und Seele verderbenden Treiben ab, in deffen Banne er nur gelegen hatte, um es her- 
sad um fo ernſter und nachdrücklicher befämpfen zu können. Es verlangt ihn nad) 
einem fittlidh werthvollen Inhalte feines Lebens. Der zunähft noch unruhig fuchende 
Drang nad einem folchen treibt ihn zur Theilnahme an einem gefahrvollen Zuge nad) 
dem heiligen Lande, melden Kurfürft Friedrich der Weife mit zahlreicher Begleitung 
wm Jahre 1498 unternahm (vgl. das Tagebuch diefer Fahrt in Georg Spalatin's hiſtor. 
Nachlaß, heramsgeg. von Neudeder und Preller, Bd. I. S.76). Ueber Italien, wohin 
er von Corfu aus fich begeben hatte, nach Deutſchland zurüdgelehrt, hat er dann dem 
Raifer Marimilian auf deutfchen und ttalienifchen Feldzügen begleitet und fih den Ruhm 
eines tapferen und kriegstundigen Führer erworben. Der Vorredner zu der deutfchen 
Bearbeitung der Officien Cicero'a (f. unten) bezeugt von ihm: „Die Größe feines 
Leibes und die Mannheit feines Gemüthes hat er in ehrlichen Kriege für Andere ge 
brandıt und bewiefen.“ 

Real ı Enryklopädie für Theologie und Kirche. Suppl. TIL, 1 


2 Schwarzenberg 


Aber auch mit dieſer Epoche eines unruhigen Thatendranges kam er bald zum 
Abſchluß. Sein Streben wendete ſich nicht bloß immer entſchiedener dem ſchoͤpferiſchen 
Aufgaben zu, welche im Unfange des 16. Jahrhunderts die eine beſſere Zukunft vor⸗ 
bereitenden Geifter bejchäftigten, befonders der Hebung des Staats zu kräftigerer Aus- 
richtumg feiner Miffton für Friede und Recht, wie für Sitte und Wohlfahrt des Volles; 
fondern e8 regte fidy in ihm auch die nahende religidfe Zhatenwelt. Im ſich wie für 
Andere fncht er dem ethifchen Streben das religiöfe Centrum zu gewinnen, zu dem er 
nit an der Hand der damaligen Kirche durcdhzudringen vermochte. Er ergriff die 
Leuchte der heil. Schrift und fand ungeahnte Schätze. 

Die Stätte feines ſtaatsmänniſchen Wirtens eröffnete fih ihm zunächſt im 
Fürftbisthum Bamberg, feiner fränkifchen Heimat. Schon gegen da8 Ende der Re- 
gierung des Bilchofs Heinrich III. (1487—1501), alfo noch in den dreißiger Jahren 
feines Lebens ftehend, befleidet ex hier das höchfte weltliche Regierungsamt (da8 Hof- 
meifteramt), in welchem er während der Längften Zeit feines Wirkens an dem hoch⸗ 
gebildeten und den Reformideen zugewendeten Geifte feines Landesherrn, des Bifchofs 
Georg von Limburg (1505—1522), eine bereite Stüße beſaß. Bald nad feinem 
Amtsantritte brachte er hier ein Werk zu Stande, das ihm in der Geſchichte des deut- 
fhen Strafrechts und Procefjes einen unvergänglihen Namen eingetragen hat. Er iſt 
der Schöpfer einer Reformation des Strafjuftizwefens in Bamberg, deren Vorzüge ihr 
eine weit über die Gränzen diefes Landes hinausgehende Bedeutung verſchafften (Bame 
bergifche Halsgerichtsordnung vom 9. 1507), Was fie für Bamberg leiftete, war ale 
ein dringende Bedürfniß im ganzen Reiche empfunden. Allein obgleich fchon der 
Reichstag zu Yreiburg im Breisgau vom 9. 1498 auf Betreiben des Reichskammer⸗ 
gerichts anerlannt hatte, daR das Weich. zur Abhülfe der fchreienden Mißbräuche eine 
allgemeine „Reformation und Ordnung, wie man in criminalibus procediren fol“, 
anfrichten müfle, kamen Kaifer und Reich doch noch lange nicht zur reformirenden That. 
Sie gelang in Bamberg und dur Schwarzenberg in einer Weife, welche die aus 
gleichen Bedürfnifien hervorgegangenen Leiftungen der damaligen Zeit, ſowohl die ge- 
“ fegeberifchen als die wiffenfchaftlichen, weit hinter fich ließ. Als daher endlich feit 
1521 aud; das Reich ſich ernſtlich anfchidte, feiner gefeßgeberifhen Schuldigleit zu 
genügen, konnte es nicht zweifelhaft feyn, daß man jenes Bambergifche Werk zur Grund» 
lage zu nehmen Habe: und fo ift es im Wefentlihen Schwarzenberg, welchem Deutſch⸗ 
land die im J. 1532 zu Stande gelommene Peinliche Gerichtsordnung Kaifer Karl’s V 
(fogen. Carolina) verdankt, ein Geſetz, welches, wenn gleich die weitere Rechtsentiwide- 
fung befonders im Proceffe über feinen Inhalt hinausgeführt hat, doch einen der ſegens⸗ 
xeichften Knotenpunkte der Entwidelung bildet und uns ein gemeine bdeutfches Straf- 
recht eingetragen bat, welches auf einer gefunden Verknüpfung guter deutſcher und roͤ⸗ 
mifcher Rechtselemente beruht (f. & Herrmann, Johann Yreih. zu Schwarzenberg, 
S. 23 ff.; Wächter, Gemeine Recht Deutſchlands, ©. 19 ff.). 

Neben feiner Regierungsthätigkeit pflegte Schwarzenberg einen Zweig der Lite⸗ 
ratur, der unter den pofitiven Vorbereitungen der Reformation eine wichtige Stelle 
einnimmt, indem er auf den fittlichen Aufſchwung des Volles berechnet if. Seine 
hierher gehörigen Schriften in gebumdener und ungebundener Rede find durchaus didak⸗ 
tifcher Art und verdanken ihre Entftehung feinem Drange, dem Böfen zu wehren und 
das Gute zu mehren, mo und wie er konnte. Er richtet ebenfo gegen gemeinfchädliche 
Unfitten fein geifelndes Wort, wie ex feinen lieben Deutſchen aus dem reichen Schage 
fittlicher Erlenntniß und Lebensweisheit gern mittheilt, melden Erfahrung, finnige Be 
trachtung der göttlichen und menjchlichen Dinge und ein umabläffiges Studium der hei- 
ligen Schriften und des Mafftfchen Alterthums bei ihm anfammelte. Die faft unüber- 
ſteiglichen Schwierigleiten, welche feinem Studium des letteren, beſonders der durch 
die ftoifche Strenge ihn anfprechenden ethifchen Literatur der Römer, in Folge der 
Mängel feiner Yugendbildung entgegenflanden, wußte ex doch zu überwinden. Er bes 


Schwarzenberg 3 


fokdete der alten Sprachen kundige Leute, welche die von ihm ausgewählten Schriften 
gauz wörtlich in's Dentfche überfegen mußten. Diefe Ueberfegungen dienten ihm als 
Bräde zum felbfiftändigen Eindringen in den Sinn des Originals, das er dam oft, 
und immer in meifterhafter Spradye, zur Vollsſchrift bearbeitete und durch beigefligte 
Reime und Bilder dem Lefer noch tiefer einzuprägen fuchte (f. E. Herrmann a. a. O. 
©. 40 fi). 

Bon den didaktiſchen Bolksſchriften Schwarzenberg’s ift das Altefle fein Gedicht 
„Kummertroft“, eime Frucht der ſchweren inneren Arbeit, durch die er ſich aus dem 
laͤhmenden Schmerze über den Tod feiner Gemahlin im Jahre 1502 wieder zu der 
Faflang und dem Muthe aufzuraffen fuchte, deren er zu feinem ernften Lebenswerke be- 
durfte. Er führt fich in dem Gedichte als Hand Unmuth ein und fagt von fih: „Im 
Kammer ging ich fern vom Haus, Troft diefer Welt war mir einꝰ Graus.“ Da findet 
er in amnuthiger, ihm unbekannter Gegend den Klausner Woltroſt, der ihm fein Ver⸗ 
zagen, ſeine Sehnſucht nad) Abgefchiebenheit von der Welt verweift und vor ihm den 
werthuollen Iuholt eines fi) ganz in den Dienft Gottes fellenden, den Streit unter 
diefer Fahne willig führenden, das Boſe in nnd außer: fi) unabläffig befämpfenden, 
von der fleghaften Macht des Guten durchdrungenen, die Drangfal als Länterungsfener 
gern ertragenden Lebens. anfrollt. Solche Lehre erquidt den Verzagten: er verſpricht fie 
nicht für fi zu behalten: „und daß ich Woltroſt halt’ mein Pflicht, breit’ ich fein’ 
Lehr’ durch dies Gedicht.“ 

Mit befonderer Liebe hat Schwarzenberg die Sammlung Heinerer didaktiſcher Ge⸗ 
dichte beaxbeitet, die er „Memorial der Tugend“ betitelt, weil „in den kurzen 
Sprühen, als in Meinen Gedentzettlein, Zier und Lob viel guter Dinge, andy) Straf 
end Schand der Lafer in mancherlei Ständen, Künften, Handwerken und Leuten auf 
das Kürzefte berührt und vermerkt werden.“ Jedem der Gedichte ift ein Holzſchnitt 
beigegeben, der die feſtere Einprägung des Gedankens unterftügen, ihn fo zu fagen finn- 
Gh greifbar machen fol. Den Stoff zu den Gedichten haben die heilige und Profan- 
gefhichte, ältere wie neuere, Laſter und Mißbräuche der Zeit, fittlihe Anfchauungen 
über ben Beruf in Welt und Haus, in Amt und Stand geliefert. — Eine befondere 
Richtung gegen Mobefünden, welche eine ſchwere Berirrung des ſittlichen Urtheils fehr 
mild beurtheilte, haben das „Lied wider das Mordlafter des Raubens«, 
zmähft veranlaßt durch Schmähgedichte anf Schwarzenberg, als einen der unerbitt- 
lichſſen Gegner der zahlreichen, unter dem Brätert der Fehde das Räuberhandimerf trei- 
beuden Ritter; und fodaım da8 „Büchle wider das Zutrinten“, eime bald nad 
den Reichötage von 1512 gefchriebene Satyre, weldye durch die lofe Dede der üblichen 
Eutfhuldigungen der Zutrinker einen tiefen Blick in das fittliche Verderben thun läßt, 
in welches die Modefünde eine immer wacjende Zahl von Genoſſen hineinzog. 

Erdlich gehören zu den anf moraliſche Belehrung ausgehenden Volksſchriften 
Schwarzenberg’3 feine Bearbeitungen mehrerer Schriften Cicero's, denen ebenfalls die 
Beigebe kurzer Gedaͤchtnißverſe und munterer Holzſchnitte von Nürnberger Meiftern 

zicht fehlt. Die umfänglichfte Arbeit diefee Gattung iſt die Bearbeitung der „Offi- 
cien Eicero’s“, welcher dann nod das in gleicher Weife zur Vollsleltüre zube- 
teitete exfte Buch der ⸗Tuskulaniſchen Quäftionen“ (ein verteutfcht Büchle 
Ciceromis, daß der Tod nit zu fürchten umd die Seele untödtlich fen), ſowie die Bücher 
vom Alter und von der Freundſchaft uacfolgten. Die drei legten Schriften find 
zienımen mit den früher erwähnten Gedichten und Satyren Schwarzenberg’6 im ſechs⸗ 
zehnten Jahrhundert wiederholt gedrudt umter dem Titel: „Der Teutſch Eicero.“ 

Der Beginn der Reformationsbewegung fand Schwarzenberg nicht unvor⸗ 
bereitet. Durch ein eifriges Bibelfiudium mit dem genutnen Chriftenthum gründlich) 
vertsant, hatte ex für fein fittliches Streben nicht bloß Unterweijung daraus gefchöpft, 
foadern ein Bild der wahren Perfdnlichleit gemomen, das ihn nicht ruhen noch raften 
Geh. Die unbebingtefle Dienftpflicht der Creatur für ihren Gott und Herm, der feinen 

1 ® 


4 Schwarzenberg 


heiligen Willen in der Offenbarung dargelegt bat, ift der tieffle Antrieb feines Handelns. 
Je ernfter er es aber mit diefer Pflicht nahm, umfo weniger vermodte ihn feine Er⸗ 
füllung derjelben zu befriedigen, umfo tiefer empfand er feine Schtwachheit, das weite 
Zurüdbleiben der That hinter der Pflicht, daS Ungenligen feiner eigenen Kraft. Mit 
ganzem Herzen ergriff er die andere Seite der Offenbarung, die vergebende und Kraft 
fpendende Barmherzigkeit Gottes, welche den zu feinem Dienfte bereiten, feine Gemein- 
Schaft fuchenden Dtenfchenfindern im Evangelium entgegenfommt. In beiden Punkten 
aber, auf die es ihm ankam, ſowohl in der Anleitung zu der rechten fittlichen Lebens⸗ 
geftaltung, wie in der Speifung mit dem ächten evangelifchen Trofte, war feinem in ber 
heil. Schrift forfchenden Blide immer mehr die meite Kluft aufgegangen, welche die 
Lehre und Wirkfamleit der damaligen Kirche von dem wahren Ehriftentfum trennte, 
das er als das Licht und die Kraft Gottes ſchon an fidh erfahren hatte, ehe noch 
Luther feine reformatorifche Thätigleit begann. Ohne daher von bdiefer erſchreckt oder 
geblendet zu werden, vielmehr in felbftfländiger Würdigung ihres Werthes und durch» 
drungen bon dem gewaltigen Exrnfte der menfchlichen Dienftpflicht für die Sache Gottes 
und da8 Heil der Brüder, zögerte er nicht, obgleich ſchon ein Funfziger, für fie ein⸗ 
zutreten. Indem er ihr das Gewicht feiner äußeren Stellung, die eiferne Energie 
feines Willens, die überzeugende Kraft feiner Rede, die fammelnde und vereinigende 
Macht feiner ſtaatsmänniſchen Gabe zubrachte, wurde er zu einem bedeutenden Küft- 
zenge Gottes in Durchführung des Reformationswerkes. Sein Handeln entfpricht ganz 
der Mahnung, mit welcher Luther in einem Briefe vom 21. September 1522 (de Wette 
I, 249) feinen Schug für einen wegen feiner Verheirathung hart bedrängten Geift- 
lihen erbeten hatte: „E. On. fiehet, daß fie freilich hieran ein koͤſtlich Werk thäte, 
und ohn Zweifel auch Gott von ihr fordert, wo fie es thun kann. Wer weiß, warum 
Gott E. Sn. ſolch hohen Verſtand gegeben und dazu an den Ort verfügt hat, da fie 
ed mit fo großem vielem Nutz brauchen und anlegen Tann.“ 

Zunächſt erhielt in den Bambergifchen Landen die Reformation beu freieften Fort⸗ 
gang. Nicht gehindert, eher gefördert durch den Bifchof Georg, breitete fich die neue 
Lehre aus; reformatorifche Schriften wurden offen gedrudt uud verkauft, die Publikation 
der von Ed aus Rom zurückgebrachten Bannbulle gegen Luther, Pirkheimer, Spengler 
und Andere verboten, das Wormfer Edikt nicht vollzogen, dem Begehren des Volle 
nach evangelifcher Predigt willig entgegengelommen (ſ. Heller, Reformationsgeſchichte 
von Bamberg I, 36). Schwarzenberg ift die Seele diefer Politik, in Folge deren bei 
dem Tode des Biſchofs Georg (31. Mai 1522) Bamberg nicht bloß als ein zur Ne 
formation hinzugetretenes Land gelten durfte, fondern auch einen Halt für gleiche Be⸗ 
firebungen in benachbarten fränkifchen Gebieten bildete. 

Weit größere Dimenflonen aber nahm die Wirkſamkeit Schwargenberg’8 durch den 
maßgebenden Einfluß an, den er auf die Politik des Reiches in der Religionsſache 
während der kritiſchen nächſten Jahre nad der Publikation des Wormfer Edilts geivann. 
Schon früher in den Reichdangelegenheiten von feinem Landesherrn als defien Vertreter 
oder Begleiter auf den Reichetagen vielfach verwendet und zu hohem Anfehen gelangt, 
ift er (1522 und 1523) nicht bloß Mitglied des Reichsregiments, fondern deffen 
Seele in dem für die noch junge Pflanze der Reformation wichtigſten Momente Es 
ift das Verdienſt Ranke's (Reformationsgeſch. IL, 48 ff.), wie die entjcheidende Beden⸗ 
tung der Politit des Reichsregiments, dex die Laiferliche Gewalt damals repräfenticenden 
Behörde, fo die dominirende, die Gefinnungsgenofien einigende, die Zaghaften fort 
reißende Stellung dargelegt zu haben, welche Schwarzenberg hier eimahm. 6 galt 
gegen Ende des Jahres 1522, daß fi die in Nürnberg verfammelten Stände des 
Reichs darüber jchlüffig machten, ob gemäß ben Anträgen des Babfles Adrian anf der 
Vollziehung des Wormfer Edikts beflanden, alfo die gemwaltfame Niederlegung der reli- 
gidfen Bewegung in Ausführung gefegt werden folle. Die Initiative des Beſchluſſes 
fiel dem Reichsregimente zu. Geftügt auf das Zugeſtändniß fchwerer kirchlicher Miß⸗ 


Schwarzenberg b 


bränche, welches Adrian offen ausgefpeochen hatte, verwarf es nicht bloß den Gedanken 
ber getwaltthätigen Erflidung einer dadurch bereditigten Bewegung, einer Beftrafung 
Enther’s, durch den man zumeift von ben Mißbräuchen unterrichtet morben ſey, fondern 
verlangte, daß die Reichsgewalt zum Vertreter bes wohlbegründeten Reformſtrebens der 
Ration gegenüber vom päbftfichen Stuhle ſich erhebe. Der Babft fen aufzufordern, mit 
dem Saifer unverzüglich und am eine bequeme Malftatt ein Eoncilium zu berufen, 
welches, um gründlich reformiren zu föunen, auch meltlihe Mitglieder umfaſſen, und 
jeder Berpflichtung ledig feyn müfje, duch die man abgehalten merbe, irgend etwas 
borzutragen, was „zu göttlichen, evangelifchen umd anderen gemeinnügigen Sachen“ noth- 
wendig ſey. In der Zwiſchenzeit folle auf bem Bermittelungswege abgehalten werden, 
woraus Aergerniß und Aufruhr entfiehen Kıme: nur das heilige Evangelium und be» 
wahrte Schrift folle man lehren. Allerdings hatte eine ſolche Beantwortung ber päbſt⸗ 
fihen Anträge bei den Ständen, welchen fie am 13. Januar 1523 zur weiteren Be⸗ 
rothumg Abergeben ward, noch eine ſtarke Oppofition befonder® von geiftlicher Seite zu 
beftehen. Einiges mußte ihr geopfert werben: bie Hanptfache blieb, und erging nicht 
bloß als Antwort nah Rom, fondern wurde aud ale Edikt in's Reich verkündet. 
Lather war hoch erfreut (f. Brief an Spalatin vom 8. März 1523 bei de Wette 
I, 317): Baım und Acht, die ihn betroffen, fchienen ihm aus dem Wege geräumt zu 
fen. Zedenfalls war das Große erreicht, daß die aufleimende Saat ber Reform- 
ideen fir’ Erſte ungehindert wachen und zu dem Beflande bon Kraft gedeihen Konnte, 
defien fie bedurfte, um ungünftigeren Verhältniffen nicht wieder zu erliegen. Es ifl 
offenbar der Höhepunft in dem Leben Schiwarzenberg’s, da ihm bdiefer große Erfolg 
gelingt. Schon warteten feiner neue umd minder gelingende Aufgaben. 

Bährend feiner Abwefenheit von Bamberg war an die Stelle feines geiſtesver⸗ 
wandten Randesherrn, des Bifchofs Georg, der Biſchof Wigand getreten, der zuerſt un⸗ 
entihieden, bald dem Einfluffe der geiftlichen Partei anheimftel (f. Heller a. angef. O. 
6.49 fi), ja im Imi 1524 einem auf Ausführung des Wormſer Edikts gerichteten 
Bänduiffe beitrat. Schwarzenberg war nicht gemeint, einer Sache zu dienen, die ex 
fir gottwidrig anfah, nahm unbekümmert um die neue Bamberger Politik feine Tochter 
ans dem dortigen Klofter zum heil. Grabe, begründete biefen Schritt offen durch ein 
feine evangelifchen Beweggründe darlegendes Senbfchreiben an den Biſchof (herausgeg. 
mit einer Borrede von Andre. DOftander. Nürnb. 1524; vergl. auch darüber Luther’s 
Brief an Schwarzenberg vom 21. Dezember 1524 bei de Wette IT, 581), und ſchied, 
nunmehr ein Sechziger, aus feinen Bambergifchen Dienftverhäftnifien. 

Auch im feiner Familie follten die Religionsfteeitigleiten einen Zwieſpalt erzeugen, 
ver aber doch die gute Frucht brachte, Schwarzenberg zur Wiederaufnahme feiner ſch rift⸗ 
Reilerifhen Xhätigkeit zu veranlaflen. Zwar hatte 'er fchon früher, getrieben von 
feinem Bedürfniß, nicht auf menfchliche Anktorität, fondern nur auf die zu feinem Eigen⸗ 
beftg getwordene Wahrheit des göttlichen Wortes feine Ueberzeugungen zu banen, in 
onsführlicher Begründung feine Anfichten in der Religionsfadhe entwidelt: es war dar» 
ans ein Buch geworden, das er Yuthern im J. 1522 zuſendete und worauf diefer am 
21. September antwortete (de Wette II, 249; f. and den Brief Luther's an Spalatin 
bei de Wette II, 263). Allein das Buch fcheint niemals gebrudt oder doch verloren 
is feyn; jedenfalls läßt fi die Differenz über die evangelifche Berechtigung des welt⸗ 
fihen Schivertes, welche dem Luther'ſchen Briefe zufolge damals zwifchen beiden Mlän- 
sern beſtand, nicht mehr conflatiren. Jetzt aber (1524) hielt fich Schwarzenberg ver- 
pfüchtet, einer von feinem Sohne Ehriftoph gegen die veformatorifche Lehre verfaßten 
wad anonym heransgegebenen Schrift, welche auch dem maßgebenden Einfluffe des Va⸗ 
ters in der zahlreichen Familie entgegenarbeiten follte, offen zu begegnen (f. Foörſte⸗ 
mann, Nenes Urkundenbuch zur Geſchichte der Reformation, I, 175), Er that die 
durch die zuerſt im 9. 1525. und barm Öfter erfchienene „Beſchworung der alten tenfe- 
liſchen Schlangen mit dem göttlichen Wort“ (142. BI. 4. Nürnberg bei Hans Herr- 


6 Schwarzenberg 


Hott; auf dev Rüdfelte des Titelblattes ſteht: „Hochverurſachte ſchuldige Unterrichtung 
und Ermahnung, fo ein Vater feinem irrenden Sohn evangelifcher Lehr halber aus 
Grund göttliher Schrift thut. Ich bin kommen zu bewegen den Sohn wider den 
Bater, die Tochter wider die Mutter” u. f. w.). Nach einer an den Sohn gerichteten 
Borrede, welche der Zerftörung der falfchen Anktoritäten gewidmet ifl, werden die ſtrei⸗ 
tigen dogmatifhen und ethifchen Hauptlehren an der Hand der Schrift durchgenommen 
(Kicche, Gewalt der Schlüffel, Glauben und Werke, Sakramente vorzüglih Ordination, 
Ehe, Faften, Hetligenverehrung), und fchließlich unter dem Titel: „Ablehnung etlicher 
gemeiner Einreden der Päbftifchen wider das Wort Gottes und defjelben Lehren“, eine 
Menge brennender Tagesfragen berührt. Mit befonderer Borliebe und Tiefe ift der 
Abfchnitt vom Glauben, Liebe und Werten behandelt. Der ſeligmachende Glaube iſt 
nicht der Glaube, den auch die Teufel haben und zittern, nämlich der Glaube, daß Gott 
fey, fondern der Glaube in Gott; dies Wörtlein „in“ befchließt in ſich „die große 
göttliche Zuverſicht.“ Ohne ihn, der all fein Vertrauen, Hoffnung, Zuverſicht in Gott 
fest, Tann es auch Feine wahre uneigeunügige Liebe des Nächften, keine Liebe um 
Gottes Willen geben. Ohne diefe bredyen aber die alle unfere Werkthätigfeit vergiftenden 
Nugenstheorieen, da8 Gute um unferer felbft, nicht um Gottes Willen, wieder herein. 
Die Kraft zu jenem Glauben und damit zu wahrer Liebe Mönnen wir nicht von un 
felbft haben, ja wir bürfen fie nicht von und haben wollen: wer in Wahrheit das Neid) 
Gottes fucht, kann nicht ein von fich felbft freier, fondern mm ein von Gott gefreiter 
Menſch ſeyn wollen (j. & Herrmann a. a. O. ©. 78 ff.). 

Gegen die Schlangenbefhwörung erfchien noh im 9. 1525 eine Entgegnung des 
Franzisfaner - Brovinziald Caspar Schatger, den bie erftere wiederholt ale Chriftoph’s 
v. Schwarzenberg guten Gefellen und Gameraden bezeichnet. Ihr fegte dann 1526 
unfer Schwarzenberg eine Schrift unter dem Zitel entgegen: „Dies Büchlein Kutten⸗ 
ſchlang genannt die Teufelslehren macht befannt« (20. BI. 4.). 

Nach feinem Ausfcheiden aus Bamberg trat Schwarzenberg in berfelben Stellung 
als Landhofmeifter in die fränfifhen FürftenthHümer des brandenburgi- 
fhen Haufes über. Bon den beiden Markgrafen Eafimir und Georg war ihm 
der erftere durch feine Richtung auf Befeftigung einer ftraffen Staatsordnung, der ziveite 
durch feine rüdhaltslofe Hingabe an die Sache der Reformation innerlich verwandt. 
Diefe hatte an Caſimir zwar feinen Gegner, aber doch nur einen halben Freund, dem 
fein politifches Intereffe und zu beffen Förderung die Pflege guter Beziehungen zum 
Kaifer im erfter Linie fland. Da Caſimir die Regierung allein verwaltete und der aus⸗ 
wärts weilende Georg nur mit einzelnen Willensäußerungen eingriff und auf den Bruder 
zu wirfen ſuchte, fo fonnte es nicht fehlen, daß bon der Zeit an, wo ber faifer eine 
Träftige Reaktion gegen die Nürnberger Heichstagsbefchlüffe und gegen die reich6feitige 
Bertretung des kirchlichen Heformflrebens ergriff, Schwanken und Stodung in dem 
früher entfchiedenen und rüfligen Gange der reformatorifchen Politik der fürftlichen Re⸗ 
gierung eintrat (f. Kraußold, Gef. der evangel. Kirche im Fürſtenthum Bayreuth, 
©. 22—64). Auch der Bauernfrieg fcheint für Caſimir's Stellung zu den Keligions- 
neuerungen einen Wendepunft gebildet zu haben. Er enttwidelte darin eine furdtbare 
Energie, welche mit der die tieferen Gründe des Aufruhrs mürdigenden und die Mit- 
ſchuld der geiftlichen und meltlihen Obrigkeiten nicht verfennenden Auffaffiung Schivar- 
zenberg’8 nicht zufammenftimmt. In zwei Briefen (mitgeteilt von Zoͤpfl in Jage⸗ 
mann's Zeitfchr. für Strafverfahren, I, 138) gibt diefer feinem zum Vertheidigung der 
Burg Schwarzenberg beftellten Sohne Friedrich genaue Inſtrultionen, die ebenfo den 
nöthigen ernſten Schug als die Schonung der Irregeleiteten im Auge behalten. Er 
felbft war bei dem Heere der verbündeten Würften, und wußte hier u. And. im Mai 
1525 einer bedenklihen Schwäche in der militärifchen Aufftelung Caſimirs durch einen 
zur rechten Zeit mit den Bauern abgefchlofienen Waffenftilfiand die Gefahr zu be- 
nehmen: die Bauern fügten fid dem Worte des gewaltigen Ritter, der durch feine 


Säwarzenberg 7 


Riefengeflalt umd feinen Auf als Kriegemann und treuer Lutheraner großen Eindrud 
auf fie machte (ſ. Benfen, Geld. des Bauernkriege in Ofifraufen, S. 400). 

Im Sommer 1526, alfo während des Reichſtags zu Speher, verweilt Schwarzen- 
berg bei Herzog Albrech in Preußen und iſt auch hier beſtrebt, neben feinem Geſchafte 
als Geſandter zu deſſen Bermählung (Bericht an Caſimir bei Spies, Braudenburg. 
Mänzbeiuftigungen II, 29), vor dem König Sigiamumd von Polen und dem Biſchof 
vom Rralıu die hart verfolgte Reformation eben fo frei ald eindringlich zu vertreten. 
Er erzählt diefe Vorgänge in einem aus Marienburg vom 1. Auguſt 1526 au den 
Kanzler Bogler in Ansbach gerichteten Schreiben, welchem die Eopie eines Briefes an 
ben Bifchof von Krakan beigelegt iſt, worin er, an die vor dem Konig angeſponnene 
Coutroberxſe anfuüpfend und anf ein mitüberfendetes Exemplar feiner Schlangenbefhmd.- 
mung berweifend, im glimpflicher Form das ſchlummernde evangelifche Gewiſſen des 
Prälsten zu eriveden fudt (f. Strobel, Johann von Schwargenberg, zween fehr 
wertwürbige Briefe, Rürnb. 1775). Herzog Albrecht begehrte von feinem Bruder Ca⸗ 
fair, daß dieſer ihm wenigſtens auf ein Jahr Schwarzenberg überlafie (f. Longoliſche 
Beihäftigungen I, 423). Dod; zerſchlug fich der Plan, deſſen Ausführung Schwarzen. 
berg ganz in Cafimir's Willen flellte. Im Herbſte des Jahres 1526 iſt Schwarzen 
berg wieder in feiner fränfifchen Heimath. 

Hier ſchien es, nachdem der Speperjche Reic)tagbabfchieb unterdeß das förbernbe 

oder hinderude Berhalten zur Heformation in das Ermefien jedes Reichſtandes in feinem 
Gebiete verftellt hatte, zu einer definitiven Entſcheidung in der Religionsfache kommen 
zu müflen. Schwarzenberg verlangte auf dem im Oftober 1526 verſammelten Landtag, 
daß uunmehr zu Organifationen im evangelifchen Siume fortgefchritten werde, und legte 
u. Und. eine ausführliche Orbuung zur Umformung der Nomnenklöfter in Erziehungs - 
wab Berforgumgsanftalten für adelige Töchter vor (f. v. d. Lith, Erläuterung der Re⸗ 
fermotienshiftorie aus dem Braudenb. Onolzbach. Archiv, ©. 183). Allein aud jet 
wo, glaubte Cafimir feine temporiſtrende Halbheit fortfegen zu lnnen. Der Landtags- 
abſchied vom 1. Februar 1527 behielt zwar bie evaugeliſche Predigt bei, aber beharrte 
im llebrigen darauf, daß man an den alten Ceremonien und Einrichtungen fefthalte, 
welche jene Predigt doch veriverfen und befämpfen mußte. Es war ein widerſpruchs⸗ 
volles Interim, weldyes Riemanden befriedigte, die energifche Einfprache des Markgrafen 
Georg hervorrief umd Alles in Verwirrung brachte. Caſimir entzog fich dieſen Ver⸗ 
widelmagen, indem er zu dem Heere König Ferdinand's nach Ungarn abging, um beffen 
Oberbefehl zu übernehmen. Bier flarb er zu Ofen den 21. Sept. 1527 (f. Kraußold 
0.0. D. S. 59; Ranke a. a. DO. II, 427. 452). 

Yet begab fi Markgraf Georg zur Uebernahme der Regierung ans Schlefien 
m die fränkifchen Rande, entfchlofien, fi rüdhaltelos in den Dienft der Reformation 
pi Riellen. Unferem Schwarzenberg erdfinete er dadurch noch am Abende feines Lebens 
die erſehute Gelegenheit zu dem organifatoriichen Wirken, das die Güter der Refor- 
motion erſt zu einem bleibenden Beſitzthum erheben konnte. Nachdem der Abjchied 
eines alsbald verfammelten Landtags den früheren Ubfchied dem Principe nad um- 
geſtoßen umd die Unverbindlichteit der dem Worte Sottes nicht gemäßen Gerimonien 
anßgefprocdhen hatte (im Wär 1828) wird zu der erſten SKirchempifitation in Ge- 
meinfchaft mit Nürnberg gefchritten (f. Spieß a. a. DO. IV, 174). Die Einſprachen 
benachbarter Bifchdfe, die Abmahnungen des Königs Ferdinand werben abgewiefen, ein 
anf Umſtimmung des Markgrafen berechnetes päbftliche® Breve uneröffnet zurückgeſchickt. 
Zur Feſtſtellung der Grundfätze umd des Verfahrens bei der Vifitation treten auf 
Schwarzenberg’ Bericht an Georg weltliche und geiftliche Abgeordnete Nürnberg und 
der fränfifchen Fürftenthümer in Schwabach am 15. Juni zufammen und vereinigen 
ſich über die Urtilel, nach denen bie Prüfung und Ausicheidung des Unevangelifchen 
in Lehre und Leben erfolgen fol (f. v. d. Lith S.247). Sofort wird zur Ausführung 


gefchritten. 


8 Schyn 


Im Oktober kamen in Coburg Georg und der Kurfürſt von Sachſen zuſammen, 
um, wie fie ſich ſchon früher über die Kirchenviſitation verabredet hatten, nun auch über 
weitere gemeinfome Maßregeln in der Neformationsfache, befonderd in der Vertretung 
derfelben nach außen, Raths zu pflegen. Schwarzenberg follte feinen Landesherrn be- 
gleiten, allein eine Krankheit hielt ihn zurück. Ex erlag ihr zu Nürnberg am 21. Ok. 
1528, bald 65 Yahre alt. 

Wie er ſchon lange auf den Tod, als einen willlommenen Boten, der ihn zur 
wahren Heimath geleite, geblidt hatte, fo begrüßt er ihm auch jet auf dem legten 
Krantenlager. Sein legter Wunfch, mit Harem Bewußtſeyn den großen Schritt in bie 
Ewigkeit zu thun, ward erfüllt (f. die Vorxede zum Buch vom Alter im Teutfch. Eicero 
BL XXL). 

Literatur. Bon älteren Schriftfielleen geben Roßmanu, „von dem Verfafler 
der Bamberg. Brandenburg. und d. Heil. Reichs Peinl. Gerihtd-OD. Johann Freih. 
von Schwarzenberg“, in Schott's jurift. Wochenbl., Jahrg. 3. ©. 273 ff., und Lon⸗ 
golins, „Nachrichten von Brandenburg » Eulmbah“, Bd. 4. ©. 53 ff., mehr nur ein- 
zelne Materialien — Die Differtation von Chrift, de Johanne Schwartzenbergioo, 
Hal. 1726, geht hauptſächlich auf die fchriftftelleriiche Thätigkeit Schwarzenberg's. — 
Einen ſehr dürftigen, feine Stellung zur Reformation kaum erwähnenden Lebensabriß 
aus einem neuerdings erfchienenen „Ahnenfaal der Fürften zu Schwarzenberg“ hat mit 
zwei Briefen Schwarzenberg’8 an feinen Sohn Friedrich, defien Haltung zu ben auf- 
rührerifchen Bauern betreffend , wieder abdruden laſſen Zöpfl im Jagemann's und 
Nöllner’8 Zeitſchr. für Dentfches Strafverfahren. Bd. J. ©. 133 fi. — Zur Erläute- 
rung der perfönlichen Entfchiedenheit Schwarzenberg's für die Heformation dient Stro⸗ 
bel: „Joh. Freih. von Schwarzenberg, zween fehr merkwürdige Briefe nebft einer 
kurzen Nachricht von defjen Leben und Schriften.“ Nürnberg 1775. — Ueber fein Ein- 
greifen in die fränkifche Neformationsgefhichte if aus v. d. Lith „Erläuterung der 
Reformationshiftorie aus dem Brandenb. Onolzbach. Arhiv, 1733" Manches zu ſchb⸗ 
pfen. — Seine großartige Stellung im Reichsregimente ift in Ranke's Neformatious. 
gefchichte gewürdigt. — Ein vollfländiges Bild feiner Perjönlichleit und feines Wirlens 
habe ich zu geben verfucht in der Schrift „Johann Freih. zu Schwarzenberg. Ein Bei⸗ 
teag zur Gefch. des EriminalrechtS und der Gründung der evangel. Kirche. Leipz. 1841..— 
Die Ausgaben der Schriften Schwarzenberg’8 find verzeichnet in Gödeke's Grunbriß 
zur Geſchichte der deutſchen Dichtung. Bd. I. ©. 214. €. Herrmann. 

Schyn (Hermannus), Berfafier der „Historia Mennonitarum” (f. d. Art. „Menno 
und die Mennoniten), war im Jahre 1662 in Amfterdam geboren, fiudirte in Leyden 
und Utrecht und wurde im Jahre 1682 zum Medieinse Doctor promovirt. ALS Arzt 
fette ex fich fogleih in Notterdbam nieder, fing aber an, mit den medicinifchen auch 
theologifche Studien zu verbinden, und wurde im 9. 1686 von der bortigen Menno⸗ 
nitengemeinde zu ihrem Prediger erwählt. Bald in weiteren kirchlichen Kreifen bekannt 
geworden, murde er wiederholt bon den Amfterdamer Taufgefinnten, welche in der Kirche 
de Zon ſich verfammelten, dreimal vergebens zu ihrem geiftlichen Führer berufen. End⸗ 
ih gab er nad und trat im Jahre 1690 im feiner Geburtsſtadt auf. Dort hat ex 
37 Yahre das heilige Amt mit Eifer und Treue verwaltet, bis ee im 9. 1727 flach. 
Als Prediger hatte er eime gewiſſe Vorliebe für bie Coccejanifhe Richtung und folgte 
ber breiten analhtifch » eregetifchen Methode feiner Zeit, war aber zugleich praftifch umd 
innig und bediente fich oͤfters myſtiſch klingender Redendarten, wie aus feiner Predigt- 
fommlung: „Heilige Keurftoffen« (1733) zu erfehen if. Im feiner Jugend ſchon war 
er fehr befreundet mit dem Amflerdamer Prediger Michael Fortgens , deſſen Pre- 
digten ex herausgegeben hat und dem ex die Leichenpredigt hielt. Seinem eigenen Ge⸗ 
dächtniß wurde die gebührende Ehre erwiefen von feinem Kollegen Magtſchoen in einer 
Predigt über Pfalm 112. Be. 6. | 

Schyn hat ſich befannt gemacht als Practilalift, wovon feine Schriften zeugen: 


Seculerismns 9 


‚de Menſch in Chriſtus“, 1721. 1725 und „Beletfelen des geeflelnten Levene”, 1727. 
Auch arbeitete er für die Bereinigung feiner noch gefchiedenen Glaubensgenofſen und 
verfafite dazu ein „Untwerp toc VBereeniging der Doopsgezinden", 1723. — Vorzüglich 
aber hat er feine Bedeutung als Hiftoriter feiner Kirchengenoſſenſchaft. Schon im 
Jahre 1711 hat er eine „Sorte Hiftorie” der Mennoniten gegeben, welche nicht nur 
in feinem nächflen SKreife, fondern auc in Deutfchland große Aufmerkſamkeit auf fi 
209. Bon verfchiedenen Seiten wurde der Verfafler gedrungen, eine lateiniſche 
Benrbeitung feines Anffages zu geben, bamit auch Solche, welche in der holländi» 
ſchen Sprache nicht oder weniger beivandert wären, den Unterfchied zwifchen Tauf⸗ 
gefiunten und Wiedertänfern einfehen lernten, welchen er beſſer als bisher in’s Licht 
geftellt hatte. Schyn gab nicht nur diefem Wunfche nad), jondern beforgte num eine 
bermehrte nnd verbefierte Ausgabe feines früheren Wertes in feiner „Historia Menno- 
nitarım”, 2 Vol. Amsterd. 1723. 1729. Später wurde diefe Arbeit wieder in’s 
Riederländiiche übertragen von M. van Maurik und ©. Maatfchoen, der einen dritten 
Theil den beiden vorigen hinzufügte. Wohl hat diefe Schrift ihre eigenthümlichen 
Fehler und kann feine vollfändige und pragmatifche Geſchichte genannt werden, dennod 
enthält fle fo viele wiſſenswerthe Specialia, beſonders hinſichtlich der Frage nach dem 
Unterfdyiede zwiſchen Tanfgefinnten und Wiebertäufern, ſowie auch für die Biographie 
einzelner Demoniten Prediger und die literarifche Geſchichte ihrer Schriften, daß fie 
noch immer unter den fehr geſchätzten Geſchichtswerken ihre Stelle einnimmt. Sie ent- 
hält dreißig Porträts von taufgefinnten Lehrern, deren Leben durch Schyn und Mant- 
ſchoen erzählt toixd und wozu ihr College Adriaan Spinniller (dev anch einen Appendir 
zum erſten Theile der „Historia” bearbeitete) die poetifchen Unterfchriften geliefert hat. 
Quellen: Blaupot ten Cate, Gefchied. der Doopsgezinden u. ſ. w. Bd. II. 
©. 136 f. und die dort genannte Litteratur. — Bergl. B. N. Krohn, Geſchichte der 
Viedertüufer ©. 136 ff 3. 3. van Ooſterzee. 
—— Mit diefem Namen hat eine befonders in ben fünfziger Jahren 
dieſes Zahrhunderts großes Auffehen erregende und viele Anhänger zählende, feitdem 
aber wieder mehr zurüdgetretene Sette der Gefellfchaft moderner englifcher Freidenker 
ihre eigenthäimlich atheiſtiſch⸗ materinliftifche Richtung bezeichnet. Der Stifter biefer 
Gemeinſchaft, George Jakob Holyoake, ein Freund und Gefinnungsgenoffe des be⸗ 
fannten Socialiften Robert Owen, begründete im Yahre 1846 im Verein mit mehreren 
OBleihhgefinnten, wie Grant, Townley, Knight (welcher letztere indeflen fpäter auf den 
chriſtlich⸗ gläubigen Standpunkt zurlidtrat) ein für „die arbeitenden und dentenden Klafſen⸗« 
beflimmtes Peitblatt „The Beasoner”, welches bald zum anerlannten Organ der mo. 
dernen englifchen Freidenterei wurde. Diefe unterfcheidet ſich bon derjenigen des Yo» 
rigen Zahrhunderts durch ihre mehr atheiftifche als deiſtiſche Grundrichtung; und 
eigentliher Atheismus, wenn ſchon weniger in dogmatiſcher als in ſteptiſch⸗praktiſcher 
Geftelt, bildet auch ben Grundgedanken der von Holyoake und feinen Genoſſen vorge⸗ 
tragenen nenen Weisheit. Den Namen „Atheismus“ verſchmaähte man von Anfang an 
als Bezeichnung derjelben; „Non-Theism” follte nach der urfprünglich getroffenen 
Bahl die nene Theorie heißen, um damit anzudenten, daß man die Annahme einer 
Gottheit nicht direkt (im Sinne eines erflärten Anti- Theism) befreite, fondern eben 
mar davon abfirahire, ob ein Gott fe oder nicht. Doc zog man fpäter die Benen- 
ug „Secularism” vor, weil man die eigentliche Haupttendenz der gefammten Partei oder 
Richtung, die Tendenz, „für die Welt zu leben und zu flerben und für das Wohl 
ber Menſchen in diefer Welt zu arbeiten“ (to work for the welfare of men in 
this world), damit am treffendften bezeichnet fand. Denn weltliche Geſinnung, Er⸗ 
fükumg der Pflichten des dieffeitigen Lebens ohne Rückfichtnahme auf das jenfeis 
tige, „Beförderung bes zeitlichen Wohle dee Menjchheit durch zeitliche Mittel“ (present 
human improvement by present human means), das ift der Grundgedanke und In⸗ 
begriff der Moral diefer Partei. Ihr Geſetz hat biefe Moral an den einfachen Pflichten 


10 GSecnlarismns 


des natürlichen, des utilitarifchen und des artiflifchen (künſtleriſch⸗induſtriellen) Lebens; 
ihre Sphäre ift allein diefes Leben, nämlich ein möglichft energifches Wirken an feiner 
allfeitigen Beförderung, Ausbildung und Vervollkommnung; ihre Macht endlich befteht 
einzig und allein in wiſſenſchaftlicher Bildung und intelligenter Fürforge für die Dinge 
diefes Lebens (vgl. Grant und Holyoafe, A public Discussion on Christianity and 
Secularism, London 1853. p. 4 409q. 221 80q.). Die Nutzlichkeit if} das einzige 
Princip und der Hauptgrundfag der Moralität dieſes Standpuntts, der fi mit vollem 
Rechte als ein confequenter, vollfländig durchgebildeter Utilitarismus bezeichnen 
läßt, al8 die „auf den Trümmern der Keligion errichtete Ethil des Atheismus“. Denn 
fein üibernatürliches, kein jenfeitiges Clement darf auf die Handlungsweife diefer rein 
tebifch » gefinnten Moraliſten irgend welchen Einfluß üben. „Allein an das Wiſſen 
weift uns die Natur, wo wir Hülfe bedürfen uud allein an die Menfchheit, wo es 
uns um Mitgefühl zu thun ifl. Liebe zu dem, was Liebe verdient, ift unfere einzige 
Anbetung, Studium unfere einzige Lobpreifung, Unterordnung unter das Unvermeidliche 
unfere Pflihterfüllung, Arbeit und nur Arbeit unfer Gottesdienft« (Townley und Ho⸗ 
(yoafe, A public Discussion on the Being of a God, London 1852. p. 58). 
Diefen praftifchen Orundfägen des Secularismus entipridt feine Dogmatil, 
wenn man eine fuftematifche Negation aller pofitiven Dogmen fo nemen darf. Die 
Annahme der Eriftenz einer Öottheit, ja felbft der Gebraud, des Ausdruds „Gott“ wird 
verworfen, jedoch nicht im Sinne eigentlicher Gottesläugnung, fondern nur in dem des 
Ermangelns irgend welcher beftimmter und ficherer Gotteserkenntniß. „Um Gottes Dafeyn 
beftinmt längnen zu Tonnen, müßte man unendliches Willen haben, müßte man bis an 
die Gränzen alles Vorhandenen gelangt feyn und fümmtliche Gebiete des Univerſums 
durchforſcht haben, ohne Gott irgend too zu finden.“ Die Materie, obſchon ewig und 
durch ſich felbfi eriftivend, iſt doch nicht felbft für Gott zu halten, da ihr offenbar Selbfl- 
beivußtfegn und Willensfreiheit, die conftitutiven Faltoren perfönlihen Wefens, fehlen. 
Wie die Welt nicht gefchaffen ifl, fo wird fie auch nicht durch eine göttliche Vorſehung 
regiert. Die Erfahrung lehrt, daß es keinen Vater im Himmel, eine Erhbrung 
der Gebete, überhaupt keinerlei thatſächliche Belege für eine fpecielle Providenz gibt. 
Auch läßt ſich Gottes Daſeyn nicht auf teleologifhem Wege aus der zwedvollen und 
gefegmäßigen Einrichtung der phufifchen oder moralifchen Welt erweifen. Eine der⸗ 
artige Argımnentationsweife wird immer nur eine folche Idee Gottes ergeben, die nichts 
al8 die „vertvorrene Widerfpiegelung des eigenen Bildes des Menſchen von der Wand 
des Univerfums“ ift; fie wird es einerfeitS immer nur zu Analogieen ohne Gewißheit 
bringen, anbererfeits aber zu viel beweifen, da ja für den höchſt weifen Schöpfer der 
höchfl weife eingerichteten Schöpfung fofort wieder ein noch weiſerer Urheber zu poſtu⸗ 
(teen wäre, und fo des Folgerns und Schließens Tein Ende würde. Im diefer Beſtrei⸗ 
tung des teleologifchen Beweiſes fchließt fi Holyoake, der auf diefen Punkt befonderen 
Fleiß und Scarffinn verwandt hat, theils an den atheiftifchen Poeten Shelley, theils 
an den berühmten Naturforſcher Geoffroy St. Hilaire an. Er richtet dabei feine Kritik 
hauptfächlich gegen Baley’8 „Natural Theology”, die befannte, viel beimunderte und in 
England vielfach überfchägte Hauptautorität auf diefem Gebiete der phufifo » theologifchen 
Apologetit (vgl. fein Wert: „Paley refuted in his own words”, 3. Edit., Lond. 1850), — 
Befonders Tarakteriftifch ift noch die Art, wie fidh die Seculariften über das Ienfeits, 
die Vergeltung umd das ewige Neben äußern. „Wir willen nichts um Die jenfeitige 
Welt, wenn e8 eine folche gibt; und eben weil fie mit ihren fittlichen Geſetzen uns 
gänzlich unbekannt ift, dürfen wir uns fchlechterdings nicht um fie kümmern, fondern 
haben umfer moralifches Streben lediglich dem Dieſſeits zuzuwenden.“ „Sowohl das 
bor uns Dageweſene wie das Zukünftige hat man als zwei ſchwarze, völlig undurch⸗ 
fihhtige Vorhänge zu betrachten, aufgehängt am Anfang und am Ende des menfchlichen 
Lebens und nod nie don irgend einem Lebenden aufgezogen oder auch nur gelüftet. 
Tiefes Schweigen herrſcht Hinter diefen Vorhängen: kein hinter ihnen Stehemder . wird 


Selten 11. 


jemals Unttoort ertheilen anf die Fragen, welche die vor ihnen fiehenden Erdenbewohner 
an ihn richten; Alles, was du etwa hörft, ift nur der hohle Wiederhall deiner Frage, 
gleich als hätteft du in einen Abgrund geſchrieenl⸗ „Gibt es andere Welten, in bie 
mon nad) diefem Leben verfeßt wird, fo werden eben diejenigen am beften im Stande 
fein, fi ihrer zu freuen, welche die Beförderung bes diefleitigen Gemeinwohls ber 
Menſchen hinieden zu ihrem einzigen Geſchäfte gemacht haben; gibt e8 Fein Jenſeits, 
fo ſtehen die Menſchen offenbar fi ſelbſt im Lichte, wenn fie es unterlafien, fi di e⸗ 
fer Welt zu freuen!“ (Bergl. namentlich Holyoake's Schrift: „The Logio of Death”, 
eine Art von Trofffehrift an feine Freunde, entflanden ans Borträgen, bie ex beim 
Wüthen der Cholera in London im Jahre 1849 hielt.) 

Roc iſt ſchließlich auf die enge Verwandtfchaft der feculariftifchen Theorie mit 
den Lehren Anguſt Comte's (+ 1857), des Stifter ber in Frankreich und zum heil 
anch in Großbritannien und Amerika fehr ausgebreiteten Sekte der Poſitiviſten 
anfmerfiom zu machen; eine Verwandtfchaft, die fo augenfälliger und burchgreifender 
Urt iR, daß man den Secularismus gerabezu den aus dem Franzoſiſchen in's Engliſche 
übertragenen Pofitivismus nennen Tann. 

Bergl. ben Aufſatz: „Pofltivismns und Secularismus, zwei atheiftifche Richtungen 
bed modernen Sugland umd Tyranfreich“, in der Neuen Evang. Kirchenztg. Jahrg. 1863, 
Rr. 19 m. 20; fowie das biefem Artikel zu runde Liegende Werk des fchottifchen 
Theologen James Buchanan, Faith in God and modern Atheism compared” 
(Lond. 1857. Zvols), aus weldhem der vom Seculariemus handelnde Abfchnitt (vol. IL. 
p. 228291: „The theory of Secularism”) aud; als Separatabdrud veröffentlicht 
worden ifl. BZödler. 

Eekten. — Da über Häreſie und Schisma bereits in der Enchllopädte das N. 
thige erörtert iſt, ebenfo die einzelnen Selten, die in der Geſchichte auftreten, ihres 
Orts vorgelommen find, fo iſt nur übrig, die ethifche und rechtliche Seite der Sache, 
die Stellung der Kirche und bes Staates, ſowie des chriftlichen Privatgeivifiend zum 
Seltenweſen zu beleuchten; diefem Zwecke follen die nachflehenden Zeilen dienen. 

Das Wort secta — nicht von secare, fondern von sequor, sectari abzuleiten 
(bei Forcellini erflärt als congregatio hominum vel in studiis vel in alias re qua- 
piam idem sentientinm et unum aliquem ducem sequentium) gehört ſchon der Kinffi- 
fhen Latinität an;- die Unhänger des Antonius heißen bei Cicero Antonii seota; Tas 
citus redet bon der stoica secta, oynica secta u. f. w. Es ift alfo micht ſowohl ber 
Degriff der Abſonderung, die negative Seite der Sache mit dem Worte ansgebrüdt, 
fondern ins Segentheil der Begriff des Aufammenhaltens, und zwar fo, daß man ges 
meinſam einem Führer folgt, alfo mit dem Nebenbegriff einer perſönlichen Auftorität, 
ter die ſich Viele ftellen, womit aber allerdings immer zugleich eine gewiffe Son- 
derang von der übrigen Mafle verbunden if. Im dieſem Sime paßte der Name 
genau auf die chriftliche Kirche felbft, daher die Chriften (im Unterfchiede von den Juden, 
bie micht als frei zufammengetretene Anhänger eines Hauptes, fondern als Nation eine 
eigene Gemeinſchaft bilden) nicht nur gemeinhin als eine Sekte betradjtet wurden, fon« 
dern and) die Bulgata Apgeſch. 24, 14. das Wort öddc, mit dem Paulus in feinem 
Belemminiffe vor Felix das Chriftenthun bezeichnet, mit secte überfegt, während fofort 
die azpeaıs, wofür die Anlläger jene ödds ausgeben, auch wieder haeresis heißt, wogegen 
fenſt die aöpesıs (mie ebendaf. B8. 5.) auch mit secta Üüberfegt wird. Je mehr aber 
die Kirche einen Öfumenifchen Karalter annahm, je mehr fie ſich als die Tatholifche er⸗ 
faunte und verwirklichte, um fo weniger Tonnte fie auch der Welt als bloße secta, als 
der Anhang eines Führers erfcheinen; fie war ja die erlöfte, die zum einem Gottesvolke 
vereinigte Menſchheit felbft; umd nur wenn im ihrem Bereiche felber fich Kleinere Ge⸗ 
nofienfhaften bildeten, die, von der Denk⸗ und Lebensweife der Geſammtheit fich irgend 
wie unterfcheibend, einem eigenen Führer folgten, Tonnte jener Name wieder Anwendung 
finden. Hier tritt aber fchon ein Gegenfag hervor, der heute noch befteht und das Ber« 


12 Selten 


halten der Kirche zu dem hieher gehörigen Erfcheimmgen bedingt. Wenn nämlich ſolch 
eine Genoſſenſchaft in Lehre und Leben mit der Kirche völlig eins bleibt, ihre Gnaden⸗ 
mittel gebraucht, an ihrem ottesdienfte Theil nimmt, dem Kirchenregiment unterthan 
tft, fo nennen wir das eine Gemeinfchaft, nicht aber eine Sekte. In diefem Verhältnig 
ftanden und fliehen zu der Tatholifchen Kirche die Mönchsorden und Bruderfchaften, zu 
der evangelifchen Kirche die Eonventikel des Pietismus, die fich felber auch am Liebften 
Bemeinfchaften nennen. Der obigen Begriffsbeftinnnmg einer Sefte gemäß Tönnte man 
fle unverfänglich als sectae bezeichnen, da mittelbar oder unmittelbar doch immer irgend 
welche hervorragende Perfönlichkeiten — im Möonchsthum z. B. der heil. Benedikt, über» 
haupt jeder Oxdensflifter, im deutfchen Pietismus Männer wie Spener, Bengel, Oetin⸗ 
ger als diejenigen bezeichnet werden können, deren Anhänger in jenen Genoſſenſchaften 
zu erfeımen find. Aber hier zeigt es fidh, daß der Name „Sekte auf chriſtlichem Bo⸗ 
den eine Aenderung oder Schärfung feiner Bedeutung erlitten hat; es tritt jetzt viel⸗ 
mehr daB negative Moment darin hervor, das mehr an secare als an sequi erimert; 
die Selte If fi ab von der Kirche, um etwas für fich zu ſeyn; fie will nach eige- 
nem Ideal eine Gemeinschaft der Heiligen und des Heiles herftellen, weil fie in der 
beftehenden Kirche ihre Vorftellungen nicht realifirt findet; es ift darum jet das Eigen⸗ 
willige, Spröde, Abfonderliche und Kleinliche, was fie Farakterifirt. Sole Tosfagung 
entweder von der Lehre oder von der Ordnung, dem Regiment nnd ber Disciplin der 
Kirche Tiegt num gefchichtlich vor in den beiden Formen der Härefe umd des Schisma. 
Allein gerade die fehr ausgeprägte Beftimmtheit diefer beiden Begriffe ift die Urfache, 
warum uns im Bereiche der Tathofifchen Kirche, feit e8 eine foldhe gibt, die Namen 
Sekte ımd Seltirer weit feltener begegnen, als die Namen Häretifer und Schis⸗ 
matifer. Das corpus jur. can. gebraucht (f. Decret. pars II. causa 24. qu. IH. 
0. 39. quot sint sectae haereticorum, wo deren 68 namentlich aufgeführt werben; 
lib. sept. V. tit. III. cap. I. contra haereticos sectae cujuslibet) da8 Wort nur, 
wie wir etwa von Denominationen reden, während nicht dagegen, daß fie Selten find, 
fondern nur gegen fie als Häretifer und Schismatiker die Kirche ihre Bannflüche fchleu- 
dert. Bet Luther kommt der Name „ Selten”, „Seltirer" häufig genug vor, und 
zwar in ber Hegel als gleichbedeutend mit „Rotten“ und „Schwärmerei“, fo daß bie 
beiden Begriffe des Aufrührerifchen und des Spiritwaliftifch - Kegerifchen darin verbunden 
find, daher für Luther'n und die Lutheraner der Concorbienformel die Neformirten 
gleichmäßig mie Garlftadt, die Wiedertäufer, Schwenffeld u. f. w. unter jene Kategorie 
fallen. In diefem Sinne kommt das unpoetifhe Wort fogar in Selneder’s Abendlied 
vor: „Ach Gott es geht gar übel zu; auf diefer Erd' iſt feine Ruh, viel Selten und 
groß’ Schwärmerei auf einen Haufen kommt herbei.” In diefem Sinne reden audh 
die enangelifchen Kirchenordnungen bes 16. Jahrhunderts davon, die Übrigens nicht 
häufig darauf zu. fprechen kommen (vgl. Richter, Kich.-Ordn. I. S.154, wo die Kirch.⸗ 
Drdn. von Goslar die Pfarrer Öffentlich bekennen läßt, daß fie den Zwingli, den 
Schwenffeld u. f. w. für Ketzer halten, auch jeder, der zwinglifch oder wiedertäuferiſch 
n. f. w. lehre und bergleihen Lehre und Leute ſchütze, geftraft werden ſoll. Die Kirch.⸗ 
Ordu. von Soeſt, S. 165, bedroht den, ber Rotten oder Selten made, mit Auswei⸗ 
fung und Strafe an Leib und Gut. Nach der Straßburger Kirch.Ordn. von 1534 
©. 232 fol feine Lehre und Sekte, die der Augsb. Confeffion zuwider fey, geduldet 
werden; ähnliche Artikel f. S. 372. TI. S. 142. 289. 317. 351. 458. Am ausführ- 
lichſten behandelt die große württembergifche Kirchen-Ordnung II, 204 diefen Gegen> 
ftand, da fie ihm ein befonderes Kapitel „von Wiedertäufern und allen anderen Selten, 
fo wider die angsburgifche Confeffion feind“, widmet, worin 16 verfchiedene Arten 
und Meinungen aufgezählt und mit Reibesftrafen, Verbannung und Konfiscirung des 
Vermögens bedroht werden.) Und nicht nur die Iutherifche Kirche, fondern auch die 
reformirte hielt fich auf demfelben Standpunkte; wer den von der Kirche approbirten, 
im ihren Symbolen niebergelegten Lehren widerfpricht und eigene Meinungen dagegen 


Gelten 13 


der if ein Aufrührer und ein Ketzer; würde die weltliche Obrigleit biefe dul- 
fo hätte bie Kirche wicht Beſtand. Beza 3. B. hat deshalb (f. epist. theol. L. 
pag. 20 sg.) es für eine teuflifche Lehre erflärt, Gewiſſensfreiheit zu geflatten, was fo 
viel als Jeden, wenn ex will, zu Grunde gehen. laflen. — Bom modernen de 
fihtöpuntte aus ift diefes Verfahren eine große Juconſequenz. Daflelbe Recht perjön- 
licher Ueberzenguug und freier Ausſprache und Berbreitung berfelben, das die Refor⸗ 
motoren für fid) in Anſpruch nahmen, wurde gleihwohl denen, die von ihren Lehren 
abtwichen, ihrerfeits nicht zugeflanden. Wohl iſt es wahr, daß diefe Maͤnner, weit ent⸗ 
fernt vom der Hohlheit, von der geifligen Leere moderner Apoſtel, der Lichtfreunde, ber 
Deutichlatholiten und ähnlicher Slachlöpfe, unter evangelifcher Freiheit nicht die abſtrakte 
Möglichleit verfianden , ohne Gefahr Ulles zu behaupten, was einem zu behaupten 
beliebe; ihnen war fie vielmehr die Freiheit, ungehindert die unverfälfchte Wahrheit zu 
befeunen umd ihr zu dienen; dieſe Wahrheit aber fland ihnen in der Schriftlehre feft 
uud Hor vor Augen. Gie haben, indem fie alles Heil vom Glauben abhängig machen 
und diefen als die fnbjeltive Aneignung des in Ehrifto dargebotenen Heile durch eine 
That des emtichloffenen Willens auffafien, dem Subjelt die freiheit von jeder äußeren, 
menihlichen Autorität zugefprochen; aber das Objekt, das der Glanbe fid) aneignet, iſt 
ihnen ein fo reelles und ausſchließlich gegebenes, daß es nicht Sache menfchlicher Mei⸗ 
zung and Willlür ſeyn kaun, dieſes Objelt fo oder fo ſich zu denlen; die Wahrheit, 
die der Glanbe glaubt, iſt ihnen eine fo abjolut beflimmte, daß es ein Frevel if, fle 
fi anders zurechtzumachen, als wie fie gegeben worden, mämlid im Worte der 
Särif. Im biefer Beziehung kennen die NReformatoren ebenfowenig ein Recht ber 
Yadividualität, eine Berfchiedenheit gleichberechtigter Standpunkte, als die Papiften; 
wenn Luther zu Marburg den Schweizern jagt: „Ihr babt einen anderen Geiſt als 
wir⸗ — fo erkennt er diefem anderen Geifte nicht ein Recht der Eriflenz neben dem 
feinigen ya: ſtand ihm dod bie Alternative fo, daß vom ihnen beiden, Luther und 
Yuingli, nothwendig Einer des Teufels fen möüfle Jener Objektivismns trug aber 
ſchon im fich die Richtung, daß nicht auf ein ethifches, fondern auf ein Dogmatifches 
Moment, nicht auf die perfönliche Herzensflellung zu dem lebendigen Chriſtus, fondern 
anf die theoretifche Zuſtimmung zum formulirten Lehre da® Hauptgewicht gelegt wurde; 
hiemit nun war auch für dem Zutheraner der Begriff der Härefe, nur mit anderem In⸗ 
halt, abex formell derfelbe, wie dem Katholiten. — Als Schwärmerei aber erfcheint fie 
ihm, weil ex die Realität nicht in einem habitus des Geiſtes und Willens, in der An⸗ 
eiguung des lebendigen, geiftig zu affimilivenden Chriſtus, fondern in dem gefchriebenen 
Borte und der ald Belenutniß ausgeſprochenen, dogmatifchen Lehrforn und in der 
dinglich aufgefaßten Saframente » Gegenwart findet; wogegen die Schweiger und Undere 
freilich ebeufo fagen konnten, ihrer verfländigen, rationellen Denkweiſe gegenüber ſey 
die Ubiquitätslchre und Wehnliches ein Schwärmen. — Ws Notte endlich, als emp. 
reriſches Complott erfchien auf diefem Standpunlt jede auf dergleichen Principien ge» 
bante Lehrgemeinfchaft, weil man auch auf die neue Kirche den Begriff der Legitimität, 
den Begriff eines jus divinum übertrug. Zwar fehlte ihr dazu grundfäglich das Yyun- 
dament, defien die römifche Kirche fi; rühmte. Diefe fah fi, d. b. ihren ganzen Or⸗ 
ganienıus, ale Yuflitut mit beftimmter Berfaffung, Hierarchie u. f. iw., als unmittelbar 
bom Herrn gefliftet an, an der epißlopalen Suecceſſion haftete ihr hiſtoriſches, aus⸗ 
—— Di Recht; fie hatte vom Herm die Gewalt über alle Setauften, über deren 
Seele erhalten, und wer fi dieſer entzog, der war ein Aufrührer gegen 

— Ordaung. Solches hiſtoriſche Recht, ſolche urſprungliche ſtatutariſche Nuſti⸗ 
tutiom bonnte die evangelifche Kirche für fich nicht geltend machen; hat fie auch zwiſchen 
fih und der apoftolifchen Kicche einen Zufammenhang behauptet, fo war es doch fein 
biftorifcher und rechtlicher, fondern nur der zwiſchen Vorbild und Nachbild, eine geiſtige 
Berwandtidaft; von einer Succeſſion ber Biſchofe, von einem Uebergehen ihrer Weihe 
auf die evangeliſchen Geiſtlichen konnte feine Rebe ſeyn; hat doch Luther einen frei ang 


14 Selten 


der Mitte der Gemeinde gewählten Pfarrer für durchaus legitim erklärt, und die Form 
der Berfaflung und des Kirchenregiments ward eben darum jedem Lande, jeder Stadt 
freigegeben, weil dafür kein göttlicher Befehl vorliege. Wenn alfo eine chriftlihe Ge⸗ 
uoffenfchaft fich felbftftändig conflituirte und organifirte, fo fonnte fie von diefem Stand⸗ 
punfte aus nicht deshalb der Losſagung von der wahren Kirche, nicht der Eigenmäch⸗ 
tigfeit und Empdrung angeflagt werben; fie that ja nur, was die Neformatoren felbft 
gethan Hatten. Aber es ift befannt, wie fehr nad; dem Bauernkrieg in Luther’8 Augen 
doc das Amt wieder eine Geftalt und Bedeutung gewann, wodurch es ſich dem katho⸗ 
liſchen Amtsbegriff, namentlich als Organ der fündenvergebenden Gnade Gottes, merklich) 
näherte, eine Anſchauung, die neuerlich duch eine Fraktion der Neulutheraner (die Amts- 
Intheraner, wie fie Hundeshagen im Unterfchiede von den Abendmahls- und den Aulto> 
ritätölutheranern nennt, f. Beiträge zur Kicchenverfaflungsgeich. L 1864. S.501ff.) ſtark 
vertreten wird. Lag aber ſchon hierin der Anlaf, die Sekte als Rotte, als Infurgenten 
wider die Firchliche Autorität, wider das heilige Amt, und darum jede Spaltung nicht 
bloß als ein Unglüd, fondern als eine Art Hochverrath zu betrachten: fo erhielt diefe 
Anficht ihre volle Schärfe dadurch, daß in Folge der proteftantifchen Verbindung von 
Kirche und Staat (mas Hundeshagen a. a. D. den proteflantifchen Theokratismus 
nennt) die fürftliche Gewalt ſich zum Schutze ber Kirche und ber reinen Lehre in der 
Art verpflichtet achtete, daß fie fein anderes Bekenntniß duldete; folglich war einer Selte 
auzuhängen zugleich ein Staatöverbrechen, weil es eine Unbotmäßigkeit gegen die vom 
Fürflen profflamirte Glaubensvorfchrift war. 

Daß der weftphälifche Friede an diefem Stande ter Dinge nichts änderte, ihn 
vielmehr fanktionirte, ift befannt. Ein defto größerer Umfchwung bereitete fi) mit dem 
Ende des 17. Iahrhunderts vor. Erſtlich durch den Pietismus. Denn fo wenig biefer 
in feiner reinen, urfprünglichen Geftalt feftirerifche Abfichten hegte — er wollte ja nur 
ecolesiolas in ecclesia, nicht neue Kirchen neben und an der Stelle der alten in's Leben 
rufen: fo lagen doch Momente genug in ihm, um ihn den Orthodoren in jenem drei« 
fach ſchlimmen Lichte der Härefte, det Schwärmerei und der Rotte erfcheinen zu laflen; 
und e8 brauchte lange Zeit, bis die Männer der Kirche lernten, den Begriff der Ge⸗ 
meinfchaft von dem der Sekte richtig zu unterfcheiden umd jener bie gebührende Berech⸗ 
tigung im Sinne evangelifcher Freiheit zuzugeſtehen. Iſt dieß am klarſten und umſich⸗ 
tigften in dem rühmlid bekannten württembergifchen Pietiflenedift vom Jahre 1743 ges 
fchehen, fo hat in bemfelben Lande der Pietismus durch feinen edelften Führer und 
ſelbſtſtändigſten Kepräfentanten, Johann Albrecht Bengel, mit dem beflimmteften Bes 
wußtfeyn jenes Unterſchieds feine Stellung zu den Selten genommen, die damal® — 
eben im Unterfchiede von den Pietiften und nad, ihrer lokalen Erſcheinung unter den 
gemeinfamen Namen „Separatiften“ befaßt wurden. „Unfere Kirche ift bei weitem nicht 
rein, aber dennoch ift umfere Kirche die wahre, denn man muß nicht darauf fehen, was 
durch die Schuld der Mienfchen noch fehlt, fondern was Gott noch darin hat“, fagt 
Bengel (f. fein Leben von Burk, ©. 169; vergl. auch die neuere Biographie defjelben 
von D. Wächter, ©. 371 ff.). Trat aber aud) der Unterfchied zwiſchen Pietiften und 
Separatiften, zwifchen Gemeinfchaften und Selten in helles Licht: das war doch auch für 
die Betrachtung und Behandlung der letzteren von großer Wichtigkeit, daß der Pietis- 
mus 1) überhaupt das individuelle religidfe Leben und Bedürfniß, der Objektivität der 
Kirche gegenüber, ala ein bereditigtes hinflellte und demfelben eben durch feine Thätig⸗ 
teit eine Befriedigung zu gewähren fuchte, die die Kirche wenigſtens bis dahin nicht 
gewährt hatte; daß er 2) anf die Lehrformel weit weniger Werth legte, ald auf Fröm⸗ 
migkeit, ja daß er, die mannichfachen pfuchologifhen Phafen des religiöfen Lebens ge- 
nauer und liebevoller beachtend, manche Abweichungen der Meinung von der autorifirten 
Kicchenlehre pfuchologifch beſſer begriff, al8 die Orthodorie, die im jeder folden Abwei- 
hung einen Frevel wider Gottes Ordnung fah (Bengel 3. B. hat eingejehen, daß ge- 
zade ein Solcher, der ſich ernſtlich und grundlich befehre, leicht in einem oder dem an⸗ 


Gelten 15 


veren Punkte anf heterodoxe Anſichten gerathen könne, während es bie, „fo nach ber 
Beltmode hinleben, leicht haben, orthodor zu ſeyn.“ Wächter a. a. DO. ©. 369). — 
Dazu fommt 3) daß der Pietisuns dem Laien die Fähigkeit zuertennt, ſich ſelbſt zu 
erbauen, ihm alfe geiftig von der abfoluten Autorität des Klerus. emancipirt. Indem 
alle biefe — durch den Pietismus ſich verbreiteten und feſtſetzten mußte auch 
über die Sekte (abgeſehen von dem Karalter der einzelnen Parteien) ein allmählich 
milderes Urtheil fidh bilden. — Bon ganz anderer Seite wirkte auf denſelben Punlt his 
eine Macht, die, inwerlich dem Pietismus diametral entgegengefegt, doch wertwürdiger 
Weiſe nicht wur zeitlich, fondern fogar drilid (in Halle durch Thomafius) wit jenem 
miemmentrof: die Auftlaͤrung. Gegen feltixerifhe Meinungen, gegen Mufticismus, 
Ehiliesmuuß, gegen neue Imfpirationen, gegen Aſceſe aller Urt bat die Auftlaͤrung 
ſachlich den gleichen Widerwillen, wie gegen die Dogmen der Kirche; aber eben, daß 
ige bie legteren eben fo antipathifch find, wie jene, das kommt der Sekte zu Statten; ja, 
als Berfedyterin der abfoluten Denkfreiheit nimmt die Aufllärung Partei für die Sekte 
gegen die Kirche, einfach weil fie jene als die unterdrädte, dieſe als die Unterdrüderin 
echt. Damit hängt aber (mie eben ber Rame des Thomaſius und erinnert) mod 
bei KR wichtige Moment zufanmen, daß die kirchenzechtlichen Syſteme, die ſich von 
jener Reit her datiren, der Kerritorialisums und fpäter der Collegialismus, indem fie 
bes Berhältuiß der Kirche zum Staat und Staatsoberhaupte ganz anders begründen, 
als es der Episkopalismns der alten Drthodorie gethan hatte, and) für die Selte einen 
anderen Sefichtöpuntt anffiellen. Das Xerritorialfgftem fcheint zwar für diefelbe ge» 
führlicher zu ſeyn, weil es die Religionsubung der abſoluten Gewalt des Landesheren 
preitgibt Allein wie die Pietiſten ſehr wohl fühlten, daß fie von biefer Gewalt me» 
ziger zu fürchten haben, als von geifllicher Madıt, fo war es ja ausgefprochener Grund⸗ 
fag des Territorialisumns, daß ſich der Fürft um den Inhalt der Lehre gar nichts 
Ykmmere, daß ihm alle Religionen gleich viel gelten, fo Lange fie die Ruhe des Staates 
nicht gefährden, daß er fie auch bloß infomweit regiere, als ex dafür forge, daß fie unter 
einander Frieden halten. Ye mehr es unverhohlen darauf abgefehen war, die Madıt 
ber Geiſtlichen zu brechen, um fo mehr ward den religidfen Privatanfichten Luft gemacht. 
Bo, nad Friedrich's des Großen Ausſpruch, Jeder nad) feiner Façon felig werben 
darf, da hat auch die Sekte Freiheit, zu exiſtiren. Go unmittelbar num arbeitet ihr 
der Eollegialisuns nicht in die Hände; aber da er den Schwerpunlt alles Kirchenregi⸗ 
mentes in bie Gemeinde legt, da er ihr nicht a priori irgend einen Regeuten oder 
Bifchof an m Öanpte gibt, fondern principiell die Gemeinde ſich felbfi regieren läßt, fo 
iñ —— Grundſatz ausgeſprochen, den die Sekte ganz ebenſo gut auch auf ſich au- 
wenden und für fich geltend machen lonnte. 
Hat ſich auf dieſen Wegen ein auderer Staud der Dinge vorbereitet, ſo kam dazu 
mit dem des 18. Yahrhunderts die ungeheuere Veränderung aller Territorial⸗ 
verhäftssifie, wodurch die vorherige Einheit des Staates mit einer beflimmten Confeffion 
überall — mit wenigen Ansnahmen — gewaltfam aufgehoben wurde und jedem evan- 
gelicgen Lande mene Tatholifche Landestheile und umgelehrt zufielen. Dadurch wurde 
Ne Stellung des Fürſten zur Religion der Unterthanen nothiwendig eine andere, unie 
verſalere, es war Raum gemacht für eine Mehrheit religiöfer Benoffenfchaften inner- 
halb eines und befielben Territoriums; die Toleranz war damit gleichſam im großen 
Swle vorgezeichnet, wie es ſchon in der geiſtigen Temperatur der Zeit lag, daß die 
den Ruhm ber aufgellärten Duldfamkeit nad Friedrich's und Joſeph's 
Borgange micht miſſen wollten. Allein da man ebenſowenig Luſt hatte, nach nord⸗ 
aeritaniſchem Muſier alle religidſen Gemeinſchaften, Kirchen fo gut wie Selten, völlig 
sh ſelbn zu überlafjen, wodurch die einen wie die auberen nur noch Deuominationen 
werden, Die, je nachdem fie mit mehr oder weniger Glück Propaganda machen, an An⸗ 
hangerzahl ſehr verſchieden feyn können, vechtlic aber als Privatgefellihaften ſich durch⸗ 
«u8 gleich, eben: fo entfland jegt die Rothwendigkeit, zwifchen den Kicchen, die man 


Hr 


16 Selten 


als foldhe im engeren Berbande mit dem Staate fortbeftehen lafien, und zwiſchen ben 
Selten, die man dulden wollte, einen beflimmten, vechtlichen Unterſchied feftzuftellen. 
Bo der Eatholifche Klerus, Ultramontane und Yefuiten ihres Einfluſſes ſich wieder be- 
mädhtigt oder denfelben nie verloren hatten, beſtimmte fich jener Unterſchied einfach dar» 
nad, daß nur die katholifche Kirche als die von Gott geftiftete, die berechtigte fey; ihr 
gegenüber wurde, wie in Oeſterreich, die evangelifche Kicche nur unter fehr drückenden 
Beſchraͤnkungen geduldet und daduch rechtlich zur Sekte gemacht. Proteflantifche Re 
gierungen aber konnten ihrerſeits dagegen nicht Vergeltung üben, weil ſich die evange⸗ 
liſche Kirche felber diefe Art ausfchlieglicher Legitimität nicht zufchreibt; ale Rechtstitel 
fonnte für fie von Seiten des Staates nur der hiftorifche Beftand, ihr Gewurzeltſeyn 
im Leben bes Volles geltend gemacht werden, ſowie gleihmäßig für die enangelifche 
und Tatholifche Kirche in den paritätifchen Staaten das Princip der Gewiffensfreiheit 
ale Rechtsgrundfag ausgefprochen wurde. Dieſes Princip kam num aud) den Diffidenten 
zu gute; die Regierungserlaffe und Religionsedikte vom Anfang dieſes Jahrhunderts 
heben den Zwang zur Theilnahme an kirchlichen Handlungen infoweit auf, als es fidh 
dabei wirklich um rein religidfe Alte, und zwar um folche Handelt, in Bezug auf welche 
gerade eine Abweichung der Glaubensanficht befteht. Aber die Gewiſſensfreiheit ſchloß 
keineswegs auch im fich, daß die Diffidenten fo gut wie die Genoſſen der anerkannten 
Kirchen zum vollen Genuſſe der ftaatsbürgerlihen Rechte, zu Staatsämtern, zu ben 
Ständefammern u. f. w. zugelaffen, daß ihre Vorfteher und Lehrer den Stantsbeamten 
in Rang und Geltung gleichgeftellt, daß für ihre kirchlichen Bedürfnifſe vom Staate 
Unterftägungen geleiflet werden würden. Wie fie mit alledem Lediglich als Privatgefell- 
ſchaften auf fich felbft angewiefen waren, fo war mit jenem Ausſchluſſe von Aemtern 
u. f. w. ausgefproden, daß der Staat in ihren Weligionsmeinungen nicht diejenige 
Burgſchaft für ihr geordnetes, loyales Verhalten zum gefammten Staats. und Bolls- 
leben erkenne, die ihm die anerlannten Kirchen für ihre Genoſſen leiften; daſſelbe Miß- 
trauen lag darin, daß er nur die von der Kirche eingefegneten Ehen als legitim er- 
Härte, die Diffidenten alfo zwang, fi) von Beiftlichen der von ihnen doch verworfenen 
Kirchen trauen zu laflen, wogegen er der Erziehung der Kinder nad bem Willen der 
Eltern nihts in den Weg legte, und durch Feſtſetzung fogenannter Unterfcheidungsjahre 
den Kindern ebenfo die freiheit ficherte, bei reifer Einficht fi zum Glauben der Eltern 
zu belennen, als auch, ohne dem Zwange derfelben zu unterliegen, fidh einer Kirche an⸗ 
zufchließen. Verſchiedene fpecielle Punkte, wie die Eidesleiſtung und Eidesvorbereitung 
(vgl. 3. B. Büff, kurheſſiſches Kirchenrecht, Kaſſel 1861, ©.137.226), das Begräbniß, 
die feelforgerlichen Krankenbeſuche u. f. f. mußten theild von der Stantsgewalt, theils 
von den Kirchenbehörden geordnet werden, je nachdem die Orundfäge der Diffidenten 
md dad Verhalten derfelben zu ben Gliedern der Kirche (3. DB. die oft rohen Ausfälle 
ihrer Grabrebner) eine ftrengere Pragis erheifchten oder eine mildere zuließen. Sehr 
richtig ift auch die in dieſen Beziehungen mehrfad; gemachte Unterſcheidung zwifchen 
ſolchen Parteien, die als eine ganz fremde Confeffion und die nur als kranke, verirrte 
Glieder der evangelifchen Kirche betwachtet werden konnten. Das Speciellere, was in 
einzelnen Ländern und gegenüber den einzelnen Selten gejhehen und mas zu regiftriren 
bier nicht der Ort ift, findet fi in dem verfchiedenen Jahrgängen des „Wllgemeinen 
Kicchenblatte® für das evangeliſche Deutfchland“, feit 1852 redigirt don Prälat Mofer 
(Stuttgart, Cotta'ſcher Verlag). 

Ein bedeutender Schritt weiter zu Gunften ber Diffidenten gefchieht dann, wenn 
fie durch Beflattung der Civilehe vom Zwange zu Firhliher Trauung befreit werden, 
und wenn der Staat die Theilnahme an dem ftaatSbürgerlihen Rechten vom religidfen 
Belenniniß unabhängig macht, wie dieß Beides 1855 und 1861 in Württemberg, dem 
Sammelplage aller möglichen Sekten, gefhehen if. Jedoch wird dadurch nur der ein⸗ 
zelne Diffident mit Rechten ausgeſtattet, die ihm zuvor verfagt waren; Die Sefte felbft 
hat damit noch feine höhere Stufe im Öffentlichen Leben errungen. Deßwegen trachten 


Selten 17 


wenigſtens einzelne, wie die Slirfchenharbthöfer Tempelgenoſſen, nad; ftantlicher Anerken⸗ 
ung oder, dba bieß feine Schivierigleiten hat, nad; Aufhebung aller Staatsanerfennung 
za Suuften der Kirchen. Bis jet haben fich die Staatsbehorden und, troß der Pro- 
teftion, die die Radikalen aus Haf gegen bie Kirche den Sektirern gewähren, auch die 
Ständelunmern zu diefem Extreme nicht fortreigen laſſen. Es fragt fich aber, wie man 
unter dem — man Fam es nicht läugnen — ſtets noch um fich greifenden Sektenweſen 
gepenüber grundſätzlich fich zu verhalten habe. 

1. Am einfachſten, wenigftens nach der Meinung der Demokraten, die fich über 
Bieles leicht hinwegſetzen, was einem Anderen Rechts» und Gewiſſensbedenken macht, 
wärde der Staat zurecht kommen, wenn er eined Tages, wie oben bemerkt, nad, ameri- 
fanifchen Mufter ertlärte, daß er fortan ſich um Kirche, Religion, Belenninig und 
Coltus Iedigfich nichts mehr befümmere. Die Kirchengüter, die er ſich angeeignet hat 
mit dem Berfprechen, feinerfeit8 die Mittel zum Beſtand der Kirche darreichen zu 
wollen, würden, mit fattfamen Abzügen ımter allen möglichen Rechtstiteln, um welche 
die Abvolaten mit verlegen wären, vielleicht herausgegeben, vielleicht auch nicht. Dieſer 
legtexe Punkt ift für manche Staatsmänner wohl der Hauptgrund, der file bon jenem 
Experimente abſchreckt; fie fehen aber wohl auch ein, daß die amerifanifchen Zuftände 
nicht gerade die find, die für einen auf gefchichtliher Grundlage ruhenden deutfchen 
Staat wänfdenswerth, erfcheinen; daf der Staat, vermöge ber flttlichen Fundamente, auf 
bie ex fi fügen muß, und vermöge ber Connerität des Sittlichen mit dem Religidfen, 
leineswegs gleichgültig zufehen darf, ob fich das Volk religiös zerflüftet und welche Aus- 
wüchle refigiöfen Aberwitzes zum Borfchein kommen und Raum gewinnen. ber eben 
fo wenig fann der Staat fich zu folder Liberalität verſtehen, jede Religionsgefellichaft, 
die heute entſteht und über's Jahr fchon wieder bom einer anderen überflügelt oder auf- 
gefogen iſt, gleichmäßig, wie Die großen gefchichtlihen Körperfchaften, die Kirchen, an⸗ 
zaertennen, z. DB. jeden Schuhmacher oder Leineweber, den eine Selte zu ihrem Bifchof 
oder Dialonus macht, mit derfelben fides publica zu befleiden, wie die Geiftlichen einer 
Kizche, die ihre Diener durch wifjenfchaftliche Studien, durch philologifche, philofophifche, 
theologiſche und allgemeine Bildung von Iugend auf vorbereitet und unter Staatscon- 
role umfafienden Prüfumgen unterwirft. Diejenigen Religiondgefellfchaften, welchen der 
Staat die Anerkennung im reditlichen Sinne diefes Wortes fol gewähren können, deren 
Erifteng, Gedeihen und Wirkſamkeit er als ein nationales Intereſſe in den Kreis feines 
Schutzes amd feiner Fürforge aufnehmen fol, müflen im Stande fen und diefe Fähig- 

fe geſchichtlich bewieſen haben, ein ganzes Volt zu durchdringen, es für ſich zu ge⸗ 
wimen und ihr Ticchliches Leben zu einem integrivenden Beftandtheile des Vollslebens 
m modern. Sie müffen für das Leben der Nation etwas geleiftet haben als Träger 
derjenigen Cultur, mittelft welcher das Chriftenthum dem allgemeinen Menſchenwohle, 
‚ ber Humanität zu dienen berufen if. Das haben nur die großen weltgeſchichtlich 

anfgelzetenen Confefflonen vermocht; den Selten ohne Ausnahme mangelt diefe Fähig⸗ 
keit, weil fie von Haus aus viel zu viel SMeinliches, Eigenwilliges, einer gefunden 
Sollsthämlichteit Widerfivebendes haben, wie denn kaum eine Sekte wird genannt werden 
Ünmen, die nicht ſchon zeitig wieder im fich ſelbſt Spaltungen erlitten hätte, — ganz 
natũrlich, weil der Eigenwille, der auf religidfe Extreme und Abfonderlichkeiten verſeſſen 
if, felbft diejenige Gemeinfamkeit, bie in ber Sekte den Einzelnen nöthigt, fi dem 
Ganzen unterzuorbnen, nur bis zu einem gewiſſen Grad erträgt. Wir kennen folde 
Heilige, die von einer Sekte zur anderen und von biefer zu einer dritten umd vierten 
wandernd und zuletzt eigene Sreife um ſich bildend, dem thatfählichen Beweis liefern, 
daß das Princip, woraus bie Seftirerei erwächſt, fehließlich zum abfoluten Indepen⸗ 
dentiemus jedes Einzelnen oder wenigſtens dazu führt, daß in jedem Kreiſe nur Eine 
eaergiſche Perfönlichteit exiſtiren Tann, zu der fidh alle Uebrigen als Nullen verhalten. 
Solchen Barteien, deren mande ja bloß lokal vorkommen, alfo ein Minunum von 
Unsdehnumgsfähigfeit in fich tragen, erweiſt der Staat volle Gerechtigkeit, wenn er ihnen 

Real »Encykiopäbie für Theologie und Kirche. Suppl. IIL 9 


18 Selten 


die Freiheit der devotio domestica gewährt, fie weder zur kirchlichen Taufe noch Com⸗ 
munion, weder zur Confirmation noch zur Trauung und zu firchlihem Begräbniß 
zwingt; er kann ihnen fogar ohne Nachtheil, wenn fte zahlreich genug find und Lehrer 
bon genügenden allgemeinen Senntniffen, die vom Staate geprüft find, aufweiſen Töunen, 
das Recht zur Gründung eigener Schulen gewähren; aber mehr als dieß auch fchlechter- 
dings nicht. Die Zulaſſung zu Staats» und Gemeindeämtern bat ihre großen Gefahren, 
weil jeder Sektirer partetifch if; der Sektengeift ift ein Geift des Hafles gegen Alles, 
was außerhalb der Sekte fleht, und diefem Geifte darf der Staat keine Macht über 
feine Bürger anvertrauen. Wenn dagegen den Kirchen die faatliche Anertennung gewähr- 
feiftet if, fo hat damit der Staat auch die Pflicht übernommen, fie gegen die Angriffe 
der Selten zu ſchutzen; eine Pflicht, die er entfchieden verlegt, wenn er 5. DB. den Me⸗ 
thodiften geftattet, eigene Bethäufer in evangelifchen Gemeinden zu bauen, durch deren 
Borhandenfeyn die Selte den Schein einer anerkannten Oeffentlichkeit gewinnt. 

2. Wus nun aber die Kirche, nämlich die evangelifhe, anbelangt, fo tft fie in 
Vergleich mit der katholifchen dadurch im Nachtheile, daß fie, wie oben erinnert, fidh 
auf eine äußere Legitimirung, auf eine ihr allein zufommende göttliche Autorifirung nicht 
berufen Tann; die Selten können für ſich bafjelbe Hecht geltend machen, da8 die evan⸗ 
gelifche Kirche gegen die fatholifche geltend macht, das der Freiheit der veligidfen Ueber» 
jeugung. Und wenn unfere Kirche an die Stelle des Pabſtes die heil. Schrift fekt, 
um fich durch diefe als die allein wahre, zu echt beftehende Kirche zu legitimiren, fo 
behauptet jede Sekte dafjelbe, fie ftügen ſich alle auf die Schrift; und da die kirchliche 
Eregefe unläugbar unter dem Einfluffe ſchon vorhandener kirchlicher Traditionen und 
Inftitutionen fteht, während die Seltirer gerade hiegegen Oppofition machen und we⸗ 
nigftens da, wo es ihnen dienlich ifl, fi obftinat an den Buchflaben halten, fo hat 
die Kirche, wenn fie ſich durch Exegefe deden fol, in manchen Punkten, 3. B. in Betreff 
der Findertaufe, einen fehwierigen Stand. BPrincipiel will fle nur Schriftlehre haben, 
und zwar nad dem Wortlaut der Schrift, folgt aber faktiſch zugleich — und mit vollem 
Recht — ihrem hiftorifchen Sinne; diefen haben die Seltirer nicht, fondern bleiben 
fteif und feft bei dem, was und wie e8 die Schrift fagt, und find dadurch mehrfach 
entfchieden im Bortheil. Ya noch mehr. Bei vielen Selten befleht das, was fie von 
der Kirche in Lehre und Leben trennt, genau betrachtet, bloß darin, daß fie einen von 
der Kirche felbft behaupteten Lehrpunkt mit rüdfichtslofer Conſequenz fefthalten und den⸗ 
felben in abitrafter Faſſung auf die Spige treiben. Die Lehre von der Taufe, von ber 
Begnadigung und Belehrung, von der Kicche als Gemeinſchaft der Heiligen find ſolche 
Punkte, wo Baptiften und Methodiften, Michelianer und Pregizerianer der Kirche jagen 
fönnen: wir lehren, was du Iehrfl, aber wir machen Ernſt damit, während du immer 
wieder der einen Lehre durch eine andere die Spige abbrichſt. Daraus geht, um diefe 
praftifche Folgerung fogleich anzufügen, für die Kirche die Nothwendigfeit hervor, beſſer 
als es ihre Dogmatik von Alters her gethan hat, die Dogmen in der Wiſſenſchaft und 
im BollSunterricht fo zu faſſen und bdarzuftellen, daß jener Vorwurf entfräftet wird. 
Es ift befannt, wie wenig insbefondere Luther felbft fi) darum gefiimmert hat, ob feine 
Lehre und Ausſprüche auch zufammen ein fuftematifches, wohlproportionirtes Xehrgebäude 
abgeben; feine unbedingten Anhänger machen aus diefer feiner Sorglofigleit (wie Hun⸗ 
deshagen a. a. D. ©. 33 diefe Urt Luther's treffend nennt) einen Ruhm und nennen 
das Begehren nad; wijjenfchaftlicher Einheit des Gedankenſyſtems ein ratiomaliftifches; 
die Seften Lehren und, daß es um foldhe Einheit und Confequenz denn body nichts fo 
Mebles wäre. Man kann freilich erinnern, daß ja auch die reformirte Kirche der Sekten⸗ 
bildung nicht entgangen fey, obſchon Calvin auch in der genaunten Beziehung ſich gar 
ſehr von Luther unterfcheidet. Aber die reformirten Selten find zum weitaus größten 
Theile dem Boden Englands entſtammt, alfo gerade derjenigen Kirche, welcher der Pfahl 
des Katholicismus noch tief im Fleiſche fleden geblieben if. — Mit einer anderen 
Gattung von Selten verhält es ſich anders. Diefe urgiren nicht, wie jene exfleren, 


Selten 19 


eitzeine Schrift» oder Kirchenlehren, fondern fie wollen diefelbe ergänzen, indem ihre 
Mitglieder oder doc; die Hänpter ſich neuer, unmittelbarer Offenbarumgen rühmen. Im 
besfhiedenen Formen findet fich diefe Art bei Smwebenborg, bei den Irvingianern, den 
Nazarenern, auch bei Michael Hahn. Diefen gegenüber ift es der Kirche zwar leichter, 
die rechte Bofition zu nehmen, indem fie, wie es die Reformatoren getban, der großen 
Unfiherheit aller folcher Eingebungen gegenüber, fich an das fichere, geichriebene Wort 
hält. Aber zu Zeiten entfleht and) in ben Theologen ber Kirche eine Neigung, bie 
fie in ſehr nahe Berührung mit jenen bringt: das ift die Apolalyptil, die Chiliaſtik, 
die dann wieder, je nachdem die Phantafle fid, Farben dazu wählt, allerlei verſchiedene 
Geſtalten annimmt. Wie nun, wenn die Prediger und Katecheten ſich mit Vorliebe in 
biefen, für ums Andere fo dunfeln, für fie aber ſchon hodhzeitlich erhellten Gebieten er- 
gehen, ifl’8 dann ein Wunder, wenn in Köpfen von allerlei Gattung foldye Predigt 
zändend wirft? Dieſe bleiben dann aber nicht bei dem fichen, was ihnen der Pfarrer 
fagt; fie fuchen und finden Leute, die ihnen nod viel wunderbarere Dinge zu fagen 
wien — umd das find die Sektirer. Die paflorale Lehre, die aus diefer altenmäßig 
ya comflatirenden Thatfache ſich ergibt, Liegt fir Ieden, der nüchtern iſt, auf der Hand. 
Rod, aber if ein Punkt zu beleuchten, der das Berhältniß zwiſchen Kirche und 
Echte ſchon jegt und mit der Zeit vielleicht immer mehr zu einem ſchwierigen macht. 
Nicht daB meinen wir, was ſich freilich von felbft verfieht, daß die Diener ber Kirche, 
wenn fie micht einen eremplarifchen Wandel führen, wenn fie nicht ben religidfen Be⸗ 
bürfaifien ihrer Gemeinden, wo immer ſolche fund erden, durch die angeftrengtefle, 
auch freiwiſlige Thätigleit (3. B. Bibelſtunden) Befriedigung gewähren, ſelbſt die Schuld 
tragen, wenn ihre Pfarrkinder den Scleihern Gehör geben, die die Untauglichleit, bie 
Goulheit, den Geiz der Pfarrer als Beweis hinftellen, daß die Kirche ein Babel ſey. 
In diefer Hinficht fleht & mit dem evangelifhen Predigerflande dermalen wohl durd). 
ſchnitilich beſſer, jedenfalls nicht fchlimmer als vor 50 und 100 Jahren. Sondern es 
finder zwiſchen dem religidfen Vollabewußtſeynm und zwifchen dem wiſſenſchaftlich gebil⸗ 
beten Denlen bes Theologen, des Predigers eine Differenz ſtatt, in Folge deren fehr 
leiht bie Seltirer dem Volle (und aus gleicher Urſache auch manchen Gebildeten) näher 
Reben, als die Diener der Kirche. Jene operiren mit ſehr finnlichen Vorſtellungen; es 
if, wie weit fie auch fonfl unter fich didergiren mögen, dod die Maffivität der Begriffe 
eine ihnen gemeinfame Eigenfhaft. Das nun iſt's, was auf die Menge umter dem pro⸗ 
teflantifchen Volle ebenfo ſtark wirkt, d. h. die Phantaſie derfelben befchäftigt und ihr 
ben Genuß einer Rervenerfchütterung bereitet, wie in feiner Art der Katholicismus au 
diefem Birken auf Phantafie und Sinnlichkeit einen feiner mächtigften Hebel befigt. Bei 
den Älteren Predigern unferer Kirche nun war, freilich nicht in der rohen Weife eines 
Rehobiftenpredigers in Amerila’s Wäldern, doch diefes finnliche Element gehörig ver- 
teten; z. B. die Berföhnung durch Jeſn Tod, das Verhältniß der einzelnen Seele zum 
deren bei der Belehrung, Rechtfertigung, Berfiegelung, ferner die Gefahren, bie ber 
Seele vom Teufel drohen, der Zuftand der Seligen und Verdammten, dann wieder 
der Zorn und die Strafgerichte Gottes, die Imfpiration der Schrift u. f. w., das 
Alles dachte man ſich in einer finnlicheren, der Vollkavorſtellung weit homogeneren Form, 
als dieß von der neueren, auch der gläubigen Wiffenfchaft gefagt werden kann. Diefe 
foßt z. B. die einzelnen Eigenſchaften und Thaten Gottes firenger in Einheit mit der 
driftlichen Grundidee von Gott; fie legt in dem foteriologifchen Lehren das Haupt⸗ 
geiwicht auf das ethifche ment; und was die Realitäten dex unſichtbaren Welt be 
trifft, fo ift ſie zwar weit entfernt, diefelben zu läugnen, aber fie hütet ſich, diefe Rea⸗ 
Itäten fchon näher beſtimmen oder befchreiben zu wollen, weil fie hiefür feine wiſſen⸗ 
ſchaftliche Bafis hat, fondern nur mittelſt der Phantafle, die die biblifchen Bilder noch 
weiter ausmalt, alfo nicht mittel wiflenfchaftlicher Methode, zu Ausſagen gelangen 
Dunte, die auch die Einbildungekraft volllommen befriedigen. Wenn wir demgemäß 
unfere Zuhörer mehr zu chriſtlich⸗klarem und praktifch fruchtbasem Denten, als zu 
ge 


20 Selten 


frommen Phantafleen, mehr zu dem, was ſichere, hiftorifche, pfuchologifhe und ethifche 
Wahrheit if, als zu Borftellungen anzuhalten fuchen, die fich wiſſenſchaftlich nicht recht⸗ 
fertigen laſſen: fo handeln wir im Gehorfam gegen die erfanmte Wahrheit; unfer Ge⸗ 
wiffen, wie unfere Bildung läßt uns diefe Mittel zum Zwecke der Popularität nicht 
anwenden. Daher aber rührt ed nun auch, daß die Menge derer, die ein religidfes 
Bedürfnuig haben, dafjelbe aber nicht auf dem Wege ernften und doch befcheidenen Dentens, 
fondern durch maffive Vorſtellungen und.ginnliche Phantaflereizungen befriedigen mögen, 
fid) von den Seltirern befier bedient fleht, al® von und. Dean Tann fagen: wie ber 
oben beſprochene xealiftifch - hiliaftifche Zug in einem Theile der neueren Theologen auf 
bireftem, pofltivem Wege, fo führt der Schleiermacher'ſche Zug in emem anderen Theile 
auf negativem Wege den Selten Anhänger zu. Die traurige Wahrnehmung, daß felbft 
in Städten, die ſich gediegener, geiftvollee Prediger erfreuen, der nächſte befte Selten» 
läufer für das armfeligfte, geſchmack- und geiftlofefte Gerede ein eifriges Publikum 
findet, erflärt fih uns eben daraus, daß es in allen Ständen nicht Wenige gibt, die 
für den Glauben nur zugänglich find, wenn er mit einer Doſis Aberglauben verſetzt iſt, 
Leute, für welche dann allerdings gerade fol ein Menſch das providentielle Werkzeug 
feyn Tann, durch das fie allein veligid® angeregt werden können. — Das richtige paſto⸗ 
rale Verfahren unter fo bewandten Umfländen ift, daß der Geiſtliche wenigſtens Alles 
anwendet, um in feiner Gemeinde dem reinen chriftlichen Sinne, der ebenfo fehr firenger 
Wahrheitsfinn als fefte und treue Richtung des Gemüthes und Willens auf den leben» 
digen Gott und Erlbſer ift, Raum zu ſchaffen umd fo wenigſtens einen gefunden Kern 
in dee Gemeinde zu bilden, der dann keiner befonderen Verwarnung vor jenen Wühlern 
bedarf, weil er felber fchon geiftig höher fleht, als fie, und fein religidfer Geſchmack 
fhon zu gebildet if, um an ihrem Reden und zudringlichen Treiben Gefallen zu finden, 
Man hat auch gefunden, daß, wo eine fogenannte Gemeinfcaft befteht und dieſe von 
tüchtigen, anfländigen Männern geleitet wird, die mit dem Geiftlichen in freundlichem 
Verlehr fliehen und an ihm einen Halt haben, die Mitglieder derfelben am allerwenigften 
den feltirerifchen Einflüffen zugänglich find. — Wo folde Umtriebe im Gang oder im 
ber Nähe find, da wird der Geiftlihe die fraglichen Differenzpunfte in der Lehre auf 
dem geordneten Wege, in Predigt, Katechefe und gelegentlichen Verkehr mit den ein⸗ 
zelnen ©emeindegliedern forgfältig und ohne perfdnliche Imveltiven in's Licht ſetzen; 
mit den ſchon Ausgetretenen, die fich als ſolche gemeldet haben, hört der paftorale Ver⸗ 
kehr felbfiverfländlich auf. Schwierig wird die Sache befonders dann, wenn die Seltirer, 
wie es namentlich die Methodiften im Brauch haben, beftimmt erflären, daß fle durchaus 
nicht beabfichtigen, eine Trennung von der Landeskirche herbeizuführen; indem fie hier- 
nad unter dem Schuge des Verfammlungsrechtes ſtehen, Iodern fie insgeheim dennoch 
das kirchliche Band; nach kurzer Frift erlauben fie fich geſetzwidrige Handlungen, 3. B. 
die Feier des Abendmahls im Conventifel oder die Haltung von Berfammlungen zu 
gleicher Zeit mit dem Gemeindegottesdienft, und wenn man fie darob zur Rede ftellt, 
berufen fie fich auf ihr Gewiſſen, das ihnen nicht erlaube, auf diefes Recht und dieſen 
Segen zu verzichten. Haben fie damit die Kirchenbehörde gendthigt, fie wegen lnge- 
borfoms anszufchliegen, fo protefticen fie dagegen als gegen einen Gewaltakt. Durch 
diefe Unreblichkeit, die Wohlthaten der Kirche fortwährend zu beanfpruchen, ihren Ord⸗ 
mungen aber ben Gehorſam zu verfagen, darf fich die Kirche wicht hinhalten und hinter- 
gehen laſſen. Andererfeits ift es Sache Tirchenregimentlidyer und pafloraler Weisheit, 
die Bethörten weder hinauszudrängen, noch and, den Wiedereintritt in Folge einer nicht 
felten bald eintretenden Exrnüchtermg durd zu viele Formalitäten zu erfchiveren. Im 
diefen Stüden thut die Kirche wohl, den Haß, den die Sektirer gegen fie hegen und 
pflegen, mit Liebe umd Geduld zu vergelten. 

Die Orundfäge, welche die Eifenacher Kirchenconferenz im Juni 1855 über bie 
Behandlung der Selten aufgeftellt hat und welche als die richtigen anzuerfennen find, 
finden fih in dem Allgem. Kicchenblatt fir das evangel. Deutfhland, Jahrg. 1855, 


Selten 21 


6. 419 ff.; fpecielle Iuftrultionen, die die württembergifche Synode in Bezug anf bie 
Methodiſten und die Eonfeffion des Tempels (Hoffmannianer) erlaſſen hat, f. ebendaf. 
Yohrg. 1860, ©. 195. 1864, ©. 134. 1860, ©. 129. 1861, S. 397. 401. Eine 
populäre Schrift „Bon der Seltirerei”, welche die Stuttgarter evangelifche Gefellichaft 
old Nr. 148 ihrer Zractate ausgegeben bat, ift als belehrende Lektüre für Gemeinde- 
glieder zu empfehle. — 

Ueber die Stellung des chriſtlichen Privatgewifiene zum Seltenweien, bie wir 
oben als eine noch in den Bereich unferer Erörterung fallende Trage bezeichnet haben, 
fügen wir — außer dem, was fchon oben auch nach diefer Seite hin gefagt if — 
Folgendes bei. Die zu einer Sekte Vebertretenden geben immer vor umd meinen wohl 
auch Öfters, fie feyen zu diefem Schritte duch, ihr Gewiſſen gendthigt, ganz ebenfo wie 
Luther durch fein Gewifſen aus dem Schooße der römifhen Kirche heransgetrieben 
wurde. Daß formell Jedem biefes Recht, d. h. eben die Gewiſſensfreiheit, zufteht, iſt 
Mar. Über e8 kommt mm immer darauf an, ob materiell ein verpflichtender Grund 
dayı borfieg. Dem wie uns fonft im Leben Jeder, der ein Pietätsverhältnig freis 
willig und gewaltſam loſt, ſtets einen hochſt widrigen Eindrud macht, ungefähr wie ein 
Gatte, der fi vom Gatten hat fcheiden lafien, oder wie ein Weberläufer im Kriege, 
fo ſtellt ſich uns in erſter Linie jeder folcher Wechfel umter den Gefichtspunft einer Un⸗ 
trene, der hier umfo berechtigter ift, als wer von der evangelifchen Kirche zu einer Selte 
übertritt, damit gegen bie Kirche, die feine geiflliche Mutter, Gxzieherin und Wohl» 
thäterin war, fchweren Undank beweiſt. Haben doc die Selten das Beſte, das Wahre, 
was fie befigen, nur ans den Quellen gefchöpft, die die ebangelifche Kirche unter 
ſchweren Kämpfen gedfinet hat. Es brüdt ſich jene Impietät fehr häufig dadurch ganz 
unmittelbar aus, daß Leute, denen ihr Seelforger zuvor theuer und werth war, fobald 
fie einer Sekte in's Net gefallen find, ihm mit perfönlichem Hafle, mit Schmähung 
und Beradhtung begeguen — ein häßlicher Zug, der ein richtiges Gewiſſen zum Boraus 
ſchon gegen jenen Schritt bedenklich machen ſollte. Nun freilih, der Menſch ſoll ja 
and) Bater und Mutter verlafien, ja haffen um des Herrn willen; wo das Seelenheil 
auf dem Spiele fleht, darf die Pietät felbft gegen die Kicche, wie gegen Eltern und 
Baterlaud nicht der entfcheidende Grund ſeyn. Aber das eben if die Frage, ob bie 
ebangefifche Kirche das Seelenheil hindert, flatt es zu fürdern, und ob die Sekte dafs 
felbe, wie vorgegeben wird, nicht nur fördert, fondern fo zu fagen affeturirt. Die Kirche 
gibt Jedem Gottes Wort, fie hält anf gefunde Lehre und fliftungsmäßige Sakraments⸗ 
verwaltung. So lange das ift, fo lange ift der Weg, den fie mit ihren Genofien gebt, 
auch der richtige. Wer in der Lehre vom Heil in Chriſto und von der ‚Rechtfertigung 
Var, den Glauben bdiffentirt, der freilich kann nicht in ihr daheim feyn; aber wer darin 
einverfanden ift, für den fällt jeder Grund des Austrittes weg. Ex klagt wohl, daß 
1) nicht Alles gelehrt werde, was er glaubt, alfo z. B. kein Ehiliasmus, feine Apola- 
taſtaſis. Über ift das Gewiffensberrädung? Bleibt ihm nicht die Freiheit, das, was 
ihm fehlt, wofern es mit der Glaubensgrunblage im Einklange fteht, in feinem eigenen 
Berauteufuften zu ergänzen? Das genügt ihm freilich nicht, er möchte auch die Ans 
deu uöthigen, daſſelbe Syſtem genau fo, wie er es fi) ausgedacht hat, anzunehmen ; 
das iſt aber nicht mehr Antrieb feines Gewiſſens, fondern feines Eigendünkels. Er 
Hagt 2) daß die Kirche fo viele unwürdige Glieder und fo viele Mißſtände an ſich 
babe. Das weiß die Kirche felbft, fie arbeitet unabläffig an Beflerung der erſteren 
un) Befeitigung der letzteren; aber fe trägt in Demuth diefes Kreuz und die Schmach, 
die fie im diefer Welt doch mie ganz vom fich abivälzen kann. Sener aber, indem er 
fih ſchänt, mit Zöllnern und Sündern zufanmen in Einem Kicchenverband zu feun, 
zeigt mu, welch ein Pharifäer er felbft ift; wer, flatt in Liebe die Schwaden, bie 
Sünder zu tragen, überall umberfchaut, ob nichts da fey, voran er ein Wergerniß neh- 
men Tinne, der hat nicht Chriſti Sinn; es tft abermals nicht das Gewiflen, fondern 
der Hochmuth, ber ihn treibt. Und dazır ein vecht thörichter; denn würde ex die Augen 


22 Selbſtliebe 


aufthun, ſo müßte er ſehen, daß ganz dieſelben Uebel jeder Sekte anhaften, weil auch 
dieſe Heiligen eben fündige Menſchen find. Iſt's alſo je das Gewiſſen, das Einen aus 
der Kirche hinaus» und in bie Sekte hineintreibt, fo iſt's im beften Falle ein irrendes, 
ein verfchrobenes Gewiſſen, während meiften® ganz andere Wurzeln als das Gewiſſen 
ſolch bittere Frucht bringen. — Wir fchließen mit einem Worte, das Nägelsbad (im 
der Schrift „Ueber kirchliche Gemeinfchaft und Austritt aus der Kirche“, Exlang. 1854 
©. 49) gegen die neulutherifchen Separationsgelüfte in Bayern gefprochen hat: „Kirchen 
machen ift fein ehrlich Handwerk; man pfuſcht damit dem Herrn in's Handwerk, der 
allein Kirchen zerftören und Kirchen bauen kann. ... Im der Kirche darf Keiner fein 
Seelenheil opfern, denn das ift geborgen, fo Lange er noch feine Bibel hat; nur feine 
Ideale muß er opfern”; und das iſt — fegen wir hinzu — ein Opfer der Selbfl- 
verläugnung, das das Gewiffen nicht nur nicht mit Proteft zurüdweift, fondern das 
gerade das Gewiſſen von ımferem alten Adam fordert. Palmer. 

Selbſtliebe (geAavria) tann, wie ſchon Ariſtoteles (Nil. Ethik IX, 8) be 
merkt, im fchlimmen Sinne genommen werden und die habituelle Neigung bezeichnen, 
fi zum Mittelpunfte alles Dichtens und Trachtens zu machen, dem „Lieben Ich“ jede 
andere Rüdficht unterzuordnen und fo mit mehr oder weniger Bewußtſeyn dem Grund⸗ 
faß zu folgen: „erft komme ih, dann ich noch einmal, dam mein Nächfler und der 
bin ich.“ Imfofern ift die Selbfiliebe gleichbedeutend mit Selbfifuht (Egoismus) 
fhon dom allgemein menfchlihen, mehr noch vom fpecififch» hrifllihen Standpunkte 
fittlich verwerflich duch und durch und, auch in ihrer feineren Geftalt, wo fie fich vor 
jedem bürgerlich fteafbaren Bergehen hütet und fich fogar im die fcheinbar uneigen- 
nüsigften Beftrebungen hüllt, die Urfache zu einer ganzen Reihe von „Werfen bes 
Fleifches +, Sal. 5, 19., ja die Hauptwurzel des Böfen in der Menſchenwelt (vergl. 
1 Tim. 6, 10). 

Im Gegenfage zu diefer Art don Selbſtliebe fordert da8 Evangelium Matth. 
14, 16. Marl. 8, 34. Luk. 9, 23. 14, 26 u. 33. GSelbftverläugnung, freie Verzicht: 
leiſtung auf Alles, was dem eigenen Selbft angenehm und werth ift, um des fittlichen 
Zweckes oder des Reiches Gottes willen, auch mit Darangabe des Lebens, Joh. 12, 25. 
15, 13. Die fittliche Vollendung und Vorbildlichkeit Chrifti liegt hauptjächlich in diefer 
Selbftverläugnung, Phil. 2, 5. Dagegen findet fi in den Schriften des Neuen Te⸗ 
flaments kein allgemeines direktes Gebot der Selbftliebe in rein fittliher Form. Und 
wenn es als zum Weſen der Liebe überhaupt gehörig betrachtet wird, daß fie einestheile 
verfchiedene Perfönlichleiten vorausſetzt, anderntheils zwiſchen ihnen Gemeinfchaft ftiftet, 
fo muß, fireng genommen, der ganze Begriff der Selbfiliebe angefochten werden und 
als Widerfpruch erfcheinen, da eine Gemeinfchaft, welche innerhalb der eigenen Perfon 
bleiben foll, keine mehr iſt. Damit fiele jedoch auch der ganze Begriff der Selbftpflicht 
weg, eine Conſequenz, zu der ſich manche Ethiker wirklich verflanden haben. — 

Nun Tann e8 aber nimmermehr Aufgabe einer gefunden Ethik ſeyn, um folder 
zum Theil doch nur formaler Gründe willen die Ausfogen des fittlichen Bewußtſeyns 
zu ignoriren, welche eine vernünftige Eigenliebe anerkennen und fordern, wie fdhon der 
je länger defto fchärfer ausgeprägte Unterſchied zwiſchen ihr und der Selbſtſucht beiveift, 
ein Unterſchied, welcher auch in dem Begriffe des Selbftifchen liegt und dadurch noch 
nicht erfhöpft wird, daß man ihn nur graduell faßt; er mweift vielmehr auf einen tiefer 
liegenden Grund zurüd. Ebenſowenig find Ausſprüche der Schrift, wie Eph. 5, 28 f., 
zu überfehen, in welchen Selbfiliebe als etwas ganz Natlirliches voransgefegt und un⸗ 
befangen zufammengeftellt wird mit den höchften chriftlichen Gedanken. Und reicht auch 
die auf die altteftamentliche Forderung 3 Mof. 19, 18. geſtützte Antwort Jeſu Matth. 
22, 39. Mark. 12, 31. (vgl. Röm. 13, 9. Sal. 5, 14) nicht bin, um aus ihr ohne 
Weiteres direft das chriſtliche Gebot der Selbftliebe parallel mit dem der Nüchftenliebe 
abzuleiten, fo erfennt diefe Antwort doch die erftere als felbfiverfländlih an; zu ge⸗ 
fchweigen der vielfachen apoftoltfchen Mahnungen zur Selbfiprüfung, Selbfibemährung, 


Gelbftliche 23 


Gebfierenerung, welche fidh unſchwer auf die rechte Selbfiliebe zurüdführen und als 
chenſo viele Aeußerungen von ihr darftellen laſſen. 

Dieß vorausgeſetzt, ift die allgemeine oder philofophifche Ethik berechtigt, Selbſt⸗ 
fiebe zu fordern in bem Sinne, daß Jeder die Idee der Menfchheit oder die menſchliche 
Perſdulichleit, wie fe im ihm urſprünglich angelegt ift, erfeume, achte und durch freie 
Hingabe an fie nad) jeber Seite hin immer mehr entwidel. Hier maltet alſo das 

ip und macht die Menſchenwürde geltend, welche dann eben fo fehr in 
jedem Anderen anerfannt, geachtet, gefördert und in lebendiger Gemeinſchaft verwirklicht 
werben fol. Die theologiſche Ethik dagegen fordert die Selbftliebe ala die auf die 
eigene qhriſtliche Perfönlichkeit gerichtete Geftunung, welche aus der Liebe zu Gott in 
Chriſto entfpringt, ihn im Herzen heiligt, 1 Petr. 3, 15., fein in der Wiedergeburt 
ons Glauben und Geift wieder erlangtes Ebenbild vor jeder Befledung bes Tleifches 
und Geiſtes zu bewahren, 1For. 7, 1., und im Geiſte des Gemüthes zu erneuern 

4 


heit zur anderen, 2 Kor. 3, 18. 

Dbjet wie Subjekt der chriſtlichen Selbftliebe unterfcheiben ſich aljo vom der na» 
türfichen, welche auc aus bem Triebe nad, Selbflerhaltung und Wohlſeyn hervorgeht. 
Beides iſt bei jener bie wiedergeborene Perfönlichkeit, bei biefer der Menſch, wie ex 
no unter der Herefchaft des Fleifches und der Sünde flieht, Roͤm. 7, 14. Jene iſt 
Tugend, recht eigentlich perfönliche Tugend, bei welder ber Chriſt fidh felbft Gott zu 
einem lebendigen, heiligen, ihm tohlgefälligen Opfer begibt und fo ben vernünftigen 
Bottesdienft vollzieht, Roͤm. 12, 1. Diefe ift und bleibt Affekt, möglicher Weife mit 
großer Umficht und Berechnung verbunden, dam aber nur umfo mehr von Gott und 
bon der Liebe zus ihm tvie zu dem Nächten ab- und in jene Sinnedart hineinführend, 
welche im Streit mit den Sefuiten barbarifch aber treffend wohl als Solipsismus be- 
yihue word. Bei ihre wird dev Menſch, weil er nur fi in feiner Egoität zum 
Vak der Dinge macht, nicht bloß engherzig, ſondern auch thöricht, 2 For. 10, 12,, 
während die rechte Selbfiliebe zugleich Weisheit if. Röm. 16, 19. 

Vie eng aber beide, Selbft- und Nächftenliebe, mit einander verbimden umd tie 
fle nur die coorbinixten Seiten find, in welchen bie Gottesliebe nach ihrer weiteren 
Entfaltung und der Richtung auf die menſchliche Perfönlichfeit hervortritt , ergibt ſich 
beraus, daß nicht bloß die Selbfiliebe an der Nächftenliebe die von Gott geordnete 
Schranle bat, fondern auch diefe von jener in vieler Hinficht erſt die Möoglichkeit em- 
pfängt, fih auf die rechte Weife zu bethätigen. Hat ber Menſch, wem er den Nächften 
nicht liebt, fittlich betrachtet auch kein Hecht, ſich felbft zu lieben, und würdigt ber 
Egoift fein wahres Selbſt in eben dem Grade herab, wie ex feinem Egoismus fi, hin⸗ 
gibt, fo fan umgelkehrt nur wer im beften Sinne Etwas auf ſich hält und aus fid 
macht Anderen Etwas ſeyn und für fie thun. Daher fi jede Selbfipflicht zugleich als 
Röcfenpflicht, jede Nächftenpflicht zugleich als Selbfpflicht faſſen läßt, wenn dabei der 
freilich nur zu Leicht ſich einfchleichende Eudämonismus vermieden wird. 

Ja Uebrigen nimmt die chriftliche Selbfiliebe einen doppelten, ſchon oben ange: 
deuieten Karalter an, einen mehr negativen oder mehr pofitiven, der aber der Natur 
der Sache nach fließend ift und mit der gerechten und dienenden Liebe als Zweigen der 
Rihftenliebe verglichen werden kann. Jener entſpricht die Selbflahtung, die mit 
Dennth umd Beicheidenheit verbundene Gefinnung, vermöge dexem der Chrift, vom Be⸗ 
wußtfenn der ihm verlichenen Würde bucchdrungen, Alles meldet, was bdiefelbe irgend⸗ 
Inte derletzt und fhäbigt. Daraus geht die rechte Selbfibewahrung hervor, deren eif- 
rigſte Sorge es ifl, die Gnade Gottes nicht vergeblidh zu empfangen und aus dem 
Stande dexfelben nicht heranszufallen, 2 Kor. 6, 1. Auch die geiftlihe Wachſamkeit 
gehört mit hierher. — Auf dem fo gewonnenen und feftgehaltenen Grunde treibt die 
Selbſtliebe daun aber weiter zur fortgehenden Selbfternenerung, welche die ganze chrift- 
Ge Selbfkbildung oder Selbfiveredelung in ſich begreift, die nichts rein 





24 Sendomir 


Menſchliches fern von ſich hält, fondern beim Streben nad, allfeitiger harmouiſcher 
Entwidelung Alles in’s Licht der chriftlichen Idee ftellt, 1 Kor. 3, 22 f., und nad un» 
befangener Prüfung das Gute behält, 1 Theſſ. 5, 21. Da es nun bei diefer Selbft- 
enttwwidelung wie bei der Selbftbewahrung den ganzen Menſchen gilt, fo ergibt fich zu» 
gleich, wie die Selbftliebe auch den Leib als Trägerin bes Geiftes umfaßt, Röm. 13,14. 
1 Xhefl. 4, 4.; doc) fo, daß er flets im Dienfle des letzteren bleibe und mit ihm un» 
fträflich behalten werde, 1 Thefl. 5, 23. So greift die chriftliche Selbftliebe hinüber 
in die geiftliche Hebung und Zucht und ihre Darftellung fällt nad) diefer Seite hin 
theilweife znfammen mit der chriftlichen Afcetif. €. Schwarz. 

Sendomir, rihtiger Sandomir, gegenwärtig die Hauptftabt bes polnifchen Gon- 
vernements Radom, am der Weichfel im ehemaligen Kleinpolen gelegen, ift durch den 
fogenannten Consensus Sendomiriensis vom Jahre 1570 ein für die polnifche Refor- 
mationsgefchichte nicht unmwicdhtiger Ort geworden. Die Entftehung diefes Confenfus 
hängt mit der Entwidelung der Reformation in Polen eng zufammen und ift daher 
zum Berftändniß der Bedeutung beffelben Folgendes von daher nachzuholen. 

Die erften Anregungen zur Reformatian kamen von Deutfchland und hatten daher 
ein Iutherifhes Gepräge. Sie faßten zuerft in Titthauen, was damals in einem loferen 
Berhältniffe zu Polen fland, fodann in Großpolen, vornehmlih in Poſen Wurzel (vgl. 
Real» Encyll. Bd. XII. ©. 10 ff). Faſt gleichzeitig hatte auch in Kleinpolen, befon« 
ders in Krakau, das fchweizerifche Bekenntniß Anhang gefunden, ohne daß es zwifchen 
beiden Formen der veformatorifchen Bewegung, da duch die Wittenberger Concordie 
twenigftens ein Waffenftillftand erzielt war und die gegenfeitige Polemik fchwieg, zu 
Conflikten gekommen wäre oder auch nur ein beflimmter Gegenſatz fich kund gegeben 
hätte. Im Yahre 1548 trat durch die Einwanderung der aus Böhmen vertriebenen 
Döhmifhen Brüder ein neues, höchſt bedeutfames Element in die reformatoriſche 
Bewegung Polens ein und gewann dafelbft im überrafchend kurzer Zeit große Aus» 
dehnung. Außer der durch die nahe nationale Vermandtfchaft in Sprache und Lebens. 
fitte bedingten Sympathie trug vornehmlich die geordnete Kirchenverfaffung, die ernfle 
Kirhenzucht und der durch reichen Liederſegen gehobene Gottesdienft zu dieſer fchnellen 
Ausbreitung bei. Vergerius, der im Jahre 1557 nad Polen kam, konnte ſchon 
bon 40 blühenden Gemeinden der Böhmifchen Brüder berichten („Merito referri cer- 
tum est”, fhreibt er an Stanislaus Oftrorog, „esse jam in Polonia circiter XL ad 
eorum normam institutas ecclesias, quae sane florent, multo autem plures prope- 
diem instituendas; ita undique exsuscitat atque congregat Deus ex filiis suis, 
qui idolomaniarum papalium sordes et foetorem ferre amplius minime possunt.”— 
Bol. Quellen zur Gefcichte der Böhm. Brüder — verdffentliht von 4. Gindeln. 
Fontes rerum austriacarum, XIX. Bd. ©. 217). Mit ihrer Ausbreitung kam aber 
auch der erfte confeffionelle Eonflitt in die bisher davon verfchonte polnifhe Reforma⸗ 
tionsbetvegung. Die Böhmifchen Brüder hatten bisher mit Luther und den Lutheranern 
manche freundliche Berührung gehabt. Wiederholte Gefandifhaften nah Wittenberg 
waren dort ſtets willkommen geheißen; Luther felbft hatte im J. 1538 die ihm zu- 
geſchickte Eonfeffion der Böhmen herausgegeben und mit einer empfehlenden Vorrede 
verfehen. Mehrere Böhmen ftudirten in Wittenberg und wurden dafelbft von den Re⸗ 
formatoren gern gefehen. Nicht wenige Bücher, von den Brüdern verfaßt oder in 
ihrem Intereſſe gefchrieben, wurden in Wittenberg gedrudt. Noch im Jahre 1542 
hatte Luther dem Senior der Böhmifchen Brüder, Augufta, bei einem Beſuch in Witten- 
berg augerufen: „Seyd Ihr die Apoftel der Böhmen, ich will es mit den Meinen bei 
den Deutfhen feyn. Handelt, wie ſich Euch die Gelegenheit gibt, wir thun dieß, wie 
fie fih und ergibt.“ Dennoch konnte e8 keinem Theile lange verborgen bleiben, daß 
fein völlige Einverſtändniß vorhanden fen und nur die äußeren Umflände wie die ge- 
meinfame Abtwehr des Pabftthums die Anmäherung herbeigeführt habe. Die Brüder 
fühlten fid) dur, den Mangel an Kirchenzucht bei den Tutheranern, durch das zügellofe 


Seubemiz 25 


Leben im dem Intherifchen Gemeinden abgefloßen, bie Lutheroner glaubten bei deu Bri- 
dern einen angel in der reinen Lehre, befonder® der ;Lehre von der Rechtfertigung, 
wahrzunehmen, fowie eine principielle Seringfhägung der Wiſſenſchaften. Auch bie 
Lehre vom Abendmahl, obwohl in der Eonfeffion von 1538 mit Intherifchen Ausbrüden 
borgetragen, war doch nicht ganz der Intheriichen conform. So bahnte ſich allmählidh 
eine gewifie Entfremdung zwiſchen beiden Parteien an, die durch folgende Umftände 
noch vermehrt wurde. Die fchnelle Ausbreitung der dentſchen Reformation fchien zwar 
auch den Bohmiſchen Brüdern zu gute zu kommen, fofern fie ihnen Schug gegen den 
Kaiſer umd defien Berfolgungen gewährte. Uber fie bedrohte zugleich die Selbſtſtündig⸗ 
feit des unter hartem Drade und in Veberemflimmung mit den nationalen Bebürfuiffen 
ber Böhmen entwidelten Kirchenweſens der Brüder. Manche ihrer Auhänger und Lehrer 
hatten das freie Leben im Intherifchen Ländern lennen und fchägen gelernt umd fühlten bie 
Strenge der Kirchenzucht als eine ummüte Feſſel. Auch bei den Utraquiften, bem ex» 
bittextfien Seguern der Brüder, war das Lutherthum eingebrungen, uud der Gedanke an 
die Herſtellung einer böhmifchen Iutherifchen Nationallirche, in welche daun bie Brüder 


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Böhmen ans dahin geſchickt, um Berbindungen mit den dortigen Reformatoren anzubrüpfen. . 
Sie ſand die freundlichſte Aufnahme bei Bucer, Hedio, Capito, Sturm und Calbin. 
Der letztere durch feine institutio ſchon weithin bekannt, intereſſirte ſich um fo lebhafter 
für die Brüder, als ex durch einen früheren Aufenthalt bei dem ihnen verwandten Wal⸗ 
denſern das Leben folder Meinen unter dem Drude des Pabſtthums feufzenden Ge⸗ 
meinben feusen gelernt hatte. Seit diefer Zeit entfland ein Band gegenfeitiger inniger 
Gemeinſchaft zroifchen den Bohmiſchen Brüdern und den Hänptern der reformirten 
lirche, die um ſo lebhafter von den erſteren gepflegt wurde, als fie bei den Lutheranern 


Dringen auf Kirchenzucht dort der entſchiedenſten Sympathie und Unerleunung. 

Die erſte Erfahrung von der Gefahr, welche den Brüdern durch den Anſchluß an 
die Lutheraner drohte, machten fie in Preußen, wohin fie im Jahre 1548 ber Herzog 
Albredyt eingeladen hatte. Sie mußten ſich in Königsberg einem theologiſchen Examen 
unteriverfen, ihre Uebereinſtimmung mit der Augsburgifchen Gonfeffion beweifen umd 
ſich in Cultus und DBerfafiung faſt ganz den Intherifchen Gemeinden accommodiren. 
Nur der Biſchof Speratns von Pomefanien gewährte ihnen Schuß und fürſorgende 
Theilnahme. Bergl. Coſack: Panlus Speratus' Leben und Lieder. 1861. ©. 158 fi. 
Als derfelbe aber im Jahre 1551 geftorben war, drang die fireng lutheriſche Partei 
immer rüdfichtslofer anf völlige Berfhmelzgung mit der Landedlirche und nöthigte das 
durch die Brüder, ihre Ausbreitung in Preußen onfzugeben und ſich allmählich ganz 
bon dort zurädzuziehen. Die konnte um fo leichter ausgeführt werden, als in dem 
benachbarten Polen die Berhältnifie fih um fo günftiger geftalteten und Hier bald bie 
Brüder eine hervorragende Stellung unter den reformatortfchen Parteien eimahmen. 

Inzwiſchen hatten in Polen, befonders in Kleinpolen mit der Hauptſtadt Kralan, 
die Reformation nad; fchweizerifchem VBelenntniß immer mehr um fich gegriffen. Die 
vielfachen Reifen junger polnifcher Edellente nach Frankreich und der Schweiz, die Ber 
bindung, in welhe Polen dur die Königin Bona, eine gebornen Prinzeifin vom 
Motland, mit Italien gelommen war, und die nationale Verwandtſchaft der Slaben 
nud Romanen beglinfligte die Aufnahme diefes Bekenntniſſes. Wie aber in Deutid 
land ſich damals die Lutheraner und Reformirte noch nicht als zwei verſchiedene Kirchen 


26 Genbomir 


anfahen, fondern nur als verfchiebene theologifche Richtungen, die ihrer Differenzen un 
geachtet in mannichfachem gegenfeitigen Austaufch flanden, fo war dieß in Polen eben 
fo der Fall, und man konnte nur fagen, daß die Einen fi mehr an Luther und bie 
Deutfchen hielten, die Anderen mehr an Calvin und die Schweizer, alle aber in der 
Berwerfung des Pabſtthums einig waren. Da mun die Gemeinden der Bohmiſchen 
Brüder obwohl Hein, doc, durch eine wohlgeordnete Verfaffung ſich anszeichneten, umd 
überdem viele angefehene Männer des Reichs, wenn auch nicht gerade Mitglieder, fo 
boch Freunde und Beſchützer diefer Gemeinde waren, fo lag der Gedanke nahe, durch 
eine engere Verbindung der Proteflanten mit diefen Brüdergemeinden der ganzen Re 
formationsbewegung in Polen mehr Einheit, Feſtigkeit umd Sicherheit gegen bie fie be 
drohenden Machinationen der römifchen Kicche zu verfchaffen. Auch die Rüdfiht auf 
bie Belämpfung der damals fchon anfleimenden Irrlehren der Antitrinitarter, 
welche feit 1551, nachdem Lälins Socinns nad; Polen gelommen war, Wurzel zu 
faffen anfingen, mochte dabei von Einfluß feyn. Von wen der erfte Gedanke zu einer 
folhen Bereinigung ausgegangen, ift nicht mit Gewißheit zu ermitteln, doch erfcheint eb 
wahrſcheinlich, daß er nicht von den Brüdern angeregt wurde, da biefe bei ihrer firen- 
geren Abgefchloffenheit und geordneteren Berfafiung einer ſolchen Stüge nicht beburften. 
Auch wird berichtet, daß der dem fchtweizerifchen Belenntniß zugethane Felix Eruciger, 
der im J. 1554 bei Gelegenheit einer zur Unterfuchung der Lehre des Fr. Stancarus 
(vgl. R.-Enc. Bd. XIV. S. 778) abgehaltenen Synode zu Slomnitz zum Superinten 
denten der ebangelifchen Gemeinde in Kleinpolen ernannt war, im Namen feiner Kirchen 
den Grafen Yalob von Oftrorog, einen Anhänger der Brüder, mit der Bitte anging, 
eine Unterredung mit denfelben über die Angelegenheiten der Kirche veranftaten zu 
Ioffen (f. Wengerscii Slawonia reformata pag. 75). Der Graf ging um fo be 
reitwilliger auf diefe Bitte ein, als ſich damald bei ihm der fehr thätige, fpäter zum 
Senior der Brüder ernannte Georg Israel befand und diefer zu dergleichen Verhand⸗ 
lungen vorzüglich gefchidt war. So fand die erfte Berathung zu dieſem Zwecke am 
24. Mär; 1555 im Dorfe Chrencin in Sleinpolen flatt; Deputixte der Brüder waren 
dabei: Georg Israel und Johann Rokyta. Weil indefien hier nur eine geringe Zahl 
von Geiftlichen ſich einfand und dieſe nur aus Kleinpolen waren, eine fo wichtige An⸗ 
gelegenheit imdeß auch mit den Evangelifchen in Großpolen berathen werden follte, fo 
ging man gern auf das Anerbieten des Grafen Raphael Leszezynski ein, auf einer grd- 
Beren Berfommlung zu Goluchow in Großpolen noch in demfelben Sahre die Sade 
weiter zu berathen. Es erjchtenen hier die Hänpter der rveformatorifchen Bewegung: 
Felix Cruciger, Superintendent in Kleinpolen, Joh. Eaper, Superintendent in Groß⸗ 
polen, Wlerander Bitrelinns, Andreas Pragmowsli, Prediger in Radzieiow, Staob 
Iploins, Prediger in Ehrencin, und viele Andere. Zu den beiden Deputirten ber 
Brüder hatte der Graf von Oftrorog noch den Johann Georg, Prediger zu Bräg, ge 
(hit. Man berieth fich zuerft über die Einführung gleichförmiger Gebräuche beim 
Eultus, wobei die Brüder die ihrigen empfahlen. Dabei mußte vor Allem das Abend» 
mahl zur Sprache kommen, umd hier trat nun zuerft die ungeldfte Differenz der Lehren 
über das Abendmahl hervor. Die Großpolen verlangten die Anerlemmung der Aug6- 
burgiſchen Bonfeffion, die Kleinpolen die der Schweizer, die Brüder beriefen fich auf 
ihre Brüderconfeffion. So kam man nicht zur Einigung und die Verhandlung wurde 
unverrichtetee Sache abgebrochen. Doc; hatte fie ein wichtiges Nefultat gehabt; die der 
ſchweizeriſchen Eonfeffion Zugeneigten hatten nämlich hier immer mehr ihre iunere Ber- 
wandtfchaft mit den Brüdern erfannt und konnten hoffen, durch eine Verfländigung mit 
ihnen das eriwünfchte Ziel der Vereinigung zu erreichen. Die Kralauer, Eruciger am 
dee Spige, baten beshalb den Grafen Ofteorog, er möge die Hand dazu bieten, baf 
zwiſchen ihnen und ben Brüdern eine gleichförmige Oottesdienflordnung und KRicchenzucht 
eingerichtet würde. Der Graf ging darauf ein, umd fo ward noch in demfelben Jahre 
(1555) in der Stadt Kogminel, einer Befigung des Grafen bei Kalifh in Großpolen, 


Sendomir n 


eine Generaliyuode aller Evangeliſchen in Polen berufen, Ne erſte, welche überhaupt 
Aattgefunden hat. Dieſe Synode ift von großer Bedeutung für die Neformation in 
Folen getvorden und hat dem oonsensus Sendomiriensis wefentlid, vorgearbeitet. Ob» 
wohl e8 eine Generalſiynode aller Epangelifchen ſeyn follte umd der Ort der Zuſammen⸗ 
kanft in Großpolen lag, fo erfchienen doc von dort nur wenige Deputirte, vermnthlich 
weil der in Goluchow zum Borfchein gelommene Zwieſpalt zwiſchen Lutheranern md 
Neformirten nachwirfte und die Anregung zur Synode von den letzteren ausgegangen 
war. Mebrigen® galt die bier zu Stande gelommene Einigung mit den BVrüdern nur 
für die Aeinpolen als verbindlich, wobei es auffallend bleibt, daß die anweſenden Lu⸗ 
theraner feinen Einfpruch gegen die Befchläffe thaten. Dieß gefchah auch nicht von dem 
bom Herzog Albrecht in Preußen gefendeten Deputirten, dem Herrn Wilhelm v. Krinezki 
mb dem Hofprediger Funk aus Königeberg. Die Synode dauerte zehn Lage, vom 
24. Unguft bis 2. September, und die Sauptangelegenheit mar die genane Prüfung 
ver Örderconfeffion und ihrer Apologie, ihrer Kirchenordnung und Disciplin, ihrer 
Geſangblicher und anderer Schriften. Die Brüder hatten die ganze Wichtigkeit diefer 
Angelegenheit begriffen und zu dem Ende eine größere Anzahl von Deputirten dazu ges 
ſendt. Außer mehreren ihnen zugethanen polnifchen Magnaten erfchienen daſelbſt Georg 
Krach, Matthias Rybar, Johann Georg, Adalbert Serpentin ımd der Senior Johanm 
Cem. Lesterer war eben auf einer Imfpeltionsreife zur Bifttation der preußifchen 
Ürktergemeissden begriffen, als er die Nachricht von diefer Synode erhielt; fein Einfluß 
anf den Herzog Albrecht hatte diefen veranlaßt, die oben genannten Deputirten ebenfall® 
dorthim zu fenden. Es war ein felerliher Moment, ald Cerny in fenrigen Worten der 
verfammelten Synode bie Bedeutung ihres Beifammenfeyn® darlegte und Alle aufe 
ſtanden und das Lied „Komm’, heifger Geil anflinmten. Dan ging mit Ernfi 
uud Orämdfichfeit, fo weit es die nicht fehr weit gehende theologiſche Bildung der Bolen 
ernarten Te, an die Prüfung der vorgelegten Schriften der Brüder und ließ fich bald 
von der Sqhriftgemäßheit derfelben überzengn. Schon am 1. September, an einem 
Sonntage, konnte das erfreuliche Refultat eines volfländigen Eimverfländuifies der Ge⸗ 
meinde verfiimdigt werden; man feierte gemeinſchaftlich mit den Brüdern das Abendmahl 
and dem Ritus der legteren, und zugleich iwmurden mehrere Anweſende nach ebendiefem 
Kitas zum Predigtamt ordinirt. Zum Zeuguiß der bleibenden Einigkeit kam folgender 
Bertrag zwifchen den Meinpolen und den Brüdern zu Stande; die erſteren verpflichteten 
ſich 1) die Eonfeffion der Brüder anzunehmen und feft an ihr zu halten, 2) die Liturgie 
derfelben bei ſich einzuführen, 3) nichts ohme deren Zuſtimmung vorzumehmen. Die 
Senioren follten indeß ımabhängig von ber Unität feyn. Die Vrlider verpflichteten 
Rh, einige ihrer Prieſter nad) Kleinpolen zu fenden, um den Gottesdienft dafelbft nad 
der Weiſe der Brüder einzurichten und fo als Lehrer aufzutreten. Vergl. SGindely I. 
6. 399. Der Bertrag erweckte bei den Frennden der Reformation in Polen allge- 
meine rende und trug nicht wenig dazu bei, daß auf dem bald darauf zu Petrikau 
gehaltenen Landtage die Forderung eines Nationalconcil® mit beflimmten reformatorifchen 
Tendenzen durchging (dgl. R.-Enc. Bd. XII. ©. 13). — Auch von auswärts kamen 
jeftuummende und glückwünſchende WBriefe darüber an. Felix Eruciger, der Gauptbeför- 
derer der Ungelegenheit, hatte fogleih an feinen Freund, den in der Schweiz weilenden 
Franz Lismanini (f. Bd. VIII, 426) gefchrieben und ihn aufgefordert, die beden⸗ 
tendſten ſchweizeriſchen Geiſtlichen um ihre Meimung über die befchloffene Einigung zu 
befragen. Dieſe fanden erft jetzt Gelegenheit, fich genauer mit der Vrüderconfefflon zu 
beihäftigen; ihre Urtheile Tauteten im Allgemeinen billigend und das Verhalten ber 
Polen lobend. Die Straßburger (Petrus Martyr, Ioh. Sturm, Joh. Marbach, Hie⸗ 
vonmamıs Zanchi), die Bafeler (Simon Sulzer, Wolfgang Wiſſenburg, Martin Borr- 
bäns, Innius, Conrad Lycoſthenes), die Berner (Wolfgang Musculus), die Zurcher 
(Oullinger, Bibliander, Pellikan, Stmier w. And.) thaten dieß ımbedingt, die Genfer 
(Biret und Beza) mit einigem Vorbehalt. Calvin Kat das beixeffende Gutachten ae 





28 Sendomir 


unbelonnten Gründen nicht mit unterſchrieben, doch ſprach er ſich mündlich zuſtimmend 
aus (vgl. Gindely, Fontes a. a. O. S. 221). Verſehen mit dieſen günftigen Urtheilen 
aus der Schweiz reiſte Lismanini nach Stuttgart zum Herzog Chriſtoph von Württem⸗ 
berg, wo er auf Empfehlung des daſelbſt verweilenden Paul Vergerius ehrenvoll auf⸗ 
genommen und der Unterſtützung der polniſchen Kirchen von Seiten des Herzogs ver⸗ 
ſichert wurde. Die daſelbſt ſtattfindende Verhandlung mit Brenz ergab auch don Seiten 
dieſes flvengen Lutheraners eine Billigung der Brüderconfeſſion, namentlid; im Artilel 
vom Abendmahl. So ſchien denn der Schritt dee Polen auf allen Seiten eine glüd- 
liche Aufnahme zu finden und eine günftige Entwickelung der dortigen Verhältniffe nicht 
fehlen zu Lönnen. Indeſſen zeigten fid; bald unerwartete Schwierigkeiten. Kaum war 
Lismanini mit den guten Nachrichten nach Polen zurüdgefeht, fo erſchien dafelbft auch 
am 5. Dez. 1556 der lange erwartete und feit 1537 "von Polen entfernt geivefene 3 0- 
bann vom Lasky. Niemand fland bei feinen evangelifchen Randsleuten in größerem 
Unfehen als diefer mit den höchſten Familien verwandte und um feines evangelifchen 
Glaubens fo viel verfolgte Edelmann. Eben erft Hatte er, von England vertrieben, 
die Unduldfamkeit der Qutheraner in Dänemark und Deutfchland auf das Bitterſte er⸗ 
fahren, und e8 war wohl natürlich, daß er dem Gedanken einer auch die Lutherauer 
mit umfaflenden kirchlichen Gemeinfhaft nad; den Erfahrungen, die er gemacht hatte, 
fein vechtes Zutrauen fchenten konnte. DVielleicht aber waren es nod andere Gründe, 
die ihn an der beabfichtigten Union mit den Brüdern Anftoß nehmen ließen. Genug, 
er erllärte, man könne die Eonfeffion der Brüder vom I. 1535 unmöglich annehmen, 
fie fey namentlich in der Lehre vom Abendmahl zweidentig und dunkel, auch die Un- 
nahme des ganzen Ritus und der Berfaffung derfelben widerrieth er; ihm ſchwebte bie 
Berfafiung der von ihm im der Londoner Fremdlingsgemeinde eingeführten Ordnung 
al® das Ideal vor, wonach filh eine polniſche Nationalficche zu richten habe. Ins⸗ 
befondere wünſchte er eine von ihm getroffene Einrichtung hier eingeführt zu fehen, 
auf welche er ein ganz befonderes Gewicht legte, nämlich das Sigen der Gemeinde beim 
Genuß des heil. Abendmahle. Er rieth deshalb, die Brüderconfefflon im einigen wich⸗ 
tigen Punkten umzuändern. Schon ehe Lasky in Polen angelommen, war die Durch⸗ 
führung der Beichlüffe von Kosminek nicht mit dem erwarteten Eifer borgenommen 
worden, ımd als im 9. 1555 Matthias Czerwenka mit zwei Begleitern auf der Synode 
bon Pincow erfchien, mußten fie erfahren, daß fo gut wie nichts zur Umformmg bes 
Sottesdienftes gefchehen war. Eine Entfchuldigung dafür lag wohl darin, daß es noch 
an einer polnifchen Ueberfegung der in böhmifcher Sprache gefchriebenen Kirchenbücher 
fehlte. Mon kam nun überein, daß die Brüder geeignete Lehrer nad, Polen ſchicken 
möchten. Diefem Wunſche begegneten die Brüder auf's Bereitwilligſte. Georg Israel 
und Matthias Rybar wurden nad Polen gefandt, um einige Monate dort zu ver⸗ 
weilen. Der inzwifchen eingetroffene Lasky hinderte aber ihre weitere Wirkſamkeit; 
Georg Israel fand einige Entfchädigung dafür in der Gemeinde von Krakau, die fich 
ganz an die Brüder anfchloß und gern den Dienft des auögezeichneten Mannes fid) ge⸗ 
fallen ließ. — 

Die Ereigniffe des Reiches drängten jetzt immer mehr zur Entſcheidung. Die 
katholifche Partei, durch das Umſichgreifen der Reformation und ihre Verſuche, ſich zu 
conſolidiren, erſchreckt, bot alle Mittel auf, die bedrohte Kirche zu retten. Der Pabſt 
hatte einen fchlauen Mann, den Nımtius Lipomani, nad; Polen gefandt, und diefer 
wußte bald die zerſtreute umd muthlos gewordene päbftlihe Partei zu fanmeln und 
den wanlelmäthigen König Sigismund Auguſt zu energiſchem Widerſtande anzuregen. 
Zu gleicher Zeit mit dem päbftlichen Nuntius erfchien aber auch zur Stärkung der 
Proteflanten, wahrfcheinlich auf den Rath des Herzogs Chriftoph von Württemberg, 
ber ehemalige Biſchof von Capo d'Iſtria, Baul Vergerio (Nod.1556) in Bolen, und 
trat als rüfliger Vorlämpfer für den Proteftantismms gegen die römifche Kirche auf Den 
Kampfplag. Sein Einfluß auf die Häupter der Bewegung, mit denen er bald in $ex- 


Genbomir . 2 


fönfie Berührung trat, ward bald fehr groß; er richtete fih dahin, bie ſchon im’ 
Schwanten gelommene Bereinigung mit den VBöhmifchen Brüdern, deren Gemeinde Ber- 
gerind beſucht und lieb gewonnen hatte, zu befeftigen und die Bedenken Lasiy’s zum 
befeitigen. Gelang die auch nicht in vollem Maße, fo wurde doch fo viel er- 
reicht, daß die Verhandlungen nicht unterbrochen, fondern weiter fortgefegt wurden. 
Dieß geſchah zunächſt auf einer Konferenz zu WBladislam im Yuli 1567, bei der audı 
Lasfy zugegen war; man lam zwar nicht in's Reine, verabredete aber, auf einer grö- 
Beren Berfanumlung, die in Goluchow gehalten werden follte, die Sache nod einmal 
vorzunehmen und wo möglich zu erledigen. Damit dieſe gehörig vorbereitet und zahl- 
reich, befucht werden Tönme, baten die Brüder um einen Aufſchub des angeſetzten Ter⸗ 
mins und veranflalteten indeß in Mähren zu Slezan im J. 1567 eine große allgemeine 
Bräderfimode, anf welcher die polnifchen Berhältnifie hauptfählih zur Sprache kamen, 
weßhalb auch mehrere angefehene polnifche Edellente, wie Jakob Oſtrorog, Raphael 
Lesınesfi, Johann Erotosfi, Johann Tornidi (vgl. Wengerscius 1. c. ©. 61) dafelbfl 
eriäienen. Die bedentende Ausbreitung der Brüder veranlafte zunächſt den Beſchluß, 
dab für Preußen und Polen ein eigener Senior beflellt werde, da biöher nur Priefter 
und Dialonen die Gemeinden beforgt hatten. Damit war ein wichtiges Moment zur 
feſteren Eonfolidirung der Brüderliche in Polen in’s Leben gerufen (vgl Sindely a, 
a. O. L 6. 405). Niemand eignete fi für diefe Würde mehr, als Georg Jerael; 
ex wor der Hauptbegrumder der polnifchen Brüdergemeinden geweſen und genoß des 
größten Unfchens bei den Edellenten. Er warb deshalb zum Senior für Polen ge- 
wähle. Die Verhandlung mit den Polen führte aber zu keinen fehlen Refultaten. Die 
anweſeuden Edellente wünfchten vielleicht, durch Verger's Einflüfterungen dazu beivogen, 
die Annahme der Augsburgiſchen Confeſſion; die Synode fand indeß Bedenken, von 
der einmal anfgeftellten Confeſſion von 1538 abzugeben, und ſchlug das Verlangen ab; 
ebenio wenig erflärte fie fid mit dem Gedanken einverflanden, den die Polen aufs 
braditen, Melenchthon oder Calvin zur Ordnung der polnifchen Reformation nad) Polen 
einzuladen. Uebrigens gab man keineswegs die Hoffnung auf Vereinigung auf, vielmehr 
iourden bier Deputirte, unter denen andy Georg Israel war, mit genauer Juſtruktion 
für die verabredete Synode in Goluchow erwählt. Diefe kam indeß nicht zu Stande, 
da Last, auf defien Mitwirkung es dabei hauptfählih ankam, durd Krankheit am 
Erſcheinen gehindert war und daher aud die Übrigen Polen ausblieben. Für dem 
Ungenblid ſchien demnach das durch den Vertrag von Kosminel geſchloffene Band 
en. 

Diezu kam noch ein anderer mwidhtiger Umfland, der micht wenig dazn beitrag, die 
Spannung zwiſchen den Brüdern und den reformirten Polen zu erhöhen. Lasky hatte 
bald nach feiner Ankunft in Polen, fobald ex von der beabfidhtigten Union mit dem 
Ürhdern uud der Annahme ihrer Confeffion Kenntniß erhielt, feine Bedenken dagegen 
in mehreren Briefen an die ihm befreundeten Schweizerreformatoren ausgefprochen und 
fie um ihre theologifches Gutachten über die gedachte Eonfeffion gebeten. Diefe trafen 
gegen Ende des Jahres 1557 in Polen ein umd lauteten bei weitem nicht fo 
wie die früher durch Lismanini beigebradhten. Bald wurden diefe Butachten 
Ealvin, Bullinger, Gualther, Biret u. And. befannt, und mußten matürlich bie 
Polen, welde gewohnt iwaren, in diefen Männern ihre geiſtigen Väter zu fehen, fehr 
bedentlich machen, ob fie gut daran thäten, ſich umbebingt einer Kirchengemeinſchaft an⸗ 
zeſchließen, deren Grundfäge nicht von allen Proteflanten gebilligt wurden und durch 
deren Armahme fie vielleicht die ihmen fo nöthige Gemeinfchaft mit ben auswärtigen evan⸗ 
geliſchen Kirchen verichergen konnten. Nichtadeſtoweniger hatte die Brüderkirche in Bolen 
ſchon zu tiefe Wurzel gefchlagen, fie hatte zu viele angefehene Batrone genommen, als 
daß es gerathen ſchien, die eingeleitete Verbindung gänzlich abzubrechen. Ladky felbft 
machte füch zum Organ biefer num zum ziveiten Dale verfuchten Verhandlung mit den 
Brüdern, fie konnte jet umfo eher zum Ziele führen, als man ſich der gegenfeitigen 


un 


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30 Sendomir 


Differenzen klarer bewußt geworden war und alſo auch beſtimmter auf Erledigung ber» 
ſelben ausgehen konnte. Auf einer von Lasky veranlaßten Verſammlung in Wladislaw 
beſchloß man, eine Deputation nach Mähren zu ſenden, um dort in einem Colloquium 
die Bedenken gegen Annahme der Confeſſion vorzubringen und weitere Verbindungen 
anzubahnen. Die Brüder gingen gern auf diefen Gedanken ein und beftimmten Leipnik 
in Mähren als Ort der Zuſammenkunft. Lasky erfchien zwar nicht felbft dort, hatte 
aber den Deputirten eine von ihm gefertigte polnifche Ueberfegung der Brüderconfeſſion 
mit Angabe der von ihm gewünſchten Aenderungen mitgegeben. Sie betrafen nicht 
weniger ald 15 Punkte; die twichtigften bderfelben bezogen fidh auf die Verfaflung und 
die Lehre vom Abendmahl. Die kirchliche Verfaflung der Brüder beruhte auf dem aus 
der Latholifchen Kirche herübergenommenen Princip der Klerokratie; alle Leitung der 
Gemeinden war nur ben Amtsdienern der Kirche Übertragen, die dazu berufen und ge- 
weiht waren und in beftimmten Rangſtufen fich gliederten. Dem Laienelement war nur 
infofern Rechnung getragen, als die geweihten Amtsdiener nicht ausſchließlich ihrem 
ticchlichen Berufe lebten, fondern daneben ein bürgerliche® Gewerbe trieben, von dem 
fie ihren Lebensunterhalt gewannen. Doc war ihnen, wenigſtens den Prieflern, der 
Edlibat geboten umd fie dadurch für ihre Lebenszeit von den Laien Farakteriftifch unter- 
fchieden, ja fofern der Cölibat höher als der Stand der Ehe gefchägt wurde, war ben 
Prieſtern der Karalter einer fpecifiichen Heiligkeit zugeſprochen. Schon Luther, mehr 
noch Calvin Hatten daran Anftoß genommen, jet verlangte Lasky eine Aufhebung diefer 
Beftimmung. Die Eonferenz betonte dagegen, daß nicht eigentlich principiell der Cdb⸗ 
libat gefordert werde, fondern nur um der bedrüdten Rage willen, die den Priefter mehr 
al® Andere der Berfolgung ausfege und ihn daher von den Sorgen des Hausflandes 
frei laſſen müfle Wichtiger und für die polnifhen Verhältniffe ducchgreifender war 
die Ausihließung der Laien von der Leitung der Kirche. In Polen war es gerade 
der Adel geweſen, der die. Reformation mit Xebhaftigkeit ergriffen, fie gegen die Angriffe 
der Tatholifchen Kirche fchüßte und nun auch feinen Antheil an der Leitung ber neuen 
Kirche naturgemäß in Anfprucd nahm. So wenig aber in Deutfhland, wo ein ähn⸗ 
licher Proceß vor fi) ging, die Yürften und Magiſtrate der Städte, welche die Refor- 
motion angenommen hatten, bei der Webernahme des Kirchenregiments daran dachten, 
daraus ein perfönliches Amt zu machen, was durch feierliche Weihe Lebenslängliche 
Verpflichtungen auferlegte, fo wenig konnten die polnifchen Edelleute damit einverftanden 
ſeyn, daß fie ihre bereits faftifch beftehende Sicchenleitung an ein Collegium gemweihter 
Kirchendiener abtreten und felbft in die befcheidene Holle, welche die Laien bei den 
Brüdern einnehmen, zurüdtreten follten. Auch bierin konnten aber die Brüder nicht 
nachgeben, fie hätten damit da® ganze Princip ihrer bisherigen Verfafſung, dem fie ge- 
zade ihre Erhaltung mitten unter den größten Verfolgungen verdankten, aufgegeben. 
Auch in Betreff der Lehre vom Abendmahl, bei der Lasky die unklare unter Intherifchen 
Worten einen anderen Sinn verbergende Ausdrudsweife tadelte, kam man zu feiner 
Einigung. So verlief die Eonferenz in Leipnif, die im Oftober 1558 gehalten wurdee, 
wenn auch mit gegenfeitiger freundlicher Anerkennung, doch ohne weſentliches Reſultat. 
Für die nächſte Zeit ruhten die VBerfuche, die angebahnte Vereinigung zu erneuern, 
doch hörte bamit der brüberliche Verkehr zmwifchen den Brüdern und Polen nicht auf. 
Dieß zeigte ſich namentlich auf der wichtigen Synode von Xions am 14. Sept. 1560. 
Ste kann mit Recht als eine conftituirende Synode für die evangelifche Kirche Polens 
angefehen werden; hier wurden die Orundlagen für eine Berfaflung gelegt, die fich in 
ihren weſentlichen Grundzügen bis in die gegenwärtige Zeit erhalten hat und in etwas 
modiftcirter Geftalt auch in Ungarn eingeführt wurde. Ohne Zweifel hat man barin ein 
Erbftüd des inziifchen am 7. Januar 1560 geftorbenen Lasky zu erfennen; denn die erfte 
Vorberathung dazu geſchah auf einer Konferenz in Wladislaw (f. Wengerscius 1. ©, 
S. 121), wobei Lasky zugegen war. Die reichen Erfahrungen, welche er in Friesland 
uud London in diefer Beziehung gemacht hatte, und das Organifationstalent, das ex 


Genbomir 81 


dert beisiefen, mußten ihn, wie Leinen Anderen, dazu befähigen, der Geſetzgeber ber 

lens zu werden. Wir dürfen aber auch annehmen, baf die Böh- 
milden Brüder, vom denen mehrere Abgeordnete, wie Joh. Lorenz und Joh. Rokyta, auf 
befoudere Einladung in XZions antwefend waren, mit ihrem Rathe nicht werden zurüd⸗ 


eignete man ſich auch die übrigen dort hergebradhten Kirchenänster, wie Pfarrer, Diakon 
Leltor, mit den dafür geeigneten Ordinationsgebräucheen an. Abweichend war uuz, 
der Senioren in viel engere Sränzen eingeſchloſſen wurde, als dieß bei 
Brüdern, wo fie eine biſchöfliche Stellung einuahmen, der Fall war; man bes 
fdeänkte ihre Macht durch die jährlich zu berufenden Synoden und burd das hier 
wer auftretende fo wichtige Iuflitut der weltlihen Senioren. Diefe aus dem 
Stande der Edellente erwählten Vertreter der Kirche follten zwar nicht orbinirt werben, 
übten aber doch duch, Theilnahme an allen wichtigen Gefchäften der Senioren einen 
bebeutenden Einfluß aus. So war das in "Polen fo ſtark ausgeprägte ariftofratifche 
Tiement auf glädliche Weife in den Organismus der Kirchenverfafiung eingefügt. Für 
jene Zeit war die fo begründete Ordnung, worüber da Nähere bei Wengertcius S. 111 
md Fiſcher (Berſuch einer Geſchichte der Reformation in Polen, Sräg 1855. Br. L 
6. 118) mwadgufehen if, ein glüdlicher Verſuch, eine felbfifländige evangelifche Kirche 
in nstiomaler Geſtaltung herzuftellen, wogegen Deutfchland nichts Aehnliches aufzumeifen 
hatte. Der Grund war, daß in der Iutherifchen Kirche nach einigen vergeblidhen Ver⸗ 
fachen im ange der Reformation der Sinn für eine felbfifländige Geflaltung der 
Kiche unter den befländigen Lehrftreitigleiten perloren gegangen war und man ſich baber 
unter dem Schutze des Iandesherrlichen Kirchenregiments ganz wohl fühlte. 

Ehe mod; diefer bedeutungsvolle Schritt zur Annäherung der Polen und Brüder 
ya Stande gelonmen, hatten die letzteren einen nochmaligen Berfud gemacht, die durch 
die unghuftigen Urtheile über ihre Confeffion belundete Entfremdung ber ſchweizeriſchen 
Theologen und die Befahren, welche darans für fie ſelbſt erwachfen mußten, abzuwenden. 

e Genioren faßten deshalb den Beſchluß, zivei dafür befonder® geeignete Männer, 
er früher fchon in der Schweiz geweſen war, umd Peter Herbert, nadı 
der Schiveiz zu fenden, um befonders von Calvin eine günftigere Beurtheilung der 
Brüberfichhe zu erlangen. Die Deputirten waren angewielen, über Württemberg zu 
reifen umb dort den Rath des inzwifchen wieder aus Polen dahin zurückgelehrten Ver⸗ 
gerins eimzuholen. Gegen Ende des Mai 1560 trafen die genannten Wbgeorbneten in 
Bkttemberg mit Bergerius zufommen, wurden aber von ihm auf’8 Dringenbfle gebeten, 
wiht nach ber Schweiz zu reifen und überhaupt den Zufammenhang mit den Schweiger 
Teologen abzubrechen. Er flellte den Schug des Herzogs don Württemberg für fie 
in Ausficht, der ihnen verloren ginge, wenn fie fih an bie Schweizer anfclöffen. 
Bergerins, obwohl fonft mit den Schmweizern nahe befreundet, war doch jet durch bie 
damals weit erneuter Geftigleit ausgebrochenen Mbendmahlöftreitigleiten ihnen entfremdet, 
and durch die ungänfligen Cenſuren, welche erſt vor Kurzem die Schweizer Theologen 
über die Brüderconfefflon gefällt hatten, gegen fie eingenommen. Er wollte die Brüder 
für die lutheriſche Partei, der fie, wie er meinte, durch ihre Eonfeffion von 1538 an⸗ 
gehörten, erhalten wiſſen. Die Borftellungen Berger’s wirkten fo viel, daß Rolyta fo« 
fort nad) Polen zurhdichrte, während Herbert ſich nicht für befugt hielt, den Auftrag 
der Senioren wnausgeführt zn lafien, und allein nad; der Schweiz weiterreiſte. Das 
Refultat war nicht ganz ungünftig; zwar nahmen die Schweizer Theologen, befouders 
Muscutus und Balvin, den Tadel gegen ihre Confeſfion und befonders gegen ihre 
Apologie 1538 nicht zurüd, behandelten aber doch die Brüder ale Olaubensgenofien und 
emahaten fie in mitgegebenen Briefen die Verbindung wit den Kleinpolen eifrig gu 
fliegen (vgl Simdely I, 410 fi.; Wengerscii Blavonia reformata p. 61). 

Wahrend in Kleinpolen das Wert der Einigung zwiſchen den Brüdern und Evan« 


2? 
f 


32 Sendomir 


gelifchen durch die auf der XZionfer Synode getroffene Kirchenordnung einen bedeutenden 
Vorſchub erhielt, war in Großpolen, wo das Lutherthum vorherrfchte, ein gleicher Er⸗ 
folg nur nad; vielfachen Kämpfen und Beſiegung mancher Hinderniffe erreihber. Wie 
im Deutſchland die beiden Parteien, die ſtreng Iutherifche oder flacianifche Partei und 
bie mildere oder melanchthonifche, in heftigfiem Kampfe mit einander lagen, fo war e# 
natürlich, daß diefe Gegenfäge ſich auch auf die junge, don deutfchen Einflüffen ganz 
abhängige Intherifche Kirche in Polen fortpflanzten. Bald fanden ſich and) Perfonen, 
in welchen diefe beiden Richtungen zur Exrfcheinung kamen; auf Seiten der Flacianer 
ftand Benedit Morgenftern, feit 1561 Prediger in Thorn, Freund des Flacius und 
Wigand, und auf Seiten der Melandıthonianer Erasmus Gliczner, Prediger in Grodig 
in Großpolen, Schüler des berühmten Gymnafſiums von Valentin Trogendorf in Gold- 
berg und dadurch fchon dem Melanchthon’fchen Geifte zugewandt. Da er ein geborner 
Pole war und ſich durch Yrömmigfeit und theologifhe Bildung auszeichnete, ward er 
bald das Haupt der polnifchen Lutheraner in Großpolen; fein Bruder Nikol. Gliczuer, 
Prediger an der polnifch» Iutherifchen Kirche in Pofen, war von gleicher Richtung und 
fland ihm in feinen Beftrebungen treulich zur Seite. — An der Stellung, welde die 
Zutberaner zur Vruderkirche einnahmen, kam die Differenz der Parteirichtungen zunächſt 
zum Ausdruck. Das vordringende, eifernde, ftreitluftige Wefen der Flacianer, die in 
Morgenſtern einen unermüdlichen, haderfüchtigen Kampfhahn gefunden hatten, ftörte zuerft 
den Frieden, der bis dahin zwifchen den Brüdern und LRutheranern geherrfcht hatte. 
Raum mar er, aus Danzig wegen Steeitigleiten mit dem Rathe vertrieben (vergl 
Schnaaſe, Gedichte der evangel. Kirche Danzige. Danz. 1863. ©. 45), in Thorn 
angeftellt, fo entdedte er die daſelbſt feit dem 3. 1548 im Berborgenen blühende Brüder 
gemeinde, welcher auch viele Evangelifche ſich anfchlofien. Da fie ihre befonderen Zu- 
fammentünfte hielten, aud; da Abeudmahl unter ſich feierten, eiferte er gegen fie ale 
Seltixer, verlangte, daß fie ſich unbedingt an die Iutherifche Kirche anfchlöffen und jeder 
- Berbindung mit den Brüdern auswärts entfagten. Eine dieferhalb mit ihm und dem 
eigens zu diefem Zwecke nad; Thorn gefendeten Johann Lorenz veranftaltete Eonferenz 
im 9. 1562 führte, tie zu erwarten war, zu keiner Einigung. So nadhgiebig die 
Brüder auch fich benahmen, fo konnten fie doch die Forderung einer unbedingten Unter- 
ordnung unter die Iutherifchen Prediger, was fo viel wie eine Selbftauflöfung geweſen 
ware, nicht bewilligen. Ein Jahr fpäter (1563), als eine zweite, größere Konferenz 
dieferhalb in Gegenwart des Rathes gehalten wurde, thaten fie e8 freilih, aber wohl 
nur in der Ueberzeugung, daß unter den Deutfchen, die in Thorn den Hauptbeftandtheil 
der Benölferung ausmachten, ihre Stellung überhaupt nicht zu halten war. Vogl. Hart. 
knoch, preuß. Kirchen» Hiftorie, ©. 879. — Triefe, Beiträge zur Reformatione- 
gefhichte in Polen und Litthauen. Bd. IL. ©. 371), 

Während in Thorn das firenge Lutherthum zur Scheidung von der VBrüderlichhe 
führte, war gleichzeitig in Pofen unter dem vorherrfchenden Einfluß der Gebrüder 
Gliezner ein bedeutfamer Schritt zur Annäherung vor ſich gegangen. Die erften Vor- 
bereitungen dazu Mnüpfen ſich an die Zionfer Synode an. Hier waren zwar auch De- 
putirte aus Großpolen zugegen, da fie aber von ihrem Patrone dem Grafen Oſtrorog 
feine Vollmacht zur Vollziehung ber dort gefaßten Beſchlüſſe befaßen, fo wurde noch in 
demfelben Jahre (1560) im November zu gleichem Zwecke eine Synode nach Poſen be» 
zufen und zu derfelben nicht bloß die Gemeinden in Nleinpolen, fondern auch die Brl- 
der, welche in Pofen feit ihrer erften Einwanderung eine zahlreiche und blühende Ge. 
meinde befaßen, eingeladen. Die gehoffte Einigumg fam zwar nicht zu Stande, weil 
von Dentfchland aus Flacius, der don diefen Vorgängen unterrichtet war, auf's Hef⸗ 
tigfte dagegen proteflirte und auch einige Vertreter feiner Richtung ſich dafelbft geltend 
machten. Ob Morgenftern felbft dort erſchien, wie behauptet wird, läßt fich nicht mit 
Sicherheit beſtimmen; es müßte dieg ummittelbar nad; feiner Vertreibung aus Danzig 
(Ende 1559) und vor feiner Anftellung in Thorn (1560) geſchehen ſeyn. Bol. Ti» 


Geubomiz 33 


der a 0. O. L ©. 152. Doc fellte man hier (ob in der Synode der Lutheraner 
ae in einer befomderen Eonferenz der Brüder, bleibt ungewwiß) wenigfiens einen Grund⸗ 
in auf, der fpäter der Uebereinkunft in Sendomir zu runde gelegt wurde und das 
Krincip jeder wahren Union auf treffende Weiſe angdrädt. Gr lautet wörtlich fol⸗ 
gedermafen: Oum tali ordine (wie in dem vorhergehenden Artileln beftimmt if) nos 
utamır, simus vero inter alias ocelesias, eas diligere debemus, etamsi similem 
ordivem ipese non habent. Dummodo habent Verbum Dei, pro fratribus agnos- 
eendi sant, et pro re nata Deus cum ipsis laudandus et communione s. frater- 
nitas ipeie exhibenda, etsi aliqua esset diversitas, dummodo fundamentum se- 
lutis non offendatur et nulls sit idololatria. Et quantumlibet aliquis perfectum 
kusım in mysteriis ooenae dominicae non fuisset assecutus, dummodo tenest 
oenam illam esse communicationem oorporis et sanguinis D. N. J. C. non vero 
audım signum, falis tolerari debet, prout spiritus Dei jubet, ut persistamus in 
eo, quibus vero nondum revelatum est, potens est Deus illis etiam revelare Phil. 3. 
ICee 14.” Berg. Jablonski, historia consensus Sendomiriensis etc. p. 8. — 
Diss nun auf diefer Berfammlung in Poſen die beabfidhtigte Einigung nicht zu 
Stmde famı, fo war doch der Trieb dazu fo mächtig, daß man fchon im folgenden Jahre 
(1561) zu gleichem Zwede in Buzenin zufammenlam. Die Lutheraner in Großpolen 
waren zwar nur gering vertreten, dagegen deſto zahlreicher die Brüder und SKleinpolen. 
Dir ging man ernftlicher daran, die dogmatifchen Differenzen auszugleichen. Der viel. 
ſahe Zabel, den die Eonfeffion der Brüder vom 9. 1535 im Betreff der Abendmahls⸗ 
ihre don Seiten der Schweiz erfahren hatte, war die Veranlaſſung geworben, daß fie 
cine Ueberarbeitung diefer Eonfeifion in böhmifcher Sprache verfaßt und in Druck ge 
geben hatten. Sie verpflichteten ſich num, diefelbe im die bolmifche Sprache zu über 
ſchen und fie nor dem Dryde den Rleinpolen zur Begutachtung vorzulegen, damit biefe 
Uge Vedenlen Inmdgeben und eine Wenderung darnach flattfinden könnte. Schon im 
Togaber Ichre (1562) überjdjidten die Brüder diefe polnifche Ueberfegung an felix 
Erziger zn Begutachtung; fie ift dann im folgenden Jahre gedrudt worden. — Zur 
Irrrehtbaltung des gegenfeitigen freundlichen Verkehrs wurde hier ferner bie Veſſim- 
mg getroffen, daß von nun an ohne fürmliche Einladung jede Synode in Oroßpolen 
von deu Kleinpolen und jede in Kleinpolen von den Brüdern befucht werden folle (vgl. 
Gindelj a. a. O. ©. 418). 

Bihrend fo das Werk der Einigung immer weitere Ausdehnung gewonnen hatte, 
katen Umftände ein, welche einerfeits zur fchärferen Sonderung ber Parteien, anderer- 
ſeiu⸗ Pe Zufanımenfhliegung derfelben beitrugen. Wie in Deutfchland nach dem Tode 

Nelanchthon's der immer heftiger entbrennende PBarteilampf zur Bildung zweier neben- 
Mnder ſtehenden Eonfeffiouslicchen, der Iutherifchen und reformirten, führte, die jede 
ir befonderen lirchlichen Lebensorbnungen aufftellte, fo mußte fi auch in Polen, 
u fo vielfältig von dentfchen Einflüffen abhing, ein gleicher Proceß vollziehen. Es 
A ſchon erwähnt worden, daß die Polen im Aligemeinen ſich mehr zu den Franzoſen 
am Schweizern hingezogen fühlten, als zu den Dentfchen. Dazu kam nun, daß fie 
sen dort viel mehr Theilnahme und Unterflägung erfuhren, als von Deutſchland; denu 
gab keinen namhaften bentfchen Theologen, der fi für die enangeliihen Polen in- 
eefftrte. So gefhah es namentlih, als in Polen die in anderen Ländern verfolg- 
an Antitrinitarier Schutz und Aufnahme fanden und nun ihre verderblichen Grund» 
fie unter dem Scheine bes völlig vom papiflifhen Sauerteige gereinigten Chriften- 
Sums ausbreiteten. Lälius Socini erfchien ſchon 1551 in Kralan; um ihn fammelte 
id bald ein Kreis vom gleichgefinnten Landsleuten, die in anderen Rändern keine Auf⸗ 
zume fanden und bald auc unter den neuerungsfüctigen, im evangelifchen Glauben 
mbejeſtigten Polen Eingang fanden. Die Namen Blandrata, Paulus Alciatus, Ber- 
nr Dcchino, Paulus Orfacins find die bedeutendflen; bald mußte men wahrnehmen, 
‘5 mehrere der einflufireichften polnifchen Geiſtlichen diefen Männern zuſtimmten und 

Real » incyllopädie für Theologie und Kirche. Suppl. III. 


34 Senbomir 


ganze Gemeinden in Gefahr waren, dem evangelifchen Belennmiß entfrembet zu erden. 
Zu ihnen gejellten fi, bald aud,) aus Böhmen und Mähren vertriebene Anabaptiften 
und mehrten die daraus herborgehende kirchliche Zerrifienheit. Im dieſer Noth wen» 
dete fi) die Gemeinde von Krakau an die Schweizer Reformatoren Bullinger und 
Calvin, und diefe riethen ihnen, die Schweizer Confeſſion und Kirchenordnung anzu⸗ 
nehmen, 1560 (vgl. Wengerscii Slavonis ref. p. 129). Geit diefer Zeit kann 
man die Polen zu den Reformirten oder Kalviniften rechnen. Denn was in Krakau 
gefhah, wurde bald von den meiften anderen Gemeinden in Kleinpolen nachgeahmt, bie 
Intherifche Richtung erhielt ſich nur in einigen ©emeinden in Großpolen und in Lit⸗ 
thauen. Ja auch für diefe befchränfte fich der confeffionelle Gegenfag immer mehr bloß 
auf die Abweichung in der Abendmahlsiehre, in welcher fie bei der Augsburgifchen Con⸗ 
feſſion beharrten, und einige Kirchengebräuce; denn in der Kirchenverfaſſung eignete 
fih auch die Intherifche Kirche die auf der Xionfer Synode fir Kleinpolen gefaßten 
Beihlüffe im Wefentlihen an. Dieß gefhah auf der Synode zu Goſtyn im Iumt 
des 9. 1565, welche eine ähnliche Bedeutung wie die zu Zions hat. Auch hier wurden 
geiftliche Senioren, anfangs für jeden Bezirk zwei, fpäter nur einer, Paſtoren ımb 
Diakonen beftellt, mit ganz ähnlihen Befugniffen und Orbinationsgebräuchen wie bei 
den Reformirten. Der Iutherifche Einfluß zeigte ſich nur darin, daß einmal der Einfluß 
der Senioren größer war, indem fie allein die Synoden zu berufen hatten ımd num 
dabei an den Kath der weltlichen Patrone gebunden waren (Art. 6. Seniorum est 
communicato cum Patronis nostrarum ecelesiarum consilio indicare Synodos tem- 
pore opportuno) und fodann darin, daß die Wahl der weltlichen Patrone gänzlich der 
bürgerlichen Obrigkeit überlaffen und diefe mit Berufung auf altteftamentliche Vorbilder 
zur Erhaltung und Verforgung der Kirche ermahnt wird. Vergl. Fiſcher a. a. O. 
©. 55 fi. Erſt jetzt fonnten geordnete Synoden mit anerkannter Vollmacht gehalten 
werden und eim Fräftiges Leben mit Ausftoßung der heterogenen Elemente entftehen. 
Dief zeigte ſich fogleich, indem der Kampf des Flacianiſchen Lutherthums gegen die 
Böhmifchen Brüder hier umbeirrt durch die Gegenwart der Reformirten von nenem Ge⸗ 
legenheit befam, hervorzutreten. Benedikt Deorgenftern, obwohl auch von Thorn im 9. 
1567 vertrieben, fah fich für berufen an, in diefen Öftlichen Gegenden überall das durch 
Saframentirer gefährdete Lutherthum zu retten. Sein Eifer mar duch Vorgänge im 
Danzig, wo um diefe Zeit ebenfalls ein Abendmahlöftreit zwifchen Flacianern und Die 
lonchthonianern ausgebrochen war, und durch die vom Danziger Rath veranlaßte fogen. 
Danziger Notel feine vorläufige Erledigung gefunden hatte (vgl. Schnaaſe a. a. O. 
©. 50) neu belebt worden. Es war ihm gelungen, Flacins in das Intereffe zu ziehen, 
und diefer ließ fogleih (1564) eine feiner heftigften Streitfchriften, in der er bie Dan- 
ziger Prediger „verhüllte Wölfe, heimliche Verführer und flumme Hunde« ſchilt, aus⸗ 
gehen. Eine große Zahl von Streitfchriften erfchien und die Bewegung konnte auch im 
eigentlichen Polen nicht unbeachtet bleiben. Schon in Goſtyn erfchien Morgenſtern 
entweder perſoͤnlich oder durch Abgeordnete und klagte über die Brüder, deren falfche 
Lehre unter dem Schein der Frommigkeit Viele verführe; die Synode beſchloß, die 
Böhmen, mit denen man gern in Frieden umd inigfeit leben möchte, zu ermahnen, 
bon den Unfeindungen gegen die Lutheraner abzulafien, wo aber nicht, deutlich und frei 
zu befeunen, warum fie ihre befonderen Gemeinden und Gottesdienfte hielten und warum 
fie fi von denen der Lutheraner zurüdzögen. Bergl. Hartknoch a. a. DO. ©. 898. 
Ohne Zweifel war dieſer Beſchluß nit im Sinne Aller, mwenigflens nit im Sinne 
defjen, der auf eben dieſer Synode zum Senior erwählt wurde, des Erasmus Gliezner. 
Daher ift e8 wohl erklärlich, daß die nächſte Synode der Lutheraner, die am 28. Ja⸗ 
nuar 1567 zu Poſen gehalten wurde, einen neuen Verſuch zur Ausgleichung der Diffes 
venzen mit den Brüdern machte. Diefe Synode, die erfle nach der Conflituirung der 
polnifch-Intherifchen Kirche, war fehr zahlreich befucht, und namentlich erſchienen dafelbft 
auch die meiften der zum Lutherthume ſich haltenden Magnaten, wie bie Gorla, Lesz⸗ 





Genbemir 85 


aus, Tomidi, Dfieorog. Morgenſtern ſelbſt war zugegen und trat als Unfläger gegen 
bie Brüder auf, denen er im einer eigenen Schrift zwölf Yerthumer nadhfagte (vergl. 
ig a. . ‚682. — Frieſe a. a. D. IL S. 408). Die Hanptpuntte darin 
betrafen die Lehre vom der Rechtfertigung und vom Abendmahl, in denen in der That 
bie ou den Lutberanern abwichen. Auf der Synode felbfi, auf welcher bie 
Brüder durch Georg Ierael und Johann Lorenz vertreten waren, kam die Angelegenheit 
nicht zur —e— man Aberſchickte ihnen die Anklageſchrift erſt nad) der Simode. 
Die God exfchien wichtig genug, um nicht privotim ven Einzelnen, fondern vom ber 
genen Örhberunität in Erwägung gezogen zu werden. Zu dem Ende wurde vom dem 
Brüdern eine zahlreich befuchte Synode zu Prenau (24. Juni 1567) berufen und auf 
derfelben vom engeren Nathe die Frage geftellt, ob eine Bereinigung mit den Katholiken, 
Utrequiften oder Evangeliſchen zuläffig fey. Die Antwort lautete, mit deu Katholiken 
uud Utzoguiften fen fie unmöglid.... Was die Epangelifchen betzeffe, fo verwerfe mau 
leineswegs das Gute, was immer von ihnen fidh irgendwo finde, wolle fidh auch mit 
ihnen verbimden, doch nicht in der Weife, dag man damit die bisherige Bereinigung 
waigcben tmolle, es dürfe nur eine Verbindung der gefammten Unität mit den Evan⸗ 
viren, aber nicht ihrer einzelnen Mitglieber angebahnt werben. Entſchieden wurde 
aber jede Berbindung mit allen jenen abgelehnt, die une dem Namen nad) Evangeliſche 
feyen, der That nach aber jeder Ordnung und Disciplin entbehrten. Bol. Sindely a, 
. I. S. 79. Hienach erfolgte denn andy eine anonyme, aber von Lorenz verfaßte 
von dem Genioren gut geheißene Gegenſchrift gegen bie Unklage der Pofener 
mode (den 16. Sept. 1567) umter dem Titel: Besponsio brevis et sincers frat- 
rum, quos Valdenses vocant, ad nsevos ex apologia ipsorum exoeptos a ministris 
Augustinae confessionis addietis in Polonia. Während es ihnen leicht wurde, bie 
übrigen Unklagen zu twiderlegen, begnügten fie fid, in Aüdficht auf die oben angege- 
ebenen darauf —— daß fie immer gelehrt, der Menſch werde allein aus Gnaden 
nit Yard die Werke felig, und baß im heil. Abendmahl das Brod falramentlicher 
Beife der Leib Chriſti ſen. Das war mm wohl vom philippiflifchen Standpunkte ge- 
aögend, aber wicht vom Iutherifchen, daher natürlich Morgenſtern und die ihm Gleich⸗ 
gefiunten damit nicht befriebigt waren. Da gefchah es nım, daß gerade einer ber eifrigften 
—— der ehemalige Amtegenoſſe Morgenſtern's in Thorn, Stephan Bilow, 
Untenutniß der dermaligen Sachlage den Vorſchlag machte, das Urtheil der 
Blnkna Untverfität über die Stellung zum den Brüdern einzuholen. Mau kann es 
aur aus der mangelhaften Berbindimg Polens mit Deutſchland erklären, daß eifrige 
Facianer im einer wichtigen kirchlich⸗ dogmatiſchen Frage an das Urtheil ber Wittenberger 
appellirten, während doch ganz Deutſchland wußte, wie gerade diefe Univerfität als Sig 
des Philippisunms tm Verdacht der Abweichung vom der reinen Intherifchen Lehre ſtand. 
Dei die philippiiifche Partei des Gliczuer diefem Vorſchlage freudig zuftimmte, läßt 
fi erwarten. Bergl. Salig a. a. DO. ©. 688. Unabhängig von diefen Borgängen 
en aber auch die Brüder den gleichen Entfhluß gefaßt, nämlich eine Debutation 
nah Wittenberg zu fenden, um ſich ein günfliges Zengniß über ihre Rechtgläubigfeit 
za verfchaffen. Neben dem verdienten Anſehen, welches txog der Berbäcdtigungen der 
Flacianer Wittenberg damals noch genoß, bewog fie dazu wohl der Umfland, daß dort 
nicht weniger als 12 Brüder fiubirten umd anf diefe Weiſe ſchon ein natürlicher Zu- 
fanmenhang zwiſchen den Profefforen und Böhmen angebahnt var, und daß ber viel- 
bermdgende Dr. Saspar PBencer, Brof. ber Medicin in Wittenberg, ſchon längft mit 
den Brüdern in freundlichem brieflichen Verkehre fand. Die Geſandtſchaft beftand ans 
Ich. Lorenz und Joh. Bolylarp, wom fi in Wittenberg noch Simeon Theophil 
Turmovins gefellte, der zwar noch Student var, aber ſchon damals ſich fo außzeichnete, 
deß er als willtommener Gehülfe gelten kounte; dieſer junge Mann ift fpäter in ber 
Unität zu hoher Beruhmtheit gelangt und einer der Hanptiräger der projeltirten Union 
geworden. Wie zu erivarten, fanden bie Klagen ber Brüder über bie Steeitfudt der 


36 Senbomir 


auch in Polen thätigen flacianifchen Partei bei den Wittenberger Profefioren geneigtes 
Gehör, und fhon darum auch das vorgelegte Belenutniß (nämlich die oben erwähnte 
Bertheidigungsfchrift) eine nadjfichtige und wohlwollende Beurtheilung. Die fchriftliche 
Antwort (vom 24. Fehr. 1568 datirt) von Paul Eber, Georg Major und Paul Erell 
unterfchrieben, tadelt nur unbedeutende Nebenpuntte an den Brüdern, erkennt fie aber 
als Slaubensgenofien an, beruft fi) auf das frühere lobende Zeugniß Luther’ über 
fie und rühmt ihre Beſtrebungen zur Herftellung einer wahren Eintradt. (Den inter- 
efianten Bericht der Brüder über diefe Wittenberger Gefandtichaft hat zuerſt Loſcher 
in der Historia motuum, Tom. III. p. 41 veröffentlicht, dann auh Gindely im deu 
Fontes rerum Historiacarum p. 294 sqq.)., Gegen ein folche® von fo angefehenen 
Männern ausgeſprochenes Urtheil, was die flacianifche Partei vergebene umzufloßen 
verfudhte, mußte der Widerfpruch verftummen. Der Adel in Bolen, mit den genaueren 
Beflimmungen des gegenfeitigen Streite® unbelannt und von dem Bebürfniffe nad) 
Einigfeit gegenüber der durch die Jeſuiten erftarkten römifchen Kirche befeelt, drang 
unverzüglicd; darauf, das erfreuliche Nefultat diefer Neife nun auch zur Herftellung der 
bisher vergeblich verfuchten Union zu verwerthen. Dan kam bald dahin überein, daß 
zu einer bölligen Verfchmelzung der drei Belenntniffe, die bisher in Polen feiten Fuß 
gefaßt hatten, der Tutheraner, Brüder und Calviniften, fein hinreichendes Bebürfnig 
vorhanden ſey und daher auch nicht verfucht werden dürfe. Dan wollte nur eine gegen- 
feitige Anerlennnng befunden und dafür fefte Normen gewinnen. Es follte als Grund» 
fag gelten, daß die Differenzen zwifchen den drei Belennern nicht das Weſen des Glau⸗ 
bens betxeffen, und daher jeder Belenner der einen Bartei auch in gewiffem Sinne ale 
Glied aller anderen angefehen werben könne. 

Zu diefen aus dem innern Bedürfniſſe nad Einigung herſtammenden Motiven 
famen auch noch äußere Rüdfichten, welche in der politifchen Lage des Reichs begründet 
waren. Die eifrige Thätigkeit des päbftlichen Legaten Commendone hatte bei der ſtets 
ziwifchen entgegengefegten Entjchlüffen ſchwankenden Haltung den König Sigismund 
Auguft für eine kurze Zeit zu gewinnen gewußt, und fo mar es gefchehen, daß anf 
dem Reichstage zu Parczow (7. Aug. 1564) die vom Legaten übergebenen Dekrete bes 
Zridentiner Concild angenommen wurden. Die dagegen von den evangelifchen Ständen. 
beantragte Propofition, die Antitrinitarier und WUnabaptiften zu profſkribiren, fcheiterte 
an den energifchen Borftellungen des Cardinals Hofins, der darin nicht mit Unrecht 
eine Gefahr für die römifche Kicche fah. „Mögen die Selten“ — fchrieb er an den 
König — „ſich gegenfeitig aufreiben; denn Krieg unter den Selten ift Friede für die 
Kiche. Darum möüflen entweder alle proftribiet oder alle tolerirt werden.“ Berg. 
Eihhorn, der ermländifhe Bifhof und Cardinal Stanislaus Hoflus, Mainz 1854. 
I. ©. 223. Dogegen fegte e8 feine Partei duch, daß alle ausländifchen Prediger, 
weicher Selte fie immer angehören möchten, als fiaatsgefährliche Wühler aus dem Reiche 
follten vertrieben werden. Das war ein harter Schlag für die Evangelifcdhen, denn eine 
große Zahl ihrer bedeutendften Prediger waren Ausländer, doc noch mehr traf er die 
Unitarier und Unabaptiften, die vorwiegend von Stalienern geleitet wurden. Die Ans. 
führung des Edikts fand deshalb lebhaften Widerftand. Der König, darüber erfchredt, 
gab fofort zur Beruhigung der Evangelifchen eine Dellaration, wonad das Parczower 
Dekret fid) nur auf die Unitarier und ähnliche Selten beziehe. Vgl. Eichhorn a. a. 
D. ©. 224. Da aber hierunter auch die Böhmifchen Brüder mitbegriffen werden 
tonnten, fo begab ſich eine eigene Deputation von angefehenen, den Brüdern anhäng- 
Iihen Magnaten, der Graf Ofteorog an der Spige, im Begleitung des Senior Joh. 
Lorenz, zum Könige, überreichte ihm die in's Polniſche überfegte böhmifche Eonfeffioze 
und beivog ihn, durch ein eigenes Edikt die Brüder von jeder Verfolgung auszunehmen 
und fie des ausdrüdlihen Schuges zu verfihern. Vgl Frieſe, Kirchengefchichte des 
Königreih® Polen, IL. 357. 

So war denn auch von Seiten der weltlichen Obrigleit eine engere Bereinigung 


> 


Senbemir 37 


ber drei evangelifchen Parteien und ihre Unterfcheidung von ben Unitariern ausge⸗ 
rohen. Mehrfache Synnoden der Reformirten hatten überdieß fchon den Gegenſatz 
gegen die letzteren zur hochſten Spannumg gebradjt. Als num im Juli 1569 der wichtige, 
für die Geſchichte Polens entfcheidende Reichstag zu Lublin gehalten wurde, auf der die 
lange projektirte ftaatliche Union zwiſchen Polen und Fitthauen zu Stande kam, bot bie 
zahlreiche Anweſenheit des edangelifchen Adels dafelbft die geeignete ®elegenheit bar, 
die Sache der firdjlihen Union in nähere Berathung ıu nehmen. Man hegte dabei 
die bei dem wankelmüthigen Karalter des Königs eitle Hoffnung, daß der König, der 
fih damals gerade in einer dem Proteflantismus günfligen Stimung befand und viel 
Urſache hatte, der romiſchen Kicche zu mißteauen, ſich nad) gefchloffener Bereinigung 
dem evangelifchen Belenntniß anſchließen würde. Um nun die wichtige Angelegenheit 
gehörig vorzubereiten umd fo zum ertivünfchten Ziele zu führen, wurde in Lublin be- 
ſchloſſen, zunähft in kleineren Kreifen feparate Berhandlungen zur Uusgleihung der 
Differenzen vorzunehmen. Eine ſolche Berhandlung zwiſchen Lutheranerun und Refor⸗ 
mirten if in Wilna (2. Mär) 1570) vor fidh gegangen, aber nichts Räheres darüber 
beim geworden, als daß man zn einer wenigſtens für damals befriedigenden Einigung 
gelangte. (Mit Unrecht bezweifelt Frieſe a. a. DO. S. 432 die Eriflenz biefer Bor- 
bereitiingefyseode. Sie tft hinreichend bezeugt durch den Bericht des Simon Theophilus 
Zumewsti auf der Sendomirfchen Simode. Bgl. Fiſcher a. a. O. ©. 276 u. 287). 
Wichtiger war eine ähnliche Vorberhandlung, die zu biefem Zwecke am 13. Febr. 1570 
im Pofen zwiſchen den Lutheranern und Böhmifchen Brüdern gehalten wurde. Es hatte 
fd day eime große Zahl des evangelifchen Adels, an der Spige der Caſtellan don 
Gueſen, Ioh. Tomidt, eingefunden, und auch die Imtherifche Geiſtlichkeit Großpolent 
betheiligte ſich Lebhaft daran. Den Borfi führte der fchon erwähnte Senior oder Ge⸗ 
nerolfuperintendent Erasums Gliczner, während im Namen der Brüder der Senior 
Geoerg Yerael das Wort führte. Man nahm eine nähere Bergleihung der Augsbur⸗ 
giſchen und Bohmiſchen Eonfefflou vor und ging die einzelnen correfpondirenden Artikel 
genau durch. In den meiflen Artikeln fand man feine wefentliche Differenz, bagegen 
gelang es nicht, in dem Artifel vom Abendmahl eine Uebereinſtimmung herbeizuführen. 
Öftcner vertrat die auch in Deutfchland oft gehörten Intherifdhen Forderungen, nämlich 
daß im Abendmahle der Leib Chriſti substantialiter, realiter, essentialiter und cor- 
poraliter zugegen fen, wogegen Jérael nur zugeftehen mollte, daß der Leib Ehrifti sa- 
eramentaliter do fen, wie es fidh bei einem ſolch unbegreiflihen Geheimniß gebühre. 
„Bon anderen Redensarten“ — ſetzte er hinzu — enthalten wir ıms, damit wir nicht 
mehr behaupten, als unfer Erlöfer gelehrt hat." Bier Tage lang dauerte die Ber- 
hendfung, umd wiewohl man fchließlich nicht zur Bereinigung gelangte, fo war man 
fh doch mäher gelommen. Die Mäfigung, Milde und Freiheit von fleifchlihem Eifer 
anf Seiten der Brüder machte auf die Berſammlung den beften Einhrud, und fo konnte 
man demm mit Hoffnung auf günftigen Erfolg die weitere Erledigung der Sache ber 
zu dieſem Zwecke zu berufenden Seneralfynode überlaſſen. Diefe ſchon auf dem Lub- 
Imer Reichsſtage verabredet, fand denn auch nod in demjelben Jahre 1570 vom 9. bie 
15. April in Sendomir flattt. Ste follte das lange vorbereitete Werk der Einigung 
za Stande bringen und damit der Epangelifation Polens, der Herſtellung einer evan⸗ 
gelifch - polnifchen Nationalficche, vorarbeiten — ein Ziel, worauf bie Hoffmmgen der 
evangeliſchen Bolen vor allen Dingen gerichtet waren. Es zeigte ſich aber bald, daß 
das Bedürfniß dazu nicht von allen dabei Betheiligten gleich lebhaft gefühlt wurde. 
Es war hauptfählich von dem Adel getheilt; ihm lag der politifche Geſichtspunkt einer 
einheitlichen Macht gegenüber den Angriffen der katholiſchen Kirche vorherrfchend am 
Herzen und deshalb betrieb er die Einigung mit allem Eifer. Sodann war es die re- 
formirte Bartei, die mit dem ihr eigenen vordringenden Eifer, mit ihrer auch ander. 
wärts berbortretenden praftifchen Energie diefe Angelegenheit exgriff und die bedeutenden 
Schwierigleiten, weldye der Iutherifchen bei ihrer dogmatifchen Skrupulofität entgegen- 


88 Genbomir 


treten mußten, nur gering ſchätzte. Die Böhmifchen Brüder nahmen eine mittlere Stel. 
Img ein; im dogmatiſcher Beziehung flanden fie den Neformirten am nächften, ihre 
Geſchichte Hatte fle aber auch den Lutherauern nahe geftellt. Sie beiwahrten, als zu⸗ 
nächſt unbetheiligt bei den ſich gegemüberftehenden Parteien, eine gewiſſe unbefangene 
Unpartetlichleit, und fo konnte es gefchehen, daß fie trog ihrer geringen Anzahl bod die 
bedeutendſte Stellung einnahmen und den eigentlichen Ausfchlag gaben. Dies geſchil⸗ 
berte Verhältniß der Parteien fpiegelte fi; zunächſt in der Zahl ber dabei anweſenden 
Perfonen ab. Wie Sendomir in Kleinpolen lag, wo der Calvinismus vorherrfchte, fo war 
andy die Zahl der Reformirten übertviegend groß, weit geringer die der Lutheraner und am 
geringften die der Brüder. Die legteren hatten nur zwei Deputirte gefchidt, nämlich 
A. Brasmomsti, Senior der helvetiſchen Kirche in Enjavien, und Simon Theo 
philus Turnowski, damals Diakon der Böhmifchen Brüder und fpäter ihr Senior. 
Der erflere war kein Glied der Brüderlichhe; die Unität hatte ihn nur erfucht, ein 
Mandat für fie zu übernehmen, weil man feine ihr günftige Gefiunung kannte. Umſo⸗ 
mehr trat der andere Deputixte, der damals 26 Jahre alte Turnoweki in den Vorder⸗ 
grund. Er war ein eifriger Anhänger feiner Siehe; durch tüchtige, auf den Univerſi⸗ 
täten Krakau und Wittenberg geivonnene theologifche Bildung hervorragend, überfah er 
mit ungewöhnlihem Scharfblid fogleich die Rage der Parteien und mußte ſich bald eine 
entfcheidende Stellung zu verfchaffen. Wir befigen von ihm einen an die Senioren in 
Böhmen gerichteten Keifebericht, der über die Vorgänge auf dee Synode zuverläffige 
Auskunft gibt. Dieß Itinerarium Sendomiriense Simeonis Theophili Turnovii, da# 
fih handſchriftlich in Kiffa befindet, ward zuerft von Jablonski in feiner Historia consens. 
Sendom. benugt und if} kürzlich von Rulascemwicz in feiner „Geſchichte der böhmifchen 
Brüderliche im ehemaligen Großpolen“ vollftändig abgedrudt. (Darans hat es Fiſcher 
feinem Werte Bd. I. ©.257 einverleibt), Neben den Brüdern kam es vor Allem auf 
die Haltung der Lutheraner an, fle waren nur durch zwei geiftliche und einen weltlichen 
Deputitten, Stanislaus Bninski, Landrichter von Pofen, vertreten, denn ber dritte 
Geiftlihe, Matthäus v. Krylow, war taub und daher kaum zu rechnen. Aber was ihnen 
on Zahl abging, erfegten fie durch hervorragende theologifche Bildung und das Gewicht 
ihrer amtlichen Stellung. Es waren die beiden Brüder Gliczner, von denen Erasmıd 
Gliczner Generalfenior der Iutherifhen Kichen in Großpolen und Nikolaus Gliczuer 
Senior der Iutherifhen Confeffion im Poſener Diſtrikte war. Sie erfchienen nidt 
bloß als Vertreter ihrer Confeffion, fondern zugleich im Namen aller Großpofen, vor 
Allen des mächtigen Wojewoden von Pofen, Lukas Gorka, und des Caſtellans von 
Onefen, Johann Tomidi. Zahlreicher war die Vertretung ber Reformirten ; nicht we⸗ 
niger als 5 Senioren der verfchiedenen Diftrikte Kleinpolens waren erſchienen, nämlich 
Stanislaus Sarnidi, Senior im Krakauer Diſtrikte, Baul Gilowsli, Senior in ben 
Diftriften Zator und Oswiecim, bdeögleichen Balentin in Podgorze, desgleichen Jalob 
Sylvins, Senior im Checinstifhen Diſtrikt, endlich der fchon genannte Andreas Praz- 
mowsti, Senior in Eujavien. Der zahlreiche anwefende Adel gehörte faft ausſchließlich 
dem helvetifchen Belenntniß an; unter den die Synode begrüßenden und an fie gerich⸗ 
teten 16 Gefandtfchaften, waren außer der einen lutherifchen aus Poſen und der von 
den Böhmifchen Brüdern alle reformirt. Natürlich fielen bei diefem Uebergewwicht des 
einen Belenntnifjes faft alle Wahlen ihm zu: zu Synodaldireftoren aus dem weltlichen 
Stande wurden Stanislaus Myezkowski, Wojevode von Krakau, Peter Zboromweli, 
Wojewode von Sendomir, und Stanislaus Iwan Karminski, fänmtlich reformirten Be- 
feuntniffes, erwählt, zu geiftlichen Präfidenten die veformirten Senioren Paul Gilowski 
und Andreas Pragmowsfi, und zum Sekretär der reformirte Pfarrer Sololomeli. 
Sehr bald zeigte es fich, daß die hervorragendſten Mitglieder der veformirten Partei 
fhon mit einem fertigen Plane nad) Sendomir gekommen waren, wie die gewünſchte 
Einigung zu erreichen fey und die neue polnifc»evangelifche Nationallirche hergeftellt 
werden nme. Er beftand darin, die vor Kurzem erfchienene nene, von Bullinger ver» 


Genbemir 39 


—— helve tiſche Confeſſion für das polnifche Nationalbekenntniß zu erflären und 
in einem amBführlichen Borwort die Stellung zur Iutherifchen Kirche und zur Brüder» 
auität zu erläutern. Gie hatten zu diefem Zwecke die polnifche eberfegung jener Con⸗ 
feffion umb den Entwurf einer folchen Vorrede fchon mitgebracht. Es follte nun die 
Smode die Eomfeffton approbiren und fodann dem König als Nationalbekenntniß über- 
reicht werden. Gin folder Plan war unter den damaligen Umſtänden fehr natürlich 
und durch ähnliche Vorgänge im anderen Rändern gewiliermaßen indicirt. Die Bullin- 
ger’iche Eomfeifion hatte fich feit ihrem Erſcheinen (Mär) 1566) fehr fchnell die faſt 
allgemeine Zuftimmung in allen veformirten Ländern erworben. Wie fie felbft als das 
Gefammtbelesmtnif der ſchweizeriſchen Kicche erfchien, fo fprachen die veformirten Kirchen 
Srankeihe, Schottlands umd Ungarns fofort ihre völlige Zuftimmung damit aus; aud) 
im England, den Niederlanden und bei den Reformirten Deutichlands fand die Con⸗ 
feſſion großen Beifall. Wie konnte es anders ſeyn, als daß die reformirten Polen 
wänfhten, im diefen allgemeinen consensus ihrer Glaubensgenofien aufgenommen zu 
werten und fo and) äußerlich das Band der Gemeinſchaft mit ihnen befeftigt zu fehen ? 
Tersewli erfannte fogleih, daß diefer Plan nothivendig die Stellung der Brüber- 
Kirche beeinträchtigen mäßte, ba diefe unmöglich von ihrer einmal aufgeftellten, von 
Lather und Calvin gelobten Eonfeffion ablafien Tünnten, zumal diefelbe jchon in’s Pol⸗ 
niſche überfegt umd dem König übergeben worden war. Er wünſchte deshalb, die Sy- 
mode möchte dieſe Brüderconfeffion flatt der Züricher amehmen. Freilich hußte er zu 
feinem Scherze erfahren, daß gerade derjenige, den die Unität zum Vertreter ihrer 
Intereſſen auf der Synode auserjehen hatte, der Senior Pragmomeli, der Hauptbefoͤr⸗ 
derer jenes Planes war; neben ihm war befonder® dafür der Kralauiſche Prediger 
Trecins. Daher kam es, daß Turnowski trotz aller Gegenbemühungen in Privawer⸗ 
hendiungen mit den einflußreichſten Mitgliedern doch nicht hindern konnte, daß der 
Sgentühe Gegenſtand der Berhandlung fi, nur um die vorgelegte Borrede zur Züricher 
Eonfeifion uud die einzelnen Artikel derfelben bewegte. Schon bei der Berathung über 
Die Borsede famıen num die verſchiedenen Richtungen zum Vorſchein. Nitolans Gliczner 
empfehl dringend die Annahme der Augsburgifchen Eonfeffion: „fie fen die befte, ge- 
zogen aus der heil. Schrift, am gewichtiger Stelle übergeben, angenommen und, mas 
die Zeit anlangt, befefligt. Gut wäre es alfo, würde fie als die alleinige in Polen 
angenommen“ (vgl. Filher a. a. DO. L ©. 269). Zurmomsli trat mit großer Bes 
ſcheidenheit auf: „er fey nicht Abgeordneter mit Bollmacht und Autorifation, zu thun 
und zu fprechen, was ihm gut dünke, er fen me Bote der Böhmifchen Brüder und 
derjenigen Herren, die zu ihnen halten, mit Briefen an die Synode abgejchidt, um fle 
abzugeben.“ Er vertheidigte damm die Brüder gegen die Borwürfe Gliczner's, daß fie 
verfchiedene Eonfeffionen hätten. „Sie hätten nur eine, die auch in's Bolnifche überfegt 
und dem König übergeben fey. Es Ließe fich daher leicht mit flarten Gründen zeigen, 
dat diefe vor der Augsburg. Eonfeffion den Vorzug verdiene. Doch darüber ſtehe allein 
der Synode daS Urtheil zu." Dies beſcheidene und doch fefte Auftreten rief den Beifall 
der Berſammlung hervor; man fand die Vorwürfe Gliczuer's gegen die Brüder un. 
gerecht. Einzelne gingen fo weit, die Lutheraner als Gtörer des Werle der Eini⸗ 
gung, daB bie Synode vorhabe, anzufehen und den Wunſch auszufprechen, daß fie 
lieber ganz wegblieben. „Die Eonfeffion der Brüder“, fagte ein gewiſſer Herr Lu⸗ 
telali, mad) den Wojewoden der Uugefehenfte, „halte ich für fehr lauter und von fried⸗ 
lichen Leuten aus ber heiligen Schrift abgefaßt. Die Augsburgiſche Eonfefflon iſt 
unter auberen VBerhäftniffen abgefaßt, two Leute mit verwirrten Köpfen verfammelt ges 
tvefen, andere Päpftler, und mehr habe man fich da nad; den Menſchen ale nad 
der Wahrbeit felbft gerichtet, da man bie Päbftlichen mit den Evangeliſchen verbinden 
wollte. Und fo if gewiß, daß ich lieber die Brüderconfeſſion amehme, als bdiefe.“ 
Hiemit war don born herein ein Mißton im die Berfommlung gebracht, der die Folge 
hatte, daß man bie weitere Berathung über bie Vorrede abbrach, in den folgenden 


40 Sendomir 


Seſſionen (am 11. und 12. April) dagegen ſogleich bie helvetiſche Confeſſion felbft 
durchging. Nach Beendigung diefes Gefchäftes follte die Abftimmung über die Annahme 
der Eonfeffion erfolgen, dod; der Wojewode von Krakau, Myszkowski, bemerkte, daß 
dieß unndthig fcheine, denn fie Alle ſeyen darin einig, daß die Confeſſion lauter fe; 
fie befennten fich ja fchon lange zu ihre und brauchten fie durch Abſtimmung nicht erft 
zu empfehlen. Da aber der Hauptzwed der Verhandlung der ſey, fi mit den Brü⸗ 
dern tmaldenfifcher und fächfifcher Confefflon zu verbinden, fo möchten biefe über bie 
Confeffion abflimmen, ob fie mit ber heil. Schrift übereinftimme und ob fie fich mit 
ihr zu uns halten tollten, damit wir Alle fie nicht als bie helvetifche, fondern als eigene 
polnifche herausgeben könnten. Man flimmte bem bei und hielt fiir gut, ein ſolches Ab⸗ 
fiimmen durch einen Ausſchuß der betreffenden Parteien vornehmen zu laffen. Dazu 
wurden die drei lutherifchen Deputicten, die Gebrüder Gliczner und ber Herr v. Bninsli 
gewählt, ferner: Prazmowski und Turnowski für die Brüder, und endlich für die Re 
formirten die Pfarrer Jakob Sylvins, Paul Gilowelt, die Wojewoden von Krakau und 
Sendoniir, der Dr. Stanislaus Roxanka und Diusli. Prazmowski, als Deputirter 
der Brüder flimmte fogleich für die Annahme Turnowski, aud um feine Meinung 
befragt, exflärte, daß er zwar für feine Perſon die helvetifche Eonfeffion, bie er 
fchon lange kenne, als übereinftimmend mit der Brüderconfeffion, nur etwas ausfähr- 
licher und deutlicher anfehe, doc Fünne er diefe Erklärung nur infofern im Namen der 
Brüder abgeben, als diefe nicht verpflichtet würden, ihre eigene Confeffion deshalb zu 
beriverfen, vielmehr bei ihr verharren könnten. Dieß wurde ihnen fofort zugeftanden. 
Es kam nun auf die Entſcheidung der Lutheraner an. Der Wojewode von Sem; 
domir, der im höchflen Anſehen ftehende Zborowski, redete ihnen befonders ein- 
dringlich zu. „Ic weiß wohl“, ſprach er, „daß Ihr es feyd, die Ihr uns in den 
Heilswahrheiten leiten folltet, aber ich weiß es auch, daß Gott der Herr uns Euch zu 
Patronen und Beichügern gegen die Feinde gegeben bat. Es ift die ung eigene Pflicht, 
zur Ehre Gottes Euch zu fügen. Und darum bitte ich, daß Ihr gebührende Acht 
auf Alles haben wollt. Nicht, daß Ihr Euch nur darum Mühe geben wollt, das Wort 
Gottes getren in der Kirche zu predigen, handelt vielmehr alfo, damit Ihr auch mir 
fein Aergerniß gebet, wenn ich Eure Unachtfamkeit und Euren Undank erkennen follte. 
Denn Ihr wißt nicht, was vorgeht, was für Ürbeit wir befländig Euretwegen gegen 
die wachfamen Feinde haben. Eure Herren aus Großpolen helfen uns gar nichts, be⸗ 
ſuchen die Neichstage nicht. Wir allein wachen zur Ehre Gottes über Euch; möchtet 
Ihr wenigſtens einige Rüdficht auf uns nehmen. Handelt fo, daß Ihr nicht auch uns 
mit folcher Laſt darniederbeuget. Wir willen, was wir thun, das gefchieht nach reif- 
licher Erwägung und aus gewichtigen Gründen von uns zum Nuten ber Kirche Gottes 
und um der Eintracht willen, und einigen wir uns, dann ifl große Hoffnung vorhanden 
(dad möge übrigens von Euch nicht weiter gefagt werben) in Betreff des Königs, un- 
fere8 Heren, daß er unfern Glauben annehme. Welche Freude für alle Guten, welcher 
Gram wird den Tyeinden, denen wir gleichſam faft alle Pläne vernichten, aus unferer 
Einigung erwachſen. Gedenft um Gotteswillen! um was es fich für uns handelt, und 
neigt Euch zur Eintracht und gegenfeitiger Liebe, die uns Gott vor Allem befohlen 
hat.“ So ſprach er mit befonderem Ausdrude, erröthend die Thränen zurüdhaltend. 
welche fodann in Rührung vergofien, feiner Rede ein Ende machten. (Bol. Fiſcher 
a. a. O. ©. 282). Dem Eindrude diefer eindriuglichen Vorhaltungen vermocdhten bie 
Gebrüder Gliczner, fo fehr fie ſich anfangs dagegen fräubten, nicht zu widerſtehen; 
insbefondere war es für fie von Bedeutung, daß den Brüdern zugeftanden war, bei ihrer 
Confeffion und Disciplin zu bleiben. Sie erflärten, daß fle zivar nicht von ber Augs- 
burgifchen Confeſſion Lafjen würden, dagegen auch nicht gefonnen feyen, fie als gemein- 
ſames Belenntniß der Synode zuzumuthen. Sie ſchlugen dagegen vor, daß von Allen 
gemeinfchaftlich eine andere, eigentlich polnifche Eonfeffion, abgefaßt werden möge. Damit 
ftellten fie fich auf den Boden der Verhandlung und ihre Zuſtimmung zum Werke der Eini⸗ 


Senbewit 4 


gung war amögeibrochen. Man geftand ihnen fogleich ihre Forderung zu; da inbeß bie 
Grobe darauf nicht vorbereitet war, fo wurde beſchlofſen, auf der nächften, zu Pfingften 
ia Barfhan bevorfichenden Verſammlung die Abfafiung diefer nenen Eonfefflon in 
Ungriff ya nehmen. Da indeh ſchon jet ein Ausbrud der gewonnenen Ginigung ge» 
wänfhht wurde, damit die Synode ein Dffentlihes Dokument dafür anfweifen Töne, 
zumal dos Zuſtandekommen der neuen Confeſſion Bielen unficher und bedenklich er⸗ 
ſchien, wie ſie denn auch in der That nicht zu Stande kam, ja nicht einmal Anſtalten 
dazu gemacht wurden, fo befchlog man ſchon jetzt einen Receß, ähnlich bem im 
Vilna gemachten, abzufafſen und von ber Synode beftätigen zu laſſen. Mit ber 
Abfaffimg diefer Schrift wurde der veformirte Pfarrer in Krakau, Chriſtoph Trecins, 
md Tenandus, ein anderer nicht weiter belannter Pfarrer, beauftrapt. Sie konnten 
ſchon am folgenden Tage dem engeren Ausfchuffe ben verlangten Receß vorlegen. Bier 
werche Einiges verbeffert und darauf am 13. April die Schrift der Synode vorgelegt. 
Hier machte Erasmne Gliczner noch einige Schwierigleiten; er verlangte den Zuſatz 
einiger Borte über das Abendmahl und bie Aufnahme eines ganzen Urtilel® ans ber 

ſachſiſchen Eonfeffion. Darunter war aber nicht die Angsburgifche Eonfeffion gemeint, 
fondern die von Melanchthon für das Zridentiner Eoncil im Auftrage des Kurfürften 
Morig mb im Namen ber ſächſiſchen Kirchen im 9. 1551 verfaßte fogen. repetitio 
confessionis Angustanse oder confessio doctrinae Baxonicarum ecolesiarum. Beides 
wurde zugeflanden, nur im exften Punkte wurde flatt der von Gliczner gemwünfchten 
Borte „convenimus, ut credamus carnem Christi” gefeßt: substantialem praesen- 
tiam Christi non significeri duntaxat, sed vere in coena eo vesoentibus reprae- 
sentari, distribui et exhiberi oorpus et sanguinem domini, symbolis adjeotis ipst 
rei, ninime nudis: secundum sacramentorum naturam. — Hiemit, wie in ber mım 
folgenden Stelle aus der fächfifchen Eonfeffion von den Worten: Et baptismus et 
eoena domini sunt pignora et testimonia gratiae eto., bis zu ben Worten: docentur 
etiam homines etc. (vgl. Corp. Reform. XXVIH. p. 415—18) war beutfich gemng 
antgeſprochen, daB die Grundlage des Vergleichs die philippiftiiche Lehre vom Abend» 
mobl bildete, die mit der veformirten, in der helnetifchen Confeſſion ausgeſprochenen 
und ebenfalls approbirten (placuit praeter articulum, qui est insertus nostrae oon- 
fessioni [der heivetifchen] mutuo consensu adscribere articulum confessionis Saxoni- 
carım eeelesiarum de coena domini) weſentlich gleich ifl. Es fehlen daher alle eigen« 
thumſich Intherifchen Formeln, wie die praesentia corporis Christi in pane, die man- 
ducatio oralis, der Genuß der Unglänbigen, die Formel, daß das Vrod der natlirliche 
Leib Chriſti fen, die phyſiſche Mbiqnität des Leibes Chriftt als objektives Fundament 
\emer Gegenwart im Abendmahl. Wemnn daher fpäter Gliczner den oonsensus gegen 
Intberääe Unfeindungen mit der Behanptung feines weſentlich Intherifhen Karakters zu 
bertheibigen verfuchte, fo war er als Philippift in ähnlicher Selbfitäufchung begriffen, 
wie die Wittenberger Profefforen in den Irnptocalviniftifchen Streitigkeiten. Es mar 
deshalb mohlbegrindet, wenn die firengeren Lutheraner, welche duch die Concordien⸗ 
formel in Deutfchland den Philippismus proffibirten, auch den Sendomirfchen Eon- 
ſers verimarfen. Nur dem Umflande, daß damals im Polen diefe Richtung nur fehr 
vereigelt vorkam und unter den Polen felbft feinen einzigen Vertreter fand, iſt bie gläd- 
Die Durchführung des Vergleichs zuzuſchreiben. UWebrigens darf, wie aus ımferer Dar- 
Rellang herborgeht, wicht überfehen werden, daß die Synode in Sendomir wefentlich als 
me veformirte anzufehen iſt. Auch in dem consensus felbft fpricht fi) das aus. Die 
nostra oonfessio, quam in praesenti synodo edidimus, ift bie helvetifche Eonfeffion. 
Die Reformirten werden im erflen Artikel mit den Brüdern (et nos — et fratres — 
ersdidimus), teil beide ſchon früher fidh mit einander unirt hatten, zufammengeftellt 
mb fie geben das gemeinfchaftliche Zeugniß ab, daß die Bekenner der Angsburgifchen 
Eonfelfion pie et orthodoxe sentire de deo et sacra trinitate atque incarnatione 
flũ dei et justifiostione nostra aliisque praecipuis capitibus; baranf folgt dann: 


42 Sendomir 


„etiam ii, qui Augustanam confessionem sequuntur, professi sunt candide et sin- 
core, Be vicissim tam de nostrarum ecolesiarum quam de Fratrum Bohemicorum — 
oonfessione de Deo et sacra triade, incarnatione filii dei, justifioatione et aliis 
primariis capitibus fidei christianae, nil agnoscere, quod sit alienum ab orthodoxa 
veritate et puro verbo dei.” ine ſolche Stellung entfprad, der damaligen Sadjlage 
in Polen; die Neformirten waren der bei meiten überwiegende Theil, und troß ber 
latholiſch⸗ jefnitifchen Reaktion, nod; immer im Vorbringen begriffen, die Lutheraner 
waren nur in Großpolen und Litthauen verbreitet und ihre politifhen Patrone ohne 
maßgebenden Einfluß; ihre Stüge waren hauptfächlich die Deutfchen, die auf den Reicht 
tagen feine Vertretung hatten. Daher konnte es Bielen, äußerlich betrachtet, als ein 
Sieg des Lutherthums erfcheinen, daß die flreitige Lehre des Abendmahls in dieſer 
Urkunde mit den Worten Melanchthon's dargeflellt wurde, während fie, genauer bes 
teadhtet, nicht einmal die eigenthümlich calvinifche Lehre enthält, fondern ſich fehr gut 
mit der zwingliſchen vereinigen läßt. 

Wenn fo der Sendomirfche Eonfens nicht als ein Dokument zu wirklicher dogma⸗ 
tifher Einigung zwiſchen Lutheranern und Reformirten angefehen werden Tann und in 
diefer Beziehung bei weitem hinter der Wittenberger Concordie zurüdfteht, fo bleibt er 
nichtSbefloweniger eine bedeutungsvolle und wichtige Exfcheinung des Unionstriebes, der 
im Proteflantismus damals noch lebte. Er bietet zunächſt in der gegenfeitigen An 
ertennung der Lutheraner und Neformirten, und zwar nicht bloß als einzelner Indivi⸗ 
duen, fondern als kirchlicher Gemeinfchaften die einzige fittliche Baſis, anf der eine 
wahre Union fich auferbauen kann. Imdem er fobann ausfpriht, daß in den Haupt 
artikeln des chriftlichen Glaubens (in primariis capitibus fidei ohristianae) zwiſchen 
beiden Parteien kein Diffenfus beſtehe, rüdt er die Abendmahlelehre aus der centralen 
Stellung heraus, in die fie bie Iutherifche Polemik gebracht hatte um fie zum Yunda 
ment der Trennung ziveier Kirchen zu machen. Ferner iſt er nicht fliehen geblieben bei 
ber theoretifchen Anerkennung einer gegenfeitigen freundlichen Stellung beider Kirchen, 
wie dieß in der Wittenberger Eoncordie gefchehen war, fondern er fügt zugleich Vor⸗ 
fhläge zur praftifhen Durchführung der getvonnenen Union Hinzu, und macht biefe da» 
durch zu einem Vertrag umd Bund, wodurch beide Theile fich gegenfeitige Pflichten 
auferlegen. Bon geringerer Bedeutung iſt dabei, daß man feftfegte (ad hanc fraternam 
societatem oonservandam tuendamque) nod einmal zufammenzufommen, um aus ben 
gegenfeitigen Bekenntniſſen eine Kurze Darftellung der Lehre (ein compendium corporis 
doctrinae) zufammenzuftellen unb diefe als die gemeinfchaftliche Lehre aller evangelifchen 
Kichen in Bolen, Litthauen und Samogitien herauszugeben. Dazu iſt es, wie fchon 
erwähnt, nicht gekommen, und es hätte bieß die junge, bon manden Gefahren bedrohte 
Kirche nur in neue Streitigfeiten verwickelt. Denn es gab in Polen keinen hervor⸗ 
zagenden Theologen, dem man ein fo fchivieriges Gefchäft mit Hoffnung auf allgemeine 
Zuftimmung hätte übertragen lönnen. Dagegen wurde nicht bloß gegenfeitig berfprochen, 
biefen Eonfens zu vertheidigen gegen bie Päbftler, die Sektirer und gegen alle Feinde 
des Evangeliums, fondern and befchloffen, von nım an allem Streit und Hader ab- 
zufagen (altum silentium imponamus omnibus rixis, distractionibus, dissidiis, qui- 
bus evangelii cursus non sine maxima multorum piorum offensione impeditus ost, 
et unde adverseriis nostris non levis calumniandi occasio sit subministrata). Um 
ferner diefen Conſens noch weiter antzubreiten und fruchtbar zu machen, wurde bes 
fchloffen, daß Jeder den Gottesdienſt und die Sakramente bes anderen Theile bedienen 
önne, mit Vorbehalt indeß der beflehenden Ordnung und Disciplin einer jeden Kirche. 


Denn die gotteßdienftlichen Gebräuche und Eeremonien jeder Kirche follen frei von biefer 


Bereinigung gelaflen bleiben, fofern die Lehre felbft und das Fundament umferes Heils 
nur unvberrädt bleibt. Endlich verfprah man zum Zeugniß der gegenfeitigen brüder⸗ 
lichen Liebe, alle wichtigen Angelegenheiten ber Kirche in Polen, Litthauen und Samo⸗ 
gitien gemeinfchaftlich zu berathen (consilia officiave charitatis mutus inter nos oon- 


ferre et in posterum de coonservatione et inoremento omnium totius regni pie 
rım, erihodoxarum reformatarum eoclesiarum tanquam de uno corpore 6ONEU- 
leo pollisiti sumus), Wenn alfo von einer Kirche Seneralfimoden gehalten werben, 
fo foll das den anderem angezeigt und Deputirte zu benfelben gefchict werben. 

Dieß iſt der Inhalt des Sendomirfchen Eonfenfes. Die Freude über das in fo 
kurzer Zeit glüdlich zu Stande gebrachte Refultat war bei allen Mitgliedern ber Stmobe 
gleich greß und äußerte fich im gegenfeitigen Beglücdtvänfchungen und gemeinſchaftlichem 
Bob und Preis Gottes. Gliczner erklärte noch namentlich, daß er und die Lutheraner 
ut den Brkdern im Freundſchaft, Liebe und Eintracht leben wollen und zur Bekräfti⸗ 
gung devon eine Berfammlung wit ihnen in Poſen zu halten beabfichtigen. Diefe Po⸗ 
feuer Berfamminng fand fogleih, als die Gebrüder Gliczner von Sendomir zurück⸗ 
gelehrt waren, am 20. Mai 1570 flatt, und hat durchaus benfelben Geift einträchtigen 
Juſammenwirlens wie in Sendomir gezeigt. Die dort gefaßten Befchläffe (oonsignatio 
observalionum neoessariarum ad confirmandum et oonservandum mutuum consen- 
sım Sendomirise a 1570 d. 14 April. in vera religione christiana initam inter 
ministros Augustanae confeasionis et fratrum Bohemorum Posnanise eodem anno 
Meji 20 facts et a ministris utriusque coetas approbata et reoepta) fnuen be&halb 
als eine wefentliche Ergänzung des Sendomirſchen Vergleichs angefehen werben, wie fie 
denn auch fpäter auf verfchiedenen polnifchen Synoden gewöhnlich mit demfelben ver- 
bunden approbirt wurden. Die Verfammlung in Bofen war fehr anſehnlich vertreten. 
Die Brüder hatten zwei Senioren dorthin gefchidt, Georg Israel umd Johann Lau 
pertins, außerdem waren noch mehrere Pfarrer, Diakonen und Rektoren befielben Be⸗ 
lernniſſes daſelbſt. Die Lutheraner hatten ihre bedeutendften Prediger aus Großpolen, 
die Gebrüder Gliczner an ber Spige, um ſich verſammelt. Außerdem waren bon welt 
lichen Patronen der Wojewode Lukas Gorka, der Caſtellan Joh. Tomidi, Audreas 
Kycznnat uud mehrere angeſehene Bürger aus Poſen zugegen. Die Lutheraner machten 
anfangs einige Berfuche, den Seudomirer Vergleich in gewiffer Beziehung zu befchränfen, 
fe hatte zu dem Ende 15 Punkte anfgefegt. Die Brüder flellten dagegen 10 Bemer⸗ 
Emgen auf. Nach einigen Verhandlungen blieben die Lutherauer bei vier Pıumften 

eben, die das Abendmahl betrafen; fie verlangten, daß bon demfelben nicht anders ge⸗ 
ſprochen werde, als wie es bei den Belennern der Augsburgiſchen Confeſſion üblich eh, 
wes die Brüber nicht zugeben wollten (vgl. Sindely a. a. O. IL ©. 87). Auch bier 
gaben endlich die Lutheraner nach und man beflimmte, daß unter Vermeidung aller dem 
Sendomirer Vergleiche und ber ſächſiſchen Eonfeffion fremden Ausbrüde vom Abend» 
wahle gelehrt werden foll (Art. 5.). Im Uebrigen kam man bald überein und ber- 
emgte ch über Folgende Punkte als praftifche Durchführung der allgemeinen Grund» 
füge de Sendomirſchen Vergleichs. Jeder Theil folle bei den Gebräuchen im Gottes⸗ 
dienſt wie in der Austheilung der Sakramente bleiben, die bei feiner Kirche üblich find, 
uud dieß ohne den Verdacht, damit Anftoß zu erregen (absque ulla offensionis suspis 
cione. Art. 2.). Wenn an einem Orte ziwei Gemeinden umb Prediger find, folle der 
eine den anderen im Falle der Noth im Predigen und in der Saframentsberwaltung 
vertreten, ohne damit dem Berdachte des Anſtoßes ausgefegt zu fen. Iſt dagegen an 
een Orte ne ein Prediger und eine Gemeinde, fo folle der Patron berfelben feinem 
Prediger des andern Belenntniffes (ooetus alterius) zur Predigt und Sakeamentsver⸗ 
altung zulaflen ohne Zuftimmung des Predigers der Gemeinde. Kein Prediger foll 
die Öfieder der anderen Gemeinde zu fi, herüberziehen, fie vielmehr in der Gemeinde, 
er fie angehören, zu erhalten fuchen (Art. 6.) Jede Polemik in Predigten und Schriften 
su verboten ſen (Art. 7.). Die Senioren jeden Theil follen fich die Förderung dieſer 
Iron angelegem ſeyn lafien, umd wenn es ndthig ſeyn würde, zwei⸗ oder breimal des 
dahres zufannmenfommen umd gegenfeitige Verathungen mit einander austanfchen 
Art. 8). Keim Theil folle privatim am der Lehre, ben Kirchengebräuchen, und Kirchen⸗ 
mi Wenderungen vornehmen, fondern dieß nach dem Urtheil der Beiftlichen ber eigenen 








u Genbomir 


Eonfeffion unverfehrt bleiben (Art. 9.). Die Kicchenzucht fol von allen Predigern 
ernftlich gepflegt werden und ebenfo gegen die Prediger wie die übrigen Glieder ber 
Bemeinde ohne Auſehen der Perfon gelibt werden (Art. 10. 11.). Es ſoll unverboten 
fehn, daß Prediger und Gemeindeglieder beiden Theiles gegenfeitig fich zur Froͤmmig⸗ 
feit und Buße ermahnen (Art. 11.). Kein Prediger ſoll Gemeindeglieder vom anderen 
Theile ohne Zeugniß bes rechtmäßigen Seelforgers zum Abendmahl zulafien, ausgenommen 
den Fall der Neichstage, Generalfynoden umd Reifen (Art. 14.). Die mit dem Banne 
in einer Gemeinde belegt find, dürfen in einer anderen Gemeinde des anderen Belennt, 
niffes nicht zum Abendmahl zugelaffen werden, wenn file nicht vorher in ber Gemeinde, 
die fie geärgert haben, abſolvirt find (Art. 16.). Daffelbe gilt von Predigern, die in 
einer Gemeinde abgefegt find; fie dürfen nur von der Gemeinfchaft, der fie angehört 
haben, wieder aufgenommen werden (Art. 16.). Patrone dürfen keine Befehle zur Aen⸗ 
derung ober Neuerung ber Ceremonien ohne Öutheißung der Senioren geben (Art. 17.). 
Ale papififchen Kirchengebräuche, wie Erorcismus, gößendienerifche Bilder, Reliquien 
der Heiligen, Gebrauch der Lichter, Weihe der Kräuter, Fahnen, goldene und filberne 
Krenze, follen nach umd nach abgefchafft werden (Art. 18.). Wenn eine Irrung in der 
Lehre oder Gebräuchen zwiſchen den Prebigern beider Bekennmiſſe eintreten follte, fo 
fol man fie untereinander friedlich beilegen, und wenn dieß nicht gelingt, foll man bie 
Entfcheidung der Generalfynode von Groß- und Kleinpolen anheimflellen und biefe für 
bie gefuchte Wahrheit aufrichtig anerkennen (Art. 19.). 

Groß war die Freude der. Berfommlung, als diefe Beſchlüſſe nach manchen Bera⸗ 
thungen zu Stande kamen und man fich feierlich gelobte, dabei zu verbleiben. „Mittler 
meile« — fo heißt es in einem alten Berichte über dieſen Eonvent — fland das 
ganze Bolt vor ber Thüre des Haufes, wo die VBerfammlung gehalten wurde, ımd als 
fie da8 „„Herr Gott, dich loben wir!“ anftimmen hörten, fo fielen ſie unter vid 
Freudenthränen mit ein und brachten dem Gott des Friedens ein Dankopfer, meldet 
feinem Alles durchdringenden Auge um fo angenehmer feyn mußte, da es dem Bolk 
durch feinen obrigkeitlichen Befehl, durch keine Gewohnheit, durch Teine beftimmte Zeit 
abverlangt wurde⸗ (vgl. Fifcher a. a. D. ©. 183). — Um erfien Sonntage nad Tri⸗ 
nitatis (28. Mai) bezeugte man die gefchehene Bereinigung durd; einen feierlichen Gottes⸗ 
bienft, bei welchem der böhmifche Senior Joh. Laurentius zuerft in der Intherifchen 
Kirche polnifch prebigte und ſich dabei des weißen Chorrods bediente, welcher fonft bei 
ben Brüdern nicht gewöhnlich war. Nach geendigtem Gottesdienfle in der Iutherifchen 
Kicche gingen beide Gemeinden hinter ihren Geiftlichen ber durch die Stadt durch bil 
zu dem Bethauſe der böhmifchen Brüder; dafelbft hielt Herr Nikolaus Gliczner eim 
polnifhe und der Diakonus Abdeal eine deutfche Predigt ohne Chorrod, als welcher bei 
den Brüdern nicht eingeführt war (vgl. Fifcher a. a. O. ©. 184). 

Der Sendomirfche Vergleich fammt diefer ihm folgenden consignatio Posnensis 
ift ohne Frage die wichtigfte Angelegenheit der polnifch-evangelifchen Kirche; er bildet 
geiiffermaßen den Angelpunft, um den fich ihre folgende Befchichte bewegt. Man kann 
nicht behaupten, wie oft gefchehen, daß er nur aus weltlichen Rüdfichten gejchloffen wurde; 
denn dann hätte er fich fchneller, als gefchehen, wieder aufgelöfl. Wohl aber lag em 
unzweifelhafter Nachtheil darin, daß das reformirte Element darin zu ſehr präponderirte 
und dadurch den firengeren Lutheranern, tie fie durch die Concordienformel zur ortho⸗ 
doxen Partei getvorden waren, bie rüdhaltlofe Zuftimmung dazu unmöglich gemorben 
war. Zwar hatte ſich die polnifch»enangelifche Kirche überwiegend zu einer reformirten 
entwidelt, aber fo weit fie mit Deutfchlaud in Berührung kam, erfuhr fte Intherifchen 
Einfluß, und von hier aus mußte fi) denn aud die Oppofition gegen den Conſens 
Bahn zu bredien. So geſchah e8 in Pitthauen, obwohl auf den Partilularconventen zu 
Wilna und Kaydan der Receß nebilligt worden war, fpäter durch die concordia Vil- 
nensis a. 1578 inter germanicas et polonicas ecclesias constituta, durch melde ein 
fireng Intherifches Bekenntniß aufgeftellt und der Sendomirſche Conſens befeitigt wurde, 


Servatins 4 


md matärlich die alte Trenunng zwiſchen Lutherauern umb Reformirten wieder ſich er⸗ 
uenerte. Noch lebhafter waren die Kämpfe, welche der beutjch- Iutherifche Prediger 
Baal Gerile in Poſen gegen den Conſens erregte und welche aud) Beranlafjung wurden, 
daß der bisher treu zur Bertheidigung defielben aufgetretene Erasmus Gliczner fid, zum 
Abfall von feinem früheren Standpuntte verführen ließ. Zwar gelang e8 einer im 2. 
1580 zu Poſen verfammelten Provinzialfynode, die Ruhe wieder berzuftellen, aber biefe 
ar nit von Dauer. Erſt auf der Generalſynode zu Thom im Jahre 1595, bes 
größten, welche überhaupt in Polen gehalten worden if, ward unter anderen wichtigen 
Berhaublungen auch diefer Gegenſtand vorgenommen und durch erneute Beflätigung des 
Sendomitſchen Bonfenjes erledigt. Frühere Beflätigungen defjelben fanden anf ber 
Generalfynode zu Krakau 1573, zu Wladislaw in demfelben Jahre und zu Petrikau im 
Jahre 1578 flott. 

Die Geſchichte des Sendomirfchen Vergleichs ift oft, aber felten mit Unparteilich- 
kit und Vollfiändigkeit befchrieben worden. Außer den angeführten größeren Werten 
von Frieſe, Fiſcher, Gindely, Löfcher, Salig, Jablonski, find noch zu 
erwähuen: Pettus Zorn, Hiftorie der zwifchen den Lutheriſchen und Reformirten 
Theologis gehaltenen Eolloquiorum, S. 107. — Joh. &. Wald, hiftorifche und theo⸗ 
logiſche Einleitung in die Religionsfireitigleiten, III. S. 1043. — Bed, die fymbo- 
boltfhen Bäder der evangel.»reformirten Kirche, IL ©. 87. — Niemeyer, Col- 
lectio confossionum in ecolesiis reformatis publicatarum. Praef. LXX. — Nipfd, 
Urkundenbucd, der Evangelifchen Union mit Erläuterungen, ©. 71. Erb 

ind, der heil. — Nach Athanafins (Apol. IL p.767) befand ſich unter 

den Beifigern des Coucils von Sardica im I. 347 auch ein galliicher Bifhof Ser- 

batims, vielleicht der nänliche, der (uach Athanaf. Apol. IL IL p. 679) im 9. 350 

von Magnentins nebft mehreren Anderen als Gefandter an Kaifer Conſtantius gefchidt 

warde, und fehr mwahrfcheinlich der nämliche, den Sulpicins Severus (Hist. Sacra LI. 

p- 166) als Bifchof von Zongern bezeichnet und unter den ftandhaften Coufeſ⸗ 

ſoren athanoſianiſcher Rechtgläubigleit beim Concil von Rimini im 9. 359 erwähnt. 

doß am diefe Angaben laflen ſich als wirklich gefchichtliche Nachrichten über den tung- 

riſchen Biihof Servatius betrachten; denn ſchon die Nachricht, daß er einem Provinzial 

concil zu Köln im I. 346 beigewohut habe, ift eben fo verdädtig, wie die Aechtheit 
der angeblichen Alten diefes Eoncils; und mit dem, was Gregor von Tours (Hist. 
Francorum II. 5.5; vergl. De glor. Confessorum c. 72.) über ihn berichtet, betreten 
wir vollends das Gebiet der ganz unkritifchen Legende. Denn darnach wäre Serbatins 
erſt mm die Zeit des verheerenden Hunneneinfalls unter Attila Biſchof von Tongern 
geweien, hätte auf die Nachricht vom Heranrüden diefer Barbaren eine Pilgerfahrt nad) 
Kom gemacht, ums durch Gebet am Grabe Petri die feiner Stadt drohende Gefahr der 

Zerfiözung wo möglich abzuwenden, hätte aber nach mehrtägiger Andacht die göttliche 
Beifung zu Rüdtehe in feine, dem Gerichte der Berwüftung durch die Barbaren un- 
abwendbar verfallenen Heimath empfangen, und wäre gleich nach feiner Ruckkehr im 
Mooftriht, wohin er ſich von Tongern aus begeben, geftorben, Ein Jahr bevor die 
Hhumen famen und Tongern zerflörten. Will man hier nicht eine Verwechſelung einer 
früheren (germanifchen) Barbaren» Invafion mit derjenigen der Hunnen annehmen — 
we dieß z. B. die Bollandiften, Zillemont ımd fchon Barouius gethan haben —, fo 
mißte man den Tod des Servatins in's Jahr 450, Ein Jahr vor ber Zerftörung 
Toengerns und vor der Schlacht auf den catalaunifchen Feldern fegen und in dieſem 
dolle den Servatius des turonenfifhen Gregor von dem des Athanafins und Sulpicins 
Sewerns als eimem früheren unterfcheiden. Allein eine uralte und wohl nicht unglaubs 
wärdige Tradition der Kirche von Manftricht gibt in ganz beftimmter Weife den 13. Mai 
des 3. 384 als Todestag des heiligen Servatius an und von zweien tungrifchen Bis 
(Höfen dieſes Namens verlantet fonft nirgends ettvad. Weßhalb man wohl einen gro⸗ 
ben procroniftifchen Irrthum bei Gregor anzunehmen, oder feine Erzählung von bes 








— — — — — — — — — — — — — — — — — 


46 Servet 


Heiligen Romfahrt beim Heranrücken dee Barbaren überhaupt für fabelhaft zu erklären 
haben wird. Fabelhaft ift ja auch, was er vom der frühzeitigen göttlichen Senntlid. 
machung der Heiligfeit des verftorbenen Biſchofs durch wunderbares Nichtbefchneitwerden 
feines Grabes berichtet. Thatſächlich wird dagegen jedenfalls ſeyn, daß dieſes in Maa⸗ 
ſtricht befindliche Grab frühzeitig eine vielbefuchte Andachtsſtätte wurde; daß der bafige 
Biſchof Monulph im Jahre 562 die Gebeine des Heiligen in eine neue, nach ihm be 
nannte Kirche transferixen ließ; daß im I. 726, nad einem Siege Karl Martell’s über 
die Araber, der gerade am Tage des heil, Servatius, alfo am 13. Mai, erfochten 
worden war, eine abermalige Erhebung feines Leichnams durch den Bifchof Hubertus 
flattfand, und daß feitbem die Reliquien, die Wunderlegenden und überhaupt der Eultus 
bed Heiligen uoch an verfchtedenen anderen Orten Eingang fanden. 

Bergl. Acta Sanctor. Boll. 13. Mai; Tillemont, M&moires etc. Tom. VIIL 
pag. 639 400. Bödler. 

Servet. (Nachtrag.) Es iſt zwar in dem diefen Mann betreffenden Artikel (Bd. XIV.) 
dad Nöthige über ihn gefagt, die Wahrheit über Ealvin’s Verhalten zu demfelben und 
über feinen Anthe ilan dem tragifchen Ende Servet's, fowie der richtige Geſichtspunkt zur 
Beurtheilung diefer ganzen Sache feftgeftellt worden. Webereiuftimmend damit find bie 
fürgeren Erörterungen im Art. „Calvin⸗. Seitdem find aber von fehr beachtenswerthen 
Geſchichtsſchreibern verfchiedene neue Inftanzen theils gegen, theils für Calvin vor⸗ 
gebracht worden. Es iſt angemefien, darauf einzugehen, da fie Anlaß geben, einige bis 
dahin weniger beobachtete Momente biefer Geſchichte aufzuhellen. 

Bis dahin fland feft, daß Calvin im Vereine mit feinen Collegen, ſich bemüht 
babe, wenigſtens die Feuerſtrafe von Servet abzuwenden*). „Genus mortis conati sumus 
mutare, sed frustra. Cur nihil profecerimus, coram narrandum differo”, fo ſchreibt 
Calvin an dem bereits auf der Reife nach Genf befindlichen Farel am 26. Dftober 1553, 
am Tage vor der Hinrichtung (Calvini ep. et resp. f. 116). Diefer Ausſage mußte man 
um fo mehr Glauben fchenten, je mehr fie übereinſtimmt mit einer anderen an benfelben 
Farel, in einem fieben Tage nach der Gefangennehmung Servet's (20. Aug.) gefchriebenen 
Briefe, worin Calvin den Wunſch ausdrückt, daß der Unglüdliche mit der Feuerſtrafe 
berfchont werde (spero capitale saltem fore judioium, poenae vero atrocitatem remitäi 
cupio (ep. et resp. f. 114). Dem gemäß berichtet Beza in feiner Joa. C. Vita, Servet 
fey, frustra supplicii gravitatem deprecante pastorum collegio, verbrannt worden. 

Nun aber läugnet Dr. Galiffe, Profeffor in Genf, die Wahrheit jener Ausſage 
in feinen Nouvelles pages d’histoire exacte (S.108), und zwar aus zweierlei Gründen 
Erſtens jagt er: „Wenn Calvin wirklich die Abſicht hatte, diefe Milderung der Strak 
herbeizuführen, fo hätte ex fi au den Math **) gewendet, der allein fie befchließen 
fonnte und der wie immer, fo auch in diefem alle fich beeilt hätte, Calvin's Wün- 
ſchen zu entiprechen, und der calvinifch gefinnte Rathöfchreiber, der auch das Geringſte, 
was Calvin that und Lehrte, mit fo kleinlicher Sorgfalt auffchrieb, hätte nicht erman⸗ 
gelt, uns von biefer für feinen Gbtzen günftigen Einzelheit Kunde zu geben; man findet 
aber in den Rathsprotokollen durchaus keine Spur davon.“ Wir wollen uns durch 
den bitteren Zon, ben Galiffe anfchlägt, in unferem Urtheile nicht irre machen Lafien 
und geftehen offen, daß ber von ihm erwähnte Umſtand allerdings auffallend if. Allein 
er berechtigt uns nicht, Calvin einer Unwahrheit zu zeihen, dieß unt fo weniger, ba 


*) Dieg muß geſchehen feyn, nachdem ber Rath bie Hinrichtung Servet's befchloffen hatte 
und bevor biefem das Urtheil angelünbigt wurde. (Siehe Rilliet, procks de Michel Berret 
6. 110. 116, 

ve) Es if bier der Kleine Rath gemeint, ber aus dem vier Syndies und ans 21 anderen 
Bürgern beftanb, benen für Eriminalprocefie, doch nur mit confultativer Stimme, jährlich ante 
dem Mathe der Sechziger und dem der Zweihundert, neun Bürger beigegeben wurden. Die 
See galten ale die eigentlichen Sriminetr hier doch Im Bereine mit dem genannten Kathe. 
©. Rilliet, procds de Michel Bervet, ©, 82. 34. 


Gervei 41 


mon nicht begreift, ivarım ex gerade Farel gegenüber fi dieſen falſchen Schein hatte 
geben wollen. Bern er gegen einen Mann, der felbft für Milderung ber Todesſtrafe 
Ach ansgefprochen, fich geftellt hätte, als wäre er auch dafür, dam ließe fidh die Sache 
wenigfiens infofern leichter erflären. Allein Farel ſcheint der Strafe bes Fenertodes 
gar nicht abgeneigt geweſen zu feyn; das läßt ſich zwiſchen den Zeilen lefen in feinem 
Briefe on Calvin vom 8. Sept. 1558 (ep. et resp. f. 116). 

Sudeffen ift damit allein jene gefchichtliche Schwierigkeit, worauf Galiffe aufmerkfam 
gemadit, leineswegs gehoben. Wir dürfen uns ben betreffenden Vorgang vielleicht fo 
deuten, daß Calvin und feine Collegen ihren Wunſch den ihnen befreundeten Mitgliedern 
des Rathes privatim mittheilten und fie baten, einen dahin gehenden Antrag im Schooße 
des Rathes zu fielen. Es ift aber jehr wohl möglid, ja fogar mahrfcheinlih, daß 
diefe es bedenklich fanden, auf eine Henderung der für ſolche Fälle gefeglich beftiumten 
Strafe angutragen, weil zu befürchten war, daß daraus nene Berwidelungen entflünden. 
Deun e8 Tounte der genannte Antrag von den Geguern Calvin's im Rathe, dexem es, 
and, wa, Alliet S. 107, genug gab, was auch Galiffe dagegen fagen möge, als 
Geund oder Borwand geltend gemacht werden, um Zweifel dagegen zu erheben, ob 
denn die Beiftlichen von der ſchweren Verſchuldung des Mannes fo ganz überzeugt 
fepen und um, einen. fräher von Servet geftellten Begehren gemäß, die Sache vor den 
Kath der Zweihundert zu bringen, worin viele Gegner Calvin's ſaßen und weldem, 
mac) Saliffe, das Recht der Begnadigung zuſtand. Im der That machte Perrin, eines 
ber Hänbter der Oppofitionspartei und zugleich der erſte der Syndics, in der Sitzung, 
worin dad Urtheil gefällt wurde, den Antrag, dafjelbe dem Rathe der Zweihundert 
za überlofien, wie Calvin an Farel fchreibt in dem Briefe vom 26. Oktober. &s 
war zwar feine große Gefahr in dieſer Hinfiht vorhanden, wie denn auch der An- 
trag Perrin's glänzend buchfiel, denn der Rath war fehr eiferfüchtig anf feine echte, 
aber mon konnte jenes nicht mit abjoluter Gewißheit in voraus wifien und mußte da» 
her alles meiden, was die Gegner benügen konnten, damit jener Weg eingefchlagen 
würde. Dem wurde er eingefchlagen, daun war es fraglid, ob Servet überhaupt be 
Rraft werden würde. Beſtraft aber wollte ihu Calvin wiſſen, und zwar mit dem Tode, 
da er bis zulegt anf den ihm fchuldgegebenen Irrthümern befland. Auf jeden Fall 
werden wir fidherer gehen, wenn wir auf diefe oder ähnliche Weiſe, wobei Calvin 
immer noch in Wahrheit fagen konnte, daß er und feine Collegen fich für Milderung 
der Zobeöfizafe verwendet hätten, jene Schwierigleit zu heben fuchen, als wenn mir 
Calvin einer offenbaren Unwahrheit zeihen, zumal in einem Falle, wo er gar Heine 
Berfohung haben konnte, ſich einer ſolchen ſchuldig zu machen. Schließlich ift noch 
Vieles gegen Galiffe's Argumentation einzuwenden, daß ex ohne Grund behauptet, der 
Rath je in allen Dingen Calvin zu Willen gewefen, denn ber Berlauf des Procefies 
beweiſt des Gegentheil. So geſchah die Einholung der Gutachten der fchweizerifchen 
Lirhen eigentlich, gegen feinen Willen (f. Trechſel, proteſtant. Untitrinitarier, Bd. I. 

250). 


6. 

Zweitens gründet ſich Galiffe auf die fonflige Härte des calvinifchen Regimentes 
in Genf. Wir vermögen zivar nicht, ihm zu folgen, wenn er alle Hinrichtungen, bie 
a Genf ſtattfanden, anf Calvin's Rechnung bringt. Wir halten und an da6, was er 
ws einem Briefe des Reformatord an Mme. de Cany anführt (bei Bonnet I, 336). 
Calvin fpricht da don einem weiter nicht befannten Uebelthäter, der das Vertrauen und 
die Güte jener Dame, wie es fcheint, fchändlich getäufcht hatte: „Ich hätte geinünfcht«, 
fagt x, „daß ex im irgend einer Grube verfault wäre, wenn e8 nad, meinem Wunfche 
hätte gehen Dunen; umd ic, kann Sie verfichern, daß, wäre er nicht entwifcht, es 
niht an mir, fofern ich meiner Pflicht genügen wollte, lag, daß man ihn nicht 
ber das Fener gehen ließ.“ Nun argumentirt Galiffe in folgender Weiſe: Hat 
Calvin den einen Uebelthäter dem Feuertode überliefern mollen, fo wird er fi gewiß 
wht bemüht haben, den anderen davor zu bewahren, Doc; fo natürlich und berechtigt 





48 Servet 


dieſer Schluß an ſich zu ſeyn ſcheint, auf den vorliegenden Fall iſt er nicht anwendbar, 
weil eine Thatſache hinzukommt, welche die Sachlage ändert, wir meinen jene Ausſage 
Calvin’8 an Farel. Demnach ftellt fi) die Sache fo, daß man fragen muß: wie lommt 
es, daß derſelbe Mann, der fo offen und fo derb ſich Über den einen ‚Verbrecher und 
die ihm zugedachte Strafe ausfpricht, nun plöglic ſich verftellt und eine Lüge begeht, 
als es ſich um die Beſtrafung des auderen handelt? *). 

Die Härte jener Worte im Briefe an Mme. de Canh ift ſchon von Anderen her 
borgehoben worden, und es fällt uns nicht ein, zu läuguen, was nun einmal nicht ge 
Läugnet werden fann. Nur davor möchten wir warnen, daß man nicht aus folchen 
Aeußerungen gar zu ungünftige Schlußfolgerungen auf Calvin's Karalter und Lehre 
ziehe. Denn aud; bei anderen Männern Gottes flößt man auf Dinge, die, obwohl 
duch die herrfchenden Begriffe und die beftchenden Geſetze legalifirt, doch mit Recht 
fehr auffallen. Denn die Männer Gottes find keine Heiligen. So Hatte der fanfte, 
der edle Foͤnelon, da er als Miffionar unter den Reformirten in Poitow wirkte, nichts 
Ungelegentlicheres als den weltlichen Machthabern die forgfältigfte und ſtrengſte Be 
wachung des Meerestüften zu empfehlen. Denn allerdings hing der ganze Erfolg feiner 
Miſſion daran, daß die mittelft der Dragonnaden in die Meſſe getriebenen Einwohner, 
die er in der fatholifchen Religion unterrichten folte, im Lande feflgehalten würden, 
wozu die meiften natürlich Leine Luft zeigten. Er dringt daher darauf, daß man bie 
jenigen, die man auf der Flucht ergreife, „die Härte der Steafen erbulden Laffe”, d. h. 
nad) den beftehenden Verordnungen, die Féenelon wohl befannt waren, daß man bie 
Flüchtigen, nämlich die Männer unter ihnen, auf die Galeeren fchide, und zwar fir 
ihr ganzes Leben (f. Oeuvres de Fénolon, Paris 1835, 3. Thl. ©. 462 ff.). Welde 
bon beiden ift graufamer? alvin, der einen, ie wir beftimmt vorausfegen dürfen, 
argen Uebelthäter dem Feuertode preißgegeben wiſſen will? oder Fénelon, welcher Kent, 
denen er nichts Anderes vorwerfen kann, als daß fie durch erzivungene Annahme da 
katholifchen Religion ihr Gewiſſen befledt haben, und die um des Gewiſſens willen 
das Baterland verlaflen wollen, auf den Galeeren einer durch ihre Dauer zehnmal här- 
teven Strafe, als alle Schrednife des Todes im Teuer waren, preiisgit? ___ 

Wenn auf der einen Seite der Antheil Calvin's am Procefje Servet's zu fehr in's 
Schwarze gemalt wird, fo bat auf der anderen Seite das Beftreben, das Düftere der Sadıe 
zu mildern, die Folge, daß die Wahrheit nicht ungefchmintt und ungefchmälert an den Tog 
tommt. Wir halten uns nicht bei eigentlichen Verftößen gegen die gejchichtliche Wahrheit 
auf, die feiner weiteren Widerlegung bedürfen. Aber auch mit der Darftellung von Dr. Stk 
belin in feinem bortrefflichen Werte über Calvin können wir uns nicht in allen Stüde 
einverflanden erllären. Es ift nicht überfläfftg, darauf einzugehen, da diefes Werk, von 
uns im erften Bande diefer Supplemente bereit8 gebührend erwähnt, für Viele, die nicht 
berufen find, e8 im Einzelnen genauer zu prüfen, eine wahre Autorität geworden ift. 

Bei der Berhaftung Servet's angelommen, fährt Dr. Stähelin alfo fort: „Es if 
fein Zweifel, daß damals noch Niemand an den fchredlichen Ausgang dachte, den de 
Proceß nachher genommen hat. alpin wenigftens bezeugt, er fey mur der Meinung 


*) Es will une überhaupt vorlommen, al® ob Dr. Galiffe einer gewifien Berfimmung gegen 
Calvin Raum gebe, die einigen Einfluß anf feine Urtheile übt. So behauptet er irrthümüch, 
dag Calvin jener Dame Borwürfe wegen ihrer Güte gegen ben genannten Berbrecher mache. 
Nichte davon haben wir in dem Briefe gefunden. Calvin beruhigt jene Dame barüber, daß fie 
gegen einen Unwürdigen gütig gemweien, indem ber Herr alle ſolche Wohlthaten als ihm felber 
erwiefen erlläre. Berner ſchenkt Galiffe Glauben ber Ausfage eines Gegners Ealvin’e, der gejagt 
hatte, dieſer babe fchriftlich erklärt, es fey den Gläubigen erlaubt, in die Mefle zu geben — 
nouvelles pages ©. 79 —, während Calvin in fo vielen Schriften und Briefen ſich auf das 
Eifrigfte dagegen erflärt. Hingegen durfte er, obne fidh zu widerjprechen, einem Genfer Bürger 
erlauben, ber katholiſchen Trauung feiner Tochter beizuwohnen. Davon nimmt Saliffe Anlaß, 
jener gegnerifchen Behauptung Glauben zu jchenten! 


Servet 49 


geweſen, durch einen Widerruf oder auf irgend eine andere Weiſe (?) die Frechheit des 
Mannes zu brechen und ben chriftlihen Glauben gegen ihn ficher zu flellen; eine ern- 
ſtere Strafe habe ihm nicht gedroht und wäre ficherlich vermieden worden, wenn er fich 
nur ein wenig gelehrig gezeigt und eine Hoffnung der Beſſerung gegeben hätte“ — 
Nachdem Dr. Stähelin hier die betreffenden Worte aus der bald näher zu betrachtenden 
refatatio der Ierthlüümer Servet’8 angeführt (adde, quod nullum instabat gravioris 
poenae periculum, si quo modo fuisset sanabilis), fegt er hinzu; „Damit fcheint es 
denn wenig zu flimmen, daß ex gleich im erften Brief an Farel die Hoffnung ausfpricht, 
den Mann zum Tode gebracht zu fehen. Wer feine Briefe gelefen hat, weiß indeflen 
zur Genlige, wie fein reizbares, cholerifches Temperament im erften Augenblide, und 
namentlich, in Auslafjungen an vertraute Freunde gar manche Aeußerung auf das Pa- 
pier warf, die fo ernfllich nicht gemeint war. Jedenfalls werden wir ficherer gehen, 
wenn wir bei ſolch widerfprechenden Zeugniffen mehr an diejenigen uns halten, bie 
fpöter, in Zeiten der Ruhe und des vollen Bewußtſeyns niedergefchrieben wurden, als 
an die Yornansbrädhe, die mitten im Drange der Sache vorfamen“ (I, 441). 

Ob Niemand an den fehredlichen Ausgang des Procefies damals dachte, mit dieſer 

Droge befchäftigen wir uns jest noch nicht und begnügen und, zu bemerlen, daß, wenn 
Niemand an jenen Ausgang dachte, das fo viel fagen will, daß Niemand ziweifelte, Servet 
werde fi zum Widerrufe feiner Anfichten herbeilafien. Sonderbarer Weife fcheint dieß 
der Berfafier felbft zu bezweifeln, wenn ex gleich darauf fagt, daß Servet im Ange: 
fichte feines lange heransgeforderten Gegner nicht geneigt war, feiner theologifchen 
Ehre etwas zu vergeben. Wir werden aber bald fehen, dag Stähelin Calvin's Worten 
in der refutatio einen ihnen fremben Sinn unterlegt, wenn er fie fo vexfteht, als fey 
daB die Meinung Ealvin’s geivefen, daß die Sache, wenn nicht mit einem Widerrufe, 
fo doch auf eine das Leben des Angeklagten eben fo wenig gefährdende Weife hätte zu 
Ende geführt werden follen. 

Gewichtiger ift diefes, daß Dr. Stähelin jene anderen Worte Calvin’s im Briefe 
an Farel, worin jener die Hoffnung der Hinrichtung Servet's ausipricht, bloß aus 
angenblidlihen Ausbrücen feines reizbaren, cholerifchen Temperaments ableitet und 
daher vorgibt, fie feyen nicht fo ernfthaft gemeint geweien. Mau hat diefe Bemerkung 
ſehr fein gefunden, wir innen darin nur eine Ausfluht und nit einmal eine glüd- 
ti; gewählte erkennen. Wir haben hier ein Beifpiel vor uns, wie man in der beften 
Abfiht, um Calvin's Ehre zu retten, ihm doch zu nahe treten Tann. Denn was 
müßten wir von Calvin denfen, wenn er, lediglich einem „ Zornesandbruche « nach⸗ 
gebend, Servet dem Tode geiveiht, wenn er nicht mit „vollem Bewußtſeyn“ in einer 
fo wiätigen Sache, wo da8 Leben eines Menfchen auf dem Spiele ftand, gehandelt 
hätte? Der Berfafler jagt zwar nicht, Calvin habe im Zorn gehandelt, fondern im 
Zorn gefhrieben. Wenn er aber im Zorn gefchrieben hat, fo ift Hundert auf eins zu 
wetten, baß er auch im Zorn gehandelt Hat. Sind denn vernünftiger Weife „die 
Zornesausbrũche, die mitten im Drange ber Sache vorkommen“, lediglich auf die 
Augenblide zu befchränten, wo er Briefe fchrieb ? — Iſt es denn für Calvin's Karakter 
nicht weit ehrennoller, wenn er — fußend auf ber feften, feit Jahren gewonnenen 
Uebergeugung, da Servet durch die Irrlehren, momit ex die Kirche verpeftet, durch die 
Ahigkeit, womit ex fie fefthielt, durch den Eifer, womit er fie geltend zu machen 
fadte, den Tod verdient habe — mit vollem Bewußtſeyn und mit völliger Ruhe des 
Geifes die Hoffnung ausfpricht, daß derfelbe um des Heiles der gefammten Chriften- 
Beit willen am Leben werde beftraft werden? Sieht das dem wahren, dem geſchicht⸗ 
lichen Calvin nicht weit ähnlicher? Uebrigens möchten wir doch die Briefe jehen, mo 
Calvin ans bloßer Reizbarkeit Dinge von fo ſchwerem Inhalte ausfpricht, die fo ernſt⸗ 
fd wicht gemeint waren. Gewiß if der Brief an Farel, worin er jene Hoffnung aus⸗ 
fpricht, wie fein ganzer Ton beiveift, nicht ab irato gefchrieben. Wenn er die Milde» 
tung hinzuſetzt, Daß er Servet mit dem Feuertode verfchont zu jehen wänjär, jo fieht 

Real » Encykiopäpdie für Theologie und Kirche. Suppl. IIL 


50 Servet 


das wahrlich keinem Zornausbruch gleich, worin er nicht bei „vollem Bewußtſeyn“ ge⸗ 
wefen wäre. 

Ie mehr man den Kanon prüft, den der Verfaſſer zur Vereinbarung jener, wie er 
meint, widerfprechenden Zeugniſſe aufftellt, defto mehr wird man fid) von defien Unhalt- 
barkeit überzeugen. Denn diefer Kanon läuft darauf hinaus, daß man, um die wahre 
GSefinnung, aus welcher Calvin handelte, kennen zu lernen, nicht die Aeußerungen in 
Betracht ziehen dürfe, die er während des Procefled gethan, jondern daß man ſich viel- 
mehr nur an diejenigen, wodurd er hintennady fein Benehmen zn rechtfertigen fuchte, zu 
halten habe. Seit wann beurtheilt man denn die Handlungsweife eines Menſchen bloß 
nad) dem, mas er nachher, um böswillige Nachrede abzuweifen, gejagt oder gefchrieben 
bat, und nicht vor Allem nad) der Urt, wie er, fo lange er im Handeln begriffen war, 
fih über fein Handeln ausſprach? Wahrlich, wenn zwifchen den Aeußerungen Calvin's 
bor dem Tode Servet's und denjenigen nach befien Tode ein wirklicher Widerfpruh 
beflünde, fo müßten wir, nad den einfachſten, für die Beurtheilung menfchlicher Hand: 
lungen geltenden Regeln, den früheren Aeußerungen unbedingt den Borzug bor den ſpaͤ⸗ 
teren geben; jene allein dürften als authentifche Normen unfere® Urtheils gelten. Das 
ift aber die Frage, ob ein ſolcher Widerſpruch befteht. 

Um darüber in's Reine zu kommen, müflen wir etwas weiter ausholen. Wir 
richten unfer Augenmerk zunähft auf die „Extraits des registres de la venerable 
compagnie des pasteurs de Gen&ve concernant Servet” bei Rilliet, proc&s de Mi- 
chel Servet, S. 134, von Dr. Stähelin I, 441, aus Berfehen als Auszüge aus den 
PBrotolollen des Rathes, „der politifchen Behörde“ bezeichnet. Es wird darin Mirzlid 
Alles zufammengefaßt, was bis zu dem Zeitpunkte, wo die fchiveizerifchen Kirchen um 
ihr Urtheil befragt wurden, in der Sache Servet's gefhehen war. Gleich von Anfang 
lefen wir: „Am 13. Auguft 1553, da Michel Servet durdy einige Brüder erkannt!) 
worden var, wurde für gut befunden, ihn in's Gefängniß führen zu laffen, damit er 
die Welt nicht länger mit feinen Läfterungen und Seßereien verpefle, in Betracht 
defien, daß er in allen Stüden als unverbefierlich, als Solcher befannt war, am befien 
Beflerung man gänzlich verzweifeln müſſe (attendu quil estoit cogneu du tout point 
incorrigible et desespere). Wir begreifen es, daß man auf ben erften Blick im dieſen 
Worten, doch mit Ausnahme des Ausdruds „einige Brüder“, eher die Sprache eimer 
politifchen als die einer geiftlichen Behörde zu erfennen vermeint. In Wahrheit aber 
entfprechen fie ganz den betreffenden Vorgängen und den damaligen Genfer Berhäft- 
nifien. Die Verhaftung Servet’8 mar Ealvin’s Wert, wie er ſelbſt es bezeugt im 
Briefe an Farel vom 20. Auguſt 1553 (cum agnitus fuisset, retinendum putari) 

im Brief an Sulzer vom 13. Sept. 1553 (Tandem huc malis auspiciis appulsum 
unus ex Syndicis, me auctore, in carcerem duci jussit ep. et resp. f. 114), end 
lih in der refutatio (non dissimulo, me auctore factum esse, ut in hac urbe de- 
prehensus ad causam dicendam postularetur, dafjelbe noch an einer anderen Stell 
derfelben Schrift). Die Compagnie eignete fit nun die That Calvin's, wovon biefer 
ihr die Anzeige gemacht hatte, an und billigte fie, ba8 befagt jene Stelle aus den Beo- 
tofollen ihrer Sitzungen. 


Im Borübergehen müfjen wir anf ein anderes Feines Berfehen Stähelin’s anf 


merkſam machen, was auf feine Beurtheilung Calvin's nicht ohne Einfluß geblieben if. 
Er meint nämlid, aus dem Ausdrucke „einige Brüder” u. f. m. fchließen zu dürfen, 


daß Calvin bei der Anzeige an die weltliche Behörde nur „mitgewirkt habe, wodurch, 
wie er meint, deſſen entfcheidendes Eingreifen einigermaßen gemildert werde. Allein 


darin täufcht fe, Stähelin offenbar; dem es ift in jener Stelle gar nicht davon bie 


Mede, daß jene „einigen Brüder“ dem Magiftrate die Anzeige machten, fondern die 


Sache verhält fi fo: Einige Mitglieder der Geiftlichleit (das find jene „einige Bräder“) 


*) und angezeigt, jet Stähelin von ſich ans erläuternd zum Tert binze. 





Servet 51 


hatten Serdet, der ſchon ſeit mehreren Wochen in Genf anweſend war und die Predigten 
Caldin's befuchte, erlannt und ihre Entdedung Calvin mitgetheilt, worauf diefer aljobald 
bei einem der Syndich die Anzeige machte und, was das Weientliche und Entfcheidende 
var, Servet fogleich verhaften ließ. 

Schr bedeutfam iſt der für die Verhaftung in jenen extraits angeführte Grund, ben 
übrigens Stähelin a. a. O. ausläßt, daß Servet in allen Stüden als inoorrigible und 
des&sper€ belammt geweſen ſey. Es flimmt dies Urxtheil mit allen früheren Ausfagen 
Calvins über den ihm ſchon längft befannten Dann überein (vergl. den Art. „Servet“ 
®. XIV. ©. 289 und ieiterhin Stähelin I, 429). Hatte e8 doch Servet durch feine 
Ferlehren und die Hartnäckigleit in Feſthaltung derfelben bereits feit fieben Yahren da⸗ 
hin gebracht, daß in Calvin die fefte Meinung ſich gebildet hatte, das Heil der Kirche 
erheifhe die Hinrichtung des Unverbefferlichen, und er ſich fchon damals vorgenommen, 
darauf hinguwirken, wenn Servet je nad Genf kommen ſollte. Dieß der Sim ber 
Vorte im Brief an Farel vom 7. Februar 1546: „Wenn er hieher kommt, fo werde 
ich, fofern meine Autorität noch etwas gilt, ihm nicht Iebendig herausgehen lafjen“ *), 
und in diefem Sinne handelte er, als er ihn, fobald er feine Anweſenheit in Genf ex- 
fahren hatte, feſtnehmen ließ, wie auch die angeführten Worte aus den Protolollen der 
Geiſtlichkeit an ihrem Theile es bezeugen. Aber auch während der Dauer des Procefles 
ſprach er fi} in mehreren Briefen nicht bloß an vertraute Freunde, fondern auch an 
ferner Stehende in demfelben Sinne aus. Dahin gehören alſo jene Worte, worin er 
gegen Ferel die Hoffnung der Hinrichtung ausſpricht, aber auch in dem angeführten Briefe 
an Euler in Bafel fpricht ex, nach Angabe der Grimde für die Verhaftung, nad) Auf- 
zäblung aller entjeglichen Dinge, die er ihm fchon von früher her ſchuld gibt, vom 
„exitus quem optamus”. Uberdieß fchreibt er am 1. September 1553 an die Frank⸗ 
farter Paſtoren von Servet: „Propediem, ut spero, daturus est poenas” (ep. et resp. 
f. 115), Er war fo fehr von dem Gedanken erfüllt, daß Servet hingerichtet werden 
uchfe, daß er bald darauf, als die Verurtheilung wieder ziveifelhaft geworden war, nad) 
Zrich fhrieb: wenn Servet nicht hingerichtet werde, fo gedenle er, Genf zu verlafien. 
Dos erſchließen wir mit Sicherheit aus einem Briefe Bullinger’s, worin diefer ihm in 
allen Ernſte zuredet, er folle Genf nicht verlaffen, gefegt auch, daß Servet bie ver- 
diente Strafe nicht auferlegt werde (vergl. Bullinger an Calvin, 14. September 1553, 
ep. et resp. f. 127). Natürlich gehörten folhe Dinge nicht im die Protofolle der 
Geiſtlichleit, wie fie denn im Schooße der Berfammlung derfelben gewiß nicht vor- 
gelaumen waren. So begnügte man fich, das bereits Angeführte aufzunehmen; es 
wurde hinzugeſetzt, daß, als Servet über die ihm fchuld gegebenen Lehren auögefragt 
warde, feine Unverfchäntheit und Halsſtarrigkeit mehr und mehr an den Tag gelommen, 
(Kilit « a. D. ©. 134). Dffenbar -ift aber darin nichts enthalten, was mit ben 
angeführten privaten Aeußerungen Calvin's irgendwie im Widerſpruch fllnde, 

Bie verhalten ſich num dazu die fpäteren Öffentlichen Aeußerungen Calvin's nad; 
dem Tode Servet's? Auf den richtigen Standpunkt zur Benrtheilung derfelben werben 
bir mm8 don born herein flellen, tvenn wir uns erinnern, daß die Hinrichtung des 
Mannes mit den begleitenden fchredlichen Umftänden, die in der Sage wahrſcheinlich 
usch ſchrecklicher geſchildert wurden, einen wahren Sturm ber Oppoſition gegen Calvin 
Veverrief, dem nun Alles, was gefchehen tvar, zur Laſt gelegt wurde (f. darüber Stä- 
bein II, 309). Nicht nur die Vielen, die bei Broteftanten mie bei Katholiken als 
heterdox uud meologifch, ketzeriſch gefinnt galten und bie daher für ihr eigenes Leben 





) Es wird wohl Niemand im Ernfte meinen, daß ich mit diefer Anführung den Gedanken 
derbinde, Calvin Babe Servet's Kommen nach Genf gewünſcht, und diefes Kommen laum er- 
warten Fonnen! Es ift aber ebenfo wenig wahr, daß Calvin damals an Servet daſſelbe ge- 
Kriehen, was am Karel in dem foeben angeführten Briefe, fondern er ſchlug das Begehren Ser- 
vers ab, bag er fich für feine Sicherheit in Genf verblirgen möge, und das reichte hin, um ihn 


% vom Kommen nach Genf abzuhalten, 
4 * 








52 Servet 


fürchten mußten, nicht nur die offenbaren Feinde und Gegner Calvin’8 erhoben einen 
Schrei des Entſetzens und gaben felbft in Spott» und Schmähliedvern den Namen 
des Tyrannen, des Genfer Pabftes,, der fchlimmer fey als der zu Rom, dem Haſſe der 
Menge preis. Auch viele Undere, die bis dahin zu nichts weniger als zur Heterodogie 
oder Ketzerei hinneigten, wurden flugig, begannen auf's Neue die Frage aufzuiverfen, 
ob es erlaubt fen, Keger zu tödten, und fehr Viele beantworteten diefe Frage vernei- 
nend. Einige ließen ſich durch das Mitleid fo fehr erjchüttern, daß fie fich faſt für 
Schüler des neuen Märtyrer erklärten, deſſen Lehren und Schriften fie doch kaum 
kannten. Im dieſer Rage der Dinge drang Bullinger, der felbfl, weil das Verfahren 
des Genfer Reformators billigend, unter dem Drude diefer Oppofition zu leiden hatte, 
in Calvin, daß er in einer eigenen Schrift die Irrlehren Servet’8 und die Gründe des 
gegen benfelben beobadteten Verfahrens darlege.e Daraus ging im Jahre 1554 bie 
Schrift hervor, die mit abgelürztem Titel in frangöfifcher Sprache als declaration, in 
lateiniſcher als refutatio angeführt wird (f. Bd. XIV. ©. 299). 

Calvin fagt darin zuerft Einiges zur Rechtfertigung des formellen, gegen Serbet 
beobachteten Verfahrens, wobei ex fich auch über fein eigenes Benehmen in diefer Sache 
vechtfertigend ausſpricht; es folgt eine Vertheidigung des Satzes, daß die Keger durd 
das weltliche Schwert zu beftrafen feyen; das Ganze befchließt eine weitläufige Dar⸗ 
legung und Widerlegung der Lehren Servet's mit beigelegten Wltenftüden. Für une 
tommt hauptfächlich der erſte Punkt in Betracht. 

Bor Allen fteht feft, daß Niemand Calvin zummthen Tonnte, was er privatim ge 
äußert, daß er Servet's Hinrichtung wünſche und hoffe, dem aufgeregten Publikum zu 
fagen, womit felbftverfländlich nicht beiviefen ift, daß alle jene Aeußerungen nicht erufs 
lich gemeint waren. Uebrigens handelte es ſich gar nicht um die Frage, ob er di 
Hinrichtung des Spanierd gewünſcht und gehofft und an feinem Theile zu dieſer Hi 
richtung mitgewirkt habe, fondern darüber war der Streit der Meinungen entbrautt, 
ob er darin Recht gehabt, d. h. ob gewiffe Ketzer überhaupt duch da8 Schwert hinzu 
richten feyen, und ob Servet in die Klaſſe diefer Ketzer gehöre, ob er gerechterweiſe 
hingerichtet worden. Die ganze Schrift fol eben zeigen, daß daran nicht zu zweifeln 
fy. So kommt kein Widerfprud mit feinen früheren Aeußerungen heraus. Under 
ftünde die Sache, wenn Calvin nun behauptete, daß, nach feiner Unficht und Willens: 
meinung Servet nicht hätte follen hingerichtet werden, wenn er irgendivie andentete, daß 
derfelbe gegen feine Anficht, gegen feinen Willen vor das meltliche Gericht geftellt wor: 
den, daß er im keinerlei Weife dazu beigetragen, daß er vielmehr willens geweſen, die 
Sadye lediglih im Confiftorium zu behandeln, daß diefes den Angeklagten im fchliuns 
ſten Falle, d. h. im Falle, daß er durchaus nicht widerrufen wollte, mit der Streit 
der Ercommuntlation belegt hätte, ohne die Sache behufs weltlicher Beftrafung vor ben 
Rath zu. bringen, wie das für ſchwerere Bergehungen verordnet war (f. epist. e 
resp. f. 124). Bis zu folchen gänzlich aus der Luft gegriffenen Annahmen werden 
diejenigen fortgetrieben, welche ſich weigern, Calvin’s frühere harte Aeußerungen al 
ernft gemeinte anzufehen. 

Wie lauten denn, näher betrachtet, die Kundgebungen Ealvin’8 in der genannten 
Schrift? Mit gewohnter Offenheit gefteht er auch hier, und fogar zu twiederholien 
Malen, daß er der eigentliche Urheber der Verhaftung Servet's, daß auf fein Auſtiften 
ein Ankläger gegen den VBerhafteten aufgetreten fey; ja er geht fo weit, zu erklären, 
daß er felbft die Formel diktirt habe, wodurch der Proceß eingeleitet worden, nämlid 
die Klageartikel, die, wenn fie Servet nur halbwegs zugeftand, ihn nach den beſtehenden 
Geſetzen ala des Todes würdig erfcheinen ließen. "Daneben beſchwert er fich mit Recht 
darüber, daß ihm Alles, was der Rath gethan, zugefchrieben werde, mit echt, fagen 
wir, denn die gegen feinen Willen eingeholten utachten ber fchmweizerifchen Kirchen, 
befonder8 der dem Berner Gutachten beigelegte Brief der Berner Regierung führten 
eigentlich die Entfcheidung herbei (Calvin an Farel, 26. Oktober, an die Geiftlichen is 


Servet 53 


Dan, 24. Dezember 1553). Ex hebt ferner hervor, daß er während des ganzen Pro- 
ceffes kein Wort von der über Serbet zu verhängenden Strafe habe fallen laffen*). So 
fonnte ex andy in aller Wahrheit fagen, daß die Verhaftung Servet's ben Zweck gehabt 
habe, ihn über feine Lehren und fein Treiben zur Rechenfchaft aufzufordern (ad causam 
dioendam). Denn es fiel ihm ja wicht bei, zu begehren, daß Servet ungehört verurtheilt 
würde. Daher bemerft er weiterhin, e8 fen ihm unbenommen geweſen, durch einen Widerruf 
fein Leben zum xetten (adde, quod nullum instabat gravioris poenae periculum, si quo 
modo faisset sanabilis, traetatus theol. Genf 1576. fol. 827), wie denn in der That 
bald dorauf Balentin Gentilis durch einen Widerruf dem Scidfale, das Servet ger 
troffen, entging. — Jenes ift die Stelle, worauf Stähelin fidh gründet, um zu beieifen, 
daß Ealvin, als er Servet feflnehmen ließ und auch nachher, nicht im Ernſte noch niit 
vollem VBernußtjeyn an den Ausgang dachte, den der Broceß genommen. Wir begreifen 
aber wicht, wie man aus jener Stelle fo fühne Folgerungen ziehen kanm. Denn hätten 
Calvin und die Richter noch fo fehr Servet's Tod gewünſcht, fo würden fie ihn doc) 
im Falle des Widerrufs am Leben gelafien haben; fchenkten doch felbft die fpanifchen 
Juguifitoren denjenigen, die ihre Ketzerei zu rechter Seit abſchworen, das Leben. 
Calvin fprad; aber vor Servet’3 Hinrihtung von derfelben als von etwas Bevor» 
Behendem, als von etwas, aus uns bereitd bekannten Gründen, Wünfchens- und 
Hoffensiverthen, weil ex alle Tage nene Beweiſe von der ihm ſchon längſt befannten 
Halsflarrigfeit des Mames erhielt, die defien Freifprehung, wem fixeng geſetzlich 
verfahren wurde , theils erſchwerten und unmöglich machten, theil® als gar nichts 
Bänfhens- und Hoffnungswerthes erfcheinen ließen. Indem er nun in der refutatio 
fagt, daß Servet im Falle des Widerrufes feine harte Strafe zu getvärtigen gehabt 
hätte, fogt er damit zugleich dieſes, daß feine Unbußfertigkeit nach dem gefeglichen Taufe 
der Dinge die Hinrichtimg zur Folge haben mußte; darin lag aber eine Beflätigung 
der früheren Ausfagen. Calvin fpricht in der refutatio auch zu wiederholten Malen 
bon feinen früheren vergeblichen Verſuchen, Serbet von defien Irrlehren abtvendig zu 
machen. Er theilt fogar eine lange Antwort mit, die er ihm anf drei ihm vorgelegte 
theologiſche Fragen ſchon vor Jahren zugefchidt hatte, — um feinen Lefern auf's Neue 
den Beweis zu geben, daß er einigen Grund gehabt habe, gegen Servet aufzutreten 
und ihn im Anklagefiand zu verfegen. Wenn ex nicht fagt, daß ſchon damals (im 3. 
1546) fi die Meinung in ihm feftgeftellt, die Sorge um das Heil der Kirche erheiiche 
die Hinrichtung des Mannes, fo fagt er auch nichts, was bagegen flreitet, denn er 
kam ja nicht genug wiederholen, daß Servet alle feine Ermahnungen und Belehrungen 
abgewieſen, und der Zweck ber ganzen Schrift if ja, zu beweifen, daß foldhe Leute 
wie Servet, d. h. unverbefierliche Irrlehrer, gladio puniendi ſeyen. Man hat bie be 
treffenden Stellen der refutatio fo verftanden, als ob Calvin darin aud) von Bekeh⸗ 
rungöverfuchen ſpreche, die er mit Servet während deſſen Gefangenfchaft gemacht, allein 
fie beſchränken ſich auf die Ermahnungen, die er, nach bereits gefällten Urtheil, zwei 
Stunden vor der Werführung auf den Richtplag, an ihn richtete, daß er den Herrn 
um Berzeihung bitten folle wegen der Läfterungen, deren ex ſich fehulbig gemacht habe. 
Calvin wollte damit, fowie durch Anderes, was er bei diefer Gelegenheit anführt, feinen 
efern nur fo viel zeigen, daß ex keine Privatfeindfchaft gegen ihn verfolgt habe. Uber 
e ldugnet ebenfo wenig, daß er fich, gemäß der Ermahnung des Apoftels, zurückgezo⸗ 
gen, als er gefehen, daß feine Worte nichts fruchteten. 

Wo bleibt mm der Widerfpruch zwiſchen den früheren und fpäteren Rundgebungen 
Galvim’s über Servet? Wir Eımen keinen entdecken. Dean kann nur fo viel fagen, 
daß Calpin in der refutatio an einigen Stellen eine andere Seite der Sache heraus. 
kehrt als früher, was fich einfach aus den veränderten Berhältnifien und Abfichten, aus 

*) Wenn er verichtweigt, was er berfucht hat, um eine Milberung ber Todesſtrafe zu be- 


wirken, fo gefchieht es wahrſcheinlich, weil ex bejorgte, dadurch biefenigen Ratheglieder zu com⸗ 
yermittiren, die Leinen dahin zielenden Antrag in der Ratheverfammlung machen wollten. ’ 





54 Servet 


der Verſchiedenartigkeit derjenigen, denen die einen und die anderen Kundgebungen 
galten, erklärt. Wir legen einiges Gewicht auf das gewonnene Reſultat, indem es 
ein weit günftigeres Licht auf den SKarakter des Reformators wirft, als die entgegen 
gefeßte Annahme. Nur in Einem Punkte kann ein wirklicher Widerfpruch zwifchen 
einer früheren und jpäteren Aeußerung Calvin’8 in dieſer Sache nacgewiefen werden. 
Calvin war nämlich, wie bevormwortet, fehr unzufrieden darliber, daß der Genfer Rath 
die Outachten der fchweizerifchen Kirchen einzuholen befhloß. „Nobis quidem recla- 
mantibus”, fchreibt er am 7. September 1553 an QBullinger, „vobis facessunt hanc 
molestiam, sed eo venerunt amentiae et furoris, ut illis suspectum sit, quidquid 
loguimur.” Wenn auch das legte nur bon der Öegenpartei Calvin's zu verftchen ifl, 
fo ift doch der Ausdrud „nobis reclamantibus” jedenfalls höhft auffallend, da er im 
der refutatio fagt: „deinde cum ille provocaret ad alias ecolesias, libenter a me 
hase quoque conditio suscepta est” (bei Trechſel, proteftant. Untitrinitar. I, 250), 
Der Ausdrud „libenter” ift offenbar viel zu flarf, indem er zu befagen fcheint, daß 
Calvin den Borfchlag mit Vergnügen, mit innerem Behagen angenommen habe. Nur 
foviel kann zur Milderung des Widerfpruches beigebracht werden, daß Calvin fid dem 
Vorſchlage nicht witerfegte und ihn ohne Zweifel fcheinbar gern annahm. Gewiß war 
er fo Mug, kein Wort der Mißbilligung weder gegen Servet noch gegen den Kath 
fallen zu laſſen; denn dadurch hätte er feiner Sache fchaden Fünnen. Darin alfo hat 
Calvin der menfchlihen Schwachheit feinen Tribut bezahlt. 

Daß er in diefer Sache noch in anderen Beziehungen die menfchliche Schwachheit 
nicht verläugnet hat, wer dürfte das heut zu Tage in Zweifel fielen? Er hatte zivar 
gültigen Grund, über Servet’8 Lehre ein mißbilligendes Urtheil zu fällen; allein, obwohl 
wir ihm keineswegs vorwerfen, daß er dafjelbe nicht mit der Umfiht und Begränzung 
ansgejprochen, wie wir es auf dem Standpunkte unferer geläuterten Erkenntniß zu thun 
vermögen (dgl. das Urtheil von Trechſel Bd. XIV, 300), fo ift anf der anderen Seite 
auch nicht zu verfeımen, daß er ſich dabei Üebertreibungen bat zu ſchulden kommen 
laflen, die er gar wohl hätte vermeiden können, 3. B. wenn er in der refutatio bie 
Lefer erinnert (f. 897): „Non stetisse per Servetum, quominus jocando et nugando 
non solum everteret quidquid est religionis in mundo, sed politicum quoque or- 
dinem, recti discrimen, verecundiam denique omnem ex humanis mentibus deleret. 
Aehnlicher Hebertreibungen macht er fich fchuldig im Briefe an Sulzer, als auch die Basler 
ihr Gutachten über Servet abzugeben aufgefordert wurden; ferner im Briefe an die Frank⸗ 
furter Geiftlichen in feinem Urtheil über die restitutio christianismi: „Fingite vobis rha- 
psodiam ex impiis omnium aetatum deliriis consuram. Nullum enim est impietatis 
genus, quod non haec bellua velut ex inferis excitaverit.” — Ebenſo war Calvin zwar 
vollftommen in feinem Rechte, wenn er fid} dem Lmfichgreifen der Lehren Servet's 
widerfegte, aber er irrte in dem Mittel, das er antvendete, und wenn gleich Viele in 
derfelben Zeit in demfelben Irrthum befangen waren, fo drängt fich dem unbefangenen 
Beurtheiler doch die Frage auf: Wie kam es, daß ein Daun, der in fo vielen Städen 
über die Irrthümer feiner Zeit hinaus war, ſich nicht auch über den Irrthum erheben 
fonnte, kraft welches ihm die Hinrichtung Servet’s als ein Alt der Gerechtigkeit, al® 
eine Gott mohlgefällige Handlung und befonders als heilfam für die Kirche, als fir 
ihr Vortbeftehen fchlechterdings erforderlich erfcien? 

Doc, Died Alles zugegeben, bleibt immerhin das feftftehen, daß Calvin in feinem Sime 
eine Pflicht gegen Gott, gegen die Kirche überhaupt und die Genferkirche insbefondere 
erfüllte, ald er die Maßregeln ergriff, die, wenn fie ihren Zweck erreichten, den Tod des 
homo insanabilis zur Folge haben mußten. Was er, um die Verhaftung zu rechtfertigen, 
an Sulzer in Bafel fchreibt, am 13. September 1553: „Neque enim disaimulo, quin 
officii mei duxerim, hominem plus quam obstinatum et indomitum, quoad in 
me erat, compescere, ne longius manaret contagio” (worauf er die Hoffnung der Hin 
richtung ausſpricht), — das ift der deutliche Ausdrud der Geſfinnung, ans welcher er 


Chetlaubsiniehe Sibel 66 


henhelte. Wenn die Verehrer und Nichwerehrer Calbin's dieſen Geſichtspunkt confequent 
ethielten, ſo würden fie nicht immer auf's Neue verdeden und verkennen, was num ein⸗ 
mel wicht verdedt und verfammt werden ſoll, und die ganze Beurtheilung dieſer arten 
Gejchichte wäre um Bieles erleichtert und vereinfacht. Here 
Shetlaubdöinfeln, f. Oriney- und Shetlands-Infeln, Bd. XX. S. si, 
Cibel, Caspar. Die Reformation des Wuppertbals, deſſen Name in der 
evangeliichen Kirche Deutfchlands flets ein geachteter geweſen if, wird gemöhnlid anf 
ben Elberfelder Beter Lo zurüdgeführtt (F 13. Sept. 1581). Sicher kommt biefem 
um feines Glaubens willen lange verbammt geivefenen Manne das Verdienft zu, die 
füon feit dem Jahre 1519 herbortretenden, von dem Waldecker Grafenhaufe, befonders 
ver Fürſtin Anna, gepflegten, durch die Handelsverbindimg Elberfelds mit Untiverpen 
genähzten und durch die Berheirathung der Cleve'ſchen Fürſtentochter Sibylla mit dem 
Kurpringen Iohaun Friedrih von Sachſen geförderten Anfänge der neuen Glaubens. 
richteng, anf dem von dem Märtyrer Adolf Klareubach (f. der Urt.) gelegten 
Grunde weiter fortgeführt und, unter dem begünftigenden Einfluffe des Pafſauer Ber- 
tragt, das Evangelium fo entichieden gelehrt zu haben, daß es fpäter allen Anſtren⸗ 
guagen von Seiten der Bergiſchen Landesfürften und der iu ihrem Solde flehenden 
Leſniten nicht gelang, die Lautere Berlündigung der Lehre Chrifti in Elberfeld, Barmen 
und der Umgegend auf die Dauer zu verhindern. Unzweifelhaft ift ferner, daß unter Lo's 
dührung, die urfprünglic auf das Intheriidhe Bekenntniß gegründete evangelifche Kirche 
Elberjelde der vom Niederrheine (insbefondere von Wefel und Duisburg aus) fiegreich 
derdringenden reformirten Lehre ſich willig ergab; daß Ro bereitd im J. 1566 mad) 
dem Heidelberger Katechismus lehrte, und daß die erſte am 21. Yuli 1589 zu Neviges 
abgehaltene reformirte Synode Berpifcher Kicchendiener, welcher die Eiberfelder Abge- 
ardueten Theodor don Horn und Johann Kalmann beimohnten, da® Bekenntniß zu dem 
Heidelberger Katechismus ale die Grundlage ihrer Vereinigung bezeichnet. Noch im 
den belanatez Normaljahre 1624 war zu (Elberfeld kein anderes als das reformirte 
Religionserereitiuum „in freier unturbirter Uebung“ ; im Jahre 1670 wußte man amt- 
lich nur zehn Perfonen namhaft zu machen, die fich dafelbft zur lutheriſchen Eonfeffion 
belausten, uud exft im Jahre 1694 erhielten die Elberfelder Lutherauer das Recht be⸗ 
ſchraͤnlter offentlicher Religionsübung. Die über ein Jahrhundert lang ausſchließlich 
herrſchende reformirte Kirche hatte alſo Zeit genug, ihr Gemeinweſen vollſtändig zu 
entwideln umd alle bürgerlichen Verhältnifſe nach ihren allein berechtigten Grundſätzen 
zu orduen. Hierdurch erhielt Elberfeld ein dem Kundigen noch heute erkennbares eigen⸗ 
thumliches Gepraͤge, das mit rückſfichtsloſer Conſequenz bis gegen Ende des 17. Jahr⸗ 
hunderts, ja darüber weit hinaus, aufrecht erhalten blieb. Es iſt oft beobachtet worden, 
daß die des zeformirten Kirchen eigene Sitten- und Glaubensſtrenge Männer don be- 
dextendber Begabung zu tiefgehender, eine ausſchließende Richtung verfolgender Wirk⸗ 
ſamleit heranzubilden beſonders angelegt if. Den Namen von Theologen, welche zu⸗ 
mol and ber evangelifhen Kirche Frankreichs und Englands hier anzuführen wären, 
ſchließt Easpar Sibel von Ciberfeld fi würdig an. Seine umfangreiche handſchrift⸗ 
liche Autobiographie, die mit behaglicher Selbſtbeſchaulichkeit abgefaßt ift (f. das nadı 
dem Schluſſe diefes Urtilele Geſagte) fett und iu den Stand, das Leben dieſes ge- 
iehrten, frommen und wegen feiner Beredtſamkeit hochgefeierten Theologen bio in Ein» 
zelheiten hinein genau zu zeichnen. 
Caspar Sibel flammte vom mütterliher Seite aus der Familie des NReformators 
Lo. Katharina Lo, die eime der zwei nachgelaffenen Töchter Peter Lo's, hatte fidh ein 
Jahr vor dem Tode ihres Vaters mit Peter Sibel, einem geadhteten fireng kirchlichen 
Sornbleicher und Leinenhändler, verehelicht und übertrug die ernfle Frömmigkeit ihres 
Hanfes anf ihre fünf Söhne, von denen der zweite und der dritte, Engelbert und Peter, 
fich frühzeitig für dem geiftlichen Stand beflimmten, während Klara, die einzige Tochter 
Peter Sibel's aus erſter Ehe, fid) im Jahre 1614 mit Friedrich Keßler, Rektor der 


56 Eibel 


Eiberfelder Tateinifchen Schule, nachmaligem Paſtor in Stolberg, Amfterdam und Bra» 
filien, verheirathete. — Caspar ward geboren am 9. Juni 1590 auf dem bei Elber⸗ 
feld gelegenen, feinem Vater zugehörigen Banerngute Vardt. Wie fchon feine Groß. 
mutter durch Garnbleicheret lange Zeit hindurch die dürftige Haushaltung Lo's aus 
ſchließlich unterhalten hatte, fo erbte fich mit diefem Geſchäfte, neben der Ro’fchen Fa⸗ 
milienüberlieferung von dem herben Lebensgefchide des Reformators, von feinen Odn⸗ 
nern, den Waldeder Grafen, dem Amtmann und Pfandherrn von Elberfeld Joham 
von Settler, und Anderen, auch die Vorliebe für den damals noch fehr ehrenvollen und 
hochgeachteten Predigerftand in der Sibel’fhen Yamilie fort. Schon als zehnjähriger 
Knabe pflegte Caspar vor feinen Geſchwiſtern von einem Stuhle herab Predigten zu 
halten. Ungeachtet fünf Jahre lang andauernder Kränklichkeit, an welche ſich ein lang. 
wieriges, endlich durch einen Chirurgen zu Köln kaum befeitigtes Leiden bes Hüftgelents 
anfchloß, ihm jede Anftrengung erſchwerte oder verbot, machte der begabte, fromme umd 
gewiffenhafte Knabe in der Schule und im Haufe des Armlich geftellten Rektors Georg 
Wild in Elberfeld fo rafche Fortfchritte, daß fein Vater, der ihn gern zu feinem Ge 
ſchäfte benugt hätte, feinem Entſchluſſe freudig zuſtimmte und den noch nicht 15jährigen 
Sohn nad) feiner Confirmation (Oſtern 1605), begleitet von einem Diener der fein 
Gepäck trug (dossiario bajulo), nad) Herborn wandern lie. Das im Yahre 1584 
unter dem von den Spaniern und der Peſt aus Moͤrs vertriebenen M. Joh. Pifcater 
ımd Dr. Olevianus von Johann dem Aelteren, Grafen von Naflan, gegründete Päd 
gogium zu Herborn, fowie die mit demfelben verbundene Hochſchule, fand gerade jeht 
in hohem Rufe und war aus allen Gegenden des proteftantifchen Continents, in melden 
die reformirte Kirche Anhänger zählte, befonders auch aus dem Rheinland und aus Well 
phalen, ſtark beſucht. Die Prima, in welche Sibel eintrat, zählte 80 erwachſene, zum 
Theil ſchon bärtige Schüler; doc; wurde nicht leicht Einer derfelben zum Beſuche da 
öffentlichen Borlefungen promobirt, wenn er nicht Lateiniſch und Griechiſch rein und 
fehlerfrei zu fchreiben verfland. Es überrafchte daher Sibel höchlich, dag er ſchon im 
Dftober 1606, von feinem Ordinarius Dr. Georg Pafor dazu vorgefchlagen, als 
Primus omnium die Erlaubniß zum Webertritt in die Univerfltät erhiel. Die drel- 
müthigfeit und Sicherheit, mit welcher er, beim Promotionsaktus in einem Colloquium 
de peccato refpondirte, entlodte dem anweſenden Dr. Joh. Pifcator den Ausruf: „Das 
wird einen feinen Prediger geben!« Da aber im biefem Herbfte die Naffaner Landeb 
fchule der Peft wegen von Herborn nach Siegen verlegt wurde, fo folgte Sibel mi 
den meiften feiner Landsleute derfelben dorthin und wandte fich zunächſt dem Studium 
der MHaffifchen Sprachen und des Hebräifchen, fowie der Philofophie (sanioris phile 
sophiae) mit gewohntem Eifer und fo ausgezeichnetem Erfolge zu, daß ex bereitd im 
März 1607, unter dem VBorfige des Profeflors Heinrich Gutberleth, in einer Dispu⸗ 
tation de argumentis dissentaneis die erfte Öffentliche Probe feiner Gelehrfamteit ab⸗ 
legte und hierauf in die theologifche Fakultät überging. 

Bon Jugend auf an regelmäßigen Kirchenbeſuch und fleißige Hebung des Gebetl 
gemöhnt, war Sibel auf dem Wege methodifcher Frömmigkeit ununterbrochen fort 
gefchritten und hatte bereits eine ſolche Bertrautheit mit dem biblifchen Worte, bald 
auch eine fo gründliche Bekanntſchaft mit den Vätern der reformirten Kirche fid 3 
eigen gemacht, daß es ihm leicht wurde, feine fleißig weiter geführten Eyercitien im 
Lateinifchfchreiben zur Ausführung von Controverfen, wie fie nad) dem Geſchmade jener 
allezeit fampffertigen Theologie von feinen Lehrern empfohlen wurden, zu bemußel. 
Weberhaupt nahm Sibel ſchon jegt entfchieden die Glaubensftellung ein, die wir ihn 
fpäter in einer langjährigen gefegneten Wirkſamkeit unausgeſetzt verfolgen fehen. Sem 
Glaube an die abfolute Wahrheit der heil. Schrift war ebenfowenig je erjchlittert wor⸗ 
den, als feine Weberzeugung, daß die zeformirte Kirche die ausſchließliche Trägerin 
diefee Wahrheit ſey. Sie gegen Andersgläubige mit allen Waffen der Dialeltil zu 
vertheidigen, gehörte mit zu feiner Lebensaufgabe. Zu einfliger Röfung derfelben bes 


Sibel 57 


fühigte er fi im dem wöchentlichen, abwechfelnd von Piſcator und Paſor präftbirten 
Vispuiatorien. Eine Frucht diefer Uebungen war feine Dispntation de fide justifl- 
camte, weiche er im Febrnar 1608 zu Siegen dffentlich vertheibigte. Mit einem vor⸗ 
trefflichen Zeugmiffe ausgerüftet, kehrte ex hieranf 'nach Elberfeld zurück, um im April 
feine tbeologifchen Studien in Leyden fortzufegen, wo fein älterer Bruber Engelbert 
(uahmals niederläudifcher Prediger in Fraukfurt a. M.) fich eben zu verheirathen im 
Begriffe Rand. Gibel’s Aufenthalt in Leyden entfchied nicht bloß über feine Tünftige 
Stellung als wiſſenſchaftlicher Theologe, fondern hat auch weientlicd dazu beigetragen, 
daß er ſich mit dem nieberländifchen Nationalkarakter innig befreundete und an feinen 
tehrer Franz Gomarus, mithin am bie einem flegreichen Kampfe entgegengehende calvi- 
niſtiſche Oxthodorie, mit volifter Veberzeugung fich anſchloß. So war es dem audı 
da6 Stadium der Institutio Ealvin’s, der Loci communes von Wolfgang Musculus, 
Petrus Martye, Stephan Szegebin umd der theologifchen Tractate von Theodor Beza, 
Franciacus Imins, William Parkins u. A., mas feinem rafllofen Privatfleiße eriwünfdh- 
tee Rahtung gab und ihn aufmımterte, homiletifche Abhandluugen, Vorläufer feiner 
pater fo berfihmten Predigten, zu eigener Uebung in möglihft vollendeten Unsbrude 
bibliſcher Wahrheiten auszuarbeiten. Gleichzeitig Iegte er fi ans den Mitteln, welche 
fein Autheil an der Hinterlafienfchaft feiner Mutter ihm bot, eine ausgewählte Blcher- 
femmlung am ımb erweiterte fein theologifches Wiffen durch fleißigen Beſuch der Col. 
legien. Ws Mitglied des Collegii privati von Jakob Arminins, bei dem er eime 
Borlefung über die altteflamentlichen Weiffagumgen von Chriſti Geburt, Leiden, Tod, 
Auferfiehung und Hinmelfahrt hörte, machte ex eine Beobachtung, die ihn zur Borſicht 
und Wachſamleit aufforderte. Arminius nämlich Ienkte feine Zuhörer von dem Stu⸗ 
dinm der bewährten orthodoren Theologen ab und empfahl ihnen dagegen die Schriften 
von Gociuns, Hcontins, Caftellio, Thomas Aauinas, Diolina und Suarez auf's Ange- 
legeutlichtte, obfchon, wie Sibel bemerkt, die Werke diefer arianifirenden, famofatenifl- 
renden umd pefagianificenden Theologen doppelt fo theuer waren als die der rechtglau⸗ 
bigen proteflantifchen Gottesgelehrten. Sibel fah es als eine göttliche Bewahrung an, 
daß ex don den Schlingen der Berführer nicht gefangen wurde und ihm die rechte Er⸗ 
fenntni ber evangelifchen Wahrheit erhalten blieb. Sobald er am 15. Yult 1609 
unter Gomarus' Vorfitz feine Thefen de Dei praedestinatione Öffentlich vertheidigt 
und eim ehrenvolles Abgangszengniß erlangt hatte, mußte er fi zur Rückkehr in bie 
Heimath anfdiden; denn fein Vater und der höchft achtungswerthe Elberfelder Paſtor 
Petrus Enrtenins (Mürten) hielten den gegenwärtigen Wugenblid zum Eintritt in bem 
Dienft der Bergifchen Kirche für fehr geeignet, da diefe einer ungehemmten Ent⸗ 
widelung entgegen zu gehen fchien. 

Die Evangeliſchen in den Cleve- Zülich »VBergifhen Landen hatten bisher (inbbe⸗ 
fondere während der Regierung des biödfinnigen Herzogs Johann Wilhelm und feiner 
erſten Gemahlin, der fanatifchen Jacobe von Baden), nur unter Aufbietung aller Wider- 
flandsfähigkeit eines durch Drud und Verfolgung erflartten Glaubenslebens, meiſt im 
geheimen oder doch von dem gegenreformirenden gewaltthätigen Eifer der Jeſuiten viel- 
fach beeinträchtigten Gemeinen, ſich mühfam erhalten können. Sept aber, nachdem am 
14. April 1609 der zmölfjährige Waffenftiliftand zwifchen deu Niederländern und Spa- 
wun zu Amwerpen abgefchloffen war und, nach Johann Wilhelm’d Tode (+ 25. März) 
Ne Berwaltung der herrenlos gewordenen Fürſtenthümer im Namen der ebangelifchen 
Erbberechtigten: Johann Sigiemund’s, Kurfürften von Brandenburg, und Ludwig Phi- 
lipp's, Pfalggrafen von Neuburg, nach Inhalt der Verträge don Dortmund und Hall, 
bon Markgraf Exrnft (des Kurfürften Bruder) und Wolfgang Wilhelm (des |Pfalggrafen 
Sohn) als vorläufig poffidirenden Fürften gemeinfchaftlicd angetreten wurde, ſchien die 
Befreiungsfinnde vom päbftlichen Joche endlich auch für die fchönen Cleviſchen Lande 
geichlagen zu haben. Auf dem Randtage zu Düffeldorf gaben die Fürſten (am 22. Juli 
1609) den Ständen ber Fürftenthümer Eleve und Berg, welche das Handgelübde ge⸗ 


58 Sibel 


than hatten, im 8. 2. der ihrerſeits ertheilten Reverſalien, die Zuſicherung, „die katholiſche 
rbmiſche, wie auch alle andereſchriſtliche Religion, die ſowohl im romiſchen 
Reich als dem Fürſtenthum Cleve und Grafſchaft Mark in öffentlichem Gebrauch und 
Uebung, auch in dem Fürſtenthum Jülich an einem jeden Orte Öffentlich zu üben md 
zu gebrauchen zuzulaffen, zu continuiren und zu manuteniren und dar 
über Niemand in feinem Gewiſſen noch Erercitio zu turbiren, zu 
moleftiren noch zu beträben“,— eine Zuficherung, die, der Mißdeutung fcheinbar 
unfähig, gleichwohl jefuitifcher Verdrehung fpäter nicht entging. Da die Zeiten „fid 
feltfan und ſchwierig anfehen ließen“, fo ordneten die Fürften am 22. Geptbr. einen 
allgemeinen Bettag an, bei deſſen Abhaltung ein in evangeliihem Sinne verfaßtes, 
dem fürfllichen Befehle angefügtes ausführliches Kirchengebet gefprochen werden follte. 
Die lange zurüdgedrängte und gewaltfam niedergehaltene Kührigkeit der evangelifchen 
Gemeinen brach indefien wider Erwarten der neuen Landesherren, denen noch ſchwere 
Kämpfe bevorflanden, fo rückſichtslos hervor, daß fie fid) gendthigt ſahen, zur Beſeiti⸗ 
gung der Eonflikte zwifchen Katholiten und Evangeliſchen, eine befondere Commiſſten 
niederzufegen und unterm 20. Dezember den Abgeordneten derfelben aufzugeben , daß 
fie „den evangelifchen Neligionsverwandten ad partem andeuteten, ſie möchten fich dod 
etwas eingezogener im Exercitio ihrer Religion eriveifen, damit allem Unheil fürgebanet 
werde.“ Ferner jollten fie diefelben alles Fleißes daran erinnern, fie hätten zwar Gott 
zu danlen, daß fie nunmehr ohne Strafe zuſammenkommen und ihr Erercitium un» 
gefährdet üben dürften, möchten fih aber auch hiermit „bis zu andererer beflerer 
Gottes Anſchickung und bis die Zeiten fich wilder anliegen, für dießmal dergeſtalt 
contentiren.“ 

Die Eiberfelder Verwandten Sibel’8 Hatten alfo volltommen Recht, wenn fie mit 
ihren Pafloren auf eine gänzliche Umgeftaltung der kirchlichen Verhältnifie hofften un) 
ihn gleich nach feiner Rückkehr veranlaften, in verſchiedenen Gemeinen des Bergiſchen 
Landes feine Gaben leuchten zu lofien. Der Erfolg ließ nicht auf fi) warten. Schon 
nad wenigen Monaten Überbradhten ihm abgeorbnete Aeltefte aus Ratingen den Beruf 
fchein als Paſtor an ihre Gemeine. Er nahm die Wahl an. Deflen ungeadhtet berief 
während einer eingetretenen Verzögerung eine ihm abholde Partei einen anderen Pre 
dinger, der die Balanz in Ratingen unbedenklich antrat, obfdyon er, wie feine neue Ge⸗ 
meine, der Genfur der Synode nicht entging. Während die Verhandlungen über dieſe 
Angelegenheit noch fchwebten, wurde unfer faum 19 Jahre alter Candidat von den Ör- 
meinden Randerath und Geilenkirchen im Jülichſchen zum Paftor gewählt. Zwar droht 
eben jetzt im Vülichfchen der Krieg wegen des Erbfolgeftreite® auszubrechen, und bes 
Evangelifchen, insbefondere den Predigern, ftunden harte Berfolgungen bevor; Sibel 
hielt es jedoch für Gewifienspflicht, dem an ihn ergangenen Rufe zu folgen. Er ließ 
fih nun von dem Moderamen der Bergifhen Synode zu Elberfeld prüfen und ordiniren, 
teat zu Weihnachten fein Amt an und übernahm, auf Bitten der verwaiflen Gemeine 
Linnich, einftweilen aud; in diefer die Seelforge. 

Inzwiſchen hatten fi die den Evangelifhen günftigen Verhältniſſe fehr getrübt 
Die Hlichfhen Räthe waren entfchloffen, feinen der Herren Intereffirten vor gefche- 
heuer Ausgleihung anzuerkennen, vielmehr nach Anweifung des Kaifer und im Namen 
der Herzogin⸗Wittwe, die das Rand gleich nady dem Tode ihres Gemahls verlaflen 
hatte, die Regierung weiter zu führen. Daher erfchien der Amtmann don Stabt und 
Feſtung NAulich, Johann von Reufchenberg, auf dem Landtage zu Düfleldorf nicht, und 
auch die anweſenden Jülichſchen Abgeordneten wollten ſich nicht „rund“ erflären. Wäh- 
rend deffen war Erzherzog Leopold mit wenigen Leuten in Jülich eingerädt und erließ 
im Namen des Kaifers Mandate und Edikte gegen die poffidirenden Fürſten. Die 
erften Tyeindfeligleiten ziwifchen den flreitenden Parteien fanden gegen Ende September 
bei Aldenhoven im Julichſchen flat. Im Oktober befam Leopold das Schloß Breben- 
bend in feine Gewalt, welches bisher Werner von Palaut inne gehabt hatte. Vergebent 


Gibel “ 
I en rear, der Umtmamı von Waſſenberg, den feſten Vlat ———— 


lagerie md —* durch ſpaniſche — welche der Erzherzog ihm in deu Raden 
warf, zum Abzug gendthigt wurde. Go wor denn ber Krieg in ummittelbarer Mühe 
von Sibel's Wirkungskreiſe entbrannt und es zeigte fich fehe bald, daß der confeffionelle 
Hader die Raubluſt der laiſerlichen Soldaten zu den größten Unsednungen veizte. Der 
Hauptmann von Bredenbend, Conrad vow Kicchrud, lieh auf die vier enangelifchen Pas 
foren der Ummsgegend, Dr. Theod. Hordäus in Sittard, Iohannes Leumeflad in Heine 
berg, Berner Lad) in Woaflenberg und auf Sibel in Randerath, ein Fanggeld den 
3000 Thalern für einen jeden aubfegen. Auf wunderbare Weife entging Sibel dreimal 
der angenfcheinlichen Gefahr, bei feinen Anıtögängen von den ihm auflauernden Gelbaten 
aufgehoben zu werden, während Peter Iinneles, ein achtbarer Bürger von Linberen, im 
deſſen Hauſe die Evangeliſchen ihre Zuſammenkunfte hielten, aach Bredenbend geſchleppt 
wu af gegen ein Loſegeld von 1300 Thalrn in Freiheit geſetzt wurde. Dumitten 
dieſer VBeüngſtigungen und Bebrüdungen wucht die urſprünglich von Fluchtlngen aus 
vu Linburgiſchen zur Zeit der Alba'ſchen Tyrannei gegründete Gemeine zu Randerath 
unter der forgfältigen und gewifienhaften Pflege ihres jungen Hirten außerordentlich 
raſch heram. In der That war der Kirchenbeſuch ein erſtannlicher; aus einer einzigen 
Bauerfcht im der Nähe, die etwa 100 fyeuerflätten zählte, erfchienen 95 Familien 
vegelmäßig in der Kirche von Rauderath. Die Gemeine nahm im der kurzen Beit dom 
etwas mehr als zwei Yahren, während melder Sibel in ihe thätig war, um 360 «x 
wachiene Mitglieder zu, ſtark ein Drittel der Gefanmtzahl. Zu feinen Amtsporgängern 
hatte auch Ehrißoph Fiſcher gehört, ber im Jahre 1586, nad der Eroberung von Neuß, 
wegen feiner Standhaftigleit im Bekenntniß des evangeliſchen Glaubens auf Befehl des 
Deregs von Parma, Wlezander Farneſe, in feiner eigenen Wohnung zum Fenſter hinens 
oehenlt wurde. Wehnliche Gräuelſcenen mußten ſich jet wiederholen, hätte nicht ber 
von ber Halljchen Union zur Führung des Ihlicichen Krieges herbeigerufene Bärft 
Chrifien von Unhalt (etwa zu Aufang Mai auf feiner Rucklehr aus Frankreich in Hol 
land angelangt) ungefäumt eine nicht unbedeutende Anzahl von Soldaten für die Fürſten 
angeworben und in Verbindung mit dem jungen Prinzen Heinrich Friedrich von Nafſen 
ref aud muwbermuthet die Zruppen des Erzherzogs an der Maas überfallen, dem 
nrößten Theil gefangen genommıen oder zerſtrent umd dadurch die ehrgeisigen Pläne des 
Oeſterreichers vernichtet. Chriſtian's Triumphzug nach Düffeldorf führte ihn durch 
Randerath, wo Sibel ſich feinem Gefolge anſchloß, um ungefährdet Elberfeld zu er⸗ 
reichen. Schon im Marz nämlich hatte ihn Philipp Wilhelm von Bernſan, Herr vom 
Herdenberg, ein Eutel jenes VBergifhen Raths und Marfchalls Wilhelm von Bernfau, 
kr als Amtiaun don Solingen im Jahre 1561 den Reformator Peter Lo ans dem 
Gefängniß befreite, unter günftigen Bedingungen die Predigerflelle an feiner Kirche im 
Reviges bei Elberfeld antragen laffen, und es war fehr matürlih, daß Sibel's Bater 
und Bruder in ihn drangen, ex möge das vortheilhafte WUnerbieten annehmen umd fo 
auf die ehrendollfte Weife den Drangfalen des Krieges fich entziehen. Sibel hielt es 
für gewiſſenlos, feine hart bebrängte Gemeine um perfönlichen Nutzens willen zu ver- 
(oflen, und wies den Iodenden Huf um fo entfchiedener zurüd, als feine amtliche Thaͤ⸗ 
tigfeit bisher von fihhtbarem Gegen begleitet geweſen war ud er im Begriffe Ramd, 
fh mit Maria Kldder, der Tochter des VBürgermeifters und Schöffen von Randerath, 
ya verehelichen. Auch geftalteten ſich die Kriegsereignifle ganz ander®, als man er» 
wartet hatte. Ehrifiian don Anhalt und Moritz von Oranien begannen gegen 
Yali die Belagerung von Yülich, zu welcher alle Vorbereitungen in Düffeldorf getroffen 
waren; am 1. September nahm Reuſchenberg die ihm vorgefchlagenen Artikel der Ueber⸗ 
gabe am; Tags daranf zeg er aus der für unäberwindlich gehaltenen Feſtung ab. Die 
verfhiedenflien Nationen waren in dem Belagerungäheere vertreten geweſen. Franzoſen, 


60 Sibel 


Engländer, Schotten, Deutſche, Schweizer, Alle hatten die tapferen Heerführer zu ein⸗ 
möüthigem Handeln willig erhalten und ſich felbft nicht durch die fchon jegt hervortre⸗ 
tende Eiferfucht der poffidirenden Fürſten aufhalten laffen. Zum Undenten an den voll, 
fländigen Sieg über die Feinde des Evangeliums Tießen die Niederländer eine Dent. 
mäönze prägen mit der folgen Inſchrift: „Nihilinexpugnabile”. Drei Friedensjahre 
fhienen die Drangfale des Krieges reichlich vergelten zu wollen. 

Schon am 17. Auguſt, alfo noch während der Belugerung Jülich's, waren die 
Übgeordneten der evangelifchen Gemeinen von Jülich, Eleve, Berg, Köln und Wachen zu 
Düren zufammengetreten, um die erſte xeformirte Generalſynode vorzubereiten, die am 
16. September zu Duisburg abgehalten wurde. Sibel wohnte beiden Verſammlungen 
als Deputirter bei. Hauptzweck der Duisburger Synode war, eine Einigimg auf eine 
beftimmte Belenntnißfchrift, Gleichheit im Ritus und Handhabung der Kirchenzucht, 
endlich auch ein gleichmäßiges Verfahren bei Berufung der Prediger, Unterhalt ber 
felben, fowie der Schulmeifter und ihrer Schulen u. f. w. herbeizuführen. „Belangend 
den erften Pımkt“ (heißt e8 im Protokoll der Synode), halten die anwefenden Brüder 
nad) wie vor da8 heilige Wort Gottes, in prophetifchen und apoflofifchen Schriften voll, 
kommlich begriffen, für die einzige Regel und Richtſchnur ihres Glaubens und Lehre. 
Für's Undere halten fie auch dafür, daß die Summa der in Gottes Wort gegründeten 
Religion im Heidelbergifchen Katechismo wohl gefaßt und derentivegen berfelbe Kate 
chiamus, wie vor diefem alfo auch hinfüro, in Schulen und Kirchen zu behalten um) 
zu treiben fen; foll derhalben Niemand geftattet werden, einige novitates oder befon- 
dere catechismos einzuführen.“ 

Das Hervortreten der Brandenburgifchen Bolitit, welche dem Treiben der kaiſer⸗ 
lichen mit Pfalz» Neuburg einverflandenen Commiſſare ebenfo fehr entgegenging, wie 
die raſche Entfaltung der veformirten Kirche in den Cleviſchen Landen, reizte den uw 
gemein rührigen Landgrafen Wolfgang Wilhelm zu Gegendemonftrationen, deren natür 
liche Folgen ihn zuletzt in die katholiſche Kirche zurüdführten und den Bruch zwiſchen 
den poffidirenden Fürſten unheilbar machten. So ließ er 3. B. am 3. Oftober 1612, 
in Gegenwart feines Hofprediger8 M. Joh. Heilbrunner, zu Unna eine Synode zufam- 
mentreten und alle Anmwefenden durch Namensunterfchrift ſich auf die Augsburgiſche un⸗ 
veränderte Confeffion, den Katechismus Luther’8 und die Schmalfaldifchen Artikel ver- 
pflichten. Der gegenfeitige confeffionelle Widerwille, der fi in den Synoden zu Duis⸗ 
burg und Unna fo unverholen ausgefprochen hatte, wucherte vafch weiter und fam an 
einer Stelle zum Ausbruch, wo die Einigkeit der Fürften von größter Wichtigkeit war. 

Kommandant der Stadt und Feſtung Yülich war, feit ihrer Einnahme, Tyriebrih 
von Pithan von Siegen. Diefer berief im Auguſt 1611 Sibel an die Heine xefor- 
mirte Gemeine in Yülich, die faft ausſchließlich Militärgemeine war. Als zu Weil: 
nachten da8 Abendmahl gefeiert wurde, fanden fih aus der bürgerlihen Gemeine nur 
zehn Abendmahlsgenoſſen ein. Durch Sibels raftlofe Thätigfeit vermehrte fich die Ge⸗ 
meine in dem kurzen Zeitraume von fech® Jahren, theils durch Einwanderung, theil 
durch Profelgten aus der katholifchen Kirche, bis auf mehr ald 300 Mitglieder. Der 
Gotteodienſt wurde in der Schloffapelle abgehalten, bis fich unerwartet die Nothwen⸗ 
digfeit einer anderen Einrichtung ergab. Der Kurfürft Iohann Sigismund Hatte die 
perſoͤnliche Bewerbung des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm um feine Tochter Unna 
Sophie mit fo heftigen Ausdrüden (mo nicht gar Thätlichleiten) zurückgewieſen, daß 
der Verſchmähte auf Rache fann nnd fidh umfo eifriger der Tatholifhen Partei zu⸗ 

wandte, je mehr er durch fie das zu erreichen hoffte, was durch die gefcheiterte Ver⸗ 
bindung wit dem Brandenburger Haufe ihm entgangen war. Seine Bermählumg mit 
Magdalena, der Schwefter des Kurflirftien Marimilian von Bahern, bezeichnete den 
Weg deutlich genug, welchen er einzufchlagen gedachte. Während feine Hochzeit im 
Münden mit großer Oftentation begangen wurde, langte der Kurprinz Georg Wilhelm 
als Nachfolger des am 19. September 1613 geftorbenen Markgrafen Ernſt in Düffel- 


Sibel 61 


dorf on. Als num der Pfalzgraf am 22. Jannar 1614 mit feiner bayerifchen Ge⸗ 
mahlin und den fie begleitenden Jeſniten einzog, ward ex von dem jungen Fürſten 
pähtig empfangen, obſchon zwiſchen ſeinem Vater und dem Pfalzgrafen Verhandlungen 
ſchwebten, die leicht in einem Buürgerkriege endigen fonnten. Ungeachtet fcheinbaren 
Ginveruehmens wurden die befitenden Fürſten immer eiferfüchtiger und mißtrauifcher 
gegen einander. Die Evangeliſchen fürchteten bereits von den Yefuiten das Schlimmfie 
für Georg Wilhelm, während die Blide der Katholiten fi hoffnungsvoll auf WBolf« 
gang Wilhelm richteten. Im ganzen Lande war ſchon feit Monaten das ängftlidhe Ge⸗ 
fühl verbreitet, es ſtehe eine große Wendung der Dinge bevor, und Mißtrauen drang 
durch alle Zweige der Civil⸗ und Militärverwaltung. Im der Feſtung Juülich 3. B. 
verflärkten die Führer beider Würften unter mancherlei Vorwänden ihre Rotten über 
die vertragsmäßig beflimmte Zahl hinaus. Unter dem Borgeben, der Predigt auf dem 
Schloſſe beiwohnen zu wollen, ſchlichen ſich Emiffäre ein, deren Zweck unſchwer zu er⸗ 
rathen war. Der Commandant ſah ſich gendthigt, den evangeliſchen Gottesdienſt im 
die Stadt zu verlegen; der Befehl des Kurprinzen (zu Bensberg den 19. Nov. 1618 
ansgefertigt), daß ben Welteflen der Yillicher Gemeine allwöchentlich oder doch all⸗ 
monatlich ein regelmäßiger Beitrag zum Unterhalte des Paflors aus der Kriegslafle ge- 
zahlt werden folle, kam uicht zur Ausführung. Sibel hatte mit Noth zu kämpfen und 
mußte das Seine zufegen. Dennoch hielt er bei der armen Gemeine aus, die immer 
in feiner Schuld war; die Hülfe erfchien endlich wider Vermuthen. Der Pfalzgraf 
war (am 29. Mai 1614) Öffentlich zur Latholifchen Kirche Üübergetreten und hatte am 
24. Yıni 1614, zur Beruhigung feiner evangelifchen Unterthanen, ein offenes Patent 
auſchlagen laſſen, in dem er verheißt: er wolle „ob den Reverfalen mit treuem Eifer uud 
Ernſt halten und demjenigen, fo denfelben zuwider, äußerften Vermögens fich iiber. 
fegen.“a Über diefe Berficherungen vericheuchten die einmal erwachte Furcht nicht. Die 
Mientliche Meinung ſprach fi dahin aus, daß ein Apoſtat der natürliche Verfolger 
feiner früheren Glaubensgenoſſen fey (man hatte an die Thüre, durch welche er zum 
erften Befuchhe der Meſſe fchreiten mußte, das Alkroſtichon gefchrieben: oMnIs apostata 
perseCVtor sVI orDInIs), und wenn je, jo war diesmal des Volles Stimme Gottes 
Stimme. Der Pfalzgraf zog die Spanier herbei, feßte ſich gewaltfamerweife in den 
Befig vom Düffeldorf, verfuchte in lich eingelafien zu werden und leitete, als Pithan 
widerfland, bie Ueberwältigung der Brandenburgifchen Truppen in der Feſtung durch 
Bermehrung der Neubingifchen ein. Dem verhängnißvollen Schlage beugte Pithan be» 
durch der, daß ex, im Einverfländnifie mit dem Grafen Morik von Naſſau, flaatifche 
Truppen ans Mors herbeirief, diefelben umbemerkt über eine Zugbrüde am frühen 
Morgen einließ, die Neuburger, welche Gewalt gebrauchen wollten, hinaustrieb und 
gleichzeitig die Brandenburger entfernte. Die Generalſtaaten erflärten, die Feſtung 
dalich zam Beſten der poffidirenden Würften befegt zu haben. Jetzt mar der Ausbruch 
des Kriegs nicht mehr aufzuhalten. Bon dem Neuburger geworben, zog Ambrof. Spinsla 
bexbei, der mit feinem Heere die gegen Aachen verhängte Acht erequiren ſollte. Wäh- 
rend er Düren und andere Jülichſche Städte, auch Wefel, da® leider zu früh capitu- 
firte, einnahm, befegte Morig außer Yülih auch Emmerid und Rees, nebft der 
Scaffhaft Mark und Ravensberg. Durch die Intervention der den Krieg führenden 
Parteien befreundeten Mächte wurde am 12. Nov. der Vertrag zu Kanten abgefchlofien, 
deſſen Fünfter Artikel beftimmt, daß bezüglich der Religion Alles geordnet werden folle 
„nach, Laut des Dortmundſchen und Hallichen Vertrags, der Reverſalen und Erklärun- 
gen, welche über deufelben mit gemeiner Bewilligung der Fürften und Landflände ge 
mecht worden ſeyen.“ Die Ausführung bed Kantener Vertrags mußte aber unterbleiben, 
da die Spanier ihrem VBerfprechen, die von ihnen befegten Pläge zu räumen, wie der 
Bertrag vorfchrieb, nicht nachklamen. Mithin blieb auch Julich in den Händen ber flaa- 
tischen Truppen. Diefer Umfland war für Sibel in hohem Grade ertvänfdt. Unter 
dem Sqhutze der Niederländer konnte er nicht nur mit der größten Freimuthigkeit pres 


62 Gibel 


digen, ſondern erhielt and, von den Officieren der Beſatzung bis zum Oktober 1617 
eine regelmäßige, nicht zu knappe Befoldung, die feinem fchiweren Dienfte einigermaßen 
entfprah. Er hatte nämlich jeden Sonntag Nachmittag in Hamboch, Montags aber in 
Aldenhoven, Paterns und anderen kleinen Ortfchaften abwechſelnd zu predigen, fo daß 
es ihm nicht möglich war, zu Jülich die im jener Zeit beſonders wichtigen Katechiemus⸗ 
predigten zu halten. Bon den Dfficieren dazu aufgefordert, legte er feine Funktionen 
m Hamboch nieder und widmete fid num ganz der Gemeine von Sülich, welche im 
Dftober 1616 von der Pet hart heimgeſucht wurde und ihrem Paſtor fo Gelegenheit 
gab, feinen Muth und Eifer in flündlicher Todesgefahr zu bewähren. Tag und Nat 
bereit, den Erkraukten beizuftehen, fcheute er fich nicht, ihnen perfönlich Handreichunge 
zu leiften nnd alle, ohne Unterfchied, mit derfelben Treue zu befuchen. Einen Ruf 
nad Sittard lehnte er ab. Die Jülichſche Synode vertrat er als Abgeordneter bei 
verfchiedenen auswärtigen Synoden. So 3. B. war er im April 1616 bei der zu 
Wülfrath abgehaltenen Bergifchen Synode anweſend, um die Trennung derfelben bon 
den übrigen zu verhüten. Sie hatte nämlich bei der Elevifchen Regierung um beſonden 
Vorrechte nachgeſucht und dieſe auch von derſelben erhalten. 

Ein Wendepunft in Sibel's Leben wurde jetzt dadurch herbeigeführt, daß er im 
Auftrage des Commandanten Pithan und in Folge eines Presbyterialbeſchluſſes feine 
Gemeine zu Ende März 1617 nad dem Haag reifte, um von den Generalftaaten eine 
regelmäßige Unterflägung für den Paflor der reformirten Gemeine in Yülih zu er: 
wirten. Dieß gelang ihm and) durch Befürwortung des Prinzen Moritz von Dranie. 
Übel Eoenders, der Präftdent der Generalftaaten, hatte den Bittfleller an Oldenbarne 
veld, Advofaten von Holland, gewiefen, und diefer feinerfeits wollte ohne ein Gutachten 
des Paſtors Mitenbogaard in diefer Angelegenheit nichts thun. So machte denn Sibel 
biefem ans der Gefchichte der Dortdechter Synode allgemein bekannten remonftrantifde 
Theologen unverweilt feine Aufwartung. Uitenbogaard zeigte ſich zwar freundlich, geb 
thm aber zu bedenken, daß er und feine Gemeine in den Verdacht des Remonſtran⸗ 
tiemus kommen werde, falls er fich feiner Hülfe bediene. Sibel erfannte die Schlinge, 
die ihm im diefer Aeußerung gelegt wurde, und erllärte, die Gemeine Jülichs fammie 
ſich aus der päbfllichen Kirche und ſey mit den Controverfen der niederländifcken un 
befamıt; er aber und feine Amtsbrüder im Jülicher Lande ſeyen der reinen veformirten 
Lehre zugethan umd gebächten bei derfelben zu verbleiben. Uitenbogaard Tonnte uan 
nichts Underes thun, ale ihm feine Mitwirkung zuzufagen. 

Auf der Rüdreife wurde Sibel von den orthodoren Einwohnern Nymmegens um 
um den Welteften, endlich auch von den drei arminianiſch gefinnten Paftoren der Gemein, 
eine Gaſtpredigt erfucht, welche er unter fo allgemeinem Beifall hielt, daß man iM 
zum vierten Prediger zu wählen beabfichtigte. Vergebens beftrebten ſich die bezeih- 
neten Geiftlichen, dieß zu verhindern, indem fie ihn verleumdeten, zu Trunk und Karten 
fpiel zu verloden umd endlich durch Drohungen von der Anmahme der Wahl obju 
ſchreden ſuchten, gleichzeitig aber auch einen Theil des Magiſtrats auf ihre Seit 
beachten. Inzwiſchen ruhten auch die Altreformirten nicht; fle vertheidigten nicht wur 
ihren hart und ungerechter Weife angegriffenen Candidaten, indem fle von allen Seiten 
die glänzendſten amtlichen Zeugniſſe über denfelben beizubringen verflanden, fondern 
wollten auch die Wahl mit Hülfe des Prinzen Morig durchſetzen. Sibel indefien er 
Hörte nach längerem Stillſchweigen, e8 würde ihm unmöglich fen, mit Amtsgenofſen 
im Ruhe umd Frieden zu leben, die ihre Zuhörer zu einem anderen Evangelium hin 
überzugiehen trachteten, weßhalb ex freiwillig zurüdteete. Noch 14 Jahre fpäter wer 
feine Erimuerung am jene Wahlbeivegungen in Nymwegen fo lebendig, daß er dem Mo- 
giftrate und dem Presbuterium feine Predigten über den Brief Iudä widmete und im 
der Widmung des damals erfahrenen Schuges dankbar gedachte. Er fühlte fich hierzu 
um fo mehr verpflichtet, da diefe Vorgänge die Aufmerkfamfeit des Presbuteriums in 
Deventer auf ihn gelenkt hatten und indirekt feine Berufung nad) diefee damals jeht 


beientenben Haupiſtadt der Provinz Uveruffel veranlaßten. Friedrich von de Sande, 
Dr. J. U., Bogt von Gelderland, wußte um die fchmähliche Behandlung, welde Sibel 
wegen feines Glaubens von den Nymweger Remonftranten erlitten hatte. Als daher 
der Paſter Jeremias PBlancius zu Deventer an der Peſt flarb, ließ van de Sande Si. 
bel's ZJengniſſe ans Nymwegen kommen und bewirtte am 11. Aug. 1617 feine einſtim⸗ 
wige Wahl. Bier Wochen fpäter überbrachte ihm der Bürgermeifter Joh. von Hemert 
den Berufiein und vermochte ihn leicht, denfelben anzunehmen. Unter den mancherlei 
Öründen, welche ihn hierzu beflimmten, hebt er auch den hervor, daß er jeit feinem 
Aufentheite in Leyden fich immer einen Wirtungskreid unter Niederländern geivämfcht 
habe; er fey mit den religibſen Anfchauungen derfelben befremsdet gewefen und babe 
von jeher ſich zu ihnen hingezogen gefühlt. Nicht minder aber beſtimmte ihn die Bes 
tredhtung, daß die Kriegsunrnhen in Sülich»Cleve- Berg nur da Borfpiel feyen zu 
einem großen Bürgerfriege der deutſchen Nation, deſſen Gräueln er gern aus dem Wege 
ging. Wie Gott einft für Iofeph in Aegypten eine Bufluchtsftätte bereitete, zmeinte 
Sibel, fo habe er jet ihn im der Kirche zu Deventer ein Afyl, einem Ort ber Ruhe 
umd des Segent, finden lafien. Am 22. Ditober bielt er feine Antrittspredigt. Er 
bat feiner Gemeine 30 Jahre mit großer Anszeihuung gedient und if ben berfelben 
mit wehlberdienter Liebe und Dankbarkeit bis an feinen Tod überhäuft worden. 

Gleich nach feinem Einzug in Deventer traten ihm Schwierigkeiten entgegen, deren 
planmäßig und befonnen durchgeführte Befeitigung ibm das Öffentliche Vertrauen ges 
wann. Es woren Spaltungen zwijchen einem Theile der Bürgerfhaft und dem Ma, 
giſtrate vorhanden ; ein remonſtrantiſcher Prediger hatte den Kirchenfrieden untergenben; 
Ratholiten, Ubiquetiften, Unaboptiften und umdere Selten mußten wiedergehalten umd 
fortteäheend befänspft werden. Diefer Anfgabe war Sibel vermöge feiner Ueberzeugung, 
Energie und confequenten Seftigkeit, ja vermdge feine® ganzen Bildungsganges, is um 
genihalihen Drake gewachſen. Bon Jugend anf hatte er ſich darin geübt, Contro⸗ 
veröpunkte in umfangreichen fchriftlichen Ausführungen fo exichöpfend wie möglich zu 
eadrtern. Trotzdem war feine Predigtweiſe von flreitjüchtigem Zelotiamus eben fo weit 
entferat, wie von freundlicher und nacdhgiebiger Unterhaudlung mit denen, die er ale im 
Rerthum Stehende betraditete. Die reformirte Drthodorie fland ihm gleich hoch mit 
dem Bibelglauben; es war ihm nicht zweifelhaft, daß diefer in jener feine allein be⸗ 
sehtigte Ausdrndköform erhalten habe. Diefe uns ſchwer verfländliche Einfeitigleit umd 
Beihränttheit befähigten ihn ganz befonders, in der Zeit jener großen Erregungen bes 
Airhlichen Lebens in den Niederlanden, zu beren endlicher gewaltfamer Beruhigung auch 
er mihwirlen hatte, die ihm anvertraute Gemeine auf dem alten reformatorifchen 
Grunde unverrücht zu erhalten und ihr eine angefehene Stellung in der Nationalticche 
ja bewahren. Gewiß erkannte man feine hervorragenden Kigenfchaften fehr bald und 
lam ihm mit feltenem Vertrauen entgegen. Als am 27. April 1618 der Landtag der 
Operufielichen Stände unter Prinz Morig, dem Gouverneur von Opernfiel, abgehalten 
werde, beſchied dieſer Sibel und befien beide Eollegen, den alten ehrivürdigen Thomas 
Rojetiius und den gelehrten Iacob. Revins, ſowie deu Abgeordneten der Klaſſe Deventer, 
Pafter Joh. Lange in Bollenhoven, zu ſich und forderte fie auf, die Pafloren von Zwoll 
für die Berufung einer Nationolfynode zu gewinnen. Dieß gelang fo vollfländig, da 
Veielben mit Namensunterfchrift erklärten, es ſey nothwendig, eine Nationalfyunde zu 
bein. Jetzt beftimmte Moritz and) die Stadt Deventer umb den Landtag, in dem⸗ 
klin Simne Beſchluß zu faffen, während die Stadt Campen Klage bagegen exhoh. 
Gier war zum den drei anderen remonfirantifchen Pafloren Ahaſsverus Matthiſius, den 
dat Presbyterium von Deventer um feiner remonſtrantiſchen Gefinnungen willen ass 
den ſtirchendienſte entlafjen hatte, zum Prediger gewählt worden. Um fo natürlicher 
wer ed, daß die Orthoderen in Campen fidh von Deventer einen befeuntnigtzeuen Pre 
Niger baten. Das Presbuterium beauftragte Sibel mit der ſchwierigen Miffton, fo 





64 Sibel 


lange den Kirchendienſt in Campen zu verfehen, bis auch die beeinträdhtigte Partei einen 
Baftor erhalten hätte. Sibel Löfte feine Aufgabe mit gutem, gern anerfanntem Erfolge, 

Inzwiſchen fchritten die Vorbereitungen zur Nationalfynode, ungeachtet aller Ein 
ſprachen und Hemmmiffe, fletig vorwärts. Die Overhfielfhe Synode zu Bollenhoven 
ordnete (am 3. Oktober 1618) Sibel, obfhon er kaum feit Yahresfrift im Dienfle der 
niederländifchen Kirche ftand und erſt 28 Jahre alt war, nebft den Pafloren Hermam 


Wiferding zu Zwoll, Hieronymus Vogel zu Haffelt, Ioh. Lange zu VBollenhoven umd die 


Aelteſten Wilhelm van Broidhuyfen ten Doerne und Johannes van der Lauwyck, Bir, 
germeifter zu Campen, zu der Nationalfynode ab, welche am 23. November in Dord⸗ 
recht ımter dem Borfige von Johannes Bogermann, Paſtor zu Leumaerben , exröfind 
wurde. Sibel folgte den Verhandlungen mit großer Aufmerffamleit und ftellte fein 


Zag vor Tag aufgezeichneten Noten zu den im J. 1620 im Druck erfcienenen Akten 


dee Synode nochmals in einem befonderen, mit Beilagen verfehenen Foliobande zw 
fanmen. Während der Synode predigte er zu Gouda und zu Rotterdam und gefiel 


an beiden Orten fo, daß man ihm die Wahl antrug. Er erklärte indeflen,. Debenter | 


bis am fein Lebensende nicht verlaffen zu wollen, ein Entſchluß, dem er ungeachtet wieder 
bolter Verſnchungen treu geblieben if. In Dordrecht war er befländig für die One 
ufielfche Synode thätig, indem er die amtliche Correfpondenz mit derfelben führte un 
im Auftrage der Generalſynode den Beichwerden über zwei von bdiefer ihres Dienfled 
entfegte remonſtrantiſche Prediger in jener Synode abzuhelfen deputirt wurde, gleich⸗ 


zeitig and, die Entfernung der PBafloren in Ens, Gememud und Geethorn, fowie de 


Suspenfion der Campenſchen Prediger, befürwortete (Febr. 1619) und vermittelte. Ein 
heftiger Fieberanfall nöthigte ihn indefjen, fchon am 19. Mai feine Arbeiten in Dord 
echt einzuftellen nnd fich nad; Haufe zurüdzubegeben. Das interefiante Album, u 
welchem er nach der Sitte damaliger Zeit Autographa der bedeutendflen Mitglieder de 
Rationalfyuode ſammelte, verdiente wohl veröffentlicht zu werden. Es gehörte zu Sb 
bel's Eigenthüämlichleiten, über Allee, bis zu den kleinſten Dingen hin, Buch zu führen, 
amd fo ift es gelommen, daß feine umftändlihen Aufzeichnungen ein großes, fchmer zu 
verarbeitendes Material enthalten, welches fich einer zufammenhängenden Benngung emt- 
zieht. Sicher hat feine Thätigkeit in Dordrecht dazu beigetragen, die allgemeine Achtung 
vor feiner Gelehrfamleit und Begabung zu erhöhen, und wie ihm das im Jahre 1619 
nen eingerichtete Pädagogium die Berufung audgezeichneter Lehrer verdankte und unter 
feinem umd feines gleichgefinnten Collegen Jac. Revins Scholarchate fich einer unge 
mwöhnlichen Blüthe zu erfreuen hatte, fo zwar, daß man feinen Rath und feine Ep 
pfehlung aud; auswärts fuchte (tie er denn auch zur Berufung eines feiner tüchtigke 
Lehrer zu Elberfeld, des früheren Conrektors und Prediger der geheimen Gemeinen is 
Bergifchen, Ioh. Anton Biber, von der Schule in Düffeldorf zum Rektor an die late 


nifhe Schule in Zütphen wefentlid, mitwirkte), fo verdankte feiner langjährigen Leitung 


die Synode don Overyfſſel die Erhaltung der orihodoren Lehre und der Einigkeit ihrer 


Gemeinen. Auf feinen Antrag 3. B. approbirten die Stände von Overyſſel die von 
der Nationalfynode aufgeftellten Canones ecolesiastici und die Synode biefer Brom 


die Beſchlüſſe jener über die befannten fünf Artikel (ſ. R.⸗Enc. Bd. V. ©. 226 fi). 


Nicht minder verdient machte er fi) um da8 im Jahre 1630 gegründete alademiſche 
Gymnaſium, an welches er umter Anderen den berühmten Elberfelder Arzt Engelbett 
Teſchenmacher von Elberfeld zog und an welchem er ein Eandidatentränzchen (oollegium 
proponendorum) einrichtete. Ein viel weiter gehendes Verdienft indefien hat fi Sibel 
um die niederländifche Kirche durch feine Theilnahme an der Revifion ihrer Bibelüber⸗ 


fegung erworben (N. Teſtament und Apokryphen). 

Die Dordredhter Synode hatte bereits in ihrer 10. Sigung (am 23. Novbr. 1618) 
die Herſtellung einer neuen holländifchen Bibelüberſetzung unmittelbar aus den Grub» 
tegten befchloffen umd zur Wusführung dieſes großartigen und ſchwierigen Werkes bit 





Beh! von drei audgezeichneten Theologen zu Ueberſetzern (interpretes) bes Alten und 
eben fo- vielen zu lieberfekern bes Neuen Teflaments, überdem and, von zwei Revi⸗ 
foren (reoognitores) ans jeder Provinz angeordnet. Yür den Fall, daß durch Tod 
oder auf andere Weiſe einer der Reviforen ansfchiede, follte die von dieſem Berluſte 
betroffene Synode demfelben einen Nachfolger ernennen. In der 13. Gitung (am 
26. Nebember) war die Wahl der Ueberſetzer und Reviforen vollgogen und zum Re» 
vifor aus Dperhfiel der Paſtor Iohannes Lange in Bollenhoven beftimmt worden. Als 
er im Iahre 1619 einem Rufe nad; Utredht folgte, wo ex verflarb, wählte die Over⸗ 
ufiefihe Synode Sibel an feine Stelle. (Berg. über die Entftehung der nieberländ. 
—— — den umfangreichen Aufſatz von Jodocus Heringa in Kiſt's und Rohya⸗ 
arb Archief voor kerkelyke gesohiedenis, Thl. 2. ©. 57—176.) Die Wahl Si⸗ 

befs zum Revifor ift der unzweideutigſte Beweis für das große Anfehen, welches ex in 
feinem nenen Baterlande genoß. Erſt im Spätherbfi des 9. 1632 war bie Ueberſetzung 
des Nenen Zeflaments fo weit vorgefchritten, daß den Reviſoren einige Bücher deſſelben 
yar Yehfung übergeben werden kounten. Sibel begann fofort am 19. Oltober 1632 
die Berbereitung auf die Hünftige Arbeit und legte denfelben die Beichläffe der Dord⸗ 
rechter Synode (im der Sten und 12ten Sitzung) auf's Gewiflenhaftefte zu Grunde. Er 
beungte alle ihm erreichbaren wiſſenſchaftlichen Hilfemittel (unter den Wörterbüchern 
nennt ex die thesauri und lexica bon Heim. Stephanus, Wilh. Bubdäns, Rob. Eon | 
Rantinns, Beorg Paſor; unter den Weberfeuungen: die fyrijche mit der Latein. Ueber» 
tragung von Guido Yabricius und Immanuel Tremellins, die Bulgata, die von Eras⸗ 
mus, Batabims und Bagninins, die Züricher, die von Theodor Beza, Eaftellio Pifcator, 
Arias Montanns ; die deutfchen, die beigifche, franzöflfche, fpanifche, englifhe m. ff.), 
ſtadirte Tag und Nacht alte wie nene Eommentare und arbeitete zwei Jahre lang die 
ihm yagegangenen Theile der nenen Ueberfetzung fo gründlich durch, daß, ale ex endlich 
am 30. Mober 1634, von den Generalflanten zur Theilnahme an dem Convente ber 

— einberufen, in Leyden angelangt war, feine Mitarbeiter fofort großes Ber⸗ 

za ſeiner Ürcheitsfähigkeit gewannen und ihn zu ihrem Bice- Scriba machten. 

—— war Anton Walans, Profeſſor der Theologie zu Leyden. Die Sitzungen 

währten täglich ſecht Stunden: drei Vormittags und drei Nachmittags. Die gemein- 
ſchaftliche Heviflon geſchah nach 23 Regeln, melde die Commiſſion feflgeflellt hatte, 

Die mit diefer erſten Arbeit verbundene Anftrengung wurde noch dadurch vermehrt, daß 
ein großer Theil der zu prüfenden neuen Weberfegung (vom Brief an die Kolofier bie 
zum Schluß des Neuen Teſtaments, und die Apokryphen) den Reviſoren erfl zuging, 
alt fie bereits verſammelt waren, mithin eine genaue Beurtheilung derfelben befondere 
Schwierigkeiten hatte. Rechnen wir noch die Korrefpondenz hinzu, welde Sibel mit 
den Behörden umd den vielen Brivatperfonen, welche um feine Geſundheit beforgt waren, 
ja bei Fortdauer der ungewöhnlich mörderifchen Peſt zu Leyden für das Leben ihres 
treuen Lehrers fürchteten, fo werden wir nicht umhin Tönnen, mit Beringa (a. a. O. 
6. 166) die Geiſteskraft Sibel's zu bemundern, der in der Widmung feiner Predigten 
über das zweite Kapitel der Offenbarung Johannis am 20. Anguſt 1635 dem Magi« 
firate von Deventer für die Bereitwilligleit dankt, mit welcher dieſer ihn und früher 
feinen Collegen Revins zur Förderung des nationalen Bibelwerks beurlatıbt habe, aber 
weder der Gefahren, welche ihn ummwingten, noch felbft der Beſchwerlichkeit der Arbeit 
wit Einem Worte gedachte. Sicher hatte er guten Grund, Gott von ganzem Herzen 
m danlen, daß, ungeachtet die Peſt in jenen elf Monaten, welcher die Rebijoren zur 
Erledigung ihrer Aufgabe bedurften (fie fchlofien ihre Urbeiten am 10. Dltober), die 
mwüthete und allein in der Woche, in welcher Sibel die Rüdlehr 

outrat, 1500 Menſchen hinwegraffte, weder er noch feine Mitarbeiter von ihr ergriffen 
wurden. Über einen immerhin befremdlichen Eindrud macht es dennoch, wenn man 


ia feiner Autobiographie. (Bd. IL. ©. 166—169) fein prophylacticum quotidianum 


pestis aufgezeichnet findet, ein über drei Ouartfeiten langes Gebet, das er zu Leyden 
Real » Encyliopänte für Theologie und Kirche. Suppl. III. 5 





66 Sibel 


täglich ſprach, um ſich und die Seinen unter Gottes beſondere Obhut zu befehlen. Wir 
konnen nicht anders, als dieſe behagliche und umſtändliche Frömmigkeit, die andy bei 
anderen Gelegenheiten, z. B. bei dem Tode feines Schwiegerſohnes (2, 438 fi.) md 
feinee Tochter (2, 475 ff.) herbortritt, an deren Aufrichtigkeit aber nicht zu zweifeln ifl, 
auf Rechnung feiner befonderen und forgfältig gepflegten Begabung für geiftliche Medi⸗ 
tation fegen, und ſuchen ihr fo das Auffallende zu benehmen. Das Salbungsreike 
tritt in allen feinen Mittheilungen flart hervor, verdient aber mehr Lob ale Tadel, 
weil er in denfelben, zumal in feinen umfangreihen Homilien, eine folche Fülle Kar 
gedachter und biblifch correlter, erbaulicher Gedanken und dazu in fo verftändlicher orn 
niederzulegen verftand, daß alle Zuhörer oder LXefer von ihrem Inhalte perfönlid be 
rührt wurden. Auf diefer feiner Eigenthümlichkeit beruht auch die große Wickmg, 
welche feine Predigten hervorbradhten. Er fpracd nie Öffentlich, ohne vorher fein Chem 
forgfältig disponirt und, im lateinifher Sprache, möglichſt concis bearbeitet zu haben. 
Mit einer folhen Ausrüftung verfehen, beftieg er die Kanzel und konnte nun, umterflägt 
bon der ihm vorliegenden Aufzeichnung, die mehr als ein bloßer Entwurf war, feine 
Beredtfamteit freien Lauf lafien, ohne auf Abwege zu gerathen. Es bedurfte fpäte 
nur einer nochmaligen Durchfiht umd theilweifer Erweiterung, und feine fo vorbereiteten 
Meditationen, welche fid, wie wir unten fehen werden, über zum Theil große Ab⸗ 
fhnitte der heil. Schrift verbreiteten, zum Drude fertig zu flellen. Am Maffifchen Aut 
drude, gleich bei der erſten Aufzeichnung, war ihm viel gelegen. Daraus erllät 8 
fi) auch, daß manche Borreden zu feinen Publikationen faft woͤrtlich mit den biefelben 
betreffenden Stellen in feiner Biographie übereinſtimmen. Aber nicht bloß Sibel's dmd 
wiederholte Drude weithin bekannte Tateinifche Predigten fanden, um ihrer Erbaufit 
feit und Brauchbarfeit willen, den ungetheilteften Beifall, fondern auch eine im Ya 
1640 exfchienene, nach feinen Handbemerkungen verbefierte Ausgabe des holländiide 
Neuen Teflaments (die zweite Ravenftein’fche) wurde von dem Publikum fehr ginfis 
aufgenommen. Freilich zog ihm diefe ohne fein Zuthun veröffentlichte Ueberfegung, weldt 
deutlich zeigte, daß die amtlichen Ausgaben (1637 1.1638) umgenau und leichtfinnig ver 
anftaltet worden waren, Unannehmlichkeiten, felbft Anklagen zu. Ex wies indeſſen ſchließlich 
alle Angriffe durch die beftimmte Erklärung von fi), daß er keiner Synode, fondern aut | 
feinen Eollegen, den Reviforen, für feine Marginalien und deren Verwendung Rede und 
Antwort fchuldig fen. Uebrigens war es fattfam bekamt, daß Sibel bei Heramsgoh 
von Schriften die darüber ergangenen Beſchlüſſe der Dordrechter Synode genau beob 
achtete und in jedem einzelnen Yalle die Zuftunmung der Klaſſe nachfuchte. Ude: 
haupt hielt Sibel durchaus auf Gejegmäßigkeit. Auf der einen Seite machte er mt 
faft altteftamentlichem Eifer über Gottes Ehre bei Freund wie Feind, andererfeits fm 
er treu zur Obrigfeit, als Gottes Dienerin, und unterflügte fie durch die geifllike 
Macht, während er freilich im Auftrage des Presbyteriums auch häufig genug ihren 
Arm gegen Andersgläubige in Bewegung ſetzte. Die Strenge beider Faktoren gegen "dit 
Heiden und Ketzer“ (Katholiten, Remonftranten, Arminianer, Wiebertänfer und insbefondert 
Lutheraner) rief merkwürdige Beſchlüſſe hervor. So wurde 3. B. am 10. März 1635 
bon Rath und Sceffen der Stadt Deventer dekretirt, daß jeder Tatholifche Einwohner, 
der fein Kind nicht in der reformirten Kirche, als der einzig berechtigten, taufen lafl, 
das Bürgerrecht verwirkt habe und überdem eine Geldficafe von 25 Goldgulden fir 
jebes Kind zu erlegen verbunden fey. Nichtbürger hatten da8 Doppelte zu bezahkn 
und durften auch fpäter zum Bürgerrecht nicht zugelaſſen werden. Sibel begrünbel 
diefen geredjten und ausgezeichneten Befchluß“ unter Underem duch ben Nachweis 
daß, ungeachtet die Eltern katholiſcher Kinder Gbtzendiener ſeyen, dieſe ſelbſt dem Bunte 
Gottes nicht entfremdet werden dürften. Schon viel früher (28. Febr. 1620) mare 
die Zufammenkünfte der Papiften, Diennoniten und anderer Selten, fo wie alle ihr 
religiöfen Handlungen, eben fo fireng verboten worden. Die Leiter ſolcher Eonventifel traf 
eivige Verbannung, bie Zuhörer aber mußten diejenigen, die ihre Verſammlungen anf 


Eibel 6 


geſpürt hatten, mit einem Mantel (amiculo) befchenten und 25 Goldgulden erlegen, 
im Wiederholungsfalle 50 Gulden u. f. f. Freilich nutzte diefe Härte wenig, denn das 
fon 1620 wiederholte Berbot mußte nichtsdefloweniger in den Jahren 1623 u. 1624 
ernemert werden. — Nach der duch Ernſt Caſimir von Naſſan herbeigeführten Erobe⸗ 
rung bes papiſtiſch gefiunten Ortes Aldenzal (am 1. Aug. 1626) wurde in dieſem 
„Refte des Antichriſts« der Katholifche Sottesdienft gewaltfam unterdrüdt. Im den Ar⸗ 
titeln der @apitulation war beflimmt worden, daß die Katholiken hinfort fich weder 
Öffentlich noch heimlich zu gottesdienftlichen Zwecken verfammeln dürften. Uber man 
ging noch weiter. Sibel, als Abgeordneter der Klaſſe Deventer, beantragte bei ben 
Ständen von Overhfiel in Zmoll, daß nicht bloß in Aldenzal, fondern im ganzen Quar⸗ 
tier Twenthe (in regione Tubantia), welches bisher von den Spaniern noch nicht ge- 
räumt geivefen war, die Kirchen und Klöfter reformirt und ber Klaſſe Deventer hinzu» 
gefüigt würden. Unter den empfehlenden Gründen wird aud der verzeichnet, daß bie 
Gegrer ähnlich verführen, wenn fie einen von Belennern der orthodoxen Lehre bewohnten 
Drt eroberten, Ritterſchaft und Städte von Overyſſel erklärten fich mit dem Vor⸗ 
jchlage einderſtenden. Im Jahre 1627. beftätigte der Magiftrat von Deventer feinen 
im Jahre 1626 erlafienen Beſchluß, daß die Kinder der Katholiken, ſowie anderer Ketzer 
und Seltirer, welche die Öffentlichen Schulen befuchten, dem Gottesdienft der Refor⸗ 
mirten beitvohnen und den Katechismus bderfelben eben fo gut auswendig lernen follten, 
wie alle übrigen Kinder. Im bderfelben Weife verfuhr man and; anderwärts in dem 
Niederlanden gegen die Nichtreformirten, deren Zahl mit und unter dem Drude ber 
privilegirten Kirche gleichwohl wuchs. Mit großer Ausführlichleit entwidelt Sibel die 
Berechtigung nicht bloß, fondern felbft die von Gott anferlegte Verpflichtung zu einem 
ſolch unduldfamen Berfahren. So entfland eine Reihe von leſenswerthen handichrift- 
lichen Abhandlungen, die er feiner Biographie einverleibt hat. Ich hebe nur hervor 
bte Vindicatio contra Remonstrantes (1, 316 ff.) und feine ausführliche Kritik der 
Intherifhen Lehre (2,-447 ff.), deren Belenner es gewagt hatten, aller Dekrete und 
Bufen ungeadhtet fid, ein Berfammlungshaus zu kanfen und in bdemfelben Bffentlichen 
Gottesdienſt zu halten. Selbſt nad dem Abſchluſſe des Münfterfchen Friedens im 9. 
1648 konnten fie mit einem ermenten Geſuche um Cultnöfreiheit nicht durchdringen. 
Sibel, dem fle daffelbe mit der Bitte um Befürwortung beim Presbhterium nnd „Rath 
hberreidjten, wies es zuräd und entwidelte hernach die Grunde, warum er Zutheranern 
feinen Beiſtand verfagen müfje (2, 548—551). Mit diefer karalteriſtiſchen confeffio- 
nellen‘ Einfeitigleit und Befchränktheit geht e® Band in Hand, wenn er in einer be 
fouderen Abhandlung die frage „an organa musica in publico Dei cultu adhibenda 
sint” weitläufig erörtert (2, 861—369) und ſich für die Nichtzulafiung des Orgelfpiels 
in der Kirche entjcheibet, oder in einer anderen (coelum non terra movetur) die Gott- 
Iofigleit der. Copernitaner exweift (2, 278—285), während feine Zufammenftellung der 
Strände gegen die Prognoflica der Aſtrologen (rationes contra vana astrologorum pro- 
gnostica, 2,.1-——15) mandes Unnehmbare enthält und feine Erläuterungen des in der 
Controvers- Theologie berühmten Satzes „animam humanam non esse ex traduce” 
bie orthodore Anficht der Creatianer beflätigen. Auch andere feiner Abhandlungen 3.8. 
über das Theaterweſen (argumenta oontra ludos scenicos et spectacula, theatralia, 
talia saltem, qualia hodie in usu vulgari habentur, ®d. 2, 45—54) verdienen, daß 
fie gelefen werden. 

Wie angeſtrengt andy Sibel als Paſtor und als theologifcher Schriftfteller arbei- 
tete, fo ließ er fi) doch mur im äußerſten Nothfalle, wenn feine Kränklichkeit, die ſich 
oft zu anhaltendem Leiden fleigerte, einen unerträglichen Grad erreichte, von feinen Col⸗ 
legen vertreten. Dabei hielt er den Zuſammenhaug mit feiner Heimath und feinen 
Berwandten nicht weniger als mit den von harter Verfolgung bedrängten evangelifchen 
Gemeinen des Yülicher und Bergifchen Landes aufrecht und erwies fich nad} allen Seiten 
hin hülfreich. Wir erfahren dieß zum Theil ans den in feine Biographie aufgenom» 

co’. 


68 Sibel 


menen Correfpondenzen, zum Theil aber auch aus feinen eigenen Mittheilungen. Un. 
geachtet tapferer Gegenmwehr mußte (Ende Januar 1622) Yülidy nach fümfmonatlicher 
Belagerung fid) an die Spanier ergeben (1, 318 ff.), worauf die planmäßige Unter. 
drüdung der Evangelifhen im Wülichfchen folgte. Site nahm überall zu, wo der Pfalz 
graf Meifter war. Am 5. Septbr. 1624 ftarb Philipp Popinchufen, der langjährige, 
wohlverdiente Prediger der reformirten Gemeine zu Düffeldorf; ſchon am 7. September, 
dem Begräbnißtage deffelben, ward, wie da® Confiftorialbuch fagt, die Kirche gefchloflen 
und das Öffentliche Erercitium verfperrt. Erſt nach 19 Jahre langer Entbehrung er 
hielt die Gemeine ihr Gotteshaus wieder. Im Yülicher Lande mußten die Evangeli⸗ 
fchen (1624) auf freiem Felde, zwiſchen Heinsberg und Rurmonde, das Weihnachtsfeft 
feiern und Abendmahl halten (1, 407—409); beide Schweftern des Grafen von Berg 
nahmen daran Theil. Nach der Eroberung von God; durch Lambert Charles, den Com» 
mandanten bon Nymwegen (Januar 1625), befjerten fi die Verhältniſſe im Julichſchen 
einigermaßen. Bom 10. Dezember 1625 bis zum Herbfl 1627 hielt fogar in Elber⸗ 
feld der Jeſuit Boys auf Befehl des Pfalzgrafen da8 Öffentliche Exercitium unterdrädt; 
der katholiſche Cultus war förmlich wieder eingeführt worden. Da endlid ermannten 
fih die Synoden von Jülich und Berg: fie deputirten Abraham Tielenius, den Hof 
prediger der Gräfin von Berg, und den Aelteften Adolf Sibel von Eiberfeld, Caspar't 
Bruder, an die Generalſtaaten und die niederländifchen Synoden, denfelben ihre Gra⸗ 
vamina zu überreichen und um Abftellung bderfelben und nachhaltige Unterftügung zu 
bitten (1, 472— 478). Die Deputirten wandten fid) zunächſt nad) Deventer, wo Caspar 
Sibel Alles aufbot, um ihnen durch Empfehlungsfchreiben an die Synaden und bie 
Stantsräthe die Löſung ihrer ſchwierigen Aufgabe zu erleichtern. Die Drohung, welde 
die Generalftanten an den Pfalzgrafen abgehen ließen, falls die Verfolgungen nicht ein 
geflelt würden, Retorfionsmaßregeln anordnen zu wollen, wirkten für den Wugenblid, 
zumal der Statthalter Heinrich riedrih, der Bruder und Nachfolger des Prinzen 
Morig, Groll in der Graffchaft Zütphen belagerte, ed am 18. Auguft zur Capitulation 
brachte und fofort die Kicche der Stadt den Keformirten übergab. Je mehr der Krieg 
in die Niederlande verlegt twurde, defto mehr Hing die Ruhe der evangelifchen Kirche 
in Yülih und Berg von den Erfolgen der niederländifhen Waffen ab; denn die Nieder- 
länder eben fo wenig wie andererfeitd die Spanier ließen fit) durch die Neigung der 
poffidirenden Fürſten zum Frieden dazu beflimmen, ihre Vortheile aufzugeben oder den 
neuen Bergleich zu reſpeltiren, welchen jene anf Grundlage des XZantener Vertrags am 
6. März 1629 zu Düffeldorf abgefchlofien hatten. Auch hemmte diefer Vergleich die 
Bedrüdung der Evangelifchen nit. Pater Boys erjchien im Februar 1629 wieder p 
Elberfeld und am anderen Orten und hob den reformirten Eultus zum zweiten Male 
auf. Aehnlich wie im Bergifchen haufte ex im Märkifhen. Wie früher, mußte man 
auch diesmal wieder Rettung in den Niederlanden fuchen und durch Sibel, der mit 
feinem Schwager Keßler in Amfterdam Alles aufbot, was in feinen Kräften fland, bie 
felbe fich vermitteln laſſen (2, 15—22). Doc; verzögerte fi) die vollftändige Hälfe 
bis Ende Auguſt. Seit dem Mai deſſ. 3. mämlich belagerte Heinrich Friedrich Her 
zogenbuſch (Sibel befichtigte die großartigen Belagerungswerfe und gibt eine anfchauliche 
Beſchreibung derfelben). Vergebens fuchte der Graf von Berg durch Verwüſtung ber 
Belawe (auch Deventer kam in ſchwere, doch glüdlich befeitigte Gefahr) den Dranier 
zur Aufgabe der Belagerung von Herzogenbufch zu zwingen (2, 31f.), indem er gleid- 
zeitig die vom dem Taiferlichen General Montecuculi ihm zugeführten Hülfsteuppen 
heranzog. Schon war das Aeußerſte zu fürchten, als plögli anf den Straßen von 
Deventer der Jubelruf erſcholl: „Wefel i8 geus!“ Noc während der Belagerung 
von Herzogenbuſch war Weſel dur eine kühn ausgeführte Kriegsiift am Frühmorgen 
des 19. Aug., nachdem es faft 15 Yahre lang unter fpanifcher Knechtſchaft gefeufzt 
und 1628 felbft das Recht des dffentlihen Exercitiums verloren hatte, erobert umd 
ſomit die Macht der Spanier am Niederrhein gebrochen worden. Am 14. September 


Gibel 69 


capitufiste andy Herzogenbuſch. Nicht bloß ans der Velawe wurden die Spanier uud 
Reiferlihen vertrieben, die Niederländer verjagten die Spanier wenigftens bald aud) 
ans dem Yilich » Eleve-» Bergifchen Landen und hbemächtigten ſich der feften Pläge in 
denfelben. . 
Denfelben wirkſamen Antheil, welchen Sibel an den Glaubensgenoſſen in der Heis 
math bewährte, zeigte er jedesmal, wenn feine Hülfe aufgerufen wurde, fen es, daß 
Eiberfelder Kaufleute diefelbe zur Wiedererlangung ihrer ungerechterweife confiscirten 
Waaren (1, 323 ff und 385 f.) in Anſpruch nahmen, ober daß es galt, vertriebene 
Pfälzer Pafloren und Gelehrte (2, 331; Phil. Pareus a. a. O. ©. 329 ff.) zu unter- 
fägen, einem in Kriegsgefangenſchaft feftgehaltenen Verwandten (2, 337) die Freiheit 
wieder zu verfchaffen, das Anliegen einer ganzen Graffchaft (Lingens; 2, 469 ff.) den 
Hochmdgenden zu empfehlen, verirrten Amtsbrüdern (Phil. Eilbracht, 1, 468 ff., Ab» 
falon von Kefiel, 1, 465 f.) wieder zurecht zu helfen, in die orthodore Kirche zurüd- 
tehrende verbannte Prediger (3. B Schoteler, 1,367 ff., und Bevii Daventria illustrata 
©. 643 fi.) zu eehabilitiren, einen alten Lehrer (den Rektor Wild, 2, 244 ff.) dem 
Berlommen zu entteißßen, einem verbannten Kicchenfürften (Arcibald Hamilton, den Erz⸗ 
biſchof von Caſchel, 2, 413 ff.) fein Exil zu erleichtern, oder tüchtige Männer zu An- 
Rellungen in Schule und Kirche zu empfehlen u. f. f. 
Durch dieſe weithin verzweigte Thätigkeit iſt Sibel mit einer großen Anzahl von 
im State, in der Wiffenfchaft und im der Kirche hochgeftellten Männern in briefliche 
Berbindung gelommen. Im forglichem Fleiße hat er daher auch eine nicht unbedeutende 
Anzahl von Briefen folcher Dlänner, bisweilen auch die Antworten auf biefelben, in 
feine Lebensgefchichte aufgenommen und diefer dadurch ein befonders für Holland bes 
Iangreiches Titerarifche® Intereſſe gegeben, abgefehen von dee hin und wieder einge 
ſchalteten meift lebhaften Schilderung geſchichtlich denkwürdiger Exeigniffe feiner Zeit. 
Das vortbeilbaftefte Bild von Sibel erhält man, wenn man den in feiner Bio» 
graphie reichlich anfbetwahrten und ausführlich befprochenen Familienangelegenheiten, ſo⸗ 
wohl denjenigen feiner Familie im meiteflen Sinne, als auch derjenigen feiner Frau 
amd der Berwandtſchaft diefer, einige Theilnahme zuwendet und beobachtet, mit welchem 
behaglichen Wohlwollen ex ihre Schidfale und Kigenfchaften fhildert, indem er zugleich 
omzugeben nicht unterläßt, wie er ihnen je nad, Bedürfniß beizuftehen jo glüdlich ge⸗ 
weſen ſen. Sein Bater, der am 24. September 1624 in einem Alter don mehr als 
12 Yahren flarb, hatte in zwei Ehen nicht weniger als 25 Finder erzeugt (1, 589), 
bon denen bei feinem Tode noch 13 im Leben flanden. Bei der Erziehung und Ber- 
fergung ber jüngeren Stiefgefhwifler war Sibel mit Rath und That gern behülflich 
und Überisug diefelbe Theilnahme auch auf die Kinder feiner Brüder und Schmweftern. 
Er fühlte, wicht ohne einen leicht verzeihlihen Stolz, daß er der angefehenfie Mann 
feiner Familie war („Inter vos tu summus”, fchreibt ihm ſchon 1617 fein alter Lehrer 
Joh. Anton Biber, auch ein Vertvandter aus dem weit verbreiteten Sibel»Lo’fchen Ges 
fchlechte) : aber feine Selbfigefälligkeit ift nur für VBeurtheiler flörend, die den praftifch- 
tüchtigen Mann nach abfiraften Idealen mefien wollen. Uns wenigſtens erfüllt die Art 
uud Weiſe, wie er der Seinigen fih werkthätig annahm, mit hoher Achtung vor feinem 
Kttlichen Werthe. Am Ieuchtendfien tritt diefer in feinem Verhältnifie zu dem Blomen- 
daeler Paſtor Lubbert van Goor hervor, dem er feine Tochter Llifabeth, fein einzig forg- 
fältig erzogenes Sind, zur Ehe gegeben hatte (am 8. Sanuar 1637; 2, 195—203). 
Ichre lang mußte van Goor der Kirche faft unentgeltlich dienen, felbft in Blomendael 
mar er um einen großen Theil des ihm gebührenden Gehaltes betrogen worden und 
überdem durch den Ban eines Paftorats noch tiefer in Schulden gerathen (2, 441 ff.). 
Als er mm im Jali 1641 nad Deventer zum Paftor gewählt umd fomit Umtögenofle 
fees ſchon alternden, oft Fränflichen und des Umgangs mit einem gleichgefinnten Sohne 
doppelt bebfrftigen Schwiegervater6 wurde, war das Sibel'ſche Ehepaar Hoch erfreut 
und hoffte mun für immer mit feinen Kindern vereint zu bleiben (2, 314 ff.). Aber 


70 Sibel 


e3 war anders befchloffen. Rubbert van Goor erlag am Ofter» Sonntage 1647 einem 
higigen Fieber (2, 435—440) und hinterließ feine Witttve und fein einziges 6 Donate 
altes Soͤhnchen, Casp. Sibel van Goor, in den dürftigften Verhältnifſen. Water Sibel 
nahm die Berlaffenen fofort in fein Haus. Doch am 2. März 1648 traf ihn ein 
Schlaganfall, der ihn nöthigte, feine Emeritirung einzuleiten. Am 26. Mai hielt er 
feine legte Öffentliche Predigt. Der Schmerz, fein Amt aufgeben zu müſſen, wurde ges 
fteigert, als feine Zochter erkrankte und unerwartet rafch flarb (am 4. Nop. 1648; 2,475), 
Es gewährte ihm einen hohem Troft, daß er feine Kinder bis zum lebten Athemzuge 
geiftlich hatte pflegen dürfen. Das vermwaifte Enkelchen fegten die Großeltern zum Unis 
verfalerben ein. Sibel felbft fchied erft am 1. Januar 1658 aus dem Leben. Bit 
großer Zuborfommenheit hatten ihm Magiftrat und Presbhterium alle von ihm bezüglid 
feiner Emeritirung ausgefprochenen Wünfche gewährt: Belaffung des vollen Gehalte 
und der Ehrenrechte eines aktiven Paftors, fo zwar, daß er auch Sit und Stinme im 
Presbyterium behielt, ausreichende Penſion fir feine Wittwe und bürgerlichen und vor 
mundfchaftlihen Schuß für feinen Enkel, der nachmals Theologe wurde. 

Sibel's unvollendet gebliebene Biographie (fie fchließt am Ende des zweiten Bandes 
mit dem Jahre 1653; eim dritter Band muß vorhanden getvefen fen) wird mit ats 
deren Theilen feines Literarifchen Nachlafjes in der Stabtbibliothet zu “Deventer auf 
bewahrt. Sie hat auch der fleifigen, fehr beachtenswerthen Schrift von Profeffor H. 
W. Tijdeman: „Caspar Sibelius, in leven predicant te Deventer; volgens zijne 
onuitgegeven eigenlevensbeschrijving” (53 Geiten 8°) — zu Grunde gelegen. 

Seine Predigten und Homilien, wiederholt einzeln verdffentlicht, wurden im N. 
1644 von dem Buchhändler Heinrich Laurentit ımter dem Titel „Caspari Sibelii opers 
theologica” zu einer damals vollftändigen Geſammtausgabe (5 Foliobde) vereinigt 
Das folgende Berzeihnig ift mit Hülfe diefer Ausgabe und ans Sibel's eigenen A 
zeihnungen im feiner Biographie zufammengeftellt. 

I. Bredigten und Homilien über altteflamentlihe Abfchnitte 
Schola divinarum tentationum in sacrificio Abrahami ex Genes. XXH, 1—19. 
concionibus XXXI. explicata: 1624. 1637 und 1644 in den Opp. 1, 1. Ms 
Holländifche überfegt von Paſt. Andreas Sibel (einen Neffen Caspar's), 1632; her 
ausgegeben 1635. — Homiliae tredesim in Monomachiam Jacobi cum Deo, ex 
Genes. XXXII, 22—32. 1630. 1636 und Opp. 1, 137. — Ars et disciplins 
bellica, a Mose Exod. XVII, 8—16. in descriptione pugnae Israelitarum cum 
Amalekitis in Rephidim tradita, concionibus sedecim explicata, 1637, und in de 
Opp. 1, 214. — Commentarius in Psalmum XVI. Davidis, 1635, und Op. 
1, 296. — Vaticinium de Christi Exinanitione et Exaltatione, seu Psalmui 
XXII. Davidis. homiliis XXI. explicatus. Opp. 1, 414. *Psalmus OXXX. 
duabus concionibus explicatus (don Sibel drudfertig hinterlaffen). — Humilitas De- 
vidica, seu Psalmus CXXXI. regii Prophetae Davidis homiliis quinque expli- 
oatus. Opp.1,545.— *Conciones quinque in PsalmumCXXVII. (drudfertig). — 
Encomium fraternae conoordiae, seu Psalmus CXXXIII. Davidis homiliis dur 
decim explicatus 1640 und Opp. 1, 575. — *Conciones in Prov. VI, 16. (de 
Druck genehmigt don der Klaſſe Deventer 1652). — *Precatio Salomonis Pror. 
XXX, 7. 8. 9. (drudfertig). — Fraenum iuventutis, seu perspicua et graphica de 
scriptio incommodorum seneotutis a Salomone Eccles. XII, 1—9. tradita, homi- 
liis XXXIII. explicate, 1639, und Opp. 1, 517. — Historia Hiskiae, regis Judas, 
lethaliter aegrotantis, divinitus sanati et erga Deum grati: seu caput XXXVIL 
Essise prophetse homiliis XXXVL explicatum, 1643, und Opp. 1, 776. — *Col- 
latio Davidis cum Christo, ex Ezech. XXXIV, 23 et 24. (drudfertig). 

U. Bredigten und Homilien Über neuteftamentlihe Wbfdhnitte 
und vermifchte Predigten. Conciones sacrae in caput XVI. Matthaei, 
1633, und Opp. 2, 48. — In historiam transformationis Christi homiliae sedeeim, 


Eimier 2 


ex Matth. XVII, 1—13. 1639, und Opp. 2, 286. — Conciones sacrae in histo- 
rism sanati lunatioi, ex Matth. XVII, 14—21. 1634, und Opp. 2, 399. — De 
didrachmis & Christo Capernaumi solutis homiliae octo, ex Matth. XVII, 22 
—37. 1638, und Opp. 2,518. — Antidotum ambitionis ex Matth. XVIL, 1—4. 
1646. — Conciones in Matth. XVII, 519. de cavendis scandalis 1646. Con- 
eiones in Matth. XVII, 10—14. de vitando contemtu parvorum, 1647. *Con- 
ciones quatuor in Matth. XVIIL, 15. 16. de correptione fraterna privata (die 
Aaſſe genehmigte den Drud im Yahre 16650). — Homilise octo in canticum Simeo- 
nis ex Luc. H,25—32, 1641, und Opp.2,1.— Conciones sacrae in historiam 
passionis, mortis et sepulturae domini ac servatoris nostri Jesu Christi, 1642. 
Opp. tom. 3. und Frankfurt 1706. — *Concio in 1 Thesssal. V, 12. 13. und 
*Concio in 1 These. IV, 3. 4. 5. (drudfertig). — Conciones sacrae in divinam 
Judae spostoli epistolam, 1631, und Opp. 4, 1.— Conciones sacrae in secundum 
et tertium spocalypseos Johannis evangelistae et apostoli caput, 163536, 
und Opp. tom. 5. — Concionum miscellanearum decas prima 1634. 1641. und 
Opp- 4, 301. — Concionum miscellanearum decas secunda. Opp. 4,392. — *Con- 
eiones in singulas dominicas et festa totius anni (genehmigt 1652. ine Auswahl 
aus feinen im 44 Jahren gehaltenen Predigten; wahrſcheinlich ift dieß bie folgende 
Sammlung. Sibel fagt [Bd. 3. der Biogr. im Imder]: „Conciones mess in feste 
anniversaris Joanni Colombio imprimendas tradidi.”). — Conciones sacrae anniver- 
sarise. 3 tomi Amſterd. 1663. 4 tomi Frankf. 1668. — *Conciones sex miscella- 
nese (1650 drudfertig), und *Tetras ooncionum miscellanesrum (genehmigt 1654). — 
Coronis saerarum concionum, herausgegeben durch Wilhelm Alftorf, Sibel's Eollegen. 
Amſterd. 1658. 

IL Katechetiſche Schriften Meditationum catecheticarum, 
pers 1. 1646. pars II. 1647. pars III. 1649. pars IV. 1650. — Prolegamena et 
paralipomena catechetica, 1650.— Epitome catechismi (holländifch), 1643. 
Der Drad feiner lateinifchen Ueberfegung diefer Epitome wurde von der Klafle geneh⸗ 
wigt 1653, 

IV. Sebetbud. Chriſtlike Gebeder ende Dankfeggingen, 1633. 1637. 1638 
und, umgearbeitet nad) der neuen holländifchen Bibelüberfegung, 1645. Sibel’8 Ueber- 
tragung diefer Gebete in's Lateinifche (Preces et gratiarum actiones) wurde im Jahre 
1653 genehmigt. 

V. Ueberfegungen des Neuen Teftaments. Die hbolländifche, nad 
Sibels Marginalien verbefierte, erfchien im I. 1640 (und wohl dfter) bei Raven» 
Rein — Der Drud einer lateiniſchen, mit Anmerkungen verfehenen Ueberfegung 
(Reeognitio interpretationis latinse Novi Testamenti, begonnen 1636) wurde 1652 
und 1653 von der Klaſſe genehmigt. 

VL *Fasciculus CCIV. quaestionum et ad illas Francisci Junii respon- 
sionum (druckfertig). 

VIL * Auch feine eigene Lebensbeſchreibung (Historica narratio de currioulo to- 
tius vitse et peregrinationis meae) legte er der Klafle vor, die zunaͤchſt ben erften 
Theil bilfigte und fpäter den zweiten feinem Collegen Reming zur Durchſicht übergab. 
En dritter iſt (wie bemerkt) vorhanden gewefen. Der zweite fchließt mit dem bezeich⸗ 
ueden Worten: „Laus propria sordet; a laudato viro laudari rara est merces!” 

Bonterwel, 

Simler, Yofias, einer der vorzüglichen züricherifhen Theologen, wurde im 
Jahre 1530 zu Cappel im Kanton Zürich, geboren, wo fein Vater vor der Reformation 
Prior des Kloſters, nad) derfelben Verwalter, fodann Pfarrer war. Den Namen 
Joſias erhielt der Sohn zum feohen Andenken an jene Reformation im alten Bunde, 
die auch das Wort Gottes wieder hervor zog. Schon in ben erſten Monaten feines 
Lehens ſammt feiner Mutter der unruhigen Zeiten wegen nad; Zürich geflüchtet, kehrte 





‘ 


12 | Simler 


er nach der Schlacht bei Cappel zurück, befuchte hier bie lateinifche Schule umd fehte 
feit 1544 in Zürich feine Studien fort, wofelbft ſich im Haufe feines Pathen, des mit 
feinem Vater innig befreundeten Bullinger, feine trefflichen Anlagen auf's Erfreulichſte 
entwidelten. Im Jahre 1546 ging er nach Bafel, wo er mit Ulrich Zwingli, dem 
Sohn des Reformators, bei Profeffor Lykoſthenes (Wolfhart) wohnte, Mathematik, Natur⸗ 
wiſſenſchaften, alte Sprachen, Beredtfamteit eifrig fiudirte, letztere bei Celio Secondo 
Eurioni; 1547 begab er fi} nach Straßburg, wo er Pietro Martire Vermigli, an den 
er fich fpäter (feit 1556) in Zürich auf's Innigfte anfchloß, Bucer, Hedio, Sturm und 
U. hörte. DVielfeitig gebildet, kehrte er 1549 nad) Zürich zurück und vollendete unter 
Biblionder, Pellican u. A. feine theologifchen Studien, während er dfter predigte und Schule 
zu halten hatte; in dieſer erntete er Lob als Stellvertreter des berühmten Konrad Gehuer 
in dee Mathematil. Neben der Pfarrftelle der Filiale Zolliton und hernach (von 1557 
bis 1560) dem Diaconate bei St. Peter befleidete ex ſchon feit 1552 unter großem Bei 
fall die Profeſſur der neuteftamentlichen Eregefe; neben andern Ausländern gehörten die 
englifchen Flüchtlinge, die von 1554 bis 1558 in Zürich weilten, zu feinen emflgften 
Zuhörern; befondere Freundfchaft verband ihm auch fpäter noch mit Jewel (f. den Akt.) 
und Barfhurft, den nachmaligen Bifchdfen von Salisbury und Norwich. Im Jahre 
1553 begleitete er Pierpaolo Vergerio, dem er, des Italienifchen kundig, öfter fich" dienfl- 
fertig erzeigt hatte, mit Aufträgen Bullinger’s auf der Reife zu Herzog Chriftoph vom 
Württemberg. Als Bibliander (f. den Art:) 1560 in den Ruheſtand trat, wurde Simler 
an feine Stelle berufen; er hatte fi) mit Pietro Martire Vermigli, der an feiner dein 
heit und Geiftesfhärfe großes Wohlgefallen fand, in bie theologifchen Vorlefungen ja 
theilen; nach dem Tode des Letzteren erhielt er nach deflen eigenem Wunfche deſſen 
Profeſſur. Mit unglaublichem Fleiße arbeitete er daneben, vom glüdlichften Gedächtuiß 
unterfügt, ala Schriftftellee. Geßner's Bibliotheca universalis gab er, von diefen 
felbft ermuntert, zufammen gezogen, zugleich aber fehr bereichert, 1555 und 1574 heranl, 
fchrieb über Aſtronomie, Geographie, Gefchichte und Statiftil, befonder® De republica 
Helvetiorum ein Wert, das, in drei Sprachen überfegt, 29 Ausgaben erlebte. Er 
verfaßte höchft werthvolle Lebensbilder von Geßner, Peter Martyr und Bullinger, gab 
Schriften von Peter Martyr heraus, überſetzte einige von Bullinger in’s Lateinifde. 
Befonders nahmen ihn aber Fragen der fyftematifchen Theologie in Anſpruch, durch 
welche die veformirten Gemeinden des dftlihen Europa, zumal die in Polen umd Ungarn, 
zum Theil auch diejenigen Graubündtens, hauptfählich von Seiten antiteinitarifder 
Italiener beunruhigt wurden. Gemäß der Stellung Zürich's in jener Zeit fuchte @ 
mit allem Tleiße unter den dort obwaltenden Lehrftreitigleiten die gefunde und tnalke 
Lehre wifjenfchaftlic, zu unterflügen und verderbliche Abirrungen abzuwehren. Als die pol 
nifcheu Reformirten unter ihrem Superintendenten Felir Cruciger in dendurc Francesco 
Stancaro (f. den Art.), der früher fchon in Chiavenna den Camillo Renato (f. den 
Art.) zum Theil unterflügt hatte, erregten Kämpfen ſich am .die Theologen in Ziriqh 
und Genf gewandt und bon den Zürichern zwei Schreiben erhalten hatten, gegen melde 
Stancaro 1561 feine Hauptfchrift richtete, fo war e8 Simier, der 1563 deſſen Lehre, 
daß Chriſtus nur feinee menfhlidhen Natur nah Mittler fey, widerlegte durch die 
Responsio ad maledicum Francisci Stancari Mantuani librum adversus Tigurinse 
ecclesiae ministros de Trinitate et Medistore nostro Jesu Christo. Das Berhälmiß 
der beiden Naturen in Chriſto behandeln auch feine ferneren Schriften und zwar, 
wie fein College Studi andeutet, fo, daß die einen gegen Diejenigen ſich richten, 
welche die Gottheit Chriſti beftreiten, die andern mehr gegen Solche, welche feine Menſch⸗ 
heit abſchwächen oder zweifelhaft machen. Zu der erfteren Klafſe gehört das 1568 er» 
fhienene, durdy die Sendung des polnifchen Prediger Thretius in die Schweiz veram 
laßte, von Beza befonders gelobte Bud; De aeterno Dei filio Domino et Bervatore 
nostro Jesu Christo et de Spiritu sancto, adversus veteres et novos Antitrinitarios, 
id est Arianos, Tritheitas, Samosatenianos et Pneumatomachos libri quatuor, mit 


Ginenie 73 


einer Borrede Bullinger’s (f. Peſtalozzi, Bullinger S. 457 f.), ben Magnaten Polens, 

Ruflonds und Litihauens gewidmet. Nachdem er die perföuliche Prüeriftenz Chriſti dar» 

gelest, beftreitet ex die Lehre vom Sohne Gottes als einer vorweltlichen Creatur, die 

ea old Dechino’s (f. dem Art.) Meinımg bezeichnet, fowie auch die fogenannte trithei⸗ 
ſtiſche Anffaflung, als deren hanptfächlicher Verfechter der im Yahre 1566 in Bern hin- 

gerichtete Balentino Gentile genannt wird (f. den Urt. Antiteinitarier); fchließlich 

wird daB Berhältnig des heil. Geifles zum Vater und zum Sohne behandelt. In dem⸗ 

felben Sinne exfchien 1575 Simler's Assertio orthodoxae doctrinae de duabus naturis 

Christi opposita blasphemiis et sophismstibus Simonis Budnaei, nuper ab ipso in. 
Litbavia erulgatis. (Budnäus wurde als Haupt der Bemijudaizantes im Jahre 1582 

abgefet und twiderrief fpäter). Mehr nad der andern Seite hin gegen „Anabaptiften, 

Schwentjeldianer und Übiguiften“ richtet fi Simler's 1571 erſchienene Schrift Soripta 

veterum latins Je una persona et duabus naturis Christi adversus Nestorium, Eu- 

tychen et Acephalos olim edita, denen er eine narratio veterum controversiarum 

una cum oollatione controversiarum nostri temporis beigab. Da Bündten gerade 

durqh den Einfing italienifcher Flüchtlinge von folchen Streitigleiten bewegt war, 

wibmele ex dies Berk der dortigen Regierung. Ebenſo erſchien von ihm im Sahre 
1574 De vers Christi secundum humanam naturam in his terris praesentie 
orthodoxs expositio nebfl einer Responsio ad duas disputationer Andreae Museuli, 

Profefiors in Frankfurt an bee Ober, fowie 1575 die ohne Simler's Namen 
beransgegebene, aber von ihm verfaßte Ministrorum eoclesise Tigurinae ad confu- 
tationem Jacobi Andrese apologia und als Anhang zu Bullingers Leben eine nochmalige 
Biderlegung defſelben. Simler's Commentarü in Exodum famen nad feinem Tode 
1584 herans. Zu der von Bullinger verfaßten Confessio helvetica von 1566 fchrieb 
Simler die Vorrede. Simler's wiffenfchaftlihe Thätigkeit ift um fo bewunderungs⸗ 
wärdiger, da er feit 1559 mit Bichtleiden behaftet war. Er war von äußerft liebens⸗ 
würdigen Rarafter, ſtets mild und freumblich, heiter and, in Leiden, zur Gefelligleit ge» 
neigt, gaſffrei umd mwohlthätig, zumal gegen Verfolgte faft über feine Kräfte. Zweimal 
verebefiht, zuexft mit Bullinger’s, dann mit Rudolf Gwalter’s Tochter, hinterließ er von 
letzterer bier Rinder. Sanft verfchied er fchon am 2ten Juli 1576. Eine kurze Bio- 
graphie don ihm gab Joh. Wilhelm Stndi, Brofeffor in’ Züri, 1577 heraus. 
Seine Schriften find verzeichnet in Glessneri bibliotheoa, amplificata per Frisium, 
Zärih, 1583. Briefe an ihn ans Ungarn f. in Miscell. Tigur. Bd. 2. ©. 213 ff. 
und in den Zurich letters der Parker society. Zn vgl. iſt Trechſel, Antitrinitarier, 
Vd. 2.6. 377 fi. 

En Nachkomme Joſias Simler's, Johann Jakob Simler, geboren 1716, 
geſterben 1788, Inſpector des Alumnats, hinterließ eine umfaffende Sammlung kirchen⸗ 
geſchichtlcher Altenſtücke, zumal der Reformationszeit, worunter viele Briefe der Refor⸗ 
matoren, meift in Abfchrift; fie bildet eine Zierde der Zuricher Stadtbibliothel. Bon 
ihm erfhien im Druck: Sammlungen alter und neuer Urkunden zur Beleuchtung der 
Sirhengefchtchte, vornemlich des Schweizerlandes. Züri 1757 ff. Carl Peſtalozzi. 

Simonie. — Diefes Verbrechen wurde von der alten Kirche für das ſchwerſte 
der dem Tiedhlichen Rechtsleben ansſchließlich angehörigen Verbrechen (deliota mere eo- 
desiastion) betrachtet, weil fie es als eine direfte BVerfündigung wider den heil. Geifl 
effaßte, nämlich als den Frevel, für Geld oder Geldeswerth den heil. Geiſt fid, oder 
Anderen bienfibar machen zu wollen. Den prägnanteflen Ausdruck findet diefe Auffaſ⸗ 
fang dee Simonie in c. 21. 8. 1. O. 1. qu. 1. in den Worten: Tolerabilior est Ma- 
cedonii et eorum, qui circa ipsum sunt, Spiritus sancti impugnatorum impia hae- 
resis. Ulli enim oreaturam et servum Dei Patris et Filii Spiritum sanctum deli- 
rando fatentur, isti vero eundem Spiritum efflciunt suum servum. Omnis enim 
dominus quod habet, si vult, vendit, sive servum, sive aliquid aliud eorum, quae 
posidet. SBimiliter et qui emit, dominus ejus volens esse quod emerit, per pre- 


14 Simonie 


tium pecunise illud acquirit. Ita et qui hanc iniquam actiondm operantur, 
detrahunt Spiritui sancto, aequaliter pecoantes his, qui blasphemaverunt, dicentes 
Christum in Beelzebub ejicere daemonia, atque, ut verius dicamus, Judae com- 
parantur proditori, qui Judaeis Dei oceisoribus Christum tradidit (ex epist. Tarasii 
ser. a. 787). Daher auch der Name „Simonie“ für jenes Verbrechen, weil biejes 
eben nad der Erzählung in der Mpoftelgefchichte 8, 18 ff. der Frevel des Zauberers 
Simon war, daß er durd) eine für Geld erfaufte Handanflegung bes Wpoftels den hei- 
ligen Geift fi verfchaffen wollte. Vornehmlich mußte hiernad Verkauf oder Erkaufung 
‚ber Drbination für Geld oder Geldeswerth als Simonie erfcheinen , nachdem fich (fchon 
im 4. Jahrhundert) die Anſchanung ausgebildet hatte, daß mittelft der Ordination durch 
die Handanflegung eines Bifchofs, als Apoftelnachfolgers, der heilige Geift empfangen 
werde und folgemweife die Macht, Sünden zu vergeben und Sünden zu behalten, nad 
Job. 20, 22. 23. Schon in ben ſogenannten canones Apostol. (. 28.) heißt «#4 
daher: ei zus Znioxonog dia yonudıov vis dklag Tadıng &yapaıng yes 7 npi- 
oßvregos 7 didnovos‘ xasıpelrw zul adrös, xal 6 zeıporovnoas, xal dxxontlode 
ing xovuvlucç nayıanaoıw, Ws Iluwv 6 uayos Un’ 2uoö, Ilergov. Dafjelbe Straf⸗ 
gefeß enthält, noch weiter ausgeführt, aber ohne ausdrüdliche Bezugnahme auf Simon 
© 2. des Conc. Chalcedonense. Allmählich gelangte der Begriff der Simonie zu der 
Erweiterung, welche Thomas von Aquino durch die Definition ansdrädt, die Simonie 
fey determinata voluntas ad emenda et vendenda spiritualis iisque annexa. Bars 
zugsweiſe galt aber immer als Simonie der Handel mit geiftlichen Aemtern alſo das 
dem römifchen orimen ambitus (Verbrechen der Amtserfchleihung) analoge Kirchen⸗ 
berbrechen, das auch durch bie römifche Koiſergeſetzgebung (C. 31. C. de episcopis et 
clerieis 1, 3. von Leo und Anthemius 469) befonders verpönt war: „ad instar public 
criminis et laesae majestatis.” Die Verdammlichkeit der Simonie in dieſem bejow 
deren Sinme des Wortes wurde dann mit dem abfichtlichften Nachdruck von den Päbſten 
gegenüber ben Kaifern im Imveftiturftreit geltend gemacht umd als Hauptivaffe im dieſen 
Streite gebraucht, was in neuerer Zeit zu der von 9. H. Böhmer (J. E. P. IV. 5, 8. 
88. 10 sgq.) mit der unbefangenflen Gründlichkeit widerlegten Meinung führte, als ſeh 
die Behandlung des Kirchlichen ambitus als Simonie überhaupt eine zu jenem Zwele er» 
fonmene Erfindung geweſen. Vermoͤge der evangelifchen Erkenntniß bes wahren Weed 
der Ordination muß es allerdings als ein Irrthum betrachtet werden, wenn ihre Spen⸗ 
bung und Erwerbung und folgemweife auch die Verleihung und Erlangung von geiftlichen 
Aemtern für Geld dem Frevel Simon's gleichgeftellt wird. Uber eben fo fehr kom 
nur eine hyperproteſtantiſche Auffaffung es verfennen, daß der Schacher mit geiftlide 
Aemtern ein die gemeine Aemtererfchleichung weit überbietender Gräuel und in im 
That der Sünde Simon’s ähnlich fey. Denn wenn auch die Ordination nicht eine 
Mittheilung des heil. Geiſtes iſt, fo ift doch gewiß, daß der Beruf, den fie feierliqh 
überträgt und der wefentlicher Inhalt jedes geiftlichen Amtes iſt, die Verwaltung ber 
gottgeftifteten Mittel der Wirkfamtleit bes heil. Geiftes zum Gegenftande bat. Ye ehr 
twärdiger hiernach biefes Amt bem wahrhaft chriftlichen Sinne erfheinen muß, um fo 
fchändficher iſt die Entweihung deflelben, die es als eine verfäufliche und Fäufliche Waare 
behandelt, eine Entweihung, die. keineswegs darum weniger fchändlih iſt, weil man 
dabei etwa mir die mit dem Amte verbundene zeitliche Berforgung im Auge bat. Et 
iſt allerdings an Simon’ Sünde befonders grauenhaft, daß er in dem Glauben, er 
würde durch bie apoflolifche Handauflegung, welche ex erkaufen wollte, übernatürliche 
Gnadengaben erlangen, feinen Beftechungsverfuh wagte. Allein offenbar begehrte doch 
and) er eigentlich nur die äußerlichen Güter, welche er mittelft jener übernatürlichen 
Gaben zu erwerben hoffte. Und darin wird immer der eigentliche Antrieb zu dem, was 
die Kirche Simonie benannt hat, liegen, daß geiftliche Güter im eigentlihhen Siume oder 
fichlidhe Aemter und Stellungen als Drittel der Erlangung zeitlicher üufßerlicher Bor- 
theile erfcheinen und es auch erfahrungsmäßig feyn Lönnen. Die Simonie iſt immer 


eine im Bereiche des Hirchlichen Lebens, wovon fie am meiflen fern bleiben follte, her⸗ 
‚ bertretende Wenferung der gilapyvola, bie merfwärdigerweife Paulus gerabe in einem 
feiner Baftoralbriefe (1 Tim. 6, 10.) als die „Wurzel alles Uebels« brandmarkt, 
wie er die fie im fich ſchließende zAsove&la wiederholt (Ephef.5,5. Kol. 6, 138.) foger als 
ıldwlolcrola bezeichnet. Eben darum mußte die Simonie, feit die Weihen nicht mehr 
on fid) Berforgung verfchefften, fondern den Beſitz einer Verſorgung vorausſetzten, we⸗ 
niger die Weihen als die mit Pfründen verbundenen Kirchenämter zum Gegenftande haben. 
Der berechtigte Eifer der alten Kirche zeigte ſich wahrhaft unerſchöpflich in Her⸗ 
beiziehung biblifchee Geſchichten und Worte, um in deren Lichte die Simonie bon mög» 
HR vielen Seiten als häflich und verabfchenenswerth erfcheinen zu laffen. Ste wurde 
mit Eſau's Verkauf des Exfigeburtsrechts, mit Bileam's „Belieben am Lohn der Un⸗ 
gerechtigkeit⸗, ja felbft mit dem Verrath, den Judas am Herrn beging, verglichen; es 
wurde darauf die Vertreibung der Taubenfrämer aus dem Tempel durch Chriſtus be 
zogen (meil die Taube das Sinnbild des heil. Geiſtes fen), und endlich auch die Worte 
des Herrn (Metih. 10, 6.): „Umfonfl habt ihr e8 empfangen, umfonft gebt e8 andy“, 
ud (Joh. 10, 1.): Wer nicht zur Thüre (Ehriftus) hineingehet in den Schaafftall, 
fonbern ſteiget anderswo hinein, der iſt ein Dieb und ein Mörder.“ — Bgl. z. 2. 
im Decretum Gratiani c. 11. 16. 20.21.113.117. oau. 1. qu. 1. cau. 8—11. c. 1. 
qu. 3. Die ſehr Häufige Bezeichnung des Verbrechens ber Simonie als simoniaca 
haeresis, ja al® bie Kegerei aller Ketzereien, erklärt fidh darans, dag man badurd) 
in die Fußſtapfen jenes Simon's teitt, welcher der alten Kirche als der eigentliche Hä⸗ 
refiarch, der Urketzer galt (vgl. Bd. XIV. diefes Werkes S. 389 ff). — Unbererfeits 
haben ihre eigene, pfuchologifh und ethifch intereffante Gefchichte die Beſtrebungen, 
Mittel und Wege zur Umgehung des Verbots der Simonie zu erfinden, welder nach⸗ 
zugehen hier zu weit führen tmilrde (vgl. van Espen, Jus. Eocles. Univ. P.IL t. 30. 
e. 3-5. md J. G. Pertsch, diss. de involucris simoniae detectis, 1715). 
Unmittelbar mit dem Uxbegriff der Simonie fleht e8 im Zuſammenhang, daB als 
ſolche andı das Beben und Nehmen von Geld oder Geldeswerth wie flir daS sacra- 
mentam ordinis, fo für die Spendung von Saframenten und Saframentalten über- 
haupt angefehen wurde. Doch fah man bald ein, daß eine freiwillige Babe zur Be⸗ 
zeigung der Dankbarkeit für ſolche Gewährungen umd deren Annahme nicht als Simonie 
gebrandmarkt werden dürfe, ja daß im Gegentheil, fofern fich eine fefte Gewohnheit 
gebildet habe, für dergleichen geiftfiche Handlungen, den Spendern fi) durch mäßige 
Geſchenke dankbar zu erweiſen, es zu mißbilligen fey, wenn Einzelne fi) grundlos der 
Veobahtung diefer Gewohnheit entziehen. Hieraus find die jura stolae eniflanden, 
kraft weicher num ſogar für geiſtliche Amtohandlungen Gebühren gefordert erben 
Hazen (ſ. den Urt. „Stolgebühren“). Indem diefe aber gleichwohl für manche geift- 
liche Sanbiungen nie eingeführt wurden, vielmehr für biefelben das Nehmen und Geben 
bon Gelb oder Geldeswerth unbebingt unterfagt blieb, gab fich darin ein gewiffes, nicht 
ganz Mares Gefühl zu erfennen, daß doch das anzunehmende Motiv der Dankbarkeit 
bei der Geldgabe für eine geiftliche Amtshandluug nicht fchlechthin zureichend fen, ihre 
Zulafſung als wmanftößig umd umbedenflich erfcheinen zu Yaffen, und es haben deshalb 
auch die Stofgebühren in den Fällen, für welche fie kirchlich eingeführt find, bei zarter 
Fühlenden immer, namentlich in der evangelifchen Kirche, mehr oder meniger flarten Be⸗ 
denfen begegnet. Daß „der Arbeiter feines Lohnes werth iſt⸗, umd daß die, welche 
Anderen „das Geiſtliche fäen“, dafür von ihnen billig „deren Leibliches ernten“, aus 
ſolchen und ähmlichen Schriftworten folgt doch, genan genommen, nur, daß die Geiftlichen 
gegen ihre Gemeinden Anfpruch auf Tebensunterhalt überhaupt haben, aber nicht, daß 
ihnen derfelbe — theilweiſe — in bee Form einer Honorirung einzefner geiftlicher 
Hendiungen paffend gereicht werde. Es tft dabei doch ſchwer, den Gedanken einer Be- 
yahlung fern zn haften oder, um denfelben amsfchließlih auf den Mühe» und Zeitauf⸗ 
wand beziehen zu Lönnen, diefen in Gedanken ganz von der damit verbundenen Gewäh⸗ 








76 Simonie 


rung eines geiftlichen Gnadengutes abzuldfen. Aus den eben angebenteten Gründen iR 
es wohl gejchehen, daß in der katholifchen Kirche für die Spendung ber Saframente _ 
der Euchariſtie, der legten Delung — gewöhnlich auch der Buße — Gebühren nicht 
borfommen. Auch die evangelifche Kirche kennt zwar einen „VBeichtgrofchen“, aber feine 
Ubendmahlsgebühr. Warum aber foll eine Gebühr für die Taufe ſchicklicher ſeyn als 
für das heil. Abendmahl? Gewiß ift es nicht Simonie, wenn für geiftliche Amtaver⸗ 
richtungen ans Dankbarkeit etwas gegeben umd das fo Gegebene angenommen wir; 
daß aber eben doch die Herkömmlichkeit und dann fogar Nothiwendigfeit der Entrichtung 
bon Geldgaben für Spendung geiftlicher Güter diefe zu einem Mittel von Gelderwerh 
macht, da8 Geldeinlommen eines Geiftlichen größer oder geringer iſt, je nachdem a 
mehr oder weniger Taufen u. f. iv. zu verrichten hat, mehr oder weniger Familien ide 
zum Beichtvater erwählen, darin liegt eine Beziehung zwifchen den Heilsgütern us) 
dem Manımon, die der Heiligleit jener nicht gemäß iſt. Eutſchiedene und auch kirchen⸗ 
rechtlich anerlannte Simonie ift es, wenn eine geifllihe Amtshandlung grundlos ber 
weigert wird, ehe die Gebühr dafür entrichtet oder gefichert ift; die Simonie hat hie 
die Geſtalt der Erprefiung, o. 42. X. de simonia (5, 3.), während ambererfeits bie 
Annahme und Forderung von Stolgebühren don Seiten des einzelnen Geiftlichen fein 
Borwurf treffen kann, fo lange Firchenorbuungsmäßig die Stolgebühren einen Theil des 
UAmtseinlommensd ausmachen, worauf er zu feinem Lebensunterhalte angewieſen if. 

Eine befondere Art der Simonie, welche nur in der Katholifchen Kirche vorkommen 
lann, in diefer aber andy, früher wenigfiens, fehr Häufig vorkam, ift die Gewährung 
oder Erlangung der Aufnahme in einen geifllihen Orden für Geld oder Geldeswerth 
(Simonia circa ingressam religionis). 

Offenbar ift diefer Art der Simonie, wie I. H. Böhmer im J. E. P. T.W. 
L.V.T.IIL.8$.13aqq. mit guten Gründen ausführt, vergfeichbar und nur noch verwer— 
licher, als fie, die Anlodung zum Religions» oder Eonfeffionswechfel durch die Zuflde 
zung zeitlicher Vortheile. Doc ift zu bemerken, daß fi diefe Art dee Proſelyten⸗ 
macherei beöhalb nicht unter den Rechtsbegriff des Verbrechens der Simonie winde 
ſubſnmiren laffen, weil’ dabet nicht ein geiftliches Gut (wofür die katholiſche Kirche die 
Gemeinſchaft eines geiftlichen Ordens allerdings anfieht) für Geld verkauft und gelauft 
wird. Und infofern iſt es volllommen gerechtfertigt, daß wie ein Kirchengeſetz jenen 
Vrevel ale Simonie verboten und mit Strafe belegt hat. 

Auf weiter Ausdehnung des Simoniebegriffs beruht es, daß dagegen die Kirchen⸗ 
gefege auch den Verkanf und Kauf des Patrongatrechts (als eines spirituali adnezum) 
für fich — d. h. nicht mit einem Gut, an welchem es haftet — als Simonte bei 
bein: c. 16. X. de jure patr. (3, 38.). Allerdings ift e8 ber Natur des Batrond 
recht® zuwider, daß es als ein Vermoͤgensbeſtandtheil betrachtet werde, und kann & 
ſchon deshalb nicht Gegenſtand eines Kaufvertrags ſeyn. Es ift aber auch im prote 
ftantifhen Kirchenrecht anerltannt, daß ein onerofe® Geſchäft über ein Patronatreäit 
ale Simonie anzufehen fey und daher den Berluft deſſelben bewirke. 

Zur Vollendung des Berbrechens der Simonte gehört, daß für ein geiftliches Gut 
zeitliche Bortheile (auch wenn fie nicht zu Geld angeichlagen werden Yönnen, wie ob- 
sequium oder favor: co. 114. cau. 1. qu. 1.) auf Grund einer Uebereinkunft wirflih 
gewährt umb angenonmen worden find. Außerdem kann nur von einem Verſuch der 
Simonie geredet werden, der (wenn nicht bloß die Entdeckung feine Ausführung ver⸗ 
hindert hat) bloß arbiträr zu ahnden if. Auf die bloße Vermuthung bin, daß ein 
zeitlicher Bortheil gewährt worden fen, um dadurch zu einer res spiritualis zu gelangen, 
kann überhaupt nicht mit Strafen eingefchritten werden, obwohl, wenn die Bermuihmg 
begründet ift, dadurch eine mentalis simonia und alfo immerhin eine Sünde begangen 
wurde. Bollendete Simonie zieht für die fänmtlichen Mitfchuldigen nach Tanonifchen 
Net eine excommunicatio latae sententiae nach fi, wovon nur der Pabſt abfol 
viren Tann (c. 6. X. de simonia 5, 3.; c. 2. Extrav. oomm. eod.5, 1). Nur wenn 


Gittengeieh m 


die Simonie geheim geblieben ift, Können davon bie Bifchöfe in foro conscientiae ab» 
folbiren (Conc. Trid. Bess. 24. o. C. de reform.). Bei ber Ordination hat bie Si⸗ 
monie überdieß für den Orbdinirten Suspenfion von der empfangenen Weihe und Ir⸗ 
regularität zur Folge; für den Orbinator ebenfalls Suspenfion von den Pontifilalien 
(o. 37. 45. X. h. t. 0.2. Extr.comm.eod.). Ale Brovifionshandlungen, bei welchen 
Simonie begangen worden if, find ungültig, wer eine Pfründe durch Simonte fi} ver- 
ſchafft hat, wird irregulär, des Amtes entjegt nnd der Erlangung eines anderen un« 
fähig; der Berluft der Pfründe trifft felbft den, der fie durch eine ohne fein Mitwiſſen 
und feine Gutheißnng von Anderen begangene Simonie erlangt hat; nur kann er fie 
duch Dispenfation wiedererlangen, außer wenn er fie durch eine fimonifche Wahl er 
langt hat (ce. 11. 22. 25. 27. 34. X. h. t. o. 12. 59. X. de elect. 1, 6). Den 
Kiofterconvent, der ſich bei einer Anfnahme in das Klofler ber Simonie fchuldig gemadht 
hat, teifit die Suspenfion von allen capitularifchen Aemtern und von allen Juris⸗ 
biftiondeediten (c. 1. Extrav. comm. h. t.). 

Und, im der proteftantifchen Kicche gelten alle Provifionshandlungen, bei welchen 
Simonie begangen worben ift, als nichtig, unb wird daher die darauf hin erfolgte Anıte- 
verieibung caffirt; bei Patronen wird wohl die Simonie, wenigſtens im Wiederholungs- 
falle, mit Entziehung des Präfentationsrechts für ihre Perfon beflraft; andy Ahnduug 
der Simonmie mit Geld⸗ und Gefängnißftrafen kommt vor. Jetzt iſt die Simonie 
durdiveg nur als Amteerfchleihung criminell firafbar und kommt infofern die Cognition 
dorüber une den weltlichen Berichten zu. Außerdem if fie auch hinſichtlich der katho⸗ 
lichen Kirche bloß Gegenſtand der Kicchenzucht und der Disciplinargewalt der Kirchen- 
bebörden (f. D. Meier, Inſtitutionen des gem. deutſch. Kirchenrechts 8.117. Note 11. 
$. 159. Ne. 2. 8. 160. Rx. 2.; vgl. mit $. 158, Anm. Nr. V.). 

Zur Berhüätmg der Simonie wurde ſchon durch Stmodalftatuten bes 13. Jahr⸗ 
hunderte vorgefchrieben , daß Providenden vor der institutio canonica einen @ib 
ſchwoͤren Toller, fich in Beziehung auf bie ihnen zu verleihende Pfründe Teiner Simonie 
ſchuldig gemacht zu haben, und früher and in proteflantifchen Landeskirchen ein folcher 
Simonie- Eid geforbert (f. J. H. Böhmer, J. E. P. T. IV. L’ V. T. ID. 88.27.28). 
Das lanoniſche Recht Tennt diefen Eid nur ale einen, das VBorhandenfeyn hinreichender 

Berdachtagrimde vorausfeßenden KReinigungseid: o. 38. X. de eleotione (1, 6). 
Scheurl. 

Sittengeſetgg. — Soll der Begriff des Sittengeſetzes wiſſenſchaftlich feſtgeſtellt 
werden, fo ifi vor Allem zwifhen Sittengefeg und Rechtsgefeg zu untericheiden. 
Beide, obwohl eng an einander gränzend und untrennbar verbunden, find doch keines. 
wers ibemutifch. Ihre Differenz Liegt vielmehr tief in der Natur des menfchlichen We⸗ 
ſent, deren Ausflüſſe Hecht und Sittlichkeit find; und die theoretifchen wie praftifchen 
Berfudye, das Rechtsgefetz zum Sittengefeß hinanfzufchranuben — und alfo in einen Außer. 
lich legalen Lebenswandel die ganze Sittlichkeit anfgehen zu lafjen, — oder umgelehrt, das 
Gittengefeu zum Rechtageſetz zu degradiren — umd alfo etiva chriftlidhen Olauben und 
chriſtliche Sitte durch Einfegung von Kegergerichten zur juriftifchen Zwangspflicht zu ma⸗ 
hen, — Unmen bem Rechte wie der Sittlichkeit, theoretiſch wie praftifch, nur zum Verderben 
gereichen und haben ihnen ſtets nur Verderben gebracht. Beide erfcheinen allerdings nnmittel- 
ber vereinigt unter dem Begriff des Geſetzes und diefe Einigung hat ohne Zweifel viel zu 
jenen urcheilvollen Berfuchen ihrer völligen Identifikation beigetragen. Allein der Be- 


EM 16 des Geſetgzes ift ſelbſt ein fehr verfchiedener: das Wort bedeutet in den verfchiebenen - 


bieten feiner Anwendung keineswegs ſchlechthin daſſelbe. Im der Natur und Natur⸗ 
ken bezeidmet Geſetz die Formel für die allgemeine, unter gleichen Umftänden fich 
lets gleichbleibende Wirkung und reſp. Wirkungsweife einer oder mehrerer (mit- ober 
gegeneinander wirkender) Naturkräfte. Das befannte Geſetz der Oravitation z. B., wonach 
zwei Körper im geraden Berhältniß ihrer Maſſen (Volumen) und im umgekehrten Berhäftuig 
des Quadrats ihrer Entfernungen fi gegenfeitig anziehen, tft nur ber Ausdrud für bie 


78 Sittengeſetz 


allgemeine, ſich überall gleichbleibende Wirkungsweiſe der ſog. Schwerkraft. Hier alle 
bezeichnet da8 Wort eine Nothwendigkeit, der nicht zuwider gehandelt werden kann, ein 
Sefchehensmüflen, von dem es natürlicher Weife keine Ausnahme gibt, weil es auf der 
Weiensbeflimmtheit und Zuſammenordnung ber in der Natur waltenden, ſchlechthin 
firixten, blinden Kräfte beruht. — 

Einen verwandten, aber doc; zugleich verjchiedenen Siun hat das Wort im Gebiete 
des Staats und des Rechts. Hier umfaßt es alles Dasjenige, was gemäß den order 
ungen des Staats ımd den Prinzipien ded Rechts von den ihm unterworfenen zured. 
nungsfähigen Berfonen gethan und unterlaflen werden muß, — alfo ein beſtimmte 
äußeres Thun und Laffen, da8 für nothwendig erklärt und daher für erzmwing. 
bar erachtet, mit Zwang (Androhung von Strafen und Nachtheilen) belegt wird. And 
bier alfo bat das Geſetz einen nothwendigen Imhalt, und es ift wahres Nedtk 
und Stantegefeg nur wenn und fomweit diefe Nothivendigleit frei von aller Willlüke, 
wirkliche, wahre Nothwendigkeit iſt, d. h. wenn und foweit die Befolgung bes Geſehzes 
zur Eriftenz, Fortdauer und naturgemäßen Entwidelung jedes Menſchen (Bolte) ſchlecht⸗ 
bin erforderlich, Bedingung berfelben ift. Gleichwohl zeigt ſich bei genauerer Betrachtang 
eine bebeutende Differenz zwiichen dem Natur» und dem Rechtsgeſetze. Das Naturgeich 
verwirklicht ſich von ſelbſt, weil es in den es vollziehenden Naturkräften tummanent 
waltet, nur der Ausdrud ihrer eigenen Wefensbeftimmtheit if. Das Rechtsgeſetz da⸗ 
gegen vollzieht nicht fich felbft, fondern wird verwirklicht von den ihm gemäß erfolgenden 
Thun und Laflen der Menſchen; es ift der es vollziehenden Kraft nicht ale Primih 
und Regulativ ihrer Thätigkeit unmittelbar eingeboren, fondern muß von ihe al 
folches Prinzip erft anf und angenommen werden. Denn die es vollziehende Kraft in 
der freie menſchliche Wille: am ihn wendet fi das Mechtögefeg und fucht ihm durt 
Androhung von Zwang, Strafe und Nachtheil zu bewegen, daß ex ihm gemäß fih k 
flinme. Und mithin iſt der Inhalt des Geſetzes in Wahrheit kein Geſchehen⸗müſſen 
fondern nur ein Gefchehen-follen, aber ein Sollen, das dadurch den Staralter de 
Müffens erhält, daß fein Inhalt für nothwendig im obigen Sinne und damit fit 
erzwingbar erflärt (erachtet — anerkannt) wird. — 

Das Sittengefeß fleht mit dem Rechtsgeſetz zwar anf demfelben Boden; aber es 
entfernt fidh noch viel weiter vom Naturgeſetz, und feine Differenz vom Nechtgeieh in 
noch größer als die ziwifchen dem Nedhts- und dem Naturgefege. Das Rechtegeſet 
kann noch als Gefeg im ſtrengen Sinne des Worts gelten, weil das Sollen, anf del 
es geht, durch den ihm zur Seite flehenden Zwang zu einem Müflen menigftens äufe 
lich ‚erhoben wird. Beim Sittengefeg dagegen erfcheint es zweifelhaft, ob es ai 
Widerſpruch noch ala Geſetz bezeichnet werden kann. Denn fein Inhalt ift in keinte 
Sime ein Müffen, fondern nur ein Sollen, und zwar ein Sollen, deffen Inhalt ze⸗ 
bieterifch fordert, daß es nicht zu einem Miüflen erhoben oder vielmehr hexabgeieh 
werden darf. Denn das Gittengefeg tvendet ſich nicht nur an deu freien Bil 
fondern erkennt ihn ausdrüdlich an, während das Rechtsgeſetz ihn nur gelten läßt, weil mi 
einmal der menſchliche Wille von Natur frei if, ihn im Grunde aber negirt, indem eb 
ihn zu zwingen fucht, feine Freiheit aufzugeben und dem Geſetz fich zu unterwerfen. 
Das Sittengefeß dagegen fordert feinerfeits, daß der Wille ohme allen Zwang und 
äußeren Einfluß durch eigene freie Selbftbeftinmung ben Inhalt des Geſetzes zu deM 
feinigen made. Das fittlihe Streben und Handeln fol! ein freimilliges fen; dem 
das Wollen, das nur aus Rüdfiht auf Strafe und Lohn zum Rechten und Guten 
entfchlöffe, wäre fein fittliches. Auch vermag ja Zwang, Strafe und Lohn das fill: 
liche Thun und Laffen gar nicht zu erreichen: denn das fittliche Wirken iſt ein fittliche 
nicht durch die Form und den Gegenftand bes äußeren Handelns, foudern nur 
das Motiv und Ziel des inneren Wollen, und diefes kann von feinem’ Zwange, vor 
feiner äußeren Strafe und Belohnung betroffen werden. Wllein diefes Soll der frei 
Selbſtbeſtimmung, das im Sittengefege liegt, ſcheint daffelbe mit fich felbft in Wider⸗ 


Sittengeſetz 79 


fpruch zu ſetzen. Denn danagch involvirt es ein zweifaches Sollen: ein Sollen, das dem 
Inhalt (Motiv und Ziel) betrifft, und ein Sollen, das die Freiwilligkeit defielben fordert. 
Allein, daS ziveite Sollen wiberfpricht anfheinend zugleich dem erflen und zugleich dem 
Begriff des Geſezes. Dem das erfle Sollen bindet den Willen, indem es ihn 
zu einem beftimmten Inhalt verpflichtet; und nur wenn und weil das Sittengeſetz 
eine ſolche verpflichtende Kraft hat, iſt es Geſetz und kann es als Geſetz gefaßt werden. 
Das zweite Sollen dagegen entbindet den Willen, indem es die Treiheit des Willens 
nicht bloß anerfemmt, fondern in der Freiwilligkeit des Entſchluſſes auch ihre VBeftätigung 
ausdrädlich fordert. Der freie Wille kann aber als folcher nicht an einen beflimmten 
Iuhelt gebumden, nicht zu beflimmten Alten verpflichtet feyn. Den Willen zu einem 
beſtimmen Thum verpflichten und doch zugleich die Freiheit und damit die Nicht - ver 
pflihtung feines Thuns anerfennen, ift ein Widerfpruch, der geldft werden muß, wenn 
dom Sittengeſetz als foldhem ein Begriff aufgeftellt werden und überhaupt noch die Rede 
ſein fol. *) 

Die Theologie freilich vermeint den Widerfpruch geldft zn haben, indem fie bes 
hanptet: Infolge des Sündenfalld umd der allgemeinen Sündhaftigkeit fey der menfch- 
ie Wille nicht mehr frei; denn er vermdge ans eigener Kraft und Entfcheidung nur 
noch das Boſe, nicht aber das Gute zu wollen: wenn und wo er das wahrhaft Gute 
erfirebe, alfo das Sittengefek (den göttlihen Willen) erfülle oder zu erfüllen fuche, da 
fen die nur eine Folge der Gnadenwirkung Gottes, jener gratia praeveniens, welche 
den Glanben und des Glaubens Werke bewirkte, und mithin fey es nicht ber Menſch, 
fondern Gott, der in ihm und durd ihn das Gute vollbringe. — Danach freilich kann 
nicht mehr gefagt werden, daf das Sittengefeg an ben freien Willen des Menfchen fich 
wende und die Freiwilligkeit des fttlichen Thuns fordere. Allein die Löfung des Wider⸗ 
ſprucht iR keine, weil fie den Widerfpruch nur befeitigt, indem -fie das Sittengefeg und 
vie Sütlichteit felber befeitigt**). Denn die That, bei der mein Wollen und Handeln nur 
Vertzeng ta der Hand eines Andern ift, die alfo nicht ich, fondern ein Anderer voll 
zieht, iſt keine ſittliche That, weil überhaupt keine That, fondern fo weit ich dabei 
betheiligt bin, ein bloßes Gefchehen, ein Exeigniß, das mir widerfährt. Wußerdem aber 
muß das Sittengefep mit jenem feine doppelten, anſcheinend widerfprechenden Sollen 
doch nor dem Sündenfall beftanden haben, weil ſonſt der Sündenfall unmöglich gewefen 
wäre. Die angebliche Loſung gilt alfo nur für den gegenwärtigen Zufland der Menfchheit. 
Und auch bier Iöft fie. das Problem nur dadurch, daß fie an die Stelle des alten neue 
Biderfprüche ſetzt. Denn die Freiheit, die nur das Böfe wollen kann, ift offenbar 
teine Freiheit; und ein Wille wiederum ohne alle Freiheit, ohne die Möglichkeit 
Irontaner Selbftenticheidung ift fein Wille Der Wille gehört aber fo mefentlich zur 
Natur des Menfchen, zum Weſen des Geiftes, daß ex ohne ihn nicht mehr Menſch wäre. 
Dean ſchon das Selbſtbewußtſeyn Mbolvirt eine Selbfibeftimmung, weil es auf Selbfl- 
unterfcheibumg beruht und weil jeder Unterfchied eine Beftimmtheit il. So tief daher 
and, der Menſch im Böfen ſich verfloden und fo fchiwierig und unmahrfcheinlich damit 
die Umkehr werden mag, — bie bloße Möglichkeit derfelben kann ihm, fo lange er 
Menſch iſt und bleibt, nicht genommen werden. Den Menfchen als Menſchen gelten 


°) Es iſt derſelbe Widerſpruch, auf ben Kant feine Lehre von ber Autonomie ber prafti- 
ſchen Bernunft bafirt, wenn er behauptete: es müſſe angenommen werben, baß bie praktiſche 
Berunnft (der vernünftige fittliche Wille) das Geſetz ihres Wollens und Thuns ſich felber gebe, 
weit jede Heteromomie, jebes fremde, dem Willen anberswoher anferlegte Geſetz feine Freiheit 
aufhebe. Nur If diefe Annahme den Widerſpruch nicht, fondern verlegt ihn nur an einen an- 
bereu Puult. Denn ein Geſetz, das ber freie Wille frei fi felber gibt, ift offenbar kein Geſetz, 
weil es ſchlechthin Leine verpflichtende Macht beſitzt, fonbern wie gegeben, jo and jeden Augenbiid 
wieber aufgehoben oder abgeändert werben Tann, 

es) Es möge dem Theologen geftattet feyn, hiegegen zu erinnern, baß, wer unter dem Ein- 
fluffe der Gnade handelt, der handelt um beswillen nicht unfrei, fondern er wirb erſt frei durch 
bie Gnade, wie fon Anguſtin gelehrt hat. Herzog. 


80 Sittengeſetz 


zu lafſen und doch feine Menſchheit verneinen, iſt nicht nur ein unläugbarer, ſondern 
auch ein unldsbarer Widerſpruch. Denn damit iſt der Menſch ſelbſt für einen Wiber⸗ 
fprud; erklärt, und diefen Widerfpruch auflöfen, hieße den Menſchen auflöfen. — Aber, 
wird man einmwenden, die Theologie behauptet Teinesiwegs allgemein, daß Die gratia 
praeveniens eine irresistibilis, fondern in Gegentheil, daß fie eine resistibilis ſeh, 
welche der Menſch and; abweifen könne: nur wenn er fie annimmt, wem er ihr fid 
bingibt, wirkt fie im ihm mit dem landen da8 Wollen und Bollbringen des Guten, 
Wir Tennen diefen Unterſchied, dieſen theologifhen Streitpuntt, der leider gang 
Eonfeffionen und Kirchen fcheidet, fehr wohl. Allein die Theologie, welche die Onaden 
wirkung Gottes für eine vefiftible erklärt, darf nicht zugleich behaupten, das Problem, 
um das es fi handelt, gelöft zu haben. Denn menn der Menſch dem in ihm 
wirkenden Willen Gottes (dem Sittengefeße) zu widerſtehen oder zu folgen und fid 
hinzugeben vermag, fo befigt er eben auch noch die Freiheit zum Guten wie zum 
Döfen. Und wenn er fie befigt, durch Gott befigt, fo ſoll er fie offenbar auch 
brauchen: er foll dur eigene freie Selbftbefiimmung Gott und Seinem Villen 
fi) bingeben, weil nur eine ſolche Selbfibeftiimmung — wenn auch nur im: Folge 
einer göttlihen Einwirkung vollzogen — eine wahre und wirlliche Selbfthingabe if 
und feyn kann. Das ift der leute Grumd, warum das Sittengeſetz (der göttliche Wilke) 
die Hreitwilligfeit feiner Annahme und Befolgung fordert. Denn nur ein Selbft kam 
fich felbft hingeben, und ein Selbft ift der Menſch nur in und kraft jener urfbräng- 
lichen unvertilgbaren Spontaneität, in welcher gleichermaßen das Selbſtbewußtſeyn um 
die Freiheit des Willens wurzelt. Die Lehre von der gratia resistibilis läßt mithin 
das Problem ungelöft ſtehen. 

Ja flatt der Röfung deſſelben finden wir in der bisherigen theologifchen mie phil» 
fophifchen Fafjung des Begriffs des Sittengefeges bei genauerer Betrachtung noch eine 
zweiten Widerſpruch. Das Geſetz als ſolches — das ift allgemein anerfannt, weil d 
im Begriff des Geſetzes Liegt, — fordert allgemeine Befolgung, allgemeine 
Annahme und Geltung feines Inhalte. Allein ein folches allgemein geltendes Sitten 
geſetz giebt es thatfächlich nit. Von jeher vielmehr galten und gelten noch fehr ver. 
fchiedene, oft ſich widerfprechende Normen für das fittliche Thun und Laflen der Menfhen; 
von jeher hat man geftritten und flreitet noch, wie das Sittengefeg zu faflen ſey. Die 
Theologie freilich behauptet wiederum, daß in dem geoffenbarten Gebote der Liebe Gottes und 
des Nächften der volle, abfolut gültige Inhalt des Sittengefeges gegeben fey. Ale 
abgefehen davon, daß diefer Inhalt noch keineswegs fchlehthin allgemein angenomme 
und anerkannt ift, fo flxeitet die Theologie felbft noch immer über die wahre Falls 
des Gottesbegriffs wie des Weſens Chriſti und insbefondere über den Begriff de 
Liebe im fittlihen Sinn des Wortes. Denn daß es auch eine falfche Liebe gebe, 
die troß aller Selbftaufopferung und Opferbereittvilligkeit doch nicht wahrhaft fittlicher 
Natur ift, läßt ſich nicht läugnen. Woher alfo die feltfame Erſcheinung, daß, obwohl 
das Sittengefeg im göttlichen Willen ruht, diefer Wille doch nicht fo Mar und befiimmi 
ausgefprochen erfcheint, daß über feinen Inhalt fein Zweifel aufzulommen vermödte? 
Woher der neue Widerfpruch, daß wir dem Sittengefeg allgemeine Geltung beimeflen 
möüffen und dod nicht im Stande find, den Inhalt defielden fo zu beftimmen, daß er 
allgemeine Annahme und Anerkennung fände, daß alle Bedenken gegen feine abfolute 
Gultigkeit ausgefchloffen wären? Woher der Läftige, ſich ſtets erneuernde Widerſpruch, 


daß wir, felbft wenn wir für unfere Ueberzeugung ein fchlechthin gültiges Sittengeſez 


gervonnen haben und zur firengen Befolgung defielben entfchlofien find, doch fo leid 
in einen Conflift der Pflichten gerathen, den wir trotz aller Gewiſſenhaftigkeit nicht mit 
voller Sicherheit zu entfcheiden vermögen? Steht diefer Zuftand nicht im Widerſpruch 
mit der göttlichen Weisheit wie mit dem göttlichen Willen, der ficherlich will, daß de 
Menfhen Wollen und Wirken überall ein volllommen fittliches fey? Steht er nicht 
im Widerfpruch mit der Annahme einer göttlichen Offenbarung, da ee ja nur befteht, 


Gittengefet 81 


weil die Offenbarung nicht klar und beflimmt genug ift und daher nicht alle Zweifel 
über Sim, Bedeutung ımd Ausführung des göttlichen Willens hebt? — 

Die Räthfel Löfen fi in der gegebenen urfprünglichen Natur des Menſchen, der 

einzigen Quelle aller Erklärung der Thatſachen des inneren wie äußeren Lebens, wenn 
ſie, die Grundthatſache, ſelbſt nur Kar und richtig aufgefaßt wird. Der Menſch ift ein 
bedingtes und befchränktes (endliches) Weſen; und es ift eine contradictio in adjecto, 
diefe Beſchränktheit nach der einen Seite anerfennen, nach der andern dagegen (etwa im 
Betxefi feines Wiffens und Willens) längnen zu wollen. Auch fein Wille mithin und 
folglich audy die Freiheit defielben ift bedingt und beſchränkt. Sie ift äußerlich eine 
bloße Wahlfreiheit zwiſchen einer geringen Anzahl möglicher Handlungen, innerlich 
bloße Wahlfreiheit zwiſchen einer ebenfo geringen Anzahl gegebener Impulfe und mög- 
licher Zielpuntte. Wir fagen: gegebener, aus der gegebenen Natur des Menfchen 
und feinem Berhältniß zur Anßenwelt entjpringender Impulſe: denn der menfchliche Wille, 
eben weil er bedingt ift, befigt feine abfolute fchöpferifche, fondern nur eine 
bedingte Spontaneität, d. h. eine Selbflbewegung, die der Anregung bedarf. Unter den 
gegebenen, von felbft entſtehenden Impulſen wählt dee Menſch kraft feiner Willens. 
freibeit, b. b. er macht einen Impuls erſt zum Motive feines Wollens und Handelns, 
indem er fich entfcheidet, ihm wollend und handelnd zu folgen. Diefe Entfcheidung ift 
ein Alt der Selbftbeftimmung, weil fie vom Selbfl des Menfchen ausgeht und bas 
Selbft felber betrifft. An diefen Motiven und in zweiter Tinte an ben durch fie 
bedingten Zielpunkten, Handlungen und Unterlaffungen findet fich der Unterſchied des 
uten und Böfen. Es fragt fih: ſetzt der Menſch felbft diefen Unterſchied, oder ift 
er an fi) vorhanden und kommt ihm durch Unterfcheidung gegebener Impulfe, Willens. 
alte, Handlungen nur zum Bewußtfeyn? 

Um diefe Frage beantworten zu können, find erſt die Bedingungen einer ſolchen 
Unterfeidung, die Möglichkeit und der Sinn des Unterfchieds, um den es ſich haubelt, 
zu ermitteln. Da leuchtet num zunächſt ein: betrifft der Unterfchied von Gut und Böfe 
im Grunde nur die Motive des menſchlichen Wollens und Handelns, fo kann er nicht 
auf gegebene Impulfe, Willensafte und Handlungen fid) beziehen. Denn die ge» 
gebenen Impulfe find Teine Motive, und alle Willensakte und Handlungen find nur 
Folge umd Ausdrud ber wirkenden Motive und der duch fie bedingten Zielpuntte, d. h. 
der Impulſe, welche ber Menſch durch feine Selbftbeftimmung erſt zu Motiven gemacht 
hat. Gegebene Motive gibt es mithin nicht; alle Motive find als Motive vom Menfchen 
ſelbſt erſt gefegt: dieſe Umwandlung eines gegebenen Impulſes zum Motive ſeines 
Wollens und Handelns iſt ſeine eigene, durchaus ſpontane That, die Grund⸗ und Ur⸗ 
bethätigung feiner Freiheit. Betrifft alſo der Unterſchied von Gut und Böfe die. Motive 
des menſchlichen Wollens, fo betrifit ex eben damit vielmehr die Urbethätigung felber, 
den Alt der Wahl unter den gegebenen Impulfen, den Alt der Selbfibeftimmung, 
weil nicht ein gegebenes, fondern ein erfi zu fegendes Object, nicht eine voll» 
zogene, fondern eine erfi zu vollziehende That. Mit andern Worten: er ift 
ein Unterfchied zwifchen denjenigen Impulfen, welche der Menſch zu Motiven zu machen 
hat und denjenigen, welche er dazu nicht zu machen hat. Ehen damit aber iſt er ein 
Untexfchied zwifchen einem Sollen und einem Nicht-follen. 

So gewiß es ſonach unzweifelhafte Thatſache des Bewußtſeyns ift, daß wir unter 
gegebenen Impuljen unferes Wollene und Handelns wählen, fie zu Motiven machen 
und unter diefen Motiven und den durch fie bedingten Zielpunften, Willensalten, Hand» 
lungen gute und böfe unterfcheiden, fo gewiß unterfcheiden wir damit zwiſchen einem 
feynfollenden und einem nicht» fennfollenden Alt (Thum) der Freiheit, der Selbftbe- 
fimmang. Der tt er iſt nur möglich, wenn bie Freiheit dee Wahl möglich iſt, 
und das Bewußtſeyn eines ſolchen Altes iſt nur möglich, wenn die Wahl eine wirk⸗ 
lich freie iſt. Denn Freiheit und Bewußtſeyn der Freiheit fallen hier zuſammen, weil 


am ein Selbſt ein Bewußtſeyn der Freiheit haben kann und nur ein freies Selbſt ein 
Real⸗GEucyklopädie für Theologie und Kirche. Suppl. IL 


82 | Sittengeſetz 


Selbſt iſt. Wie aber iſt jener Alt der Unterſcheidung möglich ? Betrifft er im Grunde 
nur ein Seyn-follen, fo betrifft er eben damit ein Etwas (ein Chun), das nod 
gar nicht ift, fondern exrft zum Seyn kommen fol. Das Linterfcheidungspermögen aber 
vermag ſchlechthin nichts zu fchaffen, fondern muß den Stoff feiner Thätigkeit vorfinden. 
Das Senynfollende muß uns daher, um es von einem Andern (Öleichgültigen oder 
Nicht = feynfollenden) unterfcheiden zu können, irgendwie gegeben, angezeigt ſeyn. Es if 
uns auch gegeben. Wir befigen ein urfprüngliches, wenn auch leifes und zartes Ge» 
fühl des Sollens, das an den zu vollziehenden Akt der Freiheit, indem wir wählen) 
und überlegend uns ihn vorftellen, fich gleichfam anheftet und ihn als den feynfollenden 


bezeichnet. Das ift wiederum Thatſache des Bewußtſeyns, die eben fo unläugbar fd 


wie die Thatfache des Gewiſſens. Denn dag Gewiffen ift eben nur das zum dur 
wußtſeyn gelangte Gefühl des Sollens Die Gefühl würde untrüglich fe, 


wem es uns nicht erſt durch Unterfcheidung von anderen Gefühlen zum Bewußtſehn 
lommen müßte, um bei dem Procefje der Ueberlegung und Entfchließung mitwirken zu 
lönnen. Diefen Alt der Unterfcheidung müſſen wir felbft vollziehen, wir müſſen ihn 
mit größter Sorgfalt und Genauigkeit vollziehen, wenn das Ergebniß für unfer Bewußt⸗ 
feyn ein richtiges feyn fol. Und da kann e8 dann leicht gefchehen, daß wir im iDrange 
der Umftände, des Affekts, der Leidenfchaft, ihn gar nicht oder nadjläfftg und ungenen 
ausüben, — d. h. daß mir falſch wählen und das Nicht» feynfollende thun. Ya es kam 
wohl auch gefchehen, daß in der Gewohnheit eines wüſten, ungeregelten Lebens ober 
eines ftumpfen thierifchen Sichgehenlafiens das Gefühl des Sollens gar nicht zum Be 
wußtfeyn fommt (f. H. Ulrici, Gott und der Menſch zc. Leipzig 1866. ©. 629f.). 
Aber woher dieß Gefühl des Sollens? Iſt die Behauptung feiner Exriflenz nicht 
wiederum die Annahme eines unerklärlichen Räthſels? Wir Lönnen wohl ein Gefitl 
ber Nöthigung haben, wenn äußere Kräfte auf uns einwirken und unfere Seele in iv 
ſtimmter Weife afficiren. Und in der That drängen unfere finnlihen Empfindunge 
fid) uns dergeflalt auf, daß wir fie haben und ihrer bewußt werden müſſen, fie midi 
[08 werden können und diefen Zwang auch deutlich fühlen. Über das Gefühl dei 
Sollens kommt uns nicht don außen, läßt fid) auf keine äußere Einwirkung zurüdführen, 
bezieht fi auf nichts Weuferes, fondern quillt, wie e8 fcheint, aus der Ziefe unferer 


eigenen Seele. Es ift auch fein Gefühl der Nöthigung, es drängt fi uns und unfem 


Bewußtfeyn nicht auf, es übt feinen Zwang, fondern ift gleichfam nur eine Appellation 
an die Freiheit, eine Anweifung für ihr Wirken, melde die Freiheit nicht aufhebt, 
nicht befchräntt, fondern ihrer Entfcheidung nur ein beflimmtes Gepräge aufdrückt, indem 
mit dem ihm entfprechenden Entfchluffe ein Gefühl des Angenehmen, des Wohlgefalleh, 
mit dem entgegengefegten ein Gefühl des Unangenehmen, des Mißfallens fich vernäft. 
Es ift offenbar das Gefühl des Sollens felbfl, das diefen Karakter des Angenehmen 
und refp. des Unangenehmen erhält. Und eben damit gibt e8 uns eine Hindentung af 
feinen nächften Ursprung. Es entjpringt aus der dem menfchlichen Wefen immanenten 
Zweckbeſtimmung feines Lebens und Dafeyns; es ift die Affeltion der Seele durch dieſe 
ihre eigene Beftimmtheit; in ihm gibt fi) uns diefelbe unmittelbar kund: es ift der 
Ausdrud umd die Anzeige des Ziels der menfchlichen Entwidelung, ſoweit wir daſſelbe 


nur durch eigene freie Thätigkeit erreichen Tönnen, alfo die Andeutung deffen, was wit 


zu thım und zu lafjen haben, um es zu erreichen. Daher das Gefühl des Angenehmen, 


in das es übergeht, wo das Wollen und Thun der Zmedbeftimmung des menfchlihen 


Weſens entfpricht: denn angenehm iſt und nur was mit unferem Wefen harmonitt. 
Daher die innere Befriedigung, die Heiterkeit und Frendigkeit, die unmittelbar ans 
unferem fittlichen Streben und Leben hervorquillt. 

Aber, wird der Steptifer, der Materialiſt und Senfnalift fgagen, wie kann bie fog. 
Beitimmung des menjchlihen Wefens und Lebens, der Zmed, der ſelbſt erſt realifist 
werden fol, alfo ein Etwas, das felbft noch fein Dafeyn bat, ein Gefühl in's Da- 
feyn rufen, in einem Gefühle fein nicht vorhandenes Dafeyn kundgeben? Wir Tönnen 


Sittengeſetz 83 


die Frage nicht direkt beantworten. Wir berufen uns zunächſt auf die Thatſache, daß 
es leibliche (finnliche) und geiſtige Triebe gibt, die ans Bedürfnifſen entſpringen, welche 
der Menſch durch eigene Thätigleit zu befriedigen ſuchen muß. Diefe Triebe gehen nicht 
bon einem reellen Seyn, fondern von einem reellen Nicht- feyn aus: denn das Bedürf⸗ 
niß ift der Ausdruck eines Mangels, eines Nichtvorhandenen, das erft befchafft werden 
fol. Mit anderen Worten: die Triebe find Folge und Weußerung einer Zweckbe⸗ 
fimmung; fie find die Mittel, um Dasjenige zu befchaffen, was zur Erhaltung und 
Enttvidelimg des menfchlichen Leibes und Geiftes nothwendig ift; dieſe ift der Zweck, 
für den fie wirken. Alle Selbfithätigkeit der Pflanzen, Thiere, Menfchen beruht auf 
ſolchen immanenten Trieben (Bedürfniffen): jeder Organismus ift mithin Ausdrud einer 
immanenten Zweckbeſtimmung und ihrer Erfüllung. Alſo, wenn aud) der Zweck nicht 
unmittelbar als Zweck, fo hat er doch ald Trieb, als treibende Kraft ein reelles 
Dofeyn. Eben fo der Zweck, den wir um feiner ethifchen Bedeutung willen, die Be- 
fimmung des Menfchen nennen. Denn jene gegebenen Impulfe, zwiſchen denen ber 
Menſch, zum Bewußtſeyn und Selbſtbewußtſeyn gelangt, zu wählen hat und die er 
durqh feine Entſcheidung zu Motiven feines Wollens und Thuns macht, find eben nichts 
anderes, ald urfprängliche leibliche und geiftige Triebe, — Mittel und fomit Aeußerungen 
einer immanenten Zwedbeftimmmg, die nur darum in eine Fülle von einzelnen Mo⸗ 
menten auseinander geht und daher eine Fülle von Mitteln zu ihrer Verwirklichung fordert, 
weil das menſchliche Weſen felbft ein vielfeitiges complicirtes Ganzes if. Alle ur⸗ 
Iprünglichen Triebe (Impulfe) find an fich zweckgemäß, geeignete Mittel für dasjenige 
Moment des Zwecks, für das fie beflimmt find; alle, auch die finnlichen Triebe dienen 
der Erhaltung, der Entwidelung und Förderumg des Ganzen: alle find mithin infofern 
gut, wenn doch als gut zunäcft Alles zu bezeichnen ifl, was der Beſtimmung bes 
Menſchen entfpricht und zu ihrer Erreichung beiträgt. Nur weil fie in verfhiedenem 
Moße dazu beitragen, weil jeder nur in feiner Yorm und Sphäre, als Mittel für 
feinen Theil der Zweckerfüllung zu dienen bat, und weil diefe Theile (Momente) des 
Zwecks in verfhiedenem Berhältniß zum Ganzen und damit in einer beflimmten 
Ordnung (Ünter- und Weberordnung) zu einander ftehen, — fo kann e8 gefchehen, 
daß der Menſch kraft feiner Freiheit die an fid) zivedmäßige Ordnung flört oder auf⸗ 
bebt, indem er im einzelnen alle einem Impulſe (Triebe) folgt, d. 5. zum Mo» 
tive feinens Willens und Handelns macht, den er nicht dazu machen follte, oder 
indem ex einen Trieb (etiva den Trieb der Selbfterhaltung, Selbftbefriedigung, Selbft- 
fiebe) zum prinzipiellen Motive, zum höchften allgemeinen Zielpunkte feines Strebens 
macht, den er nicht dazu machen follte. Erſt mit diefer Entfcheidung für oder wider 
das an fich Gute, die an ſich zwedmäßige Ordnung und damit für oder wider die Be⸗ 
Rimmung feines eigenen Weſens wird das an fich Gute zum moralifch Guten, die 
ihm iwiderfprechende Entfcheidung zum moralifch Bdfen, zur Sünde, Weil zur 
Entfcheidung wider die göttliche Beſtimmung feines Wefene und damit wider dem 
Willen Gottes. 

Wir ſagen: wider den Willen Gottes; denn es iſt klar: weil eben jeder Zweck, 
ſo lange er noch nicht realiſirt iſt, kein reelles Daſeyn hat und ſomit nur ein ideell 
Seyendes, nur Gedanke, Idee ſeyn kam, fo kann auch die Zweckbeſtimmung des menſch⸗ 
lichen Weſens und Lebens an ſich und urfprünglich nur Idee ſeyn, — d. h. fie fällt 
m letter Zuſtanz mit der göttlichen Idee des menfchlichen Weſens in Eins zufanmen: 
fo gewiß es Triebe der Erhaltung, Entwidelung und Ausbildung (Vollendung) des 
menfchlihen Weſens und damit einen Zweck feines Lebens und Wirkens gibt, fo gewiß 
gibt es einen geifligen, denkenden, felbftbetoußten Uxcheber dieſes Zwecks. Es ift die 
ſchöpferiſche Macht Gottes, welche, indem fie den Menſchen ſchuf, in den urfprüng- 
lichen Trieben feines Weſens die Mittel zur Verwirklichung des Zwecks fehte, und im 
und mit dem Vermögen der freiheit (dev bewußten Selbftbeftimmung) die Erfüllung 
defielben dem Menſchen felber auftrug. Es ift demnach auch der göttliche Wille, der 

6* 


84 Sittengeſetz 


im Gefühle des Sollens, eben weil es eine Affeltion der Seele durch ihre Zwedbe⸗ 
ſtimmung ift, fi kundgibt; und der Sag: die Stimme des Gewiſſens ift die Stimme 
Gottes in uns, ift mithin eine volle Wahrheit, wenn unter der Stimme des Getvifiens 
nur das ſich fundgebende Gefühl des Sollens verftanden wird (vgl. a. a.O. S. 691f.). 

Aber wenn dem fo ift, warum äußert fich der Wille Gottes nicht fo Klar, beftimmt 
und nachdrüdlich, daß wir mit voller Sicherheit wifien was er wil? Warum tritt er 
uns nicht als feftes unmandelbares Gefeg entgegen, über deſſen Inhalt, Form und Aus. 
führung fein Zweifel feyn kann? Warum ift vielmehr da8 Gefühl des Sollens, das 
allein zum Guten und an» und hinweift und auch allein den wirklich göttlichen Uxrfprung 
der hiftorifch gegebenen Offenbarungen Seines Willens und bezeugt, fo fein und zart, 
daß es ſich uns nicht nur nicht unmittelbar als Ausdruck des göttlichen MWillend an 
kündigt, fondern fich überhaupt nur ſchwach und leife kundgibt? — Wir antworten: 
weil e8 die Freiheit fo fordert und weil die Freiheit die Bedingung der Sitt 
lichkeit if. Für die Freiheit kann und darf es fein Gebot, kein Geſetz geben, daß ihr 
bon fremd her auferlegt wäre, denn damit hörte fle auf Freiheit zu feyn. Ein 
folhes Gefeß würde nothwendig mit Zwang verbunden feyn, oder den Zwang in fid 
tragen und wäre mithin fein Sittengefeg. Auch ber möthigende Einfluß, den das 
Geſetz üben würde, wen ed don der abfoluten Autorität Gottes getragen, als Ausdrud 
des göttlichen, fchöpferifchen, allmächtigen Willens fich unmittelbar fund gäbe, würde die 
Freiheit der Entſchließung des Gefchdpfs nothiwendig beeinträchtigen. Soll fie voll 
fommen gewahrt bleiben, fo darf fich dem Menſchen das Geſetz (da8 Seynfollende) nut 
in einem &efühle ankündigen, weldes als Gefühl auch nur als aus feinem eigenen 
Weſen quellend fid, ihm darftellen kam; und das wiederum kann e8 nur, wenn um 
weil es zunähft und unmittelbar aus der ihm felbft immanenten Zwedbeflimmung feines 
Daſeyns entfpringt. Mit andern Worten: fol die Freiheit ungehemmt beflehen un) 
wirken, fo muß das GSittengefeg als in unferm Wefen liegend, als Üübereinflimmend mi 
unferer eigenen Beftimmung und den ihr entjprechenden Zielpunften unferes Wollen? 
und Handelns erfcheinen, und kann daher nicht unmittelbar als Geſetz, als Macht de 
Nöthigung, der Strafe oder Drohung, fondern nur als immanente Hinweifung auf dad 
unferem eigenen Wejen und feiner Beftimmung angemefjene Wollen und Thun auftreten. 
Ein folcher Fingerzeig kann aber nur mittelft eines Gefühls und gegeben werden. Aus 
demfelben Grunde muß das Sittengejeg zugleich mit unferem wahren Wohle über: 
einftimmen. Denn ein Geſetz, das Handlungen forderte gegen unſer wahres Wohl, 
gegen die Harmonie unferer Strebungen und Empfindungen, Gefühle und Vorftellunge‘ 
unter einander und mit dem äußeren reellen Dafeyn (der Natur — des Weltganzen)— 
auf welcher alles Wohlgefühl beruht, — würde eben damit unferem Wefen Zwang & 
thun und nur ald Zwang von und empfunden, aus Zwang befolgt werden koönnen. Tie 
Freiheit iſt daher der alleinige wahre Grund der ethifc nothwendigen und darum auf 
vorhandenen, von Gott gejesten Uebereinftimmung zwifchen Tugend und Olüdfelig 
feit. — Aus demfelben Grunde endlich darf der Inhalt des Sittengefeges, der al. 
gemeine Begriff des Guten und der ihm entfprechenden Handlungmeife (dev Tugend), 
unferem Bewußtſeyn nicht unmittelbar in fefter unverbrücdhlicher Form gegeben, fondem 
muß don uns felbft duch eigene freie (unterfcheidende, vergleichende , refleltirende) 
Thätigkeit gefunden, zum Bewußtſehn gebradt werden. Denn der gegebene In 
halt deffelben würde eben damit als ein und von fremd her auferlegtes Gebot 
erfcheinen und mithin von und nicht aus eigenem freien Antriebe (Motive), fondern 
nur unter Berläugnung der Freiheit angenommen werden können. 

Andererfeits Tann ein Weſen, das im Werden, in der Entwidelung und YYorts 
bildung begriffen iſt, nicht von Anfang an im vollen Beſitze der Freiheit fenn. 
Wie alle Kräfte und Fähigkeiten des Menſchen, fo kann auch das Vermögen der freien 
Entihließung, das Vermögen, die fich ihn aufbrängenden Impulfe zum Wollen und 
Handeln gleihfam zu fiftiren, ihnen gegenüber da® eigene Selbft geltend zu machen, 





GSittengeſetz 85 


fie ner Erwaͤgung zu unterwerfen und zwiſchen ihnen eine Wahl zu treffen, — auch 

dieß Vermögen kann nur allmählig durch fortgefegte Uebung zu voller ungehemmter 
Birffamkeit gelangen. Imfoferu kann man fagen, daß die freiheit eben als ungehemmte 
Birffamkeit diefes Vermögens vom Menſchen erfl durch eigene Thätigkeit erworben 
werden mũfſe. (Darauf allein beruht die Möglichkeit einer Erziehung zur Sittlid- 
kit: dem fie kann eben unr in einer Anleitung zur Uebung und zum rechten Gebrauch 
der Freiheit beſtehen). Und in der That wäre eine bloß gefchenkte Freiheit, wiederum 
feine Freiheit. Dem Grund und Weſen derfelben ift die fpontane Selbfithätigkeit. 
HM diefe eine wachſende, fich entwidelnde, fo kam auch die Freiheit mur aus dieſem 
Grunde heraus ſich entwideln, nur durch die eigene Selbfithätigkeit des freien Weſens 
zum Dofeyn, zur Wirklichkeit und Bollendung (zur vollen ungehenmten Wirkfamteit) 
gelangen, d. h. nur die Möglichkeit (da6 Bermögen) der Freiheit kann gegeben ſeyn, 
bie Berwirflächung derfelben muß von der eigenen Selbfithätigleit abhängen. (Daher die 
riheimng, daß Menſchen aus bloßer Faulheit oder Bequemlichkeit ſich ganz der Leitung 
Underer überlaffen, — was ficherlich kein fittlihe® Verhalten if). Denmach aber 
lam eauch Das Geſetz der Freiheit, das Sittengefeß, nicht fir und fertig gegeben ſeyn. 
Inh die Normen des freien Wollens und Handelns und fomit bie ethiſchen Begriffe 
(Bern) müflen vielmehr aus uns mittelfi eigener Selbfithätigleit ſich entwideln. Auch 
fie Höımen ihren Inhalt nur allmählig, in ſtufenweiſem Fortſchritt entfalten, — kurz, 
der Menſch Tann nur in allmähliger Steigerung und Ansbildung zur vollen Klarheit des 
fittlichen Bewußtſeyns, zur deutlichen Erkenntniß des vollen Inhalts der ethifchen Ideen 
gelangen. Anch darum alfo kann der Inhalt derfelben nicht von Anfang an in feinem 
Bewußtfegn bereitliegen, fondern es muß — felbft auf die Gefahr des Irrens und 
Fehlgreifens — ihm überlafien bleiben, durch eigene Thätigkeit ihn ſich zum Bewußt⸗ 
fen zu bringen, ihn als Gefeg feines Wollens und Handelns zu erkennen und im 
\emen Bien als Motiv und Richtſchnur defielben aufzunehmen, — d. h. nicht ale 

benußte Ideen, fondern nur als anfänglich un bewußte Kategorieen (Normen) 

der anterfheidenden, auffaflenden, da® Bewußtſeyn vermittelnden Thätigfeit des Geifles 

fanen die ethifhen Prinzipien ihm urfprünglich immanent feyn (dgl. Bott und die 

Katz S. 554 f. Glauben und Wiſſen ꝛc. S. 160 ff.), — woraus fid} denn von ſelbſt 
die biftorifch gegebene Berfchiedenheit der herrſchenden Sitten und Sittengefeße erflärt. 
Richtsdeftoweniger find eben diefe Prinzipien urfprünglih von Gott geſetzt. 

Sie find eben damit von ihm gefeßt, daß er die menfchliche Seele mit dem Bermögen 
der Freiheit begabte, das Gefühl des Sollens, die Selbftaffeltion durch die Zwedcbe⸗ 
kimmung ihres eigenen Dafeyns und mit diefem Geflihle die ethiſchen Kategorieen ale 
inmanente Normen ihrer unterſcheidenden Thätigkeit in fie pflanzte, — d. h. fie find 
eben damit von Ihm geſetzt, daß er die menſchliche Seele ſchuf. Fragen wir nach 
dem Urſprung der Dinge und unſeres eigenen Daſeyns, fo nöthigen uns die Ergebnifſe 
der Forſchung zur Annahme einer fchöpferifchen, geiftigen, ſelbſtbewußten Urkraft, und 
die ethifche Seite des menfhlihen Weſens if daher zugleich ein Beweis für das Da- 
fen Gottes und Seine ethifche Wefenheit: — der Urfprung unferer Seele aus Gott 
und das Geſetztſeym ihrer ethifchen Elemente durch Gott kommt uns damit zum Haren 
Bewußtſeyn, zur vollen Ueberzeugung. Und meil fonad die fittlihen Normen und 
Principien an ſich und im legten Grunde von Gott herrühren, fo erflärt fi) daraus 
auch, wie es gefchehen könne, daß fie, obwohl fie ſich nicht unmittelbar als göttliche 
Gebote ankündigen, obwohl fie vielmehr unmittelbar ans dem eigenen Wefen des Menjchen 
fich hervorbilden, durch feine eigene Thätigfeit ihm zum Bewußtſeyn kommen und mit 
der fortfchreitenden Entwidelung feines Weſens, feines Wollene und Wiflens, feiner 
Selhfthätigkeit (Freiheit) und Selbſterkenntniß im Laufe der Weltgefchichte erſt ihren 
vollen Inhalt in voller Klarheit entfalten, — doch von Anfang an ala Gefege erfcheinen, 
an deren Erfüllung fein Wohl und Wehe gebunden, zu deren Beobachtung fein 
Wollen und Handeln verpflichtet if. Denn fie find an ſich ſolche Geſetze eben 


86 Sohn 


darum, weil fein Wefen felbft, in welchem fie gegründet find, von Gott gefest if; 
und fie erfcheinen ihm nothwendig als Geſetze, trot ihres mit jeder höherer Ent. 
widelungsftufe fc ändernden Inhalts, weil wiederum fein Wefen felber ihm als em 
gegebenes, geſetztes, beflimmtes, das er weder ändern noch Üüberfpringen Tamm, 
im unmittelbaren Selbftgefühle ſich darftellt. 

Somit aber erklärt und löſt fich auch der anfcheinende Widerfpruh, der und im 
Begriff des Sittengefeges entgegentrat. Denn dadurch, daß auf diefe Weife die Im— 
manenz des Sittengefeges von felber mit der Transfcendenz feines Urſprungs fid 
verfnüpft, hebt ſich auch von felber ber Gegenſatz zwifchen Treiheit und Berpflichtung, 
zwiſchen fpontanee Selbſtbeſtimmung und gegebenem Geſetze, zwiſchen Wollen und 
Soflen. — 

Trotz diefer Mar nachweisbaren, im Gefühl des Sollens und dem ethifchen Kate 
gorieen gegebenen Immanenz des Sittengefeßes, bleibt e8 doch dem religidfen Bewußt 





feyn unbenommen, an eine geoffenbarte Geſetzgebung Oottes, geoffenbart im ge 


wöhnlichen Sinne des Worts, zu glauben; und die Zheologie, wenn fie diefen Glauben 
iwiffenfchaftlich zu rechtfertigen vermag, ift vollkommen befugt, auf ihn ihre Wiflenfchaft 
der Ethik zu gründen. Denn wie das immanente Sittengefeg (da8 Gefühl des Sollnt) 
im Grunde felbft fehon eine immanente, allgemeine, anfänglich unbewußte Offenbarung 
Gottes im menfchlichen Geifte ift, fo Tann, wenn es der Gang ber Weltgeſchichte, 
der Plan der göttlichen Weltregierung fordert, das Sittengeſetz noch durch einen be 
fonderen Alt Gottes dem menfchlichen Geſchlechte kundgethan und damit die immanente 
Offenbarung zu einer gegebenen äußeren umgewandelt werden. Nur ift immer fell 
halten, daß jede äußere Offenbarung Gottes gar nicht als folhe vom Menſchen ge: 
faßt und erkannt werden Tönnte, wenn nicht das Sittengefeg in ihm die Wahrhei 
und Göttlichfeit derfelben bezeugte; fowie daß die Annahme einer ſolchen Dffenbarum 
immer nur ein Glaube, durd einen Alt der Selbfterlennmiß und Selbſſtbe—⸗ 
flimmung des Menſchen bedingt und vermittelt fenn Tann, wenn der geoffenbarte goͤn⸗ 
liche Wille nicht die Freiheit des menfchlichen Willens und damit die ethifche Kraft 
umd den ethifchen Zweck der Offenbarung felbft aufheben fol. So gewiß ber ©lanbe 
als Selbfihingabe an Gott und den göttlichen Willen nur durd einen Alt der Selbf- 
beftimmung zu Stande fommen Tann, fo gewiß ruht auf und in diefem Alte allein feine 
fittliche Kraft und Bedeutung. — 9. Urid. 

Sohn, Georg, einer der angefehenften heffifhen Theologen im 16. Jahrhun⸗ 
dert, war am 31. Dezember 1551 zu Roßbach (einem in der heſſen⸗ darmſtädtiſche 
Provinz Oberheffen gelegenen Marktfleden) geboren. Seine Eltern waren der Im» 
gräfliche Kellner zu Roßbach, Jeremias Sohn, und deffen Ehefrau Margaretha gebom 
Reihelsheim. Auf der lateinifhen Schule zu Friedberg für die akademiſchen Studie 
vorbereitet, bezog Sohn im Jahre 1666 (nicht 1567, wie gewöhnlich angegeben wirt) 
die Univerfität Dlarburg, wo er fchon nach Ablauf eines Jahres, am 8. April 1568, 
bon dem Profeffor der Phyſik Dr. Peter Nigidius zum Baccalaureus promovirt ward. — 
Zur Fortfegung der in Marburg begonnenen Studien fiedelte Sohn im folgenden Jahre 
nad; Wittenberg über, wo bderfelbe zunächſt (wie vorher in Marburg) feine allgemeine 
twiffenfchaftliche Ausbildung im Auge hatte und daher die verfchiedenartigften (philofo- 
pbifchen, theologifchen und juriftifchen) Borlefungen hörte. Dabei war es jedocd Sohn’ 
Abfiht, das Studium der Rechtswiſſenſchaft als feinen eigentlichen Lebensberuf fei- 
zuhalten, dem er einft als alademifcher Lehrer zu dienen gedachte. Im Wittenberg gab 
fih daher Sohn vorzugsweife der Führung des großen Rechtsgelehrten Matthäus Be 
fenbet hin. Späterhin gedachte er auch die Akademien Italiens zu befuchen. Indeſſen 
hatte es ein höherer Wille anders mit ihm befchloffen. 

As Sohn eines Tages — es war am 21. Juli 1570 — eine Vorlefung des Yu 
riften Teuber hörte, trat urplöglich da8 Bild der Theologie fo hoch und hehr vor daß 
Auge feines Geiftes hin, daß er fi) von demfelben überwältigt fühlte. Von einem 


Sohn 87 


ganz menen Geiſte mit unwiderſtehlicher Macht ergriffen, begab ſich Sohn in feine 
Bohmmug zuräd, wo er an dieſem wie an dem beiden folgenden Tagen alles Mögliche 
berfuchte, um fich mit feiner Jurisprudenz wieder zurecht zu finden, aber e8 war um⸗ 
fonf. Auch feine Freunde fahen ein, daß ihm ein anderer Beruf zugewiefen ivar, 
weßhalb Sohn auf deren Rath das Studium der Rechtswiſſenſchaft aufgab und zum 
Begim des Studiums der Theologie nad) Marburg zurückzukehren beſchloß. Indeſſen 
follte dieſes nicht gefchehen, ohne daß er in Wittenberg — der hochgefeierten Metro» 
pole proteftantifch » wiffenfchaftlichen Lebens — ein beftimmtes Ziel erreicht hatte. Daher 
verblieb Sohn noch einige Zeit in Witsenberg, um ſich auf die Promotion zum Ma- 
gifteriun der freien Künſte vorzubereiten, welche ihm im Jahre 1571 zu Theil wurde. 

Als Wittenberger Magifter kam daher Sohn im Jahre 1572 nad) Marburg zurüd. 
Seine Reigung führte ihn namentlih den eregetifchen Vorlefungen des Dr. Yuftus 
Vultejus über das Alte Teſtament zu. Daneben befuchte derſelbe jedoch nicht nur alle 
anderen theologiſchen Eollegien, fondern befchäftigte fih auch mit der Philofophie auf 
das Srünvlihfte. Der Ruf feiner ungewöhnlichen Gelehrſamkeit veranlaßte es, daß 
Som ſchon damals zu dociren begann, indem fich die Profefforen Rhoding und Arcu- 
larins bei ihren theologifchen Vorlefungen und Eraminatorien gern don ihm vertreten 
ließen. And; übernahm er im Jahre 1573 die wiſſenſchaftliche Ausbildung dreier junger 
Edelleute, weiche ihm anvertraut wurden. 

Im Jahre 1574 trat Sohn in den Lehrkorper der Univerfität ein, wo ihm zu- 
nähft die Erklärung der Loci communes Melanchthon's zugedacht var. Indeſſen än- 
derte oder erweiterte fich feine alademifche Berufsthätigleit fon in dem folgenden Yahr- 
gang, indem ihm (nachdem er fich mit Chrifline, dee Tochter des Profefiord Konrad 
Matthäus zu Marburg verheirathet hatte) auf den Vorſchlag der heffifchen General⸗ 
fquode die Profeffur der hebräifchen Sprache mit der Auflage übertragen ward, daß er 
nicht bloß „grammaticalia, fondern auch res ipsas theologicas traftiven follte«. Drei 
Jahre fpäter (am 9. Januar 1578) ertheilte ihm die theologifche Fakultät (durch Niko- 
laus Roding ale Promotor) die Würde eines Doktors der Theologie. Sein Jahres⸗ 
gehalt betrug 200 Gulden und wurde im Jahre 1581 nod um 30 Gulden erhöht. 

Ja den Jahren 1578 und 1582 nahm Sohn faft an allen Generalfynoden der 
heſſtſchen Kirche Theil. Allerdings griff derfelbe in die Verhandlungen bderfelben wenig 
ein, aber fein (namentlich durch den Landgrafen Wilhelm von Niederhefien) veranlaftes 
Erſcheinen auf den Synoden trug doch dazu bei, daß er in die confefftonellen Kämpfe 
jener. Zeit mitten bineingeftellt ward. Im der tbeologifchen Fakultät zu Marburg hatte 
eben damals der aus Württemberg nach Heflen gerufene Aegidius Hunnius die Fahne 
de Lutherthums hoch aufgerichtet. Ihm gegenüber galt Sohn als der entfchiedenfte 
und angefehenfte Vertreter des melanchthonifchen Lehrbegriffs der heffifchen Kirche, über 
welchen derfelbe fogar noch hinausging, indem er 3. B. die Intherifche Lehre von der 
Riekang der Ungläubigen im Abendmahl ausdrüdlich als Irrlehre bzeichnete. Im 
demfelben Maße, als Landgraf Wilhelm von Kaffel dem Iutherifchen Störefried Hunnius 
feinen Zorm erfahren ließ, machte daher Landgraf Ludwig zu Marburg deſſen Gegner 
Sohn als den Urheber der kirchlichen Wirren verantwortlich, weßhalb Ludwig, als 
Landgraf Wilhelm im 3. 1580 auf die Dienftentlaffung des Hunnius drang, denfelben 
zur unter der Bedingung verabſchieden wollte, daß zugleih auh Sohn von der Uni- 
berfität entfernt würde. 

Unter folhen Berhältniffen konnte für Sohn das Leben in Marburg nit allzu 
viel Anziehendes haben, weßhalb derfelbe, als ihn im Jahre 1584 gleichzeitig der Graf . 
Johann von Naffan nad; Herborn und der Pfalzgraf Iohann Caſimir nach Heidelberg 
beriefen, eine der beiden Berufungen anzunehmen fich entfchloß. Allein welchem Rufe 
er zu folgen habe, war ihm anfangs doch zweifelhaft. Vieles zog ihn nach Herborn, 
wo er fi} in der Nähe feiner Heimath wußte und von wo aus er auch feinen bishe- 
rigen Verkehr mit den Wetterauifchen Grafen, deren theologifcher Rathgeber er war, 


88 Spifame 


fortſetzen konnte. Indeſſen winkte ihm doch von Heidelberg her der Ruf zu einer wei 
ausgedehnteren Wirkſamkeit, weßhalb er am 10. Juni 1584 von Marburg dahin abs 


309 *), wo er als Profeſſor der Theologie und Inſpektor des Sapienzcollegiums am 


18. Yuli feine Inangurationsrede hielt und am 23. Juli feine Öffentlichen Borlefungen 
begamm. Bier Yahre fpäter (am 1. Yuli 1588) trat Sohn außerdem noch in den 
Kirchenrath als ordentliches Mitglied befielben ein. 

Leider war ihm jedoch nur eine kurz dauernde Bieffamfeit vergoͤnnt. ben tar 


feine betagte Diutter (die er kurz vorher in ber fernen Heimath beſucht hatte) entfchlafen, | 


als ihn ein ſchweres Siechthum befiel, welches am 23. April 1589 (morgens zwifchen 


2 und 3 Uhr) feinem Leben ein Ende machte. Im fröhlichen Glauben an Chriflum, | 


al8 feinen einigen Heiland und Seligmacher, empfahl Sohn, von ben Gebeten feine 
Freunde unterftügt, fterbend feine Seele der Gnade des Herrn. 


In feinen Schriften, welche vorzugsweiſe dogmatifchen Inhalts find, erweiſt fh 


Sohn als einen entfchiedenen Angehörigen der Schule Melandithons. Im Gegenfage 
zu dem in der Concordienformel fich abfchließenden Lutherthum betrachtete ſich daher 
Sohn als Glied und Xehrer der reformirten Kirche, welche er al& die nene Heimath- 





ftätte des melanchthoniſchen Proteftantismus anfah. Sohn erklärt diefes im feiner m 


Marburg ausgearbeiteten und im Jahre 1588 zu Heidelberg unter dem Titel „Synopsis 
corporis doctrinae Phil. Melanchthonis, thesibus breviter comprehensa” veröffent- 
lichten Schrift ausdrücklich. Im der Ausgabe der bedeutenderen Schriften Sohn’s, die 


im Jahre 1591 zu Herborn in 4 Bänden erfchien und im Yahre 1609 fchon die 


Ste Auflage erlebte, wurde daher diefe Synopsis mit zwei Gedichten illuftrirt, vom denen 
das eine (von Sohn felbft verfaßte) de Phil. Melanchthone iterum extincto klagt, 
da® andere, an Sohnius gerichtete, de Phil. Melanchthone redivivo, das Wiederanf- 
leben Melanchthon's in der reformirten Kirche Deutfchlands "verherrlicht. Indeſſen be 
weifen die Synopsis wie aud) die anderen dogmatifhen Schriften Sohn's (De verbo 
Dei; Methodus theologiae plene conformata; Idea locorum comm. theol.; Theses 
de plerisque theologiae partibus; Exegesis praecipuorum articulorum Augustane 
confessionis u. f. w.), daß ebenfo er wie auch die anderer Melandythonianer je 
Zeit bei dem Lehrbegriff des Meiſters nicht durchaus ftehen blieben, fondern zum fireng 
reformirten Syſtem überlenkten, demgemäß namentlich Melanchthon's Lehre von der Br 
kehrung modificirt ward (vgl. darüber Heppe, Dogmatik des deutfchen Proteftantismus 
im 16. Yahrhumdert, namentlid Bd. I. ©. 176 ff.). — Nachrichten Über Sohn's Lebe 
finden fid) in Joh. Calvini oratio de vita et obitu rever. etc. Georgii Sohnii. (ber 
der Herborner Ausgabe feiner Werte abgedrudt) und in Tilemanni vitae professorum 
theol. Marb. p. 129 sqq. — Ein vollfländiges Verzeichniß feiner Schriften that 
Strider in feiner Grundlage einer heil. Selehrtengefhichte Bd.XV. S.109—112 mit. 

Ueber Sohn’s kirchliche Stellung und Wirkſamkeit in Heſſen ift zu vergleichen die 
„Geſchichte der heſſiſchen Seneralfyunoden vom 9. 1568 bis 1582 (namentlih Bd. 1. 
SS. 119 u. 168; Bd. II. SS. 25. 45—46. 62. 107. 159—170.219— 221) von 

Heppe. 

Spifame, Jakob Paul, Herr von Paſſy, flammte aus einer angefehenen ita- 
lieniſchen Familie, die feit dem 14. Yahrhundert in Frankreich fich aufhielt. Er war 
im Jahre 1502 in Paris geboren ald der jüngfle von fünf Brüdern. Nachdem er die 
Rechtsgelehrſamkeit fludirt hatte, wurde e8 ihm durch den Einfluß feines Vaters Johann, 
der fönigliher Sekretär war, leicht, rafch eine angefehene Stellung zu erringen, zumal 
da Spifame felbft durch Talent und Gefchäftsgetvandtheit, befonders in Finanzſachen, 
fi auszeichnete. Er wurde bald Rath im Parlament, dann president aux enquetes, 
maitre des requctes, zulegt Staatsrat. Da trat er auf einmal in dem geiftlichen 
Stand ein — bei den äußerſt bürftigen Nachrichten über fein Leben konnte ich feinen 


*) Der 10. (nicht der 15.) Juni ift im Album acad. Marb. al8 ber Tag bezeichnet, an wel- 
dem Sohnius Heidelbergam commigravit. 


Spifame 89 


Grad zu dieſer Handlung entdeden; nicht unmöglich wäre es, daß er von Anfang an 
eonseiller - clero im Pariſer Parlament geweſen und fpäter fidh ganz der geiftlichen 
Zhätigfeit gewidmet hat. — Anch hier dfinete ſich ihm eine glänzende Laufbahn; ex 
wurde Kanonitus in Baris, Kanzler der Univerfität u. f. m., ©eneralvilar des Eardinals 
von Lothringen, mit dem er fchon früher in perfönlicher Bekanntſchaft fland und ben er 
auch zum Concil nad, Trient begleitete. Im Oftober 1548 erhielt ex den Bifchoföfig 
von Nevers; 11 Jahre hatte er denfelben inne gehabt, als er auf die Würde zu Gunſten 
ſeines Neffen verzichtete und ſich nach Genf begab, wo ex bald Öffentlich ſich zum pro⸗ 
teſtantiſchen Glanben befannte. Neben der perfönlichen Ueberzeugnug — Hub. Languet 
verfihert, er fe fchon feit zwei Jahren der Ketzerei verbäctig gewefen — mochten ihn 
and andere Beweggrunde zu diefem Schritte getrieben haben; er gab zwar ein Ein. 
Iommen von 40000 Lin. auf, wußte aber doch einen fchönen Theil feine® Vermögens 
za veiten, fo daß er nicht nur anfländig in Genf Leben konnte, fondern fogar durch 
einen Aufwand Uuffehen erregte. Eine Haupttriebfeder zu jenem Entfchluß war gewiß 
em Berhältuii zu Katharine von Gaſsperne. Sie war die Ehefrau eines Tiniglichen 
in Paris, als Spifame fie fennen lernte; er verführte fie und fle gebar 
ih emen Sohn, Andreas, vier Donate vor dem Tode ihres Mannes, im 9. 1539. 
Seitdem lebte fie mit Spifame, und er fcheint eine fogenannte Gewiſſensehe mit ihr 
emgegamgen zu haben, deren Frucht eine Tochter, Unna, war. Um nım biefe zwei 
Kinder zu legitimen Erben zu machen, emtdedte er fein Berhältniß zu Katharine dem 
Genfer Katy umd Eonfiflorium, erflärte, daß er als Geiſtlicher fie nicht habe heirathen 
innen und daß er ans Furcht vor Verfolgung geflohen fey (dies Letztere mar aller 
dings nicht unbegründet, denn das Barifer Parlament erlich eine Borladung an ihn) 
md’am 27. Iımi 1559 wurde feine Ehe feierlich eingefegnet; aber Spifame hatte fih - 
dabei eines Bergehens fchuldig gemacht, das ihm fpäter den Tod bringen follte Er 
hatte eine Urkunde vorgeiviefen, in melcher feine Gewiſſensehe mit Katharine bon, derem 
Bater uud Dheim gebilligt wurde. Siegel und Unterſchrift waren von Spifame ge⸗ 
fülſcht mb der Contrakt vor das Jahr 1539 zurüddatirt, um dem erſten Kinde die 
Schwach; des Ehebruchs zu nehmen. Abgeſehen von der moraliſchen Verwerflichkeit diefer 
Handlang iſt es unbegreiflich, mie Spifame als Rechtskundiger einen folhen Schritt thum 
Tomate, ohne fich von den fchredlichen Folgen deſſelben Rechenfchaft zu geben; begreif- 
lihertseife glaubte er frei von aller Entdedung zu feyn, und in ber erflen Zeit hatte 
er auch Leine zu fürdten. Er führte als Herr von Bofiy ein rechtfchaffenes Leben in 
Genf, feinen Luxus verzieh man ihm megen feiner Wohlthätigfeit, feine vielfeitige Bil- 
dung und Gewandtheit wurde von der Republik und von den franzöflfchen Proteflanten 
mannichfach benupt und dankbar anerlamt, md im Dftober erhielt er das Genfer 
Birgerrecht. Bald fehnte er ſich nad) einer beſimmten, fehlen Thätigfeit und er ver- 
langte, zum proteflantifchen Geiftlichen geweiht zu werden. Calvin und Beza, die ihn 
mi großer Achtung behandelten, fanden nicht® einzuwenden, und fo verließ er im J. 
1560 Genf und wurde Prediger in Iſſoudum. 

Auch andere Gemeinden begehrten feine Dienfte, fo feine frühere Gemeinde im 
Reverse, und Calvin ſchrieb ihm dazu: wenn er früher nur dem Titel nad) Biſchof ge» 
wefen fen, fo folle er diefen Fehler gutmachen und es jett der That nad ſeyn; doch 
ſcheint er dort nicht gepredigt zu haben, dagegen finden wir ihn in Bourges und Paris. 
Ein umgleicd; wichtigerer Gefchäftslreis eröffnete fi ihm, als der erfle Religionskrieg 
ausbrady und die Proteftanten darauf bedacht ſeyn mußten, eine Einmiſchung des dent» 
ſchen Reiches zu verhüten, wenn fie nicht gerade zu ihren Gunſten flattfände;, Condé 
(didte Spifame als feinen Gefandten zu dem Fürftentage in Frankfurt (April bis No- 
vember 1562). Als Mdeliger, als beredter Theolog und gewandter Damm war er diefem 
Auftrage vollſtändig gewachſen. Er legte dem Kaifer Ferdinand ein Glaubensbekenntniß 
2er Evangeliſchen in Frankreich vor, Kar und beſtimmt abgefaßt, befonder® ausführlich 
im ber Lehre von den Sakramenten; ebenfo übergab er vier Briefe von Katharina von 


90 Spifame 


Medici, welche an Condé gerichtet und worin fle ihn in feinem Widerſtande gegen die 
Guiſen unterftügt hatte; es follte damit der Beweis geliefert werden, daß Condé und 
die Seinigen nicht al8 Uufrührer, fondern eigentlich mit Zuflimmung und im Wuftrage 
der Königins Mutter zu den Waffen gegriffen haben. Zum Schluffe bat er den Kaifer, 
die Anwerbungen, welche im Namen des Triumvirats gefchahen, zu unterfagen. Spis 
fame konnte mit dem Erfolge feiner Reife zufrieden ſeyn, ex hatte den Bemühungen 
Andelot's und Beza’s, die nad ihm Deutfchland im gleichen Zwecke befuchten, den Be 
gebahnt. — Bei feiner Zurückkunft nad Frankreich wurde er mitten in den Kriegt⸗ 
ſtrudel Hineingezogen, und als der Herr von Soubife ſich Lyons bemädhtigte, übernahe 
Spifame die Civilverwaltung der Stadt. Im diefer Stellung blieb er bis zum Schlufk 
bes Friedens von Amboife (19. März 1563), dann fehrte ex nach Genf zurück, dab 
ihn während feiner Abweſenheit im den Rath der Sechzig gewählt hatte (9. ehr), 
gerade um biefelbe Zeit, da das Parlament von Paris ihn in comtumaciam berurtheil 
Batte, anf dem Gräveplage gehenkt zu werden (13. Februar). Aber noch fand be 
thätige Geift dieſes Mannes keine Ruhe. Im Ianuar 1564 reifte er auf den Wunh 
der Königin von Navarra, Iohanna d’Albret, nad Pau, um deren Angelegenheiten zu 
ordnen: der Aufenthalt dort wurde für ihn verhängnißvoll; unbefriedigt umd im Hader 
mit der Königin kam er von dort im April 1565 zurüd. Ihm folgte ein Brief von 
Beza voll Boriwürfe, welche Iohanna gegen den größten Lügner nnd ehrgeizigfien Mes 
hen fchleuderte; freilich Hatte er fie auch auf eine Weife beleidigt, welche das game 
Ehrgefühl einer Frau und Königin rege machen mußte, indem er fi} fo Weit vergaß, 
zu fagen, Heinrich (IV.) fey nicht der Sohn Anton's von Bourbon, fondern des Geil 
lichen Merlin, mit welchem SIohanna im Ehebruch gelebt habe. Wie leicht konnte em 
folder Vorwurf gegen ihn gelehrt werden! Bald häuften ſich die Unannehmlickeite 
feiner Rage; man fagte, er fiehe in Unterhandlungen mit Frankreich, um das Bisthu 
Zoul zw erlangen, oder er wolle Oberintendant der finanzen werden. Sein Net 
Jakob, wahrfcheinlich derfelbe, zu deſſen Gunften er auf feinen Biſchofsfitz in Never 
verzichtet hatte und der das ganze Geheimniß feines Yufammenlebens mit Katharin 
Basperne wußte, hatte eine Klage gegen ihn erhoben und feine Kinder als nidt ab 
fähig bezeichnet. Claude Servin, als Anwalt von Iohanna, Magte ihn der Beleidigem 
des Eöniglihen Haufes von Navarra an, umd beide gingen nach der Genfer Sitte am 
11. März 1566 in’ Gefängniß. Auch in Genf waren Gerüchte über feinen Ei- 
bruch und feine Fälfchung laut geworden und man ordnete daher eine Unterfudes 
feiner Papiere an. Dabei entdedte man einen vom 2. Auguft 1539 datirten Er 
contralt. Spifame's Frau mußte auf Befragen geftehen, daß fie diefen Contrek af 
bor zivei Jahren unterfchrieben habe, und ebenfo läugnete er auch nicht, dag a m 
übrigen Unterfchriften und Siegel gefälfcht habe; feinen Ehebruch glaubte er verjüht 
und durch feine nachherige Berheirathung wie durch eim tabellofes Leben feitden ge 
fühnt. Von jenem zweiten Contrakte habe er überdieß feinen Gebrauch gemacht. Di 
war nun richtig, aber nothwendig mußte ſich die Unterfuchung auch auf den erflen er 
ſtreden, umd diefer, von dem Spifame vor Calvin und anderen Leuten wirklich Gebrund 
gemacht hatte, erwies fich ebenfalls als falfh. Die Anklage, als habe er gegen tal 
Haus Navarra gefchrieben, wie er mit Entrüſtung zurüd; den Biſchofsſitz von Toul 
habe er nicht begehrt, um wieder zur katholiſchen Kirche überzutreten, fondern um ol® 
rechter Bifchof die Heerde Chriſti zu meiden. Daß dieß eine Selbfttäufhung war, lieg 
auf der Hand, aber alle jene, Ankllagen verſchwanden vor dem Verbrechen der doppeliat 
Falfhung; der Genfer Rath fprad das Zodesurtheil Über ihn aus. Die Verwend 
der Berner und Coligny’s (welche letztere allerdings zu ſpät eintraf), die Erinnerung 
an die Dienfle, welche er der Republik und der proteftantiihen Sache überhaupt A 
leiftet hatte, halfen nichts. Am 23. März 1566 wurde er auf dem Molard nn 





mit großer Standhaftigleit erduldete er den Tod. 
Bei dem dürftigen Nachrichten über ihn ift es nicht ganz leicht, feinen Karakter 


Spiritualisuns 91 


(dien und eim Urtheil über ihn auszufprechen. Im Ganzen macht er doch einiger 
zufen den Eindrud eines Abentenrers. Diefe Gewandtheit und Bielgefhäftigleit, der 
häufige Wechſel von Stand und Beruf bieten feinen erquidlichen Unblid dar. Das 
Unheil, weiches über ihm ausgeſprochen wurde, war hart, aber doch wohl nicht an® 
feiger Sriecherei gegen Johanna d’Albret zu erflären; umverdient war es anf keinen Fall 
Ueber eine literariſche Thätigfeit von Spifame if nichts belannt; die oben er⸗ 
twähnte Rede findet fidh in den Memoires de Conde, Tom. IV. und in der Histoire 
@elesisstique von Beza Tom. IL. — Nachrichten über ihn f. Haag, France prote- 
stante Tom. 9. — Sen£bier, histoire litteraire I, 384 sq. und Spon, histoire 
de Gendve, Tom. IL (Ausgabe von Gautier). Theodor Schott. 
Spiritnalismus. — Das Wort iſt urſprünglich ein fon. terminus technicus 
de Biilofophie, welchen die Kritifer und Hiſtoriker berfelben ſich gebildet haben, um 
uit Einem kurzen Namen diejenigen Gufleme zu bezeichnen, die da® Senn überhaupt, 
ve Subſtanz allee Dinge in die geiftige (pfychifche) Weſenheit ſetzen und ſomit eine 
don Geiſt und Seele fubflanziell verſchiedene Materie ſchlechthin längnen. Der Spiri⸗ 
tun {ft daher der negative Gegenſatz des fog. Materialiomus, der feinerfeits alles 
Sm in den Begriff der Materie aufgehen läßt, alle pfucifchen Erſcheinungen (Em- 
Hudung, Wahrnehmung, Borftellung, Bewußtſeyn zc.) nur als Funktionen des leiblichen 
Urpanitunns , des Nervenfuflems und Gehirns betrachtet umd demgemäß die Amahme 
emeh giftigen Seyns, einer befonderen pfychiichen Subſtanz ober Kraft ſchlechthin veriwirft. 
Beide find außerſte Extreme, die eben deshalb fi} berühren, ja im Grunde in Eins 
wlcamenfollen. Denn beide nehmen übereinſtimmend nur Eine Subflany, nur Ein 
Sm md Weſen an, und es ift offenbar am fidh ſehr gleichgültig, mit welchem Namen 
man dieſes Eine umb Gleiche bezeichnet. Beide müflen jedod; einräumen und räumen 
in der That ein, daß es nicht nur Erfcheinungen, fondern unlängbare Thatfachen gibt, 
melde auf einem Unterfchied zwiſchen Leib und Seele, Geift und Materie hinweiſen umb 
held ws adth igen, die fog. pfucifchen Erſcheinungen auf andere Kräfte (Urſachen) 
mrädzefähren" cals die im Steine und Lehme und im der ganzen unorganifchen Natur 
ſih dirſſan eroeifen. Der Unterſchied zwiſchen beiden beſteht daher nur darin, daß 
der Spiritunfisnen® die pfuchifchen Kräfte für conſtitutive Grundkräfte alles Seyns 
md Befens erachtet, während der Materialismus fie für bloß accidentelle Neben- 
utenen, entftanden durch zufällige Eombinationen der Stoffe (Atome), erklärt. Das 
Cine iR an ſich fo willfährlich tie das Andere. Der Spiritualismus wird nie eine 
geügende Unttoort finden auf die frage, warum ber Stein, wenn doch die Borftellung 
m) das Borflellungspermögen ein wefentliches conflitutines Element feines Seyns ifl, 
Hlehthin nichts davon zeigt. Und der Materialismus wird mie zu exflären im Stande 
m, wie ans der am fi geifllofen Materie Empfindung, Vorftellung, Beroufitfenn 
bertorgehen umd wie bie pfychiſchen Kräfte, wenn fie doch nur bloße Accidentien, zu 
Allige Nebenfunktionen der geiftlofen Materie find, dennoch eine fo große Rolle fpielen 
amd über die blinden Naturkräfte des Organismus eine ſolche Macht üben können, daß 
Bohl und Wehe, Eutftehen umd SFortbeftehen des Leibes von den bewußten Trieben, 
Sorftellungen und Willensaften der Seele des Menſchen abhängen. — 
Der Hauptvertreter des Spiritualismus iſt der große Leibnitz (vgl. den Artikel 
über iin 8b. VIII, ©. 279 f.). Im Gegenfag zu Spinoza fuchte er darzuthun, daß 
sicht Eine allgemeine Subftanz, fondern vielmehr eine ımermeßliche Vielheit von Einzel» 
ſubſtanzen anzunehmen fey. Ihre Subflanzialität fette er im eine urfprüngliche Iebendige 
Kraft, eine vis activa s. motrix, die nicht in einer bloßen der äußeren Erregung be 
tirftigen Möglichkeit des Handelns beflehe, fondern einen Altus, eine Entelechie in 
Ah trage umd daher zwiſchen der bloßen fähigkeit zu handeln und der Handlung ſelbſt 
el ein pexennirender Conat dergeftalt in der Mitte ſchwebe, daß fie mit Anfhebung 
“s Hinderniſſes fofort in Thätigfeit übergehe. Jede dieſer vielen Einzelſubſtanzen ift 
de eine einfache Einheit. Denn die Bielheit Eönne nicht ohme die Einheit feyn, teil 


U 


92 Spiritnalismus 


nothwendig die vielen Dinge entweder ſelbſt Einheiten oder ans legten untheilbaren Ein. 
heiten zufammengefegt feyen. Gebe es ſonach aber wahre untheilbare Einheiten, fo 
müßten diefelben auch immateriell feyn: denn das Materielle, Ausgedehnte fey dem 
Begriffe der Ausdehnung gemäß nicht bloß als in's Unendliche theilbar, fondern als 
wirklich getheilt zu denfen. Endlich fege die Bielheit diefer einfachen Subftanzen vor: 
aus, daß fie nicht bloß äußerlic; nach Zeit und Raum, fondern an fid) felbft, fubftanziell, 
innerlich, alfo durch ein immanentes Prinzip des Unterfchied8 (das principium indivi- 


duationis) von einander verfchieden feyn. Diefe vielen, einfachen, untheilbaren, mw 


materiellen, in ſich felbft thätigen und innerlich von einander verfchiedenen (tndivide 
ellen) Subftanzen nennt Leibnig, im Gegenſatz zu den materiellen Atomen, Monaden, 
und fucht dann weiter zu zeigen, daß ihnen in und mit jener lebendigen vis activa & 
motrix zugleich eine vis repraesentativa, Borftellungen und Vorftellungsvermögen beizu 
meffen feyen. Erſt damit wird fein Syſtem zum reinen Spiritualismus. Wie ſchwer 
e3 ihm werden muß und wie e8 ihm in der That nur durd) willfürliche und zum Theil 
tiberfprechende Annahmen gelingt, von dieſem Subftanzbegriffe, von folchen ſchlechthin 
ansbehnungslofen, immateriellen, geiftigen Ur» und Grundweſen aus die unläugbarften 
Thatfahen der Erfahrung, insbefondere die thatfächliche Eriftenz einer ausgedehnten, 
hanbgreiflichen, bewußt» und empfindungslofen Koͤrperwelt zu erklären, leuchtet von 
felbft ein und kann in jedem Compendium der Geſchichte der Philofophie des Näheren 
nachgefehen werden. Noch widerfpruchsreicher und unhaltbarer erfcheint der verumglädte 
Berſuch Herbart’s, die Leibnitz'ſche Monadenlehre mit einigen Modificationen wieder 
aufzuwärmen. — 

In neuefter Zeit hat das Wort Spiritualismus nod) eine zweite, fehr abweichen: 
Bedeutung befommen. Bor ungefähr 10—12 Jahren machte das fog. „Tiſchrücken um 
Tiſchklopfen⸗“, d. h. die Annahme und die von ihr ausgehenden Verfuche, Zifche (url 
andere Gegenftände von Holz) durch bloßes Handauflegen, aucd wohl durch bloße Be 
rührung mit den Fingerſpitzen in eine rotirende Bewegung zu feßen und reſp. zum 
Klopfen (durch wiederholte Aufheben und Senken der Füße) zu beivegen, die Kunde 
durch die ganze civilifirte Welt. Die Verfuche gelangen nicht überall, wohl aber in 
vielen Fällen, oft zur großen Ueberrafhung der Zimeifler und Ungläubigen, die fid 
daran betheiligt hatten. Man fette meift voraus, daß eine geheime, dem fog. anima⸗ 
lichen Magnetismus verwandte Kraft, welche, wie legterer, nicht allen fondern mr 
einzelnen Menfchen in genügendem Maße einwohne, die feltfamen Erfcheinungen I 
borrufe. Und in der That haben einzelne vollkommen conftatirte Fälle, die faft ala 
Orten vorgelommen ſeyn dürften, diefe Vorausſetzung fo weit beftätigt, daß es je ſ 
bedauern ift, daß fofort Betrug, Täufhung und Aberglaube fich überall der Sache be⸗ 
mächtigten und dieMänner der Wiffenfchaft, die in folhen Dingen äußerſt ſteptiſchen 
Naturforfcher, von erafter Unterfuchung der Frage zurückſcheuchten. Alsbald nämliqh 
wurde die merfwürdige Erſcheinung vielfach benutt, um den alten Glauben an 96 
fpenfter, Geiſterverlehr und Geifterbefchwdrung wieder aufzuwärmen. Insbeſondere war 


es das nerböfe, ſtets aufgerente, allem Neuen und jedem Humbug zugethane Bolt von 


Nord Amerika, in welchem diefe Deutung der Erfcheinung Anhänger gewann umd dat 
Tifchrüden und Tifchllopfen ziemlich allgemein auf die Wirkfamfeit der Geifter der Ver⸗ 
florbenen zurlicdgeführt ward. Bald ging man einen Schritt weiter: die Geifter be 
antworteten die vorgelegten Fragen nicht mehr bloß durch klopfende Tiſchbeine, — ia} 
doch nur ein unficheres Refultat ergab, — fondern fchrieben ihre Antworten durd un 
fihtbar bewegte Federn oder Bleiftifte und unterzeichneten fie mit ihren Namen. So 


genannte „Medien“ thaten ſich auf, welche die Fähigkeit befigen wollten, den Verkehr 
mit den Geiftern zu vermitteln umd jeden, auch dem widerfpenftigften Geift zum Er- 
feinen und Antworten zu nöthigen. Durch Mittheilungen derfelben kam dann allge 


mach eine vollftändige Geifterlehre zu Stande, die Über das Leben und Wirken ber 
Geiſter nnd über die Art und Weife des Verkehrs mit ihnen genaue Auskunft gab umd 


Spitta 93 


unter dem Namen Spiritualismus durch Wort und Schrift verbreitet wurde. Die An⸗ 
hänger diefeß neuen Glaubens — von dem es uns nicht wundern würde, wenn durch 
iin nähftene auch bie vielen religidfen Selten Amerika's noch durd Eine vermehrt 
wärden, — nannten ſich Spiritualiften und verpflanzten ihre Lehre nad) Europa, imo fie 
in England und mehr noch in Frankreich Anklang fand. — Wir können darin uur eine 
glängende -Beflätigung finden für den alten Sat, daß je ärmer an Ölauben eine Zeit, 
befto zafcher und leichter jeder Wberglaube um fich greift. Wer indeß für den neuen 
„Spiritualismus“ fich intereffirt, dem empfehlen wir die beiden Schriften des Baron 
bon Guldenſtubbe: La realitE des eeprits et le phenomene merveilleux de leur 
€criture directe, demontrees par le Baron L. de Guldenstubb£, Paris, Franck, 1857, 
und: Pensees d’outretombe, publiees par le Baron L. de Guldenstubb& et par 
sa soeur J. de Guldenstubb£, ibid. 1858. — ’ $. Ulrid, 
Spitta, Karl Johann Philipp, der nicht ſowohl durch große Gelehrſamkeit 
und einen ausgebreiteten Wirkungstreis, als vielmehr durch feinen chriſtlich frommen 
Sim, eine gasifienhafte Erfüllung feines Berufes und befonderd durch feine Leiftungen 
anf dem Gebiete der religidfen Dichtung eine andgezeichnete Stelle unter den neueren 
Theologen verdient, wurde den 1. Auguſt 1801 don rechtfchaffenen Eltern zu Hannover 
geboren. Sem Bater, Lebrecht Wilhelm Gottfried Spitta, flanımte aus einer alten 
franzoͤſtſchen Familie, melde unter Ludwig XIV. ihres reformirten Glaubens wegen 
ans Frankreich vertrieben, in Braunſchweig eine neue Heimath gefunden hatte. Früh—⸗ 
zeitig für den Kaufmannsſtand beftimmt, hatte fich derſelbe nach zurüdgelegten Lehrjahren 
nad; Bordenur gewandt, wo er fpäter ein Handelshaus gründete, aber vom Glück tvenig 
begänftigt, durch fehlgefchlagene Unternehmungen fein ganzes Vermögen verlor und da⸗ 
durch fi gezwungen fah, nad) Deutfchland zurüdzufehren. Hier fand er in Hannover 
als Buchhalter und franzdfiicher Spradlehrer ein Unterlommen und verheirathete fich 
uod dem Tode feiner erflen Frau im Jahre 1791 mit einer zum Chriftenthum über- 
getretenen Mdin, Rebecca fer aus Goslar, weldye bei ihrer Taufe in der Kreuzkirche 
zu Hamoder den Namen Henriette Charlotte Fromm erhalten hatte. Sie war ohne 
Bermögen, erſetzte ihm aber den Mangel deffelben reichlich duch Klugheit, Ordnungs⸗ 
liebe and raſtloſe Thätigkeit, womit fie als treue und Liebende Lebensgefährtin deu be 
ſchränlten Haushalt führte. Das flille häusliche Glück, das fie ihm dadurch bereitete, 
wurde durch die Kinder vermehrt, welche fie ihm fchenkte und mit forgfamer Mutter: 
pflege erzog. Indeſſen wurde das gemüthliche umd zufriedene Yamilienleben ſchon im 
Jahre 1805 durch des Vaters Tod zerftört, der unerivartet gleich einem rauhen Sturme 
in daffelbe hereinbrach. Da jest die ſchwere Sorge für die Unterhaltung der Kinder 
der Mutter allein zur Laft fiel, fo hielt fie es für Pflicht, ſich wieder zu verheirathen, 
al ein redlicher Mann feine Hülfe ihr anbot und um ihre Hand anhielt. So gelang 
es ihrer mmfichtigen und vaftlofen Thätigleit, die nöthigen Mittel zur Ausbildung ihrer 
Kinder herbeizufchaffen und den Söhnen auf ihren Wunſch felbft den Beſuch des 
kycenms zu geftatten. Unter diefen galt der fanfte und gutmäthige Philipp für geiftig 
am mwenigften begabt und fah ſich deshalb oft den Nedereien feiner älteren Geſchwiſter 
ausgefegt. ALS er aber, in die unterfte Klaſſe des Lyceums aufgenommen, durch eifrigen 
Fleiß und Aufmerkſamleit raſche Fortſchritte machte, änderte ſich die Auficht über ihn, 
md er wurde auf fein dringendes Bitten für das Studium der Theologie beflimmt. 
Jübefien mußte diefer Plan bald wieder aufgegeben werden, weil eine bartnädige und 
bösartige Skrophelkrankheit, bie feinen zarten Körper ergriff, nicht nur eine Zeit lang 
fein Leben in Gefahr brachte, fordern auch vier Jahre hindurch feinen Schulunterricht 
unterbrach und ihn in feinen Kenntniffen fo weit zurüdbradhte, daß es den Eltern nicht 
möglich fchien, die Mittel zu feinem dadurch verlängerten Unterhafte auf der Schule 
berbeigufchaffen. Er wurde daher nad) wiederhergeftellter Gefundheit einem Uhrmacher 
in der Stadt in die Lehre gegeben. Gleichwohl erwachte, während ex der Exlernung 
diefes Gefchäftes allen Fleiß widmete, auf's Neue im ihm die Luſt zu den Sprachen 


94 Spitta 


und Wiſſenſchaften und er trieb in dem freien Stunden, die ihm verſtattet waren, für 
fih das Lateinifche und Griechiſche, ſowie Geographie und Geſchichte. Auch ließ er «8 
an Berfuchen, feine Gedanken und Gefühle in Gedichten auszufprechen, nicht fehlen. 
Se mehr fi aber duch diefe Beichäftigungen feine Naturanlagen entwidelten, deſto 
lebhafter wurde bei ihm das Berlangen, die mechanifchen Arbeiten der Werkftatt zu 
verlaffen und fich ausfchlieglich den ihm immer mehr zufagenden Wiffenfchaften zu 


widmen. Nachdem er feine Anfichten darüber feinem zwei Jahre älteren Bruder Heintih, 


der damals in Gdttingen Medicin ftudirte*), mitgetheilt hatte, kehrte er anf deſſen Kath 
und mit Bewilligung feiner Mutter im Herbſt 1818 in das elterliche Haus zuräd und 
brachte es durch angeftrengten und ausdauernden Privatfleiß in der Zeit vom einem 
halben Yahre dahin, daß er vom Direktor Ruhkopf nad einer kurzen Prüfung in die 
Prima des Lyceums verfegt werden konnte. Schon zu Oftern 1821 erklärten ihn die 
Lehrer für hinlänglich vorbereitet, die Umiverfität zu beziehen. Er ging nach Göttingen, 
wohin ihn fowohl die Liebe zu feinem Älteren Bruder, als aud) manche äußere Bor 
theile zogen. Hier trieb er neben der Theologie Anfangs mit großem Eifer das Studium 
der orientalifhen Sprachen, aber auch die deutfche Literatur, befonders das Altdeutſche, 
die Dichtlunft und die Muſik nahmen einen bedeutenden Theil feiner Zeit in Anſprud. 
Dagegen vernadjläffigte er die Philofophie, für die fein befchauliches und dichterifches 
Weſen geringe Empfänglichkeit hatte, zu feinem Nachtheile faſt gänzlih. Dazu kam, 
daß damals in Öttingen auf dem Gebiete der theologifhen Wiffenfchaften der kalte, 
einfeitige und haltlofe Rationalismus, der in der PBhilofophie hauptſächlich feinen Stäk 
puntt fand, überwiegend herrſchte. Selbſt die Vorlefungen des gründlich gelehrten, 
frommen und ehrwürdigen älteren Pland, der den Supranaturalismus vertrat, genügte 
ihm nicht. So verlor er allmählich das Lebhafte Intereſſe für die Theologie und je tiefe 
diefelbe von ihm in den Hintergrund geftellt wurde, defto inniger fchloß er fich einigen 
Kunft Liebenden Freunden an, zu denen unter Anderen der eben fo leichtfinnige und m 
fittliche, als geiftweiche Dichter Heinrich Heine, von dem er fich jedoch, feiner ıumertrög- 
lichen Frivolität wegen, jpäter losſagte, gehörte. Imdefjen begann die Spannung, in 
die er anf diefe Weife mit fich felbft und mit feinem theologifchen Studium gerieth, ba 
ihn zu beunruhigen und zu einer forgfältigen Prüfung feines Innern zu veramlaflen 
„Noch liegt”, ſchrieb er um diefe Zeit einem Freunde, „Alles dunkel und unaufgebroden 
in meinem Innern, und nur wie eine verworren leuchtende Sonne blidt mein kindliche 
Glaube durch dies Dunkel. Selbftbeftimmung, Selbfiprüfung iſt das große 
Geheimniß des Glüds“. Gleichwohl bewirkten erſt die Schriften von XThols 
und de Wette, die er bald darauf kennen lernte und fleißig las, eine völlige Ummud⸗ 
lung in ihm und führten ihn zu dem einfachen biblifchen Chriftenthum zurüd. ink 
zeitig übte der zufällig angelnüpfte Verkehr mit einem reife junger ſtrebſamer Katho- 
liken, unter denen ſich der fpäter zum Fürſtbiſchof in Breslau erwählte von Diepen⸗ 
brod duch Bildung, wiſſenſchaftlichen Eifer und religidfe Wärme am meiflen aut 
zeichnete, einen bedeutenden Einfluß auf feine neue theologifhe Richtung. Mit allım 
Ernfte nahm er nunmehr auch fein Berufsftudium wieder auf und wie reblich er es da 
mit meinte, bewies er durch Bearbeitung der theologifchen Preisaufgabe fAr das Jahr 
1823, welche die Bergleihung der hriftlihen und ſtoiſchen Moral zum 


—_ - . 


*) Er war ben 14. April 1799 zu Hannover geboren, befuchte daſelbſt das Lyceum und hut 
Collegium anatomico -cbirurgicum, diente im Jahre 1815 bei dem hannoverſchen Generalhoſpital 
in Belgien, ftudirte zu Göttingen von Michaelis 1817 bie-1819 und erhielt im Jahre 1818 ven 
mebicinifchen Preis; wurbe Affiftenzarzt bei dem alademifchen Hofpitale, promovirte den 6. Kir 
1819 und trat zu Michaelis 1821 als Privatbocent auf. Im Jahre 1823 wurbe er ordentlicher 
Brofeffor der Mebicin zu Roflod und 1334 Ober-Medicinalrath. Außer einer Meihe von medi⸗ 
cinifchen Schriften und Recenfionen ſchrieb er: „Stunden der Feier.- Oöttg. 1819; und pſeu⸗ 
donym (mnter dem Namen Heinrih Sequanns): „Der Graf von Effer«, romantifches Trauer 
jpiel aus bem Spanifchen. @öttg. 1822; und „Gedichte von Heinrih Sequanus. Göttg. 188. 


Spitta 95 


Gegenftonde hatte. Zwar erhielt unter mehreren Arbeiten die feinige nur das zweite 
Kceffit, erwarb ihm aber ein empfehlendes Zeugniß der Univerfität, als er diefelbe 
Oftern 1824 verließ. 

In arger Noth und Entbehrung hatte Spitta feine Yugendjahre in Hannover hin- 
gebraht uud auch in Göttingen waren feine äußeren Verhältniſſe keineswegs glänzend 
geivefen. Bon jest an geftaltete fich fein Leben glüdlicher, doch blieb der Verlauf 
deffelben ſehr einfah. Bon Oftern 1824 bis zum Ende des Jahres 1828 mar er 
Hausiehrer zu Lüne in ber Nähe von Tüneburg. Die Zeit, welche ihm Hier der Unter- 
richt der Kinder übrig ließ, verwandte er auf das Studium der Theologie, die ihm 
(ängft Herzensfache getvorden war, befonders auf die Eregefe des U. und N. Teflaments 
und lad daneben fleißig die Schriften Euther’s, Olshauſen's, Lücke's, Tholuck's, Schubert’s 
und Anderer. Auch dem Umgauge mit gleichgefinnten Predigern und dem vertrauten 
Briefinechfel mit feinem Bruder Heinrich umd feinen Freunden von Urnswaldt*), Adolph 
Peters md U. widmete er manche Stunde. Zwei Heine Reifen, welche ex von Lüne 
amd, die eine nach Bremen und Hamburg, die andere nad, Roſtock und Lübeck, unter- 
nahm, geisährten ihm reichen Genuß und machten ihn nicht nur mit den kirchlichen und 
religids.fittlichen Zufländen in Norddentfchland genauer belfannt, fondern gaben ihm 
auch Gelegenheit, mehrere bedeutende Männer kennen zu lernen, mit denen er in ein 
freundſchaftliches Berhältni trat. Im Jahre 1826 vereinigte er fich mit dem Paſtor 
Deichmam in Lüneburg zur Herausgabe einer chriftlichen Dronatsfchrift zur häuslichen 
Erbamung für alle Stände, um auf das Bolt zu wirken und einen lebendigen religidfen 
Sim in demfelben zu wecken. Doch fand das Unternehmen fehr wenig Theilnahme 
und mußte deshalb ſchon nad) Ablauf des erften Halbjahres wieder aufgegeben werden. 

Sehsundzwanzig Iahre alt, trat Spitta in’s Pfarramt als Gehülfe des alters- 
ſchwachen Paſtors Eleves zu Sudwalde in der Infpektion Suhlingen, aber ſchon im 
Nodenber 1830 ward er zu einer felbfiftändigen Wirkſamkeit als interimiftifcher Garni⸗ 
ſonprediger in Hameln und zugleich als Seelforger von mehr als 250 Sträflingen der 
dortigen Strafanflalt berufen. Es war ein ſchwer zu bearbeitendes, aber auch ein an 
Crfohrungen reiches Feld der Thätigkeit, das fi ihm hier erdffnete und die tieferen 
ide, welche er im die innerſte Menfchennatur zu werfen, vielfache Gelegenheit fand, 
beflärkten ihm im der Ueberzeugung vou der Kraft des einfachen, Eindlichen Glaubens 
m das Wort Gottes umd Ichrten ihn die Mittel Tennen, auf die Menfchen mit Erfolg 
zu wirken. Wie fich auf diefe Weiſe der Kreis feiner flillen Thätigkeit erweiterte, fo 
aahm er auch jugendlich lebhaften Antheil an der Stiftung eines Miffionsvereins. 

Hierauf wurde Spitta im Herbft 1837 vom Confiftorium auf die Pfarre zu 
Behhott, im der Imfpeltion zu Hoya verſetzt, welche er, nachdem ex fid kurz borber 
mit More Hogen, der 19jährigen Tochter des vorflorbenen Oberförflers Hotzen zu 
Erohnde bei Hameln verheiratet hatte, zu Anfange des Octobers bezog. Die näcften 
zehn Jahre, welche er in flillen friedlichen Verhältuiffen auf diefer Ländlichen Pfarrfielle 
brachte, durfte er mit Recht zu den glücklichſten feines Lebens zählen. Freilich hatte 
2 Anfangs hier, wie in Hameln, mit manchen Schwierigleiten und Unannehmlichkeiten 
u fümpfen; ſobald diefelben aber durch fein freundliches und liebevolles, ſtets ſich gleich- 
leibendes Weſen, auch den Widerſtrebenden gegenüber, überwunden waren, lebte er mit 
km Gemeinde im beften Einvernehmen und Tonnte fid der reichen Früchte feines 
Eatens erfrenen. Und während durch ben Eindrud feiner einfachen, die Herzen er⸗ 
zeifenden Predigten die Zahl feiner Zuhörer in der Kirche ſtets wuchs und der Segen 
emer Seelforge in den Familien mit dem zunehmenden Bertrauen zu ihm immer fidht- 
rer wurde, verbreitete fich fein Name über die Gränzen des hanndverſchen Landes 


*) Er war der Sohn bes ehemaligen hannoverſchen Minifters von Aruswalbt und farb 
st einigen Jahren als Geheimer Legationsrath. Der Profeffor Umbreit hat ihn nach feinem 
Tedt in den „Studien und Krititen ein Ihönes Dentmal gefett, das die Erinnerung an ben 
tommen und ebfen Hingefchiebenen auf lange Zeit erhalten wirb. 





96 Spitta 


hinaus, fo daß an ihn im Jahre 1844 und 1846 wiederholt dringende Rufe nad 
Dremen, Barmen und Elberfeld ergingen, welche er indeffen aus confeffionellen 
Bedenklichkeiten ablehnte. Dafür erhielt ex auf den Vorſchlag des Conſiſtoriums die 
Superintendentur und Pfarre zu Wittingen im Lüneburgifchen, von wo er dann im 
Herbfte 1853 auf die einträglichere, aber auch befchwerlichere Stelle zu Peine verfegt 
inurde. Wie fehr bei den confeffionellen Kämpfen, welche auch die Gemüther in einigen 
Gegenden des Königreich Hannover aufregten, feine Wirkſamkeit als Prediger und Be: 
förderer des evangelifch -Lutherifchen Glaubens anerkannt wurde, exfuhr er zu feine 
Freude, als im September 1855 die theologifche Facultät in Gdttingen zur feier dei 
Andenkens an den Augsburger Religionsfrieben ihm neben einigen ausgezeichneten Thes- 
logen die Doftorivärde ertheilte und dabei unter Anderen an ihn fchrieb: „Inden 
bie theologifche Yacultät vor Allen Sie, hochwürdiger Herr Superintendent, zu diefen 
Männern rechnet und Ihnen hierdurch das Diplom der theologifchen Doctorwürde zu 
überfenden die Ehre hat, bittet Sie, hierin das lautere und auch richtige Zeichen Längf 
gehegter Verehrung und Liebe zu erbliden. In der Zeit fchmerzlicher Spannung, in 
die ung die ſchwere Pflicht der Selbftbewahrung unferes amtlichen Berufes verſetzt hat, 
ift es und ein um fo größered Bedürfniß, einftimmig auszufprechen, wie die glauben% 
treue, innigfromme, unter allen Anfechtungen flandhafte Hixrtenpflege und Hixtenforge, 
in deren Ausübung Ew. Hochwürden ein vorleuchtendes Beifpiel paftoralen Lebens 
und Wirkens für die ganze Landeskirche find, an unferer Yacultät eine dankbare und 
freudige Zeugin findet. Unferen Wünfchen und Gedanken Liegt nichts ſehnlicher uud 
brünftiger am Herzen, als durch gemeinfames gegenfeitig fich anerfennendes, an einander 
lernendes Wirken da8 Band des Friedens neu anzuziehen und feft zu erhalten.“ 

Wie erfreulich indeſſen die Anerkennung, die Spitta jegt nahe und fern fand, für 
ihn auch feyn mußte, fo fühlte er fi, dennoch in feinen neuen Berhältnifien zu Peine 
nicht glücklich, da einerfeits der Erfolg feiner Wirkſamkeit feinen Erwartungen nic 
entfprach, amdererfeitö bei dem Anwachs feiner Yamilie und bei dem dortigen thenem 
Leben Nahrungsforgen fein fonft heiteres Gemüth beunruhigten. Er hielt e8 daher fir 
feine Pflicht, fi um die erledigte Superintendentur in Burgdorf zu bewerben, die 
nicht nur mit einer jährlichen Einnahme von mehr als 1500 Xhalern verbunden wat, 
fondern auch in amtlicher Beziehung das erwarten ließ, was er wünſchte. Im Anfange 
des Yuli 1859 fiedelte er mit feiner Familie dahin über, erkrankte aber ſchon nad 
wenigen Wochen an einem gaftrifchen Fieber, von dem er kaum wieder genefen war, 
als er am 28. September deſſelben Jahres plöglich und Allen unerwartet an eins 
heftigen Herzkrampfe flarb. 

Spitta verdiente in vollem Maße die Theilnahme und Trauer, die ſich nach fm 
allzu frühen Tode allgemein kund gaben. Sein hingebendes Gemüth Hatte ihm die 


Liebe Aller, die mit ihm im gefellige Berührung famen, erworben. Der nächſte iv 
druck, den er machte, wenn man ihm näher trat, war der eines frommen und durchauf 


evangelifchen Geiftlichen, der auf dem Grunde evangelifch- Iutherifcher Heilslehre fe 
ſtand und dem es wahrhaft Ernſt war um die Sache des dhriftlihen Glaubens und 
Handelns in allen Tagen des Lebens. Daher firebte er, „feft im Glauben, reich a 
Lieber, Jedem, der bei ihm Hülfe fuchte, mit Rath und That nad, Kräften zu helfen, 
ohne darnach zu fragen, ob er zu feiner Gemeinde gehörte, oder nicht. Am meiflen 
fühlte fidh feine einfache Natur von der Einfachheit und Geradheit, von dem offenem 
und patriarchaliſchen Sinne, wie er befonderd unter dem Landvolke der Lumeburget 


Haide uod jest herrfcht, ebenfo angezogen, wie er einen nachhaltigen Widerhall im deſſen 


Herzen fand. So mahr und aufrichtig er Über fich felbft urteilte, fo fchonend und 
anerfenmend waren feine Urtheile über Andere. Er war ein liebevoller Water feine 
Familie und nicht minder ein treuer Freund Aller, die fich ihm immiger im Leben ange 
fchloffen hatten. Sein Pfarrhaus war zu allen Zeiten der Sig zuborlommender und 
edler Gaftlichleit und dor Allem ein wohltäuender Sammelpuntt gleihhgefimuter freunde 


Spitte 97 


md Umtögemofien. Gier herrſchte eine heitere und gemäüthliche Geſelligkeit, die über. 
dies durch die Senüffe der Mufit — Spitta felbft fpielte die Harfe meifterhaft — 
gehoben und veredelt wurde. Was ihn aber mehr als dies Alles auszeichnet und hier 
Beachtung zunächſt in Aufprad nimmt, das find feine geiftlihen Lieder, 
gleich nach ihrem erſten Exfcheinen überall eine fo beifällige Aufnahme fanden, 
daß fie wicht nur in's Englifche überfegt wurden, fondern den Ruhm feines Namens 
auch weit über Deutichland hinaus in die fernflen "Ränder verbreiteten. 
ihr als Knabe und Yüngling Hatte ex ſich, wie bereits oben angedentet if, in 
allerlei Dichtungsarten verfuchht. Ale indeß durch die ernſte und anhaltende Befchäftigung 
mi der heil. Schrift tiefere VBedlirfniffe in feinem Gemüthe erwachten und er ganz von 
der befeligenden Kraft des Evangeliums ergriffen wurde, wandte er ſich ausſchließlich 
der geiſtlichen PBoefle zu, die ihm nun neben feiner Bernfsthätigleit die Hauptaufgabe 
feines Lebens ward. „Da die Dichtluuft“, fchrieb er im Mai 1826 einem freunde, 
uf eine fo bedeutende Rolle in meinem Leben fpielte, fo fchreibe ich Einiges darüber. 
Ya der Weiſe, wie ich früher fang, finge ich jetzt nicht mehr. Dem Herrn weihe ich 
mein deben zınb weine Liebe, fo and; meinen Geſang. Seine Liebe iſt das eine große 
aller meiner Lieder, fie würdig zu preifen und zu erheben, ift die Sehnſucht 
det Kriflichen Saͤngers. Über erſt im Yahre 1833 entſchloß er fich auf wiederholtes 
Zereden feier Freunde, eine Sammlung ſeiner geiftlichen Lieder unter dem Zitel 
„Bialter wud Harfe“ erfcheinen zu laffen (24te Auflage 1861). Wufgemuntert durch 
ben Beifall, der demfelben ſchnell zu Theil wurde, veranflaltete ex 1843 eine zweite 
Sommiung (13te Auflage 1861), welder nad; feinem Tode im Jahre 1861 noch eine 
dritte, vom feinem Freunde, dem verbienfivollen Profefior Adolf Peters, aus feinem 
Nechlafſe im wohlgetroffener Anorbuung beforgte, mit des Dichters Bildniß verjehene 
Semmizug maochfolgte (2te Auflage 1862). 
Dr ih uns Spitta in feinem Leben ale Spiegel eines reich von Gott begabten 
Gemüites derfellt, welches in feltener Harmonie auf dem runde eines tiefen nnd 
uipringlichen Slaubenslebens ruhte, fo find auch feine geiftlichen Lieder der Ausdrud 
eines bou deifilichen Geiſte durchdrungenen Dichtergemüthes und legen in melodiſcher 
Form eine gefunde kindliche Frömmigkeit an den Tag. Zum größten Theil ungemein 
inzig und einfach, ſowie rein und gewandt im Ausdrud, enthalten fie faft überall Mare 
und wahre Bilder innerer Selbfterlebniffe und zeichnen fi durch Olaubenofülle und Ent 
(diedenheit des chriftlichen Bekenntniſfſes aus. Spitta darf in diefer Nüdficht unter 
ben neueren geifllichen Liederdichtern mit vollem Rechte allein Albert Ruapp (f. den 
Urt. „Ruapp“ in Suppl.⸗Band I ©. 706 ff. der Real⸗Encykl.) ale ebenbürtig zur 
Seite gefiellt werden. Zwar erhebt fid keines feiner Lieder, obgleich mehrere ihrer 
Belodi wegen mehrfach; von ©. Fliegel, C. F. Beder u. U. in Muſik geſetzt und einige 
ſogar hie und da in Kirchliche Sefangbücher aufgenommen find, zu den echten deutfchen 
Sichenliebern des 16. und 17. Yahrhunderte. Die eigentliche Bedeutung ihrer Wirk» 
famfeit beruht vielmehr darauf, daß fie vorzugsweiſe zu dem Zwecke häuslicher Andacht 
md zur Privaterbauung chriſtlicher frommer Herzen dienen, wie dies auch der Dichter 
ſelbſt auf dem Titel ausgefprocdhen hat. Daß fie diefen Zweck aber volllommen erfüllen, 
beweiſt zur Benlige ihre raſche Berbreitung durch alle Schichten des deutſchen Volles, 
in denen der Name Chrifli heilig gehalten wird. Weniger, als die erfte und britte 
Sammlung entfpricht freilich die zweite den Erwartungen beim Leſen, da in berjelben 
bie Sprache hie umd wieder an rhythmifchen Unebenheiten leidet und häufig mehr 
die erbamende Mebergengung des Chriflen als die innige Gefühlskraft des Dichters 
herdortritt. Aber auch in ihre findet ſich michtsdefloweniger manches Bortzeffliche. 
lann hier wicht unfere Abfiht ſeyn, in die genauere Beurtheilung jener Sammlung 
im Eimelnen einzugeben; es mag daher genügen dem hohen Werth des Gauzen anzu- 
deuten amf einige der gelungenften Spitta’fchen Lieder aufmerlfam zu machen. Wir 
tedmen zu benfeiben dor allen: „Freuet euch der ſchoͤnen Erde“, „Du ſchaue Lilie auf 
Real» —— für Theologie und Rise. Suppl. IL, 


98 Staat und Rirde 


dem Feld“, „Es zieht eim fliller Engel, „Wie ift der Abend fo traulich“, „Was 
kann es Scön’res geben", „Mir ift fo wohl in Gottes Hqus“, „Des Chriſten 
Schmud und Ordensband“, „Stimmt an das Lied vom Sterben“, und das fchöne Ab. 
ſchiedslied: „Was macht ihr, daß ihr weinet“, ferner: “O felig Haus, wo man bie 
aufgenommen“. Bon feltener Schönheit und Kraft find auch die beiden unter den nad, 
gelafjenen Liedern: „Hoflanna in der Höhe“ und „Du bift mein Herr, d’rum fol id 
dir auch dienen“. 

As Quellen find bei der Bearbeitung diefes Artikels benugt: C. J. Ph. Spitte. 
Ein Lebensbild vom Dr. 8. 8. Müntel, (einem vieljährigen freunde des Be 
ſtorbenen). Lpz. 1861 und zwei Aufſätze in der „Neuen evangelifchen Kirchenzeitug 
bon Meiner, Yahrg. 1860 Nero. 5, S. 74 u. Jahrg. 1861 Nro. 25, ©. 398 fg. — 
Manches Bemerkenswerthe enthält auch da8 Vorwort bor den nachgelaffenen geiftlicen 
Liedern Spitta’®, in welchem der Herausgeber, Prof. U. Peters, der treuen Freundicaft 
mit dem Dichter ein würdiges Audenken geftiftet hat. Eine dort angefündigte Schrift 
„Spitta's Iugendfchrift" ift jedoch unſeres Wiſſens bis jet nicht erſchienen. 

Ä G. 9. Klippel. 

Staat und Kirche in ihrem gegenſeitigen Verhältniſſe. Ge 
Problem, das Verhältniß des politiihen und religidfen Elements in der menſchlichen 
Geſellſchaft nach den dem Weſen derfelben entfprechenden Prinzipien feftzuftellen, hat 
bie Denker aller Zeiten auf das Lebhaftefte befhäftigt und ift je nach den fwbjeltive 
Neigungen und Richtungen, oder in Folge abweichender Begriffsbeſtimmungen von Staat 
und Religionsgeſellſchaft in völlig entgegengefeßter Weife zu Idfen verfucht worden 
Das Ergebniß der Unterfuhung muß aber natürlich durchaus verfchieden feyn, je nad 
dem ein von den Grundſätzen hierarchiſcher Macht geleiteter Schriftfieller, ober ca 
Unkirchlicher, ja felbft Feind der Kirche, oder ein politifcher Bureaukrat fein Uxthel 
abgiebt; desgleichen, wenn der Staat nur als ein reim menſchliches, bloß um der Side 
heit der Geſellſchaft willen beftehendes polizeiliches Inſtitut aufgefaßt wird, oder wen 
man denfelben als diejenige Anftalt betrachtet, welder die Erfüllung der hochſten fit 
lichen Interefien und die Erreichung des Ziels der Zwecke der Menfchheit zur Aufgebe 
geſetzt ift, umd zwar in dem Maße, daß er als der alleinige und volllommene YAusbrsd 
der Sittlichkeit felbft erfcheint, neben welchem keine andere Einrichtung für irgend melde 
menschliche Zwecke gedacht werden kann. Bei der erften Auffaffung ift die Religion 
nebft der aus ihr entfpringenden Sittlichleit vom Begriffe des Staats felbft gefchiede 
und damit zugleich die Nothivendigleit einer eigenthümlichen Infttution gegeben, in weld 
fi die Ordnung für die religids » fittlichen Bedürfniſſe der Menſchheit entwidelt, 7% 
gegen bei der zweiten Annahme die Möglichkeit einer derartigen Anflalt ausgefälhe 
wird, weil diefelbe bereits in dem Organismus des Staats mit eingefchloffen H- 
Während fo zwei Clafſſen von Suflemen entftehen, in melden mit vielen Modificationen 
das Verhältniß des politifhen und religidfen Lebens ſich darftellen Tann, iſt neben bielm 
beiden ertremen Anfchauungen noch eine dritte vermittelnde Anficht denkbar, welche weit 
den Staat zu einer bloß änßerlihen, gemiffermaßen geiftlofen Eriftenz herabfegt, sed 
denfelben zu der Höhe fublimirt, daß alle geiftigen Potenzen nur in ihm vereinigt fi. 
Man geht bei der derartigen Stellung von der Borausfegung aus, daß bie Aufgabe 
des Staats darin befiehe, die Verbindung der Menfchen, welche in ihrer orgamilchet 
Gemeinſchaft eben den Staat felbft darftellen, zu regeln, den befichenden Organtsmat 
zu erhalten und den im Lanfe der Zeit eintretenden Bebikfniffen gemäß fortzubilden, 
und alle Interefien der menfchlichen Geſellſchaft unter feine fhügende Obhut zu mehen, 
kurz die Rechtsordnung in der Verfaffung und Verwaltung zu normiren, zu beasffichtigen 
und thatfräftig zu vollziehen. Bon dieſer Wirkfamfeit des Staats wird auch die Religion: 
nicht ausgeſchloſſen, allein doch nur foweit, als fie in das flantliche Rechtsleben eingreift, 
nicht aber an fich zum Gegenſtand der Verfügung bed Staats gemadıt. Bielmehr wird 
aus der Natur des Rechtsſtaats gefolgert, daß derſelbe die innerhalb feiner genen der 





Gtaat und Kirche 99 


Rismten Sphäre herbortretenden eigenthümlichen Aeußerungen des religidfen Lebens 
ſehſt feiner Einwirkung und Leitung nicht unterwirft, fondern der aus dem Wefen 
befielben fih entwidelnden eigenen und felbfiftändigen Geftaltung frei überläßt. Daß 
lbrigens and) bei diefer Anffafjung eine große Drannigfaltigkeit der Einrichtungen und 
beshalb auch eine Verfchiedenheit der Beziehungen des religidfen Lebens zum politifchen 
eintreten lann, erklärt fi) ſchon einfach daraus, daß das religidfe Prinzip ſich nicht als 
ein abfolut ſtrirtes, überhaupt nicht als ein abſtraltes darftellt, fondern abhängig bon 
ber jedesmaligen Bildungsſtufe und von den dadurch bedingten religidfen Bebürfnifien 
der Individuen, Böller und Staaten ſich in individuell concreter Weife verwirklicht. 

Nah diefen Bemerkungen kann es bei den bier beabfichtigten Exdrterungen nicht 
ſowohl daranf anloınmen, die verfchiedenen Meinungen und Syſteme Über das Verhältniß 
des Staats zu den Religionsgefellichaften und insbefondere zur Kirche und den Kirchen 
aus allgemeinen Begriffen nachzutveifen und aus den einzelnen philofophifchen Doftrinen, 
tamentlih an® dem fogenannten Naturrechte oder der Rechtsphiloſophie darzuftellen 
und derm Conſequenz und Inconſequenz einer allgemeinen oder fpeciellen Kritik zu 
unteriverfen, als auf den Wege gefchichtlicher Betrachtung die allmähliche Ansbildung 
dieſes Berhälmiffes zu fchildern und als das Reſultat dieſes gefchichtlichen Prozefies 
md bei Kampfes ziveier nad) Wlleinherrichaft firebender Mächte die dermalige Lage 
md den gegenwärtigen Rechtszuſtand in dem verfchiebenen Zerritorien, vornehmlich in 
Deutfhlond und feinen einzelnen Beſtandtheilen anseinanderzufegen. Bei folcher Be- 
trahting wird fich von felbft ergeben, in wiefern im Laufe der Zeiten die Beziehungen 
jeifhen dem Staate und den Religionsgefellfchaften wechfelnd bald unter die eine, bald 
unter die andere Kategorie der vorhin angedenteten Syſteme geftellt werden Lönnen. 

Begen der Literatur mit Rüdficht anf die Philofophie Aberhaupt und die Rechts- 
phileſophie im WBefonderen genüge die Verweifung auf Henrici, über den Begriff und 
die kin Gründe des Rechts; ein hiſtoriſch⸗kritiſch - ſeientifiſcher Verſuch zur Begrim⸗ 
bang einer philoſophiſchen Rechtslehre. Hannover 1822. 2 Thle. 2te Ausgabe. SFr. 
b. Roumer, über die gefchichtliche Entwickelung der Begriffe von Staat, Recht und Po⸗ 
litil Beibyig 1832. 2te Auflage. Vinet, essai sur manifestation des convictions 
rligieuses et sur la s£paration de Peglise et de Letat envisagee comme consequence 
necesssire et comme garantie du principe. Paris 1842 (in's Deutfche überfegt von 
Bolkmonn, Leipzig 1843, von Spengler, Heidelberg 1845, und Anderen; vergl. auch 
ben Art. „Binet- Bd. XVI. ©. 766 ff.). Rob. v. Mohl, Staatsrecht, Volkerrecht 
und Politit. Bd. IL. Monographien, Thl. I. Politit. Tübingen 1862. ©. 171 f. — 
Zum Theil gehören auch hierher die Schriften von Laurent (l’Sglise et l’Etat), die aber 
mens zugleich Hiftorifcher Natur find. Ebenſo enthalten auch bie Handbücher über 
Kichemrecht dahin gehörige Materialien. Einer Anführung gefhichtlicher Werte bedarf 
es an dieſer Stelle nicht, denn diefelben befchränten ſich in der Regel auf beftimmte 
Zeiträume umd find daher an ben betreffenden Stellen hier überall namhaft zu machen. 

Der Staat iſt aus der Familie hervorgegangen und erjcheint während bes Beſte⸗ 
ens der einfacheren Zuſtäude der Vöolker gewiffermaßen nur ald eine erweiterte Fa⸗ 
nilie. Wie nun in der Familie der Hausvater die einzige Autorität ift, da ihm kraft 
8 imperiam domesticum alle Gewalt zufteht, da er das gefammte Leben im Haufe 
tgelt und leitet, gleichmäßig für die focialen und religidfen Intereſſen defielben Sorge 
gt, dem Cultus (matürlichen und fonftigen Gottesdienft) ordnet, die Opfer bdarbringt 
ſJ. w., fo if auch im der zum Staate erwachſenen Familie defien Haupt zugleich 
Bug und Priefter. Bon einer Scheidung des focialen, politifch- bürgerlidhen und bes 
Ugifen Gemeinweſens Tann unter foldyen Verhältnifien nicht wohl die Rede feyn, da 
de nur ein micht unterfcheidbares Ganges bilden und jede in ihm bollgogene Hand» 
ng immer zugleich den bürgerlichen und religidfen Karalter an fich trägt. So bei der 
Khließung eimer Ehe, der Imitintion eines Kindes, der Befefligung (Wehrhaftmachung, 
nfnahme in die Gemeinde) eines Jünglings u. a. m. Erſt dann, wenn bie Verhält⸗ 

7° 








100 Staat nub Rirde 


niffe des Staats complicirter getworden, der familienartige Verband der einzelnen Fu 
milten fich zerfplittert und gelöft hat, wenn die Bedürfnifſſe größer und mannichfaltiger 
geworden und die Nothwendigkeit der Sonderung der Berufsarten entflanden if, werden 
eigene Beamte und Vertreter der bürgerlichen und religidfen Angelegenheiten erforder. 
Lich, ohne daß jedoch diefe Angelegenheiten felbft einfeitig der einen oder anderen Kate⸗ 
gorie don Gefchäften zugewiefen werden könnten. Nach wie vor befteht die Durd- 
dringung des fittlich » politifchen und religidfen Elements des gefammten Materials der 
Bermaltung, und wie dad Oberhaupt des Staats zugleich der oberfte Priefter geblieben, 
fo ift auch eine Duplicität dee Gefellfchaft nach der Seite des focialen umd refigidfen 
Lebens durchaus nicht vorhanden oder nachweisbar. Die ganze Ordnung des Staa 
auf diefer Stufe der Einheit von Recht und Religion kommt aber in zweifacher ent 
gegengefegter Art vor, nämlich fo, daß entweder die rechtliche oder die religidfe Seite 
die vorwiegende ift und der Staat hiernad) einen politifch-religidfen oder einen religidt 
politifchen, d. t. einen theokratiſchen Karakter an fi, trägt. Diefen Typus finden wir 
in allen Staaten des Alterthums bis zur Erſcheinung Chrifti, indem die heibmifden 
Volker der erften, das jüdiſche Voll der zweiten Klaſſe angehört. Es ruht diefe That 
fache aber auf dem Grundfage, daß jede Nation ihre befondere Religion haben müſſe, 
ber freilich wegen des Einfluſſes der differenten Schidfale der einzelnen Nation wicht 
bie Nothivendigleit des Inhalts der Religion zur Folge haben mußte. Den leitenden 
Gedanten ſprach aber Eicero beftimmt genug aus, indem er fagte: Sua cuique civitat 
religio est, nostra nostri (oratio pro Flacco cap. 28.). 

In den heidnifhen Staaten geht das gefammte religidfen Leben im politifcen 
unter, fo daß die Religion im Ganzen nur ein Moment des Staates if. Der gap 
Cultus iſt eine Einrichtung des Staats und fo geordnet, wie es das Intereſſe da 
Staatsinftitutionen fordert. Demgemäß ift die Religion als Civiltheologie fo behandelt, 
wie dieß der äußeren Ordnung des Staats am angemeflenften ift (m. ſ. befonders Hm 
deshagen, über einige Hauptmomente in der gefchichtlichen Entwidelung des Verhältniſſel 
zwiſchen Staat und Kirche, in Dove's Zeitfchrift für Kirchenrecht, Bd. J. (Berlin 1861) 
S. 232 f. ©. 240). Der mit dem Wechfel der Verfaffung eintretende Brauch, daß 
die Priefterwürde, welche urſprünglich mit der Gewalt des Konigs vereinigt war (vgl 
Aristoteles, Politica III,14: Sroarmyög mw xal dixaoıns 6 Auoıeis xai Tür no% 
Okods xvpros. Servius zu Dirgil’8 Aeneis III, 80: Rex idem hominum Phoebique 
sacerdos, dom Anius, bemerlt: Sane majorum haec erat consuetudo, ut rex etian 
esset sacerdos vel pontifex), in der Zeit der Republik auf den Senat überging (tl 
Hüllmann, ius pontificium der Römer. Bonn 1837. ©. 99. 113. 118 f.), ode dh 
die Vollsverfammlung die Entfcheidung im religidfen Angelegenheiten zu fällen hatt 
(wie in Athen und anderweitig), mit der Herftellung monarchiſcher Herrfchaft auf dei 
Staatsoberhaupt wieder Aberging, fo daß dem Cäſar die Dignität des Pontifex Ms 
ximus zuftand (f. Sueton im Leben des Octavian cap. 31. u. a. m.), fonnte auch ui 
die fonftigen perfönlichen Verhältniffe der Priefter nicht ohne mefentlichen Einfluß 
bleiben. Die Collegia Pontificum waren ben fibrigen Staatsdienern beigeordnet und 
an ihrer Spige ftand eben das Oberhaupt des bürgerlichen Gemeinweſens. Der Cultus 
felbft war daher auch mit der gefammten Berfafiung eng verbunden, und bieß zeige 
fich fowohl in dem a Jove principium, als in der Verwaltung felbfl, da: apud an- 
tiquos non solum publioe, sed etiam privatim nil gerebatur, nisi auspicio prius 
sumto (f. Cicero, de divinatione lib. I. cap. 16. $. 28. verb. Gothofredus zu 0. 1. 
Cod. Theod. de paganis 16, 10). So erklärt fi} auch der Zufanmenhang ber sack 
privata mit den sacris publicis und der Sorge des Staats für die erſteren (f. Festus 
sub v. publica sacra und municipalia saora; Hartung, die Religion ber Römer. 
Bd. L Erlangen 1836. ©. 231 f.). 

Gerade umgelehrt war das Verhältniß im Judenthume. In ihm ruhte bie ganze 
Staatsordnung auf dem Gedanken, daß Jehovah der Herrſcher des Volles fey und daß 


Staat unb Rirde 101 


die Einrichtungen des Volles mır für den einen Zweck beredinet waren, dem himm⸗ 
Ufden Könige dienſtbar zu ſeyn, feine Verehrung zu befördern und feinen Anordnungen, 
wie diefelben in den Dffenbarungsurkunden des U. Teſtam. ansgefprochen waren, Ges 
horjam zu verfchaffen. (Außer den einzelnen Stellen ber heil. Schrift, anf welche hier 
Bezug zu nehmen überfläffig ift, |. man die Darflellungen über die jüdifche Theokratie 
bei Saalſchutz, mofaifches Recht. Bd. L Berlin 1846. Abfchn. I. Kap. L; verb. mit 
befiefben Archäologie der Hebräer. Konigsb. 1855. 1856. 2 Bde, wie auch den Akt. 
„Könige, Königthum in Sfrael« Bd. VIIL ©. 8 f.). Indem hier Gott der König if, 
regiert ex durch die Organe, welche er ſelbſt einfegt, und durch Mofes, durch Yaron, 
wie durch die Söhne defielben als Priefter, durch Joſua umd die fpäteren Richter des 
Bolle, andy durd, die Propheten. Diefe Regierung Gottes ift alfo Theokratie. 
Diefelbe erklärt Iofephus (contra Apianum lib. II. cap. 16): 6 de rufrepog vouo- 
Ian... Moxpuriuv antdeıke To noAltevua, He ro doyrv xai To xgdrog üva- 
Fels. Sie fließt eigentlich die Wahl eines Könige aus; der SKaralter der reinen 
Xheotratie wurde daher ſchon geträbt, als das Königthum mit Saul eingeführt wurde. 
Indeſſen der Rnig bleibt doch nur der weltliche Repräfentant Iehovah’s, feine Wahl 
erfolgt auch duch Bott felbft (5 Moſ. 17,15.) und fein Geſetz bleibt fo in unbedingter 
Geltung, daf dem Könige nicht erlaubt if, ein felbfifländiges neues Geſetz zu geben 
(il. a. a. O. 88. 17 u. 18). Das Regiment Gottes umd das Prieſterthum foll daher 
and uunngetefet bleiben, und wenn der König auch, wie ein Priefler, gefalbt wird 
(1 Sem. 9, 16. 10, 1. 16, 12. 13 um. a.), fo erlangt er dogh nicht das Priefterthum 
ud wird nicht fähig, irgend eine prieflerliche Funktion zu verrichten. (Daher warb 
König Ufo, ale er im Tempel räuchern wollte, ausfätig, 2Chron. 26, 16 f.). m: 
der Degrändung des weltlichen Königsthums, welches doch allmählich, das Priefterthum 
in feiner Setrenntheit nicht mehr fern hielt (vgl. Bickell, Geſchichte des Kirchenrechts, 
Vd. L Liefer. IL von Röſtell. Frankf. a. M. 1849. ©. 22), lag indeflen jedenfalls 
ſchon eine Alteration, melde den Keim zur Wufloderung der theokratiſchen Regierung 
and den Grund zum fpäteren Verfalle des jüdifchen Reiches felbft gelegt Bat. 
Die enge Berbindbung, in der ſich das religidfe und politiſche Leben im Alterthume 
Befindet, hat fo wenig etwas Wuffälliges, daß es im Gegentheil Befremden erregen 
soürde, wenn diefe fonft nicht vorhanden geweſen wäre; denn es Liegt in der Natur der 
Sache, daß die Religion und das gefammte fittlic- bürgerliche Leben ſich gegenfeitig 
bedingen und in innigſter Gemeinſchaft fliehen. Es muß daher die Thatfache, daß mit 
der Stiftung des Chriſtenthums das umgekehrte Verhältniß begründet wurde, beim erften 
Anblide höchft auffällig erfcheinen und der in den erflen Jahrhunderten von den Gep- 
nern des Evangeliums erhobene Vorwurf, daß das Chriftenthum flatt des Friedens 
der Menſchheit die Feindſchaft und den Kampf gebracht habe, weshalb es als das odium 
generis humani bezeichnet wurde, daß es die bisherigen Bande zwiſchen Unterthanen 
au Regierung geldft und jene zum Ungehorſam gegen diefe angereizt habe, hatte wirt. 
lich den Schein der Berechtigung für ſich und konnte mit als Grund der Verfolgung 
der neuen Partei angeführt werden. Indeſſen exgiebt eine unbefangene umd forgfältige 
Ermägung die Unhaltbarleit der ganzen derartigen Beurtheilung auf's Vollſtändigſte. 
Defus Chriſtus hat nicht einen Gegenſatz zwiſchen Sitte und focialem Leben des Bolts 
md der Religion anfgerichtet, ex hat nicht feinen Anhängern geboten, der Ordnung des 
zu widerfireben und den Gehorſam zu verfagen, er hat nicht Haß und Unfrieden 
den Menfchen empfohlen. Das Evangelium iſt voll von Ausſprüchen des Heren, welche 
cine ſolche Auffafſung widerlegen. Die Zuflände aber, welche Chriſtus vorfand, als er 
a die Welt kam, waren jedoch fo verderbt, daß er ihnen auf's Entſchiedenſte entgen- 
(teten mußte. Die herrfchende Gottentfremdung, der Unglaube und Überglanbe waren 
& dem Maße unter Inden und Heiden verbreitet, daß der Apoftel Paulus nicht umbin 
Konnte, den Ansſpruch des Pfalmiften (Pf. 14,3.54, 4.) auf die damaligen Zeitgenoffen 
zu übertragen: „Sie find allzumal abgewichen; ba ift nicht, ber gerecht ſey, auch nicht 


102 Staat und Kirche 


einer —. Sie find allefammt untüchtig worden; da iſt nicht, der Gutes thue, and 
nicht einer“ (f. Brief an die Römer 3, 10 f.). Die allgemeine Verwirrung und Un— 
ordnung, welche ſich auch in der falfchen Vermengung des bürgerlichen und religidſen 
Lebens an den Tag legte, fo daß die Ehre, die Gott gebührte, dem weltlichen Madt: 
haber erwiefen werden mußte (daß des Kaiſers Bildnifſen eine feierliche Veneration m 
Theil ward, daß man einen Eid bei des Kaiſers Genius leiftete u. a. m.), dieſes un 
und widergdttliche Wefen, diefe allgemeine Corruption recht erfennbar zu machen und 
die Menfchheit von den Irrpfaden auf den Weg zu führen, auf dem fie allein das Heil 
erreichen 'tonnte, dieß war nicht anders erreichbar, als durch eine Scheidung, meld 
aber nicht in dem Gedanfen eines Gegenſatzes des Evangeliums und der Kirche und dei 


Rechtes und des Staats gegründet ift, fondern die nur die Unterſcheidung beider u . 


ihrer Borausfegung hat. Daß Jedem das ihm Gebührende zu Theil werde, konnte Ehrifus 
wohl nicht beffer ausdrüden, als daß er ſchlechthin empfahl, dafjelbe ihren fie repräfen 
tirenden Häuptern darzubringen: „Gebet dem Kaifer, was des Kaiſers ift, und Gotte, 
was Gottes ifl- (Ev. Matth. 22, 21.). Daß indeflen mit diefen Worten das bürge 
lihe Regiment nicht im Gegenfage gegen die göttliche Regierung hingeftellt werden 
follte, ergibt fi auf's Beftimmtefte aus den Ausſprüchen Chriſti und feiner Apofld, 
wie aus ihrem ganzen Wandel. So erlennt jener die Autorität der Obrigkeit als eine 
göttlichen an, indem er zu Pilatus, der fich der Macht über ihn rühmte, äußerte: „Dr 
hätteft Yeine Macht über mic, wenn fie Dir nicht von oben herab gegeben wäre" (Er. 
Johannis 19, 11.), wobei die ältere Auffaffung beflätigt ward, daß den Konigen de 
Obrigkeit vom Herrn und die Gewalt vom Höchften gegeben fen (Weish. 6,4.). Ebenſe 





erflären die Apoftel: „Jedermann fey unterthan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, 


denn es ift feine Obrigleit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ift, die ift von Gott 
berordnet“ (Nöm. 13, 1 f.). Die hier gegebene Mahnung zum Gehorfan wiederholt 
Petrus (Br. I. Kap. 2. 38. 13.): „Seyd unterthan aller menfhlihen Ordnung, zu 
des Herrn willen“ u. f. w.; vergl. 1 Tim. 2, 1. 2. Tit. 3,1. Die hier den Chriſter 
auferlegte Tflicht ward auch von ihnen treu befolgt, und die anfängliche Oppofition, 
in welche das Chriftenthum und die auf demfelben beruhende Gemeinfchaft des Her, 
die Kirche, als eine vom Staate verfchiedene Religionsgefellfchaft, ſich gegen dem Stadt 
felbft feste, war fomit nicht ein aus principieller und unbedingter Feindfchaft gegen 
denfelben herborgegangener, fondern durd; die damaligen Umftände veranlaßt: bdemm die 
den Anhängern Chrifti gemachten Zumuthungen waren der Art, daß fie fi mit da 
Pflichten gegen Gott nicht vereinigen ließen. Zwar ordnet fi der Chrift jeder Obrir 
feit unter, al8 die von Gott die Gewalt hat, aber er kam nad) dem Gebot des Herm 
die Schranke nicht Übertreten, die im Gehorfam gegen den Willen Gottes befieht. Bar 
ihm Ungdttliches geboten wird, dann bleibt ihm nur die Erklärung: „Man muß tt 
mehr gehorchen, denn den Menſchen“ (Apgeih. 5, 29). Die Aufgabe, mit melde 
Chriftus die von ihm geftiftete Kirche betraute, war demnach, den Staat aus ben bir 
handenen verberbten Zufländen zu reißen und ihn zu feinem göttlichen Urfprunge zuräd 
zuführen. Dieß war ohne Widerfpruch, wenn auch nur leidenden Widerjtand und Um 
gehorfam nicht möglich, und fo trat ein ſchwerer Kampf ein, zu welchem der Kirche det 
Schwert des Geiſtes, das Wort Gottes, als Waffe diente, welche längere Zeit da 
irdifhen Gewalt der Machthaber nicht gewachſen war. (Man f. über diefe Berhättuifle 
und die nächfifolgende Zeit: Riffel, gefchichtlihe Darſtellung der DVerhäftniffe zmifchen 
Kirche und Staat. Bon der Gründung des Chriſtenthums bis auf Juſtinian J. Maim 
1836, al8 erfter Theil eines nicht fortgefegten allgemeinen Werts über dieſen Gegen 
flond. Damit verb. man Hundeshagen’8 bereits angeführte Abhandlung (bei Dove, 
Zeitfhr. Bd. L) ©. 242 f.). 

Die Lebensanfhauung der Chriften wid) vom der der Übrigen Zeitgenoffen fo we⸗ 
fentlich ab, daß überall der Unterfchieb, ja der Gegenſatz hervortreten mußte. Yet 
Srundfäge von religidfer Duldung wichen theils faltifch, theils an umd fire fich fo fehr 





Gtast und Rirde 103 


von denen in jener Zeit herrſchenden Anſchanmgen ab (vergl. den Artikel „Duldung« 
9. II ©. 588), daß eine Gemeinfhaft im Enltus, felbft abgefehen von den viel. 
fahen darin vorhandenen Infittlichkeiten, wicht flattfinden konnte. Bon den Juden 
mußten fie ſich trennen, da die von diefen geläugnete Exfcheinung des Mefflas und die 
lUeberzergung der Chriften, fie hätten denfelben im der Berfon Jeſu nunmehr erhalten, 
kein Belfommenfenn geftattete. Den Heiden galt diefe Religion als eine peregrina et 
ilieite, auf welche die Beſtimmungen über geheime Culte mit ımfittlichen und politi» 
[den Tendenzen u. f. iv. zur Anwendung gebradjt wurden (f. Cioero de leg. lib. II. 
ap. 16; Beparatim nemo habeseit Deos; sed ne advenas, nisi publice adscitos 
privstim oolunto. L. 1. pr. D. quod cujuscunque universitatis nomine 3, 4. (Gajus 
2.160). L. 1. 8. 6. 1. D. de oollegiis et oorporibus illicitis. 47, 22. (Marcian 
es. 312). Paulus (+ 230) reoeptae sententise V, 21.2.: Qui novas et usu et ra- 
tione inoognitas religiones inducunt, ex quibus animi hominum morveantur, hone- 
süores deportantur, humiliores capite puniuntur). So unterlagen fie nun den haͤr⸗ 
tl Etrafen, ſelbſt dem Feuertode (m. f. befonder® außer den Darflellungen in ben 
Setlähern der Kirchengefchichte: Schmidt, Befchichte der Dent- und Blaubensfreiheit 
m ofen Jahrhundert der Kaiferzeit. Berlin 1847. ©.163f.). Im diefen Drangfalen 
gaben aber die Ehriften den Gedanken nicht auf, daß es ihmen befchteden fe, den Staat 
fir die nige Wahrheit empfänglich zn machen und voun den bisherigen Answüchſen zu 
befreien. Nachdem mit Unterbrechungen bie zum Anfauge des vierten Sahrhunderts 
die Berfolgumgen gedauert hatten, trat ein Umſchwung ein. Ws das Chriſtenthum 
erſt feine Eriſtenz neben den hergebradhten Religionen erhalten hatte (f. Lactantius de 
nortibus persecutorum cap. 34. (Eusebius hist. eocles. lib. 8. cap. 17.) cap. 48. 
Eusebiss L o. lib. 10. cap. 5.), begann auch bald das Ankampfen gegen die letzteren. 
Das Yerentkunm wurde befchränft (Tit. de Judaeis im Codex Theodoe. lib. 16. tit.8., 
m Cd. Istinian. lib. I. tit. 9. Bergl. Sans, die Gefepgebung über die Juden tn 
Kom, in deſen vermiſchten Schriften. Berlin 1834. Bd. J. Nr. 13.), die Heiden nad und 
uch cerfehg ans ihrer bevorzugten Stellung gedrängt und zum Zurüchziehen in Deden 
am Ohfer (pagi — daher pagani) gendthigt (Tit. Cod. Theod. de paganis, secri- 
ßeils et templis, lib. 16. tit. 10., Cod. Justin. lib. I. cap. 11. Bergl. Tzichirner, 
der Fal des Heidenthums. Leipzig 1829 (nur Bd. I. erfchienen) und beſonders Jakob 
Gethofredus zum citixten Titel des Cod. Theod. nadı der Ausgabe von Ritter Tom. VI. 
Pırs L peg. 274 f.). 
Die Reception des Chriſtenthums im römifchen Reiche wurde in den Jahren 312 
w 313 ausgefprochen, dabei aber keineswegs fofort, ale demfelben die Natur der 
Stnetöreligion mit beigelegt wurde, auch die Herrſchaft feiner Principien zuerkannt. 
ber ergimgen bald viele Privilegien, durch melde die Kleriker hinfichtlich der Immu⸗ 
ulten den heibmifchen Prieflern gleichgeflellt und bald ihmen vorgezogen wurden (man 
den Art. „Immunttäte Bd. VI. ©. 641), die Kirchen umter Lebenden und bon Todes 
Degen erwerbfähig wurden (vgl. den Urt. „Kirchengnt⸗ Bd. VIL S. 637), die ſelbſt⸗ 
Rindige Gerichtsbarkeit der Bifchdfe zur Auerkennung gelangte (vgl. den Art. „Audien- 
% episcopalis” Bd. IL S. 601 und d. Urt. „Berichtöbarleit« Bd. V. S. 61) u. a. m., 
"ce Berzüge veränderten aber nicht fofort den Karakter der damaligen Stantöverfaflung 
ud begründeten nicht die Audeinanderſetzung bes kirchlichen und politifchen Regiments, 
die nach der evangeliſchen Auffaffung diefelbe hätte erfolgen follen. Das Ehriftenthum 
Did nor dem Heidenthum amalgamirt, wie dieß der Katfer Eonftantin auf feinen Münzen 
Intihnete, indem er neben dem Sonnengotte, als Vertreter des bisherigen Cultus, auch 
"Renz, als Anerkennung Chriſti hinzufügen ließ (f. Piper, Mythologie und Sym⸗ 
boht der hriſtlichen Kumfl. Weimar 1847. Vo. 1. Heft 1. ©. 99). Die frühere Ber- 
Iömeljung bes religidfen und bürgerlichen Lebens dauerte auch in der hoöchſten Spige 
I, indem der Kaiſer nad) wie vor die Würde des Pontifex maximus beibehielt und 
wc Kirchliche Ungelegenheiten wie politifche behandelte (m. f. über Eonflantin 











104 Staat und Rirde 


überhaupt: Manſo, Leben Conſtantin's des Großen, Breslau 1817; Jak. Burähaekt, 
die Zeit Conftantin’3 des Großen, Bafel 1853; Keim, der Uebertritt Conflantin’s dei 
Großen zur Kirche, Züri 1862; verb. den Art. „Eonftantin« Bd. III. ©. 180 ff) 
Wenn nun Eufebius in dem Leben Conftantin’8 berichtet (lib. J. co. 44. verb. o. 42), 
der Kaifer habe zu Gunften der Kirche Synoden berufen wie ein von Gott beftelltr 
allgemeiner Biſchof (oi« rıs xowög Enloxonos dx Heod xadeorduevog) und dam er 
zählt (a. a. O. lib. IV. c. 24.), der Kaiſer habe einft den Bifchdfen ein Gaſtuchl 
gegeben und bei diefer Gelegenheit geäußert, daß fle nicht allein Bifchdfe wären, dem 
während fie „rwv eiow rijc &xxinolag” hingefiellt wären, fe er „zur Zxrög und sei | 
xassorautvog Znloxonog”, fo ift hieraus nicht ein förmliches Princip über das & 
hältnif des Staats und der Kirche zur Zeit des Kaiſers herzuleiten. Zuvbrderſt biah 
es fraglich, ob die Worte rwr dow und Wr Zxrds anf Angelegenheiten innerhalb m 
außerhalb der Kirche bezogen werden follen oder ob an die Mitglieder des Gtontl, 
welche in der Kirche eben, alfo Ehriften, und an die außerhalb der Kirche, alfo Ha 
den, gedacht werden folle. Dann fragt fi, ob diefer Erzählung irgend eine Wichtigkeit 
beigelegt werden dürfe und ob nicht vielmehr mur ein Scherz des Kaiſers darin m 
halten fey. Jedenfalls kann die fpäterhin hierin gefuchte Eintheilung einer fürmlidke 
Sonderung der jura in sacra und circa saora nicht füglich gefunden werden (ma | 
übrigens auch den citirten Artikel Bd. III. ©. 136). Ungeachtet feit Conftautin di 
Kiche immer günftiger geftellt wurde, gelang aber doch längere Zeit nicht die fhrmlk 
Verdrängung des Heidenthums und die Herflellung einer religidfen Einheit. Erſt Gr 
tian, welcher die insignia Pontifieis Maximi ablegte, obwohl er den Titel noch bi 
behielt (f. Zosimus histor. lib.4. c. 36. Inscriptio bet Orelli 1, 245. Ausonius gm 
tiarum actio pro consulatu), entzog dem Heidenthum den Karakter einer Stantöreligie 
(ogl. Jat. Gothofred in den Paratitla zum Codex Theodos. lib. I. tit. 10) dr 
fpäteren Kaifer befolgten jedoch nicht ſtets die Entfchiedenheit gegen das Heibenthun, 
fo daß fi eine gewiffe Anerkennung bis gegen das Ende bes 5. Jahrhunderts m 
halten konnte (vergl. Schnabel, der Streit um den Altar der Victoria, 1860). M 
Uebrigen aber erkennen die Nachfolger die Rechte der Kirche und den Einfluß, de 
ihr für das Staatsleben zu gewähren ſey, in vollftem Umfange an, wie Conſtanti 
welcher den Ausſpruch that: Scientes magis religionibus, quam officiis et lat 
corporis vel sudore nostram rempublicam contineri (oc. 16. Cod. Theod. de pr 
copis et clerieis 16, 2. aus dem Jahre 361 umd nachher in's Corpus juris mai 
aufgenommen c. 23. Cau. XXIII. qu. VIIL). So erflären auch Honorius und &r 
doſius im 9. 410: Inter Imperii nostri maximas curas catholicae legis reramii# 
aut prima semper aut sola est. Neque enim aliud aut belli laboribus sgin% 
aut pacis consiliis ordinamus, nisi ut veri Dei cultum orbis nostri plebs ders 
custodiat (f. Collatio Carthaginensis cognitio I. nro, 4. III. nro. 29. bei Rinet ® 
der’Ausgabe bes Codex Theod. Tom. VI. P. I. p. 336). Diefe und ähnliche Hate 
rungen Könnten auf den Gedanken führen, als ob der Kirche mun Gelegenheit gegeh@ 
worden wäre, ihren wohlthuenden Einfluß auf die gefammte Verwaltung geltend # 
machen, und daß die Oberhäupter des Staats nur dafür geforgt hätten, ihr bereüt 
Wege dazu zu fchaffen. Allein die fcheinbar nur formelle Bedentung der 
haltung des Titels des Pontifex Maximus bot doch die befte Gelegenheit, die zu heid⸗ 
nifcher Zeit beftandene Abhängigkeit der Religion von dem politifchen Imterefjen aufeedit 
zu halten. Im Orient ward jegt der Grund zu der Unteriverfung des Epiffopetl 
unter den faiferlichen Scepter gelegt, welche ſeitdem eigentlich nie mehr im drifllide 
Zeit in Byzanz aufgehört hat (m. f. befonders Pichler, Geſchichte der kirchlichen Tre 
nung ziwifchen dem Orient und Dccident bon den erflen Anfängen bis zur jängkes 
Gegenwart. Bd. L Byzantiniſche Kirche. München 1864). Die Kirche felb tem 
auch nicht das geringfle Bedenken, ſich den Taiferlichen Anordnungen zu fügen, und peb 
fi} dazu her, mas ben Wünfchen des Stantsoberhanptes gemäß war, auch i ei 








GStaat uns Binde 105 


flemlich, zus fenftioniren. Bemerkenswerth iſt in der Hinfiht die Borfchrift des Concils 
vu Ehakceden can. 17: „Ei de xal zig ix Baal dkovalas dnawiodn nö 9 
zei audıg xawıodeln, toig moirzızois zul dmuoaloss tunox xal av badnamar ar 
zapeauev N sikıc Axolovdstrw.” Hier wurde allerdings nur bie äußere Begrünung 
der Kicche berührt, inſofern die vom Kaiſer getzoffene Erneuerung einer Stadt zur 
* haben ſollte, daß die kirchliche Orduung der bürgerlichen Eintheilung folgen * 
** es war dieß in der That nur die Anwendung eines generellen Grundſatzes, in⸗ 
was bier von äußeren gefagt iſt, auch auf die innerſten Berhältnifie der Kirche 
wurde. Nachdem die Kixche und die Lehre derfelben als die ortkodore, la⸗ 
tholiſche bejonder® ausgezeichnet, ja eigentlih nur auf fie alle beftehenden Rechte be 
ſchrünkt worden (m. f. den Zitel de haereticis in Codex Theodos. 16, 5. und Codex 
Justin. 1, 5.), ward der die Kirche repräfentirende Klerus veranlaft, Entfcheidisngen ” 
treffen, melde der Kaiſer, der auch zu dem Behufe Synoden zufammentreten ließ, be» 
flätigte, indem ex dann den kirchlichen Schläflen (oanones) die Autorität der weltlichen 
®efege (legen) beilegte (m. f. deshalb befonders von Yuflinian o. 45. CO. de episoopis 
13 Dom ©. 530, Nov. LXXIX. o. 1. LXXXIIL co. 1. und vorzzägih OXXXL 
„Seneimus vioom legum obtinere sanctas eoolesiasticas regulas, quse s san- 
a Tastuor oonciliis expoeitae sunt aut firmatae . . Praedictarum enim qua- 
taoe synodorum dogmata sicut sanctas scripturas socipimus et regulas siout leges 
obserramus.” Dazu vergl. man Biener, Geſchichte der Novellen. Berlin 1824. ©. 158 f.). 
Die Dogusen waren aber zum Theil vom Raifer ſelbſt formulirt (m. f. cap. 5 f. de 
sımma trinitste ], 1.) und nur bon der Kirche publicirt. Widerſprüche der Biſchbfe 
fanden lein Gehör. Als daher die Lehre der Aphthartodoketen (f. d. Art. Bd.L©.418), 
daß der Leib Chriſti unverweslich fey, welche von Iuflinian durch ein Epift auerfannt 
wer, ven Eutychins nicht angenomumen wurde, ließ ihn der Kaiſer gewaltſam vom Al⸗ 
tere wegfüähren umd fchidte ihn in die Berbannung (f. Evagrius hist. eocles. lib. 4. 
e. 88. Der vom Kaiſer aufgeftellte Sag: Ut inter divinum publioumque jus et 
privats oommoda competens discretio sit (0. 23. C. de sacrosanotibus ecol. 1.2. dom 
3 538) beftand daher auch nur zu Recht, infofern die Bortheile des Kaifers nicht zu 
den private oommoda gezählt werden durften. Daher find auch die Worte der No- 
vells VL Praefatio von 9. 585 mehr einer idealen Auffafiung des Berhältnifles von 
Kirde umd Staat oder, wie es ſeitdem zu heißen pflegt, von Prieftertfum und ielt- 
licher Macht, Kaiſerthum entfprechend, als daß fie den thatfächlid, vorhandenen Zuſtaud 
darſtellen. Über auch in fpäterer Zeit kehren ähnliche Gedanlen dfter wieder und die 
Shilderumg muß daher hier mitgetheilt werden: „Maxime quidem in hominibus sunt 
dona Dei a superns collata clementia sacerdotium et imperium, et illud 
quidem divinis ministrans, hoo autem humanis praesidens ao diligentiam exhibens, 
ex uno eodemque principio utraque proocedentis humanam exormant vitam. Ideo- 
que nihil sio erit studiosum imperatoribus sicut sacerdotum honestas, quum uti- 
que et pro illis semper Deo supplioent. Nam si hoc quidem inculpabile sit un- 
dique et apud Deum fiducia plenum, imperium autem reote et oompetenter ex- 
ornet traditam sibi rempublicam, erit oonsonantia quaedam bonum, omne quio- 
quid utile humano oonferens generi. Nos igitur maximam habemus sollicitudinem 
eirca veri Dei dogmats et circa sacerdotum honestatem, quam illis obtinentibus 
credimus, quia per eam maxima nobis bona dabuntur a Deo, et oa quae sunt, 
firma habebimus, et quae nondum hactenus venerunt, aoquirimus. Bene autem 
universa geruntur et oompetenter, si rei principium fiat deoens et amabile Deo, 
Hoc autem futurum esse credimus, si sacrarum regularum observatio custodiatur, 
quam justi ot laudandi et adorandi inspeotores et ministri Dei verbi tradiderunt 
Apostoli et sancti Patzes custodierunt et explanaverunt” u. ſ. w. 
Die Prazis der fpäteren Jahrhunderte hat diefe Gedanlen im Oriente keineswegs 
je ihrer Richtfeur genommen. Das Suftem, welches unter dem Namen des Byzan⸗ 


106 Staat und Birde 


tinismus befammt genug iſt und die völlige Unterwerfung der Sirche unter ben Stae 
oder vielmehr den fubjeftiven Willen des Kaiſers zur Grundlage hat, datirt gerade ſei 
Yuflinten. Die Bortheile, welche der Kirche und dem Klerus gewwährt wurden, führte 
zu einer Öefchmeidigfeit, welche ohne Rüdficht anf-das wahre kirchliche Jutereſſe dem 
geiftlichen und geiftigen Wohle die größten Wunden fchlagen ließ und den allmählich 
Berfall des oftrömifchen Reiche mit Nothwendigkeit nach fich 309. 

Es kann nicht umfere Aufgabe feyn, den Verlauf diefer Angelegenheit durch einen 
Nachweis der einzelnen Thatfachen zu erläutern, da der Orient uns hierbei im Ganıa 
ferner liegt. Es genügt deshalb die Verweiſung auf bie fpecielle Darftellung in des 
fhon genannten Bude von Pichler, welcher zugleich im zweiten Theile feines Werte 
die zuffifche, hellenifche und die übrigen orientalifchen Kirchen in die Unterfuchung hir 
eingezogen hat. Im Allgemeinen können wir aber bemerken, daß die Taiferlice Her 
ſchaft im Driente zur Unterwerfung der Kirche gelangen konnte, weil e8 am einer fird. 
lihen Macht hier fehlte, welche einen erfolgreihen Widerftand zu leiften vermocht. 


Zwar war der Patriarch von Byzanz (Neu: Rom, Conftantinopel) als der erfte Biſchef 


der orthodoren griechifchen Kirche anerkannt, indeffen wurde derſelbe doch in der Aut 
übung feiner Rechte durch den gefammten Epiflopat im Oriente befchräntt und im feine 
Weiſe dem Kaiſer ebenbürtig. Es kommt dazu, daß auch die Kämpfe der orientalifchen 
Kirche mit dem Occident und die Beftrebungen des ömifchen Bifchofs, die Patriarden 
bon fi) abhängig zu machen, die Enttwidelung einen eigenen Gewalt hemmten. Die 
Hierardjie des Drients Tonnte niemals dem Staate gegenüber zur vollen Selbfiftändigkit 
gelangen, weil die Principien des Epiflopalfuftems (f. d. Urt. Bd. IV. ©. 105 f) 
dem entgegenflanden. Diefes Suftem hat aber zugleich, da es aus der älteren Kirche 
fich in der griechifchen behauptete, die Verbindung mit dem römifhen Stuhle unmöglid 
gemacht, welche vielleicht ein Gegengewicht gegen den Byzantinismus hätte bilden Tonnen. 

Aus diefen Bemerkungen ergiebt fi} fchon von felbft, daß im Occident fid bei 
Berhältmig von Staat und Kirche anders geftalten mußte als im Orient, vor Wien 
darum, weil der Kampf fi vielfach in ihm als ein Conflikt darftellte, welcher vos 
Könige, beziehungsweife dem Kaifer und dem Oberhaupte der occidentalifchen Kirche 
als ein perfönlicher geführt wurde. Weber diefe Verhältniſſe f. man dem betreffenden 
Abfchnitt in dem oben citirten Buche von Riffel, befondere ©. 482 f., Hundeshage 
a. a. O. ©. 251 f. Damit verbinde man die Artt. „Kirchenftaat« Bd. VII. &.676f. 
und „Papſt⸗ Bd. XI. ©. 86 f, nebft der dafelbft angeführten Literatur. 

Rom, die Hauptmetropole der Oekumene, die einzige fichere apoftoltfche Stifter 
bes Decidents, war ſchon vor der Reception der Kirche durch Conflantin durch @x 
heimliche Chriftengemeinde ausgezeichnet und trat, nachdem hier zuerft nach dem Sim 
über Licinius an der Milvifhen Brüde das Chriftenthum Toleranz und dann bieffodt 
Gunſt erlangt hatte, alsbald an die Spige der ganzen Kirche des Occidents. Die di 
Ichöfe Roms erwarben in kurzer Zeit eine ſolche Macht, daß fie nicht nur über den 
geſammten Klerus eine große Autorität ausübten, fondern auch dem Kaiſerthume wit 


Entfchiedenheit gegenüber zu treten im Stande waren (m. f. die Artt. „Sirchenflaat” 


Bd. VIII. ©. 676 und „Papft« Bd. XI. ©. 87). Gerade darin lag aber auch Dt 
Grund zn neuen Vermifhungen, welche das PVerhältnig bald trüben fonnten. Bon 
Bedeutung mußte es fchon werben, daß die Kaiſer, indem ſie die Kirche mit ihre 
äußeren Gewalt unterflügten, fich Pfliht und Hecht dazu beilegten und daraus Gele 
genheit nahmen, auch nach ihrem Willen die Kirchlichen Angelegenheiten ordnen zu laflen. 
Die römifchen Bifchöfe führten diefelbe auch bald herbei, indem ſich Streit um bie 
Beſetung des Biſchofsſtuhls erhob umd die Vermittelung des Kaiſers dabei in Unſpruch 
genommen wurde. Ebenſo fehlte es nicht am anderen Anläſſen, welche eine Eimmiſchung 
des Staats veranlaffen fonnten. Auf der anderen Seite unterließ es der Gpiffopet 
aber and) nicht, fein eigenes Entfheidungsrecht zu behaupten und das Katferthum uf 
fein Gebiet hinzuweiſen. Im biefer Hinficht war 3. B. der Biſchof Ambrofins von Mat 


GStant und Rice 197 


isn fehe energiſch. So äußert ex in der Rede gegen Uurentine im Yahre 386 unter 
stern: Allegatur, imperatori licere omnia, ipsius esse universa. Respondeo: 
Foli te gravare, imperstor, ut putes, te in ea, quae divina sunt, imperisle ali- 
quod jus habere: noli te extollere, sed si diutius vis imperare, esto Deo subditus. 
Seriptum est: Quae Deo Dei, quae ÜCaesaris Caesari. Ad imperatorem palatia per- 
tinent, ad sacerdotem eoolesine. Publicorum tibi moenium jus commissum est, 
est, non macrorum —. Convenerunt me principes, viri consistoriales, ut basilicam 
traderem (Arianis); respondi, quod erat ordinis, templum tradi a sacerdotibus non 
posse. Dicentibus, imperatorem jure suo uti, respondi: si a me peterent quod 
meum esset, non refragaturum; verum ea, quae Dei sunt, imperatorise potestati 
non esse subjecte. Neo mihi fas est tradere, neo tibi imperator accipere exp6- 
dt —. Quid honorificentius, quam ut imperator filius eoclesise esse dioatur? 
qud eum dicitur, sine pecato dicitur; imperator enim bonus intra eoclesiam, 
non supra esclesiam est; bonus imperator quaerit auxilia eoclesise, non refutat —. 
Tributam caesaris est, non negatur. Eoclesis Dei est. ÜOsesari utique non debet 
add, quia ius caesaris esse non potest templum Dei — (Ambrosius ad Marcel- 
iinam sororem epist. [ep. 20. ed. Maurin,], vgl. cap. 21. 8. 4. 6. Cau. XXIII. 
ga VIIL). Golden Yeußerungen begegnet man gegen Ende des 4ten Jahrhunderts 
md bald nachher dfter, namentlich von Auguftin (m. f. z. ®. de civitate Dei Ub. 14. 
e. 4 u. 0.), Sierongmus u. A., wie diefe Riffel a. a. D. ©. 308 f. umd befonders 
Roflonkeh monumenta catholica pro independentia eoolesise a potestate caivili. 
Tom. L Quingue Eoolesiis 1847, u. a. mittheilen. Preili war damit bie rechte 
Stellung der beiden Mächte keineswegs auch faktifch herbeigeführt. Es fehlte die An- 
erkmumg der rechten Sränzen von beiden Seiten und darum auch nicht an Uebergriffen 
verieften. Bei den Erklärungen der Kaifer zu Gunſten der Kirche darf übrigens wicht 
vergefien werden, daß es gerade im Imtereffe der Herrſcher des weſtromiſchen Reichs 
damals Ing, den Biſchof von Rom für fi} zu gewinnen, weil bereits die Kraft ihrer 

Hegierung geſchwächt war und Einfälle der Barbaren drohten, welchen fie wicht mehr 
ohre Unterfiktung der Kirche zu begegnen vermochten. So erflärt fich auch der Erlaß 
des belzunten Edilte von Valentinian III. im Jahre 445, durch welches dem römifchen 
Primat ein bedeutender Borfchub gefchah (f. Novella Valent. III. tit. 16. de episoo- 
poram ordinatione, da8 Öfter gedrudt if. Man f. befonders Richter's Lehrbuch des 
Sichenrehts 8. 22. Unm. 3). Jedenfalls ward das Gelbfivertrauen der römifchen 
Firhenhäupter dadurch nicht wenig gehoben, und fie konnten Aeußerungen laut werden 
leſſen, welche zum Beweiſe für die damalige Obergewalt der Kirche über den Staat 
bohl angeführt werden können, wie dieß andy oft gefchehen if. Allein derfelbe erhellt 
kinesiwege im dem Maße, wie es bei oberfläclicher Wetrachtung der bloßen Worte 
angenommen werden dürfte. Wenn 3. B. der römifche Bifchof Gelaſins an dem Kaiſer 
Anaſtafſins im Jahre 494 fhreibt: Duo quippe sunt, imperstor auguste, quibus 
prineipaliter hio mundus regitur, auotoritas sacra pontificum et regalis potestas, in 
quibus tanto gravius est pondus saoerdotum, quanto etiam pro ipsis regibus Do- 
mino in divino reddituri sunt examine rationem. Nosti etenim.. . . quod licet 
praesideas humano generi dignitate, rerum tamen praesulibus divinarım devotus 
colla submittis, atque ab eis causas tuao salutis expetis, inque sumendis ooelesti- 
bus sacramentis eisque, ut oompetit, disponendis subdite debere cognoseis religio- 
nis ordine potius quam praeesse etc. (Mansi coll. ooncilior. VIII, 31. Roskoväny 
Le. pag. 8, vgl co. 10. dist. XCVT), fo darf nicht vergeffen werden, daß der ofl- 
timmifche Kaiſer damals anf Rom einen befonderen Einfluß zu üben nicht im Stande 
war. Nicht anders verhäft es ſich mit der Exrflärung der unter dem römifchen Biſchof 
Symmachus im Jahre 502 gehaltenen Synode, welche ein Berwerfungsurtheil Aber die 
Eingriffe Dbdoader’s und Aber die Nichtigkeit feiner Forderungen an die Kirche fällte. 
„liset — neo apud nos incertum habetur, hanc ipsam soripturam (Odoacris) mul- 


108 Stat und Rice 


lius esse momenti, verumtamen — conveniebat et in irritum deduci, ne in exem- 
plum remaneret praesumendi quibuslibet laicis, quamvis religiosis, vel potentibus 
in quacunque civitate quolibet modo aliquid desernere de ecclesiasticis facults- 
tibus, quarum solis sacerdotibus disponendi indiscusse a Deo cura commisse do- 
cetur. — Non plaeuit (leg. licuit), laicum statuendi in ecclesia praeter Papem 
Romanum habere aliquam potestatem, cui obsequendi manet necessitas, non aueto- 
ritas imperandi” (c. 1. dist. XCIV. co. 23. 24. Cau. XVI. qu. VIL), denn dieſer 


Schluß wurde erſt neun Jahre nad des Königs Tode gefaßt und übte auf den art 
[hen König Theodorich felbft feinen Einfluß, hinderte auch nicht feinen Enkel Arhalarid, 


entfchiedene Einwirkung auf die Beſetzung des römifhen Stuhls zu üben und fehh 


fländige Verordnungen über kirchliche Gegenftände (Simonie, Ehe u. a.) zu erlafle 
(fe Manfo, Geſchichte des oftgothifchen Neichs in Italien. Breslau 1824. ©. 141. 
264. 405 f.). 

Die Einfälle dee Germanen in Italien waren übrigens Rom und der Kiirche nidt 


hinderlich, denn die Bildung des Klerus behauptete doch ſtets ein gewiſſes Uebergewicht 





und mit der Zeit gelang es demfelben, die Sieger in den Schooß der Kirche zu führe | 
und derjenigen Rechte theilhaftig zu werden, welche früher die heibnifchen Priefler ge 


nofien hatten. Nachdem unter den germanifchen Stämmen die Franken has Uebergewicht 


erlangt und faft alle kleineren Volkerſchaften fich unterworfen, auch zumal feit ih 
Ehriftianifirung die Hechtsverhältnifie! gehörig geordnet hatten, wurde auch der Kirk: 
ein großer Einfluß anf die gefammte Verwaltung felbft gewährt. “Der hohe Fler 
nehörte nicht nur zu den königlichen Leudes, fondern die Könige felbft fanden es and 


fonft in ihrem Intereſſe, die Kirche und ihre Diener auszuzeichnen, weil fie durch die 
felben für ihre Herrſchaft im Volke ein fttliches Fundament erhielten. Für die kduig⸗ 


liche Autorität war es bon großer Bedeutung, daß die Ausſprüche der heiligen Schrit 
über den göttlichen Urfprung der Obrigfeit auf diefelbe angewendet und anerlannt wurder 
(f. Waitz, deutfche Verfaffungsgefh. Bd. II. Kiel 1847. ©. 143. 355 f.; vergl U 
bel, Gregor von Tours ımd feine Zeit. Leipz. 1839. ©. 323). Das Verhältniß vor 
Staat und Kirche im fräntifchen Reiche geſtaltete ſich aber in eigenthümlicher Wei 





Zunächſt fand feft, daß dem König auch die oberfie Gewalt in kirchlichen Angelegen⸗ 


heiten gebühre. Die Bifchdfe zu beflätigen, war ihnen unbeftritten (f. Wait a. angel 
D. ©. 356. 351). Schon zeitig gelang es ihnen aber, auch fürmlid; die Emm 
nung derfelben fich anzueignen (f. Lobell a. a. O. S. 393f.). Die Verfanmlunge M 
Geiſtlichen murden bald volfländig abhängig, denn wenn der König auf den Bald 
des Klerus nicht felbft die Convokation bewirken ließ, fo wurde diefelbe wenigſten det 
ihm genehmigt, und ohne feinen Willen durften fie nicht berufen werden, wie aud die 


Geltung der Befchlüffe von feiner Betätigung abhing (f. Röbella. a.D.6.321.3233% 


Waig a. a. DO. ©. 465 f.). Eine befondere Bereinigung des Staats und ber Kirk 
bildete ſich bier auch feit dem 6. Jahrhundert in der Inſtitution der fogen. coneilis 


mixta. Da die hohe Beiftlichfeit mit den weltlichen Optimaten die wichtigften Reicht⸗ 
angelegenheiten zu berathen hatte, lag es nahe, auch die kirchlichen Sachen, welche Aber | 


dieß mit den weltlichen fo vielfach zufammenhingen, zugleich in die Berathung au ziehen 
(j. Waig a. a. D. ©. 467). Dieß ward in Kurzem fo gewöhnlich, daß im Frühjaht 


und Herbft regelmäßig dergleichen gemifchte VBerfammlungen gehalten wurden. Ein am 
deres Zuſammentreffen der weltlichen und kirchlichen Macht zeigte fich befonders bei da 


Hebung der Gerichtöbarkeit. Den Bifchöfen war die geiftlihe Jurisdiktion wie Abe 
den Klerus fo auch über das Volk zugeftanden. Dabei wurden fie von dem weltlichen 
Richtern unterftügt, welche überall aushelfend hinzutraten, fo daß ſchon König Guntram 
im Jahre 585 ansfprechen konnte: Convenit ergo, ut justitiae et aequitatis in om- 
nibus vigore servato, distringat legalis ultio judicum, quos non corrigat oanonies 
praediostio sacerdotum (Ediotum Guntramni in Pertz Monuments Germaniae Tom.°- 
pag. 4). Auch entflanden im Anfange des 7. Iahrhunderts judicia mixte, inden 





Etset aub Rise 109 


ve Demtheilung der Geiftlichen, welche gemeine Berbrechen verwirkten und anfangs nur 
vom wehtlichen Richter unterlagen, unter Zuziehung der Bifchdfe erfolgen follte (f. dem 
&t Geiſtliche Serichtöbarleit Bd. V. &. 71). In allen Fällen blieb aber dem Kb⸗ 
ige die höchfe Gerichtsbarkeit. So war überhaupt die Kirche in jeder Hinſicht vom 
Suete abhängig umd ihm fland die Obergewalt zu: dem felbft, was fonft den Einfluß 
der Kirche zu erhöhen fehr geeignet war, der Beflg großer Reichthümer, da nad und 
ac der dritte Theil des rundes und Bodens in die Hände der Kirche gekommen war 
(m |. Roth, Geſchichte des Beneficialweſens. Erlangen 1850, ©. 246 f.), mußte bazu 
diesen, fie immer abhängiger zu machen, und gab zulegt (am Aufange des achten Jahr⸗ 
hunderte) Beramlafiung bald zu einer fürmlichen Säcularifation diefer ®üter, bald zur 
Begrimdung von Beneficialverhältnifien, durch melde die Freiheit der Kirche nur noch 
uhr beeinträchtigt wurde. 

In Italien hatte ingwifchen der römifhe Stuhl ebenfalls feine Macht nicht in dem 
Umfunge eutwideln tünnen, als es allem Unfcheine nach hätte gefchehen ſollen. Durch 
de üebergeiffe der Fremdherrſchaft in Ron mar das Wachtthum der kirchlichen Autos 
ruht derchens gehemmt worden und nichts lag jeht näher, ale vom fräntifchen Reiche 
ea fderndes Gegengewicht zu erlangen. Allein eine engere Berbindung mit dem» 
felhen war bis zur Mitte des achten Jahrhunderts nicht eingetreten, obwohl die Hänpter 
ber rimiſchen Riche ſich bemüht hatten, eine ſolche herbeizuführen. Erſt die Exchebung 
hiypirs des Meinen zur Rönigswürde, welcher der Herrſchaft der Merobinger mit 
Hllfe der Kirche ein Ende machte, begründete einen Auſchluß, welder im Laufe der 
det ce wefentliche Beränderung der bißherigen Berhältniffe zwiſchen Staat und Kirche 

im Stande war. Zunächſt trat infofern eine gänfligere Stellung der 
infikden Lirche ein, als ungeachtet der Fortdauer der früheren Abhangigleit vom 28. 
une, do die Berbindung mit Rom herbeigeführt und eine geregeltere Berwaltung an- 
Yarbaet werden Tomte. Anch ließ Pippin davon ab, die von den merovingifchen Königen 
ſo dielfeh veräbten Mißbränche und Bewoltthätigteiten weiter in Anwendung zu bringen. 
Koi mehr geſchah dieß aber unter Karl dem Broßen, umter deffen fegensvoller Regie» 
zung die Herſtellung des vechten GOleichmaßes angeficebt wurde. (Man f. den Artikel 
„Rarl vr Große⸗ Bd. VIL ©. 879 f. Gieſebrecht, Geſchichte der deutfchen Kaifer- 
“,d.L 6. 105 fi. Waitz, deutfche Verfaffungsgefch. Bd. III. u. IV. Döllinger, 
daB Raiferthum an des Großen umd feiner Nachfolger, in dem Münchener hifter. 
dahrbach 1865, ©. 299 f.). Bon den einfinfreichfien Folgen wurde hierbei aber bie 
Öerfleflung des "halfen Kaiſerihums und die Galbung und Krönung Karl's in Rom 
von Les III. Der Gedanke, welcher feit Begium den großen Kaifer ergriffen hatte und 
wien Vollziehnng ihm bei allen feinen Unternehmungen leitete, war die Begründung 
cines chriſtlichen Staats, gewiſſermaßen des Reiches Gottes auf Erden, worin Ein Wille 
br leitende fern follte, indem er ſelbſt ſich eigentlich als Vertreter Gottes betrachtete. 
du einem Schreiben au Leo W. im Jahre 796, als derſelbe ihm von feiner Beſteigung 
"8 zömiihen Stuhls Anzeige gemacht hatte, entwidelte Karl feine Anfiht über die 
oegenfeitigen Beziehungen zwiſchen Kirche und Staat in ſehr beſtimmter Weiſe, in welcher 
bie oben angeführten Worte des Kaiſers Juſtinian im einer anderen Wendung wiederzu⸗ 
kiren fcheinen. „Nostrum est, secundum auxilium divinae pietatis, sanotam ubique 
Christi eoclesiam ab inoursu paganorum et ab infldelium devasistione armis defendere, 
boris et intas catholicae fidei agnitione munire. Vestrum est, sanctissime pater, 
devatis ad Deum cum Moyse manibus, nostram sdjuvare militiam, quatonus vobis 
interosdentibus, Deo dustore et tutore, populus christianus super inimioos sui 
nacti nominis ubique habeat viotoriam et nomen domini nostri Jesu Christi toto 
in orbe. Vestrae vero auctoritatis prudentia oanones ubique sequatur, 
Tatenus totius sanctitatis ezempla omnibus evidenter in vestra fulgeant oonver- 
"tione, et sanotae exhortatio audistur ab ore, quatenus sic luosat lux vestra 
am hominibus ut videant opera vestra bona, et glorificent Patrem vestrum qui 


110 Stant und Kirche 


- in coelis est” (Baluzius, Capitularia Tom. I. p. 271 eq.; Walter, corpus juris gar- 
manici, P. II. p, 124). Karl betrachtete fi) als den von Gott eingefettten Herrſcher, 
dem die Verbreitung des Chriftentyums, die Erweiterung und der Schutz der Kirqhe 
übertragen worden, wogegen die bereits vorhandene Kirche ihn mit dem ihr zuftchenden 
geiftlichen Mitteln zu unterflügen verpflichtet fey. Diefer Anfchauung gemäß drüdte 
Karl es wiederholt aus, er fey gratia Dei rex regnique Francorum reotor et devotus 


sanctae eoclesiae defensor atque adjutor’in omnibus apostolicae sedis; wie auch de 
Kaiferwürde ihm von Gott verliehen fey; ‚daher nennt er fi) divino nutu coronatw 
a Deo coronatus. Daß er mit der Kirche auch dem Bifchof don Kom Hülfe zu leikn 
habe, erklärte er bei verfchiedenen Anläſſen, allein er betrachtete denfelben doch als ım 
ihm abhängig, der fich in einer kaiferlichen Stadt befinde und ihm, dem Kaifer, u 


Rechenſchaft verpflichtet fe, Wie er in dem obigen Anfchreiben den Pabſt daran e- 
innert, daß ihm die Befolgung der Canones obliege, fo fchärfte er noch befonders im 
einem Commonitorium dem Ungilbert, dem Gejandten Leo’, ein: Admoneas cum di. 
ligenter de omni honestate vitae suse et praeocipue de sanctorum observatione @- 


nonum, de pia sanctae Dei ecclesise gubernatione. Auch war ber Pabſt nur ae 
höchfte Kleriler des Reichs, den der Kaifer zu beftätigen hatte, was nach einem fpätem 
Berichte eine römische Synode dekretirt haben fol, und über weldhen der Kaiſer dab | 


Gericht zu hegen hatte. Dem Kaifer ſtand ja überhaupt die hödfie Yurisdiktion zu, 
weßhalb.an ihn die Jepte Berufung ging. Das 794 zu Frankfurt erlafene Capituine 
enthält darüber in c. 6. (Pertz, Monum. Germ. Tom. III. p. 72) folgende Borfärift: 
Statutum est a domno rege et sancta synodo, ut episcopi justitias faciant in sus 
parochiss. Si non oboedierit aliqua persona sua de abbatibus .. . . et celericis, 
vel etiam aliis in ejus parochia, veniant ad metropolitanum suum et ille dijudiest 








causam cum suffraganeis suis. Comites quoque nostri veniant ad judicium epis 


coporum. Et si aliquid est quod episcopus metropolitanus non possit oorrigere 
vel pacificare, tuno tandem veniant sccusatores cum accusatis cum litteris metr«- 
politano, ut sciamus veritatem rei. Der Kaiſer war aud) zugleich der höcdhfte Bei 
geber und Regierer. Die Kirche felbft erfannte dieß unzweideutig an. So wurde af 
der im Jahre 813 zu Mainz gehaltenen Synode der Ausfpruch gethan: Gratiss ag- 
mus Deo, qui sanctae ecclesise suae tam pium ac devotum in servitio Dei os 
cessit habere reotorem, qui suis temporibus sacrae sapientiae fontem aperiens, 01 
Christi indesinenter sanctis refieit alimentis ac divinis instruit disciplinis (Hart 
heim, Concilia Germaniae Tom. I. p. 406). Ebenda wurde anerlannt, dag a bi 
Canones zu beftätigen und erforderlichen Falls zu ändern habe: De his omnibus nie 
indigemus vestro adjutorio, atque sana doctrina, quae et nos jugiter admonest U 
que clementer erudiat, quatenus ea, quae paucis subter perstrinximus capituli, # 
vestra auctoritate firmentur, si tamen vestra pietas ita dignum esse iudicaverit; A 
quicquid in eis emendatione dignum reperitur, vestra. . . imperialis dignites jr 
beat emendare. Karl entjchied aber auch theils perfänlich, theils unter Beirath de 
MWürbeträger der Kirche und des Staats nicht nur über die gefammte Ordunng dei 
Volls, der Laien wie der Geiftlichen, wie dieß eine große Zahl feiner in den Capiie 
larien enthaltenen Vorſchriften beweiſt, wie er denn auch durch Mittheilung des im 
vom Pabſte Hadrian im 3. 774 gefchenften Codex canonum Dionysiü (f. den 
„Ranonenfammlungen“ Bd. VII. ©. 306) im fräntifchen Reiche die Einführung de 


sÖmischen Kirchenverfaſſung veranlaßte, fondern von ihm gingen auch befondere Bei 


mungen über die wifjenfchaftliche und kirchliche Exziehung und Ausbildung der Kleriler ui 
(vgl. die Enoyclica de literis oolendis vom 9.787, dat Capitulare eoolesiastioum von 789, 
cap. 71., das Capitulare in Theddonis villa, cap. 2—4., da® Capitulare Aquisgranens® 
von 811, in Pertz, Monumente Germaniae Tom. ILL p. 52. 65.131.166 ff.). Das legiet 
enthielt beftinnute wiffenfchaftliche Aufgaben für dem Klerus (vgL Rettberg, Kirchengeſch 
Deutichlauds I, 488). Nicht minder verfügte ex über den Gottesdienft im Wllgemeinen 





test und irche 111 


mißeienderen. (Ran ſ. vornehmlich die Encyclica de emendatione librorum et off? 
sırım ecclesiasticorum vom 9.782, da6 Capitulare ecclesissticum von 789, 0. 60., 
die Ensyclios de jejuniis generalibus von 810, die Exoerpta canonum de offcio 
prsedivationis, ut juxta quod intelligere vulgus possit von 8165, o. 14., ſammilich 
in Pertz, Monumenta Germanise Tom. III. p. 44. 45. 64. 164. 165. 190 u. v. a.), 
Sek über da6 Dogma traf er Enticheidungen, wie über den Ansgang des heiligen 
Geiftes vom Sohne, beim adoptianifhen Streite u. a. (m. f. deshalb Biefeler, Kirchen- 
gelhichte Op. IL. Abth. 1. 88. 12 m. 18). Bei allen diefen Verfügungen war Karl 
bemüht, den Conflikt mit der Kirche zu vermeiden; vielmehr nahm er darauf Bedacht, 
durch einträchtige und gemeinfame Einrichtungen für ben Frieden zu forgen, daher er 
die viſchdfe, Aebte und Grafen bei der Bollziehung der Wufficht, wie der Gerichtebar⸗ 
kit Hand im Hand zu gehen befahl (m. f. 3. B. COapitulare Mantuanum von 781, 
& 6, bei Berg a. a. DO. ©. 41: Vt quando episcopus per sus parochis circate fe- 
rit, eomite vel sculdas adjutorium prevest, qualeter ministerium suum pleniter 
perlvere valeat sesundum canonicam institutionem. Capitulare ecclesiasticum von 
i, «61. Oapitulare Aquisgranense von 811, c. 4. Exoerpta oanonum bon 818, 
9. 10. (n Bay a a O. ©. 64. 166. 189): 1053 pax sit et eonoordia inter 
einopes et comites, ut religuos olericos et laicos —. Ut oomites et judioes sen 
reiguos populos oboedientes sint episcopo, et invioem oonseutiant ad justitias 
iendss u. a. m.). Undererfeits fuchte er beflehende Bereinigungen anfzuheben, bie 
& fir ungoedmäßig halten mußte, uud gewährte ber Kirche wie dem Staate bie er⸗ 
winiäte Selbfiftändigfeit. Deshalb ließ er die ooncilia mixta nicht ferner zufanımen- 
teten, fondern indem ex bexorbnete: Inprimis separare volumus epissopos, et ab- 
beies, et comites nostros, et singulariter illos alloqui (m. f. Capitulare Aquisgra- 
nense bu Bil, c. 1., bei Perg a. a. O. ©. 166 und zur Erlklaͤrung ber Eitelle 
Bine, de ordine palatii cap. 35. Eichhorn, dentſche Rechtsgeſchichte 8. 162), bil- 
ie er gu Kurien, in denen Geiſtliches und Weltliches gefondert berathen wurde. 
Die ven Karl den Großen getroffenen Einrichtungen konnten fidh unter der ſchwachen 
kei, feiner Rachfolger nicht für die Dauer behaupten. Es war bieß ſchon darum 
nicht mösfih, weil die Auficht, daß dem Inhaber der weltlichen Macht die hochſte Stelle 
im Ariffichhen Staate gebühre, keineswegs allgemein herrfchte, ja daß gerade die Gebil. 
tetfien bereit ber Meinung waren, der Borzug fe überhaupt der Kirche und mithin 
auch dem an Chriſti Stelle diefelbe regierenden Bifchofe von Rom zuzugefichen. So 
batte foger der Karl dem Großen nahe ftehende Alcuin demfelben gegenüber fid, zu 
alien fein Bedenlen getragen: denn in einem Briefe an ihn aus dem Jahre 799 
inert ee: Tres personae in mundo hucusque altissimae fuerunt: Apostolica sub- 
Imites, quae Beati Petri, principis apostolorum, sedem vicario munere regere 
ulet..... Alias est Imperialis dignitas et secundae Romae secularis potentia 
ER Tertia est Regalis dignitas et secundae Romse secularis potentia . ..... 
in que Vos Domini nostri Jesu Christi dispensatio reostorem populi ohristiani 
Unposnit, oeteris praefatis dignitatibus potentia excellentiorem, sapientia ola- 
fiotem, regni dignitate sublimiorem (epistola 80.; vergl. Lorentz, „Ulcnin’s Leben. 
dulle 1829. 2.6. 43). Indem er dann Binzufägt: Eooe in te solo tota salus Eoole- 
sarum inolinata resumbit, — erfennt er, um bie ettvaige Krankung in jener Wenßerung 
aufzuheben, die hochſtperſoͤnliche Würde des Königs am, bemüht, bie geringere Rang- 
Rellung deffelben dadurch für ihn wicht verlegend werben zu laſſen. Wie hoch er dem 
tiutichen Biſchof überhaupt flellte, zeigte ex aber and, bei anderen Belegenheiten, fo 
bem ex im 92flen Briefe den Satz vertheibigt, daß der Biichof von Rom als das 
put eoelesiarum Christi dem Gerichte keines Menſchen untertvorfen fey, während er 
ſelbſt über alle ge urtheilen berufen fey: denn sedem Apostolioam iudiciariam esse, 
ven jadicandam. Zwar hat Karls Sohn, Ludwig ber Fromme, nodı die ee vos bes 
deters nicht fallen laſſen, daher fpricht er in dem Oapitulare ad episoopos et omnem 


112 Staat und Kirche 


populum im Jahre 825 (f. bei Pert a. a. O. ©. 243 f.) fich über das Ziel feiner 
Regierung und über feine Würde folgendermaßen ans: Quoniam complacuit divinae 
providentise nostram mediocritatem constituere, ut sanotae suae eccleniae et regni 
huius curam gereremus . .... . optamus, ut tria specialiter capitula ..... . in hujus 
regni administratione specialiter conserventur.... Sed quamquam summa hujus 
ministerii in nostra persona consistere videatur, tamen et divina auctoritate 
et humana ordinatione ita per partes divisum esse cognoscitur, ut unusquisque 
vestrum in suo loco et ordine partem nostri ministerii habere cognoscatur. Unde 
apparet, quod ego omnium vestrum admonitor esse debeo, et omnes vos nostri 
adjutores esse debetis. Nec enim ignoramus, quid uniouique vestrum in sibi com- 
missa portione conveniat. Indem er die nun in befonderen Anwendungen weite 
ausführt, fpricht er über die Funktionen aller Beamten in der Kirche und im Staat 
und gibt den Bifchöfen, Grafen u. f. w. die Richtfchnur, welche fie zu befolgen haben, 
damit fie wahrhaft als feine Gehülfen in der ihm obliegenden Verwaltung betradtet 
werden konnen. Im gleicher Weife ermahnt er fie auch zum einheitlichen und fried⸗ 
lihen Zuſammenwirken: Episcopi vel comites adinvicem et cum veteris. fidelibns 
conoorditer vivant, et ad sus ministeria peragenda vicissim sibi adjutorium ferant. 
Das Berhältnig zum xömifchen Stuhle änderte er auch principiell nicht, wie er im der 
Constitutio Romana bom J. 824 und dem dazu gehörigen sacramentum Bomanorum 
(fe Berk a. a. O. ©. 239. 240) fich die Eufcheidung vorbehielt, Vorſchriften über 
die Wahl des römifchen Biſchofs traf u. a. m. Indeſſen mußte fid) doch die Praxit 
ganz anders geftalten, da die vorzüglichere Stellung der Kirche immer allgemeiner an 
genommen wurde. ALS im Jahre 829 in den vier heilen des Reichs Synoden ge 
halten waren, deren Befchlüffe man zufammenfaßte, um daraus einen Bericht an ben 
Kaiſer abzuflatten, erllärte man demfelben: Quod universalis sancta Dei ecclesia unum 
corpus ejusque oaput Christus sit. —, Quod ejusdem ecclesise corpus in duabus 
principaliter dividatur eximiis personis. Principaliter itaque totius sanotae Dei 
eoclesise corpus in duas eximias personas, in sacerdotalem videlicet et regalem, 
siout a sanctis patribus traditum accepimus. Bon diefen beiden Perfonen wird hie- 
anf der priefterlichen der Vorrang eingeräumt und zum Beleg dafür auf die Aeußerung deb 
zömifchen Biſchofs Gelaſius an den Kaifer Anaftaftns (f. oben) Bezug genommen, auch di 
Autorität des Fulgentius herbeigegogen: Quantum pertinet ad hujus temporis vitem, 
in ecdelesia nemo pontifice potior et in seculo christiano nemo imperatore altior 
invenitur —. Cum hass quippe ita se habeant, primum de sacerdotali, post & 
regali persona dioendum statuimus (f. Perg a. a. O. S. 333. Man verbinde kat 
die im Jahre 829 gehaltene Parifer Synode lib. I. cap. 3. lib. III. cap. 8. m. 0). 
Diefe Säge wurden allgemein in der Kirche gebilligt, bald auf den folgenden Kirchen 
verſammlungen wiederholt (m. f. 3. B. die Synode zu Aachen von 836 in der Prne 
fatio, bei Hartzheim, Concilia Germanise Tom. IL p. 75. 76) und dem ſich nen gr 
ftaltenden Kirchenrechte zu Grunde gelegt: denn in diefen Gedanken ruht weſentlich mit 
das pſeudo⸗ iſidoriſche Syſtem, welches die Herrſchaft des Klerus über die Laien, de 
Kicche über den Staat in den verfchiedenften Wendungen auszuführen bemüht war (vgl. 
Hinschius, Decretalee Pseudo -Isidorianse, Lips. 1863, in der Einleitung, befonder? 
pag. OOXVIL sq.). Daß diefe® Syſtem dazu beitrug, mehrfache Aenderungen im den 
bisherigen Zuſtänden durchzuſetzen, davon liegt der Grund in der damaligen Ohnmacht 
und Unfähigkeit der weltlichen Gebieter und in ber Unterwerfung derſelben unter die 
Hierarchie, von der fie eine Stüge für ihr Regiment erlangen zu können glaubten. Die 
bon dem Klerus andgefprochene Behauptung, daß erſt die priefterlihe Salbung te 
Königen ihre hohe Würde verleibe, wurde bald vou den Königen felbft anerkannt, um 
damit die göttliche Autorität ihrer Stellung darzuthun. Aulaß dazu hatte bereits Ludwig 
der Fromme gegeben, welcher, nachdem ex fchon im J. 818 dem Verlangen bes Bater! 
gemäß fidh die Krone anfgefegt hatte, ſich 816 nochmals von Stephan IV. zu Rheimt 


Staat und Kirche 113 


könn ieß. Wie biefe kirchliche Weihe gefhägt und benugt wurde, zeigt Ludwig LI. 
in Jahre 871, Indem ex dem Kaiſer Bafilius dem Wacedonier fchrieb: Unctione et 
swstione per summi Pontificis manus impositionem divinitus sumus ad hoo cul- 
nen provecti. — Carolus abavus noster unctione huiusmodi per summum Ponti- 
fcem delibatus primus ex gente et genealogia nostra — et Imperator dictus et 
Christus Domini factus est —. Si calumniaris Romanum Pontificem, quod ges- 
serit, calumniari poteris et Bamuel, quod »preto Saulo, quem ipse unxerat, David 
in regem ungere non renuerit (Muratori scriptores rerum Ital. Tom. IV. P. I. 
p 243. Ömmdeshagen a. a. D. ©. 257. 258 Anm.). Daher iſt es auch ganz natlr- 
ih, daß die roͤmiſchen VBifchdfe ſelbſt die Nothwendigkeit ihrer Mitwirkung bei der 
Vahl des Kaiſers geltend zu machen nicht unterliegen. So rechtfertigte gleich nach dem 
Zode adwig's IL. Johann VIIL. die Krönung Karl's des Kahlen gegen die Beſtre⸗ 
bangen Ludwig's des Dentfchen, indem er im Jahre 876 in dem Schreiben an die 
Biihdfe im Reiche Ludwig's (f. epist. 315. bei Mansi coll. oonciliorum Tom. 17. 
ag. 227) erflärte: — imperium, quod Carolo constat non humano collatum bene- 
ff, jest per nostrae mediocritatis ministerium, sed divino —. Deus per aposto- 
lese sedis privilegium, cunctorum favoribus approbatum sceptrum imperialibus 
mblmevit (verb. damit epist. 316. a. a. D. ©. 230 u. a.). Daraus fonnte aud) 
licht gefolgert twerden, daß das Priefterthum und die Kirche über dem Staate ſtehe: 
mm et tanto est dignitas Pontificum major quam regum, quia reges in culmen 
regium sacrantur a Pontificibur, Pontifices autem a regibus consecrari non possunt, 
et tanlo gravius est pondus Sacerdotum, quam regum, quando etiam pro ipsis 
regibus in divino reddituri sunt examine rationem (cap. 1. Conc. apud Macram. 
‚vom 3. 881 bei Manfi a. a. O. Tom. 17. p. 538). 

Aus dieſer Auffafiung folgt indeffen noch keineswegs, daß der Kirche und bezie⸗ 

Yaeeie dem Biſchofe von Rom zugleich die Leitung der weltlichen Angelegenheiten 
je mt überwwiefen ſey, indem vielmehr Stimmen laut wurden, welche die Unabhän- 
Pikett beider Gewalten in ihren Gebieten beharrlich vertheidigten. So führte Hincmar 
ou Mheint (+ 881) in feiner Schrift de potestate regia et pontiflcia bieß näher 
eus und erflärte: Christus suos volens medicinali humilitate servari, non humana 
sıperbia rursus depravari, ut militans Deo minime se negotiis secularibus impli- 
eatet, ac vicissim non ille rebus divinis praeesse videretur, qui esset negotiis se- 
eularibus implicatus. Daher trat derfelbe auch als Vertheidiger Ludwig's IL. gegen 
debrian IL auf und äußerte im Jahre 870: (domnus Apostolicus) Rex et Epis- 
eopus simul esse non potest, et sui antecessores ecolesissticum ordinem, quod 
mm est, et non rempublicam, quod Regum est, disposuerunt —. (epist. ad Ha- 
drianum bei Bouquet, scriptores Tom. 7. p. 537). Aud auf Synoden wurde in 
gleicher Weife die Unabhängigkeit beider Seiten entfchieden behauptet. So heit «6 
Namentlich in der zu Troeley im Jahre 909 gehaltenen Synode (bei Manfi a. a. D. 
Iom. 18. p. 267): Pontificalem sio exserimus auctoritatem, ut non obliviscamur, 
fegiam a Deo constitutam esse sublimitstem. Sicut enim regalis potestas sacer- 
dotali religioni se devote submittit: sic et sacerdotalis auctoritas cum omni pie- 
ktis officio se regsli dignitati subdere debet, sicut ostendit Gelasius: Duo sunt 
fm. (die obige Stelle an Anaſtafius). Ergo quia et rex pro aeterna vita in- 
Üget pontifleibus, recta, sancta et justa suadentibus; et vicissim a pontifieibus ob- 
«üiendum est Regi, pietatis cultui religione, jure et solatio servienti. 

Mit befonderer Berädfihtigung der nun folgenden Jahrhunderte if} das Berhältnig 
behandelt im: Friedberg, de finium inter ecclesiam et civitatem regundorum judicio 
qud medii aevi doctores et leges statuerint. Lipsise 1861. Dan fehe aber auch 
keſonders F. Forſter, die GStantslehre des Mittelalters, in der Kieler allgemeinen Mo- 
aeſchrift, Jahrg. 1853 S. 832 f. 922 f. 

In der Zeit der Berrüttung der politifchen mie kirchlichen Berhältniffe feit dem 

Heal » Eucpkiopänie für Tyeologie und Kirche. Guppl. IL v 


114 Staat und Rirde 


Ende des 9. und dem Anfange des 10. Jahrhunderts konnten den hier ausgefprocenen 
Srundfägen gemäß die Zuflände in Staat und Kirche nicht geordnet werden, umd nidt 
felten entfchied bald der Zufall, bald die leitende Verfönlichkeit der Machthaber über 
das Vorherrfchen der einen Anftalt über die andere. In Italien und Rom war bie 
fortfchreitende Entwickelung durd den Kumpf der Parteien gehemmt und die Eintirkmg 
Deutfchlands momentan unterbrohen. Auch; waren die damaligen Inhaber des apoſto⸗ 
liſchen Stuhls fo wenig geeignet, die vorhandenen Schwierigleiten zu überwinden, fo 
daß die Lage der Kirche felbft eine immer troftlofere wurde. In Oftfranlen war & 
nulf bemüht, die Ordnung zu befefligen, und ſprach fidh darüber auf der unter ſein 
Leitung zufammengetretenen Synode zu Tribur im Jahre 895 alfo aus: Tractan 
practice de statu regni et theorice de ordine et stabilitate ecelesiarum Christi.... 
Nos, quibus regni cura et sollicitudo ecclesiarum Christi commissa est, aliter reg- 
num ut imperium jure ecclesiastico regere et gubernare non possumus, nisi hoe, 
qui ecclesiam Christi ... . conturbant, zelo fidei persequamur (f. Berg a. a. O. 
©. 560. 561). Die Macht der Kirche war indefjen doch ſeitdem fehr gefunten un 
die Befeftigung derfelben gelang nicht fo leicht. . Indeffen Hatten Heinrich I: und bi 
Herzöge in größerer freiheit dafür nicht unnütz Sorge getragen und eine Zeit vom 
bereiten helfen, welche feit Otto I. eine neue Befeftigung herbeiführte. Freilich kommt 
die Kirche die vorher geübte Herrfchaft jegt nicht behaupten, und die neue Bereit. 
gung der Kaiferwürde mit dem bdeutfchen Königthume dur Otto war wohl geeignd, 
die Abhängigkeit herzuftellen, welche feit längerer Zeit aufgehört hatte. Auf die Wall 
des römischen Bifchofs erhielt der Kaifer den früheren Einfluß, wogegen er zuglad 
dem apoftolifchen Stuhle feinen Schuß verhieß. (Die Richtigkeit der Thatſachen kam 
nicht bezweifelt werden, die Wechtheit der darüber vorhandenen Urkunden unterliegt abe 
gegründeten Bedenken; m. ſ. c. 23. 33. dist. LXIIL; den Art. „Leo VIII.“ Bd. VII 
©. 317 und vgl. Floss, Leonis Pont. VIII. privilegium de investituris Ottoni l. 
Imperatori ooncessum etc. Friburg. Brisgav. 1858 und zugleich in deutfcher Ver 
beitung.) Bis zur zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts war jest der Staat entſchiede 
im Bortheil und die Kirche in einer von deffen Willen abhängigen Stellung. De 
Raifer beftimmte über Ein» und Abfegung der Päbfte, welche auch meiftens nicht di 
Fähigkeit befaßen, den wirklichen Bedürfniffen der Kirche entgegen zu kommen (man | 
Hefele, die Päbfte und die Kaiſer in den trübſten Zeiten der chriftlichen Kirche, in Mm 
Beiträgen zur Sirchengefchichte u. f. w. Bd. I. Tübing. 1864. ©. 277 f.). Den de 
theil der Kirche zu fördern, flellten die Kaifer aber als das von ihnen befolgte Asa) 
anf, wie denn Otto III. in der Constitutio Tieinensis von 998 (f. Berg a. O. 
Tom. IV. p.37) erflärt: Omne jus, sive lex, sive quodlibet scriptum, vel quaelibe 
consuetudo, si contra ecelesiae utilitatem fuerint, in irritum deducenda sunt; m) 
Heinrich IL. dem Banne die Acht folgen ließ und keinem Verleger der Kirche weltliches 
Trieden zu gewähren gebot. In den zu Pavia 1022 publicirten Geſetzen heißt es dar 
über: Mox eum insequetur stylus proscriptionis, quem mater et magistra nosit 
ecclesia vulneravit gladio maledietionis. — Sed neque honorabitur in palatis 
qui ecelesiam palatii matrem non erubuit impugnare (f. Leges Papienses cap. !. 
bei Perg a. a. ©. Tom. IV. pag. 561). Die Kirche verfäumte aber niemals, in 
irgend einer Weife die von ihr früher geltend gemachte Prärogative in Anſpruch 32 
nehmen. So fchenkte Benedikt VILL im Jahre 1014 Heinrich IL einen goldenen Apfd, 
welcher mit Afche gefüllt war, über welchem aber ein Kreuz ftand, um zu bezeichnen, 
daß die Erde, welche der Apfel darflellte, von der Kirche, deren Symbol das Kran ill, 
beherrfcht werde (ſ. Glaber Radulphus, historiae sui temporis lib. I. cap. 5.). 
Unter der Obhut des deutfchen Kaiferthums hatte ſich allmählich die Kirche wieder 
erholt. Die Macht der Bifchdfe war größer geworden, feit diefelben mit ihrem geif- 
fihen Regiment auch weltliche Rechte hatten vereinigen können. Dieß geſchah vornehmliq 
dadurch, daß ihnen beſtimmte Theile der bürgerlichen Regierungsgewalt (regalic), 1% 


Etant und Kirche 116 


keimtee bie Grafenrechte und zugleich ganze Grafſchaften verliehen wurden. Nach 
vom Borgange Otto’ I. geſchah dieß dfter und die Bisthümer wurden fürmliche Ter⸗ 
rierien (ſ. Beifpiele bei Gieſeler, Kicchengefh. Bp. IL Abth. 1. 8. 24. Uum. 2.). 
Ya Rom ſelbſt trat auch endlich ein Umfhwung ein. Nach dem Tode Damafus II. 
im Jahre 1048 erhob Heinrich III. feinen Better Bruno, Bifchof von Zoul, zum Nadı- 
felger deſſelben, welcher als Leo IX. ſich den Interefſen des römifchen Stuhls mit 
Eifer und Erfolg widmete (f. den Art. Bd. VIIL ©. 316 f.). Die Curie erflartte 
aumche derzüglic, unter dem Einfluſſe des Clunyſchen Monche Hildebrand, welcher 
als pabſtlicher Rathgeber eine bedeutende Wirkſamkeit entwidelte. Er bewirkte, daß Ni⸗ 
land IL im Jahre 1059 die Pabſtwahl der Entſcheidung des Kaiſers entzog und in 
vie Hände bes Presbyterinms der vömifchen Kicche, des Cardinalcollegiums, legte, fo 
deß dem Kaiſer nur die formelle Veftätigung des bereits Erkorenen verblieb (ſ. d. Urt, 
„Bepfwahl- Bd. XI ©. 94). Die Befeitigung anderer Beſchränkungen war gleich. 
hils vorbereitet umd Hildebrand konnte num für die Ausführung unmittelbar thätig 
werden, nachdem er als Gregor VIL im Yahre 1073 felbft den pähfllichen Stuhl be- 
Key hatte. Kein xömifcher Biſchof hat vor ihm den Plan der Hierarchie in dem 
Dıke feſtgeſtellt und die Mittel zur Vollgiehung beffelben fo beſtimmt bezeichnet und 
aamenden verfucht, als diefer Pabfl. Nachdem die freiheit der Wahl der Biſchoöfe 
Roms bereit6 erlangt war, fchien es ihm nothwendig, den Einfluß der Weltlichen auch 
auf die Beſetzung der übrigen Bisthümer und Wbteien, wie felbfi der gewöhnlichen 
Beneficien zu befeitigen. Deshalb war er bemüht, zunörderft die bisherigen Mißbränche 
hierbei aufzuheben, die Simonie abzufchaffen und dann die Laien ganzlich audzuſchließen. 
Nahen ſchien es nothwendig, die Mbhängigteit des Klerus vom Bolte völlig herbei. 
währen, und dieß konnte nad, feinem Ermeſſen nicht anders gefchehen, als daß er jede 
Being der Geiftlichen zn den Laien dadurch aufhob, daß er die älteren Borfchriften 
der Rinde über Die Ehelofigkeit des Klerus fixeng einfchärfte und die Anſtellung ver⸗ 
watheier derſonen in geiftlichen Wemtern unterfagte: nam non liberari potest eoolesia 
a serriiute laicorum, nisi liberentur clerici ab uxoribus (Gregorii epist. lib. III 
2.7), Das geſammte Intereſſe des Klerus follte alfo nur auf die Kirche hingeleitet 
werben, zab zwar im concreter Geſtalt auf den Pabſt, als den NRepräfentanten ber 
Rinde ſelbi. Diefe Kirche follte aber als einzige, Ibchſte herrſchende Macht befichen, 
boza fie berechtigt fen, da nur fie einen göttlichen Urſprung habe, während alle welt, 
lihen Iaflitute, vornehmlich der Staat felbft, irdiſchen Urfprungs feyen und allein da⸗ 
bacdı zur Eriſtenz berechtigt würden, daß die Kirche ihe Beſtehen billige und daß fie der 
Birhe zu dienen beflifien feyen. Auf diefe Weiſe follte eine neue Theofratie als Uni⸗ 
vefelmnardyie begründet werden, in welcher alle Autorität fi im Pabſte vereinige, 
delcher die Beftandtheile derfelben dem Bedürfnifſe gemäß wie an die Diener der Kirche, 
0 det Staates zu verteilen habe. Im feinen Werken, vorzüglich feinen Briefen, einer 
großen Zahl von gefeglichen Auordnungen und dann in dem von ihm herrährenden Dicta- 
tus finden fi im einzelnen Aumwendungen diefe Grundfäge beftimmt ausgefprocdhen (man 
. den Urt. „Bregor VIL“ in Bd. V. ©. 834 f., den Urt. „PBapfl« Bd. XL ©. 89f. 
med die daſelbſt citirten Stellen). 

Diefe Auffaffung fand aber ſchon damals und mehr nod) fpäter vielfachen Wiber- 
Ira, und nicht mur von Laien, fonderg auch vom Geiftlichen felbft, theils folchen, 
nelde auf Heinrich's IV. Seite landen, theil® anderen, die nur um der evangelifchen 
Vahrheit Willen des Pabſtes Gegner waren. Wenn er z. B. erflärt: Quis nesciat, 
feges ot duces ab iis habuisse principium, qui Deum ignorantes superbia, rapina, 
perfidia, homicidiis, postremo universis psene soeleribus, mundi principe diabolo 
videlicot agitante, super pares, sciliost homines, dominari ooeca oupiditate et in- 
klerabili prassumtione affectaverunt? — Quis dubitet, sacerdotes Christi regum 
“ prineipum omniumque fidelium patres et magistros oenseri?. . . (Gregorii VIL. 
Spistol. ib. VIIL epist. 21., vgl. o. 9. dist.XCVI.); Gegen dergleichen Ausiprüde 

8 8 


116 Staat und Rirde 


erlärt 3. 8. Hugo Floriacensis in der Schrift de regia potestate et sacerdotali dig- 
nitate um’8 Jahr 1120 (Baluzius. Miscellanea Tom. IV. pag. 9): Putant, guod 
terreni regni dispositio non a Deo, sed ab hominibus sit ordinata sive disposita. 
Et ideo sacerdotalem dignitatem majestati regiae praeferunt, cum ei subesse or- 
dine, non dignitate debeat. Nachdem dann die obigen Worte Pabft Gregor's zum 
Beleg dafür mitgetheilt find, fagt Hugo: Quorum sententia quam sit frivola, li- 
quet apostolico documento, quod ait: Non est potestas nisi a Deo etc. Roman. 
XUI, 1.— Uber aud aus allgemeinen Öründen des Rechts und der Geſchichte fande 
die päbftlichen Behauptungen viele Gegner. Dean j. 3. B. Petrus Eraffus’ Klagefcrit 
gegen Gregor zum Behuf der SKirchenverfammlung in Brixen (bei Sudendorf, Reg 
strum P. I. p. 22—50). Man f. überhaupt Jak. v. Helfenftein, Gregor's VIL Be 
firebungen nach den Streitfhriften feiner Zeit. Frankf. a. M. 1856. 

Die Ausführung feines Planes gelang Gregor VII. nicht und vor Allem endete 
der Kampf über die Aufhebung der weltlichen echte bei Befegung der Bisthümer u 
anderer geiftlicher Stellen in einer Weife, welche der Idee Gregor's gerade entgegen 
gefegt war. Es entfprang nämlich darüber der befannte Inveſtiturſtreit (f. den Artild 
Br. VI. ©. 708 f.), welcher durch, das Wormfer Eoncordat zwifchen Heinrich V. und 
Calirt IL damit endete, daß eine Trennung der geiftlichen und meltlichen Seite be 
der Anftellung der hohen Geiftlichen unterjchieden wurde. Die tanonifche Wahl ber 
Kleriler und die Unftatthaftigleit der Simonie ward anerkannt, zugleich aber die Krlan 
gung der Negalien davon abhängig gemacht daß der zu Inveſtirende ordentlich (mi 
dem Scepter) belehnt wurde und endlich die Pflichten übernahm, die er als Bafall dei 
Eigenthümers und beziehungsmweife Lehnherrn nad) der beftehenden Ordnung zu leifte 
verpflichtet war. Webrigens war aucd damit der Streit noch nicht beendet: denn ba 
nüpfte fit) an das Concordat die Frage, wem die Präcedenz zuftehe, ob die paäbſtliche 
Beftätigung und Conſekration oder die kaiferliche Belehnung mit den Regalien vorangehe 
folle. Die Praxis entſchied fir den Vorzug des Kaiſers, und demgemäß fprad de 
Berfafler des Sacjfenfpiegels aus: „Spenne man füfet bifhope oder abbede oder ob 
bedifchen, die den herſchilt hebben, dat len follen fie vore untvan unde die bifor 
na. Spenne fie dat len untvangen hebben, jo mogen fie lenrecht dun unde nicht er 
(f. Sächſiſches Landrecht Bud III. Art. 59). 

Demungeachtet war dod; in der mächftfolgenden Zeit nad der herrſchenden Aufßdt 
die Kirche höher geftellt als der Staat und die römischen Bifchdfe oder andere her 
Geiſtliche, namentlich die Erzbifchöfe von Köln, Mainz und Trier gaben wenigſten da 
Ausichlag bei der Beſetzung des kaiſerlichen Thrones, wie denn gleich Koma I 
durch die päbftliche Einwirkung gewählt wurde. Die Kaifer zeigten ſich auch der Kicht 
im Allgemeinen nicht nur nachgebend, fondern erkannten die Unterwürfigkeit gegen de 
felbe unbedenklich an. Sehr bemerkenswerth iſt der Erlaß Friedrich's L vom Joh 
1152, in welchem bdexfelbe dem Pabfte Anzeige von feiner Wahl macht und fih za 
treuen Erfüllung der ihm obliegenden Verpflichtungen bereit erflärt. (Es heißt dam 
unter Anderem: Nos in multiplicibus regiae dignitatis ornamentis, quibus partim 
per laicorum principum obsequis, partim per venerandas pontificum benediotione 
vestiti sumus, regium animum induimus tota mentis virtute induentes, ut iuxts 
professionis nostrae formulam, quam ab orfJiodoxis praesulibus in ipso regni thron® 
et uncotione sacra acoepimus, honorem vobis et dilectionem, et sacrosanctae matris 
nostfae Romanas ecclesiae et omnibus ecclesiasticis personis promtam et debitam 
justitiam ac defensionem exhibeamus, viduis ac pupillis, et universo populo 
nobis commisso, legem et pacem faciamus et conservemus. Cum enim duo sint, 
quibus principaliter hio mundus regitur, videlicet sacra pontificum, et regalis po 
testas, omnium Christi sacerdotum obedientiae devote colla submittere parati sı- 
mus, ut propitia divinitate, temporibus nostri prineipatus, verbum Dei expedi® 
currere non prohibeatur, et paternas regulas ac decreta sanctissimis diffinits 002 


Gtant und Kirche 117 


eilis nullas audeat absque poenae gravioris vindieta violare, .... . vobis tanquam 
peiri carissimo constanter promittimus, quod sicut ... . . regi.. . .. . Buccessimus, 
ita hereditariam dileotionem tam ad vestram personam omnino specialem, quam ad 
sserosanotae matris Romanae ecclesiae promtisstmam sc devotissimam devotionem 
sucepimus . ..... Indem Eugenius III. biefer BVerficherung feine Zuſtimmung er⸗ 
theifte und den Konig bei der Erfüllung berfelben zu unterftügen verhieß: Nos siqui- 
dem ad honoris et exaltationis tuse augmentum, pro debito commissi nobis officij, 
sıperna cooperante gratia, attentius intendimus laborare, — ermahnt er ihn zu- 
gleich, den von ihm genannten Pflichten auch in Wahrheit nachzukommen (f. Perg a. 
0. D. Tom. IV. p. 89-91). Bei aller diefer Unterwerfung behauptete indeflen doch 
Friedrich die Rechte, welche früher den Königen zugehörten. Daher verzögerte ſich auch 
feine Kroͤnnng zum Kaifer, welche erſt, nachdem Eugenius 1153 geflorben war, Hono⸗ 
ru IV. im 9.1155 vollgog. Als dann aber defien Nachfolger Alerander III. (1159 
bie 1181), anf diefen Alt geftäitt, dem Kaiſer erflärte, daß er dem Pabfte alfo feine 
Herefhhaft dane und don ihm diefelbe als Lehn (beneficium) erhalten habe, fonnte 
Friedrich doch nicht umhin, feine Anficht Über dieſes Verhäliniß Mar darzulegen. Er 
peflehe willig zu, daß dem Pabſte die Verleihung der Krone zuftehe, daraus folge aber 
nicht, va der Pabſt aus ihr folgere: denn nur im Auftrage Gottes, welcher der rechte 
Geber der Krone fen, habe er ihm biefelbe mitgetheilt: Liberam Imperii nostri co- 
ronam divino tantum beneficio adscribimus, — und hieran fnüpfte er die fehr ernſte 
Erflärung: Quiounque nos imperislem coronam pfo beneficio a domino Papa sus- 
cepisse dixerit, divinae institutioni et doctrinae Petri contrarius est et mendacii 
rens erit (vgl. Radevicus, de gestis Friderici I. lib. I. cap. X. XVI. in Muratori 
sriptores rerum Italic. Tom. VI. p. 749 sq. 755; ‘Pertz l. c. Tom. IV. p. 105). 
Heftige Eonflifte Tonmten fo nicht ausbleiben und zu einer völligen inneren Verſohnung 
tom 9 nicht. (Es ergeben diefes die ausführlicheren Berichte, wie fie Berk a. a. O. 
S. 147 f, mittheilt. Dazu f. man Reuter, Alexander II. Leipzig 1860 — 1864. 
3 Dde Ze Ausg.; vergl. Hefele, „Kaifer Friedrich und Alexander II. verföhnen fich 
zu Benedig im Jahre 1177“, in der Tübinger theolog. Quartalſchrift, Jahrg. 1862. 
dt 3.6. 365 Ff.).. Daß Friedrich es dabei an Willfährigkeit doc; nicht fehlen ließ, 
ſeigt das Schreiben bes Pabſtes vom 26. Juli 1177 (bei Bert a. a.O. ©.154.155): 
Imperator... . venit Venetiam ad praesentiam nostram, et nobis siout summo 
poxtifiei reverentiam et subjectionem impendit; et recepto pacis osculo, nos in 
e am... . usque ad altare humiliter et devote dextravit ... (a. a. D. 
.158). 

‚ a diefen umb ben fpäteren Mifhelligkeiten mar im Ganzen ber Bortheil auf 
fräfiher Seite, auf welcher gerade ſeit Gregor VII. von Rom her die von jenem an⸗ 
Ifirebten Ziele beharrlich weiter verfolgt wurden. Unter allen Pähften nimmt aber nad) 
fen und Alegander III. wohl Inmocenz III. (1198—1216) die herborragendfle Stelle 
2 (über ihn ſ. m. den Art. in Bd. VI. ©. 665 f., insbefondere die dafelbft eitirte 
hrift von Hurter; dazu füge man: Hundeshagen a. a. D. bei Dove Bd. L ©. 258 ff. 
efele, „Wie dachte fi Innocenz III. das Verhältniß des Pabſtes zur Kaifermahle, 
der Tübinger theolog. Quartalſchrift, Jahrg. 1862. Heft 4. ©. 607 f., verb. mit 
hilipp's Kirchenrecht Bd. 3. S. 192 f.);: Manche fchon früher aufgeflellte oder auch 
x angedentete Behauptungen erhielten buch Innocenz ihre confequente Weiterführung, 
ihren Hbhepunkt. Die Grundfäge deſſelben, welche ſich in den von ihm noch 
rhandenen Registrum enthalten find, gehen vornehmlich dahin: Der Staat ober bie 
het ift umgöttlichen Weſens, wie dem feine Exiſtenz fi überhaupt nur aus menſch⸗ 
ber Gewalt und Willfüir erflären läßt: Utrumque tam regnum quam saoerdotium 
stitutum fait in regno Dei, sed sacerdotium per ordinationem divinam, regnum 
tem per extorsionem humanam. Die Kirche iſt dagegen göttlichen Urſprungs. 
“on dieß entſcheidet für den Vorzug der letzteren vor dem Staate. Es fommt aber 





118 Staat und Rirde 


dazu, daß der Staat nur der Leib ſey, welcher doch nur tobt ift, wenn nicht die Seele 
ihm das Leben gibt. Diefe Seele ift aber die Kirche: Quanto dignior est anima 
corpore, tanto dignius est etiam sacerdotium quam sit regnum —. Non negamus, 
quin praecellat imperator in temporalibus illos duntaxat, qui ab eo susecipiunt 
temporalia. Sed pontifex in spiritualibus antecellit, quae tanto sunt temporalibus 
digniora, quanto anima praefertur corpori (Registrum de negotiis imperii cap. 18. 
Cap. 6. $. 2 X. de majoritate et obedientia 1,33., ans einem Schreiben des Pabſtel 
nah Conftantinopel im Jahre 1200). Der Staat iſt nur dem Monde gleich, welde, 
an ſich ein dunkler Körper, erſt von der Sonne erleuchtet wird. Mit Bezugnahme af 
1Mof. 16. fagt der Pabft daher dem oftrdmifchen Kaifer (c. 16 X. citirt in 8. 4): 
Praeterea nosse debueras, quod Deus fecit duo luminaria in firmamento coeli; In 


minare majus, ut praeesset diei, et luminare minus, ut praeesset nocti; utrumqs 


magnum, sed alterutrum majus (quis nomine coeli designatur ecclesia . . . ., pe 


diem vero spiritualis, et per noctem carnalis ... ). Ad firmamentum jgitur 


coeli, hoc est universalis ecelesise, fecit Deus duo magna luminaria, id est, dus 
(magnas) instituit dignitetes, quae sunt pontificalis auctoritas et regalis potestaa. 
Sed illa, quae praeest diebus, id est spiritualibus, major est; quae vero (noctibus 
id est) carnalibus, minor, ut quanta est inter solem et lunam, tanta inter ponti- 
fioes et reges differentia cognoscatur —. Porro sicut luna lumen suum a sole 
sortitur, quae re vera minor est illo quantitate simul et qualitate, situ pariter ei 


effeotu, sic regalis potestas ab auctoritate pontificali suae sortitur dignitatis splen- 


dorem (Epistolarum lib. I. epist. 401 ad Acerbum). (Weber die frühere und fpäter 
Benugung diefes Vergleichs f. m. Friedberg a. a. DO. ©. 16 f.). Eine andere Moti 
birung der Firchlichen und päbftlichen Vorrechte knüpft an da Dogma von der Ueber 
tragung der höcjften Autorität durch Chriflus auf Petrus und durch dieſen auf da 
apoftolifhen Stuhl. Dominus Petro non solum universam ecclesiam, sed tofum 
religuit seculum gubernandum (Epistol. lib. II. epist.209.; vgl. cap. 5 X. de con 
cessione praebendae 3. 8. von 1199). Der römifche Biſchof iſt veri Dei vicem ge 
rens in terris, successor ipsius vicarii Jesu Christi (Epist. lib. I. epist. 326. 355 
u. Öfter). Demgemäß fteht ihm nicht nur die höchſte umd legte Entfcheidung in ale 
Angelegenheiten zu, fondern er hat auch zu beſtimmen, wer überhaupt die Vertvaltm 
zu führen habe. Wie ex daher in Fällen ziwiefpältiger Königewahlen den Conflitt uf 
hebt, fo kann er auch die geeignete Perfon fofort auf den Thron erheben. (x Isa 
dieß principaliter et finaliter: principaliter, quia apostolica sedes transtulit mp* 
rium ab oriente in oceidentem; finaliter, quia ipse ooncedit coronam imperii. #4 
die weltlichen Mächte befchließen, unterliegt feiner Beurtheilung. Wenn bdiefelben I 
Kiche Nachtheiliges anordnen, fo fpreicht er das Berdammungsurtheil: Constitution 
iniquas contra leges et canones a laicis promulgatas aut etiam promulgandas sd- 
versus ecolesias seu viros ecclesiasticos non solum spirituali, sed etiam tempomli 
auctoritate damnamus penitus et cassamus, sub debito fidelitatis et intermination® 
anathematis inhibentes (Erloffe von 1207 und 1213 aus dem Bullarium Tom. Il 
p. 116. 152. bei Rosloväny a. a. DO. Thl. J. ©.85.86), und felbfl die Anorbmungen, 
welche den Vortheil der Kirche herbeiführen follen, find am fich nicht geltend, wenn nicht 
zuvor ‚die Ficchliche Autorität fie gutgeheißen hat: Attendentes, quod laicis etiam Te 
ligiosis super ecolesiis et personis ecclesiasticis nulla sit attributa potestas, quo® 
obsequendi manet necessitas, non auctoritas imperandi, a quibus, si quid moto 
proprio statutum fuerit, quod eoclesiarum respiciat etiam commodum et favore, 
nullius firmitatis exsistit, nisi ab ecclesia fuerit approbatum (cap. 10. in fine X. 
de constitutionibus 1, 2. vom Jahre 1199). 

Diefes Suftem in die Praris einzuführen, gelang aber fo wenig SImmocenz IL, 
wie e8 Gregor VIL. annäherungsmeife hatte verwirklichen mollen. Konnte auch in ei 
zelnen Fällen eine aus ihm geflofiene Entfcheidung ber Kirche aufrecht erhalten werde, 


Gtast und Rice 119 


o fehle es doch niemals am erfolgreicher Oppoſttion. Chen fo wenig aber waren die 
gehldeten Laien und Beiftlichen geneigt, derartige Behauptungen überhaupt anzuerlemen, 
m) fie haben diefelben fortwährend mit Wort und Schrift befämpft. Sie vertheidigten 
die Unabhängigkeit des Staates von der Kirche, wie fie auch die fyreiheit der legteren 
von jenem verlangten. So hatten die Ausleger und Bearbeiter des Gratian'ſchen De⸗ 
hei diefen Grundſatz vertheidigt, wie namentlich Huguccio in der Summa dieſes 
Redtäbahe, wenn ex fagt: Hino aperte oolligitur, quod utraque potestas, scilioet 
ıpostolica et imperialis, sit a Deo et quod neutra pendeat ex altera et quod im- 
perator gladium non habeant ab apostolico (m. f. diefe und andere derartige Jeugnifle 
und Maaſſen's Beiträgen zur juriſtiſchen Literatur. Wien 1857, in Richter's Kirchen⸗ 
scht $. 44. Aum. 9). Gerade an das Bild von den beiden Schmertern (Luk. 22, 8) 
(hießen ſich die Unterfuchungen und Streitigleiten über das Verhältmiß des Pabſtes 
ud des Kaiſers an (f. Friedberg a. a. DO. ©, 20. 21). Bernhard von Clairvaur 
't 1158) hatte im der Schrift de considerstione lib. IV. cap. 3. erllärt: Uterque 
ep ecclesine et spiritalis, scilicet gladius, et materialis, sed is quidem pro ec- 
dem, ille vero et ab ecolesia exeroendus: ille sacerdotis, is militis manu, sed 
“se sd nutum secerdotis et jussum Imperatoris. Die deutſchen Rechtsbücher 
kt 13. Jahrhunderts geben daranf zurüd und vepräfentiren die damals von beiden 
Seiten vertbeidigten Weberzengungen. Der Berfafler des fähflfchen Landrechts, welcher 
bie laiſerliche Auffaffung ſich angeeignet hat, ftellt gleich im erſten Artikel des erſten 
Bah6 den Urfprung und das gegenfeitige Verhältni der geiftlichen und weltlichen 
Modt dar und fagt: „Twei ſwert lit got im ertrile to befcermene de kriflenheit. 
Dene hadeſe is gefat dat geifllite, deme keifer dat wertlile. Deme pabefe ie of 
get to rideme to befcedener fit up enem blanke perde unde be keiſer fal ime ben 
Regereh halden, dur dat de fabel nicht em wende —. Dit is de betelniffe, fvat 
vom punk widerſta, bat he mit geiftlifeme rechte wicht gediinge ne mag, bat it be 
teifer mit vertlikem vechte dvinge dem paveſe gehorfam to weſene. So fol of de geifl- 
übt gnalt helpen deme wertlilem vechte, of it is bedarf.“ Der Verfafler vertheidigt 
alfe di Unabhängigkeit der beiden Mächte im ihren gegenfeitigen Verührungen und 
wi, daf beide mit ihren eigenthümlichen Gaben ſich gegenfeitig Hülfe leiften, Beide 
Schwerter tomımen vo Gott her. Mit feiner Kraft fügt der Kaiſer den Pabſt. Das 
Beilpiel vom Halten des Stegreifs erinnert an bie Thatſache, wie Friedrich L Ha⸗ 
drien IV. in Pavia zur Kirche geleitete (f. oben). Wenn die Kirche den Bann aus 
Imicht, fo läßt der Staat über bie Ungehorfamen die Acht verhängen. Ebenfo iſt aber 

a die Kirche verpflichtet, den Staat in feinen Aufgaben gu unterflügen. Bon biefer 
Inffeffung ging man auch fpäter aus, wie denn die Gloſſe zu biefer Stelle erklärt: 

«Dat ene wert hadde finte peter, bat fe mu des paves; bat andere habde Johannes, 

bt bet um de keyſer⸗: — Keiner von beiden hat aber einen Vorzug vor dem Anderen, 

kan: fage, dat irer islik fine funderlife gewalt hatte, di wile erre islik es, aljo he 
un rechte weſen ſal⸗: So wie der König, alfo aud der Kaifer untadelig feyn fol 
on Leib und Seele (Sachfenfpiegel Bud, III. Urt. 54), fo kann ihn and) der Pabfl 

nenn er: au'me geloven tiwifelt, oder fin echte wif let, oder godes huß toftoret 

@ 0.D. BuhIIL Art. 57. 8.1.). Dagegen hat auch der Pabſt beſtimmte Schranfen, 

möbefondere: me mach er nen recht fetten, dar he unfe lantrecht oder lenrecht mede 

igere —. Dieſer Darſtellung entgegen tritt der Berfafler des fogenannten Schmaben- 
ſdiegels für dem Vabſt anf und iſt ein Vertheidiger der Feudalherrſchaft deffelben, von 
ir erſt des Kaiſera Rechte ihren Urfprung nehmen. Ex fagt deshalb: „Sit ad got 
vb frides vurſte haizet, fo liaz ex zwai fwert hie vf ertriche: do er ze himel for ze 

Ihirme be criflenhait. Did leih unfer herre fante peter beidin ein dom geiftlichen ge 

tt, day ander von weltlichen gerichte. Daz weltlich ſwert bes gerichtes daz lihet 

ber babeft dem chaeiſer. Daz geiftlich if dem pabeſt geſetzet, daß er ba mite richte“ (f. 

berrede zum Landrecht des Schwabenfpiegeld). Diefe Gegenfäge im Allgemeinen und im 


— 





120 Staat und Kirche 


Befonderen finden fi um dieſe Zeit in vielen Kreifen (m. f. die bei Friedberg a.a.d, 
angeführten vielen Zeugnifle). Die Umftände waren aber im Ganzen ber Kirche günftiger, 
fo daß felhft ein Mann wie Raifer Friedrich II. der Curie nicht getwachfen war. Wem 
fhon an fi) da8 Haus der Hohenftaufen viel bedrängt war, fo mußte die dem Vor—⸗ 
gange Innocenz III. folgende Energie Gregor's IX. (1237—1241) und Innocenz IV. 
(1243—1254) umfo mehr geeignet fen, die Bewältigung der Kirche zu verhindern. 
Die Zerwürfniffe in Deutfchland, das längere Interregnum geftatteten die Einmifchug 
des Klerus in die weltlichen Berhältniffe, und die Beendigung der Anarchie Fonnte mr 
durch Bermittelung der geiftlichen Macht bewirkt werden. Erſt nachdem Rudolf vu 
Habeburg durch die nrößten Conceffionen, durch die Erneuerung der älteren Subjeltions 
etbe den römifchen Stuhl für fid) gewonnen hatte, ward ihm die Tönigliche Würde za 
Theil und große Dpfer mußten auf's Neue der Curie gebradıt werden. Es kann daher 
nicht auffallend erfcheinen, daß immer beftimmter für die Realiſirung der älteren hierm⸗ 
hifhen Forderungen Sorge getragen wurde. So war am Ende des 13. Yahrhunders 
ber Gipfel der kirchlichen Herrfchaft erreicht, und unbedenklich wurden in Rom Entfdki- 
dungen getroffen, welche die gänzliche Hülflofigfeit des Staates voransfegten. Wie 
aber nach Erreichung des erfirebten Ziels die Behauptung bdefjelben für die Dauer fo 
häufig unmöglich wird, fo mußte jetzt auch ein Umfchwung eintreten, welcher das eine 
Ertrem allmählich in da® andere vertvandeln und ber Obergewalt der Kirche die Her 
fhaft des Staats über diefelbe folgen laſſen Tonnte. 

Co wie fhon früher der feudalen Hierarchie gegenüber die Lnabhängigfeit der 
weltlichen Gewalt ‚von der Wiffenfchaft vielfach vertheidigt worden tft, fo fehlte es ad 
nicht an Verſuchen, diefe Freiheit geltend zu machen. Im 12. Yahrhundert Batit 
Heinrih IL von England in diefem Sinne gehandelt (f. Richter, Kirchenrecht $. 4. 
Anm. 18.; vgl. den Art. „Thomas Bedet» Bd. I. ©. 754 f.). Auch in Frankreich 
hatte in der Zeit, in welcher Deutfchland von ‚der päbſtlichen Willkür abhängig war, 
Ludwig IX. im Jahre 1269 gefetlich die Rechte des Staats in kirchlichen Angelege 
heiten und die Selbſtſtändigkeit von kirchlicher Macht in der pragmatifchen Sanltien 
feftgefellt (m. f. d. Art. Bd. XII. ©. 90), auch eine befondere Vorfchrift über di 
Regalien im folgenden Jahre erlaffen. Als nun Bonifazins VIIL (f. d. Art. Vd. Il 
©. 299 f.) die legten Confequenzen des damals herrfchenden Firhlihen Syſtems a* 
führen wollte, trat ein Widerftand ein, welcher bie Vernichtung der römifchen Allmodt 
zue Folge hatte. Nachdem bereit Imnocenz III. in can. 46. des Lateranconcild 8 
Jahre 1215 (cap. 7 X. de immunitate clericorum 3, 49) den Sag aufgeſtellt bett, 
daß wenn eine weltliche Herrfchaft den Geiftlichen die Entrichtung von Steuern ml: 
erlegen wollte, von Seiten der Orbinarien erft ber römiſche Bifchof deshalb amngegunge 
und derfelbe feine Zuſtimmung ertheilen follte, gab Bonifaz in der Defretale: Oleriss 
laicos von 1296 (in cap. 3. de immunitate eccl. in VI? 3. 23) dazu die nadträg 
liche Beflimmung, daß ſowohl Geiftliche, welche ohne die pähftliche Erlaubniß dergleichen 
Steuern verfprehen oder entrichten würden, als Kaifer, Könige und Fürften, melde det 
Geiſtlichen ſolche Abgaben auferlegen oder don ihnen beitreiben würden, durch die 
Handlung fofort in den Bann fallen follten. Dagegen wırde von Bhilipp dem Schonen 
bon Frankreich, dem Enfel Ludwig's IX., Widerfpruch erhoben, und Bonifaz ſah Ad 
gendthigt, das franzdfifche Neich von feiner Verordnung auszunehmen, ja fogar zu bil. 
ligen, daß auch die Defretale Innocenz III. hier nicht gelten folle (f. Raynald, snnr 
les eccles. zum Jahre 1297 Nr. 49. 50). Vergebens bemühte fi) der Pabſt jet, 
Bundesgenoffen gegen Frankreich zu erwerben, da ſelbſt Adolph von Naffau Bedenken 
trug, auf diefen Wunſch einzugehen (f. Raynald a. a. O. zum Jahre 1301 Rr. 2. 
1303 Nro. 2 f.). Inzwiſchen war ein neuer Conflikt mit Philipp ausgebrochen, wel⸗ 
cher Bonifaz veranlaßte, einen Legaten nach Frankreich zu ſenden, welcher jedoch bald 
zur Abreiſe gezwungen wurde, worauf ein ernſter Mahnbrief folgte. Der Konig ließ 
aber dieſe Bulle (ausonlta Ali) verbrennen. Als nun eine drohendere Zuſchrift Mm: 


"Cost und Kirche 121 


Deum time, — ba befchloß der König eine derbe Antwort, in welcher er unter An⸗ 
verem äußerte: Sciat maxima tua fatuitas, in temporalibus nos alicui non subesse. 
Der Pabſt erließ mm im nächſten Jahre die berfchtigte Bulle: Unam sanctam (o. 1. 
Extravag. eomm. de majoritate et obedientia 1, 8.), in welcher er im Anſchluſſe an 
die (oben mitgetheilten) Worte Bernhard's von Clairvaur, bie Vereinigung beider 
Schwerter in feiner Hand vertheidigte und nicht einmal, wie jener, den Gebrauch des 
weltlichen Schwerts von dem Befehle des Kaiſers abhängig machte, indem er bie in 
jenem Ausſpruche enthaltenen Worte: et jussum Imperatoris — fortließ. Nur auf 
die Beifung der Kirche (ad nutum et patientiam sacerdotis) darf das in der Scheibe 
zu haltende Schwert” des ſtaiſers gezogen und gezüdt werden. Die Anerkennung biefer 
Ahhängigfeit des Staats von der Kirche ift fo nothwendig, daß Jeder, welcher diefelbe . 
langnet, fein Seelenheil verliert: Quicunque igitur huio potestati a Deo sic ordi- 
natss resistit Dei ordinationi resistit, nisi duo, sicut Manichaeus, fingat ense prin- 
cipia, quod falsıım et haereticum judicamus; quia, testante Moyse, non in prin- 

eipiis, sed in principio ooelum Deus creavit et terram. Porro subesse Romano 

Pontifiei omni ereaturae declaramus, dicimus, diffinimus et pronunciamus omnino 

esse de neoessitate salutis. 

Wahrend nach den Worten der Schrift alle Diejenigen, bie an Jeſum Chriſtum 
als Gottes Sohm glauben, nicht verloren werden, fondern das einige Leben haben (Ev. 
Iohommis Rap. 3. BES. 15.), wagte es durch diefe Verdammung Bonifaz VIIL, fid 
anf eine Höhe zu erheben, von welcher er geftürzt werden mußte. Das Urtheil der 
Mit» und Nachwelt hat diefen Webermuth für immer gegeißelt. Daß aber das Pabſt⸗ 
thum fon deshalb werde finfen müflen, mweil es das nach göttlichem Willen Unver⸗ 
eindore fo zu vereinen ſucht, wie Heidenthum und Judenthum e8 bereits verſucht hatten 
und dabei erfiegen mußten, das ſah der große Sänger voraus, indem er im Buche 16. 
B8. 197 f. des Fegfeners die Worte ſprach: 

Roms Kirche fällt, weil fie bie Doppelwärbe, 
Die Doppelberrfchaft jet im ſich vermengt, 
In Koth beindelnd ſich und ihre Bürde. 

(Ron ſ. Karl Hegel: „Dante über Staat und Kirche.“ Roſtock 1842; verb. mit Gb⸗ 
ſchele Anseinanderfegung, bei Gelegenheit der Anzeige diefer Schrift, in den Berliner 
Jbrhähern fie wiſſenſchaftliche Kritil. Iahrg. 1843. Bd. I. Nro. 81 —84—. Dante 
farb im I. 1321). 

Bhilipp wurde jest in den Baum gethan, der Pabſt aber zur Flucht gembthigt. 
Der Mnigliche Siegelbewahrer Nogaret überfiel ihn in Anagni und mißhandelte ihn, fo 
do Vonifaz am dem Folgen diefer Thatfachen ſtarb. Nur kurze Seit regierte hierauf 
Venediit XT., welcher die Exlafie feines Vorgängers gegen Frankreich revociren mußte, 
und dann folgte der franzöfifche Earbinal Bertrand de Got als Clemens V. und ver» 
legte den päbftlichen Stuhl nach Avignon. 

Nur wenige Fanatifer billigten die Handlungsweife Bonifaz VIIL, die Meiften 
ſprachen fi gegen die Ueberfchreitung feiner Schranfen aus und verurtheilten ihn (m. 
1. bie Auszüge bei Gieſeler, Kirchengeſch. Bd. IL. Abtheil. IL. 8. 59... Die Folgen 
biefer Exeigniffe waren aber, daß, nachdem die Kirche einmal anf eine andere Bahn ges 
drängt war, fle auch mehr und mehr abwärts geführt wurde. Die Bande, welche fo 
Inge den Stant gefeffelt, wurden zerriffen; aber man blieb dabei nicht ſtehen: dem ber 
freigewordene Staat Tieß, wie ſich's geziemt hätte, die Kirche nicht zur Freiheit gelan- 
gen, fondern fuchte fie ſelbſt jegt in diefelben Fefieln zu ſchlagen, melde er felbft ab- 
geftreift. hatte. 

‚ Zunäcft hatte Frankreich feine politiſche Selbftftändigkeit behauptet. Nachdem anf 
feinen Betrieb Clemens V. Pabſt geworden, mußte er die Bulle: Unam sanctam — 
iociren. Er erklärte im Jahre 1306 durch die Bulle: Meruit (cap. 2. Extravag. 
«um. de privilegiis 5, 7): Regi et regno per definitionem et deolarationem bonse 


122 Staat und Riche 


memoriae Bonifacii Papae VIII. praedecessoris nostri, quae incipit: Unam sanotem: 
nullum volumus vel intendirhus praejudicium generari eto. Nun folgte aber die Kucd 
tung der Kirche. Dem ſchwer gebeugten Pabſte lag daran, die Spanmung mit Deuticlend 
aufzuheben und an ihm einen Bundesgenoſſen zu gewinnen. Dieß entſprach aber mid 
den: franzöflfchen Intereife, und diefem gemäß murde die Abhängigkeit des deutſchen 
König» und Kaiſerthums und der Anſpruch auf die vifariirende Leitung durch den apı 
ſtoliſchen Stuhl, fo lange der Thron erledigt fey, behauptet (Clem. un. de jurejurando 
2, 9. Clem. 2. de sentent. et re judicata 2, 11. vom Jahre 1311 u. a.). lem 
Nachfolger vertheidigte dieſelben Örundfäge (Extravag. JoannisXXII. tit. V., ne sch 
vacante aliquid innovetur vom Jahre 1317). Bei der zweifpältigen Wahl Ludiigt 
bon Bayern und Friedrich's don Defterreich war er dem erſteren abgeneigt, als dieſer abe 
den Sieg gewamn und fich als König gerirte, madıte der Pabſt ihm darüber Bortoikfe, 
daß er dieß tue, ehe er feine Veflätigung erhalten habe. Darauf erließ Ludwig dar 
feierliche Proteftation, in welcher ex erklärte, daß die Wahl der Kurfürften ihm die 
Konigswürde bereits ertheilt hätte, und nun folgte der päbftliche Bann im Jahre 1324. 
Die Folge war eine neue Behandlung der ganzen Streitfrage. Auf's Neue traten dur 
riften und Theologen auf den Kampfplag und die Mehrheit entfchied für den König (. 
Giefeler a. a. O. Bd. II. Abth. III. ©. 26 f.; Eichhorn, deutfhe Rechtsgeſchichte 
8. 393 u. d. a.), während der Pabſt felbft durch befondere Erlaſſe feine Gegner ver⸗ 
wetheilte (m. f. 3. B. die Bulle Iohann’s von 1327 gegen Marfilius von Padua über 
biefen Gegenfland im Bullarium Romanum ed. Luxemburg. Tom. IX. pag. 167) 
Benedikt XII. (feit 1334) feßte den Kampf fort, offenbar aber gegen feine Neigung. 
AS er im Begriffe war, fid) mit Ludwig zu verföhnen, hinderte Philipp die Verein» 
gung. Indem die Kurfürften die erkannten, faßten fie in dem erſten Kurvereine zu 
Renfe am 15. Juli 1338 den feierlihen Schluß: „Wir han uns des vereint, daß 
wir das egenante Rich, und unfer fürftlih Er, die wir von Im haben, nemliden an 
der Kur des Richs, an finen und unfern Rechten, freiheiten und Gewohnheiten, als 
von Alter an uns, und an des Richs Kurfürften herfomen und bericht ift, handhaben, 
beſchurn und bfchirmen wollen, nach aller unfer Macht und Craft an Geverde, wide 
aller meniglichen, nieman aufgenommen, wan es unfer Er und Wid anget, und mein 
das mit laſſen, durch dheinerley Gebot, von mem oder wie es höm, — und gelobe 
an difen gegenwertigen Brif bi unfern fürftlichen Eren, und haben es auch gejmem 
zu ben Heiligen für uns und umfer Nachkomen ftet und feft zuhalten« u. f. w. (bel 
Dienfchläger, erläuterte Staatsgeſchichte des roͤmiſchen Kaiſerthums in der erflen Häft 
des 14. Yahrhumderts. Franff. a. M. 1755. 4. Urkundenbuch Nro. 67.68). Hican 
gaben fie dem Pabſte Nachricht und erklärten zugleich, daß die früheren Urtheile d⸗ 
hann’6 XXII. die Gerechtigkeit verlegt und durch ihre Bereinigung die Geltung de 
Ioren hätten (f. Olenſchläger a. a. O. Nxo.69). “Hiermit war anerlaunt, daß bie Sur 
fürften daran fefthalten, daß der von ihnen Gewählte nad; Gottes Willen König eh, 
daß ex alfo feiner weiteren Beſtätigung bedürfe, da er in zeitlichen Dingen Niemand 
über fich habe. Darauf erließ Ludtvig unterm 8. Aug. 1338 zwei Gefege, in weder 
ex zuerft den Beſchluß der Kurfürften über das felbfiftändige Wahlrecht beflätigte wm 
dann die päbftlichen Sentenzen, welche null und nichtig feyen, zu befolgen verbot (I 
Olenſchläger a. a. DO.) Der im folgenden Jahre zu Brankfurt gehaltene Reichstag 
approbirte dieſe Geſetze. Seitdem war die freiheit des deutſchen Königthums für 
immer entfchieden, fo daß aud die im 9. 1356 erlaffene goldene Bulle (m. f. d. It 
Bb. XIX. ©. 276) fie einfach zu beflätigen hatte. Diefen ganzen Verlauf der Sad, 
wie das Recht der Kurfürften und des Kaifers rechtfertigten auch die fundigen Männer 
der Zeit, wie Lupold von Bebenburg (f. den Art. Bd. I. S. 754) und Wilhelm bon 
Decam (Bd. X. ©. 574 f.). 

Der Aufenthalt der Päbfte in Avignon und die dadurch für bdiefelben entflonben 
Berlegenheit, weil auch die nothbürftigen Mittel zu ihrer Erhaltung aus Rom nich! 


Etat und Rise 128 


eingngen, gaben Unlaß zur Enttwidelung einer kirchlichen Geſetzgebung, melde, bald all⸗ 
gemein als verderblich anerfannt, Unwillen und egenfäge herborrief. Wis endlich im 
Iafre 1378 der apoflolifche Stuhl nad; Rom zurkdverlegt wurde, entſtand die Fischen» 
fraltang, indem zwei und felbft drei Päbfte gleichzeitig die xömifche Wifchoferwärbe im 
Anfprady nahmen. Wie früher die Uneinigleit bei den Kaiſerwahlen den Päbften Ge 
legenheit zur Einmiſchung tu die Staatshändel gegeben hatten, fo forderte jet bie Her 
ſtellung der Einheit der Kirche die weltliche Bermittelung, welcher es endlich gelang, bie 
Speftung aufzuheben. Inzwiſchen war ſchon früher eine Aenderung ber curialifitfchen 
Verfahrungsaweiſe als nothwendig bezeichnet und wiederholt eine Appellation an ein all- 
gemeine® Concil als dringend nötig in Ausficht geftellt worden, um bie 
in Henpt und Gfiedern der Kirche herbeizuführen (dgl. d. Art. „Epiftopalfuftem im ber 
latho l. Kirche Bd. IV. S. 107). So fehlte es denn jet doch nicht ganz am Reforme- 
ten vor Der großen Reformation in der Kirche wie im Staate (m. f. wegen ber er⸗ 
fern, außer der Schrift von Ullmann unter dieſem Titel, auch Friedrich Bohringer, 
Sereformatoren des 14. und 15. Iahrhunderts. Zurich 1856 f.). Im diefe Zeit Fü 
eine reiche Seſetzgebung, weiche don den Landesherren und Obrigkeiten andging, ud 
the eine Erweiterung der politifchen Rechte überhanpt ausſpricht, theils auf eine Ber⸗ 
befferang der kirchlichen Einrichtungen hinzielt. So erklären fi die damaligen Ber 
oriuumgen Aber das Placet von Kicchenvorfchriften, über die Beſchräukung der geififichen 
Gerichtsbarkeit, über die Reform der Klöfter, über kirchliche Immumitäten, über bie 
Seltendmachnng ber Amortifotionsgefege gegen Erwerb der Kirche, die Erlafſe gegen bie 
Unfittfichfeiten des Klernd nnd über viele fpäterhin vom Staate als feiner Kicchenhohelt 
mterworfene Segenflände (m. f. über inzelnheiten die dfter citirte Differtation von 
Friedberg; dazu füge man Raßmaun, Betradhtumgen über das Zeitalter der Reforma⸗ 
ton, Jena 1858; Yäger, der Streit des Cardinals Nikolaus von Cuſa wit dem 
Heryoge Sigmund von Oeſterreich als Grafen von Tirol. Ein Bruhftäd ans den Küm⸗ 
pfen der weltlichen und kirchlichen Gewalt nach dem Concilium vom Bafel. Imsbr. 1862. 
2 Bde Boigt, Enea Sylvins de Piccolomint als Pabſt Pins IL. Berlin 1856 f. 
"= 2a) Nur felten findet ſich noch die Neigung, den Pabſt über den SKalfer gm 
fieflen (tie im 9. 1490, da die Stadt Regensburg eine Berufung gegen Marimilian 
an den Pabſt brachte; vgl. Spieß, ardyivalifche Nebenarbeiten nnd Nachrichten. Bd. IL 
Halle 1785. ©.7—13). Unter allen diefen Umſtänden wollte inbefien Rom fein altes, 
rechtlich and faltiſch vermichtetes Syſtem doch nicht aufgeben. So Tonmte es Leo X. 
tagen, amf einem im Jahre 1516 gehaltenen Lateranconcil die von Clemens V., dem 
Bortlaute nad) mur zu Gunſten Frankreichs aufgehobene Bulle Unam sanctam wieder 
berznfiellen. Er erllärte nämlich: Cum de necessitate salutis existat, omnes Ohristi 
fideles Romano Pontifici subesse, prout divinae scripturae (!!) et sanctorum pe- 
traum testimonio edocemur, ac oonstitutione felicis memorise Bonifseii Papao VIIL 
similiter praedeoessoris nostri, quae incipit: Unam sancotam, deolaratur, pro sorundem 
fidielium animarum salute, ac Romani Pontificis et hujus sanctae Sedis suprema 
auctoritate, et Eoolesise sponsae suao unitate et potestate constitutionem ipsam, 
sacro praesente approbante concilio, innovamus et approbamus, sine tamen pra®s- 
judicio deelarationis sanctae memoriae Clementis Papae, quae incipit: Meruit. (Cap, 1. 
de conciliis in VII* 1, 7). 

In der ganzen Ehriftenheit herrihte am Ende des I5ten und am Anfange bes 
listen Jahrhunderts fafl nirgends unfittliches Weſen und modernes Heidenthun in grd- 
ſerem Maße als in Rom felbfl. Daher war aud) nichts mehr geeignet, für die Er⸗ 
fenntni der Nothwendigleit einer Reformation der Kirche in Haupt und Gliedern em- 
pfängfich zu machen, als daß man das VBerderben in der Hauptfladbt kennen lernte So 
wor Martin Luther durch feinen Aufenthalt dafelbft für das Unternehmen vorbereitet, 
dem er fpäter fein Leben widmete, fo hatte Georg von Polenz, weldher ale Geheim- 
ſchreiber Zulins II. mit dem dortigen Treiben befammt geworden war, die Fauhigkeit ex- 


124 Stant und Kirche 


langt, als der erfle römifche Bifchof diefer Kirche den Abſchied zu eben und der eban⸗ 
gelifhen Wahrheit den Vorzug einzuräumen. Die eigentliche Aufgabe der Reformation 
des 16. Yahrhunderts war aber die Befreiung der Gewiſſen bon der römifchen Knedıt. 
haft, die Gewährung der Möglichkeit, in freier Ueberzeugung den Glauben an Iefum 
Chriflum als den Heiland zu gewinnen und durch diefen Glauben die Rechtfertigung 
vor Gott zu erlangen. Damit das Ziel erreicht werden Konnte, war ed unumgänglid, 
daß der bisherige Zmang, welcher, dem römifchen Religionsſyſtem zu gehorchen, jeden 
Chriſten nöthinte, und melden der Staat anwendete, aufgehoben wurde. Dieß Tomte 


aber füglich nicht anders gefchehen, als wenn die bisherige Verbindung, welche in bm 
angegebenen Berhältniffe nur eine Unterwerfung war, vom Staate aufgegeben wur, 
alfo daß der weltliche Arm der Obrigkeit aufhörte, die römifche Doktrin von der Keen 


aufrecht zu halten. Zum Wefen der evangelifchen Reformation gehörte alfo die Auk 
einaubderfehung bes Staats und der Kirche. Der Ausſpruch Ehrifti: Gebet dem Haile, 
was des Kaifers ift, und Gotte, mas Gottes ift — konnte nur dadurch eine Wahrheit 


werben. Indem Luther dieß wohl erkannte, erflärte er, indem er den göttlichen Un 
fprung des Staats in der Kirche auf Grund der heil. Schrift betonte, daß beide niht 
zufommenfallen dürften. Im der Schrift an den chriftlihen Adel der beutfchen Notim 
bom 3. 1520 fagte er: „Dieweilen meltliche Gewalt von Gott geordnet ift, die Voſen 


za ſtrafen und die Frommen zu fchügen, fo fol man laffen ihr Amt frei gehen md 
umverhindert, durch den ganzen Körper der Chriftenheit; dagegen fol ber chriftliche Lehr 
fand von derjelben wicht gehindert werben und das Wort Gottes und die Sakramente 
handeln.“ Dann erklärt er 1523 in der Schrift von der meltlichen Obrigkeit, mie 


weit man ihr Sehorfam fchuldig if: „Sott hat die zwei Regimente verordnet, das gef 


liche, welches Chriſten und fromme Leute macht durch den heiligen Geift unter Chrifte, 


und das weltliche, welches den Unchriften und Böfen wehret, daß fe äußerlich mäflen 


Friede halten und ſtill feyn, ohne ihren Dank» (f. Luther's Werke von Wald Br. X 
©. 425 f.). Im einem Schreiben vom 9. 1523 an den Herzog Karl von Savohen 
(bei de Wette, Luther's ungedrudte Briefe Bd. 2. S. 405) drüdt er dieſen Gedanker 


fo ans: „Das weltliche Schwert fol die böfen Buben mit Furcht des Schwertes ti 


ben umd zwingen, die Chriften aber fol ein Biſchof, ohne Schwert, allein mit em 
Worte regieren.“ Im unzähligen anderen Stellen feiner Schriften kommt er auf diem 
Gegenftand zurüd. Es genüge hier, an ein Wort zu erinnern, welches zu wiederhole 
Luther nicht mur die ältere Gefchichte veranlaßte, fondern die von ihm felbft bereitö pr 
machten Erfahrungen ihn gedrungen haben: „Bis an's Ende der Welt follen bie Ad 
Regimente nicht in einander gemenget werben, wie zur Zeit des A. Teſtaments im it 
fhen Volle gefchah; fondern von einander gefondert und geſchieden bleiben, fol m 
anders daB rechte Evangelium und den rechten Glauben erhalten. Denn es ift en 
weit ander Ding um das eich Chrifti, dem um das weltliche Regiment, welche 


denen Fürften und Herren befohlen ifl. Und mer ein PBrebiger ift, der laſſe das well⸗ 
liche Regiment zufrieden, auf daß er nicht ein Gemenge und Unordnung anrichte. Dem 


wie follen die Kirche regieren mit dem Worte oder mündlichen Schwert und bie Rothe 
des Mundes führen. Dagegen hat die weltliche Obrigkeit ein ander Schwert, als em 
Fauftfchiwert oder hölzerne Ruthe, damit der Leib gefchlagen wird. Aber des Prediger? 


Ruthe ſchlägt allein die Gewiſſen, welche fühlen, mas man faget. Darum möüffen biefe 


zwei Ruthen oder Schwerter unterfchieden werben, auf daß Einer dem Andern nicht m 
fein Amt fallen. Denn fie greifen alle nad dem Schwert, die Wiedertäufer, Münzer, 
der Papft und alle Bifchöfe, haben herrfchen und regieren wollen, aber nicht in ihrem 
Beruf; das ift der leidige Teufel. Dagegen, fo wollen jett die weltlichen Obrigfeiten, 
die TFürften, Könige und Adel auf dem Lande, auch die Richter auf den Dörfern, da® 
mündliche Schwert führen uud die Pfarcherren Ichren, was und wie fle prebigen und 
den Kirchen vorfichen follen —. Und ich vermahne euch, die ihr einmal der Gewifſen 
und chriſtlichen Kicchen Lehrer werben follet, fehet zu, daß ihr bei bem Unterſchiede 


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Staat und Kirche 125 


bleibe. Dean wirds gemenget, fo wird nichts daraus. Denn alsbald, wenn der Fürft 
foget: Hörft du Prediger, lehre mir fo und fo, fchilt nnd firafe nicht alfo — fo iſte 
gemenget. Wiederum, wenn ein Prediger auch fürgtebt: Hörft du, Obrigfeit oder Rich⸗ 
ter, da ſollſt Hecht fprechen, wie ich will — fo iſts auch unreht. — Darum fo wird 
uns der Bapft nicht fchaden, und das Evangelium ſchwerlich nehmen, denn er ift zum 
ſehr gefhlagen ; fondern unfere Junker, die vom del, und die Fürften, auch die böfen 
Iuriften, die werdens thum, die mit Gewalt jett einhergehen, und wollen die Prediger 
(ehren, was fie predigen follen, wollen die Leute zivingen des Sakraments halben, ihres 
Gefallens; denn man müfje der weltlichen Obrigleit gehorfam feyn; darum fo möüflet 
the, wie wir wollen. Und ift alsdann das geiftliche und weltliche Regiment eine Küche. 
Das hat dee Papft and) getban; er hat das mündliche Schwert ind weltliche Regiment 
geführet, damit iſt das Wort Gottes erlofchen“ (f. Werte von Waldı Bo. VIL ©.1741). 
So wie beim Beginne des großen Kampfes urtheilte Luther auch bis an fein Ende. 
Im 3. 1543 ſchreibt er: Distincta volumus officia ecclesiae et aulae.— Satan per- 
gt Satan ee. Sub papa misonit ecelesiam politiae; sub nostro tempore vult 
miscere politiam ecclesiae. Bed nos resistemus Deo favente et studebimus pro 
nostra virili voeationes distinctas servare (f. de Wette a. a. O. Bd. 5. ©. 596). 
Biele andere Zengnifle der Art finden fich nicht nur im Regifter der Walch'ſchen Aus⸗ 
gabe nachgewieſen, fondern andy theil8 in Monographien zufammengeftellt, theils in 
Lomler, Lucius u. a. Geiſt and Luther's Schriften Bd. 3. Darmft. 1830. S. 168 f. 
BD. 4. Darmſt. 1831. ©. 235 f. abgedrudt. Über auch bei den übrigen Reforma⸗ 
toren, Melanthon, Zwingli, Calvin u. dv. a., begegnen wir durchaus der gleichen Aufs 
foffung (m. |. das Corpus Reformatorum und die übrigen Ausgaben ihrer Werke). 
Ha die Istherifchen wie reformirten Bekenntnißſchriften enthalten fehr beſtimmt 
dab gleihe Princip. So heit e8 namentlid, in der Augsburg. Eonfeffion Urt. 28.: 
Dieweil um die Gewalt der Kirchen oder Biſchoffen ewige Güter giebt umd getrieben 
wird, jo hindert fie die Polizey und das weltliche Regiment nichts überall, denn das 
welllihe Regiment gehet mit vielen anderen Sachen um, denn das Evangelium, welche 
Gewolt ſchützt nicht die Seelen, fondern Leib und Ont wider äußerlichen Gewalt mit 
dem Schwert und Teiblihen Pönen. Darum fol man die zwey Regiment, das geiftlich 
und weltliche, nicht in einander imengen und werfen. Denn der geiftlih Gewalt hat 
feinen Befehl das Evangelium zu predigen umd die Sacrament zu reichen, foll and) 
nicht in ein fremd Amt fallen, fol nicht Könige fegen oder entfegen, fol weltlich Geſet 
und Gehorſam der Obrigkeit nicht aufheben oder zerrütten, ſoll weltlicher Gewalt nicht 
Sy machen umd flellen von weltlichen Händeln —. Diefer Geftalt unterfcheiden die 
Unern bejyde Regiment und Gewaltamt, und heiffen fle beyde, als die höcfte Gabe 
Öottes auf Erden, in Ehren halten. Wo aber die Bifchdffe weltlich Regiment und 
Schwert haben, fo haben fie diefelben nicht als Bifchöffe aus göttlichen Rechten, fon- 
dern ans menfchlichen Tanferlichen Rechten, gefchentt von Kayfern und Königen zu welt⸗ 
idher Berwaltung ihrer Güter, und gehet das Amt des Evangeliond gar nicht an m. 
. w. (Zeugniffe aus anderen Belenntnißfchriften finden fi zufammengeftellt in ber: 
Harmonia oonfessionum fidei. Genevae 1581. 4. Seotio XIX. de magistratu Poli- 
too u. d. a.). Daher konnte auch in der Apologie der Confeifion Art. 19. gefagt 
berden: Diefer ganz wichtiger, nöthiger Artilel vom Unterſcheid des Reichs Chrifit, 
md weltlichen Reiche, welcher faft möthig iſt zu wiſſen, if} duch die Unſern ganz 
eigentlich, richtig und Mar gegeben, vielen Gewiſſen zu merklichem großen Troft — (m. 
vergl. noch Überhaupt Hundeshagen: Ueber einige Hauptmomente in ber” Entiwidelung 
des Berhäftniffes zwifchen Staat und Kirche, Urtikel IL, in Dove's Zeitſchrift für 
Kirheneht, Br. I. Yahrg. 1861. ©. 444 f.). | 
‚ Die natärlihe Folge diefer Unterfcheibung hätte die Organifation einer eigenen 
rhenverfoffung und Verwaltung fern müſſen. Dabei mar eine doppelte Auffafinng 
wglh, indem man entweder an bie biäherigen Einrichtungen anfnüpfte und diefelben 








126 Staat und Rirde 


befreit von den bisherigen Verunſtaltuugen, fortbildete, oder mit der ganzen Vergangen- 
beit brach und eine aus dem Weſen der Kirche fidh ergebende neue Ordnung ſchuf, 
wobei auf die urfprüngliche Verfafiung dee apoftolifhen Gemeinden zurüdgegangen 
werden konnte. Durch die Belämpfuug der römifchen Klerikalkirche und die Vertheidigung 
bes allgemeinen Priefterthums wurde Ruther auf die zweite Alternative geführt. Ihr ent 
fpricht die 1523 verfaßte Abhandlung: Grund und Urſach aus der Schrift, daß eine 
chriſtliche Verſammlung oder Gemeinde Recht und Macht habe, alle Lehre zu urtheilm 
und Lehrer zu berufen, ein» und abzujegen. Eben fo fchon feine Predigt über Matthänt 
Kap. 16 B. 13 folg. von 1519 (Wald, Werke Luthers Bd. XI. ©. 3069), ſeu 
Schrift von der Beichte von 1521 (a. a. DO. Bd. XIX. ©. 1082 f.) und vik 
andere. Die Ausführung wurde aber durch den Bang der Verhältuiffe verhindet 
Berade die Berfuche von weltlicher Seite, die Kirche dem Regiment der Obrigkeit wieder 
dienftbar zu machen und dann ber eigene confervivende Karalter des Reformators, die 
bereit3 vorhandenen kirchlichen Elemente für die zu fchaffende Ordnung zu benutzen, führt 
ihn zu der erften Auffafſung. Demnah wuünſchte er, den bisherigen Epiftopat beim 
balten und bemühte fi, indem er die Funktionen bes bifchöflichen Amts genau be 
gränzte, die vorhandenen Bifchdfe zur Annahme der evangelifchen Lehre zu gewinnen um) 
zur Uebernahme der Direltion der Kirche zu bewegen. Seine Bemühungen waren aba 
erfolglo8 und er fah ſich zur Modification feiner Grundanfhauungen gendthigt. Pahe 
ertlärte er in dem 1536 verfaßten Unterricht, daß geiftlih und weltlich Regiment 
wohl unterjchieden werden follen (Werke von Wald Bd. X. ©, 294): — Daß mu 
die zwei Regimente nicht in einander menge, wo nicht hohe Noth und Mangel der 
Perjonen ſolches erzwängen — und diefe Noth trat jegt im vollfien Umfange en. 

Zwingli, Calvin u. a. hatten ebenfalls eine Umgeflaltung der Hierarchie umd ein 
felbftfländige Verfaffung der Kirche auf der Grundlage der Gemeinderechte als uotl- 
wendig anerkannt. (m. f. Calvin’s institutio lib. IV. cap. 20 u. vd. a). Da aber die 
Obrigkeit fi für die Reformation entfchieden und ihr den Eingang gewährte, lomalı 
fie and von der Leitung der Angelegenheiten der Kirche nicht ausgefchloffen werde. 
Sp wurde zunächſt in der Schweiz und dann auch anderweitig in dem Gebiete, mo dr 
Reformirten den Staatsfhug erhielten, eine abermalige Vermengung der beiden Rear 
mente begründet. Eine Ausnahme machten nur diejenigen Cvangelifchen, welche fi 
an den Staat nicht anlehnen konnten, fondern fid) ohne denfelben, ja im Oak 
gegen ihn ihre Eriftenz begründen mußten. Indem diefe eine von ber Verwaltung ki 
Staats gefonderte eigene Organifation ind Leben riefen, wurde wirklich für fie der It 
fag verwirklicht, welcher dem Prinzip des Berhältniffes der beiden Regimente den 
entfprechend ſcheint. 

Den hier angedeuteten Verlauf der Gefchide der evangelifchen Kirche und im 
Berhältniffes zum Staat erkennen wir in der Gefchichte derfelbeg feit dem Eintritt de 
Reformation in allen Landeskirchen. Zumäcft mußte das hergebrachte römiſche Syſten 
über die gegenfeitigen Beziehungen der geiftlichen und weltlichen Herrſchaft amfgehober 
werden. So lange nur die romiſche Kirche allein berechtigt war und jede Wbiweidung 
von ihr als Verbrechen erſchien, hatte der Staat die Vollziehung der Strafen gegen die 
Härefie und befaß die Verpflichtung, die Kirche mit feinem Schwerte zu ſchützen, die 
Schirmvogtei (advocatia ooolosiae). Wie früher bie deutjchen Kaiſer die Gemährumg 
derfelben durch einen Eid übernommen hatten, mußte auch Karl V. fi) 1519 durqh 
eine Bahlcapitulation dazu anbeifchig machen. Daher verfprad; er: Zum erflen, daß 
wir in Zeiteunferer Löniglihen Würden, Amt. und . Regierung, die Chriftenheit, den 
Stuhl zu Rom, päpftliche Heiligkeit und chriſtliche Kirche als berfelben Advokat in 
guten treulichen Schutz und Schirm halten follen und wollen (Art. I. 8. 1; vgl 
Reichsabſchied 1512 $. 4. 1518 8. 1). Diefer Advocatie gemäß fchritt anıdh der 
Naiſer gegen Luther und feinen Anhang ein und das Wormfer Edikt vom 8. Mai 1521 
ſprach über biefelben die Kegerfivafe, die Act, aus. Nun begann der Kampf um bie 


GStaat und Kirche 127 


Aufbehung dieſes Zuſtandes. Mit dem Reichsabſchiede zu Speier vom 27. Unguft 1526 
war eigentlich ſchon die Veränderung eingetreten: denn, indem berfelbe beftimmte, daß 
m Beyug auf das Wormſer Edilt ſich jeder Reicheſtand fo verhalten dürfe, wie er es 
vor Gott und dem Kaiſer glaube verantworten zu lönnen, war den Obrigkeiten bie 
Strofloſtgleit zugefichert, wenn fie ſich für die Reformation entſchieden, und fie konaten 
hiernach auch ihren Unterthanen gefatten, die alte Kirche zu verlafſen und ſich bem 
Lutherifchen Belenntuifje anzufchließen. . Darin tag aber auch zugleich die Anerlennung 
des Rechts für die weltlichen Herrſchaften, die Reformation einzuführen, alſo das foge- 
nannte jus reformandi. Belanntlih traten fpäter über die Geltendmachung bdiefe® 
Rechts im Deutſchland Streitigkeiten ein, welche felbft zur Waffengetvalt führten. Als 
aber nach dem Baflauer Bertrage von 1552 und dem Uugsburger Religionsfrieben von 
1555 Den Wnhängern der Angsburger Eonfeffion neben den Gliedern der römifchen 
Kirche Freiheit ihres Cultus gewährt und paritätifche Rechte mit den letztern ihnen zu⸗ 
geſanden waren, mußfite auch die bisherige Schirmvogtei ein Ende nehmen und damit 
vab frühere Berhältwiß des Kaiſers und Pabſtest, des Staats und der Kirche aufhören. 
Deher wurde auch unter Ferdinand I. der obige Artikel der Wahlcapitulation geändert, 
md Miefelbe erhielt im Urt. J. 8. 10 den Zuſatz: „Soviel in diefem Articul den Stuhl 
a Rom und Päpftliche Heiligkeit betrifft, wollen die der Augsburgiſchen Eonfeffion 
moeihame Kurfürſten für ſich -umd ihre Religionsvertvandten Yürften md Stände... . 
damit nicht verbunden haben, geflalten danm auch gedachte Advocatia den Religion- 
Profum » Frieden . . . . zu Nachtheil nicht angezogen noch gebraucht, fondern denen 
obgedachten Surfürften und ſämbtlichen ihren Religionsverwandten im Weich gleicher 
Gäup geleiftet werben folle. 
Dem Kaifer war aber die Advocatie der römifchen Kirche, derem Mitglied er blieb, 
wicht entzogen. Den evangelifhen Ständen konnte jeht anch ein gleiches Recht zu 
Saufen iswer Kirche nicht abgeſprochen werden, wie dies eigentlich ſchon ans bem 
Speierſchen Abſchiede von 1526 ſich herleiten ließ. So wurde es aber möglich, daß fich für 
diefe Kirche nun Berhältnifie bilden konnten, welche dem Weſen der Reformation zu 
wider die vexrworfene Mifchung des weltlichen und geiftlichen Regiments doch — 
dernochten. Die Schuld hiervon tragen vornehmlich, wie ſchon oben angedentet if, die 
Bifhöfe der romiſchen Kirche, welche, flatt die Reformation der Kirche fördern zu helfen, 
biefelbe feindlich befämpften und fo die weltlihen Mächte zu Hälfe zu rufen Beran⸗ 
laffung gaben. Die Fürften wurden daher gebeten, die Ordnung zu bewirten. Go 
ſchrieb Luther ſchon 1526 an dem Kurfürften zu, Sachſen, da ihm „als dem oberſten 
Haupte dies zuftehe: denn ſichs fonft niemand annimmt, noch annehmen fan: (f. be 
Bette, Luther's Briefe Bd. IL. S. 493), eben fo im Jahre 1528 (Richter, bie 
Ricchenordbnungen des 16. Jahrhunderts, Bd. L ©. 83.). So entfland ber landesherr- 
liche Epiſtopat als ein nenes Nothbisthum, wie im Jahre 1530 der Herzog Albrecht 
von Preußen ſelbſt erklärte: Coacti sumus, alienum offeium, hoo est episoopale in 
208 sumere (vergl. meine Geſchichte der Quellen des preußiſchen Kirchenrechts. Br. L 
Theil 2. ©. 53) und feitdem finden fi in den vom den Obrigleiten amsgegangenen, 
menigftens beflätigten, Kirchenordnungen allgemeine Ausfpräche und befondere Anwen⸗ 
dungen, aus denen die Unterordnung der Kirche unter deu Staat auf's volllommenfte 
erhellt (m. f. deshalb die diefen Gegenſtand berührenden Kicchenordnungen, welche Richter 
a. a. DO. Bd. 2. ©. 513 verzeichnet. Damit vgl. defielben Geſchichte der enangeliichen 
Sichenverfoflung im Dentfchland. Leipzig 1851. Schenkel, über das urſprüngliche 
Berhäftuiß der Kirche zum Stante, auf dem Gebiete des evangeliſchen Proteflantisuns, 
m Ullmann unb Umbreit theologifhen Studien und Kritiken 1850 Heft 1 und 2. 
S. 203 fg.). 
Es Laßt fi nicht längnen, daß Luther aus dem Grunde feines Herzens wie ein 
äremad der Blanbensfreiheit, fo auch gegen die Einmifchung der weltlichen Pollzeimadt ' 
m die Üngelegenheiten der Kirche war. Üben fo wenig kann aber verkannt werden, 


—X 


128 Staat und Kirche 


daß er zu leicht durch die Umſtände ſich bewegen ließ, Grundfätze zu limitiren, wenn 
die ſofortige Ausführung auf Hinderniſſe ſtieß. So muß man leider zugeſtehen, daß er 
zwar jeder Zeit die Forderung von der Selbſtſtändigkeit der Kirche vertheidigt und die 
Untericheivung der beiden Regimente für uothmwendig gehalten habe, daß er aber zn 
fchnell verzagte und die eigentlich von ihm vertheidigten Rechte der Gemeinden fallm 
ließ. Wenn man behauptet, daß eine durch die Gewalt der hiftorifhen Thatſache 
gewirkte Berichtigung der Anficht Luther's fich Darin ansfpreche, fo ift dies eine Anfiht, 
welche auf einer Verkennung des Weſens der Kirche im evangelifhen Sinne ber 
(So bei Mejer, Inflitutionen des gemeinen deutfchen Kirchenrechtes. Zweite Audgek. 
S. 119. Anm. 4). Wem aud) theokratiſche Anſchauungen bei biefem Verlaufe m 
Berhältuiffes von Staat und Kirche nicht ben eigentlichen Ausſchlag gegeben haben, h 
ſprechen fich diefelben doch in der Neugeftaltung der Verbindung ans und find and 
fpäterhin nicht fern geblieben. (Mean ſ. Hundeshagen, die theofratifche Stantsgeftaltun 
und ihr Berhältniß zum Weſen der Kirche, in Dove’s Zeitfchrift für Kicchenteht 
1863 (dritter Jahrgang) ©. 233 f. 246 f.; defielben Beiträge zur Kirchenverfaffung® 
geihichte und Kirchenpolitik, insbefondere des Proteftantismus. Bd. I. Wiesbaden 1864. 
©. 52 f. ©. 113 f.). | 

Wenn auch die Verwaltung von Staat und Kirche wieder vermengt war, fo blich 
bei den Evangelifchen wenigſtens anerkannt, daß der Grund nicht in der Befugniß dei 
Staats an fi, alfo in politifhen Motiven liege, fondern daß das Kirchenregiment en 
Recht der Stiche fen, welches dem Inhaber des Staatöregiment® von ihre verliehen fd, 
weshalb aud) das dem Territorialrecht anffebende jus episcopale als ein befonderd 
Recht betrachtet wurde. (Viele Zeugniffe dafür gibt v. Kamp in der Abhandlung: 
Ueber das bifchöfliche Hecht in der evangelifchen Kirche in Deutfchland, in den von ihm 
redigieten Jahrbüchern für die preußifche Geſetzgebung. Heft 61. S. 24 f. und n 
befonderm Abdrude. Berlin 1828... Allein der Urfprung und die Berfchiedenheit te 
beiden nunmehr vereinigten Regimente wurde nicht ſtets Far eingefehen und deshalb 
finden fih bald die mannigfachflen Uebergriffe und bie Anficht konnte Beifall finden, 
daß der Landesherr, beziehungsmeife die Obrigkeit an ſich die Kirche zu dirigiren bereir 
tigt ſey. (Man f. über diefe Entwickelung den Nachweis in meiner Darflelug: 
Ueber die Geltung der ältern evangelifchen Kirchenordnungen in der Gegenwart, in da 
Zeitfchrift für deutfches Recht Bd. 19. Heft 1. ©. 24 f. und vgl. die Artitel Eyi- 
palſyſtem in der evangelifchen Kirche Bd. 4. S, 108 f.; und Territorialfuftem Bi 
S. 532 f.). Die Folge hiervon mar, daß man den Sat aufftellte: Cujus regiq TP 
religio, und ohne Ruckſicht auf das Religionsbelenntnig ded Herrſchers, demfelbuwd 
jus reformandi und mit ihm das Regiment über die evangelifche Kirche ſeines Id 
zugleich zuſprach. Diefe territorialiſtiſche Auffaffung wurde in der Praris zur bel. 
ziehung gebracht und für die Evangeliſchen unter der Herrſchaft römiſch gefinnter dürfe 
höchft verderblich, fo daß and; evangelifche Randesherren gegen ihre römifch - Latholijhe 
Untertanen zur NRetorfion von dem hierauf gegründeten Recht der Gegenreformatiot 
Gebranch machten oder doch wenigſtens ein bifchöfliches Hecht Über diefelben behanpteten. 
Die hieraus entflandenen Mißverhältnifie verurfachten eine Feindſchaft, melde zulnt 
den Ausbruch des dreißigjährigen Krieges herborrief und durch den weftphäfifchen Friede 
(man f. den Art. Br. 18: ©. 17 f.) gehoben werden mußte. Obgleich das Nee 
einanderbeſtehen verfchiedener Religionsparteien Hierdurch berechtigt war, wie dies ſchos 
vorher der Fall geweſen, fo hatte ſich doch die Neigung gebildet, im den einzeln 
Staaten möglihft nur Eine Eonfeffion beftehen zu laſſen. Jedenfalls aber waren dit 
felben doch eigentliche Eonfeffionsflaaten geworben. 

Die Reformation und die Anerkennung der Evangelifchen neben der alten Lirche 
hatte Übrigens anf das Verhälmiß des Reichs zur letzteren den größten Ein 
Wenn Deutfhland auch den frühern Namen des heiligen römifchen Reichs deutidkt 
Nation noch weiter führte, fo konnte ihm derfelbe im älteren Sinne nicht mehr ie 








Staat und Kirche 129 


iprocen werden. Die biäherige Einheit war gefchwunden und nicht nur in religidfer, 

ſordem auch im politifcher Beziehung. Schon feit 1531 war der monarchiſche Karalter 

eh beutichen Reichs im Frage geftellt (vgl. Eichhorn, deutfhe Staate- und Rechts⸗ 

xihihte Bd. 4. ©. 91) und im Yahre 1640 entwidelt dies näher Hippolytus a 

Iapide (entweder der ſchwediſche Hiftorifer Bogislam Philipp von Ehemnig oder fein 

Bat Martin Chemnig, oder der ſchwediſche geheime Rath Jakob von Steinberg, den 

der pommer'ſche Regierungspräfident Johann Nicodemms von Lilienfiröhm unterftügte; 

pp. Menzel, deutihe Geſchichte Br. 8. ©. 83, v. Rommel, Geſchichte Heſſens 

8.7.6, 211. Anm. 179.). Das BVerhältniß des Kaifers zum Pabſte konnte darum 

uch nicht mehr in älterer Weife aufrecht erhalten werden und die fchon früher miß⸗ 

fäligen Anfichten der Curie mußte man aufgeben. So hatte bereits der Reichsvice⸗ 
tanler Seld dem Könige Ferdinand I. geäußert: „Wan Em. Majeftät fonften gemeynt 
it, die alten heiligen Canones zu halten und bey denſelben zu bleiben, fo dürffen Sie 
Hd die nenen parteiiſchen Bäpſtl. Decretales nicht befümmern lafien, quia talis est ex- 
traragans illa, unam sanotam: (Goldaſt, politifche Reichshaͤndel S. 185, angeführt 

wa Kanke, deutſche Gefchichte Bd. 5. S. 422), Auch hatten fi die Kurfürften am 

18, März 1558 im dem fogenannten neueſten bentfchen Verein bereits darüber erflärt: 

‚dir follen und wollen aud) beuderfeits Religion und der Seremonien halber keiner 
ea andern auf künftigen Wahl» Crönungstagen oder fonft ausfchließen, nody unfähig 

ahten. (Faber, ueue Stantslanzlei Bd. 13. ©. 61 f. Gerſtlacher, Handbuch ber 
deutſchen Reichsgeſeze Bd. 4. ©. 511 f.). Noch immer blidten aber hohe Geiftliche 
md Polititer auf die frühere Einheit von Stoat und Kirche, von Kaifer und Pabſt 
ſehnſüchtig zurück umd meinten, daß in ihe der Grund der deutſchen Macht und in 
ihrer Herſtelluug das rechte Mittel gefunden werden Eönne, die Deutfchland drohende 
Selahe zu überwinden. Als nad dem meftphälifcyen Frieden das Reich ohmmächtig 
tommedelag und von ber Willfür Ludwigs XIV. vielfach verlegt wurde, flug Gott» 
Miet Vilhelm dv. Leibnig 1670 im feinem Bedenken, welcergeftalt securitas publica 
iniern et externa und status praesens im Reich jepigen Umfländen nach auf feften 
duf za fellen (Leibnitz, deutſche Schriften, herausgegeben von Guhrauer, Bd. 1. Berlin 
1898 Rt. 1) vor, die Bereinigung aufs Neue zu bewirken. Auf diefen Gedanfen fanı 
er and fpäter zurüd und erflärte in einem Briefe von 1686: Soll man jest, um ben 
Fühlen Anfehen zu vexrfchaffen, ihnen eine beträchtliche weltliche Macht verleihen? Ich 
gefche, daß fie ſolche nicht brauchen, wenn der Klerus ſich eng an ihm hielte, und wenn 
diefer Mens auf eine Art lebte, um dem Boll Ehrfurcht einzuflößen; denn kein chriſt⸗ 
liher Monarch follte es wagen, ein ſolches Corps zu verlegen; allein wie die Dinge 
tente ſtehen, wurde ich es gut finden, wenn man, ftatt das Patrimonium bes heiligen 
Petrus zu verfürgen, eher ganz Italien damit vereinigte. Denn es wäre zu wünfchen, 
daß der Pabft mächtig gemug daflände, um in gewiſſer Weife bei den Streitigfeiten der 
Friflihen Fürſten den Schiedsrichter zu machen. Denn weil die Kraft der Religion 
unter den Weltlichen diefe® verderbten Yahrhunderts une für imaginär gilt, fo wäre es 
gut, den meltlichen Arm damit zu verbinden. In der That iſt e8 der Kaifer, welcher 
de Schirmherr der allgemeinen Kirche ift, und der eng mit dem Pabſte verbunden feyn 
ſolte, um die Ruhe in der Chriftenheit aufrecht zu erhalten. Und wenn ſich diefe 
Nähte unter einander wohl verfländen, fo gebe es wohl für das allgemeine Wohl 
eiwas zu thun. (Dan f. v. Rommel, Leibnitz nnd Landgraf Ernſt von Hefien - Rhein- 
ld. Ein umngedrudter Briefwechſel. Frankfurt a. M. 1847. Bd. 1. ©. 284.) 
Schon Leibnig, obwohl er felbft in feinem Volkerrecht diefem Gedanken eine Stelle zu⸗ 
beift, erfannte aber die Unmöglichkeit, denn in dem Schreiben fügt er gleich hinzu: 
Aber dies find Wänfche, welche von bem gegenwärtigen Zuftande der Dinge fehr weit 
entfernt find. 

Wenn der früher anf das deutfche Reich und den Saifer geübte Einfluß der Curie 

auch nicht ferner fortdeuern Tonnte, fo fuchte man don Rom, wo ed materiell nicht 

Aeal⸗ Cacytlopadie für Theologie und Kirche. Suppt 11T, 9 





130 Staat und Firde 


mehr möglich war, wenigſtens den Schein einer gewiflen Superiorität anch ferner zu 
behaupten. Die „den Alatholiten“ gewährten Rechte anzuerlennen war man natürlid 
weit entfernt und beſchränkte fih auf Protefle oder man ignorirte die Thatſachen. 
Die Krönung des Kaiſers durch den Pabſt mar zulegt im Jahr 1530 für Karl V. 
vollzogen. Seitdem erfolgte ohne päbftlihe Mitwirkung Creation und oronation zu 
Frankfurt am Main. Inden nur ungern diefer Alt von Rom unterlaſſen wurde, in 
welhem man eine Anerfennung der Unterwerfung des Staats unter die Kirche anyı- 
erfennen geneigt war, follte wenigftens in anderer Weife biefelbe an den Tag gelegt 
werden. Daher erließ Clemens XI. unterm 26. Februar 1714 eine Eonfiftoriolbuk, 
durch welche er die Wahl Karls VI. zum deutſchen Könige förmlich beftätigte (gedrun 
in Bullarium Romanum edit. Luxemburg. Tom. X. Fol. 539 f.). Da odei 
der Erhebung deſſelben auch die evangelifchen Kurfürften mitgewirkt hatten, und fonfig 
Unzuträglichleiten nad) romiſcher Prätenfion obgemaltet, fügte er gewiſſe Klauſeln hin, 
durch welche eine Heilung der DVerlegungen erfolgen jollte: Ao omnes singulos juris 
et facti defectus, etiam substantiales qui seu ratione formae, vel loci coronationis 
ejusdem, seu ratione personarum eorumdem Electorum tam silicet eorum, qui ab 
fuerunt, ac suum suffragium minime tulerunt, quam aliorum, qui ad suffragium 
ferendum , licet quovis legitimo jure eligendi destituti essent, admissi fuerint, 
sive etiam ex eo, quod idem Iosephus Electus Imperator de manu Romani Pont 
ficis, auream Coronam non susceperat, imo, nec etiam suae electionis confirmationem 
ab eodem Romano Pontifice obtinuerit, seu quavis alia ratione, vel causa in eleo- 
tione, et ooronatione hujusmodi quovis modo intervenerunt, seu intervenisse did, 
censeri vel praetendi possent, sanamus et supplemus, teque sic electum et confr 
matum ad suscipiendum Imperialis dignitatis culmen suis loco, et tempore dignum 
et idoneum, 'etiam decernimus et declaramus. Dazu fügte er nochmals die Beftätigung 
am 10. März 1714 bei Gelegenheit der Erledigung eines Conflikts des xömiihe 
Stuhles mit dem Kaiſer über da8 Recht der erften Bitte (primae preces) (Bullariun 
eit. Fol. 541. 542.). So trat an die Stelle eines feit Jahrhunderten vernichteten matt 
riellen Rechts eine formelle Behandlung, welcher jede Spur irgend einer Wirk 
fehlte. Nach der damaligen Stellung der Curie war e8 auch nur eine ohnmädlig 
Anmaßung, wenn 1701 diefer Pabft gegen die unter Zuftimmung der Berechtigten vos 
Kurfürften Friedrihh III. angenommene Würde eines Königs von Preußen protefirt, 
oder 1707 gegen die Braunfchweig-Lüneburg übertragene neunte Kurwürde. Dabei mr 
freilich zunächft der Unmwille des Pabſtes das Motiv, daß evangelifchen Fürften m 
gleichen Berleihungen zu Theil getvorden tvaren. 

Diefe und andere auch fpäterhin noch der weltlichen Macht gegenüber beanfprudta 
Berechtigungen waren indeflen nicht im Stande die allgemeine Anſicht von der Abhängig 
keit aller Landeskirchen von den betreffenden Regierungen auch nur im Geringſten m 
zugeftalten. Die Schriftftellee des 18. Jahrhunderts entwideln ohne Bedenken den br 
ftehenden Rechtszuftänden gemäß die Stellung der Kirche zum Staat umd denken nihl 
daran, daß ein der mittelalterlichen Auffafjung entfprechendes Verhältniß der beides 
Anftalten etwa wieder ins Leben treten könnte. (Man f. die Auszüge aus den gang 
baren Lehr» und Handbüchern bei 2. U. Warnlönig, die flantsrechtliche Stellung de 
Tatholifchen Kirche und die Latholifche Lehre des deutfchen Reichs befonders im ad. 
zehnten Jahrhundert. Erlangen 1855. Damit vergl. man Roßhirt, das ſtaatsrechtliche 
Verhälmiß zur katholiſchen Kirche in Dentfchland, feit dem weftphätifchen Frieden. 
Schaffhaufen 1859, worin zugleich auf bie neueften Ereigniffe Nüdficht genommen if) 
Eigentlich war ein dem frühern entgegengefegtes Suftem zur Herrfchaft gelangt und wie 
vorher die Kirche den Staat, fo beherrichte jet der Staat die Kirche. Wenn aber 
Staatsmänner der Zeit noch einſichtsvoll genug waren, für die Freiheit beider Anflalten 
das Wort zu ergreifen, fo war dies in der That ſchon aller Anerkennung werth. 
Vahre 1766 hatte unter dem Namen Beremund von Lochftein, der Director bes lur⸗ 


Staat und Kirche 131 


ürkfshen geiftlichen Rathes und geheimer: Refexendarius Peter von Oftertwald bie Gründe 
für and wider bie geiflliche Immunität zuſammengeſtellt und folgende Sätze babei aus» 
gefrrohen: Es iſt eine ausgemachte Wahrheit, daß gleichiwie die geiftliche Macht in 
olen Dingen, welche zur Seligleit des Menfchen gehören . . . . fonverän ift, ebenfo im 
Gegentheile die weltliche Macht in zeitlichen Dingen unumfchränft und fouverän, folg⸗ 
lich vom der geiftlichen Macht völlig independent iſt, umd daß fie zugleich in allen ver» 
milhten Dingen... . . eben barum, weil fie zeitlich find, folglich unter ben Bezirk der 
weltlichen Sonveränität gehören, alleinige Nichterin fei, und daß es ihr allein 
gebühre, über ihre eigene zeitliche Stantsnothdurft und über das Intereſſe, welches bie 
Kirche dabei haben Tann, zu urtheilen. Und gleichwie in der Orbnung ber übernatür- 
lichen und göttlichen Dinge die Kirche eine abgefonderte und von dem weltlichen Stante 
diſtinguirte Gefellfchaft ausmacht und demfelben vorgeht; fo hat hingegen ber weltliche 
Start in der Orduung der natürlichen Dinge ben Borzug vor der Kirche. Im dieſem 
Berftande ſagt Optatus Milesitanus ganz recht, daß nicht der weltliche Staat in ber 
Kirche, Isndern die Kirche im weltlichen Staate fey. Und hierin beruht die fo fchöne 
in der Berannft, in dem Rechte ber Natur und in der göttlichen Schrift gegründete 
Harmonie heiter Meächte, welche nicht allein nicht beflehen Tann, fondern auch in Lauter 
Unsrbuung und Coufufion ansarten muß, wenn man andere Principien, als bie voran⸗ 
gegogenen, zum Grunde legt (Vgl von Scheurl, Beiträge zur Belenchtung der Schrift: 
Concordat und Conſtitutionseid der Katholiten in Bayern, Augsburg 1847; Cflangen 
1847, Heft 2. ©. 10 f.). Der hierarchiſchen Doktrin entfprad, dieſe Darftellung fo 
ivenig, daß der Fürſtbiſchof von Freifingen fie als eine wider die mahren Grumbfäge 
der Kiche auftößige, dem Anſehen der Päbfte und allgemeinen Kicchenverfammlung, 
geiſtlchen und tmeltlichen Fürften nachtheilige, auch fonft mehrfach gefährlich verwerfen 
zu möfen für gut hielt und diefe Schrift deshalb in feinem Bisthum verbot. Da 
aber in Bahern dieſe Grundſätze dem geltenden Rechte nicht widerfprachen, biefelben 
sch in dem zehn Jahre vorher erfchienenen Codex Maxmilianeus Bavarious civilis 
werlomt und von dem Freiherrn von Kreittmayr in den vechtfertigenden Anmerkungen 
beſonders vertheidigt waren, exließ der Kurfürſt Marimilioen Sofeph III. unterm 
39. Ungaft 1766 eine Declaration, in welcher er das bifhdflihe Verbot flir einen 
Eingriff in die Rechte der Landeshoheit erklärte, bie Schrift felbft aber ausdrücklich 
approbirte, denn bdiefelbe handle nur Landesherrliche Gerechtſame und Befngniffe ab, die 
bereit bei den meiſten Latholifchen Staaten in Uebung feyen. (v. Scheurl a. a. O. 
6.118). Der frittige Punkt war freilich die gemifchte Angelegenheit und dieſe 
vor allerdings der Einwirkung der Kirche entzogen. In dem Faiferlichen Lande felbft 
had feit Maria Thereſia die zweifellos feft, ja man ging hier noch weiter. (Man 
[. mr die bei Warnkoͤnig a. a. O. angeführten Berorbnungen, vgl. auch Beidtel, Unter 
Idungen in ben kaiſerlich Sflerreichifchen Staaten. Wien 1849.) Bemerkenswerth 
M in dee Hinficht das Hofdecret des Fürften von Kammig-Rietberg dom 19. Dezember 
1781, in welchem ausgefprochen if: Daß die Abftelung foldher Mißbräuche, welche 
ieder Grundſaͤtze bes Glaubens, weder den Geift und bie Seelen allein betreffen, von 
dem römischen Stuhle uimmiermehr abhängen Tann, indem diefer, zwei Gegenftände aus» 
genommen, nicht die mindefle Gewalt im Staate haben kann. Daß diefe mithin allein 
und onsfchliegend dem Landesfürften zuftehe, welcher allein im Stante das Recht zu 
befehlen hat. Daß von diefer Art Alles ohne Ausnahme zu ſeyn ſich befindet, was 
die Außerliche Zucht der Kleriſel und insbefondere der Orden betrifft. — — Gleichwie 
ber Kaiſer fich niemals der Ausühnng der gegründeten und geſetzmäßigen Gerechtfame 
des heiligen Stuhls und der allgemeinen Kirche in bogmatifchen ımb blos die Seele 
betreffenden Segenfländen zu entziehen gedenle, alſo werben fie auch niemals eine 
fremde Einmiſchung in Angelegenheiten geftatten, welche Allechöchftdiefelben als offenbar 
der oberſten landesherrlichen Machtvollkommenheit zufteht, anfehen werden; als melde 
ohne Audnahme Alles dasjenige unter fich begreift, was in der Kirche nicht bon gött- 
9% 








132 Staat und Kirche 


licher, ſondern nur von menſchlicher Erfindung und Einrichtung iſt, und das was es 
ift, allein der Einwilligung oder Gutheißung der oberherrlichen Gewalt zu verdanfen 
hat (bei Beidtel a. a. DO. ©. 285.). 

Es wird hiernach nicht auffallen können, daß in Ländern evangelifcher Negierung 
feine andern Orundfäge aufgeftelt waren. Wenn man aber behauptet, daß erft nad 
dem Borgange der anderägläubigen Gebiete die römifch-latholifchen ſich diefe Einfchränfung 
ihrer Kirche angeeignet hätten, fo läßt ſich dafür ein Beweis nicht führen. Das aber 
kann zugeflanden werden, daß wenn auch nicht die Prinzipien, wohl aber die Folgen 


ber Kirchentrennung wefentlich dazu beigetragen haben, die jura reformandi, welche ihn 
feit dem 14. und 15. Jahrhundert mweltlicher Seit gelibt wurden, immer mehr audm 
dehnen und die Rechte der Kirche felbft in ihrer Sphäre zu befchränfen. Hierin bi 


wie die römifch-tatholifche Kirche auch die evangelifche durch den ausgebehnteften Tem 


torialismus viele Einbuße leiden müſſen. Bon befonderem Einfluffe auf die Herbeis 
führung einer Schmälerung der römifchen Prärogative mar aber das in der römild- 


katholiſchen Kirche felbft fich bildende Epiffopalfyftem. (Man f. den Art. Bd. 4.©.105f) 


Nachdem im 15. Yahrhundert dieſes Syſtem die Reformation der romiſchen ſirche 





duch eigene Mittel nidyt hatte herbeiführen können und, nachdem auch nad; der evam 


gelifhen Neformation der Romanismus fid) in der älteren Weife geltend machte, auf 
die päbftlihe Allgewalt im 17. Jahrhundert für den Episfopat wieder höchſt drüden? 
getvofden war, fing man an gegen diefelbe die älteren Kanones anzuführen und wünſchte 
die Praxis nach derfelben umzugeftalten. Wie im dreizehnten Jahrhundert war au 
jet wieder Frapkreich dem alten Zraditionen gemäß gegen die päbftlihen Anmaßungen 
mit Entfchiedenheit aufgetreten. Zwar waren die in der pragmatifchen Sanktion zu 


Bourges am 7. Yuli 1438 (f. den Art. Pragmatifche Santtion Bd. 12, ©. 89 f.) an 
gefprochenen Freiheiten der gallifanifchen Kirche (vgl. den Art. Gallikanismus Bd. 4 


©. 647 f.) durch das zwiſchen Franz I. und Leo X. 1516 gefchloffene Concordat fu 
pendirt worden, allein eine völlige Abrogation derjelben doch nicht gelungen. Zuerl 
teat die Wiflenfchaft für die älteren Rechte in die Schranten und die 1594 bon Gum 
Coguille unter dem Titel: Libertes de l’eglise gallicane: zufammengeftellten und dan 
wieder von andern ergänzten und motivirten Säge erhielten die Approbation Ludwig AIV. 





und drangen allmälig in der Praris durch. Darauf fügt fid, die Declaratiom vom 
8. Mai 1663, die Artilel der Aſſemble vom 19. März 1682 und der fpätere fra 
zoͤſiſche Epiflopaliemus. Darauf wurde aud in den Niederlanden (Van Espen } 17 


Goswin de Wynants } 1732) und in Deutfchland (Nicolaus von Hontheim) die mt 
eurialiftifhe Richtung geltend gemacht. Die Folge davon waren die Coblenzer Artikd 
von 1769 und die Bad Emfer Punktation von 1786, welche zugleich die Unabhängip 


feit des Staats in feiner Sphäre vertheidigten. Der Kaifer war mit der Orduum 
biefer Angelegenheit beichäftigt, als die franzöfifche Revolution ausbrah und ſelbſt Abe 
die Öränzen hinausjchritt, welche Rom zu ziehen der Epiflopat gewünfcht Hatte. Ob | 


gleich bis dahin der Kirche ſchon der Einfluß auf alle äußeren, felbft geiftliche Ange 


legenheiten gefeglich entzogen war (man f. nur die Gefege, melde v. Kamptz im Oodi- 


cillus, das landesherrliche jus circa sacra betreffend, in den Sahrbüchern für preußifche Ge ⸗ 
feggebung. Heft 100 und im Abdrud daraus. Berlin 1838, mitgetheilt hat), fo unter 





ließ der Papft doch nicht, auch jest noch alte Anſprüche hervorzurufen. So [hide 


Pins VL noch 1792 einen Nuntius nad Frankfurt, um den Pabft bei der Kaiferwahl 
zu vertreten und ließ den Kaifer zugleich auffordern als protector et advocatus eocle- 
sise, sanctae sedis apostolicae et sanctitatis sune gegen Frankreich einzwfchreiten. 
(Häberlin, pragmatifche Geſchichte der neneften Taiferlihen Wahlcapitnlation. Leipzig 
1792. 1793 theilt im Anhange S. 420 f. die defifallfige Urkunde mit). Gerade bie 
völlige Verachtung aller kirchlichen Gerechtfame gewann aber der Curie Deutfchlande 
Theilnahme. Während früher ein Streit ziwifchen Staat und Kirche befland, indem ein 
Herrfchen des einen Theils über ben andern angeftebt wurde, mußte dies aufhören 


Gtast und Rirdie 183 


da vielmehr beiden ein gemeinfamer Feind fidh entgegenftellte. Die ewigen Grundlagen 
waren für die Staaten, wie für die Kirche erſchüttert. Es kommt aber dazu noch ein 
anderer Geſichtspunkt. Die Fürften bedurften zum Theil felbft einer Stüte Auch 
fehlte e8 nicht an weltlichen Regenten, welche Rom's Autorität für fich auszubenten 
fehten. Hatte doch der Kurfürft -von Bayern Karl Theodor fi von Pins VL eine 
Bulle geben laſſen (amı 7. September 1798), durch welche die Stifter und Klöfter des 
Landes ermächtigt wurden, eine außerordentliche Beiftener ven 25,000 Gulden für das 
Land aufbringen zu dürfen. Unbedenklich theilte man aber darauf bie fecularifirten 
Kichengäter und nahm anf die Rechte der Kirche keine befondere Rüdficht. 

Dis gegen Ende des 18. Jahrhunderte waren die Staaten ordentlicher Weife 
confeifionelle geblieben. Die in Folge der Revolution eingetretenen Territorialverände- 
rungen führten zu einer Miſchung der Bevolkerung, welche eine Aufrechthaltung der 
bisherigen Behandlungsweife Andersgläubiger wicht mehr beftehen ließ. Es mußte ſich 
allo ein neues Verhältnig des Staats zu ben Kicchengefellichaften bilden, welches auf bem 
Prinzip der Parität beruhte oder wenigftens dem Grundſatze der Toleranz nicht wider» 
Trend. Abzeichen von allgemeineren Borfchriften, welche in biefer Richtung ergingen, 
wie namentlich durch den Art. 16 der deutfchen Bundesakte, erfolgte in ben einzelnen 
Staaten durch befondere Geſetze die Regelung diefer Verhältniſſe. Nachdem aber zu- 
gleih der Organismus der Landesgebiete nach dem konſtitutionellen Prinzip verändert 
wurde, fellt man nunmehr den Grundfag auf, daß im freien Staat aud) die 
Kirche frei beftehen folle. Bon ben verfciedenen Religionsgeſellſchaften ift derjelbe 
jedoch derſchieden gedeutet worden. Die vömifch-Fatholifche Kirche firebt freilich 
tigentlich darnach, allein die Kirche zu ſeyn, kann alſo die Parität anderer Eonfeffionen 
nicht gutheigen. Nachdem bdiefelbe aber einmal feffieht, muß fie fi in die Noths 
bendigfeit fügen. Als Bertreter derfelben erſcheint ohne Nüdficht auf die einzelnen 
Rationen und Staaten der Pabſt. Durch Verträge mit den Staatsoberhäuptern fucht 
a für jede im einem Lande befindliche Kirche die möglichft größten Vortheile zu er⸗ 
langen. Bis zum Jahre 1860 find demgemäß Concordate abgefchloffen, welche das 
verhalmiß der Landesficchen zum Staat feſtſtellen. Seitdem ift aber die Eingehung 
derartiger Berträge für die beiderfeitigen Intereſſen als nicht zweckmäßig erflärt worden 
md es ift daher vorgezogen, der roͤmiſch⸗katholiſchen Kirche die ihr nicht zu verfagenden 
Wreibeitörechte nicht ferner auf dem Wege eines Koncordats, ſondern durch befondere 
Iondeögefege zu gewähren. Die evangelifche Kirche ift in Folge der neueren 
Cxeigniffe ebenfalls freier geftellt worden, entbehrt aber noch häufig der Selbfifländig- 
kt, welche zu ihrem Gedeihen nothwendig if. Die Gewährung berfelben hängt vor⸗ 
uchalich davon ab, daß der frühere Kerritorialismus aufgehoben werde. Das fm 
ober nme gefchehen, wenn bie einfeitige Confiftorialverfaffung aufgehoben und eine auf 
der Bois der Zeitorganifation errichtete Presbyterial- und Synodalverfafſung in ihre 
Stele geſetzt wird, oder wenn eine Beichräntung des Iandesherrlichen Kirchenregiments 
duch Presbpterien und Synoden erfolgt. Die dermaligen Streitigkeiten über das Bers 
hältnißz der evangeliſchen Landeslirchen im Staate ſtehen demnach mit ben über bie 
Einführung der begehrten Verfafſung gepflogenen Verhandlungen im nächſten Zus 
ſammenhange. Endlich fordern auch bie, welche ber Landeskirche gegenüber bie 
Stellung von Diffidenten oder Selten einnehmen, die Verwirklichung des 

dfaged der freien Kirche im freien Staate. Die Winfche gehen bier eigentlich 
dahin, daR die Verbindung von Staat und Kirche völlig gelöft und die Eriftenz der 
Religionsgemeinfchaft nur auf das Prinzip der Freimilligfeit gegründet werde. Dieſe 
Anffoffung ift diefelbe, welche nad) den Ereignifien von 1848 vielfach vertheidigt worden 
Ihr ſteht aber entgegen, daß der Begriff des Staats wie der Kirche an fi nicht 
ſo iſolirt gefaßt werben dürfe, daß jede dieſer Anftalten als eine vollfländige, der andern 
nicht bebürfende angenommen werden kann. Chen fo wenig, wie ber Staat, als ein 
fttliches Juſtitut ohne Zufammenhang mit der Religion, welche in der Gefchichte der 


134 Staat und Kirche 


Kirche ihren Ausdruck findet, beſtehen kann, eben fo wenig iſt es möglich, daß bie 
Kirche als eine fichtbare Gefellichaft zugleich eriftire, welche nicht das Bedirfniß hat, 
auch von den im Staate vorhandenen fittlichen Elementen mit getragen zu werben, mad 
daß diefe eben fo auf fie mit einwirken, tie fie felbft ihren Einfluß auf diefelbe 
geltend macht. 

Nach der gefchichtlichen Weberficht des Verhältniſſes von Staat und Kirche bedarf 
es noch der Auseinanderſetzung deſſelben, ſoweit die beiderfeitigen Rechte derſelben in 
Betracht kommen. Man pflegt diefelben an die Begriffe der Birhenhobeit (jus 
circa sacra) und Kirhenregiment (jus in saora) anzulnüpfen, und verfteht 
unter jenem die Rechte, welche der Staat als ein underäußerliches Majeſtätsrecht befigt, 
umter diefem das der Kirche kraft ihrer Autonomie gebührende felbftftändige Verwaltunge⸗ 
recht ihrer Angelegenheiten. Wie der Staat nothivendig eine beftimmte Beziehung m 


allen in ihm befindlichen Berfonen, Inflituten und Gegenftänden hat und auf diefellm 


duch Geſetzgebung, Auffiht nnd Vollziehung feinen Einfluß geltend macht, fo fteht ihm 
dies auch im Verhältniß der Kirche zu. Er übt eine Hoheit über diefelbe, indem er 
fie feiner Geſetzgebung unterwirft, fie beauffichtigt und die Forderungen gegen fie ab 
führt, weldye zu feinem Beſtehen erforderlich find, wie er auch mit feiner Macht fi 
fügt und ihr die Gerechtfame gewährt, derer fle zu ihrer gedeihlichen Wirkfumteit be 
darf. Mit der Zeit haben fich darüber gewiffe Grundfäge gebilbet, welche bie Wiſſen⸗ 
ſchaft umter beftimmte Begriffe gebracht hat, fo daß gegenwärtig zur Kirchhoheit drei 
oder‘ vier Funktionen gezählt zu werden pflegen, über welche die Geſetze der einzelnen 
Länder nähere Feflfegungen enthalten. Man rechnet darnach zum jus (majestatioum) 


circa BAacrta 


1) da® jus reformandi: Urfprünglich liegt darin die Befugniß des Staats, ſolche 
Reformen, Emendationen einzuführen, welche er als erfprießlich erkannt hat. Es um 
faßt diefelbe auch Angelegenheiten des Cultus, ja wohl felbft des Dogmas, obfchon dich 
ordentlicher Weife nur den geiftlichen Dbern zufland. Im 16. Yahrhundert wurden die 
Dbrigleiten von den Reformatoren veranlaßt, das durch die römifche Kirche veränderte 
Evangelium in feiner Reinheit herftellen zu helfen und nachdem der Speyerfche Abfdie 
ihnen reichsgeſetzlich dies beinilligt, übten ſie dieſes Hecht durch Einführung der evan- 
liſchen Reformation und durch Aufnahme derjenigen, welche ſich für diefes veformirt 
Belenntniß entfchieden. So wurde das jus reformandi auf das Recht bezogen, ein 
nenen Religion in einem Lande den Eingang zu gewähren und in dieſem Sinne in al 
gemeiner Bedeutung gebraudt. Dabei entftanden in den Kämpfen ber religidfen Pr 
teien gewiſſe Regeln, welche fowohl für die Fürſten, als für die Bewohner eines Randtt 
in der Ausübung dieſes Rechts die Beobachtung beflimmter Schranfen vorzeichnete- 
Den Ausgangspımlt bildete zuerft die Herrfchaft der vömifch-Tatholifchen Kirche, dann die ct 
die Landeshoheit der einzelnen Drachthaber gefallene Befugniß, in ihren Territorien die 
Religion nach ihrem Willen und VBelenntniffe zu ordnen: Cujus regio ejus religio. 
Die Härte, mit melcher hiernach gegen Andersgläubige verfahren wurde, veranfaßtt 
Streitigfeiten, welche zur Aufflellung von Nechtöfägen führten, die eben fo die Bil, 
für der Landesherrſchaft befchränften, al8 den Umfang der Freiheiten firirten, deren bie 
Mitglieder einer Religionspartei theilhaftig feyn durften, wenn fie auch das VBelenntnif 
der Regierung nicht theilten. Im den einzelnen Europäifchen Staaten find die Gdid- 
fale der chriftlichen und nichtchriftlichen Confeſſionen höchſt verfchieden gewefen und ef 
genügt an diefer Stelle auf die in den Artikeln Daldung Bd. 3. ©. 537 f. mt 
Heligionsfreiheit Bd. 12. S. 692 f. gemachten Deittheilungen zu verweiſen. Nachdesi 
in Deutfchland neben den römifch- Katholifchen auch die Anhänger der Augsburgiſchen 
Eonfeffion durch den Weligionsfrieden vom Jahre 1555 zur Uebung ihres Cult 
gelangt waren, konnten die Neformirten nur duch die Annahme, daß fie Mit 
befenner der Augeburgiſchen Confeſſion ſeyen, zum ungeftörten Religionserercitium gt 
langen. Der mweftphälifche Friede erkannte fie dann unabhängig von jener Boraud- 


Staat und Kirche 155 


fegung als eine eigene Religionspartei an. Den chriftlichen Selten und anderen Eon. 
feffionifien blieb aber auch feitdem noch der Auſpruch auf Duldung ober Reception vers 
fagt, biß feit dem Ende des vorigen Jahrhunderes die Gewährung der Religionsfreiheit 
olgemeiner erfolgte. Bis in die neuere Zeit wurde mit Rüdficht auf den Umfang der 
einer Religionspartei zuftehenden Religionsübung unterfhieden a) Excercitium reli- 
gionis publicum. ine Religionsgejellfchaft, welche fich im Beſitze des öffentlichen 
Sottesdienfted befindet, heißt religio oder ecclesia recepta, publica, dominans. Die 
Rechte derfelben find der Cultus in befonders dazu beftinmten Öffentlichen Gebäuden, 
welde den Namen Kirche führen, fo wie die Befugniß, fich auch außerhalb derfelben 
zu verfammeln, zur Zuſammenkunft feierlich durch Geläute einzuladen, deögleichen ber 
Anfpruc auf Öffentliche Kirchenverfaffung und die zu einer foldhen gehörigen Suftitute 
(annexa religionis).,. Mau f. deshalb das Instr. Pacis Osnabrugensis art. IV. $. 19. 
Art. V. 8. 31., das allgemeine prenßifche Landrecht Theil I. Tit. XI. 88. 11. 17. 
18. 25 u. 0. m. Sie befigen ferner die Rechte privilegixter Corporationen, nämlich 
die Fähigkeit, Eigenthum im eigenen Namen zu erwerben, indbefondere Grumdftüde 
wmier Genehmigung des Staats zu befigen. (Allgem. Landrecht a. a. O. 88. 24.193, 
194) und bei deren Berwaltung die Rechte der Minderjährigen (Allgem. Landrecht a. 
a. O. 8. 228. verb. Thl. J. Tit. IX. 88. 629—632). Beſonders begünftigt find fie 
auch am Falle des Concurſes ihrer Verwalter hinfichtlich der gegen diefelben beftehenben 
Forderungen u. a. Ebenſo geniehen fie Stempelfreiheit, Portofreiheit, Armenrecht im 
Procefie, Befreiung von allgemeinen Laften für ihre Gotteshäufer, melden die Vorrechte 
der Staatsgebäude zugeflanden zu feyn pflegen (Allgem. Landr. 88. 174. verb. 165. 
774 - 776 n. v. a.). Ihre Beamten haben mit anderen Beamten des Staats gleiche 
Rechte, find der Regel nach von den perfdulichen Laften und Pflichten des gemeinen 
Bürgers frei (Allgem. Landr. 88. 19. 96 u. a.), haben einen privilegirten Gerichts» 
fand, ſo weit derfelbe nicht aufgehoben ift (Allgem. Lande. SS. 97. 777 u. a.), ihre 
Amithandlungen haben bärgerliche Gültigkeit und ihre aus den Kirchenbüchern entnom⸗ 
menen Zengniſſe Öffentlichen Glanben (Allgem. Landr. $. 481. Allgem. Gerichtsordn. 
ZULIL Tit. X. 8. 128). Der Diftrikt, in welchem die Mitglieder diefer Gefellichaft 
zu einer gemeinfchaftlichen Kirche gewieſen find, heißt Parochie, und dieſelben unter» 
liegen dem Parochialrecht (Pfarrzwang) ihres Geiſtlichen (Allgem. Landrecht a. a. O. 
68.237.260 f.418f.). Zur Beitreibung ber hergebrachten Abgaben an die Kirche, Geiſt⸗ 
lichen u. f. w. verleiht der Staat im Wege der Adminifiration ohne förmlichen Proceß 
feinen weltlichen Arm (Preuß. Verordnung vom 26. Dezember 1808 u. v. a.). Mau 
vergl auch das bayeriiche Edikt vom 26. Mai 1818. 8. 28 f. m. a. m. Verſchieden 
baben ift p) das Exercitium religionis privatum der religio oder ec- 
clesis privata oder tolerata, der gebuldeten Religionsgeſellſchaft. Damit iſt nur 
der Brivatgottedbienft in (Bet-) Häufern verbunden, der Hausgottesdienft, mit Zuzie- 
bung eines Geiſtlichen (devotio domestica qualificate) oder ohne diefelbe (devotio do- 
mestica simplex). So nach Instr. pacis Osnabrug. art. IV. $. 19. Allgem. Landr. 
0.0. D, 88. 22. 23. 25. Es fehlen ihnen die Corporationsrechte (Allgem. Lanbrecht 
a. a. O. 8. 20. 24. verb. Thl. II. Tit. VI. 8. 11f.). Ihren Beamten und Gemeinden 
fehlen Parochialrechte u. a. (Allgem. Landrecht a. a. O. 8. 26. u. a., das bayerifche 
Cditt vom 1818. 88. 3. 32 f. u. a.). 3) Alle Religionsgefellichaften, welche nicht unter 
diefe beiden Klaſſen fielen, waren früher religiones illioitae, reprobatae und 
ihre Mitglieder wurden höcftens nur als Einzelne gebulbet, indem fie Gewiſſensfrei⸗ 
heit, aber nicht Religiondfreiheit befaßen. Seltirer aller Art fielen unter diefe Kategorie. 
Ihre Vereinigungen wurden als firafbare Conventikel beurtheilt. Das fpätere Recht 
bat dieß aber geändert und die Selten zugelaflen, indem es ihnen ben Saralter von 
Privatgefellihaften beilegte. Im Folge neuerer Erxeigniffe find aber mannichfache Aen⸗ 
derungen eingetreten, und für die ganze Unterfcheibung find andere Geflchtäpunfte gel» 
tend gemacht worden. Inbdbeſondere ift in Preußen nad dem Minifterialerlaß vom 


130 Staat und Kirche 


15. Mai i861 nur eine zweifache Art von Religionsgefellfchaften angenommen worden, 
je nachdem diefelben nämlich fid) im Befige von Gorporationsredhten befinden oder ihm 
folhe nicht zuftehen, und diefem Vorgange ift mun aud) anderweitig gefolgt. (Weber 
den Entmwidelungsgang diefer ganzen Angelegenheit vergl. man meine Abhandlung: 
Ueber die Arten derXeligionsgefellfchaften und die religiöfen Rechtsverhältniſſe der Diff. 
denten in Preußen, in Dove's Zeitfchrift für Kicchenreht Bd. I. Jahrgang 1861. 
©. 392 f. und verb. damit Dove's Mittheilungen a. a. ©. ©. 491 f.). | 
Als im Jahre 1848 die Forderung der abfoluten Trennung von Staat und Kirde 
geftellt wurde, hatte fich auch die Anficht gebildet, daß mit dem veränderten (oder m 
verändernden) Zuftande des Verhältniſſes der beiden Inſtitute die Fortdauer einer nf 
nahme von Religionsgefellfchaften im Staate nicht mehr vereinbar fey, daß alfo dat 
jus reformandi zu erxiftiren aufgehört habe. Indeſſen beruht diefe Meinung auf en 
ſchiedenem Irrthume und paßt nicht auf Preußen, für welches diefelbe zuerſt behaupte 
wurde. Im ähnlicher Weife, wie damals in ganz Deutfchland, hatte die Berfafiunge 
urkunde vom 5. Dezember 1848 und in ihrer revidirten Geftalt vom 31. Yan. 1850 
über das Verhältniß von Staat und Stiche folgende Grundſätze aufgeftellt: Art. XL 
(revidirte Ber. XII): Die freiheit des religidfen Belenntnifjes, die Vereinigung zu 
Religionsgefellfchaften (Art. XXVIII. XXIX. (jest XXX. und XXXI) umd der ge 
meinfamen häuslichen und Öffentlichen Religionsübung wird gewährleiftet. Der Genf 
der bürgerlichen und ftantsbürgerlihen Rechte ift unabhängig von dem religidfen Be 
fenntniffe. Den bürgerlichen und flaatsbürgerlichen Pflichten darf durch die Ausübung 
der Religiondfreiheit Kein Abbruch gefchehen. Art. XII. (revid. Verf. XV.): Die evum 
gelifche umd die römifch »Tatholifche Kirche, fowie jede andere Religionsgefellfchaft, ordnd 
und verwaltet ihre Angelegenheiten felbftfländig und bleibt im Befig und Genuß de 
für ihre Cultus⸗, Unterrichts» und Wohlthätigkeitszwecke beftimmten Anftalten, Stif 
tumgen und Fonds. Die revidirte Berfaflung fügte dazu noch zwei neue Artikel, XIL 
und XIV. Diefelben lauten: Die Religionsgefellfchaften fowie die geiftlichen Geſell 
fchaften, welche keine Corporationsrechte haben, können diefe Rechte nur durch befondnt 
Sefege erlangen. — Die driftlihe Religion wird bei denjenigen Einrichtungen de 
Staats, welche mit der Religionsübung im Zufammenhange ftehen, unbefchadet der m 
Ürtifel XII, gewährleifteten NReligionsfreiheit, zu runde gelegt. Die im Art. XL 
(XU.) in Bezug genommenen Artifel XXVIII. XXIX. (XXX. XXXI.) beziehen fi 
auf das Verſammlungsrecht und behalten die Bedingungen vor, unter denen Corpen 
tiondrechte ertheilt werden innen. Bei unbefangener Betrachtung diefer Beftimmupt 
in ihrer erften Geftalt, da die fpäteren Zuſätze der revidirten Berfaflung hier nihl 
geändert haben, ergibt ſich num, daß bei der Abfaffung derfelben feinesiwegs die Abſicht dahu 
ging, eine wirkliche Beziehungslofigleit, abjolute Trennung von Staat und Kirde M 
fanftioniren. Zwar follte das Belenntnif nicht entfcheidend dafür feyn, ob man bielt 
oder jene Rechte im Staate geltend zu machen habe, fo weit folche nicht bereits dark 
beftehende Borfchriften oder auch Privatverfügungen an eine beftimmte Confeffion gr 
Inüpft waren, aber der Unterfchied unter den verfchiedenen Heligionsgefellfchaften wor 
doch feftgehalten, daß es dergleichen gab, welche Corporationsrechte und andere Priv 
legien hatten und welchen fie fehlten. Die Hinweifung auf die über Affociationd- um 
Corporationsrecht fprechenden Artitel bezeichnet auch deutlich genug, daß es Geld 
fhaften mit folhen und ohne folhe gab. Ohne Weiteres waren den legteren die Cor 
porationsrechte noch nicht zugefprochen, da über deren Verleihung noch eine befondert 
Beftimmung vorbehalten blieb. Hieraus erhellt, daß die Ertheilung der jurs persons 
noch dem Staate verblieb, was auch fpäter nicht geändert ift, indem nur näher beftimmi 
wurde, daß diefelbe wittelft eines Geſetzes, alfo durch den übereinflimmenden Wille 
des Gonvernements und der beiden Häufer des Landtags erfolgen fol (Art. LX., rei 
dirte Verf. LXIL). Hieraus erllärt fich zugleich, daß das jus reformandi feinehugd 
abgefchafft war, fondern nur eine modificirte Bedeutung erhalten hatte. Wenn daffelde 


Gtest und Kirde 187 


ſtiher fh darauf bezog, daß überhaupt erſt zus beſtinmen war, ob einer neuen Con» 
ice Duldung oder Reception im Staate gewährt werden folle, fo ging biefelbe nun⸗ 
ner daranf, da es wegen der Religionsfreiheit einer folchen Conceſſion nicht mehr be- 
derite, ya präfen und zu beſtimmen, ob die Ertheilung der Corporationsrechte einer 
mucn Vcligionsgeſellſchaft erfolgen folle oder nicht. Hieran ift and) wirklich feftgehalten 
und es befleht mur der Unterfchied, daß wenn eine Weligionsgefellichaft fi ſchon im 
Beige der Berfönlichleit befindet, bei der Bildung einer neuen Gemeinde derfelben nur 
ver NRachmeis geführt werden darf, daß diefelbe zu dieſer Geſellſchaft gehöre, worauf 
in Bege der Verwaltung, alio allein duch, den König und feine Behörden, die Ber- 
ſeniſtlatien erfolgt. Wenn aber eine neue, noch nicht Pperfonificirte Religionsgefellichaft 
zer Rechte des Corpus theilhaftig zu werden wänfdht, bedarf fie dazu der Gewährung 
hu das Geſetz, umd im derfelben liegt auch noch gegenwärtig eine Anwendung des jus 
reformandi. Außerdem wird als ein zweiter zur SKicchenhoheit gehdriger Veſtandtheil 
ad regelmäßig gexechnet | 

2) bas jus oder officium advooatise seu protectionis. Da für 
des Staat die Religion und die Religionsgefellihaften das höochſte Interefie haben, ja 
“jan Beſtand weſentlich davon abhängt, daß die Grumbfäge der von ihm aufgenom⸗ 
zeen Kiche zur Geltung kommen, daß ihre Lehrer diefelben ungehindert verbreiten und 
ale liechlichen Einrichtungen den beabfichtigten Zweck erreichen helfen, jo liegt es in der 
Roter der Sache, daß von Staatswegen Alles gefchieht, was zur fyörderung hierbei 
deren fun. Seit der Reception des Chriſtenthums wurde and; der Kirche in jeder 
Veiſe vorſchub geihan und ihr ein bevorzugter Schng zu Theil Die Geſetze wie bie 
Imores heben dieß ſtets auf's Beſtimmteſte hervor, und bald erfcheint der Kaiſer als 
ver advoeatus eoclesise, umd zwar der Oberbogt, während jede geiflliche Stiftung einen 
eonderen Bogt haben follte. Bei der Krounng übernahm der Kaiſer flets eiblich bie 
Fi Schuges für die Kirche, und die feit Karl V. von allen Kaifern vollzogene 

Bohlspänletion enthielt ſtets gleich im erften Artikel eine deßfallſige Beftimmung. Seit 
ber Reformation ging auch auf die einzelnen Landesherren dieſe Verpflichtung mit über, 
zu in Epiflopat der Obrigkeit lag wefentlich auch diefe Advocatie mit eingefchlofjen oder 
erhielt menigflen® ein neues Motiv für diefelbe. Daher enthalten die Kirchenordnungen, 
Die die fpätere Regislatiom, viele dahin zielende Borfchriften, nnd die neueren Berfaflung- 
eeiege ſprechen ſich hierüber wie im Algemeinen, fo in befonberen Anwendungen aus. 
Co heißt es im baperifchen Edikt vom 26. Mai 1818 8.46.: „Allen Religionstheilen ohne 
Ansnchme iſt dasjenige, was fle an Eigentum befigen, es fen für den Cultus ober für 
vn Unterricht beſtimmt umd befiehe im liegenden Gründen, Rechten, Eapitalien ... .. . 
durch 8. 9. im IV. Titel der Berfaffungsurkunde des Reichs garantirt.“ Desgleichen 
beliumt 8. 61. des Editts: „So lange die Kirchengewalt die Gränzen ihres eigentlichen 
Birkangsfreifes nicht Aberfchreitet, kann diefelbe gegen jede Verlegung ihrer Rechte und 
Geſete dem Schug der Staatsgewalt anrufen, der ihr von den einfchlägigen Töniglichen 
bandedſiellen nicht verſagt werben darf“ u. a. m. Ebenſo hat die preußiſche Verfaſſungs⸗ 
munde im Art. KV. die Staatögarantie für das Beſitzthum aller Religionsgeſellſchaften 
üsgefprochen, wie im Urt. XIV. die chriſtlichen Einrichtungen als Grundlage des Staats 
merlannt. Die vielen Polizeiverordunngen für die feier des Sonntags und der Feſte, 
tie Strafgeſetze, welche die Kirchengebäude, Kicchhöfe unter befonderen Frieden ftellen, 
welche Injurien am Geifllihen mit härteren Strafen bedrohen, u. v. a. dienen dem⸗ 
jelben Amede. 

Bie fchon in dem obigen Erlaffe es zum Theil angedentet ift, aber auch ans dem 
vermaligen Berhältniffe des Staats zur Kicche folgt, ergibt fih, dag die Schuepflicht 
fir die weltliche Macht zugleich ein Schutzrecht if, auf weldes alle Religionegefell- 
haften Anſpruch erheben innen. Daraus folgt, daß feit der Aufhebung des confef- 
onelen Karalters des Staats überhaupt nicht mehr eine Religionsgemeinfchaft als 
selesia dominans befteht, fo daß nur fie Anſpruch auf dieſe Advocatie habe und felbfl 


138 Staat und Kirche 


ungeftraft andere Religionsparteien verlegen dürfe. Dem Stante liegt ed ob, den Friede 
aufrecht zu halten, er feßt alfo voraus, daß feine Partei die andere bemadhtbeilige, 
So hat alfo die früher nur der römifch - Tatholifchen, dann auch der evangelifchen Kirk 
zum Scuge gewährte Vogtei anfgehört. Die Grundfäge über Parität, Simulianenn 
mehrerer Confeffionen und die Unparteilichleit des Staats, welcher allen feinen Berch- 
nern dafjelbe Recht zu Theil werden läßt, find mit der älteren Uebung wicht mehr 
vereinbar. Auch befteht im Majeftätsrecht des Staats noch ein anderer Beſtandthell, 
welcher gerade dazu dient, diefe Gleichheit befonders zu befördern. Diefes iſt 

3) das jus supremae inspeotionis. Der Staat hat ein Oberauffitk 
vecht über fein ganzes Territorium, theild um zu erfennen, wo Mängel vorhanden fin, 
benen abgeholfen werden foll, theils um ſich davon zu überzeugen, daß den von ike 
getroffenen Anordnungen nachgelebt werde. Auch der Kirche gegenüber hat er bie 
Recht geltend zu machen, da er Beftimmungen treffen kann, welche die Kirche berühren 
und deren Befolgung von ihr verlangt werden kann. Aus diefem flaatlichen Infpektion» 
recht erklärt fich eine Menge von Verordnungen, welche für die einzelnen Landeslircha 
erlafjen find, wie über das Placet von SKirchengefegen, das Devolutionsrecht im Fälle, 
in denen die Kirche e8 unterlafien hat, das Erforderliche anzuordnen, die Cimtirkug 
bei Beftätigung und Beeidigung kirchlicher Beamten, die Ueberwachung der Ausbildung 
der Geiftlichen, die Theilnahme an den Prufungen derfelben, die Beſtätigung geiſtlichet 
Öefellfchaften, die Gränzen der geiftlichen Gerichtsbarkeit, die Annahme von Beſchwerde 
über Entſcheidungen der Kirche (appellatio tanquam ab abusu), den Erwerb, die Ba 
waltung und die Veräußerung von Sirchengütern u. v. a. Der Gang, welchen bei 
Berhältniß don Staat und Kirche genommen, hat aber in allen dieſen Ynorbuunga 
und ber darauf beruhenden Art der Einwirkung eine imefentliche Veränderung herbei 
geführt: denn wenn im freien Staate die Kirche frei feyn fol, wenn ihr bie Verwel⸗ 
tung ihrer eigenen Angelegenheiten felbft überlaffen ift, fo ift damit auch eine Wirken 
feit des Staats ausgefchloffen, welche die Kirche in irgend einer Weife beeinträchtigt 
und Befugniffe, welche ihr zuftehen, der weltlichen Macht zuweiſt. Es kann nad; den 
angedeuteten Princip nur darauf anfommen, daß ber Staat jedem Uebergriffe der Kirk 
begegnet; daher ift überhaupt im Ganzen nur dee Gebraud; von Repreffiv⸗, nicht ven 
Präventionsmaßregeln gerechtfertigt. Somit ift das Placet, die Einwirkung anf Br 
ſtellung der Kirchenbeamten, foweit fie dem Staate als ſolchen zuſteht und nicht anf be 
fonderen Rechtstiteln berubt, u. ſ. w. nicht mehr für zuläffig zu halten. Da bie — 
ihr Eigenthum ſelbſt zu verwalten hat, fo iſt auch bie Theilnahme des Staats an et 
Adminiftration im Ganzen nicht mehr aufrecht zw halten. Am alleriwenigften liefe M 
diefelbe dadurch rechtfertigen, daß man dem Stante ein fogenammtes dominium emineak 
ein Obereigenthum an dem Vermögen der Kirche zufprechen wollte. Aus dem Reit 
des Staats, das Kirchengut zu beftewern, ja unter beflimmten VBorausjegungen baffele 
anderen Zweden (Schulen u. f. w.) zuzumeifen, die Secularifatton zu verfügen, if jme 
angebliche Recht des Staats nidht herzuleiten. Wem übrigens bie früheren 
gefege zum heil noch fortbeftehen, wenn namentlich der evangelifchen Kirche gegenäbe 
ein großer Theil der älteren Beſchränkungen noch aufrecht erhalten iſt, fo erklärt M 
bieß aus dem früheren Territorialismus und der trüben Vermiſchung der beiden Kegl- 
mente, welche noch nicht in dem Umfange durch Auseinanderfegung der beiden Gebidt 
fo aufgehoben tft, wie es nad) dem Ausfpruche der Freiheit der Kirche gefolgert werde 
muß. Dagegen kann aber eben fo menig behauptet werden, daß das Oberauffichtöreit 
des Staates vollftändig nad den Örundfägen des neneren Kirchenſtaatorechts weg⸗ 
gefallen fey. Im ähnlicher Weife, wie das Reformationsrecht, hat man auch das In 
ſpeltionsrecht für unvereinbar mit den neueren Verfaſſungsurkunden erflären wollen um 
insbefondere für Preußen diefe Meinung auszuführen verfucht (fo bei Gelegenheit der 
Sonntagsfeler u. a. m.). Dieß ift jedoch unhaltbar: denn es erhellt, daß ber Gehrand 
ber unzweifelhaft nothwendigen Repreffion von Uebergriffen der Kirche in das Gebiet eb 


GStahl, Fr. J. 139 


Stats oder anderen Gemeinfchaften nicht mehr möglich wäre, wenn nicht die Oberaufficht 
geßbt werden Tönnte. Wale, in welchen nicht etwa ein Berletzter klagend aufträte, würden 
oft mbelanmt bleiben und die Ruckweifnng der Kirche in bie ihre gezogenen Gränzen 
dene dam nicht erfolgen. 

Ueber diefe Berhältuiffe im Allgemeinen f. m. die reiche ältere Literatur in: Ste⸗ 
phan Pätter, Literatur des Staaterechts Bd. III. S. 38. 39; Klüber's Fortfegung 
Vd. IV, ©. 589 f.; desgleichen die neueren Lehr» und Handbücher über Staatsrecht 
und Kirchenrecht. (Bergl. Richter, Lehrbuch bes Kirchenrechts, in der fechften, von Dove 
beforgten Ansgabe, F. 98 f.). Auch ift mit Nüdficht auf die Partikularrechte biefer 
Gegenſtand mehrfach in Monographien behandelt und dabei zugleich auf neuere Strei⸗ 
tigleiten hierüber Bericht abgeftattet. — Außer der Ueberfiht bei Schulte, Lehrbuch des 
tothol. irchenrechts, Gießen 1863, ©. 142 f., f. man 3. B. für Preußen: Richter, 
die Eutwidelnng des Verhältniffes zwiſchen dem Staate und der Kirche in Preußen feit 
ver Berſaſſugsurkunde vom 5. December 1848, in Dove's Zeitfchrift für Kirchenrecht 
Vd. 1. Jahrg. 1861. ©. 100 f.; Gerlach, das Verhältniß des preußifchen Staats zur 
latheliſchen Lirche, Paderb. 1862; für Bayern: (Strodl) da8 Recht der Kirche und die 
Staetegewalt m Bayern feit dem Abſchluſſe des Eoncordats, Schaffh. 1852; Hammer, 
die latholiſche Kirchenfrage in Bayern; ein kirchenſtaatsrechtlicher Berfuc, Wurzb. 1854; 
für die zur oberrheinifchen Kirchenprobing gehörigen Länder: Warnfönig, über den Con⸗ 
fit des Epiſtopats der oberrheinifchen Kirchenprovinz mit den Landesregierungen, Er⸗ 
longen 1853. M eine Abhandlung: über die kirchlichen Streitigkeiten im Großherzog- 
tom Baden im J. 1853, in Schneiders Zeitfchrift für chriftliche Wiffenfchaft und 
äriftliches Leben, 1853, Nr. 52. 58. 1854, Nro. I f. u.a. m. 

Die der Staat gegenüber der Kirche gewiſſe Rechte, beziehentlich Pflichten befigt, 
jo het aber auch Die Kirche den Complex derjenigen Befugniffe, welche zue Gewährung 
ihrer Autonomie, der felbfiftändigen Verwaltung ihrer Angelegenheiten nothivendig find. 
Man fm dazu rechnen 1) das jus confessionis; 2) dn® jus sacrorum; 3) das jus 
sscerdotii; 4) das jus regiminis; 5) das jus instructionis religiosae; 6) das jus 
disciplinse; 7) das jus jurisdietionis religiosae; 8) da® jus patrimonii. In dem 
Artitel „Religionsfreiheit" Bd. XII. S. 692. 693 tft hierauf fehon hingewieſen und 
erinnert, daB in den betreffenden Artileln der Real» Enchklopädie die fpeciellere Ausfüh- 
rung erfolgt ſey. Auch bedarf es hier nicht einer weiteren Deittheilung bon Literatur, 
da dieß theils ſchon im jenen Darftellungen gefchehen, Hinfichtlich der Beziehungen zum 
Stoate aber die oben angeführten Schriften die erwünfchte Auskunft geben. 

3m der Gefchichte des Tanonifchen Rechts fagt Spittler 1778: „Der Zwiſt zwi⸗ 
den Staat und Kirche, das ewige Dingeln an dem Verhältniß zwiſchen Klerus und 
Cobenfhaft dauert noch immer fort und wird fortdauern, fo lang auf beiden Seiten 
Henichen find, die Lieber befehlen, als fi, befehlen laffen* (a. a. DO. ©. 5). Ein 
halter Friede zwifhen Staat und Kirche kann erft dann eintreten, wenn bie Kirche 
ht Staat und der Staat nicht Kirche feyn will, wenn in beiden Gebieten die Ueber⸗ 
ugung befteht, daß jedes diefer Regimente der Ergänzung durch da8 andere bedarf, 
md wenn fie in der Anerkennung ihrer Coordination ſich dem anderen auch durch Sub- 
rdinatton hülfreich zu beweifen geneigt find. 9. F. Jacobſon. 

Stahl, Friedrich Julius, der berühmte Rechtslehrer, Kirchen- und Staats⸗ 
nann, wurde in München am 16. Januar 1802 bon judiſchen Eltern geboren. Bayern 
olte ihn bilden, Preußen feiner Wirkfamkeit ein weites Feld Öffnen. Unter den Ein- 
rüden der Schmach des Rheinbundes, aber auch der herrlichen Erhebung 1813 bis 
1815 ward er groß. Im einer feiner berühmt getvordenen Neben fagt er don jener 
Zeit „Ich war damals ein Knabe, noch unfähig der Waffen, aber ein Strahl jener 
Öegeifterung fiel in meine Seele und in den Jugendkreis, dem ich angehörte, und ich. 
tnbe ihn bewahrt mit ala das Beſte, was ich befige.«- — Früh von feinem Vater, 
mem reihen Banquier, file die gelehrte Laufbahn beftimmt, burcheilte er mit feinen 


140 Stahl, Fr. 3. 


glänzenden Gaben fchnell das Gymnaftum feiner Vaterfladt, ſowie unter Leitung de 
Hofraths Thierſch das philologifche Inftitut und machte fhon im I. 1819 das Examen 
für ein Gymnaſiallehreramt. Mancherlei Berührungen im Thierfch’fchen Haufe machten 
ihn mit dem Chriftenthume bekannt, feine Vorliebe für die Haffifche Xiteratur gab ihm 
nicht blos den Sinn für Klarheit und Anmuth der Form, fein Zug zum Idealen folpte 
fo gern dem Schwunge namentlich Schillers, von dem er ahnungsvolle Anregungen 
zum Chriftenthume empfangen zu haben, wiederholt befannt hat. Es zeugt von Stahfı 
großer Kraft und Selbftftändigkeit, daß er frühzeitig — als 17jähriger Yüngling! — 
allein zum Chriftenthbum übertrat und vier Jahre fpäter feine Eltern und fieben Ge 
ſchwiſter nach fich zog. Stahl verließ die Philologie und wandte ſich von 1819 bi 
1823 in Würzburg, Heidelberg und Erlangen der Jurisprudenz zu. Im der „chrifld, 
beutfchen Burfchenfchaft”, die damals auf allen Univerfitäten aus der Begeifterung ft 
beutfche Einheit hervorging, nahm er eine hervorragende Stellung ein. Wiewohl er in 
Erlangen anfangs Schelling nicht gehört zu haben fcheint, ergriff ihm doch mächtig di 
bon dieſem fchöpferifchen und zündenden Geiſte ausgehende philofophifche Anregum 
und Bewegung. Die Vorrede zur erften Auflage der Gefchichte der Rechtöphilofophe 
fchildert uns den quälenden Kampf mit den Hegelfchen Irrthümern, in den Stahl gu 
rieth, bis er den Längft inftinktiv geahnten Grundirrthum diefer Philofophie fand um 
überwand. — So vorbereitet erlangte er im Jahre 1826 die juriftifche Doktorwinde 
und habilitierte fi) ein Iahr darauf in München als Privatdocent, durch Schelling, der 
bier gleichzeitig feine Vorlefungen eröffnete, geftärkt und gefördert. In Crlangen ver 
tiefte und ſtärkte fich feine chriftliche Weberzeugung namentlich an der Geftalt und Ge 
walt des reformirten Predigers Krafft, „des apoftolifchften Mannes, der ihm je vor 
gekommen“, von dem damals in die erflarrte Kirche Bayerns ein Strom lauteren Lebent 
ausging. — Im Sommer 1832 als auferordentlicher Profeffor nad) Erlangen, m 
halbes Jahr fpäter nad; Würzburg für das kanoniſche Recht berufen, Tehrte Stahl be 
reits nach zwei Jahren nad) Erlangen zurüd, um hier eine Profeffur für Staats- m 
Kirchenrecht anzutreten. Hier war es, wo er den erſten Grund zu feiner Parlamente 
rifhen Laufbahn legte, als ihn im I. 1837 die Univerfität als ihren Deputirten ned 
Münden in die Ständeverfamminng fandte, wo er mit menigen Gefinnungsgenofa 
neben der monardifch-conferbativen Richtung die ebangelifch kirchliche vertrat. Gem 
das Bubdgetrecht der Stände wahrende Stellung nahm ihm das Minifterium fo übel, 
daß es ihn feiner ſtaatsrechtlichen Profeſſur enthob und ihm „die minder gefährlid 
des Civilproceffes übertrug. Diefer Vorgang erleichterte ihm die Annahme eines Yal 
nad Berlin, der auf Savigny's Betrieb im November 1840 nad; Altenftein’s Tode @ 
ihn gelangte. Wie gern und treu er noch von Berlin aus den Zufammenham wn 
feinee Heimathskirche fefthielt, zeigt ein „Rechtsgutachten“, das er über die Befchwerde 
wegen Verlegung verfaflungsmäßiger Rechte der Proteflanten im Königreich Bayern 
nebft einer Beleuchtung des Berhältniffes zwiſchen dem Staatögrundgefeg und dem Eo% 
cordat im Jahre 1846 abgab. In Berlin trat er in die juriftifche Fakultät mit eine 
commentatio de matrimonio ob errorem rescindendo ein. fortan las er in ge 
fühlten und oft überfüllten, von Männern aller Stände befuchten Hörfälen über Staat 
echt, Kirchenrecht, Rechtsphilofophie, über Geſchichte der neueren PBhilofophie, über Mi 
Verhältniß von Kirche und Staat u. f.w. Vom 9. 1850 an las er ein Publikum, de? 
eine ungemeine Anziehungsfcaft übte und die Meifterfchaft feiner fpannenden Darftlelumg 
im glängendflen Lichte zeigte: die gegenwärtigen Parteien in Kirche und Staat*). Ba 


*) Nach dem Tode des Berfaflers 1863 bei W. Hert, Berlin, erfchienen. Wiewobl im 
Borwort das Manufkript als filr den Drud von Stahl felber vorbereitet bezeichnet wird, möchten 
wir doch glauben, daß Sätze, wie folgender, bei einer genaueren Durchficht des WBerfaffere cut 
Berichtigung würden erfahren haben. S. 392: „Noch ein anderer Gegenſatz von Katholictsma® 
und Proteftantismne ift der, daß ber Katholicismus ein Streben nad Idealem (?) bat, der Pr 
teftantismus dagegen (?) nur (?) die Bernhigung des Gewiſſens duch Sündenvergebung!* 


Stahl, Fr. I. 141 


Geoegecheit bed Zuſammentritts des vereinigten Landtags im 9. 1847 trat er als po⸗ 
itfder Schriftfteller auf, um gegen die Einführung einer ftändifchen Verfaſſung mit 
lot berathienden Ständen zu warnen und dagegen die Cinführung einer Conftitution 
za empfehlen. Bald folite fi ihm in Preußen die große politifche Laufbahn exöfinen, 
die ihn zum Führer der confervativen Partei und zu einem der erften parlamentarifchen 
Redaer Curopa’8 erheben follte. „Es log“ — fagt Dr. Wetzell in feiner 1862 ge- 
haltenen Gebächtnißrede von Stahl's äußerer Begabung — „ein unbefchreibliher Zauber 
in dem Fluſſe feiner Rede, der überall vernehmbar, Mar und durdifihtig bis zum 
Grunde, nie ſich Überflürgend und doch voll mannicdfaltigen Wechſels, ſtets ſpannend 
und nie ermüdend in nnunterbrochenem Laufe dahinfloß.“ Sein männlidhee Auftreten 
m Jahre 1848, feine Wahl für die erfle Kammer, mo er wit Bethmaun⸗-Hollweg bie 
inferfte Rechte bildete, fowie fpäter für das Volkahaus des Erfurter Parlaments (hier 
gab er die ſeitdem oft wiederholte Barole aus: Autorität, nicht Majorität) und feit 
1854 feine Ernennung . für das neugebildete Herrenhaus zum Kronfyndilus und zum 
Diügled des wieder hergeftellten Staatsraths mag hier nur vorübergehend Erwähnung 
me Es war im feinem Munde keine Phraſe: „Ich war immerdar Fremd einer 
simlchen, fittlichen und georbneten Freiheit; blos die evolution niederfchlagen ift 
Khan feine gefunde Reaktion, aber entfchieden falſch ift es, Gefundes mit jener zu 
heffen. Es iſt die falſche Reaktion, daß fie nicht blos gegen den Krankheitsſtoff, fon- 
vera and) gegen die Entwidelungsleime reagirt und daß fie nicht blos die Krankheit, 
ſerdern andy die Glieder, welche mit ihr behaftet find, zerfldren und ohnmächtig legen 
Bil Dem widerfpricht das andere Wort nicht: „Ic fürchte nicht die acute Krank- 
hit der Demokratie, ich fürchte die chronifche des Liberalismus. Ich fürchte nicht 
ven Umfang, fondern die Zerfegung.“ Gelegenheitlich äußerte er wohl, feiner perſdn⸗ 
ihn Stellung nach gehöre er in der parlamentarifchen Redeweiſe in das linke Cen⸗ 
wm md es ſey eben die Berfchobenheit der politifchen Berhältniffe, wenn Manner 
me er ſih anf die Außerſte Rechte gedrängt fähen. Bei allen Kämpfen für die chriſt⸗ 
ide Sqhale, die chriftliche Che, den chriftlichen Staat zeigte fi Stahl's fiegreiches 
Ven. Sein warmes Intereſſe für die Kirche brachte es mit fih, daß ihn im Jahre 
1846 die juriſtiſche Fakultät von Berlin in die Generalfynode fandte, daß er 1848 
Nitglie des neu errichteten, bald jedoch wieder aufgelöften Oberconfiftoriums, 1852 
Ritplied des evangelifchen Oberkicchenrath® wurde; ebenfo daR ihn die Berliner Pa. 
ſoralconferenz 1848 zu ihrem Präfidenten, der evangelifche Kirchentag neben v. Beth- 
nan · Hollweg zu feinem Bicepräſidenten erſah, welches letztere Verhältniß 1857 in 
Otttgart an den über das Verhältniß zur evangeliſchen Allianz ſich zwiſchen Lutherauern 
ud Unirten echebenden Differenzen fein für die ganze Stellung bes Kirchentags bebaner- 
übe Ende fand. Die evangelifche Alliance war es auch, und zwar die zu ihren Gunſten 
m dali 1857 ergangene Eabinetsordre des Königs, der in der großen Weltverbindung 
des gläubigen Proteſtantismus fich „neue Geftaltungen Gottes“ bereiten fah, die den Aus- 
nit Stahl's, des ohnehin faft Iſolirten, ans dem Oberkirchenrath herbeiführte. Um fo 
uche ſpricht es für Stahl, wenn er in feiner warmen Gedächtnißrede auf Friedrich 
Vilhelm IV. e), dem legten Vortrage, den er am 18. März 1861 im Evangeliſchen Verein 
a Berlin hielt, das Geftändnig ablegte: „Der geiftliche Karalter, das Gepräge von 
Öreiheit, Innerlichkeit, Salbung, melden das Kirhenregiment von ihm empfing, fteht als 
© Wufterbild im neueren Proteftantismus da.“ Wegen des Proviforiums in der Re- 
Haung im Herbſte 1857 erlangte er zunächſt nur Dispenfation von den Sigungen und 
Arbeiten des Oberfirchenraths, biß er 1869 mach erfolgter definitiver Regelung der Res 
Berung6verhältnifie die wiederholt nachgefuchte Entlaffung erhielt. Stahl fand noch iu 
er Fülle feiner geiftigen Kraft, noch mitten in großen Kämpfen und Arbeiten, als ihn 


. 





*) Au Über Friedrich Wilhelm III. hat Stahl im Jahre 1853 ale Rektor eine Gedächtniß⸗ 
We gehalten, 





_ 


142 Stahl, Fr. J 


auf einer Erholungsreife im Bade Brüdenau nad furzer Krankheit der Her om 
10. Auguft 1861 abrief.” Er ruht auf dem Matthäilicchhofe Berline. | 
Das Wert, mit welchem Stahl nicht feinem Namen blos, fondern feinen Grm. : 
gedanken über den hriftlihen Staat Bahn brach, war „die Philofophie des Reh 
nach gejchichtlicher Anficht”, Bd. I. 1830. In einer völlig umgearbeiteten Ausgabe 
von 1847 führt der I. Band den befonderen Titel: „Geſchichte der Kechtöphilofophier, 
der II. Band: „Rechts⸗ und Staatslehre auf der Grundlage chriftlicher Anſchaumg.— 
Wie ſchon der anfänglicye Titel fagte, nahm Stahl feine Stellung auf Seiten der Hi 
rifchen Schule, doch während die geſchichtliche Anficht im ihrer Lebendigkeit, wie fie m 
Savigny vertrat, Wiſſenſchaft und Praxis zu verfühnen wußte, fo war fie es doc cm, 
die, ſtarr umd abftraft aufgefaßt, dur Abweifung der höchften Tragen die Kluft weire 
befeſtigte, als ſie je vorher beſtanden. Stahl's Streben ging nun dahin, in firm 
wiffenfchaftlichem Gange in das Innerſte der gefchichtlichen Schule Einheit und Marke 
des Bewußtſeyns zu bringen und als ihren Kern „nicht die Anficht über das Faltiſhe 
wie das echt entfiehe, fondern die über das Ethifche, wie es entjtehen, welchen Inhalt 
es erhalten folle, Die Anficht über das Gerechte feftzuftellen.“ Webergmg, 
daß es nur noch zwei Loſungen gebe, um welche der Kampf der Geifter ſich fchaare: fi 
Pantheismus, hie perfönlicher, überweltlicher, offenbarungsfähiger Gott! — überzeugt 
daß die Denkart der ganzen neueren Philofophie von der Leugnung des lebendigen Gotte 
erfüllt fen und folgerichtig die Yerftörung in Kirche und Staat zu ihrer letzten thätigen 
Erfüllung habe, unternahm er es „dem Rationalismus, deffen innerftes Weſen ihm zum 
am Hegelianismus Mar geworden war, einen ewigen Denfftein zu fegen“; er unternaim 
die Aufdedung jener erften Tüge, als ob die Welt von Ewigkeit nach logiſchen Bela 
beftehe, al8 ob man an der Erkenntniß der Denfgefege auch die Erkenntniß der Ber 
urfache und des Weltzufammenhangs befige, als ob Philofophie das legte Ziel Goktel 
fey und nicht vielmehr Gott das legte Ziel der Philofophie. Cr rief die MWiflenfcaft 
„zuc Umfehr“! Und mie verargte und mißdentete man ihm diefen Huf, — Beweit ge 
nug, daß er dem Feinde in's Herz getroffen! Hätte man ihn um diefes Rufes wile 
gern der Untiffenfchaftlichkeit und Feindſchaft wider Philofophie bezlichtigt, fo tar fe 
ganzes Buch eine Abwehr folder Verdächtigung, aber auch ausdrüdlich ſprach Stil u 
dem gegenwärtigen theil® allzu praftifch, theil® geradezu materialiftifch fich geftaltende 
Jahrzehnt die Befürchtung aus, daß mit dem Exlöfchen der Philofophie eine geiftige Bar 
armung eintreten werde. Namentlich der Theologie fchob er es in's Gewiſſen, nicht des 
Gegner allein am Tage der Schlacht die Macht der Bhilofophie zu überlaffen. Is 
genfag zu einer Nechtsphilofophie, die fich felbft des Wortes „Gott“ ſchämen gelerm m 
höchflena „gleichnißmweife dem Abfoluten der Philofophie diefe Bezeichnung des weil 
Heren der Welt gewährte”, ftellte Stahl an die Spige feiner grundlegenden Ausführmges 
die Lehre von der Perfönlichkeit und der Freiheit Gottes, um von hier aus das fiilikt 
Gebiet, infonderheit den Begriff der Gerechtigkeit und des Rechts zu conſtruiren m! 
auch in den rechtlichen Inftitutionen, fo gewiß fie einen organifchen Karakter tragen 
follen, den allgemeinen Zug nad dem Berfönlichen nachzuweiſen und zu umterfläge 
Bei diefer Conftruftion fonnte es nicht fehlen, daß die Juriften ihm zu viel, die Phil 
fophen zu wenig Philofophie und beide ihm zu viel Dogmatik zum Vorwurf med 
Was fpectell den Staat anlangte, fo drängte er zu der Wlternative, daß entweder de 
Vollswille das oberſte Geſetz der ſittlichen Welt ſey oder aber daß es eine höhere fit 
liche Macht über dem Menſchen gebe, die Ordnungen für ihn feſtgeſetzt und geheilig 
habe, vermöge welcher auch der Volkswille dem beftehenden Recht und den beſtehender 
Obrigkeiten gebimden ſey. Dazwiſchen fen fein “Drittes, es wäre dem bie Saralter 
Iofigleit. Wie er im Nationalismus, diefer principiellen Smancipation des Menſche 
von Gott, die Duelle der Revolution fah, diefes über den einmaligen Alt einer Em 
pörung weit hinausgehenben Zuftandes der Ummälzung, fo fand er tm Chriſten 
thum die einzige Macht die Revolution zu fchließen (f. Stahl's Vortrag: "Bot il 


Stell, Br. 3. 148 


ve Annolntion?“ 1852). Wit flegreicher Kraft trat er der römifcherfeits befichten 
Serriitigung entgegen, als fen die Reformation der Ausgangspunkt für Nationalismus 

m Temofratie. In feiner viele Anflagen exlebenden Schrift: „ Der Proteftantismus 
eis politiſches Princip⸗ — behandelt er den Einfluß des Proteflantismus auf da6 An- 
schen der Fürften, anf die Selbfifländigleit und Herrlichkeit ihrer Macht nad Römer 
Rep. 13. gegenüber der päbfilich » geifllichen Gewalt, auf die Freiheit der Bölker, auf 
vie Goerifleng der Kirchen nnd religidfe Duldung, auf unfere Stellung zur gefchichtlichen 
Eutoidelung und zum gefchichtlichen Recht, und fchloß mit einer Zeichnung des Jeſni⸗ 
tönmd als des Gegenſatzes zum Proteflantiemns. Schon aus diefen Andeutungen 
ergibt fh, welchen Irrthum man begeht, wenn man Stahl als einen Schüler Adam 
Mäller’s betrachtet, deflen Ideal der mittelalterlihe Staat war, während Stahl 
einen vom Geifte des Chriſtenthuums wiebergeborenen Staat wollte. Der Staat als die 
Geigung der Nation zu einem Reiche der Sitte, zu einer Öeflaltung des ganzen dffent- 
lihen Lebens nach fittlichen Gründen und Zwecken war ihm eben darum die hödfte Dar- 
Wlung und höochſte That der Nation, in Geſetzgebung, Verwaltung und Böollerrecht 
von hriflicher Beflttung uuablösbar, unablösbar von chriſtlicher Ehe, Eid und BVolte- 
enidang, vom dem Zengniß für die chriflliche Religion und Kirche ſelbſt. In der An. 
zeig ergab fich ihm, wie er es im Jahre 1847 in einer durd die Verhandlungen 
kb vereinigten Landtags hervorgerufenen Abhandlung: „Der chriſtliche Staat und fein 
Berhätteig zum Deisums und Heidentbum — ausſprach, die Richtſchnur, daß ber 
Stan fih allerding® hüten müffe, die Unterthanen zur Kirche zu zivingen, aber eben. 
ſeſehr Ah vorzufehen habe, die Kirche je preißzugeben, daß die bürgerlichen Rede 
alen Giattangehdrigen ohne Unterfchied des Glaubens zulommen, die politifchen 
dagegen don dee Zugehbrigkeit zu der anerfannten chriftlichen Kirche abhängig feyen, 
dab anf die Frage nach dem chriftlichen Karalter einer new fich bildenden Sekte der 
Sewexiin durdiy zuverläffige Organe mit Sicherheit entfcheiden könne, da es ſich dabei 
Bat in Doguzen, fondern um Thatſachen, nicht um Kirche, fondern um Chriftenthum 

head. Dgeſe hen davon, daß diefer Kanon in der Prarid nicht immer das Wort ber 

any iu ih trägt, muß es im Namen der Gerechtigleit conflatirt werden, daß biefe 

im Jahre 1847 ausgefprochenen Grundfäge im Wefentlichen biefelben find, die im 9. 
1855 Stahl im dem Vortrag über die Toleranz erläuterte, während der im Jahre 1855 
von London in's dentfche Privatleben zurüdtehrende Nitter Bunfen (f. d. Urt.) in feiner 
Särift „die Zeichen der Zeit“ neben den hierarchifchen Umtrieben des Biſchofs Setteler 
De medangeliſchen Beſtrebungen umter ben Proteflanten in Stahl's Lehren von Kirche 
ın) Zolerang dem dentfchen Bolte als unerhört und unerträglich zu dennneiren ſich an- 
legen feyn Geh. Gtahl hatte nie verfannt, daß unfere Pflicht eine Achte hriftliche 
Ulerang fen, bie fich der mannichfaltigen Gaben zu freuen habe, die in der Hoffnung 
er Einigung lebe und die Ehre Gottes nicht in der Vernichtung, fondern in der Erret- 
ng der Feinde fuche, die nicht nach äußeren Kennzeichen ihre Bränzlinien ziehe, fon- 
va die Entfcheidung in dem legten glimmenden Glanbensfunten wife, den nur Gott 
terfiehe. Doch von biefer daß irrende veligidfe Gewiſſen im Andern tragenden, ſelbſt 
don der göttlichen Wahrheit getragenen pofltiven Toleranz wollte er die profane Xo- 
—T einer gleichgültigen und fleptifchen Philoſophie unterſchieden wiſſen, die für bie 
und Zerſplitterung in veligiöfen Dingen, für die Loßreißung von der Offenba⸗ 

mg geradezu ein Recht in Anſpruch nehme und von dem Staate eine völlige Indifferenz 
R qriſtlichen und kirchlichen Dingen verlange. In dem Kampfe zivifchen Bunfen und 
Stahl Rand, allgemein genommen, ein einfeitiger Subjeltiviemue wider die Würdigung 
der großen Objektivitäten der Kirche und des chriftlichen Stantes, fand englifcher In- 
gegen deutfches Streben nad Einheit. Perfdnlich betrachtet, konnte ber 

Idarfe und überfcharfe Ton der Erwideruug Stahl’: „Wider Bunfen“ (1855) — wenn⸗ 
hen nicht wohlihim, doch kaum befremden, nachdem ihm Bunſen aus dem Gtegreif 
ur dem Zujauchzen urtheilsloſer Maſſen Schuld gegeben, ex predige Religionshaf 





144 Stahl, Fr. 3. 


und Verfolgung. Daß Stuhl fein Dann der Stegerrichterei war, bemeift am beflen 
fein Vortrag über Kirchenzucht (1845) und feine Mahnung, „daß nicht die Geißel 
wider die Käufer und Verkäufer, fondern das Schwert des Wortes Gottes die Baflı 
des Sieges fen, daß der Tempel der katholifchen Kirche bleibe, wenn die Menſchen 
alle ausgefegt würden, der Leib der evangelifchen Kirche dagegen untergehe, wenn man 
hier bei verbreiteter Erkrankung die kranken lieder abfchneiden wolle, daß man leise 
Sceidewand ziehen folle ziwifchen denen, welche an der Bruft des Herrn liegen, m 
denen, welche nur den Saum feines Kleides berühren, daß überhaupt eine Kirchenzuht 
nur dann Berftand und Beftand habe, wenn fie einmal von der Gemeinde, getragm 
fe, und zum andern, wenn fie fern von einem bloß Außerlichen Einfchreiten, on br 
Gewiſſen, an die innerfte PBerfönlichkeit appellire. — An diefe Schrift von der Fire 
zudht reihen wir eine andere entgegengefegter Abwehr am pafjendften an. 

As am 15. Auguft 1845 in Öffentlichen Blättern gegen Hengflenberg’s (Evange 
liſche Kirchenzeitung einerfeitS, gegen die Bewegung der Lichtfreunde ambererfeits cm 
juste milieu, evangeliihe Bifhdfe an der Spige, mit einer Erklärung auftrat, um 
ihr Del ftatt auf die flürmifchen Wogen der erregten Öffentlichen Meinung vielmehr u 
Feuer zu gießen, erließ Stahl zwei Sendfchreiben, worin er die halbe Pofition diee 
rechten Mitte und ihre VBerdbächtigungen, als handele es fich der orthodoren Partei m 
das Pabftthum einer Formel, um Herrſchſucht und Kirdenbann, eben fo mild wie far 
widerlegte. Vielleicht eriftirt feine Schrift von Stahl, in der er auf fo wenig Stila 
feine chriftlihen, Tirchlichen umd theologifchen Orundfäge zufanmengedrängt hat. De 
ed unter dem Banner der Augustana ſich nidyt um theologifhe Spigfindigfeiten, nid! 
um wiffenfchaftliche Faſſungen und Vermittelungen, fondern um die Tiefen des geoffen 
barten Wortes, um die Heiligthümer des erleuchteten veligiöfen Gemüthes, nicht um 
Lehren zunächſt, fondern um unveränderlihe Thatſachen, mithin in dem Kampfe wide 
die Kichtfreunde nicht um Herrfchaft einer Partei, fondern um Erhaltung der deutiden 
evangelifchen Kirche felbft handele, wenn fie ander nicht zu einem bloßen Sprechſaal fir 
alle möglichen Meinungen herabgefegt werden folle, daß cben Gott und nicht das Bol 
Duelle und Herr der Religion fey, daß aber in dem Zuſtande allgemeiner Gleichgül 
tigfeit der ©emeinden gegen das Evangelium das Kirchenregiment ſich nicht fhlegihm 
auf den Rechtoboden des Belenntnifjes zu ftügen, fondern dem lebendigen Wacsties 
evangelifcher Erkenntniß aus ſich heraus die Verdrängung des Gegenfages anzuvertrosa 
und darum auch eine Geräumigkeit für öffentliche Tehre zu gewähren habe, daß dr 
Kirche ſich nicht grund» und inhalt8los auf die Subjektivität als ſolche bauen laße ir 
wenig die bloße Bezeichnung von Dimenfionen fchon das Bild einer Sache W) 
daß endlich eine drohende Kirchliche Krifis ihre Heilung nicht in einer unter dem Gulat 
eben diefer Krifis gebildeten Verfaſſung finden werde: — dieß die tragenden und hi 
benden Grundgedanken der beiden Sendfchreiben, die ſich ſchließlich über das BVerhältnd 
der objeftiven Belenntnignorm zur individuellen Glaubensfreiheit in die beiden Werk 
zufammenfaffen: „Feſtſtellung der Augsburgifchen Confeffion als theologifcher und tet 
licher Grundlage für die Kirche, Freiheit und Weite für den Einzelnen! Ohne jene 
feine geficherte Erhaltung der Glaubensſubſtanz in der Kirche und feine rechtliche Ur 
nung, ohne diefes keine innere lebendige Entwidelung und keine Befriedigung für det 
Bedürfniß ber Zeitl« So Huldigt Stahl dem für alles Regiment, auch für das it 
Kirche fo wichtigen Kanon, daß das concrete Leben — bei feiner Incongruenz det & 
füllung mit dem Poſtulat — die Principien weder um deßwillen aufgeben bürfe, weil 
fie nicht völlig durchführbar ſeyen, noch um deßwillen fie mit Nichtachtung ber Freiheit 
durchführen, weil fie ſonſt nicht folgerichtig beſtänden, daß auch die Hauptlehren w 
ihrem bekenntnißmäßig geſchloſſenen Zuſammenhange die Geltung nicht einer beengender 
Borfchrift für den Einzelnen, fondern eines Fundamentes hätten, auf dem die Kicdt 
als Ganzes ruhe. Für das fpätere Werk Stahl’8 Über die Union, ſowie für bie be⸗ 
kannte Präfidialvede vom Stuttgarter Kirchentage iſt es ſehr beachtenswerth, daß in 


Stahl, Fr. 3. 145 


jenem Sendſchreiben ausdrücklich und twieberholt betont wird, wie nit das, was 
etma an ber Augsburgifhen Eonfeffion blos theologifhe Faffung 
feg, als bie Semeinſamkeit der Kirche betrachtet werden dürfe, 
fondern nur „jene Kernlehren, welche die Thaten Gottes zur Ertb 
ſang der Menſchheit bezeichnen und die innere Lebensſtellung des 
Renſchen zu Gott und dem Heiland beflimmen.“ (I) Dan glanbt einen 

stheologen zu hören, wenn er ©. 7 ausdrädlic die „ſubtilen theologifchen 

en über die Mitwirkung des Menſchen bei feiner Belehrung, über die All⸗ 
gegenwart des Leibes Chriſti (I), von jenen Grundlehren über die zweifache Natur 
Chriſti, über das Berderben des Menſchen, über die genugthuende Sühne Chrifli x. in 
rem Werthe uud im ihrer Schwere genau unterjcheidet. Welches Gefühl der Verein⸗ 
amung bamals auf dem Borlämpfer eines guten Kampfes lag, mag man nicht bios 
ms der weitherzigen Praxis erfehen, zu der ex fid in all foldyen Wnslafjungen be 
fondern and; ans der gelegentlichen Aenßerung über die damals den Altiuthera- 
urn eriheilte Gouceffion: Heimiſcher⸗ — meint ee — „mag es fi in biefer abge- 
Igenen friedlichen Hütte wohnen, als in umferer jegigen flolgen, aber umlagerten Burg 
der Bandeöficche, deren weite Räume wir mit kleinem Haͤuflein gegen die anftärmende 
Meſſe behaupten follen.« — 

Benden wir uns num zu den größeren theologifchen Werken Stahl's. 

Zu durch Vorarbeiten für die legte Abteilung feines Werkes über Philofophie 
des Rechts theils durch die Borlefungen über Kirchenrecht an der Univerfität Erlangen 
wor Stahl auf daB genauere Studium ber proteflantifhen Kirchenverfaffung geführt 
worden, defien Reſultate ex im J. 1840 im einem feinem dahingeſchiedenen Freunde Her- 
mann Dlshaufen gewidmeten Werke: „Die Kirchenverfaflung nach Lehre und Recht der 
“ — verdffentlichte. Der Titel verfprad; zu viel, die veformirte Kirchen⸗ 

veriefiung lam nicht zur Durchführung. Sein Biel war, ben zerfegenden Ideen eines 

Thomeftes, den Beichichtöträbungen eines I. H. Böhmer gegenüber die Wiederher- 

Reflung der alten proteſtantiſchen Berfafiungsicehre, jeboch gemildert im Geiſte Spener’s 

med viſſenſchaftlich berichtigt zu unternehmen. Er verſuchte zu zeigen, daß die drei 

Gofleme, Epiftopal-, Territorial⸗ und Collegialſiyſtem, nicht bloße Erflärungßperfuche 
der Iondesherrlichen Gewalt, fondern Anfichten über das Weſen der Kirchengeivalt, ja 
der Kirche felbft feyen, keineswegs zufällige Berfuche Einzelner, fondern Wusflüffe der 
herrſchenden Unficht einer Epoche, und fo den drei Epochen ber theologifchen Entwicke⸗ 
kung, der oxthodogen, pietifttfhen und rationaliſtiſchen, entfpräcen. Im Bufammenbange 
mit der jebeßmaligen politifchen Richtung bezeichne das erſte Syſtem die Selbſtſtändigkeit 
der Iufkitution der Kirche im Staate, das Territorialfuftem die Alleingewalt des Landes- 
bern, das Collegialſyſtem die Herrſchaft der Majoritäten. Go entſchieden Stahl bie 
territorinliftifche Richtung befämpft, weil bei diefer Art ber Einverleibung in den Gtaat 
die Kirche im Gefahr fen, ihr Dafeyu einzubäßen umb der bloße Dienfl am Wort für 
ſich allein ohme alle Kirchengewalt noch nicht vollfländige Nachfolge im Mpoftelamt feh 
(Aufl. L ©. 243), fowenig kam er fid) dem entgegengefegten Streben auſchließen, bie 
Kirche vom Stante zu loſen oder doch jeden Einfluß weltlicher Obrigleit auf die inneren 
Kirchenangelegenheiten zu befeitigen. Jenes ift ihm fchlechthin widerkirchlich, biefes zum 
minbeften undroteſtantiſch. Befafſe doch der Begriff „Kirche“ außer dem göttlichen Stif⸗ 
tungen uud dem im erlewchteten Zeiten erwectten Belenutniß die in Freiheit ausgebildete 
—— Berfaffung! (Aufl. IL S. 68). Sehy um aber die gegenwärtige Kirchen⸗ 
der Landesfürften nicht normal, fey fie nur bei einer inneren Ehrfurcht ihrer 

—* vor der Kirche als einer göttlichen Anftalt zuträglich, fo müfle der Epiflopat, 
ohne Verfäudigung an der hiſtoriſchen Richtung allmählich durch eine intenfive Steige- 
ung des firchlichen Geiſtes erficeht werden. Die Boransfeungen, von denen Stahl 
bei dieſer Empfehlung der Epiſtopalverfafſung ausgeht, find dieſe: Gemeinde find 
die im Glauben verbundenen Menſchen, Kirche die gottgeſtiftete Saftitution über den 

Neal⸗ECacytlepadie für Theologle und Kirche. Suppl. M. 


— 


Hi 


146 Stahl, Fr. 3. 


Menfchen; die Thätigleit dee Gemeinde ift eine Thätigkeit der Menſchen gegen Gott, 
die der Kirche eine Thätigkeit in Vollmacht Gottes gegen die Menfchen; die Gemeinde 
ift nur der Inbegriff der gegenwärtigen Menſchen, die Kirche der Hiftorifche Bean 
durch alle Zeiten. Die Kirche mit Einem Wort hat ein bindendes Unfehen über die 
Gemeinde. Sol nun die Kiche nicht in ifolirte Lolalgemeinden zerfallen, fo ift em 
höhere concentrirende Macht nöthig, die entweder durch ftets neue Wahl nur vorüber⸗ 
gehend Einzelnen aus dem Lehr. und Laienftande Übertragen wird: dieß die presbit 
riale Verfaſſung mit ihrem bloß gemeindlichen Karakter — oder Einigen aus dem Lehr⸗ 
ftand bleibend zulommt, die bereits allein und perſoönlich einen Fleinen Sprengel y 
leiten haben: dieß das autofratifche Princip der epiffopalen Berfaffung mit ihrem fir 
lihen Karakter. Dem Staate gegenüber nothivendig, dem inneren Zuflande der Kirk: 
förderlich, der uralten apoftolifhen Einrichtung, fowie biblifher Maßgabe entfpreden, 
dem proteftantifchen Bekenntniß in Wort und Geift homogen, find nach Stahl's Mi 
nung im Epiflopalfyftem fefte Punkte vorhanden, gegebene und auf Lebenszeit bleiben 
Autoritäten, ftatt großer Berfammlungen beftimmte Perfönlichkeiten, unmittelbare Subjet: 
der Firchengewalt, die zugleich Pfleger der Seelforge find. Die ganze Ktiechengemalt 
ftellt fich als eine Begleiterin des eigentlich Tirchlichen Dienfles und Amtes am ort 
dar. Ein deutfches evangelifches Epiflopat wird den rechten Damm gegen Vebrädum 
bon außen, einen Damm gegen Abfall und Zerflörung von innen bilden. Obwöhl 
durch den Zufammentritt der Bifchdfe die Kirche allein in ihrer Einheit: beräth und be. 
ſchließt, iſt die Theilnahme und Mitwirkung des gefammten Lehr» und Xaienflandes as 
der Lenkung der Kirche nicht ausgefchloffen. Wie fteht num Stahl zu der Presbpterid 
und Synodalverfafiung, auf die er in der zmeiten Auflage feines Kirchenrechts (1863) 
ausführlicher eingeht? Nachdem er die „Srundtäufchungen“ befümpft hat; als ob m 
fihtbare und fihtbare Kirche, jede als eine Sache für fi ohne Zufammenhang mit de 
anderen erfcheine, als ob Gemeinde und Kirche identifch, als ob das allgemeine Priefer 
thum das geftaltende Princip der Verfaffung, ftatt, wie er behauptet, nur die Grund⸗ 
lage der Berfaffung fey, als ob endlich in der apoftolifchen Kirche jemals geiftlihe Pre: 
diger (ministri) und weltliche Regierer (presbyteri) fidy gegenüber geftanden hätte, 
fommt er zu dem Sage, daß die Bereicherung durch calvinifche reſp. Synodalelemenn 
nicht abzumeifen fen, fobald die Gemeinde durch das Lehramt, nicht aber das Lehrom! 
durch die Gemeinde aufgenommen werde. Nur fen amgefihts einer berfchwimmens 
Theologie, angefihts der großen glaubenslofen Maſſen, der die Kirche unterminitene 
Beinde, der Zeitpunkt zur Heranziehung der Gemeinde für die Theilnahme am Kid 
regiment fchlecht gewählt. Und jedenfalls, in wie viel principiellen kirchenrechtle 
Punkten auch fonft unfere Polemik gegen Stahl nothiwendig wird, wie entſchieden Et 
uns im Namen der Einen ioArcla des Neuen Teflaments gegen die Erfindung et 
Segenüberftellung von Kirche und Gemeinde, im Namen des lebendigen Organiun 
gegen die rein gefegliche Auffaffung der Kirche als einer Iuflitution, im Namen I 
allgemeinen PrieftertHums gegen jedes anderswoher entlehnte Verfafiungsprincip zu Der 
wahren haben: darin jedoch müfjen wir Stahl vollftändig beipflichten, daß bie Ueber⸗ 
fchägung der Synodaleinrichtung, als beruhe auf ihr alle Legitimität der Gewalt i⸗ 
der evangelifchen Kirche, als trage bis dahin das Vorhandene nur einen proviſoriſchen 
Karalter, als fände z. B. in Preußen Urt. 15. der Verfaffung von der Selbffländig 
teit der Kirche erft im der oberftentfcheidenden Gewalt einer Landesfunode feine Ver⸗ 
wirklichung, noch unheilvoller wirken wide, al8 der Mangel an Synoden. Die eat 
gelifche Kirche braucht nicht erft ihren Geburtstag zu befchließen. Wie urfpränglich ge 
fund Stahl in Bezug auf kirchliche Verfaffungsfragen fland, bezeichnet im ber erften 
Auflage feine Erklärung, daß jedesmal die nach den gegebenen Zuftänden möglichft wahre 
und förberliche Form anzuftreben, daß aber die Verfaffung nicht das Weſen der Kirche 
fey, fondern „der Geift, der die Gemeinfchaft erfüllt, und der Glaube, der in Bat 
und That bekannt wird, Wie es heißt: Salomo bante ihm ein Hans, aber der Uller⸗ 


Stahl, Fr. 3. 147 


hide wohnet nicht in Tempeln, bie mit Händen gemacht find.“ Ebenſo einfichtig 
mierſcheidet er im der ziweiten Unflage S. 249 die göttliche Unordnung, die uns das 
elgemeine PBrincip und Element gebe, und die nähere Durchbildung, welche Sache ber 
zenfhlichen Freiheit fen. 

Hatte im Großen und Banzen Stahl nicht allein von rationaliftifcher, fondern zum 
Zheil and don gläubiger Seite mit feinem Kirchenrecht eine bittere Aufnahme gefunden : 
zit Genngthuung meinte er gewahren zu Fönnen, wie im Laufe don zwanzig Jahren 
(gleichdiel ob durch, ob nach feinem Buch) feine Anſchauungen ſich Bahn gebrochen. 
Bas er damals im Umriffe gezeichnet, gab er nun als eine durch und durch artikulirte 
Serfaffiungslehre. Die Anhänge über Rothe's „Anfänge der Kirche“ und Binet's „Frei⸗ 
beit des Cultus“ vertauſchte er in der nenen Auflage mit Verhandlungen, in denen er 
fh mit Höfling, Puchta und namentlid mit Richter anseinanderfekte. 

Bir Tbunen von der Skizzirung dieſes Buches nicht fcheiden ohne die Anführung 
goldener Worte, die von Stahl’8 kirchenregimentlicher Weisheit zeugen (Aufl. 2. S.93): 
«Die LWoſung der Schwierigkeit iu Bezug anf den Zwieſpalt der Geltung der dffent- 
hen Lehre mit dem individnellen Wiflen und Gewiſſen fann nicht in irgend einer 
Ungeftaltuung des Belenntnifies, einer Feſtſetzung über feine verfchiedenen Theile gefucht 
werden, fondern nur in einer freien und milden rein evangelifchen Handhabung befielben. 
Auch daS Bekenntniß foll nicht ale Geſetzeswerk betrieben werden . . . . . Es kommt 
daramf am, ob der Lehrer, der im Einzelnen abweicht, im Ganzen von ber edangelifchen 
Bahrheit durchdrungen iſt und im Gegen wirft, wie weit er feine Abweichung in den 
Berdergrumd flellt, fie als oberfte® Ziel verfolgt u. dergl. Es darf grundfäglich 
jo wenig als möglich anfgegeben, es fol thatfächlid fo viel als möglich überfehen 
werden. Das if Sache der Weisheit des SKirchenregiments, nicht untergrabende Be» 
Arebumgen, nicht Wergerniß zu geflatten, aber die lebendig bauende Wirkfamfeit nicht 
var vegefrechte Dandhabung des Lehrbegriffs einzuengen, zu hemmen, nicht Glauben 

wedente Rräfte brach zu legen, auf den Erfolg im Großen zu fehen, die mannichfachen 
Onben agbar zu erhalten.“ — 

Das letzte theologifche Werl Stahl's, wenn wir von der zweiten Auflage feines 
Kirchenrechts und den in das kirchliche Gebiet eingreifenden Vorleſungen „über die Par- 
teien in Kirche und Staat abfehen, ift „die Iutherlihe Kirche und die Union, eine 
wiffenfchaftliche Erdrterung der Zeitfrage“, ein Bud, das ominds genug dad abweifende 
Wort Luther’s beim Marburger Religionsgeſpräch — „ihr habt einen anderen Geiſt 
denn wir⸗ — an feiner Stirne trägt. Diefer andere Geifl foll der antimufteridfe Zug 
feyu, der durch Zwingli und durch die ganze reformirte Kirche hindurchgehe, „jene Leug⸗ 
zung der gradenvollen Kraft aller göttlichen Einrichtungen ale Mittelurfachen“, die in 
der Lehre vom Sakrament nnd der Prädeflination, in Cultus umd Kirdyenregiment der 
Refermirten gleichmäßig berbortrete umd einer Einigung mit den Rutheranern für immer 
ein unbedingte® Hinderniß entgegenfege. Ein Intereffe an der Union hätten die Refor« 
wirten, die bei einer Union nur getoinnen Lönnten, d. h. erobern und das Lutheriſche 
wegzehren würden, ein Snterefie ferner der Pietiömus mit feiner relativen Gleichgül⸗ 
tigkeit gegen Lehrunterfchiede um der praftifchen Intereflen willen, ein Intereſſe einige 
Kirchenrechtslehrer, welche "die Einheit der deutfchen evangelijchen Stirche als das Urfprüngs 
lihe darzulegen verfuchten, vor Allem die Vermittelungstheologie, die, auf die Moͤglich⸗ 
teit einer wmbedingt reinen Lehre verzichtend und in der heil. Schrift felber, der Ein⸗ 
beit des Glaubend unbeſchadet, genenfägliche Lehrtropen behauptend, die geſammte 
Kirchenlehre als in einem mmaufhörlichen Fluſſe begriffen betrachte und den Schlüſſel 

un Berſtündigung der Schiwefterlicche in dem „fundamental und nicht fundamental“ 
erfunden zu haben wähne. Das Wahre an der Union fen die innere Werthſchätzung 
der Gemeinschaft überhaupt (!), die Würdigung der verfchiedenen Eigenthümlichkeiten 
vermöge eines für das Objektive allmählich gereiften hiftorifchen Sinnes, ter ebanges 
liſthe Gedanke von der unſichtbaren Kirche, das Einſtehen aller Kinder Gottes für die 


10 ® 
2 


148 Stahl, Fr. J. 


gemeinfamen Onadengüter im Kampfe gegen Rationalismus, Pantheismns, Moateria⸗ 
lismus, das Wahre die große Thatfache, daß Gott in diefem Jahrhundert gleichem 
auf eine Weile bon feiner bisherigen Yührung der Kirche abgebrodhen und von Perfon 
zu Berfon in der Seele fid Tundgegeben habe, unbelümmert um lutheriſch oder vefor- 
mirt! Die wahre Katholicität aber habe an der Union nicht ihren Anfang, fondern 
ihr Gegentheil ©. 466, die evangelifche Allianz vollends fey dem interconfefflonellen 
Frieden fo wenig förderlich, als die Jeſuiten, warum überhaupt eine Einigung nur wit 
den Meformirten, warum nicht ebenfo ein Bündniß mit den Gläubigen ber roömiſchen 
Ratholiten ? 

Das Buch fchließt mit einer Nuganmendung auf die Preußifche Union. Im Jahr 
1817 fey hier eine Bekenntnißgemeinſchaft beabfichtigt, 1834 das fpezielle Belenntnif 
wieder frei gegeben und gewährleiftet worden. Einer Separation müfje man ſich enthalten, 
damit die Rutherifche Kirche nicht auf Viele ihren Einfluß einbüße und damit nidt 
die Trennung zwifchen Kirche und Staat gefördert werde, dringen auf eine itio in 
partes innerhalb des Sirchenregiments bei Belenntnißfragen, falls fich nicht das Bol. 
tommenere, die Gliederung der Behörde in belenntnißmäßig gefonderte Semate erreicher 
laffe, dringen auf ein beſtimmtes Ordinationsformular flatt der vagen Verpflichtung auf 
die Bekenntnißſchriften der evangelifchen Kirche, dringen auf die agendarifche Spende⸗ 
formel und zwar als auf ein gutes Recht und nicht blos als auf eine Wergünftigung, 
dringen und beftehen daranf, daß die Theilnahme der Weformirten am lutheriſchen 
Abendmahl nur eine thatfächliche Gewährung, niemals einen grundfäglichen Anſpruqh 
‚bedeute. Er gefteht zu, daß die Union, nachdem ſie einen fo langen Zeitraum thatjäd- 
lich beftanden habe, auch nach rechtlichen Grundfägen nicht ignorirt werden könne, gleid- 
wohl babe die Iutherifche Kirche nicht durch einen Alt der Stantsgewalt aufgehoben 
werden Können. Er fließt mit einer Warnung an das preußifche Königshaus, fi 
nicht durch Unionifiren viele treue Herzen feiner Unterthanen zu entfremden, mit be 
Bitte an die Unionsfreunde, ihre der Rüdficht und Gewiſſensſchonung bedürftigen luthe 
rifchen Brüder nicht einem Unionsideal, welches ja nicht auf einem Dogma, fondern 
nur auf der Ueberzeugung bon der Angemefjenheit einer kirchlichen Einrichtung berult, 
opfern zu wollen, mit ‚der Forderung eines Rechts nicht allein fir Lutherifches Br 
tenntniß, fondern für Iutherifhe Kirche! 

Es ift hier nicht der Ort, im eine eingehende Beſprechung des Stahl’fchen Bude 
über die Union einzutreten; Gegenfchriften find von Sad, von Thomas erihies, 
jede don anderen Gefichtspuntten; im Grunde ift das frühere Julius Mäüllerik 
Wert „die Union und ihr göttliches Recht» in den meiften Partieen von Stahl mie 
fprochen, in faft jeder, wie uns fcheint, untiberlegt geblieben. Das neWror yerd“ 
bei Stahl ift eine Ueberfpannung des Gegenfages zwiſchen Lutherifch und Reformin, 
er unterfchägt die gemeinfame Wurzel in den großen Myſterien 1 Zim. 3, 16., fo 
in den beiden xeformatorifchen Prinzipien, ex fleigert und überfpannt die charismatiihe 
Karakteriſtrung zu eimer unverföhnlichen Differenz des Geifles und der Geifter, ex ufl 
zur Zeit und zur Ungeit feine myſteriſche und antimyſteriſche Unterftellung an, 3 ®. 
will er fchlechterdings nicht zugeftehen, daß Calvin die Gegenwart Chrifti im oder beim 
Abendmahl lehre S. 87, die Behauptung einer beftländigen Speifung mit dem Leibe 
fey bei Calvin nicht Ausflug einer myſtiſchen Anſchauung S. 95 — — bamit um 
die Reformirten jedes muftifchen Odems beraubt und baar bleiben. Er begeht die Iw 
confequenz, in bemfelben Augenblid, two die „antimufterifche Tehre“, diefer Grundzug det 
reformirten Kirche, das bleibende Hinderniß der Union feyn foll S. 409, nicht dieſen, 
fondern die Gegenwart der Majeftät Gottes in und mit feinem Worte, weldes dad 
Leben der Einzelnen und der Gemeinde erfülle, als den wirklichen Kern des xeformirtn 
Kirchenthums darzuftellen ©. 419. Zwingli's Reformation ſey an erfler Stätte Ber 
neinung ©. 17, ihm ſey nicht aus eignem religidfen Bebürfniß, fondern aus feinem 
Anftog am Katholicismus der Grundgedanke feines Syfems von der Alleinurſachlichleit 


Stahl, Fr. 3. 149 


Gottes entfprungen S. 834, ein Gedanke, der nur aus philofophifchen Begriffen gefchöpft 
ſey 6. 36 ©. 195, während doch nad Stahl ©. 230 die Prädeftination einen Riß 
hit in's inmerfle Centrum ziwifchen den beiden Kirchen bilden würde, fobald man diefelben 
als zwei philoſophiſche Sufteme betrachten müßte! Und mie foll man dod Stahl mit 
Stahl reimen, wenn ©. 233 die Prädeflinationslehre ein flärferes Untonshinderniß feyn 
fol al8 der Gegenſatz im Sakrament, dagegen ©. 360 nur als ein Accidens der refor⸗ 
mirten Kirche bezeichnet wird, das nach S. 409 fo wenig zum Weſen des reformirten 
Belenntniffeß gehöre, daß man es reformirterfeits fallen Laffen köͤnne ohne deshalb — — 
die in den Sakramenten liegende tiefere Spaltung zu heilen! Das religidfe Interefle 
der Prädeflinationsiehre entgeht ihm gänzlich. Luther's Stellung hierzu, wie fie wicht 
blos in der Schrift de servo arbitrio gezeichnet ifl, ignoriert er. Im fchreiendfien 
Widerſpruch mit vielen Seiten feines VBuches treibt ihn gelegentlich die zn viel bewei⸗ 
ſende Eonfequenzmacherei fo weit, daß er S. 65 den Gegenſatz der Eonfeffionen „ans 
einer verfchiedenen religidfen Stellung der Seele erflärt. Und als ob er diefe Un. 
geechtigfeit gegen die Reformirten durch eine falfche Gerechtigkeit gegen die Römi- 
Ihn gutmachen, als ob er rufen molle*): kann ich nicht mit den Katholiten Ein. 
beit haben und halten, will ich auch die mit den Reformirten nicht, fie flehen mir gleich 
sch und gleich fern, kann ich nicht fogleich da® Ende der Union haben, will ich auch 
ihren Anfang nicht, — thut er die in diefem Zuſammenhang geradezu trägerifche Frage 
&. 341: „fol es fundamental fein, im Abendmahl Brod und Wein zn leugnen, und 
richt fimdamental, Leib und Blut Chriſti zu Iengnen ?« **) er lobt an der römifchen Kirche 
den Stumenifchen Epiflopat, die Stetigleit der gefchichtlihen Entwidlung, — eine Stetig- 
tet, neben bei gefagt, welche die romiſche Kirche vor und mit und nad) dem Tridentinum 
a jedem einzelnen Punkte durchbrochen —, bie Imtenfivität der Andacht, die Energie 
m ver Piebe u. f f., er verweiſt der proteſtantiſchen Kirche das odium papae ©. 464, 
„uiemois habe der Pabſt Ehrifto Ehre entzogen, niemals ſich felbft in göttlicher Weife 
anbeten leſſen, niemals ſich eine Herrſchaft nach Belieben beigelegt“, er verweiſt dem 
ganzen Proteſtantismus „die Stellung des borghefifchen Fechters⸗, fo daß man die 
Gegenfrage gethan hat, ob Stahl uns etwa lieber die Stellung „des flerbenden Fech⸗ 
tere zudenfen wolle. Wenn Stahl den Epiffopat feiert S. 452, wem er das 
Vabſtihum fo ungefährlic findet, wen er S. 85 beim Abendmahl der Conſecration 
die Einflöfung einer Wunderfraft in die facramentalen Zeichen beimißt u. f. f., fo find 
diefe Züge nur Zeichen, wie auch Stahl auf feine Weife die Schranfen der Iutherifchen 
Kiche verläßt und wie es durchaus nicht fo ausgemacht iſt, als „ob jeder wiſſe, was 
mter Intherifcher Kirche verflanden wird“ &. 1., zumal wenn man bie heutigen luthe⸗ 
riihen Lehrer über das Abendmahl oder die feparirten und fubfeparirten Lutheraner 
über Kirche, Kicchenregiment und Amt fi fireiten hört. 
Stahl liebt den Bürgerkrieg nicht, aber er Tiebt die Unton noch viel weniger; er 
ſpricht gelegentlich, von Unterfheidungsichren als „nicht in dem Grade grundlegend oder 


°) An ber fogen. „Erfurter Eonferenz« von Proteflanten und Katholiten bat fi ber klare 
und praftifche Stahl nicht betheiligt. Vergl. feine Anfprache bei ber protefl. Konferenz zu Berlin 
im Jahre 1860. Evangel. Kircdyenztg. 1860. Nr. 47. 

=) Gegenüber ſolchen Auslaffungen nimmt es ſich wunderlich ans, daß Stahl, ohne ſich befien 
bewußt zu ſeyn, lange Zeit hindurch in der Lehre vom Abendmahl weſentlich reformirt gefinut 
war, infofern er fi zu der Anficht bekannte, daß bie Unwürdigen Chriſti Leib und Bint nicht 
m genießen befommen. Während bes Kirchentags zu Berlin im Jahre 1865 hatte ich etwas 
davon erfahren. Die Sache ſchien mir der Beachtung und genaueren Erforfhung werth. Doch 
erſt im Sabre 1859 Hatte ich Anlaß, mit Stahl felber darüber zu reben. Damals gefland er mit, 
bag er genannte Auficht allerdings gehegt, fie aber aufgegeben habe, feitbem er erfahren, baß fie 
uniutherifch fey. — Weld einen Blick geflattet uns das in die confeffionellen Streitigkeiten un⸗ 
ſerer Tage! Daß Stahl's Karalter, in deſſen Beurtheilung wir mit bem Berfafler des vorſte⸗ 


henden Artikels durchans Übereinftimmen, dadurch nicht berührt wird, liegt anf Fi Hand. 
erzog. 


150 Stahl, At. 3. 


auf das Seelenheil bezüglich wie e8 die Lehre von der Gottheit Chriſti und feiner 
Sühne fey« ©. 410. 411 vergl. ©. 365. ©. 185, babei verfpottet er diefe altlutherifce, 
von ber Union zu ihrem Vortheil verwendete Unterfheidung von fundamental und 
nicht fundamental mit der Frage, ob man danach, daß Götz von Berlichingen mit Eine 
Hand, Franz von Sidingen mit Einem Bein habe ausfommen Können, etwa ein Dil 
aushebungsgefeg erlaffe. ALS ob was nicht in gleihem Maße grundlegend ſich erweiſe, 
deshalb für überflüffig gelte, alS ob der von Stahl angeivendete Unterfcied von Religibe 
und Theologiſch nicht den engeren von fundamental und nichtfundamental bereits in fd 
befafle, als ob Lehrweiſen ſchon entgegengefegte Lehren feien! Wie und ift der Um 
ftand, daß die pietiftifche, das Eine was Noth thut, treibende Bewegung ohne confel 
fionellen Sarakter verlaufen, nicht für die Union entfcheidend ? ift die Einigung im 
Heiden und Judenchriſten nicht ungleich kühner geweſen als die zwiſchen Yutheranem 
und Reformirten? find die beiden Letzteren duch Geburt und Anlagen nicht auf eiw 
ander angewiefen? ift der Glaube an eine ideelle Einheit denkbar ohne jeden Verſuch 
eine Einigung! Stahl verkennt in den Erweckungen nach den Freiheitskriegen 
nicht die probidentielle unirende Führung ©. 523, gleichwohl vermwirft er die Union 
„auch um der begleitenden Gefahren willen — — abusus non tollit usum! Die 
Behauptung, daß der praftifche Erfolg der Unton der Sieg der reformirten Siehe fer. 
iwird in concreto durch die Erfahrungen der preufifchen Landeskirche, die andere De 
hauptung von der Gleichgültigkeit und Vergleichgültigung der Union gegen die Lehre 
überhaupt durch Stahl felbft widerlegt, der ein ganzes Kapitel der Beſprechung de 
Lehrunion der Confenfustheologen widmet. Kann man es ehrlich nennen, wenn jur 
Verdächtigung der Confenfustheologie den pofitiven Vertretern der Union wie Niki, 
Yul. Müller ein fchreiendes Abhängigfeitsverhältnig von rationaliftifch - pantheiftifhe 
Philoſophie, von Schleiermacherſchen und — Hegelfhen Gedanken nachgeſagt umd dam 
am Schluffe der Polemik in einer gelegentlichen Anmerkung an Iul Müller, ul 
ben hauptfächlich exemplificixt iſt, das Atteſt ausgeftellt wird, „derfelbe habe tie wenige 
andere feinen Glauben an Gottes Wort durch unbebingte Unterwerfung unter daſſelbe 
und Bertretung feiner Gebote ohne Ruckſicht auf die Zeitſtrömung und ihre Anfeindung 
bewahrt“? vergl. S. 372 und 396. Und wenn das ganze Bud, in eine praltife 
Anwendung auf. die Preußifche Union münden will, wo bfeibt die Wichtigkeit bei 
Schluffes, wenn die Vorderfäge von der Verwerflichkeit der Union, ſchon um ber Prb 
deflination willen, auf eine Kirche nun einmal nicht paflen, deren reformirtes Bekenntii 
eben nur die confessio Sigismundi ohne Prädeftination ift? „Ein Keil in die Preuiikt 
Union“, das follte Stahl's Buch nad; feiner eigenen Erklärung werden und das Materul 
war hart genug dazu und die Zufpigungen wirklich fehr ſpitz, indeß wird eher der fal 
mürbe werden als der Stamm, dem er gilt. Wiewohl noch im Fluſſe begriffen, haben doch 
die bisherigen Bewegungen die an das Erfcheinen jenes Buches gefnüpften Erwartungen 
nicht verwirklicht. Vielmehr wird fort und fort der warme Hauch, der auch Stahl's Bad 
durchweht, fobald er den Eonfenfus treibt, die froftige Stimmung dagegen, bie ihn m) 
feine Leſer befällt, wenn er künſtlich die Unterfchiede bis aufs Aeußerſte zu fpannen fudi, 
ein Zeugniß wider das erfältende, ja tödtende Gefchäft ablegen, mit Gewalt einen gott 
geeinten Bund loſen zu wollen. Wir können nicht Stahl's Meinung theilen, die Lutha 
in Marburg ebenfo groß findet wie in Worms, wir halten es mit Merle d’Aubignd 
ber bei Gelegenheit des Berliner Kirchentages ausrief: „Die Hand, mit der Luther 
feine Wittenberger Eoncordie unterfchrieb, war die Rechte, die, mit der er Zwingli in 
Marburg zurückwies, war die Linke!“ 

In Stahl — damit fliegen wir die Karakteriflil des Buches — fireitet ſich der 
Pfleger chriſtlicher Philofophie, der S. IV es als fein eigentlichftes Fach betrachte, 
ngroße geiftige Eonceptionen in ihrem Centrum und ihren Wirkungen klar zw machen®, 
mit dem Parteimann, der die großen Blide in der Hitze des Streites einzubüßen Ge⸗ 
fahr läuft; es ftreitet fich der evangelifche lebendige Chriſt, der „bie weckende Predigt, 


GStahl, Fr. J. 151 


vl wenberthätige Gebet, die treue Seelforge, die Liebe, die das Verlorne fucht, die 
die durch ihr Beiſpiel hinreißt, noch werthvoller und für die Gewinnung ber 
Maſſen nöthiger findet als das lutherifche Kirchenthum⸗ S. VI, mit dem 
den, der für das JInſtitut der Kirche ängſilich nad einer Rechtsbaſis fucht nnd fidh 
intheriichen Kirche wie ein Adbokat plaidirend annimmt; es flreitet fi der Dann 
der Prayis, der ſonſt mit allen Bofltiven zufammen S. IV gegen Rationalismus, 
Seutheitnns, Liberaliemus und Demokratismus ein Borlämpfer geweſen, mit dem Mann 
ber Stabdirfiube, der fich felbfi im eigenen Netze grauer Theorien verividelt und fängt 
m feine alten Mitlämpfer nicht mehr erkennt noch erreicht, ja dem das Beflere des 
Guten feind wird; es fireitet ſich der große Hiſtoriler und Kirchenrechtslehrer voll 
Bifiens und Könmens mit dem Xheologen, der ſich bei der Prädeftinationslehre auf 
Pelppr’e, beim Abendmahl auf NRüdert’s Eregefe beruft (auf Jenen, weil er — ein 
Sutberauer if, amf diefen, teil ee — Paulum zum Lutheraner macht) und dem ver⸗ 
Hezuiſwolle Irrthümer begeguen, 3. B. S. 143 die Berwechſelung don owua 
veruur oy uud yuyucdr, die Trennung der Abend mah[&verheißung von der evange» 
liigen überhaupt ©. 163. 154 vergl mit S. 126, die widerſpruchsvollen Ausfonen 
ie vie Stellung der Reformirten zur menfhliden Natur Chrifti, vergl. S. 177 und 
189, ebenfo über das Verhälmiß von Wort, heiligen Geift und Glauben vergl. ©. 151. 
141. 97, über die Verwandtſchaft der Reformirten Mit dem VBaptismus, vergl. S. 55 
ud 73 1. ſ. f. m f. f. 

Die bicherige Darlegung hat bereits ergeben, daß Stahl, wiewohl dreißig Jahre 
ms öffentlichen Lebens hindurch in der Subſtanz feiner Weberzengungen immer der⸗ 
ſelbe, doc nicht von Einfeitigfeiten, Zufpigungen und Ueberfpanmingen frei geblieben 
M, die fih formell mit aus feinen parlamentarifchen Kämpfen, an erfler Stelle aus 
Ku WR an pointirter Gegenüberflellung vermeinter oder wirklicher Gegeufähe, — 
were u der Sehnſucht nad; Sicherung des kirchlichen und ſtaatlichen Beflandes 
fh der ABer Revolution erklären, die aber oft mit feiner urfprünglic, milden 
md anmgeliiches Berfönlichteit auffallend contraftiren. Denn fo feharfgefchnitten fein 
Geht, jo bligend fein Auge, fo fcharf und beftimmt fein Wort, fo war doch in Stahl’e 
Geele (wie im feinem Körperbau) etwas Zartes, Mildes. Demuth rühmen ihm Freunde 
m) Gequer nach. „Niemals, fogt fein vieljähriger fremd v. Gerlach in einer Ges 
Mötnifrede (Bexlin 1862, Heinide), habe id; mitten in den Parteilämpfen Bitter- 
kit oder perfönkiche Bereistheit am ihm wahrgenommen. Seine Haltung war mitten 
m Olom der Welt, mitten unter ben Sclangenwindungen der politiihen Parteilämpfe 
hei, feft, edel. Die höchflen Ideale des Rechts und der Freiheit, Glauben und Einig- 
kt erfüllten feine Seele“. Ein hingebungsvoller Freund ben fremden (f. z. B. den 
ſcinen Nachruf am feinen ihm vorangegangenen Iugendfreund und Kampfgenoffen Her- 
Dam v. Rotenhan), mit feiner Battin in der glüdlichften Ehe lebend, feinem Könige 
mt hoher Vegeifterung zugethon, der Kirche treues Glied, gegen Nothleidende barmherzig, 
ſelber fo ımeigenwägig, daß er bei feinem mäßigen Profefforengehalte drei mühenolle Ehreu⸗ 
Änter ohne jede Vergätung übernahm, jüngeren Männern der Wiflenfchaft ein anregender 
ürer und treuer Berather, — fo fteht Stahl's Bild als ein durchaus edles im Gedächt- 
niß der deutſchen evangelifchen Kirche. Wir flehen noch zu fehr unter dem Einfluß der 

gen, die ihn trugen und bie er zu leiten verfuchte, als daß wie von feiner Pers 
Infichtet, fo ein gleich abgefchloffenes Bild von feiner Wirkfamfeit bereits gelingen Lönnte. 
dieſe Efiyge bittet deshalb um beſondere Nachſicht, fie iſt in dem Bewußtfeyn ent⸗ 
Dorfen, daß fie einem großen Todten gilt, der nach verſchiedenen Seiten unter uns 
ſoileben und fortwirken foll. 

‚ Wußer den Schriften, die an ihrem Orte genannt find, waren gültige mündliche 
Rittgeilungen feitene der Wittive Stable fowie die kirchlichen und politifchen Blätter 
© den vierziger und fünfziger Jahren meine Duelle. Vergl. auch Groen van Prin- 
Keter, ter nagedachtenis van Stahl. Haag. Rudolph Kögel. 


uß 








152 Staphyins 


Staphylus, Friedrich, ein namhafter Theologe aus der zweiten Hälfte des 
16. Sahrhunderts, welcher mehr durch feinen ehrgeizigen und ziveidentigen Sarafter und 
bie Theilnahme an den theologiſchen Streitigleiten ferner Zeit, als durch feine Geleht⸗ 
famteit befannt iſt, wurde nicht, wie einige Schriftftellee angeben, in Liefland, Ritthanen 
oder Preußen, fondern zu Denabriid in Weſtphalen am 17. Augufl 1512 (a. St.) ge 
boren. Nachdem er fi in der Schule feiner Vaterſtadt und durch unternommene Reiſen 
auf die Univerfität gründlich vorbereitet hatte, begab er fih im 9. 1536 nad, Witten 
berg, um bafelbft Theologie zu ſtudiren. Zehn Jahre hörte er hier mit ausdauernde 
Fleiße die Vorlefungen Luther's und Melanchthon's und fchloß fich befondere ven 
Letzteren mit folcher Ergebenheit an, daß er eine Zeit lang deſſen Xifchgenoffe wurde 
Melanchthon, welcher ihn immer mehr Lieb gewonnen hatte, war es auch, der ihn is 
Jahre 1546 dem Herzoge Albrecht von Preußen zu einer Profeffur der Theologie mf 
der von bemfelben 1544 neugeftifteten Univerfität in Königsberg empfahl. Uber mm 
hatte Staphylus durch feine Vorleſungen einiges Anfehen getvonnen, als er bei ee 
geringen Beranlaffung zeigte, weſſen er fähig war, mern er feine Eigenliebe verlekt 
und feine Eitelfeit gekränkt glaubte. Der gelehrte, fromme und redliche Holländer 
Gnapheus, welcher feit dem Jahre 1543 als Rektor des dortigen Gtmnafinnt 
fein mühevolles und befchwerliches Amt bei einem geringen Gehalte fehr gerifienheft 
berwaltete, hatte gelegentlich geäußert, daß die Profefforen umd befonder® die The 
Iogen für die fchönen Befoldungen, bie ihnen der Herzog ausgefet habe, wohl etwa 
fleißiger Iefen könnten. Diefe arglos hingeworfene Aeußerung beleidigte den Hocumlı 
des Staphylus und erregte einen ſolchen Haß gegen den allgemein geadhteten Schulmem 
in ihm, daß er fich mit dem theologifchen Profefforen Petrus Hegemon (Herzog) um 
Melchior finder verband und nicht eher aufhörte durch fchändliche Verleumdungen 
und falfhe Anklagen denfelben zu verfolgen, bis er, durch einen förmlichen Prozeß U 
Schwärmer und Irrlehrer verurtheilt, feines Amtes entfegt, am 9. Juni 159 
durch einen öffentlichen Anfchlag in den Bann gethan und dadurch gezwungen watt, 
Stadt nnd Land zu verlaffen (f. den Art. „Gnapheus“ in Suppl.-Band I. ©. 566 1} 
der Real» Encyff.) 

Nicht minder heftig und bitter, aber länger dauernd umd bedeutender im feine 
Folgen war der Streit, den Staphylus mit Andreas Dfiander fogleich nad; deſe 
Berufung von Nürnberg nad; Königsberg im Iahre 1549 aus Mifgunft und Eiferfndt 
begann (f. den Art. „Ofiander/ in der Real- Encyll. Bd. X. S. 720 ff.). Da Oft 
nad ber ausdrücklichen Beſtimmung bes Herzogs Albrecht die erfte theologifche hr 
feffur erhalten hatte und fomit Staphylus, Hegemon und finder ihm nadgem 
waren, fo verbanden fie fich, höchfl erbittert über diefe Zurückſetzung, mit einander m) 
fuchten. den aus der Fremde berufenen, der überdies weder Magiſter noch Doktor Mi 
Theologie war, wieder zu verdrängen, indem fie ihn befchuldigten, daß ex in ber det 
bon der Rechtfertigung von dem proteftantifchen Xehrbegriffe und bon der Augsburgiihe 
Confeffion abwiche. Aber fie trafen hier auf einen Gegner, der ihnen nicht um 8 
Reden und Schreiben vollfommen gewachſen war, fondern fie auch eben fo ſehr en 
fiolgem Selbfigefühl und herrifchem Eigendüntel, ald an Gelehrfamfeit übertraf. Sobald 
Staphylus merkte, daß ſich der Streit in die Ränge zog und verwickelter wurde, Ofloude 
fih aber immer mehr in der Gunft des Berzogs befeftigte, begab er ſich im Sommtt 
1549 auf eine Reife nach Deutfchland, vermeilte einige Zeit in Breslau und ehrt 
bon da zwar nach Königsberg zurück, bat jedoch bald darauf, da er die Werhäftnifl 
durchaus nicht nach feinen Wünfchen verändert fah, den Herzog um feinen Abſchied, 
weil er, wie er bemfelben fchrieb, nicht gern Zeuge der Verwirrung und der Unrrher 
feyn möchte, melde Ofiander in Königsberg anrichte würde. Nachdem ihm fein 
Entloffung wider fein Erwarten ohne Bedenken ertheilt worden war, ging er mÄ 
Breslau zurüd, wo er bald nad feiner Ankunft den längft gehegten Entſchluß, zu 
katholiſchen Kirche überzutreten, ausführte. Obgleich ihn zu diefem Schritte, ber allge 


Staphrlut 158 


weneh Uuffchen erregte, hauptfäclich fein Eigennntz und da6 Streben madı größerem 
Girfiuh verleitete, fo gab er doc in den zu feiner Rechtfertigung erfchtenenen Schriften 
tielneinigleit der Intberifhen Theologen und die bevorfieheude ®e- 
fehr der Broteflanten als ben alleinigen Grund deffelben an und wurde, wie faft 
ade Apoflaten, ein um fo heftigerer und gefährlicherer Gegner des proteſtantiſchen 
Glenhent, zu dem er fich bisher befeunt hatte, je vertrauter er mit den angefchenflen 
!ehrern deſſelben Jahre lang umgegangen war. Bor Allen fühlte fi ber edle umb 
mie Relanchthhon von dem Abfalle des Staphylus ſchmerzlich berührt uud antwortete 
uf den Borwurf von dem elenden Zuſtande der Luthermer: „Er wirft uns 
unfer Elend vor, ale wenn feine Secte keine Sünde auf fi hätte; 
et find viele Kraukheiten und viele Laſter auf beiden Seiten, welde 
wir gerne erfennen müffen, daß fie nun gefiraft werben und uns zur 
Befferung ermuntern“ (of. Consil. et Responses Melanchthonis, Opp. T. II. p. 
338 1qq.). 

Gleich nach feinen Uebertritt zur katholiſchen Kirche trat Staphylus in die Dienfde 
ve Diſchofs von Breslan und fland demfelben als Rath bei dem Reformationsgefchäfte 
der Geiſtlichkeit hulfreich zur Seite. Anch richtete er auf deſſen Wunſch eime gute 
Edle zu Neiße in Schleflen ein. Im Jahre 1554 ward er vom Kaifer Ferdinand I. 
ram Iniferfichen Math ernannt, nahm als folder an mehreren Religionsgefprähen Theil 
u erwarb ſich Überhaupt um bie Tatholifche Kirche in Oeſtreich große Berdienſte. 
Später rief ihn ber Herzog Albrecht V. nad) Bahern, wo er ſich, obſchon ex zugleich 
Mitiger Rath des Kaifers Ferdinand blieb, um die Univerfität Ingolfladt, deren Eurator 
wurde, durch die Herbeisiehung und Unftellung tüchtiger PBrofefloren verdient machte. 
Rikt minder wichtige Dienfle Leiftete er dem Herzoge bei den Bifltationen der Kldſter 
vd Serrfiellen des Landes. Während er unter diefen Beſchäftigungen abwechſelnd in 

Bea mr Ingolſtadt Iebte, flieg fein Anfehen als eifriger Vertheidiger des Katholi- 
Ga) mb als Gelehrter fo fehr, daß er nicht nur über Johann Ed erhoben, und 
meh er ein Laie und verheirathet war, nach erlangter päbfllicher Dispenfation 
za Doltor der Theologie ernannt wurde, fondern auch im Jahre 1562 vom Pabſte 
Pins IV. hundert Golbkronen nebſt einem verbindlichen Belobungsfcreiben, ſowie vom 
Reifer Ferdinaund das Adelsdiplom erhielt. Gleichzeitig ſchenkte ihm überdie® der Herzog 
bon Beren den Halmenhof zu Ingolfladt und legte demfelben die Rechte eines ade 
lizen Maunsichene bei. So hatte Staphylus Alles erlangt, was ihm Ehrgeiz umd 
Sdbſtfucht wänfchenswerth machten. Imdefien war es ihm wicht befchieden, dies äufere 
Oüd lange zu genießen; denn er farb fähon, noch nicht volle 52 Jahre alt, am ber 
Inszehrung den bien März 1564 zum Ingolſtadt und wurde daſelbſt in der Francis 
canerficche begraben. Seine Schriften, deren vollſtändiges Verzeichniß fi in KRobolt’s 
Gelehrten . Lericon findet, find nach feinem Tode vom feinem Sohne Friedrich, Staphylus, 
der als Official bei dem Conſiſtorium zu Eichſtadt angeftellt war, gefammelt und im 
lateiniſcher Sprache 1613 in Folio zu Ingolſtadt herausgegeben. Wis die bebentenderen 
umter diefen find hervorzuheben: Disputatio de ratione et usu legis; disputatio ad- 
versus circumeelliones; Historia de vita, morte et justis virtutis fortunasque 
eıemplis Caroli V. Imperatoris; Epitome Martini Lutheri theologiae trimembris; 
Defensio pro trimembri Martini Lutheri theologia oontra aedifiostores turris 
tebylonioae Phil. Melanchthonem, Andr. Musculum, Matth. Flacium, Jac. Andrese, 
Schmidelin etc.; Lucubrationes super plurimas sessiones ad ooncilium cum 
lbris III de christiana republica; Diodori Biouli fragmenta ex graeoo in 
ktinım versa. — Unferdem hat Ioh. &. Schelhorn in den Amoenitat. eoolesiast. 
T. L, Art. 12 die Consultatio de instauranda religione in Austris und Strobel 
in den Miecellen die Historia acti negotii inter Staphylum et Osiandrum contra 
alumnias Fanccii von ihm durch den Drud befannt gemadit. 

Quellen. Nachricht von dem Leben und Schriften Staphhli, in Gtrobel’s 


154 Gteffens, H. 


Miscellen (Nürnberg 1778) St. 1. ©. 3 fi. — Preußiſche Kirchen » Hiftorie durh 
Chriſtoph Hartknoch, Frankf. a. M. u. Leipzig 1686. 4. — Gottfr. Arnold 
Kirchen» und Keßer- Hiftorie (Frankf. a. M. in Folio) Th. II. Bd. 16. Kap. 8. 38. — 
Salig, Gef. der Augsb. Eonfeffion bis 1555. Halle 1730. 4. — Bland, 
Seh. der Entſt. Veränd. u. Bild. umferes broteft. Lehrbegriffs bie zur Concord. 
Formel (Leipz. 1796. 8.) Bd. IV. Bud IL ©. 249 ff. G. H. Klippel. 

Steffens, Henrich, war von Geburt ein Skandinavier; weil aber die Stabi 
nabier doch als ein Bruderſtamm der Germanen angefehen werden müflen, fo läßt fd 
wohl begreifen, wie er ſich fo völlig in das beutfche Wefen hineinzuleben wußte, def 
wir ihn durchaus als einen der Unfern zu betrachten haben. Ebenſo war das Bere 
der geiftigen Thätigkeit unſers Steffens urſprünglich ein ganz anderes, als das ke 
Theologie, doch blieb er auch legterer nichts weniger als fremd; denn er erlannte ſe 
ar und fühlte fo innig, wie irgend jemand, daß alle Wiflenfchaften in weſentlicher 
Berwandtfchaft mit einander ftehen und bie eigentlihe Scheidung oder Trennung de 
weltlichen umd der geiftlichen Wiflenfchaft nothwendig das wefentliche Ubfterben der einen 
wie der andern zue Folge haben, und alfo auch umgelehrt die eine durch die andern 
gefördert umd gehoben werden müſſe. Im diefem Sinne arbeitete er mit raftlofer Thätiy 
feit und mit fehr bedentendem Erfolge, und fo Können denn wie die Deutfchen dem Skow 
binavier, fo auch die Theologen nicht umhin, ihm, wenn auch nicht geradezu unter fid 
felbft, fo doch wenigſtens dicht neben fich eine ehrenvolle Stelle einzuräumen. Zudem wolle 
es Steffens’ nicht in den Sinn, daß die religidfen Ideen nur in den Bezirk der Kirche, 
die Gedanken der Wiffenfchaft nur in den Schranken der Schule eingefchloffen fen 
follen. Er war nicht ein bloßer Stubengelehrter, fondern auch ein Mann ber That, 
des frifcheften, kräftigſten Wirkens, und ebenfo wollte er, wenn gleich von der Stile 
der Andacht und heiligfter Erhebung dem äußern Leben fidh wieder zuwendend, doh 
nümmermehr der lebendigen Gemeinſchaft mit Gott entfagen. Stets verfolgte ex die 
and bier allenthalben fi) zu Tage Iegende Offenbarung des göttlichen Geiſtes um 
foßte demzufolge das fogenannte weltliche Gebiet überall mit munterm, unbefangenen 
Sim in’s Ange. 

Henrich Steffens war am 2. Mai 1773 zu Stavangar in Norwegen geboren, vom 
einer tief religidfen, dabei fehr heitern und lebensfrohen, nachmals aber faft inme 
fränflichen Mutter aus einer ſehr angefehenen däniſchen Familie, während ber Bat, 
ein geiftreicher, doch heftiger Mann, der als praftifcher Arzt in gutem Anfehen few 
aus dem Hoffteinifchen ſtammte. Schon im Jahr 1779 fledelte die Familie nach deb 
fingör über, und hier trat Henrich in die "Bffentlihe Schule ein, nachdem er als &s 
frähreifes Kind fchon in feinem vierten Lebensjahre das Lefen erlernt hatte. Sehr bel 
begann er fchon Heine Gedichte zu verfertigen und zeichnete fich auch durch befonders 
Fleiß und eine in der That feltene Selbfiftändigkeit im Lernen aus. Diefe bethätigte 
er befonders in der Schule zu Roeskilde, im welche Stadt der Vater im 9. 1785 alt 
Regimentsarzt verfegt worden war. Während feine Mitfchüler fich mühfelig abquölten, 
einzelne Blätter, das vorgefhriebene Penſum, wörtlich zu behalten, hatte er ganze Bögen 
durchgeleſen und Tonnte ausführliche Rechenf—haft von dem Geleſenen geben. Er dad 
fi, fo tief ex es vermochte, in den Gang der Vorſtelluugen des Schriftfiellers hinein, 
ſcheute fi hierbei nicht, diefelben zu erweitern, und arbeitete fo, ohne ein Wort nieder’ 
zufchreiben, einen Auffas aus, den er dann leicht und Lebhaft vorzutragen wußte Se 
war e3 ihm auch wohl möglich, die Predigten eines benachbarten frommen Landgeiftlihen 
zu reproduciren, obwohl ihm da8 viel fchiwerer wurde, weil der hinreißende Eindend 
derfelben ihren Inhalt immer zu überwältigen fehien. Mit der angeftrengteften Hal 
merkfamteit hörte er dem Vortrage zu und vergaß bei feiner Periode, daß er fle dei 
geliebten Mutter wie einen Segen ins Baus bringen follte. Cinfom ging er anf den 
Feldern herum, fuchte fi den ganzen Gang der Predigt in's Gedächtniß zurlczursfen 
und eilte dans nad Haufe. Die Gefchwifter erfchienen und feine Rede quoll, fo 


Gteffens, $. 155 


jebetmal ohne Anfloß, ans der überfließenden Seele hervor. Endlich forderte ihn die 
Mutter anf, auch felbft Predigten zu verfaffen, was er denn ebenfalls, obwohl es ihm 
bei dem tiefen Gefühl von der Heiligkeit des chriftlichen Lehrantes faft eine Vermeſſen⸗ 
heit gedändt hatte, einigemale leiftete. 

Kein Wunder, wenn ein folcher Knabe von feinen Eltern zum geiftlichen Stande 
befiumt wurde, wenn er auch felbft fi gerne als einen zukünftigen Prebiger dachte. 
Die ihm eigenthämliche Lebhaftigleit aber fchien mit dem Ernſte, wie mau ihm für 
einen Geiſtlichen umerläßlicd, erachtete, in Wiberfpruch zu flehen, und ebenfo wurde bei 
ihm ſelbſt ber Widertoille gegen bie äußere Manier und Formlichleit und gegen bie 
angelernte Salbung der Prediger, wie fie ihm in feiner Jugend fo grell und auch dam 
uch begegnete, ale bie neueren Anſichten herrfchend zu werden, begannen, ein Haupt 
motto, dem geifllichen Stande zu entfagen. Ueberhaupt bemächtigte fi feiner ſehr bald 
und erhielt fih bei ihm fein ganzes Leben hindurch in gleicher Stärke ein entſchiedener 
Alken vor allem Kaftenwefen, vor jedem Formalismus eigenthümlicher Nichtungen, 
ven fie fh firen und für das lebendige, liebevolle Wechfelverhältnig mit allen übrigen 
Ridtungen ded Lebens verfchliegen wollen. Er war überzeugt, daß weine ſolche Ab⸗ 
[öfiefung mit einer Vernichtung der edelſten Keime, welche Gott uns zur Entwidlung 
ombertranke, unbermeiblich verknüpft fei.“ 

Iumer entfchiebener fühlte er fi, zur Naturwiſſenſchaft hingezogen. „Himmel 
md Erde, Wald, Meer und Gebirg fchien ihm vom frühefler Kindheit an als feine 
wahre Heimath; und micht eine bloße Außerliche Luſt var es, bie er an der Natur em- 
bland, feine Freude an ihr war vielmehr mit einer flillen, tiefen Rührung verbimben. 
&r frohlodte, daß er im ihrer Mitte lebte, daß er ihr zugehörte, daß er das geliebte 
Kia) der alles befeligenden, alles belebenden unendlichen Schöpfung ſey. So wollte ex 
tem and) die Schätze, welche bie liebende Mutter noch verbarg, fich zu eigen machen.“ 
Cingloe ſparſame Hülfsmittel hiefür fand er in der Bibliothek bes Vaters, andere mußte er 
nd [ÜR erſt mühſam zu erwerben fuchen, weil er fein Beſtreben, was bemfelben frei» 
Id ud einen größeren Reiz verlieh, überall geheim hielt. Bu ben erſten hieher ge- 
börigen Büchern, welche ihm in die Hände fielen, gehdrte Raff's „Naturgeſchichte für 
Rinder; einen großartigeren Eindrud machte natlirlich auf ihn Vnffon's „Raturgefchichte.“ 
mer erhielt er zuerſt Kunde don einer gewaltfamen Umwälzung, die anf der Oberfläche 
er Ede Statt gefunden und daß bie Erde ganze zerftörte Geſchlechter von Thieren 
ud Pflongen in fich berge. Einige BVerfleinerungen, bie er bon feinem Vater zum 
heſchenl erhalten, befchäftigten fein einfames Nachdenken angelegentlihft und bei ge 
war Bergleihung derſelben umter einander erlannte er nicht ohne tiefe Herzensbe⸗ 
Sum, wie „eine Veränderung der Bildung einen Uebergaug aus der einen Form in 
andere vermittelte,” daß ſich alfo in ihnen eine Art von Enttvidlungsgefe darlege. 
Untecdefien batte ſich die familie und zwar bereits ſchon 1787 in Kopenhagen 
iedergelaſſen, wo die Mutter fchon im nächſten Jahre zu Henrich's unendlichen Leid- 
den verſchied. Zum fechzehnjährigen Süngling heraugewachfen, genoß er bei dem 
rühmten Vahl den erften methodifchen Unterricht in der Naturkunde und bereitete ſich 
it folhen Eifer für den Uebertritt an die Univerfität vor, daß er die hiezu erforder- 
he Prüfung in glängender Weiſe befland. Bald nadıher erflärte ex feinem Oheim 
Mierliher Seits, auf deſſen Unterftügung bei der jeßigen Mittellofigleit des Waters 
Ad} angewieſen fah, feinen feften Entſchluß, die Naturwiſſenſchaften zu feinem Lebens 

zu machen. Duch die Stieffühne eben biefes Maunnes, befonders durch ben 
teren, D. H. Minſter, erfuhr er in twiflenfchaftlicher Beziehung eine bedeutende For⸗ 
zung; das Fach aber, im welchem ſich Henrich befonder gründliche Kenntniſſe erwarb, 
m die Mineralogie. Eine Reife nach Norivegen, die er 1794 im Auftrag der Ge⸗ 
lichaft für Naturgeſchichte, hauptſächlich um Mollusken zu ſammeln und die Struktur 
ai Gebirge zu exforfchen, unternahm, war befonder® in letzterer Beziehung, wie dieß 
R damalige Stand der Wiſſenſchaft mit fi) brachte, von fo geringem Erfolg begleitet, 








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baß er fich ſchämte, mit ſolchen Refultaten in Kopenhagen ſich wieder fehen zu laſen 
Er faßte vielmehr ben Entfchluß, vorerft nad) Deutfchland zu reifen. „Alles“, ſagte m 
zu fi felbfl, „was die Deutſchen wollen, was ihre größten Geiſter fuchen, if anf 
Gegenſtand deines fehnfüchtigen Strebens; dort regt fich ein geiftiger Kampf, an dem 
du Theil nehmen mußt; du biſt Bier, aber jest ſchon lebſt dw dort; erſt, mem u 
die gelungen ift, dich auszuzeichnen, wirft du nach Kopenhagen zurüdfehren.“ In de 
Elbmundung aber erlitt er Schiffbruch, wobei er feine ganze Habe und alles, wol a 
bon Naturerzeugnifien gefammelt hatte, einbüßte. Unter mancherlei Widerwärtigfetm 
verlebte er nun den Winter in Hamburg und ging hierauf 1796 nach Kiel, wo er fh 
durch eine ausgezeichnete Probearbeit über die Generationstheorie die Erlaubniß erweh 
naturgefchichtliche Borlefungen zu halten, ohne bereits fchon promovirt zu haben. 

Seine Borlefungen fanden Tebhaften Anklang, obwohl ex der deutfchen Spuk. 
nod nicht völlig mächtig war, und fchon 1798 erhielt er durch dem einfichtign 
Minifter Schimmelmann, der des jungen Mannes tiefe geiftige Bedürfniſſe wohl m 
würdigen verftand, ein Reiſeſtipendium Behufs feiner weitern Ausbildung. Eine ger 
gnoftifche Reife durch den’ Thüringer Wald umd die umliegende Gegend gewährte ihn 
eine reiche Ausbeute; Hauptfählih aber zog es ihn nad; Jena, als dem Mittelpuft 
der gewaltigen Bewegung, die damals im Gebiet der Philofophie entftanden war, Bi 
ſich Steffens fchon frühzeitig in einem ganz eigenthümlichen, tief innerlichen Verhaltiij 
zuc Natur gefühlt Hatte, fo war er feiner Zeit auch in Anfehung der Geſchichte, uf 
Anlaß einer von der Univerfität in Kopenhagen den Studirenden vorgelegten Preisu- 
gabe zu einem ernflen Nachfinnen Über die geiftige Entwidlung der Menſchheit hinge 
leitet worden. Hochſt beachtenswerthe Gedanken hatten ſich ihm hiebet ergeben, die « 
in einer freilich erſt etwas fpäter verfaßten Abhandlung niederlegtee Ohne Zwei 
wird man es als ein tieffimmiges Wort anzufehen haben, wenn er bier 3. B. fogte: 
„Was im Berlauf der Gefchichte die höchfte Vollendumg erhielt und dadurd als «a 
Unfterbliches in derfelben erfchien, das trat in den geheimen Fortgang der Entwidim 
hinein, und je vollendeter im fich, defto entfchiedener verwelkte es im ber Auferlide 
Geſchichte.“ Das Verlangen aber nad Erkenntniß, das ſich feiner jetzt um fo gewaltige 
bemädhtigt hatte, nachdem ihm bereits fchon feit längerer Zeit das Paradies des ir 
fahen kindlichen Glaubens verloren gegangen war, — mußte er fi in der Art m 
in dem Maß, wie es ihm einwohnte, doch nicht felbft zu befriedigen; er bedurfte hie 
einer Beihilfe und diefe hoffte er eben in Iena zu finden. 

Durch F. H. Yacobi war er bereits zu Spinoza Hingeleitet worden, und ba Get 
diefes Denters hatte einen überwältigenden Eindrud auf ihn gemacht: unter jede Do 
dingung wollte er die Aufgabe Iöfen, die Spinoza ſich geftellt hatte. Kant's Tendent 
teoten ihm hiegegen ganz im den Hintergrund zurück, auch Fichte fprach ihm nicht u 
um fo mehr aber Schelling, deffen „Ideen zu einer Philofophie der Natur” ſowie I 
Schrift über die „Weltfeele« ihn bereits ſchon in ein wahres Entzücken verſett hatte 
Er wohnte der erſten Vorlefung diefes großen Geiftes bei, melde von der Nothimendig 
keit handelte, die Natur aus ihrer Einheit zu faflen, und von bem Lichte, welches fü 
über alle Gegenflände ausbreiten tolirde, wenn man fle aus dem Standpumit der Er 
heit zu betrachten wagte.” Steffens war ganz hingerifien und eilte den Tag daran, 
Schelling’ zu befuhen, und dieſer nahm ihn nicht bloß freundlich, fondern mit Bra 
auf, zumal er der erfle Naturforfcher vom Fach war, der fi umbebingt und mit Be 
geifterung an ihn anſchloß. Schelling’ fland noch eine ganze Reihe ausgezeicere 
Männer zur Seite, nebft Fichte — Augnſt Wilhelm und Friedrich Schlegel, der Phyfler 
Ritter; häufig fanden fi) aus dem benachbarten Weimar Gdthe und Schiller ein, ebene 
Novalis, Tied und U. Im den Kreis diefer andgezeichneten Geifter, nad; deren I 
auch nur entfernten Belanntfchaft Steffens fo Lange fich gefehnt hatte, war er mm Eid 
getreten. „Der ftille Monolog hatte ſich jett, fagt ex felbft, in ein lebhaftes Gefprid 
verwandelt ; fremde und eigene Aufgaben wurden von ihm und den Fremden ausgefed! 


Steffens, 9. 157 


ud gemeinfchaftlich gelbſt; oft erſchien ihm Alles ein Mitgetheiltes, als eine Gabe, bie 
er mi dankbarer rende empfing und dann war es ihm doch twieder, als wäre Alles 
fein imerſtes Eigenthum, rein and der eigenften Betrachtung entiprungen.” Dabei 
Reiten ſich ihm alle Aeußerungen um ihn her, felbft wo fie anfcheinend feindfelig gegen 
die Religion auftraten, doch niemals wirklich alfo dar; es war ihm vielmehr, als müßte 
eben jegt feine frühefte Iugend, ja Kindheit wiederlehren. Hinter feinen zuverfichtlichen 
Streben ruhte eine tiefe Erinnerung an die file Hingebung der Religion: was ein» 
ſten zu Roetlilde ihn erfaßt, ihn beherefcht hatte, das hoffte er num im eigenen Beſitz 
zu erlangen. Wurde es doc ausgeſprochen, als das Letzte, ald das Ziel aller Re 
fieyionen: „daß diefe fich im ihrem eigenen Ausgangspunkt erfennen und in bem ruhigen 
Keichthum des urfprünglichen gefunden Sinns fi felbft in ihrer tieffien Bedeutung 
wieberfinden wärben. « 

Steffens konnte, der ganzen Richtung feines Weſens zufolge, bei dem Gedanken 
eines unperfbulichen Urgrundes aller Dinge, von welchem Scelling damals noch feſt⸗ 
gehalten war, nicht ſtehen bleiben. Inter maucherlei fchweren Kämpfen gelang es ihm, 
ya einem höhesen philofophifchen Standpunkte ſich zu erheben, und fo gefchah es denn, 
daß er ſich ſeuer Zeit durch Schelling’S berühmte Abhandlung „über die Freiheit” 
feineßtorg6 geföxt, fondern vielmehr nur mod; weiter gefördert fühlte. Zu der Höhe 
ober, in welcher ſich Franz Baader's Spekulation beivegte, gelangte er nicht; denn fo 
groß and) die Ehrfurcht war, mit welcher er auf diefen Forſcher hinblidte, bei dem 
vorurtheil, daß derfelbe dem dunkeln Gebiete des Myſticisums fic nicht völlig ent- 
zungen habe, fchente er fich, ihm näher zu treten, tiefer auf ihn einzugehen. So er⸗ 
lannte er denn nun wohl, daß Gott in Freiheit über dem dunkeln Grund der Welt 
threne, diefen mehr und mehr in Licht und Klarheit auflöfe, ebendiefer dımfle Grund 
der Belt aber follte mit zum Wefen Gottes felbft gehören, eine Voransfegung der 
gittlihen Lehengentwidelung bilden. Hier erfchien Gott offenbar noch nicht in feiner 
böligen Unabhängigkeit von der Welt, die Weltfchöpfung nicht als ein Werk feiner 
lälekthin freien Liebe. Ein großer Schritt war indeſſen hiemit doch gefchehen, und 
68 verdient wohl beachtet zu werden, daß Steffens denfelben noch vor Schelling that. 

Za Freiberg in Sachfen, wohin fi Steffens im Yrähjahr 1799 begab, um da» 
Koh unter Abraham Werner’3 Anleitung der Mineralogie fih zu widmen, legte er bie 
Koonnenen Geiftesblide in feinen „Beyträgen zur innern Naturgefcichte der Erde“ 
neder. Diefe Schrift erregte ein fehr großes Auffehen, und Steffens felbft exflärte 
"ig Jahre fpäter, in der Vorrede zur „Religionsphilofophie*, daß diefelbe bereits alle 
me Motive enthalte, die in feinen fpätern wiflenfchaftlichen Darftellungen, nur immer 
freier und allfeitiger, zur Ausbildung gelangt feyen. So betrachtet ex 3. B. im erflen 
wolgiihen Theil feiner 1822 erſchienenen „Anthropologie* den Menſchen als Schluß⸗ 
at der Entwicklung unfers Planeten in der — Vergangenheit; im zweiten phuflo- 
miſchen Theil faßt ex ihn als Mittelpunkt der organifchen — Gegenwart in's Ange; 
u dritten pfgchologifchen Theile endlich ftellt ex ihn dar als beſtimmt für die Offen- 
mung einer umendlihen — Zukunft. Im Jahre 1802 kehrte nım Steffens nad 
Spenhagen zurüd und fand hier wieder beim Grafen Schimmelmann die freundlichfte 
afnohme. Er erlangte durch ihm eine nicht umanfehnliche Penfion und hielt jegt Bor- 
fangen über Philofophie und über Geognofle, die mit einem großen, ja ftürmifchem 
kifoll aufgenommen wurden. Theils aber verdarh er ſich ſelbſt feine Lage durch einen 
wiſſen Uebermuth, von welchem er fich zu beleidigenden Ausdrücken gegen einzelne 
Köftehende Manner hinreißen ließ, theils begegnete ihm von Seite der Ulteadänen, 
elchen feine Tendenz zu deutfhen Weſen und dentſcher Wiffenfchaft ein Gräuel war, 
1 fo entfchtedener Weiſe, daß er fich Hier micht halten konnte. Gerne nahm er baher, 
uhdem er ſich bereits 1804 mit einer Tochter des Muſikers Reicharbt vermählt hatte, 
n nachfolgenden Yahr einen Ruf als Profeflor nad) Halle an, wo er Schleiermacher* 
au lernte und fich innigſt mit ihm verbrüderte. In die Zeit feiner alademifchen 


158 Steffens, 9. 


Wirkfamleit zu Halle fällt die Atfaffung der „Grundzüge der philofophifhen Nam 
wiffenfchaft”, — eine kleine Schrift, doch rei an fruchtbaren Ideen und ein ſchoͤnet 
Zeugniß für die DBegeifterung, welche ihn und feine Zuhörer damals durchdrang. 
Diefe glüdliche Zeit dauerte jedoch nur bi8 zum Jahr 1806, wo, nach der Schladt 
bei Iena, die Franzoſen Halle befegten und bald darauf von Napoleon die Univerfität 
aufgehoben wurde. Steffens war hiedurch nicht bloß in die kümmerlichſten Verhältuifie, 
fondern, in Folge feiner antimapoleonifchen Gefinnung, die er nirgend® verhehlte, and 
in eine äußerft bedenkliche Lage gerathen; fo gewaltig aber immer der Druck feyn mod 
der auf ihm felbfl, der auf ganz Deutfchland Laftete, — der Muth wurde ihm id 
nicht gebrodhen und die Hoffnung, daß fein jetziges Baterland aus ber fchmählide 
Knechtſchaft, in welche es verfunfen war, zu edler Freiheit fich wieder erheben wär 
verließ ihn keinen Augenblid. Gleichwie er vordem mit aller Energie deutfche Bill 
haft ſich zu eigen gemacht hatte und hierauf mit lebendigfier Kraft für die Tördermg 
und Ausbreitung derfelben thätig geweſen war, fo betrachtete ex es jetzt als feine Ach 
gabe, für die äußern Bedingungen einzuftehen, unter denen allein ebendiefelbe aufıeäl 
erhalten werden konnte. Als der tieffte Grund aber, auf welchem die echte Wifſenſchen 
ruhet und der allein wahres Leben ihr verleiht, galt ihm die Religion, umd fo un 
denn auch der Impuls, von welchem feine nunmehrige politifche Thätigkeit ausging, — 
veligidfer Natur. Ä 
Auf energifhe Thatigkeit war fehon von vornherein fein ganzes Wefen angelegt 
Wie der Vater, fo war nicht minder, vor der Zeit ihres Siechthums, die Mutter vl 
Feuer und Leben und ebendiefed mar auch auf die Kinder, namentlich auf Henrich Abm 
gegangen. Die Erziehung, welche er von Klein auf erhielt, war gleichfalls ganz dan 
angethan, feinen Karakter zu flählen, alle Furcht aus ihm zu verdrängen. So durfte 
er in Helfingdr nach Herzensluft mit den wilden Fiſcherknaben herumtummeln, bie 
Stunden in Boten auf dem flürmifchen Meer zubringen; der Bater felbft warfiieit 
Meer und nöthigte ihn fo ohne weiteres ſchwimmen zu lernen, ließ ihn zur Winterögt 
im Hof Schneebäder nehmen u. f. tv. Auf diefer phyſiſchen Grundlage entfaltete Ad 
um fo entfchiedener und voller die moralifche Energie unfers Steffens. | 
Nach längerer Entfernung von Halle kehrte er zwar, als die Univerfität im Jahr 
1808 wieder eröffnet worden war, ebendahin zurüd, fand indefien hier ala Lehrer kam 
mehr einen Wirkungskreis. Um fo thätiger war er auf dem Gebiete der Politil, m 
daß bier zunächſt kaum etwas anderes gefchehen konnte, als die feindliche Stumm | 
gegen die Unterdrüder des Baterlandes mehr und mehr zu nähren und immer mit 
auszubreiten. Hiezu diente auch eine Schrift „über die Idee der Univerfitätene, wäh 
er im Jahr 1809 erfcheinen ließ und deren Wirkfamfeit eine fehr bedemtende mark, 
während fie bei der Sprache, in welcher fie verfaßt war, den franzöftfchen Machthaben 
durchaus underfänglich vorlam. Endlich im Jahr 1813 — Steffens gehörte domald 
bereit der Univerfität Breslau an — erfolgte der Aufruf des Königs zur freimilige 
Bewaffnung, fo jedoch, daß der Feind noch nicht genannt war, gegen welchen biejet 
gefchehen ſollte. Da befchied Steffens die Studirenden zu ſich, um vor ihnen ofen 
anszufprechen, woran freilich ohnehin niemand zweifeln konnte, daf jenes Manifeſt rat 
reich' gelte. Er war tief bewegt, er fühlte es, daß mit diefem Moment eine nk 
Epoche in der Geſchichte beginne, Thränen ſtürzten ihm aus den Augen, er fiel anf W. 
Knie, ein Gebet beruhigte ihn. So trat er in die dicht gedrängte Verſammlung M 
and beftieg das Katheder. „Was id; fprach, erzählt ex felber, ich weiß es nidt; je, 
wenn man mich nad; dem Schluß der Rede gefragt hätte, ich hätte keine Rechenſ 
darüber ablegen können. Es war das drüdende Gefühl unglücklich verlebter Jaht 
welches jetzt Worte fand; es mar das warme Gefühl der zufammengepreften Mat 
welches auf meiner Zunge ruhte. Nichts Fremdes verfündigte ich. Was ich fat 
war die. flille Rede Aller, nnd fie machte ebendeßwegen, wie ein Echo der eigeml 
Seele eines Jeden, einen tiefen Eindrud. Daß ich, indem ich die Iugend fo auffordert, 





Steffens, H. 169 
zazech meinen Eutſchluß erklärte, mit ihnen den Kampf zu theilen, verſteht fid 
Bon [| 


ſelbſt 

So war Steffens der Erſte, der feinen bisherigen ſtillen, wiſſenſchaftlichen Beruf, 
vr Grau und Kind verlieh, um als Freiwilliger in den Kampf mit den Feinden bes 
Soterlands einzutreten. Er erhielt vom Konig, der feinem ganzen Unternehmen ben 
ſtendigſten Beifall ſchenkte, Urlaub, lernte exerciven und gefellte fich dann — nicht einem 
Kreicerp® bei, fondern trat vielmehr im &arbe » Jäger - Bataillon ein, weil er feinem 
Ülter mad feiner Stellung den Dienft nur im geordneten, ganz eigentlich Legitimen Heer 
eatſprechend exachtete. Daß er, als ein Gelehrter, der bereits 40 Jahre zählte, keinen 
ſonderlich tächtigen Krieger abgeben würde, fah er von Anbegim fehr wohl ein, und 
m Stiege ſelbſt wurde er alsbald vergefien; das Beiſpiel aber, das ex gegeben, war 
von unberehenbarer Wirkung. Zu Aufang Mai des Jahres 1814, nad, der erflen 
Fahme von Paris, erhielt er vom König die machgefuchte Entlaffung ans dem 
Heerctdienſt und kehrte nun wieder in die Heimath uud zu feinem eigentlichen Berufe 
sid. Die literariſchen Beſtrebungen, denen ex ſich neben feiner alademifchen Thätig- 
it mh widmete, galten aber doch wiederum dem Vaterlande. 

Es waren politifche Schriften, mit deren Bearbeitung er ſich jet befaßte, vor 
den da 1817 erſchienene Werk: „Die gegenwärtige Zeit und wie fle getvorben.“ Er 
bemihte fid) hier, im eimer gedrängten gefchichtlichen Ueberficht darzuthun, „wie alle Hoffe 
mu; einer, wenn auch nicht durchaus friedlichen, fo doch geordneten und heitern Zu⸗ 
faft — auf Destfchlaud ruhe.“ Diefe Darlegung hätte wohl zur Beruhigung dienen 
Kane, fie wurde aber leider fafl nirgends vom richtigen Gefichtepunkte aus anfgefaft. 
Die imere Unruhe und Gährung war gleich nad den Befreiungsfriegen viel zu groß, 
dt deß dies möglich geweſen wäre. ben biefe Unruhe änferte ſich auch in fo manchen 
Oefrebumgen, die Steffens' nur ein Gränel feun konnten und gegen die er ebenfalls 
uote Ach gedrungen fühlte. So ließ er denn 1819—21 feine „Garricaturen bes 
feilfere efcheinen, in welchem Buche er fic gegen alle einfeitigen, mit flarrer, regel» 
tehter Caſequenz durchgeführten Unflchten vom Weſen, der Aufgabe, den Elementen 
KH Eiastg überhaupt und des deutſchen Staatolebens infonderheit erflärte. Im dem 
Öcheien , DB. der allgemeinen Deutſchheit mit Vernichtung jedes provinziellen Unter, 
ſhiedet in ber Annahme, daß der Mdel nur erblich und umgelehrt, daß er nur pew 
ſalich feyn ſolle, in der Behanptung, daß die Kirche und ber Staat ſchlechthin eins 
ad dafielbe ſey oder daß fie gänzlich umd durchans von einander gefchleden werden 
nißter u. ſ. w. fonnte er nur Zerrbilder erlennen; ebendiefe aber tiffenfchaftlich zu be» 
Indhten und die Gegenfähe, auf denen fie beruhen, aufzuldfen und zu verfühnen, das 
afhien ihm als das dringendfle Bedürfniß der Zeit. Anch zu diefem Bemühen war 
& durch feinen tiefen religiöfen Sinn hingeleitet worden, welchem zufolge er nicht in 
den vereinzelten Formen des Lebens, fondern nur in deren harmonifchen Bereinigung 
au letzten, eigentlichen Willen Gottes erfennen konnte. Doc wußten ihm in dieſem 
edanlengaug nur die Wenigften zu folgen; vom ben fo zahlreichen Vertretern aber ber 
Gnfeitigen Nichtungen, welche er befämbpfte, fah er ſich nicht bloß zurückgewieſen, forms 
km and) angeföindet, verdächtigt, derunglimpft. 

‚ Und) anf religidſem oder vielmehr kirchlichem Gebiete follte Steffens, in Folge der 
Mmerfcts ducchaus feflen und entjchiebenen, anderfeits aber nichts weniger als engen 
Rer beidirämften Denk. und GSinnesweife, welche er hier an den Tag legte, gar viel⸗ 
rd ein Gtein des Unfloßes werden. Die Sehnſucht, das Verlangen, einer ſichtbaren 
Xirhe anzugehören, war bei ihm nicht eiwa an® einer Innern Unficherheit, fondern viel⸗ 
neht aus der weichen Fälle des religidfen Lebens hervorgegangen, das ihn befeelte. Ein 
ieſet wiffenfchaftliches Forſchen hatte ihn zu einer wohlgefiherten Erkenumiß der Wahr⸗ 
het uud Gättlichkeit des Ehriftentkums gelangen Lafien, und hiemit fühlte er fich längere 
deit befriedigt, Doch micht file Immer. Grſt dann barf man fid, wie er nachmals Mar 
Alunie, im vollen Ginn des Wortes einen Chriſten nemmen, wenn man fich einer 


160 Steffens, 9. 


Kirche in folher Art Hingegeben hat, daß man fid nicht mehr im diefe hineinlebt durqh 
das refleftivende Erkennen, fondern umgelehrt aus ihr herauslebt. Im jenem Falk, 
worin er am Ende dod nur den Weg zu dem Biel finden Tonnte, auf welches das 
innerfte Sehnen feines Herzens gerichtet war, befand er ſich fo Lange, bis er zur nähen 
Belanntfchaft mit dem Prediger Scheibel in Breslau gelangte. 

Diefer war feiner flarren Orthodoxie halber verfchrieen, wegen der Reinheit feine 
Sefinnung aber allgemein hoch geachtet, und er Hatte fi, obwohl er zurüchgepoge— 
lebte und fich nirgend® aufdrängte, eine Gemeinde, theilweife auch aus der Zahl de 
GSebildeten erworben, die ihm mit ganzer Seele anhing. Durch die Cinfeitigleit, 
Bizarrerie in den fchriftftellerifchen Arbeiten dieſes Mannes fühlte fid, Steffens aby 
fohredt, niemals aber hatte er einen Prediger gehört, der, wenn er anf der Kanjel m 
fhien, fo ganz von feinem Gegenftande ergriffen, wie geheiligt umd verllärt wm 
„Wenn er das innere chriftliche. Leben in feiner Richtung gegen das Göttliche darftellte, 
fagt Steffens felbft, wenn er vom Glauben an die Tiebe, von dem Heilande fprad, ſe 
war es, als redete ex nicht allein von einer andern, fondern aus einer andern Bel. 
Im Anfang zwar fchien feine Sprache etwas Ungefchidtes, der. Zeit Fremdes zu habe; 
dann aber war es, als hätte ſich alles in ihm und feinen Zuhörern verwandelt und 4 
lag nun in feinen Worten eine Gewalt, die er felbft nicht zu kennen ſchien.“ Es 
leicht zu denten, daß eine ſolche Perfönlichkeit einen mächtigen Einfluß auf Steffen 
ausüben mußte. Die religidfen Erfahrungen, die er noch als Kind in Helfingdr ge 
macht hatte und deren Erinnerung nie in ihm erlofchen war, traten jegt mit volle 
Stärke in feiner Seele wieder hervor, und um fo klarer erkannte und um fo lebendige 
empfand er nun, welcher Segen darin liege, wie geradezu unentbehrlich es fen, ein 
beftimmten, fichtbaren Kirche anzugehören. 

Bereitd im Jahr 1823 fprad er ſich eben hierliber dffentlich in der 1831 nm 
anfgelegten Schrift: „Bon der faljchen Theologie und dem wahren Glauben“ and. Di 
Bolge hievon war jedoch, daß man ihn allgemein, daß ihm nicht bloß untergeorbuck 
Geiſter, nein, auch die erften, bedeutendften Männer als einen Berächter von Kunfl m) 
Wiffenfchaft, als einen der Außerfien Einfeitigleit verfallenen Seltirer anfahen. & 
hatte Mißverfländnig fchon erwartet und Ddemfelben vorbeugen wollen; es fomms 
Stellen in dem Buche vor, im welchen er aufs beflimmtefte vor einer folchen religidſa 
Einfeitigleit warnt: „Ihr dürft, vedet er die Gemeinde an, nie etwas fchlechthin ve 
werfen, mas eine wirkliche gefchichtlihe Macht und Bedeutung erhalten hat, Ak 
was fo erjcheint, hat in feinem innern, verborgenen Wefen, felbft wenn es burd & 
Sünde verunftaltet wird, etwas Goͤttliches; die wahre fromme Schen verbietet, du 
anzugreifen, was für Gott eine Bedeutung hat. Alles wird freilich in der Crjdenm 
verzerrt, aber diefe Berzerrung, die allgemeine Sünde der Geſchichte, iſt ein Gel 
däres, es verbirgt dennoch in fi ein Urfprüngliches, Unfterbliches. Ihr folt nid 
ruhen, bis ihr es erfannt habt; diefem follet ihr euch ganz hingeben, und von dieſes 
ans mag denn wohl der rüdfichtslofe, harte Kampf gegen die Verzerrungen anfangen’ 
As Beifpiel biefür wählte Steffens einen Gegenfland, der ohne Zweifel geeignet wat, 
den einfeitigen Frommen ein Aergerniß zu geben, das Schaufpiel. Er gab zu, 
dieſes in unfern Tagen tief geſunken fey; es zu befämpfen, wollte ex aber nur di» 
jenigen einräumen, der fi) der dramatifchen Kunft, ihrer unabweisbaren gefchichtlihes 
Bedeutung nach, hingegeben, fie anerfenne und Liebe; von jedem andern Angriff jagt & 
daß er ein völlig fruchtlofer fen müffe und mit Recht abgewiefen werde. Ebenſo er 
Härte er die Berdammungsfucht für völlig undgriftlih. „Der Bekämpfer — felbft de 
von Euch heilig gehaltenen erfcheinenden Form der Kirche, fagte er, ſteht dieſer vie, 
leicht näher als Ihr. Der Olaube an den Heiland ift freilich der allein feligmacendti 
ob aber diefer nicht ſchlummert und ohnmächtig if in mir, ber ich ihm Öffentlich be 
kenne, ob er nicht auf der andern Seite in demjenigen, der ihn angreifen mag, nur IM’ 
südgedrängt if} durch noch nicht überwundene Zmeifel und nachmals gerade in ih 





Gteffens, 9. 161 


mädtig werden will, da® kann fein Menſch beurtheilen, denn unfer innerſtes Verhältniß 
za Ott iſt nur Ihm belannt, umd durch diefe Ungewißheit aller Erſcheinungen ift unfere 
Ontefaxcht ſelbſt bedingt.“ 

Diefe Wenferungen waren deutlich genug, doch man überhörte fie, und indem man 
m den weiten Geſichtatreis unferes Steffens’ nicht einzutreten wußte, war man andy nidyt 
im der Lage, den feſten confejfionellen Standpunkt, den ex ſich gewahrt wiffen wollte, 
richtig zu würdigen. Wenn Steffens für alles zumal, was eine wirkliche gefchichtliche 

Bedeutung getvonnen hat, eine göttlihe Berechtigung in Aufprud, nimmt, fo durfte er 
bo uumdglich die Kirche, im welcher er geboren umd erzogen und in deren Schoße er 
w Gett und Chriſto gelangt war, hievon ausfchließen wollen. In einer engen abge» 
fonderten Gemeinde aus der Geſchichte ſich zurückzuziehen, das wäre ihm nicht möglich 
geweſen, daB würde, wie er fidh felbfi anshrüdt, feine ganze Entwicklung vernichtet haben. 
Us eine foldhe konnte ex aber doch die Lutheriſche Kirche wicht anfehen, deren Dafeyn 
in fo manchen Ländern gefeglich gefichert if und in deren Weſen die Keime einer 
\endigen Eutwicklung fich nicht läugnen lafſen. Daß fie tief geſunken ſey, verfannte 
a em micht; doch wollte er fich nicht vom ihre trennen, weil fie „ſchwach, hinfällig, 
ja ſerbend exfcheinen mochte, fondern ebendeßwegen fich ihr um fo inniger, entfchiedener, 
aaſchließen, gleicherweife auch, wenn fie von außen her bedrängt und ihre Beſtand ge⸗ 
führte wurde, keineawegs fie preisgeben, gleichgültig ihrem Geſchick fie überlaflen. 

Waig Friedrid Wilhelm III. war von dem lebhafteſten Wunſche befeelt, daß bie 
beiden evangelifchen Kirchen in den preußifchen Landen eine Union (©. d. Art. Union. 
Dd. XVI, 6. 705 ff.) fi gefallen lafſen möchten. Dabei fam es ihm zwar nicht in 
der Siam, diefe Umion erzwingen zu wollen; um jedoch diefelbe in fräftigfier Weife zu 

förbern, war die Einführung einer allgemeinen Liturgie und gende allerdings geradezu 
webeten Diefem Anfinnen wollte fi) nun Scheibel nicht fügen, das Recht fich nicht nehmen 

Laf, ba dem altlutherifchen Ritus zu verbleiben; und feine ganze Gemeinde fchloß 

nd ia bein au. Steffens für feine Berfon hielt es zwar für rathfam, dem kbuig⸗ 

Ischen Bil hinfichtlich der Agende nachzukommen, umd war überzeugt, daß trog dem 
Die Une fern gehalten, die Lutheriſche Kirche im ihrer Integrität wohl noch bewahrt 
werden hane. Es gelang ihm aber nicht, auch nur ein einziges Glied der Gemeinde 
Für feine Anfiht zu gewinnen; völlig ſich zurückzuziehen konnte er aber nicht über fidh 
bringen, zad fo verfland er ſich denn dazu, höheren Orts eine Bittfchrift im Namen ber 
ganzen Gemeinde einzureihen. Gie blieb unbeantwortet, und erſt auf erneute Vorſtel⸗ 
langen erfolgte endlich vom Seite des Miniſterinms Wltenflein eine in fehr herber Form 
abgefaßte Zurhdweifung, in welcher die Supplitanten geradezu als Revolutionäre be- 
Fihmet, in der auch auf die Julirevolution, als das denfelben vorſchwebende Muſter, 
Gingeisiefen war. 

Steffens mußte fich hiedurch tief gefräntt fühlen, denn er tar fi bewußt, im 
zeimflen und ſtrengſten Sinn ein loyaler Unterthan zu feyn; Verhältniffe manderlei Urt 
batten ihm Gelegenheit gegeben, es zu beiveifen. Er hatte gezeigt, daß die Popularität, 
ſo lodend fie auch ſeyn mochte, ihm michte galt, wenn es darauf anlam, Gehorſam 
gegen die Obrigleit zu lehren und felbfi auszuüben. Auch bei den geringften Kleinig⸗ 
kiten war es ihm gleichjam zur andern Natur geivorden, pedantifch genau den Geſetzen 
m gehordien. Doch konnte er nidyt glauben, daß es ihm darum Pflicht fey, in Bezug 
suf Religion, auf die innerfle Ueberzeugung der weltlichen Obrigkeit ſich zn unteriverfen. 
Die Lehre: „Jedermann fen unterthan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat“, konnte 
Um nicht heißen: Di ſollſt den weltlichen Behörden und den dieſen untergeordneten 
Geiftlichen das Recht Aberlaffen, deine gnefchichtlich begründete Kirche zu beherrfchen, 
md dich ihren Beſtimmungen unteriwerfen, denn fie verſtehen dergleichen befier, als bu. 
dns alles legte er in feiner Antwortsfchrift dem Minifterium dar und erflärte hierauf, 
bie ex in einem Lande, wo das fefte Beharren bei feiner religidfen Heberzeugung, die 
kei feinem Rufe nach Preußen als befanut vorausgefegt werden mußte und die damals 

Real » Encpkiopädie fs Theologie und Kirche. Suppl. M. 11 





162 Steffens, 9. - 


auch dafelbft die herrfchende war, als ein Auflehnen gegen die Obrigkeit betrachtet und 
einem Aufruhr gleichgeftelt werde, mit gutem Gewiſſen nicht länger verweilen dürfe, 
daß er alfo bitten müſſe, ihn nad acht und ziwanzigjährigem treuem SDienfte feines 
Amtes zu entlaffen. Ein Beſcheid auf diefe Schrift erfolgte nicht; nur gab man ihm 
zu verfiehen, daß man ihn der Univerfität erhalten wiflen wolle, indem er einen be 
lebenden, anregenden Mittelpunft bilde, den man nicht miſſen koͤnne. Seine äufer 
Tage aber geftaltete fi immer übler: die Perfonen, mit welchen er bi® dahin in ge 
felliger Verbindung geftanden, traten von ihm zuräd, fo daß er nun mit feiner Familie, 
ganz wider Gewohnheit, in völliger Einfamfeit lebte. Auch der Gemeinde gegenühe 
ward fein Verhältniß immer unerfrenlicher: ex mußte fehen, tie biefelbe jeder fur 
fchreitenden Entwidlung prinzipiell fich mwiderfegte und alfo einer immer größern Star. 
heit anheimfiel. Im der Keinen Schrift: „Wie ich wieder Yutheraner wurde“, Vredlas 
1831, fuchte er die Beichuldigung einer befchräntten Religioſität, foweit feine damalige 
Stellung zur Gemeinde e8 erlaubte, abzumeifen; bei dem großen Publikum aber reiht 
ihon der Titel des Büchleins hin, den Inhalt defjelben von vornherein als einen ver 
dammungsmwürdigen zu betrachten, nnd daß er bei der ®emeinde das früher genoflen 
Zutrauen mehr und mehr einbüßte, ihr allmälig als ein beinahe Abtrünniger erſchien 
ift leicht zu begreifen. 

Unter diefen Umfländen war er nun freilich darauf bedacht, Breslau ganz zu ver- 
laffen, anderwärts einen Wirkungskreis ſich zu erringen; wenn ihm aber Lebteres laun 
anderswo als in Dänemark möglich fchien, fo mußte er erleben, daß in diefem feinen 
eigentlichen Baterlande auch feine beften Freunde feine Ankunft fürchteten. Im che 
diefer Zeit jedoch, al8 er fich fo ganz verlaffen fühlte und alle Bande der Lebensper- 
hältniffe, innere wie äußere, nähere wie entferntere zerriffen waren, fand eim Ereigniß 
Statt, welches auf eine Überrafchende Weife ihn erheiterte und ihm mit neuer Hoffnung 
erfüllte. Der damalige Kronprinz, nachmalige König Friedrich Wilhelm IV. behandelte 
bei feiner Anmefenheit in Breslau den fonft allgemein Berfchmähten, Zurldgeflofenn 
mit ganz befonderer Auszeichnung, billigte feine ganze Handlungsweife und eröffnet 
ihm die Ansficht auf Berfegung nad einer andern preußifchen Univerfität. Dod ef 
im Jahr 1832, alfo in feinem 59. Lebensjahr erfolgte feine Berufung nad) Berlin. 

Mit feinem Empfang bei der Univerfität war er wohl zufrieden, die Nichtunge 
aber, in welchen man ſich hier bewegte, waren ganz anderer Art, ale die feinige. Hey 
felbft war geftorben, feine Philofophie jedoch hatte ihre Macht noch nicht verloren, w’ 
diefe hielt fich, tie Steffens felbft fich ausdrückt, für zu geiftig vornehm, um fid st 
der finnlichen Wirklichkeit als einer foldyen einzulaffen; nur fofern fich diefelbe m is 
logifches Neg einfpinnen ließ, wollte man ihr allenfalls eine Bedeutung noch zugefhe. 
Auf der andern Seite hatten die großen Entdedungen in der Phyſik, in der Geologie, 
in der comparativen Phhfiologie einen jeden Keim fpefulativer Anfichten erftict, und de 
Naturphilofophie ward als ein twillfürliches, phantaftifches Spiel betrachtet, welches viel⸗ 
leicht hie und da eim dichterifches, in Feiner Weife aber ein wiffenfchaftliches Intereſſe 
erwecken könne. Der große Verſuch, eine geiftige Einheit aller wirklichen Erfahrung 
zu erringen, war unbedingt aufgegeben und an deffen Stelle da8 Bemühen eingetreten, 
nur das Vereinzelte als folches, eben dieſes allerding® mit einer geradezu virtoſen 
Eraktheit zu erforſchen. Eine gewiſſe Berechtigung wollte Steffens diefer Tendenz nidt 
abfprechen, doch überfiel ihn ein wahrer Schauder, wenn er diefe® Streben nah 
allen Richtungen hin immer weiter ſich ausbilden fah und doch keineswegs hoffen fonntt, 
daß diefe immer zunehmende Zerfplitterung von felbft wieder zur Einheit führen werde. 

Er ſelbſt ließ ſich jedoch durch das alles nicht beirren, vielmehr widmete er ſich 
der ihm num einmal gewordenen Lebensaufgabe nur mit um fo größerer Energie. Sein 
Vorlefungen verbreiteten fih über Naturphilofophie, Anthropologie — in feinem Sim, 
Biychologie und Religionsphilofophie, und bei der ausnehmenden Lebhaftigleit deb 
Geiftes, die fi) ihm aud im höhern Lebensalter ungeſchwächt bewahrte, fanden dieſelben 





Gteinhofer, M. 5. €. 163 


ned freilih nur bei den Studirenden der Theologie, den erwünfdteften Anklang. 
De Berträge über Religionsphilofophie gab er 1839 in Drud heraus, und zivar unter 
kr Bemerfung, daß „dieſe Arbeit, möge fle auch fonft an gar mancher Unvolllommen- 
keit kiden, doch diejenige Methode einhalte, welche einzig umd allein eine Ausſohnung 
wiſchen dem chriftlichen und dem Weltbewußtſeyn herbeizuführen vermöge.“ &ben- 
dieſes hohe Ziel verfolgte er getvifiermaflen auch in feinen, großentheils fchon früher 
beorbeiteten Novellen - Enfien (die Familie Walfeth nnd Leith», Breslau 1827, 3 Bde. 
„Die dir Roriveger-, Breslau 1828, 6 Bde. „Mallolm“, Breslau 1831, 2 Bde. 
x f. w., gefammelt unter dem Titel „Novellen“, Bretlau, 1837. 1838; 16 Bändchen), 
die zwar im formeller Beziehung anf Clafficität feinen Unfpruch machen köOnnen, doch 
ober ganz meifterhafte Natnr- und Sittenfchilderungen umd einen großen Reichthum an 
tiefen und bedeutenden Gedanken in fi fallen und einen edlen fittlich -veligidfen 
Geiſt athmen. 
Im Jahr 1840 wurde Steffens' die beſondere Ehre zu Theil, von dem König 
Chrtion VIII. von Dänemark nach Kopenhagen zu den Krönungsfeierlichleiten, und 
wa mit feiner Samilie eingeladen zu werden. In dem nämlichen Yahre hatte er zwar 
»4 hinſcheiden des von ihm verehrten Könige Friedrich Wilhelm III. zu beflagen, 
Friedrich Wilhelms IV. aber, der unferm Steffens fchon als Kronprinz fo große Huld 
hewieſen, blieb ihm aud) als König immerdar — man darf- wohl fagen freundfchaftlich 
zewogen. Erſt im den letzten Monaten feines Lebens war an Steffens’ eine Abnahme 
mer räfte zu bemerken, doch auch da konnte man über der Jugendfriſche, mit welcher 
e m Geſpräch einen Gegenſtand, für den er fich intereffirte, zu behandeln mußte, an 
fer Richtigkeit jennee Bemerkung wieder irre werden. Am 8. Februar 1845 mohnte er 
bei feinem Freunde Goſchel einer Vorleſung ans Dante's „Paradies“ mit tiefflem 
Herentantheil bei; im Begriff aber, die Gefellfchaft zu verlaffen, fanf er zufammen; 
® erfolgte ein Heftiges Bluterbrechen und fünf Zage nachher, am 13. Abends verfchieb 
©. Kie Zeit vorher hatte er feine 1840 begonnene höchſt anziehende Selbftbiographie 
("Bob ih erlebte“. Breblan, zehu Bände) vollendet, aus welcher Kar zu exfehen, wie 
a m ker Beriode feines Lebens die frohe Yuverficht verloren, daß die großen Ideen, 
fie die er unermübdet thätig geweſen und für die ihm ein Opfer am groß oder zu 
[er war, doch noch zur Herrſchaft gelangen würden, ja daß alles, was ihre Ent⸗ 
bidlung zu hemmen oder aufzuhalten fcheinen möchte, zulegt doch nur ihre um fo glanze 
toßere Ausgeftaltung zur Folge haben müſſe. Dr. Julins Samberger. 
Steinhofer, Marimilian Friedrich Ehriftoph, einer der Wahrheits- 
mgen der Würtembergifchen Kirche and dem vorigen Yahrhundert, welche noch heute 
ch ihre Schriften eine fegensreiche Wirkung ausüben, verdient es wohl, neben einem 
dengel, Detinger u. f. w. einen Platz in diefem Werke zu erhalten. — Steinhofer wurde 
kboren am 16. Januar 1706 in Omen, der ehemaligen Reſidenz der alten Herzoge 
vm Ted, woſelbſt fein Water, Ludwig Chriſtoph, vieljähriger Stadtpfarrer var. 
Bon feinen gottfeligen Eltern, beſonders aber auch von feiner Großmutter Steinhofer 
gnoß er eine Acht chriftliche Erziehung, welche durch Anleitung zur Gottesfurcht und 
Enpflanzung immiger Jeſusliebe gleichmäßig auf Gewiſſen und Gemuüth zu wirken 
ſuhte, eine Methode, welche nach Steinhofer's eigenem Zengniſſe beſonders in den 
ktifchen Jahren des zum Slnglingsalter heramreifenden Knaben fid) bewährte. Bon 
Kinn Gittern fchon frühzeitig für das theologifche Studium beflimmt, wurde er 1713 
m 7. Lebensjahr in die lateiniſche Schule zu Kicchheim abgegeben und von 1720 bis 
1125 durchſtef er die Studienklöfter Blanbenren und Bebenhaufen. Ueberal erwarb 
r fich durch ſittlichen Ernſt und Flei die Yufriedenheit feiner Vorgeſetzten; und aud) 
der Same kindlicher Gottſeligkeit, der im fein Herz gepflanzt worden, wurde ihm durch 
Gottes Gnade ımd durch die Färforge treuer, väterlich sgefinnter Lehrer bewahrt. Doch 
mu er beiennen, daß im Bebenhauſen, woſelbſt er zum stud. philos. überging „die 
Ümgroße Begierde und Luft an diefer Wiſſenſchaft das Gefühl ber bisher erhaltenen 
ne 





164 Steinhofer, M. F. €. 


erften Liebe unterdrüdte, obwohl die heimlihe Zucht Dderfelben niemald gam 
gewichen.” Im diefem Herzenszuftand trat er 1725 in das Stift zu Tübingen über, 
um hier zunächſt noch einige Zeit die philofophifchen Studien fortzufegen. Ehe er das 
theologifhe Studium begann, wurde er don Gott felbft in eine gefegnete Schule ge 
nommen. Der Heimgang feiner Großmutter Steinhofer, welche beſonders dahin ge 
wirft hatte, den Keim der Yefusliebe in fein Herz zu pflanzen, der unvermuthete Riß 
(Todesfall?) eines Commilitonen, zulegt ein unglüdlicher Fall, der ihn für eim halbes 
Jahr auf das Krankenbett warf, waren ernfte Stimmen an fein Herz. Das la 
wierige Krankenlager gab ihm Zeit, ſich über feinen Seelenzufland zu befinnen und |» 
wohl aus manden eitlen Gedanken und Weltabfichten nüchtern zu werden al® anch % 
in der Jugend vom Herrn empfangene Gnade zu erneuern. Es traf diefe entfcheidenk 
Erfahrung 1727 eben in die Zeit, da Steinhofer nun zur Theologie übergehen folk 
und übte natürlich auf feine Auffafiung vom Zweck und von der Methode diefes Stu 
dium® einen fegensreihen Einfluß aus. Es war ihm don Anfang au hanptjädlid 
darum zu thun, „daß er zu einer gründlichen und fchriftmäßigen Erfenntniß der Heid 
wahrheiten gelange und dem Herrn Jeſu ein bräuchliches Werkzeug zu feinem Diem 
werden möchte. * Im diefem Beſtreben wurde er noch beftärkt, da er nad, einem nu 
zweijährigen theologifchen Curſus, 1729 als Bicar des Abendprediger® Guterman 
in der freien Reihsftadt Biberach berufen wurde, woſelbſt er ein halbes Jahr lang 
das Evangelium Jeſu Chrifli mit Nahdrud und nicht ohne Segen verlündigte. R 
dieſer Wirkfamleit wurde es ihm recht Klar, „was zum Dienft des Herrn am Evan 
gelium und zu einer gefegneten Arbeit an den Seelen erfordert werde.» Diefe Ein 
drüde begleiteten ihn, als er nun nad) Tübingen zur Fortſetzung feines theologiſchen 
Studiums zurückkehrte. — Eine befondere Weihe bekam diefe legte Hälfte feiner Studie 
zeit dadurd), daß er nicht nur im einen eng verbundenen Kreis erweckter Studenten 
eintrat, fondern auch von dem edlen Dr. Weißmann, Profefior der Kirchengeſchichte 
einer näheren Treundfchaft gewürdigt wurde. Nach Vollendung feiner Studien 1731 
erhielt er nad) der befannten trefflihen Sitte der Wiürtembergifchen Kirche Erlaubriß 
zu einer längeren Reife, „um aud; in andern Rändern das Wert Gottes im der evar- 
gelifchen Kirche ans eigener Anfchauung kennen zu lernen.“ Die Reife ging übe 
Franken nach Sadjfen und andern Ländern Norddeutſchlands. Im Jena lernte er de 
„Br. Spangenberg“ kennen, deſſen kindliche Einfalt einen unauslöfchlichen Einbrd 
anf ihn machte. Das Hauptziel feiner Reiſe war die new gegründete Gem 
Herrnhut. Ein längerer Aufenthalt dafelbft war nicht ohne Bedeutung für fi 
innere Entwidelung und wurde zugleich entjcheidend für feine äußere Lebensführi: 
Die fhon feit feiner Exrwedung (bei aller biblifchen Alfeitigfeit) herbortretende Richten 
auf den Gentralpuntt des Chriftentbums „den Glauben an Jeſum nad) dem lauten 
Worte des Evangeliums“ wurde hier mächtig geſtärkt. Aber nicht nur lernte er die 
Gemeine Herrnhut fhägen und Lieben, auch diefe gewann den edlen Steinhofer, der 

ihr Öfter Vorträge hielt, lieb, und wollte ihn am liebften ftatt Rothe zu ihrem Piareet 
und Seelſorger haben, oder doch wenigftend als Adjunkten des legtgeuannten, wit der 
fonderer Berpflihtung für fie (d. h. für die Gemeinde Herenhut im Gegenſatz zu 
Berthelsdorf) behalten. Ehe die Verhandlungen darüber zu einiger Klarheit Tan 
reiſte Steinhofer im Herbſt 1732 wieder nach Wurtemberg und trat für's erſte ad 

Repetent in das Stift Tübingen ein. Im Herrnhut hatte man aber den Plan der Be 
rufung Steinhofers nicht aufgegeben. Als Zinzendorf 1733 die bekannte Reife nad Wir: 
temberg machte, deren Refultat das für Herrnhut günftige Tübinger Bedenken war, verfolgte 
er Jugleich die Nebenabſicht Steinhofer'n von ſeinem Vaterlande loezumachen für Her 
hut. — Steinhofer ging mit freude auf die Sache ein und wurde mit dem beflen 
Empfehlungen und Segenswünfchen von der borgefegten Kirchenbehdrde und der Tübinger 
Fakultät entlafien. Der eigentliche Zweck wurde aber doch nicht erreicht; die Sächfiſche 
Regierung machte Schwierigkeiten. Zingendorf fah daher von Steinhofer’s Wuflellung 


Steinhofer, M. 5. €. 165 


in Hercahnt ab, und fuchte ihn anderwärts unterzubringen. Dazu fand fidh auch bald 
Gelcerheit. Wahrend feiner Reife von Würtemberg nah Herrnhut (im Jahre 1733) 
kette Steinhofer einen längeren Anfenthalt am Hofe zu Ebersdorf genommen und 
bier auf bie reichögräfliche Familie einen fehr günfligen Eindrud gemacht. — Der Graf 
Heimich IXIX. berief daher Steinhofer zu Anfang des Jahres 1734 nad Ebers- 
boef unter dem Titel eines Hofcaplan's. Steinhofer's Aufgabe follte befonders die 
fee, Die Leitung der ſchon feit dem Jahre 1796 eriflicenden Hofgemeine, d. h. einer 
ons der chriſtlichen Herrſchaft und dem erwedten heil des Hofgefindes beftehenden 
Spenerifhen eoolesiola umd des damit verbundenen Waifenhaufes zu übernehmen. 
Da der hallifd, gefinnte Hofprediger durch diefe Anflellung Steinhofer’s fi in feinem 
Recht gefräntt glaubte und eine eutfchiedene Aumäherumg der Hofgemeine an Herrnhut 
fürchtete, fo zog ex ſich bereits 1734 zurüd. Steinhofer trat in feine Funktionen ein, 
ome für jet noch eine förmliche Imftallation als Hofprediger befommen zu haben, in 
welher Beziehung das Conſiſtorium zu Gera Schwierigleiten machte. Im Yahr 1738 
begleitete Steinhofer feine Herrichaft auf einer Reife nad) dem mürtembergifchen Eurort 
Tenach, und diefe Gelegenheit wurde benugt, um hier, in Würtemberg, Steinhofer’s 
Ordination zu bewirken. Diefe wurde vollzogen am 15. Inni in Hirſchau, dem Pfarr» 
ot Detingers, der mit Steinhofer zugleich durch ben Prälaten Weißenfen orbiniet wurde. 
ur Auguſt defielben Jahres trat Steinhofer nun fein Hofpredigeramt an, wozu dann 
Ipäter noch auf kurze Zeit das Dorfpaftorat von ihm übernommen wurde. — Diefen 
derſchiedenen Aemtern*) widmete Steinhofer mit aufopfernder Treue feine ganze Zeit 
und Kraft und fuchte nach dem Vorbild des Apoſtel Baulus allen alles zu werden. 
Die er die erwedten Seelen der engeren Gemeine in der Erkenntniß Jeſn Ehrifti aus 
der heiligen Schrift tiefer zu gründen fuchte, davon legen Zeugniß ab z. B. feine Be- 
traktungen über den Hebräer- nnd Kolofierbrief, welche aus mündlichen Vorträgen in 
veſer Reit entflanden find. Im der Seelenleitung bewies er viel Weisheit, Liebe und 
Demuth, hatte aber neben der Freude über mandye fegensreiche Reſultate auch oftmals 
Sorge Aber den inneren Gemeingang, indem es bei vielen zu keiner tieferen evangelifchen 
Örizteng, zu feiner rechten Selbfierfenntniß, und namentlich auch zu feiner lebendigen 
hrůderlichen Gemeinſchaft kommen wollte. Selbſt die „Welteflenconferenz“ mar unge- 
zigend, und GSteinhofer mußte zu feinem Bedauern faft immer das Wort allein führen. 
Uster diefen Umfländen wurde dem trefflichen Steinhofer feine Wirkſamkeit in Ebers⸗ 
dorf zuletzt oft recht ſchwer, troß der großen Verehrung, melde er namentlid von 
Seiten der Landesherrſchaft genoß. Der ganze „Gemeinplan“, wie er fich hier geſtaltet 
hatte, werde ihm problematifh. Ex hätte es am liebſten gefehen, wenn die wahre 
Gemeine Jeſn ſich unter die 3 äuferlichen Gemeinen (vom Hof, vom Dorf umd vom 
Baifenhaufe) fo verfteden köunte, daB nur ein geiſtliches Auge fie ſähe. Aber bie all- 
gemeine und laute Stimme der Gemeine (eoclesiola) wollte es anders. Wan firebte 
ach einer feflen Gemeindeorganijation und Berfaffung nadı dem Vorbild Herrnhutifcher 
Ortögemeinen. Steinhofer gab nad; umd erwirkte eine landesherrliche Berficherungsur- 
hımde (24. Anguſt 1745), wodurch der (engeren) Gemeine, die jet ihren Mittelpunkt 
im Waiſenhauſe bekam, innerhalb der bürgerlichen und kirchlichen Orduung des Landes, 
eine gewiſſe Selbfifländigfeit zugefihhert wurde. Damals aber reifte bereits in Stein- 
hofer's Geiſt ein Plan, defien Verwirflihung — im Jahr 1746 — vielen hödfl über- 
raſchend war. Es handelte fi um das Verhältnig Steinhofer’s umd der Ebersdorf'⸗ 
(hen „Bemeine« zur Derenhut’ichen VBrüdergemeine. Die urfprünglich auf Spenerifchem 
Grunde erbaute, aber von muftifch » pietiftiihem und halliſchem Elemente beeinflußte, 
Eberadorf ſche Hofgemeine hatte vom Anfang an ein etwas anderes Gepräge als die 
derrnhutifche. Durch einen Beſuch der mit Zingendorf verfchwägerten gräflichereußifchen 
Ganilie in Herrnhut wurden engere Beziehungen zwifchen beiden Gemeinen geknüpft. 
— ale Hof⸗ und (Dorf⸗) Prediger, Waiſenhansdirektor und Borſteher der engeren 





166 Steinhofer, M. 5. C. 


Die Berufung Steinhofer’3 nad) Ebersdorf ſchien das Siegel auf diefe engere Verbi 
dung drüden zu follen. Uber es trat gerade das Gegentheil ein. Befonders | 
Steinhofer’8 definitiver Anftelung als Hofprediger macht fich ein geſpauntes Verhäl 
bemerklih; und zwar war der erfte und hauptfählichfte Differenzpunft die Ferieg 
Steinhofer’s jelbft. Zinzendorf und feine Mitarbeiter hatten dem Webertritt Steinbei 
nach Ebersdorf nur jo angefehen, daß Steinhofer für die Zeit der Ebersdorfl 
Gemeine von der Herrnhuter geliehen, Steinhofer aber feiner Verpflichtung gegen H 
hut noch nicht quitt fey. Im Ebersdorf hatte man die entgegennefette Anfiht. 23T 
fam, daß überhaupt zwifchen den beiden Gemeinſchaften eine gewiffe Nivalität ſich 
bildete. Die Herrnhut’fche Brüdergemeine fah die Ebersporf’fche im ihrer jegigen 
ftalt nur als eine Nadhäffung an und erhob den Anfprucd, daß Ebersdorſ fidı 9 
an den Herrnhut'ſchen Plan anfchließen folle, da e8 überhaupt nur eine folche befonde 
Defonomie im Neiche Gottes, nur „eine Gemeine Jeſu“ in dieſem fpezifiice 
Sinne geben dürfe. Die Ebersdorfifche Gemeine dagegen behauptete ihre Originali 
auch da, wo ihre Einrichtungen mit den Herrnhut’fhen zufammentrafen umd beil 
auf ihrer vollen Freiheit und Selbfiftändigfeit Herenhut gegenüber. Diefe praftil 
Differenzen führten dann auch dazu, daß man befonder8 Ebersdorfiſcher Seits 3) 
Berfchiebenheit in der Lehre und Ausdrudsmeife betonte Die Ebersdo 
machten den Herrnhutern in diefer Beziehung allerhand Vorwürfe, worauf dieſe legterl 
die Untwort nicht fehuldig blieben. Steinhofer hat dies im Jahr 1741 im Form ei 
Dialogs darzuftellen geſucht: 3. B. Ebersdorf: Ihr ſeyd zu phantaftifch in Austrüda, 
Herrnhut: Ihr ſeyd zu abftraft und philofophifh. Ebersdorf: Ihr veradtet ie 
Bibel. Herrnhut: Ihr verderbt die Bibel mit euerem Forſchen und Gloffiren u. ſ. n 
Steinhofer hatte bi8 1743 wiewohl in fehr verfühnlicher und oft vermittelnder Belt 
bei aller Pietät gegen Herrnhut, doch mehr auf den Ebersdorfifchen Standpunlt it 
geftelt. Seit diefer Zeit aber ift ein Umſchwung in feiner Anfchauungsweife bemerl 
bar, fo zunähft in Bezug auf den erften Tifferenzpunft, der feine eigene Perim 
betraf. Er erklärte im Februar 1744 in der Ebersdorfer Conferenz: „Den Herrnhuter 
fey er noch ein gewiſſes devoir fhuldig, das müſſe er bezahlen, die Münze jen wr 
fie wolle." Es fcheint ihm dies duch die im Jahr 1743 erneuten Berhandluns 
mit Zinzendorf über bdiefen Punkt klar geworden zu ſeyn; der manchmal jett bei ie 
fih regende Wunſch, von der zu ſchweren Amtslaſt in Ebersdorf befreit zu Werde. 
mag aber jener Weberzeugung um fo leichteren ingang in feinem Geiſte veri&* 
haben. Ueber die Gründe, welche ihn in Betreff des zweiten und dritten Dim 
punktes zu Gunſten Herrnhut's umftimmten, hat. er fih im Jahr 1746 offen an 
fprohen. Die Erfolge der herrnhutifchen Brüdergemeine imponirten ihm. Er erkanm. 
daß Herrnhut eine befondere und zwar fehr wichtige Miffion im Heiche Gottes h:\t 
Bon feinem Ebersdorf aber wurde es ihm je länger je mehr unklar, welche Bedeumd, 
es in feiner ifolirten Stellung haben Lönne? Es habe eigentlich feinen befonterm 
Beruf neben Herrnhut; eine größere Wirkjumfeit und Bedeutung könne es nur em 
erlangen, wenn es geradezu als ein Gegenherrnhut auftrete, (wozu eine nemit: 
fromme Partei in der Laufig Ebersdorf damals wirklich machen wollte zu Steinhoferi 
Schreden). Was folle aus den vielen ledinen Leuten werden, die ſich im Cber:or 
zufammenfanden — ohne Abfluß durd; Colonifirung, Mifftonen zc.? Die Ebersdorfit‘ 
Gemeine müfje auf diefem Wege in kurzem berj umpfen. — Aber wie fam er ült 
den dritten Differenzpunft hinweg zumal in einer Zeit, wo die herenhutifche Brüder 
gemeine mehr und mehr ſich in eine phantaftifche Sprache des ſchwärmeriſchen Gefühl 
berirrte? Auch hier fcheint der Blid auf den — wirklichen oder vermeintlichen Erfoli 
— viel dazu beigetragen zu haben, feine praltifch-theologifche Ueberzeugung zu modifiziren 
Er glaubte bei den Herenhutern mehr genründetes evangelifche® Glaubengleben un! 
einen frifcheren Gemeingeift zu bemerken, als er bei feinen Ebersdorfern hervorzubrinit! 
vermochte. Die, wenn aud oft in unbiblifcher Form, fo flarf betriebene Bill 











Gteinhefer, M. 5. €. 167 


mglehe der Gerenhuter hatte doch an den Herzen vieler fidh legitimirt. Steinhofer 
wur bedenklich, ob ex das von feiner biblifch-theologifchen Methode fagen koͤnne. 
Ichrgend — meint er wenigſtens 1716 — habe die Differenz mehr nur in der Form 
a Ansörudsiweife gelegen. Manche „choguanter Ausdrücke der Herrnhuter babe er 
nd langer Prüfung als biblifch begründet gefunden und fie deshalb bereits bisher im 
Ebersdorf gebraucht. Im der Wertbichägung der Berföhnungsichre ale des Kernpunktes 
m Evangelium, wußte er fich ohnedies eins mit Zinzendorf und feiner Gemeine. — 
Eine Reife nach der Lauflg, während deren er fidh oft in Herrnhut aufhielt im Herbſt 
1745, dam ein Aufenthalt in Marienborn, wofelbfi er am einer Brüderfunode ‘Theil 
nahe (im Dezember) brachte feine Ideen und Plane zur völligen Reife. Nach feiner 
Rüdiehr ſprach ex befouders zu Nenjahr fehr herruhutiſch oder richtiger: herru- 
beagifh von der erfien Wunde Jeſn. Die legte Entfcheidung aber mırde — 
wenigſtens was die Ebersdorfer Gemeine betrifft —, von anderer Seite herbeigeführt. 
Einige jüngere ledige Brüder, die ſich fchon längſt flatt des Wahrheitsforfchens und 
dh gefelichen Ernſtes, gefehnt hatten nad) einem „Sattwerden im Blut des Lammes«, 
ken zu Anfang des Jahres 1746 den 12. Anhang zum herrmhutifchen Geſangbuch 
abe Hände. Hier glaubten fie zu finden was fle ſuchten. Das Büchlein galt ihnen 
am als Lehrbuch und Probirſtein der erfahrenen Gnade. „Das Blut Jeſu erfahren“ 
m „den alten Pietiften austreiben,“ wurden die Looſungsworte in der allmählich den 
größten Theil der Gemeine ergreifenden Bewegung. I. Jakob Moſer (der ſich von 
118947 in Ebexsdorf aufhielt) fühlte in feinem nüchternen Ernſt fi) von der ercen- 
niſchen Weife, in welcher diefe religidfe Bewegung auftrat, fo abgeftoßen, daß er darin 
aur Shwärmerei erbliden konnte. Steinhofer erkannte neben dem unädten in der 
Sche dech auch einen Achten Kern und wurde darin beflärkt durch die offenherzigen 
Belemtsifie der Brüder und Schweflern in der Conferenz, aus denen hervorging, daß 
ve Wiker ſich ımbefriedigt gefühlt oder unter einem Gewifſensdruck der herrſchenden 
Vetfiigen Richtung gegenüber geflanten hatten. Innerlich war der Anfchluß an 
im Frühjahr 1746 entſchieden. Steinhofer trat für feine Perfon ſchon bei 
der Zeyter Synode, (Mai und uni) durch feine Ordination zum „Coöpiscopus für 
den Intberiichen Tropus“ in den Dienft der VBrüdergemeine über. Die Vereinigung 
don Ebersdorf mit Herrnhut wurde vollzogen im Dezember des Jahres durch Zinzen- 
der ſelbſ. Steinhofer's Thätigkeit in Ebersdorf ping nun zu Ende. Merkwürdig iſt 
dab Urteil, welches Steinhofer viel fpäter über diefen Ausgang feiner Ebersdorfer 
Virhamleit ausgefprohen hat. „Was der Herr in meinem 14jährigen Dienſt zu 
Eberädorf für Segen gefchenft, das hat bei der endlich erfolgten Beendigung fein gött- 
lihet Siegel befommen.. In diefem Wort liegt ziveierlei: 1) daß Steinhofer auch 
Ihäter no im der Ebersdorfer religidfen Bewegung von 1746 einen ächten 
itlihen Kern erkannte, 2) daß Steinhofer diefen Ausgang als eine feiner lang- 
er Arbeit gefchentte Segendfrucht anfah; und in beibderlei Beziehung hatte er ge 
iß recht. 
Die Bereinigung Ebersdorf's mit der Brüdergemeine war, trog der wunderlichen 
Ideinungen, unter denen fie erfolgte, offenbar zum da ueruden Segen für jene Ge 
me und auch für Die Umgegend, nach göttlicher Abſicht gemeint. — Steinhofer’s 
iher Beitritt zur VBrüdergemeine in ihrer damaligen fchwärmerifchen Periode 
lenn freilich menſchlich betrachtet nur als ein Mißgriff erſcheinen. Doch iſt auch hier 
die höhere Fügung umverkennbar. Er wurde dadurch in eine Prüfungs und Läuterungs- 
ſhale bineingeführt, wie fie anch hochbegnadigte Knechte Gottes gut brauchen Können. 
Im Jamar 1747 verließ Steinhofer Ebersdorf und reiſte in die Wetterau. Nach⸗ 
m er hier mit der ehemaligen Ebersdorfer Schwefter Dorothea v. Molsberg getraut 
worden war, trat er zunächſt als Inſpeltor des Seminariums in Lindheim ein, in 
nelchem Ant er fich befonder® der Kinder, (in der mit dem Seminarium verbundenen 


168 Steinhofer, M. 5. ©. 


Erziehungsanftalt) väterlid, annahm. Nur kurze Zeit verwaltete er dieſes Ant. Ya 
einem Zeitraum von nicht 2 Jahren, da Steinhofer der Brüdergemeine diente (Febtuc 
1747 bis Herbſt 1748) finden wir ihn in der Wetterau und in der Lauflg, in ver 
fchiedenen Yunltionen thätig, als Inſpeltor, Prediger, Deputirter bei kirchlichen Ber 
handlungen x. Schon diefes unftete Weſen hätte einem Manne von der mehr ruhigen, 
contemplativen Art Steinhofer’8 den Dienft in der Brüdergemeine verleiden müflen, 
Dazu kam aber nod, daß die Fluthen der Schwärmerei damals immer höher fliegen, 
ſtatt ſich (mie Steinhofer gehofft hatte) allmählich zu verlaufen. Wir können uns nid 
wundern, daß mir ihm fchon gegen Ende 1748 wieder in feinem Baterlande Würtes 
berg finden al® „exsul mundi und expers des jeßigen Gemeinganges.“ Nur die Art, 
wie Steinhofer dabei zu Werke ging, zeigt uns den trefflihen Dann in feiner Schmwähr 
Aus einem Briefmechjel, welchen Steinhofer 1749—51 mit Zinzendorf und ander 
Leitern der Brüdergemeine führte, läßt, fi) der Berlauf der Sache ziemlich deutlich wm 
fehen. Bedenfen über die Richtung der Brüdergemeine in Bezug auf Lehre und Lebe 
waren ihm bereit während der Zeyſter Synode (Mai und Juni 1746) aufgeftiegen 
Er hatte fie aber niedergefclagen, und war in dem einmal eingeleiteten Plan weite 
gegangen, ſich felbft und die Ebersdorfer Gemeine an die Brüdergemeine anzuſchließen 
ja er hatte, wie dies feine Briefe aus jener Zeit beweifen, die „choquante* Ausdrudt 
mweife, wie fie damals in der Brüdergemeine herrfchte, in hohem Grade ſich angeeigne. 
(Seitenhölden ꝛc.). Als er aber im Auguft 1748 bei Gelegenheit der Hennersdorke 
Commiſſſon, als theologijher Deputatus dem Grafen Zinzendorf zur Seite fland, hatten 
fih feine Bedenken, (die ſich übrigens nicht blos auf die Lehre, fondern auch auf di 
firchliche Praris bezogen) mit erneuerter Kraft eingeftellt. — Ein kurzer Belud ® 
feinem BVaterlande, hatte ihn mit den kirchlichen Urtheilen über die Vrüdergemeine be 
kannt gemacht. Beſonders fcheint eine Schrift: Nöthige Prüfung der Zinzen- 
dorf’shen Tehrart von der heiligen Dreieinigkeit einen mächtigen Eindrad 
auf ihn gemacht zur haben.*) Diefer Eindrud wurde verftärkt durch einen YAnfenttal 
im Herrnhaag im Spätfommer oder Herbft 1748. Er hörte hier auf dem Sal 
Dinge, „daß ihm die Ohren gellten“, und was er (und feine Mitarbeiter) in Herrnhut alt 
Unfug unterdrüdt hatte, fand er hier als legitimirte Praxis vor. Bisher hatte er, nach fern 
Belenntniß ſich durchgefchmiegt „unter vielen Seufzern und Gewiſſensſerupeln“. Jetzt warien 
er nur noch auf eine paflende Gelegenheit, die Brübdergemeine zu verlaufen. Ex ve 
nad) Zeyſt berufen worden, woſelbſt das Zingendorfifche Hauptquartier fich gerade z— 
Aufbruch, nad; England rüftete. Gegen einzelne vertraute Freunde fprach er feine Rib 
billigung des jetigen Gemeinganges aus. Gegen Zinzendorf, der fich freilich 

ziemlich unzugänglich machte, fchwieg er. Bon feinem Wunſch, die Gemeinde zu dit 
faffen, fagte er niemanden etwas. Die Zumuthung, nad England mitzugehe, 
lehnte er ab, erflärte fich aber bereit, ein Commifforium für Würtemberg anzunehmm. 
Daß ihm ein folches zu Theil wurde, fah er als einen Wink vom Herrn an, ber ıha 
jest frei machen wollte. Gegen Ende des Jahres 1748 reifle er nach Würtembern 
und hielt fih in der Stille, ohne felbft gegen nähere Freunde aus der Brüdergemeine fih 
deutlich über feinen Entſchluß auszufprehen. Erſt als Zinzendorf in einem Bril 
bom 11. Februar 1749 Auskunft von ihm darüber begehrte, was denn eigentlich die 
Männer bonae voluntatis gegen die Brüdergemeine einzuwenden hätten, rüdte Stein 
hofer in feiner Antwort vom 14. März deutlich mit der Sprache heraus. Er veriveill 
auf die vorher genannte Gegnerſchrift: Nöthige Prüfung zc., gibt zu verſtehen, 
daß er die darin audgefprocdhenen Anfichten theile, und erflärt endlich, dag er unte 
diefen Umftänden fich gendthigt fehe, feine Uemter und Commiffionen, die er von Di 


— —— — — 
—— — — 





*) Eine ihrem Inhalte nach ſehr gediegene und in ber ebeiften Abſicht gefchriebene Streit 
ſchrift von Steinhofer’s Freund Becherer, Übrigens ohne Nennung des Berfaffers, mit einem MT’ 
fhärfenden Vorworte von I. Ph. Frefenius. Frankf. 1748 


©teinhsfer, M. F. €. 169 


Orhragemeine erhalten, hiermit zurädzugeben.*) Daß in diefem Verhalten Gtein- 
befert die Milde ſeines Karakter's ſich bis zu einer Schwäd)e verirrte, melde ihm 
fsger den Schein der Unlauterkeit geben konnte (die ſonſt durchaus nicht in feinem 
Befen Leg), kann wohl nicht in Abrede geftellt werden. Darum war ihm die Zeit, 
die er 1748/49 moch amtlos in feinem Baterlande, und zwar abwechſelnd in Owen, 
Etuttgart, Tübingen verbrachte, als eine Zeit der Demlüthigung und der inneren Sanım- 
lang dor dem Herrn erwünfcht umd gefegnet.**) Noch im Jahr 1749 erbat er aber 
und erhielt feine Wiederaufnahme in den Würtembergifchen SKirchendienft, weldyer jedoch 
eine grämblichhe Unterfuhung und Prüfung feiner Orthodorie vorherging., Seine erſte 
Anftelung exhielt er in der volfreichen Pfarrei Dettingen unter Urach, woſelbſt ihm 
4 Yale (1749—53) im Segen zu wirken vergdumt war. Ein Zengniß von feiner da» 
meligen Wirtfamieit iſt feine 1753 heransgegebene Predigtfammlung, welche feine im 
verhergehenden Jahr gehaltenen Predigten enthält. — Im Jahre 1753 wurde er auf 
ve Stadtpfarrei Zavelſtein berufen, mit welder die Beforgung des Badeortes 
Teinach (oder Deinach) verbunden war. Im Sahre 1756 wurde ihn die Pfarrei 
ihsingem umter Achalm übertragen. Bier hatte fein Amtsvorgänger geivifle ein- 
geriiene Mißbrauche durch bloße Geſetzlichkeit abznftellen gefucht, dadurch aber das 
Üchel nur ärger gemacht. Dem milden evangeliſchen, wiewohl im Zengniß von der 
Behcheit entfchiedenen Steinhofer gelang feine Arbeit daſelbſt ungleich erfreulicher. Gerade 
diet „daß er weit lieber als ein Friedensbote des himmliſchen Königs denm als ein 
geiſtlicher Amtmann des tedifchen Herzog's unter feinen Kirchlindern wandelte”, gewanm 
ihm die Herzen derfelben, und er hatte die rende, manche Seelen unter ihnen zum 
Erteuutui des Heils in Chriſto durch fein Zengniß gebracht zu fehen. Uebrigens hatte 
er hier noch eine befonder& edle Anfgabe zu Iöfen, nämlich die väterliche Untertveifung 
ud Firderung chriftlich gefinnter Studenten der Theologie in dem kaum 3 Stunden 
mirsien Tübingen. Ein anfchanliches Bild von diefer Thätigkeit entwirft nad) Stein- 
hejers Hemgang fein fpäterer Bikar Bauder. (Bol. Knapp's Lebensabriß von Stein- 
bojer im der- Borrebe zu der in Stuttgart don der Ev. Br.» Stiftung herausgegebenen 
Prebigtfemmmlung p. XXVIL) Im Jahre 1759 wurde er als Dekan und Stadtpfarrer 
ad Beinsberg berufen, wo er durch die Vorarbeit ſeines Freundes Detinger ein 
wohl bereitete® Feld antraf. Un dem evangelifchen Tieffiun der im diefer Schlußperiode 
von Gteinhofer gehaltenen Predigten fpärt man, daß er eine gewifle evangeliſche Reife 
bei feinen Zuhörern vorausfegen lonmte. Sie zeugen aber auch von der aufßerorbent- 
ühen Reife, welche fein inneres Glaubensleben gewonnen hatte. — Daffelbe gilt vou 
ſeinen exbaulichen Commentar über dem exflen Brief de® Johannes, an welchem er in 





*, Dine Kenntniß biefer Beriode ber Schwäche und des Strauchelns von 1745 ober 46 bis 
1149 würde uns dem Lebensbitse Gteinhofer’s etwas zu fehlen fcheinen, nämlich ber nöthige 
Shatten zum Licht, — alfo die Naturwahrbeit. 

”) Wir fügen glei an diefer Stelle bei, was von Steinbofer’s fernerem Berbältniß zur Brüder- 
gemeine zu fagen if. Der Briefwechſel mit Zinzendorf 1749 bie 1751 if, wie natärlich, in einem 
ewat gereizten Tone gehalten, body mehr noch von Finzendorf’s als von Gteinhofer’s Seite. — 
Eteinhofer fpricht fih fiber Die Berirrungen ber Sichtungszeit mit Entſchiedenheit und Klarheit aus, 
ohne damals von Zinzendorf ganz verflanden zn werden. — Die Anmuthung, welde man Stein. 
bofern würtembergifcher oder eigentlich halliſcher Seite machte, eine Begenfhrift gegen bie Brüder. 
gemeine zu ſchreiben, um feine verdächtig geworbene Orthodoxie zu bolumentiren, lehnte ber 
mite Mann natürlich ab und wurde barin auf das Kräftigfle von dem edlen Bilfinger unter- 
Mist. Er begnfigte fi damit, feine ewangelifch - Iutherifche Nechtglänbigkeit durch den pofltiven 
Glaubensinhait feiner Schriften uuzweidentig an ben Tag zu legen (vgl. beſonders feine Borrebe 
am Kolofierbrief 1751). Dagegen vermieb er namentlih in ber erſten Zeit feines württem⸗ 
dergiſchen Kirchendienſtes Alles, was dem Anfchein einer näheren Verbindung mit ber Brüder- 
gemeine haben Tomute. Zinzendorf'e Berfuch, ihn nochmals in feine Imtherifhe Tropenfadhe hin⸗ 
einziehen, wieß Steinhofer in einem fa ſchroffen Briefe zurfd (1751), Und ale ber Graf 
Jinzendorf im Dezember 1567 durch Tübingen reife, vermied Steinhofer es, ihm zu ſehen. Aber 
gerade feit 1767 Minden wir Gteinbofer in einem vertraulichen Briefwechſel mit dem Bruber 


170 Steinhofer, M. %. €. 


feinem legten Lebensjahre arbeitete, ohne daß es ihm vergonnt wurde, dies Werk zu 
bollenden. — Am 11. Februar 1761 wurde er felig vollendet, nachdem er noch auf 
feinem Krankenlager ein lebendiges Zeugniß durd) fein Beifpiel abgelegt hatte von der 
Wahrheit, daß die, weldhe an Jeſum glauben, auch beim leiblichen Tode nicht wirklich 
fterben, fondern nur von einer Lebensftufe zur anderen übergehen. — 

Leiblihe Kinder waren ihm und feiner trefflichen Gattin, mit der er 14 Jahre in 
einer glüdlichen Ehe gelebt hatte, verfagt, (er hatte feinen Neffen als Wdoptivfoge 
angenommen), aber geiftliche Kinder waren ihm viele befchieden. 

Das Geheimniß der außerordentlichen Erfolge feiner dem äußeren Anfchein md 
ſchlichten Wirkſamkeit liegt zunächſt in feiner Perfönlichkeit, in der nad; der Schilder 
feiner Zeitgenofien etwas Ungewöhnliches geweſen feyn muß. Detinger fchreibt übe 
ihn: „Steinhofer hatte „etwas unausfprecliches“ in feinem Weſen, welches ich md 
bei feinem Menfchen gefunden habe.» Esper junior bezeugt: Mir ift noch fein Maid 
befannt getvorden, der fo etwas eigenes hatte wie Steinhofer, da8 man nicht nem 
kann. Es war unmöglich in feiner Gegenwart leihtfinnig, aber and 
nicht möglich ungern bei ihm zu feyn.” Diefes „unausfprehliche Etwas“ mer 
nicht blos eine natürliche Harmonie des Weſens, fondern entfprang aus einer höheren 
Duelle. Es fpiegelte fih in ihm des Herren Klarheit mit aufgededten 
Angefiht (2 Cor. 3, 18) in einem mehr ald gewöhnlichen Maße. Ex tar cm 
„gefalbter Mann“ im biblifchen Sinne des Wortes, ein Knecht Gottes, dem das gölls 
liche Siegel an der Stirne befonder8 hell glänzte. So fchildert ihn Bauder, derim 
Steinhofer’8 legten LTebensjahren, da er die Auslegung des erften Briefes Johansel 
bearbeitete, al8 fein Vikar bei ihm war: „Er habe in Steinhofer's Wefen eine Salbum 
und überirdifche Klarheit gefühlt, die er nie vergeſſen, noch weniger fchildern fönge E 
babe dabei immer an die Worte U. H. Frande’s denken müſſen: Fahr hin, was heißd 
Welt und Zeit, Ich bin ſchon in der Ewigkeit, weil ih in Jeſu lebe“. Auf me 
hem Wege Steinhofer zu diefem Leben in Jeſu gekommen ift, das zeigt am dent 
lichften eine Stelle aus einem Brief, den er im Jahre 1732*) (?) von Herenhut ou 
an feine Würtemberger Freunde fchrieb: „Wenn man die Bekehrungswege durchgegang® 
und aus einer generellen Erkenntniß des Heils für feine fchmachtende Seele erfamt 
und ergriffen hat, alfo Jeſum über alles lieb zu haben angewiefen worden ift: fo ifl d 
höchſt nöthig zum Wachsthum im geiftlichen Leben zu immer tieferer Gründung M 
Gemeinfhaft mit Jeſu zu täglicher Speife für den Geift, in der Erkenntniß Jet 
genauer und tiefer zum forfhen. Wir haben ja das neue Teftagen! 
Darum, und ad), daß es die Kinder Oottes recht zu gebraudhen müßten‘ 
Durch gründliche und von lebendiger Herzenderfahrung dirrhdrungenes Forſchen in der 
Wort des Lebens d. h. infonderheit in dem Neuen Teſtament war er zu einer ſo 
lebendigen Belanntfhaft und Gemeinjhaft mit dem perſönlichen Worte, das de 
von Anfang ift (1 Joh. 2, 13, 14) gelommen, daß es feinem ganzen Wefen, feinem 
Keden und Thun abzumerfen war. 

Eine fo von Chriſti Geift durchdrungene und geheiligte Perjdnlichleit konnte freilid 
im Pfarramt, auch ohne Haſchen nad; effeftvollen Mitteln, außerordentliches wirken. Be 
feinen Predigten folgte er nur dem Trieb feines Herzens, das was er gefehen und ge 
böret 1 Joh. 1, 3 auch anderen zu verfündigen, damit die Berirrten auf ben rechten 
Weg, die Verlorenen in des Vaters Haus gebracht würden. Die fharftönende Stimmt 


Conrad Lange, einem Sendboten der Brübergemeine, ber fich öfter in Würtemberg anfbielt. Aut 
biefer Eorrefpondenz (1757—1760) gebt bervor, daß Steinhofer, der mit einigen amberen wir. 
tembergifchen Pfarrern die Gemein» Diarien zugefendet befam, feinen Freunden in ber Vrute® 
gemeine ein freunbichaftliches Andenken bewahrte und an dem Wohl und Wehe biefer Gewmein: 
innigen Antheil nahm. | 

*) Bol. die Biographie Steinhofer’s von Knapp ©. VII. Nach dem Inhalte des Friefel 
möchten wir vermutbhen, daß er am 7. September 1731, nicht 1732 gefchrieben fey. 


Steinhofer, M. 8. €. 11 


des Bufprediger® blieb feinen Predigten fern, man vernahm and ihnen nur den milden 
Ton des freundlich einladenden Seelenhirten. Seine Predigten find — mit anderen 
Deren — faſt nur erbaulich und Lehrhaft, nicht eigentlich erfchütternd und erwedlich. 
Eteindofer war fo ganz in das Neuteſtamentliche (Element eingetaucht, daß and bie 
leiſede Spwe einer gefeßlichen Methode ihm fremd war. — Daß er mr das innerfte 
Element feines Lebens in der Predigt verkündigte, daß Lehre und Leben bei ihn fo 
gm harmonirte, mußte die Wirkung feines mündlichen Zeugnifje auf die Herzen ber 
Zahbrer in aufperordentlicher Weife verflärten. „Beſuchet mich“ (fagt er im einer An- 
tittepredigt) „auch fleißig in meiner Wohnung, fo oft ihr ein Anliegen auf eurem 
Herzen habt. Ich hoffe, ihr werdet mid in meinem Studierzimmer nicht anders finden, 
ald ih auf der Kanzel bin.“ 

In diefer Schilderung feiner Perfönlichkeit und unmittelbaren praftifhen Wirkſam⸗ 
tet iſ auch eigentlich fchon der Geiſt feiner Schriften gelenntzeichnet. „Sein Geiſt 
ih in feinen Schriften“, fagt Detinger. Dies if um fo mehr der Fall, als diefe 
Shriften (Predigtfanmlungen, Betrachtungen über biblifche Bücher oder zufammen- 
bimede Schriftabfchnitte und praktiſch erbauliche Eommentare) aus feiner praltifchen 
Thärigleit in Ebersdorf und Würtemberg hervorgegangen find. Jenes „unausfprechliche 
Eines“, weldyes feine Zeitgenofien an feiner Berfon beivunderten, muthet noch jegt den 
fimtigen Leſer feiner Schriften an. Sie find gefchrieben ohne allen rhetorifhen Schmud, 
doch aber im einem für die damalige Zeit feinen und edlen Style. Die Hauptſache 
aber if, daß (nach Knapp's Bemerkung), aus ihnen uns der Geift eines Mannes an- 
weht, der im Heiligthum feines Gottes durch einen langen Wandel im Licht mit feliger 
Serzenserfahrung fid, eingelebt hat, und überall den Kern von der Schaale zu fonbern 
gelernt hat.“ — Bon dem Geiſt und Grundton feiner Predigten ift ſchon oben bie 
Rede gemein. Es wäre nur no ein Wort über Ziel und Methode feiner Bibel⸗ 
ausiegung nud Bibelbetrahtung beizufügen. Das Ziel, welches er dabei 

bor Augen hat, ift Bereiherung und Vertiefung der dhriftlichen Heilserfenntniß, 
als dern Mittelpunkt die Erkenntniß Chrifti und feines Werkes ihm unverrüdt 
vor Angen ſtehht. Eine folche Bertiefung aber kann nad feiner Anfchaunng nur durch 
ein eben fo grümbliches als einfältiges Forſchen in der Schrift befonders im Neuen 
Tefloment erreicht werden. — Die Methode feiner Schriftforfhung und Schriftans- 
legung ift demgemäß eine nüchterne, evangelifch-einfältige, man könnte fagen eine Teufche. 
Sem Beftreben if, die Schrift aus ihren eigenen Orundideen verftehen zu lernen, und 
den Sinn bes einzelnen Schrifttoortes von dem Ganzen der Schriftmahrheit aus lebendig 
und richtig zu erfaffen. Niemals läßt er fich dazu verleiten, aus einer mißverſtandenen 
Erbanungstendenz willfiirlich geiftreiche Gedanlen in eine Schriftſtelle hineinzulegen. 
I ſucht zunähft nur auszulegen, was die betreffende Schriftftelle ihrem einfachen Wort. 
finne und dem Eontert gemäß fagen Tann und wil. Daran Inüpft fi) dann bie 
Entwidelung und Ausführung des biblifchen Gedankens, wobei er immer das 
Sanze der hriftlichen Heilswahrheit vor Augen hat. Die Anwendung ift ſtets ein- 
jech und ſchlicht, ohne falſches Pathos und rhetorifche Phrafeologie, aber warm, 
lebendig, auf eine reiche geiftliche Erfahrung gegründet und darum zutreffend. 
(Bel Riehm's Borrede zu Steinhofer'8 Hebräerbrief). Diefe Züge der Steinhofer’fchen 
Bibel amblegenden Schriften tragen unverlennbar das Gepräge der Bengel'ſchen Schule 
an fih. Eins unterfcheidet, fontel wir fehen können, Steinhofer'n von Bengel, nämlich 
daß eime Borliebe für apofalgptifche Studien bei ihm nicht zn bemerken if. Und; die 
theofophifhe Richtung feines älteren Freundes Detinger iſt unferem Steinhöfer zwar 
nahe getreten, ex. hat fidh aber von unficheren Spekulationen gern wieder auf dem feften 
Grund der Schrift zurüdgezogen. Seinen Iugendeindrüden fowie der Berührung mit 
dex Ürüdergemeine verdankt er eine beſonders innige Anffafiung des Kernpunftes der 
eoangelifchen Wahrheit, der Berföhnmmgslehre, welche er gern in foldhen concreten Aus⸗ 
drüden befpricht, mie fie eine lebendige Herzenserfahrung an die Hand gibt, ohne aber 


172 Stier, R. €. 


dabei von der Einfalt und Kenfchheit der Bibelfprache fich zu entfernen. Steinhofer's 
Schriften, zum großen Theil nem aufgelegt, üben noch jegt eine fegensreiche Wirkung 
aus auf viele evangelifche Kreife, befonders auch in Würtemberg und in der Brüder 
gemeine. — Allen den Theologen, welche „Bertiefung in die Schrift” als em Hanf. 
erfordernig für die evangelifhe Theologie und für das edangelifch-kirchliche Leben on 
fehen, können wir das Studium (beziehungsweiſe die Verbreitung) der Steinhofer'ihen 
Schriften von ganzem Herzen empfehlen. 

Literatur. — Schriften Steinhofer’s: 1) Tägliche Nahrung des Gl 
bens nach der Epiflel an die Hebräer. Schleiz 1743 und 1746; Tübingen 1844 m 
Ludwigsburg 1859, mit einer Vorrede von E. Niehm und einer Selbfibiograike 
Steinhofer's. — 2) T. N. d. GL n. (wie Nr. 1.) der Epiftel an die Koloffer. Aral 
furt 1751. Stuttg. 1853. — 3) T. N. d. Gl. nach den wichtigſten Schriftftellen mt 
dem Leben Iefu in 83 Reden. Frankfurt 1764. — 4) Evangel. Glaubensgrund um 
den Sonntagsevangelien; ein Iahrgang don Predigten. 1753 u. 1754.— 5) Evang 
Olaubensgrund aus der Erkenntniß des Leidens Jeſu. 23 Predigten. Tübingen 1754.— 
6) Die Haushaltung des dreieinigen Gebers, in Predigten. Tübingen 1759. — 7) & 
Märung des erften Briefes Johannis, nebſt einigen Mittheilungen aus Steinhofer 
Leben. Tübingen 1762. Homburg 1848 und 1856. — 8) Erflärung der Epiftel Pauli 
an die Römer, mit einem Vorwort von Prof. Dr. Bed in Tübingen. Tüb. 1851.— 
9) Ehriftologie oder die Lehre von 9. Chr. dem Sohne Gottes. Nürnberg 1797, 
Tübingen 1864 — 10) Vier Feichenpredigten. Ebersdorf 1751.— 11) Evangel efanp 
buch der Gemeine zu Ebersdorf. Ebendaf. 1745. (Bon Steinhofer felbft ift das Lien 
Nr. 536.: „König, fleh’ auf Deinen Samen“:) — 12) Neue Predigten über die Som 
tagsevangelien und andere Texte, zum erſtenmal heransgegeben und mit einer Rebentifgk 
Steinhofer’s verfehen von U. Knapp. Stuttgart 1846. | 

Duellen und Bearbeitungen der Biographie Steinhofer’d — 

1) Oedrudte Schriften: Außer den oben sub 1—12. genannten biographiide 
Mittheilungen und Lebensflizzen gibt e8 nur noch eine kurze Lebensſtizze Steinhofer's in 
Ehriftenboten. 1832. S. 61 ff., ſowie eine etwas außführlichere vom Verf. dieſes Artikt 
im VBrüderboten 1865/66. (Verlag von 9. Römer in Herrnhut). — Außerdem fine 
fi) Briefe von Steinhofer in dem neuerdings von Dr. Wächter herausgegebenen Leber 
abriß Bengel's S. 352—58. — Zerſtreute Notizen über Steinhofer kommen vr 5 
Croger's Gefchichte der erneuerten Brüderfiche (Gnadau und Leipzig). — Im Bm 
auf Steinhofer’s Gattin Dorothea geb. von Molsberg vergl. den Pfarrfraueshint 
von Burk, 2te Auflage. ©. 214; 

2) Handfhriftlihe Quellen finden fih in den Archiven der VBrübdermilt, 
darunter auch eine don Steinhofer felbft verfaßte kurze Lebensflizze aus den Yale 
1736 oder 1737; außerdem Diarien, Correfpondenzen, Protokolle u. f. w. 

‚ Theodor Geißler, 
Lehrer am theolog. Seminarium der Brü 

Stier, Rudolf Emald, geboren im Jahre 1800 in- Frauftadt, der Geburlk 
ſtadt Valerius Herberger’s, wo fein Vater — feit 1819 Regierungsrath in Oumbimen 
— damals Steuerinfpeftor war. Nach einer fehr mangelhaften Borbildung auf dem de⸗ 
mals fehr unvollfommenen hinterpommerfchen Gymnafium Neuftettin ging er nad) Berlin 
too er, noch nicht 16 Jahre alt, die Maturitätspräfung beftand und die Univerfiti 
bezog, um nach dem Wunfche feines Vaters Jura zu ſtudiren. Das ideale, poetilä 
gährende Iünglingsgemüth vermochte jedoch diefen Studien keinen Gefchmad abzugewn 
nen, und nach Ueberwindung des väterlichen Widerflanded ließ er ſich im Winterſemeſter 
des Jahres 1816 im der theologifchen Falultät inffribiren. Sein bewußtes religidfeh 
Intereſſe, fondern nur der romantifche Geift der Zeit führte ihm diefem neuen Beruft 
zu, und fo bildete auch nicht die Theologie, fondern die Poeſie und das Deutichtbum 
den Angelpunkt feines damaligen Strebens. Noch fteht er vor meinen Augen, DE 





Stier, R. €. 173 


weilſich⸗ zarte aber lede Jüngling, mit den ſcharf gefchnittenen Geſichtszügen, im 
ſtien oltdentichen Sammetrod und Barret, wie er mir Jahn und Yean Paul als 
de Männer des Jahrhunderts predigte, wie ex Tage lang durch Feld und Wald 
(öörmte, weil es ja Undank gegen den Geber des Frühlingsodems und Sonnenfdeins 
jen, jolhe Tage hinter dem Studiertiſch zuzubringen; wie er triumphirend in mein 
Zunmer trat, als ihm zum erfienmal das Glüd zu Theil geworden war, mit dem Ber- 
Imer Carcer Belauntichoft zu machen. Durch den Berfafier des „Anekdotenalmanachs“ 
Dihler an Jean Paul empfohlen, tritt er mit diefem in Briefmechfel und macht ihu zum 
Borbild feiner eigenen Manier, zu dichten umd zu fchreiben; ex ergeht ſich in Auffägen 
amd Örofchüren, die ebenfo einen keden fprudelnden, ale einen ahuungs- und fehnfuchte- 
vol Geiſt erlennen laſſen: feine „Krokodileier“, „Träume und Mährchen“ und mannid- 
jache dichteriſche Berfuche. Seit dem Jahre 1818, wo er die Univerfität Halle bezieht, 
teten diefen äſt hetiſchen Imterefien die burfhenfhaftlidhen zur Seite. 

vor in die Hallifche Burſchenſchaft eingetreten, nachdem er ſchon im Jahre 1818 das 
«it Wort trotz Hegern und Fehmlern, ſprach's Rudolf von Frauſtadt“, hatte drucken 
ide, and war am 27. Oftober, adıt Tage nah dem großen Ienaer Burſchenfeſte, 
Borfrker der Hallifchen Burſchenſchaft geivorden. 

Rıhdem im Februar 1819 die Hallifhe Burfjchenfchaft anfgelöft worden tar, 
ve auch Stier Halle und fam nad einem YZiwifchenaufenthalte im elterlichen Haufe 
m Stolpe nach Berlin zurüd — body als ein Anderer, als ex es verlafien hatte. Was 
Rehrere in jener merkwürdigen Gährungsperiode erfahren, war auch bei Stier ein- 
gehen Manchem älteren und jüngeren unklar begeifterten Gemüthern war damals, 
bo meiner dhrifklichen Perfdnlichleit oder in einem bedeutenden Lebensfdidfale das 
Edengelinm an fie berantrat, auf einmal, al® wäre nur das Wort ausgefprocen, das 
hen ng auf ihren Lippen ſchwebte, in Chrifto das eigentliche Objelt ihrer Stre- 

ongen. So treten in der Periode einer durch große Creigniffe religids 
veiäindngerien Armofphäre die plöglichen VBelchrungen ein und mit Vielen erlebte auch 
Eier cine folche. Ein vom ihm heißggelichtes Mädchen aus feiner Verwaudtſchaft war 
m Äpef 1818 geflorben, und unter der inneren Erſchütterung dieſes Ereiguiſſes er- 
Bit fih der Steom feiner vaterländifchen und äfthetifchen Begeifterung auf einmal in 
dat Bett der Religion. 
Erßreifend iſt e8, im dem Briefe an einen freund vom November jenes Jahres 
in mit neuem Geiſte umd in neuer Zunge von diefer feiner Ummandlung ein Zengniß 
ellezen za hören: „Das größte irdiſche Unglück hat mich getroffen. Pauline — ein 
«Xi, rein und fromm wie Engel — ein Kind, an dem ich hing, wie ich jetzt an 
Ürißo hänge — ſtarb!! Fern von mir, und als id kam, war das Grab [ängfl 
min. Begreifen Sie nun meine ungeheure Wiedergeburt — begreifen Sie, wie mein 
erzes glaubens loſes, auf Wiſſenſchaft und bunten Schimmer eingebildetes Leben — 
De alle meine vergaugenen Jahre mit ihrem blinden Streben und Hängen an ber 
liche des irdiſchen Gefchöpfes — all’ meine närrifc) «-übermüthig hoffenden und Plane 
mahenden Jahre ſich an dem Brabe meines Glüdes fürdhterlich kalt und erſterbend 
‚mommenquetfchen mußten in Einem einzigen, thränenreichen Blid vom Grabe gen 
Himmel zu Ihm, der da die Auferſtehung umd das Leben iſt?“ — — „OD gelobt ſey 
ter ollmächtige Bott, daß er mir den Geift feines Sohnes gefandt hat in dem Yugen- 
dide, wo mein Selbft den Endpunkt feines Wefens erreicht hatte — und ohne Gott 
fälle bergehen müflen — im fich felber! So wahr ich lebe und jetzt erſt, jetzt erſt 
Wahrhaftig Lebe, ich habe eine fefte Erfahrung gemacht, daß wir Alle ewig leben, in 
Une, der um von außen da® Leben gibt — ich habe mit einem Sim, der ſich mir 
a, neu erfchlofien, — Mar und hell wahrgenommen, daß Einer außer uns lebt, ber 
m uns kommen fan auf unbegreiflihe Art — und daß der natürlihe Menſch mit 
U feinem Dichten und Trachten if wie ein Blinder ohne Leuchte. Denn Er iſt das 
alkizige Sicht der Welt,» 


174 Stier, R. €. 


Auf den aus diefen Worten wehenden Frühlingshauch follten indeß noch rankı 
Windftöße folgen. Bei einer fo fpröden Natur, wie die Stier’fche, gibt es feine grad. 
linigte Entwidelung, fondern nur eine ſprungweiſe. Nach Berlin zurückgekehrt, kommt 
er mit einem Kreife von ©ichtelianern in Berührung, welche mit unerbittlichem Rigo 
rismus eine noch viel gründlichere Weltverläugnung von ihm fordern. Da bricht er mit 
feiner ganzen Literarifchen Vergangenheit, übergibt nicht nur feine fchriftftellerifchen Ent, 
würfe, fondern auch feine deutfchen Klaffifer dem Teuer und zieht fid) ganz auf fid 
ſelbſt und feine theologifchen Studien zurüd. Erft jest begann er mit Fleiß Borle- 
fungen zu hören, doch gehörten in feinen Augen alle feine damaligen Profefloren mr 
zu den „Halben®. Im alten Uebermuthe fchreibt er an den Rand feines Neande 
chen Borlefungsheftes: „Armer Neander! Weißt Du e8 denn beffer als der Apofd 
Paulus” u. f. w., in ein Heft von Lücke: „D Du lüdenhafter Lüdel« Um ibnp 
einem anhaltenden Schriftfindium zu bewegen, machte Schreiber diefes ihm um Weih 
nachten mit Friedrich von Meyer's erflärter heiliger Schrift ein Gefchen!, und dieſel 
brachte eine entſcheidende Wendung in feiner Theologie hervor. Nun wurde die Bibel 
fein einziges Studium und Friedrid; von Meyer fein einziger Führer darin. 

Nach Beendigung des Berliner Studiums erhielt Stier eine Stelle in dem Witten 
berger Seminar, in welches er am 2. April 1821 eintrat. Hier diente die Einkir 
fung Heubner's ebenfo fehr zur Abklärung feiner Theologie, als zur Befeftigung feind 
Glaubens. Unermüdlich wurden hier die Bibelftudien fortgefegt, auch im Novbr. 1821 
jene mehrbändige Duartbibel und fpäter, — als diefelbe nicht mehr ausreichte —, cin 
Foliobibel angelegt, in welche Alles von ihm eingetragen wurde, was bon irgend tms 
Seite her zur Auslegung oder zur Anwendung der Schrift dient, namentlich die [di 
bare Sammlung gefichteter Parallelftelen. So war ihm ein horreum homileticun 
erwachfen, in welches er nur hineinzugreifen brauchte, um für jede Predigt ein reihe 
und fruchtbares Material zu gewinnen. — Die Berufsftellung, welche Stier nad Ahle 
feiner zweijährigen Seminarzeit unter mehreren ſich ihm darbietenden ſich ermwählte, mır 
eine Lehreritelle am Schullehrerfeminar zu Karalene bei Gumbinnen. Schon im fl 
genden Yahre 1824 folgte er indeß einem Antrage von Baſel aus, welcher ihn in It 
dortige Miffionsfeminar al8 Lehrer berief. Mit herzlicher Frende widmete er fih de 
ihm hier geftellten Aufgabe und aus den vorbereitenden Studien für diefelben ermmdis 
als Literarifche Frucht fein „Lehrgebäude der hebräiſchen Grammatik“ und feine „Ketftl‘. 
Erfhöpfung durch übermäßige Anftrengung nöthigte ihn indeß, aus diefem ihm Il 
fo lieben Amte zu fcheiden (1828) und fich auf eine Zeit lang nach Wittenberg art 
zuztehen, welches ihm durch feine Verehelihung mit der Tochter des Generalfupeme 
denten Nitfch zu einer anderen Heimath geworden war. Durch hohe VBerwmentus 
erhielt er im folgenden Jahre die Berufung nach Franfleben, einem Dorfe in der Wi 
von Merſeburg, und die von ihm hier durdjlebten zehn Jahre twaren die fruchtborfen 
für feine theologifhen Studien und die gefegnetften für feine Amtsthätigkeit. Zu fernen 
Predigten firömten die Zuhörer auch aus den nahe gelegenen Ortſchaften, und de 
Seelforge der Einzelnen widmete er ſich im Vereine mit feiner ausgezeichneten Gattm 
mit der preiswürdigſten Liebe und Aufopferung. Obwohl er ausdrücklich nicht ſowobhl 
auf die Sammilung eines erwedten Häuffeins ausging, fondern auf den Aufbau Mt 
Gemeinde im Ganzen, erwies fich fein Wort dennoch zur Erwedung eines fold 
Heinen Häufleins wirkſam, während zugleich auch auf das Ganze der Gemeinde cm 
Segen ausging. Es war damals die Zeit, mo das Öefchrei gegen „den Mofticismst* 
erfcholl; welchen Eindrud damals Stier's Perfönlichleit in der Umgegend von Frankleber 
ausmachte, zeigt folgende Anekdote: Schreiber diefes hört in einem Wirthöhanfe auf 
feine Frage nad) dem Frankleber Prediger die Antwort: „Er ift ein Myftiler“; m 
auf die Frage, was das für Leute feyen erhält er die Antwort: „das find foldt 
Brediger, die fo leben, wie fie predigen!“ 

Aus diefer ſtill gefegneten Thätigkeit wurde Stier im Jahre 1838 vom der Ge⸗ 


Stier, R. €, 195 


meinte Wihlinghaufen in das Wupperthal berufen — für einen ſolchen Schrifitheologen 
wie er, dem Anfcheine nach der geeignetfle Ort der Thätigleit. Uber die Anſprüche, 
twelhe die dortigen Gemeinden an die Arbeitöfraft ihrer Geiftlichen machen, zumal eine 
Gemeinde, wie die Wichlinghäufer, von 3500 Seelen, waren für die phufifche Kraft 
Stier's, der zugleich den Beruf zu Iiterarifcher Thätigkeit fo unwiderftehlich in fich 
fühlte zu groß, auch die presbyteriale Controle, wie fie die rheinifhen Gemeinden über 
ihre Geiftlihen ausüben, der unfügſamen Selbſtſtändigkeit feines Karakters zu drückend, 
als daß er fi im diefer neuen Stellung hätte wohl fühlen können. Ein geringfügiger 
Unftond brachte im Herbſte des Jahres 1846 feinen fange verhaltenen Unmuth zum 
Ausbruche; ex erflärte der Gemeinde feinen Entſchluß, nad Vollzug der Confirmation 
an der ihm anbertrauten Jugend feine Stelle niederzulegen. Bis zum Eintritte diefes 
Lermins hatte ſich zwar das Mißverhältmiß auf erfreuliche Weife ausgeglichen, fo daß 
im foger vor Erwählung eines, Nachfolger eine neue Berufung in Ausficht geftellt 
wurde. Zu ſtark fühlte indeß fein phufifcher wie fein geiftiger Menſch das Bedärfniß 
wo Abſpaummng, und da fein literarifcher Erwerb e8 ihm geftattete, blieb er feinem 
ausgeipeochenen Entfchlufle getren und z0g ſich abermals nad) Wittenberg als literari- 
ſches Anl prck. Bor feinem Abfcheiden aus den Rheinlanden wurde auf Anregen 
feines Schwagers Nitzſch fein theologifchee Verdienſt von der cheinländifchen Univerfität 
Bonn durch Ertheilung des theologifchen Doktorgrades geehrt. — Drei Iahre hatte er 
in dieſer lierariſchen Zurückgezogenheit zugebracht, als zu feiner {Freude von dem Mag⸗ 
beburger Eonfiftorinn der Ruf zu der Superintendentur in Schkeuditz an ihn erging. 
Erfolgreich erwies fich in diefer neuen Stellung feine ephorale Einwirkung auf feine 
Dibceſanen, während die auf die Gemeinde den gehegten Hoffnungen nicht entſprach. 
Seine Gottesdienfte fanden nur fpärliche Theilnahme, fo daß zuweilen ſelbſt an Feſt⸗ 
tagen in dem geräumigen Gotteshauſe faum 15—20 Zuhörer zu finden waren. Man 
befämerte fi Über Trockenheit der Predigten und über Schroffheit und Unfreundlichkeit 
det Prediger im Umgange und in der Seelforge. Diefelbe Theilnahmelofigkeit feiner 
Ömmeinde wiederholte fid auch, nachdem er im Jahre 1859 im die anfehnlichere Super- 
inendenter von Eisleben verſetzt worden war, und nur einem Beinen Kreiſe erweckter 
freunde des Evangeliums gaben an beiden Oxten feine Bibelſtunden eine wohlthuende 


Hat irgend eim Theologe durch viele umd fchmerzliche Körperleiden die theologia 
racis zu erlernen gehabt, fo war e8 Stier. Im den letten Jahren war es ein chro⸗ 
iſches Halsleiden, welches ernſte Beſorgniſſe errrgte. Democh trat fein Tod am 
16. Degember 1862 für Alle unerwartet durch einen Schlagfluß ein. 

Und bei diefen mannichfaltigen und oft mehrjährigen Leiden unter anſtrengendſter 
Beruföihätigfeit eine literarifche Fruchtbarkeit zum Theil in mühjamen gelehrter Werten, 
die fie kaum bei einem anderen praltifchen Geiftlichen aus neuerer Zeit wird nach⸗ 
Briefen werden Tönnen! 

„Ein theologus biblicas war Stier vor allem, und fo find auch feine Hauptwerke 
Ökfh > eregetifche. Wie einft ein Bengel feines griechifchen Tertes nicht froh werden 
umte, jo lange die Nichtigfeit des Textes nicht conftatirt war, fo konnte Stier feiner 
Beriichen Bibel nicht froh werden, fo fange er fich fagen mußte, daß fie ihm, na⸗ 
lid im Alten Teftament, an vielen Stellen etwas Anderes gebe als den Grundtert. 
f das Bebürfniß einer Berbefferung der Intherifchen Ueberfegumg war er fchon durch 
men theologifchen Führer Friedrich von Meyer hingewiefen worden: diefes Bedurfniß 
t allgemeinen Anerlennung zu bringen, war fein wiederholtes Bemühen, namentlid; 
den zwei Schriften: » Altes und Nenes in deutfcher Bibel“, Bafel 1828, und: 
darf Luthers Bibel umberichtigt bleiben? “, Halle 1836. — Schon bei ber legten 
nögabe der Meyer'ſchen Bibel vom I. 1842 war Stier von dem Verfaſſer als Mit⸗ 
heiter herangezogen worden; nad dem Tode von Meher erhielt er freie Hand, und 
I der Ausgabe Bielefeld 1856 traten die Wenderungen in viel bedentenderem Umfange 


1% Stier, R. €. 


ein, immer jedc mit möglichiter Schonung des Textes des großen Meiſters und mit mög: 
lichfter Anbequemung an die Originalität der Sprache Luther's. Einem bon den Feſſeln 
der kirchlichen Zradition fo unabhängigen ©eifte, wie der Stier’s, konnte aud die Be 
ſchränkung diefer Verbeflerungen auf das geringfte Maß, wie dieß namentlich von Mia. 
teberg gefordert worden, ebenfo wenig genügen, als einem Lachmann bie fchücterne 
ZTertemendationen von Griesbach. Dafür, daß die durchgängige Uebereinftimmung von 
Ueberfegung und Grundtert da8 Ziel einer Reviſion des Iutherifchen Tertes fenn mühk, 
nahm er in feiner Schrift: „Der deutfhen Bibel Berichtigung gegen die von Miuk- 
berg herausgegebenen Borfchläge zur Nevifton derfelben“, 1861, nod; einmal das Bar 
Einen befonderen Werth verleihen feiner Weberfegung die beigegebenen Parallelſtela 
Kaum ift feit Heinrich Michaelis die Vergleichung der biblifchen Paralleiftellen in ih 
Wichtigkeit für die Eregefe jo gewürdigt worden, als von Stier. Ju der Vorrede p 
feiner legten Ausgabe verfichert er, diefelben „zweimal forgfältig, jedesmal in lange 
Arbeit ducchgeprüft zu haben.“ 

Ein Zeugniß feines gründlichen alt -teflamentlichen Sprahftudiums, auf eigenthän 
lichen, theilmeife hyperorthodoxen Anfchauungen beruhend, welches bei feinem erſten & 
feinen nur die Parteiungunft vornehm verachten ließ, ift feine „Formenlehre der hebräi 
fhen Sprache, fyftematifch und fprachphilofophifc mit durchgängiger Beiſpielſammlung all 
Grundlage einer vorbehaltenen Saglehre geordnet“, 1833, nen ausgegeben Berlin 1849, 
Borläufer feiner eregetifchen Werke find die „Andeutungen für gläubiges Schriften 
ftändniß im Öanzen und Einzelnen“ ; vier Sammlungen 1824—1829, dilettantiſche Arfı 
fäge, voll von geiftreihen Winken. . 

Was die eregetifchen Leiftungen Stier's felbft betrifft, fo tragen fie überkiegen 
den erbaulid).- praftifhen Karakter an fi, der hie und da ſelbſt in paränetifche Anred 
an die Lefer übergeht — nur einige in höheren Drake den gelehrt- eregetifchen, mt 
im Alten Teflamente namentlich feine auf gründlichftem Studium beruhende „Anslegum 
von 70 ausgewählten Pfalmen“, 1834, 2 Theile, im Neuen Teftament die Unsleguy 
des Briefs an die Ephefer, 1846, 2 Bände, nebft einem Auszuge daraus für Lie: 
„Der Brief an die Ephefer als Lehre von der Gemeinde für die Gemeinde ausgelegt”, 
1859. „Ich meinestheils« — erflärte er in der Einleitung zum Jeſajas — heil 
dabei, zu predigen in allen meinen Büchern, zu zeugen und zu reden ans di 
Glauben.” Die frifchefte Lebendigkeit, gewürzt durch pilante Polemik, machen Str! 
eregetifche Schriften zu einer höhft anregenden, — die Erfahrungs» und Hager 
- theologie des Verfaſſers und die Früchte feiner reichen Belefenheit in der afcetifche fit 
ratur zu einer fehr erbaulidhen Leftüre. Für den Prediger find fle eine ZFusigikt 
und haben daher auch unter Predigern eine weite Verbreitung gefunden, am meiflen Ik 
„Reden des Herrn“, erſte Auflage, 1843, 6 Bde.; dritte Auflage, 1. Bd. 1865. — 
Was der Stier’jchen Eregefe ein don anderen neueren Eregeten unterfchiedenes Geprägt 
gibt, if der Infpirationsglaube, auf welchem feine Auslegung ruht. Bei fm 
einem anderen neneren Eregeten wird in dem Maße wie bei Stier die Auslegung dor 
dem „auctor primarius est spiritus sanctus” beherrf—ht. „Es ift nicht» — ſpricht er in 
der Einleitung zum Jeſajas mit Hamann — „Mofe, nicht Iefaja, die ihre Gehanten 
und die Begebenheiten ihrer Zeit in der Abſicht irdiſcher Bücherfchreiber der Nadel 
hinterlafien haben, e8 ift der Geift Gottes.“ Die Berfönlichkeit des menſchliche 
Autors tritt meiſſens dem Ausleger bis zum Verſchwinden zurück. Daher bei ihm wi 
bei feinem Meifter Friedrich von Meyer die Annahme eines Mehr. und Unter ſimel 
(öndvora) der heiligen Schrift, wonach der heilige Geiſt an jeder einzelnen Stelle, del 
von ihm am anderen Stellen Eingegebenen ſich bewußt, auf diefe hinweiſt, die Nunahmt 
tieffinniger Ordnungspläne — nicht fowohl der Üpoftel und Propheten, als des heil 
Geiſtes, welcher feine Organe regiert, — daher, follte man meinen, aud; die älter 
Annahme fchlechthiniger Unfehlbarkeit des Schrifttertes in den Worten, wie im dei 
Sachen, doch bis zu diefer Conſequenz der alten Dogmatik läßt Stier ſich nicht drängen 


Stier, R. €, 77 


Deres hält ihm einerfeits fein bon sens ab, andererfeitö fein Mangel an ſyſtematiſchem 
ie Sein Glaube an die Infpiration der Schrift ruht anf dem unmittelbaren Zeng- 
she, weiches fie auf daB Innere des Lefers ausübt. „Ic, leſe das Tanonifche Bibel⸗ 
net — ſpricht er (Reden Iefn, Ste Aufl. S. 14) — nald ein durch den heiligen 
Geiſt geihriebenes, aber ich lefe es nicht fo, weil ich mir vorher ein Infpirationsdogma 
gemacht oder mich alter Dogmatik zum Knecht ergeben habe, fondern weil ſich Dies Wort 
an einer — nicht gefunden, aber durch diefe Arzenei immer mehr genefenen Bernunft 
fortwährend gewaltiger als inſpirirt bemweifet; weil dies lebendige Wort tanfendfad; mein 
Juneres mit allem feinem Denken, Wiflen und Wollen gerichtet hat umd immerdar 
richtet daß ich ihm unterworfen bin mit der Freiheit meines ganzen 
Lebens." Wie er jedod; Überhaupt nicht der Mann des Suflems if, fo unternimmt 
a c6 nicht, diefe Imfpirationslehre mit Conſequenz durchzuführen. Seinem religidfen 
vedürfnißß genügt die Wahrheit der Schrift „im Wefentlihen". Daher jene Infpira- 
ton nicht den Wörtern gelten foll, fondern dem Worte: „Ia wir haben, mas Er 
‚gaedet hat! Freilich nicht im Buhftaben der vorba ipsissima, fondern 
‚uch das Zeugniß der Evangeliflen vermittelt, in den Geiſt erhoben, dennoch aber 
„neehaftig und twefentlich ipsissima al& feine Reden an die Welt und Gemeinde. Du 
‚wirkt fie vernehmen, wem berfelbe Geiſt, in welchem die Evangelien gefchrieben find, 
‚then Vuchſtaben Die deutet und verflärt« (a. a. D. ©. 3). — Bon diefem Stand» 
pamfte auß wehrt er auch jede hiftorifche Umrichtigleit im Großen ab und ninımt ben» 
noch keinen Anſtand, diefelben im Kleinen und Unwefentlihen zuzugeſtehen. Feierlich 
protfirt er gegen die Annahme, „daß der Geift der Wahrheit irgend eine weſentliche 
„Ummehrheit in den evangelifchen Relationen zugelafien.“ — „Matthäus — fpricht er 
(Reken fa I, 70) — hat durchaus nirgends Außfprüce des Herrn vom verfchiedenen 
„Sei her in Ein Ganzes, als ſey es zufammengefprochen, verarbeitet, denn... .. 
«der Cch des Herrn konnte ihn nicht leiten und fehren, der Gemeinde des Herrn Un⸗ 
„hahte za berichten.“ Dennod wird von Lukas zugeflanden: „Nur Einmal, 8. 45., 
ebet fh Lukas durch Herübernahme von anderen Orten her vergriffen — — 
Je xviſer der chriſtliche Bibelleſer des heiligen Geiſtes als auctor primarius der hei- 
Iigen Shrift geworden, defto gleichgültiger könnte ihm die Kanonicität der menfchlichen 
Antoren werden; fo gänzlich mit der Geſchichte zn brechen, war indeß nut die Sache 
emed unhiſtoriſchen Myfticisnne. Die kirchliche Froͤmmigleit hat flets die Zuſammen⸗ 
Mummmg des inneren Sengnifles des Geiſtes mit dem äußeren der Geſchichte verlangt. 
Und) ein Ansleger wie Stier kounte fich daher dem Unterfuchungen über die Kanonicität 
rict entziehen. Hier jedoch überwog bei ihm die Abhängigkeit don der kirchlichen Tra- 
tion, derbunden mit dem religidfen Bedärfniffe, in dem gefammten Bibelwort ein 
rihtig bezengtes Gotteswort zu befigen, das hiſtoriſch⸗ fritifche in dem Maße, daf Stier 
m Alten umd im Nenen Teftament bei den Annahmen der älteren Jſagogik beharrt 
a ihm im Alten Teſtament die Wechtheit des ganzen Iefaja, wie im Neuen bie des 
weiten Briefs Petri fefficht. Das Gewicht der immeren Gründe, mie der durch beide 
Theile des Propheten durchgehende Ordnungsplan wiegt dabei da8 der hiflorifchen, 
Imohlihen und anderer Gründe adf. Auch in einer anderen Hinficht macht ſich feine 
Abhaͤngigleit von der kirchlichen Tradition auf dem kritiſchen Gebiete geltend : feine Ber- 
heidigeng dee Apotryphen im der Iutherifchen Bibel. („Die Apokryphen, Berthei- 
Kaum ihres alt= hergebrachten Anſchluſſes u. f. w. 1853*). 

Mit Einem Worte: fein exegetifcher Standpunkt war nit der hiftorifd- 
Iritifhe, fondern der dogmatiſch⸗myſtiſche. Schon früh trat in diefer Hinfidht 
inifhen dem Schreiber dieſes und dem verewigten Freunde ein Segenfag ein. — „Du 
bift ein Hriffliher Kabbalift" — fo fhrieb erfterer an Stier als Wittenberger 
Seminarift, umd erhält von demfelben dagegen das Prädikat „eines pietiflifhen Ra- 
tionaliſtene zurüd. Ein anderer Mangel feiner eregetifchen Schriften, die am meiften 
demugten „Reben Jeſn“ nicht ausgenommen, ift der an dogmatifcher Confeguenz nnd an 

Real⸗QEuacytlopadie für Theologie und Kirche. Suppl. III. 173 


178 Stier, R. E. 


beprifflicher Schärfe, und dieß vielfacd, aus dem Grunde, weil die Ausführung, wie dieß 
namentlich bei dem Hebräerbriefe fichtbar ift, fich in Bildern und Vorftellungen beivegt, 
ohne diefelben auf den zu Grunde liegehden Gedanken zurkdzuführen. 

Nächſt der Exegeſe gehören die Stier’fchen Arbeiten der praltifchen Theo. 
logie an. Zu feiner Zeit war fein „ Grundriß einer biblifchen Seryktit“, 1830, 
2te Aufl. 1844 — ein höchſt ſchätzbares Büchlein. Abgeſehen davon, daß zum erſten 
Male das Verhältniß von Gemeinde» und Mifflonspredigt zu einander zum Bewußr⸗ 
ſeyn gebracht wurde, trat die Heine Schrift mehreren damals noch herrfchenden homils 
tifchen Irrthümern — obwohl freilicd, nicht immer ohne Vermeidung des entgegengefehie 
Ertrems — nahdrüdlich entgegen: der Ueberfchägung der Rhetorik, des Gebrauchs de 
Berilopen, des Kanzelpedantismus in Form und Ausdrud, Beſonders zum Vorleſe 
in 2andgemeinden haben feine „Evangelienpredigten «, 2te Aufl. 1862 — und fein 
„Spiftelpredigten für das chriftliche Bolt», 2te Aufl. 1855 — vielfache Anerkennung 
gefunden, obwohl diefen Predigten die gemüthliche Naivetät und die concrete Bern 
fhaulihung fehlen, um ädt vollgmäßig zn feyn; nur die forgfältige Texrtbenutzung 
bildet ihren Borzug. — Ein hoͤchſt fchägbares und? — wie auch die mehrfachen Auf 
lagen zeigen, in feinem Werthe anerlannes Liturgifches Werk ift feine „Privatagende, d. i: 
Altar, Formular und Borrath für das geiftliche Amt“, Ste Aufl. 1863. — In die nenn 
Geſangbuchsreformen hat mit Sachkenntniß, gefundem Takt und einfchneidender Schärfe 
feine „Sefangbuchenoth, Kritit unferer modernen Geſangbücher“, 1838 — eingegriffen. 
Auch der Katechismusreform hat er ſich mit praftifcher Einficht unterzogen. Vergl. von 
ihm: „Luthers Katechiomus als Grundlage des Conſirmandenunterrichts“, 1832. 
6. Aufl 1855. mit dem „Hülfsbüchlen“, 1837; ferner: „Luther’s tatechionm in 
zeitgemäßer Veränderung“, 1846. 

Was Stier war, war er ganz und ohne Schweben und Schwanfen. Den Kante 
Zuſchnitt feiner Geſichtszüge (in feinen jüngeren Yahren) trugen auch feine Stimm, 
feine Bewegungen, feine Handfchrift. An einem liebreichen Herzen hat es ihm nid 
gefehlt; aus eigener ſchwerer Tamilienerfahrung und Körperleiden hatte ee — obwohl 
es ihm nicht leicht wurde — don dem Weinen mit den Weinenden und dem Trager 
der Schwachen doch etwas gelernt. Im Streit jedoch, in literarifchen Kämpfen, mit 
im praftifchen Streite mit Gemeindegliedern war er unbeugfam und fchroff, im fein 
legten Lebenszeiten felbft Leidenfchaftlih. Diefe Schroffheit hat mefentlich dazu be 
getragen, den Anftoß, welchen ohnehin ſchon fein theologifcher Standpunkt gab, zu e 
höhen. Diefer fein Standpunkt ift durchaus aus feinem Entwidelmgsgange zu eriz 
Dbne philofophifche oder theologische Vorſtudien, ja bei der Bernadhläffigung fe 
Symnaftalbildung felbft ohne philologifhde — merkwürdiger Weife ift Stier, ohnt 
ein thbeologifhes Eramen gemacht zu haben, zu feiner Stelle im fyrankice 
berufen worden! — hat ex fih plöslih in das Schriftſtudium hineingetmorfen, fen 
fonftiges theologifches Wiffen hat er fich nur rhapſodiſch auf Veranlaffung feiner &r 
gefe angeeignet. Bei einem fcharfen und fchroffen Geifte, wie der feinige, mußte dad 
Refultat ein fpröder Biblicismus feyn, und zwar Überwiegend mit der erbanlichen Te» 
benz des Halliichen Pietiemus, nur anftreifend, nach dem Borgange feines Meiſters 
bon Meher an theofophijche Neigungen, wie fie ſich namentlich in einigen ſchonen uf, 
fägen aus feiner jugendlichen Zeit in den „Undentumgen“ m. f. w. ausſprechen. Ba 
biefer theologifchen Stellung und diefem perfönlichen Karalter konnte er bei den tem 
angebenden Theologen feiner Zeit auf Gunft nicht redinen. Im der Periode feine 
Blüthe war die Bermittelungstheologie die herrfchende, und dieſe konnte ihn mit M 
den Ihrigen vechnen, aber auch bei den Kirchlichen gab er ſchon früh durch mehr 
fachen Widerfpruch gegen kirchliches Herkommen Anftoß: feine Polemik gegen das Beiht- 
geld, gegen den Perikopenzwang, feine Veränderungen in der Bibelüberfegung und im 
Iutherifhen Katehismus (vgl. den Auffag „Katechismus Luther's als Grundlage dei 
Eonfirmandenumterrichts nebſt VBorfchlägen zu feiner Berichtigung“ in der Evang. K.⸗Zig 





Gtuttgarter Synode 179 


1893. Re. 44.), feine Uenderungen in den Kirchenliedern. Zum Bruce kam es, je 
age von den Eonfefftonellen die Schranken gezogen umd die Anerkennung der Intheri- 
ken Kiche als „die Kirche⸗ verlangt wurde. Im milder ımd fchonender Weile trat 
zen diefe Ertreme Stier nach dem Wittenberger Kirchentage in dem Schriftchen: „Auch 
ea Belmuteig and der umirten Kirche”, 1848, auf — in vollem Harniſch mit dem 
Bitte „Hart wieder Hart“, in feinen „Uniutherifchen Thefen, deutlich für Yebermann“, 
1855, mit der Bertheidigung derfelben 1855 und der nicht umberdienten „Parodie des 
fingfien Fünfundbneunzigers*, Antwort auf die von F. Seiler wider bie Union heraus⸗ 
gegebenen Theſen, 1858. Mit frifheftemeugnig wird hier dom Schriftflandpunfte aus 
gegen die Uebertreibungen ber kirchlichen Reaktion gefiritten, doch and, mit der Ein- 
itigfeit eines umgefchichtlichen Standpunltes, welcher die nothwendige Eutwidelung ber 
Sichenlehre über das Bibelmort hinaus nicht auerkennt. 

Bas Stier gedacht, geforfcht und geglaubt, mußte in die Feder fließen. Schon 
4 Candidat zeigte er einem Freunde einen Katalog der von ihm noch zu fchreibenden 
Shriften, weldye auch wirklich zum größten Theile von ihm gefchrieben worden find. 
I cinem vorgefundenen Zettel finden fich die Titel von elf noch zu fchreibenden Bü. 
den, morunter „Eine Chriftologie des Alten Teftaments im Kern und in der Kürze“, 
‚ir Lehre von, der Reuteflamentlihen Schrift im Nenen Teflament felbft*, ein „Suren--" 
busus redivivus”, Auslegung ſämmtlicher Citate des Alten Teſtaments im Neuen ıc. 

Onellen. Die Lebensfligzge von dem älteſten Sohne, Herm Direktor Stier 
m Eofberg, im ber Neuen Evang. R.-Beitung, Yahrg.1863 Nr.11.— Die Karakteriſtit 
8 kligen Berfafiers von Nitzſch, als Beigabe zu der 3. Auflage der Reden Iefn. 

Thelnd, 


Eiuttgarter Synode vom Jahre 1559. — Sowohl Beinegungen im eigenen 

Ynde, ci$ die Miederlage des Iutherifchen Belenntuiffes in der benachbarten Pfalz be- 
woran du Herzog Ehriftoph don Württemberg und fein Kirchenregiment, ber feit ge- 
mer 3 in Württemberg anerlannten Iutherifchen Abendmahlsichre eine feierliche 
Ecin zu extheilen, wozu am Ende des Jahres 1559 die Synode in Stuttgart zu⸗ 
famanıt. War and) die calvinifche Anficht feit Kurzem in Württemberg nur fehr 
bereinzelt aufgetreten — ein Pfarrer Bartholomäus Sagen wird als derfelben verdächtig 
gan! —, fo fand man es doch bedenklich, daß in einem Wugenblide, wo das bie 
au firhliche Geſetzgebung zufammmenfaffende Werk, die große Kirchenordnung, ausging, 
Spaltungen hervortreten follen, und zwar vornehmlich über eine Lehre, deren befriedi- 
gende Faffung vom Anfange der württembergiſchen Reformation von Schnepf und 
dlemer an bis zum Frankfurter Receß (März 1558) fo viel Mühe gefoflet. Die 
dirchenbehdrde bezweckte nichts weiter, als was Melanchthon ſelbſt als signum eccle- 
ia geltend macht, die obedientia ministerio debita juxta evangelium. Will man 
m diefem Streben das GHereindringen der Macht des antimelanchthonifchen Geiſtes er- 
iiden (f. Heppe, L S. 311), fo if} nicht zu überfehen, theils daß diefer in den be- 
inflenden Kreifen noch wenig Boden gefunden, theil® daß zwiſchen Melanchthon und 
den in Luther's Fußtapfen fchreitenden Theologen, Brenz namentlich, trog aller perſön⸗ 
lihen Frenndſchaft, ein micht mmmwefentlicher Unterſchied in der Chriſtologie befland (vgl. 
d. Urt. Melanchthon« Bd. IX, 288) und daß diefe es fich nicht nehmen ließen, ihrem 
ſeiulativen Gtreben auch den möglihft adäquaten Ansdruck zu verleihen, ein Streben, 
ın defien Verwirklichung Melandıthon verzweifelte, ja deſſen Befriedigung er jener dent. 
virdigen Wufzeichuemg kurz vor feinem Tode gemäß (f. ebendaf. S. 274; Giefeler 
Ö. IIL 2. S. 244) erſt im Lichte der Ewigkeit zu finden hoffte. 

Die dem anch fe, die aus dem vier Generalfuperintendenten, dem geiftlidhen und 
veltlichen Mitgliedern des Eonfiftoriums beflehende und durch Rektor, Dekan und Pro; 
MMioren der theologifchen Falnltät in Tübingen verflärkte Synode, melde Mitte Dezem- 
ders in Stuttgart zufammentam, unterzeichnete dem 19. Dezember die im folgenden 


dehre 1560 zu Tübingen gebendte „Confensio et dootrina theologorum et ministro- 
1. 





180 Stuttgarter Synode 


rum verbi divtai in ducatu Wirtemb. de vera praesentia oorporis et sanguinis 

Jesu Christi in coena dominica”, deren weſentlicher Juhalt folgender iſt: Nach einen 

Borwort, das fi) auf die Ermahnung des Apoſtels Paulus Ephef. 4, 14. beruft, vi 
wir und, zumal in der Erkenntniß des Sohnes Gottes, nicht wägen und wiegen laſe 
von allerlei Wind der Lehre, und namentlich, in der Lehre vom heil. Abendmahl Be 
meidung ſchädlichen Gezänks höchſt nöthig fey, wird auf Grund der Heil. Schrift m 
Augsburger Confeffion befammt: 1) daß im Abendmahl, mit Brod und Wein durd ie 
Kraft des Wortes oder der Einfegung Chriſti der mahrhaftige Leib umd das tmahrke 
tige Blut Chrifti wahrhaftig und wefentlich dargereicht und empfangen werde; 2) 
Subftanz von Brod und Wein werde nicht verwandelt, noch bloß vorgebildet, als Jaka 
borgeftellt, fondern wie Brod und Wein wirklich da fen, fo werde auch die Subim 
des Leibes und Blutes Chrifti mit jenem wahrhaft übergeben und empfangen; 3) da 
gehe aber weder eine Bermifhung der fichtbaren Elemente mit dem Leib und Bin 
Chriſti dor, noch feyen diefe im Brod und Wein räumlich eingefchloffen, fondern es ja 
eine ſakramentliche Vereinigung, fo daß Brod und Wein außer dem Gebraud ka 
Sakrament ſey. 4) Wenn die Gegner den Grund gegen bie wahre Gegenwart ki 
Leibe und Bluts Chriſti von feiner Himmelfahrt, vom Sigen zur Rechten Gottes he: 
nehmen, fo fey vielmehr mit Paulus zu glauben, daß Chriftus aufgefahren iſt über ok 
Hüunmel, auf daß er Alles erfülle. Ex ſey nicht an einem Orte, 3. B. in einem Siem 
fondern auch feiner menfchlihen Natur nad der Majeſtät und Herrlichkeit theilbafty, 
fo daß der mit der Gottheit geeinigte Menſch Chriftus Alles erfüllt, auf himmlide 
für uns unerforfchliche Weife feine wahre Gegenwart im Abendmahl bekräftigt ımb bo 
flätigt. In der Herrlichkeit des Vaters ſey Chriſtus allen Dingen gegenwärtig, font 
alle ihm gegenwärtig find, ein Geheimniß, das mir nicht mit ber Vernunft, fonden 
allein mit dem Glauben faflen. 5) Im Abendmahl empfangen nicht nur die Ole 
bigen und Würdigen, fondern audy die Unwürdigen und Cottlofen den Leib und dei 
Blut Chrifti, da diefe im Sakrament ausgetheilt werben; aber fo wenig lebtere Ein 
flum, der da8 ewige Xeben ift, im Glauben annehmen, jo gewiß empfahen fie, des 
der das Herz reinigeude Glaube fehlt, eben ihres Unglaubens willen Shriftum zum 
richt, wie Paulus ausdrüdlid, lehrt und aus dem vom Bater dem Sohne Übertrogas : 
Richteramt folgt. 6) Bon der ımbollfländigen, nur theilmeifen Spendung des Ad 
mahls, wie von den Früchten deflelben, fo man es mit wahrem Glauben genießt, ver 
bier abgefehen, da kein Streit darüber fey, fondern bloß eine Erflärung über das Be 
des Sakraments für uöthig erachtet worden fey. — Dem Beſchluſſe dee Synode pi 
folle diefes Bekenntniß der „Kicchenordnung“ einverleibt und follen künftig all ® 
diger und Candidaten des Predigtamts im Herzogthum Württemberg anf vorfide 

Artikel verpflichtet werden. 

Wenn man, wie Planf und Giefeler, die Stuttgarter Confessio im Geyaid 
gegen Brenz's bisherige, angeblich Calvin näher flehende Auffaffung des Wbentmhl 
018 die erfte Feſtſtellung der Ubiquitätslehre bezeichnet, fo ift nicht zu vergefien, dh 
„der Grundgedanke, der durch die ganze Entwidelung Luther’ ſchon von 1520-158 ! 
bindurchgeht, fein anderer ift als der: daß wie in Chriſto die Gottheit und Menſchtet 
perjönlicd, geeinigt find und fich durchdringen, fo im Abendmahl Brod und Ih 
ſakramentlich geeinigt find und fi ohne Verwandlung der Subflangen durchtra⸗ 
gen“, und daß Luther namentlich im Jahre 1528 bie fung der Frage: wie der ti 
Chriſti zugleich im Himmel und im Sakrament feyn köune, eben in der Ommiprälen 
der Menfchheit und des Leibes Chriſti, d. h. „der Ubiquitätslchre« fand (f. dieſer 
Ürtilel von Steig in der Real» Encyfl. Bd. XVL ©. 568). — Ebenſo hatte Brei 
ſchon im Syngramma im Jahre 1525 eine Auficht von der Himmelfahrt umd der Bub 
famteit des erhöhten Chriſtus angedentet, die mit der Zwingli's und Galvin’s in ar 
ſchiedenem Widerfpruche flieht, im feinem großen Katechismus vom I. 1551 aber jede 
falls fich Acht Iutherifc für die volle Theilnahme der menſchlichen Natur am ber har 

















Gtuttgerter Synode 181 


Biken des Baters ansgeſprochen. Im einem Briefe vom Jahre 1556 an J. Anbreä 
bedert fich Calvin über die „Ubiquiſten⸗ in Württemberg. Offenbar war es jet 
Ser allermeift darum zu thun, die Segnung des Sakraments als eine von den übrigen 
Gundengaben des heiligen Geiſtes fpecifiich verfchiedene, vom Willen des Genießenden 
umehhöngige, durch bie Wirkſamleit des erhöhten Gottmenſchen bedingte darzuftellen *). 


9 So groß auch bie Achtung if, weldye Brenz verbient, fo if doch nicht zu verlennen, baß 
bie beſendere Richtung, bie er mit ber genannten Stuttgarter Synode einſchlug, fehr gewichtige 
Bedenlen ermedt und daß fie auch zu deſſen früherer Richtung einen Gegenſatz bildet, infofern er 
früher anf das Beſtimmteſte gelehrt hatte, daß der Mund des Glaunbens es fey, ber Leib und Blut 
Ehrifi im Abendmahl empfange, daß mithin in diefem Saframente feine manducatio oralis noch 
tine wandasatio impiorum flattfinde. Was aber die Bedenken betrifft, zn welchen bie unter bem 
Eisfinfie von Bremz gefaßten Beichläfle der Stuttg. Synode Anlaß geben, fo find es hauptfädhlic 
klgende: 1) nach Brenz if alfo, wie ber Berf. es angibt, bie Seguung bes Salraments 
ciae don ben Übrigen Onabengabeu des heiligen Geiſtes ſpezififch verfchiedene. 
Sir wollen mit dem Berfafler nicht darliber rechten, wiefern bei dem Abendmahl von den fpe- 
ad I} genannten Gnabengaben des heiligen Geiſtes die Rede ſeyn könne und wiefern zwifchen 
Yes Gaben des heiligen Geiſtes ein fpezifliher Unterſchied flattfinde Nur das mäflen wir 
aubibliih umb auch als nulutheriſch bezeichnen, daß die Seguung des Abenbmabls eine von 
ta Äbrigen Önabenerweifungen bem Inhalte wach fpeziftich verſchiedene ſey. Es läßt fih das 
meer aus der Schrift, noch aus den fombolifhen Schriften der Iutherifchen Kirche, noch aus Lu⸗ 
tert eigenen Schriften erweiſen. Selb Chemnitz bat noch gelehrt: non alia est gratis, quae 
in verbo promissionis et alia quae in sacramentis exhibetur (f. Bd. XIII. &. 274 fi.); 2) «6 
künd Brenz, wie ber Berfafler es angibt, Die Segnung bes Salraments bes Abend» 
zahle vom Willen des Genießenden unabhängig feyn. Das Flebt wiederum im 
ſchatidendem Widerſpruche mit ber Schrift fowie mit allen Beſtimmungen ber ſymboliſchen 
Ehriften der Intherifchen Kirche und den Ausiprüden Luther's ſelbſt. Der Gegen des Abend» 
waebitzeruſſes iſt bedingt durch die entiprechende Geſinnung, d. 6. durch bußfertigen Glauben, 
werd küfveränblich der Wille des Menſchen weſentlich thätig if. Wohl lehrt die Intherifche 

Kühe, ch Leib uud Blut Ehrifti im Abendmahl gegenwärtig feyen, auf eine vom Willen bes 

Gereiernes unabhängige Weile, aber bag ber Genuß von Leib nnd Blut des Herrn dem Ge⸗ 

nat mn Segen 'gereiche, das ifi bedingt durch bie Gefinnung, mit ber er das Salrament 
— Siehe die ſchöne Stelle ans dem größeren Katechieomus, wo Luther ſich darüber aus⸗ 
hriit &. x. &. 543. Welch eine mehr als katholiſche Verwirrung durch das Verkennen biefer 
Dehtheit in der ganzen Heilsölonomie angerichtet würde, das liegt am Zage. 8) Wenn, wie 
ber Berfafler andentet, Brenz die beiden genaunten Borflellungsweifen barin ihre Begründung 
haben ht, daß bie Segnong des Satraments durch bie Wirlfamleit bes er- 
hihten Gottmenfhen bedingt if, fo müflen wir gegen diefe Begründung auf’s Entſchie⸗ 
hatße protefliren. Aus der Wirkſamkeit des erhöhten Gottimenſchen folgt wieder das Eine, daß 
hie Segunng des Abendmabis eine von feinen Übrigen Gnadenerweiſnngen ſpezifiſch verſchiedene, 
10h das Andere, daß jene Segnung vom Willen des Menfchen unabhängig fey, d. 5. daß jene 
Buhamleit fich anf den Menſchen gegen feinen Willen und ohne feinen Willen erfirede. Mit 
tinem Worte, die Wirffamleit bes erhöhten Gottienſchen iſt Leine magifche, fo wenig im Abend» 
Bill ale anderswo im Bereiche bes Lebens bes Gläubigen, und das Sakrament wirkt nicht 
“ opere operato. 4) Ob, wie der Berfaffer meimt, Brenz und die mit ihm verbundene Stutt- 
garter Synode durch jene Beſtimmungen das tiefere Intereffe der lutheriſchen Chriſtologie ge⸗ 
Bahrt Haben, diefe Frage müflen wir, nach unferen bisherigen Bemerkungen, anf das Entſchie⸗ 
abe verneinend beantworten. Ja, wir getrauen uns zu behaupten, daß wenn bie genannte 
betimmung fi) aus der lutheriſchen. Chriſtologie mit Nothwendigkeit ergeben würbe, dieſe 
© ipeo für jeden wahrhaft evangeliſchen Theologen ale unhaltbar erllärt wäre. 6) Es wird 
derang auf's Neue erfichtlich , mit weldden ſchweren Opfern bamals die würtembergifche Kirche 
Die Bejeitigung ber melanchthoniſchen, beſtimmter gefagt, ber reformirten Anfchauung erlanft hat. 
& if eben ein verlebrtes Beginnen, das Princip aufzuftellen, daß nichts bürfe gelehrt werben, 
ms irgendwie an bie reformirte Lehrfaſſung erinnerte. Haben doch ſelbſt katholiſche Theologen 
I Trident davor gewarnt, theologiſche Säge bloß und allein um befwillen zu vermwerfen, weil 
ſe von proteftautifchen Theologen gelehrt worden waren. Sobald ein ſolches Princip anfgeftellt 
wird, iſt eigentlich das formale Grundprincip des evangelifhen Proteflantisunus, betreffend bie 
skeinige Geltung der heiligen Schrift als Duelle und Nopm ber Religionswahrheit, durch⸗ 
kteden, und bie Folgen davon Lönuen nicht anders ale verderblich jeyn. Wir befürditen um fo 
enger mit Diefem offen ausgeſprochenen Urtheile Anftoß zu geben, ale ja, wie ber Berfafler 
kibfi bemerkt, die Württemberger den fchrofien Stanbpunft ber Stuttgarter Synode nicht lange 
behanpteten. Serzog. 


182 | Sünde wider den heil, Geift 


Eine nähere Begründung der Anfiht über das Verhälmiß beider Naturen in Chrifins 
und die eigentliche Ubiquität verſuchte er kurze Zeit nach der Stuttgarter Synode in 
der zu Anfang des Sahres 1560 verfaßten, im Drud 1561 unter dem Titel „De per- 
sonali unione duarum naturarum in Christo” erſchienenen Schrift (ebendaf.S.584), 

Melanchthon, der im Abendmahlsftreit fo borfichtig war, fich im Gegenſatze gegen 
. die Zwinglianer auf die fubftantielle, Lebendige, weſentliche Gegenwart Chriſti zu be 
fhrünfen, und nur feine fortdauernde Zuſtimmung zu den bisherigen Belenntnifien, der 
Augsburg. Confefflon, Wpologie, Luther’ Katechismen und den Schmalkaldiſchen It, 
fein, zu verfichern, womit ihm die Möglichkeit einer Vereinigung mit der jett weſen 
lich calvinifchen ſchweizeriſchen Kirche offen zu bleiben fchien, vermied jede nähere An 
führung des Begriffs dee Subftanz im Abendmahl, ja er erblidte in der Lehre, daf u 
nnd unter dem Brod der Leib Chriſti genofien werde, eine Gefahr für das Bolt, dei 
leicht dadurch zur papiftifchen Brodverehrung zurüdgeführt werden könnte. Cr bejciert 
fi) über den Herzog Chriftoph, daß er ihn der Trennung beider Naturen in Ehrift 
befehuldige, und verhöhnte die Confeffion der Synode al® „hechingense latinum” (m 
Januar 1560). Ob dieß, wie er e8 nennt, eine „venusta significatio” mar, der ob 
der treffliche Mann nicht damit nur feinem Aerger über das Mißlingen feiner ungläd 
lihen Bermittelungsverfuhhe auf diefem Boden Luft gemacht, bleibe bahingeftellt. 

Es fcheint ums umbezweifelt, daß die Stuttgarter Synode beredhtigt und bei de 
Gefahr des Nüdfchritts in „abftraften Neftorianiemus“ (f. Landerer a. a. DO. Bd. IR. 
©. 289) verpflichtet war, felbft einem Melanchthon gegenüber da8 tiefere Intereſſe der 
Intherifchen Chriftologie zu wahren und von der in möÖglichfter Fülle und Lebendigkeit 
gefaßten Einheit des Göttlichen und Menfhlichen in Chriſto aus, dem Abendmahl feine 
fpecififchen Karakter zu vindiciren. Um der mwürttembergifchen Kirche, in deren Name 
die Synode fprad, mit Grund vorzumerfen, fie habe ein ihr, wie der deutſch⸗ edange⸗ 
liſchen Kirche überhaupt fremdes Dogma in fi, aufgenommen, um ſich mit demfelben 
gegen jede Melanchthon'ſche Seftaltung ihres Bewußtſeyns abzufperren, müßten wir vos 
einem Webergewicht der legteren Anfiht im Bewußtſeyn der Geiftlichen wie des Boll 
verfichert jeyn. Im den Zeiten eines Brenz und Jakob Andrei war dieß entfchiehe 
nicht dee Wall, während allerdings, namentlich in Folge der Ueberfpannung des Luther 
thums in Lehre und Kirche, ſich bald eine Reaktion erhob, welche bei dem dem Wärttes 
berger neben feinem muftifch » fpefulativen Zug eigenen Subfektivismus je Länger je wer 
einer verfländigeren, wenn man fie durchaus fo nennen will, Melandhthon’fcer Br 
ſchauung Bahn brach. 

Quellen: Pfaff, acta et seripta publ. ecel. Wirtenb. 1720. — Bl, 
Geſch. des proteſt. Lehrbegr V. — Heppe, Geſch. des deutſch. Prot. I. — dit: 
derer, Melanchthon im IX. und Steig, Ubiquität im XVI. Bde. dieſer Real Ei 
(auch die Schrift des Unterz. Über Brem). x Hartmann. 

Sünde wider den heiligen Geiſt ift herlömmmlicher Name für biepenigt 
Sünde, welche genauer ald die Läſterung des heiligen Geiſtes zu bezeichnen M. 
Denn es handelt fich hier um die Spige und Vollendung der Sünden wider ben he 
ligen Geiſt. Die Beibehaltung des Namens findet indefien noch einige Rechtfertigung 
außer durch das Herkommen, darin, daß nad; überwiegender Anſicht aud der im Brit 
an die Hebräer 6, 4—6. und 10, 26 ff. in feinen Folgen befchriebene Abfall vom 
Chriftenthum, fowie die „Sünde zum Tode» 1Joh. 5, 16. in bdiefelbe Kategorie zit 
der Läfterung des heiligen Geiſtes zufanımengefaßt wird. Immerhin aber bleibt ge 
ſchichtlich und fachlich die warnende Rede Iefu an die Pharifäer Matih. 12, 31 #. 
(dgl. Mark. 3, 28 f. ul. 12, 10.) der Ausgangspunkt und die Grundlage für une 
Lehre. Bemerfenswerth iſt, daf bei Lukas die urfprüngliche gefchichtliche Beranlaffun 
der Rede Jeſu fehlt und diefelbe mit der Verläugnung feiner Perſon in Zufammenhan 
gebracht ift, wodurch diefe Sünde im Munde Jeſu felber mit dem in dem Hebröm 
briefe befchriebenen Abfall zufammengeftellt wird. 


Sünde wider ben Heil. Geiſt 183 


Der ganze Abfchnitt Matth. 12, 22—37. bietet num als locus classicus für un. 
ſae behre im aller Kürze und Beftimmtheit bereits alle diejenigen Momente dar, welche 
eine volllommen llare Einficht in das Weſen und die Bedentung der bezeichneten Sünde 
penähren kbnmen. Zunächft ift die gefchichtliche Situation zu beachten. Jeſus hat einen 
Dinmifhen geheilt, der zugleich blind umd flumm mar. Es war diefes ein fo augen- 
Iheinlihes Zeichen feiner göttlichen Sendung und Ausrüſtung, daß das Boll, über- 
wältigt vom dem Eindrucke diefer Chat, die VBermuthung ausſpricht, Jeſus werde der 
Sohn Dadid's, der Meſſias ſeyn. Wenn diefe VBermuthung dee Maſſe des Volle fi 
aufdrängte, fo lag fie den Pharifäern um fo näher (vgl. Joh. 3, 2), Site können aud) 
ziht umbin, eine Üübermenfchliche Kraft und Verbindung bei Jeſu anzuerkennen; aber fie 
erfläsen, daß er im Bunde mit dem Teufel ſtehe. Jeſus beiveift ihnen zunächſt das 
Biverfimige ihrer Behauptung, dann aber bedit er bie Tiefe der fünblichen Verlehrung 
auf, vom welcher ihre Rede Zeugniß gebe, und zeigt die Furchtbarkeit der Strafe, zu 
welder fie hiaführe. Eine Beranlaffung zur Läſterung des heiligen Geiſtes lag 
olfo bei den Bhaxifäern vor, weil fie von der in Chriſto wirkenden heiligen Geiſtes⸗ 
macht unidereglüche Eindrüde befommen haben mußten, gegen welche fie ihr Wider 
freben zur durch daB lügenhafte und boßhafte Borgeben fefthalten konnten, daß Jeſus 
im Dienſte des b Dſen Geiftes fiche. Hieraus ift bereits zu folgen, daß die Sünde 
bon Golden wicht begangen werben Tann, denen Jeſus im Wort und Geift noch nicht 
offenber geworden iſt. Zugleich erhellt aber auch, daß nicht bloß Wiedergeborene (tie 
die älteren lutheriſchen Dogmatiler und neuerdings wieder Wuttke, chriftliche 
Gittenlehre IL S. 342 f. lehren) die Sünde begehen können. Das Licht des heiligen 
Geiſtes hamn einen fehr hellen Schein auch in die Herzen der Widerſtrebenden werfen (1 Kor. 
14, 24), fo daB foldhe, wenn fle einer derartigen Erleuchtung anhaltend außgefegt - 
find, in der Möglichkeit, daB Daſehn der vollfommenen Gottesoffenbarung zu erkennen, 
den Bidergeborennen nicht nachſtehen. Daß die Pharifäer hier die Sünde ſchon be- 
sangen haben, if} zwar mit faſt allen Neueren zu bezweifeln; aber da fie. vor berfelben 
dent werden, find fie offenbar nahe daran, diefelbe zu begehen. Keinenfalls fällt 
diele Sünde, wie C. 2. Nitsfch gemeint hat, außerhalb des menfchlichen Begehens. 

Das zweite Moment betrifft das durch die beigefügte Antithefe ganz fpecififch her» 
mögchobene Objelt der Verfimdigmg. Diefes ift der heilige Geiſt, ausdrücklich 
iierfhieden von des Menſchen Sohn (diefe beſtimmte Antithefe fehlt bei Markus). 
die Laſterung des Dienfchenfohnes, im Unterfchiede von der Täfterung des heil. Geiftes, 
R deutlich eine ſolche Läfterung des gefchichtlichen Jeſus, bei welcher über der irdiſch⸗ 
salhlihen Exfcheinung deffelben (auch feines Wertes, feiner Kirche) feine fpecififche 
Mllihe Würde noch gar nicht zum Bewußtſeyn gelommen if. Einen ſolchen Zuſtand 
der Uwiſſenheit fest Jeſus voraus, wenn er bei feinem himmlifchen Bater für dieje- 
gen, welche ihn kreuzigen, Fürbitte einlegt (Zul. 23, 34), wobei die Trage iſt, ob 
bof die unmittelbaren Werkzeuge ober auch die Urheber feiner Kreuzigung Gegenfland 
iner Fürbitte find. Im letzteren Falle wäre deutlich, daß aud die Pharifäer und 
Khriftgelehrten mit der Kreuzigung Jeſu noch nicht die „Sünde zum Tode“ begangen 
item (vgl. 1 Kor. 2, 8. und Apgefch. 3, 17). Als ganz direktes Veifpiel eines Sol- 
m, welcher den Menſchenſohn geläftert hat, ohne den heil. Geiſt zu Läftern, ift aber 
ch feinem eigenen Ausfpruche (1 Tim. 1, 13.) der Apoftel Paulus anzuführen. Wenn 
rigens Bleet (Comment. zu d. funopt. Evp.) den Sag ausfpricht, das „Läftern bes 
il. Geiſtes könne nicht don einer Verkennung des heil. Geiftes in der Berfon des Er- 
ſers gemeint ſeyn, weil biefes wieder eine BVerfündigung gegen den Menſchenſohn 
ixe«, fo ift biefe Trennung des heil. Geiftes von der Perfon des Erldſers nicht rich 
„ da e8 fich bei dem heil. Geifte im N. Teſtamente und namentlich in unferer {Frage 
tade um die fpecifiiche Gottesoffenbarung handelt, wie fie mm durch Chriflum ver- 
ittelt if. Das Objekt der Läſterung wird viel zu weit gefaßt, wenn geredet wird 
m „einer Geſiunung und Handlungsweife, wo Jemand etwas Höheres, Gdttliches gar 








184 Sünde wider den heil. Geift 


nicht anerkennen will, wo ex die Offenbarungen und Wirkungen bes Geiſtes Gotte 
wo und wie fie fi fund geben, von ſich weifet“ (f. Bleek a. a. O.). Eine folde € 
fimung und Handlımgsweife kann zur Läfterung des heiligen Geiftes führen, aber 
iſt es noch nicht (vgl. Nitzſch gegen de Wette, Suftem der chriſtl. Lehre, Ste A 
©. 290). Wenn e8 Joh. 7, 39. Heißt: ovrw ydo Av TO nvevum üyıov, orı "Inn 
ovdenw 2do&aodn, fo ift unwiderleglich, daß auf neuteflamentlihem Standpuntte k 
heilige Geiſt diejenige Gottesoffenbarung bezeichnet, welche duch die Perfon und | 
vollendete Wert des gefchichtlichen Chriſtus vermittelt ift (Joh. 16, 14); amdererk 
darf aus der genannten Stelle doch nicht die Folgerung gezogen erden, daß K 
Dffenbarumg auch für diejenigen, welche mit Ehrifto vor feiner himmlischen Berklön 
verfehrten, noch gar nicht vorhanden geweſen fey, da die fpecififchen Geifteswirku; 
fhon während feines Erdenwandels don ihm ausgiugen. Diefe Wirkungen, welde 
dee Sendung des heiligen Geiſtes zunächſt fich vollendeten, faflen fich zufammen in 
Begründung des Gottesreiches auf Erden als eines Reiches des heil. Geiftes (Mal 
12, 28). Und fo handelt es ſich bei der Läſterung des heil. Geiftes allerdings ni 
unmittelbar um ein Verhalten gegen Iefum, fondern zunächſt um die Stellug 
melhe der Menſch zu dem ihm offenbar gewordenen Dafeyn d 
heiligen Öeiftesreihes in der Welt einnimmt. Das Dafeyn dieſes Rad 
ift eine gefchichtliche und religiöfe Thatfache, welche fi an dem Gewiſſen geltend ma 
mit der intenfiuften Kraft der Ueberführung und mit dem abfoluten Anſpruch anf ? 
erkennung und Theilnahme, weil es fich gleichzeitig als die hochſte und allgemein gültk 
Form menfclichen Lebens wie als die vollkommene Sphäre der Gottesoffenbarung ma 
Gottesgemeinfchaft darſtellt. Es handelt ſich alfo bier um ein rein ethifches Berhola 
zu der vollendeten ethifch-religiöfen Thatfache. Sobald diefe Thatfahe dem Mara 
näher tritt, enthüllt fie fich ihm als das vollendete Nahefeyn Gottes, nad) feinem inne 
fin Weſen und in der Form der ummittelbarften Gegenwart, mit der gleichzeitige 
Wirkung tiefer Niederbeugung umd Weberführung wie innerfler Anziehung und Ex 
bung. Wenn fhon das Gewifien dem Dienfchen fagt, daß er e8 hier nicht mit imma 
unperfönlichen Gefege, fondern mit dem perfönlichen heiligen Gott zu thun habe, I 
gibt fich der heil. Geift als die unmittelbarfte und volle Gegenwart Gottes mit jens 
innerften Wefen, mit feiner heiligen Liebe, zu erfahren und zu erkennen. Mau nd 
fagen können, durch die Offenbarung im heiligen Geiſte feyen die formellen Borkt 
der Geiwifiensoffenbarung (dad Kategorifche und die unmittelbare fubjeltive Wirk 
mit der materiellen Fülle Chrifti als des Exldfers (der in ihm enthaltenen Heil m 
Heiligungstraft, Oyade und Wahrheit) zur Einheit der vollendeten Gottesoffentem 
verbimden. Daher fällt diefer Offenbarung gegenüber aller Zweifel und alles Ume 
mögen, ebendamit auch alle Entfchuldigung hintveg. Nun tragen die Wirkungen Chrif' 
(und nur biefe) diefen Sarakter, Offenbarung des heiligen Geiftes zu feyn, ale velgil 
und weltgefhichtliche Signatur an fi. Wo diefelben unverhüllt und kräftig nicht ode 
äußerlic, herbortreten, fondern auch an einzelnen Gewiſſen ſich Iegitimiren, da iſt ſi 
diefe das Objekt zur Läfterung bes heil. Geiftes vorhanden. Diefes Objekt iſt bemma 
fein rein äuferlich= objeftives, es exiſtirt, wie der heil. Geift in der Menſchenwelt übe 
haupt, nur zugleich als Thatfahe der inneren Erfahrung. Daher Menſchen auch b 
einem offenbaren Läfterer des Heiligen doch nie beflimmt fagen können, daß er den he 
figen Geiſt geläftert habe, weil fie nicht wiffen, wie weit das Heilige im der dor 
des heiligen Geifles ihm nahe gelommen if. Es ift ja aud, damit durch die De 
fündigung des Evangeliums die Offenbarung des heiligen Geiftes zu Stande fonm 
doch neben der Lauterkeit und Kraft diefer Verkimdigung noch eine befondere Cini 
tung des Geiſtes Gottes auf die einzelnen Herzen erforderlich (Apgeſch. 16, 14), wer 
auch von jener Verkündigung immer eine Kraft des heil. Geiftes ausgeht. Cs fie 
aber in der Natur und Beſtimmung des heil. Geiftes, die gefammte Welt anf Cru 
dee vollendeten Erldſung in Chriſto von der Sünde des Unglaubens an ihn, von b 
















Sünde wider ben heil. Gei 185 


alrizigen Gerechtigkeit in ihm und von dem verdienten Gerichte, welchem die Welt in 
irn Frincipe bereits anheimgefallen ift, inmerlich zu überführen (Joh. 16, 8—11). 
Bart, die relative Unterfcheidung des Menſchenſohnes und des heiligen Geiſtes, wie 
ad nieder der innige Zuſammenhang, in welchem beide mit einander flehen, hat in 
Beichmg anf die fragliche Sünde eine befondere Bedeutung erlangt, nachdem feit der 
Bitte des vorigen Jahrhunderts Zweifel und Unglaube in ber dhriftlichen Kirche im 
mecihfeitiger Seftalt als verbreitete Potenzen aufgetreten find. Einerſeits namlich 
kilt unter den vom Chriſto Entfremdeten, ja unter feinen Gegnern, deutlich der Unter 
ſchied hervor zwifchen Solchen, welche das Chriftenthum oder den Inbegriff der durch 
Chriftum in die Welt gebrachten geiftlichen Segnungen, das Reich Chriſti als ein Reich 
de heifigen Geiſtes mehr oder weniger als die höchfte Offenbarung und Wirkungs⸗ 
weile Gottes, oder doch des Böttlichen, in der Welt (3. DB. namentlih im Familien⸗ 
ihen, dem Gebiete der Erziehung, dem focialen Leben mit feinen tiefen Schaden) an- 
ein, and zivifchen Soldyen, welchen gerade die fpecififhen von Ehrifto ausgehenden 
ken Beifteswirkungen, das Chriſtenthum als religidfes Princip umd Leben zuwider 
fa. Undererſeits muß, je entfchiedener das Chriſtenthum in der neueren Seit gerade 


ver Beie geſtalten, daß die erflere durch ihre Anerkennung bes heiligen Geiflts im 
Enrifentkenn auch zur Anerkennung Chriſti fid führen läßt, während die letztere immer 
Dliger die Feindſchaft wider den heiligen Geiſt als den eigentlichen Grund ihrer Oppo⸗ 
ſtien gegen Chriſtum enthüllen wird. 

dieri wäre das Objeft der Sünde wider den heiligen Geiſt, und zwar als eine 
zit Hoi an das Individuum herantretende, ſondern feit der Entflehung der chriftlichen 
Tirte in weitgefchichtlicher Wirkſamleit uud Entfaltung begriffene Potenz bezeichnet. 
& han fich mem aber um bie ganz fpecielle Art ber BVerfündigung gegen ben 
heiligen Ge, welche in dem Alte der Käfternng beffelben zu Tage tritt. Die Ber 
ſtwdizz beſteht alfo im einem folchen Redealt, durch welchen die heilige Geiftesoffen- 
kg, deren volle Realität man erfahren hat, in lügueriſchem Haffe vielmehr als ihr 
epestkeil dargeftellt, mit Abfchen wergeftoßen und wider befieres Wiſſen und Gewiſſen 
ad für Andere zum Gegenflande des Abfchenes gemacht wird. Aehnliches thaten die 
Fhorifäer im dem alle, welcher den Herrn zu feiner Warmmg veranlaßte. Wie die 
Cfenborung des heiligen Geiſtes die vollendete Bottesoffenbarumg ift, fo iſt die Läſte⸗ 
ung defielben die Spitze des Widerfirebens gegen &ott, indem in ihr der Widerſtand 
von den heifigen Geiſt jelber ſich vollendet. Sobald nämlich ein Menſch überhaupt 
anal unter der entfchiedenen Einwirkung des heiligen Geiſtes ſteht, find alle feine 
Anden, begiehungstweife fein ganzer fündiger Zuſtand, nicht bloß Sünden wider daß 
Benifien, fonderm wider den heiligen Geift, infofern ſchwerere Sünden, als Wiſſen und 
Bolen durch die Kraft des heil. Geiſtes nicht bloß ſtarker für das Göttliche in An⸗ 
rad) genommen, fondern auch fpecififc für feine Aneignung und Vollziehnng unter» 
üpt ſud. Die Chriften betrüben mit ihren Sünden den heil. Geiſt (Ephef. 4, 30); 
nbaßfertigteit uud Unglaube haben ihre fpecififche Schärfe als Widerſtreben gegen den 
el Geiſt (Apgeſch. 7, 51). Diefes Widerfireben erreicht, wenn es gegenüber ber an- 
ıenden und Immer Fräftiger umd völliger ſich einftellenden Offenbarung bes heiligen 
hifes beharelich feftgehalten wird, mit nothwendiger Conſequenz feine Spige in der 
Merung deg heil Geiſtes. Diefe Lüferung, and; von Menſchen begaugen, if eigent- 
& uiht mehr eine menfchliche, fondern die fatanifche Sünde, indem der Menſch in 
aflifdhem Haß umd Lüge gegen Gott, welcher das Imerſte feiner Erbarmung und 
Amer heiligen Majeflät zu feiner Errettung ihm vollſtändig aufgefchloffen und nahe 
rad hat, das letzte Band der Gemeinſchaft mit Bott zerreißt, nm fi in feiner 

agent zu behaupten. Die Selbſtſucht, in welcher die Sünde wurzelt, zeigt fich bier 
af ihrem Gipfel. Teufliſch if am diefer Sünde befonders and ihre verführende, 


186 Sünde wider beu heil, Geift 


feelenmdrderifche Abfiht und Wirkung. Auch diefe Seite an der Sünde, de 
fie zum Wergerniß und zur Verführung gereicht, erreicht hier ihre Spitze. Nicht m 
wird die Verführung hier mit Abficht verfolgt, fondern fie richtet ſich auch direkt darın 
Andere gleichfalls zur abfoluten Berwerfung der volllommenen Heilsoffenbarung, yı 
abfoluten Rosfagung don Gott zu bewegen. Das Motiv der Verführung ift tbeils d 
Haß gegen Gott, theild das weitere Verlangen der Selbſtſucht, Benoffen der Sünde | 
haben, welche man durch feinen fündigen Einfluß beherrſcht. So ifk die Läflerung I 
heiligen Geiftes in jeder Beziehung das direkte Öegentheil des aus dem hey 
Geifte ſtammenden Belenntniffes zu Chrifto, weldes nicht bloß als Ant 
des gläubigen Herzens den Einzelnen felig macht, fondern auch als Kraft fi ermi 
die Heilsgemeinfchaft unter den Menſchen zu fliften und zn erhalten (Röm. 10,9 
1Kor. 12, 3. Matth. 16, 16—18). 

Der innere Entwidelungsproceß, durch melden der Menſch bis zw jener Sp 
der Sünde heranreift, kann eine verſchiedene Geftalt haben. Nur zwei glei 
mäßige Bedingungen beffelben finden flatt, erflens daß die fpecififche Offenbarung 
heiligen Geiftes längere Zeit und mit fleigender Kraft fi dem Menfchen kundg 
hat, fodann daß diefelbe mit wachſendem Widerfireben von ihm abgetwiefen worden | 
Dabei fan der heilige Geift bereits innerer Beſitz geweſen feyn, wie bei den Exweil 
und Wiedergeborenen (was von den reformirten Dogmatilern, fowie von 9. Mull 
C. 3. Nitzſch und Martenfen im Widerſpruch mit der überwiegenden Schriftiehre 5 
flritten wird), oder es kann ihm don born herein der Eingang in das Herz verwd 
worden ſeyn; im erfteren Falle geftaltet fih die Sünde als vollendeter Abfall, | 
zweiten al8 vollendete Abwehr. Uxfache des Abfall oder der Abwehr kann bald md 
finnliche Luft und Weichlichkeit, welche namentlich das Kreuz Chriſti flieht (Phil s, 15f 
* bald mehr der Trotz des Unglaubens und der Selbftgerechtigfeit feyn, und namenfl 
legterer Tann entweder eine heuchlerifche (vollendeter Phariſaäismus) oder eine frl 
vole (vollendeter Atheismus) Geftalt annehmen. Die Richtung, welche zur Geiße 
läfterung in den beiden zuletzt genannten Geflalten fährt, dürfte auch in neuere % 
in gewiffen Formen und Berhaltungsweifen des Jeſuitismus und ber Freigeiſterei gege 
über von der evangelifchen Wahrheit wohl zu erkennen feyn. Nicht auszuſchließen H 
daß die Geiftesfäfterung doch auch wieder im Zuſtande relativer Unmiffenheit = 
Stumpfheit benangen werde, fofern diefe nämlid, in einer durch die göttliche Gerectite 
für früheres Widerftreben verhängten Berftodung und Verblendung ihre Urfade ie 
Nur muß feftgehalten werden, daß eine gegenüber von den unbolllommenen Diele 
rungsftufen (Gemwiffen und Offenbarung im alten Bunde) eingetretene Herzensperhktin 
und Verblendung nie unmittelbar in die Fäfterung des heiligen Geiftes ausſchlagen km 
fondern daß, obwohl jener Zuftand weſentlich zur Herbeiführung dieſer Sunde mitnrk 
kann, doch dazmwifchen Lebendige Eindrücke von der fpecififchen Heilsoffenbarung in Eirfl 
durch den heiligen Geift müſſen getreten feyn. 

Hiemit find wir bereit? auf das weitere Moment geführt, daß die Läflerung N 
heiligen Geiftes ihre Bedeutung hat als Offenbarung eines inneren Herzen! 
zuftandes, als die reife Frucht an dem Baume fündhafter Entwidelung und fh 
digen Weſens. Mit befonderem Nachdruck hebt Jeſus (Vs. 33—35.) dieſes hew⸗ 
Zwar iſt ihr Hervortreten in äußerer Handlung, ſpeciell der Rede, nicht gleichgülti 
aber die Rede offenbart nur die Fülle des Herzens. Sie iſt eine noch reinere, I 
unmittelbarere Offenbarung bes Inwendigen, als die That im engeren Sinne, umd fo 
daher auch für die Zurechnung befonders in Betracht (B8.36 f.). Zur Ergänzung die 
bier die allgemeine bibliſche Xehre, daß der Menſch namentlich gegenüber bon ber dal 
eudeten Offenbarung Gottes in Chrifto keineswegs gleichgültig und umentfchieden bleib 
kann (88. 30.), und daß er ſchließlich in der Conſequenz feiner Entſcheidung 
im Outen oder im Böfen bis zum volllommenen Ebenbild Gottes oder des 
Nicht als ob nad) einmal getroffener Eutſcheidung nach der einen oder anderen Sei 


Sunde wider ben heil. Geiß 187 


u Seindergen mehr möglich wäre; die heil. Schrift warst auch die Belehrten vor 
Dell und Ichrt die Möglichkeit der Belehrung auch bei Golden, welche Chrifto 
um heil. Geiſte zuerſt widerfirebt haben (Röm.11,20—23). Über einmal nimmt 
beiden Seiten hin einen definitiven Karalter an; es gibt aus⸗ 
und Kinder dev Bosheit (Matth.13,30), und die letzteren offen⸗ 
der Läfterung des heil. Geiſtes. Ob es ſchon auf Exden eine 
tm Gnadenſtande gebe, daß der Rädfall unmöglich wird, iſt eine von 
ſchwerlich zu Idfende Frage; dagegen müfler? wir, wenn wir der War⸗ 
Sünde wicht die Spige abbredyen wollen, annehmen, daß ber fündige 
fie hervorgeht, ſchon auf Erden inne erreicht werden. Die 
unferes Gegenſtandes nehmen an, daß Iudas, der Berräther Def, 
begangen habe, umd bie Wuspräde Joh. 13, 27. und 17, 12. (6 vids 

auf diefe auch pſychologiſch wohlbegründete Annahme. Eine ſolche 
DBosheit erflärt fi ferner aus der auch durch die Erfahrung allent- 

Lehre der heiligen Schrift, daß nicht bloß in Folge pfychologticher 
fondern auch in Folge ausdrüdlichen Berhängniffes der göttlichen Ge⸗ 
Beharren in der Sunde gegenüber ber göttlichen Offenbarung immer 
m die Suechtfichaft der Sünde, in Berblendung und Berfiodung, hineinführt, fo 
Sphäre der Freiheit zum Guten immer enger, die Empfänglichleit für das 
ſchwacher wird, bis dieſelbe zuletzt fich ganz berliert, während das 
Spige erreicht hat. Namentlich; geht von der im heiligen Geiſte ſich 
offenbarung Gottes in Ehrifto diefe Wirkung auf die Widerſtrebenden 
.3, 19ff. 8, 43f. 9, 39—41. 12, 40. Matth. 13, 12—15. Röm. 9, 32f. 
16-31. 2 or. 2, 16. 2Xhefl. 2, 10—12). Die Berftodung und Berblendung 
im mer mmächft eine zeitweilige fen, aber zuletzt nimmt fie bei beharrlichem Wider- 
Kies u bie ſtärkſten Geiſteswirkungen einen unabänderlichen Karalter an (Nom. 

1, dl mit 9, 17—22). Uns dem legteren Zuſtande geht nun offenbar bie 
ray des heil. Geiſtes hervor. 

Grub erklärt ſich die furchtbare Folge, welche diefe Sünde nach fich zieh. 
Ti Arie ewige Berdammniß, indem es fir die Läaſterung bes heil. Geiſtes feine 
Eerzbung mehr gibt, weder in bdiefem, noch in jenem Leben. Die Worte Chrifli 
(6. 32.) laffen Heine andere Deutung zu; auch Harlef ift ueneftens (chriſtl. Ethil 
*. ul S. 340) vom feiner bisher vertretenen Anficht, daß diefe Sünde nur fo lange 
mergeblich, fen, als der Zuſtand, aus welchem fie hervorgegangen, anbauere, zuräd» 
Kommen. Uuch Läßt die Bezeichnung 27 Ti ufllorsı alavı nicht zu, am irgend eine 
käräufte Jeitdauer zu denken, da 6 alır ulAwr bie nad; dem jüngften Gerichte be- 
Pauende Periode der umveränderlichen Ewigleit bedeutet, wobei ber Zeitraum vom Tode 


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kihe die abfolute Strafe herausfordert (vgl. Niyfh, Syſt. der chriſil. Lehre). Die 

Gerechtigkeit hat es fo geordnet, daß für einen ſolchen Frevler die Belehrung 
geworden ifl. Die vielfach in der chriſtlichen Kicche mit flarfer Begründung 
gemachte Lehre von einer endlichen Belehrung und Befeligung aller Menſchen 
3. VL S. 184 f.) flieht nicht nur im Widerſpruch mit dem immittelbaren Wort⸗ 
unferer Gtelien, fondern droht auch die ganze Bedeutung, welche die Sünde 
ibliſcher bat (dieſe Bedentung tritt gerade in der Lehre von der Laſterung 
- Geifes und ihrer Unverzeihlicteit am ſtärkſten hervor), zu gefährden. Die 

nad) der Schriftlehre durchaus poſitive Willensrichtung und Willensäußerung, 
‚gerade die Offenbarung muß dazn dienen, diefelbe vollfländig als folde zur Er⸗ 
heizung und zum Beimuftfeun au bringen (Möm. 7, 13. Joh. 16, 8 f.). Im Willen 


23; 


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188 Sünde wider ben heil. Geift 


aun bildet die Willkür oder Mahlfreiheit nur ein Moment, welches fich felbft aufheb 
im Willen, ald dem Bermögen der Selbftbeftiimmung, liegt vielmehr der Zug zu ein 
abfoluten pofitiven Entfcheibung, das ift fein gottebenbildlicher Karalter. Nun mei 
die ganze mewteftamentliche Lehre namentlich, von dem allgemeinen Weltgerichte dardı 
bin, daß jedenfalls bis dorthin dee Menſch eine abſolute Entſcheidung für oder mit 
Gott getroffen habe. In der Läfterung des heil. Geiftes nimmt die Sünde eben dieſ 
Karakter einer abfoluten pofitiven Willensentfcheidung, der abſoluten Selbfibehanpten 
gegen Gott au, und zwar if Folge des Geroichtes früher getroffener beharrlicher Eu 
fheidung in derfelben Richtung. Darum enthält diefe Thatſache die ernflefte Warum 
für den Sünder, die Sünde niemals als etwas ihm bloß Aeußerliches, durch fen 
Willkür jeden Augenblid wieder Aufzuhebendes oder als etwas bloß Negatives, bloke 
Mangel oder Schwäche, welche gleichfalls ſtets ergänzt werden können, fondern vielnd 
al8 eine VBerkehrtheit des eigenen Willens oder Selbſtes zu betrachten, von welcher mu 
duch Umkehr des Willens, unter rechtzeitiger und rechter Benutzung der göttlich 
Gnuade, fo bald als möglidy frei zu werden fuchen muß, weil der in der Sünde beha 
rende Wille ſonſt feine abſolut entſcheidende Kraft immer völliger an die Madıt N 
Böfen Hingibt, bis beide unaufldslich ſich geeinigt haben in dem abfolut böfen Wile 
weichem bie göttliche Gerechtigkeit mır mit der abfolnten Verdammniß begegnen kam. 
Es wird num faft allgemein von den Neueren auch der in zwei Stellen des Briel 
an die Hebräer (6, 4—8. und 10, 26—31.) in feinen Folgen befchriebene Abfal 
bom Chriſtenthum (vgl.2 Petri 2,10—22.), fowie die 105.5, 16. genannte „ Sün 
zum Lode», welhe die Fürbitte abjchneidet, der bisher nach dem Ausſpruche 
erdrterten Läfterung des heiligen Geiftes gleichgeftellt. Bei ber 10h. 5. gema 
Sünde kann, fobald man eine concrete Deutung fucht, gleichfalls nur an eine a 
Art des Abfalls und der Verläugnung gedacht werden, wie folde in ben Stelm » 
Hebräerbriefs befchrieben if. Bei den legteren aber handelt es ſich darum, mei 
Dignität man dem Verfafler des Briefs beilegt. Wird demfelben nad dem Borgam 
Luther's als einem „bloßen Apoftelfhüler" (f. I. Müller, Lehre von ber Sänk 
2. Aufl. Bd. II. S. 576) ein geringered® Maß von Erleuchtung zugefchrieben, bau 
wird man geneigt feyn, in den bezeichneten Stellen eine rhetorifch gefteigerte Warm 
vor dem Abfall vom Chriftentfum überhaupt zu finden (de Wette), und wird fd 
Zweifel erlauben an der ansgefprochenen Unmöglichkeit der Rückkehr für die Abgas 
Ienen. Geht man aber davon aus, daß dem BVerfafler des Briefes der apoſthio⸗ 
Geift der Erleuchtung volftäudig zulomme (wozu der fonftige Inhalt des VBridet ve 
anlaßt), fo wird man die don der anderen Seite als rhetorifche Steigerung garen 
Ausdrüde vielmehr als ſachgemäße Befchreibung der befonders fhlimmen Al 
des Abfalls auffaffen, und findet dann mit allem Recht darin bdenfelben abfoluten Fr 
vel, welcher fonft als Läfterung des heil. Geiftes bezeichnet wird. Im jedem Yale Pe 
diefer letzteren Anficht (neuerdings vertreten u. 4. durch Hofmann, Schriftbened 
Bd. 3. ©. 341 f.; Riehm, Lehrbegriff des Hebräerhriefs, S. 94 und Aler. v. Det 
tingen ©. 77 ff.) eine durchaus ungezivungene Begründung aus den betreffenden Stella 
zur Seite Auch führt die Natur der Sache, wie ſchon oben ausgeführt wurde, 
auf, daß bie Läfterung des heil. Geiftes eben auch in der Form des Abfalls F 
reits Bekehrten auftrete, und wenn man fich fragt, welche Geſtalt fie daum haben, u 
was die abfolut verdammende Urſache dabei feyn werde, fo muß man gerade en 
ſolche Anſchauung ſich bilden, wie fie durch die genannten Stellen in überaus faraftt 
riftifcher Zeichnung gegeben ift. Die abfolute Bedeutung der empfangenen Offenbarun 
(10, 26 u. 29), fowie das volllommene Maß des Antheils an derfelben (6, 41. u 
10, 29), fodaun der Muthwille, der Haß und die Verachtung, womit der Abfall pol 
zogen wird (6, 6. 10, 26 u. 29), emblich die fubjeltive Unmöglichleit der Belchrum 
nad; folchem Verhalten (6, 8.) und die objektive Nothivendigleit der verdammenden 
geltung (10, 27. 30 f.), alfo alle in Betracht kommenden Momente, werden in 








Steinhofer, M. F. ©. 171 


deb Veßpredigers blieb feinen Predigten fern, man vernahm aus ihnen nur den milden 
Tea des freundlich einladenden Seelenhirten. Seine Predigten find — mit anderen 
Bortn — faſt nur erbaulich und Iehrhaft, nicht eigentlich erſchütternd und erwecklich. 
Steinhofee war fo ganz im -da8 Menteftamentliche Clement eingetaudht, daß auch bie 
lee Spur einer gefeglichen Methode ihm fremd war. — Daß er nur das innerfie 
Element feines Lebens in der Predigt verkündigte, daß Lehre und Leben bei ihm fo 
gam harmonirte, mußte die Wirkung feines mündlichen Zeugnifjes auf die Herzen ber 
Zuhörer in auferordentlicher Weife verſtärken. „Beſuchet mich“ (fagt ex in einer An- 
rittäpredigt) „auch fleißig in meiner Wohnung, fo oft ihr ein Anliegen auf eurem 
Bergen habt. Ich hoffe, ihr werdet mich in meinem Studierzimmer nicht anders finden, 
old ih anf der Kanzel bin.“ 

I diefee Schilderung feiner Perfönlichleit und unmittelbaren praltifhen Wirkſam⸗ 
keit iſt auch eigentlich ſchon der Geift feiner Schriften gelenmtzeichnet. „Sein Geiſt 
lebt in ſeinen Schriften“, fagt Detinger. Dies iſt um fo mehr der Tall, als diefe 
Schriften (Beeigtfammlungen, Betrachtungen über biblifhe Bücher oder zufammen- 
hängende Schriftabfchnitte und praftifch erbauliche Commentare) ans feiner praktifchen 
Thätigfeit in Ebersdorf und Wilrtemberg hervorgegangen find. Jenes „mnausſprechliche 
Etnas“, welches feine Zeitgenofien an feiner Perfon bewunderten, muthet noch jegt dem 
ſumigen Leſer feiner Schriften an. Sie find gefchrieben ohne allen rhetorifchen Schmud, 
doch ober in einem für die damalige Zeit feinen und edlen Style. Die Hauptſache 
aber if, daß (nach Knapp's Bemerkung), aus ihnen uns der Geift eines Mannes an- 
weht, der im Heiligthum feines Gottes durch einen langen Wandel im Licht mit feliger 
Serrenserfahrung fich eingelebt hat, und überall den Stern von der Schaale zu fondern 
xlerat hat. — Bon dem Geift und Grundton feiner Predigten ift ſchon oben bie 
Fee geweſen. Es wäre nur noch ein Wort über Ziel und Methode feiner Bibel» 
andlegang und Bibelbetrahtung beizufügen. Das Ziel, welches er babei 
bor Augen hat, if Bereicherung und Vertiefung der hriftlichen Heilserfenniniß, 
old Iren Mittelpunkt die Erkenntniß Chrifli und feines Werkes ihm unverrüdt 
oo Augen ſteht. Eine ſolche Vertiefung aber kann nad} feiner Anſchauung nur durch 
tin eben fo gründliches als einfältiges Forfchen in ber Schrift befonders im Neuen 
eflament erreicht werden. — Die Methode feiner Schriftforfhung und Schriftaus⸗ 
egug ift demgemäß eine nüchterne, evangelifch-einfältige, man Könnte fagen eine keuſche. 
xu Befreben if, die Schrift aus ihren eigenen Grundideen verfichen zu lernen, und 
u Sim des einzelnen Schriftivortes von dem Ganzen der Schriftwahrheit aus lebendig 
ad tichtig zu erfaſſen. Niemals Täßt er ſich dazu verleiten, aus einer mißverflandenen 
Stummgstendenz willkürlich geiftreiche Gedanken in eine Schriftfielle hineinzulegen. 
&r faht zunächſt nur auszulegen, was die betreffende Schriftftelle ihrem einfachen Wort⸗ 
fine md dem Contert gemäß fagen Tann und will, Daran knüpft ſich dann die 
Iutwidelung und Ausführung des biblifchen Gedankens, wobei er immer das 
danze der riftlichen Heilswahrheit vor Augen hat. Die Anwendung ift fletd ein- 
J und ſchlicht, ohne falſches Pathos und rhetoriſche Phrafeologie, aber warm, 
endig, auf eine reiche geiftlihe Erfahrung gegründet und darum zutreffend. 
Bei. Riehm's Vorrede zu Steinhofer'8 Hebräerbrief). Diefe Züge der Steinhofer’fchen 
Kbel anslegenden Schriften teagen unverlennbar das Gepräge der Bengel’fchen Schule 
fh. Eins unterſcheidet, ſoviel wir fehen können, Steinhofer'n von Bengel, nämlich 
of eine Vorliebe für apokalyptiſche Studien bei ihm nicht zu bemerken iſt. Auch die 
nofophiihe Richtung feines älteren Freundes Oetinger ift unferem Steinhöfer zwar 
übe getreten, er hat fi aber von unficheren Spekulationen gern wieder anf deu feften 

d der Schrift zurückgezogen. Seinen Iugendeindrüden fowie der Berkhrung mit 
a Örüdergemeine verdankt er eine befonderd innige Auffaſſung des Kernpunltes der 
vongeltichen Wahrheit, der Verſohnungslehre, welche er gern in ſolchen concreten Aus⸗ 
taden befpricht, wie fie eine lebendige Hergenserfahrung an die Hand gibt, ohne aber 





190 Sündloſigkeit Jeſn 


beanſpruchen, daß auch auf Erden der Gegenſatz des Weltreiches und des Gottesreich 
ſich dahin zuſpitzen werde, daß die beharrlich Ungläubigen der legten Zeit ſämmtlich i 
die Sünde der Geiftesläfterung follen und dadurch gleichfam da8 Signal geben werde 
daß die Welt zum entjcheidenden Endgerichte reif geworden ſey (vgl. einerfeits Offen! 
Joh. 14, 6 f. und andererfeitd 16, 9. 11. 2Cheff. 2, 3 f.). | 
Die Frage, wie der Seelforger fi) folchen Perfonen gegenüber zu verhalten hah 
welche in Gefahr der Geiftesläfterung ftehen oder fich felbft anflagen,, diefe Sünte h 
gangen zu haben, bildet ein nicht unwichtiges Kapitel der Paftorallchre. Om 
über von den Perfonen legterer Urt wird der fo ziemlich allgemein anerkannte Sm 
als richtig anzufehen feyn, daß, wo mit der Anklage wegen diefer Sünde ſich aufek 
tige Belümmerniß und ein Verlangen nad) Gnade verbindet, diefe Perfonen mit W 
Berfiherung zu beruhigen find, daß fie die Läfterung des heiligen Geiſtes nidt 6 
gangen haben, wodurd) natürlich fonftige ernfte Ermahnung zur Buße nicht ausgeſchloſſ 
if. Denn der wirkliche Geiftesläflerer kann wegen der bei ihm eingetretenen Berfloda 
fein Berlangen der Buße mehr kundgeben, fondern wird vielmehr in der Regel cm 
Zuftand völliger Sicherheit offenbaren. Daher ift auch der belamnte Franzet 
Spiera (f. den Art. Bd. XIV. ©. 668 ff.) ſchwerlich als Beifpiel eines La 
des heiligen Geiſtes aufzuführen, fo ernft auch fein Abfall und fein darauf gefol 
ſchrecklicher Zuftand der Verzweiflung, in welchem er geftorben ift, an die im Hehrät 
briefe gegebenen Warnungen vor dem Abfall erinnert. 
Die Literatur über unferen Gegenftand ift namentlich aus neuerer Zeit ſe 
reihlih. Dan findet fie ziemlich vollftändig aufgeführt in der umfafjend und forgfäll 
ausgearbeiteten lateinifchen Abhandlung von Alexander ab Oettingen: de pe 
in spiritum sanotum, qua cum eschatologia christiana contineatur ratiopune, d 
tatio; Dorpat 1856. — Befonders hervorzuheben find: Walch, progr. X. de m 
in Sp. 8. 1751 sqgq. M. F. Roos, Stuttg. 1771; C. L. Nitzſch 1802 (de p 
cato homini cavendo, quamquam in hominem non cadente); de Wette 1819; 1 
dann in den theol. Stud. u. Krit. die Abhandlungen von I. W. Gras hoff (1833.IV, 
I. 5. 8. Surlitt (1854. III), Tholud (1836.II., abgedrudt in feinen F 








Schriften Th. II.), ferner Ph. Schaff, Halle 1841; Riggenbach in den „op 
getiſchen Beiträgen“, Bafel 1863 (gründliche Darftellung zunädhft für gebildete Fa 
wozu man noch vergl. die Lehrbücher der chriſtl. Ethik von Harleß, Rothe, Bat 
Balmer, endlich I. Müller, Lehre von der Sünde; €. I. Nitzſch, Syſtem d. dl 
lichen Lehre; und Hofmann, Schriftbeweis. Hermann Bi 

StindIofigkeit Jeſu. — Die Sündlofigkeit Jeſu bildet bis auf die Zeta M 
Rationalismus die allgemeine Vorausfegung der Lehre von der Berfon Chrifti in 
niedrigften Form des Ebionitismus wie in den höcften Ausfagen der fireng trini 
fhen Chriftologie. Als Beſtreiter derfelben ift aus der äfteften Zeit Celf ns, & 
Bezweifler der Gnoſtiker Baſilides zu nennen. ‘Derfelbe nimmt ein äuagrgoor | 
Chriſto an, um deffen willen er auch durch Leiden büßen mußte, wie dies feiner da 
liſtiſchen Weltanfhauung entfprad. (Vgl. d. Art.) Imnerhalb der kirchlichen Cut 
lung der Chriftofogie hat unfere Frage aber allerdings mittelbar eine fehr bede 
fame Geſchichte durchlaufen, nämlid, in der Befprehung und Beantwortung ded 
blemes, wie fih die fündlofe Heiligkeit Chriſti zu der Freiheit d 
menfhlihen Willens verhalte. 

Der tief eindringenden Reflerion des Origenes entging die Bedeutung Bi 
Problemes nicht, und er hat e8 im Zuſammenhange mit feiner Hervorhebung der m 
lichen Willensfreiheit überhaupt und feiner eigenthilmlichen Lehre von ber Prägi 
der Seelen durd; die Annahme zu Iöfen geſucht, daß die Seele Jeſu fchon im ver 
fihen Zuftande durch die Kraft der Liebe völlig umd mmanfldslic, mit dem götll 
Logos fi) verbunden habe. Diefelbe hat dadurch die Natur des Logos völlig in | 
aufgenommen wie ein bom feuer durchglühtes Eiſen, fo daß das Gündigen f 





Sundloſigkeit Jefn 191 


fe ze Inmöglichleit geworben if. Hoc ergo modo illa anima, quae, quasi ferrum 
in gw die semper in verbo, sapientia, Deo posita est, omne quod agit, quod sen- 
tt gard intelligit, Deus est, et ideo neo convertibilis aut mutabilis dioi potest, 
me meonvertibilitatem ex verbi Dei unitate indesinenter ignita possedit. (Dorner, 
Gieidiungsgeidhichte m. |. f. IL. ©. 681). Während duch Baul von Samofata 
tie Coſequenz des im ber .origeniftiichen Lehre wirkſamen Prinzips der menfchlichen 
Freiheit dahin ausgedehnt wurde, daB er nur noch eine Einwirkung oder höchften® 
Eiwohaumg des nicht mehr hypoſtatiſch gedachten Logos flatuirte, die Iucarnation da⸗ 
ggen fallen ie, fo fehen wir bei Apollinaris von berfelben Borausfegung der 
umfhüchen Wahlfreiheit aus die umgekehrte Lehre aufgeftellt, daß der Logos am die 
Eile ded soüc und zreüua in der menfclichen Seele Chriſti getxeten fe. Dem 
ar tar diefe Annahme Lönne das zpenrör und die Sünde von Jeſu ausgefchloffen 
ven. Paul lehrte von Jefu, vozepor ausdr uerd ııv tvardowWnnow dx npoxohiis 
nannte, To Tiv Qvow ürdownor yeyoriva. Ueber Apollinaris be- 
uch Domer: Ehrifius if} ihn ia yuoıs, Ein Weſen, worunter er fowohl die Ein- 
ke Perſon als die. wefentliche Einheit der zwei Seiten, des Göttlichen und Menſch⸗ 
ka, verfieht. Der Einheit der Perfon entfpricht die Einheit des Willens nnd 
denlens. Das ſtets GHegemonifche in diefer Einheit if} der zum vous Erampxog ges 
umdee Logos. Daher iſt Chriſtus über alle Uebung (ccxnouc) hinansgehoben. Ohne 
p ira mußte er weife feyn und heilig von Geburt (a. a. D. ©. 1021 ‚vgl. S. 997). 
Deohl diefe Anficht duch Athanafins belämpft wird, fo ſchließt body auch er von 
Okifo die Wahlfreiheit ans, wie dies in der nmatärlichen Eonfequenz einer Chriftologie 
et, weile von dem doppelten Streben energifch beherrfcht if, einerfeits die volle 
Onttet in der Perſon Ehriſti zu fegen und andererfeits diefe Gottheit ganz ummittel- 
ve mr ig hereinzuziehen im die Menſchheit (Dorner S. 973). für die abftralte 
wo ſrhn Unffaffuung der mienfchlichen freiheit bei dem griechifchen Bätern insgefaumt 
Br d j her überhaupt unmöglich, die Gottheit in Chrifto mit feiner Menfchheit 
af we eihifchem Wege zu vermitteln. „Wpollinaris iſt der Verräther der wahren 
Umtan des griechiſchen Standpunltes; das Menſchliche ift das vom Göttlichen 
Ueniiigte und genen genommen ift die Einheit des Böttlichen und Menſchlichen in 
Chris fen durch den ült der Menſchwerdung felbft geſetzt; die Einheit des Gbtt⸗ 
üben md) Menſchlichen if eine fubflantielle und ummittelbare; aber fie ift keine ver⸗ 
mike ud wahrhaft ethiſch vermittelter (anderer über das Verhältniß von Gnade 
R) reibeit in dem Sahrblüchern für deutfche Theologie II. ©. 668). 
‚Die nähfifolgende Periode der chriſtologiſchen Entwidlung tritt unferem Problem 
"an näher, als fie ſich fpeziell mit dem Verhäftniffe der beiden Naturen in Chrifto 
Mfg; aber fie zeigt im Grunde mur die Wiederholung derfelben Gegenſätze. Die 
hoher Diodorns von Tarfus und Theodorus don Mopsveftla fegten die 
kehe des Paulus von Samofate fort. Sie behaupten namentlid im Imtexefle der 
Widlihen Freiheit die Selbfifländigkeit und Bollfländigleit der Menſchheit neben der 
Ihe und laſſen beide nur wie Mann und Weib in der Ehe mit einander verbunden 
M (wagen); dabei hält fid, aber die Menſchheit in fletiger Unterordnung gegenüber 
der Gottheit, theils nad) göttliher Borausfiht und Wahl, theils vermöge ihrer 
ung ans dem heiligen Geift umd der Bereinigung des Logos mit ihr, fo daß 
m Einer Aktnalität zufommentreffen. Neforins hatte nur die Schuld, diefe 
—X anf eine für das kirchliche Bewußtſeyn anftößige Weiſe zum Ansdruck zu 
Eayın, wie dies für die umgelehrte durch Eyrillus von Wlerandrien vertretene Un- 
bei Eutyches der Fall war. Es war dody im Grund dasfelbe, was fchon 
gelehrt hatte, nur in noch flärterer Behauptung, wenn Cyrill und Eutyches 
Welten, daß eine Zrwors Yuan) wiſchen Gottheit und Menfchheit in Chriſto durch 
"a In der Menſchwerdung des Logos zu Stande gekommen fen, fo daß nur noch ia 
We, nämlich die göttliche, thatjächlich nur mit dem Scheine menſchlicher Attribute 


192 Sündlofigleit Fein 


befleidet, vorhanden ifl. Auf diefem Standpunkte hörte die Sundlofigleit Chriſti freili 
auf, ein. Broblem zu feyn. Und fo wenig nun die widerſpruchsvollen ormeln d 
halcedonenfifhen Glaubensbelenntnifjes zur Löſung unferes Problems nıötrage 
fo ift doc der Gewinn hoch anzufchlagen, daß wenigſtens der Abſicht nad) die Selk| 
fländigfeit und VBollftändigfeit der menſchlichen Natur Chriſti und damit die ethild 
Wahrheit feines Wefens und feines Erldfungswerkese durch diefelben gewahrt wirt 
Dies iſt noch entfchiedener für unfere Frage duch die fchließliche kirchliche Entſcheim 
in den monotheletifchen Streitigkeiten gefchehen, welche confequentertveife dehl 
ausfiel, daß duae voluntates nnd duae operationes in Chrifto anzunehmen feyen. € 
wird -dabei vorauögefeßt, daß der menfchliche Wille dem göttlichen ſich fortwährend uma 
ordne (Erreroı bei den Griechen); aber, abgejehen von der Schwierigkeit, welche 
Einheit des Bemußtfeyns bei der Annahme von zwei Willen darbietet, bleibt audi 
doppelte Frage unbeantwortet, wie denn überhaupt ein freier menfchlicher Wille a 
einem abfolnten göttlichen in der Einheit einer Perſon zuſammenbeſtehen könne, od 
. wenn man bon der Realität der menfchlichen Freiheit ausgeht, worin die Bürgſche 
für die ftetige Webereinftimmung des menſchlichen Willens mit dem göttlichen Lig 
„Die Grundzüge diefer Unfchauung fegen ſich in der abendländifchen Chrifoiy 
Jahrhunderte hindurch fort. — Wie freilich bei diefer Doppelbeit der Willen ci 
Burgſchaft dafür gegeben fen, daß der menſchliche Wille Chriſti mit dem göttlich 
znfammenflimme, das wird von diefer Seite nicht gefagt. Denn auch die reine ah 
mitiſche Menfchheit genügt nicht, da fie ja fallen konnte, konnte fie es aber nid, 
fie von Anfang vollendet war, wie 3. B. Marimus (der bedeutendfle Vertheidiger 
Lehre von den zwei Willen) meinte, fo fehlt es an der Wahrheit der Menſcheh 
(Dorner IL ©. 253). Dagegen ſuchten die Griehen, wie 3. B. and) abſch 
Johannes von Damascus, immer wieder die naturgemäße Abhängigkeit M 
menfhlihen von dem göttlichen Willen im Anfchluß an die Formel des Areopagik 
von der Feavdgıxn Evrkpysın geltend zu machen und dieſe beſonders noch dadurch fc 
ftellen, daß fte die Hypoſtaſe der menfchlihen Natur nicht neben, ſondern im dem Logs 
begründet feyn ließen. Aber eben damit war nur die Gefahr des Monophufitiäus 
erneuert, wenn man auch an die Stelle der ua var die negıxWonoıs und den rodı 
arsıddoewg unter den beiden Naturen einſetzte. Treffend bemerkt hiezu Dorm: 
„Ueberfchaut man diefe® chriftologifche Refultat der alten Kirche, fo iſt upläugbe, ki 
in ihr der Abſchluß noch nicht kann gefunden werden, fo groß ihr traditioneller Ki u 
die neuere Zeit reichender Einfluß auch if. Sie verkürzt die menfchlicye Natu, des 
fie apollinarififh auf den Rumpf einer menfhlihen Natur dat 
Haupt der göttlihen Hypoftafe fegt und fo auf Koften der Menſchheit fir I 
Einheit der Perfon forgt. Nicht minder aber, und das ift nur dieſes Fehlers Ak 
feite, läßt fie im ihrer ganzen Naturen- und Willensiehre das Göttliche und Melk 
lihe nur äußerlid, mit einander verbunden werden und beide Naturen, unverändert sul 
in ihren Eigenfchaften, nur gleichfam in einander gefchoben werden“ (a. a. DO. IL ©. 273] 
Aus der Periode der Scholaftif kann nur die Berirrung hervorgehoben erde 
der Maria, als der Mutter des Herrn, gleichfalls Sündloſigkeit beizufegen, meld 
ſich, freilich noch unter dem Widerſpruch herborragender Kirchenlehrer, feit dem 12. Ich 
hundert immer allgemeiner bi zu der vom Pabſtthum in unferen Tagen zum Doge 
echobenen Irrlehre von der unbefledten Empfängnig derfelben fleigerte (Br. IX 
©. 94 ff.). Es gehört mit zu dem durchaus magifchen Karakter der meittelalterlick 
Anfhauungsmweife, daß man fein Bedenken trug, die Sündlofigfeit auch da hai 
durch einen phyſiſchen Allmachtsakt begründet fern zu laſſen, wo man ihre Gutflehen 
nicht mehr, wie bei Chriflo, aus der unio personalis mit der Gottheit herleiten fonzt 
Man weiß danm nur nicht mehr, warum Gott überhaupt noch feinen eingeborm 
Sohn und feinen heiligen Geift zur Erldſung der Dienfchen in die Welt gefandt dal 
flatt den viel kürzeren Weg allgemein einzufclagen, daß er duch phyſiſche Madtwirten 





Gänblofigteit Jeſu 198 


de Gift der Erbfünde bei allen nen entfichenden Menſchen wieder befeitigte. Es liegt 
in Me meueflen zömifchen Dogma von der unbefledten Empfängniß der Maria aud) 
fir die protefiontifche Theologie eine ernfle Erinnerung, and) der Sänblofigfeit Jeſu 
ci veſentlich ethifche Begründung und Durchführung zu Theil werden zu laflen. 

Auf den ethifchen Boden d. 5. auf den Grund einer mur innerhalb der ſittlich⸗ 
reigäfen Freiheit des Menſchen fich vollziehenden Bereinigung von Gottheit und Menſch⸗ 
keit wurde mm auch prinzipiell die ganze evangelifche Glaubenslehre durch die Refor- 
motion geflellt, indem bdiefelbe von dem Grundſatze der Rechtfertigung allein durch 
ven Glauben ausging. Zugleich gefellte ſich hiezu im dem formalen Prinzipe die For- 
derung, Chriſtum micht Mehr bloß aus der dogmatifchs liturgifchen Ueberlieferung der 
Kiröe, fondern unmittelbar ans ber heiligen Schrift, alfo in feiner reinen gefchichtlichen 
Orfelt teunen zu lernen. Democh kam es im Zeitalter der Reformation, teoß der 
teen umd Iebendigen Anfchauungen, welche, im Zufammenhange mit jenen beiden Grund⸗ 
kupipien, von den NReformatoren, befouderd von Luther, über die Perfon Chrifti 
atsidelt wurden, zu keiner dirschgreifenden Umgeflaltung des Dogmas im Sinne jener 
Kuipin. Die Dogmatit der nachreformatorifchen Periode aber if, mit allen ihren 
kön Verhandlungen und fdharffinnigen Ausführungen, welche fie befonders im 
Jtnefle der Abendmahlsſtreitigkeiten auf Intherifcher und reformirter Seite angeftellt 
kt, im Srunde nicht über den Standpunkt der alten Kirche hinausgekommen. Ober 
und bedentet, genau betrachtet, jener hauptfädlid; über die communicatio idiomatum 
joilden den Eutheranern und Reformirten geführte chriftologifhe Streit anders 
ds cine in mancher Beziehung fcharffinnigere und tiefer eindringende, in anderer Hin- 
hät aber auch leblofere und einfeitigere Wiederholung des alten Begenfages, welder 
hen zuifhen den Alerandriuern ind den Antiochenern über die fyrage der 
Bergung von Gottheit und Menfchheit in der Perſon Chriſti zu Tage getreten var ? 
wie vn mch beide Theile es nicht unterließen, mit dem Vorwurfe des Neflorianiemus 
md 6 Ertuchianismus einander zu begegnen. Speziell aber konnte ſich für die Frage 
kr Gudloſigleit Jeſu aus diefem ganzen Streite kein wefentlicher Gewinn ergeben, da 
it auetitas der menfchlichen Natur Jeſu auf beiden Seiten in der unio hypostatica 
a den Momente der Empfängnig und Geburt an nicht bloß als begründet, fondern 
umitelber fchom fertig mitgetheilt gedadjt und das non potuit peocare ohne weiteres 
dd Ariom ansgefprochen wurde. Diefes Ariom war auf Intherifcher Seite ganz confe- 
zuent, weniger ſtimmte es mit dem Saralter und ber weiteren Ausbildung der refor⸗ 
eirkn Chriſtologie überein. Es treten daher auch in den reformirten Darflellungen 
rielſach Anfäge zu einer fruchtbareren umd felbfifländigeren Behandlung unferer Frage 
. d. Chriſtus als Vorbild aufgefaßt) hervor. Indem die veformirte Lehre die menſch⸗ 
lihe Natur Chrifti doch eigentlic, nicht fubftantiell, fondern nur perfonell mit der gött- 
lihen verbunden feyn läßt, gehört anch die Sündlofigleit diefer Natur nur zu ben dona 
“ perfectiones ex vi unionis hypostaticae humanse naturae collata, und ziwar-durdh 
Nie Bermittlung des heiligen Geiſtes (unctio naturae humanae). Daher zeigt ſich die 
teiormirte Chriſtologie, theilmeife auch infolge eines noch unmittelbareren Anfchluffes an 
die geichichtliche Darftellung des Neuen Teflamentes, der Borftellung zugänglich, da bie 
Eindiofigfeit Jeſu eine wochſende Größe fen; der Gedanke einer fittlichen Entwicklung 
md Vervolllommnung des Herrn macht fich geltend, wenn auc jede Anuahme der 
Migliceit des Sündigens durch die unio hypostatica mit dem Logos umd durd die 
heifiihe Erwählung Jeſu ansgefchloffen bleibt (vgl. Schnedenburger vergleichende 
Oorftellung u. |. m. bei. 8. 27). 

Man Bunte nım erwarten, daß der Socinianismns die Frage nad; der Sind» 
„ja Jeſn im ein neues fruchtbares Stadium hinübergeleitet habe. Denn indem der⸗ 
Idbe die trinitariſche Boransfegung fallen ließ umd doch die abfolute Wedentung dee 
deſon Chriſti feſtzuhalten ſuchte, lag ihm ob, die letztere vor Allem durch den Nach⸗ 
weis der fündlofen Vollkommenheit Jeſu zu begrümden. Aber feinen ganzen Karalter 

VReel⸗Quehykiovadie für Theologie und Kirche. Suppl. IT. 13 ‘ 


194 Sündlofigteit Fein 


eines xein äußerlihen Supernaturalismus, der den rationaliftifchen und pelagiauiſqhe 
Inhalt des Syſtems nothdärftig ergänzt und zudedt, verräth der Socinianismus auı 
in biefem Stüd. Er ftelt nicht bloß die Sündlofigkeit Jeſu als Zhatfache, ſonder 
auch das non potuit peccare als Behauptung Bin, ja er läugnet fogar die wirtlid 
Berfuchbarfeit Iefu, und leitet diefen Karakter defjelben von der übernatürlicen E 
zeugung ab. Über weder vermag er ein foldes Wunder durch feinen Gottesbegriff ima 
lich zu begründen, noch kann er es bei dem Mangel des Heilsbegriffes zum Boll 
der Erlbſung verwerthen (vgl. Bd. XIV. ©. 516 ff.). 

Im der feit der Mitte des 18. Jahrhunderts eingetretenen rationaliftifdeı 
Periode wurde nun aber von der Anſchauung Jeſu ald eine® bloßen Menfchen aus in 
Sitndlofigkeit deffelben im fteiften Sinne aufgegeben. Aber während einzelne (Reimarel 
Bahrdt, Venturini, denen ſich in neueſter Zeit der Franzoſe Renan beigefelt hat) freiik 
fit fo weit verirrten, daß fie Jeſum zum feineren oder gröberen Betrüger ftempelie 
fuchte fowohl der philofophifche (Kant, Yalobi) als unphilofophifhe Nationalismus fe 
einzigartige fittliche Hoheit als bleibendes Vorbild und Beweis der Bbttlichkeit jeim 
Lehre nach Kräften in's Licht zu ftellen. Die offene oder fillfchweigende Räuguung M 
abfoluten Sündlofigfeit Jeſu hatte großentheils ihren Grund in der Seichtigkeit ſittlich 
und religidfee Anfchauung, in der Herabfegung der fittlihen und religidfen Grundb 
griffe von Sünde, Gerechtigkeit, Frömmigkeit u. f. w. zu bloßen Relativitäten, in einer 
eiteln Woblgefallen an der leeren Subjektivität und Freiheit. Aber fie beruhte dal 
auch andererfeitö bei vielen ernften Geiftern auf fehr reellen Bedenten, welche theil 
die tiefere und freiere Reflexion über die Natur Gottes und des Menfchen, über da 
Verhältuig von Idee umd Wirklichkeit, theils auch die eben erfi begonnene hiſtoriſh 
kritiſche Betrachtung der heiligen Schrift gegen die zweifellofe Behauptung einer able 
Iuten SHeiligleit Jeſu herborriefen. Denn dahin war die dogmatiſche Entwicdlung ge 
diehen, daß von der Gottheit Chriſti aus feine fündlofe Heiligfeit nicht mehr darf 
bewieſen werden, fondern nur wenn die fündlofe Heiligkeit des gefchichtlichen Cxlöfel 
auf felbfifländigem Wege aufgezeigt werden konnte, durften daraus die Folgerungen ge 
zogen werden für fein fpezififches Verhältniß zu Gott. 

Noch bis anf diefen Tag findet fic die chriftologifche Betrachtung auf diefen Gay 
‚der Entwidlung und des Beweiſes angewiefen, uud es erhellt hieraus, welche hohe de 
deutung die Trage nad) der. Sünplofigfeit Jeſu ale ſelbſtſtändiges geumdlegen 
bes Problem für die Ehriftologie der Gegenwart gewonnen hat. Wähe) 
fie für die Kirchliche Chriftologie bis zum Auftreten des Rationalismus nur die ſebſ⸗ 
verftändliche Folge der Gottheit Chrifti, nur eines der feſtſtehenden Attribute der st 
ihr geeinigten Menfchheit, geweſen war, fo erfcheint nun an ihren Nachweis und im 
Anerkennung der abfolute Karakter der Perfon Ehrifti und damit des pofitiven Ehriße 
thums gefnäpf. Schleiermacher hat in epocemachender Weife nicht nur didt 
Sachlage erkannt, fondern auch derfelben dadurch entfprocdyen, daß er die smfündliht 
Bolllommenheit und Urbildlichkeit des Erldſers, hergeleitet zunächſt ans der ſubjellide 
Erfahrung der Chriftenheit, in den Mittelpunkt der evangelifchen Glaubenslehre gefel 
und auf das Seyn Gottes in ihm, als allein genügenden objektiven Erflärumgsgrum, 
zurüdgeführt Hat. Und fo drehen ſich auch ſowohl die bedeutenden pofitiv exnewerndtz 
Wirkungen, welche von Schleiermacher's Theologie in Lehre und Leben der Kirche an 
gegangen, als auch bie eifrigen und fcharffinnigen Angriffe dex Kritik, melde badurh 
bis in die neuefte Zeit hervorgerufen worden find (vgl. Baur in der Kirchengeſchichte 
des 19. Jahrhunderts und Strauß „der Chriſtus des Glaubens umd der Jens de 
Geſchichte“), weientlich um die Anerkennung der fündlofen Vollkommenheit Iefu ald um 
den innerften Punkt, auf welchen der pofitive Chriftusglaube ſich zurückzieht, welchen © 
als feine legte, aber auch flärkfle und inhaltsreichfte Pofltion vertheidigt. Darum fat 
im Anfhluffe an Schleiermacher Ullmann ſich ein bleibendes Verbienft um Theologit 
und Kirche dadurch erworben, daß er unfere Frage durch eine eingehende Monographie in 


GSänblofigleit Jeſun 195 


been Beifle neuerer Theologie zu beleuchten umd zu Ldfen unternommen hat, und das 
Jutnehe ber Beitgemofien an diefer Frage hat die trefflichen Bemühungen des Verfaflers 
raerch belohmt, daß es ihm bei feinen Lebzeiten (dev erſte Entwurf erfchien 1828 in 
ya ‚heslogifchen Studien und Krititen“) das fiebenmalige Erſcheinen der Schrift nöthig - 
gescht hat. Uber andy für Theologen wie Hafe und Aler. Schweizer war die 
Eindiofgleit Yen der Bunkt, zu deflen Bertheidigung gegen den Rationalismus fie 
fh frühe aufgefordert fühlten (Hafe gegen Röhre in den „Streitfchriften« III. 1837 
kmie im Leben Jefu und in der Dogmatil; Schweizer in einem Wuffage über „die 
Opnitit des Religionsflifter6“ in den „theologifhen Studien und Kritiken“ 1834, II 
nd IV, 1887 III), umd unter den neueflen Vertretern einer ſehr weit gehenden hiſtoriſch⸗ 
hüten Betrachtung der Berfon Jeſu hat 3. B. Keim doch gerade für die Sünd- 
Lfgfent Jefu in warmer Entſchiedenheit und mit einfchneidender Begründung fi, aus- 
riprochen („der gefchichtliche Chriſtus⸗ S. 43. 106—116). Immerhin uod auf die 
See der Bertheidiger, jedody mehr oder weniger mit bedenklichen Reſtriktionen, flellen 
Me Bette (dyrifliche Sittenlehre Bd. I. 8. 50-53), Weiße (evangelifche Ge⸗ 
Ihe, beſenders in der philoſophiſchen Schlußbe trachtung), Ew al d (Gefchichte Ehriftus’ 
6.184 f.), Schenkel (Dogmatik, und ſehr ſchwankend im „Charakterbild Jeſu“ 
©. 35 und 39) und Weizfäder (evangeliſche Geſchichte S. 437f.) Das Beſtreben, 
de Eintiofigleit Jeſn aufrecht zu erhalten, ift jedenfalls auch bei dex eben angeführten 
Kite von theologiſchen Schrififtellern vorhanden; der Punkt, auf welchem dieſes Be⸗ 
ſehen in ihrer fonfligen Anfchauungsweife einen gewiſſen Widerſtand findet, iſt unten 
kmersheben; derſelbe macht ſich in geringerem Grade auch bei Haſe und Keim be- 
dlich hat die fündlofe Volltommenheit Jefn nicht bloß innerhalb 

e früfh. comfefftonellen (Thomafius, Hofmann, Philippi, Ebrard) oder der rein 
Willa(Ehmid, Bed, Beh, Riggenbach), fondern and innerhalb der von Schleier 
mqet apgangenen vermittelnden Theologie allenthalben ſowohl in den Bearbeitungen 
* fen Jefn (Neander m. A.) als aud) im den dogmatiſchen und dogmengeſchicht⸗ 
ide Onfelungen (Rothe, Liebner, Dorner, Nitzſch, 3. Müller, Lange, Mars 
kaf, Ehöberlein m. 9.) eine mehr oder weniger eingehende Begründung und Entwid- 
“in erfahren. Nur fordern die letzteren Darftellungen, melde die Sändlofigfeit 
üewiczend aus der Bereinigung des theologifchen Prinzips der heiligen Liebe mit dem 
hhiien Bewußtſeyn der Erlbſung durch Ehriſtum heraus, offenbar richtig, confiruiren, 
Meäber vom manchen eregetifch-hiftorifchen oder auch anthropologiſch⸗ pfychologifchen 
datenen der Keitik und Negation zur Erledigung der Frage in der Hegel noch das 
Iomplement einer hiftorifch- pfuchologifchen Detailunterfuhung. Diefem Bedürfniffe hat 
dorner Rechnung getragen, indem er beſonders gegen die fcharffinnige und vielfeitige, 
ram and) vielfach oberflächliche Stepfis des Franzoſen P&oaut (le Christ et la oon- 
"ns 1859 vgl. die Anzeige von Weizfäder in den Jahrbüchern für dentſche Theol. 
1 I) feine werthvolle Abhandlung über Jeſu fündiofe Bolllommenheit (1862 im 
a dahrbüchern für die Theologie, und in befonderem Abdruch gerichtet hat. Allen 
"ka Benähungen beſonders der pofitiven Bermittlungstheologie in unferer Frage legt 
W doppelte hohe Intereſſe zu Grunde, welches Liebner (Borrede zur Chriftologie 
. AX) ut den Worten ansfpricht: „Vegreifen wir den Gottmenfchen micht ethifch, 
' begreifen wir ihm gar nicht. Das war es doch and, wos Schleiermader mit 
m findios heiligen Chriſtus feiner Dogmatit wollte. — — — Der fündlos heilige 
riſtet if} ebenſo der Grängpunkt, jenfeits deſſen es überhanpt Fein Ehriftenthum mehr 
Mt, alt er der eigemthämliche elaftifche Punkt if, von welchem ans noch immer das 
IH volle Chriſtenthum wieder hervorgehen kann, wenn nur die rechten Mittel ange- 

et werden.“ 
dibliſche Grundlagen der Sündloſigkeit Jeſn. Als ſolche find vor 
Uen die ſchon im Alten Teſtamente niedergelegten Grundlehren von der Erſchaffumg 
"4 Renſchen nach dem Ebenbilde Gottes, von der Sunde als freier, pofltiver und 
ud 


196 Sändlofigkeit Fein 


allgemeiner, in die ganze feelifch-leibfihe Natur des Menſchen eingedrungener Verlehrn 
und Verderbniß, als Störung insbefondere auch feines richtigen Verhältniſſes zu Ge 
endlich von der auf Herftellung der wahren Gottesgemeinſchaft und Gottesgerechtigl 
gerichteten Heilsoffenbarung Gottes zu betrahten. Auf diefer Grundlage bildet | 
ihon im alten Bunde die Vorbereitung für die Erfcheinung des fündfos Volllommen 
nicht bloß in Gefeß, Lehre und Weiffagung, fondern insbefondere and in dem Ki 
treten von Oottesmännern, welche, wenn auch; noch unvolllommen, den Zihpns | 
Gottesgerechtigfeit am ſich darftellen, und zugleich al8 Organe Gottes für die Herſtele 
derfelben unter ihrem Volke, vorbereitend unter allen Völkern, thätig find. Die Inte 
männer find zugleich Knechte Gottes; fe finden ſich hauptſächlich unter dem Prophes 
Aber fhon Abraham und Mofes gehören in diefe Neihe, und auch ber theofratiil 
König follte wenigftens der Idee nad, in biefelbe gehören. Mit der Idee des Meffi 
verfnüpft fi die Idee des Gerechten und bes Snechtes Gottes im eminenten Sm 
wie er in SIefaia von Kap. 40 an befchrieben ift, ganz von felbft (vgl. ben 4 
Meſſias IX. ©. 415). Nur lag die Vereinigung allee Momente noch nicht im Ber 
dee borbereitenden Offenbarung, und fo jehen wir auch die weitere für unfere du 
bedeutfame Weiffagung und Hoffnung einer vollfommenen und allgemeinen Dittbeilu 
des heiligen Geiſtes zum Zwecke der religids- fittlichen Erneuerung und Vollende 
(Joel Kap. 3. Ezechiel 36, 26 f. vergl. Ierem. 31, 31ff.) zwar mit der mefflaniid 
Zeit, aber nicht ummittelbar mit der Perfon des Meſſias verbunden. Endlich fit 
wir die ebenfo mit der Erwählung des Volles Iſrael als mit der Perfon des Meff 
verfnüpfte Idee der ottesfohnfchaft noch nicht ummittelbar erfüllt mit der Ye! 
bollfommenen Ootteögerechtigkeit. Aber in einer gewiffen Berührungsnähe treten | 
genannten Elemente, deren Vereinigung in der Idee des fündlos volllommenen Gott 
Sohnes und Exldfers culminirt, alle fhon im Alten Teſtamente auf. | 

In Jeſu von Nazareth fehauten nun feine Apoftel die Erſcheinung diefes fündl 
vollkommenen ottesfohnes und Erldfere, und er felbft gab ſich unzweidentig das Ze 
niß, es zu feyn. Weit entfernt, daß der Zuſammenhang der apoflolifchen Ausien 
und des eigenen Zeugniſſes Jeſu mit den genannten Ideen und Vorbereitungen N 
Alten Teftamentes deren objektive Wahrheit zu ſchwächen geeignet wäre, als hätten ii 
nad) der gegebenen dee die nur annähernd entſprechende Wirklichkeit aufgefagt m 
befchrieben (Strauß), dient jener Zuſammenhang vielmehr zur Bekräftigung der ui 
führenden Zeugniſſe. Das populäre jüdifche Meſſiasideal verhüllte ja vielmehr Arte 
ethifch.religiöfen Kern der altteftamentlichen Weiffagung, und wenn num Jeſus nik Nf 
die Elemente deflelben entdedt, fondern fie auch im ihrer reinſten Vollendung p @ 
heitlichee Darftellung in feinem Zeugniffe durch Wort und That gebracht hat I 
auch letzteres wird ihm im Orunde von den Gegnern zuerkannt), fo weiſt diefe Tim 
fache nur darauf hin, dag im ihm nun Derjenige erſchienen, ift welchen es von Ge 
verliehen war, die auf ihn zielende Vorbereitung in fchöpferiicher Originalität der © 
kenntniß und des Lebens zur Vollendung zu führen. Für das Zeugniß feiner Yin 
aber wird man aus jenem Zufammenhang mindeftens fo viel im voraus ableiten müſſe 
daß es jedenfalls mehr befagen wollte als das befannte Zeugniß, welches Tenodbe 
feinem Lehrer Sofrates mit den Worten ausgeftellt hat: ovdeic de nwzore Zumgaroe 
odder aoefig ovdE avdaıv ovre nodtrovzog eldev, ovre Alyovrog Imovan (Me 
lib. I. cap. 1. 8. 11.). Daß theilweife gewiß fchon vorher und fodann in der Schal 
Jeſu an den reinflen ethifchen Ideen des alten Bundes gebildete Urtheil feiner Zünge 
mußte doc wahrlich tiefer dringen und einen höheren Mafftab anlegen, als der Shik 
des griechifchen Philofophen, welcher von dem im Chriftentyum gegebenen reale füsl 
loſer Heiligkeit felbft weit entfernt war. | 

Die einzelnen Stellen, in melden von den nenteflamentlichen Schriftftellern I 
ousdrüdlic das Prädikat der Sündlofigkeit oder Heiligkeit beigelegt wird, find zwi 
immerhin wichtig als Beweis für die feſtſtehende Ueberzeugung der unmittelbaren Jane 








Sändlofigleit Jeſn 197 


Ka ed fänmtlicher apoflolifher Männer; aber fie rühren theild von folchen her, 
wide wie Banlus und der Berfafler des Hebräerbriefes, Iefum während feines Wandels 
auf Erden micht beobachtet haben, theis laſſen fie ſich im ihrer Allgemeinheit und ihrem 
Saltsfigen Auftreten zumähft immer noch als ummittelbare Folge des Blaubens an 
om ale dem erfchienenen Meffias auffaflen, wenn auch die. Sündlofigkeit nicht zu 
en populären PBrädiloten des jüdifchen Meffias gehörte, wie fie ſich ja theilweife auch 
m olstelamentliche Stellen (Jeſaia 53, 9) oder Unfchaunngen von der Heiligleit des 
Briefe oder Opfers anlehnen. Solche Außsfagen finden ſich Apoftelgeich. 3, 14. 22, 14, 
I Ser 1, 19. 2, 21. 8, 18, 1 Joh. 2, 1. 8, 5; bei Paulus theils direkt 2 For. 
s, 21 theile indirelt in Röm. 5, 12 ff. 1, 4. 1Kor. 15, 45 ff. Roͤm. 8, 3 und 
Fülpp. 2, 8; im Briefe an die Hebräer 4, 15 umd 7, 26 ff. Die paulinifhen 
Stellen jagen wicht bloß die Thatfache der Sündlofigleit Jeſu aus, und zwar in 2 Kor. 
%, 21 mit ansdrücklicher Berneinung alles perfönlichen Sündenbemußtfeyns, alfo auch 
wie Bedanfenfünde; fondern fie begründen bereits die Sündlofigfeit durch das pneu- 
wilde Weſen Chrifti, welches aud auf feine oup& feinen Einfluß dahin erftredte, 
beh Diefelbe der oapE Auaprias nur ähnlich, felbft aber von der Sünde rein war. Man 
Rem noch die Frage aufwerfen, ob filh Paulus das pneumatifche Weſen Chrifli als 
ame abſolute, an fich im Guten unveränderliche Kraft vorgeftellt, oder ob er einen fitt- 
ihr Lampf und die Möglichkeit des Sündigens bei Chriſto zugelofien habe. Seden- 
hd iſt die letztere Annahme nicht unbedingt auszufchließen, und zwar fcheint fle fogar 
Me dem At der Selbfientäußerung in Philipp. 2, 6f. dem Apoſtel vorgeſchwebt zu 
Iben, wenn die Erklärung richtig iſt, daß Chriflus dort ale Gegenbild nicht bloß des 
een Mom, fondern höher hinauf des Teufels, dargeftellt fen, welcher die Gottgleidh- 
heit al einen Raub am fich reifen wollte. Es entipricht überhaupt der ganzen Stellung, 
mmdde wir bei Paulus den Sohn zum Vater gefept finden, daß die Durchführung 
der rilingsinerkes auf dem Wege der äußerfien Selbfverläugnung als fittliche Pflicht 
der Sehnch gegemüber von dem Bater erfcheint, wozu freilich hinzuzunehmen if, daß 
der Enkı ebenfo ans freier Liebe, wie aus volllommenem Gehorfam, diefer Pflicht fich 
unterieht (Bel. 2, 20). Es if von Werth, diefen in erfler Linie nicht metaphufifchen, 
Intern weſentlich ethifchen Karakter der pauliniſchen Chriftologie wohl in's Auge zu 
fen. Ganz entfprechend der paulinifchen ift die Auffaffung der Sündlofigkeit Jeſu 
m Briefe an die Hebräer, wenn aud die Darftellung hier von der Idee des 
Ad fethft opfernden SHohepriefters, dort mehr von dem Gedanken eines den Ungehorfam 
mit feinen folgen durch feinen volllommenen Gehorfam wieder aufhebenden 
yfihen Stammvaters beherrſcht iſt. Auch im Bebräerbriefe finden wir eine neue 
Mtlihe Kraft, beziehumgsmweife Hypoſtaſe, in Chrifto gefegt, welche feine Freiheit von 
r Sünde begrüudet (1, 1 ff. 9, 14 dıa nmveiuarog ulwrlov); aber diefe Grundlage 
er Perſdnlichteit fchließt für den mit Fleiſch und Blut behafteten gefchichtlihen Er⸗ 
Ber dat Lernen des Gehorſams und den ſchwerſten fittlihen Kampf nicht aus. 

Aber es handelt ſich ja bei unferer Nachfrage nach dem apoftolifhen Zeugniß in 
Mer Linie wicht mm die Theorie von der Sündlofigkeit Jeſn, fondern um den gefchicht- 
ihen Verth der apoſtoliſchen Ausſagen, und hier müfſen wir uns zunächft zu den Urapoſteln 
w ihrer Darſtellung von Chriſto zurücdwenden. Hier liegt das entfcheidende Moment 
Meabar eben in ihrem Glauben an Yefum als deu Meffias, nod be» 
lmmter in ihrem Zengniffe don ihm als dem Sohn Gottes, mom 
kan noch die in den Evangelien vorliegende Raraltergeihnung Jefn 
fh gefellt. Weder überhaupt der Glaube der erſten Jünger an Jeſum als den Mefflas, 
wi intbeſondere ihr fpezififches Zengniß von ihm als dem Sohne Gottes, wozu jener 
Ölcnbe im Umgange mit ihm ſich fortgebildet hat, noch endlid die gegebene Karakter⸗ 
Mänung Jeſn erfcheint denfbar und erflärlich, wenn nicht Jeſus den in feiner Perfön- 
hält begründeten Eindrud fündlofer Heiligkeit auf feine Jünger hervorgebracht hat. 
den kejsuderer Bedeutung ifl namentlich; der zweite Bunt, die [pezififche Anerkennung 


198 Sündlofigkeit Jeſu 


Jeſu als des Sohnes Gottes durch feine Jünger, wie wir diefe am prägnanteften u 
ollen Zügen eines epochemachenden gefchichtlichen Ereignifjfes in dem Xelenntnig d 
Petrus (Matth. 16, 16 vgl. Joh. 6, 58 f.) ausgefprochen finden. Es ift ganz dentli 
daß der abfolute Karalter, welchen die Jünger des Herrn ihm durch diefe Anertenm 
beifegen, für fie nicht fowohl in theofratifhen Vorſtellungen als vielmehr in dem fittki 
religiöfen Eindrud begründet ift, welchen fie von Jeſu empfangen haben. Die in d 
Umgange mit Jeſu gebildete Weberzeugung von feiner religiös-fittlichen Volllommenh 
und bon feinem einzigartigen VBerhältniffe zu feinem himmliſchen Vater, welde fie, 
der Anerkennung feiner Gottesfohnfchaft ausfprechen, bildet für fie erſt den Grundi 
on Jefum gefnüpften theofratifchen Hoffnungen. Neuerdings haben Keim (a. hr 
©. 84 f.) und Weizfäder diefen Gefihtspunft in Beziehung auf das Sohnesben] 
ſeyn Jeſu felber nachdrüdlich hervorgehoben; er findet aber gleichermaßen feine Anke 
dung auf den Glauben und das Belenntniß feiner erften Jünger. Sie Tonnten ü 
unmöglich jene einzigartige Beziehung zu dem Bater im Himmel in ihrem Berwuft| 
zumeifen und den Stifter des Himmelreiches, über deflen religiös-fittliche Natur i 
doch jedenfalls ein entfcheidendes Licht aufgegangen feyn mußte, in ihm erkennen, io 
Jeſus nicht in dem übermenfchlihen Glanze eines fündlos Heiligen ihnen erſchi 
Diefe Reflexion ergibt fid) ebenfogut aus den Synoptifern als aus dem vierten Em 
gelium, wo mir freilich diefen Sachverhalt befonderd deutlich ausgeſprochen fiat 
(Joh. 1, 12—18.) 
Seine vollendete Beftätigung empfängt mun aber das Zeugniß der Apoftel a 
dem Selbftzeugniffe Jeſu, welches wir deßhalb unmittelbar hier anreihen. D 
hierin der Nerv der ganzen gefchichtlichen Nachforfhung nach der Sündlofigleit & 
liege, iſt von den Beftreitern, wie von den Bertheidigern, gleichmäßig anerlanut. ( 
handelt fi auch hier zunächſt nicht um vereinzelte Ausfagen, fondern um bie ga 
Selbftdarftellung Jeſu in Wort und That, und zwar mag die Apologetif auch hid 
getroft gegenüber von den Zmeifeln der Kritik an dem johanneifchen Chriftus zus 
von dem Chriftus der Shynoptifer ausgehen. Es darf als das Reſultat einer nur mi 
zum voraus gegen alle poſitiven Ergebniſſe eingenommenen durchaus kritiſchen Vetradtu 
auch des ſynoptiſchen Chriſtus angeſehen werden, daß derſelbe, und zwar vom Bei 
feiries Öffentlichen Auftretens an, durchaus von dem fpezififchen göttlichen Sohneshemi 
feyn getragen wird, aus diefem heraus als Stifter des Himmelveich redet und handelt (uff 
Ullmann und Dorner ebenfo Hafe, Weizfäder, Keim, denen z. 9. d 
Holgmann und annähernd Schenkel beiftimmt). Der Jeſus, welcher fi X 
Menfhen und Gottes Sohn nennt (Matth. 18, 11. 9, 6. 16, 26. 11, 252.1 
13 ff. 17, 26. 21, 37. 22, 2), welcher ſich als den Stifter und Herrn des Hinz 
reiches und zufünftigen Richter der Welt darflellt, welcher dabei überall bie ducdhan 
ethifche Natur diefes Reiches, feiner Gründung und feines Entwidlungsganges, heim 
hebt, welcher ſich die Vollmacht beilegt, Sünden zu vergeben und feinen Tod in Ba 
und Stiftung als das Mittel der Erlöfung der an ihn Glaubenden, als die Grundig 
des neuen Bundes, der vollkommenen Gemeinfchaft mit Gott, hinftellt (Matth. 20, % 
26, 28), welcher an feine Perfon die volle Wirkfamfeit und Sendung des heilig 
Geiſtes geknüpft weiß (Matth. 12, 28 ff. 10, 19f. 28, 19): dieſer Jeſus muß © 
durchaus unmittelbares und untrügliches Bewußtſeyn feiner einzigartigen Gottehlol 
fhaft von Gott her in fich getragen haben. Schon diefes ganz und gar and dA 
innerften Geifte und Weſen der Religion geborene, die höchften ethifchen Impulſe u⸗ 
Dffenborungen an ſich tragende und mittheilende Selbſtzeugniß Jeſu ſchließt jede AM 
lichfeit der Selbfttäufhung oder gar des Betruges aus. Die Gefchichte, mamenl 
auch des religiöfen Lebens, zeigt, daß der Menſch, fey es in eigenem Auffchmung de 
Geiſtes, fe es emporgetragen durch eine trübe Mifchung göttlicher und menſchlihe 
Impulſe, auf manche Höhe ſich zu ſtellen vermag: aber auf jene höchſte Höhe 
welcher wir Jeſum erbliden, Konnte body feiner bloß menfchlicherweife fich ſtellen, cho 








J 


GSlubloſigleit Jeſn 199 


micer durch den tiefflen Fall die Nichtigkeit feines Beginmens und Borgebent zu 
sisleren. Der beſonders als entſcheidend ausgehobene Mittelpunkt des Selbſtzeug⸗ 
bei Jehannes, der Ausipruh: Zya) xal 6 narne Ev dauer (10, 80 vgl. 
14, 9) bringt, wenn ex wach feinem Zuſammenhange zunächſt als gefchichtliche Ausfage 
shefeht wird, wur in prägnanter Bezeichnung den Srundgehalt auch des funoptifchen 
| zum Unsdrud. Daß nun das Zeugniß von einer ſolchen abfoluten 
' frenfeinheit des Sohnes mit dem Vater zugleich die Behauptung volllommener Sünd- 
iofgleit in ſich fchliehe, verfteht fi) mad) dem bereits hervorgehobenen durchaus ethifchen 
des Zengnifſes Jeſn von felbfl. Wenn die fpezififche Sottesoffenbarung Jeſu 
ws Gott als die Liebe kennen lehrt, fo ift darin die altteflamentliche Lehre von der 
Heiligleit Gottes nicht aufgehoben, fondern bewahrt, und Jeſus hat ja gerade durch bie 
en dem Bater im Himmel die tieffte und innerlichfte Suündenerkenntniß und 
it iebendigfe Schuldbewußtſeyn aufgewedt. Die Heinheit des Herzens, die Volligkeit 
der fiche und des himmliſchen Zrachtens, die Lanterfeit der Froͤmmigkeit und des ganzen 
Biſent, die Bollfommenheit der Gefinuung und des Handelns nadı dem Vorbilde be® 
Vanlifhen Boters, die tiefle Demuth und Selbfiverläugnung, bie aufrichtigfte Rene 
m Untehr des Sünders waren bie von Jeſu gerade auf Grund feiner Predigt von 
ka himliſchen Bater geftellten fittlichen Forderungen. Wenn ex fi nun die voll 
hunese Einheit mit feinem Vater beilegt, kann er ſich bewußt gewefen feun, diefe 
jerderungen auch nur innerlich, in irgend einem Stüde verlegt oder unerfüllt gelaflen 
a hiben? Wäre es ihm bei dem innigen Zuſammenhange, welcher zwiſchen Erkenntniß 
u Bilen namentlich auf dem veligids » fittlihen Gebiete flattfindet, auch nur möglich 
penehen, jenes Ideal der volllomimenen Gottesgerechtigkeit aufzuflellen, wenn er es nicht 
dewirllicht und Tebendig in fich gefunden hätte? Endlich, kaun er fi, wie er durch⸗ 
wg fat, old ben Erldſer, den Geſetzgeber, das Vorbild, den Hichter der Menfchen, 
ob Yen Träger und Ausrichter der heiligen Liebe Gottes hinftellen, wenn er fidh nicht 
nimm im WBefig diefer Liebe, alfo rein und frei von Schuld und Sünde wußte? 
Dam a fein in dem Tod gegebenes Leben als ein Sühnopfer für die Anderen bezeich- 
em, wenn es nicht heilig war? Wir müßten dieſes für unmöglich erflären, auch wenn 
ui leine ausbrüdlichen Uusfprüche überliefert wären, worin Jeſus feine Sundlofigkeit 
beheaptet Rie hören wir ihn, audy nicht im vertrauteſten Kreiſe der Seinen, auch 
uch in den Stunden des ſchwerſten Leidens und der heißeften Anfechtung, um Gnade 
u) Bergebung der Sünde für ſich beten; vielmehr tritt uns gerade aus jenen tiefften 
Erafyern zu Gott, weldhe ihm die Stunden "des härteflen Kampfes ausprefien, nur 
v6 merſchütterte Bewußtſehn der eigenen Schuldlofigfeit entgegen (Matth. 26, 39. 
3, 46 vgl nt. 23, S1). 

Über ex hat fi auch auf feine Sündlofigleit ausdrücklich berufen zum Beweiſe 
für die Wahrheit feines Senguifles, am unmittelbarften in der befannten frage, melde 
oa Euther ganz richtig überſetzt if: „Weldher unter euch kann mid; einer 
Sunde (nit: Jerthum) zeihen? Joh. 8,46. Es kann nad, dem ganzen Zuſammen⸗ 
bang (vgl. noch bef. V. 50 u. 55) gar fein Zweifel darüber feyn, daß Jeſus hiemit 
Kine abſolute Gümdlofigfeit begengen will. Jede nur relative Deutung des Wortes 
woht and demfelben im Munde Jeſu entiveder eine nichtsſagende oder eine heuchleriſche 
dereſe (Ulmann S. 66 fi.) Als weitere direfte Zeugnifle aus Johannes köonnen noch 
I, 80 und eitva 10, 36 angeführt werden (Hofmann im Schriftbeweis). Als ein 
wihtiges, wenn auch für ſich allein nicht entſcheidendes Selbſtzeugniß über feine Sund⸗ 
loſuten iſt auch die bei den Symoptikern anfbewahrte Rede Iefu an Petrus anzuſehen: 
W Mori za ou Heoü Alle za saw ardounwr, Matth. 16, 23. Es klingt jeden⸗ 
lg der allgemeine Grundfag daraus hervor, feine Geſinnung und Handlungsweiſe 
in Mebereinftinnung mit Bott zu erhalten, und zwar auch dann, wenn ihm 
Yabınd) Opfer auferlegt werden, welche den Gefictskreiß der orbinären fittlich«religidfen 








200 Sündlefigleit Yen 


Anſchauungsweiſe dev Menfchen überfteigen, welche diefen nicht mehr als flttliche Pflicht, 
fondern höchſtens als opus supererogativum erjcheinen. 

Das allgemeine Zeugniß der Apoftel und das Selbflzeugniß Jeſu von feiner Sind» 
loſigkeit findet nun feine doppelte Ergänzung in dem durch die Evangelien ausführlich 
gegebenen Karakterbilde Iefu und in den Wirkungen welche bon ihm ausgegangen find 
und noch heute ausgehen. Es ift nicht möglich, hier in der Kürze eine nur einiger 
mafen genügende Schilderung des Karakters Jeſu nah den Evangelien p 
geben; wir begnügen uns, nur einige der hauptfäclichften Grundzüge im Anfchlufie ca 
Ullmann, Dorner u. U. hervorzuheben. Bor Allem ift Larakteriftifch für few 
Berfon jene vollflommene Durchdringung von Frömmigkeit und Sittlichleit, welche ie 
Natur des Heiligen ausmacht. Sein Wefen und feine Haltung unterſcheidet fd 
ebenfo Scharf von jener autonomifchen oder profanen Tugend, dem Typus der Haffiihe, 
auch in der modernen philofophifchen Ethik ſtark nachwirfenden Moralität, als von jede 
ceremonialgefeglichen pharifäifchen oder aud) myſtiſch⸗ afcetijchen efläifchen Frömmigkel 
und Sittlichkeit. Er nimmt feinen Standpunft ganz in Gott, aber er umfaßt dabei 
mit heiliger Liebe die Welt; fein Leben befteht in der volllommenen Hingabe an feine: 
himmlischen Bater, aber er „waltet zugleich als der freie Sohn in des Vaters Haufe 
(Dorner). Um prägnanteften wird ſich immer ein gefchichtlich vorliegender Karakter 
durch die Ausfage bezeichnen Laffen, daß fein ganzes Weſen und Leben die heilige, 
Liebe und eben damit das innerfle Wefen Gottes offenbare. Und zwar ift diefe Offen 
barung eine vollendete, indem feine Liebe in feiner Aufopferung bis zum Tod am Frey 
zut Rettung einer fündigen und feindfeligen Welt die Probe der tiefften Reinheit md 
Innigleit, wie der höchften Spannkraft abgelegt hat (Röm. 5, 8). Was Paulus 1er. 
Kap. 13. von der Liebe fagt, findet fich in feinem Leben erfüllt. Wo aber ein folde 
Teuer der göttlichen Liebe die ganze Perfon durchglüht und das ganze natlirliche Leben 
verzehrt, da iſt es unmöglich, daß die Selbftfucht, das Prinzip der Sünde, auch mx 
in den leifeften Anfängen und Regungen vorhanden ſey. Und mie er im der Form der 
Liebe das vollkommene Abbild des himmlifchen Vaters im menfchlichen Perfonleben bar: 
ftellt, fo gewahren wir gleichmäßig an ihm die vollfommenfte Lauterfeit, Wahrheit un 
Reinheit des Sinnes und Handelns, die völlige Ueberwindung defien, mas von um 
if, in der Ganzheit himmlifchen Sinnes und Trachtens, und bei aller diefer Reinhen 
und Crhabenheit doch eine liebenswürdige Einfalt und Natürlichkeit und eine um 
ſchminkte herzgewinnende Demuth. Den innerften Mittelpuntt, das Allerheiligfte yet 
Lebens bildet fein ununterbrochener völliger Umgang mit feinem Vater im His, 
woflr die Form des Gebets nicht einmal die erfchöpfende iſt. Er lebt, webt und A 
ganz in Gott, und doc) fchafft er dabei das Heil der Welt; während er den ſchwerſtaä 
Kampf kämpft mit den Gewalten der Erde, während er fich überall offen zeigt für ihe 
natürlichen Verhältniffe, Gaben und Freuden, führt er zugleich eim verborgenes Lea 
im Himmel. Denn davon finden wir überall wieder fein Neden und Handeln geruge 
und durchleuchtet. Und während ihm freilich das fittliche Ringen nicht erfpart mar 
(wovon näher unten !). fo erfcheint doch auch wieder fein ganzes Thun und Laflen aut 
wie die Offenbarung einer heiligen Natur, eined volllommenen inneren Geynd 1 
einer höheren Nothwendigkeit des Weſens, welchem jedenfalls der innere Quell und dr 
lebendige Kraft zu der in jeder Lage geftelten Aufgabe niemald verfagt; fein ganzed 
Thun trägt den Stempel einer wunderbaren Virtuofität auf dem religids. fttlicen 
Gebiete (wie aud; von Strauß und Underen diefer Richtung anerkannt if), Geis 
einzigartiger und unftreitig höchfter Beruf ift ganz der nothiwendige Ausfluß feiner Fa 
fon und feine Perſon ift ganz die Erfüllung feines Berufes (vgl. bef. Dorner). Dahn 
auch der jo oft bemerkte Eindrud großartiger und friedevoller Harmonie feines gam? 
Wefens, jene Vereinigung don Ruhe und Bewegung, Selbftftändigkeit und Hingebuns 
Thun und Leiden, Majeflät und Demuth, von Weltoffenheit und Weltverfhlofienheit 











Gändlofigleit Jeſu 201 


vos Sopf und Herz, don anegeprägter Individualität and allgemeiner Humanität, wie 
fe als das höchſte Ziel menfchlichen Verhaltens inmitten der Gegenſätze dieſes irdifchen 
hen von den edeiften Gemüthern ſehnſuchtsvoll, doch vergebens erfirebt wird. Weiz. 
fäder geht nach der anderen Seite zu weit, wenn er in feinem Beſtreben, eine indivi⸗ 
Inofitätslofe Verflächtigung des Karakters Jeſu abzuwehren, bemerkt, daß „wir uns 
hefen Karalter nicht vorzugeweife weich und milde, fondern ſtark und flraff zu denken 
haben». Freilich if} er noch weit mehr im Recht, wenn er gegen Strauß’ Einbil- 
ku von einer weſentlich hellenifchen Seite in ber Gemüthsart Jeſu fagt: „Richt 
We milde Heiterkeit feiner Weltanfhauumg ift die Grundlage feines Lebens und feiner 
Predigt, fondern die vollflommene Sammlung für das Eine höchſte Ziel, das Durch⸗ 
brangenfenn von feinem Offenbarungsberuf.“ Uber es finden ſich doch auch fo viele 
Elemente in der evangelifhen Korakterfchilderung Jeſu, welche die natürliche Empfäng- 
hdfeit und die Regſamkeit der Empfindung, die Weichheit, Zartheit und Sinnigfeit des 
Irmüthee, daB mas man die weibliche Seite feines Karakters ſchon genanut hat, im beften 
Eine, beiweifen, daß diejenigen Hecht behalten werden, welche das durchweg Harmoniſche 
utem Karalter Jeſu behaupten. Nur das iſt richtig, daß er von aller Weichlichkeit 
ad des Gemithslebens eben als der Träger der heiligen Liebe frei war, umd daß 
ſen eigenthiäiinlicher Bernf der Ueberwiudung von Sünde, Welt und Tod in der Kraft 
imer Liebe es mit ſich brachte, daß Überwiegend die männliche Energie eines für das 
Hale Yimpfenden Karalters an ihm hervortrat. Es iſt fo in der That das verwirk⸗ 
hät menfhliche Ideal, zugleich das vollfommene Ebenbild Gottes "in menfdlicher Ge⸗ 
Halt, Die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Boter voller Gnade und Wahrheit, welche 
ms aus den Evangelien in ungefuchter lebensvoller Schilderung in dem von Jeſu Bes 
teten entgegentritt. Wir gewahren eine Geflalt, vor deren fittlicher Exhabenheit jede 
earitagliche Menſchenſeele ummillfürlich mit einer Ehrfurcht fich neigt, die wir nur der 
Sethät vollen und welche doch zugleich aufs Imnigfte und zu ſich heranzieht durch den 
Eindenf imerſter Verwandtſchaft mit Allem, was wahrhaft menfhlih in uns if. 
ER einen der unbegreiflichften und kedſten Einwürfe eines Strauß und Becaut, daß 
m den Evangelien über Iefum Berichtete viel zu dürftig und fporadifch ſey, als 
6 Bir überhaupt daraus eine vollftändige und bucchdringende Borftellung von feiner 
Perfnfihleit umd feinem Karafter uns bilden Lönnten. Seit achtzehn Yahrhunderten ift 
fol ausnahmslos ber durchdringende Eindrud vollkommener Heiligkeit in Menſchen⸗ 
vet newefen, welchen das Lebensbild Jeſn auf alle empfänglichen Gemüther der ver⸗ 
Nhiebenften Zeiten, Nationalitäten, Bildungsgrate u. f. w. gemacht bat. Was von 
kieſen Ideale in den Propheten und im den Pfalmen Hochſtes erfehnt und geweiſſagt, 
Bon ein Plato im jener merhoßrdigen Schilderung des vollkommenen Gerechten 
de republ. L. IT. ed. Orelli pag. 41.) ahnend gefucht, was feine anderweitige Be- 
ſcneibung eines menfchlihen Weifen oder Tiugendhelden von fern erreiht: das hat 
her mmbefongene Sinn von jeher in der evangelifhen Darftellung gefunden; iſt das 
at ein Beweis, daß es auf Seiten derer, welches es nun auf einmal nicht mehr 
krin finden wollen, eben an dem richtigen Wahrnehmungsvermögen daflir fehlt? Wir 
oben, unbefimmert um biefen Widerſpruch, vielmehr mit allem Rechte, fort zu der Be- 
hanpuung, daß werm die ſchriftliche (immerhin doch auch noch menſchlich unvolltommene) 
Omftellung der Eoangeliften jenen Eindruck volllommener Heiligfeit Iefu bis auf diefen 
dag af ausnahmslos hervorbringt, die Iebendige Wirklichkeit feiner Berfon ihn umfo 
ſeviſſer muß am ſich getragen und bei den Empfänglichen erzeugt haben. Die Tendenz 
der Berherrfihung findet hier feinen Raum; die fchlichte Cinfalt ber Darftellung und 
Ne rein filtliche Art der Grdße, welche hier abgebildet ifl, liefern den ſchlagenden Be⸗ 
Beh, daß der Binfel der Maler feine Farben nach eigener Erfindung aufgetragen hat, 
“Ber einfach dem gewaltigen. Zuge gefolgt if, twomit das gefchaute oder doch von 
Ihgenzeugen befchriebene Ideal ihre Seele beherrfchte. Wie ſchon Rouffean mit Recht 
Mogt hat: Pinventeur en serait plus €tonnent que le h£ros. 


202 Sänblofigkeit Yein 


In dem Geſagten liegt bereits die Beſeitigung des feiner Zeit von Fritzſche 
(vgl. Ullmann’s „Entgegnung“ in den Stud. u. Krit. 1842) nur im methodiihen 
Intereffe, von Pecaut aber in fachliher Beziehung meitläufig vorgetragenen Ein 
wurfes, daß die Sündlofigfeit eines gefchichtlihen Individuums als eine abfolnte Gräfe 
gar nicht empiriſch wahmehmbar fen, wozu die weitere Schwierigfeit gefügt wird, baf 
wir über die ganze Lebensart unſeres Heren vor feinem Öffentlichen Auftreten faß gu 
feine Nachricht befigen. Diefer Einwurf beruht auf einer Verkennung des doppelten 
Umftandes, einmal daß das fittliche LTeben, gerade je ausgebildeter fein SKaralter im 
Outen oder im Bbſen ifl, umfo gewiſſer eine innerliche Einheit bildet, fodaun daß gegm 
über von den Eindrüden, welche von einem fündlos heiligen Leben ausgeben, die m 
pirifhe Beobachtung von felbft die innere Zotalanfchauung des den einzelnen Leben. 
alten zu Grunde liegenden volllommenen Gefammtlarafters aus ſich erzeugt. Nur de 
peinliche Stepfis einer einfeitigen Verſtandesrichtung oder auch der Stolz, welder fein 
Einzigen unter den Menfchenkindern anerfennen und verehren will, widerſtrebt dieſen 
naturgemäßen Proceffe, in welchem die ftetige Wahrnehmung relativ befter Gefimmng wi 
Handlungsweife fi von ſelbſt zur Anerkennung der abfoluten fittlichen Vollkommenheil 
fortzubilden durch das Objekt der Betrachtung veranlaft if (vgl. Ullmann und Dora, 
fowie Weizfäder gegen Pecant a. a. O. S. 183). Nach dem Vorgange von de Bett: 
hat befondere Weiße diefes „Äfthetifcher Erforderniß für die Erkenntniß ber Ein: 
loſigkeit Jeſu geltend gemacht. Er hebt dabei hervor einerfeits, daß der Gedanke Kb 
menfchlichen Urbilde nur auf dem Wege der Anfchauung ſich bilde, alfo die Erſchä⸗ 
nung befielben zu feiner Vorausfegung habe, andererfeits daß diefe Erfcheimmg Rd 
nicht empirifch bemeifen lafje, indem die Weberzeugung von derfelben nur Refultat dei 
geiftigen Eindruds der Perſon Chrifti fey, nur in der begeifterten (gläubigen) Unfchaum 
diefer Perfon exiſtire. Der tiefere Grund diefer beiden einander gegenfeitig bedingenden 
Wahrheiten Liegt darin, daß der Gedanke des menfchlihen Urbildes feiner Natur wm 
Beftimmung nad) kein bloß theoretifcher feyn kann und feyn fol. Sodann kann (mm 
man auch anf Stellen wie Luk. 1, 80. u. 2, 51 f. zum Zwecke des Memeifes fi 
befonderes Gewicht legen will) aus den Berichten, welche uns aus dem Kindheit: m 
Jugendleben Jeſu überliefert find, das Verweilen des zmölfjährigen Jeſusknaben in 
Tempel fammt feiner bedeutfamen Rechtfertigung deflelben (Luk. 2, 49.) aud em: 
noch fo zweifelfüchtigen Kritik gegenüber zum Beweiſe dafiir geltend gemacht werden, deß 
fchon der Knabe von einem befonderen Zuge zu feinem himmlifchen Vater erfült we 
Treffend hat 3. B. Keim auf jenen ganzen von dem Mangel an Berichten übe Wi 
frühere Verhalten Jeſu hergenommenen Einwurf geantwortet: „Der helle Himmel | 
(öffentlichen) Lebens Jeſu erlaubt wohl auch Rückſchlüſſe nach feiner Vergangenheit — 
— — Rede man auch nicht von Iugendverirrungen, vede man auch nur vom Fehlen 
und Webereilungen, fo würden fle als Wolfen im Bewußtſeyn Iefu (als unverkambart 
„Narben“ in feiner Seele), feinen reinen Himmel bedrohend, umfo ficherer fliehen gr | 
blieben feyn, je richtiger der Strauß'ſche Sag iſt, daß die fittlihe Vervolllommum, 
den Sinn für die leichtefte Unfanterkeit zu fehärfen pflege. Und gerade fo iäre md 
einer auch nur leifen Vorübung des Böfen die Annahme fpäterer Yehllofigkeit gegenhhe 
der Erfahrung und dem Exfahrungsgefeg fanguinifche Gewagtheit« (a. a. O. S. III; 
vgl. Ulmam ©. 62). ' 

Alle die einzelnen Umftände endlich, welche aus einzelnen Handlungen und Res 
Jeſu als pofitive gefchichtliche Bedenken oder gar Gegenzengniffe gegen feine Slub 
loſigkeit befonders von Pecaut in peinlicher Ausführlichkeit aus ben Evangelien af 
geführt worden find (lettre XVII. u.XVIII.), erfedigen fich leicht, wenn fle smter Dem 
richtigen Gefichtspunkt aufgefaßt werden (vgl. Ullmann, Weizfäder, Dorner). Ber eb 
mal aus dem gefammten übrigen Verhalten Jeſu den Geſammteindruck heiliger Bel, 
tommenheit erhalten hat, der wird auch den Knaben wegen feines Zurkdbleibens ® 
Tempel nicht ungehorfam gegen feine Eitern, den Mann wegen der Wbweifung kur 











Gänbisfigkeit Jeſn 203 


Pat in Sachen feines Berufes (Mattb. 12, 48. Joh. 2, 4.) nicht lieblos gegen 
ek finden; ex wird in dem Verfahren bei der Tempelreinigung umd in ben ſchuei⸗ 
ists Strafreden gegen die Pharifäer keine unbeilige Leidenfchaft, in dem Berhalten 
ki der Badaremerheerde (Matt. 8, 32.) oder in der Berfluchung bes bürcen Feigen⸗ 
bames (21, 19.) keinem unberedhtigten Eingriff in fremdes Eigenthum oder ungerecht⸗ 
fetigte Jerſtbrung von Naturleben erkennen; er wird auch einzelne hart und aſeetiſch 
Imgende Worte (Matth. 15, 26. 19, 11 f. 8, 22. 19, 21.) aus der bleibenden ober 
yitseiligen Stellung Sein, feiner Yünger und feines Reiches ſich wohl zurechtzulegen 
wiflen, 

Eine nähere Berüdfihhtigung verdienen nur zwei ber hieher gehörigen Umflände: 
Die Thatfache, daß Jeſus durch Johannes ſich taufen lieh, und die andere, daß er gegen- 
ber bon dem reichen Süngling das Prädikat gut“ ablehute. Aus jener exfleren That⸗ 
ſche haben au Ewald (a. a. O. &.187) und Schenkel (Charakterbild Ice S.35) 
keistliche Folgerungen gezogen; aber fie erflärt fich dem eigeneh Ausfpruche Jeſu ge 
ni (Matth. 3, 15.) daraus, daß Jeſus als der Stifter des Himmelreiches don dieſem 
uud Bott geordneten vorbereitenden Weiheakt für den Anbruch defielben keinen» 
his fi ausſchließen wollte. Den Karalier der Reinigung von der Sünde hatte bie 
Unhe erſt in zweiter Linie Daß fi in der Taufe Jeſu zugleich der Saralter der 
felvertretenden Benngihuung ausgeprägt habe (fo noch Geh), iſt eine weniger wahr⸗ 
Weinlihe, zu dogmatiſche Deutung. Die Antwort an den zeichen Sängling aber iſt 
nicht bloß ons der jedenfalls and vorhandenen pädagonifchen Mbficht Jeſu, fondern ins- 
bejondere noch aus dem Befichtspuntte zu erklären, daß Jeſus, fo lange ex noch nicht 
in Gchorſam, mamentlich durch Leiden, vollendet war (Gebr. 2, 10.), fich nicht „gut 
ter vollfommen“ wollte nennen laflen (Ullmann, Dorner, Geh, Keim). 

Dean allerdings erhalten wir namentlid, aus den fimoptifchen Evangelien gauz 
miicchaft die Vorſtellung von der Sündlofigleit Jeſn, daß diefelbe, wenn auch nicht 
A ie m Kampfe errumgene, fo doch von Anfang bis zu Ende im Kampfe bewahrte 
m bmährte geweſen if. Dede bogmatifche Vorſtellung, welche das posse peocare 
va sind ausschließt, welche eben damit die Wahrheit und den Ernſt feiner Berfuhungen 
wihebt, welche feine fittliche Entwidelung nad; der Urt eines phufifchen Proceſſes vor 
fh gehen läßt, wird durch das neuteſtamentliche Zengnig von Anfang bie” zu Cube 
Diderlegt (f. Beh ©. 331 Anm.). Hier fen nur bingewiefen auf die Berſuchung 
dark) den Teufel mac der Taufe (Matt. 4, I—11.; vgl. befonders ul. 4, 13. das 
aypı xaupon uud 22, 28.), auf die offenbar in perfönlicher Erregung und fomit im 
Öemußtfeyn der wirklichen Berfuchbarkeit geſprochene Antwort an Petrus Matth. 16,23. 
und auf den Gebetslampf in Gethſemane, ſowie befonders anf die dabei gethane Aeuße⸗ 
Mg: yonyopeite xal ngogevyeode, va un elslAdnre ls neıpaoudr‘ 70 uly nreuua 
dunor, 7 dE oupk aoderıg (26, 41). Gerade diefe Aeußerung gibt ums wohl 
einen tiefen Aufſchluß darüber, wie wir uns den perfönlichen Zuſtand Jeſu der Ber 
Inhang gegenüber zu denten haben. Nicht ans der Gtärke des Fleiſches (igenwillene) 
md ans der Ohnmacht des Geiſtes, wie beim natürlichen Menſchen (Röm. 7. und 
SL 5, 17.) entfland ihm die Berſuchung, fondern nur daraus, daß die ſeeliſch⸗ leib⸗ 
lihe Natur, welche auch er am ſich hatte, nicht alfobald und überall den Impulfen des 
“ihm bemimivenben höheren Geiſteswillens zu folgen vermochte. Diefer höhere Gei⸗ 
Reitille mußte, um micht ſelbſt Theil zu nehmen an der Schwachheit des Fleiſches, 
ac bei ihm durch Wachen, Beten, Kämpfen "vollkeäftig erhalten und zum Siege ge- 
führt werden (vgl. Beh ©. 339 ff.). Auf die entfprechende Darftellung im Briefe 
“die Hebräer (2, 18. 4, 15. 5, 8.) iſt ſchon oben Hingemwiefen worden. Es zeigt 
u ja überhaupt die evangelifche Darſtellung Jeſum nirgends, auch nicht von feiner 
Lane m, als abfolnt fertige® Wefen, fo daß fein ferneres Leben uur eine Erplilation 
"ed inneren Beſitzes wäre, fondern Jeſus erfcheint als Tämpfend und fortfchreitend. 
Rz ruhen Kampf und Fortſchritt auf einem runde, welcher den Sieg und den Fort⸗ 


204 Sändlofigkeit Jeſu 


fchritt in durchaus normaler Entwidelung herbeizuführen und zu verbürgen vollfonmen 
angelegt ifl, und auch fo lange der Kampf noch nicht gelämpft oder eime fpätere Er. 
kenntniß noch nicht erfchloffen iſt, iſt doch Alles vorhanden, was von fittlicher ud m 
telleftueller Ausrüftung und Leiftung für die Erfüllung des Erlöferberufes erforderlich 
if. Nur in diefem Sinne kann 3. B. auch die mit der Sündloſigkeit eng verknüpfte 
Irrthumslofigleit Jeſu auf Grund des Neuen Teftamentes behauptet werden?) 





*) &8 möge der Kebaltion, in Betracht der Hoheit des GBegenftandes, eine Bemerkung w 
flattet feyn. Wir müſſen nämlich offen geftehben: auf uns machen bie evangelifchen Berichte übe 
wiegenb den Eindrud, daß Iefu Leben, Lehren und Wirken feit dem Antritte feines Exlöie 
amtes, d. h. feit feiner Taufe, hauptfächlich die Erplifation feines inneren Wefens war. Mi 
feben ben Herrn, ber feiner ſelbſt und defien, was in ihm lebt, feiner Aufgabe, feiner Beſtin⸗ 
mung, feines Zieles und ber zur Erreichung befielben anzumwenbenden Mittel vollkommen be 
wußt geworben, bie Schtengen öffnen den lange im Inneren znrüdgebaltenen Strömen bes dr 
ben, die nun in immer höher gebenben Wogen fich über das bürre Erbreich ergießen Damit 
ift aber Teineswegs gefagt, baß er aus ber Urquelle feines Lebens nicht immer aufs Ne 
ſchöpfte; daß er dieß that, das bezeugt fein Gebetsumgang mit feinem Bater. Ebenſo bleib 
fen Neben das Zeugniß der Schrift, daß er mußte durch Leiden, durch Gehorſam vollende 
werben. Ueberhaupt mußte bie Vereinigung von Gott und Menfch, die von Natur und zunädR 
in unvermittelter Reife in ihm war, burch fittliche Uebung vermittelt und ihm fo von ihm felter 
angeeignet werden. Es lag auch in dem Wefen der wahrhaft menfchlihen Natur des Erfölers, 
daß die fein Leben und Wirken beherrſchenden und leitenden Ideen dadurch, daß er ihnen einen 
Ausdrud gab und fie in Beziebung brachte zu der ihn umgebenden Welt, noch während fein 
Lehramtes an Klarheit und Beflimmtbeit gewannen. 

Aber eine ſolche Entwidelung, wie fie Keim in den Übrigens viel Zreffliches enthaltenden 
Reden Über den geichichtlichen Ehriftus nachzuweiſen verfucht hat, Können wir wenigftene in den mm 
befangen betrachteten Evangelien nicht finden. Je mebr wir ber Argumentation des Berf. zu fel 
gen fuchten, defto mehr machte fie auf uns den Eintrud dee Künftlichen und Gemachten — nämlid 
von ber befiimmten Borausfehnng aus gemacht, daß in Jeſu noch währen feines Lehramtes is 
ſehr weſentlichen Punkten eine Entwidelung erfolgt feyn müffe, da doch nad den evangelifhe 
Berichten dieß Alles rückwärts zu Liegen und berjenigen Zeit anzugehören ſcheint, worüber jez 
Berichte einen nie zu bebenden Schleier verbreitet haben. Diefes Urtheil fland uns feft, ned 
ebe wir bie Abhandlung von Hofmann in der Zeitfchrift für Proteflantismns umd Kirche, 100, 
Januarheft, gelefen hatten. Insbefondere vermögen’ aud wir nimmermehr einzufehen, tie be 
affektvolle Feftbaltung bes Gedankens an fein Leiden (Mattb. 16, 28) ein Beweis feyn fo, Mi 
Jeſus diefen Gedanken erft damals, als er die betreffenden Worte fagte, ficher erfannt und erieh 
babe. Hingegen macht die Stelle allerdings den Eindrud, daß ber Herr es für ſich ſelbſt näth 
fand, das Verfuchende, was für ihn in den Worten bes Petrus: „das widerfahre bir nur nid, 
lag, auf kräftige Weife von ſich abzuweifen. Ex erfannte darin diefelbe Verſuchung, bie er [de 
früher befanden hatte und die er damals mit denfelben Worten von fich abgewiefen (Mattp.4, 10 
Denn daß er gegen die Schwachheit bes Fleifches fich zu waffnen hatte, das bezeugt er ſelbſt a0 
fpäter, da er während des geiftligen Kampfes in Gethſemane fante: „ber Geiſt ift willig, das Feiſh 
iſt Schwach.“ Aber in beiden Fällen dachte er ſogleich am feine Jünger und darin vollendete Rd in 
beiben Fällen der Sieg Über bie Berfuhung. In dem erfteren falle, der nn bier zunächſt befcäftist 
lag ihm an, die irrthümlichen Vorftellungen abzumeifen, bie fich im Geifte des Petrus und der übrigen 
Jünger an das Belenntniß, baß er der Sohn des lebendigen Gottes fey, anknüpften. Judem er 
anf feine Jünger wirfte, wirkte er auf fih und befeftigt? fih im Gehorfam unter den Willen bei 
Baters, Inden er auf fich wirfte, wirkte er auch auf feine Sünger, gemäß dem, was er Mi 
anderer Gelegenheit gefagt: „Ich heilige mich felbft für fie, auf daß auch fie geheiligt feyen IM 
ber Wahrheit“, Joh. 17, 19. 

Wie follte aber Jeſus nicht fhon längſt zu der vollen Einſicht und Erkenntniß gelangt ſern. 
daß er leiden, daß er burd der Sünder Hände fierben müfle? Wenn er las, was zu Jeſan 
bei deſſen Weihe zum Propheten (Jefaia 6, 3) geſagt wurde: „Du ſollſt verſtocken das Herz dieſet 
Volkes und feine Ohren betäuben“ u. f. w., wenn er weiterhin las, wie fo viele Propheten DI 
folgt und getöbtet worden, fo legte ibm das Alles den Gedanken fehr nahe, daß bie Predigt der 
Evangelinms nicht minder als das Wort der Propheten zunächſt nur dazu gereichen werde, d 
fein Bolt ſich verflode und ſich verhärte, — im züher Feſihaltung bes angeerbten Karalters. © 
war fih von Anfang feines Lehramts an bewußt, daß Alles, mas er that uub lehrte, zug 
nur den Erfolg haben werde, bie entſcheidende Krifis im Leben feines Volkes herbeizuführen, bie 
fündliche Verberbniß deſſelben anf den höchſten Punkt zu fleigern, zum flärkften Ausbruche 3 
bringen. Wir dürfen fogar annehmen, daß ſchon im Kuaben von zwölf Jahren, fo wie ihm 








Einbisfigkit Yeln 205 


Yu dem bibfifchen Grundzeugniſſe für die Sündlofigleit Jeſu gejellt fi) num der 
thitfählige Beweis aus den Wirkungen, welde von ihm amsgegangen find 
mb bit jegt ausgehen. Diefelben tragen durchaus da® Gepräge des Neuen, des Schd- 
Haikhen, des Bolllommenen und Univerfellen anf dem höchften, dem religids - fittlichen 
biete, Nicht bat Jefus etwa nur eine ſchon begonnene und mad; demfelben Ziele 
hiafsebeude zeligids » fittliche. Bewegung unter feinem Volle oder in der Menfchheit zum 
Fiele geführt; fondern er hat umgelehrt die von Gott entfremdete, in Selbftfuht und 
Simlichleit verfuntene Menfchheit aus ihrer natürlihen Bahn völlig heransgehoben, 
mem er Re auf feinen Weg des ewigen Lebens ſtellte. Jene rationalifiifche Art, Die 
gittfihe Originalität und Bolllommenheit Chriſti und des Chriſtenthums dadurch an» 
jeichten, daß man allerlei jüdifche oder heidnifche Moralfprüche anführte, in melden 
dab Wefentliche der Lehre Jeſu bereits enthalten ſeyn follte, ift fo ziemlich verfchollen. 
Ish Baur muß ja belennen: „Betrachtet man ben Entwidelungsgang des Chriften- 
tens, fo iſt es doch nur die Perfon feines Stifters, am welcher feine ganze geſchicht⸗ 
hie Bedeutung hängt. Wie bald wäre Alles, was das Chriſtenihum Wahres umd 
Veeutungbolles Lehrte, auch nur in die Reihe der Längft verflungenen Ausſprüche der 
He Menfchenfreunde und der denfenden Weifen des Algerthums zurüdgeflellt worden, 
vom feine Lehren nicht im Munde feines Stifters zu Worten des ewigen 
Ubens geworden wären.“ (Kirchengeſch. Bd. I. Seite 36.) Das Chriftenthum 
f m der Berfon feines Stifters weſentlich als ein neues gottmenfchliches Leben in 
de Belt getreten. Chrifius hat in fchöpferifcher Originalität das volllommene Uxbild 
v8 religiös. fittlichen Lebens der Menſchheit zum Bewußtſeyn gebradht, indem er es in 
kin Perfon dargeflellt und in demfelben Grade in den Menſchen verwirklicht hat, als 
a von ihnen asıfgenommen wurde. Auch ift die Verwirklichung deſſelben nod bis auf 
vera Tag bon dem gefchichtlichen und geiftigen Zufammenhang mit ihm abhängig (vgl. 
We 6. 76—98). Für die Neuheit des von Jeſu aufgeftellten Pringipes muß 
ad Stran umwilllärlic, Zeugniß ablegen. Denn er bemertt: „Als den Kern ber 
Mmpiden Eiyriftusreden hat man bon jeher die Bergrede angefehen, in deren Eingange 
don die neue chriſtliche Weltanſchauung wie ein befruchtender Frühlingsregen ſich ans⸗ 
Mitte. Die fogenannten acht Seligleiten (Matth. 5, 3—10) beſtehen wenigflens von 
werherein aus jenen chrifllichen Paradogen, darch mweldye die neue Betrachtung ber 
ige mit dem fowohl auf jüdifcher als auf heidniſcher Seite hergebradhten in Gegen⸗ 





34 vewußtſeyn von ber einzigartigen Gemeinſchaft mit dem Water aufgegangen (Zul. 2, 46), 
“rt Oegenfag der ſündlichen Welt, inmitten welder er fi befand, verbunden mit dem Umſtande, 
taß felhf feine Nächſten ihn fo wenig verflanden, die Ahnung bevorſtehender Leiden erweckte. 
Bar doch eine ſolche Ahnung nichts Anderes als der unmittelbare Rüdfchlag der fündlichen Welt 
auf den, der fich einer Sünde bewußt war. — Daß dieſe Ahnung fi zur beſtimmten Maren 
Berausficht noch vor Antrit bes Lehramtes entwidelt hatte, das erſehen wir mit Dentlichfeit aus 
den erften Aeußernngen Jeſu. Aber es hieße ihm alle Lehrweisheit und Paſtoralklugheit ab- 
ſztechen, wenn wir vorausſetzen wollten, daß er, wenn er im Beſitze jener Vorausſicht geweſen 
ware, fie auch alfobald dem gänzlich unvorbereiteten Jüngern vorgetragen hätte, So begnügte er fi 
denn zuerſt, imdireft darauf hinzndeuten, was er felber zu gewärtigen babe, indem er die Seinen 
darauf aufınerffam machte, was fie um jeinetwillen würden zu leiden baben (Matth. 5, 11. 12, 
1, 16. Und wenn er jpäter fein eigenes bevorfichendes Leiden unummwunden anlündigte, fo 
sihah e6 immer zu päbagogiihen Zweden; es läßt ſich dieß bei der jebesmaligen Ankündigung 
des Leidens nachweiſen, fo in dem Falle, der uns hier zunächft befchäftigt, fo auch Matth. 17,22, 
2 der Berffärung, ale Gegengewicht gegen den Eindruck, den diefelbe auf die Jünger machen 
Rußte, und an anderen Gtellen. 

Zu diefer Anffaffung der Sache find wir nicht von beffimmten chriftologifhen Sätzen aus 
elangt, ſondern lediglich durch getreue Feſthaltung des geichichtlihen Bildes von Jeſn, wie es 
In den enangelifchen Berichten niedergelegt if. Allerdings aber geben wir zu, daß im Hinter⸗ 
Stunde verfgiebene chriſtologiſche Anfchauungen es find, welche die verfchiedenen Anfichten über 
de Tutwideiung Jeſu bebingen, worauf hier nicht weiter einzugehen if, da es fich bloß mm bem 
heciellen Punkt der Sundloſigleit Jeſn handelt, 


206 Sündloſigkeit Jeſn 


ſatz trat.... Der alten Welt gegenüber iſt dies eine verkehrte Welt, 
in welcher nicht wie dort vom Aeußern und von der Vorausſetzung feiner Uebereinſtim⸗ 
mung mit dem Innern ausgegangen, ſondern das Innere fo ſehr als das einzig Weſent 
liche betrachtet wird, daß eq auch ein entgegengeſetztes Aeußere aufzuwiegen im Stande 
ja mit einem ſolchen am liebſten verbunden ſei.“ (Leben Jeſunf. d. V. ©. 204; 
vgl. auch S. 140). Allerdings war diefes das fchledhthin Eigenthümliche an dem: 
Standpuntt Jeſu, daß er nicht bloß rein und ganz die innere Oefinnung, das immer 
Leben forderte, fondern daß er auch als das eigentliche Wefen der rechten Gefinnung: 
das demüthige Ergreifen der göttlichen Gnade umd die umgetheilte Richtung auf de 
Himmlifche, auf den himmlichen Vater und das himmlifche Reich, bezeichnete. Dick 
inmere Gefinnung, Stellung und Richtung, mit welcher unmittelbar eine völlige E⸗ 
neuerung der innerften Perfönlichleit oder die Wiedergeburt derfelben gegeben ift, hit 
nun Jeſus in den Seinen wirklich erzeugt, wie vor allem das Neue Teftament, abe 
auch die ganze Geſchichte der chriftlihen Kirche ihm bezeugt. Man kann wohl om 
fürzeften in dem Ausdrucke der Gotteskindſchaft die Wirkungen zuſanmenfaſſen 
welche von Chrifto ſowohl nad; der Seite der fittlich »veligidfen Einficht als des Lebens 
in die Menſchheit gebracht worden find (Yoh. 1, 12. Matth. 5, 48. Rom. Kap. 58) 
In der Gotteskindſchaft erreihen die Frommigkeit und die Sittlichkeit, die Stellung yı 
Bott und der perfdnliche fittliche Charakter in ungefchiedener Einheit ihre höcfle Bol: 
endung. In ihr ift da8 Ideal des menfchlichen Lebens, das Ehenbild "Gottes im Neu 
ſchen verwirklicht ; fte verſetzt dieſes Leben in fein wahres Centrum, nämlich in Gott 
ala den Bater, und gibt ihm das allein wahre Ziel, nämlich Gott und ba® ewigt 
Leben. Sie bringt den Menſchen in die tieffte aber auch reinſte Abhängigkeit vom Gott! 
und macht ihn fo zugleich volllommen frei. Diefelbe fchließt fodann jene eigenthänlide 
fociale Wirkung in fi, daß die ganze Menfchheit zu einer Familie von Gotteskinden 
ſich geftaltet. Der neue perfänliche Gehalt und die neue foctale Form des Lebens fm 
zufammengefaßt in ber Thatſache, daß Jeſus der Stifter des Sottedreihel, 
noch bezeichnender des Himmelreihes auf Erden geworden if. Die Eriftem deh 
Himmelreiches auf Erden ift gleichbedeutend mit der Wiedergeburt der Menih 
heit, mit dem Dafeyn des heiligen Geiftes in ihr (Köm. 14, 17) umd fie iſt om 
allein das Wert Jeſu Chriſti. Thatfähhlich ift Gnade und Wahrheit der Menfchk! 
duch Jeſum Chriftum geworden (oh. 1, 17), thatfählih iſt Er the gemacht zu 
Weisheit und zur Gerechtigkeit, zur Heiligung umd zur Erldſung (1 Kor. 1, 30). Er 
unbefangene gefchichtliche Betrachtung wird immer fchlagender den Beweis liefern, I, 
was von wahrer „Öumanität“ in der Welt if, entiveder von dem BRrenfchenfoint 
berftammt oder doch in ihm allein feine Reinigung und Vollendung findet, ohne welche 
es keinen dauernden Beftand hat und Leine fegensreiche Frucht ſchafft. Was märe ud 
die „moderne Eultur« und was würde noch aus ihr werden ohne das Sal und da 
Sauerteig feimes Lebens? (vgl. Hundeshagen „die Humanitätsidee“ 1852). 
Diefer weltgefchichtlichen Thatfache gegenüber, deren weitere Ausführung hier nicht 96 
geben werben foll, bedarf das, mas man über die vermeintliche Einſeitigkeit des durh 
Chriſtum in die Welt gebrachten religids » fittlichen Ideals auch neueſtens wieder gelagt 
hat (Strauß a. a. D. S. 626), faum der Widerlegung. Darum handelte e8 fich frei» 
lich nicht, für alle möglichen Lebensgebiete da8 Schema der höcften Normen zufanmen- 
zuftellen, fondern darum handelte es fi, die Idee feines" vollkommenen perfänlichen 
Dafeyns dem Menfchen zum Bewußtſeyn zu bringen und in's Herz zu ſenken. Bo 
bier aus ergibt fi) die richtige Auffaffung und Behandlung der einzelnen fittfichen 
Lebensgebiete fchon von felbfl. Die tiefften Prinzipien für diefelben finden ſich imdeflen 
auch überall in dem durch Chriftum und feine Apoftel aufgeftellten Lebensideal wirllich 
ausgeſprochen und ausgeprägt, foweit die Theilnahme an jenen Rebensgebieten überheunt 
zur allgemeinen menfchlichen Lebensaufgabe gehört. Die andere Einwendung abe, 
daß wenigſtens in unferer Zeit die Verwirklichung des menſchlichen Lebemsibenid der 








Sänblofigleit Jeſn 207 


von ımmiitelbaren Zuſammenhange mit der Berfon Ehrifti unabhängig geworden ſey, 
it we leere, vom Geſchichte und Lebenserfahrung abgelöfle, Behauptung. Wo das 
Leifeil nach Berfühnung mit Bott und nad) der Befreiung, Reinigung und Vollen⸗ 
tag dei Lebens im ihm lebendig erivacht, da iſt fletS feine Einwirkung zu erlennen, 
m) noch weniger findet dieſes Beditrfniß ohne ihn feine Befriedigung. Wo er zwar 
gelımat, aber nicht amfgenommen wird, da beweiſt er auch in feiner [heidenden, 


8 fo eine weltgeſchichtliche und noch mehr eine durch die Zengniſſe dev Chriſten von 
km immeru Leben verbärgte heilsgeſchichtliche Thatſache if, daß von Ehriflo die reli- 
Ma -Rttlihe Neuſchopfung der Menfchheit ausgegamgen ift und fortwährend abhängt, 
wen wir hing nehmen, daß die Mittel feiner Wirkfamleit keine andere find, ale die 
Oeteätsaft nolllommener Wahrheit umd heiliger Liebe, wenn wir endlich in Ihm, aber 
ud in ihm allein, das Prinzip für die religiös -fittliche Vollendung unferes Geſchlechtes 
gegt willen: fo Dunen wir doch nicht anders als in ihm felber die volllommene Er⸗ 
\kiaung dieſes Prinzipes oder fündlofe Heiligkeit annehmen. Dieſes weſentlich 
efonbilbende Prinzip hat feine Kraft eben nur don einer volllom-» 
uenen Perſonlich keit; die Botteskindfchaft kann mur von dem eingeborenen Gottes⸗ 
ae angegangen fenn und fortwährend ausgehen. 

Dieſer aus der weltgefchichtlihen Wirkſamkeit Iefn gezogene Schluß flimmt 
velkanmen zufammen mit dem, was wir aus dem Nenen Teflamente über feinen 
deiter, fein Selbſtzeugniß und feine Wirkſamkeit wiffen. Es bieten num abes bie 
ſecher aufgeführten Momente zuſammen noch eine Seite der Betrachtung dar, welche 
wi nigt, Die fükmdlefe Bolllommmenheit Jeſu anzunehmen. Wir können uns, fo lange 
va nch ou eine göttlihe Weltregierung glauben, den höchſten Befland bes 
be und füttlichen Lebens in der Wenfchheit unmöglich vom einer Filtion oder 
VL Aſon abhängig denken. Dex imnerfte Kern und die tieffte Grundlage des 
ie Chriſti und des chriſtlichen Glaubens erfcheinen als Alnſion, fobald 
Dr Sadlefe Vollkommenheit Iefu hinweg genommen wird. Von biefer Grundlage ans 
iu ab fein ganzes Werk auf Erden vollbracht; mit dem Glauben an feine ſpezifiſche 

ſchaft, welche vor Allem feine Sundlofigkeit einſchließt, if der höchfle religids- 
ilüde Lebensbeftand der Menfchheit, oder die Eyiftenn des Himmelveiches in ihr, noch 
Ü beate ſolidariſch verbinden. Die Amahme einer Irrung' (ebenfo twidervernänftig 
 koflos) wird Hier zur Ummöglichleit; die Annahme der Wahrheit wird durch dieſe 
nocidentielle Betrachtung der geſchichtlichen Thatfache zur unumftößlichen Gewißheit er- 
hoben. Es iR der Natur der Sache zufolge unmöglich, daß Jeſus feine thatfächliche 
lang als Mittler zwiſchen Bott und den Menſchen, als Exiöfer uud Haupt der 
igen Gemeinde, als Stifter und Herr des Himmelreiches auf Erden eingenommen 
m his heute in folcher Weiſe behamptet hätte, wenn er nicht wirklich der heilige Sohn 
Soft wäre. Der Gott der Wahrheit kann nicht trügen, Christianus sum, ergo 
Artus est, bleibt der legte umd entſcheidende Beweis des Chriften. Go wollie ja 
ne auch Schleiermacher die Ansfage des chriſtlichen Selbfibemuftjeyns, ſpeziell 
a in unſerer Frage, verflanden haben. 
Hiemit hat die "gefchichtliche Betrachtung von felbft auf die dogmatiſche hin- 
durch welche fie allein ihre Bollendung und allfeitige Rechtfertigung er- 
hlen fans, Es handelt fich zumäcft um den Begriff der Günpdlofigleit. Simd⸗ 
— iR nicht blos Freiheit von änfßerer und innerer altueller Sünde, ſondern anch 
Sreihei bon fündhafter Luft, ja fogar von jeglichem pofitivem in ber Natur oder im 
Bilen des Menſchen liegenden Grunde einer folden Luft. Gündfofigkeit inboluirt zus 
Heid pofltise Güte der Natur und des Willens ohne irgend eine aus dieſen Prinzipien 
NR Aummende Hemmung und VBersureinigung. Iſt aber die Sünde als Thatſache 
WM Mod in der Zelt, von welcher ganz unmwilllürliche geiftige Einwirkungen auf bie 
Och Ruf ud Untaft, Wahrheit und Ferchum beſtimmbare auch volltommen gute Ratur 


208 Sündlofigteit Jeſn 


des Menſchen ausgehen, ſo kann die Sündlofigfeit nicht ohne Kampf mit der Sünde, 
ja nicht ohne ernſte perfönliche Verſuchung, beftehen. Denn die Sündlofigfeit unte, 
fcheidet fi) eben als menfchliches Prädikat von der göttlichen Heiligkeit dadurch, af 
die Freiheit von der Sünde bewahrt wird, obwohl die Möglichkeit zu fündigen 
vorhanden if. Sie hat zu ihrer Vorausſetzung das posse non peccare, fle wird dur& 
das non posse peccare geradezu aufgehoben. Dan muß fi, hierüber ganz beftimmi 
ausfprechen und darf e8 nicht, wie mandje thun, im Unflaren laſſen. Es iſt aud em 
„bloß abftracte Dröglichleit" zu fündigen, alfo die bloße Form der Freiheit an den 
Willen, welche durch feinen concreten Inhalt aber ſtets zum voraus für bas * 
determinirt iſt (Liebner, Thomafins), gar keine, man kommt auch hiemit nicht über i 
Natur des rein göttlichen Willens hinaus, Wenn „die Verſuchung faktifc nur Solk- 
tation zur rein guten Entwidlung if“ (Liebner), fo ift fle eben damit feine Verfadum, 
Es ift als ein bedeutfamer Fortſchritt anzufehen, daß von den verfchiedenen dhrifiolog 
fhen Standpunften aus das posse peccare al8 integrirendes Moment der Sündlofy 
. feit Jeſu anerkannt ift (von Ullmann ©. 32, Geß S. 212 ff. und 247f., take 
fheinidh Dorner im Separatabdrud ©. 5f, Schaff „die Perfon Jeſu Ehrifi‘ 
1865 ©. 28), Es wird aber diefes Moment auch dann wieder aufgehoben, wen um 
daneben da8 non potuit peccare gefeßt wird. Der Geflchtspuntt des göttlichen Bar 
herwiſſens darf hier fo wenig eingemifcht werden als bei der Trage nach ber ment 
lichen Freiheit überhaupt; beizuziehen ift nur die göttliche Vorherbeſtimmung, welde fd 
in der Ausrüſtung und Leitung (zufammen in ber geiftigen Erzeugung eines folde 
Perſonlebens) aktualifirt. Infofern kann mit Palmer („die Moral des Chriftenthumt‘ 
©. 147) gefagt werden: „Bom Standpunft des göttlichen Rathfchluffes aus angefeht 
mußte das Reben des Erlöfers ein fhlehthin fändlofes fein; aber foferme te 
felbe eine Reihe menſchlicher Willensbeftiimmungen und Handlungen ift, Liegt and di 
Möglichkeit eines Fehltritts vor.“ Kine Andentung des richtigen Weges zur anmähes 
den Löfung des Problemes gibt Nigfch (Syſtem der chrifilichen Lehre S. 256 nt. 
5 4.) wenn er fagt, daß das poterat non pecoare (im gewöhnlichen Sinne verflnta) 
nur dazu genüge, den erften Adam zu bezeichnen. In dem zweiten Adam ift died 
poterat als die Vollfräftigleit des Geiſtes zu fegen, welche fid aus dem fpejifilke 
und vollkommenen Seyn Gottes in ihm herleitet. Uber es darf das Seyn Gotid? 
Ehrifto niht mit Schleiermacher unperfönlid) und darum fein Wirken im Im 
nad Urt der unwiderſtehlichen phyſiſchen Saft gedacht werden. Sondern in freier 
Selbfimittheilung und Sollicitation ſichert die fletige perfönliche und fpezififch volle 
mene Einwohnung des himmlifchen Vaters in feinem eingeborenen Sohne deſſen ehalt 
freie und dabei fletige und vollfommene Gottesgemeinfchaft und deren Berhätigung 9 
einem heiligeneTeben. Bon hier aus wird ed uns einigermaßen verſtändlich, daß „di 
Band zwiſchen der göttlichen und menfchlihen Natur in Chriſto zwar anf's Anferf 
gefpannt, aber nicht zerriffen werden konnte“ (Martenfen $. 143). Wenn aber jr 
überhaupt die menſchliche Freiheit, namentlich in ihrem PVerhältniffe zu tt, wert 
gründliche Tiefen in fich fchließt, fo werden wir uns doppelt befcheiden müſſen, in Mi 
innerfte Geheimniß dieſes Verhältniffes da einzudringen, wo daſſelbe feine ſpezifiſh 
Vollendung gefunden hat. Jedenfalls hat fi die Sündlofigkeit Jeſu mehr und med 
zur SHeilfgleit des Karakters, zu einer pneumatiſchen Befchaffenheit der ganzen Perla 
lichkeit ausgebildet, je länger fie fi im Kampfe wider die Verfuchungen zur Sönd 
behauptete und bewährte, und es würde nahe liegen, wenigſtens für die fpätere Period 
feines dffentlichen Lebens, vielleicht fogar für fein ganzes Öffentliches Leben, von de 
Momente der Taufe an, da8 non potuit peccare als fittliche Errungenſchaft von ihr 
außzufagen, wenn nicht die evangelifchen Berichte von feinen ernftlichen Berſuchange 
in diefer Zeit und die Erwägung im Wege fländen, daß nerade auch das Opfer feine 
Leidens und Sterbens feinen vollen Werth darin habe, daß es im Kampfe mit M 
Schwachheit einer wenn auch fündlofen Menfchennatur gebracht werden mußte. And 


Sundloſigkeit Jeſn 209 


ve dele Kraft und der herrliche Troſt des Borbildes Chriſti erfordern den Gedanken, 
af er, eld der Unfänger und Bollender des Glanbens, im Kämpfen wider die Sünde 
6 bei ihm bloß wider die Berfuhung) bis auf's Blnt mwiderftanden habe (Hebräer 
13, 2-4), Ya eben um als der fündlos Heilige vollendet and beiwährt zu werden, 
mot er (wie Ion Plato in feiner Ahnung von dem volllommenen Gerechten an⸗ 
deutet) die fchtwerfle Probe der Berſnchung, das größte Leiden, erfahren, fein Schidfal 
muhte eminent tragiſch⸗ feyn (Nothe theol. Erhit 8. 552). Wenn das Weſen der 
Eine m der Selbfifucht liegt, fo liegt in der abfoluten Selbftopferung um Gottes 
ud der Dienfchen willen, in diefem höchften Beweis der Liebe, der Beweis der heiligen 
Sokhmmenheit. Es iſt dan aber and) in der dominierenden Stellung und fchöpferifchen 
Baht, welche dem Guten won Bott, ald dem Urguten, in der Welt verliehen if, be- 
geindet, daß eine ſolche heilige Perfönlichkeit zum fittfich » beherrfchenden Mittelpunkte 
er Hanpte der Menſchheit wird, und daß die fittliche Neufchöpfung und Vollendung 
tejefden bon ihr ausgeht. | 

Es bedarf keines näheren Nachweiſes, wie vollſtändig mit der gegebenen Erörterung, 
wie vom Begriffe und Weſen der Sändlofigleit ansgegangen ift, das neuteflament- 
Ike Jengniß über den Karakter und das Leben Yen Übereinfiimmt. Die weitere Be⸗ 
ring und Entwicklung ımfere® dogmatifchen Refultates geſchieht am beſten im Zu⸗ 
Immenhenge mit einer Beſprechung der gegen die Sündlofigleit eines Menſchen über- 
kapt, ſpeziell Chriſti, erhobenen hauptſächlichſten Einwürfe. Die bedeutendften Ein- 
werbungen laſſen fich auf die drei Punkte zurädführen 1) daß überhaupt die Einzigleit 
tms Jadividnums ſowohl der Natur des Imdividuums als der Idee der menfchlichen 
Oıttung und ihrer Entwicklung widerfpredhe, 2) daß die Sündlofigfeit mit der Natur 
vb Nenſchen, 3) daß diefelbe mit dem erfahrungsmäßigen fündigen Zuflande der 
Bahkkeit amvereinbar fen. Jene erfle Einmendung ift haupiſachlich die ſpekulativ⸗ 
Verhelikhe (Strauß, Baur), die zweite die rationaliſtiſch-deiſtiſche (Kant m. f. m.), die 
ie ar) nom Boden eines Theismus aus erhoben, welche zwar das geiftige Wunder 
u Eile und der bibliſchen Offenbarung überhaupt anerkennt, dagegen gegenüber von 
va oinzlihen Bönmder* eine jedenfalls fehr referbirte Stellung einnehmen zu müflen 
at Es if ſelbſtverſtändlich, daß diefe dreierlei Standpunfte bei ihrer faftifchen 
Foiemit gegen die Sündlofigkeit Jeſu fich vielfady vermifcht haben. Wir fuchen ſie 
niglichtt deutlich ausernanderzuhalten. ° 

Den erſten Einwurf hat Strauß befonders gegen Schleiermadher in dem befannten 
Sape formulict: Das if ja gar micht die Art, wie die Idee fich zu verwirklichen 
West, in Em Exemplar ihre ganze rüle auszuſchütten und gegen alle andere zu 
Ken, in jenem men vellffändig, in allem übrigen hingegen nur unvollſtändig fich 
üpeträden, fondem "in eimer Mannigfaltigfeit von Exemplaren, die fidh gegenfeitig er- 
Kan, im Wechfel ſich feender und wieder aufhebender Individnen fiebt fie ihren 
Keichthum ausozubreiten (Dogmat. II.S. 214). Aehnlich Baur: „Auf welchen Punkt, 
2 welchem Individnum man anch die Idee als in der Wirklichkeit abgeſchloſſen firirem 
el, fie treibt unvermeidlich immer wieder darüber hinaus“ (Kirchengefch. d. 19. Jahrh. 
6. 201). Bemerkenswerth ift indeffen, daß der Baur'ſche Widerſpruch dauernd feine 
Rotive aus einem überfpannten Idealismus herleitet, während fi bei Strauß die 
whwendige Conſequenz biefes Idealismus, nämlich, ein gemeiner Empirismus, welcher 
a Grunde auf die Renlifieung der Idee überhaupt verzichtet, früh genug offenbart. 
Dier wie ſoll man es anders nennen, wern Stranß ſchon im „Leben Jeſu“ bie Eom- 
Kalttionstheorie auch auf das fittliche Gebiet überträgt und erflärt: „Die Menfchheit 
Ren Unfündliche, fofern ber Bang ihrer Entwickiung ein tadellofer iſt, die Berun- 
keinigung immer nur am Individnum Hebt !-&8 ift eben eine leere, oder vielmehr ge. 
den, angefichts der furchtbaren Sündenmacht in der Menfchheit, eine frivole Phrafe, 
van bon der wuflindlichen Menfchheit geredet wird. Auch handelt es fich auf dem 
religide ſittlichen Gebiete gerade um die einzelne Perfönlichkeit, und eine Geſammiheit 

Aral » Cachelopadie für Theologie und Kirche. Suppl. II, 16 


210 Sündlofigteit Yefn 


befigt eben nur fo viel fittliche Güte, als die einzelnen Perfönlichleiten im ihr befiges 
Weil ferner der fittliche Proceß in der Menſchheit weſentlich perfonbildend ift und fer 
fol, fo ift er auch wefentlic von der perjönlichen Einwirkung fittlich hervorragend 
Individuen abhängig, und wenn die unabweisliche Forderung einer KRealifirung des ſitli 
Guten in der fündigen Welt nicht geradezu fallen gelafien, wenn die Idee nicht „ie 
Fiktion werden“ fol, fo kam ihre Berwirklihung nur von einem Individuum ansgehe 
in welchem das Gute felbft menfchliche Perfon geworden if. Wäre nun bad Gut 
wie 3. B. die Bollendung des Willens, von der volllommenen Durddringung I 
Welt mit der Kraft des Geiftes abhängig, dann Thnnte es freilid, höchftens im ſucch 
fiver Annäherung und als eime Exrrungenfchaft der Gattung im Laufe der Zeit verwit 
licht werden. Weil da8 Gute aber nicht darauf beruht, daß der Geift die in Ram 
und Zeit ausgebreitete Welt volllommen fich aneigne, fondern nur von der abfolıh 
Einigung mit dem perfönlich Guten, mit Gott, abhängig ift, fo ift gar nicht abzufehe 
warum die Verwirklichung deffelben auf diefem Wege nicht in einem beſtimmten Je 
punkte, in einer einzelnen gefchichtlichen Perfönlichteit erreicht werden fol. Die Ci 
wendung, diefe Berwirklihung kbunte dann auch mehrfach erreicht werden, fo dafı ı 
eine Reihe von volllommen guten Menſchen oder Söhnen Gottes geben könnte, ber 
auf einer durchaus willlürlichen Abftraktion, welde die ganz eigenthümlichen Bedingung 
überfleht, unter welchen doch wiederum allein jene abfolute Einigung mit Gott ime 
halb der Menfchheit möglich if. Zunächſt ift die erfahrungsmäßige Thatfache ale g 
mwaltige Inſtanz hier beizuziehen, daß die Sünde als eine auch durch allen Fortfdri 
der Jahrhunderte ungeſchwächte, allgemeine Naturmacht in der Menſchheit vorhanden i 
und daß nur Chriſtus gegenüber von dieſer Sundenmacht ale den Erldſer ſich beinäfk 
Es findet aber diefe einzigartige Stellung Chriſti auch ihre hinreichende Begrändm 
in den Ideen, weldhe das chriftlihe Nachdenken, freilich nur im Zuſammenhang = 
feiner Erſcheinung und feiner Bezeugung in der heiligen Schrift, nothivendig ans ſu 
erzeugt, fobald es im eine tiefere Betrachtung Über das Weſen Gottes umd des Ra 
fhen und über das Verhältniß beider zu einander ſich einläßt. Es ergibt fi hie i 
irgend einer Form der nothivendige Gedanke, daß eine vollklommene Selbfloffenbens 
und Selbftmittheilung Gottes innerhalb der nad feinem Bilde gefchaffenen Menſche— 
ftattfinde und daß dieß eben im dem einzigartigen Menfchen gefchehe, welcher als dit 
Abbild und der Sohn Gottes zugleich das Haupt der Menfden, it 
Erldfer, der vollkommene Religionsftifter oder Stifter des Gottesreiches auf Erder 
fen (vgl. U Schweizer a. a. O.). Man ertennt, daß ebenſowohl die heilige Beh 
Gottes nur in einem folhen Sohne Gottes, welchen fie den Menſchen zum Haupt m 
Erldſer fchentt, fi Genüge fchaffen, als auch daß die Menſchheit, nur als zufemme 
gefaßt in einem folden, Gegenftand der vorzeitlichen Exrwählung und Liebe Gottes w 
feiner in der Ewigkeit fi vollendenden Selbftoffenbarung und Selbftmittheilung jet 
nne. Die Idee und Erſcheinung des heiligen Gottes- und Menfchenfohnes eathil 
alfo gerade das Gegentheil von jener Beraubung der übrigen Menfchen, melde Stra 
und Andere darin haben finden wollen. Die ganze Gottesfülle kommt eben mu dur 
ihn zur Mittheilung an die Anderen. Zugleich erhellt Mar, warum hier der Anfinge 
des Guten zugleich der Bollender if. Es handelt ſich ja eben darum, daß einmal dei 
volltommen Gute, die volle Gottesoffenbarung, das ganze Heil in der vollen Bote 
gemeinfhaft in die Menfchheit eintrete; dieſes Konnte natürlich nur fo gefchehen, dah d 
in der Perfon des Mittlers auf abjolute Weife vorhanden war. Auch iſt ſchon bad 
feine fpezififche Stellung zu Gott ausgeſchloſſen, daß je einer der durch ihn Erle 
und Bollendeten ihm gleich würde (vgl. außer Ullmann Sünblofigteit, deffen Pol 
ſches u. f. w. in Stab. u. Kit. 1842 fowie die Kritit der Strauß'ſchen Glaubendlchti 
duch 8. Ph. Fifher IL. ©. 25 ff). Imdeffen hat es ja auch an der geordnete 
Borbereitung fiir die Exfcheinung des Sohnes Gottes durd; die Dekonomie umd Paͤdagoge 
des Alten Bundes nicht gefehlt. Obwohl der Anfänger und Bollender des Gotietrrihel 


GSuͤndloſigkeit Jeſn 211 


mr der ganzen Gemeinde der Ootteskinder iſt er doch erſt erſchienen, als bie Zeit er» 
fit wor (Gel. 4, 4), als der Boden in Iſrael für ihm zubereitet und die ganze 
Wafhheit zu feiner Erkenniniß und Aufnahme herangereift war. Und wiederum be- 
km er ſich durch die Bermittlung feines Geiſtes des Organismus feiner Gemeinde, 
m fih als den Erlbſer und Bollender der Menfchheit feit feiner Erfcheinung auf Erden 
za betbätigen. Er nimmt aljo, wie es der Natur des Sittlihen entfpredhend iſt, eine 
behens orgamifche Stellung in der Menfchheit nad, rüdwärts und vorwärts ein. 

Kur daramı, weil auch der rationaliflifhe Deiamus bie geoffenbarte Grund⸗ 
laze der Säublofigleit Jeſu, die biblifchen Grundlehren über Gott und den Dienfchen, 
verlennt, erhebt ex den Einwurf, daß die menfhlihe Natur die Sünbdlofigfeit eines 
Menſchen numöglich mache. Diefe Natur ift nämlich dem Geſetze der Entwicklung, 
sad damit, nach der Auficht des Rationalisnms, der Sünde untertvorfen. Es wird 
hiebei voransgefeigt theil® daß im®befondere die Abhängigkeit des Menſchen von der 
fnnlihen Seite feines Weſens, theild daß überhaupt der TFortfchritt vom Unpolllomme- 
sa zum Bollommenen, namentlich die Vollziehung der Freiheit, die Sündlofigleit un- 
wich mache. Es iſt dies jene hauptfählih durd; Kant vertretene Anfchauungs- 
wei, welche fih die Tugend nur als eine lämpfende, und zwar vor Allem mit dem 
Öeenich inmerhalb der eigenen Perfon flreitende, vorzuftellen vermag. Diefe Anfchau- 
mgeweife macht weit mehr Ernſt mit der Wahrheit ber fittlichen Idee als jene erflexe, 
indem fie diefelbe zum pexfdnlichen heilig verpflicdhtenden Ideal für den Einzelnen ge- 
fun; aber fie bleibt überhaupt in einem mit der Wahrheit nnverträglichen Dualismus 
widen Gott und Belt, Geſetz und Freiheit, Geiſt und Natur hängen. Gleich wie 
ite Gott bloß zus dem fiber und außer der Welt flehenden idenlen Urheber wird, fo 
verfiädtigt fich Die Idee Ehrifti in das „Ideal der Bott wohlgefälligen Menſchheit.“ 
Ten da Gott, die Duelle des Guten, von der Welt und vom Menſchen ferne bleibt, 
öl die Materie ſchon von Aufang an eine felbfifländige Eriftenz neben ihm 
het, er num als das abſtralte Geflaltungsprinzip nad; Urt des ariflotelifchen vous 
af ke cinwirkt: fo muß der Geift zunächfi von der Materie, von feinem Gegenfage, 
ehrt fein, und er lann fi, ohne Sottes Mitwirkung nur auf ſich felbft angewieſen, 
ar elmälig, niemals aber ganz, zur vollen Freiheit, zum volllommen Guten, durch⸗ 
eier Auf diefem Standpuntte kann alfo allerdinge von einer fündlofen Perſönlich⸗ 
kit fine Rede feyn, weil olle Entwidiung auf dem Gegenſatz von Idee umd Erfcheinung 
ser Dafenn beruht. Nach chriftlicher Anſchanungsweiſe aber ift Gott Urheber auch 
er Materie; die Sinnlichkeit an ſich fleht beim Menſchen nicht im Gegenfage gegen 
ven Geiſt, ſie iR im ihrem Theile ebenfo wie diefer zum Guten normirt. Auch die 
tsidiung vom Unvolllommenen zum Bolllommenen kann als durchaus normale, näm- 
ih von Gott, dem gegenwärtigen Guten, geleitete und getragene, flattfinden. Geſetz 
md freiheit bilden an fidh ebenſowenig einen Gegenfag ale Gottes nnd des Menſchen 
Bil, da fie fich zu volltommener Einheit aufheben in dem Willen der heiligen Liebe. 
Romentlich bildet die Dffenbarung und Erkenntniß Gottes als des heiligen Geiftes das 

ent, worin jene Gegenfäge für die Wirklichlett und für die Erkenntniß fich auf⸗ 
heben. Dex fpekulative Pantheiomus will zwar Bott and) als lebendigen Geift faffen, 
über er erlkennt im ihm nicht dem heiligen Geiſt; ber rationaliftifche Deismus hält 
en der Heiligkeit Gottes feſt, aber es fehlt ihm die Anfhauung feiner geiftigen Lebendig⸗ 
lit Darım find beide unfähig, die Fülle heiliger Selbfimittheilung Gottes an die 
Rerfhheit in dem fündlos vollkommenen Menſchenfohne zu fegen. 

An der Betrachtungsweiſe des Nationalismus iſt nur das richtige Moment, daß 
det Sinliche allerdings nur durch eine allmälige Smeinanderbildung von Geifl und 
Role, nur durch eine freie Bereinigung des Willens mit dem Geſetze und mit Gott 
M Stande fommt.” Und dieſes Moment kommt volfländig nur dam zu feinem echte, 
Ban das Gute als Gehorſam gegen das Geſetz und als Ueberwindung der Verſuchung 


Koldracht wird. (ES ift aber auch von dem neueren Bertheidigern der Sündloſigleit 
1° 











212 Sändlofigleit Jeſn 


Jeſu anerkannt, daß Jeſus nicht als dominus legis anzufehen ift, fondern als durd. 
aus unterworfen dem Geſetze. Und ebenfo ift ſchon oben gezeigt worden, daß feine 
Heiligkeit im Kampfe mit der Berfuchung bewahrt und bewährt wurde. 

Noch find aber die gegebenen Andeutungen über die Verſuch barkeit Jeſu, einen 
der fchwierigften Punkte der ganzen Unterfuchung, hier eiwas näher zu belendjten. Die 
Berfuchbarfeit Jeſu darf nicht fo gedacht werden, daß eine Luft zum Boſen in feinem 
Innern fi) regte (wie Menten und Irving, neuerdings auch Emald, Schenkel un 
Weizſäcker annehmen), aud die oupE Jeſu muß frei und rein geweſen ſehn vom böfen 
Trieben. Andererſeits muß in der Natur Chriſti doch eine gewiſſe Differenz der Kid 
tung (was noch lange fein Gegenſatz ifl) von dem abfoluten Gotteswillen in jems 
natürlichen Trieben der Selbfterhaltung u. f. mw. gefegt werden, weil fonft gar fin 
fittlicher Kampf in ihm flattgefunden hätte. Geß nennt diefe differente Richtung ge 
zadezu den „Naturwillen“ in Chrifto, und fagt, daß wir uns diefen Naturwillen bi 
ihn, al8 einer kräftigen Natur, auch ſtark zu denken haben (S. 213 u. 340f.). Is 
diefem feinem Naturwillen, welder beim Menſchen mit feinem leiblihen Daſeyn inmg 
verflohten ift, hatte alfo auch Chriftus nicht bloß den nächſten Anlaß nnd Stoff yı 
fittliher Uebung und Bethätigung, fondern audy den Punkt, an welchen eruſtliche m 
wirflihe Verſuchungen ſich anknüpfen konnten. Wir haben freilich diefem Naturiwiles 
in ihm gleichfalls von feinee Geburt an einen „natürlichen Seelenadel“ (Geß) entgegen 
zuftellen, die urfprängliche fpezififche Heiligung feiner Natur durch dem Geiſt Gotiel, 
wie ja nad Plato’s treffender Beobachtung ſchon außerhalb des Reiches Gottes eine 
auffallende Berfchiedenheit urfprünglicher fittlicher Anlage unter den Menſchen anzutreffen 
if. Es iſt nun eine mit der Erfahrung und Pfychologie ganz wohl zuſammenſtimmende 
Annahme, daß die Kindheit Jeſu von jenem höheren Geiſteszuge in feiner Natur fo be⸗ 
berrfcht geivefen fey, daß, jede Sünde von felbft ausgefchloffen wurde. Aber mit dem 
erwwachenden Selbftbewußtfeyn mußte, infolge der Berührung mit der im Argen liegen 
den Welt, ein gewiffer Conflikt zwifchen den beiden Elementen feiner Natur fid ei» 
ſtellen. Diefer Eonflift wird wefentlich hervorgerufen durch die eigenthümliche Anfgak, 
welche der Exlöferberuf (oder das Bewußtſeyn der Gottesſohnſchaft auch fchon vor feinen 
Öffentlichen Auftreten) an Jeſum ftellt, nämlich feinen Naturwillen nnd fein natärliän 
Leben völlig in den Tod zu geben, alfo auch auf fein am ſich berechtigtes (ſoweit Gu 
gegenüber von einer ſolchen Berechtigung geredet werden kann) GSelbft zu verziäte 
Hiedurch mußte gerade bei dem Sündlofen, welcher das Leiden nicht als Steafe pe 
fönlicher Verfchuldung aufnehmen konnte, welchem fi) aus dem Bewußtſeyn fer 
Gottesſohnſchaft der gegründete Auſpruch auf alle Güter und Rechte im Haufe few 
bimmlifchen Vaters ergab, der tieffte fittliche Conflikt zwifchen den Anſpruchen der Rat 
und den Anforderungen Gottes entftehen, und daß Jeſus aus dieſem Konflikte fündlod 
hervorgegangen, darin befteht der Triumph feiner Heiligkeit (vgl. befonders die Ber 
fuchungsgefchichte und den Kampf in Gethſemane). Auch der menfchlichen Natur Sefa 
war, wie jedem perfönlichen, ja fogar jedem lebendigen Weſen der Zrieb eingepflant, 
fih feinem Rechte gemäß in der Welt zu behaupten. Aber die höhere orberum 
Gottes an ihn ging dahin, ſich ganz felbft zu verläugnen, um die unrechte Selbſlbe⸗ 
hauptung der Welt dadurch zu überwinden. In diefem Conflikte, an welchem allein 
die Welt Schuld war, war die Berfuchbarleit Jeſu begründet. Der Sohn Gotiel 
erfennt und vollbringt es aber als den Willen feines himmlifchen Vaters, kein Reit 
für ſich in Anſpruch zu nehmen in diefer Welt, fondern in der Erduldung bes äufer 
ſten Unrechtes den volllommenen Gehorfam und die vollendete Liebe zu bethätigen. De 
zweite Adam hat, nad; dem Grade feiner Stellung, Begabung und Unfgabe, and weil 
höhere Verſuchungen als der erfte zu beftehen gehabt. Daffelbe meint wohl auch Dorner 
mit den Worten: „Es ift nicht eine Unorditung in ihm, fondern es-ift die Unorbuung 
und Sünde außer ihm, bie ihm die Kämpfe, Anfechtungen, Leiden bringt, von bene 
fein amtlihes Leben erfült if. Es find die fpäteren Kämpfe ihm num befchieden, wei 


Sänbisfigleit Jeſu 213 


a vr Reine geblieben, der ſitilich Harmoniſche inmitten ber fittlichen Auarchie geworben 
ver; fe werden aber gleichwohl andy innere und perfönliche Kämpfe in ihm: denn er 
muf die Kraft feiner Harmonie und das Leiden einfeßen, um die Disharmonie in der 
Beh zu überteinden" (vgl. Beh ©. 343 fi.). 

Endlich foll wenigſtens die empirifche fündige Naturbefchaffenheit der gegen- 
wirtigen Menſchheit das Auftreten eines von vornherein und völlig Sündlofen unmög- 
ih moden. Daſſelbe, fagt man zur Widerlegung, wäre ein Wunder, auch würde 
Chriſtes damit and dem Bufammenhang mit unferem Geſchlechte in folder Weiſe her⸗ 
aufgehoben, daß feine wefentliche Bleichartigleit mit demfelben und fomit feine vorbild« 
Ihe uud mittlerifche Bedeutung in Frage geftellt wäre. Aber die Erfcheimung Ehrifti 
hi nd niht anders denn ale ein Wunder verflanden werden. Die heilige 
liche Gottes, die Beſtimmung der Menſchheit und ihr faktifcher Zuſtand fordern dieſes 
Bande. Eine Wiedergeburt der Wrenfchheit konnte nur durch eine neue Schöpfung 
m Etande fommen, der Sohn Gottes farm nicht ald PBroduft der Menſchheit, er kann 
m vom Bater her in die Welt eintreten. Nach allem feither Entwidelten iſt ber 
kälige Meufhenfohn gar nit denkbar ohne die ſpezifiſche vollkom⸗ 
an: Einwohnung Gottes in ihm. Wenn aber eine folche gefhichtlich in ihm, 
eitienen if und die Fulle der Bottheit Leibhaftig in ihm wohnt, dann kann er felber 
au als die Erfcheinung eines in dem ewigen Weſen Gottes gegründeten gottmenfc- 
lihen Prinzipes erkannt werden. Diefe Erſcheimmg aber ifl ein Wunder. Daher wird 
ad die deiffiche Theologie niemals umhin ken, ſchon bei der menſchlichen Ent. 
fung Jeſu eine außerordentlihe Mitwirkung Gottes zu poftulicen, durch welche bie 
daderbaiß menfchlicher Natur von ihm abgewehrt und der Keim feiner einzigartigen 
Vefaficteit im dem Gchooße der Mutter zubereitet wurde. Der Gleichartigkeit Jeſu 
wu da übrigen Menſchen gefchieht hiedurch kein Eintrag, da ja weder die Allmählichkeit 
ſuhe Euttniklung, noch die Probe fittlichen Kampfes durch diefe Übermatürliche Urt 
fir Euftehumg anfgehoben wird. Wenn, wie au Keim fagt „die Perfönlichkeit 
Ir merflärlich bleibt ohme die Cooperation des lebendigen Gottes, der die Urfprünge 
Ne Heften Träger der Befchichte weit über den Kreis der natürlichen Entſtehung und 
Umgebung hinaus geiſtig befruchtet“, fo erfcheint e8 anf dem Standpunkte der hriftlichen 
Getetenſchauung, welche Gottes Wirkſamkeit auch in dem Natürlichen, als dem Träger 
“ Geiſtigen, anerkennt, nur confeguent, auch fchon für die natürliche Entfiehung Jeſu 
am anferordenliche Einwirkung Gottes zu flatuiren, durch melde die Grundlage der 
eimigertigen Perſon des Erlbſers gefchaffen wurde. Denn allerdings ift diefe Perfon 
bher dag Bert des weſentlich geiftigen d. h. fittlichen Prozefies feiner heiligen Karafter- . 
lildeng und Lebensentfaltung, welche wir eben mit dem Namen ber Sündloſigkeit be⸗ 
Kinn. U uf dieſem fittlichen Wege eines durchaus von Gott getragenen und beftinmten, 
er doch zugleich durch die aufnehmende menfchliche Freiheit vermittelten, Prozeſſes hat 
e volllommene md bleibende Einwohnung Gottes in ihm und damit in der Menſch⸗ 
beit ſich bollyogen. Die heilige PBerfon des Erlbſers ift fo zugleich die volllommene 
Theodicee. Darin aber Liegt, wie wir am Schluſſe nochmals hervorheben müſſen, 
" hohe Bedentung, welche die Lehre von der Sündlofigfeit Iefu für die nenere Cheo- 
ft, für die Mpologetit, Dogmatit und Ethik (für letztere vgl Rothe und Palmer) 
langt Bat, daß in ihr das Chriftenthum in der Perfon feines Stifter gleichmäßig 
ds die wunderbare abfolute Gelbfloffenbarung Gottes und als die Erfcheinung eines in 
Satt vollendeten menſchlichen Lebens begriffen wird. So wird Bott und feine Offen- 
berang wahrhaft ethiſch aufgefaßt, aber es wird zugleich gezeigt, daß das Ethifche feinem 
feren Grunde nach durchaus auf Gott und feine heilige Liebesoffenbarung hinweiſt. 
Dir beſchliehen unſere Abhandlung, indem wir die Schlußworte Dorner's in der ge 
enten Abhandlung anführen, worin er dem bezeichneten Gefichtspunft nachdrückllich her- 
erhebt: „Die Erſcheinung Chriſti if Ws göttliche Liebeswunder ſchlechthin, aber fo 
Biel, dab das Wunder ale die wahre Natur, als ein menfhlidhes Liebesleben 


214 Suidas 


auftritt, um uns durch ſich zu feinem inneren göttlichen Quell zu führen. Zwar and 
duch andere Mittel als durch fi 3. B. duch Wunder des Wiſſens oder Thnns hat 
er an fich zu ziehen gefucht; aber doch hebt er als den Weg fchlechthin, der zu ihm ale 
der Wahrheit umd dem Leben führe, ſich felber, feine ganze perfdnliche Exfcheinung 
hervor Joh. 14, 16. Daher hängt e8 mit dem innerften Gang der Gefchichte evans 
gelifcher Theologie und mit ihren tiefflen Intereffen zufammen, daß die neuere Theologi 
diefe perfönliche Erfcheinung Jeſu, feinen fittlihen Gefammtlarakter, ganz befonders int 
Auge faßt und von bdiefem aus für das wache Gewiſſen einen ficheren Uebergang zu 
Erkenntniß feiner göttlichen Hoheit und Exlöferwitrde findet, als in dem Beweis ci 
den Wundern z. B. der Auferftehung (nad) englifcher Vorliebe) oder im der Weiffagum 
und SImfpiration der heiligen Schrift oder in der Bolllommenheit feiner Lehre. Dat 
Sittlich » Heilige, während e8 mit feinen Tiefen in den Himmel reiht, ja in das Gebie! 
göttlicher Ontologie, hat e8 andererfeits an fich, zugleich das menfchlich Anfpreczendfk, 
auch bei den Empfänglichen, die noch draußen find, Wohllautende und unwiberfichltd 
Feſſelnde zu ſeyn.“ | 

Bon diefem Geſichtspunkte aus hat auch der Unterzeichnete in populärer For 
einen apologetifchen Verſuch ausgehen laffen in feinen „Sechs Vorträgen über die Perjot 
Jeſu Chriftiv 1863. Mehrere englifhe und franzdfifche Bearbeitungen unferl 
Gegenftandes aus neuerer Zeit finden ſich genannt in der gleichfalld populären Scrifi 
von Schaff über „die Perfon Jeſu Chrifti, das Wunder der Gefchichter 1865. A 
übrige Titeratur ift bereits angeführt oder findet fich verzeichnet in der Monographu 
von Ullmann, an welche ſich aud) die vorliegende Darftellung großentheils, dod ia 
freier - Weife, angefchloffen hat. Hermann Weil. 

Suidad. Einer jener griechifchen Gelehrten bes Mittelalters, die ſich, wie Phe: 
tius, Simeon Metaphraftes und Andere, duch Sammlung eines vielartigen Stofd 
den Dank der Nachwelt verdient haben. Sein allbefanntes griechifches LXerifon iſt fit 
den klaffiſchen Philologen eines der michtigften und mentbehrlichſten Nachſchlagebücher 
geworden; daß es aber auch der Theologe und Kirchenhiftoriler keineswegs ignora 
darf, weil es mit den Worterflärungen zahlreiche fachliche Nachweifungen verbindet mi 
weil in diefem Werke mwifjenfchaftliche Gebiete, die gegenwärtig getrennt werden, zuſch 
menfließen, fol bier Türzlich dargethan werden. 

Borerft fen bemerkt, daß uns die Perfon des Schriftftellers gänzlich unbekannt if, 
fein Zeitalter aber nur mit Wahrfcheinlichkeit und ungefähr feftgeflellt erben km. 
Mehrere Iahrhunderte find ihm und feiner Eriftenz gleichſam zur Verfügung geell 
. worden, ja man hat gar vermuthet, der Name Suidas fey fingirt, mas aber völlig m 
zuläffig if, da diefer Name durch Handfchriften fpäterer Autoren hinreichend beglandigt 
wird. Weltere Kritiker, wie Oudin und mit ihm Hamberger, halten ſich daran, deß A 
einige Stellen des Simeon Metaphraftes anführt, felbft aber von Euftathius mehrmill 
eitirt toird, und verfegen ihn etwa in die Mitte des 12. Jahrhunderts, wobei aber M 
beachten, daß wir uns über die Lebenszeit des Metaphraften ebenfalls in Ungewißhei 
befinden. Ans gleichem Grunde wegen der beiderfeitigen Anführungen ſtellt ihn Küfte, 
der Erdffner gründlicher Studien über Suidas, zivifhen Michael Pfellus und Eule 
thius, alfo an's Ende des 11. Jahrhunderts und in dem Anfang des folgenden; bed 
hat fich ergeben, daß die bei Suidas vorhandenen Eitate ans Pfellus fpäter eingefhalt 
find. Begnügt man fi) zu fagen, daß er fpäter als Photius und früher als Eufe 
thius gelebt und gefchrieben haben müfle: fo behält man immer noch eimen weiten 
Spielraum. Genauer ift Bernhardy auf die chrowlogiſche Unterſuchung eingeganger: 
er findet Merkmale, welche auf das Zeitalter des Johannes Tzimioces, Baſilins I. 
und Conftantin IX. hinweiſen; Suidas muß hiernach ſchon dor Ende des 10. Jahr 
hundertS gelebt haben und fein Werk um's 9. 976 bekannt geweſen ſeyn. Derfele 
Bernhardy urtheilt gewiß fehr richtig, wen er Suidas nicht als bloßen Grammatikt 
und Literaten, fondern als Firchlichen Gelehrten karakteriſirt, welcher vom einem kich 


Suibas 216 


ta mönchifchen Standpunkte ausgehend gleich anderen Byzantinern auf umfaſ⸗ 
ſachliche und literarifhe Studien hingeleitet wurde. Ale muthmaßliche Heimath 


Eine zweite Unterfnchung, die immer noch fortgeht, betrifft, die Quellen diefes Le⸗ 
ses. Suidas fchöpfte im Allgemeinen aus dem älteren Wörter» und Sammelbüchern, 
„8. des Photins und Harpofration, aus den biblifhen Oloſſatoren, den Scholiaften, 
gm befonders zum Wriftophanes und Sophofles, ans älteren und jüngeren lirchlichen 
ud Naffiichen Gefchichtsblihhern, dem Chronicon paschale, dem Enſebins und feinen 
dertfegern, endlich aus einer Anzahl Kicchenväter; wie feine Kenntniſſe weit reichten: 
fo hat er auch von allen Selten egcerpixt und compilizt, ift aber, wie längfi eriviefen, 
hei der Aufnahme und Redaltion feiner Collektaneen häufig fehr unkritiſch zu Werke 
gungen. Im Einzelnen iſt die fidhere Nachweifung der bemugten Quellenſchriften des- 
helb ſchwierig, weil man in Gefahr geräth, fpätere Zufäge mit dem urfprlinglichen 
Ice feines Lexikon's zu verwechſeln. Denn wie baflelbe zunädfi von Enftathius, 30» 
ur, Endocia, Macarinus Hieromonachus, deu Bruder des Nicephorus Gregoras 
hust und excerpirt wurde: fo reiste es auch fpätere Beſitzer zu willkürlichen Bereiche 
men, es theilte mit ähnlichen Sammelwerken das Schidfal der Interpolation, bereg, 
ügfeng und Gränzen erſt neuerlich durch die vereinte gelehrte Anſtrengung der Heraus. 
xier ermittelt-tworben find. 

Aus diefer Anlage und Entflehung erflärt fih die bunte Mannichfaltigleit der vou 
Eins aufgenommenen Materien und Namen. Sprachliches wechſelt mit Sachlichem, 
Krhlihes mit Elaſſiſchem, Poeſie und Mythologie, Geſchichte und Literatur, Philo- 
Ihe und Theologie und Dogmatit haben ihr Kontingent geftellt; das Ganze gleicht 
kb einem Lexikon, bald einer Real» Enchflopädie. Vernhardy nennt ihn den kolofſalen 
Vertogaphen, welcher dem ganzen Inbegriff der byzantiniſchen Lektüre darflellt ımd die 
vellefigen Schichten ber Gloſſare, Eommentatoren, Literarifchen Regifter und byzau⸗ 

mike Euszige zum Repertorium für das Studium der Klaſſiker und der Bibel, für 
Bet, md Kirchengeſchichte vereinigt hat. Durch die von Küfler und Fabricins auf- 
#elken Verzeichniſſe theils der behandelten Perſonen, theile der citicten Schrift- 
feler vird die Meberficht des Inhalts fehr erleichtert. | 

Eon theologiſchem Intereſſe find zunächſt die bibliſchen Gloſſen, melde aus 
ven Heſhchius und dem griechifchen Interpreten, wie Theodoret und Oekumenius, ge- 
ſtöhft. ſich auf biblifche Namen wie auf michtigere uenteflamentliche Worte und Be⸗ 
wife beziehen; fie find don Erneſti (Suidae et Phavorini glossae saorae graece, Lips. 
1786) nſammengeſtellt und zwedmäßig erläutert worden. Durch die beigefügten Vibel- 
len erhalten fie wohl auch einen kritifchen Werth, wenn auch nur einen untergeord- 
kl, da der Berfaſſer oft nur umgenan und gedächtnißmäßig citirt hat. Manche 
Ofen And Lediglich lerilaliſcher Urt, und es lohnt der Mühe, über Worte wie dı- 
airn, dixalmua, Ödka Fed, kxoraoız, euxapıorla, vöuos, nAodTog, mveüue, 
Verne Snidas zu vergleichen; viele anderen verrathen eine dogmatifche, muflifche oder 
ilhe Nebenbeziehung und werben dadurch intereflant, daß fie dem hermenentifchen 
Shmtpunft des Leritographen oder feiner Gewähramänner Tennzeichnen. So 3. B. be 
net er zu door Ini wepadäs: das hohenprieſterliche Del beftanb ans verfchiedenen 
ohfgerächen, aber Keiner für ſich allein hatte einen ſolchen Duft, fondern erfi die Di- 
Nüung afler brachte den größten Wohlgeruch hervor, wodurch aber eine gefchwifterliche 

e ansgedrüdt wird; denn erft aus der innigen Berbindung vieler Trefflichkeiten 

der Duft einer vollendeten Xingend.“ Bu Zyern9n wird weislich erwähnt, 
KR das Wort mit einfachem » vom Schaffen, mit doppeltem bom engen gebrandt 
derde. Obchſt wunderlich iſt, daß von dem einfachen bibliſchen Zyevero acht verſchie- 
ur Gebrancheweiſen unterfchieden werben: es werde angewendet dem Scheine nad) 
deſuns Chriſtus wurde für ung zum Fluch), zur Unterweiſung (Gott ſprach: es 
nerde At), mach der Steigerung des Gubjelts (Los Weib wurde zur Salz 


216 Suidas 


ſäule), nach dev Bermehrung (das Senflorn wurde zum großen Baume), nadı de 
Berminderung (ih bin Greis geworden und habe feine Kraft mehr), nad be 
Wirkſamkeit (Gott wurde die Hoffnung des Heiles der Welt), vermöge der Aſſum 
tion (xard noooAmyew) in den Worten: „die ihn annahmen, denen gab ex die Mad, 
Kinder Gottes zu werden. Treffend bemerkt Exnefti zu diefer Stelle: Credo exsul. 
tasse hominem, cum hunc doctrinae partum edidissst! Nur wolle man nicht wel 
fein, daß ſolchen lächerlihen Subtilitäten nicht auch viele brauchbare und glüdlid 
Worterflärungen gegenüberftehen. — Der theologifhe und dogmatifche Standpunft dei 
Werts ergibt ſich ans zahlreichen WUenkerungen. Unter eds findet ſich die Exklärug 
daß Schon Philo, um die Namen „Gott“ und „Derr“ auszulegen, die Borftellung de 
Trinität angewendet habe. „Denn indem er behanptete, daß Gott Einer fen, hatt a 
feine numerische Einheit im Sinne, fondern bezog ſich auf das Geheimniß der heilign 
Trias, welche einheitlicher ift als alles Theilbare, aber auch reichhaltiger als alles m 
einmal Vorhandene.” Er fagte ferner, daß da8 „Seyende“ zwei Kräfte habe, die ein 
fhöpferifch wirffam, die andere herrfchend und richterlich; jeme wird mit dem „ed 
diefe mit dem xvoprog bezeichnet. So unterjcheidet fich alfo der chriftliche von den 
hellenifchen Gottesbegriff, welcher letztere hierauf in einer allgemeinen und keineh 
wegs entftellenden Definition zufammengefaßt wird; den erfleren muß David mit Piols 
41, 2., den legteren Sophofles und Pindar bezeugen. — Statt aller anderen Belgı 
greifen wir noch die beiden Artilel Adam und Jeſus als bedeutungsvoll heraul 
Der erſte Menfch, heißt es, ift der von der Hand Gottes nach deſſen Bild und Ach 
lichkeit gefchaffene, welcher and) der Wohnung im Paradiefe gewürdigt wurde. Er dei 
mit Recht der Weife genannt werben, von feinem Geifte find die Strahlen göttliche 
Gedanken und Chätigfeiten auf die ganze Natur übergegangen, dergeftalt daß die Dar 
züge aller gefchaffenen Wefen dabei zur Anfchauung gelommen find; er ift nicht nad 
menfchlihem Maßſtabe, fondern von Gott felber, dem Urheber aller Gedanken und Ir. 
theile im Geift, geprüft und genehmigt worden. Von Adam find alle Thiere bemun, 
bon ihm alle Samen und Wurzeln der Pflanzen erfannt- und unterfchieden, und md 
unzähligen Geſchlechtern haben fid) doc alle Nachkommen und Völker diefen Ausfprüde 
der Namensbeftimmung unverbrüchlich anfchließen müffen. Und im Anblick feines Weil 
hat er fie als Bein von feinem Bein und Fleiſch. von feinem Fleiſche genannt. Em 
Wert find die Fünfte und Wiffenfchaften, die Weiffagungen, Riten, Reinigungen, geſchrichen 
und ungefchriebene Gefege, von ihm flammen alle Entdedungen der Erfenntniß mie der 
Nutzlichkeit. Ex erſcheint als die erfte Bildfäule, das urfprüngliche don Gott had 
gerufene Standbild, durch welches alle anderen künftlerifchen Darftellungen der Menides 
beftimmt worden, wiewohl diefe freilich nad und nad zum Schlechteren abgewihe 
find, da das Vorbild für diefe Nachahmungen keinen fiheren Anſchluß und Mafeb 
darbot. Endlich hat der Satan, der Abtrünnige und Verderber, die urſprüngliche New 
fhengeftalt von ihrem Sig und Fundament herabgeftürzt und in eine büflere und der 
Hades benachbarte Region verfegt. Seitdem begann die menfchliche Natur verbilie 
und verunftaltet und mit dem Abzeichen ihres Tyrannen behaftet zu werden; fetten 
enttwidelte ſich die Afterweisheit, und die wahre Weisheit entfloh zum Himmel zurüd, 
von wannen fie gelommen war. Der Teufel aber mißbrauchte den Namen Gottes m! 
fpaltete ihn in viele andere Namen. Es wird hun weiter ausgeführt, was ans diejem 
erſten Betrug hervorgegangen, nämlich die Anfänge der geſammten Diythologie, Are: 
logie und Mantik und des ganzen fündhaften Verderbens und heidnifchen Wahus, wel 
chem erft die Menſchwerdung Chrifti ein Ziel geſetzt hat. Denn diefer war es, welde, 
bis in die Untertvelt herabfteigend den gefallenen Menfchen tvieder aufrichtete, feinem 
Bilde die urfprüngliche Schönheit und feiner Natur die angeftammte Würde zurüdgeb 
Durch Chriſtus ift die Gewalt des Tyrannen gebrochen und das Ficht der Keligim 
hat die ganze Welt heller als Sommenftrahlen durchleuchtet. Nach einer interpolitke 
Stelle fließt der Artikel mit einer Zeitrechnung, die bis zum Tode des Kaiſers Jr 





Suidas 217 


hun Tıimößce®, alſo muthmaßlich bis zum Zeitalter des Schriftſtellers ſelber reicht. 

So etvoll und pathetiſch lautet die Rede über den erſten Menihen! Adam iſt 
sh ver Anfänger der Menfchheit, er iſt deren Urbild und Inbegriff, der Schiäffel 
ua Beräuduig der Geſchichte umd der Offenbarung, von ihm ift die Welt der Be 
zit geieglich feflgeflellt, in ihm die Höhe und Ziefe des Menſchenlebens offenbar ge» 
naden, — welch” ein Contraſt gegen ‚die naturtoifienfchaftlichen Aufichten unferer Tage! 
Men der Berfoffee erfchöpft fich dergeflalt in diefer Mnfchanung, daß er die Berherr- 
ihaug des zweiten Adam's anticipiren muß. Der Athem fcheint ihm auszugehen, 
ober verfällt ex in dem Artikel Jeſue (6 Xpıorös zul 6 Hedg nur) in einem deſto 
üwäderen Tom. Vier findet fi) nämlich nichts ale eine apokryphiſche und höochſt pro- 
ciſche Erzählung vom einem unter Kaifer Iuflinian Lebenden vornehmen Inden Theodo⸗ 
it, welher von einem Ghriften Philippus zum UWebertritt aufgefordert worden. Er 
abe diefen Autrag abgelehnt mit der Erflärung, daß er zwar aus Weltluſt und Ehr⸗ 
ezierde Jude bleiben müfle, daß ihm aber die Wahrheit der chriſtlichen Sache und der 
Refanität Jeſn wohl bekannt fe. Dem unter den 22 regelmäßigen Prieflern des 
Inpels von Jeruſalem fey zur Zeit Jeſn eine Balan eingetreten; vergebens habe 
nad, einem würdigen Nachfolger gefucht, zuletzt ſeyen Alle übereingefommen, Jeſus 
pm Priefler zu ernennen, was aber nicht eher gefchehen, als bis durch eine förmliche 
Beuchmung der Maria defien wahre Herkunft feftgeflellt worden ſey. Man habe hier- 
a die Ewühlung Jeſu, des Sohnes Gottes und der Maria“, zum “Priefler bes 
Tempels ſchriftlich beplaubigt, und die darüber aufgenommene Urkunde ſey bei der Zer⸗ 
Hlnmg der Stadt gerettet und in Tiberias niedergelegt worden, wo fie ſich noch jetzt 
ufate. Diefe in ähnlicher Form and) anderiveitig nachweisbare thörigte Legende bildet 
sc emigen Notizen über das Zengniß des Joſephus und das Lukasevangelium ben 
m dahalt des Artilels; Schwung und Begeiſterung, die der Verfafſer im Preife 
ie an Mdanı- verfchivendet, fucht man vergebens, fie gehen unter in einer traditio- 
che dogmatiſchen Nüchternheit, welche uns in der Ehriftologie des Mittelalters 
I #ft atgegenteitt. " 

Ddes allgemein wiffenfhaftliche md philofophifce Intereffe des Suidas 
jagt fi, an vielen Stellen, da er die alte Philofophie in ziemlich weiten Umfange 
iherſeh auch den Diogenes Laertius zu Rathe gezogen hatte. Lehrreich find in dieſer 
Peiehung die Artikel ddıapopia, öpern (eine geichidte Zufammenflellung ber antiken 
Tegendbegriffe), Gpyn, xlynoıs, xbouog, vous, wuyn, gvoıs u. a. Unter dos umter- 
Geidet Suidas Thefen, Hypothefen und Probleme und erwähnt den Gegenſatz der 
detiſhen umd phyſiſchen Name. und Spradauffaffung. 

Eadlih, Liefert Suidas noch eine reichlihe patriftifche Nomenclatur und Blu⸗ 
alle. Die wichtigeren vom ihm aufgeführten und mit biographifchen und Literarifchen 
totigen anßgeflatteten Namen find: Wetins, Apollinaris, Baftlins, Eunomins, Eufebins, 
iuſtathins, Eutyches, Ignatins, Johannes Damascenus, Johannes Philopouns, Jo⸗ 
Shus, Juſtinus, Leontins, Leo Philoſophns, Macarius, Manes, Methodins, Nonnne, 
bodatns, Paphnutins, Peirus Mongus, Philoſtorgins, die Sibyllen, Symeon, Stune- 
20, Tationus, Theodorus Lector, Theodor von Mopeveſte, Theophilus. Erwähnung 
Adimen die Nachrichten über die Philofophin Hypatia, deren Leben, Studien und 
led. Nicht felten verräth ſich aus der Relation zugleich das Urtheil des Schriftftellers 
M feiner Kirche. Der falfche Areopagite erhält den Namen „berühmtefler Mam⸗, 
“zum Gipfel griechifcher Weisheit emporgeloumen und als Schüler des Paulus von 
"lem zum Bifchof von When gemacht worden; ber Wiſſenstrieb habe ihn nach Aeghpten 
‚fährt, und dort fen er zu Heliopolis in ber Oflerzeit und während einer anfergewöhn- 
den Sonnenfinfleenig mit dem Sophiſten Mpollophanes, dem Lehrer des Ariflides, 
Munmengetroffen. Diefe Sage foll mm mit einigen Stellen der dem Dionyflus bei» 
xlegten Briefe belegt werden. Noch lobpreiſender wird Chryſoſtomus eingeführt; 
m ihm heißt es geradezu, daß feine Beredtſamkeit ſtärker ſtedme als die Katarrakten 


218 Tanferorcismus 


des Nils, daß Fein Sterblicher ihm an Wohlredenheit gleichgekommen und feine Scheiften 
fein Menſch, fondern Gott allein zählen könne. Leſenswerth ift endlich der audſühr— 
liche, aus Eufebius, Sophronins und Cedrenus gefchdpfte Artikel Drigenes. Dat 
Urtheil über diefen Mann hatte fid) in der fpäteren griechiichen Kirche ſehr zu deſſe 
Ungunften feftgeftellt, Suidas aber will dody nad; beiden Seiten hin gerecht fern. E 
rühmt daher zuerft feine vielfeitige philofophifche und chriftliche Gelehrſamkeit. „Un 
‚was fol man von feinem nahezu unfterblichen und feligen Oeiſte fagen, welder Di 
lektit, Geometrie, Arithmetit, Muftt, Grammatik, Rhetorik und alle philofophifchen Di 
ciplinen durchaus erfaßt hatte, fo daß er auch Schüler weltliher Wiſſenſchaften zu m 
terrihten verftand und, fo oft er Vorträge hielt, einen großen Zulauf um ſich verfm 
melt fand.» Seine hohe Geiftesbegabung haben felbft Gegner des Chriſtenthumt m 
Porphyrius mit ehrenden Ausdrüden anerkannt. Nun folgen einige Nachrichten du 
Leben, Studien und Schriften; er interpreticte die ganze heilige Schrift in 18 Jake 
und fol 6000 Bücher (!) gefchrieben haben. Aber — fährt Suidas fort — inde 
er nichts Bibliſches unerforſcht laſſen wollte, fette ex ſich den Unfällen der Süude cu 
umd verfiel in todbringende Neben; aus ihm fchöpfte Arius feinen Irrthum und eb 
die nachfolgenden Anomder, die Unheiligen und alle Anderen. „So oft er dom Glaube 
dogmatifirt, erfcheint er verfehrter als alle Uebrigen« (oa de nuepi nioremg 2doyno 
riot, Tüv nüvrwv Gronwrepog edploxera). Im diefer Beurtheilung ringen alfo &ı 
und Tadel mit einander; Suidas vertritt die Ehren feiner Kicche, er darf aljo de 
Drigenes tveder als Gelehrten und hochverdienten Schrifterflärer fallen laſſen, ni 
feine verhängnißvolle Heterodorie verdeden wollen. | 

Aus dem Gefagten ergibt fi, daß Suidas, obgleich num ein Sammler und Ey 
Mopädift, doch auch einiges Eigene zu erfennen gibt, wodurch der Stanbpuntt ſein 
Zeit ımd Kirche in intereffanter Weife ausgedrüdt wird. Im Wllgemeinen darf geſag 
werden, daß fein Werk in theologifche Bibliothelen zu felten Aufnahme findet. 

Das Lerifon wurde zuerft und mvollftändig durch Demetrins Chalkondylas, Mei 
land 1499 (Venet. 1514 ap. Ald.) herausgegeben. Bon den folgenden Editionen fl 
hervorzuheben die von Küfter, Cambridge 1705, bon Gaisford, Orf. 1834, von dm 
hardy, Halle 1853, vier Bände, und von Beller, Berl. 1854. 

Bergl. Fabric. Bibl. Gr. IX, p. 620 sqq. und in der Ausgabe von Hard Tl 
S. 390 ff.; dazu die Prolegomena zu Bernhardy's Ausgabe und deſſelben Gran 
der griechifchen Literatur, Bd. I. S. 601. 609 der zweiten Bearbeitung. Dr. Ga. 


T. 


Taufexorcismus und Abrenuntiation *). In den eclementiniſchen Howilie 
tritt als Vorbereitung auf die Taufe III, 73 nur das Faſten mit täglicher Hander 
fegung auf, deſſen Dauer die Recognitionen III, 67 auf drei Monate ausdehnen, ui 
kennen die letteren bereitö die der Taufe vorgängige Salbung mit geweihtem Del 
Yuftin der Märtyrer erwähnt als Vorbereitung zur Laufe Apol. I, o. 61 das gemen 
fame Gebet und Faften des Täuflings und der Gemeinde. Da das Gebet die Bu 
gebung der früher begangenen Sünden zum Inhalte hatte, fo kann das Faſten mm U 
Ausdrud der Trauer darüber (der poenitentia antebaptismalis) geweſen feye. Di 
Taufe felbft ging das Bekenntniß der Zuſtimmung zu der chriſtlichen Lehre und io 








*) Obgleich beide Begriffe von mir in dem Artilel „Taufe Bd. XV. ©. 480 m. 48 ! 
der Kürze entloidelt worden find, wänfcht dennoch die Redaktion eine ſpeciellere diſtoriſche © 
handlung derſelben. Ich ftelle zu dieſem Zwecke bie wichtigften Data zufammen, wie fie fd! 
erihöpfender Vollſtändigkeit in des fel. Höfling gründlichem Bude: „Das Sacrament ber Tank 
an verſchiedenen Orten finden. 


Zauferorciömns 219 


Belühde des ihre entiprechenden Lebenswandels voranf. Es ift nur naturgemäßer Fort⸗ 
(dritt der Entwicklung, wenn bei Tertullian de bapt. c. 20 als präparatorifhe Ritus 
jänfige Gebete, Faften, Kniebeugungen, Nachtwachen und zugleich das Be⸗ 
eantniß aller fräheren Sänden vorkommen, dagegen iſt es etwas ganz Neues, 
am et (de cor. milit. c. 3 vgl. de speotacul. c. 4) fagt, die Zäuflinge bezeugten 
ontestari), unmittelbar bebor fie in das Wafler nieberfliegen, aber auch ſchon etwas 
über im dee Kirche, unter der Sandauflegung des Biſchofs (sub antistitis manu), 

8 fie dem Teufel, feinem Gepränge und feinen Engeln entfagten (renuntiare diabolo et 
mpse et angelis oius). Es ift dieß dae erfte Zeugniß für die Abrenuntiation, 
e dur) dafſelbe nicht bloß als eigentlicher Taufr, fondern zugleich ˖als Katechumenats- 
t verbirgt wird, ein Doppellarafter, der ihr ſtets eigen geblieben if. Wir haben 
u dabei der ſchon don den Clementinen und von Juſtin vertretenen, auf jüdifcher 
kfig muhenden (LXX. in Ps. 96, 5. und Deuteron. 32, 17. Baruch 4,7. of. Apofal. 
‚20 ud UKor. 10, 20 ff.) altfatholifchen Anfhauung zu erinnern, nad welder das 
yitenttum mit feinem Cultus ein Wert der Dämonen war. Die Abrenmtiation, 
erh welche fi, der Heidenprofelyt feierlich vom jeder Gemeinfchaft mit dem Heiden» 
ham Ioffogte, bildete daher die negative Seite des Taufgelübdes in fpeziellem Hinblid 
f bie frühere Stellung des Täuflings: fte bezeichnete den terminus a quo feiner 
elehtung. Aber damit konnte ſich fchon frühe die Vorſtellung verfnüpfen, daß der 
ndige Menſch Aberhaupt vor der Wiedergeburt umter der Gewalt der Dämonen ſtehe 
HM. Barnabasbrief c. 16), umd diefe Vorftellung mußte dich die Ausbildung der 
hre von der Erbſünde begreiflicher Weiſe der Abrenumtiation nicht nur eine ganz neue 
Beutung geben, fondern auch ihre Verbindung mit der immer allgemeiner werdenden 
Wertaufe beglinftigen: fie wurde nun die feierliche. Berficherung, die der Täufling ent 
de in eigener Berfon oder durch den flellvertretenden Pathen gab, daß ex forthin 
vr Öemeinfchaft mit dem Teufel, in welcher er kraft des Sündendienftes ober ber 
Krihen Abftammung von Adam ftehe, entfage, um ſich Chriſto und feinem Neiche 
Rseloben. So erfheinen die änorayr ou dıußdlov und die avvrayn Tod Xguorov 
“ts im den apoſtoliſchen Conftitutionen (VII, 41, 1) als correlative Alte. Die 
temmtiation Tonnte wie das Symbolum theils als freies Bekenntniß des Täuflings, 
U8 als Anwort auf eine oder mehrere vorgelegte Fragen gefprochen werden (Pseudo- 
ibros. de sacram. I. 2). Mit ihr verbanden fich im Drorgenlande feit dem 4. Jahr⸗ 
Bert noch manche fumbolifche Gebräuche. Nach Eyrill von Ierufalem (catech. myst. 
e. 2) wurden die Täuflinge in die Vorhalle des Baptiſteriums geführt, hier nad) 
ihm, der Region der untergehenden Sonne oder der Finfterniß gerichtet, ſprachen fie 
t mögefiredter Hand zum Satan, als wäre ex gegenwärtig, die arorayn, dam 
mt fie fi nad; Often und befannten den trinitarifchen Glauben und die Taufe 
Simesanderung. Im ganz ähnlicher Weife fchildert der Wreopagite Dionyfius 
eecles hierarch. c. 2.) den Vollzug der Abrenuntiation (nad; alexandriniſchem Ritus), 
daß der Taufling fie dreimal wiederholt, indem er den Satan, als wäre er gegen- 
fig, dreimal anhaucht (in den fpäteren Formularien der griechifchen Kirche Eucholog. 
Goar ed. Venet. p. 274 flg. fpudt er ihn auch an) und dann dreimal mit zum 
mel erhobenen umd ausgeftredten Händen fi Chrifto angelobt. 

Der Erorcismus (LEopxoude, Zrropxıouds, Aropxıonös) if allerdings ber 
tenmtiation nahe verwandt, aber ‘doch nicht mit ihr zu identiſiciren. Schon Joſephus 
m die Beſchwörung ber Dämonen bei den Beſeſſenen (archaeol. VIII, 2, 5) eine 
terbreitete Sitte des jüdifchen Volles ımd leitet die Kunft derfelben bon Salomo 

Auch Chriſtus erwähnt fie als jüpifchen Brauch (Matth. 12, 27. Luc. 11, 19) 
die Mpoftelgefchichte gedentt 19, 13 flg. judiſcher Erorciſten. Chriſtus heilt nicht 
ß ſelbſt bämonifche, fondern ertheilt diefelbe Vollmacht auch feinen Apofteln (Matth. 
‚1, 8. Marc. 16, 17). Es darf ums daher nicht befremben, mern wir die We. 
börmg der Dämonen ſchon frühzeitig in der chriftlichen Kirche finden, aber in Tee 





220 Tanferorcisumns 


verfchiedener Weife. Uxfprünglic find es nur Kranke einer befonderen Gattung, N 
eigentlichen Energumenen oder Dämonizomenen, an denen der Exrorcismus und ji 
wie im Neuen Teftament nit als amtliher Akt, fondern als perfdnlide 
Charisma geübt wurde. Die Exorciften hatten darum auch urfprünglich keine amt 
lihe Qualität (Tertull. apolog. c. 23. de cor. mil. c. 11. Constit. apost. VII 
26.), doch kündigt fidh in den Conftitutionen a. a. DO. eine Wendung bereits in d 
Berordnung an, daß, wo man des mit perfönlichem Charisma begabten Eroreifien bi 
dürfe, derfelbe zum Bifchof oder Presbyter oder Diakonen geweiht werden fole. D 
gegen finden wir in dem 24. Canon der Taodicenifhen Synode im 4. Jahrhundert I 
Erorciften unter den niederen Kirchenbeamten aufgezählt, mit der ausdrücklichen Veſn 
mung (can. 26), daß die Beſchwoͤrung ſowohl in Kirchen als in Häufern nur im il 
trage des Biſchofs flattfinden dürfe. Im Abendlonde war das Amt des Cxorcifien | 
reits um bie Mitte des 3. Jahrhunderts ein flehendes (epist. Cornel. ap. Euseb. Vi 
0.43 8.11). Mit dee Taufe haben diefe Erorcismen nichts zu thun, ſondern ledigh 
mit den Kranken: .nur für diefe war das Amt des Erorciften beſtimmt. Die * 
dung des Erxorcismus mit der Taufe ſcheint zuerſt durch die Erorciſtrung des 
waſſers vermittelt und angebahnt worden zu ſeyn (vgl. die excerpt. Theodot. c. 8 
zo ddwp xai To Lkopnılöusvor zul TO Bdntıoua yerduevor, letzteres Bezeichnung & 
Eonfefration), wie fie noch heute die rÖmifche Kirche in der benediotio fontis au I 
Dfter- und Pfingfivigilie vollzieht (dgl. das römifche Miffale im officium bes groß 
Sabbaths). Wir dürfen wohl annehmen, daß in der alttatholifchen Kirche im 2. Ah 
hundert die Erorcifation und Conſekration des Taufwaſſers, die Abrenuntiation u 
Eonfeffion (Credo) des Täuflinge noch als ausreichend betrachtet wurden; nur wenn 
mit ®iefeler (I. 1, 286) und Augufli (Denfiwürdigleiten VII, 271.) Tauferorcisums u 
Abrenumntiation als gleichbedeutend anfleht, kanm man für die angegebene Zeit ans N 
Bezeugung der letzteren auf die Hebung auch des erfteren fchließen. Allein zum erfk 
Male wird der Erorcismus als ein an den Täuflingen vollzogener Akt erwähnt in de 
Botis der afrikaniſchen Bifchdfe Erefcens von Eirta, Lucius von Thebefte und Bincenta 
bon Thibartd auf dem oncile zu Karthago vom 1. September 256 über die Bei 
[ung der zur Kirche zurüdfehrenden Häretifer (fiehe meinen Art. Ketzertaufe). Mani 
freilich zweifelhaft feyn, ob diefelben den Erorcismus als einen jeder Taufe we 
gehenden Alt oder nur als nothmwendiges Requiſit für die Taufe des zurücklehrene 
Häretikers anfahen, da fie einen folchen für fchlimmer ald einen Heiden hielten; fernen u 
der Erorcismus bereits als allgemein kirchlicher Gebrauch (mofür das Botum des Eärcilu 
bon Bilta zu fprechen fcheint, nach welchem auch Häretiter ihre Täuflinge zu egoraft 
pflegten, wenn nicht etiwa diefes Zeugniß eher auf einen häretifchen Urfprung der Ex 
hindentet) oder nur als Iocale Sitte einzelner Didcefen beftand. Die letztere Annchn 
wird durch die Thatſache begünftigt, daß weder Cyprian noch die übrigen lieder b 
Synode den Tauferorcismus erwähnen. Da er auch in den nächflfolgenden Decenm 
nirgends bezeugt ift, fo dürfte er al8 eine im 3. Jahrhundert noch auf Nordafriea b 
fchränkte Cultuseigenthümlichkeit anzufehen feyn. Im Abendlande wird er erſt in d 
2. Hälfte des 4. Jahrhunderts von Optatus von Mileve (De schism. Donat. IV, | 
Auguftin (de nupt. I, 20. II, 18, 19. Epist. 194 ad Sixt. De Symb. ad ostes 
1, 5. contr. Jul. I, 4. in Ps. 65. De peco. merit. I,34. de grat. et peoo. orig. 
40, de fid. et op. c. 6) und Gennadius (de eccles. dogm.c.31) umd zwar von Opiet 
und Auguftin auch als Alt vor der Kindertaufe, von Auguſtin und Gennadind ı 
exoreismus et exsufflatio, weil der Priefter den Katechumen anblies, dagegen von Per 
Ehryfologus (Biſchof von Ravenno, + um 450, serm. 52u.105) als Ritus vor der Tuı 
früherer Heiden mit der Handauflegung erwähnt. Wuguftin ftellt ihn in Ps. 65. um 
dem Bilde des Feuers der Waffertaufe gegenüber. Im Oriente gedentt zuerfl Eyril 
der Prolatechefe (c.5 u. 8) und erſten Katechefe (c. 5) der Erorcismen mit dem dupvandi 
und der Verhällung des Angefichtes, befonder® der Augen. Die Exorciömen erjheis 


Tanfersrciümns 231 


hier Ihglich als Alte des Photizomenate, d. h. der legten Katechumenatsfinfe, wie fie and) 
eis [ide der zweifelhafte 7. Kanon des 1. oefumenifchen Conciles zu Eonflantinopel 381 
iijet. Auch bei Gregor von Nazianz und Chryſoſtomus werden fie erwähnt, da⸗ 
pa ia den apoftolifchen Gonftitutionen und von Dionufins dem Wreopagiten wit Still, 
Imeigen übergangen, ebenſo von deu äthiopifchen, armenifchen und neflorianifchen 
jernaloren für den ordo ad faciendum oatechumenum. Wir dürfen darans mit 
Biherheit abnehmen, daß der Zauferorcismus eine allgemeine Berbreitung in ben mor- 
mliniihen Kirchen nicht gefunden hat. Wo er aber überhaupt flattfand, wurde er 
oa deu die Serntinien leitenden @eiftlichen, aber nicht von dem Exroreiſten geübt. 

Die Croxciemen gehörten ausfchlieklich, die Abrenuntiation vorwiegend der liturgi⸗ 
ben Behandlung der Bhotizomenen an. Die Eyorcismen wurden an ihnen mehrere Wale 
iederholt, der legte im Mbendlande am Tauftage felbft (dem fogen. 7. Scrutinium) voll 
ne; ihnen folgte ſtets unmittelbar die Mbrenuntiation, wie fi) aud) in dem griechi⸗ 
ka Rimale die axosayn an die apopxouoi anſchließt. Die alte abemdländifche 
becifotiensformel lautet: exorcizo te, immunde spiritus, in n. P. et F. et Bp. sancti, 
kurs ot rooedas ab his famulis (famulabus) Dei. Die Ubrenuntiation: Abrenun- 
is Sstanse? abrenuntio. Et omnibus operibus eius? abrenuntio. Et omnibus 
eis eins? abrenuntio. Die folenne Taufhandlung ſelbſt eröffnete mit der bene- 
tie fontis. Dex Erorciomus fand bei ihr micht mehr flatt, fondern nach der römi« 
ben Orteung fofort die Abfrage des abgekürzten Symbolums im drei Abfägen mit 
wine geantivortetem „oredo”; in dem griechifchen Rituale (bei Goar 6.287) folgt ſogar 
u die benedictio fontis fofort die Salbung und die Taufhandlung ohne vorhergehen- 
4 delemtniß (daS mithin wie die Gxorcismen und Wbrenuntiation dem liturgifchen 
Keiymtsgottesdienfte ausfchließlic angehörfe); in dem gothifchen. mud gallifchen 
Tina dagegen gimgen der Taufe felbft auch Abrenuntiation und Credo in frage und 
7 mwittelbar vorher. Das Alles gilt ſelbſtverſtändlich nur vom der Taufe 


ae. 

de Rindertanfe, für die wir aus alter Zeit feine befonderen Formulare mehr 
bein, wurde ohne Zweifel ſchon frühzeitig nach der Form der Profelytentanfe und fo- 
Mad mit fümumtlichen Katechumenatsatten, aljo auch mit dem Erorciemus und ber 

iotion vollzogen, nur daß nun die legtere ebenfo, wie da6 Credo von dem 
then geantwortet wurde. Da nun aud mit der Zeit die Taufe von Erwachſenen 
we ſeltener wurde und das alte Katechumenatsinflitut dadurch feine Bedentung ver⸗ 
u [0 109 man überhaupt dem veränderten Bedürfniffe folgend ſammtliche Katechn⸗ 
miltatte, die fich früher auf eine Reihe von Scrutinien vertheilt hatten, nicht nur 
einen Gottesdienft zufammen, fondern verfchmolz fie auch mit dem Taufakte felbft 
tiner Ütwegifchen Handlung: diefe vollendete Thatſache bezeugen der ordo baptis- 
'slaltoram. umd der ordo baptismi parvulorum in dem Rituale Pauls V., welche 
be einen ganz ähnlichen Berlauf haben. Die Erorciömen nehmen darum in dem einen 
e dem andern einen fehr breiten Raum ein: ihre Wiederholung in kürzerer und län- 
w Ferm erklärt ſich eben ans diefer Zuſammenziehnng verfchiedener Handlungen in 
%. Die Übremuntiation und das Credo, die bei der Zanfe der Erwachſenen zwei 
N, beim Eintritt in die Kirche und vor dem Zanfalte flattfinden, haben bei der Tanfe 
! Kinder ihre richtige Stelle vor der Handlung felbfl. 

Et erübrigt ums noch die Beantwortung der Frage: wie fi) Erorcismns und 
brennatiation zu einander verhalten. Bor Allem ift klar, daß der Exorcis- 
"ans der Abrenuntiation erwachſen ifl, daß aber beide ihre Wurzel in denfelben Bor- 
Äungen haben, aämlid, daß das Heidenthum ein Werk der Dämouen fen und daß der 
Keianfte vom Natur in den Banden und unter der Gewalt bes Satans liege. Der Exor- 
und if} eine Handlung der Kirche, die an dem Taufcandidaten gefchieht und bei welcher 
Kir det näbere, der Teufel und feine Engel das fernere Objelt find; die Abrenuntiation 
Hm iR ein freies Gelbbniß bes Tanfcandidaten, welches ex der Kirche ablegt und 








222 Tanferorcismns' 


bei welchem er als handelndes Subjelt auftritt. Durch den Exorcismus wird der Taf 
befchworen aus dem Täufling . auszufahren, in der Abrenuntiation aber kündigt dig 
felbft dem Zeufel und feinen Mächten den Dienft auf. Bei dem Exorciemns wind d 
Teufel als nicht bloß drtlich, fondern als in dem Dienfchen felbft gegenwärtig beſchwore 
in der Abrenunciation dageyen fteht er dem Täufling ſchon als eine außer ihm herrſchen 
Macht gegenüber. Beide haben den gemeinfanen Zwed ihn von dem Dienfle d 
Teufels zu fcheiden und zivar fo, daß das, was die Kirche an ihm thut, als die Bei 
gung deſſen erfcheint, wos ihm felbft obliegt: als die Befähigung zu feinem eigem 
freien Thun. Es war darum ganz naturgemäß, daß in dem kirchlichen Altertkum h 
Exorcismus ftetd vorausging umd die Abrenuntiation nachfolgte, und es wäre offenberm 
Berrüdung diefes Berhältniffes, daß der ordo baptisimi adultorum mit der Abrem 
tiation und dem Credo beginnt, wenn nidht diefer Akt als eine vorläufige Verſichem 
deffen anzufjehen wäre, was der Brofelgte in der Taufe fucht und begehrt, nämlid 
fides, weßhalb denn auch die Abrenuntiation und das Credo in diefem Rituale w 
einmal vor dem Taufakte wiederholt werden. | 

Es fragt ſich weiter, ob die altlatholifche Kirche den Exorcismus als einen effe 
tiven oder bloß fignificativen Alt des Amtes angefehen habe. Aus den Ya 
niffen der Väter vom 3. bis 6. Jahrhundert dürfte diefe Trage im Einzelnen ſchwer 
entfcheiden fein. Im Allgemeinen kann man nur fagen, daß ficherlich die Väter zwiſch 
der Zaufe felbft und den auf fie vorbereitenden Akten nicht im Sinme der fpäteren } 
fo unterfchieden haben, daß fie jene als facramentlihe und mithin effektive Handlunge 
diefe dagegen als begleitende, den Eindruck der Feier erhöhende bildfiche Eultuöform 
anfahen. Die Symboliker werden vielmehr jenen wie dieſen den gleichen fymboliid 
die Andern den gleichen realen Karakter beigelegt haben. Aber auch diefer Unterfäi 
kann für unferen Gegenſtand nichts austragen, da auch die Symboliker der alten }ı 
die Myſterienhandlungen der Kirche zwar ſymboliſch erflärten, aber fie doch andy von ca 
realen objeltiven Gnadenwirkung begleitet dachten. So hat 3. B. Marimus Eonfefi 
in feiner Moftagogie alle euchariftifchen Cultusakte eben fo ſymboliſch umd fo efiei 
gefaßt, wie den Sacramentögenuß ſelbſt. Wir werden darum nicht irre gehen mi N 
Annahme, daß die alte Kirche dem Exorcismus eine effeltive Bedeutung beilegte. * 
ſichert doc; ſelbſt ein Schriftſteller des 4. Jahrhunderts, bei welchem fich ung zei! 
noch leiſen Spuren der Uebergang von der zu jener Zeit noch allgemein herrſchott 
iymbolifhen Auffaffung der Diufterien zur realiftifchen antündigt, Cyrill von Ieruicht 
in den cat. myst. II, 3, daß die Anblafung von Seiten der Heiligen und die Epiflefe d 
Namens Gottes gleich einer heftigen Flamme die Dämonen brenne umd verſcheuche © 
daß darum auch das erorcifirte Del eine ſolche Kraft Habe und ſolche Wirkungen Ei 

Doch blieb e8 erft dem Mittelalter vorbehalten in diefem Punkte fchärfere Baar 
aufzuſtellen. Es wird für unferen Zweck volllommen genügen, wenn wir uns an Thom 
von Aquino halten. Diefer beantwortet in der Summa (P. IIL, qu. 71. Ur. 2.' 
die beiden Tragen: utrum exorcismus debeat praecedere baptismum? und ulrı 
ea, quae aguntur in exorcismo, aliquid efficiant? Er faßt aber unter biefem ! 
griffe die exsufflatio, die benedictio cum manum impositione, das Salz, die Bes 
dung von Nafe und Ohren und die Salbung mit Katechumenendle zufammen. Erſe 
man greife fein Werk an, ohne zuvor die ihm entgegenftehenden Hinderniffe zu befeitigt 
nun habe der Teufel, der Feind des menſchlichen Heiles, kraft der Erb⸗ umd Thatlüs 
über den Menſchen eine gewiffe Gewalt; daher würden pafiend die Dämonen ! 
dee Taufe durch die Erorcismen ausgetrieben, diefe Austreibung bedeute (significat | 
Erfufflation, die Benediction fehneide den Ausgetriebenen den Weg ber Müdehr ab; d 
Salz und die Beftreihung von Nafe und Ohren bedeuten die Armahme, die Bel 
tigung und das Bekenntniß ber Glaubenslehre, die Salbung die Tüdhtigleit } 
Menfhen zum Kampfe gegen die Dämonen. Einige meinten nun, was in d 
Erorciomus gefchehe, wirle nicht, fondern bedeute bloß; daß dieß falſch ſehy, erh 


Tanterorcisund 223 


ma mi der imperativen Formel, deren ſich die Kirche bebiene: ergo, malediete 
äsiek, exi ab eo. Darum müfle der Erorcisnns einen Effekt haben, der von dem 
ie Isfe verfchieden ſey; während diefe Die GOnade zur vollen Sündenvergebung er- 
de, würden durch jene‘ die äußeren und inneren Hinderniſſe, nämlich die Dämonen 
m de durch die Sünde caufixte Unempfänglichleit für die Gnade, gehoben. Der 
Goctmnd iſt ihm denmach eim fumbolifcher, aber nichtödefloweniger wirkſamer präpn. 
weihher Wit, durch welchen die Kirche zum Empfang der Zanfgnade bifponirt. Der 
shuiihe Retechtemn® fagt P. Il. c. II. qu. 64. nur, es geſchehe ad depellendum dis- 
klım einaque vires frangendas et debilitandas sacris et religiosis verbis ac preca- 
tenibas, ſcheint aber damit nur feinen Effekt gu befennen, wenn er auch vielleicht diefen 
uch als Wirkung des Gebetes, denn des äußeren Thuns faßte. Die begleitenden 
Gestlungen unterfcheidet ex von ihm: die Mbrenuntiation und das Credo nennt er c. 68 
sersmoniae et Fitus, ex quibus christianse religionis summam licet oognoscere, 
de ponziones, quibus sane omnem Christianae legis vim et disciplinam oontineri 
perepieuum ost. 

Bährend die reformirte Kirche ſowohl die Abrenuntiation als den Eroreisams mit 
ia übrigen diſponirenden Sebräuchen, welche der Zaufe in der römifchen Kirche voran- 
a, als entſtellende menſchliche Zuthaten zur Juſtitution des Herrn und. als Blend⸗ 
uch des Teufels (Calv. Inst. IV, 15. 19) befeitigte, hat Luther in der erſten Bear. 
kung feines Zanfbüchleins 1523 (E. A. 22, 157 ff.) nur da6 römische Ritual über 
Kt Er lieh, wie er am Schluſſe (S. 166) ſelbſt fagt, „um die ſchwachen Gewiſſen zu 
Ihnen, daß fie wicht Hagen, id) wol’ eine neue Taufe einjegen“, die päbftlichen Gere, 
mrien befehen und hat and) die Erorcismen und Abrenuntiation in unbejchränfter Aus- 
km aufgenommen. Schon beim Beginne der Handlung fol der Täufer das Kind 
wel unier die Augen blafen und ſprechen: L Fahr aus, du unreiner Geiſt and gib 
Rarz ion heil. GSeiſr⸗ Rach mehreren Gebeten ſpricht er: IL „Darum, du leidiger 
Inkl, eleıme dein Urtheil und laß die Ehre dem rechten und lebendigen Gott, laf 
ie Üre feinem Sohn Jeſu Chrifto und dem heiligen Geil und weiche von biefem 
‚ kam Diener, denn — und unſer Herr Jeſus Chriſtus hat ihn zu feiner heili⸗ 
und zum Brunn ber Taufe durch feine Babe berufen. Und daß 
bei Beichen des heiligen Kreuzes, das wir an feiner Stirne thun, nimmer wageſt 
(um deß willen) der zufünftig ift zu vichten u. ſ. w. III. So höre num, 
Iniger Teufel, bei dem Namen des ewigen Gottes und unfere® Heilandes Jeſu 
Erifi befhworen, umd weiche mit Zittern und Seufzen, fammt deinem Haß über- 
waden, daß du nichts zum fchaffen häbeſt mit dem Diener Gottes, der nun nach dem, 
we himmliſch if, trachtet und dir und deiner Welt entfaget und eben foll in feliger 
Infterblichleit. So laß nun die Ehre dem heiligen Geiſt, der da kommt umd vom ber 
Willen Burg des Himmels herabjährt, deine Trügerei zu verfldren umd das Herz, mit 
km göttlichen Brummen gefeget, zu einem heiligen Tempel und Wohnung Gottes zu 
bereiten, auf daß diefer Diener Gottes, von aller Schuld des vorigen Laſters erläfet, 
im einigen Gott dankfage allezeit und lobe feinen Namen ewiglich. Amen. IV. Ic 
Wände tee dich (exorcizo te), du umreiner Geiſt, bei dem Namen des Vater6 + und 
kt Sohnes F. umd des heiligen Geiſtes +, daß du ausfahreft und weicheft bon diefem 

es N. (demm der gebeut dir, dis Leidiger, der mit Füßen auf dem Meere 
25 und dem finkenden Petro die Hand reichte), Diefe Erorciomen find in mörtlicher 
Ikberfegung aus dem ordo baptismi adultorum übertragen, ihre Mittbeilung mag theils 
tur Vorſtelung vos dem römifchen Exorcismus geben, theil® dazu dienen, den Streit 
R der lutheriſchen 25 über dieſen Gegenſtand verſtehen zu lehren. Nur wenige 
Üere Agenden, nämlich die von Kurbrandenburg (1540), Pfalz⸗Neuburg (1543) und 
ns Eisichenfche Manual (1563) haben ſich diefe ausgedehnte Form angeeignet. Im 
Sabre 1526 veramflaltete Luther eine zweite Ausgabe des Taufblchleind. Sie unter 
Mid fi dom ber erſten dadurch, daß er das zömifhe Taufformular nicht überfegte, 


. 


22 23 
14 
} 8 
3° 0 


& 


224 Tanferoreiſsmus 


ſondern frei umarbeitete. Das Anblafen, das Salz, der Chryſam u. ſ. w. fielen we 
von den Erorcismen find nur Nr. I. u.IV., der letztere ohne die eingeklammerte Ste 
beibehalten. An diefe Bearbeitung fchlofien fi fehr viele Taufformeln in den da 
[hen Agenden und Kirchenorduungen bis in das 18. Yahrhfindert, Eine ebenfo gre 
Anzahl anderer dagegen, namentlich in Oberdeutfchland, und auch die des Herzogtim 
Preußen, haben feinen Erorcismus, dagegen ift in ihnen, mit Ausnahme der Sm 
burger (1598) und einer alten Augsburger Agende, die Abrenuntiation beibehalten. 
Welche Bedeutung hatte nun der Erorcismus für die Iutherifche Kirche? Da 
alle Gnadenwirkungen durch das Wort Gottes und die Salramente vermittelt dachte 1 
allen traditionellen und zufäglichen menſchlichen Eultusformen diefen Effekt abfprad, 
fonnte fie auch nach ihren Grundfägen den Exrorcismus nicht als eine wirtfame 
ſchwörung des Teufels und als eine Vernichtung feiner Gewalt über den Täufling - 
diefe durfte fie nur von der Taufe felbft erwarten —, fondern nur als VBelenntuiß » 
Deklaration der Taufwirkung anfehen: fie konnte ihr keinen effektiven, fondern m 
einen figmifilativen Karalter beilegen. Diefe Auffaflung aber ftand im grell 
Widerfpruche mit der Formel, worin fie den Exorciomus vollzog, denn biefe EN 
der römischen Kirche entlehnt, welche in ihr ihrer Anfiht von der Wirkfamteit 
Erorcismus. den farakteriftifchen Ausdrud gegeben hattee So konnten denn Mit 
fländniffe, Schwankungen, Irrungen und Streitigleiten nicht außbleiben. Schon fril 
muß diefer Ritus Anftoß gegeben haben; wir erfehen dieß aus der Mühe, die | 
Yuftus Menius in feiner Schrift „vom Exoreismo” gab, ihn zu vertheidigen. Ex 
darin ein ernftliches Gebet (Gebot?) und Bedräuung auf Gottes Befehl, in fei 
Namen und anf feine Verheißung, wovor der böfe Geift ſich fürchten, erfchreden = 
weihen muß und wodurch das Kind, bisher unter des Teufels Gewalt gefangen, m 
mehr erledigt toird und um Aufnahme in da® Neid der Gnade und Seligleit da 
die Taufe bittet. Er weiß fogar von fonderlihen gestus und Geberden zu erzähle 
die fic bei dem Erorciosmus in dem Kinde erregen und hören laſſen. M. Stepk 
Prätorins in feinem Traltat „vom Namen Jeſu“ erörtert diefe Wahrnehmung dei 
„daß fi) die Kinder dabei übel gehaben, voth werden und auffchreien, als worden I 
geriffen und gepeinigt.“ Zileman Heshus lehrt in zwei Briefen von 1572 und IR, 
daß die Kinder vor der Taufe des Teufels mancipia und Eigenthum, und weil hat 
dee Sünde, in Wahrheit vom Teufel befeffen und eingenommen fun 
daß darum der Erorcismus zu nichts Anderem diene, als fie aus der Dienflbarkeit de 
Satans zu erledigen und deſſen Reich zu zerflören, daß Chriftus Matth. 18, 18. i 
der Schlüffelgewalt diefe Macht feiner Kirche gefchenkt habe. Der Herausgeber did 
Schriften, D. Ialob Köhler, fagt in feinem eigenen Tractate 1588, daß die art 
„Wahre aus, du umreiner Geiſt!“ und „id taufe dich im Namen“ u. f. w. der Sud 
nad eins feyen; wer die einen zugebe, dürfe and) die anderen nicht abfchaffen. 
Man darf es den alten Iutherifchen Dogmatilern zur Ehre nachſagen, daß fte fih M 
folchen Extravaganzen und Ercentricitäten fern hielten. Chemmiß (loo. theol. II, 391! 
fett die Subſtanz der Taufe in die Handlung felbft und in die Einfegungsmorte; all 
Andere fol nur als Deklaration oder Erinnerung ihr Wefen und ihre Wirkungen de 
anſchaulichen. So ift ihm denn auch der Erorcismus nur ein Zeugniß von d 
durch die Taufe zu hebenden Erbſünde und geiftlihen Gefangenfchaft, die jedoch ml 
al® leibliche Befeffenheit zu denken fen; er hat daher an ſich neben der Taufe fi 
fpecififche Kraft und Wirkung. Gerhard gibt ganz unbefangen zu, daf die Intherild 
Erklärung des Erorcismus befier ſey als die Worte defielben, daß diefe fehr- hart fe 
und ohne die Erklärung den Schein eriveden müßten, als ob das Kind wirklich befehl 
fen und durch diefe Eeremonie befreit werden ſolle. Quenſtedt und Hollaz Ic 
in dem Erorcismus eine caerimonia indifferens, aber nicht inutilis. Sie unterſcheide 
den exoreismus miraoulosus, wie er in der erflen chriftlichen Zeit an den Befefle 
vermöge eines perfänlihen Charisma geübt wurde, und den exorcismus superstitit 





Zanferercisuns 225 


wi Yihtkuns, dem man ipsam Zvfpyear sive efficacem operationem zuſchreibe, von 
ka Imferorchsumm® der Imtbertichen Kirche: diefer iſt nicht Zvepyracds sivo effectivus, 
sen onuarsındc sive significstivus, er ift nämlih ein Zengniß 1) von der 
Heht des Satans kraft der Erbfünde, 2) von Ehrifto uud feinem Werke, 3) von der 
Bifkmteit der Taufe, 4) von der Thatigkeit des Ämtes als Applitation der Wohl, 
Keen Chriſti und fletem Kampfe gegen den Satan, und darum 5) ein Zengniß wider 
Ale velche entweder die Exhfünde laugnen oder behaupten, daß die Kinder ſchon durch 
iſe Ochert von cheiftlichen Eitern Excben des Himmelreichs und feiner Berheißung fenen. 
Die Kinder jenen weder wie die Energumenen leiblich, noch wie die hartnädigen Sünder 
witlih beſeſſen, der Begriff der Befefienheit treffe auf fie mr uneigentlich zu, inſofern 
fe unter dee Gewalt des Satans find; durch den Erorelömns folle der Teufel nicht 
os ihnen anßgetrieben, fondern nur befchtvoren werden, nicht von ihnen Beflg zu er- 
geien, ex ſielle daher auch nur fymbolifch (significare et adumbrare) Die geiſtliche 
bereinng dar, welche da6 Wort Gottes und die Sakramente ihnen appliciren. Nur 
Wen er zugleich brünftiges Gebet zu Gott fen, ift Quenſtedt geneigt, ihm einen Effekt 
gehen, und fo will ihm auc Baier trog der Imperativen Form gefaßt wiſſen. 
fat die Kirhenordnung umd die authentifchen Erklärungen, welche den 
lezegeben find, fprechen dieſelben Grundfäge ans, Schon in dem Agendebüchlein Beit 
Dietrichs wird er als Gebet dargeſtellt. Sogar diejenigen Agenden, welche ihn befel- 
tgt haben, äußere fich fchonend über ihn, obgleich manche, wie die Herzog Albrecht's I. 
in Preußen 1659, nicht umbdentlich durchblicken Laffen, daß fie von ihm fuperfittidfe 
Unfelungen für das Bolt befürchten. 
De Hauptgrund, warum viele Landeskirchen den Erorcisnms fefthielten, obgleich 
De Intherifche Theologie ihn für ein Adiaphoron erflärte und des Widerfpruches, der 
wihien feiner Tathoftfchen Form und ihrer eigenen Erklärung befland, fich Har bewußt 
x, gi der Oppofition gegen deu Salvintiemus, der in Deutſchland mehrere Landes» 
lihe auderte, uud wo ex flegend auftrat, feine erflen Angriffe meiſt gegen den Eror⸗ 
Oazd rihtete: fo in den Eryptocalviniftifchen Bewegungen in Kurſachſen, in dem Eon» 
Mienchiel in Naſſau (1672), Anhalt (1590), Kurbrandenburg (1614). Oft 
ie in diefen Fällen anflößige und fränfende Erflärungen dazu bei, das Mißtranen 
da tathertfums zu verflärten. Go war in dem Anhalt'ſchen Taufbüchlein von 1590 
h Behauptung ausgefprochen, die Außere Waſſertaufe bezeichne und beflegele nur die 
Üatfode, daß die Kinder der Gläubigen ſchon im Mutterleibe von Sünden gereinigt 
m mit dem heiligen Geiſte begabt feyen, und ein herzoplicher Beſcheid erklärte bald 
wu; den Erorcismus für einen Sräuel und ſchrecklichen heidnifchen Mißbrauch des 
Ktlihen Namens. Was if darum begreiflicher, al6 daß der Brauch, den Alle am 
4 für indifferent hielten, für die, welche ihn von Unfang an bewahrt Hatten, geradezu 
ı aner Gewiſſensſache wurde. In Kurbrandenburg ließen: Biele die Kinder lieber 
Minft flerben, als daß fie diefelben ohne Erorcismus getauft hätten. Als ferner 
u dem Eaffeler Unionsgefpräd im Jahre 1661 (vgl. den Art. „Syntretiflifhe Strei⸗ 
pfriten«) die Intherifchen Theologen fid zu dem Sugeftändniffe herbeiließen, daß man 
e formel des GEroreisnns in ein Gebet vertwandele, glaubte die Wittenberger Fakultät 
Kin nur einen verderblichen Synkretismus zu fehen und fprad fi) in praxi gegen 
M uns, was fie doch in thesi für gerechtfertigt halten mußte; und der Königäberger 
nfpreiger Dr. Dreier fleigerte ſich bis zu der Behauptung, daß durch den Erorciemus 
e geiflihe Gewalt des Satans wirklich gebrochen werde. Gelbft bie für jene Zeit 
fsiß billige Forderung Kurbrandenburgs vom I. 1664, daß die Geiftlichen ſich in 
% Anwendung oder Unterlafiung des Eyorcismus nad) dem Wunſche der Eltern richten 
üäten, flieg auf Widerſpruch, ımd als nun gar ein nenes Edikt den Geiftlichen bie 
werſale Berpflichtung anferlegte, den Erorciemus zu mitigiren und zu ändern, ber- 
eigerten Biele die Ausftellung des Reverſes und Licentiat Hellmig in Berlin fuchte 
ad Minifterien von Hamburg und Nürnberg Rate Das legtere namentlich em⸗ 
Kcal Eurpiopädie für Theologie und Kirche. Suppl. IIL 16 


226 Tanferorcismus 


pfahl Nachgiebigkeit, reizte aber dadurch den Unmuth der Wittenberger, die in eine 
von Dr. Calov abgefaßten Reſponſum an die Berliner erflärten, der Erorcismus hi 
in statu confessionis auf, ein Adiaphoron zu feyn, und werde pars confessionis. D 
die Nürnberger ihre Anficht vertheidigten, entfland eine Literarifche Fehde, an der di 
Stendalfche Generalfuperintendent Bugäus, der Magdeburger Superintendent Bttig 
und Scriver ſich betheiligten. Als im Jahre 1713 in Berlin nach dem Scheitern I 
Unionsprojeftes das Edikt von 1664 erneuert wurde, trat Dr. Loſcher noch einmal fi 
das Recht und die Bilfigfeit des Erorcismus ein. Der Eifer, womit man ihn we 
focht, hat neben feiner Anftößigkeit weſentlich dazu beigetragen, der veformirten Cu 
feffton in Deutfchland den Weg zu bereiten. 

Aber auch von Iutherifcher Seite erhoben fich gegen ihn gewichtige Stimmen 
Mit befonderer Schärfe befämpfte ihn ſchon 1566 der dänische Theologe Imar Ba 
thelfen, der feine eigenmäcdhtige Unterlaflung in langer, harter Haft büßte, in 60 u 
Kerter gefchriebenen Propofitionen. Er berief fih auf den Wortlaut der Tyormel, b 
num effektiv verftanden werden könne, und ſah in ihr eine fchredliche Sünde wider di 
1., 2. und 8. Gebot, eine offenbare Rüge, weil er nicht nur die Befeffenheit der Fü 
der, fondern aud; einen Befehl und Verheißung Gotkes gegen die Schrift erlüge 3 
Jahre 1603 erfchienen nach des Wittenberger Profeflors Aegidius Hunnius Tod 12 
theses de exoreismo, die diefer ſich zu feinem Privatgebrauch aufgefegt hatte. Ex ti 
delt, daß die Kirche den Exorcismus ohne alle zugefügte Erklärung feines Sinnes vol 
ziehe und dadurch den Wahn erwecke, als ob durch diefe Handlung, micht aber bu 
die Taufe des Satans Reich zerflört und das Kind erlöft werde. Er findet es u 
verantwortlich, daß man ein Anderes rede und ein Underes meine. „Welche Spbilk 
fragt er, „koͤnnte einen folchen Berftand aus diefen Worten erratben? Weder Paulı 
noch Petrus hätten foldhe Geheimniſſe ohne Auslegung verfiehen künnen.« Wie ſol 
man errathen, daß dieß eine Gebetsformel ſey? Der Betende rede Gott, der Üi 
fchwörende den Satan an. Würde der Erorcismus abgefchafft, fo würde vielem Streik 
der Salviniften mit der Kirche ein Ende gemacht worden feyn. Er preift endlich Ki 
glüdliche Lage der Kirchen, die ihm zeitig genug abgeſchafft haben. Selbſt Hutter Ka 
noch 1613 die Abſtellung des Exrorcismus gewünfcht, wenn fie nur anf billige Dar 
hätte gefchehen können, ohne das Frohlocken der Calviniſten, als ob man fie ihnen 
danfe. Auch Spener rügt es, daß bei dem Erorcismus die Gloſſe beffer fey alı m 
Tert, und diefee nur durch jene gerettet werden könne; er habe der Kirche weder Nayı 
noch Erbauung, fondern nur Aergernig für die Schwachen gefchafft. Dem veräntie 
Beitgeifte, dem fich gegen Ende des vorigen Jahrhunderts auch die Kirche und * 
logie nicht entziehen konnte, iſt dee Exorcismus ſtill und geräuſchlos erlegen. Die be 
deutendſten Dogmatiker der rationaliſtiſchen Periode, Döderlein, Eckermann, Anm 
Wegſcheider, Reinhard und Roſenmüller, erklärten fi trotz des Unterſchiedes ihm 
Standpunkte gegen ihn. Mit ihm beſeitigte ſich zugleich feine Zwillingsſchweſter, di 
Abrenuntiation, von felbfl. Erſt unferer Zeit blieb es vorbehalten, beide wieder a 
dem Tode zu eriweden; die Berliner Hof- uud Domagende rief fie, aber in iin 
geihmächter moderner Form wieder in’8 Leben (vgl. den Art. „Erorciemnge Bp. TI 
©. 292). Selbft Föhe hat (Sammlung liturg. Formulare I, 22. Anm. 11.) dos Be 
fallen des Erorcismus nicht beklagt, dagegen die Abrenuntiation ald Ausdrud der Bl 
fogar für wefentlich gehalten (de substantia baptismi?), Dieß kann ihm freilid m 
zugeben, wer mit ihm den Begriff einer Erbfchuld für vollziehbar hält, alle Andert 
werden darin nur einen fehr unglüdlichen Ausdrud des Taufgelübdes erkennen. Leit 
gibt es in den deutfchen Sticchenregimenten noch immer Solche, die ihm zuflimmen. 3 

Medlenhurg tourde der Paſtor Bartholdi abgefegt, weil ex die Abrenuntiation zul 
ließ. In Hannover hat die Agitation gegen den neuen Katechismus wenigftend ii 
Frucht gebracht, daß ein Gefeg vom 5. Januar 1864 auch für foldhe Gemeinden, ! 
denen die Taufe mit Anwendung von Abrenuntiationsfragen vollzogen wird, gef 


Terefie, bie heil. 227 


rap hie legieren auf den Wunſch des Waters oder defien Stellvertreters megfallen 
ia Man vergl übrigens unfere Bemerkungen in dem Art. „Kaufe Bd. XV. 
&48. Zur Literatur führen wir außer Höfling’® Werl nod) an: Mart. Chladenii 
üset. de abrenuntiatione beptiemali. Viteb. 1715. — Th. Stolle, de origine 
mein in bapt. Jen. 1735. — Jo. Chr. Wernsdorf, de vera ratione exoreis- 
zrım edeles. veteris. Viteb. 1749. — 3. M. Krafft's ausführliche Hiftorie vom 
Krasmo. Hamburg 1750. D. Georg Eduard Steitz. 

Zeche, Die heilige. — Diefe berühmte Kiofterheilige, die zu dem ausgezeich⸗ 
nen Pflegerinuen religiöfen Lebens und muflifchen Schriftftellerinnen gehört, welche 
die neuere Kirchengeſchichte Spaniens aufzumweifen hat, wurde geboren zu Avila in 
Ütafilien om 28. März 1515. Bon ihrem Vater, dem Ritter Alonfo Sanchez de 
Örpede, fowie von ihrer Mutter, der ebenfalls aus altem caſtilianiſchen Adelsgeichlechte 
kumenden Beatrix d'Avila y Ahumada, erbte fie die beiden anf ihre adelige Abkunft bins 
kıtenden Familiennamen „de Lepeda“ und „de Ahumada“. Doc; hat fie felbft ihres 
a ſeiaer Bollfländigkeit gar ſtolz und flattlich Hingenden Namens „XTerefa de Cepeda 
vähumadar fi felten oder nie bedient und flatt defien vielmehr immer nur ihren 
chen Kloflernamen Tereſa de Iefus* (oder in lateinifcher Form „Teresia a Jesu”) 
Kiruht Sie war das dritte unter den neun Kindern, welche ihre Mutter, die zweite 
gim det Ritters Alonſo Sanchez, diefem nach und vach gebar, nahm aljo inmitten 
üger mölf Geſchwiſter — denn auch aus erſter Ehe befaß ihr Bater drei Kinder — 
gerade die ſechſte Stelle ein. Ihren beiden Eltern verdankte fie frühzeitige und viel 
‚Kiüge Anregung zus frommen Gefinnungen ımd Uchungen. Namentlich hielt ihre Mutter 
fe za ifeiger Verehrung ber heil. Jungfrau und verſchiedener Heiligen an und ſtellte 
dr während ihres langwierigen und fchmerzvollen legten Krankenlagers ein Beiſpiel 
hauen hriftlichen Duldens vor Augen. Als fie ihr duch einen nur allzu frühen 
In atiffen worden war, gab Terefla, damals erſt ziwölfjährig, ihrem Schmerze einen 

| frommen Ausdrud, indem fie fi) vor einem Darienbilde niederwarf und 
de fie Jungfrau bat, ihr forten Mutter zu fen. — Uber au an ihrem Mater 
Ste fe ein treffliches Borbild und einen eifrigen Lehrmeifter chriſtlichen Wandels, der 
Rt mäbzeitig am Werke der Barmberzigleit gegen die Armen, an einfames Beten bes 
Kıfrafanzes und an das Leſen frommer Andachtsblcher in fpanifcher Sprache gewöhnte. 
Lie Leltͤre der „guten Bücher Spaniens“, unter welchen natürlich Heiligenlegenden 
m) Martyrergeſchichten eine Hauptrolle fpielten, entflammte fie und ihren Liebling®- 
kuder Rodrigo zu folcher Begeiflerung für die Idee afcetifcher Weltentſagung und Hufe 
peung für das Heil der Brüder, daß fle nicht nur in ihren Spielen am liebſten 
“ Leben von Ginfiedlern, Mönchen und Nonnen mit feinen frommen Verrichtungen 
oäbildeten,” fondern einft auch alles Ernſtes den Borfag fafiten, ſich im heimlicher 
Inht zu den Mauren zu begeben und hier im Dienfte Ehrifti die Martyrerkrone zu 
sten, ein Eutſchluß, von deſſen Ausführung mur die größere Liebe zu den Eltern bie 
Ken jungen Schwärmer zurückhielt. 

Gefährlicher als diefe Legenden und Märtyrerbücher wirkte auf die don Water 
ihr entzändliche Einbildungstraft des jungen Mädchens eine andere Lektüre, der fie ſich 
ıden näcften Jahren nach dem Tode ihrer Mutter mit Leidenfchaft hingab und an melde 
& das in diefer einzigen Hinficht nicht ganz gute Beiſpiel diefer Mutter felbft gewöhnt 
ie. Sie wurde eine leidenfchaftliche Bewuudererin der phantaftifhen und abenteier- 
ühen, aber im fittlicher Beziehung nicht eben allzu lanteren Nitterromane, dieſes Ta- 
Merifiiiden Erzengnifſes der fpanifchen Fiteratur des 16. Jahrhunderts, das eben da⸗ 
us, taıım 20 Jahre nach dem Erſcheinen des „Amadis“ als erflen Repräfentanten 
e Gattung (1510), fich feiner erften jugendlichen WBlüthe erfreute und den Hof umd 
hei gleicherweiſe wie das Bolt bezauberte und beherrſchte. Heimlich und ohne ihrem 
nen Bater etwas merken zu laſſen, las fie oder verfchlang fie vielmehr, mas fle von 
win zeigenden Gefchichten in die Hände bekommen Tonnte, und berauſcht von ihrem 

TE 


230 Terefia, die heil. 


Beichtvätern“, eine ziemlich genaue Kenntniß von den geheimnißvollen Wegen der E 
hebung zu Oott und eine entfprechende Uebung in der Betretung diefer Wege. Si 
lernte fid) wenigſtens mit Leichtigfeit auf jene erfte und unterfte Stufe contemplative 
Andacht erheben, die fie den Zuftand der „Sammlung“ oder des „Herzendgebeted“ nem: 
und wie zum Lohne für den Eifer und die Mühe, womit fle diefe Mebung immer wieder 
holt betrieb, fühlte fie fich fchon jett, wenigftens zeitweilig, zur höheren Stufe des „Ge 
betes der Ruhe“ oder gar zu der noch höheren des „Gebetes der Vereinigung“, eine 
bereit ganz und gar efftatifchen Zuftandes, emporgehoben (f. unt.). Auch trat mit dien 
Geligfeiten ihres Gebetslebens nicht felten eine reichliche „Snade der Thränen* in %a 
bindung, die ihrem unter der Wucht ihrer Leiden oft ſchwer geprekten Herzen mb 
kommene Erleichterung verfchaffte und fie Beides, ihre natürliche Zerſtreutheit umd in 
häufigen „Zuftände der Dürre“ (ariditates, siccitates) immer leichter überwinden madıt«.- 
Jene Generalbeichte über ihr ganzes früheres Sündenleben, die fie gleichzeitig mit je 
Krifis ihrer Krankheit ablegte, trug gleichfalls nicht wenig dazu bei, ihr eine richtign 
Erkenntniß von ihrem natürlichen Herzenszuftande und vom allein wahren Heildwg 
für fie wie für Alle zu eröffnen. Denn die nachdrifdliche Klarheit, womit fie damel 
zum exrftenmal in ihrem Leben auch alle die kleineren Bergehungen, die Sünden N 
Gedanfen und des Herzens, welche der Stumpffinn ihrer geiftlichen Rehrmeifter fie bi 
dahin gering achten oder gar nicht als Sünden betrachten gelehrt Hatte, als frafiwärdig 
Abirrungen vom Wege der Wahrheit und Beleidigungen der göttlichen Majeftät fürl 
und erlannte, wurde ihr der erfte Schritt zu einer richtigeren Auffaffung der Natur de 
Sünde überhaupt. Und mie fie wahrfcheinlich ſchon jeßt das Aeußerliche und Nidtig 
der gewöhnlichen roͤmiſch⸗kirchlichen Unterfcheidung zwiſchen Todſünden und läklide 
Sünden zu ahnen begann (vgl. c. 25. und 34. ihrer Selbftbiographie mit Via per 
fectionis c. 41 und anderen ähnlichen Stellen ihrer fpäteren Schriften), fo erſchloß fl 
ihr jedenfalls bereit8 um diefe Zeit das Geheimniß vom furdhtbaren Ernſte des fin 
Boſen überhaupt und von dem nicht ſowohl in zahlreichen einzelnen Akten beftehente 
als vielmehr zuftändlihen Karakter der Erbfünde. An melde Erkenntniß ihrer an 
lihen natürlichen Ohnmacht ſich die andere von der Nothwendigkeit einer unbedinzt" 
Hingabe an die Gnade des Herren unmittelbar anreihte; oder, wie fle in ihrer jdlf“ 
Weiſe dieß einmal ausdrüdt: fie lernte „immer mißtrauifcher gegen fich felbft m“, 
um fich immer vertrauender an Gott hinzugeben“. Auf diefem fo bedeutfanen Fat 
einer gewiffen evangelifchen Vertiefung und Verinnerlichung ihrer Selbfterfenntnif ı 
Heilserfenntmiß erinnert ihr innerer Lebensgang offenbar etwas an den eines Angufm! 
(deffen Eonfefftonen fie ohnehin ebendamald als einen Spiegel ihres Seelenfampfet 
leſen begann), ja einigermaßen an den eines Ruther und U. H. Francke, obfchon fie m 
türlich auch nicht entfernt fo frei von gefeglichem Wefen zu werden vermochte, wie ie 
Wahrheitszeugen der evangelifchen Kirche. 

Vielleicht Iag im eben diefem ihren gefeglichen Wefen der Grund dafiir, af fl 
nur ſehr allmählich und erft nach vielerlei Verirrungen und längeren Perioden de 
Stillftandes oder Rüdfchritts zu einem folchen Abfchluffe ihrer inneren Erlebniſſe * 
langte, der ihr auch ein fruchtbares Wirken nad, Außen ermöglichte. Während vol 
18 Jahre nad; der Genefung don jener Krankheit bemächtigte ſich ihrer wieder ein ı 
wiſſer Zug zur Welt bin, der ſich theils in eitlem und gefallfüchtigem Weſen, theilt ı 
manchen Zungenfünden kundgab, und in Folge deffen ihre erfte Liebe wieder fehr A 
kaltete. Es trug dazu befonder8 der Umgang mit verfchiedenen weltlich gefinnten Fa 
fonen bei, wie fle damals öfters in ihr Kloſter famen, da die ziemlich laren Fer 
fhriften deffelben in Betreff der Claufur der Nonnen einen ſolchen Verkehr fehr led 
machten. Der Einfluß diefes Umgangs auf ihre Inmendiges erwies ſich fo mädtt 
daß fie faft anderthalb Jahre hindurd ihre geiftlichen Gebetsübungen einftellte, © 
falfcher Demuth, wie fie fagt, und „meil für ihren zu fehr auf's Irdiſche und Vel 
liche gerichteten Sinne dieſe Uebungen doch zu hoch und heilig ſeyen“. Erſt die It! 


Tereſia, bie heil, 281 


Srulleit und dev Tod ihres fortwährend auf's Innigſte von ihr geliebten Waters rief 
fe von diefer zeitweiligen Abirrung in's Weußerliche wieder zu erufterer Arbeit an ber 
Bqzeſaltung ihres inneren Lebens zurüd. Daß dieſer aufrichtig fromme raum, der 
närenb feiner legten Jahre umter ihrer Yührımg einige Wortfchritte in der myſtiſchen 
Imstemplation® » und Gebetsprarxis gemacht hatte, nun doch mit dem fchmerzlichen Be⸗ 
Iantnifie, Gott nicht gemug gedient zu haben, flarb, dieß erfchütterte fle mächtig und 
Beh ſie des Exhebende und Troſtliche, das fein Ende andererfeits doch gehabt hatte — 
dem er ſtarb nach feierlichen Abſchied, den er auf ächt chriftliche Weile von den Sei- 
mgen genommen, ımter betender Serfagung des Credo — faft vergeſſen. Sie gab fi 
für längere Zeit der Yührung des Beichtvaters des Bingefchiedenen, des frommen “Do- 
ninilıners Bincentins Barenins hin; auf feinen Rath nahm fie ihre während geraumer 
den mit bloßen mündlichen Bebete vertaufchten Uebungen tm Herzensgebete wieder anf 
od ſchritt mm allmählich auch fo hierin fort, daß fie über die fchon früher zuweilen 
nfitgenen Stufen hinans fi zur vierten und höchſten Stufe muflifcher Andacht ober 
um fogenaunten „Gebete der Berzüdung“ fich zu erheben vermochte. Doc mußte 
hierzu durch mancherlei Erlebnifſe befonderer Art, die ex ihr fandte, mithelfen, - 
durch wiederholte Krankheitözufälle und durch dftere bedentfame Viflonen, oder 
durch tiefere Eindrüde, die ihr bei Betrachtung äußerer Begenftände zuweilen ent. 
Bie ihre denn einft der Anblid einer großen und häßlichen Kröte, die raſch 
fe zukroch, einen heilfamen Schreden vor dem Satan einjagte, deffen Bild fie hier 
ber ſih zu ſehen meinte; während ein anderes Mal ein Bild der Geißelung Chriſti, 
bet fie in einer Kapelle erblidte, fle Ströme von Thränen der Buße vergiehen umd 
die eriſteſten Borfäre der Beflerung faffen machte. 

Eine nene Verzögerung drohte dem endlichen Wbjchluffe ihres inneren Entwicke⸗ 
Imggunges gegen Ende jener 18jährigen Periode, alfo um das Jahr 1556, daraus 
menehien, daß verfchiedene befreundete Perfonen ihr die Meinung von dem nicht 
ide, fonderm diabolifchen Karakter ihrer übernatürlichen Gebetszuſtände, Biflonen, 

gen sc. beizubringen fuchten. Es gehörten dahin namentlich der viel bei ihr 
la frormme Edelmann. Francisco de Salcedo, fowie mehrere ihrer damaligen Beicht- 
biter, befonders der Weltpriefter Gaspar Daza. Auf ihre warnendes Zureden fuchte 
fe [eb eine Seit lang gegen jene außerordentlichen inneren Zuflände und Crlebnifie 
äh gegen trügeriſche Borfpiegelungen des Satans anzulämpfen. Ein anderer geiftlicher 
Aut aber, der Jeſuit Juau de Padranos, bezeichnete ihr die betreffenden Zuftände zwar 
nöt als diaboliſch, aber doch als einer weiteren Räuterung durch firenge afcetifhe Selbfl- 
wüt be - Sie wurde dadurch zu einer unnatürlich harten und graufamen Peini- 
reg ihrer ſelbſt mittelft mehrmonatlichen Tragens eines reibeifenartig rauhen und 
| Blecheilichums, häufiger Wlagellationen mit Dornzweigen oder Brennmeſſeln, 
wahber ſtrenger Faſten m. ſ. w. veranlaßt, und gab diefe über das gewöhnliche Maß 
herr Ücefe weit hinausgehenden Mortifilationen erſt da wieder auf, al® ein anderer 
Kt, Franz Borgia, der nachmalige General der Gefellfhaft Jeſu und damalige Pro- 
mialcommifſar fie Caſtilien, fie zur Beichte gehört und ihr die beruhigendflen Ver⸗ 
herungen im Betreff des Guten, Heilfamen und Gotttvohlgefälligen ihrer Gebetsühungen 
md mufifchen Erlebniſſe ertheilt hatte. Doch mährte im Uebrigen ihr äußerlich wie 
welch angefochtener Zuftand noch mehrere Jahre lang fort, und nur fehr allmählich 
elangte fie zu völliger Gewißheit davon, daß die manderlei Kundgebungen übernatür- 
ider Ari, die fie bald durch innere Stimmen, bald durch Geſichte oder Entzückungen 
fahr, wirklich von Chrifto herrührten und zu ihrer Forderung in der muflifchen Ge⸗ 
wenfhaft mit Chriſto zu dienen beftimmt ſehen. Zu biefen Kundgebungen gehörte na⸗ 
wentlich auch die einſt (am St. Peterotage des I. 1559) ihr gewordene fefle Ueber⸗ 
Kung, daß der Heiland dicht neben ihr flehe, fie in allem ihrem Beten und 
Irheiten mierſiüge und ihr überall mit unfidhtbarer, aber Höcft realer, ja leiblicher 
begenwart nahe fen. Dieſe conſtante Chriſtusviſion verblieh ihr während länger als zwei 


272 





232 Serefin, bie heil. 


Jahren faft ohne Unterbrehung, nur mit wechſelnder Lebhaftigleit ihrer Eindrüde, fo 
daß fie die Nähe des Heren bald mehr nur fühlte, bald einzelne Theile feines heiligen 
Leibes, 3. B. Gefiht und Hände, auf's Deutlichfte zu fehen glaubte, bald endlich feine 
ganze Geftalt in biendender Klarheit vor Augen ſah, und zwar Anfangs mehr die des 
letdenden, gekreuzigten und dornengelrönten, fpäter aud) die des auferflandenen nad 
bimmlifch glorificitten Heilandes. Vergebens fuchen mehrere jener Beichtväter ihr ge 
rade diefe innere Wahrnehmung als ein befonders gefährliches Trugbild des Dämont 
darzuftellen und fie zur VBerfcheuchung und Verbannung defjelben anzuhalten. Sie folg 
auch einmal ihrem Rathe, fchlägt das Kreuz gegen das ihr überallhin folgende Chriſtu 
bild und fucht es mit fpöttifcher Geberde, wiewohl unter Furcht umd Zittern und ri 
kaum unterdrüdten TIhränen, von ſich zu weiſen. Aber Chriftus beftäckt fie durch de 
fanfte und tröftende Zuſicherung: daß Er die Wahrheit fhon an's Licht bringen merk, 
nur in ihrer Gewißheit don feiner Nähe, und als ihr die unglänbigen Beichtiger ef 
zur Strafe für ihr Widerfireben fogar ihre Herzensgebete ganz einzuftellen geboten hatten, 
da folgte fie diefer Weifung erft da, als der ihre unfichtbar nahe Herr, dem fie Ike 
Noth geklagt, ihr tröftend gefagt hatte: „Er wünſche, daß fie das harte Verbot, ſe 
tyrannifch es auch fey, doch befolgen möge, und Er werde fie durch nur deſto flärke 
Berfiherungen von feiner gnadenvollen Nähe und Gegenwart für die entbehrten Selig. 
feiten des Herzensgebetes fchadlos halten!” Diefe Berficherungen werben ihr num and 
in ©eftalt jener immer wunderbareren PBifionen und Offenbarungen, in melden fid 
nachgerade der Höhepunkt ihres myſtiſchen Erfahrungslebens darzuftellen beginnt. & 
erglänzt einer der Edelfteine an ihrem Wofenfranz » Erucifire längere Zeit in übernatin 
lihem Lichte und zeigt ſich zugleich mit den fünf Wundenmalen Chrifti bezeichnet; nel 
freilich, ihrem eigenen naiven Geftändniffe zufolge, nur ihr fo erfcheint umd von feina 
ihrer Gefährtinnen, denen fie ihren Roſenkranz zeigt, wahrgenommen wird. Oder fir 
fühlt, bei lebendiger Bergegenwärtigung der Leiden Chrifti, ihr Herz wie von ein 
Lanze durchbohrt, während zugleich ein jäher, aber trog feiner Heftigkeit unbeſchreiblih 
mwohlthuender Schmerz des liebenden Mitgefühls ihren ganzen Körper durchzuckt. Er 
mal erfcheint ihr eine geflügelte Engelsgeftalt, ein Seraph mit goldener Lanze und feij 
glühender Spige daran, der ihr durch mehrmalige Durchbohrung ihres Herzens @ 
diefer Spipe jenen eigenthümlichen geiftig »leiblihen Schmerz im allerhöchflen Kat 
wie fie ihn vorher niemals empfunden, hervorbringt. Tereſia erzählt auch dieſes w. 
eigniß mit aller Unbefangenheit als einen Vorgang von wefentlich nur vifionärem B 
rakter, als ein innerliches, pfychologifch zur Genüge erflärbares Phänomen ; fie befhnit 
den durch den Lanzenftich des Seraphs ihr erzeugten Schmerz ausdrüdlich ale na 
„ganz und gar geiftigen, wiewohl auch der Leib (auf fumpathetifchen Wege) bare 
Theil genommen habe“ (Vita c. 29. pag. 248 der franzdf. Ueberſetzung von Aral 
d'Andilly). Sie widerlegt alfo damit felbft die fabelhafte Weberlieferung der rdwiſche 
Legende, wonach der ſeraphiſche Lanzenſtich ein phuflfcher, körperlicher Vorgang, en 
Aequivalent gleichſam für die bei dieſer Heiligen mangelnde Stigmatiſation geweſe 
ſey und noch nach ihrem Tode feine deutlichen Spuren an ihrem (angeblich Wurnder 
toirfenden und gleich anderen ihrer Reliquien abgöttifch verehrten) Herzen hinterlofle 
habe. Für ihr innere Leben war aber diefe Seraphpifion jedenfalls - von hoher & 
deutung; fie gehört ohne Zweifel mit zu dem entfcheidenften Momenten jenes lange wöt 
renden inneren Liebes» und Leidenslampfes, aus welchen letztlich der glühende Bald 
nad; völliger Gleichgeſtaltung mit dem Leben und Leiden des Heilandes herborgisß 
jenes inbrünftige Verlangen, ganz für Chriftum geopfert zu werden, das den Keil ip 
Lebenswirkſamkeit ausfüllt und das in jenem denkwürdigen feufzenden Gebetörufe ſeins 
bezeichnenden Ausdruck gefunden hat, den man gewöhnlich ihrem Bilde als Motto ode 
Wahlfpruch beigefchrieben findet, in dem Gebetsrufe: „Domine, aut pati aut mori- 
Den Uebergang von ihrer vorwiegend innerlihen, an der Ausgeflaltung ihrer @* 
ſtiſchen Herzenszuftände und Erfahrungen arbeitenden Lebensthätigkeit zw einer Kräfte 








Terefis,. die heil. 288 


weiiiken Wirkfemleit mach außen half ihr letztlich ein Damm vollziehen, ber beffer als 
ale ve zum Theil fo mmgefchidten und der vechten Erfahrung im geiftlichen Dingen 
aumginden Beichtväter, deren Rathes fie ſich bis dahin bedient hatte, fowohl mit den 
Öckemmifien des inwendigen Lebens vertraut, als mit praltiſchem @efchide begabt umb 
a Hm, was zu einem fruchtbaren reformatorifchen Wirken auf dem Gebiete des ba- 
mlgen Coſterlebens gehörte, mohlerfahren wor. Petrus von Alcantara (geb. 1499, 
+ 1562), der große Reformator des Franzistanerordens, der erleuchtetfie ummnftifche Theo⸗ 
ine und dex gefeiertſte Exbauungsfchriftfiellee unter den damaligen Yüngern des heil, 
Grunpttes, lam um den Unfang des Jahres 1560 auf einige Tage in Gefchäften 
jener Drbensreform nach Abila und wurde fo zuerſt mit Tereſia befannt uud als geifl- 
ice Führer und Nathgeber in bie Geheinmifle ihres Herzens eingeweiht. Der Auf 
iur auferorbentlichen Heiligkeit und eines ungewöhnlich hohen GOrades von Bertraut⸗ 
et mit den verborgenen Wegen bes muflifhen Erfahrungslebens, der ihm boranging, 
weste day, ihm mammentlich in den Streifen der frommen freunde und fSreumdinwen 
Info's eine begeifterte Aufnahme zu bereiten und fie felbft, die ihn im Sanfe ber 
Gazera de Ullon, einer reichen Wittwe, bei der er zu Gaſte war, mehrmals zu fehen 
ki, ya der vertrauensvollen Bitte, ihr mit feinem Nathe zur Seite zu fliehen, zu 
echigen. Die Uuffchlüfle, die ex ihr über Natur und Bedeutung ihrer contempla- 
Da Ochetöteife, ſowie über die darans refulticenden efflatifchen Zuflände, feligen Ge⸗ 
Hl und geiftfichen Gnaden ertheilte, mußten umſo beruhigender auf fie wirten, da er 
im teichere Erfahrung in allen diefen inneren Erlebnifſen befaß, als irgend einer der 
äke von ihr befragten Ordens» oder WBeltgeifilichen, ihr alfo auch nachbrüdlicher als 
weit Ale die Berſicherung von dem in der Hauptſache gottgewirkten und gottwohlgefäl- 
ion Serafter dieſer Zuflände, verbunden mit den ndthigen Belehrumgen über das ihnen 
mmebzingende Berhalten, zu geben im Stande var. ber nicht bloß auf ihr 
Yetitesten auf der Bahn ihrer inneren Gefbfivervolllommmung bezogen ſich bie Rath: 
lie ie er ihr damals zu ertheilen beganm und in deren Ertheilung anf brieflichem 
Ür u bis zu feinem zwei Jahre fpäter erfolgten Tode auf daS Angelegentlichfte fort- 
Bir: cr vies le ebenfo auch auf Mittel und Wege zur Förderung des geiftlihen Le⸗ 
bat ihrer Mitnonmen, zur Abftellung der zahlreichen Mißbräuche, bie in ber Praris 
üb Ordens eingeriffen waren, kurz zum Beginn einer ordensreformatorifchen Wirk: 
hmkit nad} Art der feinigen hin. Mehrere bedeutfame vifionäre Exlebniffe, die ihr 
m eben diefe Zeit und fihherlih auf Grund der durch den berühmten Franziskaner⸗ 
keligen erfahrenen Unregung zu Theil wurden, trugen das Ihrige dazu. bei, fie zu 
Iatkäftigen Borfägen/und Entfchlüflen in diefer Richtung anzufeuern. Sie befommt 
Mrade jegt viel mit heftigen fatanifchen Anfechtungen zu thun, die fich dfters bis zu 
mehlih fichtbaren Erfcheinungen des Böfen fleigern und ihr bald den Bedanten ein» 
eben: hauptſächlich ihre Sünden feinen es, um deremiwillen Bott jest fo vielerlei Trüb- 
“md zumal die Beißel des allgemeinen Abfalls von der Kirche und ber vielen Ketze⸗ 
"en über die Ehriftenheit fende; bald ihr die Uebernahme freiwillig erbnlbeter ſtell⸗ 
iretender Höllenqualen für arge Sünder, 3. B. einmal für einen lafterhaften umd 
fe in ſchandliche Heuchelei verfiridten Priefler, als nödthig erfcheinen laflen. Eine be 
Imders lebhafte und auſchauliche Bifion zeigt ihr eines Tages den Ort im der Hölle) 
a fie mit ihren Sünden eigentlich verdient hätte, ſammt dem dicht dabei befindlichen 
Üten der Bein, die den „Lutheranern“ (d. h. nach ihrer eigenthümlichen Ansdrucksweiſe 
ku teformatorifchen Haretilern ihrer Zeit überhaupt) beftimmt fegen. Aus diefem Ge⸗ 
Ale erwächſt ihr ein befonders fräftiger Impuls zu dem Berfuche einer beffernden Ein- 
Welng auf das fittliche Leben zunähft ihrer Kloftergenoffinmen und weiterhin ihrer 
Nahe Überhaupt. Sie faht den Entfhluß, ein nenes Klofter für Nounen dom Orden 
des Berges Karmel zu errichten, in deſſen Praxis alle die Larheiten, worüber fie bei 
Nr Lebensſitte ihres Menſchwerdungskloſters und der übrigen damaligen Karmeliter- 
fee zu Magen hatte, z. B. bie nicht hinreichende Strenge der Clauſur, der allzu 


254 Terefia, bie Heil, 


häufige Verkehr mit weltlichen Perfonen, die große Läffigfeit in Befolgung der Faſten 
borfchriften, der Ueberfluß an Gütern, Genüflen und Bequemlichleiten aller Urt, gränd, 
lich abzuftellen und eine volftändige Rückkehr zur urfprünglichen Strenge der Rarmelite: 
regel zu vollziehen fen. Wlebald erhält fie eine neue Viſion, die im höchften Grade 
ermuthigend und beftärkend auf das kaum aufgeleimte Unternehmen wirkt. Der Heilın 
felbft erſcheint ihr, befiehlt ihr da® zu errichtende neue Klofter nach St. Iofeph, ihrem 
Lieblingspatron (demfelben Heiligen, deffen Schutze fte hauptſächlich die Wiedergenefung 
von jener fchweren vierjährigen Krankheit zu verdanken meinte) zu benennen, und ve 
heißt ihre, e8 zu einem weithin leuchtenden Sterne in der katholiſchen Drbenswelt p 
machen. Gleichzeitig - fagt die von ihr in's Vertranen gezogene Giumara de Alloa % 
reitwilligſt die Unterflügung des Unternehmens mit den erforderlichen Geldmitteln x; 
Petrus von Alcantara fendet brieflich feine Glückwünſche zu dem gefaßten Entſchluſe 
und auch der damalige Karmeliterpropinzial für Caftilien, Angelo de Salazar, erthel 
dem Projekte feine vorläufige Genehmigung, vorausgeſetzt, daß das zu gründende Mofe 
nicht Über 13 Nonnen ſtark werden würde. ! 
Raum war freilich in den weiteren Kreifen ihrer Ordensgenofien und Mitbära 
die Kunde von ihrem Borhaben laut geworden, ala fidy ein Sturm des Unwillens übe 
die angeblihe Anmaßung und Vermeſſenheit erhob. Man verdächtigte ihre xeformatu 
rifhen Tendenzen, gerade weil fie fi zu Gunſten derfelben auf höhere Kingebungen 
himmlifche Geſichte und Befehle berufen hatte, als ketzeriſch; man drohte ihre mit de 
Inquifition; man bewog jenen Provinzial, die bereit ertheilte Genehmigung zur Kloſter 
gründung unter dem Vorwande, daß die Armuth der in’s Neben zu rufenden neuen de 
meinfchaft eine allzu große feyn würde, wieder zurüdzunehmen. Es bedurfte ber ganzen, 
faft männlichen Karakterftärke einer Terefia ſammt der Fülle ihres freudigen Gottve 
trauens und dem ermuthigenden Zureden eined damals zuerft mit ihr befammt "genen 
denen reichbegabten und ſehr einflußreichen Geiftlichen, des Dominitanerpaters Pen 
Ibanez (Iuanez), fie zu getrofter Bekämpfung umd Ueberwindung diefer vielerlei Schr, 
rigfeiten und Hindernifie flart zu machen. Während der genannte Pater fich Insgehen 
für fie nach Rom wendet, um durch feine dafigen Verbindungen eine päbftliche Gad- 
migung ihres Reformprojektes zu erwirken, fchreitet auch fie heimlich und den Br 
boten ihrer Superioren zum Trotz zu den vorbereitenden Maßregeln für die Oräsm 
ihres St. Joſephokloſters. Sie läßt durch ihre jüngfte Schwefter Iohauna, die Otin 
des edlen Juan de Ovalle, ein Meines Haus ankaufen und durch Anbau eiues Kirchlenl 
zum geeigneten Lokal für ihre Klofterftiftung herrichten. Außer diefer Schweſter m 
außer ihrer Freundin Giumara unterftügt fie bei Betreibung diefes ziemlich Loftfpielige 
Bauunternehmens noch ihr Bruder Lorenzo de Cepeda, der ihr aus Südamerila, ie 
er zuerft als Militäroberſt unter den Pizarro's, dann als viceföniglicher Generalintendut 
der Finanzen von Peru fehr beträchtliche Reichthümer ertvorben, eine namhafte Gel 
fumme zu fenden vermochte. Eine um diefe Zeit (Ende 1561) unternommene Kell 
nad; Toledo brachte ihr neue Ermuthigungen zu getrofter Fortführung ihres Bel 
Sie gewinnt an der vornehmen und reichen Schwefter des Herzogs von Medina Celi 
Donna Aloiſia de la Cerda, welche fie zu dieſer Reife veranlaßt und der fie bald ned 
ihrer Ankunft durch die Kraft ihrer Furbitte zur Genefung von einer ſchweren Kralı 
heit verholfen hatte, eine ebenfo eifrige wie einflußreiche Goönnerin ihrer Reformplön, 
macht deögleichen die Bekanntſchaft noch mehrerer anderer hoher Perfonen, deren 
von Wichtigkeit für das Gedeihen ihres Werkes war, und erhält inshefondere an eire 
durch Heiligkeit und Gebetseifer fehr ausgezeichneten Karmeliternonne von hoher adelige 
Abkunft, der Schwefter Maria a Jeſu, eine neue freundin und Wathgeberin, bei 
Belehrungen über die wahre Urgeftalt der Negel vom heiligen Berge Karmel, als ein“ 
Cinfieblerregel, die gleich denen der hh. Tsranziefus und Dominikus eigentlich allen an 
jeden Eigenbefig unterfage und zu völliger apoſtoliſcher Armuth verpflichte, fie im ihrer 
ohnehin nach diefem Ziele hinftrebenden Ideen und Abfichten mächtig beſtärkten. Ode 


Tereſia, die heil. 233 


yeahiiden Wirkſamkeit nad, außen half ihr letztlich ein Mamn vollziehen, der beffer als 
ode die zum Theil fo umgefchidten und der rechten Erfahrung in geiftlichen Dingen 
eramgelnden Beichtuäter, deren Rathes fie fich bis dahin bedient hatte, fowohl mit bem 
Geheimniflen des inmendigen Lebens vertrant, ala mit praftifchem Geſchicke begabt und 
a Allem, wos zu einem fruchtbaren veformatorifchen Wirken auf dem Gebiete des ba» 
wligen Kloſterlebens gehörte, wohlerfahren war. Petrus von Alcantara (geb. 1499, 
1562), der große Reformator des Franziskanerordens, der erleuchtetfte myſtiſche Theo» 
ge und der gefeiertfte Erbanungsfchriftfteller unter den damaligen Jüngern des heil, 
konziäks, kam um den Anfang des Jahres 1560 auf einige Tage in Gefchäften 
er Ordensreform nad) Avila und wurde fo zuerft mit Terefia befannt und als geift- 
her Führer und Rathgeber in die Geheimmiffe ihres Herzens eingeweiht. Der Huf 
mer auferordentlichen Heiligkeit und eines ungewöhnlich hohen Grades von Bertraut- 
it mit den verborgenen Wegen bes muflifchen Erfahrungslebens, der ihm boranging, 
fente day, ihm namentlich in den Kreiſen der frommen freunde und Freundinnen 
Left eine begeifterte Aufnahme zu bereiten und fie felbft, die ihm im Hauſe der 
Gimmern de Ulloa, einer reichen Wittwe, bei der er zu Gaſte war, mehrmals zu fehen 
behm, zu der vertrauensvollen Bitte, ihr mit feinem Rathe zur Seite zu flehen, zu 
Tantdigen. Die Auffchläffe, die er ihe über Natur und Bedeutung ihrer contempla- 
den Gebeteweiſe, ſowie über die daraus refultirenden efftatifchen Zuftände, feligen Ge⸗ 
Ile ud geifllichen Gnaden ertheilte, mußten umfo beruhigender auf fie wirken, ba er 
we reichere Erfahrung in allen diefen inneren Erlebniffen befaß, als irgend einer der 
Ber von ihre befragten Ordens- oder Weltgeiftlichen, ihr alfo auch nachdrücklicher ale 
fe Me die Berficherung von dem in der Hanptfache gottgetvirkten und gottwohlgefäl- 
mm Karalter diefer Zuftände, verbunden mit den nöthigen Belehrungen über das ihnen 
tzegenzubringende Verhalten, zu geben im Stande war. ber nicht bloß auf ihr 
aiöreiten auf der Bahn ihrer inneren Selbfivervollfommmung bezogen ſich die Rath- 

e, die er ihr damals zu ertheilen begann und in deren Ertheilung auf brieflichem 
ke er bis zu feinem zwei Jahre fpäter erfolgten Tode auf das Angelegentlichfte fort- 
Wr: er wies fie ebenfo auch auf Mittel und Wege zur Forderung des geiftlichen Le— 
#8 ihrer Mitnonnen, zur Abftellung der zahlreichen Mißbräuche, die in der Praxis 
xd Ordens eingeriſſen waren, kurz zum Beginn einer ordensreformatorifchen Wirt. 
fett nach Art der feinigen hin. Mehrere bedeutfame viſionäre Erlebnifſe, die ihr 
t eben diefe Zeit umd ficherlich anf Grund der durch den berühmten Franziskaner⸗ 
Koen erfahrenen Anregung zu Theil wurden, trugen das Ihrige dazu, bei, fie zu 
Keäftigen Borfägen/und Entfchlüffen in diefer Richtung anzufenern. Sie befommt 
Bade jest viel mit heftigen fatanifchen Anfehtungen zu thun, die fich dftere bie zu 
bye fihtbaren Exrfcheinungen des Böfen fleigern und ihr bald den Gedanken ein- 
ke: hauptſächlich ihre Sünden feyen es, um derenwillen Gott jegt fo vielerlei Trüb⸗ 
k md zumal die Geißel des allgemeinen Abfalld von der Kirche und der vielen Ketze⸗ 
m über die Chriftenheit fende; bald ihr die Uebernahme freitvillig erduldeter flell- 
üretender Höllenqualen für arge Sünder, z. B. einmal für einen laflerhaften und 
| im Ihändfiche Heuchelei verftrichten Prieſter, als nöthig erfcheinen laſſen. Eine be- 
ters Lebhafte und anſchauliche Viſion zeigt ihr eines Tages den Ort in der Hölle, 
ı fie mit ihren Sünden eigentlich verdient hätte, fanmt den dicht dabet befindlichen 
titten der Bein, die den „Lutheranern“ (b. h. nad; ihrer eigenthümlichen Ausdrucksweiſe 
ı teformatorifchen Häretikern ihrer Seit überhaupt) beflimmt feyen. Aus diefem Ge- 
fe erwaͤchſt ihr ein befonders Mräftigee Impuls zu dem Verſuche einer beffernden Ein⸗ 
lung auf das fittliche Leben zunächſt ihrer Kloftergenoffinnen und weiterhin ihrer 
the überhaupt. Sie faßt den Eutfchluß, ein neues Klofter für Nonnen vom Orden 
d Berges Karmel zu errichten, in beffen Praris alle die Larheiten, worüber fie bei 
! Kebendfitte ihres Menſchwerdungskloſters und ber übrigen damaligen Karmeliter- 
fer zu Magen hatte, z. B. die nicht hinreichende Steenge der Elaufur, der allzu 














236 | Tereſia, bie heil. 


meine Ungunft und mißtrauifche Abneigung der Uebrigen unter dem Eindrude des tn 
aller Armuth wohlgefiherten Beſtehens und Gedeihend der Anftalt fogar in bewn 
bernden Beifall und in einen wahren Wetteifer, ihre durch reichliche Almofenfpend 
und durch Zuweiſung von Novizen fördernd unter die Arme zu greifen überging, 
gerieth der begonnene Nechtsftreit bald ganz in Bergefienheit und biieb für immer 
entichieden. Tereſia, die dom März 1563 an dauernd im ihr neue® Kofler überg 
delt war, hatte neben der Freude, durch eine Reihe neuer Anmeldungen und Cintk 
dungen die feftgefegte Zahl von 13 Nonnen bereits fehr bald erreicht zu fehen, 
die Genugthuung, daß ein durch ihre Frennde erwirktes päbftliches Senf 
dem bon ihr borangeftellten Grundfatze einer gänzlichen Armuth und Bermödgenslo 
ausdrücklich die nöthige allerhöchfte Santtion ertheilte. Sie fchritt nun alsbald da 
die fpecielle Formulirung diefes oberſten Grundſatzes, wie fie für die Disciplin m 
Lebendfitte ihres Kloſters mufigebend feyn follte, durch Abfaffung beftimmter Eonfi 
tutionen für bdaffelbe in's Wert zu fegen. Dabei legte fie jene alten Satumgen di 
Karmeliterordens zu Grunde, weldhe der Kardinal Hugo de S. Sabino auf Ormd h 
allerälteften Regel diefer Gemeinfchaft (der fogen. Regula Alberti vom Jahre 120 
entioorfen, und welche Imocenz IV. durch die Bulle Quae honorem vom Jahre 124 
als Grundgeſetz des eben damals zu einem Bettelorden umgeformten Vereins der Mind 
und Nonnen vom Berge Karmel beflätigt hatte. Nach diefer Regula Hugonis fol 
fein Angehöriger des Ordens irgend welches Eigenthum befigen; feiner follte, außer i 
Krankheit oder auf Reifen, Fleiſch effen; die Faſten des Ordens follten allemal ve 
Kreuzerhöhung bis Oſtern mwähren, im Ganzen alfo nahezu acht Donate oder ji 
Drittheile des Jahres betragen; firenges Schweigen vom Completorium am Abende fi 
zur Terz des folgenden Tages war allen Mönchen und Nonnen zur Pflicht gemadl 
u. ſ. w. Alle diefe Vorfchriften, mit Ausnahme des übertrieben harten und für ihre 
Hauptzwed eigentlich unnügen Schmeipfamfeitsgebote®, fuchte Terefia in möglicfe 
Strenge für die Lebensfitte ihrer Ronnen geltend zu machen, indem fie das nad Form 
oder Inhalt obfolet Gewordene den Berhältniffen ihrer Zeit anzupaflen und dazu af 
manches Neue einzuführen bemüht war. Zu dem Neuen gehörten namentlich die dr 
feierlichen Geißeldisciplinen, die fie für die gottesdienftliche Praxis jeder Woche (fer! 
für jeden Montag, Mitwoch und Freitag) vorfchrieb, fowie die Maßregel der Dit: 
calceation (Entfchuhung) ihrer Nonnen, d. h. die Anordnung eines befländigen Tw 
gend von Leder⸗ oder Holzfandalen, wie fie fie als Aequivalent für die von mehrere 
damaligen Reformatoren männlicher Orden vorgefcjriebene gänzliche Barfüßigleit en 
treten ließ. Wie in diefer Maßregel, die den Angehörigen ber von ihr ansgeganged 
Ordensreform belanntlich die fiehende Benennung der Karmeliterbarfüßer“ (Carmelitst 
excaloeati, —ae) verſchafft hat, fo ahmte fie noch in mehreren anderen ihrer Sapunge 
die reformatorifche Praxis ihres Freundes Petrus von Alcantara nad, nur daß fie M 
übermäßige Strenge der von diefem fchroffen Afceten angeordneten Safteiungen (wog 
3. B. die Vorfchrift täglicher Flagellationen gehörte) im einer dem -Gefchledte m 
der zärteren Conflitution ihree Nonnen angemefienen Weife milderte. Doch verfuhr ft 
namentlich in allem dem, worin fich die gänzliche Güter» und Befiglofigkeit ihrer Ge⸗ 
meinſchaft gleichſam ſymboliſch darſtellen ſollte, mit unerbittlicher Strenge; und namen 
lich die Kleinheit und armſelige Einrichtung ihres Joſephskloſters mit feinem winige 
Kicchlein, feinen ſchmalen Thüren, feinem elenden hölzernen Sprachgitter, feinem Ipit 
Iihen Hausrath in dem einzelnen Zellen u. f. w., war etwas, das nicht bloß an diefest 
Mutterhanfe, fondern in ähnlicher Weife auch an allen fpäteren Stiftungen der Reform 
als karakteriftifches Merkmal wahrzunehmen feyn foltee — Die Abfaffung der Conſi⸗ 
tutionen, deren handſchriftliches Originalexemplar angeblich noch jetzt in Madrid an 
bewahrt wird, ſcheint ſehr bald nach der Gründung des Mutterkloſters erfolgt zu ſew 
da bereits 1565 die allerhödfte Genehmigung des Pabſtes Pius IV. daflir 
wurde. Die fpäter für die Mönche derfelben Reform ausgearbeiteten Satzungen 


Tereſia, die heil. 287 


Sant Geronimo Graciano ruhen ganz anf der Grundlage diefer von Terefia ſelbſt 
heritenden urfprünglichfien Regel. 

Solcher Art waren die Heinen und umfcheinboren, aber hochbedeutſamen und zu» 
Isioelen Unfänge des zur Verbreitung in faſt allem Gebieten der Tatholifchen Welt 
m zu mächtig regenerirender Einwirkung auf das überall fo fehr in Verfall gerathene 
liche und fittliche Leben derfelben beſtimmten tereſianiſchen Reformwerles. Während 
er erften fünf Jahre nach der Gründung des Joſephokloſtere hielt die Gtifterin, im 
kberrmfimmung mit der von ihr ſelbſt in den Gonflitutionen fcharf betonten Forderung 
reger Clauſur, ſich im möglichfler Zurückgezogenheit von allem weltlichen Berlehr im 
teile ihrer Nonnen, theils mit gottesdienfllichen und feelforgerlichen Uebungen beichäf- 
u, theils ihrer fchriftfiellerifchen Chätigfeit gewidmet, deren frühefte Haupterzengnifſe, 
ie Selöftbiographie, die fie im Wuftrage ihres Beichtvaters Pedro Ibanez auffegen 
ußte, nd der „Meg zur Bolllommenheit”, in diefe Zeit fallen. Erſt als im Jahre 
867 eine vom Großinquiſitor Soto im Verein mit dem berühmten muflifchen Theo⸗ 
wı Juan de Hoila auf ihr eigenes Nachſuchen vorgenommene Prüfung ihrer Ge⸗ 
Kpeayis, minflifchen Herzenszuftände uud viflonären Erlebnifſe ein für fie fehr gün- 
It Refultat geliefert, und ale um diefelbe Zeit auch die Disciplin ihrer Nonnen 
Gelegenheit einer Bifttation des Joſephakloſters durch den Sarmelitergeneral Rubeo 
e Kadenna als eine ausgezeichnete befunden worden war, erdfinete fi ihr Gelegenheit 
n mem auf Ausbreitung ihrer Reform in weiteren Kreifen ausgehenden Wirken. 
fügt anf ein von dem genannten General erhaltenes fchriftliche® Patent, das fie zur 
Brindeng neuer Drdenshäufer mit derfelben firiften Obfervanz mie jenes erfle antori- 
hate, begann fie jene unermüdlichen Reifen durch faft alle Provinzen Spaniens, deren 
ih in Stiftungen neuer Gonvente bald in Bifitetion ber früher geflifteten beſtehende 
Urigter fe in ihrem „Buche der Kloflergrändungen“ (Liber fundationum) auf eben 
\e allesliche als ammuthige Weife gefchildert hat. Statt einer in's Detail ihrer Be- 
ud ümgehenden ausgeführteren Darflelung (wie wir fie in der unten anzuführenden 
Mmiag in der Zeitfchrift für Luther. Theologie, Jahrg. 1865. S. 281 ff. gelie- 
ie heben), kdunen wir hier nur eine die hauptfäclichfien Fortſchritte des vom Jahr zu 
Jahr mächtiger auwachſenden und mannichfaltigere Zweige nach verfchiedenen Seiten hin 
babaden Entwickelungeganges ihrer Schöpfuugen hervorhebende Ueberſicht bieten, 
Dasd erſte Nonnenkloſter, das Tereſia nad; dem Muſter ihres Joſephekloſters in’s 
Ken rief, war · das zu Medina del Campo, einer damals nicht unanfehnlichen Stadt 
a fon unweit Salamanca. Durch Verwendung ihrer Freunde ans dem Jeſuitenorden 
we bier ein die möthigen Gigenfchaften für ein Kloſtergebäude darbietendes altes 

angelanft und fogleich, nachdem fie mit den zukünftigen Bewohnerinuen (vier 
Ionen auß dem VJoſephs⸗ und zwei aus dem Menſchwerdungskloſter), ſowie mit ihrem 
hplan und Rändigen Meifebegleiter, dem Pater Julian von Uvila, angelangt war, vom 
® Meinen Geſellſchaft bezogen, obgleich es in fo verfalenem Zuſtande war, daß Wind 
M Better durch die unbedachten Ränme eindringen konnten und nicht einmal ein 
Ventiic gefchügter Platz zum Altar für das Sakrament zu finden war. Während 
an wit den Geldmitteln, wie eine reiche und fromme Dame fie darreichte, die erfor- 
aliche Reparatur des Gebäudes und der Anbau einer Kapelle daran vorgenommen 
wide, wohnte man einfiweilen im oberen Stode des benachbarten Hauſes eines freund- 
ih geſimten Kanfmannes. Nach zwei Monaten Ionnte das Kloſter föormlich eingeweiht 
a bezogen werden (Ende 1567), und vor Ablauf der zwei erflen Jahre feines Be⸗ 
klens, während welcher Terefin, abgefehen vom dem durch einige Reifen herbeigeführten 
teren Unterbrechungen, darin wohnen blieb, wucht die Zahl feiner Bewohnerinnen 
heit zu dem feflgefeßten Marxinum von 18 heran. Wehnlicher Urt waren ſowohl 
ne Schiwierigfeiten, wie die förderuden Umſtände, welche bei den Kloftergrändungen 
kr nuchſtfolgenden vier Jahre obmalteten, Zu Anfang des Jahres 1568 entfland das 
Vomenbang zu Malagon, einem kleinen Orte ſudiich von Toledo in Neu Eaftitien, 


238 Terefin, die heil. 


und im Sommer befjelben Jahres das zu Bulladolid, beide von Medina del Camp 
aus geftifte. Im Jahre 1569 folgte die Gründung von Toledo und von Paflcem 
1570 die von Salamanca und 1571 die von Alba de Tormez- (nahe bei Salamancı) 
Zu diefen fieben Nonnenhäufern Tamen in denfelben Jahren auch bexeit3 die beide 
erſten Mönchöklöfter der terefianifchen Reform Hinzu. Denn in ihrem ohne Zweiße 
von Anfang an vorhanden geweſenen Wunfhe, aud auf den männlichen Theil ihre 
Ordens reformirend einzuwirlen, ſah ſich die raſtlos thätige Frau durch das Entgeger 
tommen des ©enerald Rubeo, der, nad) anfänglihem Widerftceben, ihr die Geuchei 
gung zue Errichtung zweier nach ihren Orundfägen disciplinirter Mannsklöfter extheike 
in einer für fie felbft Überrafchenden Weiſe beftärkt und gefördert; und fobald few 
Yohre 1568 in den beiden Mönchen des der heil. Anna geweihten Sarmeliterklofe 
zu Medina, dem Prior Anton de Jeſus und dem damals nody jugendlichen umd che 
erft von der Univerfität Salamanca zurüdgelehrten Johann vom Kreuze (Yuan de la Erg 
die geeigneten Perjönlichfeiten gefunden hatte, konnte nichts mehr fie davon zul 
halten, in Gemeinſchaft mit diefen beiden Erftlingen ihrer Barfüßerreform zur Ant 
führung des Werles zu fchreiten. Sie weift ihnen, denen ſich noch zwei andere Kloſte 
brüder von weniger bedeutenden Geiftesgaben hinzugefellt hatten, zu Durvelo, ei 
armfeligen Kleinen Weiler zwifchen Medina und Wovila, ein Meines Haus, das fie be 
einem befreundeten Edelmanne hiezu gefchenkt befommen, als erfien Wohnfl an, belah 
fie bei einem bald darauf ihnen abgeftatteten Befuche wegen der Geduld umd Fred 
feit, womit fie an diefem äußerft rauhen, unfreundlichen, von allen Bequemlichkeiten cu 
blößten Orte ihren gotteödienftlichen Hebungen und Kafteiungen oblagen, und beranfal 
tete bald darauf (1570), wegen des allzu großen Mangels an Lebensmitteln, womit f 
bei der Abgelegenheit des Fledens und der Sterilität feiner nächften Umgebung zu lim 
pfen hatten, eine Verlegung ihres Convents nach dem nahen Mancera, wo bie 
Stiftung in kurzer Zeit herrlich heranblühte und zahlreiche Novizen erhielt. Stho 
kurz zubor (1569) war zu Paftrana, gleichzeitig mit dem dafelbft errichteten, aber Ihm 
bald wieder eingegangenen Nonnenklofter, ein zweites Mönchsflofter der Reform it 
Leben getreten, das durch die Tüchtigfeit Mehrerer feiner erſten Bewohner, namen 
des als Prediger ausgezeichneten Paters Baltafar de Jeſus, raſch zu hoher Beier 
heit und zu nicht geringem Einfluſſe auf die weitere Entwidelung des männlichen Aa) 
dee Reform gelangte. 

Während der Jahre 1571—1573, wo fie auf Befehl des apoftolifchen Cosi 
far Pedro Hernandez in das Klofter de la Encarnacion zu Avila zurüdtehren and = 
Würde einer Priorin diefer Anftalt übernehmen mußte, ließ fie nun auch diefem ihre 
früheren Aufenthaltsorte die Wohlthat einer Reformation nach ihren, die mefpränglikt 
Strenge der Rarmeliterregel erneuernden Orundſätzen angedeihen. Die Unfange 
großer Furcht vor ihrer vermeinten Schroffheit und Härte erfüllten Nonnen mußte ſe 
durch die ebenfo emergifche, al8 milde und Bertrauen erweckende Anfprache, womit 
ihr neues Amt antrat, zu gelvinnen. Bei der weiteren Führung diefes Amtes fu 
ihr Ian de la Eruz, den fie in richtiger Würdigung feiner hervorragenden Gaben A 
ihrem und ihree Nonnen Beichtvater während der Dauer ihres Priorats anserkmer 
helfend und berathend zur Seite. Sie mußte diefen für die Geheimniffe ihrer conien 
plativen Gebetspraxis befonders empfänglihen Dann ganz und gar zu ihrem Jüngf 
auf dem ©ebiete ihrer muftifchen Herzenstheologie zu machen, und mie fie ihm and des 
Reichthume ihres inneren Erfahrungslebens Löftliche Weisheitsfchäge mittheilte, fo DM 
mochte er wiederum durch den gediegenen Vorrath theologifcher Kenntniffe, womit 
ansgeräftet war, ſowie durch den tiefen Ernſt und die ſtrenge afcetifche Zucht feine 
geiftlichen Lebens ihr mannichfadhe Förderung und heilfame Anregung zu geimähree 
Daß jedenfalls auch fie von ihm, der allerdings mit bormwiegender Berechtigung ibr 
Schüler heißt, Manches empfing, läßt fi ſchon daraus abnehmen, daß fie eines ihm 
wunderbarſten viſionären Exlebniffe, ihre fogenannte muftifche Bermählung mit deu Hut 





Texche, bie heil, 289 


(ca Cuinftäd zu dem ähnlichen Ereigniſſen im Leben einer Katharina von Siena, 
com Nagdalena de Pazzis m. ſ. w.) gerade während Johann nach vorher abgenommener 
Beke ihr die Commmmion xeichte, erfahren zu haben belennt. Der in himmlifcher 
Brie ihr erſcheinende Heiland, fo erzählt fie felbft den merkwürdigen Vorgang, habe 
ür jeine sechte Hand mit dem noch darin fledenden Krenzeſsnagel gezeigt und dabei ge» 
ist: „Beirachte dieſen Nagel als ein Zeichen dei, daß ich dich von jegt au al® meine 
Satin aunehme. Bisher warft du fo hoher Gunſt noch nicht würdig, aber fortan ſollſt 
ix mid nicht mehr bloß als deinen Schöpfer, König und Gott, fondern obendrein als 
knen wirflihen Satten betrachten. Deine Ehre foll bie deinige und deine die meinige 
aa!» — Aber nicht bloß ſolche muflifche Erhebungen (wozu auch die von der Legende 
a emer buhfäblichen Erhebung in die Luft gefteigerte Entzüdung gehört, die ihr einſt 
yadzeitig mit Johann am Sprachgitter des Kloſters widerfuhr) wurden ihr unter dem 
kljorgeslihen Einfluſſe jenes vertrauten Tyreundes und Jüngers zu Theil; derfelbe 
mie cbenfo, wo es ihm nmöthig fchien, ihre Demürhigungen angebeihen zu laſſen. Na⸗ 
weh ſoll ex fie einft, als fie fih bei einer Beichte vor ihm niedergeworfen hatte, 
nät, wie gewöhnlich, raſch wieder aufftehen geheißen, fondern längere Zeit auf ben 
Sur liegen gelafien haben, was ihr ebenfo fehr zur Erbauung gereicht, als ihrem 
Öusben on den höheren Beruf und gottfeligen Karakter ihres Beichtigers befeftigt habe. 
Bei den weiteren Klloftergründungen, die fie theild noch während der drei Jahre 
ish priorats (zu Segovia, 1571) theils in dem nächſtfolgenden Yahren (zu Beas be 
Etgure, 1574; zu Sevilla, 1575, und zu Carabaca in Murcia, 1576) vollyog, leiftete 
un Johaun vom Kreuze mod; ein anderer Freund ihr wichtigen Beiſtand: der Pater 
bamgans Gratianus (Geronimo Gracian), der vermöge feiner einflußreihen Stellung 
us Biftetor der Karmeliter älterer Obfervanz in der Provinz Andaluflen und als apo- 
püte Commiſſar, fowie fpäter ald Provinzial der tereſianiſchen Reform, fidh ebenfo . 
U Supüge umferer Heldin nach der Seite der äußeren Angelegenheiten ihrer Reform 
zu, a Johann durch feine tieffinnige Myſtil, feine Lehr» und Predigtgabe bie 
nam Exite des Werkes förderte. freilich follten aber auch beide Freunde, ebenfo wie 
— ſelbſt, an jener Leidenstaufe Theil nehmen, die während der Jahre 1576 bis 
3:9 über die gamze Gemeinſchaft ihrer Anhänger erging und ber eine Zeit lang beibe 
rile der Reform, die männlichen wie die weiblichen Kldſter, erliegen zu follen ſchienen. 
Diefe ſchwere Trübfal und Sichtung befand in einer Reihe von Berfolgungen 
m Unterdrücdmagsverfuchen, wie die Karmeliter der älteren oder laxen Obferbang fie 
!dea genannten Jahren gegen die texefianifche Reform in's Wer! fegten. In Ueber 
Mumang wit einer bereit6 1575 auf einem @eneralcapitel zu Plaſencia gefaßten 
übe von Veichläflen, verbieten zu Anfang des folgenden Jahres die Definitoren des 
tens Tereſen alle weiteren Kloftergründungen, und der aus ihrem vorherigen Gönner 
delich zu einem Gegner ihres Werkes umgeſtimmte General beflätigt dieſes Verbot 
d derurtheilt fie zu freiwilliger Zurückziehung oder Selbſteinſperrung in eines ihrer 
Der, Sie gehorcht willig umd wählt das Sofephsklofter zu Toledo zu ihrem Sitze 
Ihrend der etwa vierjährigen Verfolgungsezeit. Mehr als fie feld, die durch die 
tſonliche Gunſt Philipp's II. und hoher Perfonen feines öniglichen Hofes gefchäpt 
R, hatten ihre Freunde und viele ihrer Untergebenen zu leiden, 3. B. die Nonnen 
daft kurz zuvor gegründeten Kloſters zu Seville, die in Folge boshafter Berläum- 
ugen durch eine abtrünnig gewordene Novize ſchrecklich verirt und gemaßregelt wurden, 
Wie mehrere der ausgezeichnetſten Mönche der Reform, von denen z. B. Joham 
u Kreuze durch eine lange ſchwere Kerkerhaft in Zoledo, Andere wie Oracian, Anton 
deſns x. wenigſtens durch Verfegung von einem Orte zum anderen, durch Unter⸗ 
danng unter feindfelig gefinnte Bifitatoren, durch feindliche Ueberwachung und Spio⸗ 
verei heimgefucht wurden. Wie ſehr Zerefin unter dem Wen mitlitt, das bezeugen 
fe Briefe ans dieſer Zeit, im denen fie bald fchmerzlihe Klage über die gegen bie 
Kinn gerichteten Satriguen oder Gewaltmaßregeln führt, bald den König Philipp 





240 Tereſia, bie Heil. 


. oder einen geifllichen oder weltlichen Großen feines Reiches um Schu und Hüffe | 
ihre Sache anfleht, bald, beim Eorrefpondiren mit ihren Freunden, in räthjelhafter € 
heimfpradhe redet, d. b. durch Benennung ihrer Anhänger fowohl wie ihrer Geg 
mit gewiflen conventionellen Namen von fumbolifcher Bedeutfankeit die liſtigen Ra 
fpürungen der feindfeligen Klofterpoligei zu eludiren ſucht. Ihre Bittſchreiben an ı 
König, von denen ſich noch mehrere, durch ihre edle Treimüthigkeit gleichermeife ı 
durch ihre ehrerbietige und kindlich gehorfame Haltung ausgezeichnete erhalten hal 
(. 8. L.I. Epistolar. Nro.1.; L. IV. Nro.1. ete.), fcheinen auch wirflich nidt we 
zum endlichen Aufhören der Berfolgungen beigetragen zu haben, wenn fchon es me 
Jahre währte, bis die wohlwollenden Intentionen Philipp's gegen die zahlreichen Yaı 
der Reform, an deren Spige außer den oberften Ordensbehörden auch der päbftliche Rı 
tins Bhilippus Sega ftand, durchzudringen vermochten. Die Abhülfe erfolgte eudl 
im Jahre 1579 in der Weife, daß die bei der Imquifition gegen Terefla, Gracion ı 
andere Anhänger ihrer Partei eingeleiteten Proceſſe fallen gelafien und die Yyorterifi 
und fernere Ausbreitung der Reform, wenn auch nicht ausdrüdlich, doch faktiſch geft« 
wurden. Cine Breve Gregor's XIIL bewilligte (1580) einen befonderen : Brobim 
für die ald jüngerer Zweig vom Ordensſtamme losgelöfte Excalceaten » Reform, nd ı 
tönigliher Exrloß ernannte zum Schuge derfelben vier Affefloren, drei ans dem Mönd 
ftande und einen Säfulargeiftlichen, welche die Schritte des Nuntius umd der Orde 
oberen hinfort Überwachen und controliren follten. — Kurz bevor diefe erfreuliche Bi 
dmg der Dinge eintrat, am Borabende des Pfingfifeftes 1579, hatte Terefla in ein 
GSefichte die teöftliche Verſicherung vom Herrn erhalten, daß keinerlei Anfeindungen a 
Berfolgungen den glüdlichen Fortgang ihres Reformwerkes follten hindern Tünnen, w 
ansgefegt, daß ihre Angehörigen vier wichtige Bedingungen erfüllen würden, beftch 
1) in fortwährend inniger Eintracht der Oberen; 2) in ſtets geringer Frequenz und | 
fheidener Einrichtung der einzelnen Klöfter; 3) in fparfamem und immer nur jeelorg 
liche Zwede verfolgendem Berlehre mit weltlichen Perfonen; 4) in fteter Befolgung ! 
Grundfages, daß man mehr durch Werke als durch Worte zu lehren habe. 

Nach dem Aufhören der vierjährigen Berfolgungszeit, während ihrer drei lei 
Lebensjahre (1580-1582), gründete Terefia noch die Nonnenklöfter zu Billennze I 
la Zara im nördlichen Andalufien (1580), zu Palencia (gegen Ende deffelben Je) 
zu Soria (1581), zu Burgos (Anfang 1582) und zu Granada (Sommer 1582). U 
letztere Gründung beforgte an ihrer Statt und in ihrem Auftrage die bisherige Prir 
von Veas, Anna de Jeſus, umterflügt von dem auf der Reife dahin fie begleitak 
Johann vom Kreuze, der auch bei Errichtung der zahlreichen Monchskldſter der Keen 
wie fie befonders feit dem Aufhdren jener Verfolgung in allen Theilen der ſpauiſh 
Monarchie entftanden, ſich vorzugsweiſe thätig zeigte und dabei von Gracian, als 
Brovinzial der Unbefchuheten (feit 1580) kräftig unterftlgt wurde. Im Banzen ma 
es 17 Nonnentlöfter und ungefähr ebenfo viele Mannstlöfter, die während der 208 
rigen ordensreformatorifhen Wirkfamleit Tereſia's in's Leben traten umd von denen 1 
nigftens die erſteren mit nur Einer Ausnahme als ihre unmittelbaren Echöpfem 
erſchienen. 

Zur Errichtung der Nonnenkloſter von Madrid und von Evora in Portugal, ! 
zöglich deren bereits beftimmte Pläne gefaßt und Unterhandlungen angefnäpft wart 
follte es zu Lebzeiten der Heiligen nicht mehr kommen. Auf der Nädreife vom Vucze 
wo fie mitten in eimem fehr kalten Winter ihre letzte Kloſtergründung vollzogen hafl 
wurde fie nahe bei Alba de Tormez, dem Wohnfitze der ihr befremmdeten Herzogin & 
Alba, von einem heftigen Fieber befallen, das fi, in Folge der fchlechten Pflege, eu 
fie am erften Tage — in einer elenden, auch vom Nöthigfien an Lebensmitteln entblohe 
Herberge — vorlieb nehmen mußte, bis zu einem furchtbaren Grade ſteigerte. de 
verfchmachtet und auf's Aeußerſte abgemattet, langt fie Tags daranf in Alba ar — 
flieht hier (4. Oftober 1582) nach beinahe vierwöchentlichem Kranfenlager in dem fräh 


Tereſie, die heil, 241 


von ix gegründeten Slofler, defien Ronnen, zufammen mit Anderen ihrer Angehörigen, 
„Eier Nichte Zerefla de Jeſus, ihrer Bufenfrenndin Anna de S. Bartolomeo zc., 
kat aufopfernder Treue und Hingebung gepflegt hatten. Pater Anton de Jeſus 
uw eh, der fie durch feinen beichtuäterlichen Zuſpruch und durch Ertheilung der Sterbe- 
kumente zum Tode bereitete und im befien Beifeyu fie, ale man ihr die Worte Da- 
ns vom gebrochenen und zerichlagenen Herzen, das Gott nicht verachten werde (Pi. 
3, 19) derlas, das Grucifig mit brünſtiger Geberde feft au ihr flerbendes Herz 
weite. Die Wunder, bie fie ſchon bald nad) ihrem Tode gewirkt haben und wozu nicht 
Mei Exiheimungen bei Berfchiedenen ihrer Angehörigen, fondern audı zahlreiche durch 
ine Reliquien (Hände, Füße, Ginger, Herz ꝛc.) gewirkte Heilungen gehören follten, 
uben bereits 40 Jahre nach ihrem Tode, in demfelben Jahre (1622) und durch ben» 
ken At, womit Gregor XV. die Kanonifation ihrer großen Landsleute Loyola und 
later, ſowie des Stifters der Oratorioner Filippo Neri vollzog, ihre Heiligiprechung 
keheigeführt. Zu diefen Ehren find fpäter noch andere, zum heil außerordentlichere 
tmmelommen, 3. B. die im 9. 1814 durch die Cortes dekretirte Erhebung zur Pa- 
mm Spaniens neben S. ago, als älterem männlichen Inhaber diefer Würde, fowie 
x Kon früher erfolgte Verleihung des prunfenden Titels eines Dootor Ecolesise, den 
fe mgeblich einem fürmlichen Diplom der Univerfität Salamanca (einem Altenſtücke, 
6 freilich jet nirgends mehr aufzutreiben ifl) verdanken fol. Es liegt diefer theolo- 
giten Doltorwärde der Heiligen — die and zu entfprechenden Darflellungen der hrift- 
hen Sunft, 3. DB. zu Abbildungen Terefia's mit dem Barett umb den übrigen In⸗ 
Dann des Doltorats, oder auch zu ihrer Zufonmmenftellung mit ©. Ambrofins, Augu⸗ 
kaus, Thomas umd den übrigen Doctoribus Eoclesiee geführt hat — jedenfalls fo 
wel ca thatfächliche Wahrheit zu Grande, daß ihre Duftit, wie fie fie in mehreren 
Berta von hohem fchriftftelleriichen Werthe niedergelegt, nicht mr einen bedeutenden 
Crhrh ef den Bildungsgang zahlreicher der edelften Theologen und Kreiſe von Theo- 
ga wärend der näcfifoigenden Jahrhunderte, z. B. auf Franz von Sales, Fenelon, 
Ye Ehale vom PBort- Royal, Sailer, ja auch auf Proteſtanten wie 3. Arndt, ©. Urs 
mb, Zaftegen zc. gewonnen hat, ſondern auch, anders als die ähnlichen Lehren und 
eines DRolinos, einer Bourignon, upon zc., mit dem Siegel der hinreichend 
“bärten ficchlichem Orthodoxie geſchmudt und geweiht daflcht. Im dem jährlih am 
Loge ihreb Gedächtniſſes zu recitivenden Gebete des roͤmiſchen Breviers heißt es u. U. 
Walt: „Ut coelestis ejus dootrinse pabulo nutriamur.” Und die Kanonifations- 
hıle rähmt ihre Werdienfte als Repräfentantin und Bflegerin der myſtiſchen Theologie 
u den Worten: „Adimplevit eam (Deus) spiritu intelligentiae, ut non solum bo- 
wun operum in Ecolesia Dei exempla relinqueret, sed et illam ovelestis sapien- 
ke imbribus irrigaret, etiam multa pietate refertis libellis, ex quibus fidelium 
wates uberrimos fructus, studiis de mystica theologia aliisque percipiunt et ad 
"pernae patrise desiderium maxime excitantur.” 
Der Örumdgedanle der terefianifhen Myftil, wie er, verfchiebentlid modi⸗ 
kit, durch alle ihre Schriften, die unmittelbar erbanlichen wie die autobiographifchen 
md jeitgeichichtlichen ſich hindurchzieht, befteht in der Lehre von dem Emporſteigen der 
ele anf den vier Stufen des Herzensgebetes zur völligen Vereinigung mit 
hi. Das inuerliche oder Herzensgebet — und nur dieß läßt fie überhaupt als wahres 
Debet gelten — iR ihe nichts auderes als „der Weg dazu, glüdlid ein Sklave der 
iche Gottes ju werben“: es iſt jene „Bewäſſerung des geiftlichen Gartens der Seele“, 
be welche Niemand die Gott wohlgefälligen Früchte der Andacht und des Gehorſams 
Mabringen vermag. Bon den vier Arten oder Stufen diefer Gebetsweiſe iſt nur bie 
Ar ane matfrliche, die durch freie Entfchließung und eigene Kraft des Menſchen aus. 
kübt werden kaum; die drei folgenden find übernatürliche Wirkungen des göttlichen 
Veifeh und konnen nur erbeten, nicht aber durch eigene Anſtrengung des Menſchen er- 
gen werden. Die micht zu umgehende Orundlage und Borbedingung für die Exflei« 
Brei» Gucpliopädie für Theologie und Kirde. Euppi. II 16 





242 Serefin, die heil, 


gung biefer höheren Stufen ift freilich eifrige und ſtets wiederholte Uebung in jem 
einfachſten und nieberften Gebetsweiſe. Sie heißt 1) da8 Herzensgebet fhiedt 
weg oder da8 Gebet der Betradtung (oracion de recogimiento) und beſteh 
im Gegenfage zu aller bloßen Lippenandacht, in ſtiller Sammlung und Cintehe & 
Seele aus dem Aeußeren in ihr inwendiges Heiligthum, dor Allem in andächtiger V 
trachtung der Paſſion Chrifti und in daraus fließender reuiger Erkenntniß der eigen 
Sündhaftigkeit. Gegenüber der natürlichen Neigung des menfchlichen Herzens zu Ze 
fireutheit und zum Haften an finnlichen Dingen, fowie gegenüber den mancherlei bein 
deren Anfechtungen, wie fie der Ehrift beftändig vom Satan her zu beftehen hat, m 
diefe Gebetsweiſe flets mit einer gewiſſen Anftrengung betrieben werden. Es gilt ie 
im Schweiße feines Angeſichts zu arbeiten und die Wafler des Gebets gleichem m 
eigenen Händen und mühfem aus dem Schöpfbrumnen des Geiftes heramszuziehen - 
Anders ift e8 fchon bei ber folgenden Stufe der Gebetsleiter: 2) dem Gebete di 
Ruhe oder dee Sammlung (oracion de quietud, oratio quietis s. recollectionit 
Hier werden die Waſſer der Andacht nicht mehr mühevoll mittelft des Schöpfeime 
aus der Quelle herausgezogen: man windet fie vielmehr unter weit geringerer Auſtte 
gung mit einer Mafchine herauf und fieht fie daher auch fich viel reichlicher über d 
erquicdungsbebürftigen Fluren des Herzensgartens ergießen. Das Ganze ift ein gnade 
weiſe von Gott gefchenkter, ein charismatifcher oder übernatürlicher Zuftand, bei melde 
wenigftend der Wille des Menſchen ganz und gar in die Gottheit verfenkt und mit i 
bereinigt ift, wenn auch die übrigen Seelenkräfte des Gedächtniſſes, des Verſtandesd 
Bhantafte 2c. vor Zerfirenung durch die Dinge der Außenwelt nicht geftchert find. Ah 
felbft während eine folche theilmeife Zerfirenung durch äußere Vorgänge und Barkl 
tungen, 3. B. durch das Herfagen der gewöhnlichen lauten Gebete, durch das Rice 
ſchreiben geiftliher Dinge zc. herbeigeführt wird, dauert doch der geheimnißvolle Zafıı 
der Ruhe oder des feligen Herzensfriedens fort, der das karakteriſtiſche Merkmal die 
Gebetsſtufe bildet. — 3) Das Gebet der Bereinigung (oracion de la uns 
oratio unionis) tft ein nicht bloß übernatürlicher, fondern ſchon weſentlich efflatiid 
Zuftand, beftehend in einer Bewäfferung der einzelnen Beete des Herzensgartens har 
viele Waflergräbchen, in welche Gott felbft auf unbegreiflihe Weife die wäfl 
Fluthen hineinleitet. Nicht bloß der Wille, fondern auch der Verftand ift hei kim 
Gebetszuſtande gänzlid) mit Gott vereinigt; bloß Gedächtniß und Einbildungskraft we 
mögen noch frei umberzufchweifen und auf andere Dinge abzuirren, ähnlich jenen Nee 
Nachtſchmetterlingen, deren unrubiges Hin- und Herfliegen uns zwar Teinen SH 

verurfacht, aber doch läftig ift und uns nicht zu völliger Ruhe gelangen läßt. | 
bin iſt e8 aber doch ein tief in feligen Frieden eingetauchter Zuftand, deſſen fic die h 
diefer Stufe angelangte Seele erfreut; ein ſüßer Schlummer wenn and, nicht ala 
doch aller höheren Seelenträfte, ein entzücktes Bewußtſeyn von der Liebe Getrl 
gleich demjenigen, da8 David empfand, wenn er feine Harfe zum Lobe Gottes a 
ftimmte, oder aud) gleich dem der Engel, die fidh über die Buße des Sünders fra 
Doch ift die Ruhe, deren ſich die Seele hiebei erfreut, keine Lediglich paſſive, fonde 
bon der Art, daß fie zur gleichzeitigen Vornahme auch geiviffer Verrichtungen des ti 
tigen Lebens befähigt, 3. B. zu gewiſſen Liebeswerken, Andachtsübungen zc.— Dagege 
ift 4) das Gebet der Entzüdung (oracion de arrobiamento, oratio de arrebt 
tamiento) ein durchaus paffiver oder efftatifcher Zuftand, bei dem man, wie einſt Bank 
(2 For. 12, 2. 3.) nicht weiß, ob man fi in oder außer dem Leibe befindet. ®* 
Herzenegarten wird dabei nicht mehr mit mühfamer Händearbeit oder durch Maſchte 
und Wafferfünfte bewäſſert: Gott überfchfittet ihn plöglich und auf einmal mit Gtrier 
feines himmlifchen Gnadenregens; er erfrifcht fo alle Gebiete des inwendigen Lebe 
zugleich auf wunderbare Weife und macht die darauf wachfenden Blüthen raſch umd ſiche 
zu Tieblichen Früchten heranreifen. Alle Sinnenthätigkeit und koörperliche Bewegung 557 
babei ganz auf. Verſtand, Wille, Gedähtmig und Phantafle find gleichmäßig in Get 


Terefie, die heil. 243 


vejal sder bielmche von Bott berauſcht. Selbſt Geſicht und Sprache ſchwinden hie, 
ober u chen dem Maße, als diefe Aufßeren und niederen Kräfte von uns weichen, be- 
zur die höheren Geiftesfräfte in volle Wirkſamkeit zu treten. Leib und Seele fühlen 
id von einem füßen fellgen Schmerze durchzuckt, der ſich bald ale ein Gefühl der 
mötberfien FSeuertgluth, bald als ein höcfter Grad von Mattigleit und Schwäde 
ad ed eine Anwandlung des Erſtidens fundgibt. Und doc vereinigt fid) mit dem 
kühle Mxperlichen Schmerzes und Elende, das ſich zumellen bis zu völliger Ohnmadıt 
id Banuätlofigkeit fleigert, audererfeitö twieder ein fo kräftiger Aufſchwung der höheren 
weimteäfte, ein fo erhabener Flug des Geiftes (vuelo de espiritu), daß auch der 
sb ſich mit ätherifcher Leichtigkeit und Schwungkraft begabt fühlt, ja daß man zu⸗ 
ale nicht bloß immerlicher und uneigentliher Weife, fondern mit buchftäblicher Wahr: 
a von der Erbe abgeftoßen und in die Luft erhoben wird (das Phänomen der miy⸗ 
iſhen Elevation, das belanutlich auch im Leben anderer Muftifer, 3. B. Beter’s 
Alcantara, Yohann’6 vom Kreuze zc., eine bedeutende Rolle fpielt; vergl. ®drres, 
edel. Myſtik, Bd. IL ©. 520ff.; Zödler, Gef. der Aftefe S. 366). Länger 
1 eioc eine halbe Stunde pflegt diefer geheimnißvolle Entzückungszuſtand felten oder 
mp dauern. Doc, folgt oft noch ein mehrfländiger Zuftand ſüßen Halbſchlafes oder 
michmer halbbewußter Erſtarrung darauf, wobei der ganz mit Gott vereinigte Wille 
ah die übrigen Seeleufräfte von völliger Rucktehr zu ihrer auf's Irdiſche gerichteten 
Mitgteit noch zurüichält und diefe Kräfte, namentlich Gedächtniß und Phantafle, fid 
ıcaem eigenthämlichen Zuflande der Verwundung und Wbmattung befinden, ähnulich 
em det Rachtichmetterlings, der fi die Flügel am Fichte verfengt hat und deshalb 


zupties am Boden liegt. Faſt jedesmal erwacht man, in feligen Thränen gebadet, 


ms folden Entzũckungen, und gerade diefe unwillkürlich vergofienen und fo reichlich 
kiaala Thränen find ein Hauptzeichen davon, daß das Erlebte kein bloßer Traum 
gwcen. Uber nicht bloß das Charisma der Thränengagade ift e6, das mit diefen 
“mit des miyſtiſchen Gebetslebens bildenden Ekſtaſen faft immer in Verbindung 
m: 4 fallen damit auch meiflens jene Bifiomen und munderbaren Kundgebungen 
4 der jenfeitigen Welt zuſammen, in welchen fich die herrlichfte und xeichfte Frucht 
“r Uehmg im beſchaulichen Leben überhaupt darftellt; jene Gefichte vom leidenden und 
m verherrlichten Exrlöfer aljo, von der heiligen Dreieinigleit und von dem in blendend- 
we Zaubengeftalt fich herniederfentenden heil. Geifte, von den Cherubim unter Gottes 
md vom Seraph mit der glühenden Langenfpige, von der Errettung arnıer 
“de aus Satans Gewalt, vom Uebergange geläuterter Seelen aus dem Fegfeuer in 
e Eeligleit des Himmels x. ıc., an melden das Leben nnferer Heiligen fo reich ifl 
B deren Ne eine fo große Zahl geſchaut hat, daß fie förmlich Ichrhafte Betrachtungen 
iäber angaftellen und Klaffifitationen nach gewiſſen Gefichtspuntten (5. B. die Ein⸗ 
Kl in visiones intelleotuales und visiones imaginarias) damit vorzunehmen ber» 
Kluft wurde. 
‚ Die hier in Klirze dargelegte muftifche Gebetötheorie, deren Grundgedanken aus 
— Schriften in diejenigen vieler ſpäterer Myſtiler, z. B. ſchon in bie ihres Lieb» 
Singers Inan de la Cruz, ferner in die des Marquis de Renty, der Frau bon 
on, Fenelon's ıc. übergegangen find, findet ſich mit befonderer Anfchaulichfeit und 
mjũhelichleit entwidelt in Kap. 10—22. ihrer Selbſtbiographie, odemin jenen 
W nadh Stiftung ihres Joſephskloſters zu Avila (während der Jahre 1562 — 1567) 
ni Geheiß ihres damaligen Beichtvaters Pedro Ibanez gemachten Aufzeichnungen über 
In inneren und äußeren Lebensgang bis zum Beginn ihres veformatorifchen Wirkens, 
Überhaupt die erſte ihrer bedeutenderen Schriften bilden. ben biefe ihre Bio- 
Kıblie oder diefes „Buch von den Erbarmungen des HErru“ — Libro de las mise- 
ones del Beior — mie fie ſelbſt es manıte) war es, deffen myſtiſcher Lehrgehalt 
Kur Berfolgung der Yahre 1576—1579 von Seiten ihrer Feinde, namentlid, der 
"Ahr ong mis ihr befremmbet geiwefenen Farin Eboli, als keberiſch verdächtigt und 
j6* 








244 Tereſia, die heil. 


zu Anklagen bei der Inquifition gegen fie ausgebeutet wurde. Über die energiſche Be 
theidigung, welche der bereit8 früher als ihr Gönner thätig geweſene berühmte Domir 
fanergelehrte Domingo Banez dem Büchlein und indbefondere feiner Gebetstheorie 
Theil werden ließ, brachte die Mitglieder des Madrider Offictums zu der Weberzenge 
bon der Unverfänglichkeit feines Inhalte. Ja eines berfelben, der Kardinal Ouicg 
der fo zu aufmerkſamer Lektüre des Buches veranlaßt wurde, fchrieb nachher der ®ı 
fafferin, er babe in dem ihm im fchlechter Abficht übergebenen Buche einen wahren &ı 
ftein kennen gelernt, habe es nicht bloß ohne Schaden, fondern mit dem größten Ruf 
für fein inwendiges Leben gelefen und bitte fe daher, ihn für ihren Kapellan zu Il 
der ihr in Allem rathend uud helfend zur Seite ftehen werde. 

Auch in ihren übrigen Schriften, foweit fie wenigſtens muftifch lehrhaften m. 
baulichen Inhalts find, kehrt die Theorie der vier Gebetöftufen als Kern der mitgetheil 
Lehrwahrheiten und Erfahrungsjäge des inneren Lebens wieder. So vor Allem in ik 
„Weg zur Bolltommenheit“ (camino de perfecion), der zweiten größeren Sch 
die fie während jener fünfjährigen Periode der Ruhe nad, Gründung ihres erflen A 
flerd, und zwar gegen das Yahr 1567 hin fchrieb. Sie will durch diefes ebenfalls 
Auftrage ihrer Beichtväter aufgefegte Werk ihren Nonnen Belehrung über die richt 
Weife des Kampfes gegen gewiſſe Anfechtungen des Satans, fowie über einige and 
Gegenſtände des religiöfen Lebens ertheilen, und thut dieß in Form einer ausführli 
Anmweifung oder Vermahnung zum Gebete. Die wahre Liebe, die entfchiedene Ab 
bon der Welt und die Demuth befchreibt fie als die Borbedingungen, die andäͤchtige! 
trachtung oder Contemplation aber als die elementare Grundform alles Gebetsichen 
“ zeigt dann, wie diefe Contemplation alle Gebetsweifen, auch das laute oder vofale &kh 
nothwendig unterftügen und begleiten müffe, und entwidelt letztlich an der Hand ei 
eingehenden praftifchen Auslegung des Baterunferd (Kap. 27— 42.) ihre Lieblingsthes 
bon den vier Weifen oder&uftänden des Herzensgebetes, dem „Gebet der Betradtın 
als der natürlichen Bafis, und dem „Gebete der Ruhe, der Bereinigung und der Ü 
züdung * als den drei oberen Staffeln diefer muftiichen Leiter. — Auch in ik 
„Seelenburg“ (Castillo interior), der umfangreichflen und tieffinnigften, aber fol 
auch der dunkelſten und fchwerverftändlichften ihrer muftifchen- Lehrfchriften bilde E 
Gebet nad) feinen Hauptflufen und Hauptrichtungen das vornehmſte Objekt der Band 
tung. Die betende Seele wird hier einem wohlgebauten Schloffe ans Kryſtall oder & 
mant verglichen, da8 aus fleben aufeinanderfolgenden Wohnungen oder Höfen (morsda 
mansiones) beftehe, entfprechend den 7 Wbtheilungen des Himmels, diefer Aberiri 
Wohnftatte Gottes. Mit dem Schlüſſel des Gebetes habe man fich den Zugeng 
einer diefer inneren Wohnungen nach der anderen zw erfchließen, nämlich 1) zur Zu 
nımg der Selbfterfenntniß; 2) zu der des Kampfes mit den natürlichen Leidenfchef 
und Schwädhen; 3) zu der des Siegs über jene Anfechtungen mittelft der ottesfer 
(welcher im Wefentlichen das „Gebet der Betrachtung“ entſpreche; 4) zu derjenigen | 
Ruhe (entfprechend dem „Gebete dee Ruhe“); 5) zu der der Vereinigung; 6) zu ! 
der Entzüdung, und 7) zu der der muftifchen Vermählung oder der Bereinigung mit | 
heil. Dreieinigleit. Denn im innerften Heiligthume der Seele wohne Gott felbfl, | 
Dreieinige, die Alles durchleuchtende und verflärende Herzenfonne, die der zur cl 
höchften Stufe des efftatifchen Gebetslebens Aufgeftiegene in unmittelbarfter befeligen! 
Nähe zu fchauen befomme. — Um diefelbe Zeit, die biefem geoßartigften Erzengniſſe ih 
myſtiſchen Schriftſtellerei das Daſeyn gab, während jener freiwilligen Selbſtwerbanm 
in ihr Kloſter zu Toledo in den Verfolgungsjahren 1576—1579 nämlich, ſchrieb 2 
refia noch einige Mleinere Werke erbaulichen Inhalts, die ebenfalls Anklänge an | 
Lehre dom vierfachen Herzensgebete darbieten. Es find die die „Gedanken über | 
Liebe Gottes auf Grund des Hohenliedes“ (Conceptos del amor de Dios sobra ! 
gunas palabras de los cantares del Salomon) und die „Betrachtungen der Gebetbte 
ber Seele nad der Kommunion” (Eoclamaciones o Meditaciones del alma a su Dio 


Terefia, bie heil. 245 


Busiger deutlich als diefe beiden, dem edelſten Erzeugnifen der älteren kirchlichen Myftit, 
umaüh eines Anguſtin und Bernhard von Clairvaux nachgebildeten, dabei aber doch 
ai veles Originelle darbietenden Schrifthen, läßt ein andered Werl betrachtenden 
Aelis: die „Meditationen Über das Paternofter“ — die karakteriſtiſchen 
Srubgedanfen und Lieblingefäge ber texeflanifchen Myſtik hervortreten. Vielleicht iſt 
Ist der Verdacht der Unächtheit dieſer Schrift nicht ganz ungerechtfertigt, zumal da 
eu in einem Briefe an ihren Bruder Lorenzo (Lib. 1. Ep. 31.) enthaltene Anfpielung 
wi eine früher von ihr verfaßte Auslegung des Baterunfers ſich möglicherweife auf dem 
bereits oben befprochenen zweiten Theil des „Wegs zur VBolllommenheit beziehen fönnte. 
Andere Schriften Terefia's aus ihren fpäteren Lebensjahren find noch das „ Bud 
von den Kloflergrändungen“ (Libro de las fundaciones), als Fortſetzung ihrer 
Eeliäbiogeaphie begounen zu Salamanca (1573), fortgefeßt zu Xoledo (1576) und 
wendet zu Burgo® (1582); die „Rathſchläge an ihre Ronuen“ (Avisos para 
ms monjas) aus dem Jahre 1580; und die „Anweifung zur Bifitation der 
Klier» (de ratione visitandi oonventus monialium). Gleich den ſchon oben er- 
viuea Constitutiones vom Jahre 1563 bieten diefe auf die Außenfeite ihrer ordens- 
weustorifchen Thätigleit bezüglichen Arbeiten ein geringeres theologifches Iuterefle dar. 
bs hohen zeitgefchichtlichenm und cultuchiftorifchem Intereſſe find indeffen auch fie, 
m in diefer Hinfiht treten ihnen noch 342 Briefe (nebfil 87 Fragmenten von 
Briefen) als eine weitere Sammlung werthvoller und anziehender Dentmale aus diefem 
wunderbar zeichen und vielfeitig thätigen Leben zur Seite. — Wie Terefla in diefen 
roluiden Schriften durch eine naive Anmuth, zierliche Nettigleit umd geniale Kraft des 
Birds glänzt, die ihr eine der vornehmflen Stellen unter den Brofaiflen Spaniens 
anch, fo zeichnen ſich auch die zwar micht zahlreichen aber um fo gehaltreicheren 
Iniäre (Coplas, Glosas, Canciones), die fie uns hinterlaflen, durch Zartheit der 
—R amd hochpoetiſchen Gedanlenſchwung vor den ähnlichen Produlten Bieler 
im Jeatzenoſſen (mit Ausnahme freilich des in dieſer Beziehung ihr überlegenen Yuan 
"u En) ans. Ms Probe theilen wir hier die fchöne Motette an den Erldſer: 
‚) kmosura que excedeis” etc. mit, die nach der beutfchen Ueberfegung in Die- 
reabrods „Beiftlihem Blumenftrauß” lautet: 


„ESchönheit, Sonne, die bie Kerzen „Band, das einiget zwei Wefen, 
Her Schönheit dunkel macht, Die getrennt find bimmelweit, 
Obne Wunden gibft du Schmerzen, Ad, warum willfi du dich Idfen, 
Tilgeſt ohne Schmerz im Herzen Da, als du gefnäpft geweſen, 
Mer ird'ſchen Liebe Macht. Sich in Luft verfehrt das Leib. 


"Das, was nidtig if, verbindefl 
Du dem Seyn, das ewig währt; 
Bas in eigner Bruſt du zündeſt, 
Liebſt du; was du werthlos findeſt, 
Ihm verleihft du neuen Werth.“ 


derrlich ift auch das Sonnet au den Gekreuzigten: 
„Nicht Hoffnung trieb, o Herr, mich, dich zum lieben, 
Des Himmels Lohn nicht, den ich fol erlaugen, 
Nicht hielt der Hölle Dual mich fo nmfangen, 
Daß ich entfagte meinen ird'ſchen Trieben. 
„Du trieb mid, Herr, ber Anblid deiner Qualen, 
Die Schmach, der Tod, bie du für mich getragen, 
Der bleiche Leichnam au das Krenz geichlagen, 
Die uadten Glieder mit den Wundenmalen! 
„Nur deine Liebe konnte jo mich rühren; 
Selbſt ohne Himmel blieb’ ich bir ergeben, 
Selbſt ohne Höfe würd’ ich vor bir beben. 
„Du ſelbſt nur Tonntef hin zu bie mich führen ! 
Beun, was ich hoff’, auch nicht zu hoffen bliebe, 
Di liebt’ ih dennoch, wie ich jetst bich Liebe.“ 


— Le — — — 


246 Teſchenmacher 


Bol. überhaupt W. Stork, des heil. Johannes vom Kreuz und der heil. Terefia von 
Jeſus ſämmtliche Gedichte Überfegt, Münftee 1854; ſowie Bd. II der unten anzuführen 


- den Elarus’fchen Ueberſetzung der Werke Tereſia's. 


Die erfte Drudansgabe der Schriften Terefta’s, die aber namentlich im Punk 
der Briefe und der geiftlihen Gedichte noch fehr unvollfländig war, beforgte Pate 
Luis de Xeon (Ludovicus Legionensis) zu Salamanca 1588. Es fihliefen fi 
hieran als weitere fpanifche Ausgaben die von Neapel 1594 und 1604; von Makrl 
1597, 1611, 1615, 1622 und d., zulegt und am vollfländigften 1793; ferne Ni 
lateinifhen von Antwerpen 1619, von Cöln 1620 zc.; die italienifchen von Benak 
1636 und d.; von Mailand 1640 :c.; desgleichen die durch ihre ftiliftifche Schönke 
und Correktheit ausgezeichnete frangdfifche Weberfegung von Arnauld d’Anbill 
(Anvers 1688, III vols.), ſowie mehrere dentfche, unter welchen fich die meueren % 
beiten von Gallus Schwab (Sulzbah 1831, 6 Bde.) und Ludwig Clara 
(Leben und Werke der heil. Tereſia, 3 Bde., Regensburg 1855) durch ſprachliche Sch 
heit und durch Genauigkeit und Vollſtändigkeit in fachlicher Hinficht auszeichnen. 
den Briefen indbefondere erfchien eine erſte umvollftändige (nur 65 Briefe enthaltend 
Sammlımg, mit hiflorifhen und theologifchen Erläuterungen von Iuan de Palafe 
Bifhof von Osma verfehen, zu Saragofla 1658. Sie ging auch in mehrere der folg 
Ausgaben und Ueberfegungen über, 3. B. in Bd. III jener franzöfifchen Ueberfege 
von Arnauld. Bolftändig find die noch erhaltenen 342 Briefe der Heiligen erſt 
jener Madrider Ausgabe ihrer Geſammtwerke von 1793 zufammengeftellt, mo fe 
ſtarke Ouartbände füllen. 

Das Leben Terefia's befchrieb im Anfchluffe an ihre eignen autobiographifäi 
Aufzeichnungen, ſowie an zahlreiche anderweitige Urkunden und mündliche Ueberlieferunge 
ihr eigener Beichtvatr Franz Ribera (Vida de la madre Teresa de Jesus rep& 
tida en V libros, Madr. 1590. 4.), dem dann Andere wie Diego Mepes („Vida” eu 
Madr. 1599, 1606 u. 8.), IJuan de Jeſus Marin (Compendio de la vida de! 
Teresa 1605; auch lateinif, Rom. 1609), &. Gracian (Virtudes y fundacim 
de 8. T., 1611), Antonio de ©. Joaquin (Afio Teresiano, 12 Tom. 4, 1733-6 
Fridericus a S. Antonio (Venet. 1754), Mannel de Traggia (La mm 
grande, vida meditada de S. Teresa de Jesus, Madr. 1807) u. U. m. him. 
Diefe älteren Biographien find größtentheils benugt, theilweife auch vollftändig air 
druckt in der recht ausführlichen und gründlichen Darftelung des Jeſuiten Bande 
moere in der SFortfegung der Antwerpener Acta Sanctorum, Tom. VII. Octtr 
(1846), p. 109— 790. Bol. außerdem die Darftellungen von Schwab und Eları 
in den angeführten Werken, fowie die Abhandlungen von E. U. Willens (nur 
fchichte der fpanifchen Myſtik, Terefa de Jeſus«) in Hilgenfeld's Zeitfchrift für will 
Ichaftliche Theologie, 1862, S. 113—180; und von Zödler (Petrus von Alconu 
Terefia von Avila und Johannes vom Kreuze; ein Beitrag zur Gefchichte der mönd 
ſchen Contrareformation Spaniens im 16. Jahrhundert“) in Delitzſch und Gueride 
Zeitſchr. f. luth. Theol. und Kirche, 1864— 1866, befonders Jahrg. 1865, H.Iu.! 

Zödie. 

Tefchenmacher, Werner, geboren oder getauft am 13. September 1589 a. & 
gehört einem fehr alten weitverzweigten Ülberfelder Gefchlechte en, unter beffen jel 
reihen Mitgliedern viele um Stadt und Kirche mwohlverdiente Männer namhaft | 
macht werden. Werner’8 Bater, „Peter Tefchenmacher, genannt der Jüngere, wor 
wiederholten Malen Bürgermeifter und Schöffe; feine Mutter, Grietgen Nippel, Ram 
aus einer damals durch Wohlhabenheit angefehenen, geachteten Familie, im welcher fr 
liche, ſtreng reformirte Frommigkeit herrſchte. Den erſten Usterricht erhielt er in! 
im Jahr 1592 gegründeten Lateinifchen Schule feiner Vaterſtadt, aus welcher er jet 
fhon am 4. Mai 1601, mit einigen andern feinee Schulgenoffen (f. meine Gefdı. ! 
Pateinifhen Schule zu Elberfeld S. 75), im die Tertia des Padagogiums zu Hehe 





Teſchenmecher 241 


inet Ober im Oltober 1606, als die Naflanifche Landesichule von Herborn nach 
Gigs verlegt wurde, derſelben hierin gefolgt ifl, exfcheint zweifelhaft, da fein Name bereits 
a 10. April 1607 in da6 Album der Heidelberger Univerfität eingetragen wurde (I. 
x Rütheilungen der Zendener Maatschappij der nederl. letterkunde vom Jahre 1865, , 
6.54), Is Heidelberg erwarb er fi, das Yahr darauf, die Magiftertwürde, kehrte 
1609 nad Herborn zuräd und vertheidigte, unter Hermann Ravenſperger, nachdem er 
ie Hetaltät feinen looorum s. s. theologiae thesaurus communis (?) zu Öffentlicher 
Bartkeilung vorgelegt hatte, wohl uod im Jahre 1610 theses de illustr. theologiae 
questionibus, bie er umier andern Elberfeldern auch dem verdienten und beliebten 
Geureter Joh. Aut. Biber widmete, 

Gerade um diefe Zeit ging (vgl. den Art. „Caspar Sibel«) die evangelifche Kirche der 
dunde Julich.Clepe-Berg und Marl, nad hartem Drude, einer hofinungsreichen Zukunft 
age, da die poflibiveuden Türften dem evangelifhen Glanbensbeleuntniffe ange- 
Wrten und das durch das nunmehr ausgeftorbene Fürftenhaus und den Fanatiemus der 
Yrten bisher gewaltſam gefefielte und miebergehaltene proteflantifche Bewußtſeyn faft 
ultermähtig hervorbrach. Ueberall, wo nur ein Häuflein evangelifcher Belenuer der 
Iskettung entgangen war, bildeten fi neue Kirchen- und Schulſyſteme, welche da6 
balengen nach tlichtigen Lehrern uud Predigern in ungeahnten Maße fleigerten. Teſchen⸗ 
mige fand daher bald eine feinen Neigungen entſprechende Auſtellung. Zu ben Kleinen 
Enitten ie Sülichfchen, die es gewagt hatten, ben Poſſidirenden fofort dffentlid, Treue 
amgloben, gehörte auch Greveubruch, wo das Evangelinm viele Anhänger zählte und 
uch ſchon feit Dex Embdener Synode (Oftober 1571) das reformirte Bekenntniß vor⸗ 
kerfäte, An diefer Heinen Gemeine wirkte Teichenmacher von 1611 (vielleicht ſchon 
ſet den Spätjahre 1610) bis Novbr. 1613, in einer Zeit beſchwerlicher durch den 
Willie Krieg herborgerufener Unruhen und Beeinträdtigungen, welche bie verfrühten 

innen der Proteflanten fafl vernichteten. Ein noch vorhandenes, im Auftrage des 
mi, Geptember 1613 zu Gladbach abgehaltenen Claſſical-Convents von Teſchen⸗ 
aber on die Gemeinen zu Süchteln, Dülfen und Wald Niel gerichtetes Schreiben 
(Zifhe. des Berg. Geſch.⸗Vereins, Bd. I. S. 215 ff.) macht es ungweifelhaft, daß 
amd im November 1613 Paflor in Grevenbruch und Juſpeltor der Erft'ſchen 
uf (dassis Erftanae sive tertise Inspector) war; im nächſten Momate aber folgte 
n einem Rufe noch Sittard an bie dortige veformirte Gemeine. Diefe zählte zwar 
keeits im Jahre 1592 an 500 Mitglieder, wagte aber erfi am 22. Zuli 1609, dem 
it, an welchem Gruft Markgraf von Brandenburg und der Pfalggraf Wolfgang 
Eihelm die Reverfalen zu Düffeldorf unterzeichneten, das Öffentliche Erercitinm anzu- 
age, in deſſen Uebung ihr, auf Befehl der Fürſten, im nächften Jahre ein Zimmer 
Fe Gamere) auf dem Kathhaufe eingeräumt wurde. Es fpricht für die gute Gefinnung 
kr Gemeine, daß fie im Jahre 1612 ein Armenhaus wauffn Steinweg“ bei ihrem 
Kuähofe erbaute und demnähf andy eine deutfche und lateiniſche Schule errichtete. 

erfler Prediger war Theod. Hordens aus Unna, Dr. Th., on deſſen Stelle im 
Ali 1613 Johannes Smith (auch Smetius und Fabricins genannt) trat. Er war 
ws Uchen gebürtig, Profeffor der Philofophie in Sedan umd Paftor in Nymwegen; he⸗ 
het geworden als Theologe und Archäologe. Sein am intereffanten Ginzelheiten 
wars Leben hat N. ©. Kiſt (im 3. Bande des von ihm und H. I. Rohaarde 

enen Archief voor kerkelyke geschieden. Jahrg. 1833, ©. 119—230) 
msführlich geſchildert. Nur iſt Mif’E Angabe, Smith fey noch eine Zeit lang Teſchen⸗ 
audcre Uustsgenofe geweſen, uncichtig; es ficht altenmäßig feſt, daß Teſcheumacher 
Nam, als er im Dezember 1613 Sinard verlaffen hatte, im te nachfolgte. Die 
Srembfdaft beider geiſtesverwandter Männer bezeugt das von Joh. Smith ben annalen 

Ye, Julise, Montium eto. Teſchenmachers borgefeßte, an den Kurfürſten Friedrich 
Siheln gerichtete Bedicht „super historia Clivensi“. Cafper Eibel erzählt (In feiner 

@ narratio I, 149, Ms. Daventr.), aus einem amtlichen Gchreiben vom 





248 Teſchenmacher 


21. April 1615, daß fein Landsmann und Freund Teſchenmacher einen Ruf nad; Elber 
feld angenommen, feine Entlaffjung vom Sittarder Presbyterium erbeten und dieſelb 
erhalten habe, auch umberweilt abzureifen gedenke. So kehrte denn Teſchenmacher i 
- feine Baterftadt zurüd, und es war zu erwarten, daß er immitten ihm von Jugend ar 
befannter Berhältniffe und Perfonen, an der Seite eines ihm befreundeten College 
Petrus Curtenius, zugleih im Mittelpunfte der Gegenbewequng gegen die feit dem ü 
Jahre 1614 erfolgten Abfall Wolfgang Wilhelms über die Evangelifche Kirche, mM 
befondere des Bergifchen Landes, mit erneuter Wuth hereinbrechenden Verfolgungen dur 
die SIefuiten, alle Bedingungen zu gefegneter geiftlicher Wirkſamkeit in reichem Def 
finden werde. Dem war aber nit fo; fchon im Jahre 1617 folgte er daher eim 
Rufe der Kurfürftlichen Regierung zu Cleve und der dortigen Gemeine, obſchon je 
Züchtigleit in der Heimath allgemeine Anerkennung fand und das Vertrauen feine 
Bergifchen Amtsgenoffen ihn noch im Jahre zuvor auf der Wülfrather Synode zu 
Präfes gewählt hatte; wie er denn auch fpäter wiederholt als Cleviſcher Deputirter a 
die Bergifchen Synoden abgeordnet wurde. Teſchenmachers Auf war offenbar ü 
Wachſen begriffen, und die Einftimmigkeit, mit welcher man ihn (nad, Eurtenius’ Tod 
in Elberfeld zum zmweitenmale und faft gleichzeitig zu Deventer (in beiden Fällen freili 
erfolglos) wählte, fpricht deutlich genug dafür, daß er, nad) dem Urtheile competent 
Richter, allgemein als ein ebenfo gelehrter Theolog, wie gewandter Redner und trem 
Seelforger bochgefhätt wurde. Die Art und Weife, wie er fidh bei der emdlihe 
bon feinem Freunde Caſpar Sibel (1. c. S. 207 f., vgl. mit Rev. Daventr. illustr. | 
610) ausführlich erzählten Ablehnung der Stelle in Deventer benahm, läßt uns i 
Teſchenmacher einen Mann erkennen, der bei feinen Handlımgen ben erſten Einbrüde 
rüdfichtslos zu folgen gewohnt war, — eine Gemüthsrichtung, die ihn fchließfid am 
dem praftifchen Reben gänzlih hinaus drängte. Caſpar Sibel umd der Bürgermeift 
bon Deventer hatten ihm den Beruffchein nach Cleve überbracht und feine Entlaflen 
bei dem Cleviſchen Presbyterium, allerdings vergeblich, betrieben. Doch erhielten ſi 
bon dem Gewählten das mündliche und fchriftliche Berfprechen einer baldigen Anwer 
die er vor den Mitgliedern des Presbyteriums zu Deventer, perſoönlich anweſend, al 
abgab, daß er, ungeachtet vortwiegender Hinneigung zu dem erhaltenen Berufe, ste 
den augenblidlichen Berhältniffen die Elevifche Kirche kaum verlaffen dürfe; fte ae 
indeffen eine nochmalige Deputation an die Cleviſche Gemeine und Klaffe abfcide; 
follte die Kaffe mit feiner Entlaffung einverſtanden feyn, fo werde er, auch wem di 
Gemeine widerftrebe, den Ruf annehmen. So wurde denn Sibel nochmals, man I 
zwei Melteften begleitet, nach Cleve entfendet. Auch diesmal vergebens. Tefchenmadk 
erflärte jetzt kurz, er babe mit feiner Gemeine einen neuen Vertrag abgefcjloffen, m 
ließ fich nicht einmal dazu herbei, die um diefer Angelegenheit willen eigens zufammet 
berufene Klaſſe anzuhören. Mit Recht waren über dieſes verlegende Benehmen N 
Mitglieder der Klafle ebenfofehr empört, wie die Presbyter aus Deventer. 

In Cleve entfaltete Teſchenmacher eine erflaunenswerthe Thätigfeit, zu well 
feine vertrauten Beziehungen zu den Brandenburgifchen Räthen und feine enge Berbi 
dung mit feinem nahen Sugendfreunde, dem vortrefflihen Paſtor Bernhard Brant I 
Wefel, nicht wenig förderlich waren. Im der That waren es diefe beiden Düne 
denen das Vertrauen aller angefochtenen, unterdrüdten umd verfolgten evangelifhen Et 
meinen fin den vereinigten Fürftenthümern fi) zuwendete. Durch ihre Vermittelm 
floßen die Brandenburgifhen und Riederländifhen Subfldien- und Collektengelder in hi 
Häufer der ärmften Paſtoren; aus ihren Händen gelangten die Gravamina der Era 
gelifhen nad; Berlin und an die Generalftanten; fie beriethen fi fiber Synodalang 
fegenheiten und bie befondern Verhältniffe der Gemeiven in einem intereffanten rege 
mäßigen Briefivechfel, von dem genug erhalten if, um uns erkennen zu lafien, m 
welchem einträchtigen umd erfolgreichen Eifer die beiden Freunde das gemeinfame Liebek 
wert trieben. Mit wachſamem Auge verfolgen fie den Gang der kriegeriſchen Greigeifl 


Telgenmader | 849 


m der Nähe und Werne und erfpähen die Anfchläge, melde die Wende, unter ihnen 
beimders die Jeſuiten und der Pfalzgraf von Neuburg, gegen die evangelifche Kirche 
im Schilde führen oder fchon ins Werk fegen; ihre Loſung ifl: Exurgat custos et 
defensor Israelis! Dominatur dominus in medio inimicorum. Auch dur gemein- 
feme hiforifche Studien waren die beiden Freunde mit einander verbunden. Mit welcher 
Überalität die Brandenburgifchen Archive für Teſchenmacher fi dffneten, zeigt am 
Hlagendften ein noch erhaltenes, mehrere Foltofeiten langes Verzeichniß von Urkunden, 
we, nad jenem plöglichen Tode, durch die Regierung zu Emmerich von feiner Wittwe 
müdverlongt tmurden: Aus allen evangelifchen Gemeinen flofien ihm amtliche Alten⸗ 
tide zu; nicht felten gelang es ihm auch, aus fatholifhen Gegenden oder über bie- 
Aben zuverläffige Meittheilungen zu erhalten. So fammelte er den Stoff zu feinen 
firhen- Annalen der Reformation in Cleve-Fülich-Berg, zu feinen lateinifch gefchriebenen 
Annales Clivise, Juliae, Montium ete., fowie anderen Werten, von denen, zugleich mit 
dielen, unten die Rede ſeyn wird. 

Us m Jahre 1623 der Paſtor Conrad Mirden (Mirckinius) von Elberfeld feine 
Erle in Emmerich niederlegte, erhielt Teſchenmacher einen Ruf an die dortige Gemeine. 
Er nahm denfelben um fo bereittoilliger on, weil die inzmwifchen wegen der Kriegkge⸗ 
fahr von Cleye nach dem ſtark befeftigten Emmerich verlegte Brandenburgifche Regierung 
em Berufung, welcher Unruhen in der Gemeine borhergegangen waren, vermittelt 
te Zudem mochte ihm der Umftand die Entſcheidung leicht machen, daß feine Yrau 
vhama Vruyns, die Schwefter des Bürgermeifters von Emmerich ımd Brandenburgi- 
hen Rathes Cornelius Bruyns (f. E. Waflenbergd Embrica p. 262, 232, 140) einer 
wigen reichen Patricierfamilie angehörte und er alle wünfchenswerthen Nüdfichten von 
ktten der Regierung wie der Gemeine erwarten durfte. Hierin fand er fich micht 
elaiht Als zu Emmerich (noch im Juli 1623) eine peftartige Krankheit ausbrach, 
xlllen Regierung und Presbyterium nicht, daß Tefchenmacher ſich durch Krankenbeſuche 
® Anſtedung ansfege und trafen Anftalten, einen für diefen Zweck geeigneten Mann 
E geninnen. Gegen das Ende bes nächſten Jahres adjungirte ihm die Regierung 
üm fremd, den Dr. Theol. Heinrich von Dieft (f. Revii Daventr. illustr. p. 714), 
% als diefer im Octbr. 1627 als Profeffor der Theologie an das Gymnasium illustre 
2 Öelderfand zu Hardermyd berufen wurde, folgten ihm Johannes Stöver und Petrus 
ermann. Offenbar betrachtete man Tefchenmacher’8 Anftellung als ein halbes Ehren- 
4, duch welches man ihn an die Regierung feſſeln wollte, um feines Nathes umd 
efuffes in dem fchmierigen Firchlichen Wngelegenheiten fich zu bedienen. Wie fehr 
od dies Verhältniß Teſchenmacher's Chrgeiz fchmeicheln mochte, e8 war ein rich— 
bt, und die unangenehmen Folgen konnten nicht ausbleiben. Außerdem fland er in 
ame dem Treiben der Latholifhen Gegner, insbefondere den Jeſuiten, viel um- 
Eeldarer gegenfiber, als früher in Cleve. Emmerich hatte von jeher eine dem Prote- 
atiıms feindliche Stellung eingenommen. Während in Düffeldorf der Rektor Johan⸗ 
F Monheim (f. den Artikel) unter dem Schuge evangeliſch⸗geſinnter Näthe die Refor— 
ton förderte, zeichnete fich faft gleichzeitig der Rektor dex ebenfalls ſtark befuchten 
Ameriher Schule Matthias Bredenbah (+ 19. Yuli 1559) durch feine mwüthenden 
geiffe anf die Reformation und ihre Träger aus. Auf dem Reichttage zu Worms 
Jahre 1557 bat Melandıthon feinen Fremd, den edlen Bergifhen Rath Conrad 
resbach, er möchte bei dem Herzoge Wilhelm dahin arbeiten, „daß dem Bredenbach 
r ſchändlich und unchriftlich Schreiben verboten werde, wie Iöhlichen Poteftaten ge- 
fe, folhe erlogene Schmähfchriften nicht zu dulden (Mel. in einem Briefe an den 
ejeler Rath, 31. Yan. 1559), und Hermann Hamelmann fchreibt: „In inferiori Ger- 
na spirat minas Zonius Pyghii sucoessor; in terra Embricensi Matthias Brede- 
chins, rector Embrioeneis, . . et gloriatur, se posse refutare locos communes 
ülippi Melanthonis; interim ille cum aliis laterem lavat, neo cum omnibus suis 
Aptıs potest tanto viro vel matulam porrigere“ (f. die feltene Schrift Hamelmanns 








260 Teſchenmacher 


Sententias omnium fere patrum . . de primariis Augustanas Üonfessienis art 
Marpurgi Andreas Colbius impressit Kal. Augusti 1557). me große Amall 
Minds: und Nonnenklöftern, Beguinenhäufer u. f. f. bezengten laut, daß Cumeri 
vom der Lutherifchen Ketzerei noch unangetafteter Sig des römijchen Katholiciduni 
Doh ſchon vor dem Jahre 1574 bediente Gerhard Laeren die vier vereinigten | 
Eichen Gemeinen Body, Gennep, Emmerich und Rees (f. Teſchenmacher's annales ex 
reform. ecel. Cliviae, Juliae eto. Ms. ©. 910), und bereit 1586 wurden die Ref 
zum Bürgerrecht zugelafien (f. Waffenberg 1. o. 261); aber 1592, als die Herzogin 
ihrem blöden Gemahl die Zügel ber Regierung aus der Hand nahm und diefel: 
der twiderfirebenden Räthe und Kaif. Commiflarien, ſtraff anzuziehen ſuchte, begam 
für die Emmericher Gemeine eine Reihe von Berfolgungen, gegen welche die wide 
Proteſte und Supplicationen der unterthänigen gehorfamen Burger und Cinwh 
Cleve, Emmerich, Ealdar, Xanten und Rees, fo fich zu der reformirten wahren & 
und in Gottes Wort gegründeten Augsburgifchen Eonfeffion befannten, nichts auf 
Bielmehr ſetzte die Herzogin ihrem fanatifchen Eifer dadurch die Krone anf, dab Wi 
Iefuiten in's Land rief umd ihnen die Schule zu Emmerich übergab. Die Einlet 
diefem von den Ständen mißbilligten, den früheren herzoglichen Berorbuunges 
ſprechenden Schritte hatte fie durch den Kanzler Weze und den Emmerichet Dei: 
Bernhard Louwermaun (vgl. Baffenberg 1. c. 201 f.), der urſprumglich Collegiat⸗Ge 
sicht aber Sefuiten an die Schule zu bringen beabfichtigte, treffen laffen. Jan! 
fih daher mit guten Grunde als die eigentliche Ucheberin und Beforderin dei 7 
an. „Euer Liebden Schreiben“ (fchreibt fie unterm 9. Ian. 1593 an Heryg DE 
von Bien; Münd. Staatsarch. 519/8, Fol. 6), „die patres der societet, jo mit 
vorn gen Embrid in unferm furftendumb Cleve zu reſtaurirung der fcholen um 
pflautzung umferer waren alleinfälig machenden catholifchen religion daſelbſthin DM 
amd felbiger flat daher von den Niederlendifchen ftaten zuegefuegten gemalt belay 
haben wir wol empfangen.“ Allerdings war Gewalt geübt worden. „Zeil aba 
fagt Zefchenmader, „den unirten Niederländifchen Provinzen hieran viel gelegen, = 
fehen die Yefuiten des Königs in Hispanien Davi und Ausfpäher find, auch zu 
als einem allernächſt bei denfelben und Rhein, Wael und Dfiel gelegenen Plix & 
Gift fireuen, allerhand böfe Practiquen, als abgefagte und gejchworene der Ric 
ſchen gerechten Sache Feinde, anrichten, Correfpondenz mit den Pabſtleren in za fı 
derlanden unterhalten, ihre Kinder erziehen und unterfchiedliche heimliche Collecten \asm 
tönnen: fo hat Prinz Moritz zu Oranien, hochlöblicher Gedächtniß, ſolches em 
daß er anno 1552 die damalen allererft eingefchlichenen Jeſuiten ab- und Fortgeiä 
befohlen hat, ja dem Commandeur auf dem Fort Grevenworth Gerhard be Jonge 
gegeben, alle Ichfen und Kühe den Bürgern zu Embrich anzuhalten, bis die IH 
daſelbſt ausgewieſen wären.“ Die näheren Umflände erzählt Everardus Reid 
(Belgarum annales, Dionysio Vossio interprete, Lugd. 1633. S. 231) 
Emmericher Magiftratsperfonen, die ſich auf das Recht des Türften beriefen, 
Morip ımter Anderem ‚geantwortet: ex werde bis im alle Ewigkeit ein gefchtoorner | 
der Mörder feines Vaters bleiben. Die natürliche Folge diefer Niederländifcen 
fichtelofigkeit war, wie Jacobe fchreibt, „daß dadurch unter gemeiner Bürgerſchaf 
andern Benachbarten nicht geringe Unluft entftand, die ſich Deffen zum Hbchſte 
ſchwert und um Abfchaffung obgemeldter patrum, weil ſolches daher ertwacen, 
fleißigften angehalten, inmaßen uns auch von Etlichen gerathen, zu Unterhaltung bi 
nachbarlicher VBerftändnig und guten Willens mit gedachten Staaten, fie, bie m 
dachten patres, geſtracks ab» und aus der Stadt zu fehaffen; oder aber durch ihre i 
bon daumen twieder ab» und anheim fordern zu laffen.« Dies gefchah denn aud) 
ale Re es verfuchten, fid) wieder feftzufegen, wurden fie in biefem „Jahre zum zie 
male verjagt. Nichtsdeftoweniger Tehrten fie zurüd und — blieben. 
Das Paitent der poffibirenden Fürften brachte auch den Evangelifchen im Cm 




















Teſchenmacher 281 


zip krleichterung. Ben allen Seiten kamen auswärtige Glaubentgenofſen herbei, ver⸗ 
ya fi im Öffentlichen Berſammlungen, legten Schulen an umb umteuhielten fie 
di unter dem Drude ber latholiſchen Obrigkeit, welche durch Wolfgang Üfheinss 
IE von der ebangelifchen Kirche wieder zu vollſtändiger Macht gelangt war. Wis 
in Morig im Jahr 1614 die Einnahme Wefels durch Spinola nicht hindern fommte, 
khte er Emmerich und Rees, unter Bedingumgen, welche zwar für bie Bärgerfcheft 
d Geflichleit günftig waren, aber nothiwendig die Freiheit beider befcränften. (©. die 
tel vom 7. September 1614 bei Waffenberg Embr. ©. 245 f.) Ungefäumt warde 
I exereitium publicum ber reformirten Kirche eingeführt und ein reformirtes GBtam- 
km errichtet. Die Gemeine wuchs raſch heran und nahm, ale Emmerich umter 
etenburgiice® Regiment kam, während bie Niederländiſche Beſatzung blieb, fo ſtarl 
deß ein großer Theil der Magiftratöperfouen ihr angehörte. Die Berhältnifle ber 
mgeliihen geflatteten ſich noch günftiger, als nun Emmerich anch Sig ber Regierung 
Be Uns der Zeit, da die Gemeine mar als eine heimliche beſtand, war Pafter 
Dun? von Benlo übrig gewefen; fein Nachfolger im Jahre 1613 warde 
us Zeifius, der Borgänger des oben erwähnten Conrad Mieden, am deſſen Stelle 
Bar: Teihenmadher trat. 
Es if begreiflich, daß unter dem bargeftellten Verhältniſſen der Einflaß Tefchen- 
kers in kirchlichen Ungelegenheiten bedeutend war, zumal ex and) durch feine ver⸗ 
wtibaftlihen Verbindungen in den Niederlanden, wo feine Frau begütert var, für 
! bebrängte evangeliſche Kirche von Miich-Eleve-Berg mit Erfolg wirken Tomte. In 
I That nahmen die BVerfolgungen tvieder zu. mM. Balduin (er war Paſtor in 
kb), ſchreibt Teſchenmacher am 12. Aug. 1525 an Bernhard Brant in Weſel, 
Kt nm unferer General. oder Rational- Stnode an mid, gefchrieben; und wie von 
un Et die Noth der Kirchen uns drängt, im Namen Gottes zufanımenmelonmen 
w ma Beften umferer aufs tieffte gebeugten (afflictissimarum) vaterlandiſchen Kirchen 
Mein Rath zu pflegen, fo erheben ſich andererfeits Gefahren und mancherlei Hin⸗ 
Wahr dagegen, beſonders für uns, die wir durch Eure (von den GSpanierm befekte) 
het vichen müffen. Ich wollte aus diefem Grunde von Dir vernehmen, ob mir umd 
u Frediger von Rees don Seiten (Eueres Gnbernators der Eintritt geftattet fein 
Kk, und denfelben duch; Dich erlangen.“ Unterm 3. Novbr. 1625 erließ die Pfalg- 
anrpfhe Regierung zu Düffeldorf ein neues Berfolgungs - Edikt gegen „bie Peebi- 
in, Lehrer und Gchuimeifter un katholiſcher Religion“, unter ſchwerer Vebräummg, 
mge Connivenz umterlanfen: ſollte. „Und if alsbald darauf erfolgt», heißt es in 
M amtlichen Berichte, „daß 1) das Exercitium publicam allenthafben verfperrt, 
den Berftorbenen die begrebmnfien verweigert, 3) die Prediger, welche vorhin in dieſer 
Herne auffs euferfte und getrewlich bei ihren Kirchen gehalten ud große Laflen 
dem Spaniſchen kriegevolk (welches fie in ihren häufern halten müffen) und anderen 
gfalen unzehfig mehr anfigeftanden und jämmerlich nımb alle ihre mittelen gebracht, 
Ale auß dem lande vertrieben und ohne Verzug vortgeſchaffet.“ Die Vramen- 
liſche Regierung zu Emmerich verfehlte freilich nicht, ſowohl ſelbſt, als auch durch 
' Fremde und Alliirten „zu mehrfältigen wohlvermeinten Erimmerungsfdreiben die 
rlide Aeflitntion im der te fuchen und begehren zu laſſen⸗, und befahl am 
Rei 1626 Dechanten nnd Kapitel zu Kanten, Emmerich, Rees, Cleve, Weſel, 
menburg und Soeſt ernfilich, bei Pfalz-Neuburg „alles Fleißes daran zu fein, damit 
bedrängten und zerflörten Gemeinen diefer Lande allerding® reftituirt würden,“ ... 
Tmfolls würde die Regierung gemdthigt feyn, mach fo Lange nehabter GSeduld, 
ehenhendhabs ⸗ Mittels zu ergreifen d. h. Repreffalien eintreten ya Iaffen. Wflein weder 
fr »ernfte Befehle, mod; feine vom 20. Aug. 1626 datirte Emenerung richtete iegend 
das aus. Die Berfolgungen dauerten nicht nur fort, fondern Pfaltz⸗ Renburg ließ 
1 m Eimverfländniffe mit dem Spaniſchen Gubernator von Weſel, Franciscus de 
Kin, am 27. Novbr. 1627 den Prämonftratenfer - Abt Johannes Fraiſtune zum 








250 Teſchenmacher 


Sententiae omnium fere patrum . . de primariis Augustanse ÜUonfessionis artioul 
Marpurgi Andreas Colbius impressit Kal. Augusti 1557). ine große Anzahl ı 
Moönchs⸗ und Nonnenklöftern, Beguinenhäufer u. f. f. bezeugten laut, dag Emmerich 
bon der Eutherifchen Ketzerei noch unangetafleter Sig des römiſchen Katholicismus m 
Doch ſchon vor dem Jahre 1574 bediente Gerhard Laeren die vier vereinigten be 
lichen Gemeinen God, Gennep, Emmerich und Rees (f. Teſchenmacher's annales eoclesi 
reform. ecel. Cliviae, Juliae etc. Ms. ©. 910), und bereit8 1586 wurden bie Reformu 
zum Bürgerrecht zugelafien (ſ. Waflenberg 1. c. 261); aber 1592, als die Herzogin Yac 
igrem blöden Gemahl die Zügel der Regierung aus der Hand nahm und biefelben, # 
der widerfirebenden Käthe und Kaif. Commifjarien, ſtraff anzuziehen ſuchte, begann a 
für die Emmericher Gemeine eine Reihe von Berfolgungen, gegen welche die wiederhel 
Peotefle und Supplicationen der uuterthänigen gehorfamen Bürger und Einwohner 
Eleve, Emmerich, Ealdar, Kanten und Rees, fo fh zu der reformirten wahren Relig 
und in Gottes Wort gegründeten Augsburgifchen Confeffion befannten, nichts ausrichte 
Bielmehr feste die Herzogin ihrem fanatifchen Eifer dadurch die Krone anf, daß fie 
Jeſuiten in's Land rief und ihnen die Schule zu Emmerich übergab. Die Cinleitung 
diefem bon den Ständen mißbilligten, den früheren herzoglichen Verordnungen wit 
ſprechenden Schritte hatte fie durch den Kanzler Weze umd den Emmericher Dede 
Bernhard Louwermann (vgl. Waffenberg 1. o. 201 f.), der urfprünglich Collegiat » Geiffi 
nicht aber Yefuiten an die Schule zu bringen beabfichtigte, treffen laſſen. Jacobe 
fi daher mit guten Grunde als die eigentliche Ucheberin und Beförderin bes Pla 
an. „Euer Liebden Schreiben“ (fchreibt fie unterm 9. Ian. 1593 an Herzog Bill 
von Baiern; Münch. Stantsarch. 519/8, Fol. 6), „die patres der societet, fo wir ik 
born gen Embrich in unferm furftendumb Cleve zu reftaurirung der ſcholen und be 
pflangung unferer waren alleinfälig machenden catholifhen religion daſelbſthin befurd 
und felbiger flat daher von den Niederlendifchen flaten zuegefuegten getvaltg belange 
haben wir wol empfangen.“ Allerdings war Gewalt gebt worden. „Weil uämlid 
fagt Tefchenmacher, „den unirten Niederländifchen Provinzen hieran viel gelegen, ay 
fehen die Iefuiten des Königs in Hiöpanien Davi und Ausfpäher find, auch zu Cuia 
als einem allernächft bei denfelben und Rhein, Wael und Yſſel gelegenen Plap d 
Gift fireuen, allerhand böfe Practiquen, als abgefagte und geſchworene der Niedalon 
ſchen gerechten Sache Feinde, anrichten, Eorrefpondenz mit den Päbftleren in den # 
derlanden unterhalten, ihre Kinder erziehen und unterfchiedliche heimliche Collecten jomm 
fönnen: fo bat Prinz Morig zu Dranien, hochlbblicher Gedächtniß, ſolches bewogt 
daß er anno 1592 die damalen allererft eingefchlichenen Jeſuiten ab» und fortzuſche 
befohlen Hat, ja dem Commandeur auf dem Fort Grevenwörth Gerhard de Yonge a 
gegeben, alle Ochfen und Kühe den Bürgern zu Embrich anzuhalten, bis die Jelal 
dafelbft ansgeiviefen wären.“ Die näheren Umftände erzählt Everardus Raben 
(Belgaram annales, Dionysio Vossio interprete, Lugd. 1633. ©. 231 £.), d 
Emmericher Magiſtratsperſonen, die ſich auf das Recht des Furſten beriefen, de 
Moritz unter Anderem geantwortet: ex werde bis in alle Ewigkeit ein geſchworner da 
der Mörder feines Vaters bleiben. Die natürliche Folge diefer Niederländifcen RI 
fichtelofigleit war, wie Jacobe fchreibt, „daß dadurch unter gemeiner VBürgerfcaft # 
andern Benachbarten nicht geringe Unluſt entfland, bie fi Deflen zum Hoͤchſten! 
ſchwert und um Abſchaffung obgemeldter patrum, weil ſolches daher erwachſen, # 
fleißigſten angehalten, inmaßen uns auch von Etlichen gerathen, zu Unterhaltung bei 
nachbarlicher BVerfländnig und guten Willens mit gedachten Staaten, fie, bie wicht 
dachten patres, geſtrads ab» und aus der Stadt zu fchaffen; oder aber durch ihre Ob 
von dannen wieder ab- und anheim fordern zu laſſen.“ Dies gefchah demm aud, = 
als fie es verfuchten, ſich wieder feftzufegen, wurden fie in diefem Jahre zum zweit 
mole verjant. Nichtsdeftomeniger Tehrten fle zurlick und — blieben. 

Das Batent der poffidienden Fürften brachte auch den Evangelifcen in Gune! 


Teſchenmacher 21 


aut irleichtermg. Ben allen Seiten kamen auswärtige Glaubentgenofſen herbei, ver⸗ 
engen fi in Öffentlichen Berſammlungen, legten Schulen an und umteshielten fie 
mier dem Drude der katholiſchen Obrigkeit, welche durch Wolfgang Tiilkeimt 
von der ebangelifchen Kirche wieder zu vollſtändiger Macht gelangt war. Wis 
Rorig im Jahr 1614 die Einnahme Weſels durch Spinola nicht hindern Tomte, 
heſette er Emmerich und Rees, unter Bedingungen, welche zwar für bie Bärgerfcheft 
a Geiſtlichkett günflig waren, aber nothinendig die Freiheit beider beſchränkten. (S. die 
Ktikel vom 7. September 1614 bei Waflenberg Embr. S. 245 f.) Ungefäumt wurde 
kf exereitiam publicum der reformierten Sirche eingeführt umd ein veformirte® Gem» 
schum errichtet. Die Gemeine wuchs raſch heran und nahm, als Gumerich nuter 
Brenteuburgiiche® Regiment am, während die Riederländifche Beſatzung blieb, fo ſtark 
w, daß ein großer Theil der Magiſtratsperſonen ihre angehörte. Die Berhältnifle ber 
bengeliſchen geflakteten fich noch günfliger, als nun Emmerich auch Gig ber Regierung 
wre Ant der Reit, da die Gemeine nur als eine heimliche befland, war Paſter 
Tater Dund von Benlo übrig gewefen; ſein Hachfolger im Jahre 1612 wurde 
kans Zeifins, der Borgänger des oben erwähnten Conrad Mirden, an deſſen Stelle 
Em Tefchenmacher trat. 

&6 iſt begreiflic, daß unter dem bargeftellten Berhäftniffen ber Einfluß Teſchen⸗ 
nucer6 in Firchlichen Ungelegenheiten bedeutend war, zumal ex auch durch felne ver⸗ 
benitihaftlichen Berbindungen in dem Niederlanden, wo feine Frau begütert war, für 
de beirängte evangelifche Kirche von Salich-Eleve-Berg mit Exfolg wirken konnte. Im 
ber That nahmen die Verfolgungen wieder zu. „M. Balduin“ (er wor Paſtor in 
drilberg), fchreibt Teſchenmacher am 12. Ang. 1525 an Bernhard Braut in Weſel, 
ht bogen unferer General. oder National» Ermode an mic, gefchrieben; umb wie von 
tar Eeite die Noth der Kirchen uns drängt, im Namen Gottes zufonmengmulommen 
m mm deften unſerer aufs tieffte gebengten (afflictissimarum) vaterländifchen Kicchen 
rm Rath zu pflegen, fo erheben fidh andererfeits Gefahren und manderlei Hin- 
“fe dagegen, befonder® für uns, die wir durch Eure (bon den Spaniern befete) 
Sen ziehen müffen. Ich wollte auß biefem Grunde von Die vernehmen, ob mir umd 
im Srediger von Rees von Seiten Eueres Gubernators der Eintritt geflattet fein 
Dt, and denfelben durch Dich erlangen.“ Unterm 3. Robbe. 1625 erließ die Pfaltz⸗ 
Renbarpfdre Regierung zu Düffeldorf ein neues Berfolgungs »- Edit gegen „die Predi⸗ 
men, Scheer und Schulmeiſter un katholiſcher Religion“, unter ſchwerer Bedräumg, 
 emige Eonnidenz unterlaufen’ follte. „Und iſt alsbald darauf erfolgt, beit es in 
we amtlichen Berichte, „daß 1) das Exercitium publicam allenthafben verſperrt, 
) den Verſtorbenen die begrebnufſen verweigert, 3) die Prediger, welche vorhin in diefer 
ſchwerms auffs eußerfle und getrewlich bei ihren Kirchen gehalten und große Laflen 
I dem Spanifchen kriegsvolk (meldyes fie in ihren häufern halten müffen) und anderen 
mgfalen unzehlig mehr aufgeflanden und jämmerlich umb alle ihre mittelem gebracht, 
R alle auf dem lande vertrieben und ohne Verzug vortgefhaffet.- Die Brauden⸗ 
ngihe Regierung zu Emmerich verfehlte freilich nicht, ſowohl ſelbſt, als auch darch 
rt Freunde und Alliirten „zu mehrfältigen wohlvermeinten Erimmerungsfckreiben bie 
hoͤrliche Reftitution im der Güte ſuchen umd begehren zu lofien“, umb befahl am 
Mai 1626 Dechanten und Kapitel zu Xanten, Emmerich, Rees, Cleve, Weſel, 
tonenbirg und Soeſt ernfilich, bei Pfalz- Neuburg „alles Fleißes daran zu fein, damit 
t bedrängten und zerflörten Gemeinen dieſer Rande allerdings reſtituirt märden,“ ... 
idrigenfalls würde die Regierung gendthigt fenn, nad) fo lange gehabter Geduld, 
Begemhandhabs. Mittel zu ergreifen d. h. Repreffalien eintreten zu lofien. Allein weder 
eier nernfte Befehle, noch feine vom 20. Aug. 1626 datirte Ernenerung richtete iegend 
was aus. Die Berfolgungen danerten nicht mm fort, ſondern Pfaltz⸗Neuburg ließ 
u, im Eimverfländniffe mit dem GSpanifchen Gubernator vom Wefel, Francisens de 
Redino, am 27. Nopbr. 1627 dem Prämonftratenfer - Abt Johannes Fraiſtme zum 


Ki 
Ei 
Kin 


252 Teichenmader 


Baflor der reformirten Wilibrordsficche zu Wefel, der Hauptkirche der Stadt, in Kantı 
ordiniren nnd durch Befehl vom 26. Juni 1628 aud die Mathena Kirche dem neu 
Pfarrer einräumen. Der Rath von Wefel weigerte zwar die Auslieferung der Schlüfle 
allein von katholiſchen Fäuften gefchiwungene Aexte und Hämmer fchlugen die Kirche 
türen ein, die Öloden wurden angezogen , auf der Orgel gefpielt und beide Kircht 
durch eine Proceffion „mit Kreuzfähnlein und Monftcanz“ in Beſitz genommen. D 
drei reformirten Prediger Bernhard Brant, Iodocas Rappard und Cafpar Keidtwe 
mußten bei einer Poen von 1000 Goldgulden ihre Wohnung innerhalb vier Stun 
verlafſen. Jetzt fchien das Werk der Gegenreformation vollbracht. Auch die Jeſuin 
bon denen die erfte Anregung zu diefer Kirchenräuberei ausgegangen war, ſtellten I 
fofort ein; man übergab ihnen einftweilen, am 23. März 1629, der armen Mäg 
Kiche Mariengarten. 

Wenn jett nicht die Niederlande für die gewaltfamer Ausrottung Preis gegeben 
evangelifchen Kirchen im Gebiete Pfalz» Neuburgifcher Herrſchaft tapfer umd unvery 
eintraten, fo waren diefe um fo ficherer für immer verloren, als der Brandenburgiſe 
Minifter - Refident Adam Graf von Schwarzenburg, nach allgemeiner begründete U 
nahme, im Geheimen mit den Katholilen einverflanden war und das Brandenburgild 
Intereffe diefem Einverſtändniſſe unterordnete. Schon im Jahre 1627 waren bie Pre 
byterien der Niederlande und die General» Staaten von einer befonderen Deputation ı 
direfte Hilfe angefleht worden. (S. den Art. Caſp. Sibel). Jetzt fam nun das us 
deingendere Geſuch wegen Wefels hinzu. Werner Tefchenmacder war es, der in eine 
befondern Schriftflüde die „Urfachen, warum die Niederländifchen Kirchen fid der je 
entflandenen Berflörung der Kirchen und Gemeine in der Stadt Wefel durch Interceſſu 
bei den Herren Staaten. General zu deren Reftitution zu gelangen anzunehmen full 
feien" zufammenftellte. Ex führt zehn Punkte auf, aus welchen für die Niederlande d 
Berpflichtung zu ungefäumter Hilfeleiftung fich ergebe. „Erſtens erfordert foldes d 
chriftliche Liebe und die harmonia orthodoxse religionis, deren exercitium in N 
Stabt Wefel bei die 80 Jahr geweſen.... Die Stadt Wefel hat jederzeit, bei wit 
renden Spanifchen Berfolgungen in den Niederlanden, die daher Bertriebenen inc 
der Religion gern und ganz brüderlich und nachbarlich aufgenommen und allen gms 
Willen erzeigt. Weil nun die Wefelfchen in dergleichen Berfolgungen und Drad 
gerathen find, ift ja nichts Billigeres, als daß die flärkften Glieder des Leibes Ci 
dem fchmachen wiederum zu Rettung und Hilfe fommen. Dazu fie fich in diefem jegige 
hochbeſchwerlichen Falle defto willfähriger bezeigen werden, weil fie bereits vor dida 
ſynodaliter befchloffen, fich der benachbarten Cleviſchen Kirchen anzunehmen . . . Am 
1614 haben Ihre Pr. Excel, (von Oranien), hochloblicher Memorie, bei Einnehmu 
der Städte Rees, Embrich und anderer, mit den Magiftraten allfoldhe Capitulation ar 
gerichtet, daß fie unturbirt in ihren Religions» Erercitien, wie fie ſich der Zeit in N 
Städten befunden, follen gelafien werden. Soldyes ift den Katholiken flät und fe g 
halten worden. Derwegen follen billig Geiſtliche diefer Städte dazu angehalten werde 
die Reftitution der Kirchen zu Wefel innerhalb gewiſſer Zeit zu befördern oder M 
Gleiche zu erwarten (oder dergelicken tho verachten). Dazu die Herrn Staaten mi 
allein wegen obgemeldter Sapitulation, fondern auch wegen der vom Nurfürften zu Branda 
burg und von Pfalz- Neuburg den Clevifchen Randftänden und confequentlich der Su 
Weſel gegebenen Reverfalen, welche die Herren Staaten in dieſen Landen allegeit 0 
fervirt und unterhalten helfen, befugt find.“ 

Diefe Gründe ſchlugen duch. Die Herren Staaten befahlen fofort den päbſtlich 
Geiflihen zu Emmerich und Rees, mit welchen fie die Capitulation anno 1614 4 
gerichtet hatten, die Neftitution der Wefeler Kirchen zu Wege zu bringen, ober fie hötl 
deögleichen auch per repressalia zu erwarten; haben aber ihnen aud) zweimal den termin 
bon 3 Wochen dazu vergönnt. „Als aber“, erzählt Tefchenmacher in den Kirchen. Kanal 
(Ms. ©. 1096 ff.) weiter, „Diefes alles, al® auf welches ihrer Meinung nad sid 


Telgenmader 263 


eislem follte, von ihmen in den Wind gefchlagen wide, iſt den Pfaffen und Jeſniten 
«dk irt ornamenta aus den Kirchen zu nehmen zugelaffen und darauf den reformirten 
hen Gemeinen zn Enmerid und Rees folde einzunehmen anno 1628 be» 
hl; weldhe auch ſolchem nachkommen, die Altäre niedergerifien und zu einem Bei⸗ 
heut ſolche fünbern umd reinigen laffen. Darauf dann am 28. Septbr. befagten Jahre 
a der Iefniten Kirche (zu Emmerich) am allererfien dur, Petrum Streithagen aus dem 
em Rap. Nehemiae, darnadı von Petro Burmanno den 30. Geptbr. aus dem 
32, Plohn in Gt. Adelgundis Kirche wie anch der Kreuzbrüder Klofter, und von M. 
Berner Tefchenmacher in dem Gregorianer Tsratecheren - Tempel aus dem 6. Kapit. 
Ratheei, am 15. Sonntage Trinitati® oder 2. Octbr., und im der zweiten oder Mittel 
predigt and eben demſelbigen Text von Johanne Stövero gelehret und geprediget; vom 
4 Bern. Teſchenmacher aber am folgenden Samſtag, mar den 8. Octbr., die Borbereitung 
a den heil. Abendmahl aus 1 Epifl. St. Pauli au die Korinther am 10., vom 14. Bers bie 
a dm 23., im Münfter gehalten umd darauf den folgenden 16. Sonntag 'Zrinitatis, 
da den 9. Detbr., das heil. Abendmahl anegetheilt worden.“ 
Bie gewaltig aber aud die Emmericher Vorgänge die Gegenpartie erfchättern 
men, fie wich einſtweilen dennoch nicht; ja es war gute Hoffnung vorhanden, 
u der unterm 9. März 1629 von Wolfgaug Wilhelm einerfeits, und andererfeits, 
Ament de6 Kurfürften Georg Wilhelm, vom Grafen von Schwarzendbing zu Düffel- 
if unterzeichnete fogenannte Provifionals Vergleich (f. deufelben u. 9. in Leonis ab 
Atem hist. pacis a foederatis Belgis ab anno MDCXXI ad hoc usque tempus 
tits. Lugduni MDO LIV. p. 57 qq. und in Xouffe’6 hist. de ia suooession 
de Juliers tom. LI. sub lit. k., vgl. mit hiſtor. Schan- Blap aller Rechts- Aufprüche 
mi Kid, Cleve, Berg ıc., Frankf. 1739. ©. 170, 178f.), welcher für die Branden- 
bare Sache machtheilig war, wirklich zur Ausführung kam, mas augenblidfich ein- 
gl ner, mit reichen Zinſen baldigft wieder zu gewinnen. Freilich erwies fich die 
bee von Tilly im Namen des Kaiſers angeführte Sequefration, welche ber 
Bikr über die fireltigen Lande verhängt hatte, von der Art, daß felbft der Pfalzgraf 
Rh gmöthige fa, gegen die Gewaltthätigkeiten deffelben beim Kaiſer zu vemonftriren. 
Jpiden hatte es der Erzbiſchof von Köln durch feine Agenten bereits dahin gebracht, 
N} mon Ratholifcherfeite gegen Reftituirung der Kirchen zu Weſel, die Reflitwirang 
krenigen zu Emmerich hoffen durfte. Die Erfüllung diefer Hoffnung mmfte verhindert 
Deren, weil fonft die übrigen evangelifchen Kirchen in dem Pfalz - Nenburgfchen An⸗ 
heile erneueter Berfolgung anbeimfielen. Es traten daher Prediger aus den Färflen- 
Kine Julich und Berg raſch zu einer Synode zufammen (am 26. April 1629) umd 
ſadten einen Vertrauten, Iohanne® Gundermann, mit einem bon Marsilius Rotarius, 
Drediger zu Julich, Gottfried Grüter, Prediger zu Elberfeld und Wilhelm Bollich, 
Irediger zu Wermelskirchen unterzeichneten Credenzbriefe nad, Emmerich ab, um „Herrn 
L Wernero Teſchenmachern und fänmtlichen Confiſtorialen zu remonflriren, . . daß 
em Werte aufs Beſte vorgebaut und an die Herren Staaten vom Confiftorio gefchrieben 
M erinnert werde, Reine Reſtitution zu verſehen, bis die Yülichichen und Bergiſchen 
Erden reſtituirt ſeien.“ Eile thue noth, da Pfalz Neuburg in persona von Brüffel 
m Haag erwartet werde. Daß es fich aber um nichts Geringeres handelte, als die 
Beleler Sicchen zum behalten und die zu Emmerich und Rees twieder zu gewinnen, mit- 
in on eine answechfelnde Reftituirung der Kirchen nicht gedacht wurde, erfahren wir 
m einem Gchreiben des apoftol. Nuncius Petrus Aloyſius zu Lüttich, welches ber- 
kibe am 2. Marz 1629 an den Pfalggrafen erlieh. Der Babft ſchickt diefem feinen 
Em (mille benedictiones pietati et zelo exhibito per vestram Celsitudinem in 
Wuperatione dietarum ecolesiarum), ermahnt ihn dringend, in dem heiligen Werte 
Itpfahren, und läßt ihn auffordern, mit allen Mitteln, welche feiner Weisheit geeignet 
tn möchten, die Kirchen in Rees umd Emmerid; den Ketzern wieder zu entreißen, 
“nem zweiten Schreiben an den Nuncius duch den Garbinal Barberini beflätigt 


254 Teſcheumacher 


ber Pabſt das Frühere „et mandat” — fo lauten die Worte des Nuncins an Boll 
gang Wilhelm — „replicare suge Celsitudini V. omnis supra diota ad manutenen 
dum Catholicos in dictis ecelesiis Wesaliensibus et adrecuperan 
das illas eoolesias Reesenses et Embricenses.“ Wie natkrlih m 
[öblichh es daher auch war, daß das Conflftorinm von Emmerich auf das Geſuch de 
Yülich » Bergifchen Pafloren einging und feinen Deputirten an die General» Staaten cu 
von Teſchenmacher ausgenrbeitete Inſtruktion mitgab, wie bereit man auch im Haag an 
die Sache einging: fo wäre doch der Erfolg der Petition: „es möchten den Popike 
in Emmerich und Rees ihre Tempel nicht eher wieder gegeben werden, bevor nicht ka 
Reformirten alle ihnen verfperrten und geraubten Kirchen in den Fürftenthümern Eier 
Julich und Berg reftituirt feien“ ein ziveifelhafter gemwefen, wäre nicht Wefel durch de 
bon dem Gonverneur Emmerichs Otto von Gent in der Nacht auf den 19. Auguft ausgeführte 
Meberfall (f. den Artikel „Sibel, Eafp.“) den Spaniern entrifjen und dadurch bie Oba 
herrſchaft der Niederländer am Niederrhein gefihert worden. Um fo eifriger war U 
Pfalggraf daranf bedacht, die Raͤnmung feiner Lande von den Niederländifchen Truppe 
zn betreiben und begab fidh zu diefem Zwecke im Aug. 1630 perfünlicd, nad; dem Has 
In den Unterhandlungen mit den Hochmödgenden vom 8. und 28. Ang. verpfliätet ı 
fi zwar, nah Inhalt der Reverſalen „das Exercitium ber reformirten Religion“, u 
es etwa verändert ſeyn möchte, zu rehabilitiven (te reſtabiliſtren); allein es war ifmm 
folcher Zufage nicht ernft gemeint, umd es bedurfte der fortwährenden WBebrängung ve 
Seiten der General- Staaten und des Kurfürften von Brandenburg, um bem ſchwerſu 
Berfolgungen der Evangelifchen vorzubeugen oder — fie zu ermäßigen. Die ioeiter 
Borgänge gehören nicht hierher. 

Teſchenmacher nahm, wie wir fahen, an den Bermittelungen, duch welde I 
Gemeinen unter dem Kreuz Troſt und Unterftägung zugeführt wurde, einen beim 
zogenden Antheil Dan betrachtete ihm entfchieden als diejenige Perfönlichkeit, die i 
den Niederlanden ſowohl wie in Berlin am meiften ausrichten köͤnne. Der Auf [ru 
Gelehrſamleit und einer feltenen Gewandtheit, die ihn nicht hinderte, dem Feinde a 
ſchieden entgegenzutreten, fowie ein nicht unberechtigtes Selbfigefühl, da® auf dem be 
wußtfegn von feiner QTüchtigkeit und focial unabhängigen Stellung ruhte, mod # 
leicht zu Weberhebung oder zu jener „Ungebundenheit“ verleiten, über welche bie Ätg 
rungsräthe in Emmerich fich beklagten. „Er rede verfleinerlich von ihnen“ jagta N 
amtlich aus, Andererfeits fprachen ſich wohlgefinnte Mitglieder der Gemeine dahin al 
daß „das Ungemach“ ihres geliebten Paſtors mit der Berufung feines Collegen Stone 
eines ehrgeizigen Mannes, welher den Räthen ſich angenehm zu machen verſtand, | 
gonnen habe. Teſchenmacher war auch der Meinung. Er beflagte ſich mit Reht de 
über, daß die Regierung 100 Thaler, welche der Kurfürſt ihm zugelegt, bie er oh 
der Gemeine cedirt, Stöver affignirt habe; ebenfo fey e8 mit 10 Malter Ropy 
und Gerfte hergegangen, welche vorhin die Jeſuiten genofien hatten. Einige Käthe, va 
züglih Dr. Johann Kumpfthoff, waren ihm befonders aufſäßig. Andere gaben d 
Baflorin mehr Schuld als ihrem Manne, defien Empfindlichkeit durch andauerndes Ust 
leibsleiden — er litt „am gradel (Stein) ımd der cholica passio“ — gefteigert wur 
Alle diefe und manche andere peinlihe Dinge kamen zu leidenfchaftlicher Beſprechm 
als die Paſtoren Bernhard Brant und Caſpar Keitwerd aus Wefel, im Yuftrage d 
zu Duisburg den 17.—19. Juni 1631 gehaltenen Cleviſchen Provinzial» Synode, | 
Emmerich eingetroffen waren und am 23. Iuli die Unterfuchung wegen der von ber G 
meine ber Synode nicht angezeigten Dimiffion Teſchenmacher's und der Vocation Str 
hagen’8 begonnen hatten. Den einfachen Thatbeftand geben die Alten fo am: Teſche 
macer fey im Juni (nad) einem Briefe Stöver’8 vom 1. Juni, 8 Tage früher) ob 
Vorwiſſen des Presbuteriums verreift („Amstelodamum versus una cum familis # 
navigio devehi coepit” fagt Stöver’8 Brief); audy, ohne feine Collegen anzufpreden od 
fie zum Dienfle zu fubflituicen, eine Zeitlang ausgeblieben. Damit habe er Fid 


Teſchenmacher 265 


m) fröbnterium vilipendirt. Auf das Gerücht, er wolle zefigniren, hätten fie den 
Ratsißer Pupgen veranlaft, an ihu um getviffe Auskunft zus fchreiben umd feine 
Gab zu verfehen Dom. Benminchoven vom Goch emtboten. Inzwiſchen ſey audı 
Idöenmoder zurüdigelehrt und habe im Unwillen über das Presbyterium feine Dimiffion 
ayniht (die von ihm angegebenen Sründe waren: 1. quia oneribus hisoe ferendis, 
pout hac tenus faetum, solus sit impar. 2. quia eoclesia neque suseipit neque zu- 
iieit, ut debet, ministros. 3. quia stipendium ut a diaconis a pauperoulis emendi- 
andım est. 4. deniqne ob domestica negotia; Brief W. Balduins, batirt Teuto- 
bergi d. i. Duisburg 18. Yuli 1631), Man habe Geduld gehabt, und er habe end» 
ih, zuter dem Bekenntniſſe, daß er in modo agendi peccirt, feine Dimiffion, bald 
er on feine Mbbitte zurückgenommen und exilärt, ex wolle ſich bis Oſtern bedenken. 
If Stoͤrer's Rat habe man auch jept woch gewwartet; allein nad, Pfingfien habe 
Ufenmocer zum brittenmale feines Dienfles fich bedankt. Die Regierung habe ihre 
Enviligung zu feiner Entloffung ertheilt, und fo habe mau ihn feines Amtes quittirt 
Bu fie gethan, hätten fie mit des Laudesfürften Belieben gethan.- Wir finden alfo 
im wieder jenes fchon oben erwähnte, wenig xüdfichtsuolle Schwanten, das Teſchen⸗ 
mie bei feiner Wahl nach Deventer zeigte. Freilich konnte er auch Manches für 
fd eltend machen; ee habe vor der Reife feinem Eollegen Burmann Anzeige gemacht; 
midgelehet, Habe ex ſich mit D. Benninchoven wegen des Predigen® benommen; aber 
Ich Peesbpteriueun Babe ihm eine getvifle Direktiou der Predigt vorgefchrieben ; weil er num 
A de Orbitterung gefehen, habe ex feine Dimiffton genommen. Später habe ex feine 
Setigkit jelb erkannt; als er aber von der Synode zum Deputirten für den Haag 
amt worden fer, habe Gtöver bie alte Wunde wieder aufgelragt und gefagt: „Domine 
Inter, Ir köonnt nicht deputixt werben; denn Ihr habt Enern Dienft refiguirti« Gtöver 
Weih wänfchte deputirt zu feyn; um diefes Mannes willen fenen ihm auch die Kur, 
Kllhen Lathe anffäßig w. f. f. Mit großer Milde und doch zugleid, würdevoller 
Gufkiiekeit. feigte die Eommilfion ihre Unterfnchung und Bermittelung fort. Gtöwer 
elite, Namens der antvefenden Mitglieder des Confiftoriums, man fpire wohl, daß 
" iigoriueten der Synode im Schilde führten, Dom. Wernerum der Gemeine wieder 
R idiren. Presbyterium tft einig, und bie Mehrflinmen gelten!“ rief Dr. Sumpf 
MM. De Scene wurden noch anfgeregter, als auch das größere Confiftorium puſam⸗ 
ulm; bie Abgeordneten mußten gegen Veſchimpfungen Berwahrung einlegen. 

So fehen wir beim, wie Teſchenmacher in einem Angenblid, wo bie evangelifche 
ke der vereinigten Furſtenthümer feiner guten Dienfte noch fehr bedurfte, ans feiner 
Mufreicen Stellung audſchied. Obſchon fi die Synode in ihrem echte verlegt 
w, fo ließ fie doch die Sache ſchließlich auf fid beruhen, als Ihre Kurfürſti. Durch⸗ 
ut eine guädigfte Erklärung einfcidte umd daneben die Emmericher Gemeine den 
werfen der Stjnoden forthin gemäß ſich zu verhalten und zu bequemen ſich per 
putatos deſolvixte. (Verhandl. der Synod. Prov. Cliv. vom 8. bis 11. Yumi 1632.) 

Umgeadhtet durch den Haager Bertrag vom 26. Aug. 1630 der Düffeldorfer 
ifonal- Bergleich dahin abgeändert wurde, daß der Kurfärft von Brandenburg auch 
sehn binnen den nächſten 25 Jahren das Herzogthum Cleve und die Grafſchaft 
url, der Pfalzgraf aber die Herzogthümer Yüli umd Berg nebft den Herrſchaften 
wenſtein und Weestefamt behalten, bie Grafſchaft Ravensberg hingegen ungetheilt von 
"en in oomamunione befeffen, das Uebrige ermeldten Traktats jedoch, feinem fänmmt- 
hen Yuhakte mach, zut Erecntion gebracht werden follte (f. Leonis ab Aitzemena hist. 
eis p. 63. sqq., hiſtor. Schanplag aller Redytsanfprähe sc. S. 178): fo bedurfte es 
& ver ſcharfften Wachſamkeit Seitens der General» Stonten, um durch beftändige 
wahnungen und Drohmgen den SBelchrungszivang des Pfalzgrafen einigermaßen 
'Hgeln. Er fchente fich ſelbſt nicht, allen evangelifchen Beamten zu gebteten, fie follten fich 
m Retheiiichen Glauben qualiſiciren⸗ (ſ. Geſch. der Lat. Schule in Eiberfeld, S. 48), 
IR die dem Kurfürſten mmterivorfenen Sandestheile Tonnten auf eine Erleichterung heffen, 


256 Teſchenmacher 


inſofern der Kurfürſt jetzt um fo mehr verpflichtet war, feine Glaubensgenofien 
fhügen. So beidhloß denn auch der Convent. extraord. zu Wefel vom 2. und 3. O 
(8. 6), an die Kurfürftliche Regierung nach Cleve und Emmerich Deputirte zu ſchid 
mit den gravaminibus über den Zuſtand ber Kirchen; auch follte einer nad, Ver 
debutirt werden, und zwar M. Werner Teſchenmacher. Wir fehen alfo, daß der E 
mericher Kicchenzwift ihm das Vertrauen ber Amtsbrüder nicht entzogen hatte. 
erflärte fich bereit, wenn er auch durch mancherlei Bedenken, beſonders aber durd I 
Willen feiner lieben Frau (imprimis uxoris charissimae voluntate; Br. an Ben 
Brant vom 21. Ottbr. 1631) zurüdgehalten werde, die Reife im Namen Gottes my 
treten. Schon wurden aus den bedrängten Gemeinen (z. B. von feinem alten Lk 
dem Prediger Georg Wild in Caldar; f. die Lat. Schule zu Eiberf. S. 27 f.) De 
fhriften zur Uebergabe in Berlin eingeſchickt, als der Tall eintrat, den der Con 
eigenthümlicherweife vorhergefehen und protokollariſch niedergelegt Hatte: „im de 
aber”, heißt e8 wörtlich, „deſſen (nämlich Teſchenmacher's) Haußfraw dar 
nit einwilligen mügte, wird D. Brantiug zu reifen unanimiter ernannt.“ Bkı 
übernahm alfo auch diefe höchſt wichtige Miffion, welche ihn während des Win 
1631—1632 in Berlin fefthielt. Ueber feine dortige Thätigleit und das, was er 
reichte, find wir volfländig unterrichtet. Unterm 23. März 1632 erbittet ſich Ted 
maher von Brant Nachricht Über den Ausfall feiner Miffion, von Emmerich ans; ı 
9. April war er nicht mehr im Amt („quia in ordinario munere constitutus a 
sum”; ſchreibt er an Brant); doch widmete er am 8. April 1633, noch in Emmei 
feine „repetitio brevis catholicae et orthodoxae religionis” allen namentlich aufgeführ 
Mitgliedern der Emmericher Regierung, mit denen er mithin wieder ansgejöhnt m 
auch Kumpſthoff. 
Auf dee General⸗Synode zu Duisburg (6.—8. Septbr. 1633) erhalten Ioham 
Brant und Iohannes Stöver den Auftrag, die gravamina der geſammten Kichen 
den vereinigten Fürſtenthümern bei der Kurfürftl. Regierung zu Emmerich zu repetir 
Teſchenmacher hatte alſo offenbar keine nähere Beziehung mehr zu der Regierung | 
zog ſich von der geiftlichen Praxis allmählich ganz zurüd und verlegte feinen Bob 
nach dem benachbarten Xanten, um feine Geſchichtswerke zu vollenden. Xanten bei 
ihm ſchon aus früherer Zeit manderlei Beifland und guten Rath zu danke W 
Jahre 1625 im Vorwinter hatte der Pfalzgraf allen Predigern der veformirten dad 
befohlen, ihre Beruffcheine zur Prüfung vorzulegen, damit die Rechtmäßigkeit derieli 
unterfucht werde. Bei diefer Gelegenheit wurde dem Prediger Johann Wilhelmi zu Ich 
das Predigtamt dafelbft verboten. ALS er michtSdeftowweniger zu predigen fortiel 
fegte man ihm am 3. Sonntage im Advent, am 14. Dez., in den Mühlenthurm in {4 
aus welchem er, erft 1629 wie es fcheint, dadurch befreit wurde, daß Tefchenmod 
gegen feine Freilaffung das Löfegeld zu entrichten gelobte (16. Juli 1629). Auf wat 
Befehl folte nun von dem Pfalz. Neuburgifhen Richter gegen den Prediger in Kanten, $ 
mann Ewichius, inquirirt werden. Diefer bewarb ſich daher durch Tefchenmadkr ı 
ein Kurfürſtl. Brandenburgifches Patent, welches ihm aud; gewährt umd, damit 
Nenburgifhen Beamten feine materiam excipiendi hätten, auf den 12. Sepibr. 16 
antedatirt wurde. So blieb der vortrefflidhe Prediger bei feiner armen Kleinen Gemer 
die nur mit Hilfe des Brandenburg. Subfidiums von 80 Rihlr. Cleviſch ihrem Pal 
einen Sahresgehalt von 300 Thlr. Clev. d. i. 150 Reichsthaler gewähren tonnke, | 
zum 9. 1637, in welchem er einen Ruf nach feiner Baterftadt Weſel annahm. Cs I 
um fo wichtiger, gerade für Xanten einen tüchtigen Dann zu finden, weil bie Evange 
fhen in Alpen und Sonsbeed und andern Orten dorthin zu Predigt und Abend 
gingen und der Durchzug nad) den Niederlanden hier am ftärkiten war. Deshalb I 
Teſchenmacher vermittelnd ein. Als Xeltefter der Gemeine Kanten hat er am 3. 3 
1637 eine Bittfhrift an den Kurfürften von Brandenburg unterzeichnet, im welcher & 
heten wird, dem Prediger Gerhard Wirg in Mülheim am Ahein zum Nachfolger Grid 


Teſchenmacher 257 


akafen, während bie Emmericher Regierung einen flüchtigen Oberländer bevorzugte. 
dur Mi die legte bisher nachweisbare Notiz aus Teſchenmacher's Leben. Ex farb zu 
. Spril 1688, einem Charfreitage, unerivartet raſch an den folgen eines 
&higonfalles, im noch nicht vollendeten 49. Lebensjahre. Seine Leiche wurde nad) 
Bed geführt und bier in der Gruft der Familie Hartmann, welcher fein Schwieger⸗ 
ungehörte, in der S. Wilibrordsficche beigefegt. 
Säriften Tefchenmaders: 1) Bepetitio brevis costholicae et orthodoxae reli- 


Jılise, Montium Ducatibus cum attinentibus Comitatibus et Dominiis, hactenus ex 
Dei verbo tradita et conservata est, ex amoto et honore patriarum eoclesiarum 
ange in doctrina veritatis suocessione conscripta et edita a M. Wernero 
Techenmacher ab Elverfeld Montano. Veselise, typis Martini Hess, anno M. DC. 
DNV. (43 nicht paginirte Blätter in Dnodez, mit Einfluß des Titelblattes; die 
x Birmumg an die Enmericher Regierungsräthe iſt datirt vom 8. April 1683). 
dexgeben if: Catholicae et orthodoxae in Cliviae, Julise, Montium, Marchise et Ra- 
surgiae provinciarum religionis, integro seculo suocessionis, auctarium, in quo 
Candi Heresbachii Jur. Consulti Vita, Epistola factionis Anabaptistioae Monasteriensis, 
#idei Christianae confessio exhibetur. Vesaliae typis Martini Hessen, anno M. DC. 
IV (25 nicht paginirte Blätter in Duodez; auf der Rucſeite des Titelblatte® werden 
Ye Beamten der Brandenburgiſchen Regierung in Cleve und Mark namhaft gemadıt, 
Isa Teſchenmacher das auctarium widmet). Diefes ſehr feltene, vermuthlich nur in 
vaigen, auf Koſten bes Berfaffere gebrudten Exemplaren herausgegebene Werkchen 
nl iber dafjelbe umd fein Verhaltniß zu den Teſchenmacher'ſchen Kirchenannalen bie 
Yelle. des Berg. Geſchichts⸗Vereins Bd. L ©. 197 ff.) verdankt der Anficht des 
tereien feinen Urſprung, daß die von Herzog Johann am 8. April 1533 erlaffene 
Irkasiang (f. diefelbe in Richter: die Evangelifchen Kirchenordnungen des 16. Iahrh., 
.8,6. 212 ff. und vgl. damit die herbe Kritik, welcher diefelbe Herm. Hamel- 
zu u den Opusculis geneslogico-historiois ©. 992 ff. unterzieht) die Einführung der 
Krmtiom in die Fälich- Eleve-Vergifchen Lande bezeichne, — eine Anficht, deren 
hie Begrändung freilich unmöglich if, die aber von vielen Amtabrüdern Tefchen- 
niert gen getheilt wurde. In mehreren Bemeinen beging man fogar dieſe erſte 
ier der Reformation Öffentlich (f. v. Oven: Joh. Urn. von Redlinghaufens 
Kira. Geſch. der Länder FUL-EL-B. 3. Theil ©. 93). — Nachdem Teſchenmacher 
u 8 Seiten die pars reformationis historioa abfolvirt hat, fäßt er in 106 Para- 
hhen ansfährliche Auszüge ans dem Satechisnms von Johannes Monheim (f. den 
kt), als pars dogmatica reformationis folgen; den Schluß bildet (8 107—110) ein 
ing aus der responsio Henrici Artopoei auf die gegen den Monheim'ſchen ſtatechts⸗ 
B gerichtete oensura der Kölner Theologen. Der Inhalt des auctariums iſt in 
im Titel defjelben verzeichnet. Die Bergleichung der von Heresbach an Erasmus ge- 
ihteten epistola factionis anabaptistione, feiner ſogenannten historia anabaptistica (f. 
U Eomelins’ Berichte der Augenzeugen über das Münſteriſche Wiedertäuferreich 
, LUXXVI FR), welche Zefchenmacher, offenbar mwilllürlih, Dusseldorpii anno 1535 
Mrihrieben ſeyn läßt, mit dem von Theodor Strad 1637 ans dem Heresbad'ſchen 
xiginal heransgegebenen Abdrucke derfelben epistola benimmt dem von Cornelius auf- 
elten Smeifel au der Echtheit diefer hochſt intereffanten Schrift alle Kraft; vielmehr 
Kell, auch aus andern hier nicht beizubringenden Gründen, die Authentie derfelben dentlich. 
2. Annales Eoclesiastici Reformationis Eoclesiarum Cliviae, Julise, Montium Dd. i. 
vhrhafter hiſtoriſcher Bericht von der Reformation der Kirchen in den Herzogthümern 
Ian, fh, Berg und zugehörigen Graf» und Herrfchaften, wie in denfelben, nach 
rien allgemach eingeriffenen Mißbranchen und Superflitionen, die evangelifhe Lauter⸗ 
M md Wahrheit wieder iſt angezündet und fortgepflanget, auch berfelben allerlei Ver⸗ 
Mernus fürgeworfen, aber dennoch erhalten. — Imgleichen, wie fie verfolget, aber 
Reel Enrpfiopädie für Theologie und Rice. Suppi. III. 17 





258 Teſchenmacher 


nicht überwältigt, ſondern obgeflent, und bis auf dieſe Zeit fortgeſetzet worden. - 
Allen evangeliſchen obgemeldter Fürſtenthümer und Lande Eingefeflenen und Unterthane 
zu beftändiger Nach⸗ und Unterrichtung, auch chriftlicher Aufmunterung und Bermahnm 
zufammengetragen und in fünf Theile verfaffet von M. Wernero Teschenmacher w 
Eiperfeld aus dem Herzogthum Berg. 

Die von Embrich am 8. Aprilis Anno 1633 (vgl. oben die Repetitio) dat 
Widmung ift gerichtet an die Durchlauchtigften Yürftinnen und Frauen: Fran Eliſabet 
Charlotte, geb. Pfalz> Gräfin bei Nhein, Kurfürftin zu Brandenburg zc. umd Tem 
Katharina Charlotte, geb. und vermählte Pfalz - Gräfin bei Rhein, zu Bayern, zu ik 
Cleve und Berg Herzogin ꝛc. Ueber die einzige bisher befannte Abfchrift diefer Kirda 
anmalen und über den Inhalt, die Bedeutung und den hiftorifchen Werth derfelben y 
fih Dr. Paul Haffel, Privatdocent in Berlin, in einem an Belehrung reichen, leſen 
werthen Aufſatze (f. Zeitfchr. des Berg. Sch. - Ber. Bd. L S. 170—196), auf welde 
hiermit veriwiefen wird, ausführlich verbreitet. Der alte I. D. von Steinen entblöde 
fi nicht, feine furze umd generale Befchreibung der Reformations-Hiſtorie des Herz 
thums Cleve (1727, vgl. dv. Steinens Duelle der Weltphäl. Giftorie, Dortmund 174) 
©. 46) aus Teſchenmacher's Sirchenannalen, welche ihm geliehen worden waren, fe 
wörtlich auszufchreiben, — ein Plagiat, das durd; eine beinahe naive Aeußerung N 
Plagiators (in der Vorrede) kaum verdedt erfcheint. Kine vollftändige Herausgabe di 
Kichenannalen wird vorbereitet. 

3) Seine politifchen Annales Cliviae ete. Die erfte Ausgabe erfchien 1538 | 
Arnheim; die zweite, viel häufigere, hat Juſt. Ehriftoph Dithmar, Brof. an der Univerfül 
Frankfurt, unterftügt von der Preuß. Regierung, im Jahre 1721 beforgt unter Mi 
Zitel: Wernheri Teschenmacheri ab Elberteldt Annales Cliviae, Julise, Montiu 
Marcae, Westphalicae, Ravensbergae, Geldriac et Zutphaniae. Diefes fleifige, m 
vielem Takt und unverkennbarer Gewandtheit gearbeitete Werk, das natürlich nicht fm 
ift von den Fehlern der damaligen Gefchichtsfchreibung, fand einen außerordentlichen Berfe 
umd ift noch heute don großem Werth (f. die oben angef. Abhandlung Dr. Haſſch 
Bon fanatifch-Latholifher Seite wurde durd den Pfalz-Neuburgſchen Geheimen Kal 
und Bice- Kanzler Joh. Thomas Brofius und defien Schwiegerfohn Adam Bike 
Mappius, Pfalz» Neub. Rath, ein dem Teſchenmacher'ſchen nachgebildetes, mit Ruin 
gegen ihn, die Evangelifchen und das Brandenburgiſch-Preußiſche Negentenhans mi 
lich durchzogenes, dem Pfalzgrafen Karl Philipp gewidmetes Geſchichtswerk m m 
Bänden (Juliae Montiumque Comitum, Marchionum et Ducum Annalium Toms 
primus eto., Coloniae M. DCC. XXXI), veröffentlicht, welches weſentlich die Beftimmun 
hatte, Teſchenmacher's Annales zu widerlegen und zu Schanden zn machen, 4 
Unternehmen, das an dem Ungeſchick und der Unfähigkeit der Compilatoren ſcheiter 
I. D. von Steinen hat ſich die Mühe gegeben, die Angriffe der genannten Rehabilitaton 
zurüczuweifen (f. Deffelben: die Quellen zc. der Weftphäl. Hiftorie 1741, ©. 36 fi.) a 
dadurch dem im Preuß. Staate verbotenen krititlofen Buche eine Art von Nomen 9 
macht. Die neueften Forfchungen auf dem Gebiete der Jülich-Cleve⸗-Bergiſchen G 
fchichte, welche auf Benutzung von urtundlihen Schriftſtlicken beruhen, beweiſen die Um 
verläffigfeit des Brofifchen Sammelwerkes mehr als zur Oenüge. 

Außer den obigen Werken führt von Steinen (1. c. ©. 45) an ungedrudten Schrift 
Teſchenmacher's, die er gefehen habe, ferner an: 

4) Predigten über die Haustafel (deutſch). 

5) Commentar über die Briefe Pauli an die Korinther (lateiniſch). 

6) Annalium ecclesiasticorum epitome, in qua praecipue gravissims qusesti 
explicatur de successione et statu ecelesiarum christianarum, quae inde a pni® 
sua origine usque ad nostram aetatem tum veritate divina formatse et confe 
vatae tum paulatim, operante mature mysterio iniquitatis, traditionibus human! 
deformatae, sed tamen Papatum modernum, qualis hodie est et fastuoso catholid*" 


Theater 259 


ütıe renditatur, aut ignorarunt penitus aut ab eodem effectu vel affectu vel utro- 
m imul secesserunt, donec tandem publice illustri beneficio auctoris atque asser- 
zo su reformatse sunt. Congesta et variis duorum millenariorum periodis, cou 
dsbus partibus, inclusa studio et opera M. Werneri Teschenmacher. 

’) haben wir gewiſſe Kunde, daß eine ausführliche Autobiographie von ihm vor⸗ 
kaden war und in den Händen einer ihm befreundeten und verwandten Familie Hölter- 
of zu Elberfeld fich defant. Auch fol Petrus Teſchenmacher, Baftor in Hörftgen (1.3. 
1643) und im Bierlingh-Beed (im 9. 1649; f. Nederlandsch Archief for kerkelijke 
gschiedenis, door N. C. Kist en H. J. Royaards Vierde Deel, ©. 28), nahmals 
Baitor zu Elberfeld (feit 1652), wo er am 5. Juli 1661 ftarb, eine kurze Lebenshefchrei- 
un B. Teſchenmacher's verfaßt haben. Leider find beide Biographien Teſchenmacher's 
erſhwunden, und es ift felbft bisher nicht möglich geweſen, das Scidfal feines Sohnes 
kerus, von welchen Waflenberg (Embrica p. 262) in anerfennender Weife fpricht, 
ker überhaupt feiner Familie, zu verfolgen. Wahrſcheinlich indeflen irrt Antonius von 
da, wenn er (f. die Note im der Zeitfchr. des Berg. Geſch.⸗Ver. Br. I. ©. 183) 
ma Baflor Petrus Tefchenmadher zum Sohne Wernerd madıt. Biel wahrfcheinlicher 
me ein Bruder Werner geweſen ſeyn (als welden ihn auch eine freilich fpäte 
Ki im Kirchenbuche der Gemeine von Hörfigen nennt, das mit der von ihm ent- 
kriegen Kirchenordnung anno 1643 beginnt), oder ein naher Verwandter, da Caſpar 
kibel, der (historioa narrat. Ms. II. p. 573) einen Brief von diefem Elberfelder Paſtor 
xitkilt, ihn ale Petrus Teſchenmacher thom Lohe anführt. Wäre ex Werners Bruder 
Ra Sohn gemefen, Sibel hätte, nadı feiner befannten nmftändlihen Art und feiner 
Kaudihaft mit Werner gemäß, ficher nicht unterlaflen, diefe® nahe Verwandiſchafts⸗ 
vellinig anzugeben. Bonterwet. 
Weater (deffen Berhältniß zur Kiche). Die Real Enchflopädie hat bereits in 
im 4 Bande ©. 740 ff. einen einläßlichen Artitel „über die geiftlihen Dra— 

sat Mittelalters“ gebracht, auf den ſich die Lefer verwieſen fehen, wenn fie 
niit „Schaufpiel® nachſchlagen und auf den auch wir verweiſen. Indeſſen dürfte 
"date diefer NRubrik noch ein Weiteres gefucht werden, worüber jener Artifel fich 
un berbreitet, worüber aber einigen Aufſchluß zu geben der Zweck diefes Supplements: 
nike if. Es ſoll hier weniger die Gefchichte des geiftlichen Schaufpiels ergänzt (fo 
vet ſih diefe noch über das Mittelalter hinaus erftredt), als vielmehr die in jenem 
kit nicht berührte Frage beantwortet werden, wie fi; die Kirche in den verfchiedenen 
füten ihrer Entwidelung principiell zum Schaufpiel geftellt, wie weit fie es für fitt- 
I) möglich gehalten oder nicht, und an diefe hiftorifche Darlegung erlauben wir uns 
einige leitende Gedanken zur ethifchen Behandlung der Frage anzuſchließen. 

Daß die dramatifche Poefle ihre Wurzeln im antifen, voraus im griechiſchen Volks⸗ 

hatte, dort aber auch ganz in den Cultus verflodhten und von ihm getragen tvar, 
dals bekannt borauszufegen, und wir müffen uns, wohl oder übel, den rigorofen Aus⸗ 
ad gefallen laffen, das Theater fen heidnifchen Urfprungs.“ ine biblifche Be. 
Hadung merden wir ebenfowenig für das Schaufpiel finden können als eine direkte 
Iterfogung deffelben. Während die heil. Schrift U. Teitam. alle übrigen Gattungen 
© Poefle, freilich in eigenthümticher theokratiſcher Richtung, ausgebildet hat, die 
Hite, Igeifhe, didaktiſche, auch wohl die idyllifche Dichtung, fo haben wir dod kein 
thentlich bibliſches Drama, wenn auch dramatifche Situationen, wie in Hiob und dem 
xhen Liede, oder auch wohl im den fumbolifchen Handfungen der Propheten mögen ge- 
uden werden. Es ift als gefchichtlich ausgemacht zu betrachten, daß das Schaufpiel 
M dom den Griechen zu den Juden gebracht worden if. War es dod Antiohu® 
Ehiphanes (176—164 v. Chr.), der es zuerft wagte, in Jeruſalem ein griedhifches 

tater aufzurichten, und nad ihm bat Herobes d. Gr. zu nicht geringem Werger 
Kr Juden griechiſche Schaufpieler an feinen Hof gezogen und in Cäfaren ein Theater 
einem Amphitheater erbaut (f. 2 Makl. 4, 14; Iofephus, jüd. Geſch. XV.8.1.2. 

17 ® 








260 Theater 


XX. 9. 4.) Volksthümlich ift da8 Theater in Judäa nie geworden, und es if mm 
eine don den vielen eigenthümlichen Bermuthungen Luther’$, wenn er annimmt, da 
Büchlein Judith fey ald Tragödie, das Büchlein Tobias ale Komddie don der ifrach 
tifchen Jugend gefpielt worden. Es ift audy bemertenswerth, wie Chriflus, der fein 
Sprüde und Gleichniffe an alle möglichen, auch heiteren und weltlichen Lebensverhält 
niffe anfnüpfte, auch nicht von ferne an das Theater anfpielt. Schon anders der mi 
der Griechenwelt in Berührung tretende Paulus. Zwar redet er zumädft von de 
Kampf- und Techterfpielen, gebraucht aber auch 1Kor. 4, 9. den Ausdruck Heuım 
im bildlichen Sinne; ähnlich der Verfaſſer des Hebräerbriefes 10, 33. Motivirt mm 
diefe Ausdrüde durch die Volksauftritte, die er felbft im Theater (zu Epheſus), di 
dem Centrum des heidnifchen Volkslebens, erlebt hatte (Apgeſch. 19.29.31.) Crimm 
man fich, wie die Ehriften in den römifchen Amphithentern, oft fogar in höhnilde 
Bermunmungen, mit Thieren zu lämpfen genöthigt wurden, fo fann man den Abſche 
begreifen, den die Chriften nicht nur vor diefen blutigen Spielen des Amphitheoten 
fondern auch dor dem eigentlichen Theater und deffen durch und durch heidniſchem G 
präge empfinden mußten; fein Wunder, wenn ihnen dieſe unheimlichen Räume gerad 
als die Wohnftätten des Teufels erſchienen! Diefen Empfindungen hat namen 
Tertullian in feiner berühmten Schrift „de spectaculis” einen beredten Ausdr 
negeben. Er, der nad feiner Anfchauungsweife auch die heidnifche Philofophie mit de 
Fürften diefer Welt in Verbindung brachte, wie hätte er nicht auch die heidniſche Kun 
und mit ihr alle Kunft, zumal aber die mit dem Heidenthum fo eng verwobene dra 
matifche Kunſt als ungdttlihe Ausgeburt der Hölle verdammen follen! Ihm gehör 
recht eigentlich da8 Schaufpiel zu jener pompa Diaboli, weldyer der Zäufling, wenn | 
fi) dem neuen Leben in Chriſto zugemwendet, auf immer zu entfagen hatte. Die Scha 
fpielhäufer hießen ihm consistoria impudieitise, und fie waren es oft in ber Thu 
„So viel Köpfe das Theater in fich faßt, ehenfo viele böfe Geifter!" „Wohl dal 
dem, der nicht figt, da die Spötter figen" (Pſ. 1.). Als eine Chriftin das Theater M 
befucht hatte, ward fie bald darauf von einem böfen Dämon geplagt. Der Erxorciſt mol 
ihn außstreiben, erhielt aber die Antwort: „Ich habe fie in dem einigen gefunta 
darum gehört fie mir!“ Xertullian verwirft aber nicht nur die heidnifchen Cr, 
die mit dem antifen Theater verbunden waren, er verwirft auch die dramatiſch m 
mimifche Kunſt als folhe.. Das ſich-Verſtellen, fich» Verkleiden und » Bermumsa 
namentlich das fidh» Verkleiden der Männer in Weiber, das im göttlichen Geſetze der 
boten ift, war feinem ernften Sinne in hohem Grade anftößig. Uber er faßt die Sad 
noch tiefer. Das fich - Hineindenken und gemaltfame Hineinwerfen in bie Leidenſche 
Anderer mußte ihm als Verſundigung an der chriftlihen Wahrhaftigkeit und Krujt 
heit erfcheinen. Seinem fittlihen Rigorismus waren Lüge und Poeſie identiſch, = 
darin begegnete ex fi auch mit den antiken Geſetzgebern, Solon und Lykurgus u 
felbft mit dem ihm fonft verhaßten Plato. — Tertullian fteht jedoch mit feiner Polen 
gegen das Theater nicht allein da unter den Kirchenvätern. Auch Chryfofoms 
der in Antiochien und Conftantinopel mit der Theaterwuth des Volles zu kämpfen hat 
bezeichnet in feinen Homilien die Schaubühne als Haus des Teufels und der !ür 
als Inbegriff aller Unftttlichleit, ala den babylonifchen Dfen, der mit dem Bremfo 
unzlichtiger Worte und Geberden geheizt wird. Mit welcher Leidenſchaft Auguftin v 
feiner Belehrung das Theater befuchte, ift befannt. Nur um fo firenger urtheilte 
über daffelbe als Chriſt: de civ. Dei I, 32. Ihm find die ludi soenici der Au 
bund aller Schändlichkeit nicht nur der ‘Deenfchen, fondern aud der Götter, zu de 
Ehren fie abgehalten werden. 

Wie verächtlid und unverträglihh mit dem Chriftenberufe mußte daher and; d 
Kirchenlehrern der Beruf eines Schaufpielers erfcheinen? Unterfagte doch Cyprie 
einem Schaufpieler, der Chrift geworden, nicht nur die fernere Ausübung feines © 
zufs, fondern wollte nicht einmal leiden, daß er, um fein Brod zu gewinnen, Unterit 


Theater 261 


u Mmation umd Mimil extheilte! (Bol. Neander's Kirchengeſch. Aufl. 3. Bd. I. 
6.1466). Auch Concilienbefchlüffe unterfagten den Geiftlichen den Befuch der Schau- 
det. So das Concil. Trull. im Jahre 692 m. a. Um fo Wührenderes weiß die 
inte vom befehrten Schaufpielern zu erzählen, wie deun der heil. Geneſins ge- 
siermaßen der Schugheilige dee Scaufpieler geworden ift! (vgl. den Art. „Beneflus“ 
a®,V.6©. 5 diefer Real⸗Enchkl.). 

Die nun aber das Chriftentbum nach und nad die heidnifchen Lebensformen 
driflich umgeftaltete, ja fogar von daher Manches in den Cultus aufnahm, das geht 
soo der Geſchichte des geifllihen Schanfpiels hervor, auf die wir bereits oben 
terwiefen haben. Nun, nachdem die Kirche die dramatifche Kunſt im ihren Dienft ge- 
ıamen, mußten fi) auch die Urtheile der Geiftlichen und der Theologen über bie 
inlihe Berehtigung des Schaufpiel® bedeutend modificiren, umfo mehr, als gerade 
wfühe Berfonen nicht nur bei den geiftlihen Schaufpielen mitwirkten, fondern auch 
he dramatiſche Schriftftellerei ausübten, wie der Verfafſer des „leidenden Chriftus“, 
a den mam fälfchlich Gregor von Nazianz gehalten hat, umd die Nonne Hroswitha. 
de Scheiftftellerei war freilich zunächſt auf Leſer und nicht auf Zuſchauer berechnet, 
mer Stand des Schaufpielers konnte als folder der Kirche noch immer nicht gerecht 
udn; doch ſprach fi fon Thomas Aquin in diefer Hinfiht gemäßigter aus, 
a4 die Rirchenväter der alten Zeit. Er faßte die Lu am Schaufpiele auf als Nen⸗ 
ne (enriositas), die allerdings eine fündliche feyn faun, aber es micht unter allen 
Unfänden if, indem es dabei auf die Geſfimung unlommt *). 

Die Reformation nahm aufänglich eine im Ganzen günflige, wenigſtens nicht feind- 
kr Stellung zum Schaufpiel ein. Es begegnete ihr daffelbe in zwei Geflalten, ent» 
ide dit nationales Spiel, meiſt von Bürgern der Städte zu allgemeiner Ergoͤtzlich⸗ 
tet, vohl auch gar zu ernfihafter Erbauung auf Straßen und Plägen aufgeführt, 
ve dd Schulerercitium in lateinifher Sprade. Das Öffentliche Spiel hatte fogar in 
“a delt des Faſtnachtſpieles mitgeholfen, die reformatorifhen Gedanfen auch von 
ir firgerlichen und focialen Seite unter die flädtifchen Bevdlterungen zu bringen. 
Se eimern mur an die Faſtnachtsſpiele eines Nikolans Manuel in Bern und an 
da Sachs in Nürnberg (ſ. d. Artt.). Was aber die Schulkomddien betrifft, fo iſt 
kımmt, wie der junge Schwarzerd feinem guten Spiel in einem folhen dramatifchen 
Secitiom den Beifall Reuchlin's und dem griechifchen Namen „Melandıthon« ſich er- 
bb, Auch übten fich die Schüler in fchriftlichee Behandlung dramatifcher Stoffe. 
&n verfaßtte Delolampad im feiner Iugend zu Weinsberg eine Tragddie: ‚Nemesis 
Theophili” (f. Herzog, Leben Oekolampad's Br. I. ©. 123). Luther billigte folche 

en, und in feinen Zifchreden ſprach er das kühne Wort: „Chriſten follen Co⸗ 
din nicht ganz und gar fliehen, darum daß bistweilen grobe Zoten umd Bübereien 
kin find, da man doch um derfelben willen auch die Bibel nicht dürft” Tefen- **). nd 
a die fonft in diefen Dingen firenger gefinnten Heformatoren der reformirten 
Kirche dachten im diefer Hinficht nicht allzu fireng. Calvin ließ es gefchehen, daß im 
Frühling 1546 in Genf einige ehrbare Bürger ein moraliſches Stüd aufführten, worin 
Rieigt wurde, wie wahre Frömmigkeit auch das Glück eines Volles erhöhe. Die ganze 
Birgerfchoft war anweſend, und zwar geſchah die Aufführung an einem Somntag, und 





*) Summa theol. II. 2. qu. 167. art. 2. Curiositas videtur esse in inspectione ludorum; 
nd inspectio ludorum non videtur esse vitinsa, quis hujusmodi inspectio delectabilis red- 
propter reprassentstionem, in qua homo naturaliter delectatur. ... . Inspectio specta- 
tülerum vitioss redditur, in quantum per hoc homo fit pronus ad vitia vel lasciviae vel cru- 
ltatis per ea, quae ibi repraesentantur. 
NNach der Ausgabe von Förſtemann unb Bindfeil Bd. IV. ©. 59%. Das Wort „Zote- 
Anſtoß gegeben; man weiß aber aud ans den polemifhen Schriften Luther's gegen Awingli, 
det das Wort „Zote» in einem allgemeinen Sinne gebrauchte, wonach e8 einen plumpen und 
Meialen, nicht gerade einen uufläthigen oder gar unfittlihen Spaß bedeutet, 


262 Theater 


bie Abendpredigt wurde deshalb ausgeſtellt. Nichtsdeſtoweniger widerſetzte ſich Ealı 
der allzu fleißigen Wiederholung folcher Spiele, und noch entfchiedener als er trat ein 
feinee Collegen, Michael Cop, gegen da® Schaufpiel auf, das er von der Kanzel he 
verdammte. Es kam darüber in Genf zu ärgerlichen Auftritten, fo daß der Magiſte 
da8 Schaufpiel für immer verbot (f. Ernft Stähelin, Joh. Calvin S. 393), Aud Ni 
Synode von Rochelles erließ im Jahre 1571 ein Verbot gegen die Schaufpiele. M 
diefen verdammenden Urtheilen ftand im Widerſpruch das des Predigers Balentin Bol 
in Bafel, der die Kunft des Schaufpiels als eine fchöne Gottesgabe pries, deren va 
achtung eine Beratung Gottes felbft fey *). — Im Holland hatte das bürgerhh 
Schaufpiel in einer Urt von Titerarifcher Gilde (den „Sameren“; f. v. a. Kamm 
eine großartige Entwickelung genommen, wenn auch mit überwiegend Iehrhafter Ten 
indem fogar gelehrte Preisaufgaben auf diefem Wege gelöft wurden. So hatte N 
Kammer von Gent im Yahre 1539 die Frage aufgeftellt, „was dem flerbenden Ma 
[hen am meiften Troſt bringe”, die dann von den verfchiedenen Kammern der übrig 
Städte verfchieden beantwortet wurde. Gleichwohl wurde von den holländifchen The 
logen und Moraliften der Beſuch des Schaufpield zu den Sünden ſchwerſten Grote 
den „rufenden Sünden“, gerechnet. Die Synoden ließen es nicht nur bei den Ba 
nungen bewenden; fie belegten das Schaufpiel mit dem kirchlichen Banne und ſucht 
auch die privilegirten „Kameren“ möglichft einzufchränten. Cine Synode von 1578 verb 
auch das kirchliche Schaufpiel, „weil e8 weder in der ifraelitifchen noch in der apoſtoliſch 
Kirche gebräuchlich geweſen fey, weil die Berfaffer oft unerfahren find im den Yun 
menten der chriftlichen „Religion und weil es eine Entweihung ift des göttlichen Worte 
(fe „Stiche und Schauſpiel in Holland“ von J. M., in Gelzer's proteft. Donatsblätte 
Jahrg. 1866. Februar. S. 121 ff). Diefem Urtheil aber müflen wir entgegenhalte 
daß auch fehr fromme und in der Bibel erfahrene Männer der reformirten Kirche biil 
fhe Stoffe in höchſtem Ernſte und mit großem Geſchicke dramatifc behandelten. B 
erinnern an das im Yahre 1576 erfchienene „Opfer Abraham's« von Theodor Bar 
And unter den gelehrten Holländern felbit bietet ung Hugo Grotius feinen freilid ü 
gelehrten Styl gehaltenen „Christus patiens”. Bald aber trat das proteflantifche She 
fpiel auch in den’ Dienfl der proteftantifchen Polemil. In Holland wie in Dentihe 
wurde die dramatifche Form benugt, um dem theologifchen (und politifchen) Parixt 
einen umſo energifcheren Ausdrud zu geben. So verfaßte der Vater der hollänike 
Dichterfchule, Jooft van Bondel das Drama: „Palameded und die gemorbdete ls 
fhuld«, mit Chdren, in welhen „der an Oldebarneveldt begangene Juſtizmord mä 
dem befannten Bilde jenes griechifhen Helden in möglichft diaphaner Weife travefit 
wird (f. Kirche und Schaufpiel in Holland a. a. O.). Belannt ift, wie in dem fyafr 
tiftifchen Streitigkeiten im 3. 1676 der Rektor in Wittenberg, Joh. Deutſchman 
den Ulrich Calixt als feurigen Drachen mit Hömern und Slauen auf die Bäh 
brachte, und wie im Jahre 1661 die Schüler des grauen Kloſters zu Berlin bie reie 
mirte Abendmahlsfeier auf dem Theater verſpotteten. Solde an Blasphemie fireifen 
Unziemlichleiten mußten ernftere Gemüther vollends gegen bdramatifche Demonftration 
jeder Art verftimmen. 

Am firenpften ließen ſich proteftantifcher Seitd die Puritaner in England geg 
das Theater vernehmen. Sie theilten in dieſer Hinficht die Anfchauungen eines Zı 
tullian. Bald nad) Shakeſpeare's Tode trat der Puritaner William Pryne (1633) u 
feiner „Komödiantengeißel“ (Hiftriomaftir) auf, der er, merkwürdig genug, ſelbſt ei 
dramatifche Form gab. Karl I. Tieß ihm zur Strafe die Ohren abhauen, freilich cu 
um der Schmähungen willen, die er ſich gegen die Krone erlaubt hatte. 

In der katholiſchen Kirche Frankreichs waren die Meinungen über das Thea 
getheilt. Die Jeſuiten, die ja bis auf diefen Tag das dramatifhe Spiel als Edi 

*) Burdhardt, 2. A., Sefchichte der dramatifhen Kunft zu Baſel, in den „Beiträgen zur 9 
ſchichte Baſel's, Herausgegeben von der hiftor. Geſellſchaft daſelbſt, 1839. S. 198, 


Tpeater 263 


auch beibehalten haben, uetheilten jedenfalls milder als die Ianfeniften; doch waren 
ve Beraliflen Des Ordens nicht alle derfelben Meinung, indem die Einen das Schau» 
al a den Tobfünden, die Anderen es zu den läßlihen Sünden zählten und eime 
zu Partei es als adıdrogor behandelten. Unter den Ianfenifien war Nicole eim 
arihiedener Gegner des Schaufpield. Umſo mehr muß es auffallen, daß der größte 
Ingiler Frankreichs, Racine, fi zu Bort- Royal hielt, diefem Zion bes Jauſenismus. 
Dieß brachte ihm aber auch in Zwieſpalt mit feinen Gewiſſen; er foll fpäter feine dra⸗ 
utihe Wirffamleit bereut haben. 

Im proteftantifchen Deutfchland trat die Frage Über die fittliche Berechtigung des 
Ehanipield in ein nene® Stadium duch die pietiftifche Streitigleit. Die Or 
hodoren, von denen einige eine fehr firenge Obſervanz befolgten, indem fie ınter Au⸗ 
em den „Hiſtrionen“ und Allen, die mit ihrem Gewerbe zufammenhingen, da® heil 
Ibenrmahl vertveigerten, bequemten fd) mehr und mehr zu der Xehre von den „Mittel 
Is" (Mdiaphora ; vgl. d. Art. Bd. I. S. 124). Allein die Pietiften vertverfen bes 
kanlic, diefe ganze Anfchauungsweife als eine lare. Es lag im Weſen des Pietis- 
u, 208 Theater, ähnlich wie den Tanz und andere „weltlihe Bergnügungen“, als 
ext mit dem ernſten Berufe des Chriften rein Unverträgliches zu betrachten. Für 
ki cin Künftlexifche zeigte der Pietismus fo wenig ein Berftändniß, als der Puri- 
mens in England; doch darf dieß nicht von dem ‘Damme behanptet werden, mit dem 
ke Geſchichte der pietiftifchen Streitigkeiten beginnt, von dem milden und verfländigen 
Spener. Er gefland offen, daß wenn er das Sündlihe des Theaters aus Gottes 
Em eahärten müßte, er fich deſſen nicht getrante. Er machte auch einen Unterfchied 
müden guten umd fchlechten Stüden. Zu den erfteren zählte er die Tragddien bes 
Wkfiäem Dichters Andreas Gryphius, deffen „Ratharina von Georgien“, eine chrift- 
Ude Wietgrerin, ihn fogar tief ergriffen und erbaut hatte. Im Ganzen aber trat aud) 
Spar der auf die Seite derer, die vom Befuche des Theaters abriethen. Im einem 
u äferen Tone ald Spener erklärte ſich deflen Freund, Paflor Reiher an 
& deobi zu Hamburg, wider die Schauſpiele in feiner 1681 zu Ratzeburg erſchie⸗ 
m Ehrift: „Theatromania oder Werke der Finfterniß in denen Öffentlichen Schan- 
Ma Ge fand es namentlih im Blicke auf die VBerfulgungen der Proteflanten an 
km „duchaus ungezieniend, während die ©laubensgenoffen verfolgt würden und 
sa mit ihmen eine tranrige Paffion fpiele, ſich an ärgerlichen Luſtſpielen zu weiden“ *).— 

emen eigenthämlichen Conflikt mit der überhandnehmenden Theatromanie kamen die 
hlıjden Theologen im 18. Jahrhundert. Sie hatten es bei Friedrih Wilhelm I. 
Kin gebracht, daß ein Statut der Univerfität die Errichtung eines Theaters verbot. 
i diefe Zeit waren nämlich bereits die wandernden Schaufpielertruppen aufgekommen, 
eher ganzen Frage wieder eine neue Wendung gaben; dena nicht mehr handelte es 
h jegt um das gemüthliche Spiel der Bürger ‘oder um Exercitien der Schüler, nicht 
eht um eine Ergoͤtzlichkeit, die nach längeren Zwiſchenräumen einmal in die Alltäglic- 
u des Lebens eine Abwechſelung brachte, ſondern mit dem Betrieb des Schauſpiels, 
d eined Gewerbes, war eine tägliche Quelle der Zerftreuung aufgethan, die zu wei⸗ 
m Unerdnungen binführte. Als daher unter der nachfolgenden Regierung Friedrich's 
3 Großen eine Scaufpielertruppe in Halle die noch beſtehende Verordnung durch» 
then wollte, an der Feſtigkeit der Profefloren aber (Frande, der Jüngere, an ihrer 
die) einen Widerftand fand, da befahl der König, „daß nicht nur die Komddianten 
Wehindert fpielen, fondern auch der Diuder Frande gehalten ſeyn fol, der Aufführung 

Önlic beizuwohnen und ſich foldyes von dem erſten Komdbianten befcheinigen zu 
Ten. — Damit find wir in eine andere Zeit getreten, in der eine andere Luft wehte, 


I 
nn ogegen ihrieb ein Katholit au Bayern, Chriſtoph Rauch feine „Tbeatrophania” als 
Migung; vergl. Gefſcken, Zeitichrift Des Vereins, für Hamburgiſche Geſchichte, III. 1., 


KO nod anderes Merkwürdige über den in Hamburg geführten Streit über das Theater 


264 Theater 


als die des Orthodoxismus und Pietismus*), die fchneidende Luft der modernen Auf 
Härung. Diefe fehen wir nachgerade mit dem Theater, der Kirche gegenüber, eine 
dauerden Bund eingehen. Umfo mehr mag es auffallen, daß gerade einer der Hanp 
wortführer diefer Aufllärung, Iean Jacques Rouffeau, der Zeitfiröunmg fih en 
gegenwarf und mit einem fittlihen Eifer gegen das Theater auftrat, der dem Eif 
der Puritaner umd Pietiften wenig nachgab. Er that es vom Standpunkte des Repi 
blikaners und einer Philofophie aus, die mit der fogenannten Bildung gebrochen hai 
und fchon darum Alles befämpfen mußte, was ihrem höchften Ideale, der dem Nat 
zuftande entfprechenden Einfachheit der Sitten, entgegen war (vgl. d. Art. „Rouſſen⸗ 
In Genf beftand damals noch das alte Verbot gegen die Schauſpiele. D’Alembu 
hatte dieß im der Enchflopädie (unter „Genf“) als Heinftädtifche Spießbürgerei lächerh 
gemacht, und nun antwortete KRouffeau im Yahre 1758 in einer Flugſchrift, worin 
das Berderbliche des Theaters vom politifchen, moralifchen, fanttaetifhen und dlonom 
fchen Standpuntte aus darftellte. Uber gleichzeitig erwuch® in Deutfchland dem Then 
ein geiſtreicher Verfechter, und diefem gelang es fogar, der Bühne eine Stellung I 
Kirche gegenüber anzumeifen, bie fie bis dahin noch nie zum beanfprucdhen gewagt hat 
Durch Leſſing wurde bekanntlich eine gründliche Reform des deutfchen Theaters c 
geleitet, und fie ward mit einem Exrnft angegriffen, der alle Achtung verdient. Aush 
Kategorie der bloßen Recreation erhob fi die Bühne zufehends zu einer fittlihe 
Macht des Jahrhunderts, die, weit entfernt, mit der Stellung fich zu begmüge 
die man ihr unter den „Mitteldingen“ anwies, auch in dem höchften menfchlichen U 
gelegenheiten tonangebend wurde. Das Theater auf eine hriftliche Grundlage 
ftellen, das freilich konnte Leſſing nicht einfallen; er hatte dabei nationale uud Einf 
rifche Abſichten, und folches werden wir ihm auch nicht verdenken. Es nimmt fi 
daher wie Ironie aus, wenn er (April 1749) an feinen Bater fchreibt: „Den Bewei 
warum ein Komöddienfchreiber kein guter Chrift feyn könne, kann ich nicht ergrünk 
Ein Komddienfcreiber ift ein Menfch, der die Laſter auf ihrer lächerlichen Seite (di 
dert. Darf denn ein Chrift über die Lafter nicht lachen? Verdienen die Lafter fo mi 
Hochachtung? Und wenn ich Ihnen nun gar verfpräce, eine Komddie zu made, N 
niht nur die Herren Theologen lefen, fondern auch Loben follen? Halten Seaa 
Berfprechen für unmöglih? Wie? wenn ich eine auf die Freigeiſterei und af X 
Verächter Ihres Standes machte; ich weiß gewiß, Ste würden Vieles don Ihrer Ekirt 
fahren laſſen!“ Leſſing hielt Wort. Er dichtete fein Luftfpiel „Die SFreigeifte”.- 
Aber es auf die Dauer den Theologen zu Dank zu machen, war feine Aufgabe mi 
nichten. Seine Drohung, „den Schwarzröden einen Poſſen zu fpielen“, erfüllte ſi 
nur zu bald im Nathan. Wie man aud immer über die Tendenz des Stüde 
theilen möge, eine Apologie des Chriftenthums war „Nathan“ auf keinen Fall. 
nun an wurde auch Teifing das Theater (nad) feinem eigenen Ausdrud) die „Kamel 
von der herab er feine Art, über Religion zu denken, mit aller Energie in Scene fehl 
und um diefe Kanzel fchaarte ſich eine Gemeinde, deren Stimme bald maßge 
wurde, als die Längft gebrochene Stimme der Kirche. — So hody indeflen in 
Ideen von einem deutfchen Theater gefpannt waren, denen er auch theoretifch in fein 
Dramaturgie einen Ausdrud gab, fo bald wurde fein Eifer abgekühlt durch die Erju 
rungen, die er machte, und ſchon im Jahre 1777 erklärte er in einem Briefe am fein 





*) Indeſſen hatte fich fchon früher, aus lauter Oppofition gegen ben Pietismus ber Trtbi 
borismus zu Gunften der Schaufpiele erklärt. So meint ber Paſtor Mayer zu Hamburg \| 
einem Gutachten wider feinen pietifiifchen Gegner Windler): „Der Gott, der die froͤblich 
Stunden den Menſchenkindern georbnet, der haben wid, daß man am guten Tage guter Tim 
jey u. f. w., ber könne, der Buße unbeſchadet, irdiſche Ergöglichleiten (wie bie Opern) an feine 
Kindern erbulden.“ Ebenſo vertheidigte Eimenhorſt vom orthoboren Stanbpunfte ans d 
Zuläßlichleit des Schaufpiel® und der Opern in feiner Dramatologia antiquo hodierns. 1688: | 
Gefflen a. a. O. 


Theater 265 


dene daß es „mit dem Nationaltheater lauter Wind fen und daf die Schaufpieler 
a vi für ein wahres Nationaltheater halten, was ihnen auf lebenslang reichlichen 
Imklt verfpricht* (vgl. den Briefivechfel Leffing’s im X. Bande der Duodezausgabe 
v inmtlihen Werke). 

Riht beſſer ging es einige Jahre ſpäter Schiller in dieſer Hinficht. Hatte ex 
a feinem Bortrage zu Mannheim im Jahre 1784 das Theater als eine „moraliſche 
Beiılt« bezeichnet umd mit VBegeifterung hervorgehoben, wie die wahrheitägetrene Dar⸗ 
Ielung des Lebens und feiner Leidenfchaften eine tiefere Wirkung auf die Gemlither 
peidiefien mäfle, als die gerade um jeme Zeit auf der Kanzel fidh breit machende 
Beralpredigt, fo wurden doch feine Hoffnungen bald herabgeftinmt und er mußte fid) 
Ieruagen, daß Schaufpieler und Publikum ganz Anderes im Theater fuchen, als fitt- 
be Erhebung und Kräftigung, im beflen Falle mäßigen Zeitvertreib. Und and) bie 
Berofität, auf welche mau in guter Meinung auch von oben herab im einer Weiſe 
Wirserte*), ward durch Iffland in einer Weife bühnengerecht zugerichtet, über welche 
Säiller in dem befannten Epigramm (Shalefpeare's Schatten) ein fcharfes Urtheil ge- 
had. Num predigten die Pafloren auf der Bühne (wie der Baflor Seebad; in Iff⸗ 
ia „Bigern®) diefelbe deiftifche Moral, die man auch von der Kanzel her zu hören 
met war, und war der Schaufpieler auf der Bühne zum Prediger geworden, fo 
vor (noch Gothe's Ausdruck im Fauſt) der Prediger auch zum „Komddianten“, wenn 
x ken Bortrog den dramatifchen Muflern nachbildete. Eine weichliche Sentimentalität 
ier den Kitt, der die beiden ſouſt difparaten Gebiete von Kanzel und Bühne zuſam⸗ 
mich, während dann bald mit Kogebue diefe Sentimentalität ganz undermerft im 
im, dat Kirchliche verhöhuende Frivolität umſchlug. 

Ist Goöothe hatte im feiner Iugend für das Theater gefhtwärmt**) und aud) 
U Dem feine ſchönſten Jahre an die Heranbildung einer dramatiſchen Muſter⸗ 
— made. Seine begeifterten Kunftjünger in Weimar gingen fo weit in ihrer 
Seine, die gehobene Stimmung, in der fe fi) vor einer nenen Muſtervorſtellung 
nt, mit der religiöfen Erhebung zu vergleichen, die der Chrift vor dem Abend⸗ 
ailnnfie empfindet (f. Hafe, das geifllihe Schaufpiel, S. 300). Aber andy ihm 
rare die traurigen Erfahrungen feiner Vorgänger nicht erfpart. Er mußte es als 
 Seomie empfinden, wenn bdaffelbe Publitum, für das er feine „Iphigenia” und 
ma „Zoffo“ gefchrieben, feinen Beifall einem zum Schaufpielee abgerichteten Humde 
wendte! — So wenig indefien die ongeftrebten Ideale erreicht wurden, fo wenig gab 
e Shaubühne ihre Anfprüche auf, ale die moderne Culturmacht der Kirche fi) am 
! Seite zu flellen, wo nicht diefelbe zu verdrängen. Welche Stellung follte nun die 
höre eiimehmen ? wie follte fie der Zeitfiröummg begegnen, nachdem eine Schranfe um 
Iondere gefallen war? Mit Zwangemaßregeln konnte nichts erzielt werden. Me⸗ 
Role kirchlicher Behörden, die etwa noch eingereicht wurden, fanden feine Beachtung ***). 
Rliger, die auf der Kanzel gegen das Schaufpiel eiferten, wurden fogar von oben 
ab gemaßiregelt, und es blieb alfo nichts Anderes übrig, ale entweder mit ſtiller 
Annation in das Unvermeidliche ſich zu fügen oder ſich mit der feindlichen Macht 
endwie außeinanderzufegen. Auch legteres wurde verſucht. Konnte man das Theater 
it mehr ans feinem Befſitzthum verdrängen, fo wollte man es doc möglichft ber 


*, So hatte Joſeph II. eine Verorbnung in Betreff bed Wiener Notionaltheaters in biefem 
ne erlaſſen. 

) In feinem „Wilhelm Meifter- läßt er feinen Helden die Worte ſprechen: „Das Theater 
et einen Streit mit der Kanzel gebabt; fie follten, dünft mich, nicht mit einander habern. 
tier wäre zu wünfchen, daß am beiden Orten nur dur edle Menſchen Gott und Natur 
derrlicht würde⸗, mit der ausdrücklichen Verſicherung. „dieß feyen eine Träume“. Und doch 
xefich, wenn irgendwo, fo in biefem Roman die elelhafte Lieberlichkeit nnd fittlihe Verkom⸗ 
ateit ber ganzen Bretterwelt in dem fchreiendften Contraſt mit diefen idealiftiihen Träumen ! 
**) &o verhallte anch des Antifies Gefiner „Wort an das Zürcheriſche Publikum“, Novbr. 
32, ale e6 fh um die Errichtung eines Theaters in der Stabt Zwingli’s handelte. 


266 Thenter 


fchränfen. So blieb in einigen Gegenden doch wenigſtens am Sonntage und zu t 
„geichloffenen Zeiten" auch das Theater gefchloflen, wogegen man freilich geltend mad 
konnte, daß gerade in den früheren, foliden Zeiten, wie zur Zeit der Reformation, re 
eigentlich dee Sonntag der privilegirte Tag der heiteren Spiele geweſen (f. Strenb 
der Sonntag, das Theater und das Sonntagstheater, Züri) 1846), und fo war a 
diefe Poſition nicht auf die Dauer haltbar. Was etwa noch erhältlich ſchien, war e 
firenge Theatercenſur. Es follten nur unanflößige, fittlich correlte, Sonntags möglich 
weiſe nur ernftere Stüde gefpielt werden, aber auch das ließ fid nicht confequent da 
haben. Dabei erhob fi dann auch noch die Frage, in wie weit heilige Gegenſoe 
zue Darftellung kommen follen oder kommen dürfen? (f.Dräfele, über die X 
ftellung der Heiligen auf der Bühne. Dremen 1815.— Rothe, Ethil, II.S.743| 
Hierin hatte fich die Zeit bedeutend geändert. Während früher das geiftliche Sqh 
fpiel da8 einzig in der Chriftenheit berechtigte gewefen, fo hielt man jet das Ham 
ziehen geheiligter Perfonen und Dinge in das dramatifche Spiel für unflatthaft, = 
hochſtens Geſchichten aus dem Alten Teftament oder aus der Gefchichte der Reform 
tion und der Kirchengefchichte hielt man für zuläßliche, ja für würdige und empfehle 
werthe Ausnahmen von dem fonftigen rein weltlic, gehaltenen Hepertoiv*), Mit Ka 
nahm man dagegen Anftoß am theatralifhen Vortrag der Gebete und an der Dark 
ung des Saframentalen und Titurgifchen auf der Bühne, 

Eine cafuiftifhe Frage für die Paftoraltheologie erhob fi) dann and, und zu 
ſchon zu Anfang des 18. Jahrhunderts, in wie weit Geiftliche beim Theater als X 
fchauer ſich betheiligen oder gar für die Bühne fchreiben dürfen? Ein Prediger % 
mens Schloffer, Pfarrer in Bergedorf bei Hamburg, gab im Yahre 1768 b 
(anonyme) Herausgabe don Luftfpielen, die er noch vor feinem Eintritt in das gei 
Amt gefchrieben hatte, zu einem langwierigen Streite Beranlafjung, bei welden N 
Hauptpaftor Götze fich hervorthat**). Leſſing, der damals noch mit dem He 
paſtor auf gutem Fuße fland, hatte beim Ausbruche des Streites gefchwiegen. Gpäk 
aber, in feinem Streite mit Göte, richtete ev (1777) folgendes fcharfe Wort an ie 
„Als Sie, Herr Hauptpaftor, den guten Schloffer wegen feiner Komddien fo erhakt 
verfolgten, fiel eine doppelte Frage vor, die eine: darf ein Prediger Komödien mar’ 
Darauf antworte ih: „Warum nicht, wenn er Tann.“ Die andere: „Darfah- 
mödienfchreiber Predigten machen?“, und darauf war meine Antwort: „Warım Dt. 
wenn er will.“ Damit hatte Leffing die Lacher auf feiner Seite. Dennod hal 
—— — | 


*) Beifpielsweife erinnern wir, was bag Alte Teflament betrifft, an bie Oper „Iolgd I 
Aegypten“, an „Eſther und Athalia« von Racine uud an die Älteren und neueren Bearbeitent 
der Gefchichte Saul's und David’s; ans der Neformationsgefhichte an „Kuther- von Zadır 
Werner, an die „ Hugenotten“ und an bas einft fehr heliebte Rührftüd: „Sean alas”. | 
neueſter Zeit find auch ältere Firchenbiftorifhe Stoffe (nicht ohne Tendenz) fogar von Tbeeleg 
bramatifch bearbeitet worden, wie „Cyprian⸗ von Lechler (vgl.aud „Bar Cochba⸗ von Kir 
Zu nicht geringem Aergerniß ift leider! auch die beilige Geſchichte des Herrn wieder in mM 
Zeit auf die Bühne gezogen worden in „Judas Iſcharioth“ von Elife Schmidt und in äbnl: 
Darftellungen. Und wer weiß, welde bramatifche Früchte no das „Leben Jeſu von Renei 
bringen wird? 

e*) Theologifche Unterfuchung der Sittlichfeit der heutigen deutſchen Schaubühnen überben 
wie auch der Fragen: Ob ein Geiftlicher, infonderheit ein wirklicher, im Predigtamte ſtebtad 
Diann, ohne ein ſchweres Aergerniß zu geben, die Schaubühne befucyen, felbft Eomodien | 
ben, aufführen und bruden laffen und die Schaubühne, fo wie fie jetst ift, vertheibigen and 
einen Tempel der Tugend, als eine Schule der edlen Empfindungen und der guten Sitten anprt! 
Tonne. Hamburg 1770. — Wie leidenſchaftlich Götze urtheilte, davon nur ale Beifpiel fein I 
theil Über Moliere: „Moliere, diefer wahre Patriarch, diefes fo bochgepriefene Muſter der cd 
fpieldichter, gebört unftreitig unter die verdammlichſten Lehrer des Laftere, und ich glanbe nd 
daß Voltaire mit verfchiedenen Aufjägen, in welchen ſich die Frechheit und VBosbeit des &s 
in ihrer böchften Oröße zeigt, ja welche der Satan felbft zu verfertigen wenigſtens nicht el 
genug gewejen feyn würde, fo viel Schaden angerichtet hat“ (vgl. Gefiden a. a. D.). 


Theater 267 


Gi Io Unrecht nicht gehabt, wenn er fragte, wie es fidh auf einem Kombdienzettel 
anainen würde: „Rufifpiel von NR. N., Paſtor zu 79%. — 

Adeſſen lonnte die chriftliche Sittenlehre unmöglich bei ſolchen einzelnen cafuifli» 
der Erirterungen fliehen bleiben. Ste wurde nachgerade zu principieller Entfcheidung 
ka Sache hingedrängt. Wenn Reinhard in feiner Moral noch ganz im alter Weiſe 
Ib Schaufpiel zu den „erlaubten Bergnügimgen* rechnet umd daB Halten ber rechten 
Rite zuifhen dem „zu Viel⸗ und „zu Wenig“ empfiehlt, fo wird fich weder das Ge⸗ 
wien, noch die Wiffenfchaft. damit zufrieden geben. Es handelt fi — wie bie Frage 
egewwaͤrtig liegt — nicht mehr um Eonceifion eines Vergnügens, es handelt fi} um 
ie Stellung einer idealen Macht, welche die Kunft ift, zu dem übrigen idealen Mächten 
m Religion und der Sittlichkeit, denen fie fi als ebenbürtig und gleichberechtigt au 
& Seite fell. Es fragt fich nicht mehr, ob es dem Chriften oder dem Geiftlichen 
Rlaudt fen, Schaufpiele zu lefen oder zu fehen oder zu fchreiben, foudern wie weit 
u Interefie an der dramatiſchen Kunft von ihm zu fordern fen, infofern er auf 
Wr Bildung Auſpruch machen und felbft wieder bildend auf die Zeit einwirken wolle. 
Bhend die drriftliche Moral früherer Zeiten die Kunft fo gut als ignorirt oder hödh- 
Rad ver Kategorie der Liebhaberei zugemwiefen hat, fo hat zuerfi Schleiermadher das 
»tfelende Handeln“, als eim der fittlichen Natur des Menfchen zuftehendes, in den Be- 
Rh der Ethik hineingegogen. Auf biefem Boden begegnen fi Kuuft, Spiel und Cultus 
Bene fo immigen Weiſe, daß ihre ideale Snfammengehörigfeit nicht Tänger beftritten 
vera ium. Und fo haben denn auch die meiften Theologen der neueren Schule, wie 
n Bette, Nitzſch, Hafe, Grüneiſen, Ehrenfeuchter und namentlid Rothe 
ic Eihif) es micht verfchmäht, der Kunſt überhaupt und namentlich auch der 
rmaiiden Kunſt eine einläßliche Betrachtung zus widmen. Dazu kommt, daß audı 
8 Ungrer Zeit einem jeden Bebildeten zur Aufgabe gewordene Studium Shake⸗ 
—X ta Beziehung des Dramatiſchen zum Ethiſchen eine viel tiefere Auffaffung zu⸗ 
"tm imdert, als die früher der Fall war. Sind doch die Shafefpenrefiudien, 
aa bie die Studien über Dante, fo zu fagen mit dem Studium der modernen 
Üolaie auf's Innigſte verwachſen, fo daß, wer ſich hierzu abweifend verhält, minde⸗ 
in eben jo ſehr dem Vorwurfe pietiſtiſcher Einſeitigkeit ſich ausſezgen würde, als 
Cu, der dem klaffiſchen Alterthume den Rücken zukehren wolite *). Man hat fich alfo 
x aiſheiden, entweder mit Tertullian und der puritanifch - pietiflifchen Richtung ſich 
x fermerhin gegen jeden idealen Einfluß der Kunft abzufchließen oder, wo man bieß 
Kt dermag, die Frage über das Verhältniß der Kunft zur Religion bis auf ihre Spitze 
ir h verfolgen, und biefe Spige ift unflreitig (maß die Poeſie betrifft) das Dra- 
iſche. 
Rum aber tritt bei alledem noch eine ethifche Schwierigleit ein, die bie zur Stunde 
nicht übertoumden if. Das Dramatifche verlangt nothivendig mimifche Dar- 
lung; das bloße Lefen dramatifcher Kunſtwerke befriedigt eben fo wenig, ale das 
! Singen don Opernmuflt mit oder ohne Inſtrumentalbegleitung in Concerten. 
ſoll num aber darftellen? Der Gedanke, das Schaufpiel wieder auf den alten 
thümlichen Boden zurüczuführen, da die Elite der Vürgerfhaft die Altion über 
m Einverfländniß mit der Kirche und im Zuſammenhang mit den großen natio- 
Feſten, wogegen dann etwa das feinere Luſtſpiel in den heiteren Kreis des Fa⸗ 
eſtet der Spiele des Hauſes, fich zurüdzuzichen hätte, iſt wohl ein anſprechender 











) Das Berbättnig Shakeſpeare's zum Chriſtenthum iſt in neuerer Zeit ſelbſt wieder don 

iedenen Standpunkten aus beſprochen worden, worüber ſich eine ganze Litteratur herſtellen 
—V Fra dem Neneften ift zu nennen Schwarzkopf, Shafefpeare in feiner Bedeutung 
—* irche unſerer Tage, Halle 1863. 1864. — Vorzüglich aber empfehlen wir den Leſern in 
ki tler Beziehung: Rümelin, Shafefpeareftudien. Etuttg. 1866, befonders den Ab- 
* er dentſche Shaleſpeare ⸗Cultus, ©. 188 ff., worin dieſer Caitus auf fein richtiges Maß 

ſeſührt und damit auch Manches indicirt wird, das bie Löſung unſerer Frage fördert, 


268 Theater 


Gedanke, aber ımter gegenwärtigen Berhältniffen kaum ausführbar*). Je mehr ! 
fprühe an die Kunft im Allgemeinen und an die dramatifche Kunft im Befonderen 
flellt werden, defto umentbehrliher wird ein eigene Schaufptelerftand, der 
Birtnofität in dee Technik fich zur eigentlichen Lebensaufgabe madıt. Und hier er 
fid) nun, ganz abgefehen von den vielen Verfuchungen, denen diefer Stand, zumal 
weibliche Theil deffelben, ausgefegt ift, die ſchwierige ethifche Frage, inwieweit fi 
haupt ein Lebensberuf, der rein in der Darftellung fremder Karaltere aufgeht, mit 
Ausbildung des perfönlichen Karafters, als eines chriftlichen, verträglich, ja, wie! 
überhaupt eine Lebensſtellung fittlich haltbar ift, die ihrer Natur nad) darauf angelk 
fcheint, mehr die laute und flüchtige Vewunderung der Menfchen, als ihre fill ı 
nachhaltige Achtung zu gewinnen**. Dazu kommt das Theaterweſen überhaupt, 
mit feinen mannichfachen VBerwidelungen in die Intriguen des Parteiweſens mm 
feiner Abhängigkeit von der Laune des Bublitums, kaum dazu angethan iſt, eine & 
höherer Bildung zu feyn, wenn auch das Streben Einzelner, es zu einer folden 
erheben, alle Anerkennung verdient. Wie die Sachen einmal ftehen, fo wird fid # 
eine allgemeine Regel des Verhaltens der Chriften zum Schaufpiel aufflellen la 
Bieled wird von Ort und Zeit, von der Stufe der Bildung, auf der ein Gemeint 
oder der Einzelne flieht, von Lebensftellungen und Lebenserfahrungen abhängen. 
Allgemeinen wird die Lehre vom „ Aergerniß " fittlich maßgebend fenn. Nu 
nicht zu vergefien, daß man nach zwei Seiten hin Wergerniß geben Tann. Wil 
die offene Theilnahme an den Werfen und Leiftungen der dramatifhen Kunſt aus 
fünftlerifchem Interefie denen, die Alles nur aus dem Standpunkte des weltlichen! 
gnügens beurtheilen, als eine dem Chriften nicht geziemende Weltformigkeit erfcheinen 
werden diejenigen Theologen dem Vorwurfe der Heuchelei nicht entgehen, die nad 
beften Gewiſſen die allfeitige Ausbildung des fünftlerifchen Sinnes nicht nur fir 
laubt, fondern gewiſſermaßen für geboten halten, und die gleichwohl „zur Schon 
Schwachen“ von jeglicher Theilnahme an Nunftleiftungen beharrlich ſich ferne ki 
die nur irgendwie mit der dramatifchen Welt zufammenhangen. Hier, wo es fihs 
um das bloße Verzichtleiften auf einen Genuß, fondern möglichertveife um Verlu 
bon Grundfägen handelt, die in das Verſtändniß der Zeit, in die unbefangene 
gung ihrer Eulturmomente eingreifen, hier fchürzt fich eben der Knoten, der Hl 
durch die abftrafte Theorie nach der einen oder amderen Seite hin gewaltſam mit 
läßt, den aber reimlich zu Löfen, noch lange Zeit eine der ſchwierigſten Bun 
hriftlihen Ethik bleiben wird. 
— — — 


*) Einzelne Verſuche find neuerdings in dieſer Richtung gewagt worden. So ließ der 
meiſter von Grenchen (im Kanton Solothurn) „Hans Waldenau“ von der Dorfjugend « 
S. Freitag’s Lebensbilder. 2r Band. — Aehnliches geſchieht auch in ben ſchweizeri 
Tantonen. Nicht zu gedenken bes alten geiftlihen Schaufpieles im ber - Ammergau. Fir 
nern bier gern an ein Wort Devrient’s im feiner Denkichrift, die er im Jahre 18% 
»Bafftonsipiel« gewidmet bat: „Wenn einmal der Tag der Verbeißung anbricht, da die d 
Stämme fih als ein Voll fühlen und alle Kräfte frei und fröhlich fi regen werben, wo ter 
eines nenen Lebens den alten Volks⸗ und Kunſtgeiſt wieder aufweden wird, ba wieder 
Fefte ſchaffen und fie mit feinen beften Blüthen ſchmücken wird, dann mag man aud bat 
Ammergauer Paſſtonsſpiels gedenken, und alles defien, was daran zu Inlipfen iſt.“ — Ang 
ferne gerüdt ift ung dieſe Zeit! 

“*) Daß Übrigens auch in der Schaufpielerwelt eine Achtung gebietende, fittliche 
und 2ebensordnung, wenn gleich zu den Ausnahmen, doch nicht zu den Unmöglichleiten ı 
ja daß gerade die edleren Vertreter der dramatiſchen Kunft auch den tieferen religidfen 
weniger verfchloffen find, als mande im Mammonsdienfte verfnöderte Seele, dafür It 
Beifpiele anführen. Dabei mag immerbin das Faktum befteben, daß Schaufpieler, tie w 
ſcheidenden Augenbliden ibre® Lebens von ber ernften Macht des Chriſtenthums erarintn 
den, nach dieſer ihrer Befehrung dem alten, verfuchungsreichen Beruf entfagten. Nur ift dami 
abfolut bewiefen. Siehe die Geſchichte des englifhen Schaufpielers Montague Stanler 
„Bibelblättern“, 1862, 


Theſſalonicher, Briefe an bie 269 


ünfweilm möge da6 Wort Rothe’s (Ethik III. S. 750) unferer Betrachtung 
va diäliehenden Ausdruck geben: 
‚Sch! bedarf umfer Theater einer Reformation von Grund ans; aber das ift gewiß 
ch der Weg zu ihr, daß man chriſtlicher Seite das Schaufpiel überhaupt als un. 
anlich verurtheilt und demgemäß ihm alle Theilnahme und Fürſorge entzieht.” — 
Iufer den bereits im Eontert oder in den Noten angeführten Abhandlungen über 
neneh find über das Ganze zu vergleihen: 9. 3. Stäudlin, Geſchichte der Bor- 
kun von der Sittlichleit des Schanfpiels. Göttingen 1823. — Weffenberg 
2 den fütlihen Einfluß der Schaubühne. Conſtanz 1825. — Alt, Theater und 
we in ihrem gegentwärtigen Verhältniß hiſtoriſch dargeftellt. Berlin 1846. — Hafe, 
geiſtlche Schaufpiel. Leipzig 1858. — Meine Abhandlung: Kirche und Schau- 
L ce culturgefchichtliche Zeitfrage, in Gelzer's protefl. Monatsblättern, Mär; 1862. 
| Hagenbach. 
 Ihelalonicher, Briefe an die. Eine der älteſten Städte Europa’s, früher 
genannt, feit Kafjander’® Zeiten zu Ehren vom defien Fran Theſſalonike, war 
kr Römerherrfchaft die Hauptſtadt eines der vier macedouifchen Bezirke und Sig 
amfhen Statthalter® geworden. In der üppigen, von griechifchen, römifchen und 
Kiten Rouflenten bewohnten Handelsſtadt (1 Thefi. 4, 6. 11) fledelten fid mit der 
hanh Juden an, welche dafelbft eine Synagoge hatten (Apg. 17, 1) und unter dem 
ham griehifchen Frauen Profelgten warben (App. 17, 4). Auf feiner zweiten 
Werreife lam Paulus von Philippi nad; Theffalonich, in der Begleitung des Silas, 
Kiürmlid auch des Timotheus. Ueber die dortigen Exlebuiffe der Glaubensboten 
Adgih. 17, 110, aus welder Stelle hervorgeht, daß fie nur drei biß vier 
wa Theffalostich verbleiben konnten, dann aber der erbitterten Judenſchaft weichen 
Ken. Daß für Die Gemeinde, welche kaum entftanden, ſchon fidy felbft überlaffen blieb, 
” Irieng der Bollsmenge und der Obrigkeit gegen fie nur der Anfang fort- 
we Anfeinduungen war, erhellt aus den vorliegenden Sendſchreiben ihrer Lehrer. 
x Önsiormeln nennen deren drei, nämlich Paulus, Silas und Timothens. Die 
du Iiteren waren von Paulus in Berda zurückgelaſſen worden (Apgſch. 17, 14); 
IT. 3, 1 —6 geht hervor, daß Timothens von da nady Athen zum Apoſtel 
kam, aber von diefem mit Aufträgen wieder nach Thefſalonich zurüdgefchidt worden 
Enftweilen war der Apoſtel nad; Korinth gelangt (Apgſch. 18, 1), wo ſich feine 
8 Begleiter wieder mit ihm vereinigten, nnd von wo auch unfere beiden Briefe 
eben find (vgl Apgſch. 18, 5. 1 Thefl. 1, 7. 8), nah Bd. XI, ©. 245 im 
54 oder 55, nach gewöhnlicher Annahme etwa 52. 
Die Briefe find durch die Botfchaft des Timothens und durch fpätere Nachrichten her- 
fen, daher ummittelbar praftifhen Zwecken dienftbar. Paulns war beforgt um 
mgeftiftete, fo früh fich felbft überlafiene Gemeinde in Thefſalonich (1 Thefl. 3, 10). 
duch die Sendung des Timotheus war er keineswegs vollftändig beruhigt worden. 
teils hatten die Gemeindeglieder fortwährend Anfechtung, zum Theil auch wirt. 
Berfolgung (1 Theff. 2, 14. 2 Chef. 1, 4) zu leiden von Seiten ihrer heidni» 
Velanuten: fie feyen das Opfer ſchlauer Menfchen geworden, welche fie in ihre 
en Händel hineingezogen und obendrein, fobald Unheil darans erwuchs, raſch ge» 
a Stich gelaffen hätten. Audererſeits beflanden gewiſſe, ſchon von Paulus gerligte 
en des fittlichen Lebens noch fort (1 Thefſ. 4, 1—12), in melden befonders die, 
Seiten der f. g. „Unordentlichen geübte Fahrläffigkeit in der Verrichtung bürger- 
Ichetspflicht (1 Thefl. 4, 11. 12. 2 Thefl. 3, —16) wohl eine Folge der 
meriichen, durch die Propheten genährten Hoffnung auf die alsbaldige Wieder- 
des Mefflas geweſen ifl. Mit diefer nämlic, ging Hand in Hand eine fromme 
sgängerei, welche, da bei demnäcftiger Umkehr aller Berhältuiffe auch der Befitz 
en werde, eine Art Gütergemeinfchaft bezwedte. Dabei hatte zu Thefialonich die 
N Raum gefunden, als würden an dem alsbald zu fliftenden meſſianiſchen Reiche 


272 Zieftrunt, 3. H. 


felben zuzugeben, wie ja feinem Grunde nad) auc das Gittengefeg ſelbſt ein fold 
ſey. Ferner befennt er fich zu der Weberzeugung, daß ganz in dem Sime, wie d 
erft drei Yahre vorher das Wollner'ſche Edikt ausgefprochen, keiner der beftehenden 9 
ligionsparteien ihr allgemeines Glaubensbelenntnig genommen werden dürfe, denn „I 
theoretifhe in allen Syſtemen iſt unerwiefen, kann alfo nicht eher auf allgemeinen V 
fall Anſpruch machen, als bis es durch eigene Evidenz einleuchtet, , und im der Ma 
berrfcht auch noch hin und wieder manche Unlauterfeit. — Ein Anderes aber if ı 
den feftgefegten Lehrbegriff öffentlich aufheben, ein Anderes, an feiner Bervollfomme 
privative arbeiten. Die kirchlichen Symbole gehören zum Polizeiſtand der religk 
Geſellſchaft, find Formeln, die den Körper halten, aber den Geiſt nicht binden. 6 
wehren alfo gar nicht der VBervolllommnung eines Syſtems, infofern es auf die Eck 
thätigleit und Veredlung des Geiftes in Beziehung fleht” (I. S. 14. 19). Erklär 
will alfo der Verfaſſer das kirchliche Symbol im praftifchen Imtereffe, aber nidt b 
greifen und nicht wegdenteln. Diefe Erklärung erſtreckt ſich num auch auf die fg 
nannten Mufterien des Glaubens. Praktifche Müfterien, von denen das Daf, im 
auch nicht das Wie erklärt werden Tann, lafſen ſich ja nämlich nicht beſtreiten, a 
ihrem GOrunde nad; gehört auch die Freiheit der Selbftbeflimmung dazu. And} 
Mofterium der Dreieinigleit und der Berföhnung wird alfo in diefem Eu 
bon ihm erklärt, d. h. die praktiſche philofophifche Wahrheit, welche ihm zu Ern 
Itegt, nachgewwiefen. Beſonders die legte Deduftion, kurz dor dem Erfcheinen der | 
tifchen „Religion innerhalb der Gränzen der Bernunft“, namentlich im erften Theil | 
Cenſur — modificirt im dritten S. LXIII, herausgegeben — erregte die allgemeine Ei 
merkſamkeit, theil® Zuftimmung, theild Beſtreitung. Er flieht die Vernunft als bei 
tigt an, Gott zu allen Demjenigen, was der Menfch felbft nicht kann, was abe 9 
Möglichkeit des moralifchen Endzwecks der Welt erfordert, als wirkende Urſeche 
denfen. Nun fängt unfere fittlihe Bildung nicht von der Unſchuld an, fondern % 
einer entdedten Bösartigkeit der Willfür in und. Diefen moralifhen Zuſtand niſ 
wir durch gänzliche Umwandlung, durch eine neue Geburt des inwendigen Maike 
verlafien. Unbegreiflich iſt uns jedoch, wie dieſer im Grunde verderbte Menfc fd A 
das gerade Gegentheil ummandeln fol. Daher uns nichts Anderes übrig bie, # 
dee Glaube, dag Gott in feinem moralifhen Verhältniß zur Weltte 
ſelbſt thun werde, was unfere Kräfte überfteigt. Wenn indeg ah M 
Mebergang vom Böfen zum Guten durch die Umwandlung des inneren Grundes wi 
Deutungsart gefhehen ift, fo Laufen doch noch vielfach, trog des Fleißes zu guten Berta 
Selbftverfhuldungen mit unter. Zu diefen kommen dann noch die, welche unfart N 
difalen VBeflerung vorangegangen find; wir finden uns alfo nie in der Geredhtigh 
die dor einem heiligen Nichter gültig if. Was erfeßt uns nun vor einem fol 
Richter den Mangel eigener Gerechtigkeit? Hier bleibt und nun, wo das Beleg 9 
Gerechtigkeit fo fireng fpricht, als der Zweck der höcften Weisheit ift, michte übe 
als der Glaube, daß die Verſöhnung der Menfhentinder mit ihremg! 
‚rechten Richter aus der Fülle der ſelbſtſtändigen Heiligkeit herb“ 
gehen werde; wie? das ift unergründlich (II, 223). Bon mehreren Kat 
fenten wurde num einerfeitd dem Verfaſſer da8 Bedenken geftellt, wie er hier von & 
Unergründlichleit fprechen Eönne, wo doc Paulus ausdrüdlich ausfpreche, daß die 1 
diefer Schuldtilgung uns in Chrifto offenbar fey. Hierauf will der Berfafler in ! 
Borrede zum dritten Theile die Ankunft geben, indem er fic bemüht, mit M 
allerdings gequälten und mit den Haaren herbeigezogenen Symbolifirung bes Fate 
und Todes Ehrifti, in diefem die Verföhnung und Genugthuung nachzuweiſen. Ar 
terfeite war von Süßkind (im erften Stüd des Tübinger Magazins) treffend ae 
Tieftrunt erwieſen worden, daß ja der Zweck der göttlichen Weltregierung nicht die © 
firafung „zum Zweck der Beſſerung und Glüdfeligkeit“ fey, fondern mır die Jr" 
MWürdigkeit zu venlifiren, weßhalb denn dem Weltzwede ſchon genügt werde, MER 





Timenn, Joh. 273 


jden Gebefferten die dem Grade feiner Befferung proportionirte 
delhnung zu Theil werde. Ueber diefen letzteren Punkt wurden dann nod) 
sin wiſchen Tieftrunk und Süßkind Steeitfchriften gewechſelt. — Bol. Baur, Ber- 
finngelehre, ©. 568. Tholud. 
mann (Tymann, Tidemann), Johann, lutheriſcher Theologe der Re⸗ 
jrnatientzeit, bekannt als Hauptgegner Hardenberg's, — gebürtig aus Amſterdam, 
hie Amsterdamus genannt, — verließ im J. 1522, um dem gegen die Evangeliſch⸗ 
giunten gerichteten Berfolgungen zu entgehen, fein Baterland und begab fich nad) 
Bitenderg, wo er bei Luther und Melanchthon freundliche Aufnahme fand. Im Jahre 
1524 als Paſtor der Martinilirche nach Bremen berufen, ſetzte er hier (in Verbindung 
ui jenem Landemanne, dem ehemaligen Auguftiner von Antwerpen, Jalob Probfi, 
kr um diefelbe Zeit zum Paſtor an der Liebfranenkirche docirt und fpäter Superinten- 
kaıt wurde, das durch Heinrich von ˖ Zütphen (f. den Art. „Moller“) glücklich begonnene 
‚Biformotionsiverf mit günftigem Erfolge fort. Bereits war ein Theil des Raths und faft 
% gefommte Bürgerfchaft für die Sache der Reform gewounen, und unter dem Ein⸗ 
Inde, den der Märtyrertod Heinrich’ von Zütphen umd der dadurch herborgerufene 
Kimte Troſtbrief Luther's an die Chriften zu Bremen machte, wurde ſchon im Jahre 
‘135 in dreien von den vier Pfarrlicchen der Stadt, Liebfrauen, Martini und Uns. 
gu, und im folgenden Jahre auch in derjenigen zu St. Stephan die Einführung eines 
emgeliihen Gottesdienſtes mit deutfchen Geſang, Predigt, Verwaltung der Sakramente 
a batiher Sprache und Austheilung des Abendmahls sub utraque durchgeſetzt; bie 
werfrebenden Prediger tuurden vertviefen und ihre Stellen wit Auhängern Luther’s 
kit, in Jahre 1527 auch die Kloſterkirchen der Franziskaner und Dominikaner ge- 
Walfen u f. m. Und den Sieg der Reformation, den diefelbe ſomit in Bremen zuerft 
ur den Städten Niederſachſens errungen hatte, Tonnten auch die bürgerlihen Un⸗ 
nd, welche in den Jahren 1530 — 1532 das Bremiſche Gemeintvefen zerrütteten, 
after rüdgängig machen, — obwohl der Exzbifchof Chriſtoph, Herzog von Braun- 
Mei Lüneburg, zu Gunſten einer Tatholifchen Reaktion mit den Häuptern der Be- 
Sg anzufmüpfen verfuchte, und obgleich gegen Ende des Jahres 1532 auch die 
ienhaft zum Mathe haltenden Prediger Probft und Timann mit manchen Rathögliedern 
m dingern zu einer zeitweiligen Flucht fich gendthigt fahen, — fie führten vielmehr 
a dam, daß auf das Dringen der aufgeregten Bürger endlich auch in dem erzbifchöf- 
ihen Dome die Meſſe für immer eingeftellt wurde. Und nach Beendigung der Un. 
tihen und Wiederherftellung der Autorität des Raths erhielt Bremen ſodann auch eine 
— freng Intherifche — Kirdyenordnung, die von den Predigern entworfen, nachdem fie 
pr Begutachtung nach Wittenberg gefandt und befonders von Bugenhagen durchgefehen 
md approbirt war, vom Rathe angenommen und publicirt wurde, — der erentriken 
'&adt Bremen Christlike Ordeninge na dem Hilligen Evangelio thom gemeenen 
autte sampt etliker lere erer Predikanten, Magdeburg 1534, — in Verbindung mit 
‚nem ſcharfen „Mandat des ehrbaren Rathe . . . . wider die Sakramentsſchänder.“ 
Simon Mufäus, 1561 für wenige Monate Til. Hefhufens (f. d. Art.) Nachfolger als 
‚Prediger an Liebfrauen und Bremiſcher Superintendent, bezeichnet unferen Timann als 
Verfafler, Sicher wird der nicht bloß als erbaulicher Prediger und treuer Seelforger 
leliebte, fondern auch durch feine Energie und Gelehrfamfeit viel geltende und einfluß- 
Tide Mona, der noch lange mit Probſt an der Spige der Bremifchen Geiftlichteit 
‚fund, einen hervorragenden Antheil an dem Entwurfe derjelben gehabt haben. Wieder- 
helt wurde Timann anch zu kirchlichen Berhaudlungen außerhalb Bremens herangezogen. 
Shon im Jahre 1529 wurde er mit Johannes Pelt, Paſtor zu St. Ansgar, von Graf 
Enno IL, der eine Berftändigung der zwinglifch geflnnten Prediger feines Landes mit 
ken Lutheranern mwinfchte, nad; Oftfriesland berufen, wo jedoch das Auftreten der beiben 
mannten wenig Glück machte (vgl. Ubbo Emmius, Ber. Fris. lib. LIV. p. 848 sq,; 
Binre, Dffrief. Gef. 2. Bd. S. 364 ff.; DO. Klopp, Gef. Oſtfrieslands. 1. Bd. 
Real ı Cachklopadie für Theologle und Kirche. Suppl. III. 13 


974 Timann, Joh. 


©. 338 f.; Meiners, Oostvrieschlandts kerk. Geschied. 1738. 1. Thl. ©. 83 fi) 
Im J. 1537 nahm er mit dem Syndikus Joſt Mann und dem Rathsheren Diedrid 
Basmer als Bremifcher Deputirter am Convent zu Schmalkalden Theil und hat and 
die Schmaltaldifchen Artikel mitunterzgeichnet. Im folgenden Jahre wurde er dom Cr 
Jodocus don Hoya » Bruchhaufen, feinen befonderen Gönner, der ihn wiederholt zu &i 
fitationen u. dergl. gebrauchte, als Mitvormund der jungen Grafen zur Lippe n 

beffen Hofprediger Adrian Burfchoten mit einer Kirchenviſitation in Detmold, ſowie mi 
der Ausarbeitung einer evangelifchen Kirchenordnung für das Xipper Land betraut (f. } 
Ürt. „Lippe” Bd. VIII. S. 425). Im Jahre 1548 wohnte er einer von Graf Albriit 
zu Hoya wegen der interimiftifchen Händel berufenen Synode bei. Zuletzt erfcheint « 
als Vorkämpfer des reinen ubiquiftifchen Lutherthums in Bremen im Streit gen 
Hardenberg, der mit feiner und Probſt's Empfehlung im Jahre 1547 als erfter evanpı 
lifcher Prediger an der feit 1532 gefchlofjenen Domkirche berufen worden war. Di 
oben erwähnte Kirchenordnung, obwohl fie bereits eben fo ſcharf gegen die zii 
fchen wie gegen die papiftifchen „Sakramentsſchänder“ polemiftrt*), weiß doch von 
Ubiquitätstheorie noch nichts. Dagegen tritt nun Timann in feiner vielgenannten 
rago sententiarum consentientium in vera et catholica doctrina de coena Domi 
quam firma assensione et uno spiritu juxta divinam vocem ecclesiae Augus 
confessionis amplexae sunt, sonant et profitentur, Francofurti 1555, -wie als gne 
Iutherifcher Eiferer gegen jede Abweichung von der reinen Abendmahlsfehre und ; 
auch gegen die neuen angeblichen Verſuche der Sakramentirer die Differenzen zu d 
tufchen und ihre wahre Meinung zu verdeden**), fo auch insbefondere als entfhlofi 
Vertreter des Satzes, quod corpus Christi ubique sit, auf. Das Bud agren 
einer langen, von S.3—164 reihenden, mit langen Auszügen aus Auguſtin, Lu 

und Anderen verjehenen praefatio an die VBürgermeifter und den Kath zu Breud 
d. d. 15. Mai 1554, in bunter Reihe eine Menge theils brieflicher, theils anderen 
tiger Erklärungen zunächft der Reformatoren und zeitgenöfftfcher Theologen erften, zweite 
und dritten Ranges und fodann auch von Kirchenvätern über die Hauptpunfte der Aha 
mahlscontroverfe. Die Citate find theilmeife nicht ſehr glücklich gewählt, wie tes 
z. B. auch ©. 234 f. 261 Melanchthon und ©. 250 ff. Wolfgang Minscalu 
den. Ürtifel Bd. VIIL) für die Ubiquität und der Letztere S. 371 ff. au Et 
Gegenwart Chrifti im Abendmahl, nämlih, wie Timann fie verfteht, in den & 
menten angeführt wird ***) — mas der feine Hardenberg nachher wohl zu be 
nugen wußte. Den Schluß bilden Urtheile de officio magistratus, concionatorun # 
eivium, wie fie nämlich gegen die Ketzer und Sakramentirer einfchreiten follen, und w 
gehängt ift eine Sammlung von Ausfprühen Auguftin’s über die Rechtfertigung u.|.% 
nebft einigen reformatorifchen Urtheilen über den Kicchenvater: Coacervatio sententiarun 
aliquot et dietorum insignium pro commendatione divinae gratiae et justitise ſide 
contra Pelagianos haereticos tum veteres tum recentes, ex libris Divi Aur. Augr 
stini ete. Daß das Bud) gegen Hardenberg gerichtet war, ift wohl mit Pland (Fri 
teftantifcher Lehrbegriff Bd. V. 2. ©. 149) gegen Hardenberg's trefflichen Vertheidiget, 












*) „Alſo helpet de eene Düwel dem andern“, beißt es unter dem Titel: „Webber tmierin 
Sacrament + Schenbers, „unde mögen wel beide Sacrament - Schender beten. Senne (die Papiften 
veroört venter et ambitio; deſſe (die „Sacramentirer“) bedrögt frowe Hulde (Frau Hulda), tel 
Dümweld Gore, ere egen Bernunft, Minſchen⸗Klockheit unde Gedanken.“ 

**) Namentlich wird a Lasco heftig angegriffen, Calvin aber, gegen ben body ſchon Timaunt 
Sefinnungsgenofje und Freund, WeRpbal, den Feldzug eröffnet hatte, fo viel wir ſehen, air 
gende erwähnt. | 

**#) (58 fehlt auch nicht ein Brief Luther's an Probſt vom 17. Jaurar 1546, worin bie be 


tannte frivole Parodie des 1. Pſalms vorkommt: Beatus vir, qui non abit in consilio saT* 
mentariorum u. f. w. 





Timann, Joh. 275 


Um Bogner (Berfafier der anonymen Schrift: Dr. Alb. Hardenberg’s am Dom zu 
Iren geführtes Lehramt, Bremen 1779), eben fo gewiß anzunehmen, als man body 
mil dem beſchränkten, aber ehrlichen Timann zum nahe tritt, wenn man feinem Auf⸗ 
iin Motive des Neids und der Eiferſucht unterlegt. Das Exrfcheinen der genannten 
Steift und die Weigerung Hardenberg's, die Unterfchrift derfelben, die ihr Berfafler 
wa den Predigern und Lehrern der Stadt und ihres ©ebiet® forderte, zu leiften, gab 
kaum befammtlich das Signal zu einem Kampfe, der zunähft zu Hardenberg's Vertrei⸗ 
wog, fodanı aber in folge des Uebernuths der Sieger zu einem entfcheidenden Rud⸗ 
&lage zu Gunſten der Hardenbergiſchen Partei unter dem edlen Bürgermeifter Daniel 
on Bären dem Jüngeren (wohl nebft dem befannten Gründer Bremerhanense, Smidt, 
en autgezeichnetſten Bürgermeifter und Staatsmann Bremens) führte und endlich den 
Kbergang der Bremifchen Kirche zum xeformirten Belenntni zur Folge hatte, — über 
ehen näheren Berlauf der Artikel „Hardenberg“ nachzuſehen if. Timaun, — ber fid) 
oh unter diefen Händeln von Seiten feiner Gegner den Spottnamen Sbotemelk, 
x dulce, zuzog (ein Beiname, der ihm geblieben und fälſchlich auch wohl als durch 
Bae onmuthige Beredtſamkeit veranlaßter Ehrenname gedeutet ifl), weil ex von Barden, 
ws Erklärungen und Schriften dfter den Ausdrud gebrauchte: „De Melt is nich 
u, — hat ſchon das Ende ber erfien Bhafe des von ihm angefachten Streites nicht 
wir erlebt. Er flarb unter trüben Uhnungen, ſchmerzlich berührt durch das eben vor⸗ 
r von Wittenberg eingegangene Öutachten über das Bekenntniß der Bremer Prediger 
pen Hardenberg, auf einer Bifitationsreife, am welcher ex zufolge einer Einladung bes 
Drıfen Albrecht zu Hoya theilnahm, nad, kurzer Krankheit in ſehr erbaulicher Weiſe 
wit. Sebruar 1557 zu Nienburg und wurde dafelbft am 19. deſſ. Monats beerbigt. 
En dildniß und eine Grabſchrift in Diftichen, die mit dem Zuruf ſchließt: 
„Brema! dole, magno supito spoliats magistro, 
Bis verbo Christi dedita: sperne lupos!” 

Mind auf dem Ehor bei dem Altar in der Kirche zw Nienburg zu fehen fen. Er 

eine zahlreiche Familie. Sein ältefter Sohn, Dittmar Timann, ber ihm ale 
Ihr m St. Martini folgte, gehörte zu den Predigern, die im Jahre 1562 nad) 
ka Siege der dom Büren- Hardenbergifchen Partei mit vielen Rathsgliedern und Bur⸗ 
em freitsillig in's Exil wanderten. 

Außer der farrago hat Timann noch eine Streitfchrift gegen das Interim hinter 
ee mter dem Titel: „Was für große und mantichfaltige Sünde, Unehre und Fahr⸗ 
Miet alle diejenigen, fo das Interim oder Adiaphora annehmen oder einigerlei Weiſe 
Üben, anf fi laden. Solches wird man aus folgenden Artileln zu vernehmen haben, 
wc dohann Amſterdam, Prediger zu Bremen, fleißig zuſammengebracht. Item infon- 
erheit wider die Adiaphora.” 1549. — Bol. Salig, Hiftor. der Augsb. Eonfefflon, 
A, I. ©. 607. Ferner eine Schrift: Wahrhafte Weiffagungen und fürnehmfte Sprüche 
air Magdeburg 1552. Alle drei Schriften gehören zu ben literarifchen Selten» 

m. 


Zu vergleichen ift außer der zum Artilel "Hardenberg" angeführten Literatur: 
Aytraei Saxonia, passim; Salig, Hiftorie der Augsb. Eonfeffion, IL. ©. 715 ff.; 
ham Timann’e Lebensbefchreibung, (Pratje) Altes und Neues aus den Herzogtbä- 
um Bremen ımd Verden, 4. Bd. Stade 1771, ©. 99 ff.; Idcher, Gelehrten 
rn; Rotermund, Bremifches Gelehrten⸗Lexikon; Walte, der Uebergang Bre- 
08 vom Intherifchen zum reformirten Bekenntniß, Zeitſchrift für hiftorifche Theologie, 
1884, Heft 1. S. 3 ff.; endlich: MWahrhaftige und glaubwürdige Hiflorie von dem 

ichen und gottſeligen Abſchied aus dieſem tödtlichen Leben bes erwürdigen Herrn 
Yohameg Timann Amflerdami, Paſtoren der Kirche zu St. Marten zu Bremen, durch 

rm Paulum Neocleflanum, Superintendenten der Grafſchaft Hola und Broeck 

“ud M. Adrianum Andverpienfem Paſtorem treulich befchrieben. Ao. 1557. 8°. 

9. Mallet. 
—X 





276  Zimothens n. Titus, die Briefe Panli an 


Timotheus und Titus, die Briefe Pauli an. Diefe drei pauliniſche 
Briefe, welhe man als Paftoralbriefe zu bezeichnen pflegt, können wegen ihrer Ba 
wandtfchaft in Form und Inhalt wie wegen der Geſchichte ihrer Auffaffung nicht wol 
bon einander getrennt und follen bier deßhalb mit einander behandelt werben. Jen 
Name bezieht fih auf die fie unter den Paulinen farakterifirende Eigenthümliqhlei 
welche aud) ihr befondere® Interefje ausmacht, daß fie nicht wie alle übrigen, mit ni 
nahme des Briefes an Philemon, an ganze Gemeinen, fondern an den benannten einzelu— 
Lehrer und Gehülfen des Paulus gerichtet find, mit der Abficht, diefen in Betreff dx 
Einrihtung und Leitung der ihm anvertrauten Gemeine zu unterweifen. Weber Tim 
theus und Titus vgl. die betreffenden Artikel, mit welchen wir indeß, auch abgefeh 
von der Chronologie der Paftoralbriefe, in einzelnen Bunkten nicht übereinflimmen. 9 
Scheint mir Timotheus nicht aus Lyſtra, fondern aus Derbe zu feyn, da Apoſtg. 20,4 
Acoßuiog xai TiyöFeog zu verbinden ift, und Zitus, wie ſchon Chryfoftomus annahn 
aus Korinth zu ſtammen und mit dem Titus Juſtus Apoftg. 18, 7, twie jet auch co 
Sinait. lieſt, identifch**) zu ſeyn. Die große Bedeutung diefer beiden Perſonlichlein 
erhellt nicht nur aus den ihnen anvertrauten ſchwierigen Mifftonen, fordern rüchſichtli 
des Timotheus auch aus Aeußerungen tie Phil. 2, 19 ff., rückſichtlich des Titus 
*2Ror. 8, 16 ff. Mit Unrecht wird indeß in dem Artik. Timotheus. S. 170. 171 
angenommen, daß die 1Tim. und 2 Tim. außgefprochenen Ermahnungen des Apoſte 
in Betreff feiner Lehre und feines Wandels bei dem Zimotheus entfprechende Mängel u 
jene Zeit vorausfegten, und daß diefer Umftand bei den anderweitigen überaus günfig 
Aeußerungen des Apoftels Über ihm eines der gewichtigfien Bedenken gegen die Aechthe 
ber beiden Timotheusbriefe ſey. Denn da jeder, der fleht, zufehen foll, daß er nid 
falle, und der chriflliche Lehrer vor Allem auch auf ſich felber Acht haben fol, um 
Andere einwirken zu können 1 Tim. 5, 12. 16, fo können derartige Ermahnungen „ 








*) Nur bei diefer Verbindung — „ein Derbäer auch Timotheus“ — erhalten wir einen fir 
lichen Parallelismus der Glieder des Satzes, da dann nicht bloß die Heimath ſämmtlicher & 
gleiter des Paulus angeführt wird, fondern au von Osooalorınzor an die gentilitia fett 2 
drücklich vorangeftellt werben. Unfere Verbindung, nad der Gajus Apgefch. 20, 4. ans Their 
lonich ift, wird auch dadurch beftätigt, daß kurz zuvor Apgefch. 19,29. ebenfalls ein Reifebegri 
des Paulus, Gajus aus Macedonien, und zwar wieder zugleich mit dem Macedonier Antırt. 
erwähnt ift, jo daß beide Gaji gewiß identifh find. Obſchon aber das exet Apgeſch. 16, 1. * 
Lyſtra und nicht auf Derbe zu beziehen feyn wird, fo ift doch Lyſtra bier nicht als die Heimeil 
des Timotheus bezeichnet, fonbern nur als ber Ort, wo Paulus ihn damals getroffen hat, m 
auch Meyer zu Apgeſch. a. a. DO. dem Eonterte gemäß zugibt. Daß aber Paulus, ber ihn dl 
Gehälfen mitnehmen will, das gute Zeugniß der Chriften in Lyſtra und Ikonium, nicht and de 
Chriften in Derbe Über ihn vernimmt, ift begreiflic, da er letzteres bereits paffirt bat und dei 
Lyſtra direlt über Ilonium nad Galatien geht, und kann für Lyftra als Heimathsort des Tins 
theus durchaus nicht entfcheiden, vergl. meine Chron. ©. 25 fi. 

**) Nur bei der obigen Annahme ift ein fo angefehener Gehülfe des Paulus, wie Zitl 
was fonft die Megel ift, auch von Lukas in der Apoftelgefchichte erwähnt. Ferner fpricht für die 
jeibe, daß wir den Titus erſt feit dem korinthiſchen Aufenthalte des Paulus als deſſen Gebälic 
thätig feben (megen des Apollos Zit. 3, 13, vgl. Apgeſch. 18, 24 fi.), und zwar namentlich and 
bei der forintbifchen Gemeine 2Kor. 2, 13, 7, 6 fi. 12, 16 ff., und daß Paulus ihn 2Kor. 5, 
feinen oureoyos an den Korinthern nennt. Die Reife des Paulus nach Ierufalem Gal. 2, 1 f, 
bei welder ihn Titus begleitete, ift erſt mit der Apgefch. 18,22. erwähnten identifch; vgl. d. Ar 
„Galaterbrief“ 8.532 ff. Fälſchlich if aber neulich nach dem Borgange Märder’s von Graf in Her 
denheim's Bierteljahrsfchr. f. engl. Forſchung, 1865, Titus als Borname des Silvanns oder Sile 
gefaßt und jener mit biefem, ber nad Apgejcy.18,5. 2 Kor.1,19. allerdings ein ovrepyos an Mi 
Korinthern war, was 2Kor. 8, 23, von Titus gefagt wird, identiflcirt worden. Daß bie ver 
meintlich ibentifhe Berfon von Paulus 2Kor. 1, 19. Silvanıs und, ohne ihre Identität herwen 
zubeben, bald darauf 2 Kor. 2, 12. 7, 6. 13. 14. 8, 6. 16. 23. 12,18. immer nur Titus genant) 
wird, fol fih daraus erflären, daß der Vorname Zitus vertraulicher fey, und die feierlihen 
Bezeihnung durch Silvanus zwedinäßig in der Addreſſe 1Theſſ. 1,1. 2 Theff. 1, 1. und im In 
fange (l) des Briefs 2 Kor. 1, 19., vergl. dagegen auch Tit.1,4., angewandt werde. Es iſt nid! 
zu verwundern, daß von biefer Identität das ganze kirchliche Alterthum Nichts gewußt hat 








Timsthens u. Titus, die Briefe Pauli an 277 


wh das Borhandenfeyn der betreffenden Mängel bei dem Timotheus erweifen. Das 
Gatheil erhellt auch nicht bloß ‘aus den foufligen günftigen Yeußerungen des Paulus 
Er ihn, welche deßhalb nad) dem Berfafler jened Artikels der Acchtheit der Timothens- 
indie Gefahr drohen follen, fondern and) aus dem Inhalt diefer Briefe felber, 3. B. 
3 1 Tim. 1, 2, wo Timotheus yrroror Törvor dv nloreı heißt, 4, 14—16. 6, 11. 
pIownog vov Ieovr) 9 2 Tim. 1, 2. 5. 14. 3, 10ff., und überhaupt aus feiner da- 
alizen Miffion an die ephefinifche Gemeine. Uebrigens werden aud) an den Titus 
gleich wit dem Lobe Tit. 1, 4 ganz ähnlihe Ermahnungen 2, 7 ff. 15. 3, 9 ge: 
Ötet. 1 Tim. 5, 283 wird aber dem Timotheus gerathen, ein wenig Wein zu trinfen 
wegen feines Magens und feiner häufigen Schwachheiten“, alfo nur aus diäteti- 
hen Gründen, weil ihm das Waffertrinfen*) nicht befam, wicht daß er mit dieſem 
er berderblichen Aſceſe gehuldigt hätte, im welchem Falle es ja an ſich felber hätte 
rägt werden möüflen. In Phrygien wie andy in Epheſus herrfchte dee Dienſt des 
schne und daher leicht übermäßiger Weingenuß (vgl. 1 Tim. 3, 3. 8.), um fo lieber 
shte vielleicht Timotheus, fchon des guten Beispiel wegen, Wafler trinken. Nach 
fen größtentheils die Perfon der Berfaffer betreffenden Bemerkungen wollen wir jetzt 
ihren Briefen übergehen. 

Bas die Aechtheit der Paftoralbriefe betrifft, fo ift diefelbe abgefehen von Marcion 
B einigen anderen Häretifern (f. fpäter) bis auf Schleiermader nur ganz ansnahms- 
ale beftritten. Obgleich Letzterer in feinem Sendfchreiben: Weber deu fogenannten 
Men Brief an Timotheus 1807 diefen Brief mit großem Scharffinn als Eompilation 
8 Nm zweiten Brief an Zimothens und dem Brief an Zitus erwies, fo hatte er 
oh noch die Wechtheit der beiden anderen Briefe zur Baſis feiner Unterfuchung ge- 
net Wegen ihrer großen inneren Verwandiſchaſt ſchienen die Paftoralbriefe das 
dee Schickſal theilen zu müſſen. . Daher fhritt die abfällige Kritik zur Erklärung 
vr Inshtheit aller drei Briefe fort, fo Eichhorn (nah welchem fie aber ein Schüler 
% Imlns gefchrieben hat), Schott (welcher fpeziell Lukas als ihren Verfaſſer bezeicnet), 
* Bette, Credner (aber noch nicht in feiner Einl., fondern in feiner Schrift: das 
Xar Teft. nach Zweck n. f. m. Th. 2. ©. 96 ff), Baur (die ſogenannten Pafloral- 
ie des Ap. Paulus 1835, vgl. der Apoft. Paulus S. 492 ff.), welcher fie befon- 
2 wegen 1Tim. 6,20 gegen Marciouiten gerichtet feyn läßt, und Andere. Auch Man⸗ 
rb (die Jerlehrer der Pafloralbriefe 1859) ift nah S. 20 geneigt, ihre Unädhtheit 
zunehmen. Die Aechtheit aller drei Briefe wurde gegen Schleiermacher von H. Pland 

en über den erſten Brief Pauli au Timotheus 1808 — beachtungswerth 
elonders in fprachlicher Beziehung), Wegfcheidver, Bedhaus, dam von Bug, Guericke, 
höhl, Curtins, Kling, Heydenreich, Mad, ſeit Baur's Schrift von Baumgarten (die 
lehtheit der Baftoralbriefe 1837), Böttger, Matthies, Scharling, Giefeler, Thierfch, 
Kart, Huther, Wiefinger, Ooſterzee, Otto (die geſchichtlichen Verhältniſſe der Pafloral. 
tieſe 1860), dem Unterzeichnetem (Chronol. des apoft. Zeitalterd S. 286 ff.), vgl. auch 
' Urt. „Paulus“, vertreten. Dagegen behauptete nad) dem Vorgange Schleiermadher'& 
Merl (Einl) bloß die Aechtheit des zweiten Briefes an Timotheus und des Briefs an 
Ütet, Peander ift aber nur nicht mit derfelben Juverficht von der Aechtheit des erften 
on Zimotheus wie von der aller übrigen Briefe überzeugt. 
‚ Übgefeen von den Bedenken, welche der Stil umd geringe Zufammenhang fo mie 
ie ganze Simation unſerer Briefe erregen ſollen, glaubt man noch an der Beſchaffenheit 
— — 
5 N vdpoxoreir brancht feine gänzliche und grundſätzliche Entbaltung von Wein auszufagen. 
j can Jemand in einer mweinreiden Gegend, wie Epheinß, befien Bein nach Strabo XIV, 637 
berüßmt war, gewöhnlich Waſſer trinkt, fo wird man ihn einen Waffertrinfer nennen. 
ſelbſt in jenem Halle könnte dem Timotheus in Betreff des Weine nur eine Aſceſe aus 
tn Gründen, wie fie damals (vgl. den Art. „Römerbriefr Bd. XX. ©. 596) viel verbreitet 
and hier dur die befonderen Verhältniffe motivirt war, nicht die 1Tim, 4, 1. beftrittene teuf- 
iihe Aſeeſe beigelegt werden. 


278 Timotheus n. Titus, die Briefe Pauli an 


der Irrlehrer, der borgefchrittenen kirchlichen Organifation und den vorausgeſetzten biogrı 
pbifchen Berhältniffen des Apoftels Anftoß nehmen zu müflen. Wegen bes fpradlid 
Elements und des Zweds und Zufammenhangs der Darftellung, welcher vielfach wege 
ungenauer Exegeſe verkannt ift, ift im Allgemeinen auf Pland’8 erwähnte Schrift m 
die Commentare 3. B. von Mad, Huther und Wiefinger zu vermweifen. Die üru 
der firchlichen Organifation macht beim zweiten Brief an Timothens Feine Schwwierigkeite 
da ſie in diefem gar nicht berührt wird, wohl, weil Timotheus nad; Empfang d 
erften Briefes in diefer Beziehung feiner weiteren Inſtruktionen bedurfte. “Die vora 
gefegten biographifchen Verhältniſſe des Apoſtels find allerdings theilweife aus veun 
teftamentlichen Quellen nicht befannt. Allein mit Recht betont Gieſeler (Kirchengei 
4. Aufl. Br. I. S. 99), daß grade ein Falfarius, um allen Verdacht zu meiden, 
wenigſten von ihm erfonnene Situationen zum runde gelegt haben würde. Es fru 
fih nur, ob die in unferen Briefen erwähnten Ereigniffe in den muthmaßlichen Berlu 
des Lebens Pauli fich wirklich eimreihen laffen, was wir bejahen zu müſſen glanbe 
wobei bemerfenswerth ift, daß grade der nad; feinem Ton und Inhalt das Gepräge I 
Aechtheit am entfchiedenften an ſich tragende zweite Brief an Timotheus in dieſer Hinfd 
noch die meiften Schwierigkeiten bietet. Die Frage nad; den Irrehrern unferer in 
Briefe laffen wir im folgenden der befondern Erörterung der einzelnen Briefe voral 
gehen, weil diefelbe wegen der Identität der letzteren beſſer gemeinfam behanbelt ir 
Mit Recht pflegen die meiflen Gelehrten die mefentliche Identität der Irrlehrt 
in unferen Briefen zu behaupten. Gegen die abweichenden Anfichten von Crebner us 
Thierfch vergl. Mangolda.a.D. ©.21ff., welder aber Tit. 3,10. unter dem aigeros 
fälſchlich feinen chriftlichen Irrlehrer, fondern ein verführtes Gemeineglied verfteht. Wer 
Wiefinger eine allgemein verbreitete ziemlich unfchuldige, afcetifch-judenchriftliche Richten 
für den Brief an Titus annimmt, für die beiden Briefe an Timotheus aber neba 
diefer noch einzelne vorgefchrittene Irrlehrer, wie namentlih Hymenäus 1 Tim. 1, & 
2 Tim. 2, 17., fo hängt dies mit feiner Deutung der yareadoyloı ala jüdifcher Stumm 
bäume 1 Tim. 1,4. Tit. 3, 9. und mit feiner Meinung, daß 1 Tim. 1, 3. 4. ml, 
20, vergl. 4, 1 ff. 6, 3. 20. nicht diefelben Irrlehrer gemeint feyen, zufanmen, teld 
Annahme ſich fchwerlich halten läßt. Die wefentliche Einheit der Irrlehre der has 
Briefe an Timotheus ergibt fi) fchon daraus, daß einer ihrer Hauptrepräfeniste 
Öymenäus*), 1 Tim. 1, 20. 2 Tim. 2, 17. unftreitig diefelbe Berfon ift, die Joch 
der Ierlehrer 1 Tim. und Tit. daraus, daß fie von Geburt Juden 1Tim. 1, 7.235 
Tit. 1, 14 (in Kreta vielleicht nur vorwiegend vgl. uarıora Tit. 1,10) auf dad m 
faifche Gefeg Gewicht legen 1 Tim 1, 7 ff. Tit. 3, 9, ferner auf afcetifche Sagunge, 
Enthaltung von gewiflen Speifen 1Tim. 4, 3. Tit. 1, 14, 15.**), nah 1 Tim. 4,9 
vgl. 2, 15, auch auf Ehelofigkeit, und fich mit yareudoyiuı 1Xim. 1, 4. Tit. 3,9 
wie diefelben auch zu verftehen feyn mögen, befchäftigen. Nach allen drei Briefen nee 
fi) die Irrlehrer mit Mythen (Tit. 1,14. 1Tim. 1, 4. 2 Tim. 4, 4) wie fie leich 
gläubige alte Frauen lieben (1 Tim. 4, 7 youmdes), ab und wegen des Mangeld ca 
gefunder Sittlichleit und ungeheucheltem Glauben 1 Tim. 1, 6. 19. 4, 2. 3. 6, 9 
Tit. 1, 13. 15. 16. 3, 11. 2 Tim. 3, 5. 8. herrfcht bei ihnen eine an leerem, um 
fruchtbarem Geſchwätz und MWortftreitigleiten Gefallen findende; an Fragen feuchtige, 





*) Alerander „der Schmidt 2Tim. 4, 14. ift dagegen von dem Irrlehrer Alegander 1TiM 
1, 20. zu unterfoheiden, da er nicht als Irrlehrer, fondern nur als perfönlicher Widerſacher der 
Apoftels Tarakterifirt wird und gewiß nicht einmal Chriſt war, fondern wohl eben ale Samt! 
und Heide (vgl. Apgefch. 19, 24—28.) bei dem ephefinifchen Aufftande gegen Paulus fi betheiligt 
hatte und dann in Rom wiber ihn zeugen mußte. Vgl. meine Chron. S. 66, 

°*) Daß die hier gemeinten Gebote über rein und unreim nicht zunächſt auf die altteſe 
menilichen Speifegebote bezogen werden bürfen, fieht man ſchon aus ihrer Bezeichnung ab— 
dvrolal ardeuzuv, vgl. Kol, 2, 22., da auch Paulus das Alte Teftament Röm. 3, 21. 7. 1. 
12. 14. 16. 22. 25. ale Offenbarung Gottes, obwohl nicht als vollkommene, @al. 4, 3.9. ga 
2,8. 17. anflebt. 


Timsthens n. Titus, bie Briefe Pauli an 279 


hej md Streitigkeiten führende und darum unerbauliche, mit Hocdhmuth und Gewinn⸗ 
init verbundene 1 Tim. 1, 6. 7. 6, & fi. 6, 20. Tit. 1, 10. 11. 2 Tim. 2, 16. 23. 
ünkltuafiftifche Richtung, welche 1 Tim. 6, 20. deßhalb von Paulus auch als falſch 
amſete „Euofis“ bezeichnet und „der auf Gottfeligfeit gegründeten Lehre oder 
Bokrheit» 1 Tim. 6, 3. Tit. 1, 1 entgegeugefeht wird. Der Ausdrud yrwoıs 1 Tim. 
6, 20. führt leineswegs auf die Erſcheinung des dhrifilichen Gnoſticismus des zweiten 
Rhrhanderts da bereits Paulus ein höheres, dem chriſtlichen Glauben und ber dhrifl- 
ihen Bottesoffenbarung entfprechendes Wiflen ald yruoıs 1Ror.8,1. 12, 8. 13, 2.8. 
krihnet und deshalb die höhere Erkenntniß, deren fich die Irrlehrer rühmten und die fie 
klber ebenfalls Gnoſis genannt zu haben fcheinen, vgl. Offenb. 2, 24., als pfendonyme 
Busfis farakterifiren mußte, weil fie eben kein wahrhaftes Wiſſen war (1 Tim. 6,4. under 
morauevog), fondern Beßriovg xeropwrias enthielt. Durchaus unhaltbar und allge- 
pein, auch, wie es fcheint, von ihm felbft vertworfen ifl die fpezielle Dentung Baur’s, 
plher a. a. O. indem er in den yersdloyias die valentinianifchen Weonenreihen erlennt, 
won der arzıdloss 1 Tim. 6, 20. (dgl. Marcion's antitheses bei Tertull. advers. 
Karc. 1, 19. 4, 1.) insbefondere die WMarcioniten bezeichnet glaubt, gegen welde an 
Mh ſchon fehe kuhne Bermuthung jenen Gelehrten die Wahrnehmung hätte ſchützen 
len, daß die antijüdiſchen Marcioniten doch unmöglich — denn das Tanz nur der 
Emm der betzeffenden Verſe feyn — die Xrefflichleit des mofaifchen Geſetzes hätten 
kiısen 1 Tim. 1, 8. umd fich gern als jüdifche Geſetzeslehrer (vorodıdaozaroı 1 Tim. 
1, 7.) hätten bezeichnen können. Wbgefehen davon, daB man die Irrlehrer der Paſtoral⸗ 
hieſe auch für phartfäifche*) Judaiſten erklärt hat, was am wenigften für ſich hat, fo 
Wet men neuerdings fie für Ouoſtiker oder doch Vorläufer**) der Gnofliter, für 
critimiſirte Kabbaliften (Grotius, Baumgarten), für chriftianifirte Eſſener, 3. V. Weg⸗ 
ee, Mangold, oder Therapeuten (Ritſchl) anzufehen. VBgl. befonders Mangold, 
21d, © 3fj. Nach dem Obigen ift jedenfalls ein afcetifh theofophifcher 
Netens zu verſtehen, der aber noch näher zu beflimmen iſt und den wir, zumal der 
I felber nähere Auffchlüffe gibt, nicht mit dem Namen der ımbeflimmten oder erft 
at Dokumenten überlieferten Kabbala bezeichnen dürfen. Die afcetifchen Enthal- 
ann in Bezug anf die Speife und die Ehe, welche bei den Inden fonft hoch gehalten 
vd, weifen in diefem Zuſammenhange auf heidnifchen Dualismns und eine ungdttliche 
Nuerie, eben dahin der Umfland, daß die Auferfiehung nad) 2 Tim. 2, 18. ſchon ge 
eben ſeyn fol, vgl. auch den Nachdruck, mit welchem die Reinheit ber Speifen 1 Tim- 
4, 3. 4. aus ihrem Gefchaffenfeyn von Gott abgeleitet wird. Aehnlich hing die Afcefe 
ir Kerlehrer in den benarhbarten Stolofjä mit einer trügerifchen Philoſophie zuſammen 
&L 2, 18. 20 ff. vgl. 2, 8. Die Berderblichleit der Gefammtrichtung der Irrlehrer 
a unferen Briefen, incl. der Afcefe erhellt aus 1 Tim. 4, 1. 2., wo ihre Hänpter als 
Vrdoldyor, ihre Erſtaſen als nveivaru navy und ihre Lehre als didaoxarlar 
Inyovicr taratterifirt werden, ferner aus 1 Tim. 1,3ff. 18. 6, 3. 6, 20. 21. 2 Tim. 
3, 17.3, 8. Tit. 1,10 ff. 3, 9 ff., wo ihnen ein Erepodıdaoxadeiv beigelegt iſt und 
fe roommmichet werden. Im dem nvevuura 1 Tim. 4, 1. dgl. 1Kor. 14, 12. 32. 
— — 

*) Venn dagegen Otto a, a. O. S. 180. Anhänger ber „pharifäifhen Gnoſis« verſteht 
m Philo zum ürchivar und Vertreter dieſer Richtung macht, fo iſt die nähere Beſtimmung 
dieſer Gnoſis ale pharifäiich ſchwerlich zu billigen; über die Phariſäer, ſofern fie von Zofephne 
A den Stoifern zuſammengeſtellt werben, vgl. Schnedenburger, neuteſt. geitgeih. ©. 133 fi. 

“) Hug, Eint. II. ©. 304 fi., verftebt, wie in den Briefen an bie Koloffer, Anhänger ber 

nofen und Epheins beſonders gefeierten, unter Juden und Heiden verbreiteten chaldäi⸗ 
* oder magiſchen Weisheit, aus deren Miſchung mit griechiſchen Elementen ſpäter der Neu- 
inoninnu und Gnoſticiomus hervorgegangen ſeyen. Aehnlich Heydenreich und Kling. Nean- 

ı Weiher die Irrlehrer der Paftoralbriefe, mit Ausnahme des Titnebriefes, wo er pharifäifche 

deiſten verſteht, urſprünglich von Cerinthianern deutete, will, da Cerinth fein Zeitgenoſſe des 
Ver war, jegt nur noch eine ihm verwandte Ridtung annehmen, bie Anfänge einer ju- 

enden Gnofis, Apoflol. Zeitalter, 5te Aufl. ©. 396. 414. 


280 Timothens u. Titus, bie Briefe Pauli an 


1Joh. 4, 1. 3. wird ihr enthuflaftifcher Karakter angedeutet, welcher nad) Kol. 2, 18, 
auch den Philofophen in Koloffä zulommt. Anch meifen die dem Timotheus und Titus 
unftreitig als befannt vorausgefegten yersadoylaı 1 Tim. 1, 4. Tit. 3, 9., melde m 
die Yonoxela av ayydıov Kol. 2, 18. erinnern, in diefem Zufammenhange auf 
Emonationen, genauer auf Geburten höherer Geifter Hin. Diefe Geburtsregifte 
heißen endlos (ànmépurrot 1%Xim. a. a. D.), weil fie eine außerordentlich große ot 
gradezu endlofe Zahl folher von den höchſten Prinzipien in ſtufenweiſer Folge abftan 
menden Geifter annehmen, wie denn auch die Juden Myriaden von Myriaden End 
erwähnen. Obwohl Schleiermacher und Neander bei yereuloyioı Tit. a. a. O. = 
judiſche Gefchlechtsregifter denfen, auf deren Genauigkeit die Juden zum Erweiſe ihm 
reinen Abflammung großes Gewicht legten, fo verftehen doch aud; fie 1 Tim. a. ad 
folhe Emanationsreihen höherer Geifter, während Wiefinger an beiden Stellen a 
jüdifhe Stammbäume gedacht wiſſen will. Allerdings wird jede8 Mal derfelbe Im 
thum gemeint feyn, aber ſchwerlich ein verhältnißmäßig fo unfchuldiger wie die Ve— 
ſchäftigung mit jüdifhen Stammbäumen, zumal diefe bei dem vorwiegend heiden 
hriftlichen Theil der betreffenden Gemeine gar nichts Verführerifches haben komte 
MWiefinger beruft ſich mie Schleiermaher für das relativ Unfchuldige der yaredoyıal 
auf Tit. 3, 9, wo fie bloß als avwgpersis bezeichnet würden. Allein das elcı yap 
arwpehktis u. ſ. w. begründet nur die Ermahnung rüdfichtlih der Zosıs xal uaya 
vonixcd, nicht auch rüdfichtlich der yerendoyiaı, welche ja auch keine Thätigkeit an 
fagen, nicht durch „genealogiſche Unterſuchungen“, fondern wie gewöhnlich, dudi 
„Beburtsregifter" wiederzugeben find; fonft müßte e8 ja auch die Ermahnung rädfidt 
lid der uwpai Iyrrjoeıg begründen, was fchon deßhalb nicht möglich iſt, da das ups 
mit dem begründenden ürwmpeleis xul ucrasoı weſentlich zuſammenfallen würde & 
gehören vielmehr die uwpui Inrnosis (vgl. 2 Tim. 2, 23.) und yereadoylaı und cha 
wieder die Zosıs umd gay vorixal enger mit einander zufammen, fo daß zu überlegen 
if: „Mit thörichten Tragen und Genealogien und mit Zänfereien (namentlich aud) ie 
diefe Genealogien) und da8 Geſetz betreffenden Kämpfen gib dich nicht ab, dm 
(die Zänkereien und Kämpfe mit den Irrlehrern) find unnüg und eitel (mie aus 3, 
10 und 11 erhellt, wegen ihrer Unverbefferlichkeit). Abfichtlic; werben die Cru, 
mit denen Titus fich nicht abgeben fol, noch als zewouf bezeichnet, weil aud) ber Oi 
fragen und forfchen fol und Paulus eine chriftliche Gnoſis anerkennt, währen de 
yevearoylas der Irrlehrer für den Titus feines weitern tadelnden Prädikats bedärie, 
weßhalb fie gemieden werden follen. Wir haben hier alfo eine zweifache Ermahnm 
an den Titus: er fol fid) vor den thörichten Unterfuchungen und den Genealogien ta 
Irrlehrer in Acht nehmen (ebenfo 1 Tim. 4, 7. 6, 4. 5. 20. 2Tim. 2, 16. 23.) un 
fol ferner auf Streitigfeiten mit ihnen fich nicht einlaffen, weil diefe doch bergebiil 
find. Die zweite näher begründete Ermahnung rüdfichtlich feines Verhaltens zu da 
Irrlehrern wird V. 10 und 11 weiter fortgefegt: Einen ſektireriſchen Menſchen nt 
den, welcher die V. 9. angedeuteten Lehren verfündigt) meide nad) einer und em 
zweiten Ermahnung wiſſend, daß ein folder verdreht ift und fündigt, obmohl er in ite 
felber verdammt wird (dgl. 1Tim. 4, 2. Tit. 1, 15. 16.); aus bdiefen Worten erbell 
zugleich die Gefährlichkeit der betreffenden Irrlehre, denn was kann von einem Irriehtet 
Schlimmeres gefagt werden ald das E&forpentun.f.w.? Auch fcheint der Begriff dl 
aigerixög OrIgwnog bei Paulus erft da einzutreten, two da8 Erepodıdaunzaltir, NE 
Verkündigung einer fremdartigen, grundflürzenden Lehre 1 Tim. 1, 3. 6, 3. Gal 1,61 
1Kor. 3, 10 ff. 2 Kor. 11, 4. ſich zeigt. Noch leichter erhellt die Unhaltbarkeit de 
Anſicht von Dr. Wieſinger aus 1Tim. 1, 4; denn da wird ja das Erepodıdamad 
d. h. die Thätigkeit eines Eregodıdsoxorog oder eines, ber fremdartige grumbftürgen®t 
Tehre treibt, durch das Halten auf Mythen und Genealogien erempflificirt, berg! 
6, 3 und 20. Solche Irrlehrer waren Hymnäus und Ulerander, die er deßhalb I 
feinem Weggange von Ephefus 1 Tim. 1, 20 ercommuniciet hatte, In dem air# 








Timethens u. Titus, bie Briefe Pauli an 281 


Imes nuplyovor uärdor n. f. w. wird nun noch als die Wurzel ihres verkehrten 
Beoisshifchen Treibens ihre nicht mit der chriſtlich fittlichen zilorss zufommenhangende, 
enkeitig intelleftnaliftifche Richtung (vgl.1 Tim. 6, 4) hervorgehoben. Sie achten auf Mythen 
a Oenenlogien, als welche „Streitfragen“ gewähren und nicht einen Haushalt Gottes, 
rie er im Glauben gegründet iſt (uällor 7 wie 2 Tim. 3, 4. Apſtg. 27, 11.); aljo 
bmt es ihnen auf Streitfragen an und nicht auf ein reelles Wiffen, defien Inhalt 
ber Haushalt Gottes iſt, wie er mit dem Glauben zuſammenſtimmt. Einige, welche 
ke Irrlehre der Paſtoralbriefe fpectell mit der alerandrinifchen Religionsphilofophie bei 
Bhilo combiniren, wollen den terminus yersaloylaı aus deſſen Schriften erflären (Dähne, 
Mangold a. a. D. 90ff.), indem fle an Phil. de vit. Mosis II. $ 8 (ed. Mang. II. 
141) erinnern, wo der Pentateuch in einen geſetzlichen und hiftorifchen*) Theil und ber 
estere wieder in die xoouonorfa und einen genealogifchen Theil (Loos yerealoyudr) 
erlegt werde, der genealogifche Theil (die hiftorifchen Stüde des Pentateuch mit Aus⸗ 
uuhme der Kosmologie, alfo pars pro toto), aber (mittelſt allegorifcher Auslegung) Aus⸗ 
agen über ethiſche Verhältnifie enthalten fol. Berficht mau nun, bie fpezielle Be» 
ichnug zu Philo's Schriften felbf zugegeben, umter yerealoylcı jene in fingulärer 
Beife vom ihm als yerenloyıxor bezeichneten hiflorifchen Stüde des Bentateuch, fo fieht 
non wicht ein, abgefehen davon, daß der dee Spekulation befonders wichtige Abſchnitt 
on ber Weltſchoöpfung ausgefchloffen wird, wie die yerealoylas hätten ankoavro: heißen 
md die Beihäftigung mit diefem Theile der heiligen Schrift, zu welchem z. BV. die 
un ihm felber viel citirten dem Abraham und feinem Samen gegebenen Verheißungen 
ghören, von Paulus hätte unterfagt werden koönnen. Verſteht man unter jenem Aus⸗ 
nut aber die allegorifchen Auslegumgen und Ergebniffe jener hiftorifhen Wbfchnitte im 
Sue des Suftems, fo find diefe bei Philo niemals als yersaloylar oder ähnlich, be⸗ 
wis. Gegen diefe Deutung fpricht auch der Umſtand, daß die 1 Tim. 1, 4. daneben 
nähen seudos als Veftandtheile des Pentatend von Philo dfter ausdrücklich 3. 2. 
de opific. mundi $. 1 (ed. Mang. I. 1). zurüdgemwiefen werden und von jedem Juden, 
Bilder, wie auch unfere Irrlehrer**), nach 1 Tim. 1,7. zu dem’»duog im befreundeten 
derhaͤltnifſe fland, zurückgewieſen werden mußten. Wie die uöFor, fo find die yarca- 
lorta wicht al® bei den Irrlehrern üblicher technifcher Ausdrud, fondern beide termini 
ind als Bezeichnungen ihrer Irrlehren durch den Apoftel zu verfichen. MüöIos heißen 
ei den riechen jener Zeit die Gdtter- und Heldengefhichten vom Chaos und den 
Infängen der Welt bis zu der Ruckkehr der Herafliden (vgl. auch die Mythenforfcher, 
edoAdyor Baruch 3, 23 und dazu den Comm. von Fritzſche, ferner Joseph. antig. 
rem. $ 3 und 4) und mit bdiefen zöFos werden bei ihnen wie bei dem Mpoflel 
veur.oylaı und zivar fo verbunden, daß beide Ausdrücke wefentlich gleichen Sinn 
ıden, inſofern die Geburtsgeſchichten der Götter und Helden (Halbgdtter) jedenfalls 
sen Hauptbeftandtheil *%*) der Mythen bildeten. Die Verwandtſchaft beider Ausdrüde 


*%) Forir od» tod loropınot 16 u» aepl rüs roõ noonov yav&dans, ro de yevaaloyınorv' 
r dr yerealoyıxod 10 uE» nepl nolacens doefor, 1ö d4 ad nepl rıufs dıxalar. 

**) Sie ſuchten ihre theoſophiſchen Säge umftreitig wie Philo und andere philoſophirende 
aden durch allegoriſche Auslegung der Schrift zu fügen, ähnlich wie das auch die griechiſchen 
diloſophen mit den Schriften des Homer, Heſiod und Orphens machten. 

»**) Unter ben bon Dtto a. a. D. ©. 131 für dieſen klafſiſchen Sprachgebrauch ber uvdFoı 
ad yerealoyiar angeführten Beweisftellen, Polyb. hist. IX, 2. (xsp} ras yerealoyias xal 
'dors) Ann. Comnutus zepl Qioens Fedv (cd,Osann) p.80, und Menander in Rhetor. graec. 
L Walz, 1836, Vol. IX. p. 143 sqq., ift die zuletzt genannte beſonders intereffant, fofern hier 
18 Berhältniß der zudıxoi und yersaloyıxor, der uödoı und yersaloylar zu einander befprochen 
ird und Menander zu denen gehört, welche noch eine Differenz ber verwandten Begriffe be- 
mpien, wenn erfagt: d£ns ar ein nepl 1» uudınörv elnelv, oüs drıoı u&v zoUs adroög eivaı 
uixovar vols yarsaloyınois, Evioı dd oUy ovrws slvar vonilova. Ol ner ya voulkorres 
vöer dapegeıw nal ıas yerealoylas uudovs elval gaaır, olor, ei Bowle, öoaya "Axov- 
iisors xal Hododos xal Opgsts Er rais Feoyoviars eionxacır, eiol uev yap ysrsaloyızal 
va, oßdev BE ñtior uudızal m. |. w. Das blofe yercaloyiaı im Zufammenhange mit 


282 Timothens n. Titns, bie Briefe Banli an 


auch bei Paulus erhellt daraus, daß fie zur Bezeichnung der theofophifchen Grundlehre 
der falfchbenannten Gnofis neben einander 1 Tim. 1, 4. geſetzt werden oder mit em 
ander wechſeln Lit. 3,9. vgl. Fit. 1,14 (wo die ZvroAal ardodsnwv die praltifäe 
Sonfequenzen der uöFoı namentlich über rein und ımrein V. 15 ff. vgl. 1 Tim. 4,2f 
enthalten), oder daß der allgemeinere Begriff uöFoı die yerandoyiaı unter ſich befofl 
1Xim. 4, 7. 2 Tim. 4, 4.*%) Im Munde des Monotheiften Paulus enthält die Be 
zeichnung der betreffenden Irrlehren als nöFoı und yercaroylau, alfo als im Grmk 
heidnifche Mythologie einen befonders ſtarken Vorwurf (vgl. die Prädilate der nice 
1Tim. 4, 7. und die didioxaalaı daımovlov 1Xim. 4, 1.), welchen fie bei ka 
Hellenen felber natürlich nicht ausprüdt. Die paulinifhe Bezeichnung der Irrlehren 4 
fehr pafjend, da der, wie wir gefehen haben, in ihnen herrfchende Dualismus da 
Prinzipien Gott und die Materie und die allmälich fich abflufenden Zeugungen ve 
mittelnder göttlicher Weſen twefentlich heibnifch find und den wahren Schöpfungäbege 
vermiſſen laſſen, infonderheit auch die legteren an die Götter » Genealogien der Ha 
augenfällig erinnern. Die Irrlehren heißen Tit. 1, 14. Iovdaixor uuFo, d. i. (hi 
nifche) Mythen, die aber auf das Gebiet des Iudenthums verpflangt ımd ohne 
fie ihren eigentlichen Grundkarakter verloren haben (vgl. die Benugung der griehif 
Philofophie bei Philo), doc eigenthümlih jüdiſch modifleirt wurden. Daß die ji 
fhen Theofophen nicht bloß müythologifche Anfhauungen und Philofopheme aus ber hei 
nischen Welt annahmen und umbildeten, fondern fogar mythologifche Werte der Heida 
im Geifte ihrer Anficht auslegten und umgeftalteten, fehen wir aus dem Beiſpiel dei 
der erjten Hälfte des zweiten Yahrhunderts vor Ehriftus lebenden alerandrinifchen Jura 
Ariſtobulus, welcher die orphifchen Gedichte**) gefälfcht hat. Wenn mehrere Län, 
welchen Baur gefolgt ift, bei den yerenroylaı an die Yeonenreihen des valentinionifde 
Syſtems gedacht haben, welche Paulus geweiffagt haben fol, fo haben fie fih mr a 
ihrer fpeziellen Deutung geirrt, nicht darin, daß darunter Generationen abgeftufter bihm 
©eifter zu verftehen feyen. Daß die Onoflifer des 2. Yahrhunderts ihre Aeonenreihn 
nicht yereodoylaı genannt haben, hat Mangold a. a. D. ©. 72 ff., fo weit die Dude 
vorliegen, überzeugend dargethan. Wir haben oben gezeigt, daß diefer Ausdrud ie 
haupt fein terminus der befämpften Irrlehre ift und feyn kann. Otto a. uf 
©. 132 hat zwar richtig erkannt, daß die uuFos und yercaroylas die don Pauli 
tadelnden Karakteriftil der Irrlehrer gebrauchte bekannte hellenifche WBezeichmung W; 
mythologifchen Glaubens fey. Er irrt unferes Erachtens aber darin, daß Paulus durd j® 










uödo: fteht hier und an vielen anderen Stellen, 3. B. Polyb. IX, 2., wie fonft auch yersanit 
rous deovs, . B. Just. ad Graec. cohort. p. 4.; die von Menander bezeichneten Ehen 
find genealogifh und mythiſch. Nah Otto foll auch Paulus zu denen gehören, melde die A 

dride uödor und yerealoyiar in ganz gleihem Sinne gebrauchen, wozu aber der Tezt 1Tm 
1, 4, wo file neben einander erwähnt find, nicht berechtigt. Webrigens denkt auch Chryſoſteen 
beſſen Auslegung wir fonft nicht billigen, zu 1Tim. 1, 4. (ebenſo Theophyl. und Delam.) 

obigen Sprachgebraudg, wenn er fagt: olkar de xal "Ellnmvas arıöv (Paulus) erraüda av" 
zeodaı, Örav Akyn uvdovs xal yerealoyias, ds roüs Heovs alrmv xaraleyörrar. 

*) Man Tann zweifeln, ob die uo9o 2 Tim. 4, 4. nicht den allgemeineren Sinn „Balls 
„Mährchen“ haben. Indeß wegen der Einheit der Terminologie und da auch 7 dAndeia nit ® 
abftrate, fondern die concrete, hriftlihe Wahrheit bezeichnet und 48904 ben Artikel hat, ſo 
letztere vermutlich in bem oben angegebenen engeren technifcyen Sinne zu faffen. Es hat Par 
baum die fpätere Herrſchaft ſolcher mythologiſchen Gebilde, wie fie innerhalb des Chriftent 
in den befannten gnoftifchen Syſtemen in freilich noch entwidelterer Geftalt fidy zeigten, derbe 
gejehen, was nicht Wunder nehmen kann, da er defien Vorläufer bereits jelber befämpite [peral 
auch die wahrſcheinlich gnoftifirenden (vevogesucroı) Mythen 2 Betr. 1, 16., welcher Brief 
anderen Spuren zwar nicht ächt zu ſeyn, aber doch noch dem letten Viertel bes erſten I 
hunderts anzugebören ſcheint, ferner die aus Baruch, Philo und Joſephus, alſo aus faf gl 
zeitigen monotheiftifch » jüdifhen Schriftfiellern über wöro: vder undoloyia oben angefüb 
Stellen, welde für die engere Bedeutung „Göttergeſchichten“ zeugen]. n 

**) Bol. in der Kürze Ueberweg, Geſchichte der Philoſ. der vorchriſti. Zeit, 8. 64, al 
Beiipiele unten. 














Timothens u. Titus, bie Briefe Pauli am 283 


Bar vie Berlehrtheit ihrer Schrift behandlung ins Licht habe fegen wollen; der »drcog, 
ve Ihlınden des Judenthums jenen umter ihren Händen den uuFoss umd yersaloylaus 
ve Heiden gleich geworden. Wo flieht aber 1 Tim. 1, 4. Etwas vom dus? — 
In, die erepodidaoxaktuı der zur; felber werden dort als uüsos und Yersaloylaı 
ircherifirt. Auch iſt don Otto nicht näher erdrtert, vielleicht um die @enerationen 
ertelnder höherer Geifter den Irrlehrern nicht beilegen zu möüflen, was in ihrem 
Exfeme insbefondere der Bezeichnung als yereadoyiaı entſprach und diefe hervorrief. — 
4 Moment der Irrlehre ift endlich noch das magiſche oder goetifche Element zu er- 
nähen, was befonderd Hug a. a. D, (vgl. S.279 Note**), aber zu einfeitig hervor- 
gehen hat, indem er die ganze Richtung weſentlich als Chaldäismus auſah. Mit 
ger exthufiaftifch - muftifchen Richtung verband fi in Kleinaſien, der Geimath des 
Cain der Enbele und des Montanismus, ſchon leicht das magiſch⸗ goetiſche Element, 
Ih wird dies 2 Tim. 3, 13. (yonres) auch noch ausdrüdlich gefagt, ferner 2 Tim. 3, 
k, wo die damaligen Irrlehrer mit den Goeten*) Jannes und Jambres, von denen ein 
gerberbuch exiftirte, verglichen werden; wenn fie nach 3, 7. namentlich die von man- 
deli Begierden bewegten Weiblein, wie fpdttifch gefagt wird, fangen, fo weiſet das 
ui die ſcheinheilige Eharlatanerie diefer Thaumaturgen hin. Auf Leute diefer Art 
weil and die Geldgier, nach welcher fie meinten, daß die Frömmigkeit ein „Betverbe“ 
Mh, und vom Glauben abfielen, 1 Tim. 6, 5. 10; vgl. 1Tim. 4, 8.9) (wpiluos), 
im 3, 2. Tit. 1, 11. 12. Wie folhe Goeten, die zu ihren Künften auch wohl 
Ya Nomen Ehrifti gebrauchten, Apgeſch. 19, 13., wie fonft jüdifch-falomonifche For⸗ 
ud, Joseph. Antt. 8, 2. 5., oder die Zgeola yoaunara (vgl. auch einen jübifchen 
Rigier in Cypern, Apgefch. 13, 6), ans eigennügigem Intereffe, um noch größere Wunder 
verdte zu Mönnen, leicht Chriften werden konnten, fehen wie an dem Beifpiele des 
Yıraı Simon, Apgeſch. 8,9. 13. 18ff. Daß bei diefer mythologifchen Haltung des 
Seas euch keine gefunde Ehriftologie möglich war, liegt in der Natur der Sache; doch 
Ami, auf Grund folher Stellen wie 1Tim. 1, 20. (Aaogpzueiv, als deſſen 
Men wie 1, 13. Chriſtus zw verftehen iſt), 2, 5. 3, 16. 2Tim. 2, 7. Näheres fefls 
ale, als daß fie die volle Menſchwerdung des wahrhaftigen Sohnes Gottes ge⸗ 
inne haben müflen. 

daeſſen wir alle erwähnten Elemente her Irrlehre zufammen, fo fcheint biefelbe aus 
een jädifch modificirten, mit mogifchen Elementen verfegten Neupytbago- 
imus entflanden zu feyn, wie derfelbe unter den Juden Kleinafiens und 


*) Beachtungswerth ifl, daß auch der fyrifhe Neupytbagoreer Numenius bie Gefchichte 
kat Goeten, deren Namen die Sage auf Anlaß von 2Mof. 7, 11 ff. berichtete, erwähnt bat 
MS Origen, adv. Cels. 4, 51. Euseb. praep. evang. 9, 8. Im Uebrigen vgl. über jene Goeten 
Sktfein und Mad zu Tit. 3,8. Da fie im Wettlampfe mit Moſe unterliegen, fo pafit ihre Ge⸗ 

e ſowohl ben pytbagoreifirenden jndenchriſtlichen Irrlehrern unferes Briefs wie dem neben 

‚teligiöfen Weisheit der Brachmanen, Magier, Aegypter namentlich auch das Judenthum 
krödfihtigenden und ben Mofes [PBlato nennt er den attifch redenden Mofes] fehr hochhaltenden 

enins beſonders gut; Über Letztern vgl. Diöller, Gefch. der Kosmologie S. 91ff. Nach Plin. 
ist. nat. 30, 1. behauptete eine Baltion der Magier von Mofes und Iammes abzubängen: 
In et alia Magices factio a Mose et Jamno et Jochabele Judaeis pendens. Rad Drigenes 
R Matt. 27 fi. gab es eine apokryphiſche Schrift Über Jannes und Jambres (vergl. auch den 
kritet "Blendepigraphen bes 9. Teſt.“ S. 318). Ob aber biefe auch zu ben Apgefch, 19,19. er⸗ 

aten, jedenfalls ähnlichen magiſchen Schriften (Aißlor), welche damals in Epheſus verbrannt 
ritten, gehörte, läßt ſich nicht mehr feſtſtellen. 

) Die omyarınn yuuvaola, welche für lurze Zeit (für die Zeit bes irdiſchen Lebens) Ge⸗ 
"an bringt, pflegt man nad dem Zufammenhange mit Recht auf bie Irriehre zu beziehen, 
W von den auch 1Tim. 4, 3. erwähnten Kafleiungen des Leibes, gl. Kol. 2, 23. zu deuten. 
tenfalß find wegen des apelıuos aber wohl ſolche Kafteiungen des Leibes, welche zu ben ge- 
innteihen Werken ber Thaumaturgie gefhidt machten (vgl. Diogen. Laert. 1, 7.), ein» 
fen, Indeß auch von ber leiblichen Eymnaſtik erflärt, paßt fie zu pythagoreiſtrenden Irr⸗ 
a da Pythagoras auf dieſe großes Gewicht gelegt hat; vergl. Zeller, Bhilof. der Griechen. 
19.2. 8. L ©. 230. 


284 Timothens n. Titus, die Briefe Panli an 


Kreta’s fih damals ausgebildet hatte. Der Neupythagoreismus unterfcheidet ſich dor 
ber Lehre der älteren Pythagoreer befanntlich durch eine entfchiedenere Aufnahme de 
orientalifchen Denkweife, und diefe mußte fich in Kleinaſien, wo die griechifche Spehe 
Iation feit der altionifchen Philofophie fortwährend blühte und fich zugleich mit den 
Orient, namentlich dem Parfismus, nahe berührte, wo auch gerade damals nod*), .8 
in Pergamum wit feiner Bibliothek (die erfl von Antonius an die Kleopatra geſchenl 
ward, dgl. indeß auch Strabo 13, 624), und in Tarfus mit feinen Inftituten meit be 
rühmte Sige der Wiffenfchaft eriftirten, und zivar gerade auch in Ephefus, der Bit 
ftadt des nad; Clemens Al. Strom. 6, 752 (ed. Potter), und fonft zu den Orphila 
gezählten Heraklit mit feinem weltberühmten griechifch-orientalifchen Artemisdienfte, beim 
ders leicht vollgiehen. Dex griechifch » orientalifche Karakter der ephefinifchen Arteni 
die nad) Strabo in dem urfprünglich Tarifchen Ephefus fchon vor der ionifchen is 
wanderung verehrt ward, und ihr Zufammenfallen mit der großen Mutter, der Ertl 
wird auch von Preller, Griech. Mythologie (2. Ausg.) Bd. L 243 ff. hervorgehobe 
und erhellt fofort aus ihrem Apſtg. 19, 37. erwähnten uralten Bilde mit ben vie 
Drüften. Die Priefter der Artemis, die Kureten oder Korybanten, haben nad; Panfanis 
8, 3. 1. den unftreitig femitifchen Namen os ’Eoonves, was, wie das ’Eoonvor bei ) 
ſephus don &dde, wahrfcheinlic fo viel wie Aerzte, Feoanevru bezeichnete, ohne M 
dadurch ein weiterer Zufammenhang zwifchen diefen heidnifchen Prieftern und den pall 
finenfifchen Efjenern beiviefen wird, als daß beide auf die heilende Pflege des Leibt 
und der Seele Gewicht legen umd diefe durch jene zu fördern fuchen. Für dieſe kn 
mologie fpricht auch, daß die Kureten oder Korubanten auch als twunderthätige Ar 
gedacht werden, Afllepios als Diener des Dionyfos und der Artemis exfcheint ind 
halb auch der Wunderthäter Apollonius von Tyana im Aftlepieum zu Wegä, Philo 
vit. Apollon. I, 7. u. 12. ausgebildet wird] und die Artemis nach Strabo 14, 60 
ihren Namen dom Gefundmachen (dpreudus noiv) haben fol. Wenn die Ericte 
Evonv duch „König“ und zwar „Bienenkönig“ erflären (f. Paſſow und bejonket 
H. Stephan. Thes. Tom. V. unter 2oorv), fo muß man fid erinnern, daß die ar 
bifhe Wurzel des Wortes „heilen“, aber au) „ordnen“, das nomen daher 9 
Arzt oder auch einen Ordner, VBorfteher bezeichnet und die Priefterinnen der Art 
myiyſtiſch udrcon (Bienen), ihre Vorfteher aber ueiraoovduo. heifen. U’ 
orgiaftifh orientalifchen Karakter der Priefter der epheflfchen Artemis, melde Tr 
motheus von Milet in feinem bei der Einweihung des bon Heroſtratos zerflörten Ta 
pel® verfaßten Gedichte (vgl. Preller a. a. D.) uuwadu Fvadu goıßada Iracak 
genannt hat, fällt ein neues Ficht, wenn Strabo, welcher Ephefus felber beſuchte, R 
641 erzählt, daß jene, die vorher von ihm auch al Kureten bezeichnet find, wit 

Galli der Cybele Verfchnittene waren, welche Megabyzen (eyıoräres), d. h. 9: 
gier (vgl. den Art. „Magier Bd. VIII. S. 678) hießen, und daß man, weil mi 
fie andersmwoher holte, immer einige diefer „zoooruoi«“ würdige hatte, mit : 


aber jungfräuliche Priefterinnen (nuoFEvo) den Dienft verfahen, wobei er hinn 
daß zu feiner Zeit von. den Tempelgeſetzen nicht Alles gleihmäßig beobadtet war 


*) Bol. 8. 5. Hermann, Eulturgefchichte der Griechen und Römer, Bd. I. ©. 231. Ba 
Pergamum Offenb. 2, 13. Thron Satans heißt, fo ift es dadurch gewiß nicht bloß ale rin &i 
der antihriftfichen Verfolgung (vgl. den Art. „Bergamume), fondern auch als ein Hauptit 
antichriftlichen Weisheit, welche unftreitig ein Hauptgrund für die dortige Verfolgung ber Ch 
war, fo wie ber bort gerade nm ſich greifenden gnoftifirenden nikolaitiſchen Irrlehre bezeit 
Vieber Tarfus vergl. den betreffenden Artikel und Strabo 14, 672 fj., wo es heißt: Tooer!" 
zois Erdade onovön xoos ıe Qilocoplar xal ı77 allnr naderar Eynunlıor draocar ya 
so" vrepfifinrrar nal 'Admras xai "ddefaröueiar xal ei rıva allor tòonor Övrarör et.‘ 
u oyolal xal drargıfal Yrlooogwr yeyoranı. apepeı dE roo0Vror, ön drrauda ver 01 8 
nadoüvres Erızoupeiı narıes eloi, £iror d' ovn Erıdruovoı dadins - oUd' adrol ovro um!“ 
acrödı, alla xal zelsioürraı Exönunoarres nal telsımderres fevırevovow ndsos, za m 
8’ oliyoı. 


Timstheus u. Titus, die Briefe Bauli au 285 


Gin im 6. Jahrhundert vor Chriſtus waren der Fretifche Zeuscultus, die Balchiſche 
Ybzen (der Dienft des Dionyſos Zagrene) und der vorderaflatifche Cybeledienſt, die 
ade des Gottes, der zunächſt nur phyſiſch gedachten fchaffenden Naturkraft, eine 
wiringliche Berwandtſchaft hatten, in Kleinaflen wie in dem von gleicher Bevölkernng 
ohnten Kreta (|. Höd, Kreta III. 321. Preller a. a. O. I, 102 ff. 502 ff. 515 ff. 
Etabo 10, 466—474) zufammengeflofien. Wie der eine religiös fittlihe Richtung 
veslgende Samier Pythagoras an die muflifche Seite der überlieferten religidfen Weis, 
bei fih anfhloß, fo folgten ihm darin feine Anhänger, da ſchon die älteren Pytha⸗ 
jereer, nachdem der bon ihrem Meiſter geftiftete politifhe Bund zerflört war, ſich mit 
vn feparatiftifchen, auf eine gewiſſe Theokraſie des Volksglaubens ausgehenden Orphi⸗ 
kra, von biefen Manches annehnend, wie namentlich Höd, Kreta III. S. 195 ff. aus⸗ 
Velich darthut, zu orgiaſtiſchen Myſterien zufammenfchlofien, deren Mittelpunkt der 
priſſene Dionyſos, Attis oder wie man ihn ſonſt nennen mochte (Hippolyt. refut. 
ers. 5, 9) oder die Idee des aus dem Tode nen erſtehenden Lebens bildete und 
de mit überall wohl nicht ganz gleichen afcetifchen Uebungen und fgmbolifchen Brän- 
namentlich aber mit der Enthaltung von Fleiſchſpeiſen und von biutigen Opfern 
hmden waren. Weber die Orphiker und ihre Titteratur vergl. im Allgemeinen Preller 
„Orpheus“ in Pauly’s Real. Enchlflopädie Schon Herodot bezeichnet 2,81. die 
ac auddrũcklich als Balchiſch und Pothagoreifh. Hieraus erllärt es fi, wenn 
ignte, eine Schülerin oder felbft Tochter des Pythagoras, ein orphifirendes Gedicht 
Bayıı ſchrieb und die Schrift des Pythagoreers Philolans, eines Zeitgenofien des 
otrate, welcher bie puthagoreifche Lehre zuerſt fchriftlich darftellte, den Nanıen Baxyuı 
Brt. An den Hauptfigen der batdhifhen Religion gab es aber immer den im ur- 
Weisühen Cult zunächft phnftfch gedachten Hergang als höheres, mehr oder Weniger 
Cs Symbol faflende orphiſche Mufterien, und damit auch puthagoreifhe Orphiker, 
ve ui iicht bloß don Kreta (Höd, Kreta II. S. 255 ff. 284 fi. 320 ff.), fondern 
ai tn Ephefus, einem Haupiſitze der erfteren (Preller, griech. Myth. I, 511ff. 516. 
Ei 10, 468. 469. 474. 14, 640) ausdrücklich überliefert wird. Wir erinnern 
au noh an ein von Porphurius (de abstinent. 4, 19.) aufbewahrtes Fragment 
N Coipides aus defien »Sretern“, in welchem er den Chor der kretiſchen Priefter des 
Jel fo reden Läfit: „Ich führe ein fchuldlofes (ayrov) Neben, feit ich des Iddiſchen 
ja Öeneihter ward, feit ich des nächtlichen Zagrens Donner und die roh zu effen- 
a’) Imuogayovs, ungelochten] Mahle vollendete nnd der Mutter vom Berge Fackeeln 
M, feit ich, feierlich geweiht, der Kureten Balchos genannt ward ... Angethan mit 
md weißem Gewande, fliehe ich der Sterblichen Geburt und halte mich fern von 
; hüte mich dor jeder Koft, die Leben hauchte”, vergl. Eurip. Hippolyt. 949, und 
Rt de8 Euripides orphifche Neigungen Höd, Kreta II, 321 fi. und Nägelsbadh, 
Homer. Theolog. S. 454. 463 ff. 
,Nicht die Effener in Paläftina, dem heiligen Pande, find ihrem innerften Weſen 
N eich nachweisbar aus einer Mifchung des dortigen Iudenthums mit dem 
hriſchen Pythagoreismus hervorgegangen, obwohl fie einige verwandte Züge an ſich 
"en und von Sofephus, freilich nur für ihre Lebensweiſe (dıu/va) Ant. 15, 
‚4 mit den Ppthagoreern **) zufammengeflellt werden, ähnlich wie die Pharifäer mit 


kn für üuopayovs hätte auch drvgovs gefagt werben können. Die ispa ärvpa find eine 
der unblutigen Opfer (dyra Hunara). Speciell gemeint ift bier das dxeproyo- 
9 welches nach Clem. Al. Protrept. 2. p. 13. ein beſonderer Weihegrad gerade der Kory⸗ 
Ren mar, Bernays hätte daher in feiner ſcharffinnigen Schrift: Theophraßos Schrift über Fröm- 
Ei in \ bas sed et coctis cibis abstinnisse des Hieronymus advers. Jovinian. 2, 14, 
ein follen, " 

IM Die fogenannten zolzorai ber Dacier, mit denen Joſephus Antt.18, 1. 5. die Eſſener ver- 
* ſind ohne Zweifel ber pythagoreiſche Verein, welcher dort noch zur Zeit des Strabo 
A - 7,297. 298. 304. 16, 762) aus ben Anhängern des Daciers oder Goeten Zamolgis, eines 

wen bes Pythagoras, beſtand, vgl. auch Lutterbeck, neuteſt. Lehrbegr. 1, 273. Die zokora 


286 Timothens n. Titus, bie Briefe Pauli an 


den Stoifern (Joseph. vit. $. 2.), wohl aber iſt die mitten im heidnifcher Umgebn 
befindliche Diafpora Kleinaflens, fomweit fie einem theofophifchen Zuge folgte, amd 
twie das ägyptiſche Judenthum mit der in Wlerandrien herrfchenden griechiſchen X 
ntonsphilofophie, namentlich auch mit dem kleinaſiatiſchen Neupythagoreismus eine 8 
bindung eingegangen, wie nicht bloß in der Natur der Sache lag, fondern unter 9 
derem auch aus den Paftoralbriefen fich ermweifen läßt. Wenn Zeller, Bhilof. d. Oru 
III, 2. ©. 495 ff., den Neupythagoreismus, deffen Zufammenhang mit den Myſter 
und muftifhen Religionsculten namentlich des Orients er faft ganz aus den Ay 
läßt (vgl. dagegen auch die Reifen des Apollonius von Tyana in ben DOrints 
S. 283 Note*), zu einem urfprünglichen Produkte Alerandriens macht, fo iſt das oug 
fheinlich zu viel behaupte. Er beruft fich dafür hauptſächlich auf die innerjüdiid 
neupythagoreifchen Bildungen der paläftinenfifchen Effener und der ägyptiſchen The 
peuten, von denen wir die Erfteren ihres Alters und ihrer Lehre wegen jedenfalls mi 
für Neupythagoreer halten und die Letztern in diefer Beziehung mindeftens zweifelh 
bleiben. Der Pythagoreismus karabteriſirt fi bei genauer Rede unſeres Eradıe 
nicht fchon durch eine gemeinfame afcetifche Lebensordnung, die fich ja auch andern 
und felbft ausgeprägter vorfand, fondern durch eine foldhe nur im Yufanmenhange ı 
beftimmten metaphufifchen Grundannahmen, wie namentlich dem das Univerfum dur 
ziehenden Öegenfag beftimmter Örundprincipien. Zu behaupten, daß der pythagoreifiren 
Aömer Nigidius Figulus (+ 45 v. Chr.), welchen Eicero (de Univers. c. 1.) 0 # 
thagoreer erwähnt, Eufebius als Pythagoreer und Magier, und über welchen Lutterbe 
nenteftamentl. Lehrbegr. I. ©. 377 ff., zu vergleihen ift, wenn durchaus außech 
Rom nicht wie andere vornehme Römer etwa in Rhodus, Pergamum oder Taf 
überhaupt in Kleinaſien, welches größtenteils xömifcher Beſitz war und mohin I 
Augen der damaligen Römer durch die Thaten des Sulla, Lucullus und Bompeps 
richtet wurden (dgl. das gleichzeitige Auftreten des verwandten Mithrasdienftes und M 
Magier in Rom Plut. Sulla 37. u. Pompej.), fondern in Alerandrien entweder fu 
oder doch die puthagoreifche Philofophie kennen lernte, ift mindeftens fehr Problematik 
Doc; hierauf näher einzugehen, ift hier nicht der Ort, zumal weder unfererfett 
bon Dr. Zeller geläugnet wird, daß der Neupythagoreismus fchon vor der Zei 
Paftoralbriefe fowohl in Kleinaften wie in Wlerandrien, ebenfalls einem Hauptie * 
orphifchen Myſterien (Diodor. 4, 25. Orph. Argonaut. Ve. 43 ff. 100 ff.), auf wi 
auch Bhilo, unter Anderem in feiner Beſchreibung der jüdifchen Therapenten vit. co 
templat. $. 2. u. $. 11. (Mang. II. 473. 485) NRüdfiht nimmt, größeren Üi 
gewonnen hat. Alle in den Paftoralbriefen befindlichen Elemente der Irrlehre, di 
ligidſe Spekulation auf dualiftiiher Baſis, die fich abftufenden Reihen vermittelnder 
herer Geifter, die Afcefe, die Prophetie paffen anerfanntermaßen "zu dem Neupitl 
reismus, twelcher bei der damaligen Berzweiflung der Heidenwelt an dem fanden N 
Volkes und der philofophifchen Willenfhaft um die Geburt Chrifti durch feine mift 
ridfe Tranfcendenz Viele anzuziehen begann und ſich durch manche dem Pothagen 
untergefchobene Schriften Bahn brad. Mit ihm war aber auch das goetifhe (th 
gifche) Element gerade in Kleinafien in befondere Beziehung getreten. Es fam 
das nicht befremden, da Sleinaften und zumal Ephefus durch feine magifchen 
(vgl. S. 284) und über die ’Eyeoi« yodunara die Ausleger zu Apgeſch. 19. 19) b 
kannt ift und wunderthätige Kuren und Theurgie bei dem mit dem Balchiſchen Eli a 
Zuſammenhang ftehenden dort herrjchenden Dienft des Ajklepios und bei der heimilä 
und durch Verbindung mit dem Orient geförderten Dämonologie dort im Schwunge werd 
Namentlich wird unfere Behauptung über die pythagoreiſirende Nichtung der Jerleirt 
in den Paftoralbriefen auch durch die Gefchichte des mit Bezug auf unfere Frage biste 
(Staatsbefferer) erinnern an die molsxo/, welche unter den Pythagoreern bie praltiſchen Get 


rifer gegenüber ben Theoretifern waren, vgl. vit. Pythag, apud Phot, 1. Hippolyt. refüß ba. 
Brandie, Geſch. ber griech.⸗römiſchen Philof, I, 428, 





Timsthens u. Titus, die Briefe Pauli au 287 


u kenchteten Bamptbegründers der nenputhagoreifhen Denkt» und Lebensweife, bes 
nt nem Tode in eigenen Tempeln verehrten Apollonius and Tyana in Rappadocien, 
hätt, welder unter Anguſtus geboren, bereits in den Zeiten des Claudins umb Nero 
= Ihiter in Kleinafien als Thonmaturg auftrat und große Verehrung genoß, alfo auch 
Ardyeitig und furz vor dem Apoſtel Paulus dort wirkte Apollonius fludirte nad) 
Kilotratus (vit. Apoll. I, 7.) in dem damals berühmten Dufenfige Zarfus, und weil 
a hir die fittlihe Strenge vermißte, in dem benachbarten Aegä, wo er im Aſklepieum 
er Anderen den Pythagoräer Eurenos hörte, defien laxere Tebensweife er aber ver⸗ 
beit. Wie Strabo a. a. O. (vergl. S.284 Not.*.) bemerkt, fo ward Tarſus bon 
Wien Einheimischen (dyyworoı) befucht, die gewöhnlich zu weiterer Belehrung oder, um 
Bernirts als Lehrer aufzutreten, in’3 Ausland gingen, was im Allgemeinen ben da⸗ 
al berrichenden philofophifchen Sinn der Heinaflatifhen Bevölkernng beweiſt. Auch 
Uening ging in das Ausland, namentlihh den Orient. Aus Parthien und Indien 
jet des Kaukaſus und Hyphaſio VIII, 7. 3. vgl. II, 40. u. 41) zurückkehrend, bes 
er nah Philoſtratus zuerft Epheſus IV,1—4. 10., hielt ſich dort dfter und lange 
‚VL 42. (bei den Ioniern), VII, 5—7. 10. VIII, 24.26., pries es als Sig der 
m Weisheit und ftiftete dort, nachdem er es don der Peſt befreit, dem Aloaxinc 
ounaiog [Heralles-Afklepios] ein Heiligthum VIII, 7, 8.0.9. (mad Tactantius, instit. 

z. voͤre er felber dort unter dem Bilde des Heralles verehrt), Seine Yonifchen 
x nannte Griechenland Apollonier VIII, 21. Dort if ee auch wahrſcheinlich 
26. 0.30.) geftorben, wozu flimmt, daß eine feiner wenigen Schriften, die dıa- 
Den: (in bei den Orphilern auch fonft vorlommender Name, testamentum) im Joni-⸗ 
dialekte, VIL, 35. vgl. I, 3., verfaßt if. Obwohl der Neupythagoreer Philo- 
Kat dos Bild des Apollonins für feine Zwece unftreitig mamnnichfach umgeftaltet *), 
Best und bellenifirt hat, fo muß doch, was für unfere Frage don dem größten In⸗ 
WR jedenfalls fo viel hiſtoriſch ſeyn, daß Apollonius wirklich dfter in Ephefus 
ten md Ephefus überhaupt als ein befonder® wichtiger Sit des Neupythagoreismus 
he iſt. Bei feiner hellenifizenden Tendenz ift Philoftratus nur nm fo glaub» 
Ale, wenn ex den Apollonius doch die Weisheit des Orients am höchften ſchaͤtzen 
Dodetthin von Agä aus zunächſt, I, 19. meiſtens von dem Affyrer Damis begleitet, 
N Benden laͤßt. Obwohl nicht bloß paganiftifche Anhänger, wie Philoftratus (3. B. 
% Ap. 1, 3. VI, 11.), fondern auch Euſebins (adv. Hierocl, 5.) und ber Biſchof 
R philoſophenmantel Synefius (f. fpäter) feine philofophifhe Bildung rühmen, fo hat 
Floh, worin Mitter, Zeller, Brandis, Lutterbed u. X. einig find und wie felbf auch 
M feinem Leben von Philoſtratus hervorgeht, entfchieden weniger die theoretifch - mathe 
Ride, als die veligidß. praftifche Seite des Puthagoreismns gepflegt und bervor- 
hun. Hinzu kamen orphifche, orientalifch » dualiftifhe, platoniſtrende und andere 
Ihe Elemente, wie fie dem damaligen Zeitalter entſprachen. Sein großer Einfluß 
bornämlich mit feiner ganzen theurgifch » afcetifchen Perfönlichkeit zufammen. Weber 
gManere Beichaffenheit feiner Lehre willen wir, ba er nur wenig gefchrieben hat 
HB. auch ein Reben des Pythagoras), nur wenig mit Sicherheit. Zu diefem Wenigen 
it, was wir in einem Meinen bei Euseb. praep. ev. 4, 13. aufbewahrten Frag⸗ 
Rate 0u6 feiner Schrift über die Opfer erfahren. Hierin unterſcheidet er den Einen 
An don Allem gefonderten Bott und die Untergötter. Die rechte Verehrung werde 


N Shäpbare Beiträge zu ber Chronologie des Apollonius und zu eimer hiſtoriſch⸗ kritifchen 
— der Biographie bes Philoſtratns hat Gutſchmid im Artikel Gotarzes⸗ in ber Allgem. 
a Aie von Erſch und Gruber, Th. 75. ©. 40 fi. gegeben. Ueber deu Partherlönig Bor 
I Joseph. Ant. 20, 8. 1—4. Tacit. Annal. XI, 8-10. XII, 10-14. Ginfeitig if ber 
—* »Apollonius⸗. Sonſt vgl. noch den Art. „Reuplatonismuse, ſofern der letztere durch 
abithagoreer angebahnt wurde, ferner I. Müller, comment., qus in componenda memoria 
Bee Tyanensis fide quaeritur P.1—8. 1868-1860. Ed. Müller, war Apollonius von Tyana 
—* © oder Betrüger oder ein Schwärmer und Fauatiker? Lieguig 1861; und den Artilel 
ringe in Pauly’ Real» Encyflopkbie, 


288 Timothens u. Titus, die Briefe Panli au 


jenem zu Theil, wenn der Menfc ihm überhaupt nicht nahe oder Teuer anzünde ode 
ihn mit einem der ſinnlich wahrnehmbaren Gegenftände benenne [d. h. Sonne, Mm 
u. |. w. vgl. vit. Ap. IH, 34. und die dort aus Diog. Laert. 8, 26. und ans da 
Cratylus des Plato in der Ausgabe von Olearius citirten und erläuterten Stellen 
denn er fey bedürfnißlos umd alle Erzeugniffe der Erde und Luft fenen befledt. G 
ſolle ſich vielmehr an den höchften Gott immer der befjeren Rede (Adyw) befleifign 
d. h. derjenigen, die nicht duch den Mund gebe. Bon dem Scönften bes Sehye 
den fordere Gott durch den Schönften der Menfchen das Gute, das fey aber 
vods, welher der Organe nicht bedürfe. Nur alfo dem höchften Gott foll man m 
opfern oder zu ihm laut reden, wohl aber foll man den Untergdttern opfern, nä 
unblutige Opfer, nad; PBhiloftratus vor Allem Weihrauch (vit. Ap. VIII, 7. 12) 
Gebete. Die unblutigen Opfer waren, wie wir oben fahen, ſchon lange empfohlen ı 
den Orphilern. Daſſelbe that auch des Ariſtoteles berühmter Schüler Theophrafl i 
einer Schrift eoi evoeßelos, deren bei Porphyrius de abstinent. II, 5 ff. aufber: 
Vragmente Bernays in „Theophraftos Schrift über Frömmigkeit 1866“, in lehrrei 
Weiſe beſprochen hat. Der antite, dem Evangelium fremde Geift des Gebets, toeldk 
ein Apollonius empfiehlt, erhellt in fchlagendfter Weife, wenn er nach Philoflr. vit 
I, 11. gebetet haben will: D Götter, gebt mir da8 Gebührende (TA oyedsu 
Ueber Theogonie, Kosmogonie, Pfychologie incl. der Seelenwanderung wird Apoloni 
Aehnliches gelehrt haben, wie Philoftratus III, 18. 34. 35. VI, 11. VID, 7.5. 
10. 12. mittheilt. Als firenger Afcet fol er nach vit. Ap. I, 8. u. 13. VII, 7.4 
des ?Tzleifches, des Weins, der Ehe (vgl. 1 Tim. 4, 3. umd die Priefter (Megaby 
und Priefterinnen der ephefifchen Artemis nach S. 284, ferner die Magier, deren 
Klaffe nach Eubulos bei Hieronymus adv. Jovin. 2, 14. nur Mehl und Kräuter 
ſich enthalten, leinene Kleider (feine Wolle oder Leder) getragen, Haare des Ham 
und Bartes haben wachſen Laffen, im Allgemeinen alfo ein Leben wie ein Magier, dm 
es nad; Strab. XV, 733 gerade auch in feinem Geburtölande Kappadocien vie p% 
geführt haben. Der Philoſoph Möragenes, defjen Schrift AnoAAwriov rov Trars 
udyov xal Yiloodpov anournuorsiuara wegen der Behauptung des Celſus, dh ‘t 
magifche Kunft gegen Unmiffende und Schlechte etwas vermöge, von Origenes oxt 
Cels. 6, 40. citirt wird, nennt den Apollonins auf ihrem Titel einen Philoſopha o 
Magier, durch defien Magie nad) Drigenes manche niht unmwadere fl 
fophen gefangen wurden, die zu ihm als Goeten (yorza) gelommen feyen, unter wi 
chen er mit dem ironifchen oruar den (Stoifer) Euphrates [welchen Phifoftratns d 
Hauptwiderſacher des Apollonius beftreitet] und einen gewiſſen Epikureer antik 
Euphrates nennt ihn reoarwdeg vit. Ap. VII, 14. Der oben genannte Sunefins be 
zeichnet den Apollonius de calvit. p. 68 c. ausdrüdlich als yors und zegırur \ 
dasudrıc, obwohl er ihm fonft fehr wohl will, da er Hinzufügt: YA wos n06 vd 
ürdoa xoi BovAolunv üv uvrov £ivaı TOO xaruAoyov. Ueber Apollonius 

auch Dio Cass. LXVII, 18. LXXVII, 17. 18. Lucian. Alex. 5. Apulej. de m 
c. 40. Euseb. adv. Hierocl. 2. 5. 31. Tʒetzes Chil. 1, 60. Wenn Bhiloflratud 

Apoll. I. 2. IV. 45. V. 12. VIII. 7. 3.8. behauptet, Apollonius habe feine Ta 
mit einer inwohnenden göttlichen Kraft und Einficht, aber nicht mit Hülfe der M 
verrichtet umd fen fein Goet geweſen, fo hat er theils das Bild feines Helden (vgl 
Art. „Magier ©. 681) idealifiet und hellenifirt, da der yorg mehr ein gemöhnliät 
Gaukler in der V, 12. bezeichneten Weife (vgl. au d. Art. „Magier ©. 678) DM 
eine Seite des Apollonius, welche Einzelne wie auch Tzetzes a. a. O. im einfeitiger Bei 
heroprheben mochten, theils und namentlich verhüten wollen, da der Ausdend Got 3 
Magier [dev legtere namentlich nach fpäterem Sprachgebrauch] auch in ſittlich ſchlinws 
Sinne vorkam, daß man bei dem Apollonius nicht die Geldgier des Gauklers (a. 0.0 
VIII, 7. 3. vgl. V, 12.) oder eine Anrufung der Mächte der Yinfterniß Tv, ıo.Vil 
7. 9. (vgl. Matth. 12, 24), welche III, 35. am Ende deutlich als dualiſtiſchet Red 






















Zimsibens n. Titus, bie Briefe Pauli an 289 


de boſen gedacht find, vorausfege. Während Yirc bei Drigenes ımd Syneſtus a. a. O. 
mb m ſittlich fchlimmen Sinne gemeint ift, iſt das bei yorıss 2 Tim. 3, 13. vergl. 
yis mmfleitig dex Fall, wo es dem Sinne nad etwa dem uuyos weudongopreng 
td. 13, 8. [dgl das yorzeveır Clem. hom. 3, 15.) entfpriht. Wie wir gefehen 
wien, hatte das orphifch - puthagoreifche Wefen andy auf Kreta großen Eingang gefun- 
va, veßhalb Apollonius auch nad; Kreta, der „Krone“ der Infeln, geht und nad Eini- 
gen dort zulegt im Tempel der Diltynna (dev Artemis, Preller, grieh. Mythol. L 
&.212 fi.) exſchienen und damm (natürlich leiblos) zum Himmel gegangen feyn ſoll 
ft. Apoll. IV, 34. VIII, 30). Wie in Ephefus Joseph. Ant. 12,3.4. 14,10. 11ff. 
3. 16, 6. Phil. leg. ad Caj. II. 587. Apgeſch. 2, 9. 19, 8 ff., fo gab es in Kreta 
Jweph. Ant. 17, 12. 1, bell. jud. 2, 7. 1. Philo a. a. O. Apgeſch. 2, 11, eben- 
nls viele Juden, weßtwegen wir auch dort Pputhagoreifirende judenchriſtliche Haͤretiker 
far. Der beim erften Anblid auffallende Umfland, daß der im 6. Jahrhundert vor 
Ehriftus lebende kretiſche Dichter Epimenides, welchem die Verfe Tit. 1, 12. nach Cle- 
sus Al. Strom. I. $. 59. p. 350, und Hieronhmus Tom. VII. p.471. ed. Vallara. 
mbiren, dort ihr (der Kreter) eigener Prophet, welchem fie alfo glauben möüflen, 
gaumt wird, findet nun darin feine Erflärung, daß Epimenides orphifcher Puthagoreer 
tu und nach Diog. Laert. 1, 115. Plutarch. Solon. 12. Kuret, d. h. Prophet des 
Keiihen Zeus, wie auch Porphyrius de abstin. 4, 19. und Hieronymus, advers. Jovin. 
%, 14 (dei Bernays a. a. DO. ©. 159) den Ausdrud wiedergeben, genannt ward, vol. 
warıtlih Hoed, Kreta III, 254 ff. 264.284. Weil die betreffende juden hriftliche Theo⸗ 
Wehe in Ephefus umd Kreta auf dem gleichen Neupythagoreismus beruhte, fo Tonnte 
% a beiden Orten weſentlich ähnlich feyn, obwohl fie beiderwärts — für Kreta wird 
Wind rc 2E adraw Tit. 1, 12. ausdrüdlich bezeugt — nicht vom außen impor- 
Mn, und weil das Syſtem, auf welchem fie bafixte, bereits ausgebildet vorlag, 
Io be fie, fobald nur Anhänger deſſelben Chriften geworden waren, in den betrefe 
fekn Gemeinen, ähnlich wie in dem galatifchen die Indaiſten, ſchon fehr bald nad) 
ir Grindung auftreten, was mit Unrecht namentlich mit Bezug auf den Brief an 
U die und da auffallend gefunden iſt. Auch laſſen fi die dvzıIKosis 1 Tim. 6,20., 
bern mon diefe nicht von den Sägen, welche die falfche Gnoſis der gefunden Lehre 
Aumefellte (vgl. das arrıdıntıdeulvoug 2 Tim. 2, 25. und die Philonifhen zı- 
"ou rar dILuv bei Euseb. praep. evang. 8, 13.), verflchen, fondern in ihnen 
ut Baur das characteristicum ber exfteren finden will, auf das pythagoreiſche Syſtem 
rücdfähren, welches zufolge feines Dualismus von Begenfäten redete, die fid 
her die ganze Welt hindurchzogen. Daß die ivsıdHfoss a. a. D. von Paulus als 
minus der SIrelehre gemeint find, wird daraus wahrfcheinlich, daß fie der werds- 
Ruo: pcs, der falſch benannten Onoſis angehören, wo die yruoıs, wie aus dem 
gefügten weududruuos hervorgeht, jedenfall® terminus ber Irrlehre feyn muß, vgl. 
wi 6.279. Zehn ober auch fieben pythagoreiſche Grundgegenfäge, darunter namentlich 
kr de6 Männlichen und Weiblichen (vgl. das orphiſche Zedc Apom — Zeis vuugpn, 
b. prsep. ev. III,9.) werben erwähnt, Arist. Met. I, 5. Preller, hist. philosoph. 
Nr. 103 u, 107, vgl. Zeller, Philoſ. der Griech. L S. 255 ff. (2te Anfl). Ya, mie 
kr Untergeichnete zu feinex Ueberraſchung bemerkte, jene pythagoreiſchen Örundgegenfäge 
Mod fogar auch durch denfelben terminus asrıHloeıs bezeichnet worden. 8 ergibt ſich 
ant der Metaphyfik des gerade in jenen Kreifen (vergl. 3. BV. Philo, Wang. II, 
BIO. 619 und die Fragmente ans feiner oben erwähnten Schrift ep! züoeßelns bei 
Forphtrins), viel gelefenen Schülers des Ariſtoteles Theophraft von Lesbus, deſſen nach 
Irond bereebte Schriften (vgl Ueberweg, Geſch. der vorchriſtl. Philoſ. S. 99) in 
Keinoflen gewiß befonders bekannt waren. Diefer fagt a. a. D. Kap. 9. ©. 322. 
It. ed, Brandis (bei Preller, hist. philosoph. Nro.111.): IMdrwr d2 xal ot ITv9a- 
10p:ioı noxpdr Tv Andoraow Inyuneiogal ye Ile (Irovan?) Änarra‘ xalroı 
dann ivrldeol» Twa nowücı Tg Goplorov duddos xal Tod tvog x. T. A 
Bel »Gucpkiopänie far Theologie und Rirde. Suppl. IIL 1 


290 Timothend un. Titus, die Briefe Panli an 


Bol. auch Brandis, Gefchichte der Entwidel. der griech. Philofophie. I, 276. Xn 
bei Plutarch findet fich diefer terminus dfter. Philo gebraudt den mit Bezug auf @ 
neſis 15, 10. LXX. nur wenig umgebildeten Ausdrud 7 avrınodawnog Flaı 
quis rer. div. her. $. 43. (Mang. I, 502), wo er zulegt auf den Epheſier Heat 
binweif. Bei unferer Annahme einer neupythagoreifchen Grundlage empfängt fem 
der Ausdruck yereudoyioı 1 Tim. 1, 4. Tit.3, 9. (Oeburtsregifter), welcher, wenn m 
im Bilde bleiben will, nicht Emanationen, fondern Geburten erwarten läßt, ein nen 
Licht, da das erwähnte Pythagoreiſche Princip der Mannweiblichleit auf folche Zeugmg 
führt, vgl. Möller, Gef. d. Kosmologie S.34 ff., Ritter, über die Emanationslehre (1%4 
S.15ff. Zu den endlofen (andoarroı) Genealogien dgl. den ünsıpov alüvu des 
thagoreer® Philolaus bei Stob. Eel. I, 413, die duraueıs areıpoı Hippol. refut. hu 
V, 19. VII, 26. und Möller a. a. O. ©. 64. über den Neupythagoreer Mari 
Tyrius, ferner Philo a. a. O. (inkourre). Bielleiht darf man auch daran erinne 
daß Areıpov (üntgarzov) das eine Ölied des erften Örumdgegenfages der Pythagın 
ift und daher oft bei ihnen vorkommt. Sehr beadhtungswerth für die Erklärung ı 
yereoroylaı ift endlich die Theogonie und Kosmogonie, welche dem  Neuputhager 
Apollonius don Philoftratus vit. Apoll. III, 34 u. 35. beigelegt wird. Den Path 
goreern, wenigftens den damaligen, tft, felbft wenn die Worte zw yerınjoavrı nur 
xai Önuiovoyo aus dem Fragmente ded Philolaus bei Stob. Ecl. I, 420 fi. ( 
Boͤckh, Philol. 163 ff.) dem Berichterftatter nach Zeller, Bhilof. I, 269 (2te Anl 
nicht angehören follten, der höchfte Gott der yardrwo des Alls (vit. Apoll. II, 3 
felber aber ayevvnros. Seit ihrer Verbindung mit den Orphifern haben fie überh 
manches mehr oder weniger Verwandte mit ihrer Lehre verbunden. Der Rt 
Apollonius läßt ſich a. a. DO. durch den Indier Jarchas, den Zräger der wahren 
heit, über den xcouoç, der auch die gewordenen Götter in fich befaßt, nur nicht X 
unterirdifche Reich des Böfen (vit. Apoll. III, 35 am Ende) belehren. Der xoau 
ift ein mann-weibliches Lwo», welches aus den fünf zugleich vorhandenen Elm 
ten — Waſſer, Luft, Exde, Teuer, Aether — Alles erzeugt, melches von dich 
Händen und Füßen (dem Untergottheiten) auf Antrieb feines vous bewegt und nicht dm 
eine Hand, fondern durch viele und unfagbare (“oorroı) regiert wird. Das fid 
unvergängliche Clement, der Aether, heißt der Urfprung der unfterblichen (us 
Bdtter (yEvsaıv Iewv), woraus diefe, wie alles Umvergängliche, unftreitig and Y 
unvergängliche göttliche Seele des Menfchen, welche Pythagoras nach Diog. Laert. VII 
18. u. 31. andonoone alFEoos genannt haben fol (vgl. vit. Ap. L,8. IH, 42), 9 
zeugt fegen. Beſtätigt wird diefe Ausfage des Philoftratus über das fünfte Claw 
rüdfichtlih der Imdier durch Strabo XV. 713, welcher fagt, daß die Indier mu d 
vier Elementen ein fünftes (ndunrn gvoıs) annähmen, woraus der Himmel m) ! 
Sterne wären [welche nad Pythagoras Diog. Laert. VIIL,27. und Plato im Crattl 
©. 397. c. Fol waren], und diefes Theorem ausdrüdlih unter diejenigen zählt, 
welchen die indifhen Philofophen den griechifchen ähnlich dächten, wobei er name 
lich Ariftoteles (Diog. Laert. V, 33) und die Pythagoreer im Sinne zu haben jdn 
Der häretifch - judenriftlichen Theofophie der Paftoralbriefe ift überdieß die des Br 
an die Kolofier verwandt, doch hat lettere eine der jüdifch - alerandrinifchen Religion 
philofophie (fo weit fie ung befannt ift) ähnlichere Bafis, da fie dem Judenthum in ) 
halt und Ausdrud [Kol. 2, 8.20. 74 oroıyeia ToV xoouov, wie Gal. 4, 3. 9, 8 
dazu meinen Comment., Kol. 2, 11. 3,, 11. (Befchneidung), Kol. 2, 16. (and; jüdifl 
Feſtzeiten), Kol 2, 18. (die Bezeichnung der höheren Geifter als üyyero)] nod me 
Geltung läßt, Paulus fie auch nicht als uösoe xul yercaloyiaı, als heidnifche Myth 
logie bezeichnet und dom Goetenthum bei ihr ganz geſchwiegen wird. Un Eſſener od 
mir Ritſchl, altlathol. Kirche S. 342. dgl. S. 179 ff., da jene ohne (?) veligidfe Sp 
Iulation (ift namentlich in dieſer Allgemeinheit gewiß zu viel behauptet) feyn follen, & 
(ägyptifche) Therapeuten zu denfen — was gegen die Erſteren fpricht, fpricht übrigen 


Zimethens u. Titus, bie Briefe Pauli an 291 


m Eprmeinen auch gegen bie Letzteren — liegt fein irgend entfcheidender Grund vor 
w Nanches iſt durchaus dagegen. Es müßte z. B. eine effenifche Kolonie in Ephefus 
w fra — denn nad) Zitus 1, 12. waren die Irrlehrer Eingeborene, f. oben, 
ach die Heinigungdgebote und ovaolzıa der Eſſener erforderten, wie wir wiflen, 
em georduete® Zufanımenleben — vorausgefeßt werden. Wenn aber auch Philo (quod 
ammis probus liber $. 12., Dang. II, 457), wie Mangold meint, die Efiener in Pa⸗ 
Bi nd Syrien *) wohnen ließe, fo würde darans noch keineswegs folgen, daß 
mie Kolonien auch in Epheſus umd Kreta waren. Die andere Stelle Philo's (vit. 
oontemplat. $. 3. Mang. II, 474) aber, wornad die Jepunevral fich noAduyon ic 
saoeulrng aufhalten, hat ſchon Mangold, der Hauptvertreter diefer Anfiht, a. a. O. 
&. 60, Rot. 62., richtig dahin ausgelegt, daß Fepanevrul hier übereinfiimmend mit 
km fonfiigen Sprachgebrauche Philo's afcetifche Verehrer Gottes überhaupt bezeichne. 
In die Berbreitung bes Eſſenismus z. B. für Kreta wahrfcheinlich zu machen, beruft 
kA Mangold anf die dort herrfchenden orphifc, » pythagoreifchen Anfchauungen, die auch 
ke dualiſtiſchen Anficht des Eſſeniomus zum Grunde lägen und letere dort vermittelt 
Kitten [vgl darüber S.285 fj.u. 289]. Aber da liegt doch weit näher und ift hiflorifch 
den gerathen, den Neupythagoreiomus jemer Gegenden felber als bie philofophifche 
Eofis der Irrlehre anzufehen. Gegen Eſſener fpricht ferner nach Allem, was wir über 
ſe viſſen, and abgefehen davon, daß Paulus ihnen keine Köso: und yeraaloylaı, lein 
withologifches Heidenthum in dem erdrterten Sinne vorgeworfen haben würde, das bors 
wugnd intelleftualiftifche und unfittliche Weſen dieſer Irrlehrer, da8 Goetenthum, na» 
satlih ihre thaumaturgiſche Oftentation, und and), zumal jene Bütergemeinfchaft hatten, 
Ir Geldgier, während Iettere bei den Goeten gewöhnlichen Schlags in jener Zeit be- 
tnstich geradezu karalteriſtiſch ifl, vgl. S. 283 1.288. Uebrigens paßt zu unferer Anficht 
te ie Irrlehrer auch die Stelle 1 Tim. 2, 8. 9., welche zu erklären if: Es follen 
mi Männer beten an jedem Ort (nicht bloß an der geweihten Stätte der Syna⸗ 
PR Ser npogeuyt, wie ber jüdifche Brand, es wollte), indem fie aufheben hei- 
lize Hände ohne Zorn und Zweifel. Gleicherweiſe (wie die Männer) follen auch die 
kinden) Frauen in züchtiger Haltung mit Scham und Mäßigfeit fi ſchmücken u. ſ. w. 
id iv narı) zone beweift allerdings, daß die ephefinifchen Irrlehrer auf jüdifche 
Renbeit der Dffemtlichen Andachtsſtätte Gewicht legten, nur folgt daraus nicht, daf fie 
Amfäifd gerichtete Irrlehrer waren und nicht afcetifch judenchriftliche Theofophen, da 


m — —— 


) Au Philo läßt Hier die Eſſener in dem paläſtinenfiſchen Syrien, d. h. in Paläſtina 
Beinen, wenn ex ſchreibt: Eore de xal 7 Slalmorivn [nal] Zvpia xaloxdyadias oix ayoron, ir 
Kluurdomrordsov Zdvovs ıcr 'lovdaio» ovx dllyn uoipa vilsıar. Acyovtai tives nal artois 
fi ten paläffinenfifchen Inden) övoua 'Eaoaior, zA7dos UnEp terpaxtogikious x. 1... Der 
Eert iR hier nämlich angenfcheinlich verberbt und das xal vor Zvera zu ftreichen, ba man da⸗ 
Bis, und zwar auch Bhilo, gewöhnlih 7 Ilalmorirn Zupia fagte [fo ſchon Herodot 7, 89. 
Wis de nobilit, (ed. Mang.) II, 443. (vgl. Il. 20. 106). Joseph. Ant. 8, 10. 3], da ferner 
Kun Syrien von Paläfina als befonderes Land gejchieden werden follte, nicht nur der Regel 
gmiß der Artitel vor Zvpia hätte ſtehen müſſen, fondern namentlich auch der Plural des Rela- 
Mums a; zu feen war. Entſcheidend iſt auch, daß Philo an einer anderen Stelle, an welcher 
? ebenfalls über die Effier im Allgemeinen handelt, in einem Fragment bei Eufebius pracp. 
"ang. 8, 11, [Philo ed, Mang. II, 682] ohne weiteres ftatt des paläftinenfiihen Syrien Judäa 
piegt hat: Olxodcı dd xollas ud» nolsıs ns lovdalas, nollas 84 xanasx.e. A. Uebrigens 
kt Bhifo, fi Abezall confequent bleibend, auch an biefer Stelle den Namen 'Zooaioı nit, wie 
Ndorn im Art. „@ffener« meint, von dem griechifhen öoros abgeleitet, wenn er kurz vorher 
U! nalouyıar ud» 'Eooaloı, zapd rw dorörmta, ol Bord, tijs apoonyoplas dfımdrrzes, d. h. 
fe werden (Effäer (Therapenten) genannt, indem fle wegen der (praftifchen) Krömmigteit 
ons), wie ich glaube [ugl. rd» zeaxıınd» Pio» de vit. oontempl. 8. 2. (Mang. II, 471), 
ticht wie die ägyptifchen Therapenten auch wegen ihrer tbeoretifchen Spekulation, vagl. 
Wed omnis prob. liber $. 12. Mang. 11, 457] des Beinamens gewürbigt wurben.- Die ovıoıns 
(anfreitig zugleich eine beabfichtigte Baronomafle anf die 'Zooaioı) fol ja auch nur ben Beinamen 


metiviren, nicht feinen etymologifcpen Sinn wiedergeben. , 
O 


292 Timothens u. Titns, die Briefe Panli an 


gerade die legtern, tie die Analogie der Eſſäer nnd Therapeuten uns zeigt, auf eim 
derartige leibliche Heiligkeit felbft noch größeres Gewicht legten. Die Behauptung aber 
daß die Beſchränkung des dffentlichen Gebet? der jüdifchen Gemeine auf Tempel m 
Synagoge, überhaupt einen geheiligten Ort, gefchichtlich nicht haltbar fey (Huther, Wie 
finger), ifl, da von Nothftänden natürlich abzufehen ift, nicht richtig, mie 3. B. an 
Philo in Flaccum II, 524 ff. Mang. (vergl. den Artikel „Synagoge Bd. XV. 9.300 
u. 303) erhellt. Ueber die damalige Eriftenz einer gnoftifirenden Richtung im Age 
meinen vergl. noch Thierſch: Einige Worte über die Aechtheit der neuteftamentlide 
Schriften (1846) ©. 41 ff. 

Da fomit die judendhriftliche Theofophie der Paftoralbriefe nur den zur Zeit mM 
Paulus eriftivenden und am Orte der Leſer derfelben blühenden Nenpythagoreismmng di 
feine Baſis vorausſetzt, fo kann die Befchaffenheit der Irrlehre keinenfalls ihren nad 
paulinifchen Urſprung erweifen. Die jüdifche Theofophie hat ſich ebenfowohl wie di 
geſetzlich pharifäifhe Aichtung bereits in der apoftolifhen Kirche mit dem Chriftenthun 
verbunden. Während der gefeglihe Iudaismus der Natur der Sache nach feinen Si 
vornehmlich in Judäa hatte, fo zeigte ſich die judenchriftliche Theofophie, fo weit mi 
nachrechnen fünnen, in der helleniftifchen Diafpora.. Das frühzeitige Vorhandenſeyn Mi 
in Ephefus verbreiteten magiſchen Richtung innerhalb der dortigen epheftnifchen Gemeine 
welche damals, von Paulus überwunden, wieder aufleben ſollte, ift urkundlich oud ned 
Apgefch. 19, 18. 19., vgl.20,29—31. bezeugt. Eine verwandte afcetifch theofophiläi 
Irrlehre haben wir in dem Briefe an die benachbarten Koloſſer. Theoſophiſche Me 
lehrer, die wir dazu meiſtens gerade auch in Ephefus finden, find ferner bie enthaie 
Kifch antinomiftifchen Nikolaiten der Apofalypfe und die Irrlehrer des Briefs Judä md 
zweiten Brief? Petri, die Anhänger des Gerinth in dem erflen Briefe des Apoſth 
Johannes und wohl auch in den beiden anderen johanneifchen Briefen, die wir dem 
Presbyter Iohannes beilegen, endlich vieleicht auch die myſtiſch enthuftaftifchen Ehriffwe 
in Korinth. Endlich läßt das von ums nachgewiefene vorchriftliche und chriftliche Interrfk 
der Teinaftatifchen, namentlich auch ephefinifchen Bevölkerung für theoſophiſche Spk 
fation noch auf die wenn aud) nicht gegen theofophifche Häretifer direkt gerichteten, deo 
hriftliche Gnoſis fördernden für jene Gegend beftimmten Schriften, das Evangılas 
des Johannes und den Brief Bauli an die Ephefer, ein beftätigendes Streiflicht kla 
Indem anfcheinend ſchwierige Ausdrüde bei näherer Betrachtung eine genaue Kein; 
der Umftände jener Zeit uns verriethen und in unferen drei Briefen zerſtreut vorls 
mende Kriterien ſich uns zu einem einheitlichen Gefammtbilde der Irrlehre geflaltem, 
haben wir zugleich einen hiftorifchen Hintergrund der Paſtoralbriefe erhalten, wie I 
der raffinirtefte Fälſcher in diefer Weile fchiverlich hätte entiverfen können. Died em 
heitliche Bild wird dadurch aud) nicht geftört, daß diefelbe Irrlehre nach einigen Ariti 
fern in den Briefen an Timothens, wenigftens dem erften, bald gegenwärtig, bald cf 
zufünftig feyn fol, in welcher Iegteren Behauptung fich die wahre Gegenwart des 5% 
fhens fundgebe. Denn 1 Tim. find die zıwds 1, 3. 6. 19. 20. 6, 3. 21. und M 
zıv6s 4, 1. wohl zu unterfcheiden, jene von den Lehrern des Irrthume, diefe, di 
den wevdo.oyor 4, 2. gegenüber fliehen, von ben Gliedern ber Gemeine zu verſtehen 
Als der Gegenwart angehdrig werden hier nur einzelne Irrlehrer bezeichnet, von dena 
Paulus die 1, 20. erwähnten zwei ercommunicirte, welche alfo bei Abfafjung unferd 
Briefe noch feine Glieder der Gemeine für ſich getvonnen hatten. Dagegen wird 4,1. 
der Abfall Einzelner aus der Gemeine durd; Irlehrer, deren Lehre Auch nad) 4,7.3. 
bereit8 vorhanden ift, in fpätere Zeiten oder die Zukunft geſetzt. Im zweiten Briefe 
an Timotheus haben dagegen die Srrlehrer einige Glieder der Gemeine bereits ve 
führt 2, 18. 3, 6. 13,, ſie felber follen Minftig aber noch fchlimmer und ber Abſel, 
wenn auch nicht ſchon bei den gegenwärtigen Irrlehrern 3, 9., größer werden 2,16.1°. 
3, 1. 5. 13. 4, 3.4, Wie aber daraus, daß nad; 1Tim. 1, 20. Hymendus gm 
municirt ward, 2 Tim. 2, 17. aber von feiner (dem Timotheus befannten) Greommr 


Zimoibens u. Titus, bie Briefe Banli an 293 


zehn nur micht die Rede ifl, ein Widerfpruch*) folgen foll, ift nicht einzufehen. 
Ba den Einwurf betrifft, daß der Ercommunicirte dem Glauben der Gemeine kaum 
rich wor, Bleel, Einl.S.493, fo konnte ja inziwifchen feine Ercommmmication, nach⸗ 
kader ITim. 1,20. angezeigte Zwed bei ihm einigermaßen erreicht war, aufgehoben ſeyn, 
m dann bis zu einem gewifſen Grade rückfällig geworden ſeyn, ohne daß er fchon 
nieder egcommumicixt würe. War ex aber noch excommunicirt, fo konnte doch auch er, . 
steldar oder unmittelbar, 3. B. in Öffentlichen Dioputationen zwifſchen ihm uud chriſt⸗ 
hen Echrern (vgl Apgeſch. 6, 9 ff. 9, 29. 19, 28 d.), an deren Hergang die Olän- 
higen ein Iutexeffe hatten, den Slanben Einiger aus der Gemeine zerftöxen, wenn auch 
ke legtere ihn aus ihrer Mitte geflogen hatte. 

Judem wir jeßt unfere Briefe in mehreren Beziehungen für ſich betradıten, kommen 
rit I) zum erfien Brief an Timotheus. Bei Erörterung dieſes Briefes werben 
u andy die im Briefe an Zitus vorausgeſetzte Tirchlihe Organifation berüdfichtigen, 
ie hronologifche Frage nach der zweiten römifchen Gefangenſchaft aber, die für alle 
kei driefe allerdings nicht ohne alle Bedeutung ifl, unterfuchen wir am beften nach der 
Eiterung des zweiten Briefes an Timotheus. Inhalt und Gedanfenzufammenhang 
‚N ofen Briefs an ZTimothens wollen wir im folgenden etwas genauer angeben, weil 
Deier gerade bei diefem Briefe z. B. von Schleiermader, de Wette u. U. (im Zuſam⸗ 
neihange mit falfchem eyegetifchen Berfländniß) befonders vermißt wird und daher feine 
Iniäteit darthun. fol. Im Eingange 1 Tim. 1, 3—20. erinnert Paulus den Timos 
ders, daß ex ihn zur Bekämpfung von grundflürzenden Irrlehrern zurüdgelaffen hat, 
kam Heterodidaskalie er 1, S—10. näher **) bezeichnet und feitifirt und denen ex das 
Kur Perfon anvertrante Evangelium von der Sünde vergebenden Gnade Gottes in 
Caie deſu, unferm Herrn, und deſſen an ihm, als dem größten Sünder, zum Bor» 

fü fi Die, welche auf Jeſum vertrauen werden, offenbar gewordene Herrlichkeit und 
Bet 1, 11—17. emtgegenftellt, ‚worauf er 1, 18—20, dem Timothens die im 
xxminigen Briefe enthaltene Ermahnung nad; Maßgabe der früher an ihn ergan⸗ 
Am prophetifchen Anfprachen ans Herz. legt, damit er im ihnen (dem früheren An⸗ 
Prıden und der dazu flimmenden gegenwärtigen diefes Briefe) den fchönen Krieger- 
karl diene, habend Glauben und ein gute Gemiflen, welches Etliche wie Hymendus 
md Alerander von fi floßend, am Glauben Schiffbruch litten. [Hiermit haben wir 
nfar Auffaſſung des funtaktifc, ſchwierigen Abfchnitts Kap. 1. Vs. 3—20. ausgedrüdt. 

das zu WB. 3. formell ohne den Nachſatz geblieben if: „fo ermahne ich dich 
af jest, den Irrlehrern in der angegebenen Weife entgegenzutveten“ , ift nichts we⸗ 





*) So nad dem Vorgange Schleiermacher'8 Bleek, wie auch Eichhorn, Baur, de Wette (Eint. 
16 u A, welche Letztere alle drei Paſtoralbriefe für unächt, aber als Produlte deſſelben 
ers anſehen, der alſo in dem fpäter (!) geſchriebenen erſten Briefe an Timotheus mit 
d jelber (1) im biefen Widerfpruch getreten ſeyn ſoll. Ueber die beiden Alerander vgl. S. 278 
Be Der Terminus zapadoüra: sd Zarara 1Tim. 1, 20, ift nad 1Xor. 5, 5. ächt pau⸗ 
) In 1 Tim. 1, 8—11., wo das vopiuws BB. 8. dur die Sätze dos zoüro, örı m. f. w. 
vi. J. und xara zd avayyelıor u. ſ. w. B8. 11. näher erläutert und gegen Mißdeutung gefichert 
Bd, werden die Gebote Gottes an ben Menſchen, wie das mofaifche Geſetz fie bat, aber auch 
Cdhriſtenthum fle gut beißt, wie befondere Hutber gut barthut, mit Bezug auf den mofatfchen 
etalog bezeichnet, weicher bei Chriſtus in ber Bergprebigt, ferner Mart.10, 18—19.12,29—33, 
UL (an diefen Stellen auch wie an ber unfrigen mit Einfluß der erften Tafel] und ſonſt, 
+?. philo quis yerum div. haeres, I. $. 35. p. 496 fi. [beide Tafeln], aber auch bei Paulus 
%n.13, 85, Gal. 5, 14. [bier ift wegen des Zuſammenhangs bloß die zweite Tafel erwähnt, vgl. 
Rinen Komm, 3. d. ©t.], ale die Summe des Geſetzes Larakterifirt if, nur daß ber Katalog der 
ngenben, welche der Delalog verbietet, mit bemjenigem abgefchloffen wird, was fonft noch ber 
Aunden Lehre⸗ eutgegenfteht, wobei alle auf das Alte Teſtament ſich ſtützenden judaiſireuden 
ungen der Irrlehrer, 3. B. auch Über die ſelbſt im Dekalog gebotene Feier des Sabbaths, 
ML. RL 2, 16, Bat. 4, 10., in's Auge gefaßt find. Uebrigens hat feibft auch Philo a. a. DO. 
"t Kategorieen ber zweiten Tafel bloß durch grobe Lafler bezeichnet, ohne bie betreffende Geſin⸗ 
4 dadurch ansiliegen zu wollen. 


294 Timothens u. Titus, die Briefe Panli au 


niger als unpauliniſch (vergl. Rom. 5,12ff.; Winer, Grammatik $. 63. ©. 608) 
da der auch fonft Analoluthe liebende Paulus hier wegen der fi) 1,5 ff. anfchließende 
längeren Karakteriftit und Kritik der erwähnten Irrlehre und der dadurch bedingten Ge 
genüberftellung des von Paulus geprebigten Evangeliums B8.11—17., feiner Herd 
feit und Gewißheit obigen Nachſatz in regelrechter Weife nicht folgen lafſen lonm 
Nur muß ſich ſpäter auch wirklich fo wie Rom. 5, 14. vgl. 5, 18. wenigſtens d 
Sinn eines folhen Nachſatzes aufweifen laffen, was in der That gleid) nad der D 
logie 1Xim. 1, 17, womit jene ben regelmäßigen Sagbau flörende Gedanke 
ſchließt, der Fall if Dies ift mit Recht z. B. auch von Wieſinger zu 1 im, | 
18—20 behauptet. Nur weift das zuvrnyv 1,18. nicht etwa auf das folgende \vo 
(Huther, Wiefinger), welches vielmehr feine telifche Bedeutung behält, fondern fieht 
daß folgende noodyovonı, fo daß das dr avrais nicht bloß auf noopnreiauc, fon 
auch auf napuyyellav zu beziehen, und der Sinn ift: die ſe Ermahnung (die 
nung des ganzen gegenwärtigen Briefs) lege ich die nach Maßgabe der früher 
anf dich bezüglichen Prophetien vor, damit du in ihnen (d. h. in der Ermahnung 
gegenwärtigen Briefs, wozu alfo aud) die über die Irrlehrer 1, 3 fj. enthaltene ge 
und in den früheren Prophetien) den fchönen Striegerdienft (deiner chriftlichen Anıarhl 
tigkeit) dienft. Die Zurückbeziehung auf jene über die Irrlehrer handelnden Bere 
gibt fi) auch aus den unmittelbar folgenden Worten, die ebenfalls über bie Ankh 
1, 19. 20. handeln. Ja es ift mehr als wahrfheinlih, daß die früheren propl 
Anfprachen (rooynreicı) an Timotheus, wenn auch nicht ganz, fo doch zum Xheil fel 
in die Zeit ded nuoexuleou 1, 3. fielen, oder in die Zeit, da Paulus den Timot 
als feinen zeitweiligen Stellvertreter in Ephefus zurückließ, und dann gewiß audı i 
Härefte berücfichtigten, twie denn auch die damalige „Parallefe” des Apoftels rüdſichli 
der Irrlehrer 1, 3. recht wohl als eine Anfpradhe des auch im ihm wirkſamen zer 
welches ſich nach 4,1 ff. auch jetst wieder Über die Irrlehrer ausſprach, alfo al Pre 
phetie (vgl. 1Kor. 14, 3. und über die prophetifche Gabe des Paulus 1 Kor. 14,18—: 
2 Kor. 12, 1 ff.) gedadht werden Tann. Wenn die Onadengabe Gottes, melde 
4, 14. dem Zimotheus durch Prophetie (dıa nrooprreias) vermittelt wird, wie 
der Dandauflegung des Presbyteriums nicht unwahrſcheinlich iſt (vgl. Suther), bon — 
Ausruſtung zur zeitweiligen Vertretung des Apoſtels in Epheſus zu verſtehen if, k 
eine damalige Prophetie fogar ausdrüdlich bezeugt. Wegen des Plurals noogım 
ift aber 1, 18. wohl an mehrere prophetifche Ausfpradhen an den Timotheus zu ? 
namentlich wohl aud; an die, durd; welche er urfprünglich zum Gehülfen des Par 
berufen ward.) — Der Üpoftel läßt nun 1 Tim.2, 1—3,15. (orüAog) einige allgeme 
Vorfchriften folgen, die nicht auf die Perfon des Timotheus unmittelbar gehen, bie © 
infofern zu feiner Inftruftion dienen, als er über ihre Ausführung in der Gemeint 
wachen bat. Diefe betreffen Kap. 2. die Öffentlichen Verfammlungen der Gemein, | 
‚welchen Gebete und Danffagungen für die gefammte Menfchheit, incl. der Obrigke 
gemäß dem univerfellen Karakter der chriſtlichen Exlöfungsanftalt 2, 1—7. barzubringt 
find und die Männer und Frauen in der ihrem Gefchlechte entfprechenden heiligen 
2, 8—10. beten follen, die Frauen aber 2, 11—15. von dem Lehren ausgefäleh 
werden. Rap. 3, 1—13. werden dann die Erforderniſſe der in dem Kirchendienfi 4 
Berufenden angegeben, und zwar der Zzioxono: 3, 1—7., der dudxovor 3, 8—10 
12—13., und der Frauen 3, 11. Da derartige Anordnungen auf eine längere Ahnt 
fenheit hinzudeuten fchienen, fo bemerkt der Apoſtel dem Timothens am Schluß 3 
14—15., er fchreibe ihm dieß, hoffend, bald zu ihm zu fommen, für ben gal, © 
er zönern follte, damit er wiſſe, wie man fi) im Haufe Gottes, was eine Gemeine 
lebendigen Gottes fey, verhalten folle. 

Jet beginnt, und zwar mit dem Abfchnitt arilog xul Edonlwua 3, 15. n 
neuer Abfchnitt mit den Abtheilungen 3, 15 —4, 11 (inch). 4, 12—6, 2 (ich). 
3—22., welcher ſich namentlich aud) darin unterfcheibet, daß Baulus nicht wie —* 























Timsthens u, Titus, die Briefe Pauli an 295 


1m 3. ollgemeine Ordnungen und Normen für die Gemeine anfflellt, fondern fidh 
un Borten an die Perfon des Zimothens wendet, ihn felber wie ein Vater er» 
std und warnend oder zu feelforgerlicher Zhätigleit an der ihm anvertrauten Ge⸗ 
ua unterweifend.. Rap. 3, 15— 4, 11. hebt ex den Erfolg hervor, welchen nad 
ken Zeuguiffe des prophetiſchen Geiftes die Irrlehrer in künftigen Zeiten bei Etlichen 
i der Gemeine namentlich durch ihre heuchlerifche Afcefe haben werden, und untertveift 
x ten Zimothens, wie er der Irrlehre gegenüber die Brüder Ichrend und für feine 
heioa fi verhalten fol. Ein anerkannt großes Fundament der Wahrheit, fagt der 
Wohl, if das Geheimniß der Gottfeligkeit, der im Fleiſch erichienene und zum Himmel 
ſehrene, in der Welt gepredigte und geglaubte hiftorifche Chriſtus; ber prophetifche 
* aber dennoch (vgl. das dE 4, 1.) den künftigen Abfall Etlicher vom 
duch die Heuchelei der Irrlehrer u. f. wm. Es bilden alfo die Worte oröAocs 
I ». den Eingang *) zu unferem Abfchnitt über die Härefle. Paulus hebt hier das 
Fundament der Wahrheit, welches Chriſtus felber if, 1 Kor. 3,11. Eph. 2, 20., 
“ dem eindbringenden Irrthum ähnlich hervor, wie 2 Tim. 2, 19. dem feften 
Gotles gegenüber biefem Irrthun. Da er aber 4, 1. das trog jenes Wahr⸗ 
domemts Verloddende dev Härefie betont, fo hat er hier umfo mehr Urſache, auch 
* B. 7ff. vor den verderblichen Sätzen der Irrlehre zu warnen. Daß 
„leibliche Uebung“ B. 8 von der häretifhen Aſceſe (vgl. V. 3), die eine Folge 
Wfiiher Spefulationen, ber unheiligen-uöso: B8.7. war, zu verfichen iſt, haben wir 
Ri ©.283. Not. **. gefehen. Alſo reicht unfer Abſchnitt bis 4, 11., wie denn Die 
se 4,7. 8. deutlidh auf das uvornpor der zvoeßeln 3,15. zurüdfteht und unfer 
Ritt 4, 11. ganz ähnlich wie der folgende Abfchnitt 6, 2. fließt. Kap. 4, 12. 
Mt,3. haben wir eine zufammenhängende Ynterweifung des Timotheus über fein 
Yelsin gegenüber der chriftlichen Gemeine; 4, 12—16., wie er fein Amt bis zur 
des Apoſtels im Allgemeinen zu führen habe; 5, 1—6, 2., wie rüdfidht- 
Kir imelnen Glieder der Gemeine, wie mit Rüdficht auf ihr Alter und Geſchlecht 
6122, wie rhefichtlich der Wittven 5, 3—16., der Presbyter 5, 17 fi., der 
Sklaven 6, 1—2. Endlich werden 6, 3—10. noch die unfittlichen Quellen 
B heerodidaskalie vornehmlich in dem Wiffenshohmuth 6, 4. (vgl. 6, 21.) und der 
it der Jerlehrer, die „aus der Froͤmmigkeit ein Gewerbe machen“, 6, 5. 10., 
peniefen und zugleich Die Thorheit und Verderblichkeit biefer ihrer unfittlichen 
imirihtungen hervorgehoben. Den Irrlehrern gegenüber fol aber Timotheus in 
— —— 


‚Und Biefinger (Eomment. S. 366) macht 3, 15. einen flärkeren Einſchnitt in unferem 
Rt, in dem alles Vorhergehende zu Timothens als feinem Stellvertreter, alles Folgende zu 
% Evangefiften gefagt feyn foll, welche an ſich ſehr problematiſche Unterſcheidung durch 
Iwerlih motivirt werden kaun. Die Beziehung des orülos xal döpalaua räs dindelas 
delgenden bat bereits Bengel, während bie meiſten Neueren irre gehen; nur iſt xal ono- 
Heros ueya „und zwar anerfanntermafen ein großes (sc. Fundament, ddoatopa)“ zu 
U nal vergl. Joh. 1, 16. 1Kor. 2, 2.3, 6. 6, 6. 3. Zrölos nal Edp. räs dindeias zum 

ld gehenden zu ziehen, ift auch deshalb unthunlich, weil fonft von dem bilblichen olxos Heod 
9 die Ipentität mit dem (das Bild) erläuternden Zuxinoia O. £. und dann doch noch mit 
m ildlihen arülos xal &dralopa ıns alnd. anegeſagt feyn müßte und das orölos nal 4dg. 
RG überhaupt nicht Appofition, fondern höchſtens wie das durch Ares repräſentirte o/xos 
a abifat (deun es iſt zu erllären: „was, von welcher Beichafienheit eine Gemeine bes 
en Gottes if“) zu Eexxino. 3. £. feyn kann. Daß bei unferer Berbinbung des orvlos 
* Abſchnitt aſyndetiſch beginnt, zeugt durchaus nicht, wie Huther meint, gegen dieſelbe, 
Kar. 5,1.6,1. 12. 9, 1 8. [auffallend vielmehr if das xal bei einem nenen Anfang]. 
u ns evooßeias uvorjpeov Ehriftus ift, nicht feine Lehre, ſieht man ſchon aus der Fort⸗ 
* 05 dyarepdn dv oapxi, was als Appoſition zu faffen if, „er, der im Fleiſche geoffen⸗ 
” *3. d. h. der im Fleiſch Geoffenbarte, im Geiſt Gerechtfertigte u. ſ. w., vergl Krüger, 
e amm. 8.51.13. Anm. 6. Uebrigens ift zo rüjs evosßslas uvormpior, von Chriſtus ge⸗ 
„e un dem Gedanken, fondern auch dem Ausdrud nach ächt pauliniſch; vgl. ben Gegen⸗ 

| 2. era rijs dvonias 2THefl. 2, 7. und Ehriftus ale Kvarngıor and Kol. 1, 27. und 

2 (ud) der richtigen Lesart 100 uvarnplov, Xptorov). 








296 Timotheus u. Titus, die Briefe Panli au 


aller Gerechtigkeit und Gottfeligleit den Glaubenslfampf kämpfen und am göttlich, 
Gebot unbefledt fefthalten bis zur Erſcheinung des Herrn Jeſu 6, 11—16. Da hie 
mit der Gedanke an das Weltende und das legte Gericht gegeben war, fo ſchließt fi 
hieran die Aufforderung an den Timotheus 6, 17—19. fehr natürlich an, die Reich 
in der jegigen Weltzeit zu ermahnen, daß fie nicht hoffärtig ſeyn und fid nicht « 
die Unficherheit des Reichthums verlaflen, fondern reich feyn follen an guten Werke 
er felber wird alsdann zum Schluſſe nody einmal 6, 20—21. vor der Irrlehre 
ihrem Wiſſensdünkel gewarnt. 

Aus diefer Inhaltsangabe unferes Schreibens fehen wir, daß daſſelbe im Ga 
wohlgeordnet abgefaßt ift, und zumal wenn man bedentt, daß ed an feinen Geh 
Timotheus und nicht an die Gemeine als ſolche gerichtet ift, wie ſelbſt Baur zu 
nach diefer Seite Nichts darbietet, was gegen feinen paulinifchen Urfprung mit 
geltend gemacht werden kann. Am meiften könnte man Noch an dem wiederholten R 
gegen die Irrlehrer 1, 3 ff. 4, 1 ff und Kap. 6. Anſtoß nehmen. Allein daraus 
heilt hauptfächlich doch nur da8 Gewicht, welches Paulus denfelben beilegt; daß er 
mentlich noh am Schluſſe 6, 20. 21. mit einem kurzen, fcharfen Wort auf fie ; 
fommt, ift ächt paulinifch, wie aus dem fonft befonders gut disponirten Briefe on 
GSalater (Sal. 6, 12 ff.) hervorgeht, wo er ebenfo wie in unferem Briefe mit ı 
Bekämpfung gleich anfangs begonnen hat, Gal. 1, 6 ff. vgl. auch 1 For. 16, 21. 
1, 12 ff. Wenn mir übrigens auch zugeben, daß nad; fireng logifchem Schema 
die Irrlehrer nicht an drei verfchiedenen Stellen zu handeln gewefen wäre, fo 5 
wir doch gefehen, daß ihre dftere Erwähnung ſich durch den Zuſammenhang jedel 
ganz natürlich macht, daß ſtets neue Seiten der Härefle und ihres etiwaigen Ein 
zur Frage kommen und daß allen Stellen eine Mare, einheitliche Anſchauung bon ds 
Zuftande einer Irrlehre zum runde liegt, wie fie in der Zeit des Paulus in m 
Gegenden wirklich exiftirt haben muß. Auch fonft wiffen wir, daß Paulus feine One 
nicht immer nad) einem abflraft logifhen Schema gearbeitet hat. Ein ?yälfcher wir 
dagegen das über die rauen 3, 11. Geſagte, da die Rede 3, 12. 13. hinterher de 
noch Etwas über die Dinfonen nahbringt, dort Kaum haben ftehen laſſen. Nam 
ift mir auch die parenthetifche Ermahnung des Timothens über das Waffertrinter % 
23., welche in die dort abgehandelte Materie logiſch durchaus nicht Hineingehört, Ir 
durch die dort an ihn ergangene Ermahnung, ſich heilig zu halten, zu deren Belärs 
fung hinzugefügt ift, weil Timotheus das Waflertrinfen (f. über daflelbe S. 277) W 
guten Beifpiel® wegen für feinen ſchwachen Magen zu weit trieb, bom jeher als em N 
fonder8 fchlagender Beweis für die Aechtheit unfers Briefes erfchienen, weil das ber 
fie bezeugte fürforgliche Interefie des Paulus für den Timotheus nicht bloß fet 
fiebevollen Herzen durchaus entfpricht, fondern fo individuell gefärbt erfcheint un 
undermittelt herborbricht, daß es unmöglich erdichtet feyn Tann. Daß der Sl 
der Gedanke in den befonders fchiwierigen Stellen 1, 3 ff. und 3, 15. 16. eb 
auf Paulus weift, haben wir bereitS oben gefehen. 

Wenn man die Unächtheit unferes Briefs darauf gegründet hat, daß neben } 
hriftlihen niorıs auch die Liebe und der fittliche Wandel betont wird, fo geſchieht 
auch 2 Timoth. und Titus, und Aehnliches findet fich befanntlich auch in anderen Br 
de8 Paulus. Jene verhältnifmäßige Betonung des fittlichen Elementes in ml 
Briefen, die nicht geläugnet werden fol, hängt aber, was nicht genug beachtet if, 
ihrem Zwecke innerlich zufammen. Unfere Briefe haben e8 mit unlanteren Lehrern ta 
einfeitig intelleftualiftifcher Richtung zu thun, deren Spekulationen in die Irre mi y 
Logomachien führen mußten, weil ein religids-fittlichee Grund und Halt in der [ds 
lirenden Perfönlichteit nicht vorhanden war. Ihnen gegenüber war daher die Net 
iwendigfeit des religiös - fittlichen Faktors zu betonen, in deflen Mangel der tieffle Ern 
ihrer "falfchen Gnofis aufzuweiſen und ein ungeheudyelter, mit Liebe und gutem Goife 
verbundener chriftlicher Glaube zu fordern 1, 4—7. 19. 20. 4. 2 ff. 6, 3. 2.21 





Timothens u. Titus, die Briefe Banli au 297 


luchaupt foll gerade der chriſtliche Lehrer vor Allen auch eine religids » fittliche Per⸗ 
ünkkteit ſeyn, theils weil er ein Borbild der Gemeine feyn foll und nur unter dieſer 
Iimmsiehung mit feiner Lehre recht auf fie wirken, theils weil ex mur fo die Flamme 
ie hriftfihen Erkenntniß in fich felber rein und hell erhalten uud fein eigenes Heil 
kihofien kann. Daher zumal bei der von jenen Irrlehrern ausgehenden Gefahr der 
Sefährung die Ermahnumgen an den Timotheus, welche wir 1, 18. 19. 4, 7 ff. 4, 
124.6, 11 ff. 20. 21. leſen. Webrinens ift gleichzeitig die Gnaden⸗ und Berfüh- 
mmgdichre des Paulus unzweideutig gelehrt 1, 12—16. 2,5—7. 3,15.16. vgl. 2 Tim. 
1,8f.2,8.4, 7.8 Ti. 2, 11—14. 3, 4—7. Hieraus erhellt auch ſchon die 
drigkeit des Vorwurfs einer doftrinalen Auffaſſung des Chriſtenthums in unferem 
Briefe. Die chriſtliche Religion kann natürlich an fich recht wohl als göttlihe Wahr» 
it, als im Ehrifto geoffenbarte göttliche Lehhre (dıduoxuria), als die Lehre ſchlechthin 
tder die Lehre Gottes 1 Tim. 6, 1. Tit. 2, 10. gefaßt werden, da hierımter die Lehre 
fr Gottfeligkeit 1 Tim. 6, 3. und als ihr Iebendiger Grund und Mittelpunkt der im 
Hei erfhienene, gekreuzigte und erhöhte Chriftus 1 im. 2,7. 3,16. zu verſtehen ifl. 
Miher wird das Chriſtenthum daum aber, und zwar wieder nicht bloß 1 Tim. fondern 
Aa clen Baftoralbriefen, als die fchöue oder gefunde*) Lehre bezeichnet, 1 Tim. 1, 10. 
46.6, 3. Ti. 1, 9. 2, 1. 8. 2Tim. 1, 13. 4, 3., ohne Zweifel im Gegenſatz zu 
der befrittenen „feanlen« Irrlehre 1 Tim. 6, 4. 2 Tim. 2, 17. (yayyoaıa). Da die 
"elehrer der Paſtoralbriefe ihren Anhängern eine mit Unrecht diefen Namen tragende 
Onsfis verhießen (1 Tim. 6, 20. 21.), fo erklärt fih, daß Paulus im ihnen das 
Teſenhum befonders oft auch als die Lehre oder als die gefunde Lehre gegenüber 
fer kanfhaften Larakterifirt hat. Die Beſtimmung dıa rrc Tewwoyortas 1 Tim. 2,15. 
W514, kann bei Paulus trog 1 or. 7. nicht auffallen, da die unerläßliche 
Yeinung des awleIu dıd tig rexvoyovlac, d. h. des Seligwerdens mittelft ber 
Glan des fpecififch weiblichen Berufs, welcher nad} der dem Apoſtel (vgl. 1Xim.2,12. 
!2 14,34.) unftreitig vorfchwebenden Stelle 1 Mof. 3, 16. das Kindergebären (fowie 
ii Bertalten eines Hauſes 1 Tim. 5, 14.) und nicht da8 Lehren und Veherrfchen des 
Banes ift, indem Zar uelvwow (die Frauen) dv nioseı u. f. w. hinzugefügt wird. 
Ist Kindergebären, überhaupt die mütterliche Beflimmumg des Weibes bezeichnet übrigens 
bier gewiß um fo lieber als vereinbar mit der chriftlichen Seligfeit, als die von 
in belimpften Srelehrer in Folge ihrer dualiſtiſchen Principien nad) 1 Tim. 4, 3. die 
kteloſigleit geboten. Eben deshalb wäre es nicht bloß ummotivirt, ſondern auch unver⸗ 
dig geweſen, wenn Paulus in unferem Briefe, wie 1 Kor. 7,7., zingleich für folche, welche 
Charisma dazu hatten, die Enthaltung von der Ehe hätte empfehlen wollen. Daß die 
Ahyeren Wittwen kein kirchliches Gelübde ablegen, fondern wieder heicathen 5,14., foll, 
bie aus 86. 11—15. hervorgeht, nur wegen der in ihnen herrfchenden finnlidhen Triebe 
pitehen, um dem Widerſacher leinen Anlaß zur Läſterung zu geben, wie er das aus 
im Grinde auch 1Ror. 7, 2. 9. räth. Auch iſt der Zufag 1 Tim. 2,7. AnIelar 
ku, 08 verdoua nicht anftößin und 1 Tim 2, 7. nicht, wie felbft von Bleek, Einl. 
6. 495 behauptet wird, aus 2 Tim. 1, 11. und Röm. 9, 1. compilirt. Am wenigften 
mal dv Xosorio nach den beflen Handfchriften zu reichen ift und fidh als Gloſſe 
Rt Rn. 9, 1. darftellt, anzunehmen, daß diefe letztere Stelle berüdfichtigt ward, fo 
benig wie 2 Kor. 11, 31. vgl. Gal. 1, 20. oder 1Ror. 7, 19. vgl. Gal. 5, 6. 6,15. 
— 


.) Belanntlich find Sünde und Irrthum ſchon im Alten Teſtamente bildlich als eine zu 
heilende Krankheit und der entgegengeſetzte Zuſtand als geiſtige Geſundheit gedacht und bezeichnet. 
Ind Chrifius gebraucht benfelben Tropus Lut. 4, 19. 20. 23. 5, 31. Matth.9,12. 18, 15. Matt. 
21. Joh. 7, 28. 12, 40. Das bildlihe oyıarreı» in den Paftoralbriefen farın daher nicht auf⸗ 

en, wie auch noch Bleel, Einl. S. 492, meint, nach welchem das Befunde an einzelnen Stellen 
eifener Beife im „Begenfage gegen Unträftiges, nur dem Ohre Schmeichelndet“ gefagt feyn 

d. Gerade in ben Baftoralbriefen warb biefes Bild dem Apoflel mahe gelegt, weil es gerabe 
— ©. 284. und Überhaupt in philoſophirenden nnd therapeutiſchen Kreiſen beſonders 

am. 


298 Timothens n. Titus, die Briefe Banli an 


oder Cal. 3, 28. vgl. Kol. 3, 11. oder Röm. 8, 15. vgl. Sal. 4, 6. 7. oder 1Am 
6, 9. dgl. Sal. 5, 21. auf äußere Abhängigkeit von einander, wohl aber auf Ipentitki 
bes Verfafſers führen. Eher fchon Tann man behaupten, daß die Stellen 1 Tim. 2,7. 
und 2 Tim. 1, 11. nicht unabhängig von einander gefchrieben wurden, wenn auch di 
Aehnlichkeit der Stelle dadurch fehr gemindert wird, daß 1Tim. 2, 7. nicht bloß je 
Betheuerungsformel, fondern auch die Beftimmung 2v rioreı xal dAnIela hinzugelomma 
iſt. Aber fobald wir hier die Aehnlichkeit des Ausdruds nicht wie an dem vorher ax 
geführten Stellen ohne Weiteres aus der Einheit des Verfaſſers erflären wollen, for 
bern an eine fchriftliche Abhängigfeit denken, fo Liegt fr Jeden, welcher trotz der Ark 
fagen 1, 1. 12ff. 2, 7. nicht von vornherein gegen den paulinifchen Urſprung unfer 
Briefes entfchieben hat, zunächft die Vermuthung nahe, es möge Paulus eine Abſqri 
befielben aufbewahrt und diefe, als er die nach Inhalt und Zweck ähnlichen zwei m 
beren Paftoralbriefe dverfaßte, vorher durchgelefen haben. An fich felber hat die hin 
gefügte, wie wir gefehen haben, gerade ächt paulinifche Betheuerungsformel 1 Tim. 2,7 
nichts Auffälliges, da fie von Paulus mit Rüdficht auf die von Timotheus zu beſtrei 
tenden Irrlehrer gefagt iſt, mag fie, wie man gewöhnlich annimmt, zu andorolos ge 
hören, alfo fein Apoftolat betheuern, weil daffelbe wie Gal. 1,1.12.1 Kor. 9,1. vom je 
beftritten, d. h. hier aber, von ihnen nicht als fpecififch verfchieden von ihrer eigene 
Lehrbefugniß angefehen ward, oder was tveniger tahrfcheinlich, zu dıddoxarog ddria 
iv nlorsı xal aAnFela, alfo betheuern, daß er Lehrer der Heiden in Glaube 
und Wahrheit fey, während jene einen erheuchelten Glauben 1, 5. 16. 19. 6, 21 
haben ımd Lehrer der Lüge 4, 2. 6, 5. find, für welche letztere Conſtruktion 2 Ta 
1, 11. ſprechen Tönnte, wenn dort das Weglaffen der Betheuerung mit dem fehlen v 
&v nloreı xal aAnIelo zufammenhängen follte. 
Wo in einer Gemeine die Irrlehre fich geltend macht, da zeigt fich eim befondenf 
Bedürfniß nad tüchtigen Vorflehern und Lehrern, un die Wahrheit zu vertheidigen m 
jene zu widerlegen Tit. 1, 9. Daher ift es nur natürlih, daß die Inſtruktion dd 
Timotheus, welcher bereit3 mit Bezug auf die Irrlehrer in Ephefus 1 Tim. 1, 3# 
geblieben war, fich im erſten Brief an Timotheus wie im Briefe an Titus nu 
auch über die Firchliche Drganifation verbreitel. Dem Zweck der Briefe gemäß ift dxk 
wodurch das Imtereffe für fie gewinnen muß, hier ausführlicher als anderswo im Ant 
Teftament erörtert, aber ftetd fo, daß fie den mancherlei Andeutungen befjelben fo rt 
der Natur der Sache entfpricht und außerdem durch faft gleichzeitige Schriftfleller 
riftlichen Alterthums beflätigt wird. Der Emrioxonos und nesoßvrepog find noch identt 
und wechſeln deßhalb ohne Unterſchied des Sinnes Tit. 1, 5. vgl. B. 7. 1 Tim. 3,1 
(wo defhalb nach dem Enioxonos auch gleich der dıuxovog 3, 8. 10. erwähnt wer 
fonnte wie Phil. 1, 1.) vol. 5, 17 ff. 4, 14. wie Apſtg. 20, 17. vg. 823 
1 Betr. 5, 1 ff. vgl. 2, 25, und nicht alle Presbyter oder Hirten arbeiten im V 
und der Lehre 1 Timoth. 5, 17. vgl. Ephef. 4, 11., obwohl abgefehen von den bau 
fenen Lehrern, bei der damaligen Geiftesfülle nod; Alle — nur nicht das Weib 17: 
2, 11. 12. vgl. 1Kor. 14, 34. 35 — in Öffentlicher Verfammlung lehrend auftr 
fonnten 1 Kor. 14, 26 ff. Ialob. 3, 1. Wie in andern im Neuen Teſtamente erwähnte 
bereit8 einige Zeit beftehenden Gemeinen, in welden das Chriftentfum größeren Anflası 
gefunden hatte, hat die ephefinifche Gemeine das Bedürfniß nad; einer reicher er 
widelten Organifation, befigt außer den Presbytern noch Diakonen 1 Tim. 3, 8. 14 
d. h. Pfleger), welche Arme und Kranke, überhaupt Hülfsbedürftige im Ranen 1 











*) Der Diakon im engeren Sinne hat es im neuteflamentlichen Bereiche überall, fo ui 
es fih nur um feinen eigenthümlichen Beruf handelt, mit der Teiblihen Pflege, ins“ 
fondere der Bedienung zu Tiſch und mit Speifen zu thun, die fi auf Arme, Wittwen, und ıma 
auch bei den Liebesmählern, ferner auf Kranke, Fremde u. f. w. vrgl. Matth. 25, 35 fi. 5, # 
(denxornoaper) bezog und namentlich bei bem Hausbefuch nicht ohne geiftlicye Einwirkung bleibe 
tonnte, vgl. die Apgeſch. 6,1. erwähnte draxoria und die Erläuterung dtaxoreiv rpaxejan an 


Zimothens u. Titus, bie Briefe Panli an 399 


Oesine verpflegten, und Diakoniffinnen, wie es fcheint, einmal verheicathete Branen”), 
ze imen namentlich befahrte Wittwen 1 Tim. 3, 11. 5, 9 ff., welche abgefehen vom 
 beiondern Einwirkung auf ihr Geſchlecht ebenfalls für Arme und Kranke und ua 
am letzteren Ort gegebenen Karabkteriſtik auch für verwaif’te Kinder und Fremden⸗ 
Aue (og. Röm. 16, 2.) zu forgen haben mochten, während in ben erſt eben geftifteten 
heneinen Kreta's Tit. 1, 5 nur von VBeflellung von Presbutern die Rede ift und dem 
aiſdtechend dort auch Leine Diakoniffinmen, da die nosoßurıdes Tit. 2, 3. fo wenig 
ne die ngoßurion 1 Tim. 5, 2. (vgl. Mad zu diefer Stelle) von foldhen zu verfichen 
ind, amähnt werben. Dialonen in dem angegebenen Sinue gab e8 der Natur der Sache 
ud [don frühzeitig in den größeren Gemeinen, wenn fie auch nicht Aberall denfelben 
Rosen führen mochten, und jebenfall® noch vor Entſtehung unſerer Paftoralbriefe, 
Bi: 6, 1 ff. Rom. 12, 7. (vgl. Meyer zu den St.) Phil 1, 1. 1Ror. 12, 28. 
(vo Die localen Kirchendiener oder vielmehr ihre Thätigleiten als arrulrmpes (vgl. Apfig- 
%, 35) und xußeornous, d. bh. wie Luther den Sinn gut wiedergibt, als Helfer 
irfouen) und Regierer (Presbpter oder Vifchdfe) bezeichnet werden 1 Betr, 4. 11.) 
Nadinge find die 7 fir Kirchliche Verpflegung ansgefonderten Männer Apfig. 6, 1 ff. 
a onsbrädlich Diakonen genannt. In Ierufalem felber hießen fie vielleicht and; 
Et fo, da die Bezeichnung eine fpezififch griechifche if; auch die Almofenfausmler im 
ia jldiſchen Siymagoge (vgl. den Art. Synagoge S. 313) find noch verfchieden. Als 
im nannte man fie dort of inra Apſtg. 21,8. im Gegenfag namentlich zu dem 
beleimm der dusdexa, wie dort von Anbegim, und nicht etwa erft im Unterſchiede 
vn dem Mpoftel Paulus die Urapoflel hießen, wie denn der Ausdruck andororo: in 
wa Imoptifchen Evangelien, abgefehen von der Erzählung ihrer Einfegung im dieſes 
With. 10, 2. Marl. 6, 30. vgl. 6, 7. 12. Ruf. 6,13., und vom Lukas, fonft nie 
rad wird, wohl aber nicht felten das zugleich bedeutfame (Matth. 19, 28) oc 
Mæ- Rart 4, 10. 6, 7. 9, 35. 10, 32. 11, 11. 14, 10. 17. 20. 48., Matthäus 


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kan tie ärreimpers 1Ror. 12, 28. und den auch ſonſt hinreichend befannten Sprachgebrauch 
Mm Imoveiv, welcher im Neuen Teſtamente Luk. 4, 89. 8, 3. 10, 40. 12, 87. 17, 8. 22, 27. 
.11, 29. 12, 25. Matth. 4, 11. 8, 15. 27, 55. Mark. 1,18. 31. 15, 41. Joh. 12, 2. Röm. 
85, 31, 2Kor. 8, 4. 9, 1. 13. Hebr. 6, 14. beflätigt wird. Die niedern äußeren Dienſtlei⸗ 
My in den Berfammlungen pflegten damals nicht von befonderen Kirchendienern, fonbern 
1 Ci und Sitte der damaligen Zeit in freierer Weife von der anweſenden Jugend (ol veo- 
Ku. reavioxor Apgeſch. 6, 6. 10. vgl. 1Betr. 5, 5. 1Tim. 5, 1.2. Tit. 2, 6.; vgl. die wear 
ten Therapeuten Philo, de vit. contempl. (ed. Mang.), II, 482), beforgt zu werden. Hiefür 
It and der dem daxora» parallel ſtehende venirepos Lul, 22,26., nur daß der letztere Ausdrud 
B Tienen von Berufs wegen ausfagt; vgl. auch ben Art. „Diakon«. 
*) Die yuraies 1Tim. 3, 11., welche durch das soavrws mit den Bilhöfen und Diakonen 
Mn 8, zufammengeftellt werben, find mit Chryſoſtomus, de Wette, Wiefinger wohl eben⸗ 
don Kichendienerinnen, d. h. von Diafoniffinnen (vgl. Röm. 16,1), zu verflehen, wie denn 
Beh ihre Erwähnung die Erörterung ber Erforberniffe der Diafonen, vgl. Be, 10. 12. nur un» 
Boden wird. Zu Be. 11. ift ans dem draxorerwuoa» B.10, leicht el draxoveiv Felovorr zu 
Pain. Paulus Spricht fi Über die Dialoniffinnen bier nur kurz ans, da er bei Gelegenheit 
ittwen 1 Tim. 5, 9 fi. auf fie zurlidtommen wollte. Daß bei ben yvraixes 8, 11. auch an 
Inftauen gebacht If, was durch ben Ansbrud nicht durchaus ansgefchloffen wird, ift wegen 
RT ganzen Stellung und wegen 2,15. wenig wahrſcheinlich. Ob Jungfrauen ausnahmsweiſe und 
meinen Orten in ber Entftebungszeit der Gemeinen kirchliche Pflegerinnen waren, läßt fich 
Mt fiher fagen, zumal die allmählich fi bildende Firchliche Verfaſſung an bem einzelnen Orten 
20% Bebürfnig namentlich im untergeorbneten Punkten verfchieben gewefen feyn wird. Dia- 
“ıfınen waren Phöbe, Römer 16, 1., und Priscila, Röm. 16, 3. (ovreoyos), 1Ror. 16, 19, 
Uriseinfih amd die Röm. 16, 12. nnd Phil. 4, 2. 8. erwähnten rauen und and wohl bie 
9.21,9. erwähnten Töchter des Bhilippus nad) Euseb. h. eccl. 3,81. vgl. 8, 30. n. 30. Außerbem 
*l. Plin. ep. ad Trajan. epp. X, 96 (duae ancillae, quae ministrae vocabantur) und 
vis. L 2, wo bie Grapte, die in bie Zeit des römischen Clemens geſetzt wird, die Witt⸗ 
und Baifen ermahnen foll, die genannten unftreitig beshalb, weil bie Ehefrauen und Töchter 
turgemäg im eigenen Haufe (vgl. 1.Ror. 14, 35.) durch daB Haupt beffelben ermahnt werben 
len und fie zu ihnen als Pflegerin in Berührung fland. 





300 Timothens n. Titus, bie Briefe Banli an 


(öfter unter Hinzufügung von uasnral) Matth. 10, 1. 5. 11, 1. 20, 17. 26, 14,2 
47, Lukas 8, 1. 9. 1. 12. 18, 31. 22, 3. 47., nad dem Ausſcheiden von Jub 
Iſcharioth ol Evdexu Matth. 28, 16. (uuInrat) Mark. 16, 14. ul. 24, 9. 33,, m 
Herftellung der Zmölfzahl wieder oä dusdexu Apſtgſch. 6, 2. vgl. Apſtg. 1, 26. 2, 1 
und auch Iohannes das Collegium der Apoſtel vo: dwöexu Joh. 6, 67. 70. 71.3 
14. nennt und nur ausnahmsweife aronrorog (mo auch jener Ausdrud nicht pof 
oh. 13, 16. gebraucht Hat, vol. auch 1Kor. 15, 5. Aber ohne Zweifel hat ti 
felber jene Sieben als den Anfang des chriftlichen Diafonats, welden er von I 
paulinifhen Gemeinen her als Gehülfe des Paulus jedenfalls kannte, angefehen, wie 
auch in den gebrauchten terminis dıuxoria und dıuxoveiv Apſtgſch. 6, 2. 4. and 
(vgl. den Art. „Diakon“, anders im Art. „Presbyter*). Daß die Apoftel, welde 
Jeruſalem die Diakonie bis dahin mitvertwalteten, diefe wenigſtens nicht inner ı 
mittelbar ausrichteten, fondern in freierer Weife durch von ihnen Beauftragte, war 
ihren fonftigen vielen und wichtigern Gefchäften begründet und iſt auch wohl in d 
Paſfiv dıedidero, ohne daß die austheilenden Perſonen näher beftimmt werden, Aygd 
4, 35. angedeutet, und nut unter einer folhen Borausfegung erklärt fic genügend, d 
fih die Helleniften Apſtgſch. 6, 1. über die Zurüdfegung ihrer Wittiven in ber fi 
lichen Verpflegung beffagen konnten, was die Beranlaffung für die Gründung eines | 
fonderen Amts für die kirchliche Pflege bildete, welches bei den damaligen gref 
Schenkungen innerhalb der jerufalemifchen Gemeine allerdings eine nicht geringe Wich 
keit hatte. Aber Nichts führt darauf, daR das Amt als ſolches von dem Diafonenn 
wie es fonft im Neuen Teftament vorfommt, verfchieden war. Allerdings ift dem Ü 
tonen das Lehren nicht befohlen, auch 1 Tim. 3, 9. nicht, wo nad) diefer Seit 
bon ihm nur verlangt wird, was jeder wahre Chrift befigen fol. Obwohl es von 
Gemeine berufene Lehrer, lehrende Presbyter gab, fo konnte an ſich, wie wir ge 

haben, damals in freierer Weife noch jeder Chrift, der das Charisma dazu Hatte, in d 
Berfammlung lehrend auftreten. Wenn Stephanus auferhalb der Verſammlung dif 
und predigt, fo thut er das aber auch nicht fraft des ihm a. a. D. von den Ap 

befohlenen Amts, fondern kraft der, wie Apftg. 6, 5. vgl. V. 8. deutlich amgezeigt m 
ihn perfönlich auszeichnenden prophetifhhen Gabe, (1flor. 12, 28), um 

Philippus in Samarien und fonft predigt und tauft, fo thut er das nicht ie 
lemifcher Diakon, fondern, nachdem er auf Anlaß der Chriftenverfolgung Verl: 
verlaffen hatte, als Miffionar und Gvangelift (Apftgſch. 8, 4 ff. 21, 8. vgl. Eh 
4, 11.) Die Worte über den Anlaß und die eigenthämliche Funktion des Kir 


Amts, welche über diefes in erfter Linie entfchetden müflen, lauten Apſtgſch. 6, 1. 
Apſtgfch. 6, 2. 3. zu Mar und beftimmt, als daß man an der Identität deffelben mit 
Diakonat zweifeln könnte. Chen darauf führen auch die von den Apofteln Apftaid.. 
2. aufgeftellten Exforderniffe deffelben, unter denen die Lehrhaftigkeit nicht erwähnt 
da die ooyia von feinen Trägern nicht theoretifche Erkenntniß, fondern praltifde 
heit in der Behandlung des ſchwierigen neuen Amts (vgl. Matih. 10, 16. Kol 4,' 
verlangt. Ueber das Diakonat vgl. auch den Artikel „Armenpflege« ©. 512 fl 1 
Meyer zu Apftafch. 6, 4. und über die Entftehung des jerufalemifchen —* 
denſelben zu Apſtg. 11, 30.; nur daß dieſer hier und Apſtgſch. 21, 18. wohl im we 
Sinne von dem Collegium der Presbyter incl. der Apoſtel (vgl. 1Petr. 5, 1) 
mwenigftens beim Jakobus merden ſich damals namentlich auch die Übrigen Apoftel, 
biele anmwefend waren, verfammelt haben — Apſtg. 15, 4. 6. 22. dagegen im engl 
Sinne von den jerufalemifchen Presbytern im Unterfchiede von den Apoſteln zu D 
ftehen feun wird, wie denn die Juden, von denen die Chriften diefen terminus empfingt 
ebenfalls von Presbytern im meitern und engern Sinne redeten. Cs läßt ſich begreit 
daß fpäter Chrufoftomus hom. 14. in Acta Ap. in foldhe Diafonen wie Etept:a 
und Philippus fi nicht mehr finden konnte. Sonft fpricht auch die ältere Zratitd 
der Kirche für unfere Auffaffung von Apflg. 6, welche nicht bloß durch Cyprian ep. ll 


Timothens n. Titus, bie Briefe Pauli an 301 


3, jeden namentlich auch durch den diefem gleichzeitigen roͤmiſchen Biſchof Cornelius 
hanit wird, welcher bei Eufeb. h.e. 6,43. berichtet, daß die römifche Gemeine feiner Zeit, 
am fie wegen ihrer Größe 46 Presbyter befoß, (unflreitig mit Bezug auf Apſtgſch. 
33 doch nur ſieben Diakonen hatte, welche Einrichtung dort augenfcheinlich fchon 
Auer beftand und bekanntlich auch ſonſt beobachtet iſt, (vgl. auch das alte Gebet bei der 
Oeination der Dialonen, bei welchen ausdrüdlich auf Stephanus hingewieſen wird, constit. 
got. 8,18). Gefetzt aber auch, daß App. 6. keine Dialouen zu verfiehen wären, fo würde die 
Kt, des Diakonats innerhalb der chriftlihen Kirche um die Zeit der Abfafſung ber 
Sehorolbriefe doch aus den andern oben erwähnten nenteflamentlichen Stellen feſtſtehen. 
Der cimifche Clemens ferner, welcher jedenfalls im erften Yahrhnndert, nadı meiner An- 
fit noch vor der Zerftörung Ierufalems den erften Brief an die Korinther verfaßte, be» 
zart 18or. 42. 43 1.44. nicht bloß die Eriſtenz von Biſchofen und Diafonen um biefe Zeit 
B tenfelben Sinne wie Paulus, fondern fagt auch ansdrüdlich, daß beide, die Bifchdfe 
we Diakonen (wofür Polylorp ep. c. 5. 0i nosoßvrego: xal dlaxovoı fagt) bereits 
ba den Apofleln eingefept wurden. Wir machen nur noch darauf aufmerkſam, daß die 
le 1Ror. 44. nicht bloß fachlich mit unferen Paftoralbriefen übereinflimmt, fon- 

ausdrädlich namentlich auch auf die dort über die kirchliche Organifation gegebenen 

tinmgen des Apoſtels anzufpielen fcheint. „Deßhalb *) heißt es hier, weil fie näm- 
Mc Offenbarung von dem .Künftigen Streit mußten, haben die Apoftel die vorher. 
penten, d. h. nad c. 42 und 43 ff., die Zuloxono: und dıaxovo: und zwar nad) 
hi, wenn fie irgendwo perfönlich anmwefend das Evangelium gründeten, vgl. Apſtgſch. 
u, 23. beftellt und darnach uerasv (alfo nad; ihrer Beſtellung, das heißt, wenn man 
bt, vergleicht, bei oder nad ihrer Entfernung aus jenen Gegenden) eine nachträgliche 
Veiang (Zruvogen, wie ſich aus dem Bufammenhange ergibt, betreff der Veftellung 
Welieter) gegeben, damit (örws wie gewöhnlich „damit“, nicht „daß“), wenn fie**) 
Pe ichlten Presbyter und Dialonen) entfchlafen wären, (nicht früher, mährend bie 
za einige Presbyter nach dem Folgenden noch vor ihrem Tode aus ihrem 
Ba entfernt Hatten), andere (nad Anleitung diefee Verfügung) geprüfte 
Diner in ihren (der geftorbenen Presbyter und Diakonen) Dienft fuccedirten. Die nuu, 
le von jenen (den Apoſteln) oder darnach (nämlich nach ihrer Entfernung ans den 
Kerfenden Gegenden) von andern borzüglichen Männern (namentlich auch Gehülfen der 
hofel, wie die durch mehrere apoftolifche Miffionen deu Koriuthern befaunten Timothens 





| * Der griechiſche Text Iantet: Jı& tauınv oUv 177 alla . .. . xaTEornda» robs RPO8L- 
prrors (dgl. sous rpo8pnuErovs c. 43. und bazu c. 42.) xal nerafl Erıvounv dedaxacır, 
w ar noumdacır, dadeforıaı Erepoı dedoxıuaoneroı Ardpes 197 Asitovpyiar avıan, 
ti otr xaraoradevıas un’ dxeiro» A nerafd vg’ Erepwr dlloylum» dräper, ovrevdoxnod- 
m inxlnoias ndons, nal leırovpynjoarıas dururtws zo romvin Tod Ägıorod uerd tareı- 
Movyns, Novıms xal dfaravoms uruaprupnuerovs re rollois IPOrOIs Und Rdvıav, tourous 
name voulkone» dnoßaleodar rjs kevrovpyias x. r. A. 
) Bie ans dem duadeforrar, weldes deshalb auch gleich nach dar xo:umdcdaı» fickt, d. 6, 
5 Succeifton der Zrepoı in das Amt der Entſchlafenen fich ergibt, fo müffen die durch 
Gr hinter Aesrovoyiar bezeichneten jedenfalls mit dem Subjelt in xoumdacr identiſch 
Et können daher ſchon aus diefem Grunde, wenn unter arrar mit uns bie bereits bes 
Ben Presbyter und Diakonen verftanden werden, die Apoftel nicht das Subjelt in xorumducır 
Ren. Bei der letzteren Annahme, welde, wie wir oben gezeigt haben, fi) ſchon pragmatiſch nicht 
hielt, bleibt nur Abrig, mit Rothe m. U. auch das auıav anf bie Apoftel zu beziehen, was 
‚ Die wir oben genauer nachgewieſen haben, unmöglich if. SIntereffant ift es bei unjerer 
Kung, wenigfens jchon bei dem römifchen Clemens die Iebenslängliche Yunktion des Kirchen⸗ 
mett bezeugt und die Amtsentjegung beffelben vor feinem Tode ohne feine Verſchuldung als 
R Unrecht bervorgeboben zu feben, worauf Übrigens das von Paulus (ja ſchon von Chriſtus 
kp, 10, 10. 1.Ror. 9, 14.) über feinen Unterhalt 1Kor. 9, 4 fi. 1Tim. 5, 17 fi. Gefagte 
N deffen Motivirung durch den Typus des altteffamentiihen Prieftertfums 1Kor. 9, 18. vor⸗ 
itet, {als es nicht ſchon früher die Regel war. Die flets in Verbindung mit ben »&or ere 
Unten zgeoßurepo: Clem. 1Ror. Rapp. 1. 3, u. 21. (d. 5. die Alten) haben wie 1Tim. 5, 1. 
"en Namen von ihrem Alter, nicht vom ihrem Amite. 




















302 Timotheus n. Titus, die Briefe Pauli am 


und Titus), don diefen auf Örundlage der apoftolifchen Zrıworn, nachdem die ganze Ge 
meine zugeftimmt hatte, beftellt wurden und der Heerde Chriſti ohne Tadel bemürkig 
ruhig und human dienten, und lange Zeit von allen bezeugt find, diefe aus dem Dienj 
zu vertreiben, halten wir nicht für recht u. f. wm.“ Den Nachdruck, wie auch aus de: 
uaoavrss ro nvesuarı 0.42 hervorgeht, hat vornehmlich da8 dedoxuanuevor, melde 
der Zruevoun entfpricht oder der apoflolifhen Verfügung, die eine nahträglid, 
ift, weil ihr da8 betreffende bloß vom Geiſt normirte Handeln der Apoftel vorangehl 
MWenn nämlich die Üpoftel Presbyter und Diakonen einfetten, nachdem fie fie g 
hatten (doxıudoovres o. 42) mittelft des in ihnen wohnenden Geiftes, fo hatten ande 
borzügliche Männer die Kirchendiener eingefegt, nochdem fie fie geprüft haa 
(dedoxıuooıevoN) auf Grund der hinzugelommenen apoftolifchen ihre Einfegung k 
treffenden Verfügung. Wer alfo die auf diefe oder jene Weife eingefetten Fir 

diener ohne ihre Verfchuldung noch dor ihrem Tode aus ihrem Amte entfernte, wie 

die Korinther bei einigen Presbytern gethan hatten, machte ſich einer Mißachtung 

Apoftel ſchuldig. Dies ift unftreitig der Sinn und Zufammenhang unferer Stelle m 
es ift hier von einer nachträglichen Verfügung *) (Zrwvoun) der Apoſtel, melde fid 

die Succeffion des Epifcopats in das Amt derientfchlafenen Apoftel bezöge, au 

jcheinlich nicht im mindeften die Rede; über bie Stelle und befonder® gegen die 

fafjung der Erzwou; als teftamentarifche (!) Verfügung von Seiten Rothe's, die Anfizg 
der chriftlichen Kirche ©. 389, vgl. auch Lipſius, De Clementis Romani epist. 

Corinth. priore p. 18 sqq. Ritſchl, Alttathol. Kirche (2. Ausg. S.359ff.). Denn 
ift hier nicht die Succeffion der Epifcopen, fofern fie fpäter in der Kirche von 

Presbytern unterfchieden werden, ja nicht einmal der Epifcopen in ihrer Einheit a 
den Presbytern, fondern die Succefflon der Presbyter und Diafonen, und zwi! 
das Amt nicht der entjchlafenen Apoftel, fondern der entfchlafenen Epifcopen m 
Diakonen, welde auf Grund der von den Apofteln verordneten Prüfung gefchehen I! 
zu verſtehen. Solche nachträgliche apoftolifche Verfügungen (Zrıvouat) in Betreff k 
ficchlichen Organismus, wie der römische Clemens meint, find augenfcheinlic namen 
and Tit. 1, 5 ff. 1Tim. 3, 1 ff. vorhanden. Schon bei feinem Weggange von ri 
hatte Paulus, nachdem er dort felber mit der Beftellung von Presbutern vorangegmt 
war, dem Titus einen nachträglichen, wie es fcheint mündlihen Auftrag über lie 
dortige firhlihe DOrganifation gegeben, welchen er nad, feiner Entf 
ſchriftlich Tit. 1, 5 ff. in Erinnerung bringt und noch näher befchreibt, wenn erh 
fagt: „Deßhalb ließ ich did in Kreta zurlid, damit du, was noch mangelhaft if, no 
befierft (Er: deoodwon, denn der Apoſtel hatte bei feiner Anmwefenheit dem Dlangel A 
zubelfen bereit8 begonnen) und namentlid; (da8 xui führt eine species des Na 
befiernden an, vgl. z. B. Wiefinger 3. d. St.) von Stadt zu Stadt Presbyter 
ftelleft, wie ich dir befahl, (ws &yW vor deeruscdun), wenn einer untadelig | 
Eines Weibes Dann u. f. m.” Solche nachträgliche befondere Verfiigumgen bes Farlı 
über den kirchlichen Organismus haben wir aud; 1 Tim. 3, 1ff. 5, 9 ff., welche er de 
in Ephefus zurüdgebliebenen Timotheus 1Tim. 1, 3 ertheilt, nachdem die dortige 9 
meine von ihm felber nad; 1Xim. 4, 14. 5, 17 ff. im Allgemeinen bereits organifl 
iſt. Auch fonft mögen die Gehülfen des Paulus und überhaupt der Mpoftel, zum 














*) Aehnlich heißt, was bisher Überjeben fcheint, Dent.25,13. eine Exırouis von Levit. 19,3 
bei Philo, quis rerum div. haer. 1,495, b. h. eine zur früheren hinzukommende, diefe ergämt 
Berfügung. In dem aud von Lipfius erwähnten Titel der platonifchen Schrift bedeutet eror- 
wahrſcheinlich Zukoſt, Zufpeife (vgl. öpor), etwa unfer Nachtiſch, was ein paffender Titel ein 
kleineren, beſcheiden auftretenden Schrift ift, und ber zweite Beflandtheil der Eompofition Ic! 
fih da von ven „weiden" ab. Dagegen in der Stelle bei Philo geht derfeibe wie bei“ 
mens auf »onos, Geſetz, zurüd, wie bei anderen, auch von Lipfius angeführten Compoſitiere 
Auch iſt die Bedentung des dni nach der Parallele des Philo deutlich die bes Sinzule 
den, bie au nad dem Zuſammenhang unferer Stelle am nächften liegt. 





Timothens u. Titus, die Briefe Pauli an 303 


van diefe fliehen oder nur kürzer verweilen Tonnten, mit apoftolifchen Uufträgen nament⸗ 
ach rüdfichtlich der Organifirung dee Gemeinen zurückgelaſſen feyn, 3. B. Lulas in 
Finn Apſtgſch. 16, 12—40., Timotheus und Silas allein oder zufammen in Theſſa⸗ 
ih und Berba Apſtgſch. 17, 10. 14. 15, wofür man anführen kann, daß wir bie 
heneine in Thefialonich, in welcher der Apoſtel doch nur fehr Kurze Zeit verweilen 
bunte (vgl. m. Chron. des ap. Zeitalter S. 40. 43.) ſchon in den bald darauf ver 
häten Briefen an die Tcheffalonicher 1 Theſſ. 5, 12. organifirt finden, vgl auch 1 Thefi. 
1.2 Apſtgſch. 18, 5. Ja es ift nicht unmwahrfcheinlih, daß der römifche Clemens 
af die erwähnten Zruvoual in den Briefen des Timothens und Titus ausdrücklich zu⸗ 
Kine. Der S.301 Note * citirte Text des Clemens erinnert nämlid an Titus 1, 
4, fofern ex die Einfeßung der Kirchendiener ebenfalls durch zadıoravas bezeichuet und 
kt Sompofition des Zrıdiogdwon mit dnı in der Bedeutung des Hinzufommenden, 
Kohtäglihen in Verbindung mit ds yW 001 dıerakanny nicht bloß den Begriff, fondern 
wc den Ausdrud der Zrrevogn nahelegte; noch entfprechender würde ex duudıarayn 
Kt imdıara&ıc*) (vgl. Gal. 3,15. Znidiaraoososu:) lauten, nur daß das bon 
Kim Verbum gebildete Hauptwort nicht üblich gewefen zu ſeyn fcheint. An den Brief 
Timothens erinnert in den Stellen des Clemens c. 42 u. 44 nicht nur bie faralte- 
iſhe Bezeichnung der Kirchendiener als Znioxonoı xai dıdzovoı, fondern namentlich 
daß das doxsualcodaı, als defien Richtſchnur, wie wir gefehen haben, bie druwous 
Aofel bloß gegeben wird, auch 1 Tim. 3, 10. ausdrüdlicd; geboten ift, (dem Sinne 
dal. auch das raydmg under! 1Xim. 5, 22), ferner, daß der feltenere Ausdrud 
moan bei Clemens cap. 44. auch 1 Tim. 3, 1. vorfommt, nnd zwar wahrſcheinlich 
Bir Wale von dem kirchlichen Amt überhaupt, dem des Zrioxonog wie des ducxovog: 
dat iuoxonn; oder Inioxeyıg nämlich pflegt fon bei den LXX. Num. 3, 36. 
4 1Chron. 24, 19. 26, 30. Pf. 109, 8.; vergl. Apgeſch. 1, 20. das hebräifche 
m: zechifch wiedergegeben zu werden, um jedes Amt, iusbeſondere and; jedes 
Eid Amt, ſowohl das des Prieſters wie des Leviten, zu bezeichnen. Daß ZmioxonN; 
in 3, 1. das kirchliche Amt überhaupt, nicht das fpezielle des Epiflopat® im Unter- 
Ai tom Diakonat bedeutet, erhellt ſchon aus dem mangelnden Artikel; es iſt zu über- 
ha: „Buverläffig if die Rede: wenn einer nad) einem Amte ſtrebt, fo hat er Luſt zu 
mm ihönen Werk (zu &pyor vgl. 2 Chron. 23, 18. wo die LXX. damit da8 hebrätfche 
Mm: amihreiben). Mit diefem allgemeinen Spruch wird die Erbrterung über den 
Pilihen Kirchendienft 3, 1—13 eingeleitet, indem darans mit oo» Folgerungen für 
txioxonog B. 2—7 und dann gleicherweiſe (woarrwg) für den Diakouus und bie 
niſſe B. 8 ff. gezogen werden. Ebenſo ift die Zmıoxonn aber andy von Elemens 
der. 44 don dem Amte überhaupt gefagt und in der Anwendung nad) dem dort 
ridenden Aufammenhange wenigſtens im Anfange des Kapitels jedenfalls nicht bloß 
— 


9, Einen vetfchiebenen, aber doch Ähnlichen Begriff bezeichnen wahrfcheinlich die viel beſpro⸗ 
un deuripaı zar dnoorölo» duarafeıs bei Pfaff, Irenaei fragmenta anecdota p. 25, 
ke allerdings, wie auch Motte a. a. O. S.370 will, zedıa« (oder auch reorepar, wie bei 
km.Al.Strom. 7. 8.11. p.834) zör aroor. darazeıs, d. b. fhon früher beftebende apoflolifche 
kttnungen vorausfegen, nur daß, wie bie legteren von den fchriftlich gewordenen apoftolifchen 
Krtnungen im Neuen Teflamente fleben, vgl. Pfaff a. a. O. S. 147, Zrafav ol droarolor x.t.), 
“m Gegenfage dazu diejenigen außerteftamentifchen traditionellen Anorbnungen, welche man 
* oder weniger direkt anf das Wort der Apoſtel zurüdführte, mochten fie zur Zeit des Frag⸗ 
atiſten bereits nmiedergefchrieben feyn oder nicht, bezeichnen müſſen. Kür unfere Auffaffung 
Ret auch die jener Bezeichnung wehrfcheinlih zum Grunde liegende Stelle 1Kor. 11, 34: ra 
wa, os dv 2190, dıarafonas (vgl. auch daB derafaunv Tit. 1, 5), wo mündlide An⸗ 
taungen des Apoſtels gemeint find; ferner der bekannte jübifche terminus MIR, devripwois. 
X Auficht Kothe's, dag wegen des deuregar uur zeitlich befimmt abgegrängte apoſtoliſche dua- 
sen, nämlich ſolche, die in bie Zeit der fogenannten eigentlichen Kishenfiftung um 70 n. Ehr. 
Im und ſomit bie Thatſächlichkeit der Ietgenannten Aunahme beflätigen, zum verfichen feyen, 
'iwerli zu halten, 








304 Timothens n. Titus, die Briefe Panli an 


auf da8 Amt der Zrioxonor, fondern zugleich auch auf das der duuxovos zu begiehen 
wie nicht bloß aus dem gleich folgenden zoods moospnuerovs, über deſſen Beziehung nct 
©. 301 (vgl. dazu den Tert Note*) fein Zmeifel obwalten Tann, fondern aud daran 
erhellt, baß in c. 43 die göttliche Veftätigung des Stammes Levi, welcher die Brief 
und Leviten zugleich oder das geſammte altteftamentliche Amt befaßt, ala bedeutung 
voll für die Stellung der oosıgngevor angefehen wird, womit c. 40 zu vergleichen 
wo das altteftamentliche Amt ald Typus des hriftlichen gefaßt ift, und zwar, währe 
der Hohepriefter mit feinem eigenthümlichen Opfer, unftreitig befonder® dem Sühnop 
am Berföhnungstage, nach dem auch fonft benutzten Hebräerbriefe augenfcheinlich als Typ 
Chrifti, de wahren Gpxıspevs, vgl. c. 36 und c. 58, betrachtet ift, die Prieſter 
Typen der Presbyter- Epiftopen und die Leviten als Typen der Diafonen, wie m 
durch den Ausdrud der idime dıaxoviaı angedeutet wird. Auch an andere Auf 
[ungen des Clemens auf unfere Paftoralbriefe lönnte man denfen, namentlich beilf 
2 Foo: Eis nüv :oyov ayaFov vgl. Tit. 3, 1. (faft mörtlih) und 1 Kor. 58 
Aöv megıodcıov vgl. Tit. 2, 14, wo Wort und Begriff zufammenftimmen, ! 
feltenere Ausdrud indeß, obwohl er 1 Petr.2,9. anders lautet, zur Noth auch ummilt 
bar aus Exod. 19, 5. LXX. entlehnt feyn könnte. Vgl. Otto, Paſtoralbr. S. 876f 
wo noch andere Anklänge 3. B. 1Tim. 2,8 vgl. 1For.29 ſich finden, welche, die I 
genannte Stelle etwa ausgenommen, unſicher zu ſeyn fcheinen. An fich felber if 
durchaus nicht unwahrſcheinlich, daß der römifche Clemens die Paftoralbriefe gen 
und auf fie in feiner Weife, wie auf die Briefe an die Korinther und Hebraͤer, ch 
fie zu citiren, angefpielt hat. Ex fonnte fie mindeftens ebenfogut kennen, wie z.B. 
Brief an die Hebräer, da Timotheus und Titus, die Empfänger diefer Briefe, befami 
längere Zeit mit ihm in Rom waren, und e8 lag ihm um fo näher, in feinem Brick: 
die Korinther an den betr. Stellen auf fie anzufpielen, als jene beiden Gehülfen ger 
in der korinthiſchen Gemeine, an welche er fchreibt, längere Zeit wirkten und dort unfkel 
manche Kirchendiener auf Grund der apoflolifchen Verfügung eingefetst hatten, wie de 
die ZAddyınoı üvdoes 1Ror. 44. nad dem ganzen Zufammenhange nach ©. 301 be 
ders auch von ihnen zu verfiehen find. Wie nun der in den Paftoralbriefen befcrice 
kirchliche Organismus xüdfichtlih der Bifchdfe und Diakonen durchaus paulinifd =) 
apoſtoliſch ift und von den apoftolifchen Vätern fchon vorausgefett, ja ausdrädidn 
wähnt wird, fo Läßt fi Wehnliches auch von dem dort angeführten Kirchendienemit 
fogen. Ueber die Dialoniffen im Allgemeinen, welche wir 1 Tim. 3, 11. verflchen, | 
von uns ©. 299 ff. und dort befonders Note ** bereit ausreichend gehandelt, wir melk 
nur nod einiges Nähere über die 1Tim. 5, 9 ff. erwähnten Wittiven *) hinzufüge 
welche von uns für Kirchendienerinnen und von den Diakoniffen (dem dıuxdrows 
&erimolas Röm.16,1.) nicht verſchieden (dgl. indeß auch den Art. „Diakoniffa”) ao 
fehen werden, nur daß der legtgenannte Begriff einen größeren Umfang hat. & 
leicht zu ertennen, daß die Wittwen 1Xim. 5, 9 ff. nicht wie 5, 4 ff. in Bein 
kommen, fofern fie von ber Gemeine zu unterftüen find, vgl. Apgefch. 6, 1., alſo 
xararsyloHo DB. 9 nur ihre Aufnahme in die Zahl der zu unter Rügenden Bi 
wen ausfagt unter Hinzufügung der für diefen Zweck nöthigen Erforderniſſe, wie 3 
Neander behauptet.- Es muß dur das xuruigydodw vielmehr ihre Aufnahme i | 
Bahl der mit einem Gemeineamt Betrauten bezeichnet feyn; denn abgefehen datt 
daß gerade von der Bedürftigfeit al8 einen Erforderniß für jenes xararlyeodı | 
nicht die Rede ift, weßhalb follte eine Wittwe von der chriftlichen Gemeine nicht unit 
ſtützt werden, wenn fie weniger al& 60 Jahre alt war oder mehr als einmal heirathe 
wenn fie feine Kinder aufgezogen hatte u. f. w.? während eine ähnliche Forderung, 
die durch Eros ardoös yırz V. 9 formulicte, weſentlich mit denfelben Worten aud 
*) Nach Baur, Apoftel Paulus S. 497 Mote, foll das kirchliche Inſtitut der Wittwen, n 


welchem 1Zim. 5, 5fi. Die Rede jey, eines der enticheidenpfien Merkmale des fpäteren Urferam 
unferes Briefs feyn, wie in wenig fchlagender Weife bewiefen wird, vgl. unten. 





Timsthens m. Titus, bie Briefe Pauli an 305 


de simlihen Kicchendiener 3, 2. 12. ansgefprocdhen wird, da bie Öffentlichen Funk. 

ta der Gemeine Borbilder berfelben feyn und weder nad) innen nod außen Anſtoß 

za |olten, was fie damals durch wiederholtes Heirathen thaten, wie denn Paulus 

æaetſeits eine prinzipielle Ehelofigleit bei diefem Stande (vgl. 1 Tim. 4, 3. 2, 15) 

a fih und bei feiner befonderen Aufgabe ebenfalls nicht gut heißen konnte. Frühe 
Serhiter unferer Kicchendienerinnen waren die dienenden (dsaxovovon Matth. 27, 55. 
Sit. 15, 41. Luk. 8, 3. 10, 40.) frommen frauen und Wittiven in der Umgebung 
Erifi ud die Frauen der Apoſtel, welche diefe auch wohl auf ihren Miffionsreifen 
Ir. 9, 5. begleiteten umb durch welche das Evangelium, wie andy der alerandrinifche 
Üimms Strom. III 8 53 p. 536. meint, Einfluß auf die yuramwrirss gewinnen 
weht. Einen Unterfchied zwiſchen den 1 Zim. 5, 9 ff. erwähnten Kirchendienerinnen 
mi de Zahl der Wittwen und den Dinkoniffen oder Pflegerinnen, zu denen Phöbe 
Bu 16,1. gehörte, kann der Unterzeihnete durchaus nicht finden, vgl. m. Chron. des 
al Zeitalter S. 308 ff. u. Rothe a. a. D. ©. 243 ff. Es fcheint mir nicht be- 
Hart, mit Moshetm, de Wette (welcher freilich die Aechtheit des Briefes beftreitet), 
Banger A. für jene alte Zeit neben der weiblichen Diakonie noch eine andere, höhere 
fikhe Ehrenftellung, die des Wittivenamts, (einer Art nosoAurion neben dem nosoßV- 
zw) ya behaupten. Denn abgefehen davon, daß die Vervielfältigung von Kirchen: 
in in der Alteften Zeit mar auf Grund zwingender Zeugniſſe zugugeben ift und 
Runde Dienfte noch ohne Beſtellung eine® befondern Amts geleiftet wurden, fo ift nad; 
Pens der Frau gemäß ihrem natürlichen Beruf, nad; welchem fle nicht in bie Oeffent⸗ 
Mt teten fol und für das Leben in der Familie gefchaffen ward, das Lehren und 
Norm in der Kirche als des Maunes Sache und zwar gerade auch nach dem erflen 
Bir m Timothens 1 Tim. 2, 11—15. vgl. 1Ror.14,34 ff. 11,3ff. (nad) der Iegteren 
Co U fie im der Verfammlung auch verfchleiert ſeyn) entfchieden unterfagt; wie 
tan fee aber mit den Bresbntern, die ja eben Lehrer und Regierer dex Gemeine 

mm als ſolche den Diakonen gegenübertreten, irgend parallelifirt werden! Man 

lir die Ausdrücke zesoßurepos, welche vom Alter und von der Würde gefagt 

"Ma Finnen, mit einander zu verwechſeln. Bon Gemeine wegen konnte der chriſt⸗ 

Ka Fran nur die die männliche Diakonie ergänzende meiblihe Diakonie in dem 
299 angegebenen Sinne übertragen werden. Auch führen die von ber Wittwe 1 Tim. 
% 10, verlangten Exforderniffe nur zu dieſer Anficht. Daß aus fpäterer Entwidelung 
—X Presbyteriſſen und (nach falſcher Auffaſſung von Tit. 2, 3) nosaßurides im 
l. Iaodic. um 360 n. Ch. can. 11. (nach der lateiniſchen Meberfegung des Diony- 
M Erigums vidune (!) seniores) erwähnt werben, kann für das richtige Verſtändniß 
Ber Stelle Nichts austragen. Welche andere ober höhere Ghrenftellung ſollte die 
hiche Wittwe gehabt haben als die Phöbe, welche Panlus auf's Dringendſte empfiehlt 
ld npoordrıg noAluv zul avroü Zuov bezeichnet, mag man dies durch Patronin 
Särforgerin, Pflegerin wiedergeben, und eben diefe bezeichnet ex ausdrücklich Rom. 16, 1 
Dialoniſſe (Bflegerin) der Gemeine in Kenchreä? oder warum follte eine in den Kirchen- 
N tretende Wittwe eine höhere kirchliche Geltung gehabt haben, als die in biefem 
arbeitende Priscilla und andere verbeiratbete frauen, 3. B. bie frauen der 
welche diefe im Intereſſe des Evangeliums anf ihren Rundreifen begleiteten ? 

Rd nicht das bloße Alter, die 60 Jahre, Können der kirchlichen Wittwe ein höheres An⸗ 
N gegeben haben. Denn, abgefehen davon, daß dies hohe Alter vom Apoſtel unftreitig 
ir ole Regel gemeint if, vie denn Umothens nach 1 Tim. 5, 11. jüngere (vewrlpas 
R Sinne don B. 1.) Wittwen, als deren Altersgränze ımgeführ das 40. *) Lebensjahr 
Acht ſeyn mag, abweifen fol, und alle bejahrten rauen, nicht bloß die Wittwen 
ger mm die im den Ktechendienfl berufenen Wittwen die Tit. 2, 3—5 erwähnten 


*) Dahin wird auch fpäter in der Juſtinianiſchen Novelle (lib. XXIIL cap. 18), concil, 
— 14. vgl. dagegen cod. Theodos. XVI. 2. 27., die Wltersgränge der Dialonifſen 






Baalı@ucpkiopäpie füz Theologie und Kirche. Suppl. III. ” 





306 Zimothens u. Titus, die Briefe Pauli au 


Pflichten hatten, fo wird jenes hohe Lebensalter keineswegs zur Ehre bes Wittive 
ftandes gefordert, fondern weil man an jüngeren Witten, ohne häuslichen Beruf, v 
fie waren, in dem verſuchungsreichen Ephefus bereits traurige Erfahrungen 1 Tim. 
11—13. 15. gemacht hatte. Die Wittwen nämlich, welche in den Kirchendienſt tratı 
durften, fo lange fie in diefem fanden, nicht heirathen, weil alle mit einem kirchlich 
Amt Betrauten nur einmal (Evös ardgds yurn) geheirathet haben follten. Indem 
in ein folches eintraten, erklärten fie, ſei's ftilfchweigend oder ausdrüdlich, dem He 
ganz angehören und nicht wieder heirathen zu tollen. Es mar dies zwar nad d 
Grundfägen des Apoſtels, welcher nicht den äußeren Schein der Enthaltfamfeit verlm; 
fondern die fündliche Begierde im tiefften Innern befiegt wiſſen will 1 Kor. 7, 9. 
auf die Treimilligfeit des Handelns in diefem Punkte 1Kor. 7, 35. 37. 39 gr 
Gewicht legt, unftreitig ein wiederrufliher Entihluß, wie denn noch Eyprian | 
epist. 62. die Virginität als wiederruflich (vgl. Giefeler, Kirchg. I. 4. Ausg. S. 40 
behandelt und fogar ſchon der Jude Philo die freiwillige Virginität der jüdiſch 
Therapeutinnen im Unterfchied von der unfreitwilligen bet den heibnifchen Priefterim 
de vita*) contemplat. II. 482. (ed.Mang.) hervorhebt. Indeß iſt der durch ihr a 
mäßiges Gelüften hervorgerufene Wille der jugendlichen Wittwe zu heirathen eine Is 
hebung der dem hunmlifchen Bräutigam beiviefenen erften Treue (neWrn niorıs 1 
dgl. Offenbar. 2, 4. 5.) und ihr nothwendig werdender Austritt aus dem Amt ma 
Anſtoß geben, welcher durch die Forderung eines höhern Alters beim Eintritt verhäi 
werben follte. Ueberhaupt fehen wie aber aus unferer Stelle, daß damals befonbers vi 
Wittwen zur Dialonie binzutraten, was bei ihrer durch ihre Lebensführung leicht g 
geförderten äußeren und inneren Begabung zu diefem Amte (1 im. 5, 5. 10.) 

bei den berufslofen, verlaffenen, von der Gemeine unterhaltenen ernften Wittwen dp 
auch das jüdifche Seitenbild der Anna Luk. 2, 36. 37.) nur natürlich iſt. Beilh 
von Anfang unter den Diafoniffen zahlreich vertreten waren und befonders teil ii 
letztere auch in der heiligen Schrift vornehmlich bei Gelegenheit der Wittiven 1 Zinn 
5, 9 ff. gehandelt if, wird das ganze Inſtitut der Dialoniffen fpäter, aber noch mät! 
unferer Stelle und überhaupt im Neuen Teflament, zumal die verheirathete ron ink 
Diakonie immer mehr zurüdteitt, und befonderd bon foldyen, die eine Dialonie i 
Sinne der Schrift wollen, auch wohl als viduatus, 3. B. Tert. de veland. vig: 
6. (Scio alicubi virginem in viduatu ab annis nondum viginti collocatam) kf%- 
net. Je mehr im der chriftlichen Kirche die Chelofigfeit empfohlen wird und foga !ı 
Monogamie in Miffredit kommt, defto " häufiger werden die Jungfrauen unter W 
Dialonifien; ja jene werden (im dem afcetifchen Orient) Constit. apost. 6, 17. fo 
bevorzugt und Chryſoſtomus fpricht bei Gelegenheit unferer Stelle hom. 31 in diren 
N. T. loc. von Choren (zoo) von Yungfrauen, wie es einft Chöre vom Wittiven D 
firchlichen Perfonal gegeben habe. Aus dem fpätern Vorherrſchen afcetifcher Iungfrust 
unter den Diakoniffen namentlich in einzelnen Gebieten der Kirche folgt nicht, mie m 
Chryſoſtomus andentet, das Vorherrſchen der Jungfrauen ſchon zur Zeit ihrer apofad 
fheu Stiftung, wo, wenn überhaupt Iungfrauen, und dann höheren Alters, unter iba 
waren, diefe jedenfalls auch nicht zur Chelofigfeit verpflichtet wurden. Zwei Cinmwid 
welche man unferer Anficht zu machen pflegt oder machen könnte, haben wir nod m 
. erwähnt. Der erfte beruht auf der Faſſung von xrow 1 Tim. 5, 9 ale Prädilat » 
Wittwe twerde ausgewählt, oder, wie man das xuraigyzadın gewöhnlich faßt, eing 
tragen u. f. w.“, welche Conſtruktion höchftens zuläffig (aber auch dann nicht woh 
fheinlich) wäre, wenn man mit Winer Gramm. 8. 64. 4. (6. Aufl.) blog on male 
flügumgebedürftige Wittwen benfen könnte, weil x/oa dann doch denfelben Sinn behä 


” Zuvscusvrar dE nal yuvaines (nicht bloß Männer), ar nleiosm yeparal (mitte 
unter den Männern and viele juuge waren, falle fle nur des theoretifchen Theiles ber Put 
fophie mächtig waren) zapderoı ruyrarovar, rn? dyvelav oux dvayın xadanep du !©\ 
rag’ Eilnoıw legeıiv, dsapvlafaoaı uallo» 7 xad Exovaior yyaunr x. t. L 


Timothens n. Titus, die Briefe Pauli am 307 


ve räher und nicht terminus für eine Firchliche d. h. im Kixchendienft ſtehende Wittwe 
& daft man rom a. a. D. nun doch als terminus für eine „lirchliche⸗ Wittwe 
a innert fi daran, daß auch damals ſchon nicht bloß Wittwen Kirchendieneriunen 
um (vgl das yuruixıs l Tim. 3, 11. und Überhaupt ©. 299), fo wird man um 
tefeb vermeintlichen terminus willen der bier entwidelten Anficht gegenüber entweder 
ka vidustus innerhalb der Kiechendienerinmen ſchon zur Zeit der Paftoralbriefe als 
heſendere Ehrenfinfe hervorheben, was, wie wir gefehen haben, ſich gefchichtlich nicht 
rhtfertigen Läßt, oder aber behaupten wmüfjen, daß derfelbe bereits 1 Tim. pars pro 
toto, wie allerding® hier und da im fpäterer Zeit, das gefammte Perſonal der weiblichen 
Viotonifien umfafle. Im letzterem alle, welchen z. B. Baur flatuirt, würde einerfeits 
wi 1Tum. 5, 9. 10. die gefammte weibliche Diakonie wegen des &rös ardeds yurı 
ad de Zroworodproer n. |. w. nur ans Wittiven und verheiratheten Frauen, nicht, 
‚we der die Umächtheit umferer Briefe anfechtende Baur vor Allem will, auch aus afceti- 
Wa Yungfrauen beflehen; und andererfeits, da das zrous B. 11. ebenfo wie V. 9. 
Kit werden muß, würden ®, 11-13, wenn man in wenig wahrſcheinlicher Weife 
ui vaur das zrpus ale Accuſativ des, Prädilats faſſen wollte, zwar auch afcetifche 
Aufrınen verſtanden merden Tönnen, aber umgefehrt alle verheirathete Frauen als 
dabnifſen ausgefchloffen werden, fo daß die letztere Anfſicht ſich ſchon aus dem nädı- 
ka Aufommenhange als durchaus unhaltbar ergibt. Es ift dagegen Alles Mar nnd 
mid jeder Einwurf gegen unfere Anficht abgefchnitten, tvenn zroa überall in der⸗ 
klen gewöhnlichen Bedeutung feftgehalten und you B. 9 als Subjekt (vgl. z. 8. 
Tue md de Wette) betrachtet wird, wobei dann zu exflären ifl: „eine Wittwe werde 
wirbt, für dem Dienfi*) ausgehoben.“ Daß der Dienft der Kirche, nicht des Staats, 
wi urailysoIas (|. unfere Note) befonders üblich ift, gemeint werde, ift aus dem 
Ymnhange Bar; dem Ginne nad hätte für das zumal dem bamaligen Lefer 
dehen verfländliche zaraieylaIw auch etwa xaudıoraodw dıdxorog gejagt werden 
Ban Einen andern Einwurf fügen diejenigen, welche mit uns 1 Tim. 5, 9. zwar 
na ein Berzeichniß unterflügungsbedürftiger Wittiven denken, aber die kirchlichen 
Fe von den Diakoniffen unterfcheidend jenen eine höhere Ehrenſtellung zuweiſen, 
ai die Forderung eines Dienftalterd don 60 Jahren, welches für Diakoniffen un. 
Kid fen. Allein, abgefehen davon, daß bdiefes Alter vom Apoflel nad ©. 305. 
m old Regel gefordert wird, fo Tann der ganze Einwurf nur gegen die mit einigem 
rende gebramcht werden, welche ihrerſeits unfere Stelle von dem gefammten Per- 
hau der Kicchendienerinnen oder Diakoniſſen handeln Iaffen, während nad; uns hier 
RT von den ans den Witt wen genommenen Dialoniffen die Rede ift, die Dialonifien 
& aut den verheizatheten fyrauen und (menn es foldye bereits gab) ans den Jung» 
Auen, obwohl alle in den Kirchendienſt berufenen Franen nach damaliger Sitte gewiß 
& reiſeres Alter befaßen, immerhin feine 60 Jahre alt zu feyn braudten, die be 
efienden Diafoniffen aber je nach Bedürfniß fi, in die Gefchäfte getheilt haben werden. 
dp aber gerade bei den Wittwen nur der Umfland, daß fie als Diakoniſſen nicht 
Meimul verheirathet feyn ſollten, nicht die Rüdficht auf den Inhalt ihres Berufs, nad) 
m im Ephefus gemachten Erfahrungen eine höhere Altersgränze nothwendig machte, 
en ⸗ 
wir S. 305 ff. bereits geſehen. Uebrigens iſt noch zu bedenlen, daß bie weibliche 
) Kardloyos von xaraltyaır auswählen (vgl. dulsyer, hnleyetr) bezeichnet die Auswahl, 
Anepebung zu irgend einer Ehrenftellung, namentlich zu einem öfentlichen Dienfte im Staat und 
der, dann dag Berzeichniß der auserlefenen Perfonen ſvgl. insbefondere 0o/ Er xaraloyw von 
ken Conſeribirten, ferner d xardloyos bei Eynefloß in der ©. 288 angeführten Gtelle, wo «6 
ven dem Bergeichnig auserlefener Schriftſteller flieht}, und zaraleyeır daun auch in den Katalog 
wfnehmen, Ob wir nun das xaraley. an unferer Gtelle gemäß der zuerſt genannten Beben- 
fang don der Anshebung für den Kirchendienſt, oder aber, falls ein öffentliches Verzeichniß ber 
rdendiener, waB leicht ındalich iſt, befland, gemäß ber zweiten von ber Aufnahme in den Kar 
log berfiehen, iR für den legten Sinn unferer Stelle gleichgültig; vergl. Übrigens auch bie 
Wamirung der yügaı unter die zodomza duntenrd bei Clem. Alex. Paed. IH. 12. p. 809. 
w o 

















308 Simothens n. Titus, die Briefe Pauli an 


Diakonie in der apoftolifhen Zeit nicht, wie jetzt gewöhnlich, in der bloß äuferlide 
leiblichen Pflege beftand, fondern legtere, wo es dienlich war, gewiß auch von geiſtliche 
Zufprud; und Gebet, wie ähnliches ſchon von allen bejahrten Frauen Tit. 2, 3. e 
wartet wird, begleitet feyn follte, daß die weibliche Diakonie nur zum Ergänzung d 
männlichen hinzulam und daß den Diakoniſſen für die äußere Handreichung wie eir 
den Apofteln gewiß auch manche freimillige jüngere Kräfte zu Gebote flanden, vgl. au 
noch die von Lucian de morte Peregrini opp. III. 335. Reiz. erwähnten yoaidı. 
Unfere Anfiht, daß unter den Wittwen 1 Tim.s, ff. Kirchendienerinnen und zwar Di 
toniffinnen zu verftehen find, läßt ſich auch aus ber lirchlichen Zradition beflätigen, u 
wohl diefe im Zuſammenhange mit der fortfchreitenden kirchlichen Entwicklung amd 
manche Trübungen in diefer Beziehung, wie oben fchon angedeutet ift, erfährt; fo dm 
die ©. 305 Note* citirte Stelle des cod. Theod,: nulla nisi emensis LX. annis s 
cundum praeceptum apostoli ad diaconissarum consortium transferatur (io ob 
das Dienftalter von 60 Jahren, welches 1 Tim. 5, 9. urfprünglich von der Diakoniſſe 
Wittwe ausgefogt ifl, irrig auf alle Diakoniſſen Übertragen wird), Bozomen. 7, I 
Tert. de veland. virgg. c. 6. u. 9. ad uxor. 1, 7. Chrysost. hom. 31 in diva 
N. T. loc. (f. oben, ander8 Chrys. im Comment.). Die wie e8 fcheint älteſte Ste 
welche kirchliche „Wittwen“ erwähnt und nach Gedanken und Ausdrud auf unfern Bi 
zurüdgeht, findet fich Ignat. epist. ad Smyrn. c. 13., wo id} die durch den armeniih 
Tert bei Petermann beftätigte *) Lesart der kürzern griedifchen Necenflon son 
Touaı . . . Tüs nogFlvovs, Tas Aeyopivas xroos wid grüße [die Hänfer unfa 
Brüder fanımt Frauen und Sindern und] die Sungfrauen, die fogenannten Witwen 
für urfprünglih halte. Unter den rauen werden die kirchlichen oder die fogenan 
(Aeyousvas) Wittwen noch befonders als zu grüßende hervorgehoben. Da den Bit 
das Prädilat napsEvor gegeben ift, erhellt, daß dies nur figlielich gemeint ja 
fann, nämlich von dem jungfräulichen, fih der Ehe enthaltenden Xeben d 
firchlichen Wittwe, was ganz zu ihrer Karakteriſtik 1 Tim., wornach bdiefelbe mi 
wieder heirathen follte, flimmt. Nach diefem Sprachgebrauche nennt Strabo 14, 6 
die Briefteriunen der ephefifchen Artemis zapdEvor, jagt Philo an dem S. 306 ımy 
führten Orte, daß die meiften Üherapeutinnen Aegyptens, welche mit den männlide 
Therapeuten das Weftmahl hielten , betagte nupsEvor (unter denen nad dem 
contempl. $ 2 und 3, unftreitig auch manche früher verheiratete Frauen ſich befara 
waren, redet Epiphanius haer. 30,2. bei ben afcetifchen Ebioniten von ngsoßrrepmn 
napFevoı (Diakoniffen), und fagt Clemens Aler. Strom. VII. ($. 72. p. 875. e 
Potter): 7 xroa dıd owgpoovvns wudıs nupstvos. Es ift nur Mißverſtändniß, ve 
man jene Stelle des Ignatius zum Beweiſe dafür, daß unter dem terminus ber 

lichen Wittwe fchon frühzeitig auch Iungfrauen einbegriffen geweſen wären, hat anfüht 
wollen. Aber auch neben den kirchlichen Wittwen Können die Jungfrauen als Diatonif 
dort nicht erwähnt ſeyn; theils hätte dann ein xul vor zug Asyoudvag xroug nicht fehl 
können (was im der längeren Recenſion fich aud) findet, welche fi} dadurd) und du 
üunopsLvovs flatt 100060vucç deutlich als gefäljcht verräth), theils würde die ( 
wähnung der zap#Evoı jedenfalls erft nach derjenigen der yijouı ertoartet werden könnt 
Die Tendenz der längeren Necenfion tritt noch deutlicher hervor in der Nahhilde 
des unächten Brief des Ignatius ad Philipp. c. 15 (aondloumı TO avorzua I 
nugstrwr, TO Tayua Tor xrowr), wie in deffen unächten Briefe ad Tars. c. 9, I 
Polykarp Phil. c. 4. nachgebildet if, nur daß Letzterer hier **) gar nicht bloß an fin 


*) Der Unterzeichnete hält die fteben Briefe des Ignatius für Acht und zieht im Allgemein 
gegenäber ber längeren bie kürzere griechifche Recenfion vor, fo inbeß, daß dieſelbe an di 
zelnen Stellen interpolirt iſt und mit Hülfe des fonft überlieferten Tertes, namentlich des Im 
hen und armenifchen, berzuftellen if, vrgl. and ben Art. „Ignatius«. 

**) Nach Polykarp a. a. O. follen bie Wittwen heilig feyn, erfennend, daß fle ein AI 
Bottes (Svoraoınpıov Feov) find (welcher heilig iR, vgl. bie Ähnliche Argumentation 1 Kot. 


Timsihens u. Titus, bie Briefe Pauli an 809 


ie Bitttwen, fondern au Wittiven überhaupt gedacht hat. Der Abſchnitt Aber bie 
Iihen Wittwen 1 Tim. 5, 9 ff. beiveifet ſich aber als authenthiſch und mfprünglic 
a# bioß dadurch, daß er aller weiteren Entwicklung in ber Kirche und zwar ſchon 
sitefler Zeit nachweiſslich zum runde Liegt, fondern auch in der firengen Forderung 
ass Dienflalter® von 60 Jahren, wie man fie fpäter ſchwerlich geftellt haben würde, ferner 
urn, daß der Ansdruck xroa noch nicht als terminus gebraucht ift nnd daß die kirch⸗ 
ihn Vittwen nach B. 16. (dal. andy Wieflnger 5. d. St.) nicht als foldhe, fondern nur, 
wie alle übrigen würdigen Wittwen dann, wenn fie keine Bertvandte haben, die fi ihrer 
archmen, don Seiten der Gemeine unterhalten werden folln. Die Stellung von B. 16. 
int am Schluſſe der Erbrterung über die kirchlichen Wittiven läßt nicht zweifeln, 
vf des bier Geſagte auch von Letztern gelten muß; die Ovsws xroa V. 16. aber, 
wie aquch B. 3 und 5 vorkommt, bezeichnet zwar an allen diefen Stellen diefelbe, 
da mc, vie Baur toill, die Eicchliche, fondern bie twahrhafte Wittwe, d. h. diejenige, 
wide fih fo beträgt, wie man es von einer Wittve erwarten darf. Wie die kirch⸗ 
Ka Witwen nicht als Diakouifien, fo feinen auch die Dialonen [unftreitig weil fie 
im Lehrer und Regierer der Gemeine waren], damals nod; nicht wie die Presbtter 
lm. 5, 17. 18 [wenigftens ift von den Diakonen in diefer Beziehung gar nicht die 
Bi. von der Gemeine unterhalten zu ſeyn. Sim und Aufammenhang des auch 
Kader anflößigen 19ten Verſes ift einfach folgender: Auch eine kirchliche Witte foll 
u ſolche nach Ba. 16. mur auf die BE. 3. erwähnte zur) Anſpruch machen. Die 
pi verſehenden Presb yter follen einer doppelten eu gewürdigt werden, d. h. 
Kt bloß der BE. 3. erwähnten Hochadhtung, vgl. 1Chefl. 5, 12. 13., fondern auch 
ve zum des Öffentlichen Unterhalts, welches Leutere dann BE. 17. od; bewieſen wird. 
In iht Banlinifche diefer Forderung erhellt aus 1Xor. 9, 4 fi. Sal. 6, 6. Die 
dalz tun iſt Constitutt. ap. II, 28. bereits mißverflanden, wenn fie den Presby- 
wa ma deu bei den Agapen zufammengebrachten Gaben einen boppelten Autheil 
Dei, 

Samnlafiung und Zweck des erften Briefs an Timothens find fehr einfah. Paulus 
kit, ach Macedonien reifend, feinen Gehülfen Timothens in Ephefus zurüdgelafien, 
a insiihen die dortige Gemeine zu leiten, namentlich and) vor einer gefährlichen 
ehre zu behikten, 1, 3 ff. Nach 3, 14. 15. hoffte ex bald zu ihm zurüdzufehren. 
& x aber micht ſicher if, ob feine Nüdtehr ſich nicht doch verzögern werde, fo gibt 
& im vorforglich noch die eingehende fchrifiliche Inftruktion umferes Briefs, damit 
Limotheus weiß, wie man (d. h. er und alle Audern im Haufe Gottes, was eine 
Öeneine des lebendigen Gottes if) wandeln muß. Bis zur Müdlchr des Mpoftels foll 
Tin der ephefimifchen Gemeine Acht haben auf die Öffentliche Borlefung, die Ermah- 
"m, die Lehre, 4, 13. Daß unfer Brief dem Zwecke einer folchen Inſtruktion ent- 
kiht, Laßt ſich ans der S. 203 ff. gegebenen Darlegung feines Inhalts erfehen. Mit 
Keht hat daher auch Bleek, obwohl er fonft, wie Schleiermacher, an der Aeqhtheit der 
deren Baftoralbriefe fefthaltend, die des erſten Briefs an Timotheus beftreitet, den 
Beronfengang deffelben wicht unter den Gründen feines Zweifels angeführt. Wir wollen 
her noch einige Gründe anführen, welche der erwähnte, meift umfichtige, in dieſem 
Punkte aber augenfcheinlic, von feinem Lehrer noch abhängige Kritiker für die Compi⸗ 
ktion unferes Briefes ans den beiden anderen Baftoralbriefen und feine Unächtheit an- 





16.17. Die von der Gemeine zu unterflügenden Wittwen find gleichfam Gottes Altar, durch 
zelhen die ihm von jener bargebrachten Gaben in ihm wohlgefälliger Weife verzehrt werben, 
De Einf die Opfergaben durch das Fener bes Altars. Vergl. ſchon Hebr. 13, 16., we die Werke 
ber Bopitpätigkeit und Bruderliebe als Fvor/aı des Chriſten bezeichnet find, und Sat. 1,27,, 
Be aur Wittwen uud Waifen als Objefte des unbefleckten Gottesbienftes der Chriſten hervor⸗ 
eheben werben, ferner Phil 4, 18. 2, 30. 2Kor. 9, 12. Das Bild von dem Altar lag dem 
Belylarp am fo näher, ale die Gaben ber Gemeine damals bereits ale Opfergaben in öffent« 
der Berfommiung dargebracht wurden, vrgl. Kitſchl, altkathol. Kirche. te Ausg. S. 857. 











310 Timothens u. Titus, die Briefe Pauli an 


gibt, zumal diefe zum Theil auch von Solchen, die alle drei Briefe beflreiten, vor 
getragen werden. Übgefehen von den Folgerungen, welche aus der behaupteten Iden 
tität der 1Tim. 1, 20. 2 Tim. 2, 17. 4, 14. etwähnten Perfonen OHumenäus un 
Alerander gezogen werden, worüber unfere Bemerkungen ©: 278 Note *, S.393 Rote‘ 
zu vergleichen find, fo fol e8 nach Bleek (Einleit. 490 ff.) unter der Boransfegun 
daß unfer Brief erſt nach der fogenannten erften römiſchen Gefangenfchaft von Panlı 
gefchrieben ward, fehr auffällig feyn, daß derfelbe feinem langjährigen, bereits vielfel 
erprobten Gehülfen Timotheus noch ſolche allgemeine Anweifungen wie 3, 1—13. 5,91 
über die erforderlichen Eigenfchaften der Presbyter und Diakonen, der Diakoniffinng 
und Preöbyterinnen zu geben hatte, noch dazu, ohne beflimmte Perfonen troß fen 
Kenntniß ihrer Tauglichkeit für die betreffenden Aemter in VBorfchlag zu bringen. Fette 
hat er indeß auch im Briefe an Titus nicht gethan, und konnte es fogar nicht einmd 
für alle eventuellen Fälle, wobei zu beachten ifl, daß die Beftellung der kirchlichen Acta 
namentlich des Dialonats, zumal in fchon organifirten Gemeinen wie Epheſus, nei 
Allem, was wir wiſſen, auch gar nicht bloß vom Apoftel ausging. Was aber die Aal 
fälligfeit einer folhen Imftruftion für den Timotheus nad fo langer Erprobung va 
feiner Tüchtigfeit betrifft, fo haben wir einen derartigen, nicht ganz ungegründeten Gun 
wurf unfererfeit3 nicht zurüdzumeifen, da wir die Abfaflung unferes Briefes in frühes 
Zeit (f. fpäter) glauben beweifen zu können. Es laſſe fich ſchwer glauben, meint Ble 
ferner, daß Paulus follte daS Perfünlihe und die Hinweifungen auf perfönlide s 
hältniffe fo ganz haben zurüdtreten laffen, wie in unferem Briefe gefchehen [dieß iſt ab 
durchaus nicht der Fall, da fowohl die ſpeciellſten Beziehungen auf feine eigene Perf 
1, 11—16. 20. 2, 3. 3, 14. 15. wie auf die des Timotheus 1,2. 3. 18. 4,1%.4 
5, 23. 6, 12.20. nicht fehlen). Es fänden fi) nicht einmal Grüße, weder des Pau— 
an die Gemeine oder an einzelne Mitglieder der Gemeine, noch aud; wieder an Tier 
theus von Seiten der macedonifchen Chriften. Ganz anders als in unferem Brick ia 
das in 2 Tim. und auch im Titusbriefe. Darin liege für ihn der bedeutendfle Ins 
felsgrund, andere Gründe betrachte er mehr als felundär. Bon diefem bebeutenbfen 
Zweifelögrunde bleibt, wie wir gefehen haben, Nichts übrig, als daß Paulus in mie 
em Briefe keine Grüße beftellt weder von ſich noch aus feiner Umgebung. Warum fol 
aber Jemand und aud) Paulus nicht einen Privatbrief fchreiben können, ohne Dritte geiit 
zu laffen oder von Dritten zu grüßen? fchreibt dod auch legterer fogar Briefe an 
meinen, an die Chriften von Galatien und Theffalonich *) und an die Chriflen m 
Ephefus und vielleicht auch andere Ehriften (vgl. Ephef.6, 23.24), ohne zu grüßen; be 
dieß hatte Paulus Ephefus erſt vor kurzem verlaffen und wollte bald dahin zurüdieee. 
Seinem Imhalt nad iſt unfer Schreiben eine fpecielle Inſtruktion des Timothens, welhe 
fi auf die Führung feines damaligen Amtes wie feiner Perfon bezieht, zu unmitt 
barer Mittheilung an Andere nicht beftimmt, weßhalb fi) die Anrede durchgängig um 
on Timotheus wendet, wie denn auch 6, 22. nad guten Handfchriften werd or mi 
nicht 9° vum, weldyes fi) in Folge gleichmacheriſchen Strebens aus 2 Tim. 4, 2 
Tit. 3, 15. eingefchlichen hat, zu lefen feyn wird, da das uera con ſich ebenfalls au 
Gründen des Zufammenhangs nach der 6, 20. an den Timotheus gerichteten Ermoh 
nung befonders empfiehlt. Dabei finden fich, wie wir gezeigt haben, auch fonft die co® 
creteften Beziehungen auf die Zuftände der ephefinifchen Gemeine, fowohl bei der Ku 
rafteriftit der dortigen Härefie als auch bei der Darlegung des kirchlichen Organisuud 
und der lirchlichen Berfonen, 3. ®. 5, 11—13. 15. Es fey, meint Bleel ferne, 
1 Tim. 3, 1—13, vgl. Tit. 1, 5—9. von den Eigenfchaften der Gemeinebeamten dit 
*) Auch im erſten Theffalonicherbrief hat Paulus bie Leſer nicht gegrüßt, da er fie 1T0eR, 
5, 26., wie namentlih aus Ev gunnarı ayio hervorgeht, zu Liebes + umd dgriebensgemeiniczt 
unter einander („grüßet die Brüder alle mit heiligem Kuß«) wie Röm. 16, 16. 1Kor 16,2 
2 Kor. 13, 12.; vergl. die Ermahnung eipnvevere &» allnloıs 1Theff. 5, 13., wovon der Zieh 
tuß 1 Petr. 5, 14. Zul. 7, 45. 22, 48. das Symbol war, auffordert. 





Timsthens u. Titus, die Briefe Pauli au 311 


Re am Theil wörtlid, übereinfiinmend, aber fo, daß im Titus nur bie nosofv- 
som ſenannt find, im 1 Tim. aber die nosoßurepos und die dudxoros getheilt nad) 
mr, aber ohne daß in der Angabe der für Beide erforderlichen Eigenfchaften ein 
za laralteriſtiſcher Unterſchied bervorträte, obwohl doch ihre Funktionen verfchieden- 
ag varen, was eher anf einen Nachahmer der Panliniſchen Stelle als auf die Hand 
x Apoſtels führen fol. Indeß hängt einerfeits, wie wir S. 298 fahen, die Erwäh- 
ma; dei Dielonats 1 Timoth. fehr natürlich mit der vorgerlidteren Entwidelung der 
»befniichen Gemeine zuſammen, und andererfeit® wird, mas dem feligen Bleek auffal- 
mie Beife ganz entgangen ift, das für den Enloxonos gerade karakteriſtiſche Prädikat 
kkerzds (vgl. 5.298 ff. u. 300) Tediglid, von jenem 1 Tim. 8, 2. 5, 17. vgl. Tit.1,9., 
Wit auch vom dadæovoc verlangt; vgl. übrigens S. 309, ferner auch das un vedpuros 
Km 3, 6. md das gute Gerücht bei den Dranßenftehenden 1Tim. 3, 7. Daß der 
Iminns „die gefunde Lehrer 1 Tim. 1, 10. dem Paulus im Zufammenhange mit 
in chheftwifchen Zuſtanden fich fehr natürlich ergab umd namentlich wicht anders ge- 
kadt if wie in den anderen Pafloralbriefen, wo er in weniger auffallender Weife 
wi dleet a. a. D. ©. 192 den Gegenſatz zum Weichlichen, Unkräftigen bezeichuen 
Miemer daß 1 Zim. 2, 7. keine Compilation aus 2 Tim. 1, 11. vgl. Röm. 9, 1. 
#, haben mir bereits S. 297 fi. gefehen. ſSchleiermacher's Beweisführung aus der 
Orsie von 1Xim. gegen deſſen Wechtheit iR ungenügend. Theils zählt er eine Menge 
wm ia: Asyduera dieſes Briefes auf, wie fle fi auch in anderen pauliniſchen 
ta und überhaupt bei jedem reicheren Schriftfleller, zumal wenn er, wie in diefem 
be, une Materien behaudelt, finden, ohne dem eigentlichen Styl bes Verfaflers ge- 
ker za prüfen umd das jüngere Alter der bon ihm gebrauchten Worte erweiſen zu 
mn Theile follen fih Spuren eines Plagiats insbefondere bei Bergleihung mit 
va ni Briefe an Timothens und dem Briefe an Titus ergeben. Zu diefer Ka⸗ 
ume piixen die beiden einzigen von Bleek beigebrachten Beifpiele. Die letztere Be- 
im {ft doppelſchneidig, da die Anerkennung ihrer Unhaltbarfeit die Aunahme der 
Iekkit and, der beiden anderen Pafloralbriefe, welche Schleiermacher mit Recht flets 
wii, gefbrdert hat. Wir haben früher gefehen, daß mehrere der angeblich anf⸗ 
Matten Ausdrüde, wie süss, yerınloylaı, avysı$lasıs {don zur Zeit des Paulus 
Bde termini waren. Schleiermacher und feiner Zeit fehlten überhanpt mandye Er⸗ 
autifke, die jet vorliegen. So if Tit. 1,4. nicht die finguläre Grußformel xcioec, 

‚äppn, vgl. 1Tim. 1, 2. 2 Tim. 1, 2., fonderu mie jet durch ood. Bin. von 
tum beftätigt iſt, xcioc xal elprvn zu lefen. Der berühmte Dogmatiter hat mit feinen 
Seltiden Arbeiten über das Nene Teflament, obwohl ex auch hier und zwar auch ber 
u) der Paſtoralbriefe den Forfchungseifer vielfach angeregt hat, wenig Blüd gehabt, 
kim das forgfältigere meuteftamentliche Fachſtadinm und die nöthige Kenntniß *) bes 
Kiycitigen Indenthums und des Alten Teftaments abgingen.] Endlich behauptet auch 
—2 1Tim. 5, 18. werde wahrſcheinlich Zul. 10, 7. gemeint, dieſe Stelle mithin als 
' Dieſelben Mängel, nur in gefleigertem Grabe, hat als biblifcher Kritiker auch der um die Dog⸗ 
engefdhichte verdiente Tübinger Baur, welche bei feiner dem evangel. Ehriftenthbum abgewandten 
Iefophifchen Richtung ſich aufs Stärkſte ausprägten. Seine nur einige wenige Dokumente als ächt 
hetirenden phantaſtiſchen kritiſchen Reſultate auf dem Gebiete des neuteſtamentlichen Kanou und 
ilteſen chriſtlichen Litteratur, welche einer lommenden Generation bei einem Manne von 
hutigen geiſtigen Bedentung kaum begreiflich ſeyn werden, erklären fi nur aus ber wenn 
„. Außerfih zurückttetenden confequenten Anmwenbung feines die Geſchichte negirenden panlogi⸗ 
— Syſteme auf bie Urkunden bes Chriſtenthums und feiner nicht genügenden 
R von ng zu der betreffenden neuteflamentlichen Specialforihung, zu welcher er überbieß binter- 
ea gun, frembartigen Gefihtspuntten aus binzugetreten if. Den ihm von feiner Schule 
en nescneten Begrifl einer „pofltiven Kritil“ ſcheint er Übrigens bem zu feiner Zeit treff⸗ 
* eutefamentlichen Egegeten H. Planck zu verdanken, welcher in ber im Anfang unſeres Ar⸗ 
ern en Schriſt gegen Schleiermacher S. 125 und 235 an deſſen Kritik tabelt, daß fie 
ri eu habe, „pofitide zu zeigen, welche Abficht der angebliche Nachahmer bei der Unter- 

Ung bes Briefes gehabt, für welchen Zwed er dadurch etwas zu gewinnen gehofft bätte«n. ſ. w. 





312 Timothens u. Titns, bie Briefe Pauli an 


yoopr citiet, was nicht paulinifch und überhaupt nicht apoftolifch ſey. Allein die ®ı 
mifle dieſer Argumentation, daß Lukas 10, 7. dort als your citirt werde, fleht nid 
weniger als feſt. Denn wenn wir auch als wahrfcheinlid, zugeben, daß die Wa 
ao 6 Zoydıns Tod uoFod uvrod, welche duch xa an das Schrifteitat 5M 
25, 4. angereiht werden, von Paulus nicht als Sprüchwort (Mad), fondern als | 
Ausipruh Chrifti gemeint find, welcher von Lukas a. a. D. erſt fpäter nieder 
fchrieben wurde, fo Tonnte er diefe Worte doch eben fo gut aus mündlicher Ueber 
rung referiren, wie 3. B. die Einfegungsworte des heiligen Abendmahls 1 Kor. 11,23 
welche Lukas, der Gehülfe des Baulus, befanntlich in weſentlich ähnlicher Yorm di 
falls fpäter in feinem Evangelium mittheilt. Woher Paulus aber auch die u 
fennen mag — man könnte auch an die damald gewiß jchon erifticende Spruchſan 
lung des Matthäus denken, in der fich bis auf eine geringe Berfchiedenheit wenigſt 
des griechifhen Ausdruds nah Matt. 10, 10. diefelbe Sentenz befand — er | 
fie jedenfall® nicht, was die Vorausſetzung der Bleek'ſchen Argumentation if, | 
yoopr angeführt. Dem im Alten Teftamente gefchriebenen Gottesworte coordin! 
er durch xal das dem Lefer Timotheus befannte Herrenwort, wie es gerade Pan 
mit demfelben altteftamentlichen Schriftwort in derfelben Materie auch 1 Kor. 9,9u. 
gethan hat. Es zivingt nicht nur Nichts, bei dem anreihenden xul das Adyeı 7 yoat 
zu ergänzen, fondern der Sprachgebrauch iſt fogar dagegen, nad) welchem, wem ji 
Skhriftftellen ummittelbar nad; einander citirt werden follten, für das bloße xai vi 
mehr xai mzaAıy zu erwarten wäre, wie Röm. 15,10—12. 1Kor. 3, 20. vgl. Hebt 
1, 5. 2, 13. 4, 15. 10, 30. und bei Philo Öfter. Endlich iſt gegen Schleiernd 
Bleek und Neander, welche (diefer fogar nur ſchwankend) bloß die Unächtheit des ef 
Brief an Zimotheus behaupten, mit Recht hervorgehoben worden, daß alle drei M 
ralbriefe deffelben BVerfaffers feyn müfjen und jener von den beiden anderen fid ı 
nicht ifoliren läßt, wie wir das unter Anderem auch bei der in ihnen befärieben 9 
Iehre gefunden haben, da hier ſtets diefelbe judenchriftliche Pfendognofis zu verftchen 
deren Eriftenz aber für Ephefus und Kreta ſchon zur Zeit des Paulus nad mfa 
obigen Ausführung ſchwerlich zu bezweifeln ift. 
Die äußeren Zeugniffe find der Aechtheit der Paftoralbriefe im Allgemeinen dıd 
aus günftig, namentlich auch der des erften Brief an Timotheus. Ausführliche ie 
deln darüber Kirchhofer, Duellenfammlung zur Geſchichte des nenteftamentlichen Kam 
Scharling und Otto a. a. O. Selbſt de Wette fagt in feiner Einleitung $. 1% 
„daß Marcion diefe Briefe nicht in feiner Sammlung hatte, auch andere Häreiite | 
alle oder zum Theil verwarfen, hatte wahrfcheinlich einen dogmatifchen Grund (vef 
Tert. adv. Marc. 5, 21. Clem. Al. Strom. II, 383. Orig. in Matth. tree. 9 
Hieron. prooem. in Tit.). Sonft aber find fie durch äußere Zeugniffe nicht ieniger 4 
andere panlinifche Briefe beglaubigt.“ Tertullian fpriht a. a. DO. feine Verwundern 
darüber aus, daß Marcion, da er einen Brief an einen einzelnen Mann (nämlich den 
an Bhilemon) recipirt habe, die zwei Briefe an Timotheus und den Brief an Tin 
welche über den kirchlichen Stand verfaßt feyen, zurüdgemwiefen habe. Den hohen Or 
der MWillfürlichfeit feine® Verfahrens bezeichnet Tertullian, wenn er binzufügt: affectavi 
opinor (opinor fteht hier ironifdj), etiam numerum epistolarum interpolare. 
einem hiftorifchen Zweifelsgrund des Marcion, defien Schriften jener Bater ent 
fludirt hatte, farm derfelbe Nichts geoußt haben. Es war ihm deshalb mit Recht ve 
wunderlich, daß derfelbe den Brief an Philemon, welchen man in älterer Zeit ald im 











*) Die einzige Stelle Hebr.1,10., wo das bloße xar bei der Anreihung einer neuen Edrii 
fielle gebraucht ift (nach Bleek auch das von ihm bier gelefene xal Hebr. 1, 8,, was aberin bi 
felbe Kategorie fallen würde), bildet nur eine [heinbare Ausnahme, da hier zwei dom '“ 
bandelnde (vgl. zeos or vior BE. 8.) Schriftftelen zufammengefaßt und fo einer anden 
über die ayysloı handelnden V. 7. gegenübergeſtellt werden ſollten, bier alſo xal xalır gar rid 
hätte geſetzt werden können, ſondern höchſtens, aber umſtändlicher: xa! zalıy xpos zor vier. 


Timsthens n. Titus, Die Briefe Pauli an 318 


me edentend umd als an einen einzelnen ann gerichtet zuweilen berivarf, zwar res 
a, die ihrem Inhalte nad, kirchlich weit bedentenderen Paftoralbriefe aber zuräd- 
=. Iugleich fehen wir aus diefer Stelle Tertullian’s wie auch ans dem Kanon *) 
m Reratori, daß die Paftoralbriefe, wenn ſie auch als panliniſch anerkannt wurden, 
söhefer Seit, weil an einzelne Perfonen gerichtet, hie umd da ſchwerer in den Kanon 
naht wurden, mithin felbft ihr Fehlen im dieſem noch nicht ihren unpaulinifchen Ur⸗ 
ham beweiſt. Häretifee wie der fchon vor Marcion auftretende Balentinus, welcher 
ıchh Tert. de praeser. haeret. 37. 38. im Gegenfap zu Marcion am überlieferten 
Besen fefthielt und feine gnoflifchen Anfichten durch künſtliche Tertesauslegung zu recht 
etigen ſuchte, und defien Schüler haben, wie Hng. Scharling und Otto namentlich aus 
ker den Werken des alerandrinifchen Clemens gewöhnlich angehängten Schrift: dx zwr 
Sudorov . . . Zreronal — zeigen, die Paſtoralbriefe anerfonnt, und an derartige **) 
‚Peretiter ift bei Teert. de praescript. haeret. c. 25. zu denken, wo fie fich auf bie 
‚Bor des Paulus 1 Tim. 6, 20. 2 Tim. 1, 14. von der mapadrnen des Timothens 
sa Beweife ihrer Behauptung berufen, daß Paulus nicht Alles Allen, fondern Etliches 
wßeheimen Wenigen offenbart habe, welche apokryphiſche Tradition fie felber dann 
wrahrt haben wollen. Der Brief an Titus, deflen. Gebrauch von Seiten der Hä⸗ 
min Hug (Einl. I. S. 82) vermißt, wird z. B. von Tatian nad) Hieronym. prooem. 
a Ti. mit Emphaſe hervorgehoben. Daß die Häretiker die Briefe an den Timothene, 
wer Stellen wie 1 Tim. 6, 20. 21. nicht anerlannten, wind uns von Clem. Alex. 
Sm. IE. c. 11. ausdrücklich gefagt; bei Tatian umfte 1 Tim. 4, 3. Anſtoß erregen. 
3 der That waren die Keime des fpäteren Gnoſticismus in den Pafloralbriefen bereits 
wit Shörffte verurtheilt, befonders im erften Briefe an Timothens, der deshalb von 
va inhichen Härefiomachen auch befonder® häufig gegen diefelben citirt wird. Aus⸗ 
walk Citate unſerer Briefe finden ſich ans diefem Grunde bei Clemens aus Aleran- 
m kaäus, Tertullian, Hippolytus, um von den fpäteren firchlichen Polemitern zu 
Unfpielangen ſchon bei Ignatius ad Polycarp. 3. (Erepodıdanzai.) vergl. 
I ı, 3., ad Magnes. 8. (?repodokiuıs, undE uvFeduaoır Toic naAueoic) vergl. 
— — ® 
Bel meine Abhandfung Über biefen in den Theol. Stud. n. Krit. 1847. Hft. 4. ©. 888, 
I (redner, Gefchichte des nenteflamentl. Kanon S. 9 fi. Die Worte des Hieronymus im 
oem in Tit.: Nunc vero quum et evangelia ejus (Christi) dissipaverint (Marcion und ähn- 
EX Hiretiler) et apostolorum epistolas non apostolorum Christi focerint esse 
‘ proprias, miror, quomodo sibi christianorum nomen audeant vindicare. Ut enim de 
ttris epistolis tnceam, de quibus quiequid contrarium suo dogmati viderant, eraserunt 
enymus, weicher vornehmlich an den Marcion denkt, verfieht unter ben coterae epistolae, 
fübus etc, angenſcheinlich die Briefe des Paulus, welche in befien Kanon fanden, während 
b gleich genannten dort fehlen] nonnullas integras repudiandas crediderunt, ad Timotheum 
‘cet utramque, ad Hebrasos et ad Titum, quam nunc conamur exponere. Et si quidem 
eilerent causas, cur eas apoatoli non putarent, tentaremus aliquid reapondere etc. beweifen 
N, mie Dito a. a. ©. ©, 395 fi. will, daß Marcion die Baforalbriefe, weil ihre Lehre ihm 
dem wahrhaft Chriſtlichen nicht in Uebereinffimmung zu fleben ſchien, als bloße Privat⸗ 
Hitfe (oder als nit im Auftrage nnd auf Eingebung des Chriſt gefhrieben) angefehen, im 
* gen aber anerkannt habe, daß ſie von Paulus verfaßt ſeyen. Denn von den Paſtoral⸗ 
sen (und dem Galaterbriefe) fagt Hieronymus ja ausdrücklich, daß die betreffenden Häre⸗ 
ne nicht dem Apoftel oder, wie er gleih baranf jagt, nicht dem Paulus beilegten. Die 
Foß gedruckten, allerbinge gewöhnlich unbeachteten Worte des Hieronymns find zwar 
Ta zu verſtehen: fie behaupteten von Briefen ber Apoftel, daß fie nicht von Apoſteln 
tiſti berrühren, aber eigene Briefe (epistolae propriae) jeyen; es find damit aber neuteſta⸗ 
Rentliche Briefe anderer Apoftel ale des Paulus gemeint, welche Marcion bekanntlich ebenfo 
‚9 wie die Übrigen Evangelien außer dem bes Lufas [vpl. evangelis Christi dissipavit] in 
Bit, Kanon aufgenommen bat. Hier erhalten wir alfo die für die neuteflamentlicdhe Sfagogit 
Intern Rotiz, dag Marcion jene Briefe nicht zuließ, obwohl er ihre Authentie nicht beftritt, 
u, Aut Tängnete, daß ihre Berfafer, die Urapoftel, wie Baulns Apoftel Chriſti feyen. 
—* Einleit. I, 59 in dem auch fonft Iefensmwerthen Abſchnitt über den Gebrauch des 
uhr te bei den Srriebrern will fpeciell an die Karpofratianer benfen, welche nach Iren. 
‚er I, 25, 5, den betreffenden Lehrſatz aufgeſtellt hätten, was aber auch Andere thaten. 





314 Timothens u. Titns, die Briefe Pauli au 


1Tim. 1, 4. 4, 7. Ebenſo liegen die PBaftoralbriefe und befonders wieder 1 Tim. — 
denm auch in diefem Punkte ift diefer Brief am ausführlichften —, dem älteften Ber 
Handlungen über die kirchlihe Berfaffung und überhaupt der ganzen Entwickelung va 
legteren, wie es fcheint, überall zum Grunde, wie wir fahen, ſchon bei dem römilhe 
Clemens, Ignatius, den apoftol. Conftitutionen u. ſ. w. S. 301 ff. Mehr oder wenige 
deutliche Anfpielungen finden fi noch bei einem anderen apoftolifchen Vater, dem Bo 
Iyfarp, ad Philipp. c. 12. (orate etiam pro regibus et potestatibus et principib 

vgl. 1Xim. 2, 2., ad Philipp. c. 5. (didxovor- un Öldoyoı), vgl. 1 Tim. 3, 8. 

Philipp. c. 4. (aoyn de nüvıwv xulendv Qilapyvola. Eldsres vv», orı oVöLr som 
veyxaızv Eis Töv xdauov, Al 000” LEeveyxeiv Tı Eyouev x. T. 4), vergl. 1 Tim4 
7. 10. [die von Otto a. a.O. ©. 387 citirte Parallele Philo de vietim. offer. Man, 
II, 256 ift nur entfernter ähnlich und erinnert an die auch bei Paulus vielleicht zu 
Grunde liegende Stelle Hiob 1, 21.] ad Philipp. c. 5. (xul ovufaoıleroouer avıd 
eiys noTevouer) vgl. 2Xim. 2, 12., ad Philipp. c. 9. (00 ydo Tor vüv Tyanıod 
olova) vgl. 2 Tim. 4, 10.; ferner in dem etwa im erften Viertel des zweiten Jah 
hundert8 wahrſcheinlich in Alerandrien gefchriebenen Briefe des (Pſeudo⸗) Barnaba 
c. 6. u. 12. (dv ougxl Yurspovoduı) vgl. 1Tim. 3, 16., Barnab. c. 7. (6 vi i0 
J0U .. . uEllwv xoivew Lüvrag xul vexpoös x. T. 4.) vgl. 2 Tim. 4, 1. U 
philus don Antiochien citirt ad Autolyc. 3, 14. 1Tim. 2, 1. 2. als Heiog Aoyos 

jpielt a. a. DO. 1, 2. (Aodroov nalıyyereciog) auf Tit.3,5. an, wie fich folde Auſpi 
lungen aud) bei Yuftin im dialog. c. Tryph. c. 47. (N xonororns xal 7 Yılarde 
nie Tod Feod) vgl. Tit. 3, 4., in der ep. ad Diogn. c. 4. (aur@v Heooeßeiug 

one) vgl. 1 Tim. 3, 16., im Brief an die Gemeine zu Vierme und Lyon bei Eusck 
h. o. 5, 3. vgl. 1Xim. 4, 3. 4., und bet Athenagoras leg. pro Christ. p. 15. (X 
angdoırov) vgl. 1Tim. 6, 16., finden. Bon großer Bedeutung ift auch, daß bie b 
teren kirchlichen Verzeichniffe des nenteflamentlihen Kanon aus verfchiedenen Orina 
bereits ſäͤmmtlich unfere Paftoralbriefe enthalten, fo die Itala, die ſyriſche Weberiehug 
Peihito, der Kanon der römifchen Kirche bei Muratori, welche nicht einem eimeln 
ficchlichen Schriftfteller, fondern ganzen Tichlichen Kreifen angehöreh und fänmtlid ai 
dem zweiten Jahrhundert flanımen, ferner der Kanon des Drigenes, die versus ser 
rarum sanctarum im cod. Claromont. vielleicht aus dem Anfange des vierten & 
hundert3 oder früher (vgl. Eredner, Geſch. des neuteflamentl. Kanon S.178). Em 
ferner zählt fie zu den in der Sirche allgemein anerkannten Briefen (örodoyoyum) 
bon da an werden dem Paulus flet® 13, und wenn man den Brief an die Hebräer 
paulinifch anfieht, 14 Briefe, worunter die Paftoralbriefe, beigelegt, fü daß es übe 
flüffig if, die Wechtheit derfelben noch aus fpäteren Dokumenten zu beftätigen. ® 
erwähnen zum Schluß nur noch das von Baur (Paulus ©. 494 ff.) gemißbran 
Zeugniß des Hegefipp (+ um 180), welches bei Eufebius hist. ecel. 3, 32. fo ltd 
6 uvrös avno (Hegefipp) . . . Enudkyeı, ws üpu ulyoı Tor röre xoovav (d.h 
zum Tode des Simeon, des Sohnes des Klopa® zur Zeit des Trajan) mug x 
Japd zur adıcıpFopog Eusvev 5 txxbnoiu (vgl. Euſebius h. e. 4, 22.), Er adr) 
nov oxdteı (yimAsudvrıuv elocrı Tore Twv, el zul TIvig Ünnoxov, nagupdelger in 
xtioobrtuvr rôy dyız xurovu Tod owrnglov xmovyuurog. 2 9 6 18005 sd 
dnoorökwmv yJopög dıcıpogov edge Tod Alov TeAog nugehmAvde Te 7 yercd bau 
Toy uvruig Gxouig ng EvFlov ooplus Enaxotouı xarıkwubor, Tryoaauta J 
agEov mAdrng tiv aoyrw FAdußarev 7 ovaracıg dia sig TWv Eregodıdaox 
Aw» andıng, or *) zul üre und&vog Fri Tv dmoorokv Atınodvov yuurn kom 



















*) d. b. welche auch, weil keiner der Apoftel mehr vorhanden ſey (underos wegen de 1 
jeftiven Färbung der Rede nach Krüger’s griech. Grammatik $. 67. 1.), in ber Folgezeit Id 
mit bloßem Haupte (ohne alle Scheu nnd Rüdhalt) der Berfüinbigung ber Wahrdeit ! 
falfh benannte Gnoſis zu verfiindigen wagten. Zu yvurn z5 xegaln vgl. 5.8. Platon. Pha 
243 B, zeıpaoonaı dnodoüvar ıyr nalıyadiav yuurn ı5 napaln xal org wazeg tote \% 
aloyvyns Eynexakvunuevos und Heinichen zu Enfebins a. a. O. 

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Ziunsthens u. Titus, bie Briefe Pauli an 315 


ıingalz vo Ti aAnIelag xrovyuarı Tv yevdWvvnor yrücıy arrı- 
nme Intyeipovs. Hier fehen die Ausdrücke 6 Uyıns xarar, erepodıddaxalog, 
mwvenes yr@aıs deutlich) namentlih auf 1 Tim. zurüd, wie das nad unferen 
a Beneriangen über die häufige Benupung dieſes Briefes durch die älteren Here⸗ 
ischen natürlich iſt. Auch Baur läugnet nicht die Beziehung zwiſchen Hegefipp und 
n, meint aber umgelehrt, daß der apokryphiſche Verfaſſer des erften Briefe an 
Umehens den Hegefipp (!) benupt habe; denn einerſeits würde der ebionitifch (!) ger 
fante Hegeſippus wohl fchwerlich aus einem paulinifchen Briefe ſich etwas angeeignet 
kim — die ebionitifche, näher antipaulinifche Gefinnung des Hegefippus wird aller- 
Kan auch durch diefe Stelle widerlegt — und andererfeitS hätte Hegefipp nicht fo 
heehen können, wenn der Apoflel Paulus als Berfafier der Bafloralbriefe eben die 
wos yracıs mit diefem Namen als eine ſchon zu feiner Zeit vorhandene *) 
Aikeinung bezeichnet hätte. Allein auch der letztgenannte Grund iſt durchaus unhaltbar 
W eubt nur auf einer eregetifch unzuläffigen Yaffung, indem an die Stelle des von 
derih bezeichneten Gegenſatzes zwifchen einer ohne Scheu und Rüdhalt kund⸗ 
pbenen und einer aus Scheu vor den noch lebenden Apofteln mehr ver 
injen gehaltenen Erxiſtenz der wevdwr. yr@cıs [bgl. den Gegenſatz des yuurj; Aoı- 
“rin ci xupuin mit dem emphatifch vorangeftellten yugrr nnd dazu ©. 314 Note* 
Bin ir adrAwm now oxdreı pwäevdrrwr] der Gegenſatz zwiſchen Eriftenz und Nichte 
«he der falſchen Gnoſis überhaupt gefeßt und dazu ganz überfehen wird, daß 
wirken fogar noch ausdrädlich durch ei xus Ting Unnoyor die Exiftenz der ärepo- 
hlasenloı bereits zur apoſtoliſchen Zeit ausgeſagt if. Daher gehört gerade anch 
freies zu den ältern Zeugen für die Aechtheit der Pafloralbriefe. Es lag nicht 
Koh a der Natur der Sache, daß die Pfendognofis ſich nach dem Tode der Apoſtel 
Nr gab machte, fondern für diefe Anficht hätte Hegefipp fih auch anf alte und 
u uf nenteftamentliche Zengniffe berufen können wie Apgeſch. 20, 29. 1 Tim. 
„l im. 4, 3. Dad. 17 fi. 2 Betr. 1, 12 ff. 3, 1ff. Matth. 24,23.24.; vgl 
“>, md man braucht bei einem richtigen Berfländiß der Worte Hegeſipp's mit 
Wa, Geſch. der Pflanz. bte Aufl. (S. 413 Note 1) nicht einmal daran zu erin- 
EU, dh, wie es eine unhiftorifche, von einem dogmatifchen Interefie erzeugte Richtung 
Mi wilde die Stammväter aller Härefien gern in das apoftolifche Zeitalter verfete 
ade Apoſtel als die erſten Beſtreiter berfelben auftreten ließ, fo Hegefipp einer an» 
en mehr unhiftorifchen, gleichfalle von einem dogmatifchen Intereſſe ausgehenden 
Kg angehörig, alle Irrlehren erſt nach dem Hinſcheiden der Apoftel ausbrechen 
wat er a. a. O. doch aud nicht einmal gethan hat. 
 Abflhtfich haben wir etwas länger bei der Prüfung der äußeren Zeugniffe über 
N: Briefe berweilt, um zu zeigen, daß diefelben ihrer Wechtheit und namentlich auch 
der von 1 Tim. befonders günſtig find, fo daß die inneren Gründe für das 
heil um fo fchlagender feyn müßten. j 
Rüdfichtlich des erften Briefs an Timothens bleibt nur noch der Einwurf übrig, 
fd derfelbe Hronologifc in das Leben des Paulus durchaus nicht einreihen 


' 
— — 
— — 


Nach der neueſten Entdectung Baur's (Chriſtenth. der drei erſten Jahrh. Zte Aufl. S. 84f.) 
MAT auch Hegeſippus a. a. O. grundſtürzende Irrlehrer zur Zeit der Apoſtel zugegeben, da⸗ 
aber namentlich an die Perſon des Apoſtels Paulus (1) gedacht. Es iſt bei dieſer neueſten Ent⸗ 
gnur unbegreiflich, daß Baur feinen früheren ſchneidenden Widerjprnch, Hegefipp ſey einer⸗ 
“m angeblicher Ebionit und ſchroffer Widerfacher des Ap. Paulus, und behanpte andererfeits 
Näber die Zerflörung Iernfalems hinaus eine volllommene Reinheit der Kirche von aller Irr⸗ 
% er ſo ‚Ipät bat bemerken können. Ueber Hegefipp vgl. auch Thierih a. a. O. ©. 66ff. und 
vo Die Briefe des Sohannes (dte Aufl.) S. 103 fi. Was Lüde in diefer feiner neueflen Ans⸗ 
“de Öriefe gegen Baur fagt, gehört überhaupt zu dem Beten, was mit Bezug auf die johan- 

2 Schriften gegen ihn gefagt iſt. In dem fleißig gearbeiteten Artilel „Baur und bie Tü⸗ 
— eß mehr nur die belanntere jüngſte und direlt gegen Baur gerichtete Streitlite⸗ 

n 


316 Timothens u. Titus, die Briefe Pauli au 


laffe, und diefer Einwurf wird bei Manchen cuch gegenwärtig noch bei biejem Vrit 
wie bei allen Paftoralbriefen als der erheblichfte, wenn nicht als der einzige angefehe 
Geſtützt auf unfere obigen Reſultate rückfichtlich des Firchlichen Organismus und d 
Häretifer unſeres Briefes glauben wir diefen Einwurf um fo leichter entfernen zu könne 
Aus 1Tim. 1, 3 ff. 3, 14. 15. 4,13. ergeben ſich (vgl. S. 309) für die Abfaffung 
zeit umferes Briefs folgende Anknüpfungspunkte. Paulus hat nicht lange dor Abfafl 
unferes Briefs, nach Macedonien reifend, feinen Gehülfen Timotheus mit Aufted 
namentlich wider die Irrlehre in Ephefus zurüdgelafen, um bis zu feiner Rü 
die dortige Gemeine zu verwalten. Bei Abfaffung unferes Briefs hofft er nod b 
zurüdzufehren, meint aber, daß feine Rückkunft fich anch verzögern fönne, unb | 
ihm deshalb die nachträglichen fchriftlichen Paftoralinftruftionen unfere® Brief. Uufirti 
befand fich der Apoftel damals auch in perfönlicher Freiheit. Warm war nun Paulus 1 
gleic; mit Timothens in Ephefus, fo daß er ihn zur temporären Verwaltung der dortig 
Gemeine zurüdlaffen konnte? Lukas erwähnt nur zwei Anmwefenheiten des Pauls 
Ephefus Apgefch. 18, 19 ff., als er dort auf der Durchreife don Korinth nad 
folem war und verſprach bald wieder zu kommen, und die Ausführung feines Berfpe 
chens Apgeſch. 19, 1— 20, 1., bei welcher Gelegenheit er mit Unterbrechung nicht ge 
3 Jahre Apgefch. 19, 8. 10. 22. vgl. 20, 31., nach meiner Rechnung etwa von Hei 
54 bis Pfingften 57 n. Chr. in Ephefus verteilte. Mit Bezug auf diefe Angol 
des Lukas haben nun die Verteidiger der Aechtheit rückſichtlich der Mbfafjungszeit 
1 Tim. alle Möglichkeiten befchritten: Paulus habe feine Apgefh. 18, 19. erw 
Anweſenheit in Ephefus gemeint und der Brief ſey um Apgeſch. 18, 23. in Ph 
gefchrieben (fo Calvin zu 1Tim. 3, 14), oder 1Tim. 1, 3. fen eine im feinen Ap 
Kap. 19. erwähnten faft dreijährigen ephefinifchen Aufenthalt fallende Reife des Padıd 
nach Macedonien, die von Lukas übergangen fen (Chryſoſtomus, Mosheim, Sc, 
Reuß, der Unterzeichnete in feiner Chronol., Schaff, Thierfch, Lutterbeck, Reitkum 
zu verftehen, oder aber die am Schluffe bes dreijährigen ephefinifchen Aufenthalts 

20, 1. erwähnte Reife des Paulus nad; Macedonien (Theodoret, Baronius, Petr 
Lightfoot, Pland, Hug, Hemfen, Anger u. A.), wobei Einige, wie ®rotins und Mi 
tholdt, den Brief erft in die Zeit von Apgeſch. 20, 3. fegen, oder endlich eine IH 
des Paulus von Ephefus nad; Macedonien, welche nad; der Befreiung deſſelbe 3 
der fogenannten erften römiſchen Gefangenfchaft fallen foll, alfo in eine Zeit, übrmit 
Lukas Nichts mehr berichtet (Ufher*), Pearfon, Mill, Paley, Wegſcheider, Heydark, 
Guericke, Mad, Wurm, Leo, Huther, Wiefinger), wozu noch fommt, daß mm M 











*) In dieje Klaſſe können nur ausnahmsweiſe diejenigen gehören, welche, wie Theopbuld 
unfern Brief von Paulus in Laodicea geſchrieben feyn lafien. In manden Handſchriften fan 
ih nämlich die Unterfchrift zum Briefe Eypayr aro „laodrmeias, meiftens mit bem Zuſatzt MM 
&or! unzoonolıs Dovyias. Es iſt dann, pie durch Theophylakt zu Kol. 4, 16, beftätigt 
unfer Brief mit dem bier erwähnten, nach Laodicea gerichteten (von Laobicea nur zu hei 
vgl. meine Ehronol. S. 434 und Winer’8 Gramm. $. 66. 6.) Briefe des PBanlus, der in 
ferem Kanon vermißt wurde, fälſchlich identificitt. Da Timotheus bei Abfaffung bes dr 
an die Koloffer nach Kol. 1,1. in ber Umgebung des Baulus fidh befindet, fo erhellt, daß die 
gen, weldhe fo urtheilten, feine Abfaflung ber bes Kolofjerbriefs nicht gleichzeitig, ſondern jräh 
fetten, aber keineswegs erhellt, daß fie ihn nach der fogenannten erſten römiſchen Gefangen! 
geichrieben feyn Iaffen, wenn fie auch fonfl, wie 3. B. Theophylakt nachweislich, eine zweitt 
mifche Gefangenfcyaft annehmen. Ganz gewöhnlich wird, und zwar mit Recht, die Abfaflung 
Kolofjerbriefs in die fogen. erfte, in der Apoftelgefchichte verzeichnete Gefangenſchaft dee 
gelegt, und deshalb wird man im Allgemeinen voransfegen bürfen, 3. ®. auch bei ber Un 
ſchrift des cod. Alex., daß, wo nicht ausdrücklich das Gegentheil vorliegt, aus jener Augabe 
Sicherheit Nichts für eine zweite römifche Gefangenſchaft des Paulus gefchloffen werben dar, 
Eredner, Einl. S.431, gethban bat. Meiftens wird man ben aus dem phrygifden Lact!. 
datirten Brief an den in Epbefus befindlichen Timotheus nad dem VBorgange bes Eprvfotet 
während des Apgeſch. 19. verzeichneten epbefinifchen Aufenthalts bes Paulus haben verfaßt! 
laſſen, in welcher Zeit Paulus jo auch wirflid leicht im dem benachbarten Laodices hätte 
weilen lönnen. 









Timsthens u. Titus, bie Briefe Pauli an 817 


ck 1 Tim. 1, 3. duch Corseltur (nposuelvas für nposueiros Schnedenburger, 
Bar) und dich *) grammatifche Gewaltfamleiten (mopevoueros für mopevöusror 
Hehet) einen umzuläffigen Sinn bat abgewinnen wollen. Da die Apgeſch. 18. er⸗ 
ui epheſiniſche Anweſenheit des Paulus mit Ealvin nicht angenommen werden kaum, 
wi dauals noch Beine chriftliche Gemeine, wie fie unfer Brief vorausſetzt, in Ephefns 
cite, panlns damals auch nicht von Ephefus nad) Macebonien ging und den Time 
bet zur Abwehr der Irrlehre dort zurüdließ, da aber auch ebenfowenig die Apgeſch. 
H, 1. awähnte Reife des Panulus nach Macedonien 1 Tim. 1, 3. verflanden werden 
ken, weil hierzu die Berichte Über den Timothens, melden er damals nad Apgeſch. 
19,22, 20, 4 ff. 18or. 4, 17. 16, 10. 2Kor. 1., nicht zur Berwaltung der ephe- 
hilten Gemeine bis zu feiner bevorſtehenden Rückkehr in Ephefus zurücdgelafien 
abe lam, nicht flimmen und auch Paulus damals nicht beabfichtigt ‚haben kann, bald 
Biber und zwar, wie es fcheint, auf längere Zeit nach Ephefus zurückzukehren, 1 Tim. 
44.15. 4, 18., vgl. dagegen Apgeſch. 19, 21. 20, 16ff. 1 Kor. 16, 3. 6. 8, 1ff, 
Wa 15, 23 ff. [Näheres f. in mein. Ehron. ©. 290 fi], fo if} leicht zu erfehen, 
Mir erſte Timotheusbrief, feine Wechtheit vorausgeſetzt, entweder in jenen bdreijäh- 
ia epheſiniſchen Aufenthalt des Pauline oder in die Zeit, ale er aus der römifchen 
Öiagenfhhaft befreit war, wenn er anders befreit worden ifl, gefeßt werden muß. 
A cher die Wechtheit unſeres Briefs von uns bereits fo gut twie erwieſen ifl, fo 
Bit Vie Unächtheit deffelben auf Grund feiner vermeintlichen chronologifchen Unbegreif- 
Bäket jedenfalls nur dann erhellen, wenn ſich pofitio nachweiſen läßt, daß berfelbe im 
Ser ker genammten beiden Zeiträume geſetzt werden Tann, und nicht ſchon aus dem 
hetlih, am ſich Nichts beiveifenden testimonium taciturnitatis, falls ein ſolches fich 
exka jollte, daß eine jenen dreijährigen ephefinifchen Aufenthalt de6 Paulus unter. 
Veheake Reife deffelben nach Macedonien oder die Befreiung defjelben aus der fogen. 
ef ticiſchen Befangenfchaft in unfern neuteflamentlichen ober doch fehr alten, in 
ir Baiehung gleich glaubwürdigen Dokumenten zufällig nicht ausdrücklich erwähnt 
m. Bir, die wir es für höchſt wahrfcheinlich, wenn nicht als gewiß glauben nach⸗ 
wa m Tonnen, daß Paulus im Jahre 64 n. Ehr. Märtyrer wurde und ans feiner 
a Apoſtelgeſchichte berichteten romiſchen Gefaugenfchaft nicht befreit iſt, ſchlagen dem 
8; ein, daß wir bei allen einzelnen Baftoralbriefen prüfen, ob fie nicht auch ohne 
x Önpothefe feiner Befreiung ans der romiſchen Gefangenſchaft aus der Lebensgeſchichte 
N Apoſtels begriffen werden fönnen, und denten dann am Schiffe unferer Erörterung 
ber die Paftoralbriefe zur vollfländigen Begrändung unſerer Anficht die erwähnte An- . 
— — 








) Zu den exegetiſch unmöglichen Auffaffungen von 1Tim. 1, 3. gehört auch die im Weſent⸗ 
bereits von Paulus vorgetragene und im dieſer Form von mir (Chron. &.302) benrtheilte 
ng, welche Otto a. a. O. ©. 87, 45. auf Grund einer längeren Erörterung fo zuſammen⸗ 
: Bie ih dich in Epheſus ermahnte, bei meiner Lehre zu bleiben [rposueiva: = Gtand- 
mund loegeriſſen von dr Epeao, mit welchem es unflreitig zu verbinden if], fo gebiete auf 
ac: Reife nach Macebonien [zopevouaros eis Maxsdoriar mit bem Satze ra u. ſ. w. conſtruirt 

'ra nah Winer’s Gramm. 8. 43. 5. (6. Aufl.) imperativifch, welcher letztere bier aber unfere 
Kelle ebenfalls nicht fo verſtehen will] Etlichen nicht Frepod.daoxal.” Mur aber eyegetiich, na- 
utlıh in der Faffung des zposueivaı, bes Ira und der Conſtrultion des zopevonaros als Ma- 
dorıar, damit bier von einer Reife nicht bes Apoſtels Paulus, fondern des Timothens nad 
kcedenien bie Rede iſt, ſtimmt Otto mit Paulus überein, nicht auch chronologiſch. Denn wäb⸗ 
nu dieſer unfern Brief von dem gefangenen Paulus in Cäſarea abgefaßt ſeyn läßt und darum 
' Egiog mit Rposuelvaı verbindet, fol der erfle Brief an Timotheus nah Otto ©.49.56.57. 
MPauins im Epheſus um die Zeit von Apgfch.19,21.22. vgl. 1Ror.4,17.16,10. geſchrieben nnd 
Mn Begleitung des Eraſt abgehenden Timothens als Iuftruftion für die Behandlung der korin⸗ 
Niiden Berhältniffe mitgegeben feyn! Es glaubt nämlich Otto beweifen zu können, baß bie 
erlehre der Paſtoralbriefe wicht nur diefelbe, fonberu auch, daß fle mit der Irriehre in 
amligen Paulinen und namentlich aud mit der der Korintherbriefe identiih und zwar 
1 bild» phartfätfche Onofis (vgl. dagegen 5.279 Note *) fey, deren Häupter Übrigens nicht 

Hlieder der Gemeinen, fondern bloße Juden geweien feyen, a. a. O. ©. 64. 188 fi. 














318 Timotbens u. Titus, die Briefe Pauli an 


nahme hiftorifch » hronologifch noc weiter zu unterfuhen. Wir behaupten alfo, d 
der erfte Brief des Timotheus in den Apgefch. 19. erwähnten faft dreijährigen Aufenth 
des Paulus falle, was, wie wir oben angaben, auch Andere thaten, aber mit Autnah 
von Schaft, Thierfch, Lutterbeck, Reithmayr, die mir ganz beiftimmten, im ante 
Weile. Mosheim meint, der Apoftel habe feine Reife nad; Macedonien fehr be 
nach feiner Ankunft in Ephefus, nachdem er nämlich die Släubigen von der jüdiſé 
Synagoge audgefondert hatte, Apgeſch. 19, 9. in Folge einer dringenden Beranlafı 
angetreten, in einer Yeit, al8 die Gemeine noch fehr unvolllommen organifirt m 
Allein aus den Vorfchriften 1 Tim. 3, 1 ff. folgt das noch nicht, das Dafenn a 
ephefinifchen Presbytern ergibt fich vielmehr aus 1 Tim. 5, 17. 19., vgl. 4, 14,0 
anch andere Spuren fordern ein längeres Beftehen der ephefinifchen Gemeine, ;' 
1 Tim. 5, 9. 14. 15. 3, 6. (un veopvror), ferner die Irrlehre (vgl. namentlich 1,3 
Die Meinung Schrader’8 wird unhaltbar duch ihre Maflofigleit, da die Zmifcene 
welche Paulus nad ihm Apgeſch. 19,21. antrat, fidh Über Macedonien, Korinth, Ir 
Nitopolis in Cilicien (von wo unfer Brief an Timothens gefchrieben fen), Yerufalt 
Antiochien, Galatien erfiredtt und etwa zwei Jahre gedauert haben fol. Nah & 
(Geſch. der heil. Schrift, 8. 87—90) fol Paulus von Ephefns eine Reiſe jun 
ua Kreta, Tit. 1, 5., dann nad Korinth, Illyrien, Macedonien (etwa Ende des ® 
ters Tit. 3, 12) und zurüd nach Ephefus gemacht und unferen Brief etiva in Kerl 
oder auf der Rückreiſe nach oder in Illyrien gefchrieben haben. Der Unterzeichner | 
a. a. D. die Reife des Paulus nach Macedonien 1Xim. 1, 3. mit der nad 2 
zit. 1, 5., welche beide in der Apoftelgefchichte übergangen werden, zwar and in & 
bindung gebracht, aber fie nicht auch noch auf Illyrien erftredt und fie namentlich my 
1 tm. 1, 3. von Ephefus zunächſt nad; Macedonien gehen laſſen. Unfer Uni 
dann in Macedonien oder Achaja, als es ungewiß wurde, ob Paulus mit feiner WE 
fehr nicht noch zögern werde, 1 Tim. 3, 15., innerhalb feines faft dreijährigen, m 
Herbft 54 bis Pfingfien 57 etwa dauernden epheftnifchen Aufenthalts etwa im © 
56 n. Chr., gefchrieben. Bleek ftimmt in feiner Einleit. S. 488 mir darin} 
Reuß bei, daß mit der Reife von Ephefus nach Macedonien 1Xim. 1, 3. je 
nicht eine Reife, auf der er von Epheſus nicht zunächft nach Macebonien, fonders 
vielen Unterbrechungen und Umwegen unter Anderem zulegt auch nad) Dacedonien tk 
gemeint feyn kann. Ueber die Eretifche Reife Pauli f. das Nähere weiter unten 
Briefe an Titus. Der von uns innerhalb des ephefinifchen Aufenthalts des dau 
augenommene Zeitpunft wird theil durch die ſchon mehr entwidelten Zuftände der oh 
finifchen Gemeine und durch fonftige Andeutungen unferes Briefs 1 Tim. 3, 14.4, 13.1 
durch Apgeſch. 19,22., vgl. 1Kor. 4, 17. 16, 10., theils durch und nlovor (feit vorige 
Jahre) 2Ror. 9, 2., vgl. 8, 10., angerathen, da die Colleftenangelegenheit in Kıra 
damals von dem Apoſtel perfdnfich bei feiner zweiten dortigen Anweſenheit in Gend 
haft mit dem ihn begleitenden Titus angeregt zu feyn fcheint, der letztere alfo, 1 
der ziveite Brief an die Korinther etiva im Sommer 57 gefehrieben if, wegen d 
zeeovo: in das borhergehende Jahr gefallen fenn muß, welches, da Paulus ge 
den macedonifchen Ehriften 2 Kor. 9, 2. fich des damals überhaupt weit berbreitd 
macedonifchen Jahres bedient haben wird, dem Zeitraume von der Herbſtnachtgleiche 
bis dahin 56 entſprochen hat, vgl. hierüber meine Chron. ©. 364. Chryſoſten 
hat zu 1 Tim. 1,3. ebenfalls unferen Brief, toie ich zu meiner Freude bemerfte, in 
ephefinifchen Aufenthalt, und zwar ebenfall® gegen Ende deffelben, geſetzt, was nicht 
verwundern ift, da auch er bereit, wie wir gleich fehen werden, eine von Lufas IM 
gangene Unwefenheit des Apoftels in Korinth um jene Zeit behauptet. Nachdem er 4 
angeführten Orte die Frage aufgeworfen hat, ob unfer Brief vor oder nad} dem ® 
an bie Ephefer verfaßt ward, entſcheidet ex fich für den zuerft erwähnten fall. Je N 
Zeit von Apgefch. 19. nämlich habe Paulus Ephefus wegen Berfolgungen verlaflen @ 
fey dann dahin zurückgelehrt (däemisı xal nahm mapeybvero adroic), Nähere BI 





Timsthens m. Titus, bie Briefe Pauli au 319 


Ich Ahefisfche Zwiſchenreiſe Pauli erfahren wir zu Apgeſch. 19, 21. (hom. 42 in 
im, wornadh ex nach zweijährigem Anfentbalt von den Berehrern der Artemis bedroht, 
Di. 19, 21. (wie dort aud im Texte des Lukas (1) angezeigt feyn fol), eine 
Kir nach Macedonien und Achaja gemacht, nad, Ephefus zurückgekehrt feyn und dann 
nd ine Zeit lang (Latoxty xoéror) Apgeſch. 19, 22. dort verweilt haben fol. In 
Hin (Ephefus) habe ex fi wit Recht von Allem am längften aufgehalten, Zxei yap 
Fi all pparpla Tor Pıloodywr (vgl. dazu S. 286 fj.). Burüdgelehrt habe er 
nee mit den Philofophen disputirt (xal 2Iwr rdlır avzois dısllyero), und daran 
ke fh von Neuem eine Berfolgung angefchloflen, auf deren Anlaß er die Apgſch. 20,1. 
enähute Reife nad) Macedonien antritt. Für unfere Kombination der 1Xim. 1, 3. 
enöhnten mocebonifhen Reiſe des Paulus mit diefer ephefinifchen Zwiſchenreiſe fpricht 
auch der Umſtand, daR Timothens fi um jene Zeit wirklich wicht nur in Epheins be 
Apgeſch. 19, 22., fondern auch bis dahin dort flellvertretend in Abweſenheit des 
| mehdgeblieben jeyn lann, wie dieſer ihn denn früher und ffter zu ähnlichen 
Wissen 1 Thefl. 3, 1. 2. 1Kor. 4, 17. 16, 10. Phil. 2, 19 ff. 2 Tim. gebrauchte, 
rend er gleich darauf wicht längere Zeit ohne den Apoflel, und dieſen erwartend, in 
Ükins zu jenem Zwecke verweilt haben kann, vgl. 1Ror. a. angef. O. 2 For. 1, 1. 
dei. 20, 4. Auch fcheinen die Apgeſch. 19, 29. erwähnten macedonifdhen 
Kijehegleiter Pauli (ouvexdnuo: IlavAov) Gans und Wriftorchns auf eine kürzlich 
Peghahte Auweſenheit Bauli in Macedonien, - von mo fie ihn bis nad Epheſus bes 
Seien, hinzumeifen. ine ſolche ephefinifche Zwifchenreife Pauli ift aber nicht bloß 
ie Sermuthung, welche auf Anlaß unferes erflen Briefe an Timothens und anderer 
um und angeführten Thatſachen gefordert wird, ſondern wird auch — abgeſehen daben 
— eh die allgemein als acht anerlanntem Briefe Pauli an die Korinther im ficherfler 
Sch ätigt. Wir haben nämlich mehrere Stellen in den Briefen an die Koriniher, 
tie, 14. 18, 1. 13, 2. 12, 21. 2, 1. 1Ror. 16, 7., welche nothwendig eime 
Pemige Anweſenheit des Apoftels in Korinth und Achaja dor der Abfafſungezeit 
ter driefe voransfegen. Da leptere nun, wie auch gemeiniglich angenommen wird, 
vr ker Apſtgeſch. 20, 2. berichteten Anweſenheit in Hellas gejchrieben find, und 
übt vorher nur noch von einem Aufenthalt des Paulus in Korinth Wpgefch. 18. 
mc bat, fo muß er den dazwifchen liegenden zweiten Aufenthalt des Wpoftels in 
wi Stadt in feiner Darflellung übergangen haben, wie nicht zu verwundern ifl, da 
pe m der Üpoflelgefchichte, die ja eine Chronik zus ſeyn nicht einmal beabfichtigt, an. 
Klirutermoßen noch manches Andere, welches wir aus den Briefen Pauli erfahren, wie 
Infentholt des Paulus in Wrabien Sal. 1, 17., feine Unfälle und Gefahren zu 
De und zu Waſſer 2 Kor. 11, 23 ff. m. f. w. übergangen hat und der übergangene 

iſche Aufenthalt des Apoſtels nach 1 Kor. 16, 7. überdieß nur ein flüchtiger Be⸗ 
geweſen iſt. Bis fo weit flimmen jegt alle einigermaßen forgfältigen Ansleger 
an, md es war länger fchon eine Ausnahme, wenn be Wette wegen der devsipm 
x2Kor. 1, 15., welche nach B6. 16. von einem zweimaligen Beſuch auf einer 
gen bevorfiehenden Reiſe gemeint wird, noch zur Abfafjungszeit diefes Briefes 
be mr einmalige Anweſenheit des Apoflels in Korinth behaupten und das ausdrüd- 
Ri das Gegentheil bezeugende zofrov rouro 2 Kor. 12, 14, 13, 1., wo bereits Chry⸗ 
Noms das Richtige hat, von einem dreimaligen Reifeentfchlufß, wogegen in erfler 
Hele der Zufammenhang, an zweiter ſchon die Worte (vgl. auch das nupuv devrepor 
Let. 18, 2) hätten fügen follen, verflehen wollte. Und hat man mit Recht her- 
Mpehoben, da die 2 Kor. 2, 1. 12, 21. erwähnte Anwefenheit Pauli in Korinth, weil 
6 dont. ſchon Chriften voransfegt, die zu firafen waren, nur als zweite gedacht werben 
here. Es iſt ein Mnacheonismns, wenn Baur diefe Auffaffung aud; noch fpäter (Theol. 
ki. 1850, 2, ©, 153) im Imterefle feines Standpunlts zu vertheidigen ſich nicht 
Pident bat Man kann höchftens nur zweifeln, ob der von Lukas übergangene zweite 
wuthiihe Aufenthalt Pauli nach dem Borgange des Chryſoſtonus mit Schrader, 













320 Timothens n. Titus, die Briefe Pauli au 


Rüden, Olshaufen, Meyer, Reuß, Huther, dem Unterzeichneten, gegenwärtig den M 
ſten, in den ephefinifchen Aufenthalt Apgefch. 19. zu fegen iſt oder nicht. Namentl 
bat man ihn noch vor Apgeſch. 18, 18. noch in den Apgeſch. 18, 1 ff. erwähnten | 
rinthifhen Aufenthalt felber (Baronius, Michaelis, Unger n. U.) oder vor Begimn ! 
Apgeih. 19, 1. erwähnten ephefinifchen Aufenthalts in eine Reife, welche Paulus v 
Antiochien aus Apgeſch. 18, 22 fi. micht bloß nad Galatien und Phrugien, fond 
bis nach Achaja gemacht haben fol (Neander), aber unftreitig in ſehr unwahrfcheinlid 
Weile verlegt. Die Neander'ſche Anficht zunächſt fcheint mir durchaus unzuläffig. € 
ift unwahrſcheinlich in fich jelber, da Paulus erft vor Kurzem anderthalb Jahre in f 
rinth zugebracht hatte und dann, in dem wichtigen Ephefus angelangt und von dena 
pfänglihen Bewohnern um einen längeren Aufenthalt gebeten, dort nur deshalb mi 
geblieben war, weil er zum bevorftehenden Pfingſtfeſt aus irgend welchen Gründen 
Jeruſalem feyn mußte, dagegen aber damald feine Rüdkunft aufs Entſchiedenſte 
Ausficht geftellt Matte. Wer ferner, der von Antiochien nad) Epheſus will, madıt dm 
Galatien und Phrygien Apgefch. 18, 23. reifend, von da noch einen Abſtecher m 
Ahaja? Auch wird durd va avwrepxa uson Apgeſch. 19, 1. der letztere von ddl 
ausdrüdlich ausgefchloffen. Nicht eben wahrſcheinlicher ift die Verlegung des zwei 
torinthifchen Aufenthalt Pauli ſchon in Apgefch. 18, 1 fi. Es mag Paulus dam 
allerdings nicht bloß in Korinth gepredigt haben, fondern auch anderwärts in Ada 
wofür namentlich der in jener Zeit mod; gefchriebene zweite Brief an die Thefjalonid 
1, 4. zu zeugen fcheint, da das dort erwähnte Ruhmen des Apoſtels wohl nur ı 
mindliches verftanden werden kann. Ein kürzeres Berlaflen Korinths ift auch durd & 
dxaFıoesr Apgeſch. 18, 11. in den dort erwähnten anderthalb Jahren nicht ausgejäle 
wohl aber bezeichnet Lukas Korinth damit als den eigentlichen feften Wohnort > 
während diefes Zeitraums, fo daß es nicht im Sinne des Lukas ſeyn kaun, wenn 

von einem damaligen zweimaligen korinthifchen Aufenthalte Pauli redet. Uebrije 
wurde Paulus gewiß auch durch feine damals gerade beobachtete Marime, fi fh 
zu unterhalten, bei dem chriftlichen Zeltmacher Aquila in Korinth zurüdgehalten, Ipgel 
18, 3., vgl. 1Kor. 9, 12 ff. 4, 12. 2 Kor. 11, 8—10., wie er denn üiberhanht 4 
den Metropolen der Völkerwelt zur fefteren Gründung des Chriftenthums fih U 
aufzuhalten pflegte. Welches Gewicht man aber auch den vorflehenden egengris 
und der Berichterftattung des Lukas beilegen mag, Paulus felber ftreitet wide — 2 
feine Auffaſſung in den Korintherbriefen. Faſt alle oben aus dieſen Briefen ermlie 
Stellen nämlich, welche eine zweimalige Anweſenheit Pauli bei den Leſern vor | 

Abfaffung ansfagen, finden ſich im zweiten Briefe an die Korinther, welcher nah 

ausdrüdlichen Ausfage von 2 Kor. 1, 1. vgl. 9, 2. 11, 10. an die Chriften nicht bl 
in Korinth, fondern aud in ganz Achaja gerichtet ift (daffelbe ergibt fich nach richtit 
Auslegung des aUv näow Toig Enexal.. .. dv nuarri tönw 1Ror. 1,2. and W 
erften Korintherbriefe, wie dieſer Theil der Adrefie auch dem 00» uyioıs nücıw Tois me 
dv Ar v5 Aula 2Ror. 1,1. parallel ſteht, vgl. Chron. ©. 322ff.). Wenn Pal 
alfo um Apgefch. 18. auch noch länger und öfter außerhalb Korinth in Adalci 
predigt haben follte, als er es gethan zu haben fheint, fo würde berfelbe deshalb M 
noch nicht zu den Leſern der Korintberbriefe, da diefe nicht bloß die Vewohner * 
Korinth umfaſſen, von feiner zwei maligen Anweſenheit bei ihnen haben reden I 

Auch paßt zu diefer Annahme nicht gut, daß die Forinthifche Anwefenheit Pauli 1% 
16, 7. nur als ein Sehen dv nagodw bezeichnet wird. Da fomit einerfeits die lich 
gehung einer korinthiſchen Auweſenheit des Paulus bei Lukas vor Abfafſung der Ku 
thexbriefe Apgeſch. 20, 1. aus diefen felber feſtſteht und andererfeits feine übergange 
korinthifche Reife weder vor Apgefch. 18, 18. noch vor Apgeſch. 19, 1. gefegt me 
kann, fo if fie mit Nothwendigkeit in feinen beinahe dreijährigen ephefinifden Aufen 
halt Apgefch. 19. zw fegen, und ift eine korinthiſche Neife des Paulus von Erich 
ans um diefe Zeit in ſicherſter Weiſe weil durch dem Mpoflel felber bezeugt. Ze 


Timotheus n. Titus, bie Briefe Pauli an 321 


vie ker Tert des Lukas Üpgefch. 19. zu diefem Nefultate nicht ganz ſtimmte, fo 
ur an Ölanbwürdigleit hinter Paulus zurüdfiehen müſſen. Indeß übergeht der⸗ 
Kkmie and) fonft nur etwas Tchatfächliches, und zwar fo, daß er deffen Wirklichkeit 
z& in mindeflen ausjchlieft. Man kann fogar in der verfdhiedenen Angabe des Lukas 
der die Länge jenes ephefinifchen Aufenthalte, welchen er Apgeſch. 19, 8. 10. 22. 
Ihre 3 Monate umd eine Zeit lang (xedros), Apgeſch. 20, 31. aber eine reurlar, 
kı nah meiner Rechnung (dgl. m. Ehron. S.52ff.) etwa 2 Jahre 8 Donate danern 
Bi, eine Hindentung auf unfere Reife finden, indem bei der dem Anfcheine nadı kür« 
gen Angabe die Dauer der legteren nicht mit eingefchloffen wäre. Eine foldhe Reife 
ud lingerem Aufenthalt in Epheſus vgl. S.318, welche urfprünglich vielleicht nur anf 
ir Bifitation der Ehriften in Dracedonien*) nnd Achaja berechnet war und dann auf 
ir Rüdreife von Korinth nach Tit. 1, 5. fich auch auf Kreta erfiredt zu haben fcheint 
DL Ihäter), aber felbft in diefer Ansdehnung, da Paulus auch in Kreta nad Titus 
u mgeführten Orte nur kurze Zeit war, hochſtens 2 Monate umfaßt zu haben braucht, 
By, obgefehen noch bon veranlaflenden beſondere Umftänden, ganz in der mifflonarifchen 
Wetste des Apoſtels, nach welcher er die von ihm neu geftifteten chriftlichen Gemeinen 
Rpeiflen Biwifchenränmen wieder befucht, um fie in ihrem Glauben zu flärten, Apgſch. 
Huf. 15, 36. 41. 18, 23. vgl 1 Cheff. 2, 17 ff. Es if daher nur im der Ord⸗ 
m, ben er feine erfien, fo wichtigen chriftlichen Pflanzftätten in Europa nicht ganze 
Shtre hindurch umd länger nicht ohne einen folchen belebenden apoftolifchen Befnch lafſen 
Wh. Nach de Wette und Anderen fol nun aber Apgeſch. 20, 31. eine ephefinifche 
Seildemeife des Paulus anschließen; allein, felb wenn wir eine bucfläbliche Wieder. 
Wie Borte des Paulus durch Lukas annehmen wollten, was weder de Wette noch and) 
dar ud) ihren theologifchen Anfichten, und zwar gerade auch von der Apoſtelgeſchichte, 
werte haupten Können, fo hat Paulus a. a. D. nad Lukas zu dem ephefinifchen 
Frkyern ja nicht gefagt, fie follten eingedenk feyn, daß er drei Jahre lang ununter- 
Stade bei ihnen vermeilt habe, fondern er fagt in einer vom Affekt der augen. 
ifiden Stimmung mitbedingten, für feine mit dem Thatſächlichen vertrauten Hörer 
win nicht mißverfländlichen Redewendung, fie möchten eingedent feun, daß er brei 
Kir long Lukas felber hat früher da8 Genauere mitgetheilt, und Poulus meint na- 
mm die Zeit, welche er bei ihnen war, da er über eine etwaige Zwiſchenreiſe 
2 mm Orte uatlirlich Nichte mitzutheilen hatte] Tag und Nacht nit aufgehört 
—2 einen Jeden mit Thränen zu warnen. Mit Bezug auf dieſe Stelle werden 
® daher nicht einmal fogen dürfen, daß Lukas wenigfiens hier mit Paulus in ben 
beinhechriefen in ansdrüdlichem Widerfpruch fiehe und nad diefen zu verbeflern fe. 
ung aber auch nur mit Bleek (Einleit. S. 394) die Möglichkeit, nicht die Noth⸗ 
Wigleit, die wir behanpten, zugegeben wird, daß die von Lukas übergangene zweite 
fd Anweſenheit des Paulus in feinen ephefinifchen Aufenthalt Apgſch. 19. zu fegen 
ſo iſt nicht me Nichts gegen die Abfaffung des erſten Briefes an Timothens und des 
8 an Titus nm diefe Zeit einzuwenden, fondern es würde, da ihre Aechtheit bon 
m Uebrigen bereits erwiefen ift, felbft jene von Bleek zugegebene Möglichkeit mit 
ft anf die 1 Tim.1,3. und Tit.1,5. erwähnten Reifen Pauli uns zur Gemißheit 
da, da diefe ſchwerlich erft im die Zeit der an ſich felber fehr problematifchen Be⸗ 
Kan ans der tömifchen Befangenfchaft gefet werden können. Was, abgefehen von 
k problematifchen Natur der ganzen Hypothefe einer folchen Befreiung des Paulus, 
m eine fo fpäte Abfaffung unſeres Briefes ſpricht, iſt das ausdrüdliche Zeugniß des 
oſtels von der Iugend (vedrrc) des Timothens und deſſen Beforgnif, daf man ihn 
Welh in feinem Berufe mifachten konne, 1Tim. 4, 12., was beides wohl in bie 
von Apgeſch. 19. (um 56 n. Chr.), aber nicht zu dem in vielen Miſſionen bes 
— — 


N Daß das zogevöusros eis Manedoviav 1Tim. 1, 3. eine Reiſe nach Achaja einſchließen 
kan, erheüt nicht bloß aus ſich felber, fondern aud aus Apgefch. 19, 22. vgl. 1Kor.4,17. 16,10 
zu Eraſt als Lorinthifchem Chriſten Röm. 16, 28. 2 Tim. 4, 20. 

Kal» Gupkiopäpdie für Theologie und Kirde. Suppi. III. N} 








322 Timothens u. Titus, bie Briefe Pauli am 


währten umd gereifteren Diener des Apoftels in jener fpäten Zeit nad 63 n.Chr. ya 
Mit Unrecht beruft man fich gegen den zuerft genannten Grund auf die vewrepıx 
Enıdvuloı 2 Tim. 2,22. Denn vor jugendlichen Tüften oder vor Lüften*), wie 
da® Alter eines vewreoos, eined jüngeren Mannes, mit fich bringt, Tamm auch ein ı 
terer Mann, wie Timotheuns um die Abfaffungszeit des ziveiten an ihm gericte 
Briefed war, gewarnt werden, vgl. Tit. 2, 1—3.; diefer muß jene umfo mehr mei 
je mehr fie gerade ihn entehren würden. Die ganze Abfaffung des Briefs ferner, for 
die Art und Weife, wie Timotheus inflruirt wird, jeßt eine noch geringe Webung u 
Erfahrung deffelben in felbfiftändiger Leitung und Regelung der Augelegenheiten ca 
hriftlihen Gemeine voraus, eine Vorausſetzung, mit welcher Paulus 1 Tim. 3,\ 
(va eds) auch ausdrüdlich fein am ihn gerichtetes Schreiben motiviert. Die fi 
ebenfalls in eine frühere Zeit, wie auch von Bleek, freilich zum Beweiſe feiner Unäd 
beit (vgl. S. 310) hervorgehoben wird. Ganz anders verhält fich in diefer Beziehn 
der zweite Brief an Timotheus. Endlich ift e8 auffallend, daß in unferem Briefe a 
nicht die geringfle Neminiscenz aus der Iangjährigen ſchweren Gefangenfchaft des % 
ſtels, aus der er vor Kurzem befreit feyn fol, fich findet, und wenn man das fid m 
noch zurecdhtlegen Tann, insbefondere der Umftand, daß Paulus, welcher nad ſeu 
Befreiung fo manche Gemeine aufzufuchen hatte und nah Röm. 15, 24. auf 
Spanien das Evangelium verfünden wollte, fo viele Zeit für die Einzelgemeine zu Cpl 
ſus übrig hat, daß er, nachdem er dafjelbe verlaffen hat, um nad; Macedonia | 
gehen, ſchon bald dorthin wieder, und ziwar, wie es fcheint, auf längere Zeit, zurädten 
will. Es ift daher auch nicht zu verwundern, daß unfer Brief, wie wir ©. 316 M 
fahen, erſt verhältnigmäßig ſpät in die Zeit nad) der fogenannten erften vömifchen & 
fangenfchaft gefegt ift, mährend die alte Kirche, und felbft Ausleger wie Cheodord m 
Chryjoftomus, welche ihrerfeits eine zweite römifche Gefangenſchaft annehmen, im 
wir weit früher fegen. Daß weder die Irrlehrer noch die kirchliche Organifation 4 
ephefinifchen Gemeine uns zur Behauptung jener fpäten Abfaffungszeit veranlaſſen, hie 
wir bereits ausführlich gezeigt. Auch ift es ſchwerlich richtig, wenn Neander, Gefi 

der Pflanzung (5. Aufl) S. 200 ff. behauptet, daß erft in den fpäteften paul 

Briefen, zu denen er fälfchlich alle Paftoralbriefe zählt, berufene Kehrer unter den To 
bytern waren, wie 1 Tim. 5, 17. vgl. 3, 2. Tit. 1, 9. Man kann aus diefen & 
ſpiele fehen, wie wichtig für eine Entmwidelungsgefhichte der urchriſtlichen Zeit dielim 
nologie ihrer hiftorifhen Dofumente if. Das Oegentheil der Neander’fchen Anfet = 
hellt für noch frühere Zeit aus dem etwa im Anfang des I. 55 gefchriebenen Ne 
die Galater Kap. 6. BE. 6. (vergl. m. Comment. zu d. St. u. ©. 309). Auch fa 

Röm. 12, 7. 1Ror. 12, 28. Ephef. 4, 11. erwähnten dıudaoxaAoı ſchwerlich 

als berufene Lehrer. Wie hätte im Chriftentfum die geordnete Predigt oudı 
fehlen können, wo die Apoftel von Anfang an auf Lehre und Predigt ein folhe 
wicht legen, Apgeſch. 2, 42. 6, 4. 1Kor. 1, 17. vgl. 1Tim. 4, 13. Die mo 
Ephef. 4, 11. bezeichnen den allgemeinen Begriff, unter welchen die drd«oxador zu 
fumiren find, und entjprechen durchaus den reosotwres nosofvtego: 1Xim. 5, 
Daraus, daß es jedem geifterfüllten Chriften noch zuftand, in der VBerfammlung zu 
digen, folgern zu wollen, daß es feine bernfenen Prediger gab, ift nicht beffer, alt 
man daraus, daß in der jüdifhen Synagoge noch Jeder, der vom leiter angen 
wurde, reden Tonnte, folgern wollte, daß es keine Rabbinen gegeben habe. Für 











*) Aehnlich fteht aud die veurepınn rafıs Ignat. ad Magnes. c. 3., was Rothe md 3 
irrig don dem nenerdings eingeführten Epiflopat faflen, von dem Stande oder ber Ste 
eines jüngeren Vlannes (vewrepos), vergl. im Anfang bes Kapitels die 7lında vos Enow 
Intereffant ift, daß die längere (hier befonters ftark interpolirte) griechifche Mecenfien, T 
übrigens, wie der armenifhe Tert den richtigen Einn erfennt, auch die weorns des Timet 
1 Tim. 4, 12. citirt, zum Beweife, daß letztere Etelle frühzeitig bei Beurtheilung bes fanen!' 
Alters beachtet if, vgl. auch Chryſoſt. zu 1ITim. a. a. DO. und im Borwort zu 12im. 


Zimsthens u. Titus, bie Briefe Pauli an 323 


Enden waren Predigt und Lehre noch wichtiger als für den Juden, welcher neben ber 
Ömsge deu Tempelcult befaß. Bei der Wahl aller vorfiehenden Presbuter wird 
mm Allgemeinen zugleich auf Lehrfeftigfeit gefehen haben, denn wie hätten fie fonft 
æ Berfaoummlung vieler Geifterfüllter leiten lbunen; aber nicht alle Presbyter befaßen 
a geicher Weiſe das Charisma der Lehre, und diejenigen, welche fich durch letzteres 
aixihneten, werden unter ihnen befonders das Lehren übernommen haben, woraus ſich 
ve 1 Zi 5, 17. berührte Unterfcheidung von felber erklärt. Huther, welcher Comm. 
6,16 fi. die zweite korinthiſche Anweſenheit Pauli mit mir in feinen ephefinifchen Auf- 
wiolt Apgeſch. 19. verlegt, tadelt im Intereſſe einer fpäteren Abfafſungszeit unferes 
Errit an meiner Anficht, daß der Apoftel darnach kurz dor der Abfafſung des erſten 
Orts an die Korinther felbft in Korinth getvefen wäre und eben deshalb feinen 
wien Anlaß zum Schreiben an die dortige Gemeine gehabt haben könnte. Allein 
A laſſe Panlus mindeftens ein halbes Jahr (vgl. S. 318) vor Abfaſſung feines erften 
Bft an die Korinther zu kurzem Beſuche in Korinth feyn, und habe im dieſer Bezie- 
Yan überhaupt Leine ganz fefte Zeitgränge gezogen. Nach Huther's Beweisführung 
‚Wh Baulns noch weniger den Brief an die Galater und dem erſten Brief an die Theſ⸗ 
‚Weiher haben fchreiben können, da feit feiner legten Anweſenheit bei diefen noch we⸗ 
Sa Zeit verfirichen if. Allgemeiner flellt man folgende Behauptung auf: nad; dem 
aka Briefe an Timothens war die Irrlehre bereits in die Gemeine zu Ephefus ein- 
ermge, nad) Apgeſch. 20, 29. 30. werde das Eindringen als etwas erſt (!) im der 
it zu Erwartendes bezeichnet, alfo fen unfer Brief entweder unächt oder in die Zeit 

uud Apgeih. 20. zu legen. Allein, wie man das ueis BE. 29. u. 30. auch faſſen 
x, von den nach 38.17. vgl. 38.28. angeredeten ephefinifchen Presbytern allein oder 
va tn Presbytern und den dortigen Chsiften, die fie vertreten, zufammengenommen, 
werhgst vorziehen möchte, nur daß dann and; das yoryogeire DS. 31. im diefem 
Yen Siume, worauf and das !va ixuoror hinzuweifen fcheint, genommen werden 
Ei, R6 ganze Moment des obigen Einwandes, das Eindringen der Irrlehrer in 
— als etwas er ſt noch zu Erwartendes, bis dahin durchaus nicht Dagemefenes 
Ende Rede des Paulus rein hineingetragen. Paulus hat hier nach Lulas, andı 
8 hir feine Worte ganz buchſtäblich feſthalten, nur gefagt, er feinexfeits wiſſe, daß 
Hadringen würden mach feinem Hingange (ev fagt nit: erſt nach feinem Hingange 
"er Tode, und dem Nachdrud hat zufolge feiner Stellung im Sage das eis eledoorrau) 
Hmm Wölfe (Irrlehrer) unter fie, und daß aus ihrer eigenen Mitte ſich ſolche 
aheben ärden, alſo daß mad; feinem Tode verderbliche Irrlehrer, von außen und 
2 ſtammend, unter ihnen auftreten würden, und zwar mit Erfolg, die Gemeine ver⸗ 
Wind (um Quddussor Tod nomiov). Paulus brauchte in dieſem Zuſammenhange 
it noch ausdrädlich zu fagen, was feine Hörer, die ephefinifchen Presbpter, wußten, 
and Lukas felber Apgeſch. 19, 18. 19. vgl. S. 292 andentet und was wir ans 
em erften Briefe genauer erjehen, daß er fchon früher mit ſolchen Irrlehrern in 
26 zu thun hatte und daß er fie mit Mühe, fogar durch Ercommunikation 1 Tim. 
ı 20. in Folge einer längeren perjönlichen Anweſenheit zurlüdgedrängt hatte Wir 
cu 6. 292 gefehen, daß einzelne Irrlehrer (zives) zur Übfaffungszeit des erſten 
eh an Timotheus im Ephefus vorhanden waren und daß diefe außerhalb ber 
eine ſtehen. Im Folge feiner Rücktehr nach Ephefus hatten fie unftreitig ihren 
Haß noch meiter eingebüßt. Aber ber für eime magifc-theofophifche Irrlehre, deren 
Kähe Erin, dort darum auch ſchon as fc felber wahrfeintid; -ift, Aberaus günftige 
Pefniihe Boden, und die Mühewaltung feiner mehrjährigen perfönlicen Gegenwart, 
helder es zu ihrer Niederhaltung bedurft hatte, machten es dem exleuchteten Apoſtel zur 
denißheit (u olda), daß die Irrlehre nach feinem Tode, welchen er nach Apgeſch. 
%, 25, 38. als bevorfichend dachte, ſich in berfläcktem Maße geltend machen werde, 
e feine Ueberzengung hebt ex bei feinem Abfchiede Apgeſch. 20, 29. 30. mit Weh- 
wi hervor, um die ephefinifchen Chriſten Bs. 31. zur Wachfamleit gegenüber ber 

3 ® 









324 Timothens u. Titus, die Briefe Pauli an 


Irrlehre aufzurufen. An fi felber könnten Apgeſch. 20, 29. 30. zwar and) fo 
verftanden werden, daß die Irrlehre in Ephefus damals noch gar nicht ausgebrochen 
wäre, weil über die frühere Zeit hier eben nichts andgefagt wird. Über mie wer 
eine folche abſtrakte Möglichkeit in diefem alle entfcheiden kann, flieht man aus 1m 
4, 1—5. 2 Tim. 4, 1—4,, melde Stellen, an ſich betrachtet und von ihrem hiſtori 
[hen Zufammenhange losgeldſt, ebenfalls fo gedeutet werden könnten, als wenn die Im: 
lehrer in den betreffenden Briefen bloß als zukünftig gedacht würden. Die beiden os 
gezogenen Stellen find übrigens auch al® Parallelen vou wefentlich verwandtem Yudal 
beachtungswerth, wie denn 1 Tim. a. a. O. auch zeitlich mit Apgefch. 20, 29.30. ui 
zufammenfält. Nur in allgemeinerer Faſſung und in Bezug auf das Moment fezt 
Todes wiederholt hier Paulus bei Lukas, was er fchon an jener Stelle über die ink 
tige Entwickelung der Irrlehre in Ephefus gefagt hatte Indeß fcheint Paulus be 
Lukas auch in feiner Rede zu Milet die Erxiftenz der Irrlehre in Ephefus zur Yu 
feines faft dreijährigen Aufenthalts ausdrüdlic; anzuzeigen. Wenn er nämlich die Ephefe 
a. 0. DO. DE. 31. ermahnt, wahfam zu feyn mit Bezug auf die De. 29. u. 30. & 
wähnte Irrlehre (dis V. 31) und fie dabei auf feine damalige unaufhörlihe Bar 
nung eines Jeden unter Thränen hinmweift, fo muß er fle fhon damals unter Thraͤ 
eben auch wegen der Irrlehre verwarnt haben. Er verwarnte fie deshalb une 
Thränen, weil e8 Geliebte in Chrifto find, die er in dieſer Beziehung zu firafei 
hatte; zu dem vovdereiv era doxguwv dgl. 2Ror. 2, 1. 2. 4. Auch die dm 
welche er nad; Ds. 19. in feinem Dienfle des Herrn, feinen amtlichen Verhältnifie 4 
Ephefus weint, find gewiß wenigftens ebenfo fehr Thränen des inneren Herzeleidt, di 
Thränen über das äußere Leid, welches ihm die Nachflellungen der Juden bereim 
vgl. 2 Kor. 7, 5. 8 ift erfreulich, daß auch Bleek Apgeſch. 20, 29. 30. nicht am 
den Gegengründen gegen eine frühere Abfaffung unferes Brief angeführt hat. Ad 
macht auch er folgenden anderen Einwand gegen unfere Annahme geltend. Durd ki 
Berwandtfchaftsverhältnig unſeres Briefs zu den beiden anderen Paftoralbriefen müs 
wir, meint er Einl. ©. 488 gegen die bon mir vertretene Anficht, vgl. ©. 476, M 
Borausfegung feiner Wechtheit uns veranlaßt finden, ihn der Zeit nad) mit jenen ni 
zufammenhängend zu fegen, als bei einer folchen Annahme wenigftens im Berl 
zu unferm 2 Timoth. der Fall feyn könnte. Er folgert daraus, da er auch aus anal 
Gründen eine zweite römische Öefangenfhaft Pauli behauptet, in welcher 2Tim * 
fchrieben ſeyn fol, daß menipftens der Brief an Titus — denn 1 Timoth. hält ek 
unäht — von Paulus erft in der Zeit nad feiner Befreiung aus der fogammt 
erften römischen Gefangenfchaft gefchrieben ward. Aehnlich urtheilen Mad, 
Wiefinger, Dofterzee u. A., nur daß fie auch den von ihnen für ächt gehaltenen 
Brief an Timotheus aus diefem Grunde in bdiefelbe Zeit verlegen. Die Verml 
fchaft der Paftoralbriefe unter einander wird 3. B. von Huther a. a. D. ©. 9f. 
Inhalt und Sprache genauer befchrieben. Ziehen wir felbfiverfländlich die Aehnli 
ab, welche ſich aus dem wefentlich gleichen Inhalt z. B. rüdfichtli) der Darf 
der Irrlehre von felbft ergab, obwohl auch diefe bei diefen beiden Briefen nicht in 
fallender Weife mit einander barmonirt, fo läßt fich leicht erfennen, daß die Kehl 
feiten zwifchen dem Briefe an Titus und dem zweiten Briefe an Timotheus nidt | 
Art find, daß fle an fich felber die Annahme einer etwa gleichzeitigen Wbfaffung erh 
fchen, wie das Bleek behauptet. Weit größer ift unftreitig die Wehnlichfeit des 1 
Bleek für unächt erflärten erfien Timotheusbriefes ſowohl mit dem zweiten Brieit‘ 
Timotheus als mit dem Briefe an Titus, und zwar nicht mur rüdfichtlich des Inhel 
fondern auch, was auffallender ift, rückſichtlich der eigenthümlichen ſprachlichen Hot 
in welcher der Inhalt erfcheint. Das Verwandtſchaftsverhältniß diefer Briefe ſche 
daher allerdings noch einer befonderen Erklärung zu bedürfen. Dies Problem berg 
die menſchliche Seite ihrer Entftehungsmweife und ift in früherer Zeit bei extremen J 
fpirationsbegriffen nicht ausreichend gewürdigt worden. ®emöhnlich pflegt man 1% 


Timothens n. Titus, bie Briefe Pauli am 325 


m Titns aber auch ziemlich gleichzeitig zu ſezen, wie das and; unſererſeits gefchieht, 
ladmm vor oder nach der römiichen Gefangenſchaft des Paulus. Doc; foll die 
she Annahme nach obigen Kritikern nicht richtig feun, weil die Verwandtſchaft bon 
‚Tat mit dem in ber römifchen Gefangenfchaft verfaßten zweiten Briefe an Timo» 
Ah zwinge, eine fpätere Abfaffung auch jener Briefe anzunehmen. Allein was fie 
syn und geltend machen wollen, fcheint bei näherer Erwägung aud ihre eigene Anficht 
p betroben (vergl. die Undentung de Wette's, Ein. $. 154b.). Bei Achten Briefen 
Salı nämlich, wie die Pafloralbriefe unferes Erachtens find, läßt fih eine ſolche Ber- 
zenbtfhaft bei gewiffen untergeordneten Wehnlichleiten fchon ans der Identität des Ber- 
ie vgl. die S. 297 ff. beigebradhten Beifpiele aus panlinifchen Schriften, welche 
isht vermehrt werden Eönnten,] und bei duxchpreifenderen Aehnlichkeiten ans ihrer 
Neicheitigleit erflären, wofle die Briefe an die Kolofier und die Ephefer, zumal in 
Yelen cuch ähnliche Materien zu behandeln waren, ein Haffiiches Beifpiel bilden. Hält 
wu rdfichtlich des Verwandtſchaftsverhältnifſes unferer Briefe die erſtgenannte Erklä⸗ 
amiweile für ungenügend und will bie zweite anwenden, fo läßt fich das hoöchſtens 
iĩ detreff des erſten Briefes an Timotheus und des Briefes an Titus ausführen, nicht 
un Betreff de zweiten Briefes an Timotheus. Der zweite Timotheusbrief wird von 
Iakiten anderen Briefen mindeflen® durch einen ein. bis zweijährigen Zeitzwifchenraum 
eirınt bleiben, und eine derartige Gleichzeitigkeit kann begreiflicher Weife für die Erflä- 
a jeach Berwandtfchaftsverhältnifies jedenfalls fehr wenig austragen. Die Bervandtichaft 
wire Briefe kann aber von ihrem Verfaſſer nicht bloß durch mehr oder weniger un- 
kenıfte, fomdern ebenſowohl auch durch bewußte Abhäugigfeit von fi} felber hervor. 
peukn ſeyn. Letzteres iſt hier nefchehen, wenn wir annehmen, daß Panlus vor Ab» 
fang des fpäter gefchriebenen Briefes an Titus und des zweiten an Timothens unfern 
win Abfchrift zurückbehaltenen erfien Timotheusbrief wieder durchgelefen hat, eine 
Bemrtng, welche wir bereits S. 298 ausſprachen. Bei Gefhäftsbriefen, was 
are Sofloralbriefe find, welche wefentlich gleiche und einheitlich zu behandelnde 
Bari (gnoftifiende Irrlehren und zur Kirchenleitung gehörige Fragen) und theilweife 
"dh Berfon betxeffen, ift ein folches Verfahren des Apoſtels fogar von vornherein 
Mt mohefcheinlih. Somit ergibt fich, daß Alles für die Wbfafjung von 1 Timoth. 
ah dor den Korintherbriefen auf einer von Lukas Apgeſch. 19. übergangenen Biflta- 
butreife des Paulus fpricht und nicht der mindefle Grund vorliegt, um unferes Briefes 
Men eine Befreiung bdefielben ans feiner zömifchen Gefangenſchaft zu poflulixen. 
2) Brief Bauli an den Titus. Nachdem wir bereits über die Irrlehrer, den 
Mfihen Organismus und manche andere Bunte diefes Briefes gehandelt haben, kbunen 
m6 über denfelben kürzer fallen. Paulus ift bei Abfaffung umfere® Briefes nad 
1, 5. vor Kurzem in Sreta geweſen, hat dort das Chriftenthum gepredigt und bei 
baldigen Abreife den Titus dort zurüdgelaflen, damit er das Mangelnde uadı- 
und von Stadt zu Stadt Presbpter (vgl. Apſtgeſch. 14, 23.) einfege. Bis zu 
im Ausficht geftellten fpäteren Abberufung durch Artemas oder Tychikus Tit. 
12, fol er die dortigen hriftlichen Gemeinen verwalten. Dem entfprechend iſt der 
Brief, abgefehen von der ächt pauliniſch (vgl. Rom. u. Galat.) erweiterten Adreſſe 
b dem apoftolifchen Gruß Tit. 1, 1—4., ſowie dem perfonellen Notizen und ge» 
halichen Schlußformen 3, 12—15., eine Anweifung des Titus behufs paſtoraler 
hung der betzeffenden Gemeinen. Der Apoftel hebt fofort 1, 5. den Zweck, warum 
den Ting im Kreta zurückgelaſſen hat, die Nachbefferung des Mangelnden und die 
Hegung von Presbytern hervor, wobei er die Exfordermiffe der letzteren aufgählt und 
ke ihnen beſonders and die Lehrtüctigkeit, um in der gefunden Lehre zu ermahnen 
d die Rerlehrer zn widerlegen, betont. Diefes Exfordernif betont ex aber wegen der 
kuderen Suftände der fretifchen Gemeinen (ydp B8. 10.), und damit lommt ex auf 
wm zweiten befonder® wichtigen Punkt feines Schreibens, die kretifchen Irrlehrer, welche 
th Retijcher Art felber unfittlich, trügeriſch und eigenmügig eine juͤdiſch. aſcetiſche Theo» 


n 


326 Timothens n. Titus, die Briefe Panli an 


fophie verfünden und gegen welche Titus fcharf auftreten foll, 1,1016. Nähere u 
weifungen, was und wie Titus zu lehren oder fi zu verhalten hat, werden dann 3 
1— 3, 11. gegeben. Im Gegenfaß - zu den Irrlehrern ſoll er im Allgemeinen ve 
fünden, was der gefunden Xehre geziemt; doch zeigt er dem Titus aud, wie er N 
berjchiedenen Gemeineglieder, Männer und Franen, alte und junge, demen ex durch fe 
eigenes Beifpiel vorleuchten fol, auch Sklaven zu ermahnen hat, wobei er auf N 
beffernde Kraft der chriftlihen Gnadenanftalt hinmweift 2, 1—15. Sodann fagt er de 
Titus, woran er die kretiſchen Chriften namentlich in ihrem Verhalten nach außen hi 
negen die Obrigfeiten und „alle“ Menfchen zu erinnern bat, in welcher legteren Bei 
hung er ihnen Tsriedfertigkeit und Sanftmuth empfiehlt, eingedent, daß auch fie m 
Sünder waren und durch die Gnade Gottes in Chrifto erlöft wurden 3, 1-7. 3 
rechtfertigende und erlöfende Gnade Gottes in Ehrifto hebt Paulus auch um deßwill 
Ds. 4— 7. etwas genauer hervor, um hieran für den Titus fofort die weitere Weika 
zu knüpfen, daß er den betreffenden zuverläffigen Adyos zum Mittelpuntte feiner Predi 
machen folle, und hinzuzufügen, wie er der Irrlehre und ihren Trägern gegenüber fl 
überhaupt zu verhalten habe 3, 8—11. So haben wir von Anfang bis zu Ende ein 
mwohlgeordneten Yortfchritt der Gedanken, der fi) dazu in der ungefuchteften Weile c 
widelt. Zufolge der auf Titus befchränften Addreffe und wegen feines fonftigen I 
halte, 3. B. 1, 10—13., war der Brief gewiß nicht für die Verlefung in dffentlid 
Berfammlung beflimmt, doch waren, nach 3, 15. zu urtheilen, Mittheilungen an ei 
zelne Chriften wohl nicht ausgefchlofien. Die Aechtheit unferes Briefes ift aus äukat 
und inneren Gründen nicht zu bezweifeln und wird auch bis auf die neuefle Zeit ig 
allgemein feftgehalten, auch von Schleiermader, Bleek, Neander, welche dagenı Ki 
Aechtheit von 1 Timoth. mehr oder weniger entichieden angreifen. Abgefehen von de 
und feinee Schule, bezweifeln feinen paulinifhen Urfprung Eichhorn, Schott, de Ver 
Credner, aber erft fpäter, Meyer (Römerbr. S. 17. 4te Ausg. mehr ſchwankend), ey 
Andere, aber hauptfächlich wegen feines engen Zufammenhanges mit dem erſten Tim 
theusbriefe (vgl. S. 277), welcher Grund für uns, die wir die Nechtheit des legte 
erwieſen, bereits hinfällig geworden if. Meines Erachtens ift kaum einem andern pa 
linifhen Briefe im Großen und Einzelnen, wie hier nicht näher gezeigt werden Im 
die Aechtheit entfchiedener aufgeprägt als unferem Briefe. Hier will ich, indem i6® 
mentlich auch auf unfere obige Darlegung feines Gedanfeninhalts hinweiſe, nur st 
Tolgendes bemerfen: Wie hätte ein Falſarius dazu fommen fünnen, die Erforentt 
des Presbyters in der Weife aufzuftellen, daß er den Titus Vs. 6. am die febbe 
diefer Beziehung gefprochenen Worte erinnert? Würde ein folcher ferner, eime 1 
zweiten Yahrhumdert lebend, eine fo einfache kirchliche Verfaffung befürworten? oder, ! 
die Bekämpfung der Irrlehre jedenfalls ein Hauptpunft ift, würde er die vom ihm 9 
meinte nicht genauer Tarafterifiren, abgefehen davon, daß eine gnoftifche Richtung N 
zweiten Jahrhunderts kaum ohne einen vom höchften Gott verfchtedenen Demiurg 
Schöpfer der fihhtbaren Welt und Geber des mofaifchen Gefege® zu denfen märe | 
Thierfh a. a. O. ©. 46), wovon in unferem wie in allen PBaftoralbriefen das © 
theil vorliegt? Wie paffend ift nach ©. 289 das Wort des Kreters Epimenidee 1,M 
da es fi um eine orphiſch⸗pythagoreiſche Richtung handelt, als deren Hanptvertrd 
jener kretiſche Hierophant dafleht; und doch wird dies Paflende von dem vermeintliä 
Falſarius mit feinem Worte angedeutet! Fur den wirklichen Titus mar eine 
nung wie 2, 1: „Du aber verfündige, was der gefunden Lehre geziemt« — and of 
nähere Beitimmung der letteren am Orte und ausreichend, weil er als bertranter a 
bülfe des Apoſtels diefe kannte, während ein Falſarius vor Allem die beteefted 
gefunde Lehre würde näher haben beftimmen wollen. Wenn dann auf Anlaß des ieh 
maligen Zufammenhangs 2, 11—14. und 3, 4—7. der heildgefchichtliche Mittelyui 
der gefunden Lehre bezeichnet wird, fo gefchieht dieß einerfeits unbefchadet der ethilie 
Abzwedung, vgl. S.296 ff., in fpecififch paulinifcher Weife und andererfeits wieder via 











Timothens u. Titus, die Briefe Pauli an 327 


ch Veneisführung, weil Titus an ben betxeffenden Yahalt eben nur erinnert zu werden 
tete. Auch iſt micht wahrfcheinlich, daß derartige Specialien, wie wir 3, 12—15. 
ka, adadt find. Was Übrigens die „Unfern“ (zur 05 zudrepoı) 3, 14. betrifft, fo 
so damit wicht auf einen innerchriftlichen Gegenſatz, fondern auf den Gegenſatz des 
Eirtten und Nichtchriſten (vgl. das ähnliche xui zueis 3, 3.) hingedeutet. Auch die 
kaiden Chriſten follen, was bei den Nidhtchriften fchon länger Sitte war, ihre reis 
irn Brüder, ja Lehrer mit dem Nothwendigen zu verfehen lernen. Weil man des 
Erofeld Reife nach Kreta und des Titus Aufenthalt dafelbft 1, 5., ſowie des Erſteren 
kebihtigten Aufenthalt in Nilopolis 3, 12. in deſſen Lebensgeſchichte nicht einreihen 
bau, fo fagt man, daß unfer Brief hiſtoriſch nicht zu begreifen ſey. Allein, geſetzt 
ie Iorderfag diefer Behauptung wäre richtig, fo würde zunähft body nur folgen, daß 
men die Abfafſungs zeit unſeres apoflolifchen Schreibens aus Mangel an Quellen nit 
ser genau feſtſtellen könne (fo rüdfichtlih 1 Zimoth. Witsius, meletem. p. 100 und 
Bil curae etc. in 1. ep. ad Timoth. prolegg. p. 408 bei Credner, Einl. S. 434), 
we dei manchen anderen Achten hiftorifchen Dokumenten. Würde aber gerade ein Fal⸗ 
rat den Apoftel an jenen Orten auftreten laſſen, mit denen doch feine Perfon weder 
a mtefamentlichen Kanon noch in der Legende in Verbindung gefest wird ?_ Ande- 
wet wird, wenn ſich nuſer Brief trog der amjcheinenden Schwierigleiten gleichwohl 
wineislih in die befannte Tebensgefcichte des Apoftels paſſend einreihen laſſen follte, 
dien Achtheit auch durch biefen Punkt nur umfo ſtärker bezeugt werden. Wir werden 
Be von vornherein mit Schleiermacher, Einl. S.169, welchem, wenn er aud manches 
Enise nicht wichtig faßte, doc) das Ganze unferes Briefs den Eindrud der Aechtheit 
weite, jagen bürfen, es fe nicht unwahrfcheinlich, anzunehmen, daß Lukas bei der 
Zarklung feines Aufenthaltes in einer der großen Städte eine Zwiſchenreiſe des 
Yan Kreta Übergangen haben möge. 
a wir mm anf bie Frage nach der Abfaffungszeit unferes Briefes genauer 
da, wollen wir dieß wieder in dev Weife thun, daß wir zugleich umterfuchen, ob 
ke lmmhme feiner Aechtheit uns ettva zur Behanptung einer zweiten xömifchen Ge- 
kaihoft des Apoſtels nöthigt. Auch bei dem Briefe an Titus nämlich haben wir 
Bir den Bertheibigern feiner Aechtheit ſolche zu unterfcheiden, welche ihn vor der bon 
&ht erwähnten römiſchen Gefangenfchaft und folhe, melde ihm mad; der Befreiung 
ui lezterer vom Apoſtel verfaßt feyn laſſen. Die Kritiker der erſteren Klaſſe, zu denen 
ni ber Unterzeichnete gehört, find ansführlicher in meiner Chronologie des apoflol. 
Jeialters S. 336 erwähnt und gewürdigt, worauf ich hier im Allgemeinen verweiſen 
Die Tretifche Reife des Paulus Tit. 1, 5., auf welche unſer Brief an den dort 
Ägelofienen Titus bald gefolgt feyn muß, kann nicht in den Zeitraum vor Appgſch. 
1. gefegt werden, wie, abgefehen von allem Anderen, fchon daraus hervorgeht, daß 
12 m. 13. Tychikus der Afiat (Ephefier) nnd Apollos als Chriften und Gehülfen 
danlus erfcheinen, was fie erft während feines Apgeſch. 19. erwähnten ephefinifchen 
enthalte geworden find und daß Paulns bei Abfaffung unferes Briefes nach 3, 12. 
Winteraufenthalt in Nikopolis beabfihtigt, zumal unter dem legtern, wie wir bald 
werden, nur das von Auguflus erbaute Nilopolis in Epirns gemeint ſeyn kamn. 
0 wenig kann, um die auch wegen Tit. 3, 12. unmödgliche Annahme des Grotius 
M Anderer, es fey Titus um Apgeſch. 27, 7 ff. auf Kreta zurüdgelaffen, zu über- 
hen, die Abfaffung unferes Briefes fammt Fretifher Reife in die Zeit nach Apgeſch. 
d. Uff. geſetzt werben, wie in alter Zeit namentlich Theodoret behauptet, welcher im 
erwort zu den pauliniſchen Briefen zuerft 1. und 2. Theff., dann 1. und 2. Korinth, 
un 1. Zimoth. und Titus, daun Römer u. f. w. fett, unter Nilopolis Tit. 3, 12, 
her dat thraciſche *) Nikopolis, welches am Neſtus lag, verſteht, vgl. auch Theodoret 





) Daſſelbe Nikopolis iſt gemeint in ber Unterſchrift mancher Handſchriften dro Nixorolsos 
Haxedorias; da es nach verfchiedener geographiſcher Eintheiluig bald zu Macedonien, bald 


a Dratien gerechnet ward. 


328 Timothens n. Titus, die Briefe Pauli an 


zu Kit. 3, 12. Auch Chryſoſtomus, welcher an daffelbe Nikopolis denkt, legt die Ab, 
faffung unſeres Briefes jedenfalls in die Zeit dor*) der römiſchen Gefangenfcaft, ob; 
wohl er fich über feine Abfafjungszeit nicht fo beflimmt wie Theodoret ausfpriht. E 
läßt fich aber leicht erfeimen, daß die Annahme des Theodoret und feiner neneren Naqh 
folger, die Abfafjungszeit unſeres Briefes in Apgeſch. 20, 1. ff. zu legen, mag mau di 
tretifche Reife Pauli auf der Hinrceife von Macedonien nach Hellas oder auf der Kid 
reife von Hellas nad; Macedonien fegen, auch abgefehen von dem Texte der Apofd 
gefchichte, fchwerlich zuläffig if. Wie wir aus dem zweiten Korintherbriefe erfehen, # 
Titus feit dem Ende feines ephefinifchen Aufenthalts mit wiederholten länger dauern 
Miffionen nad; Achaja 2 Kor. 12, 17. 18. vgl. 2, 13. 7, 5 ff., ferner 8, 3 fi. (m 
dazu meine Chronol. ©.337) beauftragt, nach deren Beendigung er früheftens mit Pa 
lus jene kretiſche Reife angetreten haben könnte, in deren Folge er dort zum provia 
riihen Beauffihtigung und Ordnung der dortigen ©emeineverhältnifie zurädgelafi 
wurde. Es wird daher Paulus jene fretifche Reife mit ihm nicht von Macedonien 
vor feinem Beſuche Achaja's (vgl. auch 2 Kor. 9, 4 ff.) gemacht Haben. Noch wenige 
fann er das aber auf feiner Rückreiſe von Hellas nad; Macedonien Apgſch. 20, 3. 4 
than haben, da er damals nach Apgſch. 20,16. fehr eilig war, und felbft wenn er cm 
Zwiſchenreiſe nad Kreta hätte machen fünnen, etwa wider Willen zu Sciffe dort 
verfchlagen, fo würde er dann gewiß nicht erfl noch von Kreta nach Macedonien jurkd 
gegangen, fondern, wie er nad Apgfch. a. a. O. urfprünglich beabfichtigte, er 
8 





Syrien weitergereiſt ſeyn. Namentlich konnte er damals, wo er über Jeruſalen 
Rom und Spanien zu gehen beabfichtigte, Apgſch. 19, 21. 2 Kor. 11, 16. Röm. 15,2 
nicht daran denlen, den in Kreta zurückgelaſſenen Titus nach einiger Zeit zu fdr 
berufen, um mit ihm in Nilopolis zu überwintern, Tit. 3,12. Für die, welche um 
Brief vor der von Lukas erwähnten xömifchen Gefangenſchaft Pauli gefchrieben Is 
laſſen, bleibt daher nur übrig, die fretifche Reife Pauli und die bald darauf erfolnax 
Abfaffung unſeres Briefes an Titus in den Apgfch.19. erwähnten faft dreijährigen pi 
finifhen Aufenthalt Pauli zu fegen, eine Annahme, welche in jüngfter Zeit dfter 
abgefehen von denen, welche unfern Brief in die Zeit nach der Befreiung des Ayo 
aus der. fogenannten erften- römifchen Gefangenfchaft legen, faft allein noch aufg 





| 
*) Hom. J. in Tit. fagt Ehryfoftomus: LJoxovoı de nor yeovoı eivar neoaı rwis,e" 
ddeia Iladlos 0» ypaye: zavra. Alfo in den mittleren Zeiten, weder im Anfange nod® 
Ende feiner Laufbahn, und als er frei war, fchreibt Paulus unfern Brief. Credner (Ei 
©. 433 ff.) legt des Kirchenvaters Worte: Prolegomen. in epp. Paul. OVdE yag ws xolki 
ulfovoe, xo naoov rar allow Eoriv (der Brief an die Römer), alla zo» ano Pour; I 
yelonv rporeea nacdv, av BE alla vorepa El xal un naoa» — irrig aus, wenn fi 
fo faßt, als ob dadurch die Unbegreiflichfeit von 1Tim. ausgeiprochen fey. Allerdings ik it 
xal un xaoa» dem Zufammenhange nad auf die Briefe 1 Tim. und Titus, ſey's num zujem 
genommen ober auf den einen von ihnen, zu beziehen, und es ſpricht Ehryfoflomus hier 
Möglichkeit aus, daß fie beide oder wenigſtens einer, der Brief an Titus, auch nach dem Re 
- brief, freilich aber noch dor der römiſchen Gefangenſchaft Pauli verfaßt feyn könnten. Dub 
Chryſoſtomus felder 1Tim. in dem Apgich. 19. erwähnten epbefinifchen Aufenthalt Paul, 
wir ©, 318 ff. fahen, geſetzt hat, ift Credner entgangen. Daß Ehryfoflomus, abgefehen ven 
ausdrücklichen Ausfagen über unfere Briefe, ihre Abfaſſung nicht in den Zeitraum nah der 
genannten erften römiſchen Geſangenſchaft Pauli fallen laſſen Tann, erhellt anch daraus, daß 
nach der von ihm angenommenen Befreiung des Apoſtels zwar eine Predigt deſſelben in Span 
behauptet, aber eine folche für den Orient, namentlich Kleinaſien, ausdrücklich in Zweifel ve 
hom, 10. in 2 Tim. vergl. hom. 55. in Acta, Auch Hieronymus praef. in Tit. ſpricht ſich is 
die Abfaffung unferes Briefes fo aus, daß er feinen und bes Titus Tretifchen Aufenthalt 
feiner Röm. 15, 19. erwähnten Gründung bes Chriftentgums bis Illyrilum und vor feine 
miſche Gefangenſchaft fest, vgl. Eredner, Einl. ©.350. Da bie Unterfuhung über bie Geſdi 
lichkeit einer zweiten römiſchen Gefangenſchaft Pauli theilweiſe von den Zeugniſſen ber alt 
kirchlichen Tradition abhängt, fo iſt es wichtig, zu conſtatiren, daß bie älteſte kirchliche Zratin 
und die berühmteſten Eregeten der alten Kirche bie Abfaffungszeit von 1 Tim. und Titt. 
viel bis jetzt vorliegt, zu jener nicht in Beziehung ſetzen. 








Zimothens u. Titus, die Briefe Pauli au 329 


wa iR, Kritiker dieſer Klaſſe find z. B. Ealvifius, Schmidt, Unger, Schrader, 
5 Biefeler, Schafft, Lurtterbed, Neithmayer, Otto. Ueber die etwas verjchiedene 
wie diefe kretiſche Reife Pauli mit feiner ebenfalls von Ephefus ausgehenden Reife 
m Racedonien 1 Tim.1,3. von Schrader, Neuß und mir combinirt find vgl. S.318. 
%4 meiner Anficht trat Paulus diefe Reife innerhalb feines faft dreijährigen ephefls 
ziten Aufenthalts, etwa im Sommer des Jahres 56 n. Ehr., ungefähr ein Yahr 
am feinen Weggange von Ephefus Apgſch. 19, 1. an, ging von Ephefus über Dlaces 
kooien nach Achaja und kehrte von Korinth, wie jede Karte ergibt, mit einem geringen 
Unnege über Sreta, wo er wegen feines kurzen Aufenthalts zur Ordnung der chriſt⸗ 
fhen Angelegenheiten den Titus zurüdließ, nad; Ephefus zurüd. Mag nun biefe Reife 
heili nach Kreta mit der nach Mocedonien 1 Tim. 1, 3. combinirt*) werden, was fich 
kturhh empfiehlt, daß von Lukas Apgſch. 19. dann nur eine und biefelbe Reife über. 
‚ya wird, oder and) nicht, jedenfalls ift diefelbe nad Obigem in den ephefinifchen 
bienthalt des Apoſtels Apgſch. 19. zu fegen. Im Allgemeinen koͤnnen wir fagen, 
wien Brief iR in Epheſus nicht lange nad feiner Rüdtehr von der erwähnten 
Blheneife und Bor Mbfaflung des zweiten Briefes an die Korinther, um welche Zeit, 
Wir fahen, Titus bereits zu mehreren fchwierigen, Achaja betreffenden Miffionen 
kmandt wird, gefchrieben worden. Wenn-ich in meiner Chronologie innerhalb dieſes 
Kroums die Abfaffung des Briefs an Titns ft nad Abfafiung des erflen Korin- 
hetriefeß," welcher um das Paſſa 57 gefchrieben ward, geſetzt habe, fo if das nament⸗ 
&h nit Bezug darauf gefchehen, daß ich den Apollos Tit.3, 14. von Kreta nad Achaja 
gie laſſe, zur Erfüllung des 1Kor. 16, 12. gegebenen Verſprechens. Indeß kanıı 
&.3, 14. and) fo ansgelegt werden, daß Apollos von Kreta zu dem Apoſtel nad 
Ok zurücfehren follte, wo wir ihn 1Kor. 16, 12. treffen, und dam ift unfer 
dh kurz vor Abfafinng des erflen Korintherbriefeß gefchrieben. Im diefem falle 
vie 3, 12. wahrfcheinlicd den urfprünglichen, 1 Kor. 16, 5ff. abgeänderten Reife 
Hz ach welchem ex anf feiner bevorfichenden Reife Achaja zweimal 2 Kor.1,15ff. be 
Ba mellte, in's Auge faſſen. Fur die Ahfaffungszeit im Allgemeinen macht dieß feinen 
beihied, und es läßt ſich zeigen, daß für diefe and, alle anderen Kriterien fprechen. 
Dei wegen Tit. 3,12. nicht Nikopolis, tote die Unterfchriften einiger Handfchriften haben, als 
Wiofuagtart umfered Briefe anzufehen ift, iſt jetzt allgemein anerfannt, da man dann 
od: fatt dxet erwarten follte. Die dort gebrandhte Kürze des Ausdrucks erflärt fich 
vehl am beften fo, daß Titus bereits im Allgemeinen durch den Apoſtel perſonlich feit 
Zuſammenſeyn auf jener Zmwifchenreife oder ouf anderem Wege von feinen Reife 
finen weiß, Baulus aber jett die Gegend, wo er längere Zeit zu verweilen, zu über- 
dent, beftimmter feflfegt und den Titus dorthin zu fich befcheidet, mm foll 

in Kreta im Jntereſſe feiner ihm aufgetragenen Mifflon fo lange bleiben, bis er 
Artemas oder Tychikus noch nähere Nachrichten empfängt. Wie wir früher fahen, 
den gerade Ephefus und Kreta durch nationale Abſtammung, religiöfen Kult, orphiſch⸗ 
ogoreifche Neigungen und Handel feit alter Zeit in lebhaften Verkehr. Wie hätte 
lus von Ephefus aus nicht auch fein Auge auf Kreta richten follen? Es iſt nicht 
wehrſcheinlich, daß das Chriſtenthum auf dieſem Wege hie und da auch ſchon vor 


*) Da man zu der direkten Neiſe von Epheſus nach Koriuth ſchon zu des Cicero Zeit nad 
her. ad Attic. ep. 6, 8.9. und ep. 3,9. nur etwa 14 Tage und ein alerandrinifcher Kauffahrer 
!ipüterer Zeit nach Plin. hist. nat. 5, 36 (vgl. Philo opp. II. p. 583 Mang.) von Sicilien bie 
Krandrien mar 6 bis 7 Tage und von Puteoli bis bahin nur 9 Tage gebrauchte, vergl. For⸗ 
‚ Handbuch der alten Geographie, Bd. I. S. 550 und befonders Movere, Phönic. II, 3. 1. 
1184 5, Panlus damals aber die betreffenden Orte mehr dv napddo 1.Kor. 16, 7. Tit. 1, 5. 
ſadte, fo brauchte ex zu jener Runbreife höchſtens etwa 2 Monate abweiend zu ſeyn, und es if 
er einzufehen, wie eine fo kurz bemeflene Ahweſenheit des Apoftele während feines faft drei» 
hrigen ephefiniſchen Aufenthalte auch gegen unſere Combination, nicht bloß gegen bie von 
—* zu geutn bei Bleek (Einleit. ©. 488, vergl. indeß S. 395) Anſtoß erregen konnte; 
q [ » 





330 Timothens n. Titus, die Briefe Banli au 


feiner perfönlichen Ankunft in Kreta Eingang gefunden hatte und nur noch des perike 
lid, belebenden und noch fefteren Grund legenden Geifles des Apoſtels mie des Tin 
bedurfte; denn das Evangelium hat fi) in der apoflolifchen Zeit, wo Alles fid nu 
etwas Anderem und Beflerem fehnte, nachdem einmal durch Paulus die jüdiſche Grin 
überfchritten war, von gewiflen weife ausgefuchten Mittelpunkten aus im Allgemein 
mit einer erſtaunlichen Schnelligfeit verbreitet. Ein folder Mittelpunkt follte für ri 
henland neben Korinth nach Tit. 3,12. num auch noch Nikopolis in Epirus werd 
in dem Augenblide, wo er ſich anfhidte, nad Rom und Spanien zu gehen. U 
die Gefchichte der Miſſionen des Paulus und die damalige Blüthe des epicotiige 
Nilopolis bedenkt, kann auch, abgefehen von den Ergebniſſen der neuteſtamentlie 
Litterarkeitil, faum zweifeln, daß nad) den Borgange 3. DB. des Hieronymns nur did 
fein anderes Nilopolis gemeint fen kann. Nilopolis, durch Auguſtus zur Feier fein 
Siegs bei Aktium erbaut und durch die den olympifchen faft gleichgeftellten aktiſch 
Spiele verherrlicht, eine durch roͤmiſche Koloniften und duch zahlreiche griechiſche 9 
wohner der benachbarten Städte, welche ihre Heimath zu verlafien gezwungen wurde 
ſtark bevöfterte, im Weften fehr günftig gelegene römifche Kolonie, die Hauptfladt Ag 
naniens nnd des füdlichen Epirus, war in dem nad; Strabo fehr verddeten Grichq 
land durch kaiſerliche Proteltion nad, der römischen Kolonie Neu Korinth, der Reſide 
des Proconfuls von Achaja, die bedeutendfle Stadt (vgl. Hergberg, die Geſchichle Gri 
henland8 unter der Herrfchaft der Römer, I. S. 492 ff. Strabo 7, 324 ff. J 
Dio Cass. 50, 12. 51, 1. Plut. Anton. c. 62. 65. Sueton. Octav. oc. 18. 96). 
anderes Nilopolis hatte eine auch nur entfernt ähnliche Bedeutung für feine Umgelch 
Bedeutende Weltpläge mag Paulus umſo lieber zu feinen Stationsdorten autgefud 
ben, wenn fie, wie Philippi, Korinth und Nikopolis, zugleich vÖmifche Kolonien ms 
und fo auch für ihn als römifchen Bürger Antnüpfungspunfte boten und für Im 
Predigt des Evangeliums größeren obrigkeitlihen Schug im Ausficht flellten. En a 
deres Nikopolis hätte Paulus Tit. 3, 12. audy wohl ſchwerlich Nilopolis ohne weis 
Beflimmung genannt, und der nah ©. 277 aus Achaja ſtammende und jedenfall 
fehr belannte Titus mußte als Xehrer feinerfeitd zunächſt an Nilopolis im * 
Zu unſerer Deutung ſtimmt auch die Notiz, wornach wir Titus ſpäter 2 Tim. 4, h 
in dem benadhbarten Dalmatien, d. 5. Illyrikum [mit dem Fluffe Drilo als Shin 
vgl. Beder - Marquard, ömifche Alterth. III. 1. ©. 114] antrefien. Fragen wor a 
auch abgefehen von unferen vorflehenden Combinationen, wann konnte nad) der wi 
tannten Geſchichte Paulus vor feiner römifchen Gefangenfhaft den Entfhluß ae 
Nitopolis in Epirus zu überwintern und den Titus von Kreta ans dorthin zu Ki 
den? fo werden mir antworten müflen, gegen Ende feines Apgſch. 19. erwähnten 
finifchen Aufenthalts. Und er hat wirklich damals jenen Entſchluß mwenigftens im 2 
fentlihen ausgeführt. Denn nad) dem im Frühjahr 58 zu Korinth gefchriebenen 
an die Römer Kap. 15, 19. 23. hatte er vom Jeruſalem her und Umgegend bis II 
ritum bin (alfo noch über Epirus hinaus) die Gnadenbotfchaft don Chriſtus do 
endet und im den dortigen Gegenden feinen Raum mehr. Nach Apgſch. 20, 2. 1 
brachte Paulus ferner in Hella 8 drei Donate zu. Diefe müflen wegen Apgid. 
6. 16. ımd da er nad) 20, 3. urfprünglic zu Schiffe nad Syrien gehen wollt, 
in alter Zeit erſt mari aperto etwa Anfangs März gefchah, im Ganzen als Bint 
monate gedacht werden. Alſo hat Paulus damals wirklich in Hellas, worin M 
polis nad; Korinth die bedeutendfle Stadt war, überwintert. Daß er damals nicht 
nehmlich in Korinth war, deutet auch Lukas an, wenn er merkwürdigerweiſe nicht 
rinth wie Apgefch. 18, 1. vergl. 19, 1., fondern nur Hellas als feinen Aufentt: 
ort nennt. Das Nähere wußte fein Leſer Theophilus, oder Lukas hielt es nicht 
nöthig auszuſprechen. Sehr merkwürdig iſt noch die Berührung unſerer Stelle — 
3, 12. mit 1Kor. 16, 6., fofern an beiden Stellen eine Ueberwinterung (mapıyt: 
in Hellas in Ausfiht geftellt if, mur daß die erfte Stelle rüdfichtlid des Ortet A 


Timethens u. Titns, die Briefe Panli an 331 


kuser lautet; was, wie andere ihnen gemeinfame Thatfachen z. B. die Thätigleit 
ee und Titus, auf etwa gleichzeitige Abfaffung diefer Briefe hinweiſt. Da 
wien Korintherbriefe nad ihrer Adreſſe nicht bloß an die Ehriften in Korinth, ber 
Sumtfoht Achaja's, fondern an die Ehriften in ganz Achaja 1Kor. 1, 2 fi. 2Kor. 
„IbgL S. 320 gerichtet find und Paulus nad 1Kor. 16, 6. bei den Leſern des 
 Srefeb, wenn es fich fo treffen follte, Länger zu bleiben oder auch zu überwintern denit, 
h hat er hier amgenfcheinlich nicht die Abficht, in Korinth, fondern nur die Abficht, im 
Ijcha eventuell zu überwintern, ausgeſprochen, ohne über den Ort oder die Orte 
Uhijes, wo dieß allen oder vornehmlich gefchehen follte, ob etwa in Korinth oder im 
Kihzois, Näheres ausznfagen, — er beabfihtigte nnfireitig beide Orte, und zwar Ni- 
ichs am langſten, zu befuchen —, wie demm eine foldhe unbeflimmtere Formulirung 
Inn gerade bei Abfaſſung des erſten Korintherbriefe® durch Parteiungen ſehr erregten 
Iefınde der dortigen Chriſtenheit nnd der dadurch bedingten mehr oder weniger proble- 
weiihen Natur feines Kommens 2, 1ff. 2 Kor. 1,23. am beflen entfpradh, vgl. auch Apgſch. 
'», 21.20, 2., wo Korinth als Reifeziel ebenfalls nicht befomders hervorgehoben if. 
Vijen ſchließt and) die Tit. 3, 12. beabfichtigte Ueberwinterung in Nikopolis einen 
a Ugemeinen ungefähr gleichzeitigen Beſuch an anderen Orteu Achaja's felbfiverftänd- 
riht aus. Iſt unſer Brief vor 1Kor. gefcrieben umd bezieht ſich ZTit. 3, 12. auf 
a 2ßer. 1,15 ff. erwähnten urfpränglichen Reifeplan des Apoftels, nad) welchem ex 
Wi her beabſichtigten Reife zweimal die Refer beſnchen wollte (f.oben), fo würde er bei 
Ma Ausführung fchon auf der beabfichtigten erflen Durchreiſe durch Achaja nad; Mace- 
kan in Korinth gewefen feyn, um bei ſeinem auf der Rücklehr beabfichtigten zweiten 
deuhe Achaja's in Nilopolis zu überwintern. Der abgeänderte Reifeplan 1 Kor. 16, 6. 
4 wintfich der gleiche geblieben, fofern es fi um eine Ueberwinterung im Hellas 
Ve, zur ift der Beſuch diefe® Landes tvegen der damaligen Zuftände der dortigen 
Ckitrkit der Zeit und Zahl nad befchräntt worden. Dafite behielt Paulus damals 
336 Evangelium auch in dem Macedonien benachbarten Dalmatien oder füdlichen 
Schn Km. 15, 19. (f. oben) zu predigen, wie diefe Predigt chronologiſch aud) 
kart befiätigt wird, daß Paulus fonft von umgefähr Pfingfien 57 n. Ehr., wo er 
ud Idor. 16, 8. Ephefuß verließ, bis zum nächſten Winter, wo er nad; Hellas ging, 
m Macedonien geteilt haben würde. Webrigens reichte Macedouien damals und 
Mh in Weften bis an's adrintifche Meer und umfaßte hier den zwiſchen Dalmatien 
u Lerden und Achaja (d. h. dem ihm zugehörigen epirotifchen Hellas) im Süben gelegenen 
bon Mpollonia und Dyrrhachium (vgl Dio Caſſ. 41,49. VBeder- Marquard a. a. O. 

117). Auf einer von den Mömern erbauten Militär“ und Handelsſtraße, der bes 
tn Via Egnatis, gelangte man über Thefſalonich leicht nach Apollonia, vom dort 
ih nad; Illyrikum nud füdlic nach Nilopolis. Bon dort ber wird Panlns muth- 
lich nad letzterem gegangen ſeyn. Otto, welcher ebenfolls unferen Brief in den 
eh. Kap. 19. erwähnten ephefinifchen Aufenthalt des Paulus Legt, hat am angef. O. 
‚354 fi. mehrere von Huther und Wiefinger gegen mich erhobene Einwendungen bes 
‚ meint indeß ebenfalls, daß unter deu 1Kor. 16, 6. angeredeten Lefern nicht 
wohner don Nilopolis einbegriffen ſeyn könnten, da weder ſchon Chriſten im letzteren 
He geinefen feyen, noch diefer zu Achaja gehört habe. Indeß woher weiß man fo 
‚ daß damals noch feine Chriften in Nikopolis waren? Paulus hat in der Zeit 
Apgeſch. 18. wahrfcheinkich das Chriſtenthum dort nicht perſonlich verfändigt, ob⸗ 

A das nicht unmöglich wäre und Andere das ammehmen; aber konnten bort feine 
en fern, ohme daß Panlus perfönlic, dort antvefend war? Bon vornherein müffen 

k 28 für wahrſcheinlich halten, daß bei dem lebhaften Verkehr zwiſchen Korinth und 
Mopofie, diefen beiden bedeutendflen Mittelpunften von Hellas, ſchon damals das 
miftenthum dort Eingang fand, vgl. and; 1Thefj.1,7.8. Und nun toaren feit diefer 
ME zur Abfaffung der Korinthechriefe ſchon wieder 3 Jahre verftrichen, in melden 
2 Chriſtenthum immer weiter um ſich griff, und im ben Adreſſen dieſer Briefe wird 


332 Timothens u. Titus, die Briefe Pauli an 


ja auch ausdrücklich von Chriften nicht bloß in Korinth, fondern in ganz Adhajn ge 
fprochen. Auch ſetzt Tit. 3, 12. bereits Chriften in dem epirotifchen Nilopolis, welde 
bier auch Otto verftanden wiflen will, voraus, da Paulus, ohne amf dortige Sympe 
thien zu rechnen, unmöglich von vornherein beabfichtigen konnte, dort zum Üübertointern 
vgl. auch das Beiſpiel der Gemeinen zu Koloffä, Laodicea und Hierapolis, wo Panlı 
and) nicht perfönlich newefen war, Kol. 2, 1. 4, 13. 16. Die Beweisführung Ott 
aber, daß Nikopolis nicht zu Achaja gehöre, iſt völlig .mißlungen. Ich habe in mei 
Chronologie S. 353 für meine Behauptung folgende Stellen angeführt: Tacit. 

2, 53. Sed eum honorem (consulis) Germanicus iniit apud urbem AchajacH 
copolim etc., wo Nifopolis ausdrüdlich zu Achaja gerechnet wird (mad) Otto hat im 
Tacitus ungenau (!) ſich auögedrüdt) ; Plin. nat. hist. 4, 2., wo Nikopolis als Hauptftadt m 
Alarnanien, einer anerkannt hellenifchen Landſchaft, erfcheint, und Strabo 17. ©. 84 
welcher die Anordnung der Provinz Achaja durch Auguſt im Jahre 27 v. Chr. 
folgendem Umfange befchreibt: E&Adaunv 6° Ayalav*) ulypı (incl) Ocrraliu 
Ahtwiüv xul Axagvavııv xal tıvıv ’Hnepwrixav &Iviv, 600 7 Muxedovig ne 
oweıoro, d. i. wie Hoed, rdm. Geſch. I. 1. S. 376 fagt, ganz Hellas mit den 
liegenden Infeln bis an die ceraunifchen und cambunifchen Gebirge im Norden, vg 
Dio Eafi. 53, 12., der daflie 7 EAAdg uerd rs ’Hneloov fagt. Es iſt daher feine 
Zweifel unterworfen, daß Tacitus mit Recht Nilopolis eine Stadt Achaja's genannt h 
Auch, wenn man nit im flaatsrechtlichen, fondern im geonraphifchen Sinne redet, 
pflegte man zur Zeit unferes Briefes’ längft Achaja in diefem weiteren Sinne zu fo 
Diefer Sprachgebrand, Achaja gleich Griechenland oder Hellas zu fagen, bürgert 
ohne daß der urfprüngliche Sim des Wortes ganz anfhörte, feit der Unterwerfung t 
Sriehen durch Mummius allmählich ein, theild weil der achäifche Bund Griehaiz 
damald am würdigſten repräfentirte, theil® weil, was die politifhe Namengebung tet 
die Romer betrifft, diefe das Rand durch die Unterwerfung der Achäer in Befig**) mi 
men, vgl. die jüngfle ausführliche Unterfuhung von Hergberg a. a. D. ©. 2841.38 
Es ift nun leicht zu fehen, daß es im N. Teflamente wahrfcheinlich überall in bil 
weiteren Sinne vorkommt, felbftverfländlich in der Formel Macedonten und Ag 
Röm. 15, 26. 1THefl. 1, 7. 2, 8. Apſtgeſch. 19, 21., zumal Lukas fein hie A 
brauchtes Achaja durch Hellas Apgeſch. 20, 2. felber erläutert, ferner Apgeſch. 18,1% 
two eim Proconful Achaja's erwähnt wird, und darum gewiß auch Apgeſch. 18,% 
namentlich aber auch in den Korintherbriefen 1 Kor. 16, 15. 2 Kor. 1,1. 9,2. 111% 
da Paulus, der römifche Bürger, an die Ehriften in Korinth, der römifchen Kolom ® 
Refidenz des rd. Proconfuls von Achaja fchreibend, diejen terminus gewiß in den @ 
und überhaupt bei den Römern folennen Sinne gebraudht haben wird. Hätte darf 
Otto mit feiner Behauptung, daß Nikopolis nicht zu Achaja gehöre und die 1 Kor.16, 
angerebeten Chriften Achaja's nicht Chriften in Nilopolis feyn Mnnten, echt, fo v 
fih noch immer nicht ergeben, daß unfer Brief nicht in jene Zeit gelegt werden B 
wohl aber müßten wir mit Otto dann annehmen, daß der Apoſtel feinen urfprängl 
Reifeplan Tit. 3, 12. auch rüdfichtlich der dort beabfichtigten Webertwinterung | 
16, 6. abgeändert hätte, was allerdings an fi möglich, aber aus dem angegeb 
Sränden nicht wahefheinlic; ifl. Daß unfer Brief in jenen epheflnifchen Yurfentd 
des Paulus zu fegen iſt, erhellt auch daraus, daß fich fo fämmtliche fpeciellk 
gaben bdefielben leicht erklären. Urkundlich fteht Paulus zu dem Tit. 3, 13. ertwährl 
Apollos fonft nur noch um jene Zeit im perfünliher Beziehung 1 Kor. 16, 1 








— 


*) Bgl. Hertzberg a. a. O. L ©. 505. Die Iekte Beſtimmung „mit Einſchluß genifler = 
rotifcher Bölter, jo viele [früher] zu Macedonien hinzugefügt waren“ erllärt ſich aus eimir! 
326 u. 827. . 

**) Pausan. VIL 16. 7. xaloücı d& o0r 'Eilddos, all’ 'Ayalas myeuöva ol 'Payaloı de 
&yeıpwoarro "Ellnvas dı' "Ayaı» rore rov Elinmvınod nopoeormndıov, vgl, Suidas L ps a 
Bernhardy, 





Timsthens u. Titns, die Briefe Pauli an 883 


Gab wor damals der Afiate Zuchilus Tit. 3, 12. in feiner Umgebung Apfigefd. 
“4 uch Artemos Tit. 3, 12., d. i. Artemidoros war wahrfcheinlic ein Ephefter, 
ke Dienf der Artemis befonders in Epheſus blühte. Zenas, der frühere Geſetz⸗ 
ier, und Mpollos Tit. 3, 13., die umferen Brief vielleicht überbradgt hatten, qualis 
inten ſich befonder® gut zu einer Miffion an die kretiſchen Chriſten, mo häxetifche 
Exetalationen bei den Judenchriſten über das altteflamentliche Geſetz, wie wir fahen, 
Ih jenden, Jenas als früherer Geſetzeslehrer (vozuıxocs) wegen 1 Tim. 1, 7. Tit. 3, 0. 
Belos, der Alegandriner, wegen feines ſchon früher in Epheſus beiviefenen Geſchicks 
ri6.18,28., die Iuden in ihrer Beſtreitung der Meffianität Jeſu aus der Schrift zu 
niderlegen. Der Einwurf von Wiefinger, daß nad) unferer Annahme Paulus den Titus 
Kon fo bald feiner kretiſchen Miffton entzogen habe, hält nicht Stich, weil derſelbe 
wi Tit. 3, 12. ausdrücklich nur proviſoriſch bis zu feiner bevorfiehenden Abberufung 
Int wirlen follte; daß er aber uod; einige Zeit früher, als der Apoſtel ſelbſt erwartet 
hate, zue Miffion nach Achaja benntt ward, lag in der unerwarteten Entwickelung 
ie dortigen Verhältnifſe, welche nach 2 For. 1, 15 £. ja auch die Abänderung feines 
werı urfpränglichen Reifeplans veranlaßte. Das Berhältniß umjeres Briefes zu den 
Weutherhriefen wird noch weiter dadurch illuftrirt, daß wahrſcheinlich Thchikus, durch 
In Titus nach 3, 12. eventuell abgerufen werden ſollte, der Bruder iſt, welcher 
IB cf feiner erfien Miſſion nad, Korinth 2 Kor. 12, 18. und dann auf der zweiten 
Rift ebendahin 2 Kor. 8, 6 f. mit einem anderen Bruder, dem Ephefier Trophimus, 
W Apgeſch. 20, 4. und meine Chronologie S. 349 ff., begleitet. Auch if die Er⸗ 
Bbuung, die anf die Jugend des Titus hinweiſt, daR Niemand ihm verachten foll, 
2, 15,, merkwürdig ähnlid den in jener Zeit rüdfictlid des Timotheus ans- 
Frodenen Ermahnungen 1 Kor. 16, 11. 1Xim. 4, 12. Diefe Stelle ift aber and; 
wech fir die Abfaffungszeit unfere® Briefes von großer Bedeutung, weil Titus da⸗ 
wind feine größeren Mifftonen wie fpäter unternommen und fidh durch diefe noch 
&t kuihet haben kann. Indem fie die damalige Iugend und relativ geringere Er⸗ 
Ray deſſelben bezeugt, beweift fie namentlich, daß unfer Brief nicht erſt zwiſchen der 
ch am zweiten römischen Gefangenfhaft Pauli abgefaßt feyn kanı. Eine frühere 
Erfiimteit des Paulus auf Kreta kann man auch Röm. 15, 19. angedentet finden, wo 
kulıs in Korinth ſchreibend fogt, daß er von Jerufalem und im Umkreis bis Illyrikum 
& Onodenbotfchaft von Chrifius vollendet habe, und daf er jetst in dieſen Strichen feinen 
kam mehr habe Röm. 15, 23. Im der That iſt es eine Berlegenheit, unferen Brief 
Krubringen, wenn man ihn in die Zeit nach der erflen xömifchen Gefangenfchaft des 
lus gefegt hat, wie ſich dieß namentlich bei Bleek kundgibt, welcher ſich in feiner 
tung S. 474 umferer Hypotheſe gar nicht abgemeigt zeigt, indem er hier mit 
t and hervorhebt, wie die 2 Kor. 11, 25. erwähnten drei Sciffbrüdye darauf 
Mm, daß Paulus während feiner apoftolifchen Wirkſamkeit verſchiedene Seereifen ge 
t haben mäffe, von denen wir aus der Mpoftelgefchichte tvenigftens etwas Specielles 
wüßten. Seltſamer Weife hält er aber mit Neander den Einwurf gegen eine 
ee Abfaffungszeit noch feft, daß, wenn es bei der Apgeſch. 27. erwähnten kurzen 
reienheit des gefangenen Paulus auf Kreta zur Zeit feiner Transportation nach Rom 
A bereits Chriften gegeben habe, ihrer Lukas in feinem ausführlichen Berichte hätte 
enlen müffen. Allein Paulus kam, vom Sturme berfchlagen, unerwartet in Kreta 
Gefangener an, an einem PBunkte*) höchſt wahrſcheinlich, wo zufällig feine Chriften 
rn, während an anderen Orten der Imfel, namentlid im Norden, chrifliche Ge⸗ 
wen vorhanden geweſen feun werden. Auch konnten die Chriften dort, wo fie kurze 
— — 


) Der Hafenplatz xalo} Auueves und das benachbarte Laſäa find fo unbedentende Orte, daß 
® ihre Lage kaum ausfindig zu machen wußte und die Reiſenden baldigf aufbrachen, um wo 
aid in Phönig zu überwintern. So unbebeutende Orte pflegte Paulus nicht zu chriſtlichen 
Mionen auezufuchen. Uebrigens if Laſäa wahrfcheinli das Lifta der Pentinger’ichen Zafel; 
| Socd, Kreta Bo, 1. ©. 441. 








334 Zimothens u. Titns, die Briefe Pauli an 


Zeit dor Anter lagen, felbft wenn welche vorhanden waren, den gefangenen Apoftel nid 
wohl auffuchen, da fie von feiner Anweſenheit nichts mußten. Die Yorderung Bleek 
iſt unmotivirt, Lukas würde dann wenigſtens gejagt haben, daß Paulus und die Seinige 
gewunſcht hätten, gerade auf diefer Infel zu überwintern, um die dortigen Brüder zu feha 
Was hätte da der arme Lukas nicht Alles jagen follen! Andere Gegengründe, tote der di 
der ſprachlichen Verwandtſchaft unfere® Briefes mit den übrigen Paftoralbriefen, und & 
aus Apgeſch. 20, 31. von de Wette, aber nicht von Bleek entnommene, find von uns h 
reits früher gewürdigt. Endlich fpricht auch das gegen die Verlegung unferes Briefe ı 
jene fpätere Zeit, daß dann Paulus nach der dabei vorausgejegten Befreiung ans 
römifchen Gefangenfchaft mit Titus nah Tit. 1, 5. nad Kreta gegangen und ihn md 
Zit. 3, 12. für den bevorftehenden ganzen Winter nad) Nifopolis zu fich zu rufen 
abfichtigt haben fol. Es iſt höchſt unmwahrfcheinlich, diefe beiden Reiſen für jene 
anzunehmen, da Paulus, wie wir mwiflen, vor feiner römifchen Gefangenſchaft vor 
die Predigt des Evangeliums weiter nach dem Weſten bin, namentlich in Spanien, 
abfichtigte und in den Briefen aus feiner Oefangenfchaft feinen Beſuch den en 
Kleinafien und Macedonien meldet, alfo bei ettvaiger Befreiung vor Allem dieſe R 
von ihm "unternommen ſeyn werden. 

3) Zweiter Brief Pauli an den Timotheus. — Auch in Bezug auf biefen In 
haben wir die fehwierigeren Fragen, abgefehen von feiner Abfaſſungszeit, bereits 
foloirt. Der Hauptunterfchied diefes Briefed von den anderen Paftoralbriefen beftet 
der veränderten Rage des Apoftels, aus welcher heraus er denfelben an feinen gel 
Gehülfen Timotheus fchreibt; während er in jenen ſich in Treiheit befindet, f 
er jest in Rom, Rap. 1. Vs. 17., worauf auch die Namen Pudens, Claudia um 
mentlich Linus, Kap. 4. V. 21. weifen, in Ketten 1,8. 16. 2,9. und erwartet mr md 
Berurtheilung und Tod, 4, 6f. Der Brief hat wefentlich aud den Zweck, durch da 
legung feiner perfönlichen Rage den Timothens zu vermögen, bald, noch vor dem Bit 
4, 9. u. 21., woraus zugleich erhellt, daß der Brief in einem Spätherbſt alg 
tward,- zu ihm zu kommen. Die Inftruftion, die er dem Timotheus, tim Ang 
feines Todes ertheilt, nicht wiffend, ob fie fich noch wiederfehen werden, ift hier 
weg zugleich von den perfönlichfien Gefühlen und Motiven getragen. Nachdem 
bereit8 über die Irrlehrer unfere® Briefes, ihren magifch-theofophifchen Karalter 
handelt ımd ihre Gefcichtlichkeit mit Nüdficht auf die Empfänger unfere® Briefe 
gethan haben, brauchen wir uns mit der Frage feiner Aechtheit nicht ausführliche nd 
zu befchäftigen, da diefe durd; den ganzen in unnnachahmlicher Weife perfönlich g 
Hintergrund der Darftellung, wie durch äußere Zeugniffe verbürgt wird. Inhahb 
Gedantengang unferes Briefes find kurz folgende: Nach Adrefſe und Gruß m) 
Dankſagung für den ungeheuchelten Glauben des Timotheus.(1, 1—5.) ermahnt a 
legteren, daß er die ihm durch Handauflegung verliehene Gnadengabe bethätigen, 
des Evangeliums und Pauli, des um des Evangeliums willen Gefangenen nidt | 
men, fondern für baffelbe mitleiden, ſowie die von ihm verfündeten gefunden tt 
den Glauben und die Liebe durch dem heiligen Geift bewahren möge. Warnend 

er dabei an die ihm kürzlich bewieſene Untrene etlicher Aftaten und an die rent 
Siehe des Onefiphorus 1, 6—18. Nun folgt die zufammenhängende Ermahnun; 
den Zimotheus 2, 14, 8., welche umſo dringlicher iſt, als der Apoſtel feinen 
digen Tod dorauoſicht (dgl. das y yap 4, 6), und Timotheus dann flatt feiner ei 
muß. Im den Abfägen 2, 1—13. 14—26. 3, 1—17. 4, 1—8. hält Panlus 
die Pflichten eines evangelifchen Lehrers und Hirten, vielfad) an fi umd feine 
als Vorbild erinnernd, dor, zeigt ihm, wie und was ex zu prebigen habe, unter wi 
bolter Hinweifung auf gewiffe in der Gemeine beftehende Irrlehren und mit 
hebung der künftigen böfen Tage der Endzeit, fchließend mit der Gewißheit ded ei 
baldigen Martyriums und der freudigften Zuverficht der ewigen Herrlichkeit. Es j 
4, 9—22. Perfonalien, Bericht über feinen Proceß, Grüße und Schluß. 






























Timsthens u. Titus, die Briefe Pauli an 385 


der Empfänger des Briefe Timothens, über welden wir 1, 4. u. 5. u. 8, 15. 
ie mdividuele Züge vernehmen und mit Bezug anf defien Heimaflatiiche Heimath 
fen feine Leiden 3, 11. zu eremplificiren beginnt, fte dann abbrechend, Apgeſch. 
#15. 13, 50. 14, 2. 19., ift unflreitig in Ephefus zu fuchen, wie auch allgemein 
zammen wird. Die erhellt fchon daraus, daß der Irrlehrer Hymenäns 2 Tim. 

317. unfteeitig ibentifch {ft mit dem Hymenäus 1%Xim. 1, 19., wie überhaupt die 
Silchter beider Briefe; der erſte Timotheusbrief iſt aber nad) Ephefus gerichtet 1 Tim. 
1,3. Hierauf weift ferner das über den Oneflphorus Gefagte hin 2 Tim. 1,16—18. 
4,19, md da Aquila und Priscilla 4, 19. mit dem Haufe des Oneflphorns gemein» 
Mettkh gegrüßt werden, fo müflen fie ans Rom, mo wir fie Rom. 16,3. fehen, wieder 
wi Gheſus zurüdgelehrt ſeyn. Auf jeme Gegend weift ferner die Ermahnung, den 
Karat 4, 11. mitzubringen, der fi) uach Kol. 4, 10. um jene Zeit in jener Gegend 
ae, vgl 1 Petr. 5, 13. Darum berichtet Panlus ferner von dem Verhalten der 
Meinfiaten 2 Tim. 1, 15. Thychikus endlid war nah 2 Tim. 4, 12. der Meberbringer 
mir Vriefes; das antoreia iſt mämlid als Präteritum des Brieffiyls zu fafjen 
i.6,22. 2 Kor. 8, 18. 22. Winer’s Gramm. 8. 40. 5. 

Bas die Abfaffungszeit unfere® Brieſes betrifft, fo ward derjelbe, wie wir fahen, 
'uhend der Sefangenfchaft des Paulus in Rom gefchrieben, und, abgefehen von Ein⸗ 
Fan, wie Böttger und Thierſch, welche ihn in Cäſarea gefchrieben feyn lafien, vou 
fa ver erſtere 2» Pagen 1, 17. fogar flreichen will, wird von feinen Bertheidigern 
m darüber gefixitten, ob er iu die fogenannte erfle oder zweite romiſche Gefangenfchaft 
Bit if. Au die zweite römiſche Gefangenfchaft denken z. B. Eufebins, Theodoret, 
Eeriofozns, Theophylatt, Mynſter, Giefeler, Neander, Huther, Mad, Wiefinger und 

‚ an die don Lukas erwähnte römische Gefangenſchaft Baronius, Petavius, 
Cam Hug, Schrader, Hemfen, Matthies, Reuß, Otto, der Unterzeichnete u. Andere. 
% an aber mehrere in der Gefaugenſchaft des Apoſtels verfaßte neuteftamentliche 
Br, die unftreitig gleichzeitigen Briefe an die Ephefer, an die Kolofier und an 
ia Bhlemon, der Brief an die Philipper und der zweite Vrief an den Timotheus. 









* die zuerſt genannten drei Briefe, am die Epheſer, an die Koloſſer und an den 


Kim, find meines Erachtens nicht in Cäſarea (vgl. die Artt. „Ephefer* und „SKo- 
Wen), Iondern in Rom gefchrieben, wie ich insbefondere auch aus der Lage des ge- 
Moenen Üpoftels im einer diefe betreffenden ansführlichen Unterfuchung in meiner Chro- 
Se ©. 474 f. nachzuweiſen verfucht habe, ebenfo jüngft wieder Wleek in feinen 
helfangen über die Briefe an die Koloffer, an Philemon und an die Ephefer, 1865. 

tiefen Briefen kann der Apoſtel, obwohl gefeffelt, frei das Gvangelium verkünden 

6,19 5. Kol. 4, 3 f. 1, 8. 4, 11 f. Philem. 1. 10., wie das im Rom der 

war, mo er, wenn auch in der custodia militaris und von einem Prätorianer be» 

t Apgeſch. 28, 16., vom Frühjahr 61 nad; Chr. an zwei Yahre lang Apgſch. 28, 

u 31. in einer eigenen Miethwohnung Allen, die zu ihm famen, ungehindert das 

gelinm predigen konnte. Anders var dieß in Cäfaren, wo Paulus im Prätorium 
Mferodes Apgfch. 23,35.24, 28.27. gefangen gehalten wurde und nicht Alle zu ihm Zus 
h hatten, dba daB rrpoodeyeodu: Apſtgeſch. 24,23. unächt if; nur feine Angehörigen 
—2 avrod) wurden nicht gehindert, ihm zu dienen. Es begreift fi dieſe Maßregel 
Mh aus der Nachbarfchaft von Caſarea bei Jeruſalem, wo ſich mehr als vierzig wider 
k Leben verſchworen und dadurch feine nächtliche Transportation nach Cäſarea veranlaßt 
Ken Apgſch. 23,13 f.; dort hätte ein freier Zutritt zu ihm ſelbſt feinem Leben Gefahr 
kogen Ynnen. Ans feiner firengeren Haft und Bewachung in Paläftina und ben da» 
rch bedingte Moßnahmen, fowie aus dem Umftande, daß die evangeliſche Prebigt 
em der Grund feiner Anklage war und dort befonderen Anftoß erregte, erklärt ſich, 
8 wir überhaupt feine in Cãſarea an chriſtliche Gemeinen verfoßten Briefe des Apo⸗ 
1 beſiten, ohne daß wir deshalb an verloren gegangene zu denken haben. Was 





336 Timothens n. Titus, die Briefe Pauli an 


nun aber die Reihenfolge der erwähnten in Rom gefchriebenen paufinifchen Briefe hi 
trifft, fo laffen wir die Briefe an die Ephefer, Kolofier und an Philemon zuerſt gı 
fchrieben feyn, dann den PBhiltpperbrief, endlich den zweiten Brief An den Timotheue, w 
wir hier nicht ausführlicher beweifen wollen. Es iſt unhaltbar, den zweiten Brief an de 
Zimotheus wegen 4, 13. 20. mit Baronius und Anderen (jener wollte 4, 20. fog 
Metrn ſchreiben) nicht lange nach Pauli Ankunft in Rom verfaßt ſeyn zu laffen. di 
unfere Auffaffung, die im Allgemeinen auch die herrfchende ift, fpricht befonders and % 
ganze Tage des gefangenen Apofteld. Im den Briefen an die Ephefer, Koloſſer umd ı 
Bhilemon fpricht fi nicht eine Spur von Bejorgniß über die Entwidelung feines I 
ceſſes aus, er hofft vielmehr fo beſtimmt auf feine Freiſprechung, daß er Philem. 22. % 
Philemon bereit8 Quartier beſtellt. Dem entfpricht die Erleichterung feiner Xage i 
Kom im Anfang, two er nicht im Prätorium zu figen braucht, fondern bewadt W 
einem Prätorianer eine Mietwohnung beziehen darf und dort frei das Evangelium we 
fündet Apgſch. 28, 16. 30. 31. Es find manche Gehülfen um ihn, unter Ynden 
Aciſtarchus und Lulas Kol. 4,10.14. Philem. 24., welhe ihn aud nach Apgſch. 27, 
nach Rom begleitet haben. Schlimmer ift die Rage des gefangenen Apoſtels zur 3 
des Philipperbriefes. Seine Predigt des Evangeliums hat Auffehen gemacht und el 
Bewohner ded Prätoriumd und des kaiſerlichen Haufes für fi) gewonnen Phil. 1,1 
4, 22., aber damit ift auch die TFeindfchaft gegen ihn geftiegen; er ift noch nicht sy 
Hoffnung auf einen glüdlihen Ausgang, aber der letztere doch durchaus nicht ſich 
Phil. ı, 19 f. 2, 17 f. 2, 24. Schon hofft ee 2, 23. auf eine baldige bderarii 
Entwidelung feiner Angelegenheiten, daß er ihr Ende abfehen kann, welches nur 
Folge einer gerihtlihen actip vor dem Faiferlichen Tribunal eintreten Ta 
eine folche hielt er alfo für bevorftehend. Auch jegt find noch mehrere Brüder in jan 
Umgebung, Bhil. 4, 21. 1, 1. 2, 19., doch war dieß nicht ohne Gefahr 2, 30. 60 
lich zur Zeit des zweiten Timotheusbriefes hat fich feine Sache fehr verfchlinme 
1 Tim.*) 2, 9., ja er erwartet nur no den Tod 2 Tim. 4, 6 f. 4, 18. Yet h 
er bereitö feine erſte Mpologie vor dem Haiferlichen Tribunal “gehalten 2 Tim. 4, 16 
wo er faum und ohne Ausficht für die Zukunft dem Tode entronnen iſt, 2 Tim. 4, 15. 
und kann davon dem Timothens melden, welcher unter Thräuen 2 Tim. 1, 4. Im 














*) Da das xaxorada unftreitig die Gegenwart bes Apoftels befchreikt, vgl. aud 1, pi 
ift zu erflären: Um bes Evangeliums willen leide ih Schlimmes incl. Fyeſſeln wie eis de‘ 
brecher (xaxoöeyos, bier unftreitig in juriftifhem Sinne). Bei meiner Faffung hätte ga wi 
wie mir eingeworfen ift, &s xaxoveyov gefagt werben können, da dieſe Näherbeftimmung eu 
nicht bloß auf deouav zu beziehen if. Der gefangene Paulus batte außer der 5 
Feſſelung (den deona eines xaxoioyos) noch andere Unbill, von welcher der römiſche Bürze 
fih frei war, welcher er aber als xaxoögyos unterworfen wurde, zu ertragen. Golde Fri 
gungen waren 3. B. Kreuz» und Beitfchenhiebe, vgl. Pauly's Real-Eneyfl. in dem Art. „ein 
Bd. 2. ©. 392 Apgeſch. 16, 37. 21, 33. 22, 23 |. und dazu meine Chronologie. Zu ben di 
eines xaxoüpyos vergl. Bhiloftr. vit. Apoll. VII, 34 (Er zois naxovepyoraroıs dnoas), : 





VII, 40. Anfangs fol auch Apollonins fih nach VII, 22. in Teichterer Haft befunden be 
Veberhaupt ift des Philoftratus Darftellung über den Apellationsproceß des Apollonius ver 

Kaifer Domitian, VII, 16 ff., überaus inftruftio, weil, wie man and über das Faltum ſe 
urtheilen mag, wir doch den Gang eines folhen Procefjes genauer kennen lernen. Ueber 

custodia militaris und ihre Berfchiedenheit vgl. meine Chronol. ©. 380 fi. 394 ff., ferner 

dott S.414 citirte, von Conftantin gegebene Geſetz L. 1. pr. C. de custod. reorum, bin 
daraus auf die Peinigungen der Gefangenen vor feiner Zeit fließen lanı. Die Berſchatit 
der Haft konnte namentlih auch dann eintreten, wenn nad beendigter Vorunterſuchung ‚beit 
gerichtlichen actio feine Freifprehung, fondern nur eine Verſchiebung bes Endurtheils, eine & 
pliatio oder comperendinatio [über ihren Unterſchied vgl. Pauly’s Real» Encyflop. unter — 
pliatio”], vom Richter befchloffen wurde, wie bei Paulus 2 Tim. 4, 17. (f. unten), ſofern dat 
erflärt wurde, daß der bis dahin in Unterfuhungshaft Befindliche zwar nicht als ſchuldig a 
auch nicht als unſchuldig, vielmehr irgendwie als verdächtig befunden ſey, vgl. L. L Ch. Th! 
custod. reor., ferner Tac. Ann. 2, 30. 31. und dazu Muretus. 


Timothens u. Titus, bie Briefe Pauli au 337 


23,19 von ihm Abſchied genommen hat. ine gerichtliche actio hatte auch 
wi Phil. 2, 23. (f. oben) bis dahin in Rom noch nicht Statt gehabt, wogegen Bil. 
1,.. 16. nicht fixeitet, da dieſe Stelle von der außergerichtlichen Vertheidigung nicht 
kn Perfon, fondern des Evangeliums handelt. Diefe gerichtliche actio muß erft 
nd dem zweijährigen xömifchen Aufenthalt des Paulus Apgſch. 28, 30. 31. flatt- 
‚den haben ; fie paßt durchans nicht in den Bericht des Lufas, welcher ſich auf die 
wei Jahre bezieht, und Lukas hätte fie auch wegen des pragmatiſchen Zuſammenhangs 
jener Darſtellung im der Mpoftelgefchichte wie wegen ihrer Wichtigkeit in dieſem Zeit- 
üldnitte nicht übergehen Mnnen. Bedenkt man, daß Paulus in Cäfaren über 2 Jahre 
wiefen hatte, ohne von den Procuratoren ein richterliches Endurtheil zu empfangen, fo 
krreift fh von felber, daß ex bei dem kaiſerlichen Tribunal eines Nero erſt nach zwei 
Ahren die eigentliche gerichtliche motio hatte, mit welcher, wenn keine Verſchiebung bes 
letheilt eingetreten wäre, nach romiſchem Rechtsgange fein Proceß in gntem ober 
Mdtem Sinne würde beendet worden fehn. Da mit der Appellationsinftang der Proceß 
va Kenem begamm und in einer res capitalis bei den verfchiedenartigen Klagepunkten 
hzech. 25, 8. gar Manches vorzubereiten war, zumal bier die Zeugen und Beweis⸗ 
Stel wie Tacit. Ann. 13, 43. 52. aus der ferne zu befchaffen waren, fo fonnte bie 
win jefhft bet regelmäßigem Verlanf erſt nad längerer?) Zeit ertvartet werden. Hiezu 
baut, daß Taiferliche Defpoten, zu denen um biefe Zeit and Nero gehörte, faft ſyſte⸗ 
uiid die Sriminalpflege ihres Gerichtshofes verzögerten, wie uns Joseph. Antt. 18, 
&5. vom Tiberins berichtet, und durch eine ſolche Zögerung im dieſem falle, falls 
za mat verurtheilen konnte, überdieß noch dem jübifchen Volle eime große Nachſicht 
aneien werden Konnte, vgl. übrigens auch meine Chronologie &. 107 fi. Anch bie 
am Mittheilungen unfere® Brieſes weiſen anf diefe fpätere Zeit oder laflen fi 
Wr ihe vereinen. Tychikus, welcher die Briefe an die Koloſſer und Epheſer, Kol. 
41. heſ. 6, 21., überbracht hat, foll auch unſeren Brief nah 2 Tim. 4, 12. vgl. 
ei % überbringen, was wenigſtens einen längeren Zeitzwiſchenraum zwiſchen dieſen 
Ste darthut. Ueberhaupt find die meiſten der unmittelbaren Gehülfen Pauli abwe⸗ 
Me, theilweiſe auf Mifftonen, fo Tychikus, Crescens und Zitus, 2Tim. 4, 10. 12., 
| M noch allein bei ihm 4, 11., Timotheus, deſſen Abreiſe nad, Philippi Paulus 
SL 9, 19 f. als bevorſtehend angezeigt hat, befindet fidh jett in Ephefus und fol 
hl zn ihm fommen 4, 9., nod vor dem Winter 4, 21. und den Markus mit ſich 
gen 4, 11., vgl. Kol. 4, 10. Namentlich, befindet fich auch Ariſtarchus, welcher 
rüber bei ihm war, Apgſch. 27, 2. Kol. 4, 10. Philem. 24. Phil. 4, 21. (?), nicht 
wir in feiner Umgebung, und Demas Kol. 4, 14. Bhilem. 24. hat ihn fogar im 
Eid gelaffen umd ift nach Thefſalonich gegangen, weil er die jegige Welt liebte, 2 Tim. 
4, 10., unfireitig ans Beſorgniß, in das damals bedenkliche Roos bes Apoſtels ver- 
Welt zn werben, vgl. 1, 15. 4, 16. Darauf, daß der Leiden fcheuende Demas nicht 
kb na Rom, fo lange dort noch Gefahr war, zurückgekehrt ſeyn wird, und auch aus 
Keim Grunde der zweite Timotheusbrief wenigſtens fpäter als der Brief an die Ko⸗ 
bie, wo jedenfalls Demas noch bei ihm war, gefchrieben feyn muß, hat ſchon Theo⸗ 
heet zn Mol. 4, 14. 2 Tim. 4, 10. hingedentet, vergl. anch Bleel, Einleit. S. 482. 
diernach ergibt ſich, daß umfer Brief während der von Lukas erwähnten römischen Ge⸗ 
Magenfchaft, im Herbſt (mod zeuuüvos 4, 21. vgl. 4,10.) des Jahres 63 m. Chr., ale 
Pralus nach feiner erſten gerichtlichen Bertheidigung vor dem kaiſerlichen Tribunal nur 
L 
_ 9) Der von Otto a. a. D. ©. 212 gegen meine Auffaffung von 2 Tim. 4,16. auf Grund von 
Piil.2,28, erhobene Einwand, daß Timotheus erſt nach der actio bes Panlus nach Philippi hätte 
Bireifen Unnen, hat überhaupt nur Sinn, wenn man annimmt, baß des Erſteren Abreiſe troß 
t vom Apoßel ausgeſprocheuen Hoffnung unter Umſtänden nicht hätte abgeäudert werben lönnen, 
dihtend doch gerade auch er gleich Phil. 2, 24. eine ſolche Abänderung annimmt, Aber aud 
Kur Sein eines Grundes wirb bann hinfällig, wenn man z. B. mit Meyer das drrdeiv von 


dem faht, was man ans ber Ferne ſieht. 
RrrloGucpliopänie für Theologie mad Kirche. Suvpi. m. ” 








338 Timotbens u. Titus, die Briefe Panli an 


noch den Tod vor Augen fah, gefchrieben if. Es fragt fi, ob ein wirklicher Anlı 
in unferem Briefe vorliegt, um, wie Mehrere behauptet haben, trotz der angeführt 
Gründe, denfelben in eine fpätere Zeit zu verlegen und feinetwegen eine Befreiung d 
Apofteld aus der von Lulas berichteten römischen Gefangenſchaft und eine zweiter 
mifche Oefangenfchaft zu pofluliren; denn darüber, daß Paulus unferen Brief als cin 
fher Gefangener gefchrieben hat (vgl. 1, 17.) und don dem Faiferlichen Tribunal | 
Rom zum Tode verurtheilt ward, herrſcht faft Einftimmigleit. Es find aber befonde 
folgende Stellen, auf welche man ſich früher flügte oder auch jetzt noch beruft: 2% 
4, 16 f. 4, 13. u. 20., die wir zu biefem Zwecke genauer unterfuchen tollen. 

Rap. 4. Vs. 16. betrifft, fo war diefe Stelle in alter Zeit bei Eufebius (hist. m 
2, 22.), vgl. Theodoret, Chryfoftomus, Hieronymus, Theophylaft, diejenige Schrif 
ftelle, auf welche die Annahme einer zweiten römifchen Gefangenschaft Pauli gegrisl 
ward. Es wird dann die newer uov OnoAoyia von der Apologie Pauli in der af 
xömifchen Öefangenfchaft erklärt. Abgefehen von dem Intereſſe, welches man an | 
Befreiung Pauli aus der fogenannten erſten römifchen Gefangenfchaft nahm, fofern | 
durch die Verbreitung des Evangeliums bei noch anderen Völkern don Seiten des 

fteld, worauf man das tva axovowon navyra a &9vn 2Tim. 4, 17. bezog, ſicher 





ftellt werden follte, trug zu dieſer Auffaffung das 26040977 2x oröuaros Ai 
Vs. 17. bei, welches auch von einer definitiven Freifprechung des Apoſtels, melde 
ja vor Abfaffung unferes Briefes erfolgt feyn mußte, erklärt werden konnte. Wikis | 
Irrigkeit der Auffaffung diefer Stelle liegt auf der Hand (vgl. meine Ehron. S.4 
524. 540. 546) und tft jest allgemein auch bon unferen Gegnern felber (vgl. 
Wiefinger) zugeftanden. Bei der Anſicht des Eufebius hätte e8 Vs. 16. etwa & 
ngor&on nov alyuorwoia heißen, ferner Vs. 17. der Sag Wa hinter 2ögvodr | 
oröuorog Akovrog ftehen müfjen, abgefehen davon, daß Paulus hier unftreitig nidt ! 
Zimotheus bereit3 befannte*) Dinge aus einer früheren Gefangenfchaft veferiren, | 
dern, wie auch aus dem Eingange von Vs. 14. u. 15, und dem Schluß Be. 18. 
borgeht, nur die Gefährlichkeit feiner damaligen Tage auf Grund der jüngften Be 
genheit motiviren kann. Bei feiner erften gerichtlichen Vertheidigung vor dem ki 
lihen Tribunal, die nad; römiſchem Recht öffentlid, war, ftand, während fein Na 
ihm fehirmend zur Seite war (ovdels uoı ovunapeybvero), der Here ihm bei und Hi 
tigte ihn, damit feine Predigt die fämmtlichen Heiden (in der corona populi) M 
nähmen. Der Erfolg feiner Bertheidigungsrede war feine einftweilige Rettung & 
Lebensgefahr (LdovoInv 2x oröuuros Alovros). Hierdurd wird augenfcheinlid M 
definitive Freiſprechung des Tribunals bezeichnet, fondern nur eine Auffchiebung dei 
richtlichen Endurtheils, alfo eine ampliatio feines Proceſſes (vergl. das arepal 
Apſtgeſch. 24, 22. und dazu Dieyer, meine Chronol. ©. 406, ferner ©. 336 Au 
Jene Stelle 2 Tim. 4, 16. 17. fagt aber nicht nur keine Befreiung des Apofels ( 
ber römischen Öefangenfchaft ans, fondern beweift fogar, daß hier nur an feinen Pro 
während der von Lukas erwähnten römischen Gefangenfchaft Pauli gedacht werden hi 
Es ift nämlich in der Zeit nach der meronifchen Chriftenverfolgung undenkbar, | 
Paulus, in irgend einer römifchen Provinz wegen feiner Predigt des Chriftenthumd 
fangen gejegt und angellagt, in Folge einer Appellation an den Saifer wieder 
nad Rom gefchidt werden und dort fogar eine zweimalige gerichtliche Vertheidig 





*) Derfelbe Grund entfcheidet auch gegen die jüngft von Otto a. a, O. &.251 vorgetrsg 
Anficht, unter der zowın kov aroloyia ſey die Apgſch. 25,8. erwähnte droloyia des Paulat 
bem Landpfleger Feſtus zu werfteben, abgefehen davon, daß mit ber Appellation an ben 8 
ein neues Proceßverfahren begann, innerhalb weiches jene Vertheibigung ſchwerlich ale erft 
zeichnet werben konnte. Ferner ift weder der Nachweis Otto's, dag im bem zwei Jahre | 
Felix trotz Apgeſch. 24, 1 fi. noch Leine gerichtliche droloyia des Paulus flattgefunden b 
noch feine Behauptung, daß im zweiten Zimotheugbriefe keine Spur von Zobesahnungen Fi 
enthalten feyn fol, zu rechtfertigen. 


Timothens u. Tiins, die Briefe Banli an 339 


kan Sache vor dem Kaiſer hätte erlangen follen, zumal die Statthalter nicht jeder 
Belation an den Kaifer ohne Weiteres Folge zu geben, fondern über ihre Zuläſſigkeit 
dm extennen (Apgſch. 25, 12.) und gewiſſe Appellationen felbft nach dem Geſetze 
pitzuweifen hatten (vgl. Geib, Geſchichte des römifhen Criminalprocefies, S. 688). 
hezen diefen Punkt treten andere zurüd, die an ſich aud ſchon die gegnerifche Anficht 
4 mmwohrjcheinlich erjcheinen laſſen, z. B. daß einzelne Dinge in beiden Gefan- 
zulhoften, wie namentlih die Appellation an den Kaifer, fich wiederholt haben 
nißten Hierzu konnnt aber noch folgender Umftand: Paulus muß um die Zeit der 
nexoniſchen Ehriftenverfolgung, welche bald nad dem Brande Roms, der am 19. Julius 
baum, Tacit. Ann. 15, 38—41, 44., etwa gleichzeitig mit dem Apoflel Petrus im 
Je 64 m. Chr. in Rom das Martyrium erlitten haben, vgl. meine Chron. S.541 ff. 
& ſucht num auch Huther, indem er meine Chronologie rüdfichtlich diefes Martyriums 
Kligt und mit mir den zweiten xömifchen Aufenthalt Pauli Apfigefh. 28, 30. im 
grühjahr 63 m. Chr. endigen läßt, am angeführten Orte S. 33 alle die Thatfachen, 
wlde der erſte Timotheusbrief, der Brief an den Titus, der ziveite Timotheusbrief 
iusjegen, in dem Zeitraume vom trühjahr 63 bi8 Sommer des I. 64 fallen zu 
Yen So hat er zugleich den Bortheil, die mildere Behandlung des Paulus in 
ka bon ihm angenommenen zweiten römifchen Gefangenſchaft, weil diefelbe der nero» 
aiten Ehriftenverfolgung noch voraufging, leichter. erllären zu lönnen, aber auch Wie- 
ne am angeführten Orte ©. 551 f. gefteht, daß fich fo viele Thatfachen in einem 
Io kurgen Zeitraume ſchwerlich unterbringen lafien, wobei die gewöhnliche Länge des 
Frorriganges namentlich auch vor dem kaiſerlichen Tribnnal noch gar nicht in Anfchlag 
wraht iſ. Im der That kann jene hiftorifch - kritifche Anficht von den Paftoralbriefen 
m mer Ehromologie, welche das Martyrium bes Paulus um's I. 64 fegt, überhaupt 
nt befchen. Wenden wir uns hiernach noch zu den beiden anderen Stellen 2 Tim. 
4,1, 4, 20., weldye, wenn man das andlınovr an biefen beiden Stellen als erfle 
Bafea foßt, die Verlegung unfere® Briefes in eine zweite römiſche Gefangenfchaft 
olerdings zu begünfligen fcheint, fofern hier dann die Reifen des Paulus nad) 
Is und Milet ans jüngfler Zeit berichtet zu werden ſcheinen, weil fie fonft als 
a Timotheus bekannt, diefem bier wohl nicht mitgetheilt feyn würden. Inden ber 
Catrud des Segentheils, welchen fonft der ganze Brief macht, war felbft bei Hug, 
eher Übrigens eine zweite zÖmiiche Gefangenſchaft Pauli behauptet, fo ſtark, daß er 
me andere Erklärungsweiſe des aniımor vorfchlug, indem er es an beiden Stellen 
ü dritte Perſon Pluralis faßte, fo daß hier nit von Reiſen des Panlus, fondern 
von Reifen Anderer die Rede iſt. Indeß liegt die Auffoffung des andiımor als erſte 
fon 4, 13, unftreitig näher. Es requirirt Paulus dann kurz vor feinem Tode fein 
Mm 


„ Beaqtungswerth iſt, daß Chryſoſtomus, welcher 2Tim. 4,16. 17. doch eine zweite römifche Ge⸗ 
‚Kgenfhaft Baufi ausgeſprochen findet, das 4» Milneo hom. 10. in 2Tim. fogar lieber auf Apgic. 
AT, als anf einen Befudh des befreiten Apofiels, wie jetzt Bfter gefchieht, bezieht, da ex jenen 
asträdfic bezweifelt; fo ſtark war Damals das Gewicht der in Bezug auf die dortigen Gegenden ent- 
Men ſtehen den irchlichen Tradition des Orients oder desjenigen Kreifes, welcher hierüber am erſten 
aut ſiherſten Etwas hätte wiſſen müſſen, wenn ber befreite Paulus wirklich dahin gekommen wäre. 
B bei Chryſoſtomus vorher twirflih Todrov (dr ToopMmov) xal ıör Tuzıxöv Eyvayıer dv ı7 tor- 
Mor Bißio avraydevıas abıd dro 195 ’Iovdalas zu leſen und nicht etwa da2 rij Tov- 

2 zu Corrigiven, fo bat, wie ich jetzt jehe, bereits Chryſoſtomus bie von mir in meiner Chro⸗ 
Lologie aufgeſtellte Leſung angebentet. Theodoret, welcher 2 Tim. 4, 16. 17. ebenfalls bie zweite 
nomiſche Gefangenſchaft Pauli ausgeſprochen findet, hat zu 2Tim. 4, 20. jedenfalls and nicht an 
eine Reife des befzeiten Apoflels nach Kleinaflen gedacht, fondern an die von Hug vorgetragene 

lung, indem er erläutert: xal zauıa xgoszödemer eis ıhr dndnulav avıdv (den Timothens) 
Lateneiyany xal dıdaonmr, os dtayopas ol ovsndes drelsigänoav änarıes ſes fieht das 

aſſivum dxeleipdnoar (ohne ir’ adıoo) mit deutlicher Anſpieluug auf drelınor, und ale 
Ütjeht dazu find Erafius und Trophimus gedacht]; vgl. auch Theodoret zu Phil. 1, 26. 2,24, 
aud Philem. Be, 22. wo Paulus die betreffenden Ausſagen obx droparunds und ody dakas 
hemacht haben ſoll 

LK 


340 Timothens n. Titus, die Briefe Pauli an 


Eigenthum, was er kurz vor feiner Gefangenfchaft um die Zeit vom Apgſch. 20, 6. 
Troas gelaffen hatte. Das ör andlınov iv Towadı u. f. w., dient dort nicht day 
den Zimotheus Über jene Neife nach Troas oder Überhaupt das Yaltum zu inftenire 
fondern nur zur näheren Bezeichnung des mitzubringenden Gegenflandes. Fraglicher 
die Fafſung des andiınor 2 Tim. 4, 20., wobei Har ift, daß das > Mimu ſch 
wegen feiner fcheinbaren Unbegreiflichleit von einem Falſarius nicht erdichtet ſeyn fan 
Zedenfalls kann der letzte Aufenthalt Pauli in Milet Apgeſch. 20, 17. nicht gemd 
feyn, zumal Trophimus wegen Apgſch. 21, 29. den Apoftel damals nad Jerufak 
begleitet haben muß. Das flammperwandte Milet auf Kreta, two er ihn etwa um 
Zeit von Apgſch. 27, 8. gelaffen haben könnte, in welchem Falle wir hier eine ’ 
gentlihe Spur von einem früheren Vorhandenſeyn von kretiſchen Chriften entded 
Lönnten (vgl indeß auch S. 333), ift ſchwerlich zu verftehen, da man, auch wenn I 
in Epheſus wirkende Timotheus um das Yaltım wiſſen mochte, dann doch nad pink 
logiſchen Gefegen eine Unterfcheidung von dem ihm benachbarten befannteften Mi 
erwarten follte und das kretifche Milet Überdieß auf dem Lafäa entgegengefeßten ner 
öftlichen Ufer lag. Im meiner Chronologie S. 465 Note 1. habe ich die von Henf 
und Kling gebilligte Auslegung Hug's, wornad) das andlınov die dritte Perfon Pi 
ralis ift und als Subjekt die (dem Timotheus bekannten) Weifebegleiter des Trophim 
zu verflehen find, zwar für nicht unmöglich erklärt, aber daneben noch eine andere € 
Märung aufgeftellt, wornach es erſte Perſon und Baulus das Subjekt ift, und and 
Apgſch 27, 2 ff. berichtete Neife des Paulus von Cäſarea nad) Rom zu denken ü 
Es heißt nämlich Apgefch. 27, 2.: "Enıßavres dE nAolm Adoauvrrnvo, uölern 
naiv TOüg xurda ınv Aclav vonovs araydmur. Dos Schiff alfo, welie 
Paulus in Cäfaren beftieg, gehörte nah Adramyttum, in der Nähe von Zu 
und fie hatten anfänglich die Abfiht, die in Afien gelegenen Küftenkät 
zu befchiffen und wären fomit auch nad dem farifhen Milet gekommen. Ai 
ſchon in Myra in Lycien waren, fand der fie beauffichtigende Centurio ein ander 
Schiff, welches direkt nad) Italien ging, wodurch die urfpränglich beabfichtigte Rd 
tung ihrer Tour (wenigſtens von Knidus ab) verändert wurde Apgefch.27,5 ff. Ra 
nun Trophimus von Cäfarea mit dem Apoflel ab, um ihn nah Rom zu begieie 
wurde aber unterwegs Trank (was bei der damaligen flürmifchen Seefahrt befon 
ſchlimm war) und mußte zurüdgelaffen werden, wie der Apoftel 2 Tim. 4, 20. andaı 
fo wird er ihm jedenfall bis Myra im Rycien begleitet haben, um von dort etw el 
dem Adrampitenifchen Schiffe noch die Strede weiter bis nad Milet zu gehen. Pald 
aber, obwohl er damals nicht in Milet war, konnte an Timotheus fchreiben, er habe! 
Trophimus krank in Milet zurlicdgelaffen, weil er ihn, den er urſprünglich mit a 
Rom nehmen wollte, unterwegs auf einer benachbarten Station zurüdließ, um bon | 
nach Milet zum gehen, eben fo gut*), wie Einer, der nad Oftindien reift und mia 


*) Die Gegenbemerlung Bleel's, Einleit. S. 483, daß Myra etwa 50 beutfche Meilen de 
Milet war, kann bei einer fo großen Reiſe nichts ausmachen, zumal Paulus felber and m 
dem noch weit näher gelegenen Orte, dem Tarifen Knidus kam. Wer in dem oben angeführt 
Beifpiele St. Helena 100 Meilen zur Seite liegen läßt, wirb in ber angegebenen Weile teil 
können. Meinetwegen kann man, wenn man lieber will, auch annehmen, daß Zrophimus in! 
Geſellſchaft des Apoftel® noch bis zu dem kariſchen Knidus reifte, da Nichts verhindert, bab 7 
rpo0sdvres Nuas tod dvenov Apgeſch. 27, 7. mit unerlevoauer zu verbinden, zumal ba6 je! 
jeltive un fi je am beften erflärt, und fomit eine Landung bei Knidus voranszuſetzen, oder au 
daß das er Miro 2Timotb. 4, 20. nicht mit arelınov, fondern mit dossroürra ja CM 
ſtrutren fey: „den Timothens ließ ich zurüd Trank in Milet, d. h. um ale Kranker in Mildi 
vermeilen.“ Es find das PMiöglichkeiten, deren fichere Entſcheidung nur bem mit dem Zi 
lihen befannten Timothens leicht war, die aber fo viel zeigen, daß der Text gegen bie Ba 
thung einer derartigen Thatfache an fich keinen Proteft erhebt. Nur ift auch zu zeigen, wie Paz 
bie dem Zimotheus jedenfalls bekannte Thatfache rüdfichtlich bes Trophimus jenem hier ned ® 
zählen konnte. Dieß iſt der zweite Einwurf Bleel's, ven ich im voraus a. a. DO, bereit# genk 
digt Babe, fo daß er meine Anſicht dort ungenau wiedergibt. 


Timotbens m. Titus, die Briefe Panli an 341 


wögemend auf St. Helena abfegt, in Oſtindien angelangt fügen kann, er habe biefen 
36 Helena zurũdgelaſſen. Die kurze und für uns daburd, zweideutige Rebe war 
x zit dem Thatſächlichen vertrauten Timotheus nidyt zweidentig; denn allerdings 
nie Timotheus um das betreffende Faktum wiſſen, wenn es um die Seit von Apgſch. 
=,2f. gefallen if, da er einerfeits entweder felber anf biefer Reife den Paulus bes 
itete odex doch wenigſtens ſchon vor Abfafjung unſeres Briefes nieder bei diefem im 
Xem wor, Kol. 1, 1. Phil. 1, 1., umd andererfeits Milet feinem dermaligen Aufent⸗ 
kelttorte benachbart war. Am angeführten Orte habe ic; die Bermuthung ausgefprochen, 
uf Eraſtus und Zrophimme, etwa vom Apoſtel zu ihm zu kommen aufgefordert, von 
im, wie Timotheus wußte, erwartet wurden. Bon Eraſtus hebt er nur das Faktum 
hader, daß ex wider Erwarten nicht gelommen, fondern in Korinth geblieben if, teil 
a den näheren Grund feines Megbleibens nicht kennt. Bon Trophimns hebt er befien 
Kistlichteit die Zeit, da er ihn zuleßt fah, hervor, weil diefe möglichertveife ber 
da atfihuldigende Grund feines Wegbleibens ſeyn konnte. ebenfalls mußte noch vor 
darum Jemand von Kom aus nad; Ephefus gegangen feyn, wie aus dem oidag Touro 
im 1, 15. erhellt, der, über Korinth reifend, Eraſtus und Trophimus zu ihm ent» 
kera konnte. Vielleicht waren es die kurz vorher B8.19. erwähnten Ehegatten Aquila 
m Priscilla, welche, früher längere Zeit in Korinth feßhaft, gewiß gern diefe an ſich 
Ken aſt direkte Monte eingefchlagen haben werden. Im UWebrigen vergl. auch meine 
hiftkrung a. a. DO. So wide fi 4, 20. bei der von uns aufgeftellten Hypotheſe 
kit on 4, 19. anſchließen. Indeß die Meinung Hug's tft nicht minder möglich. 
bled fogt (Ein S. 484) dagegen, daß man dann wenigſtens erwarten müßte, daß 
vu den Aflaten 1, 15. 16., mit denen Zrophimus zu ihm kommen follte als Zeuge 
Kr ſene Sache, und die bei Panlıs müßten eingetroffen feyn, eben vorher die Rede 
Hola wäre [dem Trophimns ließen fie (die Betreffenden) zurüd]. Allerdings iſt 
fe def Hug's zu vag und läßt fi fo kaum halten; die Weifebegleiter brauchen 
& ah nicht bloße Afiaten zu ſeyn, fondern nur folde, die mit Trophimus 
* kpheſus oder Umgegend kommen. Wir kdunen alſo recht wohl amehmen, 
x Kaflus, welchen wir auch Apgeſch. 19, 22. mit Timotheus in Ephefns treffen, 
jacit ein Reifebegleiter des Trophimus in diefem Sinne war, fo daß mit ihm bie 
Bandenov eingeführte Kategorie ſchon angedeutet if. Auch mar der Ephefier One 
Nora noch 1, 16—18. vor Kurzem von dort bei Paulus angelommen und hielt 
vehrſcheialich ſich noch bei ihm auf, da 4,19. fein olxog gegräßt wird. So konnte bie 
wihmmg des olxog des Onefiphorus, eines der Witreifenden, die Notiz über bie 
20. genannten beiden Mitreifenden leicht einleiten. Uebrigens kommt die britte 
fon Pluralis andy wohl ohue Weitered vor, wenn die Beziehung felbfiverflänblich 
hy 8. Marl, 14, 12. (&9vor), oder auch in etwas nadjläffiger Ausdrudsieife, die 
Mader dem Paulus nicht zutrauen dürfen. 
Wie wir alfo das andınovr auch nehmen mögen, als erſte oder dritte Perfon, 
weüher beim Mangel an der genügenden Kenntniß des Thatfächlichen jetzt eine fichere 
kiideitung kaum zu treffen if, während Zimothens darüber nicht zweifelhaft feyn konnte, 
Ußt fich jedenfalls im Inſammenhange umferer Gefammtauffaffung recht wohl erklären. 
_ Endlich wärde man, don gewifſſen Anfichten über die paulinifhe Chronologie aus⸗ 
tend, ebenfalls unſere Exdrterung beftreiten Munen. Nimmt man nämlich mit uns 
, daß Pauls um die Zeit der neronifchen Ehriftenderfolgung, deren ſcheinbarer 
der am 19. Julius begimmende Brand Roms war, im Yahre 64 das Marty 
km erfit, und behauptet mit Meter andererfeits, daß Paulus erft im Frühjahr 62, 
iht [dom 61, in Rom eingetroffen ifl, fo kann man die Wechtheit des zweiten Timo⸗ 
Maöbriefes nicht fefthalten, da derfelbe, mie wir fahen, nicht während des Apgſch. 28. 
rähnten zweijährigen vömifchen Aufenthalte Banli, fondern erſt in dem darauf fol. 
aden Herbſte verfaßt feyn kann, alfo dann im Herbſte 64 gefchrieben feyn müßte, 
nd uadenfbar wäre. Allein da an der Wechtheit unſeres Vriefes nicht zu zweifeln iſt, 


342 Todesſtrafe 


fo haben wir hier nur einen der Gründe, aus denen wir die Ankunft des Paulus in Hu 
fhon 61 n. Chr. fegen. Doch die Zeitrechnung des Paulus, insbefondere auch die feind 
Martyriums, im Zufammenhange mit der Trage, ob namentlich etwa nad den 3 
niffen der kirchlichen Tradition eine einzige oder eine zweimalige römifche Sud 
des Apoftels zu behaupten fey, wird am beften fpäter in einem befonderen Artifel ü 
nenteftamentliche Zeitrehnung behandelt, auf den wir verweiſen. Bier wollen wir me 
noh das Refultat unferer Unterfuhung über die PBaftoralbriefe hervorheben, daß durd 
die Wechtheit der leßteren eine zweimalige römifche Gefangenfchaft des Paulus fein 
falls gefordert wird, daß vielmehr namentlih 2 Tim. 4, 16 ff., auch abgefehen ım 
aller Chronologie, jene fogar auszufchließen fcheint. 

In Hiftorifch » kritischer Beziehung find die Paftoralbriefe in neuerer Zeit w 
ihrer Schtwierigleiten befonder8 viel, weniger in zufanmenhängender Auslegung beorkei 
worden. Im legterer Beziehung find zu erwähnen die Commentare von Hehdenrei 
Mad, Matthies, de Wette, Leo (bloß die Timotheusbriefe), Dofterzee, Huther 
Miefinger. 8. Wieſeler. 

Todesſtrafe. — In den Verhandlungen, welche im Februar 1865 die torte 
bergifche Kammer der Abgeordneten über diefen Gegenfland, d. h. über die jüngft wie 
beantragte Abſchaffung der Todesſtrafe gepflogen Hat, wurde von einem geiflihel 
MWürdenträger (f. die Protokolle vom 14. Februar S. 2381), der für diefe Abſche 
fimmte und früher fchon mit Wort und Schrift dafür gewirkt Hatte, die Yeuferung 9 
than: „er müfſe mit dem Belenntniß anfangen, daß alle ihm belannt getvorbenen ! 
bücher der chriftlihen Moral in einem für ihn erfchredenden Unifono ſich für die Tot 
ftrafe erflären — mit Ausnahme Schleiermachers.“ Die Thatfache ift richtig, fie w 
auch wohl ihre Gründe haben; und wenn von anderer Seite die Wahrnehmung, ̃ 
fih die evangelifchen Geiftlihen im Einflange mit den Ortspresbyterien und den &% 
meinden ebenfall® nahdrüdlich gegen die Abſchaffung erklärten, die Frage herbarmik: 
ob denn der Örundfag „ecclesia non sitit sanguinem” nicht auch don der ebangdb 
[hen Kirche gelte, wie von der Fatholifchen? fo wäre jenes Unifono der dırifiliha 
Sittenlehrer jedenfalls eine Gewähr dafür, daß es nicht Blutdurft ift, wenn die tm 
gelifhen Theologen die Ueberzeugung fefthalten, daß — zwar nur für Mord, für die 
aber unumftößlih — die Todesftrafe die gerechte Strafe ſey. Es fragt fi, wırd 
diefe Meberzeugung fich gründet. 

Die einfahfte, darum auch dem chriftlichen Vollsbewußtſeyn am näcften & 
gende Wechtfertigung Tiegt in der Berufung auf die heilige Schrift. I es ar 
gefprochener Wille Gottes, daß der Mörder vom Leben zum Tode gebracht were 
fol, dann ift die Verſchonung beffelben nicht eine Lbliche Erweiſung chriftlicher Milk, 
fondern ein Frevel. So weit zwar wird in unferen Tagen wohl kaum mehr Reum' 
feine Anſchauung mit derjenigen der älteren Zeiten und efchlechter identificiven, 2 
er glaubt, wenn ein Mörder nicht umgebracht werde, fo laſte bie Blutſchuld, weil ik 
nicht gefühnt worden, auf dem ganzen Lande, auf dem Volke, dem er angehdre, und A 
brechen daher über diefes die Wetter des göttlichen Zornes® aus, Der Einzelne, n 
auc in den Organismus feines Volkes wie der ganzen Menfchheit Tebendig eingefl;t 
fteht doch nad) geläuterter, evangelifcher Erkenntniß keineswegs in ſolch folidariide 
Verbindung, daß um eines Bbſewichts willen Gott ein ganzes Volk firafen würde: 
jeder fteht und fällt feinem Herren. Auch wäre nicht zu begreifen, warum Gott, da & 
ein ganzes Bolt mit feinem ſtarken Arme niederfchlagen Tann, nicht vielmehr den Ein, 
auf dem die Blutſchuld laſtet, unmittelbar erreichen, ihm einen Blitzſtrahl auf's Ha 
fenden folte? Gottes Yuftiz ift ja wahrlich am menfchliche Juſtiz nicht gebunde- 
Laſſen wir aber dergleichen Vorflellungen bei Seite, fo fleht einfach die Theſe dor wm: 
es ift Schriftgebot, daß der Mörder fterben fol. Die Anficht, daß, wenn biefe Theſe 
fi als richtig beweiſen läßt, nun erſt nicht folge, daß das Schriftgebot auch ein Staen- 
geſetz werden müſſe, hat man von Seiten der Gegner der Todesftrafe nicht ſehr gefäift 








Todesſtrafe 343 


nie Form ambgefprodyen: der Staat habe fein eigenes, felbfiftändiges Gebiet, auf 
az nur feinen eigenen, imern Gefegen folge; den Geboten der Kirche fey er auf 
en Gebiete wicht unterthan (f. oben citirte Protofolle S. 2337); um SKirchengebote 
It es fi hier ja gar nicht, fondern um eine göttliche Ordnung, und göttliche 
Crumg lann fi) der Staat, der felbft auf ihr ruht, umfo weniger entziehen, wenn 
wucch ein hriftlicher iſt oder feyn will. Allerdings ifl, wenn wir die Sache richtiger 
fe, ein biblifcher Sag nicht eo ipso and) dazu beflimmt und geeignet, Staatsgeſetz 
pnaden. „Gottes Weltorduung* — fagt fehr richtig Iultus Stahl (Hechtephilofophie 
MT. Abth. 1. S. 219. 8. 11.) „iſt das Urbild aller pofitiven Rechtsbildung, aber 
kit nicht ſelbſt eine Rechtsbildung. Ihre Gedanken und Gebote find die Principien 
do Richtmaß für die Geſetze, aber nicht ſelbſt Geſetze, daß man nach ihnen menſch⸗ 
de Serhältuiffe in Ordnung halten, flreitige Bälle entfcheiden Tomte. Dazu bedarf 
FR einer beſtimmten Geſtaltung berfelben, und das ift eben ber Beruf und bie Frei⸗ 
Mi des Volles, ihnen je nad, der Eigenthümlichleit feines Geiſtes und feiner Zuflände 
mit eigener fchöpferifcher Kraft diefe beftimmte Geſtalt zu geben, fie zu präcificen 

I hiemit auch zu indivtdualificen . . . . . Die Gedanten und Gebote der göttlichen 
Bintuung haben kein vechtliches, d. h. änferlich binbendes Anſehen im Gemeinde» 
Ken, fo Lange und fo weit wicht die menfchliche Gemeinſchaft fie zu Geboten ihrer 
Mung gemacht bat. Erſt dadurch werden fie gu geltenden Normen, d. 5. zum 
bir... ... Köonnen wir gleich den Begriff eines geoffenbarten Rechts nicht zu⸗ 
Pen, {0 beftehen doch Dffenbarumgsgebote an das Net... . . Man kann fi vor 
Berht wicht auf die heilige Schrift als Rechtenorm berufen, ja man kann es felbft in 
x Liche wur gemäß dem Firchlichen Verſtänduiß der heil. Schrift. Das ift der Grund, 
vum es fein Offenbarungsrecht gibt." — Das alfo fagt Stahl, den gewiß niemand 
weht haben wird, daß er der Schrift etwas vom ihrem Unfehen und ihrer Gel- 
u auiehen wolle. Erweiſt ſich diefe Darlegung überall als richtig, ift darum, was 
e öcrit auch z. B. Kirchenrechtliches und Eherechtliches darbietet, nicht ohne Wei⸗ 
nn eine Kirchen⸗ und Eheordnung aufzunehmen: fo findet dieß Im vorliegenden 
dd miſo gewiffer flatt, als hier felbft die Form einer rechtlichen Anordnung gäuzlicdh 
Pi Denn felbfiverfländlic, Edımen die Beſtimmungen des mofaifchen Gefeges für 
” qriſtliche Staatsordnung nicht bindend ſeim; and; diejenigen, welche principiell (mie 
a im Eherecht) am den jüdifch » gefeglichen Ordnungen als Ordnungen Gottes feſt⸗ 
eben, hüten fich gleichwohl weislich, Alles, was daran hängt, auch mit herüber zu 
mn; fein Menſch wird heutzutage deßwegen, weil es im moſaiſchen Gefege vor» 
frieben if, wegen einer Webertretung des dritten ober des fechfien Gebots hingerichtet. 
bes aber dor mad außer dem mofaifchen Geſete hier in Betracht kommt, ift Folgendes. 
anne die Hauptſtelle 1 Moſ. 9, 6. Ob diefer Vers jedoch als eine förmliche Ein» 
Nanp des Blutgerichts Aber jeden Mörder aufzufaffen fen, wird immer unficher bleiben. 
erſtlich zwingt nichts dazu, das Futurum in imperativifchem Sinne zu nehmen; 

R Sim fann auch ganz wohl der feyn, daß Gott dem Mörder ein gleiches Schidfal 
bit, ie das, weiches diefer einem Mitmenſchen bereitet hat; wer ſich an den Men- 
ben dergreift, der mm ſich's gefallen Lafien, wenn fie ſich wieder an ihm bergreifen; 
that darin me einen Akt göttlicher Gerechtigkeit, eine Nemefls zu erkennen. Dieſe 
kffaffung empfiehlt fih (außerdem, daß der Ausdruck num and) eine andere Erklä- 
m läßt, als „durch Menſchen“) zweitens darum, weil man fragen muß: falls Bott 
Rt tmen richterlichen Auftrag ertheilte, we hat er diefen ertbeilt? Er ſpricht (©. 1.) 
B Rooh und feinen Söhnen. Hätte er diefe zu Richtern eingeſetzt, ſo müßte bie Rede 
an fie, zuvbrderſt am Noch gerichtet ſeyn. Wenn man aber fupplirt: „des Mor⸗ 
 Blnt fol durch Menſchen vergoffen werden, und zwar durch die an meiner Statt 
ehe Obrigkeit, die ich von nun an anbahnen werde (mie ein neueres Bibeltverf 
he Stelle commentirt), fo heißt das nicht auslegen, ſondern hineinlegen. Da Chriſtus 
qoſtoliſche Predigt anordnet, hat ex bereits die Apoſtel felbft gewählt; fo, term 





344 Todesſtrafe 


Gott eine richterliche Thätigkeit anordnet, fo müßten vorher ſchon die Richter eingehi 
ſeyn. Wozu noch das Weitere kommt (mas Dlehring in der „theologischen Betrachtu 
der Todesſtrafe/ in Ullmann und Umbreit's Studien und Fritilen, 1850, L ©. 
richtig hervorhebt), daß, wenn bier wirklich ein göttlicher Befehl vorläge, dann nie | 
Mörder begnadigt werden dürfte — Gleichwohl ift die Stelle von großem Gemid 
fie bezeugt, daß auch die Religion der Offenbarung in der Tödtung des Möorders du 
Menfchenhand nicht wieder einen Mord, fondern eine gerechte Strafe erlennt | 
Befehl ift nicht gegeben, fondern über die Sache felbfl, über, das Verbrechen und 
Folge defjelben ein Urtheil ausgefprohen. Im Neuen Teſtament hat man ſchon iu 
einen Beweis finden wollen, daß Jeſus das mofaifche Gefe in Betreff der Todesſt 
nicht ausdrüdlich aufgehoben habe; aber daſſelbe Argument träfe noch vieles Ande 
was darum dennoch durch's Chriſtenthum aufgehoben iſt. Nicht. befier ift das Argum 
ans Joh. 19, 11; denn der Sag, daß auch Pilatus mit feiner Macht, die er falti 
über Leben und Tod hatte, von einer höheren, überirdifhen Gewalt abhängig, « 
diefer für fein Thun und Lafſen verantwortlich fey, enthält keine Spur von einer Rd 
fertigung der Todesftrafe als einer göttlichen Ordnung. Mit Matth. 26, 52. verh 
es fich wie mit der Stelle der Geneſis; e8 wird eine faltifche Folge des Dreinfclag 
mit dem Schwerte dem Yünger in Erinnerung gebradjt, um ihn zur Veflnmung 
bringen, nicht aber eine Inſtruktion für ſämmtliche Obrigleiten gegeben, was ber 
niemals gethan hat und wozu jener Augenblid auch nicht eben der geeignetfte ge 
wäre. Gleich unbrauchbar ift der Beweis aus Apgefch. 25, 11., wo Paulus fi 
erflärt, den Tod zu erleiden, wenn er ein Unrecht begangen und etwas bes Zeh 
MWürdiges gethan habe; damit ift wohl indireft anerfannt, daß es Handlungen pi 
bie todeswürdig feyen ober machen; aber es ift klar, daß hier ganz nur aus den ” 
fählichen Berhältnifien heraus gefprochen, diefe felber aber keiner Beurtheilung 
worfen werden. Bon ganz anderem Gewicht ift Roͤm. 13, 4., wornad das Gö 
der Obrigkeit nicht zwedlos, fondern zur Strafvollziehung gegen die Böfen übergeh 
iſt. Daß Paulus dabei an Hinrichtung denkt, daß er diefe als das höchfte Strafrit 
anfteht, da8 der Obrigkeit von Gottes» und Rechtswegen zuftehe, ift außer Bu 
Aber ein ſtrikter Beweis für die abfolute und zu allen Zeiten fortdauernde Pflicht 
Obrigfeit, getwiffe Vergehen nicht ander als mit dem Schwerte zu firafen, iſt andı # 
nicht gegeben; gerade daß Paulus unter den Strafmitteln der Obrigfeit nur das [di 
das Außerfte nennt, während fie noch eine Reihe anderer Strafen daneben zu verh 
hat, das zeigt, daß er mit dem Schwert die Strafgewalt überhaupt fymbolifttt, 
mit Bewußtſeyn die Todesftrafe von den anderen Strafen zu unterfcheiden und ü 
jene etwas Specielles ausfagen zu wollen. Auch hier ift das thatfächliche Vorhan 
ſeyn der Todesftrafe die natürliche Vorausfegung, von welcher aus der Apoftel ı 
was er aber feinen Leſern einfchärfen will, das iſt die Chriftenpflicht, der Obrigkeit d 
Gottes Ordnung unterthan zu feyn; eine Thefe über die Todesſtrafe aufzuftellen, | 
nicht feine Abficht. | 
Reichen alfo die Bibelſtellen dazu nicht aus, daß wir fagen Tönnten: weil es % 
befohlen hat, fo müflen mir gewiffenshalber den Boöſewicht am Leben flrafen: pi 
freilich der Gegenbeweis, daß dem Chriftenthum die Beibehaltung diefer Strafe a 
gegen fen, zehnfach ſchwächer und fchlechthin abfurd. Die Schrift fagt wirgende 
Wort davon, daß diefelbe ein Unrecht fen; das wenigftens geht auch aus dem obit 
Stellen fattfam hervor. Die Gebote des Neuen Teftanents, den Feind zu lieben, I 
Rache an ihm zu nehmen u. f. w., haben mit der Aufgabe des Richteramtes ehen 
wenig zu thun, als Jemand aus der Geſchichte von der Ehebrecherin (wäre bie Aecht 
derſelben angenommen) den Schluß machen dürfte, daß, weil auch Richter md 
ſchworene ſammt und fonders fündige Menfchen find, fie jeden Angeflagten mehflen If 
laſſen. Gott ift gnädig dem Sünder, der fich befehrt; aber feine Gerechügleit al 
demfelben die zeitliche, leibliche Strafe nicht, wie der Schächer am Kreuze tod * 








Tedesſtrafe 345 


War ſterben mußte, fo gut wie fein böfer Geſelle; umd gerade für dem Ehriften iſt im 
In des Erloſers felbft der Mare, fehr ernfle Beweis gegeben, daß die Gnade Gottes 
Recht nicht aufhebt. Um das Chriſtenthum wider die Todesſtrafe in's Feld zu 

m, muß man fich erft ein Chriftentbum außerhalb der Bibel machen oder nad) 

som Geſchmack aus einzelnen Bruchftüden derjelben zufammenfegen; fo wie fle vor» 

Bit, it fie mit der Todesſühne des Miffethäterd ganz entfchieden einverflanden. 
Demgemäß muß, da der Streit über die bezüglichen Bibelflellen zu nichts führt, 

wie eigenes Rechtsbewußtſeiyyn die Entfcheidung geben; es entfpricht dieß ganz genau 

x Stellung, die das Evangelium zum bürgerlichen Leben, zu der Geflaltung und Ent⸗ 

nileiang der Staaten einnimmt, daß es wohl die fittlichen Fundamente legt, auf denen 

ie bolla, und Staatsleben fidh erbauen muß, aber die Ausführung des Baues der 
en und fortfchreitenden Erkenntniß der chriftlichen Völker felbft anheim gib. Was 

Baum für den vorliegenden Gegenſtand jene fittlichen Fundamente ? 

: Das erfle iſt unzweifelhaft jenes tiefe Rechtögefühl, das dem göttlichen Ausfprud;: 
Menſchenblut vergießt, dem foll Gleiches mwiderfahren, — volllommen zuftimmt. 
ij Mohl — ein Mann, der feine perfdnliche Ueberzeugung und Haltung weder von 
noch von links her beeinfluffen läßt — Hat in der mürttembergifchen Stände⸗ 
a (Sigung vom 13. Februar 1865; Protol. S. 2352) fi, bündig ausgefprochen 

him Sage: „Man hat gefagt, das Recht auf das Leben fey ein umantaftbares, und 

Wılh dürfe der Staat diefes Recht nicht antaflen. Allein das Recht, welches das 

Ohler eines Mörders auf das Leben hatte, war ebenfalls unantaftbar, und der Mörder, 

ve dieſes Recht nicht geachtet hat, hat fein Recht verwirkt.“ Diefer eine Sag, dem 

e imerfle Rechtsgefühl ebenfo unmittelbar entfpricht, wie der gefunde Verſtand darin 

% inhfte, abſolut einleuchtende Logik findet, wiegt mehr, als alle entgegenftehenden 

‚ daher denn auch die Beweislaſt nicht von den Vertheidigern, fondern von den 
aan der Todesſtrafe zu tragen if. Im Jahre 1853 (Protol. S. 5328) bat 

m Ügeordneter gefagt: „Das Gefühl in jedem Menſchen: Blut für Blut — fey die 

Cüme eines dunfeln, dämonifchen Naturtriebs, der für vergoffenes Blut wieder Blut 

ne Dämonifch wäre aber nur die Luft, die am Blute des Feindes ſich Tühlt, wäh 

ma die entſchiedenſten Verfechter der Todesſtrafe Gott danken, wenn fie nie gendthigt 

2 am Blnturtheil zu fällen oder der Vollſtrecung eines foldhen anzumohnen. Was 
anen dunkeln Naturtrieb genannt hat, das iſt vielmehr die dem Menfchen ein- 

Mlante abſolute Nothwendigkeit des Rechts. Das Recht aber hat eine zwiefache Be⸗ 
g: es iſt wider den, der Boſes thut, und es iſt für den, d. h. zum Schutze 

Men da, der ohne Schuld if. In erſter Beziehung vollzieht e8 ſich durch Vergeltung; 

wir Voſes gethan, das fällt anf dein eigenes Haupt zurüd, du ernteft, was du ge 

‚ da if’8 etwa am Orte, von einer dämonifchen Gewalt zu reden, mit welcher 

k Ende fi vernichtend gegen den wendet, der fie begangen. Nun eben diefes Princip 

R Bergeltung wird von den Gegnern als ein veraltetes befeitigt; e8 fen das nur das 

F, 08 talionis, mach welchem einem, der einem Andern einen Zahn eingefchlagen, 
US ein Jahn eingefchlagen werben müffe. Aber werm das Vergeltungsprincip in 
Anwendung zu Zeiten rohe Formen angenommen hat, fo fällt mit den vohen 
en keinetwegs das Princip felber. Es hat and noch Niemand verlangt, daß, wer 

en Anderen langſam vergiftet habe, ebenfalls laugſam vergiftet werde, oder wer ihm 

N einer Keule dem Schädel eingefchlagen habe, dem mit demſelben Werkzeug daflelbe 

hen ertrümmert werde. Das wäre das ſtrikte jus talionis. Was fegt man aber an die 
‚dee dom Recht geforderten Vergeltung? Die Einen wollen ald Zweck der Strafe 

a bie Beflerung des Verbrecher gelten laſſen. Das if eine Verwechſelung, indem 

M Gedanke aus der Pädagogik, two er fein relatives Hecht bat, auf die Rechtspflege 
hetcagen worden, aber in diefer einfach falich if. Die Strafe, wenn man ihren 
f präche foßt, hat es nicht mit der Zukunft, fondern mit der Vergangenheit zu 
» fe iſt die Reaktion des don einem Individuum verlegten Rechtes gegen dieſes 


346 Tobesftrafe 


Individuum; tie der Thäter, nachdem er feine That vollbracht, nun nicht aud vo 
ihr los ift, als ginge fie ihn nichts mehr an, fondern wie file an ihm haften bleibt all 
Schuld, fo trifft jene Reaktion des Rechtes den diefe Schuld tragenden Thäter, und j 
ſchwerer die Verlegung var, um fo ſchwerer, d. 5. um fo bernichtender muß die Re 
aktion des Rechtes auf den Uebelthäter wirken. Sehr richtig ift (3. ®. von Hepp, a 
dem Programm: über dem gegenwärtigen Stand der Streitfrage über die Juläffigei 
der Todesftrafe, Tübingen 1835, ©. 72) bemerft worden: „Wenn, was keineswegs y 
den Seltenheiten gehört, der Verbrecher durch die That felbft fchon gebeffert if, f 
würde es — jene Theorie vorausgeſetzt — widerfprechend feyn, ihn als einen bereiß 
gebefierten Delinquenten zum Zweck der Beflerung in eine Buß- und Beflerungsankt 
zu bringen“; jedenfalls müßte man, wenn nur dieß der Zweck der Strafe iſt, jea, 
der Beflerung zeigt, fogleih aus dem Zuchthaus entlaffen. Mehring hat in der au 
geführten Abhandlung (S. 17 ff.) den nenteftamentlichen Begriff der Gerechtigkeit cl 
einer confervativen Macht der Todesſtrafe entgegenftellt; „mie in dem Menſchen dei 
Weſen der Gerechtigkeit darin befteht (negativ), der Sünde zu fterben, aber eben im 
(pofitiv) zu Ieben, fo fol der Menſch durch die Gerechtigkeit Gottes in einen n 

und den wahren Lebenszuſtand fommen, als ein der göttlichen Ordnung angemefiend 
Glied in fie eingereiht, nicht aber vernichtet werden 1Kor 11, 32.0 Uber wer m 
diefe Gerechtigkeit fennen will, nicht aber auch diejenige, die dem jener poſitiven Be 
rechtigfeit beharrlich widerfirebenden, fie durch die böfe That negirenden Eigenwille 
niederfchlägt, um die Bosheit, mit der er ſich identiflcirt hat, zu vernichten, ber [hai 
entiveder von den beiden in Röm. 11, 22. uns vorgehaltenen Seiten des heiligen Be 
ſens Gottes nur die eine, die Güte an, verfchließt aber beide Augen vor feinem Et 
den man doch mit jener gleichmäßig anfchauen fol; oder muß er mach obiger Tim: 
auch eine anoxaraoreooıg flatuiren; nur dann, wenn aud fie felber feinen, felhf m 
Schlimmften nicht verdammt, ift Gottes Geredhtigfeit fo confervativ, wie man fle hıla 
will, um der menfchlichen Gerechtigkeit da8 Schwert aus der Band zu fchlagen. — Ir 
Yuriften haben eine Wiederherftellungstheorie; wie derjenige, ber feinem Nachbar ma 
Schaden zugefügt hat, diefen erfegen muß, fo muß, wer dem Staate einen Gdeta 
zugefügt hat, denfelben wieder gut machen. Nun fragt es fich in umferem falle da: 
was bergeftellt werden fol? umd ob das Mittel dem Zwecke entipriht? Handelt d 
ſich nur um das einzelne Menſchenleben, fo müßte zum Voraus auf Reftitution Bo 
haupt verzichtet twerden; noch weniger aber wäre das Mittel ein geeignetes, ben @ 
Leben wird nicht dadurch dom Tode erivedt, daß man ein zweites zerflört (vgl. ER 
Reidel: die Rechtmäßigkeit der Todesſtrafe. Heidelb. 1839 ©. 50). ber mat be: 
geftellt werden ſoll und kann, das ift das Recht, das iſt die Macht des Rechte, w 
da eine gefchehene That nicht ungefchehen gemacht werben kann, fo bleibt zur Herflelut 
des Rechts nur die Sühne, die Büßung übrig. Wenn aber dieß zugegeben umd 1 
daran gezweifelt wird, ob das Leben zur Bußung zu opfern, ob das Opfer midt 
Berhältniß zum Vergehen zu groß fen, fo antworten wir mit Reidel (a. a. D. ©. 6% 
„Der Mord ift deswegen dem Wefen und der Qualität nad; von allen andern Bo 
brechen verfchieden, weil alle anderen Verbrechen immer nod; den Grund und dt 
Bafis aller möglichen quantitativen Ausmeffung der Strafe, die Perfönlichteit beBde 
laſſen, der Mord aber negirt mit der Berfon alle denkbaren Ouantitätsverhältifle de 
Rechts, und es kann gar nicht mehr gefagt werden, wie groß diefe Verlegung if, MW 
fie iſt unendlich groß, ift incommenfurabel. Die abfolute Vernichtung jedes wbglicet 
rechtlichen Verhältuiffes und des Bodens alles Rechts, dev Perſon felbft, hat ihr p6 
fitides und direftes Gegentheil nur an dem Gleichen, an der Perſon des Mörderk 
Bon Wahl einer Strafart, fofern der Mord andy mur eine Art genammt wärde, fs 
daher gar keine Rede mehr ſeyn; der Dlörder hat alles Wählen und Abmeflen m Mr 
Stala der relativen Strafe völlig abgefchnitten, und wo gar Teine Relation mehr bafta 
if, da fallen alle Beziehungen weg und es fleht mur noch die abfolnte Werneinung do 











Tobesfirafe 347 


eıten Berneinung gegenüber.“ — Da ift alfo von der Befänftigung einer zürnenden 
rt duch Blut nicht die Rede, wohl aber von einer Weftitution des verleiten 
»4; der Staat hat, wie Harpprecht in feinem Referat in der württemberg. Kammer 
ir Stmdeöherren (Prot. von 1853, Beil. ©. 711) es ausdrüdt, „dur die Sühnung 
ur Berlegung des Geſetzes, d. h. durch die Abbüßung der Schuld bes Berbrechers 
„ Recht zum lebendigen Bewußtſeyn des Volles zu bringen.“ Daß ift einlenditend; 
ve Iümad) fiehen daneben Deduftionen, wie 3. B. die von Barriere (in der Schrift: 
Biienihoft und Leben in Beziehung auf die Todesftrafe, von Earriere und Nöllner, 
mfedt 1845, S. 10): „Alles Verbrechen iſt Mißbrauch der Freiheit, alfo iſt and 
& Strafe rechtlich nur Freiheitsſtrafe.“ Wie leer, wie albern klingt ſolche Definition 
u derbrechens einer wirklihen Schandthat gegenüber! If die Ermordung des Prä- 
Benten Lincoln durch Booth auch nur Mißbrauch der Tyreiheit geweien? und erden 
Re tteologiihen oder philofophifchen Theorien hindern, daß im jedes gefunden Menfchen 


Merſtem fich die Klare Rechtsgewißheit geltend macht, daß für fol ein Schenfal nur 


 Zod Gerechtigkeit iſt? Oder ift, wenn folch einem Menſchen fein Hecht angethan 
in dann, wie bei Nöllner a. a. O. ©. 53 zu lefen, das Strafrecht ein Molodh, 
ka lin Opfer werden muß? 


Obiges hat bereits den zweiten Punkt berührt. Das Recht ift wider den Uebel⸗ 


hen für diejenigen, die fchuldlos find. Es muß fle ſchützen. Ein abfoluter Schutz, 
iu vipfifche Unmöglichkeit, daß Einer den Anderen umbringt, ift nicht möglich; daher 
m der Schug nur darin beftehen, daß der möglichen That die Strafe gedroht wird, 
ie Thäter zum Voraus weiß: id; verwirke mein Leben. Das iſt die Abfchredungs- 
ame, die ebenfalls von den Gegnern weit weggetvorfen wird, theils weil fein Menſch 
ms Mittel ſeyn dürfe, um auf andere zu wirken, theils weil das Mittel exft nicht 
vo, mem die Todesſtrafe den, der morden wolle, doch wicht abhalte. Der erflere 
On! pire fichhaltig, wenn der Mörder nicht an fid fchon den Tod verdiente, der 
dd der Abſchreckung kann erft in zweiter Linie eintreten, dann aber hat er fein volles 
dt, indem die ettva vorhandene Geſtimmtheit zur Nachficht gegen die einzelne Perſon 
M Nirders bor der Rüdficht auf das allgemeine Beſte entfchieden zurücktreten muß. 
Band gewiß merkwürdig, daß fogar die deutfchen Grundrechte, deren Urheber von 
Mlehöhften Standpuntten ans die Barbarei der Todesfirafe verurtheilten, doch für 
kikreht und Schiffsmenterei fie zuließen. Sie hätten ſich freilich allzu lächerlich 
dt, wenn fie auch mach diefer Seite ihr Interdikt ausgedehnt hätten; aber imo wird 
x Todesſtrafe in umfaſſenderem Maße und mit geringerer Rüdfiht anf den Grad 
Mnliher Schuld zum Zwede der Abfchredung, zur Statutrung von Crempeln an- 
Medet, als dort? Die Behanptung aber, daß die Todesfirafe nicht vom Mord ab« 
keit, entbehrt woch immer eines Beweiſes. Wenn in den Sahren, is melden in 

emberg die Todesftrafe abgefhafft war (1849— 1853) die Morbthaten in er- 
Fendem Maße zugenommen haben, was durch Ziffern bewiefen ift (f. die Rede bes 
Miminifters v. Plefien, Brot. von 1853, 1. Mär; ©. 3874), fo hat man gefagt, 
men Jahren haben diefelben Verbrechen and in ſolchen Rändern zugenommen, in 
Üben die Todesftrafe nicht abgefchafft worden. Aber wer will ausrechnen, ob dort 
\sfhaffung nicht noch ganz andere Ziffern von Verbrechen zur Folge gehabt hätte ? 
M lann es, angeſichts der Gefchichte vom Jahre 1848 ff., ſich ja nicht verhehlen: 
t Betnegungen, die fich gegen die Todesſtrafe als gefetlihe Ordnung richteten, haben 
Mat eigentlich abgefchafft, fondern nur in andere Hände gefpielt; die Mordthaten, 
1 em Frankfurt verübt inurden, waren auch eine Todesſtrafe, die der ſouveräne 

dekretirte und vollzog; und die Heder’» und Struve'ſchen Horden waren es, die 
— General v. Gagern meunchlings erſchoſſen. Daß die Hinrichtungen als blutiges 
uſdiel bei manchen Individnen ſtatt abſchrekend zu wirken vielmehr Blutgelüſte 
*ügen, iſt leider wahr und dffnet und eine ſcheußliche Seite menſchlicher Natur; aber 
" viel tanfend rohe Burſche ſich an Batten, Eltern, Geſchwiſtern tödtlich bergreifen 


n } 


348 Todesftrafe 


würden, wenn fie nicht beim exften Entflehen des Mordgedankens noch fo viel Veſ 
nung hätten, um ihres eigenen Kopfes zu gedenken, das entzieht ſich freilich fa 
fher Aufzeichnung, ift aber darum nicht weniger wahr *). Ein „wäüfter, ſchwerer Tr 
wie ein geiftlicher Redner die Abfchredung genannt hat, ift diefelbe wahrlich nicht. 
wenn diejenigen Statiftiter Recht haben, die da behaupten, auf ein jedes Volt fale 
gegebener Zeit ein beflimmtes, gleichfam prädeſtinirtes Quantum von Verbrechen; 
wenn die Materialiſten Recht haben, die das Verbrehen uls Naturnothmendigfeit 
fehen, dann ift alles Abſchrecken vergeblich; dann aber fett ſich der Staat überh 
ſtatt eim fittliches Inſtitut zu ſeyn, tief herab und macht fi zum Inſtitut einer 
nifirten Nothwehr. Jenen „wüften, ſchweren Traum” hat auch Paulus geträumt, 
Rom. 13, 3 ff. enthält vollftändig eine Abfchredungstheorie; wenn aber die vi 
wer da träume, Paulus der Üpoftel oder die modernen Öumanitätsprediger, fo twird 
Antwort nicht fchwierig feyn. 

Einige untergeordnete Punkte können wir hier wohl übergehen, wie 3. B. die \ 
bauptung, die Civilifation fey fo weit vorgefchritten, daß man folder draſtiſchen Min 
nicht mehr bedürfe — worauf wir mit Reidel S. 37 einfach ſagen: „feit warn 4 
man ausgeflügelt, daß ein Mörder von 1839 beffer fen, als einer von 15397“ ON 
die Erinnerung, daß ein ungerechtes Urtheil in diefem alle irreparabel fen; es da 
der Gefeggebung nur Ernſt feyn, Juſtizmorde durch die möthigen Proceßformen zu m 
hüten, und es dürfen ſich die Richter nur weder durch Parteigeift noch durch religiöie 
Vanatismus (wie in dem fchändlichen Procefje gegen Jean Calas in Toulouſe) beft 
laffen, — damit eben wird ſich zeigen, daß die Civiliſation fortgefchritten if. 
daß man den Mörder fchont, fondern daß keine Morde mehr gefhehen und daß wie 
ſchon kein anderer als der Mörder hingerichtet wird, darin muß jener Fortſchrin i 
an den Tag legen. 

Wir haben oben von den fittlihen Fundamenten gefprochen, die das Chriflentiem 
dem Bolls- und Staatsleben darbiete, von den ethifchen Kräften, die, einem Volle cm 
geflößt und in ihm lebendig erhalten, auch feinem Rechtsbewußtſeyn, alfo and) jew 
Geſetzgebung und Rechtspflege einen beftimmten Karafter und Gehalt geben. dir mie 
Frage, fagten wir, fen das eine diefer Fundamente jenes unveränderliche Nechtögfil 
daß der Mörder feines Lebens fi, unmerth mache, daß die Todesftrafe die einzig w 
quate Büßung und Sühnung ſey. Aber wir können umd tollen auch nicht vergi® 
daß, fo wenig die göttliche Gnade das göttliche Recht aufhebt, ebenfo wenig aud de 
Recht das Einzige if, was als ethifche Kraft wirkt, daß vielmehr auch dem vet 
fenften Verbrecher gegenüber die Liebe, die ſich in Chriſtus felber für die Sünder ie 
gegeben, ihre Geltung bat. So vollfommen wahr es iſt, daß Vieles, was ſich ge 
is Betreff der Todesftrafe als Menfchenliebe, als Erbarmen mit dem Gefallen, d 
Sorge für feine Seele geberdet, nichts ift, als jene Weichlichfeit, jene RVerhätfcels 
des Individuums, die mehr weibiſch als männlich; ift und durch deren comfequente dot 
führung alles gefunde Stantsleben zu Grunde geht, weil die Geſammtheit dem Je 
viduum geopfert wird: fo wenig entziehen wir und dem Bugefländniffe, daß mir, IM 
.wir nur dem armen Sünder gegenüberfichen, uns in feine furchtbare Rage, im fein 4 
fühl hineinverfegen, zehnmal Lieber ihm das Leben fchenfen, als ihn auf die Builstu 
Schnallen fehen möchten. Im diefem fchredlichen Augenblide iſt er vor umferen Aug 
nur Menſch, Fleifch von unferem Fleifch und Bein von unferem Bein; und dieſet 4 
menfchliche, ächt chriftliche Mitgefühl ruft denn auch allerlei Reflertonen wach, die d 
Berftand — der befanntlich mit Gründen und Gegengründen ftets auftreten famı, m 
der Wille es ihm befiehlt — num auch mit der Punktlichkeit eines Regiſtrators herhe 
holt. Nüutzt es denn dem Gemordeten, nügt es auch nur feinen Relilten ettoas, ei 

*) Der Juſtizminiſter 9, Nenrath bat (Prot. 1865 &.2372) der wärttemd. Kammer ve D 


georbneten einen Fall mitgeteilt, der ſchlagend beweift, wie fehr bie Aufhebung ber Tobeaft:‘ 
dem Mordgedanken, wo er einmal erwacht if, weitere Nahrung gibt. 





Todesſtrafe 349 


va Wrder auch ſterben muß? Ya, iſr's nicht vielmehr ſchon ein Ungläd für ihn 
yo, ein Mörder zu werden? Carriere behauptet von dieſem (S. 15): „wenn 
Zanohl getoefen wäre, hätte ex ſchwerlich das Verbrechen begangen“ — alfo weil 
ia zicht wohl war, iſt er entſchuldbar; ber Staat hätte vielmehr dafür forgen follen, 
ia wohl zu machen, ihm z. B. fattfam mit Geld zu verfehen, dann hätte er nicht ges 
wet. Und Nöllner weiß (S. 56), daß ein Mörder als folder ſchon eigentlich un- 
weinungefähig iſt. Jedoch aud wo das gute Herz dod noch genug Ernſt und Re 
ſeh vor dee Wahrheit hat, um fid, von folder Leichtfertigkeit micht bethören zu Laflen, 
Wäberwiegt doc; das Mitleid den Befihtspuntt der Schuld. Aber ob das auch die 
tg iR, die der Staat, die das Geſetz, die der Richter einnehmen darf, das iſt eine 
were Frage. Ihe Habt Mitleid mit dem Delinguenten, der zum Schaffot gefährt 
‚wohl, er verdient dafjelbe; aber warum habt ihr nicht daflelbe Mitleid auch mit 
Nitmenſchen, die diefer Menſch, feiner eigenen Bosheit folgend, hingewärgt hat? 
6 Menſchen rücdt wohl die Zeit beides, die Unthat und ihre Büßung weit aus. 
darum vergißt man ob ber legteren die Schauer der erfleren; vor dem An- 
ver Gerechtigkeit und des Berichts aber eriftirt jener Zeitunterfchied und jene 
ßlichleit nicht; und während demgemäß fich da® wahre, nicht vom Augenblick ab⸗ 
Mae Mitleid auf beide, den Mörder und das Opfer, gleihmäßig bezieht, fo hat 
R Cerechtigleit, ohne das Mitleid zu wehren, doch nicht von diefem, fondern von ber 
Ehe oder Unſchuld fich beſtimmen zu laſſen. Sehr richtig hat der vormalige Tü- 
har Ranıler v. Wächter in einer Kammerfigung im Jahre 1838 gefapt: „Wenn 
Bi hemanität gegen die Todesſtrafe gefprodhen wird, fo fheint mir in biefer Huma⸗ 
u cine große Inhumanität zu liegen, und zwar die größte Iuhumanität gegen den 
Kekken Bürger, der durch einen Verbrecher auf eine Weife bedroht wird, die fein 
Bien verdient.» — Ein eifriger Gegner, A. F. Berner, hat in der Gchrift „Ub- 
Mahn der Todesfizafer (Dresden 1861 ©. 93), wie dief and Andere thun, auf 
"uhlhe Beſſerung des Morders hingewieſen und daraus folgenden Schluß ge- 
Ba: Bern ex mach feiner That Buße that, fo verdient er den Tod nicht, wenn er 
de richt Buße thut, fo foll man ihm Zeit dazu laffen; alſo in beiden fällen iſt die 
tung ein Unrecht. Wie wenn wicht gerade diejenigen Verbrecher, bie wirklich 
de geihan haben (vgl. z. B. 3. 3. Mofer’s Schrift vom Sahre 1740: „Selige 
 Stmden hingerichteter Perfouen“, neuerlich vermehrt herausgegeben von F. M. 
Stuttg. 1861), am allerbereitwilligfien den Tod als ihre gerechte Strafe nad 
# Otdnung anerkannt hätten! Und wie oft iſt es erſt das Todesurtheil, das den 
Sim eines Boſewichts endlich bricht! " Bälte aber der zweite Grund, fo hätte 
erbrecher das Mittel in der Hand, feine Strafe in graecas calendas hinans- 
den; er dürfte fi nur fortwährend unbußfertig zeigen. Daß Gott nicht dem 
det Sänders will, fondern daß er ſich befehre und lebe, das hat noch Keiner ge 

ac, der die Todesſtrafe gerecht findet; deßwegen wird feelforgerlic anf den Delin- 
aa eingewirkt umd dazu, feine Rechnung mit Gott gründlich abzuſchließen, wird 
a Friſt gegeben. Wer freilich nnter Belehrung nicht die Buße im Sinne des 
Miathums, ſondern das Brauchbarwerden für die bürgerliche Gefellſchaft im Sinne 
ndaftrinfisus verfteht, dem muß das fo eben Geſagte als ein fchlechter Troſt er⸗ 
m. Ebenſo — und das iſt ein in Porlamentöverhandlungen nicht zur Sprache 
Nmender, aber für die Beurtheilung der neneren Bewegungen auf biefem Gebiete 
A wichtiger Punkt — müffen alle Diejenigen, für welche die Hoffnung eines Lebens 
M dem Tode zu den überwundenen Standpunkten gehört, aus Humanität gegen bie 
Meiftcafe ſtimmen; dadurch erft, daß die Tödtung als abfolnte Bernichtung der Perfon 
achtet wird, gewinnen alle die Begengründe, die fle geltend machen, ihre eigentliche 
me Kraft, während für den anf evangelifhem Grunde feſtſtehenden Glauben der 
nieſpalt zwifchen dem klaren Rechtsbewußtſeyn und der erbarmenden Liebe eben in 
“ Rettung des Sunders für ein ewiges Bimmelceich feine Ldfung finde. Wer das 









350 Todesftrafe 


menfchliche Perfonleben fo weit degradirt, daß er es auf die Zeitlichfeit beichränft, d 
wird ihm innerhalb diefer Zeitlichleit einen defto höheren, einen fo abfoluten Werth bi 
mefien, daß es auch durch's Recht nicht angetaftet werden darf, obgleich er nicht hi 
dern kann, daß es durch's Unrecht, durch rohe Gewalt angetaftet werde. Das Ehrifte 
thum dagegen, indem e8 dem Menfchenleben eine Bedeutung für die Ewigkeit verki 
duldet darum einerfeitS nicht, daß es menfchlicher Willfür preisgegeben und wider Cu 
Ordnung mirderifd; abgekürzt werde, aber andererfeits folgt aus dem nur relatı 
MWerthe des zeitlichen Lebens, daß dafjelbe, wo es durch Unrecht ſich mit einer ® 
ſchuld belaftet hat, unbefchadet der Seelenrettung des bußfertigen Sünders, vom K 
als Sühne in Anfprud; genommen wird. — Eine ſcheinbar untergeordnete Seite k 
Sache ift, ehe wir weiter gehen, noch furz zu berühren. Es kann fich das dirifik 
Gemüth möglicher Weife durch die oben entwidelte Anfchauung über die objektive Ach 
mäßigfeit der Todesſtrafe beruhigen; aber diefe Beruhigung geht nicht fo weit, daß f 
nicht Jeder davor ſcheuen würde, ein Todesurtheil felbft zu fällen, und wenn audı % 
als mit dem Richterberuf zufammenhängende Pflicht getviffenshalber gefchieht, fo m 
fich doch ſchwerlich unter denen, in welchen die chriftliche Liebe mod; eine lebe 
Macht ifl, einer finden, der fich zum Dienfte des Scharfrichters hergibt. Es hat d 
immer etwas Mißliches, eine Handlung als pflichtmäßig hinzuftellen, die man dod fd 
zu vollziehen fi, weigern würde. Es iſt darum auch (vgl. Carriere a. a. O. 6.2 
nicht ohne Grund darauf aufmerffam gemadjt worden, daß in den Augen bes Bel 
der Henker als eine unehrliche Perfon gilt. Luther zwar hat in der Schrift über m 
liche Obrigfeit vom Jahre 1523 auf die Frage: ob auch ein Chrift möge das well 
Schwert führen? die Antwort gegeben: „Wenn alle Menfchen rechte Chriften mm 
dann toäre fein Für, König, Herr, Schwert noch Recht nöthig; weil aber via ls 
gerechte da fehen, fo bedürfen diefe des Rechts, das fie zwinge und dringe, dad Ei 
zu laffen und Gutes zu thun; der Chrift fol für fi der Obrigkeit nicht bie 
aber fie bebürfe feiner dazu, und er foll ſich foldhes Amtes nicht weigern; ſelbſ me 
es am Henker, Büttel, Richter, Herrn oder Fürften mangele, fol ex ſich freiwillig ia 
erbieten, auf daß ja die möthige Gewalt nicht veradhtet und matt würde oder u 
ginge.“ Wir mollen den Fall, daß fi Niemand zu diefem blutigen Dienfte 9 
ließe, und die frage, ob dann etwa durch militärifche Gewalt die Exekution zo 
ziehen wäre (wie auch von Einigen die Todesſtrafe durch Erfchießen als bie fir @ 
Delinquenten wie für die Vollziehenden würdigſte empfohlen worden ifl) nidt m? 
erörtern, fondern die Weberzeugung ausfprechen, daß, wenn das Gefühl, das mM 
hriflichen Nächſtenliebe wurzeit, in einem ganzen Volke, in allen Individuen fo ni 
getvorden wäre, daß fi fein Scharfrichter mehr auffinden ließe, dann and; hi 
Liebe und daſſelbe Mitgefühl fo ſtark fenn würde, daß gar fein Mord mehr geil 
und, weil das Verbrechen nicht mehr vorfäme, auch fein Gefeg dafür mehr nöthig v 
Muß aber, tvie aus Obigem erhellt, von den beiden fittlihen Fundamenten, 
das Chriftenthum dem von ihm durchdrungenen Volls⸗ und Staatsleben verleiht, ch 
den rechten Gemeinfinn bewirfenden Menfchenliebe und einem unverbrüchlichen % 
finn, die erftere dem leteren den gebührenden Raum lafjen: fo entfleht doch and 
Zuſammenwirken beider ein Conflitt, ein Schwanfen, wovon die Geſchichte immer D 
Zeugniß gibt. Die Stellung der hriftlichen Lehrer zu der vorliegenden Frage DA 
den erften Jahrhunderten durch die Stellung der Kirche zum heidnifchen Staate bei 
da in diefem die Hinrichtungen an der Tagesordnung waren, da fie, insbefontet 
der graufamen Weife von Thierlämpfen, überhaupt in den brutalften Formen vollz 
ein Schauſpiel für den Pöbel waren, fo mußte ſich das chriſtliche Gefühl aufs 
fchiedenfte dagegen kehren. Wie Tertullian (de idol. cap. 17. 18. 21) fir 
Chriften die Annahme eines obrigfeitlichen Amtes fpeciell aus dem Grunde für 
zuläfftg Hält, weil er dadurch in die Lage verfegt werde, Bluturtheile zu fällen, fo 
dert er aud) (de spectac. XIX.), daß Ehriften niemals einer Hinrichtung an 




















Todesſtrafe 361 


ke Bonum est, cum puniuntur nooentes. Quis hoc nisi nocens negabit? Et 
mm innooens de supplicio alterius laetari non potest, cum magis competat in- 
ati dolere, quod homo, par ejus, tam nocens faotus est, ut tam crudeliter im- 
jeitur. Quis autem mihi sponsor est, nocentes semper vel ad bestias, vel ad 
wdennquo supplicium decerni, ut non innocentise quoque inferatur, aut ultione 
päcantis, aut infirmitate defendentis, aut instantia quaestionis? Mau flieht, das 
Keüd iR micht ein Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Todesſtrafe gegen Verbrecher, 
intern theil8 die Möglichkeit, daB ein Unſchuldiger davon betroffen werde, theils das 
Stpefühl des Chriften mit dem Nebenmenſchen, dem par ejus. Die Art, wie Am⸗ 
dofins (ep. 15. 26.) auf eine hierauf bezüglidhe Anfrage einem Richter geantwortet hat 
Mi Neander, Vorlefungen über die Geſchichte der chriſtl. Ethik, herausg. von Erdmann. 
in1864. ©. 246), zeigt, daß dit Donatiften und Nobatianer firenger waren als die 

‚ indem jene Sektirer denjenigen egcommunicirten, der ein Todesurtheil gefällt 

‚ während die Kirche, im Blid auf Röm. 13, 4. das nicht that, wiewohl fich 

Pr Richter allerdings der Kommunion freiwillig enthielten. Davon, da Chriſten 
FÜR wegen eines Verbrechens todeswürdig werden Können, ift hier gar nicht die Rebe; 
Criminalproceß wird gänzlich als etwas nur der heidnifchen Welt Angehöriges be» 
Wie; ob dort Die Strafe eine berechtigte, eine nothwendige fen oder nicht, das wird 
m nicht erörtert, die Chriften wollen nur für ihre Perſon gar nichts damit zu fchaffen 
kin. Pofitiver als eine mit hriftliher Gefinnung unverträgliche Grauſamkeit hat 
Yın, (instit. lib, 6. 0. 20.) die Mitwirkung zu einer Hinrichtung verworfen in dem 
Oi: qusero, am possint pii et justi homines esse, qui constitutos sub coitu 
Arts ao misericordiam deprecantes, non tantum patiuntur ocoidi, sed efflagitant 
Terınlqne ad mortem orudelia et inhumana suffragia? Daher fol ein Chriſt aud) 
Rai Todesſtra fe Magen: in hoc Dei praecepto nullam prorsus exceptionem fleri 
Ye quin oceidere hominem sit semper nefas, quem Deus sanotum animal esse 
rt — Einen. bedeutenden Schritt über diefes perfönliche Sich -fern- halten hinaus 
et Ingaftin, in dem er in dem Briefe an Macedonius (ep. 54. Basler Ausgabe der 
EB, von 1529, Tom. II. pag. 159 f.) die bereits allgemeine Sitte, daß die Bifchdfe 
Rau Tode verurtheilte Miſſethäter Fürbitte bei dem Raifern einlegten, des Näheren 
akt and diefelbe fammt der damit zufammenhängenden geiftlichen Pflege der Begna⸗ 
Kim als etwas dem Diener Chriſti Seziemendes darflellt (ut, qui liberantur a tem- 
Pli morte, sic vivant, ne in aeternam, unde nunguam liberentur, incurrant). 
Mein die Amahme diefer Beflerungstheorie, die er vom Standpunkte des Chriflen- 
® aus entwidelt, muthet er nun micht auch dem Richter zu; es bleibt amd; jegt 

W bei jemem Dualismus zwiſchen der Ticchlichen Liebespflicht und dem ſtaatlichen 
Ri: prodest, fo apoftrophirt er die Richter, prodest et severitas vestra, cujus mi- 
"erio quies adjuvatur et nostra; prodest et interoessio nostra, oujus ministerio 
etlias temperatur et vestra. Non vobis displioeat, quod rogamini a bonis, 
Kia nec bonis displicet, quod timemini a malis; nam hominum iniquitatem etiam 
Postolus Paulus non tantum de judicio futuro, verumetiam de potestatibus vestris 
ibus terruit, asserens et ipsas ad dispensationem divinae providentiae per- 
here. Der einzige Berfuch, die beiden Thefen: es if recht, daß die Boͤſen durch 
wrichterliche Gteenge abgefehredt werden, und es If recht, daß wir Bifchöfe umb 
ter die Berurtheilten Tosbitten, in Einklang zu bringen, liegt im den weiteren ächt 
Meinifch gefaßten Worten: Sicut dilestionem jussi sunt terrentibus debere, qui 
ent, ita dileotionem jussi sunt timentibus debere, qui terrent. Nihil nooendi 
"piditate fiat, sed omnia oonsulendi oharitate, et nihil fiat immaniter, nihil inhu- 
iter. Womit aber, wie man fieht, der eigentliche Knoten nicht geldſt if. Im ſpa⸗ 
Re Beit geflanden (f. Boehmer jus eccles. Tom. V. lib. V. lit. XII. $. 10.) die 
Sltotögefepe, um bie Sache einigermaßen zu regeln, den Klerilern und Mönchen nur 
Recht zu, eine Reviflon der Proceßalten durch höhere Behörden zu verlangen, ehe 











352 Todesſtrafe 


ein Todesurtheil den Kaiſern vorgelegt wurde. — Uralt, weil von heidniſchen Teup 
auf chriſtliche Kirchen übergegangen, war das Aſylrecht, das aber, fo eifrig die in 
darüber hielt, doch nicht nur von Kaiſern, fondern auch von Päbften befchräntt, d. 
von dem beflimmte Verbrecher, wie namentlich die Mörder, ausgejchloffen wurden 
den Art. „Ay Bd. L ©. 567 f.). — Was fofort die mittelalterliche Auff 
und Behandlung der Sache betrifft, fo enthalten wir ums deſſen, was die flaatli 
und nationalen Geſetzgebungen darüber beflimmen; über das germanifche Redt |. 
Schrift von Mittermaier: „die Todesſtrafe nad; den Ergebniffen der wiſſenſchaftli 
Forſchungen“ ꝛc., Heidelberg 1862. ©. 7f. Die Kirche hat ſich fortwährend als 
treterin der chrifllichen Erbarmung dem da8 Schwert führenden meltlihen Rei 
gegenübergeftellt, indem fie der Wildheit und Grauſamkeit der Völker nnd Fürſten 
Ermahnungen wehrte, und indem fie ihre eigenen Diener zu Teinem Bluturtheile 
wirken ließ. Bon erfterem ift als Beifpiel zu mennen der Brief, den Pabſt Nikola 
im Jahre 866 an die Bulgaren fandte (f. darüber Neander's Kirchengeſchichte Br. 
S. 55—59), worin er unter Anderem fie an die Barmherzigleit Gottes erinnert, 
Erfenntniß ihnen nicht mehr geftatte, unbarmherzig zu ſeyn, „wie auch Chrifius ve 
ewigen Tode zum ewigen Leben zurüdgeführt hat, fo müßt auch ihr nicht allem 
Unfchuldigen, fondern auch die Schuldigen vom Verderben des Todes zu retten | 
Eine Synode zu Toledo (die achte, im 9. 653; f. Mansi conc. coll. X. ©. 1210| 
ſchlichtet den Eonflift, daß das Voll gefchworen hatte, jedes Verbrechen gegen !a 
und König mit dem Tode zu flrafen, und nun die Ausführung des Geldbniſſet I 
als zu hart und graufam erfannt wide, duch die Beruhigung, daß Gott plus aim 
ricordiam cupiat, quam sacrificca veneranda. Daß aber die Kirche die ma 
Theorie, daß nur Beſſerung der Zweck der Strafe fey, bereits gehabt habe, Ik 
Mittermaier (a. a. DO. ©. 7. Note 18.) mit Unrecht aus den Alten der 11. Eat 
zu Toledo (vom J. 675), wo um im Allgemeinen und relativ gefagt ift, daß j 
antiquse institutionis edictum plus erga corrigendos agere debeat benevolıt 
quam severitas, plus cohortatio quam commotio, plus caritas quam potestas (Mass 
XI. ©. 141). Immer fchritten in einzelnen Fällen Geiftlihe und Mönche zu Omi 
von Begnadigungen ein, wie vom heil. Bernhard erzählt wird, er habe ſich dat ka 
eines Räubers, der eben hingerichtet werden follte, erbeten, um ihn vielmehr nducch 68 
lange Buße flerben zu laſſen.“ (S. Mittermaier a. a. D. S. 7). Uber das Kedt, 
Verbrecher am Leben zu firafen, hat (f. ebendaf. Note 22.) die Kirche dem Staat ad 
jetzt nicht abgefproden. Wohl wurde von den Geiftlihen, indem fie jene Interctſſe 
ausübten, gelegentlich auch diefes Hecht felber in Zweifel gezogen (vgl. den vom Bst 
a. a. O. ©. 60 angeführten Fall, wo ein Mönd; einen Kaifer au die Gleichheit ch 
Menfchen und an das göttliche Ebenbild erinnern läßt und nun ſchließt: ne igitur imaginm 
Dei adeo crudeliter atque atrociter jugulari praecipias; offendes enim artifioem, | 
ejus imaginem supplicio affeceris). Das kanoniſche Hecht enthält (Decr. Pare 
Causa XII. Quaest. V.) ein eigenes Kapitel über die Trage: an sit peocatum | 
vel ministro, reos oceidere; wo zwar mit Berufung auf verfchiedene Ausiprüdt 
Auguftin, Gregor I. u. U. gefagt wird, die Kirche foll vielmehr vertheidigen und befien 
aber ebenfo mit Bezug auf Cyprian (De duodecim abusionibus seculi, cap. 9.) 
Hieronymus (zum 2. Rap. des Joel, zu Ezechiel Kap. 9., zu Jeremias Kap. 22.) 4 
Auguftin (in dem erwähnten Brief an Macedonius und de lib. arb. 1,4.), anf MM 
(de summo bono lib. 3.) das Recht und die Nothwendigkeit, vichterlich auf Zot I 
erfennen, zugeflanden wird. (Einige diefer Stellen hat Hepp in die angeführte 

©. 43 mit aufgenommen.) Den Waldenfern ward eben darum die Lehre, quod pi 
cant omnes judicium vel justitiam sanguinis exercentes, als Harefie angereind 
Nur die Kirche ſelbſt — non sitit sanguinem. Diefer Say hat feinen peakildt 
Beweis darin gefunden, daß das fanonifche Recht Jeden, der bei einem V 

als Nichter mitwirkte, für irregulär erllärte, d. h. don der Oxbinationsfähigfet as 








Tobeöftrafe | 853 


(üb wiewohl es auch für diefe Srregularität Dispenfationen gab. (Die Gtellen f. 
ki Balter, Kirchenrecht, 13. Aufl. 1861. ©. 463, Note 18.; bei Böhmer a. a. O. 
iz. IL de vita et honest. cleric. $. 62. Tom. V. ©. 62). Schwierig wurde das 
iihlten dieſes Grundſatzes für diejenigen hohen Kleriker, weiche zugleich als Fürſten 
om weltliche Berichtöbarkeit ansübten; wäre die Kirche wirklich der Mebergeugung ge⸗ 
wa, daß die Todesſtrafe unchriſtlich fen, fo hätte fie in dem geiſtlichen Territorien 
‚We bee Gelegenheit gehabt, diefen Grundſatz praftifc auszuführen; da brauchte ber 
‘Stdof nicht erſt Fürbitte zu leiften, er konnte felber beguadigen oder bie Todesſtrafe 
ideen. Das aber gefhah nicht. Bei Böhmer a. a. D. ©. 66 iſt zu lefen, wie 
un fih damit half, daß zuerſt (vor der Zeit Otto's L) die Bifchöfe, wenn ihre Offi⸗ 
dal em Todesurtheil fällen ſollten, die nicht als in ihrem, fondern als in des Kb⸗ 
un Ramen gefchehend erflärten; fpäter hielt man dieſe Unterſcheidung nicht mehr für 
ihn, inte and der bon Bonifacius VIII. gegebenen Verordnung erhellt, daß zwar bie 
'Wtöfe ipsimet ab exercitio juris gladii abstinerent, illud vero citra irregulari- 
‚kn Isicis officialibus oommittere possent. 
: Bie reimt fich aber mit dieſer Schen vor Blutvergießen das Verfahren ber Kirche 
‚ya die Letzer? Diefelbe Kirche, quae non sitit sangninem, bie die Mörder und 
"Baber vom Galgen losbat, erfchien doch allen reformatorifchen Parteien als die vom 
te der Heiligen trunkene apofalyptifche Hure, und das Tedeum, das Gregor XIIL 
nd der Bartholomäusnacht fingen ließ, fliimmt wohl mit Gregor's VIL Wahlſpruch: 
seflnht fen, wer das Schwert des Herrn aufhält, daß es nicht Blut vergieße“ ; defto 
wege aber mit jener zarten Schen, die dem Klerus hicht erlaubte, bei einem Blut, 
mic oder deffen Volfiredung andy nur antwefend zu ſeyn. Ein moderner, gefeierter 
Amehner, der Domintfanerpater Lacordaire, TER ums nach feiner Weile das Räthfel 
unmmkiner „Konferenzen (f. feine „Sanzelvorträger in Rotre- Dame zu Paris, 
Bei 5 Lutz, 1846. ©. 146): „Ihr fagt wohl, ber Kirche war e8 angenehm“ 
Walh, dag der Staat gegen die Ketzer einfchritt), wfie ſtimmte bamit überein, 
Moite dabei mit, fie nahm die Wohlthat des Blutes an. .... Nun ja, ih 
ale 8, die Kirche fah es gern, mit dem Staate verbindet zu feyn, mit ihm durch 
Be und durch des Staates Kraft ein Reich zn bilden, in dem ber Unterfchieb der 
Öerolten mur die ſtaͤrkſte Einheit nach fich zog.” Und fpäter: „denn ber Sertbum iſt 
ie Suin, der den Abel erfchlägt“ (alfo die bintige Gewalt fet eigentlich immer zuerfl 
wm den Häretikern, den Proteflanten zc. ausgegaugen). „Es iſt wahr, müde einer 
Bintrüdung, die zehnmal in einem Sahrhundert kommt, haben wir mit Dankbarkeit 
% Bereinigumg (nämlich mit der Staatsgewalt) angenommen, bie unfere Staotsmänner 
W nboten; wie haben geglanbt, fie fey ebenfo eine Wohlthat für Alle wie für ums. 
W daher kam es, dag Blut floß für unfere Sache, nicht um zu befehren, fondern um 
rertheidigen und Gleiches mit Gleichem zu vergelten« (! alfo das Hat die Kirche doch 
Acht gehalten, troz 1 Petr. 3, 9.); „man kaum es bebauern, dem bie Anwendung 
Rechts iſt manchmal auch bedauerlich; aber das bleibt immer übrig, daß unfere 
ie, die Natur der Wahrheit, friedliebend, geduldig, vol Toleranz und Ruhe ifl.“ 
e Erflärung der Sache, eines Rabuliften würdig, bedarf hier keines Commentars. 
he tihtigere fung Tiegt im jenem Wahlfpruche Gregor's VII. Einen Mörder am 
kin zu ſtrafen, iſt nur weltliches Recht; aber das Schwert, das ben Ketzer vom Leben 
in Tode bringt, iſt das Schwert des Herrn; die Staatsgeſetze übertreten, die Sicher- 
Mt der Bürger antaſten, if eine läßliche Sünde; aber etwas reden oder thun wider 
Re Kirche, das iſt Todfünde; fle außrotten if ein heiliges Wert. Daher geht das Tas 
wiſche Recht fo weit, daß fol eine Tödtung felbft ohne Richterſpruch bloß im Glau⸗ 
enßeifer gefchehen, gerechtfertigt wird; a. a. DO. 8. 47. wird ans einem Briefe Pabſt 
thans IL vom Jahre 1090 der Gap als Rechtsfap aufgenommen: non eos homi- 
‘ss arbitramur, quos adversus exoommunicatos zelo catholicae matris ardentes 
liquo⸗ eorum trucidasse contigerit. 
Kal ı Cachtlopadie für Theologie und Kirche. Guppl IL. 2 





354 Todesſtrafe 


Die Reformatoren haben gegen dieſe Theorie und Praxis wohl Einſprache getha 
— mens fie gälte, meint Luther, fo wären die Henker die gelehrteſten doctores; ab 
wenn bei einem Calvin, ja felbfi bei Melanchthon (in der Sache des Servet) doch na 
die Borftellung wirkſam ift, daß ein mit feinee Lehre Gott Täfternder Säretiler ſierb 
müffe, weil er die Ehre Gottes angetaftet hat umd ben Vefland der Kirche, alſo d 
höchften Lebenszwed gefährde (vgl. den Art. „Servet- Bd. XIV. ©. 300): fo 
man noch viel weniger im Zweifel, daß gemeine Verbrecher mit Todesſtrafe zu m 
ſeyen. Luther macht 3. B. (Zifchreden Kap. 21, 4.) den Schluß, daß, weil 
geboten habe, daß ein ungehorfamer Sohn getödtet werden fol, num die Obriglein 
ihren ungehorfamen Unterthanen dies thun müfle Er tadelt es, daß fi die Yürk 
bon Mönchen beftimmen laffen, gegen Buben „gnädig, gütig und friedfam zu ſeh 
aber Obrigkeit, Fürſten und Herren follen nicht gelinde feyn.“ So fagt er and; (che 
dafelbft 5.) tadelnd: „Doctor Hieronymus Schurf, der vormehmften und beften Juri 
einer, und dazu ein Chrift, ift noch nicht fo weit gekommen, daß er einen Webelihäl 
mit gutem Gewiſſen Lönnte zum Tode verdammen und über’ Blut Urtheil |prehe 
Wie er zur Strenge gegen die aufrührerifchen Bauern aufforderte, ift befamt. = 





der Folgezeit erzeugten, wie Mittermaier a. a. DO. ©. 12 fagt, „die häufigen Mi 
und die durch die refigidfen und politifchen Parteien herbeigeführten Gemaltthätigt 
einen Geift der Rohheit im Volke und eine Gewöhnung an harte Strafen, und fühl 
in den Geſetzgebern den Glauben herbei, daß, um die Gegner abzufchreden oder I 
überall wüthenden Näuberbanden auszurotten, die höchſte Strenge durch harte Tot 
ſtrafen nothwendig fen.“ Während nur Einzelne dagegen Bedenken erhoben (mie Thom 
Morus in feiner Schrift „Utopia”, durch welchen Titel freilich ſchon zum Borant ad 
fein Antrag auf Abfchaffung der Todesſtrafe wenigftens für Diebflahl als etinas is 
pifches fignalifirt wurde), fo hat, wie Hobbes, felbft Thomafius, mit dem doch a 
riode der Aufklärung beginnt, die Rechtmäßigkeit der Hinrichtung feftgehalten, um 
der noch verhüllten Form gibt ſich bei legterem die beginnende Oppofition. fund, M 
er auch gegen einen Mörder dem Fürſten das Begnadigungsrecht zuerkennt, das Unia 
(mie ein Dr. Rechenberg in einer Disputation vom Jahre 1702) für diefen Fl « 
nicht ftatthaft anfahen (f. Walch, Relig. Streitigl. der Iuth. Kirche, Theil IL Kap. 
©. 69—71). Das Recht der Natur fordere wohl Strafe, aber nicht eine beff 
Strafart, diefe ſey lediglich dem Ermeſſen des Fürften überlaſſen. Es iſt alſo bei 
nicht zunächſt das Motiv chriſtlicher Milde, ſondern die fürſtliche Plenipotenz, um 
willen er das Begnadigungsrecht vertheidigt. Erſt als Voltaire und Montedguin 
Frankreich, Howard in England gegen die Grauſamkeit der Proceſſe und die für 
lichen Juſtizmorde ihrer Zeit, namentlich den Fall des Jean alas in Tonloufe 1 
Jahre 1762 auftraten, begann ein fuftematifcher Widerfpruch gegen die Todesitd 
überhaupt. In Mailand bildete fich eine Gefellfchaft, die fi) den Kampf gegen d 
hergebrachte Barbarei zum Zweck feste; ihr gehörte der junge Marcheſe Beccana \ 
(geb. 1738, + 1794), der im einer zuerfl anonym erſchienenen Schrift über Berbrei 
und Strafen (Monaco 1764. Deutſch mit Zufägen von Voltaire, Breslau 178 
Neuefte Ausgabe von Jul. Glaſer, Wien 1851) in einem befonderen Kapitel g. xt 
das Wort ſprach, das num als Looſung gegen die Todesftrafe überall Wiederhall fm 
Er argumentirt vornehmlich von dem Sage aus, daß Niemand ein Recht habe, 

ſelbſt zu tödten, alfo auch nicht daB Recht, einen Anderen zu tödten. Da der © 
nur durch einen Vertrag zu Stande fomme, fo inne bei Eingehung diefes Petr 
fein Unterthan über fein eigenes Leben pacisciren. Das gelte wenigflens von rubtit 
Zeiten; freilich wem die Freiheit eines Volkes auf dem Spiele ftehe, oder wenn Ancrd 
heerfche, wo Unordnungen die Stelle der Gefege vertreten (Breslauer Ausg. ©. '' 
konne die Hinrichtung nothivendig werden. Freiheitäftrafen feyen (S. 78) bon ieit dl 
ſchreckenderer Wirkung, als die Todesftrafe. So ſchwach diefe Argumente find, ſo 

leuchteten fie dem ganzen Zeitalter ein, und es läuft vom da aus eine ganze Kette I“ 















Tritheiſtiſcher Streit 355 


Giftellern, die gegen dieſe Strafe zu wirken ſuchen (ein Verzeichniß derſelben f. bei⸗ 
eu.0.0d. S. 4. 5.); in England bildeten fich formliche Befellichaften für dieſen 
ad (. Mittermaier ©. 31 f.), ebenfo bat fi in Frankreich die nociet£ de la mo- 
x chretienne jener Tendenz angefchloffen. Wenn wir von den Gräuelu ber fran- 
Hihen Revolution und der napoleoniſchen Gewaltherrſchaft abfehen, welche letztere (f. 
‚Ritermaier a. a. O. ©. 22) duch den Code Napol&on vom Yahre 1810 nicht we⸗ 
Auer old 36 Arten von Bergehen mit dem Tode beftraft! fo bat jene Bewegung bie 
Eafung gehabt, daß die Todesſtrafe auf immer wenigere Berbrechen, außer Hochver- 
wi, Meuteret und Vergehen im Kriege, nur auf Mord ihre Anwendung fand, daß 
ac die Schärfung derfelben durch Grauſamkeit wegfiel. Wenn aber bie Gegner hier⸗ 
ai mit dem Bemerken hinmweifen: man fehe, daß die Todesfirafe in vollem Rückzug 
then fen, daß fie eine Poſttion um die andere verliere, nm jet nur noch am Morde 
p leften, alfo auch wohl biefe letzte Stellung verlieren werde, fo iſt dieß infofern un- 
Win, old der Mord feine den anderen Verbrechen coorbinixte That ifl, foudern eine 
‚Wetere, die fchlimmfte Species bildet; nur diefem Verbrechen entfpricht diefe Strafe, 
‚de mh mr diefe Strafe entfpricht diefem Verbrechen. Daher der am Anfang er- 
Nat, den Gegnern fo auffallende Conſenſus der theologifchen Ethiker, und zwar 
Ba, die fonft ſehr verfchiebene Standpunkte vertreten, wie Daub, Marheineke, Rothe, 
fait, Battle, Schmid. Dagegen bat der Vorgang von Kant umd Hegel auf Seiten 
ve Bhilofophen einen ſolchen Conſenſus nicht bewirkt; wie J. ©. Fichte, fo haben fich 
Chamaner, Wirth, Chalybäus gegen die Todesfixafe erflärt. Dex legtere fagt (Spe- 
Kate Ethik Bd. IL ©. 109): „Es läßt fich nicht Täugnen, was auch durch dem 
Moriden Erfolg beftätigt wird, daß die Strenge der Strafen und mithin auch die 
Unkerfe in dem Maße walten mäffe, als das Rechtögefühl eines mehr oder weniger 
lea Bolfes diefe Strenge fordert und ohne fie fich nicht befriedigt findet; da aber 
fh Federung im umgefehrten VBerhältniß zur fittlichen Bildung fleht, fo Liegt darin 
*a Bereis, daß das ideale Hecht, welches bei hochgedichener Bildung in Kraft treteu 
a, an die Todesftrafe verfchmäht, mithin, daß fie vom philofophifchen Standpunkt 
& oder, wie man fagt, principiell nicht zu vertheidigen iſt. Mit diefem Satze 
Innen wir ums, der obigen Ansführung gemäß, inſoweit einigen, als derſelbe die Ent- 
Rhliätett der Todesſtrafe von einer hochgediehenen fittlihen Bildung des Volles ab- 
Ikyig macht. Aber wir fagen: wenn diefe fittliche Bildung einmal fo hoch gediehen 
M dam fegt das bereits boraus, daß auch der Mordgeift im Volke nicht mehr um- 
BR, ſich alfo mit dem Verbrechen die Strafe von felber aufhebt. Verkehrt aber if 
#nerf die Strafe aufzuheben, während das Verbrechen fortdauert; will man erft 
Pin, ob nicht auch ohne die allein adäquate Strafe das Verbrechen aufhöre, fo wäre 
in Experiment, das zwar in der That ſchon vorgefchlagen wurde (vgl. das Protos 
M Ne wirttemberg. Stäudelammer vom 13. Februar 1865, ©. 2358, wo ein Ab- 
F ſagte: „Ich halte die Todesſtrafe dermalen für entbehrlich. Sollte fie es 
"ucl wider Erwarten nicht mehr feyn, fo wird fie ganz gewiß, wir mögen befchließen 
Mir wollen, wieder eingeführt werden“); ſolch ein Experiment kann aber einem Volke 
kr thener zu ſtehen kommen. Was die hriftliche Vollsbildung irgend thun kann, um 
k Strafe entbehrlich zu machen und dadurch den Richtern, den Seelforgern, den Für- 
eine ſchwere, eine furchtbare Laſt abzumehmen, das fol und wird die Kirche und 
Kule than; aber neben dieſer evangelifchen Arbeit von immnen muß der Eruſt des Ge⸗ 
K8 von außen wirken; und es wird wohl der franzöflfche Autor Recht behalten, der 
Io dotirt bat: Ich bin für die Aufhebung dee Todesſtrafe, wenn die Herren Mörder 
mit den Anfang machen. Balmer, 
‚ Xtitheiftifcher Streit. Unter Tritheismus wird in der Dogmengefcichte dies 
Age Auffaffung der kirchlichen Trinitätslehre verftanden, welche über der Dreiheit bie 
Auheit dergigt ober zu bergeffen broht. Niemand bat in dee Ehriftenheit drei Götter 
ren wollen, wohl aber if e8 vorgekommen, daß die Dentung bes teinitarifchen Ver, 
33 ® 


356 Tritheiſtiſcher Streit 


bältniffes innerhalb des Einen Gottes das Princip des Monotheismus beeinträchtigt 
Wo die Gefahr einer ſolchen tritheiftifchen Abweichung beginne und aufhöre, if jhm 
zu fagen, das Urtheil darüber wird jederzeit von der zu dem Dogma überhaupt ei 
genommenen kritiſchen Stellung abhängen. Die alten Apologeten wollten in einig 
Aeußerungen dem Hellenismus damit entgegentommen, daß fie in Gott felbft eine g 
wiffe Pluralität erkannten; man koͤnnte ſagen, daß fie fchon damit die natürlich 
Gränzen des urfprünglichen Gottesglaubens überfchritten haben. Tertullian bearbeite 
bekanntlich feine Zrinität nach dem doppelten Kanon der Monarchie und der Ort 
nomie; man koͤnnte meinen, daß der Name uoropyia zur Bezeichnung des Ei 
lihen zu ſchwach und abſtrakt fen, zumal im Verhältniß zu den äußerft concreten, y 
fiinlichen Befchreibungen, melde den Größen der Delonomie und ihrem Hervorza 
aus einander geividmet werden. In Folge der zu Nicäda getroffenen Entfcheidung 
die Fertftellung des dogmatifhen Sprachgebrauchs große Schwierigkeit umd bie a 
doren Lehrer bedienten fich zur Erklärung des einigen Weſens, welches die drei g 
lichen Perfonen verbindet, des Namens Fedrrs im Unterfchied von dem Goncreim 
Heds; es kann feinen, daß auch diefer Ausdrud Rornc, weil er alles Lebendige ı 
Berfönliche in die Hypoſtaſen verlegt, der gemeingültigen Forderung des chrifliäe 
Gottesbewußtſeyns nicht Genüge leifte. Allein diefe Bedenken wurden dod auf Mi 
damaligen Standpunkte dogmatifcher Beurtheilung nicht empfunden. Das Dogma hi 
ein Myſterium, es wurde in dem Bertrauen zergliedert und erläutert, daß bie in 
halb defjelben vorflommenden Denkbeftimmungen ſich gegenfeitig ausgleichen ımd zug 
doch alle Intereſſen des chriftlichen Glaubens, auch die des Monotheismus, volle 
befriedigt werden. Die Kappadocier, wie namentlich Bafllins, liefern zuweilen de > 
firalte Befchreibungen von dem Gemeinfamen der drei Berfonen, aber indem fie jr 
Einheitliche verdünnen, bemühen fie fich doch wieder, es als etwas Subftanziells m 
objeltiv ©egebenes feftzuhalten, fie wollen über der ia Hedrng dem lc Hd sit 
fallen laſſen. ' | 
Anders fleht es mit einer fpäter auftretenden Erklärungsweiſe, welche den tri- 
theiftifchen Streit veranlaft hat. Nachdem früher fchon über Johannes Phil 
bonus (f. d. Art.) das Nöthige gefagt worden, verfuchen wir jegt, über Inhalt, Ir 
flehung und Zuſammenhang des genannten Streits in ergängender Weife zu beritis 
Und das ift feine leichte Sache, denn wir betreten damit da8 Gebiet der endlojen m 
nophufitifchen Wirren, welche im Laufe des fechften Jahrhunderts die Kirchen von dr 
zandrien, Eonftantinopel und Shrien beumruhigten. An Quellen fehlt es nicht, IA 
find die meiften bloß mittelbar, nur in die Anficht des Philoponus iſt und ein idee 
Einblick gewährt; zu ihm, dem angeblichen Stifter der Tritheiten, treten bie beſtimmende 
oder abweichenden und gegenfäglihen Meinungen ber übrigen Faktionen und Fire 
bäupter in ein ſchwer zu ermittelndes Verhältniß. Wir werden mit einer Menge N 
men überfchüttet, während die fachliche Differenz fich oft nur nad ſchwankenden An 
drüden ermefien läßt. Je verfländiger und nüchterner Philoponus felber argum 
defto weniger gibt die durch ihn angeregte Verhandlung Ausficht zu einem faßlichen 
gebniß, fie beweift die Zerfahrenheit der monopänfitifchen Zuſtäude. Unter den Berid 
erflattern fteht Leontius Byzant. De sectis, act. V. voran, auf ihm folgt Johamd 
Damasdcenus, De haeres. (3. 3. in Coteler. Monum. I, 309 sqq.), welcher uns mer 
volle Fragmente aus der Hauptfchrift des Philoponus aufbewahrt hat, fodann Timm 
theus Presbuter (Coteler. Monum. eccl. Gr. IH. p. 411), welcher die Meimmyd 
der Severianer, Theodoftaner, Damianiften, Kondobauditen, Kononiten, Angeliten jr 
fältig vorführt umd unterfcheidet, dann Nicephorus Callifti (Ecol. hist. XVIIL c. 17. 1 
der die älteren Quellen meitläuftig ansbeutet und zufammenftellt; dazu finden fid nod 
einige kürzere Notizen bei Photius, cod. 24. 55. 75., bei Sophronius und Georgied 
Pifides. Zu diefen griechifchen Quellen gefellt fi der ziemlich junge, aber mmabbin:!‘ 
Bericht des Syrers Abulfaradfch, auf deſſen Wichtigkeit zuerft Moshelm hingewieſci 


Tritheiſtiſcher Gtreit 857 


(al Assem. Biblioth. Or. IL. pag. 337). Bergleichen wir diefen Letzteren mit ben 
zeiihen Relationen, fo ergibt ſich der Unterſchied, daß anf der einen Seite Io» 
ee Bhiloponns, bei Abulfaradſch dagegen Iohannes Askusnages, der ımter Juſtinian 
s Sonftantinopel Philofophie Ichrte und wegen feiner abweichenden Meinungen bes 
ieh verwieſen wurde, zum Anführer der Tritheiten gemacht wird. Bon Askusnages 
win die griechifchen Referenten nichts, wohl aber bemerkt der ſyriſche Berichterſtatter, 
wi fh Bhilopenus der Meinung des Asknsnages angefchlofien habe. Nun kann man 
ga wicht zieifeln, daß unter allen in diefer Streitigleit erwähnten Perfonen Philo- 
yaud der Bedeutenbfle var, allein das Anſehen eines Seltenfliftere oder Parteiführers 
kta, nad, feinen Schriften zu ſchließen, durchaus nit. Er war zu fehr Gelehrter, 
Mn ſich ammehmen ließe, er habe durch felbflänbiges Vorgehen einer dogmatifchen 
Sarei das Dafeyn gegeben; wohl aber konnte er eine von Anderen ihm mitgetheilte 
Wiht duch wiffenfchaftliche Auseinanderfegung begründen und duch fein perfünliches 
Uchen fiherftellen und verbreiten, und er galt alsdann leicht als der vornehmſte 
Inzeter einer Neuerung, die nicht zuerft vom ihm aufgeftellt worben war. Wald, bat 
‚We ganz Recht, wenn er der auch am ſich unverbädtigen Nachricht des Abulfaradſch 
Gerten ſchenkt und fie mit den Relationen der Griechen, die von Askusnages nichts 
ka, zu verbinden fucht. Unter diefer Vorausſetzung mag der äuftere Verlauf der 
Eexitigfeit etwa folgender geweſen feyn. Johannes Askusnages, Schüler eines Syrers 
Emmel Peter aus Rhefina in Mefopotamien umd Lehrer ber griechifchen Bhilofophie 
alonftantinopel zınter Kaiſer Juſtinian, bekannte ſich einft im Gefpräd mit dem Kaifer 
pa Lehre der Monophyfiten nnd fügte hinzu, daß ex in der Trinität nach der Zahl 
ve derſonen auch drei Naturen ober Gottheiten anerkennen mäfle; ex wollte 
ün den Begriff Der Natur von der Perſon Chrifti auch auf die trinitariſch gedachte 
Srhet übertragen. Wegen diefer Irrlehre wurde er vom Kaiſer verbannt. Cinige 
hama feine Seite, wie ein Mönch Athanafins, Tochterfohn ber Kaiferin Theodora, 
m Id) diefen, der bie Beweisgrümde bes inzwiſchen verflorbenen Askusnages fchrift- 
&d niederlegte, wurde auch Iohannes Philoponns für biefelbe Auffaſſung und Bezeich⸗ 
x der göttlichen Dreiheit getvonnen, ex vertheidigte fie in einer eigenen, Abhandlung. 
& früher ebemfo gebacht, iſt nicht mehr zu ermitteln, feine Gründe aber gingen 
wi feinem ganzen philofophifchen Verfahren hervor. Zuerſt entfland nun in Alexan⸗ 
Ki eine Bartei Solcher, die ſich durch ihre auffällige Unterfcheibung der "göttlichen 
den Namen Tritheiten zuzogen. Sie breitete ſich unter Anführung des Philos 

ud m, fand Unterſtützung in den Bifchdfen Konon von Tarfus und Eugenius von 
Ödercien, wurde aber von dem monophufitifcen Patriarchen Damianus zu Wlerandrien 
m deffen Anhang, ſowie auf einer Kirchenverſammlung zu Metsra beſtritten. Auch 
hanus Gobarus, bemerkenswerth durch feine freifiunigen Urtheile über die kirchliche 
Ünlition und Autorität ber Väter (vgl Phot.cod.232), fol ſich der Partei des Philo- 
ns angefchloffen haben. Der Streit verpflanzte ſich weiter nad; Eonflantinopel, und 
dem Kaifer Juſtinns II. wurde duch den rechtgläubigen Patriarchen Zohannes 
mehrtägige Verhandlung veranftaltet, deren Photius cod. 24. gebenft und an welcher 
don der einen Seite Konon und Engenins, von der anderen Paulus u. U. be 
kelligten. Die Tritheiten fcheinen auf diefem Refigionsgefpräche nicht durchgebrungen 
Ritn, aber zu einer Verdammung des Philoponus konnten fle ebenfalls nicht gend- 
! werden. Die Spaltung dauerte fort und wurde buch das Hinzutreten kleinerer 
Raltionen, die fi theilweife nur nad; dem Namen ihres Wohnfiges unterfchieden, wie 
Kondobauditen md Ungeliten, noch vermehrt. Beſonders aber entfland zwifchen 
monopyſitiſchen Patriarchen Damianus von Alerandrien und Peter von Kalliniko 

n Antiohte, alfo zwifchen äügyptiſchen und ſyriſchen Gemeinden, ein vieljähriges Zer⸗ 
frfnif, Ein von Peter aufgeflelltes Glaubensbekenmtniß wurde von Damianus fehr 
Yo aufgenommen, und biefer flüßte fich auf die Meinung des angefehenen Mono- 
hofiten Seberus. Keiner wollte nachgeben, die Shrer klindigten den Aegyptern ben 


358 Tritheiſtiſcher Streit 


Frieden anf, die Damianiſten geriethen in eine Stellung, welche fie ebenfo wohl va 
den Anhängern des Philoponus, den Philoponiakern, wie von den Petriten fie. G 
Ende der ganzen Streitigleit wird nicht erzählt, und wie koönnte auch bei der ® 
reuheit, in welcher die berfchiedenen Meinungen fi durch» und nebeneinander bewegte 
ein Reſultat ertvartet werden! Die Zeitbeftimmung ift nur mit anmähernder Send 
beit möglih, der Handel fällt wahrfheinlih vom Jahre 560 an in die folgen 
Jahrzehnte. 

Etwas bedeutender erſcheint dieſe Ungelegenheit, wenn wir den Inhalt der 
matifchen Differenzpuntte in's Auge faflen, und in biefer Beziehung haben wir 
meift an die griechifchen Quellen zu halten. Der Streit, wie wie fahen, wurde 3 
in den monophufitifhen Streifen geführt, aber durch die Gründe des Philoponns 
hielt ex eine allgemeinere Ticchlich » wifjenfchaftlihe Bedeutung. Die und aufbewah 
Fragmente aus ber Schrift des Legteren Tıarrzang beichäftigen ſich mit den Begriff 
Natur und Wefenheit, Hypoſtaſe oder Prosopon und Individuum 
haben einen durchaus Logifhen und dialektiſchen Karakter. Natur ift ein —* 
Wort, welches ſich nad) beiden Seiten hin erflären läßt. Natur kann gemannt ver 
was viele gleihnamige Dinge mit einander gemein haben; man fpricht von einer Nut 
des Menſchen, des Pferdes oder Schiffes, indem man das allen Exemplaren Weſ 
liche zufammenfaßt. Dann find Natur und Wefenheit, gvors und ovoda, gleiche 
tend und bezeichnen den in unferem Denken geivonnenen Gattungsbegriff (xoıwds Aöysy) 
Der Name Natır kann aber auch auf dasjenige angewendet werden, worin N 
Gattung und Art aufhört, alfo auf diejenigen Merkmale, welche das einzelne Di 
nicht mit gleichartigen verbinden, fondern vom jedem anderen unterſcheiden. Daminke 
die eigenthämlich geftaltete ober zum Imbividuum gewordene Natur gemeint (?dıoamm 
Tog TAG Pvoswg vrapkıc); dann fällt der Begriff Natur mit dem der Hypoſtaſe da 
Perſon zufanmen, und was bie peripatetifche Schule Individuum (drouor) nemt, i 
ganz dafjelbe, als was von den Kirchenlehrern als Perſon oder Hhpoftafe bezeichnet mid 
Aus diefer logifchen Hauptbeftimmung ließen fih nım Sclüffe ziehen theils für N 
richtige Wahl und Faſſung ber dhriftologifchen, theil® der teinitarifchen Formeln. % 
zweien Naturen Chriſti zu veden, ift unzuläffig, denn in ber Beziehung anf Chriſu 
konn Nature immer nur einen concreten, folglich hypoſtatiſchen Sinn haben. Zue 
Hypoſtaſen oder Perſonen laſſen ſich aber in Chriſtus nicht unterſcheiden, weil man⸗ 
fonft aufgeben müßte, fie zu Einer Perſon zuſammenzudenken, und dieſe Einheit ji 
daher den Neftorianern und felbft den Chalcedonenfern ſtets verloren, deren Lehrwei 
anf einen doppelten Chriftus hinführt. Damit rechtfertigt ſich — freilich fehr za 
Schaden ber menſchlichen Wirklichkeit Ehrifti — die Thefis des Donunhufkfiemnt: 
iſt nur Eine nämlich, hypoſtatiſche Natur, welche durch Eingehen in die menſchliche ð 
fcheinungsform in Chrifto offenbar geworden if. Darum ift auch nicht die allgem 
Gottheit, fondern nur die eine Perfon, in welcher das Gottweſen Sriftenz hat, Fleij 
geworden, und ebenfo das Menfchlihe in Ehrifto muß als ein einzelnes Dafeyn a 
gefehen werden. Wenn nun alfo ferner in ber Gottheit felber ein Dreifaches unte 
fchieden werden muß, fo find das ebenfalld drei Naturen oder Perfonen, und ihr de 
hältniß zu ber behaupteten Wefens» oder Natureinheit (hier alfo groıs im allgemeinen 
Sime) ift ganz daffelbe, welches nad, Ariſtoteles ziwifchen den Individnen und } 
Gattung ftattfindet. Darauf wurde entgegnet, daß es zum richtigen Verſtändniß d 
Lehre nöthig fen, die Begriffe Natur und Hypoſtaſe gehörig auseinanderzuhalten, dam 
nicht aus der Mehrheit der Naturen zugleich die der Perfonen und Imbdividuen fol: 
allein Philoponus blieb dabei, daß derfelbe Begriff nicht an ber einen Stelle min 
gebraucht werben dürfe wie an der anderen. Seine Rebe von der Xrinität lief m 
darauf hinans, daß er ein Zufammen- oder Nebeneinanderfeyn dreier Rt 
turen ober real unterfchiedener Exiftenzen lehrte, deren Einheit nur auf der Exkemtet 
ihres gemeinfamen Weſens beruhe. Das war die Confequenz, melde bie Anklage de 


Tritpeiftiiger Streit 859 


takitmnd herborrief; aus dem Philoponns, fagten die Tirchlichen Richter, fe wm 
m Katäoponus geworden, welcher Bater, Sohn und Geift auf Koften ihrer fub- 
iiclen Eimbeit zu eigenen Gottheiten und Naturen gemacht habe. Das Gefährliche 
x Sorftellung@tveife ließ fich allerdings nicht verkennen; die Trinität konnte nur 
krh ein inneres Gleichgewicht ihrer beiden Principien aufrecht erhalten werden; der 
wwoßatiſchen Theilung mußte die Gotteinheit mit felbftändiger Realität gegenüber» 
bien Wird aber das Haupigewicdht auf die Wahrheit der Hypoſtaſen ald Individuen 
gekät, fo tritt da6 ganze Verhältniß auf gleiche Linie mit anderen rein empirischen Ber- 
Inungen einer individuellen Mehrheit mit genereller Einheit, und das Myſterinm fieht 
a Gefahr dev Auflöfung. Dagegen ift uns ebenfo gewiß, daß Philoponus von jeder 
mirlihen Tendenz frei war, er wollte keine heidnifche Dreigdtterei treiben, auch nicht, 
x photins fagt, Naturen und Götter erdichten, noch überhaupt den cqhriſtlichen Glauben 
'utften, daB beweiſen feine Schriften hinlänglich; fein ganzer Fehler beitand in ber 
Mlttigen Anwendung einer Logik des Verſtandesbegriffs, welche bedeutend von derje⸗ 
a abwich, die bis dahin in biefer dogmatifchen Exdrterung vorgeherrfcht hatte. Daher 
hate er auch des Glaubens ſeyn, ſich mit dem Firchlichen Belenutniffen von Nicäa und 
Wafantinopel in vollfommener Mebereinftimmung zu befinden. 

Nunmehr wird fi) auch die Stellung der Übrigen Wortführer zu der Anſicht des 
Bioponus überfehen Laffen. Außer Askusnages waren Konon und Eugenius nebſt 
Km Anhang mit ihm einverflanden, mur in Nebenfragen, wie über Auferfichung und 
Betmde, wichen fie ab. Daminnus aber und die Damtaniften hielten fi, wie Timo» 
Ks Presbpter bezeugt, zunächſt am die orthodore Ausbrudsmelfe von unmerifcher We⸗ 
kaheuheit und Dreiheit der Hypoſtaſen. Aber fie betonten diefe Homoufie und Gott 
ic dergeſtalt, daß mach ihrer Vorftellung bie drei Perfonen nicht von Natur umd 
u fh, fondern raur fofern fie an der gemeinfamen Wefenheit Theil haben, Gott fen 
le Sie ftellten alfo jener abſtrakten Einheit einen durchaus concreten und realen 
Lepif ded Geſammtgottes gegenüber; fie verringerten die Selbſtſtändigkeit der Perſonen 
m ſienen daher der entgegengeſetzten Abweichung zu verfallen. Daraus erklaͤrt ſich, 
Ki fe bom Standpunkte des Philoponus und der Seinigen Sabellianer genannt wur⸗ 
ka, oder auch Tetraditen, weil fie nämlich dem Einen göttlichen Wefen im Unterfcieb 
na den Perfonen ein eigenes Veflehen (ürapkıs) beilegten, fo daß in ihrer Unfchauung 
fe Trinität vier Größen unterfchieden werden fonnten. Auch hießen fie Angeliten 
“item Verſammlungkort Angelium zu Alexandrien. Vergleichen wir mit ihnen bie 

„d. h. Freunde des Beter von Kallinito, fo Tünnen wir die Formeln ber Letz⸗ 
der von den orthodoren nicht mehr unterfcheiden, denn es fam ihnen lediglich darauf 
8 veder der numeriſchen Wefenseinheit nud Homoufle, mod; der Wahrheit der Hypo⸗ 

irgend Abbruch zu thun. Den Damianiften erfchienen fie ſchon als Tritheiten, 
Mhend fie diefe bald Sabellianer, bald Tetrabiten ſchalten. Endlich, erwähnt Timo» 
ku: Presbyter noch eine Nebenpartei, welche nach ihrem Verſammlungsorte Kondo- 
Io? in Eonftantinopel Kondobanditen hieß; fie hielt die numerifche Einheit des We⸗ 
"je, läugnete aber die vollkommene Bleichheit der Perſonen und wurde von dem 
hen Theodoſius dafelbft, der neben dem monopänfitifchen Bifchdfen Paulus und 
blunneg zu den Gegnern der Tritheiten gehörte, mit dem Banne belegt. So künftlich 
w geſucht alle diefe Modififationen and) erfcheinen mögen, fo erflären fie fi doch 
wer Schwankung, welcher das Dogma ausgeſetzt wurde, wenn Einige deffen unita- 
fr, Andere defien teinitarifche Richtung begänftigten. 
‚Später, zu den Zeiten des Nominaliemus und Realiomus, bemerken wir einige 
che Anklänge in der Inteinifchen Theologie. Der Nominalift Roscelin gelangte zu 
im Sage, daß die Drei göttlichen Perfonen als drei für ſich feyende Dinge, tres res 
“te, angefehen werden müflen, weil fich fonft micht begreifen lafle, daß nur bie 
* unter ihnen Menſch geworden ſey; man machte ihm den Vorwurf des Tritheismus. 
dert de la Porret aber, obwohl Ariftotelifcher Realiſt, wollte doc jeder Sabelliant» 





360 Truber, Primus 


ſchen Abweichung vorbeugen; er unterſchied das Objektive und Weſenhafte der ganyı 

Gottheit von den perſoͤnlichen Eigenſchaften, vermoge deren jede einzelne Perſon Ga 

if, aber er verglich dieſes Verhältuiß ebenfalls mit dem der Gattung zu den ihr y 

ae gen Individuen. Die Verhandlungen mit Beiden hatten jedoch feine bedeuten! 
lge. 

Man erlanbe noch eine kurze Schlußbemerkung. Im Ganzen iſt eine ernuſi 
Gefahr des Tritheismus nur ſelten in der dogmatiſchen Entwickelung hervorgetr 
Beweis genug, daß im chriſtlichen Gottesbewußtſehn das Einheitsprinzip jederzeit b 
Ueberwiegende war und blieb. Wäre nun, fo meinen wir, ber chriſtliche Gottesglad 
bon born herein auf eine immanente Wefenstrinität angelegt und hingerichtet gewie 
fo würde es boch weit fchiverer gewwefen feyn, jeden Abweg zum Tritheismus zu ve 
meiden, während in Wahrheit der Sabellianismus fo oft als der naheliegende Beglei 
und Coefficient in der philofophifchen Behandlung der Trinitätslehre erfcheint. 

Bergl. Wald, Hiftorie der Ketzereien. Bd. VIII. S. 684. — Neander, I 
©. 791. 92. — Baur, Gefcichte der Dreieinigfeitsicehre. Bd. II. ©. 510. 516.- 
Dorner, Entwickelungsgeſchichte der Lehre von der Perfon Chrifli. Bd. IL ©. 18 
u. 376. "Dr. Gef. 

Truber, Primus, und bie Reformation in Krain. — Bereits im Jah 
1525 befchwerten fi auf Betreiben des Biſchofs von Laibach, Chriftoph reihen 
bon Ranber, die drei Stände ber Prälaten, Herren und Ritter (alfo mit — 
bloß des Bürgerſtandes) im Landtage des Fürſtenthums Krain über große, durch 
geliſche Prediger und Predigten im Lande verurfachte „Irrſale“. Im Laibach, M 
Hauptftadt des Landes, fammelte fi ſchon 1527 um Matthäus Klombner, eins m 
geiehenen Dann und fpäter (1530) Landfchrannenfchreiber, ein Kreis evangeliſch gefam 
Männer. Die fogenannten Ofener Generalien vom 30. Auguft 1527, mit wie 
König Ferdinand in feinen Rändern die evangelifche Tehre zu unterdrücken fuchte, wurde 
daher (1527) auch in Krain publicirt. Ein Schugbrief König Ferdinand's an ben fe 
triachen Marinus von Aquileja gegen die evangelifche Lehre in Steier, Krain m) R 
Windifhen Mark vom 15. November 1528, ein Iandesfürftliches Verbot des Verka 
evangelifcher Bücher in Krain vom 16. November 1529, ber Befehl bes SKraimili 
Landeshauptmanns Hans Kazianer, die der „Iutherifchen Sekte» angehörigen „Bil 
prebiger“ gefänglich einzuziehen, vom 17. Juli 1530, und das widerholte ni 
Mandat an den genannten Landeshauptmann, wegen des Verbots der ebangelii 
Bücher vom 14. Oftober 1530, beweifen am beften die Exfolglofigkeit dieſer 3 
zegeln und die zunehmende Ausbreitung bed Evangeliums in Krain. 

Noch im demfelben Jahre (1530) begamm ein junger krainiſcher Priefter, Prime 
Truber, in Unterfrain und Unterfleier gegen Mifbräuche in der katholiſchen Ari 
insbefondere gegen die Einwirkungen der angeblichen Viſionen einiger übelberüctige 
Weiber in jener Gegend Öffentlich zu predigen und das Bolt zur rechten Buße und } 
Erkenntniß des alleinigen Heilandes Iefu Chrifli mit deutlihen Zeugniffen der heilt 
Schrift und.nadh Anleitung des chriftlichen Katechismus hinzuweiſen. Truber wur 
Sabre 1508 zu Rafchiza bei Auersperg, 3 Meilen von Laibach, geboren, ein Unter! 
und Erbhold des altberühmten Geſchlechts der Freiherren (fpäter Grafen und für 
von Auersperg. Nad einer unverbürgten Nachricht foll fein Vater Hieronymus Bat 
tholomäus Truber ein Öffentlicher Notar geweſen und von den Bauern bei einem aM 
ftande derfelben (1515) an einem Baum im Walde gehängt worden feyn. In fen 
Rnabenjahren (1521) befuchte der junge Truber die Schule zu Fiume, fpäter die i 
Salzburg und zu Wien, war aber fo arm, baß er ſich fein Brod vielfach erfingen ıı 
erbetteln mußte. Ohne eigentlich auf einer Univerfität fludirt und fid; bie Km 
der griechiſchen und hebräifchen Sprache angeeignet zu haben, kehrte ex (mod; vor 15°.) 
in feine Heimath zurüd, wo ihn Gott zum Werkzeug großer Plane erforen hatte. 3 
Biſchof Peter Bonomo von Trieft fand der junge Dann einen wohlwollenden Beldür 


























Tauber, Priums 361 


m Bohlihäter, welcher ihm durch feinen Einfluß die Kaplanei bei S. Maximilian zu 
dor 1530) und bie Pfarreien zu Lad bei Ratſchach am der Save und zu Tüffer 
wirffte. An den Ufern der Save war es denn, daß Truber zuerſt mit.den erwähnten 
knten auftrat. Im folgenden Iahre (1531) finden tote denfelben im Dom zu Lais 
to er gegen die Ehelofigfeit der Geiftlichen und die Austheilung des Abendmahls 
mn Eimer Geſtalt und von der Rechtfertigung allein durch den Glauben an Yefum 
Iren predigt. Zwar wurde ihm darauf vom Laibacher Bifchof (Ehriftoph Freiherrn 
ma Ronber) das fernere Predigen in der Kathedrale verboten, allein der Stadtmagi⸗ 
ſen dfnete demfelben die unter feinem Patronate flehende Spitalslirche der heil. Eli⸗ 
ieh, mo er fobann unter fteigender Theilnahme des Adels und der Bürgerfchaft tu 
fen Sime umgeflört fortwirkte. Unter anderen Männern geifllichen und weltlichen 
de, die fich ihm anfchloffen, war befonder® der Domherr Baul Wiener (geftorben 

Ä afer evangelifcher Biſchof Siebenbürgens den 16. Unguft 1554), welcher neben 
We fit 1536 das Evangelium predigte nnd fich verehelichte. Zwar mußte fi Truber 
a hre 1540 im Folge eines durch den Krainfchen Landeshauptmann Nilolans Iu- 
Kid, erwirkten königlichen Erlafſes auf feine Pfarrei Lad zurüdziehen, ward jedoch 
ma Leibacher Bifchof Franz Kazioner 1542 zum Domberm in Laibach ernannt und 
u Banl Wiener vom Bifchof Urban Tertor 1544 ſogar mit den deutſchen und flo» 
wider Predigten im Dom betraut. Ein fporadifches Borlommen von Wiedertäufern 
air bei daibach in diefer Zeit (1544) ward weit mehr, als durd; einen landesfürſtlichen 
Beil, duch Truber’s evangelifche Predigten befeitig. Darauf warb ihm 1546 bie 
km deibacher Dommcapitel gehörige Pfarrei zu S. Bartholomäenfeld in Unterkrain ver- 
Re Paul Wiener Hatte ſich nad) dem Tode feiner erflen Gattin zum zweiten Dale 
daherichet und theilte mit Truber im Geheimen das Abendmahl umter beiderlei Geftalt 
WM des war feinen Widerſachern zu viel; er wurde mit feiner Frau nicht nur ans 
vn (amicatshauſe geftoßen, fondern Biſchof Urban Tertor, ein Freund des Ignatius 
u mela und des Claudius Jajus, ließ nad) der flegreichen Beendigung des Schmal- 
hi jden Krieges umd der Abreife König Ferdinand's zum Neichötag nad Augsburg 
Mat 1547) die Häupter des evangelifchen Bekenntniſſes in Krain, den Generalvilar 
3 Drogolig, den Domprobft Dr. Leonhard Mertlig, den Domherrn Panl Wiener 
® Nie ongefehenen weltlichen Mäuner Matth. Mombner, Martin Pregl und Adam 
I gefänglich einziehen. Auch Primus Trubern follte dieſes Loos treffen, ba ex 
gerade im feiner Pfarrei S. Bartholomäenfeld abwefend war, flüchtete er auf 
Writing erhaltene Warnung durch feine Freunde von da an „fihere Orte. Sein 
Im m Laibach jedoch wurde erbrochen, feine Bücherfammlung weggeuommen, er felbft 
Wunmicitt. Bermmthlid ward er jetzt windiſcher Prediger in Trieſt, wo der eban« 
ah defiunte Frauz II. Rizzano Biſchof war. Zwar erhielt er 1548 auf Bitten der 
hiijcen Stände vom König Ferdinand die Erlaubniß, in feine Heimath zurück⸗ 
Miren, verließ diefelbe jedoch fehr bald wieder, wahrfcheinlich weil er das Verbot, 
Phredigen, wicht zu halten vermochte. Bon Landjägern bis an die Gränze Tirols 
Rılgt, gelangte Truber glüdlich nach Nürnberg, wo Veit Dietrich ihn frenndlich anfe 
Auf deffen Borfchlag ward er alsbald (1548) Frühprediger in Rotenburg an 

® Tanber, wo er fi zum erflenmale verheirathete. Bier befchäftigte ex fich zugleich 
Wil, die Sprache feiner Landélente in Schrift darzuflellen, um ihnen im ihrer floves 
höen Sprache das Evangelium zugänglic, zu machen. Eublich gelang es ihm im 9. 
Bö0 einige Schrifichen in diefer Sprache ımter dem erbichteten Namen Philopatridus 
Äyricne zu Tübingen (da die Drudereien zu Nürnberg und Schwäbiſch⸗Hall wegen 
N Interim es abgelehnt hatten) und zwar in deutſchen Leitern erfcheinen zu lafien, 
Mit der geſammien fpäteren flovenifchen Fiteratur der Meg gebahnt wurde. Im 9. 
652 ward Teuber Pfarrer zu Kempten. Duch P. P. Bergerius veranlaft, wandte 
' fd hier auf’6 Rene der Pflege feiner Heimathſprache zu, für welche er jegt (1555) 
R lateiniſchen Schriftzeichen wählte. Zugleich begaum die Veröffentlichung einer flove- 


362 Truber, Primus 


niſchen Ueberſetzung des Neuen Teſtaments (1555 Evangelium Matthät, 1557 | 
Evangelien und bie Apoſtelgeſchichte, 1560 Brief an bie Römer, Alles zu Tübing 
in 4°). Nachdem XTruber 1560 mit dem zu Urach in Württemberg lebenden Freihe 
Haus Ungnad in nähere Verbindung getreten war, wurde bon bdiefem dort die a 
evangelifche Bibelanftalt, eine Anftalt zum Ueberfegen und Druden der Bibel in I 
füdflavifhen Mundarten begründet. Truber war Leiter diefer Anftalt, in welcher 
gleich auch die ferbifche Ueberfegung bes Neuen Teftaments und anderer Bücher du 
Stephan Eonful und Anton Dalmata zuerft in glagolitifcher und alsbald auch in che 
lifher Schrift (beides im Jahre 1561) gedrudt wurden. 

Obſchon Kaiſer Ferdinand die Dfener Generalien von 1527 und das darind 
haltene Verbot der Communion unter beiderlei Geftalt im Jahre 1556 eingeftellt ha 
fo hatte doch die Geiftlichfeit fi nicht zur Austheilung des Abendmahls unter did 
Form berftehen mollen. Gottesdienft, Predigt und Unterweifung wurben arg bernd 
läffigt. Sogar in der Hauptftadt des Landes, in Laibach, wurde felbft am ben hf 
Feſten nicht, und fonft faum einige Male im Jahre Öffentlich gepredigt, und dam m 
bon jungen, frechen Predigern, welche fich oft felbft widerſprachen und biejenigen fdm 
heten, welche das Abendmahl unter beiderlei Geftalt begehrten. Dieß bewog die Lu 
haft in Krain, Trubern 1560 als Landfchaftsprediger ven Kempten mach Laibad y 
rüdzuberufen, welchem Rufe er 1561 folgte. Zwar hatte feit feiner. Entfernung I 
Sahre 1548 bie enangelifche Predigt in SKrain aus Mangel an geeigneten Predige 
manden Stilftand erlitten, ohne jedoch ganz zu verſtummen. So prebigte trotz vl 
facher VBerfolgungen Kaspar Rokavez 1559 bie evangelifche Lehre in der Stadt Ars 
burg. Aber außer dem Bebürfniffe eines tüchtigen evangelifchen Predigers in dei 
felbft, machte ſich auch das eines Ordners und Leiter der ſchon fo weit fortgefärtes 
evangelifhen Bewegung fühlbar. Unmittelbar nad feiner Rüdfehe in die Hemd 
hatte daher Truber die Aufgabe, neben der eigenen Ausübung des Predigtamte A 
firchliche Organifation evangelifcher Gemeinden im Krainer Lande in's Werk zu Ina 
Über e8 fehlte dazu teog der großen Menge von Proteftanten faft an Allem, befonder 
Predigern. Unermüdet zog Truber im Rande umher, predigte, fpendete das —* 
ordnete Gemeinden und ſetzte Prediger ein, wie z. B. Hans Tulſchak und Georg 
ritſchitſch (mit dem Spottnamen Jur Kobila, welchem als Prediger im deutſchen Or 
hauſe am 25. Februar 1561 das Predigen in der dortigen Kirche verboten I 
war) in Laibach, Gregor Stradiot auf dem Karftl, Georg Matfchif in Unterkrain ı 
Inzwiſchen war ber Laibacher Bifchof Peter von Seebad; trog feiner natürlichen 
lenz nicht müßig geblieben, und faum hatte Truber im Jahre 1561 feine und fe 
Familie völlige Ueberfiebelung in die Heimath bewerkſtelligt, fo kamen auf feinen Al 
auch ſchon Befehle vom Kaiſer (12. Auguft 1562), Zrubern ſammt Tulfchal, E 
ſchitſch, Matſchik, Rokavez, Stradiot und Klombner gefänglich einzuziehen. a 
einer wirkſamen Verwendung der Krainifchen Stände änderte der Kaifer feinen 
dahin ab, daß Truber vom Bifchof verhört werden fol. Am 6. und 20. Da 
fand diefe merkwürdige Prüfung flott, bei welcher Truber unter Anderem anch dur 
befragt wurde, ob er die Anrufung der Maria und der Heiligen billige und o! 
Augsburgifher Confeſſion ſey? Zu gleicher Zeit mit dem Bericht des Biſchofs 
die Reſultate dieſes Verhoͤrs ging an den Kaifer auch ein Bericht der Stände über 
Biſchof, in welchem biefer wegen grober Unfittlichfeit (er lebte Öffentlich mit einer ur 
welche er ihrem Ehemanne mit Geld abgehandelt hatte u. f. mw.) und amdere Domerd 
liche wegen Trunkenheit angellagt wurden. In Folge hiervon ließ der Kaifer de 
terfuchung gegen Truber auf ſich beruhen und dagegen eine andere gegen den Fi 
einleiten, welche jedoch auch weiter zu feinem Ziele führte. 

Zruber fuhr in feinen organifatorifhen Arbeiten ungehindert fort. Neue SA 
liche, 3. B. Sebaftian Krel, wurden angeftellt und ein evangelifches Landfcaftsgr 
fium unter der Leitung Leonhard Budina's (1563) zu Laibach errichtet. Insbejen“t 


Tender, Primns 363 


vhktigte fich Truber mit der Abſchaffung einer ſloveniſchen Kirchenordnung nad) bem 
Br: der mürttembergifchen, uürnbergifchen und medlenburgifchen. Ein abermaliger 
ame Befehl des Kaiſers, ihn zu verhaften (im September 1563) kam zwar nicht 
ainsführung, doch fah fi Truber veranlaßt, ſich darauf für einige Zeit als Pre 
Ye mc Rubin bei Gorz zu begeben. Gleichzeitig war ex bon dem übereifrigen 
Ile der Univerfität Tübingen, Jakob Andrei, beim Herzog von Württemberg bes 
klinand verdächtigt, weil er in einem vertraulichen Schreiben an einen freund in 
kıh fihh geäußert hatte, er höre nicht gern bon der Uneinigkeit der Theologen über 
hendmahl; in Kram fen glüdlicher Weife bisher noch von feiner Selte oder von 
feilalt zu hören; bier Lehre und glaube man einhelliglich den Worten Chriſti beim 
Beatmahle, daß wir allda den wahren Leib und das wahre Blut Ehrifit des Herrn 
Bde und im Glauben empfahen und nn wahrhaftig des Leibes und Blutes Chrifti, 
i feiner Verdienſte, theilhaftig machen, nad 1 Kor. 10. Der Herzog von Wurttem⸗ 

ſellte hierauf den Druck der ſloveniſchen Bücher, beſonders der Kirchenordnung 
Inkers, einſtweilen ein und veranlaßte eine genaue Unterſuchung über deren Redit» 
Pehgfeit, Inzwiſchen hatte ſich ein neuer Sturm über Truber's Haupt gefammelt. 
Rach dem Tode Kaifer Ferdinand's (am 25. Juli 1564) hatte defien Sohn, der 
Krige Erzherzog Karl, die Regierung der innerdſterreichiſchen Erblande, fomit auch 
Rent, angetreten. Dexfelbe hatte bei feinem Regierungsantritt ber Krainifchen Land» 
bi die Abftellung aller Befchiverden verſprochen, welche durch bie Türkennoth ver» 
Kalt waren, und verheißen, insbefoudere auch einer Beſſerung der kirchlichen Zuflänbe 
m Iufwerffamleit umd Sorge zuwenden zu wollen. War diefe® vielleicht gegen dem 
keirfentizmus gemeint, fo faßten es doch die Landſtände in anderem Ginne auf und 
Aa m ihrer Antwort, wie ſehr die Ausführung diefes Verſprechens noth thue. 
Bir je doch ganz untangliche Männer zu hohen Kirchenämtern und zu Pfarreien 

“ Männer, welche Anderen ihre Chegattinnen abgehandelt hätten oder fonft mit 
Pmitkher und anderer grenlicher Unzucht behaftet ſeyen; diefelben fizebten alle evan- 
PO geſumten Lehrer zu entfernen, fuchten nur ihren eigenen Gewinn und beranlaften 
M gemeinen Dans, Geld, Kleider umd anderes Vermögen zu opfern, wie noch heu⸗ 

Tages zu Sallon bei Gorz umd im nenen Stift zu Oberburg, der Reſidenz bes 

Fecſt, geſchehen, und wenn eine alte unzüchtige „Bettel« im ihres Geiftes Schwär⸗ 
etwas träume oder eine Offenbarung vorgebe, da bane man nene Stifter und 
Ianfalte Wallfahrten. Die Beiftlichen hätten das Voll auf Irrwege gebracht, der 
gemeine Mann lebe ohne alle wahre Erkenntniß Gottes, verftehe nichts von den 

Geboten und dem Evangelium und ſey in unnügen, äußeren Ceremonien erblinbet. 

unter ihnen ſeyen fo leichtfertig, daß fie gottesläſterlich fich geäußert hätten, fie 

das Abendmahl auch wohl in vier und mehr Geflalten, in einer ſchwarzen oder 

Suppe reichen, wie man's haben wolle. Legthin habe Einer im Lande bei der 
ebor dem Altar den am Abend zuvor übermäßig genoffenen Wein von fich ge- 

Kurz diefelben hätten zu Allem Freiheit umd Alles vollauf, arbeiteten nichte, 
a leine Sorge, leifteten der weltlichen Obrigkeit keinen Gehorſam, mollten außer 
des Eheſtandes leben umd fenen mit abergläubifchen Irrthümern behaftet. 

Dagegen hatten Truber's Widerfacher die beabfidhtigte Einführung einer neuen 
henordnung dem Erzherzog als einen Eingriff in feine Hoheitsrechte dargeftellt und 
dadurch bewogen, wicht allein diefe Kirchenordunng zu verbieten, fondern weiterhin 
| Trubern für immer aus dem Lande zu verbannen. Alle Borftellungen und Für⸗ 
m der evangelifchen Stände beim Erzherzoge blieben fruchtlos. Mit Ende Juli 
15 mußte Truber feine Heimath abermals verlaffen, welche er (mit Ausnahme eines 
d fürgen Beſuchs im Jahre 1567) micht wieder ſah. Ex hinterließ feine Bücher 
falung feinem Baterlande (wodurch er die erfle Öffentliche Bibliothek in Krain grün. 
) und wandte ſich nach Württemberg, wo er zuerſt Pfarrer in Laufen am Nedar 
dann in Derendingen wurde. Nachdem er noch mit Rath und That manches Gute 


364 Trnber, Primus 


bollbradht, 3. B. die flovenifche Ueberfegung der Pfalmen (Tübingen 1566, 8°), be 
Neuen Teftaments (Schluß, Tübingen 1577, 4° ; zweite Ausg. 1582, 8°) und di 
Poſtille Luther’8 (1586, gedrudt Tübingen 1595, ol.) farb hier im Exile der Ref 
mator Krains und Gründer der flovenifchen Literatur am 29. Juni 1586. | 

Das Berfahren gegen Truber war übrigens fein vereinzeltes gewefen; and an 
den Ianbesfürftlichen Städten, wie Stein und Krainburg, und auf des Erzherzot 
. Kammergütern wurden die ebangelifchen Prediger verfolgt und vertrieben. Da je 
die Kammergüter in Krain meift verpfändet und proteftantifche Cdelleute faſt burd« 
bie Pfandinhaber derfelben waren, fühlten fich diefe durch die Maßregeln gegen ie 
Prediger ihrer Kirche fchwer bedrüdt und beſchwerten ſich (Aug. 1565) beim Exahem 
daß er die hriftlichen Predifanten verfolge und die Gewiſſen ber Unterthanen gefug 
nehme. Darüber erzürnte Erzherzog Karl nicht wenig. Eine diesfalls eingeleitete U 
terſuchung endete damit, daß der Concipient jener Befchwerbefchrift (der Sekretär ! 
Landichaft) des Landes veriwiefen wurde. Andererfeitd ward im Jahre 1565 auf Kl 
Marimilian’® II. und feine® Bruders, des Erzherzogs Karl, ernſtes Andringen vi 
Pabfte für die Öfterreichifchen Länder, und fomit auch für Krain, die förmliche, je 
nad) wenigen Jahren wieder zuridgenommene Erlaubniß der Anstheilung dee When 
mahls unter beiderlei Geftalt ertheilt. 

Nach Truber's Weggang von Laibach im Jahre 1565 ward fein biöheriger Häf 
prediger Sebaflian Krel von der Landfchaft an die Spige der evangelifchen Kirk i 
Krain geftellt. Diefer war ein frommer ſtiller Dann, welcher von Jedermann gel 
wurde, aber noch im beften Deannesalter an der Schwindfucht dahinfiechte. Zeh 
wirkte er weniger für die äußere Entwidelung der evangelifchen Kirche, welche di = 
der Stille immer weiter im Lande ausbreitete. In der flovenifchen Landesfprade Kar 
und überfegte er Sirchenlieder und verfahte einen Tleinen Katechismus für den Ei 
unterricht; auch überfegte er den Wintertheil von Spangenberg’8 Boftille in's Krrinite 
(gedrudt zu Regensburg 1567). Im feinem Haufe hielt Truber, als er im Yum 186 
zum letten Dale feine Heimath befuchte, eine Synode ab. Bald darauf, am 
nachtötage 1567, verſchied Krel. Zu feiner Zeit (im 9. 1566) ward ber b 
ſloveniſche Grammatiker Adam Bohoritfh an Stelle des penflonirten Leonhard 
Rektor der Randfchaftsfchule. 

Mehr als ein Jahr verfloß, ehe die Krainifche Landſchaft wieder einen paſca 
Mann für die Stelle eines Superintendenten in Laibach gewinnen konnte. Inzrie 
riffen manche Mißbräuche ein. So hatte der alte windiſche Prediger Hans Tul 
in Laibach eigenmäctig den Chorrod abgelegt und wollte trog aller Ermahnung da 
die Stände fich deffelben nicht mehr bedienen. 

Endlich im April 1569 kam der 23jährige M. Chriftoph Spindler, gebärtig u 
Göppingen in Württemberg, als Superintendent nach Laibach. Gründliche toiffenfhel 
liche Bildung, klarer Verſtand und andere Gaben erfegten, was ihm am Yahren fl 
wobei denn fein frifcher Eifer und feine jugendliche Kraft eine thätige und reich gt 
nete Wirkfamfeit für die evangelifche Kirche entfalteten, während zugleich ein je 
Kreis ausgezeichneter Männer von Adeligen, Geiftlichen und Gelehrten mit ihm zui 
menwirkte. Dabei hatte die evangelifche Kirche in Krain bereits eine ſolche Auste 
getvonnen, daß zu Unfange des Jahres 1570, trogdem daß Tulſchak feines Amtes 
laſſen worden war, 24 deutfche und windifche Prediger, von denen einige aus 
fernen Rändern berufen waren, das Evangelium in Srain verfünbigten und bie % 
mation über die Grängen dieſes Landes hinaus zu den Kroaten umd anderen füdflani 
Stämmen zu dringen begann. Zu ihnen gehörten außer dem Superintendenten Sp: 
die Prediger Kaspar Kumberger, Hans Schweiger, Franz Steiner und Georg 
tichitfch in Laibach, Thom. Jagoditſch in Hopfenbach, Dart. Gorgitſch in Tſch 
Chriftoph Fafhang in Veldes, Thom. Faſchang in Selz, Barthol. Knaffel m Kr 
burg, Hans Gotjchever in Weichfelberg, Pet. Kuplenit bei Radmansdorf, Georg 
































2 





Truber, Primus 865 


Hl bei Matfchach, Michael Mathitſchitſch in Metling, Matth Sivtſchitſch und Gregor 
Eriot am Karſt, Luk. Verbetz in Butenfeld, Gregor Blahovitſch in Nenſtadtl, Hans 
Se in Gurkfeid u. A. 

Spindler'e umfaflende Thätigleit erſtreckte fih auf alle Gebiete des inneren und 
irn Kirchenlebens. Die Armenpflege in der Stadt Laibach, für welche durch Elee⸗ 
wingrier geforgt und durch verfchlofiene, in den Bofthänfern aufgeftellte und bei ben 
kehlhabenden herumgetragene Armenbächfen gefammelt wurde, ward unter feinem Ein» 
ki nen geregelt (1669), Kine Reorganifation der Lanbfchaftsichhule (Gymmnaflum) 
ide duch ihn und Bohoritſch ˖ in's Leben gerufen (1575), für die Öründung und 
Petang der (enangelifchen) Schulen in den Heineren Städten des Landes, wie zu Neu» 
heil, Krainburg, Tſchernembl, Metling, Idria m. f. w. geforgt, die Unterflägung armer 
Shiler geordnet (1679), die Kichenmufll zu hoher Blüthe entwidelt (befonders feit 
WS), eine nene Ausgabe des ſchon 1567 von Truber herausgegebenen flovenifchen 
Kerzbach6 in der nen errichteten Druderei von Hans Mamel zu Laibach beforgt 
59), Im diefer Seit (1577) vollendete auch der num fat 7ojährige Truber feine 
eſehung des Neuen Teftamente. Einige Wergerniffe, welche durch zwei ebange- 
Dr Geiſtliche (Mathitſchitſch und Gotſchever) vorlamen, wußte Spindler theils auf 
Air Beife, theils durch firenge Maßnahmen zu befeitigen, während für, einen befieren 

soflos geforgt wurde. Insbeſondere fete er die Anftellung des von Truber fo 
km empfohlenen Georg Dalmatin (1572) in's Werk, welcher fpäter durch feine ans⸗ 
Briönete flovenifche Bibelüberfegung fo berühmt wurde. Dagegen konnte der befannte 
Ufer Univerfitätslanzler D. Jak. Andrei, troßdem daß ihm beſonders Spindler's 

one Württemberg nad; Krain zu danken war, die Unterzeichnung des fogen, 
— Abſchiedes⸗ Seitens der evangeliſchen Geiſtlichkeit in Krain nicht er 


Eziee Jahre hindurch (1573—1575) traten zwar die kirchlichen Iuterefien vor den 
yitiden etwas in den Hintergrund. Ein fehr gefährlicher Bauernaufſtand, hervor⸗ 
Fre durch die Greuelthaten eines kroatiſchen Edelmannes, verbreitete fi) 1673 länge 
Mr Eore andy nach Unterſteier und Unterkrain, two er jedoch glädlicherweife bald über- 
Ni wurde. Turkengefahr und Türfenfämpfe, bei welchen auch das Haupt der krai⸗ 
Höca Proteftauten, der tapfere und kraftvolle Landeshauptmann von Krain, Herbart 
® Aneröperg, im der Schlacht bei Budafchli am 22. September 1575 das Leben 
br, nahmen die Sorgen und SKräfte des Landes im Auſpruch. Dennoch blühte bas 
Rar Reben der jungen evangelifchen Kirche in Krain lieblich empor, melde aber zu» 

don onen nicht wenig zu dulden hatte. Erzherzog Karl ergriff nicht allein auf 

Kammergätern in Srain, mie zu Neuflabtl (1569 u. f.), Weichſelberg (1570), 
Öxtfeld, Metling, Radmansdorf, Ratſchach (1572) und Stein (1 574) firenge Maß⸗ 
gi gegen die Proteflanten, deren Geiftliche er aus den genannten Orten zu ver⸗ 

befahl, fondern er veranlaßte auch heimlich die geiftlichen ürften, welche in 
m Befigungen hatten, zu gleichem Vorgehen dafelbfl, fo den Bifchof von Brixen 
Heiner Herrſchaft Veides (1572), den Biſchof von Freifingen auf feiner Beftgung 
Ein Oberkrain und den Biſchof von Parenzo in Iftrien, welches damals zu Krain 
rt. Die Prediger wurden verjagt, proteftantiiche Rathsmitglieder (3. B. in Stein 
4) don ihren Stellen entfernt, die evangelifche Predigt in manchen Orten, felbft auf 
Mungen von Edellenten (fo zu Vigaun 1577) unterfagt und den Bürgern ber 
Köffrftlichen Städte (mie in Krainburg 1577) ber Beſuch derfelben firengflens ver⸗ 
”. Da diefe und ähnliche Vorfälle mit den Auficherungen, welche der Erzherzog 
den Krainiſchen Landtagen 1570 und 1576 und im Steieriſchen Landtage 1572 er- 
Ü hatte, daß er nämlich Niemand feines Glaubensbekenntniſſes halber vertreiben, 
d Iemand umverhörter Sache verurtheilen wolle, nicht im Einklang ftanden, fo ver» 
sten fi bie zu einem Generallandtage nach Brud an der Mur zufammenbernfenen 
Mhoftsausfchäffe der drei Länder Steier, Kärnthen und Krain, ſowie der Graffchaft 








366 Truber, Primus 


Görz, weldhe in ihren weltlichen Gliedern bis auf zivei oder brei ber ebangelifäi 
Kiche angehörten, zu einem gemeinfchaftlihen Schritte beim Erzherzoge, um von if 
die Gemährleiftung eines Religionsfriedens und der Gleichberechtigung des ai 
Belenntnifjes zu erlangen, vorher aber fi in feine meitere Verhandlung wegen 
Zürfenfriege, der Gränzen und der dazu nötbigen Geldbewilligungen einzulafien. | 
Am 9. Februar 1578 Morgens vor der Frühmahlzeit ertheilte hierauf der & 
herzog mündlich die fogen. „Bruder Religionspacifikation“, in welcher ex bei fet 
fürftlichen Worte verfprad, die in Steier 1572 zu Graz gefchloffene Religions 
kation zu halten, nämlich daß er die proteftantifchen Landflände in ihrem Gewiſſen 
befümmern noch betrüben, auch die Bauern in ihrem Gewiſſen nicht befchiveren, 
ihnen fo wenig wie bisher wegen der Religion ein „Härl» krümmen wolle. Day 
behielt er ſich die Religionsdispofition in den Städten und Märkten vor, daß fie 
nad) ihrem Gefallen Prediger anftellen follten, wobei er jedoch nicht gemeint ſey, 
Prediger und Schullehrer aus Graz, Laibach, Klagenfurt und Iudenburg zu vertreib 
Auch folle man ihn felbft in feiner Tatholifchen Religion und in feinem Gewiflen ı 
betrübt laſſen und den Predigern keine zäntifchen und fpdttifchen Angriffe geftatl 
fondern ſich brüderlich und chriftlich mit einander vertragen. Das tolle er real 
halten und verfehe fich zu ihnen, fle würden das auch thun. Der Erzherzog 1 





gerte es, diefe Erklärung, welche die Noth der Zeit, befonders der Türkengefahr, i 
abgedrumgen hatte, fchriftlich zu geben, wie er aud; von einer Verbindlichkeit derf 
für feine Nachfolger nichts ausdrücklich bemerkte. Die anmwefenden Cdellente brdl 
fie daher unmittelbar darauf zu Papier und unterzeichneten ſie fänmtlich in vier Gem 
plaren. | 
Diefe „Bruder Religionspacifilation”, welche leider durch den Borbehalt de 
ligtonsdispofition in den Märkten und Städten und durch bie Auslaffung der V 
tung für die Nachfolger, der Verfolgung und fpäteren Unterdrüdung eine Thür ıl 
ließ, war fortan die Grundlage der rechtlichen Eriftenz der evangelifchen Kirche in vd 
Ländern, welde darauf alsbald die weitere Begründung und Entiwidelung dieſer in & 
geiff nahmen. Noch in Brud fchloffen deshalb die Verſammelten eine Sirchenconventi 
in welcher fie fich nicht allein zu gegenfeitigem Beiftand in Nothfällen neuer An 
auf die evangelifche Kirche verpflichteten, fondern auch eine gleichmäßige Geftaltung i 
Kirchen» und Schulwefens verabredeten. Die Ausbreitung der Letzteren geſchah 
Mitwirkung der anmefenden fteierifchen und Tärnthnifchen Theologen, während 
aus Krain feine foldhen gegenwärtig waren, welche die eigenthümlichen Berhältnift 
rade diefes Landes und feiner flavifchen Bevölkerung hätten geltend machen - können, 
es wünfchenswerth und nothwendig gewefen wäre. kan vereinigte fich über eine N 
veritatis und beſchloß nach Maßgabe derfelben eine Prüfung aller evangelifchen Ri 
und Schuldiener, hauptſächlich zur Unterdrüdung des in Steier, zum Theil ond 
Kärnthen ſtark eingerifienen Flacianismus, welcher dagegen in Krain wiemals Ein 
gefunden hatte. Weiter verglich man fich über eine gleichförmige Berfafjung der 
unter einem im jedem Lande aufzuftellenden Kirchenrathe, über die Anftellung des 
fleriums, über die Ordination der Candidaten durch das Minifterium zu Gras, 
die Annahme der württembergifchen Kicchenagende, welche in Krain ſchon feit Joan | 
Gebrauhe war, über die Einführung gleihmäßiger Schulordnungen und Yaflm 
der Schulreltoren, fowie der gleichen Lehrbücher an den landſchaftlichen lateiniſchen 
fen, und endlich über die Herftellung einer windifchen (flovenifcyen) Bibelüherfegung | 
. bie flavifche Bevolkerung in Krain, Unterfleier und Unterfärnthen. | 
Inzwiſchen nahmen die Verbote der ebangeliſchen Predigten und des Befadt N 
felben in den Landesfürftlichen Städten und Märkten, wie in Krainburg und gi 
Ed (1578), in Radbmansdorf und Schloß Bigaun (1579), nad; wie vor ihren ir 
gang, und die Behauptung unerträgliher Schmähung feitens der evangeliſchen Prriix 
zuwider der Bruder Uebereinkunft, mußte dazu den Vorwand bieten, fo daß (1579 ! 










Tenber, Primus 367 


Imideften von Kärnthen (mo ähnliche Verfolgungen flattgefunden hatten) und Krain 
kr zu Brud getroffenen Verabredung gemäß zu einer gemeinfamen Abordnung bon 
Karten an den Erzherzog entfchloffen, welche jedoch durch die gerade zu Laibach ein» 
gime Pe verzögert wurde. Trotz der ſchweren Zeit fchritt die Entwiclelung der 
mrlihen Kirche in Krain immer weiter vorwärts. Georg Dalmatin Hatte mittler⸗ 
selı jene flonenifche Bibelüberſetzung vollendet und die Krainifche Landſchaft berief 
wi Rediſion derfelben eine Berfammlung von Theologen und Philologen aus Steiex, 
nthen und Krain nach Laibach. Vom 28. Auguft bie 22. Oktober tagten hier bie 
Bskriatendenten Dr. Gomberger aus Graz, M. Bernhard Steiner aus Klagenfurt, 
K Ehiftoph Spindler aus Laibadh, dann M. Georg Dalmatin, der Ueberfeger, Adam 
* der berühmte ſlaviſche Philolog und Schulrektor zu Laibach, und noch fech® 


Geiſtliche aus Krain und Kärnthen. Da jedoch Erzherzog Karl den Drud dieſer 
| egung zu Laibach fchon 1580 verboten und deshalb die Mamnnel'ſche Druderei 
WäR geſperrt hatte, fo verzögerte ſich die Vollendung deffelben etwas und kam erſt 
U, unter perfönlicher Leitung Dalmatin’3 und Bohoritſch'e, zu Wittenberg (Witten 
id. Krafft's Erben, 1584, Fol.) zu Stande. Schon 1581 war zu Tübingen auch 
Mpeite Unsgabe der Txruber’ichen Ueberfegung des Neuen Teftaments erfchienen. Noch 
81580 mar im Krain die Eomcordienformel durch 20 Kirchen⸗ und 10 Schul 
Nor miergeichnet worden, welche ihrerfeits in den folgenden Jahren hauptfählih an 
u Berbeflerung des Schulwefens im Lande arbeiteten. Da es bejonders an Predi- 
ma in der flovenifchen Landesfprache mangelte, fo veranlaßten fie die Landftände zur 
X von drei anſehnlichen Stipendien für Landeskinder, welche die Theologie in 
Ukiagen ſindiren wollten. Auch hatte ſchon früher der Gerzog von Württemberg auf 
“da Truber's Andringen beivilligt, daß ſtets zwei Pläge in dem fürftlichen Sti- 
vadtım, welchen: Michael Tiffernus, ein geborener Kraiuer, im 9. 1559 teflamentarifd; 
m Eitng von bier Stellen zugefügt hatte, Stubirenden ans Krain vorbehalten ferm 
hl Um einen befferen Nachwuchs dafite ſchon im Lande heranzuziehen, wurde ber 
krübete De, Nikodemus Friſchlin im Jahre 1582 nad) Laibach berufen, wo er bis 
—T Anguſt 1584 Rektor des landſchaftlichen Gymnaſtums war, von welcher Stel⸗ 
in beggugehen jedod nur fein unruhiger Geift und feine Unluft, fi Anderen unter- 
wm, ihn veranlaften. Im Jahre 1584 wurde auch in Krain der nenverbefferte 
“der eingeführt, und zwar mit geringerer Schwierigleit als anderwärte. Die for 
Mm Springerfelte, welche 1589 von Unterfleier her fih and nah Krain 

ete und troß ſtrenger Maßregeln und anfcheinender zeitweiliger Unterbrüädung bis 
—5 — Jahrhundert ſich fortpflanzte, berührte glädlicher Weiſe die evangeliſche 

dieſes Landes nicht. 

Reben dem regen inmern Leben der evangelifchen Kirche ging aber auch fort und 
"ie Verfolgung her. Die höhere Tatholifche Geiftlichkeit, nicht ohne Anregung 
Unterſtützung Seitens des Laudesfürften, machte ihren Einfluß gegen die Brote- 
Ka immer mehr fühlbar. Während der Erzherzog aus Krainburg, Metling, Rad⸗ 
Mor die Evangelifchen mit ihren Familien felbft von ihren? Eigenthum vertrieb 
180), nach Vertreibung aller Evangelifchen ans der Grafſchaft Gorz (1581) auch bie 
Khlichften Proteſtanten ans dem Markt Wippach verbannte, den Bürgern und 
nern zu Krainburg, Radmansdorf, Bifchoflad, Ratſchach und Stein den Beſuch evan- 
Über Gottesdienfie und felbft die Herbergung der Prediger bei ſtarken Geld. und 
füngnißſtrafen unterfagte, wobei der Stadtrichter von Stein den evangelifchen Bürgern 
Mt das Leſen evongelifcher Bücher verbot, verſuchte der Domprobſt von Laibach, 
Ihe Frendenſchuß, fo weit er nur konnte, die Beerdigung ber verſtorbenen Prote⸗ 
kn, auch ans den hödften Ständen, 3. B. ber Gemahlin des Freiherrn Hans zu 
ecbberg, zu verhindern, ober doc nur gegen Exlegung hoher Summen zu geftatten. 
° Biihof von Parenzo ließ auf den evangelifchen Priefler Mathes Sivtſchitſch zu 
erburg (Pisino), defien Berhaftung vom Erzherzoge dem Hanptmanne zu Mitter- 


368 Truber, Primus 


burg, Adam Treibern Schwetfchlovitfch aufgetragen war, in deſſen Abweſenheit di 
Priefler und Gerichtsdiener fahnden, und ihn, da er in feiner Wohnung nicht gefun 
wurde, unter dem Läuten der Gloden im ganzen Bistum und unter Öffentlicher Beln 
madhung in effigie verbrennen (1582). In Tolge diefer andauernden Berfolguy 
welche in ähnlicher Weiſe auch in Kärnthen und Steier flattfanden, vereinigten fd d 
drei Länder zu einer gemeinfamen Religionsbeſchwerde beim Heichötage zu Auge 
1582, welche jedoch ohne merklichen Erfolg blieb. Vielmehr wurden die Bedrüdm 
und Bertreibungen ber Proteflanten in Srainburg (1588 ff.), Wippah (1584 fj)ı 
Metling (1585) nicht allein immer firenger durchgeführt, wobei der proteftantifche &a 
richter don Krainburg gegen die beftehenden Rechte und Privilegien (deren Berluft f 
früher angebrohet worden war) abgefegt wurde, und der evangelifche Prediger zu 9 
ling, Peter Wokmaniz, zu einem proteftantifhen Edelmann flüchtete und in eine 
deſſen Befltung fchnell errichteten hölzernen Kapelle feine Predigten fortfette, ſom 
die Bifchdfe von Brixen und Freifingen begannen auch auf Veranlafjung des Exyim 
und. in Verabredung mit ihm auf ihren Beflgungen in Krain zu Veldes und Ladd 
mals die völlige Unterdrüdung des Proteflantismus einzuleiten. | 

Im Auguft des Jahres 1583 exrfchienen Commiffäre des Biſchofs von Briyn 
defien Herrfchaft Veldes in Oberkrain und befahlen den evangelifchen Unterthanen wir 
fatholifch zu werden, oder binnen einem halben Jahre ihre Huben zu verlaufen mi! 
aus der Herrfchaft zu begeben; zugleich verboten fie ihnen bei 100 Dukaten Stufe: 
evangelifche Predigt und Communion im Schloſſe Vigaun zu befuchen. Beides ma 
nicht befolgt, obgleich ber. Verwalter und der Pfarrer zu Veldes 1584 die Ki 
wiederholten, unter Androhung einer weitern Geldftrafe von 50 Dufaten. Im ieh 
1586 famen aufs Neue Brirner Gefandte nach Veldes und ließen bie evantzen 
Unterthanen, weil fie den Befehlen nicht Folge geleiftet, in greuliche Gefängniffe ner 
wo fie bei der grimmigen Winterfälte beinahe verderben mußten, und ihrer zwei, & 
tobt herausgenommen, kaum am Leben erhalten werden konnten. Auf ihre Beide 
fhritt die Qandesregierung ein, allein die Brixen'ſchen Commiſſäre wollten deren Ir 
nungen feine Folge Leiften, indem fie fi) auf die Billigung und den zugeficherten & 
des Landesfürften ſtützten. Diefer verfuchte nicht nur feinerfeit® (1586) die Ah 
des evangelifchen Gottesdienftes zu Vigaun zu unterdrüden, fondern verwies 24. 3 
1587 fogar den DVerorbneten der Landſchaft ihre im diefer Ungelegenheit an is 
richtete Befchwerdefchrift, worauf der nächfte Landtag am 8. Febr. 1587 bor 
diefer und anderer Neligionsbefchwerden die Geldbewilligung nicht verhandeln zu "I 
erklaͤrte. Defienungeachtet mißbilligte der Erzherzog des Verwalters ber Landeiba 
mannfchaft, Wolf Grafen Thurn, eines Proteftanten bisheriges, den Landeögefega ! 
Lanbesrechten ganz entfprechende® Verfahren, und ermuthigte duch feine Billige 
Brirenfhen Commifjäre in ihrem Vorgehen zu beharren. Dieſe vertrieben barani ci 
mächtig die Proteftanten mit Gewalt von ihren Huben, und widerfegten fid roh 
durch die Landesregierung angeordneten Wiedereinfegung bderfelben bis zu Anstr:i 
Sache. Da fie biebei ſogar ihre katholiſchen Unterthanen bewaffneten und 3 
Veldes rüfteten, fahen die Landesregierung und die Landſchaft fich gendthigt zu Aut 
erhaltung ihrer Autorität und des Landfrievens 40 Pferde des LTandesaufgebotet it 
Beldes zu fchiden. Im dieſer Noth wandten ſich die Brigen’fchen Commiffäre or | 
Erzherzog, durch welchen nicht nur diefe militärifche Vorkehrung unmittelbar geil 
fohlen, fondern endlich auch mit Verlegung der beftehenden Landesfreiheiten und hi 
und unter Bloßſtellung feiner eigenen Landesregierung das Unternehmen der Brei 
Commifjäre durch feine eigenen Iandesfürftlichen Befehle zu Ende geführt murde 
Proteftanten mußten die Herrfchaft Veldes 1589 verlaffen, erhielten jedoch nacht; 
Entſchädigung für ihre verlaffenen Huben. 

Zu gleicher Zeit unternahmen ebenfalls mit heimlihem Schutze des Ente! 
Commiffäre des Bifchofs von Freifingen (Herzog Ernſt's in Baiern, zugleich Churri 





Zruber, Primms 869 


ale, mit welchen Erzherzog Karl durch feine Gemahlin Maria, Herzogin in 
dern, nahe verjchwägert war) auf deſſen Beſitzung Lad in Oberfrain die Unterbrüdung 
u vroteſtantiemus daſelbſt. Die mohlhabenderen Broteflauten in Lad wurden 1586 
Bagen, zum Theil in eigen® dazu hergerichtete, ſcheußliche, unterixdifche Befängnifie 
garten und nad) längerer Zeit muır gegen Erlegung einer hohen Summe von 3—500 
Iitvufoten wieder freigelaffen; Andere wurden bloß mit bedeutenden Geldſtrafen be- 
kt, die Unvermöglichen und Armen mit Weib und Kind ans der Herrfchaft vertrieben. 
biiß Beamte der Landſchaft, 3. B. dee Eimehmer Arnoll, bie al folde nur ımter 
w Berihtsbarteit der Landſchaft felbft flanden, wurden gefangen geſetzt und verwiefen; 
k Etat Lad wurde geräftet. Beſchwerden bei den Berorbneten und den Lanbftänden, 
wie diefer beim Erzherzog, und ihre Borflellungen beim Bifchof von Yreifiugen, daß 
j veiterem Fortgang folcher Verfolgung Lad, die bedentendſte Gewerbſtadt Krains, in 
Zeit einem bloßen, verlaffenen Dorfe gleichen, und bei gleichen Berfahren der 
hen Grundherrn gegen ihre katholiſchen Unterthauen das ganze Land in's 
eben geſtürzt werde, — alles war umfonfl, und am 20. Decht. 1588 befahl eine 
tfürftliche Refolution ben Kreifingifchen Eommiffären alle Broteflanten nad) 14tägiger 
it an6 der Stadt und Herrſchaft Lad zu vertreiben, wobei ihnen zugelafien 
‚ imerhalb eines beflimmten Termine ihre Güter durch Gewaltträger zu verlanfen. 
Bar bei allen diefen Vorgängen einerfeits die Nichtbeachtung der anerfannten und 
Münorenen Randesprivilegien höchft bedenklich, fo erfchien andererfeitS das Beſtreben der 
Biädfe von Brixen und Freifingen, ſich bon der erſten Iuftanz ber Landesobrigleit zu erimi. 
 mberlennbar vom Landesfürften begüinftigt, während fie bisher als Befiger diefer Herr- 
Aeiten me Mitglieder der Krainifchen Landſchaft geweſen waren, und das Stift Freifing, 
wi nie eine getfiliche Zurisbiktion in dieſem Lande gehabt hatte, wegen der Herrichaft 
td ie ſogar nur unter den weltlichen Herren wie unter dem geiftlichen Stande ber 
dat feine Stelle gehabt hatte. Sohin begann mit diefer Unterbrüdung des Prote⸗ 
—RXX zugleich eine beſorgnißerregende Lockerung der Verfafſung Krains. 
dei dieſen argen Verfolgungen der Proteſtanten kann es nicht mehr Wunder nehmen, 
tij die toangelifchen Prediger, wie Spindler und Knaffel (1686), Pyroter (1587), bei 
kn Antsreifen im Sonde Beſchimpfungen und Mißhandinngen Seitens katholiſcher 
Kiefer und bon ihnen angeftifteter Leute ausgeſetzt waren. Befahl doch der Erzherzog 
Be 1587 die Bertreibung und Verhaftung des Predigers Hans Gotſchever in Rat⸗ 
kö, und wurde mit feiner geheimen Einwilligung der Prediger Peter Kuplenik am 
N Jımi 1587, als ex von der Commmmion eines todtiranken Hammergewerken zu Eifnern 
‚ in der Nähe diefes Ortes überfallen, vom Pferde gerifien, auf das Schloß 
ms Gefängniß gebracht, und von da heimlich über das Gebirge nach Gorz, und 
über bie Gränze bes Ödfterreichifchen Gebiets nach Udine gebracht, und bee Gewalt 
W Botriorchen von Aquileja, als feines vorgeblichen geiftlihen Obern (Kuplenik war 
Ber latholiſcher Geiſtlicher gemefen) überantwortet, aus welcher er erſt nad) Längerer 
M durch die ernſteſte Verwendung der Krainifchen Stände wieder befreit wurde. Dem 
kn Prism Truber war es erſpart geblieben, ſolche traurige Nachrichten über feine 
Ianfigen Umtsgenoffen aus der Heimath zu vernehmen; er war am 29. Juni 1586 
'Derendingen bei Tübingen in Württemberg fromm und fanft verfchieden. 
3m Sabre 1687 verbot Erzherzog Karl aud) dem evangelifchen Predigern in Laibach 
' Rmforifge Auslbung ihres Amtes im der Umgegend der Stadt. Jumer uner- 
hüder wurde das Verfahren der Tatholifchen Geiftlichteit bei der Beerdigung prote 
Stier Leichen; den. adligen familien wurden bie von ihren Borfahren geflifteten 
helen und Erbbegräbniſſe gefperrt und ihre Leichen in die Hundsflälle und unter 
Hochgerichte gewieſen; hohe Summen wurden für die Erlaubniß zur Beerdigung 
telben verlangt; Orte, wo fie beigefeßt waren, wurden behandelt, als ob fie tm Bann 
m. Bürger und Banern waren noch übler baran umd gerade bei Trauerfällen auch 
% dem Schimpf und Spott- ausgeſetzt. Allertvärts im Laube gab es hin und her 
“al + Exrpklopädie (kr Theologie und Rise. Euppl. II. " 


370 Tauber, Brimus 


unbeerdigte Leichen von Proteftanten, am fchlimmften aber war es in Oberkaim, | 
der Laibacher Domprobft unmittelbaren Einfluß ausübte. Diefer Mann, Namens Kat 
Frendenſchuß, juchte durch übereifrige Verfolgung der Evangelifrhen umd duch ungen 
geheime Berichte an die höcfte Stelle die Flecken auszuwafchen, mit denen er fen 
Karakter und feinen Lebenswandel befubelte, fo daß endlich im Jahre 1594 die Lu 
flände fich veranlaßt fahen, ihm megen begangenen Todſchlags, mit feiner Stiefſchwe— 
getriebener Blutſchande u. f. mw. als infam aus allen ihren Verſammlungen anazufhluh 

Während diefe tranrigen Vorgänge und die VBerfolgungen und Bertreibungen | 
Proteftanten in Veldes, Radmansdorf, Lad, Krainhurg, Vigqun, Ratſchach, Senoff 
Mitterburg u. f. w. 1588—1590 ihren Fortgang nahmen, farb Erzherzog Karl ı 
1. Juli 1590. Mit feinem Code trat unter ber Regierung der Vormunder und Gab 
uatoren des minderjährigen Erzherzogs Ferdinaud eine Zeit größerer Ruhe und Crla 
terung für bie evangelifche Kirche in Krain ein, wenn fchon die Bedrückung nicht gı 
aufhört. Zwar waren in legterer Zeit auch viele der hervorragendſten evangeliid 
Geiftlihen diefes Landes aus dem Leben gefhieden, wie Schweiger und Sivtihä 
1585, Neapolitanus 1586, Reya 1587, ‚Georg Dalmatin am 31. Auguft 1589, u 
auch der Superintendent Spindler ftarb nach längeren Leiden im Herbſt 1591 ia 
45 Yahre alt, aber die nachgewachſene Generation arbeitete rüftig in der Weile ! 
Bäter weiter. Man unterflügte den Bau einer evangeliſchen Kirche in Karlkı 
(Kroatien), forgte für das Gymnafium in Laibach, leitete die Anlegung eines eige 
evangelifchen Friedhofs bei Laibach ein, und forgte für den Drud der fluid 
Meberfegung der Poſtille Luther's, welche der alte Primus Truber handſchriftlich kim 
laſſen hatte (gedrudt zu Tübingen 1595, fol). Einzelne Gewaltthaten, wie di AH 
handlung des proteftantifchen Schulmeifters zu Metling durch Gdrzer — 
ihn und feine Schüler, als fie am Weihnachtstage 1593 fingend im die Kirche 
mit Schneeballen beivarfen und mit ihren Waffen verfolgten, ober wie die Verteilte 
und Verhaftung der evangelifchen Bürger der Stadt Stein 1594 durch den Dose 
Freudenſchuß und den Landespicedom Camillo Suarda, u. a., gaben öfters Anlıf | 
Religionobeſchwerden der Landflände beim Megenten. Gegen Ende des Jahres 13 
flarb nah kurzer Amtswirkſamkeit Spindler's Nachfolger Barthol. Simplicins, » 
früher eine Zeit lang evangelifcher Feldprediger in Karlſtadt geweſen war, und an | 
Stelle kam M. Felician Truber, ein Sohn Primus Truber's, der feit 1580 als Prof 
in Laibach wirkte, und unter dem die evangelifche Kirche in Krain ihr Ende fan a 
fie unter feinem Vater ihren Anfang genommen hatte. 

Im Jahre 1595 übernahm Erzherzog Ferdinand (fpäter Kaifer Ferdinand 
bisher Zögling der Jeſuiten in Ingolftadt, felbftändig die Regierung feiner vite 
Erblande, und damit begann auf's Neue das unduldfame und firenge Verfahren 
die Proteftanten im denfelben, welches in den legten Regierungsjahren Exzherzog % 
geherrfcht hatte, und von der allgemeinen Stimme der Zeitgenoffen dem Einfluſſt 
Jeſuiten zugefchrieben wurde. Im Krain zeigte fidh dieß zunächſt an dem eben fo ft 
als mit den Landesfreiheiten in Widerſpruch fiehenden Maßregeln, welche zut 
drüdung des Proteftantismus in Wippach 1595 ff. und in Krainburg 1597 ange 
wurden; unerfchwingliche Geldſtrafen, Einferferung und Vertreibung der Protefia 
folgten einander. Unter Gutheißung des Erzherzog wurde der evamgelifche, uf} 
Grunde des Treibern Hans Wilh. von Schnigenbaum, eines protefloatifchen ü 
mannes, gelegene Friedhof bei Wippad am 2. Dat 1597 durch dem Lanbridter ı 
ben Pfarrer von Gorz mit Beihilfe bewaffneter Diener verwüftet und zerftört, gi 
welchen getvaltthätigen Angriff auf einen freien adeligen Grundbefitz, und offenen Pu 
des allgemeinen Landfriedens die ſich beſchwerenden Landflände vom Landesfärften ku 
Schutz erlangen konnten, vielmehr mit ihren Beſchwerden zur Ruhe verwieſen wud 
Ahneten fie doch fo wenig, welches Schidfal der proteſtantiſchen Kirche in Kram ben 
Rand, daß fie noch 1597 ein Haus im der Judengafſe zu Laibach für bie enangeli‘ 
Landfchafteichule anlauften und einrichten laſſen wollten. 


Tauber, Preis 371 


Koch Lalbach, wo zumeiſt in Folge der allgemeinen Verbreitung des Proteflantis- 
wma das Franzistanerkloſter ganz leer fland, famen 1596 bie Sefniten, und 
in fih hier, vom Landesfürften begünftigt, bald in einem eigenen Haufe fe. Mit 
in ging Hand im Hand ber Domdechant Thomas Kreen (Chrön), ein Sohn bes 
Biber evangelifchen Hathöäheren Lienharb Kreen, welcher früher ofters ale Bürger- 
rin die hochſte Ehrenftelle in feiner Vaterſtadt befleivet hatte. Um 18. October 
391 enmmie Erzherzog Ferdinand, welcher and in biefem Jahre (13. April) ſich 
ven zu Laibach huldigen lie und (20. Dezember) die Privilegien bes Landes 
han, der Windiſchen Mark und Wetling’s beftätigte, den erwähnten Domdechanten, 
In öhten Gegner der Proteftanten,” zum Biſchof von Laibadı. 

So waren bie Borbedingungen erfällt, unter welchen allein der Flug ansgefonnene 
Wil erivogene Plan einer gänzlichen Ausrottung des Proteflantisnms in Krain 
ihrer war, vorfichtig genng angelegt, um bon den Opfern felbft nicht erfannt und 
WÜif zu werden. Blieben doch die proteflantifchen Stände des Landes faſt bis 
Mm Shlafle des traurigen Dramas, welches nım begann, in der naiven Hoffnung, daß 
Bid Magen, Bitten und Flehen den Foriſchritt des verhängnißvollen Schickſales 
Water Unmten, welches im Berborgenen über das Eude der evangelifcken Kirche 
2 und der anderen inmerdfterreichifchen Ränder beſchlofſen war. — Zunächſt erging 
Mr Befehl des Erzherzogs vom 18. Februar 1598 an die Freiherrn von Lanthert, 
Dichter, als Bfandinhaber von Wippach, die ihnen für Unterlaffung der Vertreibung 

er von dort in Widerſpruch mit den Landesrechten angebrohte 

Str tom 8000 Gulden zu bezahlen, und die thnen früher namhaft gemachten Per- 
ma fit ans allen Öflerreichtfchen Ländern unter ber Drohung anf ewig zu verbannen, 
he, im Fall eier oder der anderen von ihmen nach Verlauf eines Monats darin 
x been wurde, unmittelbar eingegogen und mit bem Strang vom Leben zum Tod 
lizeihet werben follte. Und doch hatte Freiherr Hans von Lantheri wirklich ſchon 
m: Di 1597 allen Supanen (Hichtern) des Gerichte Wippad bei Strafe bon 
10 Dalaten in Bold auferlegt, daß fle, falls nach Verlauf von 6 Wochen noch eine® 
I upeiriehenen 5 Hänpter der Proteflanten irgendwo im Gericht betreten würde, 
br Sturm Länten, auf fie fahnden, nnd fie gebunden in's Schloß führen Iaffen 
Mr, Unf die über diefe Vorgänge geführte Beſchwerde der Randfchaft befahl ihr der 
9, ſich künftig in diefen, fle nichte angehenden Sachen jebes Anbringens zu 
da er tm widrigen all dasfelbe nicht annehmen, viel weniger eine Antwort 

Mi erfolgen Laffen werde. Bom Bicedomamt in rain wurde ferner ber Bürger 
der Städte Metling und Tſchernembl bei Strafe don 8300 Dukaten in Gold 

» evangelifche Prediger in oder vor der Stadt predigen ober die Sacramente 
—2 zu laſſen, fie zu beherbergen, ober ihrer Lehre zu gehorchen. Im Iumi 1598 
I Die Unterthanen der Herrſchaft Pletriach vertrieben und mit Gefängniß bebroßt. 
2. Juli 1598 wurde der ebangelifche windifche Prediger M. Joh. Suoilſchit, ein 
migerfohn Spindler’s, welchen Weilhard Freiherr zu Uuerfperg ale Patron feit 
men Wochen zum Pfarrer in Auerſperg und S. Kanzian berufen hatte, durch lan⸗ 
Weigfeitfichen Befehl auf ewig aus des Erzherzogs Ländern verbannt, und ihm an- 
—* daß er, falls er nach Berlauf von 8 Tagen noch darin betreten werde, Leib 
Leben verwirkt haben folle; er flüchtete nach Kroatien zum Grafen Serin (Zriny). 
& Veſchwerde der Landflände Aber dieſes Berfahren wurde vom Erzherzoge abweislich 
hieden, während Freiherr Weilhard zu Auersperg nach Graz an Hof erfordert wor⸗ 
bar, Da jedoch deſſenungeachtet der von eigenen Iandesfürftlichen Commiſſären 
S. Kanzian geſetzte iatholiſche Pfarrer nicht in den Genuß feiner Bfrände gelangen 
Kt, erfdien mährend ber Abweſenheit Weifharbs und feines Bruders Dietriche 
deren zu Auersperg am 6. September 1598 der Landrichter mit 100 Schüben vor 
a; Aueröperg; auf den Uuerspergifchen Gerichtsdiener wurde gefchoflen, dem 
rüber (auf defien Habhaftwerdung ein Preis von 100 Dulaten gefegt war) wurde 

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370 


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312 Zıuber, Print 


bis zur Mauer nachgeſetzt; alles Bich aus den Stile wm: 
Getreide wurde weg und nad S. Kanzian geführt; dabei mr: 
der Erbfeind dagemefen wäre. Es ließ ſich unter den os: 
voransfehen, daß die Klage, welche die Berordneten der Stix: 
hörte® gefegmwidriges und landfriedenbrädhiges Verfahren ir‘ 
herzoge führten, ohne Erfolg bleiben würde. Wugemfdeinkt i 
Freiherrn von Anersperg in Krain, wie die Freiherra von fix 
beide die hervorragendfien Adelsfamilien, und dieſe wie ja 
ſtanten in beiden Ländern, zum Gegenflande eines Berjahmi 
welches nichts anderes folgen konnte, als — um was ber um 
Laibach zu diefer Zeit in einem Briefe an die firenglatholifd: % 
einfiußreihe Mutter des Landesfürften gebeten hatte, — bie zz 
Broteflantismmms in Laibach wie überhaupt in Steiermart, Lich 
Bon einer Reiſe nach Rom zurüdgelehrt erließ Erzherzog * 

1598 (für Graz ſchon am 28. Septbr. 1598, für Kllagenfut: 
den Befehl, daß alle damals in Laibach anweſenden Predigr 
der Augsburgifchen Eonfefflon zugethan feyen, Angeſichts diejd! 
Bredigens, Fungirene und Schulhaltens in feiner ihm gehir 
gänzlih enthalten, vor Sonnenuntergang die Stadt und derm 
halb dreier Tage alle feine Länder bei Berluft Leibes und Lebe 
diefer Befehl, deflen Ausführung zu überwachen vom Lanbesfir 
Kreen übertragen wurde, am 1. November 1598 im Laibad 
Biſchof in feierlicher Prozeſſion in die ftädtifche Spitallirche, p 
evangeliſchen Bücher, zerſchlug den Taufſtein, und las Meſſe de 
der Stände ſuchten zwar die Vollziehung dieſes tief betrübenden 
und ein oder der andere Prediger hielt fich noch eine Zeit I 
im Lande verborgen, allein endlich war es doch bei den heil 
möglich, diefem firengen Befehle des Landesheren auf die Dane 
die Verhandlungen der drei Tänder Steier, Kärnthen und Kram, 
ſchwer zu gemeinfamen Schtitten ſich geeinigt hatten, führten 
einigen Befchluffe, aber damit felbft nicht zum gewünfchten Ziel 
fuchte fort und fort mit Bitten und Flehen, wit lagen und Bd 
Borgänge zu ändern, von denen man nicht erkannte, daß fe 
foftematifch und confequent durchgeführten Plane waren. Die E 
bewilligung, oder auch nur die bedingte Bewilligung der Joh 
unousführbar, weil die Türkennoth eben fo fehr die Ränder als 
So ging denn nad) und nad mit der bisher beftandenen 
Stüd der politifchen Landesfreiheiten verloren, und mit dem Unter: 
Kiche begann in diefen Ländern zugleich die Begründung de : 
Die evangelifhen Prediger, welche in fo harter Weile os 
worden waren, M. Felician Truber, M. Nikol. Wuritſch. M T3 
Kumprecht und M. Georg Element flüchteten fi eine Zeit lang := 
der proteftantifchen Cdelleute in rain, zeitweife auch über bie & 
vom wo fle bisweilen in ihr Vaterland zurückkehrten und ber“ 
Eoanzelisuns durch Predigt und Abendmahl flärften umd mike 
gränhten die Jefuiten, da das proteftantifche Landſchaftegrnaria⸗ 
wer, ihre neue lateiniſche Schule zu Laibach. Inzwiſchen ginge ' 
Erʒerzegs Schritt für Schritt weiter. Während die proteſtantite 
5 jegt durch Errichtung eines eigenen evangelifchen Friedt:ret 7 
gab me Iegte rubiae Schlummerftätte zu bereiten fichten, bei 
15. Tegemier 1593 den Prediger Georg Sitaritſch und andere 2 
Ki: eeınzelifhe Geifllihe aus dem Schlofje Krupp in Iste-“ 





























T:ıber, Sam Truber, Primus 373 


TS 1000 Golddukaten gegen den Schloßherrn, vertreiben, — befahl 
j Ina 7% t 1598 den von den drei Landfchaften erhaltenen Mitgliedern und 
8.5 2eſtriegsſraths in Graz Tatholifc zu werden, — drohete am 1. Februar 
e > Bezueten ber krainiſchen Landfchaft, welche fi über diefe nnd ähnliche 


"na ze E — verurtheilte anf umgegründete Denunciation, ohne Unterfuchung 
ze ienh. Stoffel, einen früher in Iandesfürftlichen, fpäter in landſchaftlichen 
22, ze rflondenen Mann, am 12. Mär; 1599 zu einer Strafe von 1000 fi., 
etz u außer der Stadt von einem evangelifchen Prediger habe taufen Laflen, 
=, 4-3. April 1599 die Gattin des vertriebenen Predigers Tel. Truber 
era wife binnen acht Tagen aus Laibach und allen feinen Rändern, worauf 
3 ca = Aalmandate am 17. Yuli 1599 die Verbannung der Frauen aller 
2 3 ⸗Aiger umd Lehrer in Laibach binnen drei Tagen folgte, — und ver⸗ 
riegitdler zu Hopfenbach, bloß weil er fein Enteltind durch den von ber 


er, 2 


» ..og 


4 zorge: Dulaten in Gold (auf Fürfpradhe der Landſchaft am 9. Juni 1599 
:. ine Iczherabgemindert), fo mie zwei Kauflente und Bürger zu Laibach, Namens 
u as und Hans Ambfchl, weil fie mit Erlaubniß der Verordneten der 
‚a: a zuzinder auf dem new angelegten evangelifhen Friedhof bei Laibach hatten 
a kam: Yeden zu 100 Dukaten in Gold, worüber fie fogar in's Gefängniß 
rate: Dazu flreiften die Türken brennend, raubend und mordend durch 
eng ine des Jahres 1598 fogar bis im die Umgegend don Laibach, und um 
7 anche ; Leiden dieſes unglüdlihen Landes voll zu machen, brach im Frühijahr 
. * „md an etlichen auderen Drten die Peſt aus, fo daß die Verwaltungs⸗ 
” er „zidaft, die Landesregierung, die Gerichte und die Poſt von bort nad 
u mn Pr mußten, wohin auch der Landtag am 29. Yuni 1599 ausgefchrieben 
sel * „s Adel des Landes und die Beamten in ſo ſchweren Zeitläufen ſich um 
* nzym Troſtungen der Religion und bes Wortes Gottes ſehnten, wurde 
ee „roren, daß fich während biefer Zeit der Prediger Mark. Kumpredt auf 
am, 8 ug FU bei Stein aufhielt. Als Erzherzog Ferdinand dieß erfuhr, erließ er an 
h gez Kreuz, Achaz Grafen von Thurn, am 18. Aug. 1599 ein höhfl un 
= #9, Märeiben mit dem firengen Befehl bei 5000 Dutaten Strafe Angefichts 
were BETT den Prediger M. Kumprecht, wo er denfelben in feinem Gebiete be- 
n mi ct⸗ einzuziehen und dem Landeshauptmann zu überantivorten. Gleiche 
ten 1.0 En Herbart Freiherrn von Lamberg, wegen des im Schloſſe Egg ob 
ze De genen M. Felic. Truber bei 3000 Dukaten in Gold, an Frau Sabina 
a enen des aus Kroatien nach Krain zurüdgefehrten und bon ihr beher- 
ꝛa tud ESunoilſchik bei 2000 Dutaten im Cold, despleichen an die Witwe 
ala EP von Lamberg, wegen des M. Georg Element. Auch an Niclas Frei 
ind x Xging am 4. November 1599 ein landesfürſtlicher Befehl, durch welchen 
se 0 8 7 Jahren im Schloffe Egk wohnhafte Prediger Barthol. Knaffel aus dem 
A. XE. S wurde. Deffenungeachtet wurden bie Verfolgten bin und her in den 
sten U 2° Adels geborgen und oft vor drohender Gefahr gefchügt, da in Folge 
‚ czer Slhen Exlafjes vom 18. September 1599 der vicedomifche Randrichter in 
a wu” Landes verwieſenen Predigern auf das Eifrigfte nachflellte um fie zu 
„re, Haft zu bringen. So rettete z. B. Herr Anton Berfchopitfch, ein Edel⸗ 
m Rah, zu Landspreis dem dort verfledten M. Joh. Suoilſchik. Am frühen 
22 FI. Dezember 1599 war ihm nämlich angezeigt worden, daß über Nacht 
Se 2 dem Tatholifchen Pfarrer in Treffen angelommen feyen, worauf diefer 
72 nterthanen bewaffnet aufgeboten habe. Ahnend, daß es dem treuen chriſt⸗ 
Bez gelte, verachtete er die Warnung nicht, ließ ſchnell feine Leute ans den 
. ge? nicht von der Peſt befallen waren, zufammenfordern, und ritt aus, um 


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372 Sender, Primns 


bis zur Mauer nachgefegt; alles Vieh aus den Ställen umd alles fchon eingerm 
Getreide wurde weg und nah ©. Kanzian geführt; dabei ward übler gehauft, als w 
der Erbfeind dageweſen wäre. Es ließ fich unter den obiwaltenden Umfländen m 
borausfehen, daß die Klage, welche die Berordneten der Stände gegen ein fold' w 
hörte® geſetzwidriges und landfriedenbrüchiges Verfahren der Randesbehörbe beim | 
herzoge führten, ohne Erfolg bleiben würde. Augenſcheinlich ift es, daß gerade 
Vreiheren von Auersperg in Krain, wie die Freiheren von Khevenhüller in Käraii 
beide die hervorragendften Adelsfamilien, und diefe wie jene die Häupter ber 
flanten in beiden Ländern, zum Gegenftande eines Verfahrens auserſehen waren 
welches nichts anderes folgen konnte, als — um was der neue Biſchof Thomun 
Laibach zu diefer Zeit in einem Briefe an die firenglatholifche Exrzherzogin Man, \ 
einflußreiche Mutter des Landesfürften gebeten hatte, — die gäuzliche Unterbrädus;] 
Proteftantismus in Laibach wie überhaupt in Steiermark, Kärnthen und Krain | 
Bon einer Reife nach Rom zurückgekehrt erließ Exzherzog Ferdinand am 22. Och 
1598 (fir Graz ſchon am 28. GSeptbr. 1598, für Klagenfurt erſt am 1. Iami IH 
den Befehl, daß alle damals in Laibach anwefenden Prediger und Schuldiener, ud 
der Augsburgifchen Confeſſion zugethan feyen, Angefichts diefes Befehls fi alles ned 
Predigens, Fungirens und Schulhaltens in feiner ihm gehörigen Hauptfladt beh 
gänzlich enthalten, vor Sonnenuntergang die Stadt und deren Burgfrieden, und in 
halb dreier Tage alle feine Länder bei Verluſt Leibes und Lebens verlaſſen folten ( 
diefer Befehl, defien Ausführung zu überwachen vom Landesfürften dem Biſchof ZU 
Kreen übertragen wurde, am 1. November 1598 in Laibach eintraf, begab Add 
Bischof im feierlicher Prozeffion in die ftädtifche Spitalkicche, zerriß die dort hast 
ebangelifhen Bücher, zerfchlug den Taufftein, und las Meſſe daſelbſt. Die Bat 
der Stände fuchten zwar die Vollziehung diefes tief betrübenden Befehle hinanta 
und ein oder der andere Prediger hielt fich nod eine Zeit lang im Landhaus, IA 
im Lande verborgen, allein endlich war e8 doch bei den herrfchenden VBerhälifin ! 
möglich, diefem ſtrengen Befehle des Landesherrn auf die Dauer zu widerſtreben 
die Verhandlungen der drei Länder Steier, Kärnthen und Krain, welche fchon frite 
ſchwer zu gemeinfamen Schritten fich geeinigt hatten, führten nur langſam j 
einigen Beſchluſſe, aber damit felbft nicht zum gewünfchten Ziel. Man Hoffte un 
fuchte fort und fort mit Bitten und Flehen, mit Klagen und Beſchwerden diefe 
Vorgänge zu ändern, von denen man nicht erkannte, daß fie nur der Andi 
fuftematifch und confequent durchgeführten Planes waren. Die Verweigerumg det 
bewilligung, oder auch nur die bedingte Bewilligung der Jahredſtener war fd 
wnausführbar, weil die Türkennoth eben fo ſehr die Länder als den Landesflr 
So ging denn nad; und nad mit der bisher beftandenen Glaubensfreiheit © 
Städ der politifchen Landesfreiheiten verloren, und mit dem Unternange der evan 
Kirche begann in diefen Ländern zugleich die Begründung der abfoluten 
Die evangelifhen Prediger, melde in fo harter Weife aus Laibach 
worden waren, M. Felician -Zruber, M. Nikol. Wuritſch, M. Daniel Xylander, 
Rumpreht und M. Georg Clement flüchteten fich eine Zeit lang von Schloß zu 
der proteflantifchen Edelleute in Krain, zeitweife auch über die Gränze und) 
bon two fie bisweilen in ihr Vaterland zurüdfehrten umd heimlich die Anhis 
Evangelismus duch Predigt und Abendmahl ftärkten und tröfleteen. Im diel 
gründeten die Jeſuiten, da das proteflantifche Landfchaftsgymmnafium gefchlofien 
war, ihre neue lateinifhe Schule zu Laibach. Inzwiſchen gingen die Maßna 
Erzherzogse Schritt für Schritt weiter. Während die proteftantifchen Landſtaͤnde 
fih jetzt durch Errichtung eines eigenen evangelifdhen Friedhofes bei Laibach 
noch eine legte ruhige Schlummerflätte zu bereiten fuchten, ließ der CExghen 
15. Dezember 1598 den Prediger Georg Sitaritfh und andere aus Laibadı di 
flüchtete ebangelifche Geiftlihe aus dem Scloffe Krupp in Unterkain, unter 













Truber, Primus 373 


m Gelbſtrafe von 1000 Golddukaten gegen den Schloßherrn, vertreiben, — befahl 
sH. Dezember 1598 den von ben drei Landfchaften erhaltenen Mitgliedern und 
kein des Hoftriegsraths in Graz Fatholifch zu werden, — drohete am 1. Februar 
R ven Beamten der krainiſchen Landfchaft, welche ſich über diefe und ähnliche 
ninge frei geäußert hatten, unter neuem Bruch der Landesprivilegien mit gefäng- 
e Eimiehung, — verurtheilte anf ungegründete Denunciation, ohne Unterſuchung 
Urtheil, Melch. Stoffel, einen früher in Iandesfürftlichen, fpäter in Landichaftlichen 
a Imtern geftandenen Mann, am 12. März 1599 zu einer Strafe von 1000 fi., 
In fein Kind außer der Stadt von einem ebangelifchen Prediger habe taufen lafien, 
verbonnte am 3. April 1599 die Gattin des vertriebenen Predigers Fel. Truber 
fünerer Strafe binnen acht Tagen aus Laibach und allen feinen Ländern, worauf 
feines Specialmandats am 17. Juli 1599 die Verbannung der Franen aller 
reliſchen Prediger und Lehrer in Laibady binnen drei Tagen folgte, — und ver⸗ 
We Sol. Zeidler zu Hopfenbach, bloß weil er fein Enkellind durch den von der 
Maft dort angeftellten evangelifchen Prediger hatte beerdigen laflen, zu einer 
iR von 400 Dukaten in Gold (auf Fürfprache der Landfchaft am 9. Juni 1599 
20 ronen berabgemindert), fo wie zwei Kaufleute und Bürger zu Laibach, Namens 
R Sämeiger und Hans Wınbfal, weil fie mit Erlaubnig der Werorbneten ber 
ſaft zwei Kinder auf dem nen angelegten evangelifchen Friedhof bei Laibach hatten 
Den lafſen, Jeden zu 100 Dulaten in Gold, worüber fie fogar in's Gefängniß 
win wurden. Dazu fireiften die Türken brennend, ranbend und morbend durch 
a, gen Ende des Jahres 1598 foger bis in die Umgegend von Laibach, und um 
Vu der Leiden diefes unglüdlihen Pandes vol zu machen, brach im Frühjahr 
Na daibach und am etlichen anderen Orten die Pet ans, fo daß die Verwaltungs⸗ 
St Ver Londfchaft, die Landesregierung, die Berichte und die Poſt von dort nad) 
eu hafiedeln mußten, wohin auch der Laudtag am 29. Juni 1599 ausgefchrieben 
Mt Da der Adel des Landes und die Beamten in fo ſchweren Zeitläufen fi um 
ner nach den Treöflungen der Religion und des Worte Gottes fehnten, wurde 
wcltng getroffen, daß fich während biefer Zeit der Prediger Mark. Kumprecht auf 
Shloffe Kreuz bei Stein aufhielt. Als Erzherzog Ferdinand die erfuhr, erließ er an 
Beflger vom Kreuz, Achaz Grafen von Thurn, am 18. Aug. 1599 ein hödft un- 
het Berweisfchreiben mit dem firengen Befehl bei 5000 Dufaten Strafe Angefichts 
berordnung den Prediger M. Kumprecht, wo er denfelben in feinem @ebiete ber 
 gefänglich einzuziehen und dem Landeshauptmann zu überantworten. Gleiche 
k famen an Herbart Freiherrn von Lamberg, wegen des im Schloffe Egg ob 
Bid verborgenen M. Felic. Truber bei 3000 Dulaten in Gold, an Fran Sabina 

berg, wegen des aus Kroatien na Krain zurüdgelehrten und von ihr beher- 

M. Joh. Snoilfchit bei 2000 Dukaten in Gold, desgleichen am die Witwe 
kth Freiin von Ramberg, wegen des M. Georg Clement. Auch an Niclas Frei⸗ 
Mm Egk erging am 4. November 1599 ein Landesfürftlicher Befehl, durch welchen 
vielen Jahren im Schlofle Egk wohnhafte Prediger Barthol. Knaffel ans dem 
verbannt wurde. Deffenungeadhtet wurben die Verfolgten hin und her in den 
fern des Adels geborgen nnd oft vor brohender Gefahr geſchützt, da in folge 
erzhergoglichen Erlafſes vom 18. September 1599 der vicedomifche Landrichter in 
den des Landes verwieſenen Predigern auf das Eifrigſte nadflellte nm fie zu 
' und in Haft zu bringen. So rettete 3. B. Herr Anton Berfchopitfch, ein Edel⸗ 
im Unterkrain, zu Laudspreis den dort berftedten M. Joh. Suoilſchik. Am frühen 
en des 11. Dezember 1599 war ihm nämlich angezeigt worden, daß über Nacht 
Lente bei dem fatholifchen Pfarrer in Treffen angekommen fegen, worauf diefer 
d ferne Untertanen bewaffnet aufgeboten habe. Ahnend, daß es dem treuen chrifl- 
Prediger gelte, verachtete ex die Warnung nicht, ließ ſchnell feine Leute aus dem 
wvelche nicht vom der Peſt befallen waren, zufammenfordern, und ritt ans, um 











374 Sıuber, Brimmd 


fi} näher über die Sache zu erkundigen. Bald erfuhr er, daß der Landrichter mit | 
bewaffneten Bauern des fatholifchen. Pfarrers bereit3 ausgezogen fey, um fein Haus 
überfallen und den unfchuldigen Prediger aufzuheben. Dem zuborzulommen eilte er 
ſchnell als möglih in fein Haus S. Martin bei Yandäpreis, two er gewöhnlich wohl 
zurüd, und erfuhr Hier, daß der Landrichter fein Volt ſchon beim Schloffe Landsp 
verftet habe. Herr Petſchovitſch Tieß hiervon fchnell feine Nachbaren, Herrn Schrön] 
zu Aich und Herren Pelzhofer zu Schneckenbüchel benachrichtigen jund beftieg ein frif 
Pferd nach feinem Schloß LTandepreis zu reiten. Da traf: er den Landrichter be 
bon vier bewaffneten Leuten, welche ex frug, was das verftedte Kriegsvolk 
worauf ihn der Landrichter demüthig um Auskunft über den geſuchten Prediger 
indem berfelbe dabei andentete, daß er nocd nicht gefrühftücdt habe, bot ihm fi 
Petfhovitfc einen Imbiß in S. Martin an, und erſuchte ihn dort feine Rucleht 
erwarten, was bderfelbe annahm. Inzwiſchen waren Herr Schränfler und Herr P 
hofer angelommen, mit welchen Here Petſchovitſch nad) feinem Scloffe Landepreis x 
er fand daſſelbe förmlich belagert, fprengte alsbald das Kriegsvolk felber an, und 
ftreute und vertrieb e8 ohne einen Streich zu thun. Nach fo verrichteter Sache k 
er mit feinen Nachbarn in fein Haus S. Martin zurüd, mo file den Landrichter 
trafen, mit ihm fröhlich zu Nacht tafelten, und dabei erfuhren, daß im den nid 
Tagen ein Gleiches gegen die übrigen Prediger vorgenommen werben folle, was 
lich Here Petſchovitſch am andern Tage den Verordneten der Landſchaft fchleumigf u 
zutheilen nicht unterließ. Während man fo die Prediger möglichft lange im kan 
erhalten fuchte, hatte die Landſchaft es für ratbfamer gehalten, die Lehrer an der a 
fen und Lateinifhen Schulen in Laibach, zulegt am. 18. Auguſt auch den erſt mda 
1. Juni 1598 new angeftellten Rektor der Landſchaftsſchule M. Engelbert Engl a 
ihrem Dienfte zu entlaffen und abzufertigen. Da aber der. Erzherzog mit feinen Di 
regeln gegen die Proteftanten fortfuhr, indem er fie von allen Öffentlichen Aemtere 
ſchloß, jelbft gegen einzelne evangelifche Bürger mit großer Strenge verfuhr, mi 
befondere gegen die Prediger immer ernflere Verfolgung eingeleitet wurde, wie 
z. B. im Januar 1600 Chriftoph Stivez, evangelifcher Prediger. in Seifenden, 
fiebzigjähriger Greis vom vicedomiſchen Landrichter mit Gewalt aufgehoben und ge 
den, wie wenn er ein Uebelthäter wäre, auf das Schloß zu Laibach in's Gef 
gebracht wurde, welchem Scidfale im gleichen Monat M. Georg Element und M. 
Xylander nur dadurch entgingen, daß die Berordneten. die Edelleute, bei denen fr 
aufbielten, heimlich „citissime” warnen ließen, — fo eraditeten es die Stänk 
nöthig, im Frühjahre 1600 auch die hin und her gehetten Prediger, welche fe Di 
zu fchügen nicht im Stande waren, aus. ihrem Dienfte in das Exil zu entlaflen, 
Mark. Kumprecht (am 14. Ianuar 1600) M. Dan. .Xylander (am 28. Februar 160 
M. felic. Truber, M. Hans Suoilſchit, M. Nilol. Wuritſch, M. Georg Element, 
Teldprediger Greg. Sitaritfh, M. Abel Faſchang u. A. Die Crilirten fanden U 
Theil in andern Ländern freundliche Aufnahme und Anftellung; M. Felic. au 











Pfarrer zu Grünthal in Württemberg, M. Dat. Xylander 1610 Pfarrer zu Woit 

in Oberöfterreih. M. Joh. Snoilfchif hielt fih 1602 als „Erulant“ im Tüubingen 
und wurde auf Empfehlung der dortigen theologifchen Facultät Lehrer zu Sontheim 
der Herrfchaft Rimburg; von hier. beriefen ihm bie evangelifchen Stände in Niederl 
veih 1609 als Prediger nach Herrenals; da er ſich aber tvegen der Verufung ! 
Prediger Georg Bayer dahin mit den Berordneten entzweite, ward er 1615 bil 
entlaffen, und flarb 1617. Aber nicht allein die lebendigen Verkündiger bes Era 
fiums, fondern auch die flummen und doc fo gewaltigen Zeugen beffelben, bie heil 
Schrift und die proteftantifchen Lehr» und Erbauungsbücher follten im Lande pertl 
werden. Dieß war für die Vernichtung des Proteflantismus unter den Säbflaven 8 
fo wichtiger, als dieſe einen ſolchen Verluſt nicht wieder erſetzen konnten, wie dieß CH 
den bdeutfchen Proteſtanten in ben andern Öflerreichifchen Ländern möglid; war. 73 


Truber, Priuu⸗ 376 
st zugleich Die ganze biäherige, noch fo jumge ſlobeniſche Literatut vernichtet wurde, 
Sumerte die lirchlichen Ciferer nicht. Die Sache ſelbſt auszuführet blieb der von 
kirıog Ferdinand ernannten, von ihrem -Borfigenden, Bifchof Kreen, am 22. Deyeurber 
m aöfinetin Religions - Reformations⸗ Commiffion vorbehalten; welde ihre Wirk. 
ist wit einem Autodafé von proteflantiihen Büchern inangurirte, welche am 
#. Dezember 1600 (8 Wagen vol) auf dem Markiplage zu Laibad; den Flammen 
letzehen wurden. Um 9. Januar 1601 wurden ebendafelbfi abermals 3 Wagen voll 
Wetih verbrannt. Derfelbe Vorgang wiederholte fi} in den anderen Städten des 
hakt, wohin die Reformations⸗Commiffion anf ihren Neifen zur Unterdrüdung der 
kuzelihen Kirche kam, fo in Stein am 8. Febrnar 1601, in Krainburg am 17. Februar 
wi, und in Lad am 19. Februar 1601, wo überall die zufammengeforderten prote⸗ 
hetihen Bücher auf Bffentlihem Plage, zum Theil neben dem Pranger verbramt 
kat. Außerdem fmchte die genannte Commiſſion, welche der Erzherzog mit Rechten 
u bollmachten ansgeftattet hatte, die er felbft nad) den Landesprivilegten nicht beſaß, 
Wh Ueberredung, und wenn diefe'nicht half, durch Strafen die Proteftanten fük die 
Meiihe Kirche zu gewinnen; fo wurden z. B. Anfangs April 1601 Mutter umd 
Meſter des Predigers Suoilſchik in's Gefängneß getvorfen. Der Biſchof Kreen und 
E deſuit P. Henricus Bivarins predigten und die Reformations⸗Commifſion befahl 
ka dirgern vom Laibach, von denen wenigſtens nennzehn Zwanzigſtel der evangelifhen 
Arte arzehbrten, eutweder katholiſch zu werden oder auszuwandern. Der evangeliſche 
füerhef bei Laibach wurde am 22. Jannar 1601 zerſtört, indem die Bretterwände ber 
Ueiıfang abgeriffen, auf die Gräber geworfen und dort verbrannt wurden; das Terrain 
wir dem Spitale zugeeignet. Die evangelifhen Kirchen zu Sreuz bei Stein und zu 
Sera wurden mit Pulver gefprengt, der Friedhof zu Kreuz mit Feuer vermäflet. So 
ee die Commiſfion auch zu Mansburg, Kronau, Asling, Rabmansborf, Neu⸗ 
wur, kopp und Weißenfels in Oberkrain, fpäter zu Weichfelberg, Rudolfewerth 
Mich), Landſtraß, Tichernembl umd Metling, wo bie evangelifhe Kirche in Brand 
Mit wurde. Andere von den Proteflanten gebrauchte Kirchen wurden bem Latholifchen 
Üt zemeihiet. Selbſt die Ruhe und Heiligkeit der Gräber wurden mißachtet. Im 
iR Sirde des Burgerſpitals zu Laibach, deren ſich die Evangelifchen mehr als ein 

Jahrhundert Lang bedient hatten, wurden die Gräber gedffnet, die dort beigeſetzten 

M, zam Xheil der angefehenften Männer, melde fi um ihr Vaterland die höchften 
Ielife erworben hatten, ausgegraben und nädhtlicher Weile in den unfern dorbei- 
den Fluß Laibach geinorfen. Im fünf andern Kirchen ließ Biſchof Kreen bie dort 
sten Reichen evangelifcher Prediger, in einer fechften die ber Gattin eines Predigers 
ben und in's Wafler werfen. Beſchwerden darüber‘ und über die vielfache Unter⸗ 
“ng der Landesfreiheiten bei'm Landesfürften blieben ohne allen Erfolg; hatte ber- 
K& doch bereits am 28. September 1600 ein Schreiben der proteflantifchen Land⸗ 
m Krain, worin biefelben fich auf ihre vom Landesfürften befchtvorenen Landes⸗ 
md Freiheiten freimüthig berufen umd gebeten hatten, ihre Wohnungen, welche fie 
enft gegen dem geimmigen Haſſan Paſcha ritterlich geſchirmt hätten, gegen bie 
Weiepfichen Uebergriffe des vicedomifchen Landrichter® zu fchügen, mit den heftigflen 
Mirüden und Berweifen im Original zurüchgeſchickt. Die ganze Eriften und Wirk 
heit der Religions » Reformationd » Commiffion war an und fir ſich ein Bruch ber 
Wesprivilegien, dem fie war durch den Landesfärften ermächtigt, unbetämmert um 
Em Land beftehende Recht unb Gericht in fonveräner Weiſe vorzuladen, Geld und 
Mngnißftcafen zu verhängen, Cigenthum zum confisciren, zu verbannen, und den 
Peunig vom Bermögen, Erwerbe und Erbe der Betreffenden zu erheben. Bon 
R tingetriebenen Steafgeldern und bem 10. Pfennig wurdeun einerfeits die Koſten der 
;utiflon befteitten, andererfeits die Greichtung des Jeſuiten⸗-Collegiums in Laibach 
kefügt Dem letzteren flofien ans diefen den Proteflanten abgepreßten Geldern zu: 
"be 1601: 5000 fl, 1602: 5000 fl. und ein bon einem vertriebenen Proteſtanten 


376 ° Truber, Primus 


ftatt Baarem hinterlaffeneg Haus zu einem Seminar für arme Schüler, 1603: 3000 f, 
überhaupt von 1601 bis 1620: 16,000fl., von denen etwa 8300 fl. bezahlt mb —*— 
noch ausſtändig waren. Dazu ſtellten der Biſchof und die katholiſchen Landſtaͤnde az 
20./24. Ianuar 1601 im Landtage den Antrag, daß die evangelifchen Stände alle fl 
die evangelifhen Kirchen und Schulen gemadten lnfoften, als die Befolbungen u 
Penfionen der Superintendenten (für Primus Truber allein 7000 fl), Brei 
Rektoren und Lehrer, die Ausgaben für VBücherdrude, die Unterflägungen von St 
diaten und Alumnen, die Koften der Gefandtfchaften in Religionsfachen, die Verſorg 
und Schenfungen des legten Jahres an evangelifche Privatperfonen (10,000 fl.), [m 
die für die Häufer der vertriebenen evangelifchen Prediger beiwilligten Kauff 
fammt deren bezahlten Intereſſen den katholiſchen Ständen zu des Baterlandes 
meiner Wohlfahrt reftituiren, und auf eine Zeit lang bloß Katholifche zu Verordn 
genommen werden follten. Hatte diejes für jest wohl keinen Erfolg, fo waren dag 
bon defto größerer Wirkung die Dekrete des Erzherzogs vom 12. Nobember 16 
vom 1. März 1601 und vom 12. September 1602, mit welchen er jede Ausih 
der evangelifchen Lehre in Steiermark, Kärnthen und Krain, in Kirchen, Schulen, Shlöfie 
und Privatwohnungen unterfagte, und allen Predigern, Xehrern, Präceptoren, Schreib 
und Schulmeiftern, welche nicht der Latholifh-römifchen Religion anhängig, ols 
rührern, bei Berlieren ihrer Habe und Güter, ihres Leibes und Lebens binnen 8 
alle feine Ränder zu verlafien gebot, und den evangelifhen nobilitixten Perfonen, | m 
den ebangelifchen Pflegern und Schreibern, Bürgern und Bauern der Cbdellent 
weder Latholifch zu werden, oder mit Hinterlaffung des 10. Pfennigs auszuwanden 
fahl; die bisher fchon Verbannten, weldye noch nicht ausgewandert waren, ai 
14 Tage Termin bei Verluft all ihrer Habe und Gutes; den Landfchaften wurde © 
Friſt von 6 Monaten beiilligt, um ihre ebangelifchen Beamten durch Tatholifde p» 
fegen; wer Verbannte aufnehme, der folle an Leib und Gut geftraft werden; bie Bild, 
Präleten und Erzprieſter follten durch ihre untergebenen Geifllichen Seelenliften ce 
Perfonen, die das 16. Lebensjahr überfchritten hätten, verfaflen und genan anmeit 
laſſen, wer in beſtimmtem Termine gebeichtet und commmmicirt habe oder nicht; die da 
der Geiftlichkeit angezeigten Ungehorfamen folle jeder Gerichtsherr, bei 1000 © 
dulaten Strafe, fammt aller ihrer Habe und Gütern einziehen und gefangen jegen, 
darüber ein ordentliches Verzeichniß am die Niederöfterreichifche Regierung (zu &4 
überſchicken. Machte nun zwar gerade die übertriebeng Strenge diefer Berortuu 
ihre fofortige Ausführung unmöglich, fo war damit doch die Grundlage zu den [ru 
Lofeften Berfolgungen in den nächſten Yahren gegeben. 
So verfuhr 3. B. 1603 Chriſtoph Harrer, einer der Religions Reformati 
Commiſſäre iu Krain, gegen einige zaghafte Bauern in der Umgegend von Kram 
welche auf die Vorladung der Commiffton zu erfcheinen fc gefürchtet hatten, af M 
Rückſichtsloſeſte. Er nahm einige Leute in Krainburg zu fi, zog mit ihn = 
Mitternadht hinaus in das Dorf Kreuz, wo alles ruhig im erſten Schlafe lag, & 
überfiel die Betreffenden mit bewaffneter Hand, obwohl ſich Niemand zur Gegen 
ftellte; unter großem Tumult wurden die Häufer aufgebrochen, die Bewohner and % 
Betten geriffen, gefchlagen, gebunden und in's Gefängniß abgeführt; Kiften umd Kar 
wurden erbrochen, die Häufer, Stallungen und Drefchtennen niedergeriffen, bamit mm 
ein folcher Iammer angerichtet, daß ein ehrlicher Bürgerdmann aus Krainburg on e 
Stelle todt blieb; Andere wurden hart befchädigt; ſchwangere Frauen und Kinder fell 
aus Furcht und Schreden in ſchwere Krankheiten, woran mehrere flarben. Zwar de 
Hogte ein Edelmann den Commiſſär Chr. Harrer wegen Landfriedensbruc vor da 
Hofrecht (dem Gerihtshofe des Adels), allein Erzherzog Ferdinand verbot am 27. Jasıı 
1604 und wiederholt am 19. Juli 1606 diefe Klage, obſchon er ben Biſchof Fr 
und die Religions - Reformations - Commiſſion gleichzeitig ermahnte, nicht zu weit # 
gehen, ihr Amt mit Diseretion zu handeln und die Randesfreiheiten wicht zw verleh® 






























Truber, Primns 377 


Somit begnügte fi die Eommeiffton in ben nächſten Jahren bie Vertreibung der 
wärten Perfonen und der Beamten der Landfchaft, insbefondere der beiden Land⸗ 
ip Pantaleon, Bater und Sohn, des Rentmeifters Waflermam, und des Wochen⸗ 
Yet: Einnehmers Tauffrer, durchzuführen, fo mie die von ben Ständen im Land» 
hr aufbewahrten evamgelifchen Bücher in ihre Gewalt zu bekommen, was jedoch beides 
Im Widerfiveben der Landſchaft nicht gelingen wollte. Dennoch fühlte fich ber prote⸗ 
wölhe Adel des Landes ſtark genug, die Angriffe auf feine alten Freiheiten möglidhft 
pachten, wie denn im September 1609 abermals eine dahin bezügliche Borftellung 
den Landesflicflen von 33 Wdeligen, darunter die Namen der altberühmten Yamilien 
wrverg, Egk, Gall, Kazianer, Lamberg, Mofchlan, Baradeifer, Rasp, Ranber, 
har, Schnitzenbaum, Semenitſch, Sigesdorf, Thurn, Waagen, Werned u. A., 
Krriönet wurde. Dagegen traten Biſchof Kreen und die Religions. Reformations« 

fion im Anfang des Jahres 1610 wieder um fo firenger auf. Der Bifchof 

‚Ne proteſtantiſchen Gerichtobeamten mitten ans der Gerichtsſitzung vorladen, drohte 

kmalt in das Landhaus zu fallen und die enamgelifchen Bücher von dort wegzu⸗ 
Ken, und verfuchte fich und bie Jeſuiten den Gerichten des Landes zu entziehen und 
Ba gemptem Gerichtoſtand zu behaupten. Nachdem Erzherzog Ferdinand am 8. De. 
W afliet hatte, daß ex Lieber alles in die Schanze fchlage, als ihren Bitten nach⸗ 
Wien, hatten die proteflantifchen Landflände Krains in Gemeinfchaft mit denen bon 
Karl uud Karnthen Geſandte nach Wien gefendet, nm von dort aus die Vermitt⸗ 
a 1x6 deutichen Kaiſers und des Könige von Ungarn beim Erzherzoge wegen biefer 
ctitſachen machzufuchen. Der Erzherzog, hiervon unterrichtet, befahl am 12. Ionuar 
NO den Laudſchaften, fie hierin verdächtiger Handlungen beſchuldigend, hie Geſandten 
Ft xrictzurufen, was jedoch wicht geſchah. Darauf rief der Erzherzog felbft bie 
Kai zurück und verwies fie mit ſcharfen Androhungen in ihre Heimath. . 

Am mit all dem der beabfichtigte Zived der Katholifirung der nieberöfterreichi- 
Ger duder, und ſomit Krains, nicht erreicht wurde, fo begann die Meligions- Refor⸗ 
nin⸗Commiſſion bier ihr Werk mit neuem Eifer 1614—18. Bei aller Strenge 
ir fie jedoch nie die Klugheit aus den Augen. So hätte man z. B. gern den 
Meer von Wordl in Unterkrain, einen proteftantifchen Edelmann Namens Juri (Georg) 
wliiſch, vorgeladen, allein man befchloß ihn umperturbirt zu laſſen, weil man be⸗ 
W, derfelbe möchte fich fonft, da er nicht zum Krainiſchen Adel gehörte, außer Lande 
At, und dann auch feine Gemahlin und 6 Kinder ebangeliſch madjen, es fe aber 
Rt Einem feinen Gefallen zu laſſen, ale 7 Seelen zu verlieren. In diefer ſchweren 

Daren es befonder® die Franen, welche in Glaubenstrene ein bewundernswerthes 

gaben. Der Erzherzog befahl daher im Oktober 1615 gegen diefelben ſchärfer 
hren d. h. fie bei Wafler und Brod in Thürmen und Schlöffern gefangen zu 
Im felben Jahre wurden von der Eommifflon vorgeladen: zuerſt 98 Perfonen, 

mm 15. November 1615 bei Steafe von 100 Dukaten in Gold 134 Berfonen 
Iktherifche, 4 calbiniſche, 50 umtatholifche), vom denen jedoch mır 15 erſchienen; 
derſelben wurden zum 24. November abermals und bei 200 Bolbdulaten Strafe 
banherdem 4 andere. So ging's fort. Die Borgeladenen gehörten allen Ständen 
kdellente, nobilitirte Perfonen, und fo fort bis zum alten broteflantifchen Neitknuecht 
Grafen Thun, Greife und Zünglinge, Männer und Frauen. Bon den lehteren 
kn om 13. November 1615 Clara Iaurid auf den Vicedom⸗ Thurm, Frau Drumliz 
den Karlflädter Thurm, und die Gattin des Würgermeiflers von Laibach, Frau 
" Vernardini, auf ben Gpitalsthurm gefangen geſetzt. Diefe treue Belemerin 
Eranpeliums, weiche bei mehreren Berhdren »in ihrer Bolsflarrigleit d. h. im 
ham“ verblieben war, wurde zwar anf Bitten ihres Gemahis nach zwei Tagen ans 
Thurm entlaffen, mußte jedoch unter Bürgfchaft ihres Mannes im Bicedbomhaus 
wf ferneren Beſcheid des Erzherzogs in Zimmerarreſt bleiben, und wurde gegen 
edes Jahres 1616 bes Landes derwieſen. Noch ſchwerer war das Schickſal ber 


378 Truber, Brimms 


Frau Clara Jaurick aus Neumarkt; von Imgend auf in ber evangeliſchen Kirche e 
zogen, im Wort Gotte® gut unterrichtet, und nun bereits in vorgerückteren Jahren biii 
fie bei einer faft einjährigen, exft leichtern und fpäter nach einer kurzen Unterbredu 
fo viel als möglich und thumlich verfchärften Gefängnißhaft ihrem Glauben dem 
tren, und gab in ihren verfchiedenen Verhören fo fefte biblifche Autworten, daß es heiß 
„gibt Antwort, auf gut Lutheriſch einen Sermon gemacht, welche weder geflochen ne 
gehaut iſt; ift in eim Koch gelegt worben“ ; „gibt aus dem Jeſus Sirach eine lutherh 
Antwort, daß fie fi nit fchämen folle, ihren Glauben zu belemmen“; „fie hat me 
Glauben unterfchiedlihe Dinge, aber alles auf gut lutheriſch vorgebracht⸗, u. [1 
aud) fie wurde am 23. Dezember 1616 binnen 6 Wochen und 3 Tagen des Lu 
berwiefen. Uebrigens geftattete der Erzherzog im Februar 1617 den evangefik 
Grauen, deren Ehemänner katholifc waren, im Lande zu bleiben, jedoch unter Androhn 
angemefjenee Strafe für jedes gegebene Aergerniß. Trotz aller diefer fivengen M 
regeln waren im Jahre 1615 nur 7 Perfonen, 4 aus Oberkrain und 3 aus Unterkei 
zur katholiſchen Kirche befehrt worden. Auch, kirchliche Hilfsmittel‘ anderer Urt, wie d 
Wiederherftellung der Fronleichnamsprozeffion (feit 1601) umd die Einführunge 
Charfreitagsprogeffion mit ihren Bildern (1617) fruchteten nicht viel; dagegen wer 
Kaifer Ferdinands IL. ſchließliche Maßregeln in den Jahren 1627 bi® 1628 bon a 
fheidender Wirkung. Derfelbe erließ am 14. September 1627 ein nochmaliges fireng 
General-Mandat wegen Vertreibung aller unkatholiſchen und fektirerifchen Predicanten m 
Schulmeiſter ans feinen Erbländern, umd befahl am 1. Auguſt 1628 allen 

hen Herm und Landlenten (Edelleuten), auch anderen adeligen Manns⸗ unb BEN 
perfonen in bdenfelben fi, binnen Jahr und Tag außer Landes zu begeben. Das 
nahm die evangelifche Kirche in Krain ein Ende. 

* Hatten einzelne Edellente, wie Seifrib Freiherr von Gall, welcher 1601 in wi 
tembergifche Dienfte trat, und Volkhard Freiherr von Egk (mit Gemahlin umd Kinn 
welcher 1609 zu Regensburg farb, ſchon früher wegen ber Religionsperfolgung I 
Vaterland Krain verlaffen, fo wanderten mım viele Glieder der angefehenften Fol 
von dort aus, um ihr Leben im Erile zu befchließen. Zu diefen krainiſchen Kalt 
gehörten Weifhard von Wichelberg fammt Gemahlin und 3 Kindern, Hans Jak. Apfelı 
Obrift- Eimmehmer, Friedr. Jul. Graf don Egk, Georg Hannibal Graf von & 
Erblandftabelmeifter in Krain und ber windiſchen Mark, ſammt Gemahlin und Kira 
Baul Freiherr von Egk fammt Gemahlin, Georg Sigmund Freiherr von Egt, Sa 
Dorothen Gräfin von Egk, Frau Beatrir von Egk, Frau Elifabeth von Egk, m 
Andre. vd. Gall, NRittmeifter, Hans Andr. Freiherr v. Lamberg fammt Diutier 4 
Schweſter und Andern feiner Familie, Andr. Mordar fammt Gemahlin geb. Gall, dr 
Eva Maria von Moſchkan geb. Schwab dv. Lichtenberg, Marimilian v. Paradei 
Anton PBetfhovitfch, Erasmıs von Scheyer fammt Gemahlin, Fran Schwab von Ü 
tenberg, Georg Erasm. v. Zichernembl, Georg umd Michael Waz u. A. Andere url 
aus weltlichen Rüdfihten oder aus Furcht vor der Strafe katholiſch. 

Kaifer Ferdinand meinte Übrigens mit all diefen Maßregeln noch nicht genug | 
than zu haben, er wollte auch für einen Intenfiv Fatholifchen Glauben in feinen d 
Proteflantismus gereinigten Erbländern forgen. Daher ließ er 1626 die Geiſtlich 
in benfelben auffordern, das Feſt der unbefledten Empfängnig Mariä zu feiern. 8 
gegen durften die außgewanderten Proteftanten felbft zu Privatgefchäften nur mit Rez 
rungserlaubniß auf kurze Zeit ihr Vaterland betreten. Noch kurz vor feinem Tode, 
Jahre 1631, verbot Kaiſer Ferdinand IL. den Berorbneten in Krain, dem evangeliid 
Emigranten, weß Standes fie feyen, ihre in Krain habenden Kapitalien hinansyugeh 
jedoch ſollten fie ihnen die gebührliche jährliche Verzinſung erfolgen Lafjen. Dem 
blieben alle diefe Vorkehrungen nod ohne den gewünfchten Erfolg, denn während ein 
ſeits der Bifchof Reinold Scarlichi von Laibach 1636 in einem Berichte an den Fr 
Aber die Unwiſſenheit und Unfittlichleit der Geiftlichen, befonders des Domprobſtes F 


Zutile von St. Gallen 379 


Wwiha vom Lauſchenhof (im deffen Wohnung ſchwelgeriſche Gelage von Beufonen beiderlei 
Wilchtes gehalten würden) klagte, war andererfeitS bie noch immer beftehende Reli» 
mi Keformationg »- Commiſſion noch im Mai 1642 befchäftigt, evangelifche Edelfranen 
x Seäulein, wie Fräulein Felicitas Apfaltcer, Fr. Katharina Barbo geb. Gall, Witwe, 

wie Frl. Töchter, zwei Frl. Hafiber, Frl. Katharina und Frl. Lucretia Raumb⸗ 

‚Mill, Ft. Amalia Pelzhofer geb. Raumbſchüſſel, Witwe, Frl. Yuflina Schwab, Fr. 
km Mario Kanifcher, geb. Werneck, Witwe, u. 9. vor ihr Tribunal zu laden, um 
Katweber zu belehren oder zu verbannen. Noch 1659 war eine Edelfrau in Krain, 
fra d. Rasp, ebangelifch, ımd erſt 1666 ward der alte, kranke Herr Chriſtoph Jaulo⸗ 
ui anf Schloß Hopfenbach, der letzte protefinntifche Edelmann in Krain, zur katholi⸗ 

a Kirche bekehrt. Damit endet die Geſchichte der Reformation und Gegenreformation 
a Lim, die Geſchichte der einft fo verheißungsvollen evangelifchen Kirche unter den 

Gaflıven. Johann Weilhard Freiherr von Walvafor, welcher 1689 feine berühmte 
Guit „die Ehre Krains« verdffentlichte, läßt darin bei allem Bemuhen als guter 
hit zu erſcheinen eine geiviffe Vorliebe für die evangeliſche Kirche nicht verlennen, 
ze feine Borfahren: feit mehr als 100 Jahren angehört hatten. — 

Borflehender Artikel iſt größtentheils aus Originalaften gefchöpft; diefe finden ſich 

u fumiihen Landesarchive, in den Archiven des Landesmufenms, des. hiftorifchen 

Sex, des Schloſſes Aneröperg umd der evangeliſchen Gemeinde zn Laibach. — Im 
kaniiden Landesarchive find es hauptfächlich die Protokolle des Landtags, der Berord- 

win .Eeffion und ber Uusichüffe, fowie Fasc. 54 in 8 Voll. welche dem Verfaſſer 

Kb nihhaltigfe Material geliefert haben. Hiezn vergl. man noch für Einzelnes: D. 
dilob Audreae: Chriflliche Leichpredigt bei der Begräbuns des Bern Primus 
Tube, Tübingen, 1586, 4P (glanbwürdig, aber fehr unvollfländig); 9. 8. v. Bale 
Yalır Ehre Krains, befonders im 2. Theil (1689), Fol. (fehr reiches Material, in 
Crane nicht immer flihhaltig); Chr. Froͤr. Schuurrer: Slaviſcher Bücerdrud 
u Ekiemberg im 16. Jahrh. Züblngen, 1799, 80 (vortreffliche altenmäßige Dar- 
king; im Uebrigen felten-unzichtig); Mitt heilungen des hiflorifchen Vereins 
Hr Rain, Laibach, feit 1846, 40 (nur mit Kritik zu benigen); H. C. W. Sillem: 

4 Truber, Erlangen, 1861, 89 (sufanmenfaffend, bisweilen verworren und ber- 

Nez, nit erſchoͤpfend). Th. Elze: Die Superintendenten der ebang. Kirche im 

Rein während des 16, Jahrh., Wien, 1868, 80 (enthält viel Neues), und Ginzeines 

% Valdan's Gefcichte dev Proteſtanten in Defterreih, Hurter’s Ferdinand IL, 
te Besgerins, Strauß’ Leben Friſchlin's, P. v. Radic’s Herbard von Auers- 
Bud, Theoedor Ele. 

ı zatilo von &t. Gallen. Die Hanptquelle ift Eflehardbus IV. f 1056 in 
kan casus St, Galli, einer Fortſetzung des gleichbenaumten Werkes von Ratpertus 
"Jahre 800 bis 972. in mwürbiger Schüler des hodhgebildeten Notker Labeo, hat- 
Inter Benusung mehrerer vitae, der Kloflerüberlieferungen und noch lebender Angen- 
Ren ein mitunter ſehr anfchauliches Bild von dem damaligen Leben und Treiben im 
ndafer gegeben. Greift er and; im Nebenfachen, in Zeit- und Ort⸗ und Per 
nbefinunungen, ebenfo wie Ratpert, mitunter fehl, fo tragen bod feine fehr fcharf 

Wihneten und fchattirtem perfönlichen Bilder durchweg das Bepräge treuer hiftorifcher: 

ehrheit. Ein Mebnch, Namens Burchard febte dann dieſes Wert wieder bis zum Ie 

W3 fort. Einen fehr forgfältigen Abdrud derfelben hat Per in feinen Monum. Ger- 

wise, Tom. II. veronflaltet. Das Befle der Neuzeit findet fidh bei Ildefons Arr: 

aqichte des Kantons St. Gallen, 1810. Th. I. S. 97—100, und Hefele: Willen 
aftlicher Zufland im füdweſtlichen Deutſchland und im der nördlichen Schweiz, in ber 

Hlog. Quartalſchrift, Jahrg. 1838, 2tes Heft. 

Autilo erhielt feine Erziehung und Bildung in dem Kloſter St. Gallen zugleich 

t den großen Lehrern dieſes Kloſters, Notker Balbulus und Ratpert; alle drei waren 

hin imigſter Frenndſchaft zugethan, und Tutilo hat, wie jene, einen reichen Beitrag 


380 Tutilo von St. ‚Gallen 


gegeben, um St. Gallen zu dem erftien Sige der Wiffenfchaft und der Künfte in jene 
Zeit zu erheben. Er that e8 jedoch im einer anderen Weife als feine zwei Freunde. 
Er war das eigentliche Weltkind neben jenen beiden Oottesfindern, eine wahre Herkules, 
geſtalt und fo heiter und lebensfroh darein fchauend, daß Karl der Dide dem Schimpf 
und Schande fagen wollte, ber ihn zum Moönch gemacht habe. Wenn er deshalb ad 
im St. Galler Nekrologium magister und presbyter heißt, mar er doch fein berufem 
Theolog, wie jene, fondern ein geborener Fünftlerifcher Genius, und zwar der gef, 
den St. Gallen in feinen Mauern beherbergt hat. Gerade als folcher wirkte er de 
eben fo vortheilhaft auf jene, als diefe auf ihn ein; im eimem fortdauernden geifig 
Verkehre mit einander bis in die fpäte Nacht flehend, ergänzten fie fich einander vw 
teefflih und fiellten fo auch ihr Klofter auf die breitefte Bildungsbafls in jener Zeu 
Zntilo gewann in jenem Umgange eine tiefe fittlich -religiöfe Richtung, die, wie fen 
ganzes Leben, fo alle feine Kunftihöpfungen weiht umd adelt. Als Kunſtler mußte h 
hinaus in's Leben; beforgt fahen ihm dann die Freunde nad); Ratpert warnte ihn fel 
bor der verlodenden Weltlufl. Es war dieß aber nicht möthig; er verlor feinen © 
Salus im Gewühle der Welt nit. Er prügelte ohne Weiteres einen üppigen Mind 
von St. Alban in Mainz mit der Neitpeitfche unter den Worten durch, daß er ihn 
dieß vom heil. Gallus als Geſchenk mitbringe.e Ebenſo wirkte er aber auch auf M 
Freunde zurüd, die mit dem geliebten und hochgeadhteten Freunde auch feine Kunft hod. 
achteten und fo trotz aller Afcefe fortdanernd eine Berflärung bes Weltlichen durd du 
Odttliche anerkannten. | 

Sehr Tarakteriftifch für die Gefinnungs- und Denkweiſe diefer drei großen Mir 
iſt folgende Aneldote: Es mar der Abtbiſchof Salomo IH. diefem Trifoltum nt 
ganz gewogen; ein Ohrenbläfer Namens Sindolf benugte das. Er belaufdk * 
Freunde bei ihren vertraulichen Gefprähen und hinterbrachte dem Abt, mas er dm 
Mißliebiges gehört und noch gehörig ausgefhmüdt hatte. Tutilo bemerkte ibn w 
eines Abends bei dem Horchen am TFenfter des Schreibziumers , wo fie bei einande, 
faßen, und theilte fofort in Inteinifcher Sprache, die Sindolf nicht verftand, feinen [ud 
entiworfenen Züchtigungsplan den beiden Freunden mit. Notfer, der froͤmmſte mi 
fanftefte des Triumvirate, ging in die Kirche, der firenge, zu Züchtigungen gern I 
Hand bietende Ratpert holte ftill eine Geißel, Tutilo aber fprang mit der ihm eigens 
Gewandtheit auf Sindolf zu, padte ihn bei den Haaren und ließ ihn durch Kat 
bon außen fo ducchpeitfchen, daß er durch fein Gefchrei das ganze Klofter in Auf 
brachte. „Ich habe den Teufel gefangen“ — rief Zutilo —, „bringet Lichter, d 
ihr fehen Lönnet, in welcher Geflalt ex erfchienen ift!« Die Mönche erkannten Sintek 
achten und lächelten und waren, wie Tutilo, über den Teufel vollkommen im Klara 
Im Klofter verwandte man ihn ganz feiner Lörperlichen Kraft, in der er einmal bil 
mit einem Stode zwei Straßenräuber in die Flucht jagen konnte, und feinem gewor 
nenen gewandten Verkehre gemäß hinter einander als Kellner, Küfter und Gefellfcafte 
und Wärter der ankommenden fremden. WIE letzterer diente ex dem Kloſter bis za 
Jahre 912. | 

Ein wahres Kunftgenie, war er groß, ja einzig und unübertroffen nicht bloß I 
einer, fondern in allen damals betriebenen redenden und zeichnenden Künften. Der irifä 
Biſchof oder Preöbyter Markus und fein Neffe Moͤngal, von den Kloſterleuten liebe 
der Heine Markus, Marcellus genannt, hatten, um die Hälfte des 9. Jahrhunderts be 
eingezogen und wegen ihrer ausgezeichneten Gelehrfamteit zurückgehalten, mit der Lid 
zue Wiffenfchaft auch die zur Muſik hierher gebracht, die in ihrem Vaterlande fe 
eine nationale Ausprägung erhalten hatte. Die Harfe wandelte dort bei den Goftwäi 
lern von Hand zu Hand; weltliche Gefänge ertönten neben den geiftlihen. So gewan 
diefe Kunſt ein dem profanen Leben und der individuellen Gefühlsmwelt näher tretende 
Element. Marcellus bildete nun, wie überhaupt treffliche Schüler, fo vor Allem de 
geborenen Meifter der Kunſt, Tutilo, den gerade diefe Muſik, mie ein feinem nme 


Tutilo von St. Gellen 881 


vrrondteß Element, anfprechen mußte. Als eine kräftige Perfönlichleit auch mit einer 
nen, ſtarlen Stimme ausgerüftet, konnte er fein meifterhaftes Spiel noch durch den 
Zaber des Geſanges heben: die hohe Babe der Compoſition, umd zwar bie eimer 
lichen, fi in's Ohr und Herz einfchmeichelnden Compoſition vollendete den beivun- 
keten Künftler, der in einem befouderen Raume den Söhnen des Adels Unterricht im 
Exitenfpiele gab. Dabei bewährte ſich Tutilo, wenn and) ein heiterer und froher le⸗ 
betiufliger Gefelle, der weltlichen Sang und Klang gern trieb und hörte, doch zugleich 
ad als ein herzlich frommer, der gerade in der geiftlichen Dichtkunſt und Compofition 
ve ſhoͤnſten Lorbeeren zu erwerben wußte. Ex führte zwar nicht bie ſchon den Schotten 
hente Juſtrumentalbegleitung zur ficheren Leitung des Kirchengeſanges ein, bemußte fie 
der vorzäglich und bildete fie weiter ans. Es befland in St. Ballen eine ganz kleine 
Bayele, deren Zuſtrumente wir noch im ein paar alten Manuffripten der St. Galler 
Enfsbibliothel abgezeichnet finden. Damm verfaßte er, als feine eigenfle Schöpfung, 
We fogenanuten Tropen, d. h. zierlich melodifhe Zufäge nebſt Terte zu den Meß⸗ 
pagen, vorzüglich dem Introitus bderfelben, die ihuen an den Feſttagen einen befon- 
ws jeflichen Karalter geben follten. So iſt befaunt fein Weihnadjtstropus „hodie 
atandus”. Sie fanden weithin in der Kirche Anklang und Eingang und haben fidh, 
wihieden geftaltet, bis in's 17. Jahrhundert erhalten. Endlich verfaßte er auch Hymnen 
md Litaneien (f. die St. Galler Manufkripte Rr. 37. u. 380). 

Gleich meifterhaft arbeitete Tutilo aber auch auf dem Gebiete ber zeichnenden 
Hnfe, der Malerei, Skulptur umd Urchiteltur; er arbeitete auch bier, als ein wahrer 
Suflriiher Genins, nicht bloß nad) den vorhandenen Vorbildern (romiſchen und bi» 
yaiisikhen) und einem traditionellen Typus, fondern nad; ganz nenen Motiven, vor⸗ 
ind einheimiſchen. Weithin drang der Auf des ausgezeichneten Meiſters; überall 
Vorken die Großen Deutfchlands feiner, nm ein Werk von feiner Haud zu gewinnen. 
Ua Metz das Bild der heil. Maria in erhabener Arbeit verfertigte, meinten 
ang ihm Zuftehende, die Heilige ſelbſt fen feine Schwefler und Lehrerin. Solche 
Ke dünfte aber dem Beſcheidenen eine wahre Blasphemie; ex mahnte die fo Spre⸗ 
&aden ernftlich ab, das zu fagen. Schon den folgenden Tag war e8 aber allgemeine 
budtanſicht. Der Beſcheidene verließ fie für immer. Nichtsdeſtoweniger blieb es all. 
gneine, feine hohe Kunſtfertigkeit Tarakterificende Annahme. Er batte auf der goldenen 
el einen freien Zirkelraum gelaffen; eine fpätere Hand fchrieb hinein: Hoc panthema 
ia cselaverat ipsa Maria” Wirklich ſoll fle, wie lebendig, die Anfchauenden angeblidt 
nen. Bon feinen Schnigarbeiten find befonders die auf den elfenbeinernen Tafeln, 
wihe Karl d. Gr. unter feinem Kopfliffen Liegen hatte, berühmt geworden. Diefe Tafeln 
nen and Karl's Händen in die Hatto’s, Erzbiſchofs von Mainz, und ans diefen im 
e des Abtbiſchofs Salomo übergegangen; St. Gallen erhielt fie vom ihm. Die eine 
te ſchon eine Skulptur, die andere war noch fpiegelglatt. Tutilo, dem fie übergeben 
we, bildete im dem oberen Raume berfelben die heilige Jungfrau in der Mitte vom 
xt Engeln, im unteren nad einheimifchen Motiven den heil. Gallus ab, wie er dem 
Korfamen, Holz zum Brennen herbeitragenden Bär Brod als Diener ımd Trägerlohn 
Üt*, Der alte Schweizerchroniſt Stumpf fpricht auch noch vom einer klnſtlichen 





) Neuerdings if die ganze Erzählung, wie biefe elfenbeinernen Tafeln aus Hatto’s und 
alomo’s Händen nad St. Gallen gelommen find, bezweifelt worben (f. Dümmler, Kormelbuch 
9 Biſchoſs Salomo IT. von Konflanz ©. 114 ff.); doc hat man zugeflanden, daß die Tafeln, 
eun auch nicht gerabe ans bem erzbifchäflihen Schatze von Mainz, doch theilweife unbearbeitet, 
u dem Kiofter St. Gallen gelommen und hier von Tutilo ausgearbeitet worden ſeyn möchten. 
rzählt uns ferner Ellehard in feiner Kloſtergeſchichte St. Gallens, daß bie eine Tafel eine ganz 
atte Fläche gehabt habe, welche von Tutilo ansgefhnigt worden, fo hat auch hiergegen bie 
Atif, und zwar bie Kunftfeitit, Einfprache erhoben. Der Grund hierfür war ber, daß durd 
e ganze Darflellung der erfien Tafel ein Hauch der alten Kaffiichen Kunft gebe, der auch 
x das erfie Drittheil der zweiten Tafel hindurchwehe. Hier wie bort ſeyen bie Orna⸗ 


382 Ubiguisät 


afteonomifchen Tafel von Meffing, auf welcher der Lauf der Geſtirne ſehr fein ge⸗ 
ftochen war, als einem Werke der Meifterhand Tutilo's, das noch zu feiner Seit ale 
ſolches gezeigt wurde. Leider ift fie jett micht mehr vorhanden; fle wäre ein fhönu 
Seitenftäd zu dem hier ebenfalls verfertigten, von Notker Labeo beichriebenen Himmelt 
globus, dem erſten, der in Deutfchland verfertigt wurde. 
Es wird das hinreichend feyn, um die Bedeutung dieſes Mannes für daB Ar 
blühen St. Gallens, der alten Hochſchule Deutfchlande, insbefondere für die fih fie 
fo ſchön entfaltende Blüthe auch der Fünfte zu würdigen. St. Gallen that es de 
auch ſelbſt; ex ward dafelbft in der St. Katharinenkapelle begraben, die zu feiner Ein 
geweiht und jetzt auch die Kirche des heil. Zutilo genannt wurde. Denn wenn er m 
ein Weltlind war, fo ward er doch wie ein Heiliger unmittelbar nach ſeinem Zoe 
verehrt. Die Urkunden des 11. und 12. Yahrhundert® Tennen ihn nur unter dieſen 
Namen; fpäterhin verlor fi diefe Verehrung des Saul's unter den Propheten wieder. 
D. &, F. Gelple. 


u. 


Ubiquität. Dee Verfaſſer hat zu feinem Artikel (Bd. XVI. S. 558 une 
noch nachzutragen, daß allerdings Gregor von Nyffa die Ubiquität nicht bloß der Mad 
heit, fondern auch des Leibes Chriſti im Stande der Erhöhung, in dem co. 59. M 
antirrheticus adv. Apollinarem auf das Beftimmtefte ausgeſprochen hat. Im dem Er 
des Apollinaris von Laodicea nämlich, dem die übereinftiimmende Anfchauung der au 
Tatholifchen Kirche entfpricht, daß Chrifti Leib nach der Erhöhung nur im Himmel, da 
auf Exden fen, fieht Gregor, wie fpäter Luther in der Zwingli'ſchen Anficht, eine Zieh 
lung, eine Zerreißung (nepsouds) des einen Chriſtus, die er um fo weniger ka 
zu dürfen glaubte, weil dann Chriſtus gegen alles Bedürfniß den leiblichen * 
geiftig und den geiſtigen Engeln leiblich präſent wäre. Im Gegenſatze dazu bei 
er, wie der Erhöhte uns ganz und ungetheilt (nadı Menfchheit und Gottheit, nad) !el 


mente gleich ficher nnd ſcharj gefchnitten, und fchienen die Figuren und Arabesken nod air 
hervorgehoben, als es bei den Darftellungen der zwei lettten Drittheile der zweiten Tafel x 
Fall ſey. Auch möchte doch einem Zweifel unterworfen werden mäffen, ob Tutilo bet ale ® 
rühmtbeit eine fo höchſt elegante Compofttion zugetraut werden bürfe (das Kofler St. Ida. 
Nr. I. 1863). Hiergegen möchten wir uns aber entichieden erllären, und zwar ſowohl 7 
Standpunkte der hiſtoriſchen als künſtleriſchen Kritik aus. Denn gewiß beruht dieſe Angabe 

einer alten ſicheren Kloſterüüberlieferung; dann aber bildet die ganze zweite Tafel ein fo —F 
triſches Ganzes in Bezug auf die äußere Eintheilung in drei gleich große Drittheile nn 

innere Beziehung und Zuſammenſtellung, daß das Ganze nur einer Künſtlerhand zugeſchiete 
werden kann. Das erfle Drittheil mit feinen eine Sagbfcene darſtellenden Figuren (einem M 
Reh padenden Hunde) und Arabesken entſpricht offenbar dem legten unterften, in welchem > 








St. Galluslegende der Bär die Hauptfigur bildet. Wir fehen ihn hier im vorberen Naume bienflic 
anf des Heiligen Gebot hin Holz berbeitragen, im hiuteren, den das Kreuz mit ber Reliqui 
Tapfel paflend von dem vorderen treunt, das dafür Iohnende Brod empfangen. In dem mm 
leren Drittbeile fieht man die Jungfrau Maria mit einem wahrhaft jungfräufichen, hohe Hit 
ſtrahlenden Gefichte und neben ihr zur Rechten und Linken je zwei Engel, die voll Bewunde 
und Ehrerbietung fih vor ihr beugen und ihr huldigen. Mit einem Worte: das Ganz fel 
die mitten im Sagdrevier der Maria nen gewordene Hulbigung dar. Was allein zujugeben ij 
iſt dieß, daß Tutilo im oberen Drittheile ſich am engſten au die Motive bes Schnitzers ber 
Tafel anſchloß, dagegen aber in den zwei anderen Drittheilen freier componiren mußte, wirt! 
auch bier die Abhängigkeit defielben von feinem Vorbilde vorzüglich in den Figuren, ihrer Gl 
tung und Kleidung, nicht verlaunt werben kanu. Es ift das aber eine Abhängigkeit, die Abt 
den bentenden Künftler verräth. Wegen der auffallenden Aehnlichkeit der Motive der bern 
theilung der zweiten Tafel mit benjenigen ber äußerft zierlichen und feinen Eifenbein- Echnipt!t 
anf dem hinteren Dedel des Manuffripts Ir. 60. ber Stiftebibliothel St. Gallen moͤchten 
deshalb auch noch diefe Schnitzerei dem großen Künftler gufchreiben. Ehre, dem Ehre gebührt! 


Wignbui 383 


| md Seele) gegenwärtig ſey, fo feh ex es au dem ganzen Univerſum. Er hätte 
aa ſeiner Anfchamung eben fo gut wie Luther die Präfenz des Leibes und Blutes 

ii im Abendmahle ans der Ubiquität falgern lönuen, aber auch nicht die leifefte 
Er deutet daranf hin, daß er diefen chriſtologiſchen Gedanken für bie Lehre von der 
&heriftie vertverthet hätte. — Man vergl. meine Gefchichte der griechiſchen Abend» 
xlelehre, dritte Abhandlung, in den Yahrbb. für deutfche Theologie, Bd.X. ©. 446.— 
ie Anfıht Gregor's if übrigens nie die der griechifchen Kirche geworden. Dieſe hat 
wine, wie man aus dem Hodegos des Sinaiten Anaftafins co. 18. erfieht, bie 
kl Umfchriebenheit auch des erhöhten Leibes feftgehalten und das ansplypenror für 
 (hlehthin unmittheilbare und umberäußerliche Attribut der Gottheit erklärt. 

DB. Gearg Eduard Steitz. 

Ubiquität. Zweiter Nahtrag. Im dem betreffenden Hauptartikel iſt die 
Gens dieſes Dogma, die Natur und das Wefen defielben beleuchtet worden. Es Tann 
van ferner fein Zweifel obwalten über deſſen völlige Unhaltbarkeit. Wie fehr da- 
ww die Ehriftologie in Verwirrung gebracht wird, ift in jenem Artikel (Bd. XVI. 
6:75, 576) auf fchlageude Weiſe gezeigt. Was die Veziehung des Dogma zur 
Se vom Abendmahl betrifft, fo hat es das merkwürdige Schidfal gehabt, daß es, 
m Dr. Luther im Intereſſe diefer Lehre mit gewohnter Zunerficht aufgeflellt, von dem- 
kin Dr. Luther im Intereſſe derfelben Lehre, um naͤmlich den fpecififhen Karakter 
u Aendmahls nicht preisgeben zu müflen, weſentlich limitirt, d. h. auf die leibliche 
Omar Chriſti im Abendmahl befchränft, damit aber eigentlich durchbrochen wurde, 
nr Folge hatte, daß Dr. Luther dafielbe Dogma zuletzt bei Seite ließ, indem ex 
te lätlihe Gegemivart des Herrn im Abendmahle davon gamz unabhängig wiſſen wollte 
m fe lediglich auf die Worte der Einſetzung eimestheils, anf bie göttliche Allmacht 
maitils gründete (im Briefe an die Schweiger vom 1. Dezbr. 1537, im der erfien 

Fig ber das 15. Rap. des erſten Briefs an die Loriniher, vom 9. 1544. S. EA. 
416,119, im Meinen Bekenntniß von heiligen Abendmahle vom Jahre 1544, 
6.EX 32, 418). 

Über wie? wenn umter ber Hülle des phantaflifchen Dogma bie Unerlennung einer 
ſeihtigen Heilsthatfacdhe verborgen wäre? Wenn dem Dogma bon ber Allenthalben- 
Kid Menfchheit Chriſti eine tiefe, wahre Idee zu Grunde läge, die in Luthers 
rb,rrolififchem Verſtande ſich verdichtet hätte? Die Syntheſe vom Gottheit und 
Ufäeit, die den Ausgangspunkt des Dogma bildet, maht ja das Weſen Chriſti 
% md darnach beflimmmt fich auch das Weſen des Chriſtenthums überhaupt. In ber 
De rnen wir das ewige Wort, das vom Vater ansgegaugen, nicht anders denn als 
a ſeiſchgewordenes. Wir Können, wir follen unſern Heiland nicht andere haben, denn 
nnihlicher Geſtalt. Das iſt gerade der hohe Vorzug: des Chriftenthums, daß uns 

menfhlih nahe tritt, menſchliche Dimenfionen annimmt, in einem wahrhaften 
Briöenleben ſich uns offenbart, um ſich ums faßbar, greifbar zu machen. Im dem 
Reichen Liede von Zingendorf: „Wer führet mich zu deinem Duell, Unendlichteit, 
dei Erſtaunen⸗ ec. — ift jene Wahrheit anf wunderbar ergreifende Weife dar- 
lt. Diefer Gott, geoffenbart im Fleiſch, diefee Gott in Menfchengeflalt iſt es, 
8 überall um dem Gläubigen ift, mit dem ex täglich durch den Glauben umgeht, aus 
Men Fülle ee Gnade um Guade nimmt, fo oft das Bedurfniß umd das Verlangen 
R dazu antreibt. Aber freilich iſt diefe Allenthalbenheit der Menfchheit Chriſti von 
M) anderer Urt als diejenige, bon der im lutheriſchen Dogma die Rede iſt, wonach 
R Gläubige ſich Jeſn umſchriebenen Leib, in dem er anf Exden gelebt und gen Him- 
gefahren, dem Stoffe nad; und doch auf unräumliche Weife überall, fo weit bie 
htteit reicht, ansgegoffen benfen ſoll. Aber weit entfernt, daß ihm fo Chrifli menſch⸗ 
be Nature im ihrer Realität entgegentritt, fie zerflieht vielmehr vor den Augen feines 
kifteg, fie wird ihm abforbirt in der Gottheit, und der Blick wird abgelenkt vom wahr⸗ 
f geſchichtlichen Leben Chriſti, woraus allein wir die Schäge göttliche Weisheit und 








384 Ubiqnität 


Gnade, die in Ehrifto niedergelegt find, heben können. So begegnet es zumeilen ı 
theologiſchen Scholaſtik, die Köftlichflen, lebensvollſften Wahrheiten des Evangeliums 
folhe Säge umzuwandeln, die für Geift und Gemüth gleicherweife unfenchtbar fl 
und der Sache den Anfchein geben, als follte die Stärke und Imtenfität des Glaube 
in möglichftem Widerfpruche mit der gefunden Vernunft gejucht werden. 
Haben wir hierin das Nichtige getroffen, fo fällt von hier aus auch Lid 4 
Calvin's Lehre vom Abendmahle, und das Tann zur Ergänzung deffen, was Bi. 
S. 27. 38. 39 darüber gefagt worden if, dienen. Das Kigenthümliche dieſer di 
befteht, twie belannt, darin, daß dem Fleiſche Chrifti, mit dem wir durch das Kal 
mahl in Gemeinfhaft treten, eine Leben gebende Kraft inwohne; nicht ala ob es uf 
jelbft diefe Kraft hätte, fondern es hat fie vermödge feiner Verbindung mit ber On 
heit, fo daß das Leben, welches Chriſtus in ſich felbft (in feiner Gottheit) hat, fen 
Fleifche mitgetheilt wird und aus demfelben uns zufließt. Calvin nennt daher 
Fleiſch Chriſti „eine reiche, unerfhöpflihe Duelle, welche das in daſſelbe aus ber 
heit Chriſti quellende Leben auf uns hinübergießt“ *). — „Wer flieht nichte, fügt 
hinzu, „daß die Gemeinfchaft des Leibes und Blutes Chrifli allen denjenigen 
fey, welche nad) dem ewigen Leben trachten?“ Allerdings iſt das von jener 
aus leicht einzufehen; es ift bie daraus fich nothivendig ergebende Folgerung. E14 
gibt fich aber darand auch diefes, daß, wenn diefe Gemeinfchaft des Leibes und Dial 
Chrifti auf das Abendmahl befchränft wird, die Gläubigen in jedem Zeitpunfte ik 
Lebens, wo fie nicht das Abendmahl genießen, ziemlich übel daran find, Dem m 
uns die göttliche, in Chriſto inwohnende Gnadenfülle nur durch die Vermittelung fa 
Fleifches zu Theil und treten wir bloß im Abendmahle mit feinem Fleiſch in Ai 
(haft, kann bloß das Abendmahl die Vermittelung bilden zwiſchen uns und jet 
gebenden Kraft aus der Subftanz des Leibes und Blutes Chrifti, fo folgt ug 
daß wir außerhalb des Abendmahls in keinerlei Weife ans Chriſti göttlicher Em 
fülle fchöpfen können. Doc Calvin ift weit entfernt — obſchon es nad) einigem jo 
Ausiprüche fo fcheinen könnte, und obfchon er dfter fo verflanden wird —, je Mi 
ftifche, geheimnißvolle Gemeinfhaft mit dem Fleiſch Chrifti auf die wenigen Angenii 
des Lebens der Gläubigen zu befchränten, wo fie das Abendmahl genießen. Ee füllt 
nicht bei, dem Genuffe des Abendmahls eine ſolche Bedeutung beizulegen, daß baterd 
ganze übrige Glaubensleben wefentlich verkürzt und des durch das Medium feiner Dr 
heit bedingten Genuffes der Gnade Ehrifti beraubt werde. Es findet vielmehr nad EM 
„eine beftläudige Gemeinfchaft mit dem Fleiſche Ehrifti außerhalb des Abendmahl 
und von biefer beftändigen Gemeinſchaft, die Calvin aud als eine täglich fid ernem 
Selbftmitiheilung Chrifti definirt (ad Joa. 6,51), ifl, wie er lehrt, im dieſem 6. KM 
Johannis die Rede**), Im demfelben Kapitel wird aber nichts gefagt, „was im Ab 
mahle nicht ſymboliſch dargeftellt und nicht wirklich bargereicht werde, fo daß der Y 
das Abendmahl als das Siegel jener Rede wollte angefehen wiflen” (ad Joa. 6, * 
Die beftändige, tägliche Gemeinfhaft mit dem Fleiſche Chriſti kann Calvin nicht m 
hervorheben: „da Chriſtus allein das Leben in fich enthält, gibt er uns (Joh. 6) 
Art on, wie wir es genießen follen, indem mir nämlich fein Fleiſch effen, «ls ob 
damit läugnen wollte, daß er anders könnte der Unfrige werden, als wenn umfer Oki 
auf fein Fleifch ſich richtet (nisi cum fides nostra in ejus carnem dirigitur). 
wer in Chriſto den Menſchen vernachläſſigt, der wird niemals zum Gotie in Eh 
gelangen (neque enim ad Christum Deum unquam perveniet, qui hominem nf 
git). Daher, wilft du irgend Gemeinfchaft mit Chrifto haben, fo bite did) dor Ala 
fein Fleiſch zu verachten“ (ad Joa. 6, 56). 























*) Christi caro instar fontis est divitis et inexhausti, quae vitam a divinitste in s6i 
scaturientem ad nos transfundit. Instit. IV. 17, 9, 

**) Neque enim de coena habetur concio, sed de perpetus communicatione, qua er 
coenae usum nobis constat, Ad Joa. 6, 53. 








Ubiguität 885 


Offenbar haben wir Hier eine Wuffafiungsweife, die an bie Intherifche Ubiquität 
w Leibes Ehrifti erinnert: überall und zu jeder Zeit, wo ber Gläubige mit feinem 
flımde Gemeinſchaft pflegt, iſt dieſe dermittelt durch deſſen Fleiſch, von dem ans uns 
we göttlihe Gnadenfülle zuflieht, und fo ergibt ſich eine Urt von Ubiquität wenn nicht 
u Leibes Ehrifti, fo doch der Kraftwirkung befielben für das Leben des Glaubens. 
dieſe Auffaffung aber, in der beflimmten Geftalt, in der Calvin fie uns vorgetragen, 
ij cenfo wenig haltbar und vollgiehbar, wie die lutheriſche Ubiquitä, Dem daß ans 
ka im Himmel befindlichen, menfchlichen Leibe Ehrifti, aus der Subftanz beffelben uns 
ismerfort die göttlichen Gnadengaben zufließen, dafür haben wir feinen Anhaltepunft weder 
ade Schrift überhaupt, noch in Joh. 6. insbeſondere. Calvin fcheint fidy die Sache 
honzuflellen, daß im Fleiſche Chriſti, weil durch daſſelbe die Erldſung urfprüuglich 
wliraht wurde, immerfort die Kräfte dee Erlbſung niedergelegt ſeyen. Das lehrt er 
wit bloß im der institutio, ſondern auch ad Joa. 6, 51; da diefe Stelle den in ber 
iitatio ausgefprochenen Gedanken näher beflimmt, fo erlauben wir uns, fie hier an- 
Kirn: „So wie das ewige Wort Gottes die Quelle des Lebens iſt, fo leitet fein 
Feih gleich einem Kanale das Xeben, welches in der inneren Bottheit wohnt, auf uns 
heiter. Und in diefem Sinne wird es lebengebend genaunt, weil es nämlich das 
be, daB es anderswoher empfangen hat, uns mittheilt. Das wird uns vollkommen 
kalih werden, wenn wir bedenten, was die Urfache des Lebens fen, nämlich die Ge⸗ 
nätigkit. — Nun aber, obwohl von Bott allein die Gerechtigkeit ausfließt, wird nir⸗ 
aM anderswo ihre volle Darreihung für uns vorhanden feyn, als tm Fleiſche Chriſti. 
dern in biefem Fleiſche wurde die Erldſung der Menſchen vollbracht, in bemfelben das 
Orfe für Suühnung der Sünden bargebradht, in demfelben dem Vater der Behorfam 
yieh, dee uns ihr geneigt machen follte; daſſelbe Fleiſch wurde auch durchſtedmt von 
va deigung durch den Geift, und endlich, nach Beflegung bes Todes wurde es in 
" fiaulifche Herrlichkeit anfgenommen. Daraus folgt, daß das Leben in allen feinen 
Url in das Fleiſch Chriſti niedergelegt if, damit Niemand mit Recht ſich beklagen 
Kay, er werde des Lebens beranbt, weil es fern von ihm verborgen liege.“ — Hierin 
keit Calvin zu vielen Werth zu legen auf das äußere Inflrument, womit die Erlb⸗ 
Ma; vollbracht wurde, während er davon abzufehen fcheint, daß das eigentliche ns 
“ Eelbſungewerkes das mveisa alurıov geweſen. Wollten wir die Argumentation 
Ging gelten Laffen, fo müßten wir daffelbe, was er dem Fleiſche Chrifti zutheilt, 
2 für fein Blut poftufiren, und wir würden fo zu den abfonderlichen Gedanken ge- 
ükt, die fpäter in den Köpfen einiger proteftantifchen Theologen aufgefliegen find. 
wir Calvin's Argumentation weiter verfolgen, fo könnten wir am Ende dahin 
‚ auch bem Kreuze, auf dem das große Opfer dargebradjt wurde, göttliche Kräfte 
Wihreiben, felbft der Darin, in deren Schooße der Träger des Heiles für das 
— Daſeyn gebildet wurde, beſoudere Gnadenfülle beizulegen. In diefer Beziehung 
MR fih bei Calvin wie in anderer Beziehung bei Luther noch ein Tingirtſeyu von 
Seliihen Anfchauungen. 
Alles hingegen, was Calvin von der Mittheilung der göttlichen Onadengaben durch 
N Medium oder den Kanal des Fleiſches Chrifli, fowie von der Nothwendigkeit fagt, 
r Menſchen in Ehrifto feftzuhalten, wenn man will zum Gotte in Chrifto durch⸗ 
gen, alles dies bekommt einen treffenden Sinn und gewichtvollen Inhalt, wenn 
& ein der geifligen Art auffaffen, mie wir die Intherifche Ubiquität gedeutet haben. 
I bleibt einig wahr umd es kann nicht genug eingeprägt werden, daß die Gottheit fich 
6 durch) das Medium oder den Kanal der Menſchheit Chriſti mittheilt, daß im Fleiſche 
riſti, das Ignatius don Antiochien im Briefe am die Philadelphier Kap. 5. treffend 
Evangelium genannt hat, die Kraft des Lebens liegt, die es hat wegen ber damit 
!öumdenen Gottheit. Chriſti Gottheit ift in fein Leben ausgegoſſen, wie es uns in 
! eangelifchen Ueberlieſerung dargeftellt iſt. Wollen wir ®emeinfchaft mit Chriſto 
den, fo mrüffen wir ums daher wohl hüten, das Fleiſch Chriſti gering zu ſchatzen, fon« 
Neal/Cuacdtlopadie für Theologie und Kirche. Guppi. TIL. 23 





886 Ulltenn, Karl 


dern immer wieder dahin zurüdtehren. Wir find daranf angewieſen, micht ans ber in 
Himmel befindlichen Menſchheit Chriſti Kräfte des Lebens zu ziehen, fondern vielmeh 
aus dem fleifchgetvordenen Worte, wie es leibt und lebt im Worte der evangeliſche 
Berlündigung, und was das Abendmahl betrifft, find wir zunäcft an Chriſti Tod um 
defien erlöfende Kraft geiviefen. Das ift keine Uusleerung ber Lehre von der * 
gung von Gottheit und Menſchheit in Chriſto, ſondern eine Zurkdfährung berielke 
aus dem neblichten Höhen der theologifchen Spekulation in bie Sphäre des hriffide 
Slaubenslebens, eine Verwertbung, Fruchtbarmachung berfelben für die Förderung ii 
Lebens in Chriſto. Es gilt hier das Wort des Apoſtels Röm. 10, 6—8. 

Calvin bat diefe Seite der Sache wohl erkannt, fie fo deutlich und ſtark herm 
gehoben, daß es fcheinen Könnte, als ob er mit jener myſtiſchen, geheimmißvollen & 
meinfhaft mit dem Fleifche Chriſti nichts Underes habe fagen wollen, als was wir ie 
eben gejagt haben. ebenfalls gibt ex das Mittel an, wodurch jene muftifche Gen 
haft für uns vollziehbar und mit der Schrift vereinbar wird, wenn ex fagt: „bon 
alfo wirft du das Leben in Ehrifto finden, wenn du den Stoff des Lebens (vitse m 
teriam) in deffen Fleiſche ſuchſt. So follen wir mit Paulus (1 Kor. 2, 2.) und rk 
men, daß wir nichts Anderes wiflen wollen, als Chriſtum, den Gekreuzigten, weil, | 
wie wir dom Opfer feines Todes abfehen, und nichts als der Tod übrig bleibt In 
auf keinem anderen Wege führt er uns zur Empfindung feiner göttlichen Kroft d 
ducch feinen Tod und feine Auferſtehung. So umfafle Ehriftum den Knecht des 3 
tere, auf daß er fich dir ala den Fürſten des Lebens zeige. Denn dadurch, daf & 
fi entäußert hat, find wir mit der Fülle aller Güter bereichert worden, feine fm 
drigung und Höllenfahrt hat und in den Himmel erhoben; indem er dem Ti WM 
Kreuzes ſich unterzon, hat er ein edles Giegeszeichen der Gerechtigkeit aufgerictt 9 
ift alfo etwas Verkehrtes, wenn bie Ausleger die Seelen von Chriſti Fleifche abftice 
(ad Joa. 6, 55), Das Effen des Fleifches Chriftt außerhalb des Wbendmahls Il 
im Abendmahl fommt alfo zulegt darauf hinaus, daß unfer Glaube in der forba f 
nannten Weife auf das Fleifch Ehrifti fi richtet; im dieſer vom Calvin Il 
gebrauchten Tarakteriftifchen Bezeichnung liegt das Correktiv feiner Lehre. Hat 

Ullmann, Karl, einer der Hauptteäger der von Schleiermadher ausgegenget 
berjüngten evangelifchen Theologie und nächſt Nitzſch wohl der bedeutendfte Bat 
derfelben nach der Seite des kirchlichen Lebens. 

Geboren am 15. März 1796 zu Epfenbach, einem zwischen Heidelberg und Pr 
bach auf dem linken Nedarufer gelegenen pfälzifchen Dorfe, gehörte er von Hau 
der reformirten Confeffton an. Sein Bater, Iohann Balthafar Ullmann ans 
berg, nach des Sohnes Zeugniß ein Mann voll harmlofer Herzensgüte und ke 
Humors, war Pfarrer zu Epfenbach und führte fein Amt dafelbft in pofitin-evangelif 
Weiſe bis in die vierziger Jahre. Die Diutter, Charlotte geb. Keimold, entftanmte 9 
falls einer Pfälzer geiftlihen Familie und war eine fehr lebhafte, phantaflereiche, po 
Natur, die den zartorganifirten, oft kränkelnden Knaben, ihr einziges aufwachſendet 
mit zärtliher Sorgfalt erzog. Nach kurzem anregendem Aufenthalt im Haufe 
Oheims von mütterlicher Seite, eines trefflichen Geiftlichen und warmen freunded 4 
ſcher Literatur und Poeſie, kam der zehnjährige Knabe nad) Heidelberg auf's Gꝛ 
flum, wo ihn befonders die alten Sprachen und der Religionsunterricht anzogen; i 
Familie des Pfarrer Maurer fand er ein zweites liebreich erziehendes Elternde 
deffen Kinder ihm lebenslang im gefchwifterlicher Liebe verbunden blieben. Gr Kl 
wie feine Eltern hatten es für felbfiverftändlich angefehen, daß er den väterlichen 
ergriffe und Landpfarrer würde, al® gegen das Ende der Öymnaflalgeit ımter 
mächtigen Eindrud der damals in Heidelberg befindlichen Boifferee’fchen Gemälde 
lung und im Umgang mit Genoffen wie Karl Fohr und Karl Rottmann, mit 
er die herrlichen Umgebungen Heidelberg zeichnend durchftreifte, dee Drang, fd ! 
Kunft zu widmen und Landfhaftsmaler zu werden, in ihm erwachte; noch borha 











Ullmann, Rarl 887 


Jeichmungen umd Hadirungen aus diefer und fpäterer Zelt bezeugen nach dem Urtheil 
mes Lenners (Chriſtl. Kumftblatt, Yahrg. 1866, 3. 4) einen wirklichen Künftlerberuf. 
dr brachte demfelben feinen Litern, die nm die vorausgeſetzte brodloſe Zukunft beklim⸗ 
grt waren, zum Opfer, aber der fünftlerifche Ing feines Wefens hat ſich zeitleben® gel- 
md gemacht, wie in feiner einfichtigen Freude an aller, befonder8 aber der bildenden 
Kunft, fo in feiner künſtleriſch durchgebildeten Darftellungsweife, — aud in feinem 
iht fünfllerifchen Widertoillen gegen alle rohe, leidenſchaftliche und anarchiſche Weſen. 
Seine alademiſchen Studien begann Ullmann im Herbſt 1812 in Heidelberg unter 
Land, Paulus und Schwarz, ohne jedoch von einem diefer fo fehr verſchiedenen Re⸗ 
köfententen damaliger Theologie eigenthümlic, angefaßt zn werden. Nach einem Jahr 
kadte ihn der Bater auf Daub's Rath nach Tübingen, der damal® vorzugsweife theo- 
köifhen Univerfirät. Hier vollendete er unter der freundlichen Leitung der Epigonen 
Etrr’9 bis zum Herbſt 1816 feine Studien umb wurde nicht nur mit guten Kennt⸗ 
Ya ansgerüftet, fondern auch im der anerzogenen pofitib - chriftlichen Richtung be 
len, ohme jedoch mit feinen Weberzeugungen zu einem ganz befriedigenden Abſchluß 
x gelangen. Dagegen fand er hohe Befriedigung in einem jugendlichen Freundeskreiſe, 
kelher fih am den eben als Dichter hervorgetretenen Uhland anfchloß und zu dem 
mer Anderen auch die beiden Pfizer und Guſtav Schwab gehörten, — der letztere 
ven da an zeitlebens Ullmann's auserwählter Herzensfreund. Auch diefer jungen ſchwä⸗ 
bien Dichterſchule gehörte Ullmann nicht bloß als geniehendes Mitglied an; eine an- 
Mina aber wahrhafte Gabe der Dichtung hat er zeitlebens, wenn auch nicht eben 
h. geübt. 
3a die Heimath zurüdgelehrt, beftand Ullmann fein theologifches Eramen „vor⸗ 
Wie und ward, da er eine Gymnafialſtelle aus Gefundheitsrüdfichten ablehnte, am 
1 Yasar 1817 ordinirt und als Vikar nad) Kirchheim bei Heidelberg gefandt, wo 
am dahr lang im praktiſchen Kirchendienfte thätig war. Aber fchon feine Examina- 
been, zn denen and) Hebel gehörte, hatten ihn zur Exrwählung der atademifchen Lauf. 
hin anfgemuntext, und da der Kanzler der Univerfität Heidelberg im Namen des Mi- 
iiteriums ihm benfelben Vorſchlag machte, ging er unter Zuftimmung feiner Eltern 
a kırzem Kampfe mit der Beſorgniß, mer möchte ein mittelmäßiger Profefior wer⸗ 
ka“, darauf ein und begann im Herbſt 1847 in Heidelberg feine Studien von Neuem, 
am er vor Allem bei Hegel in der Philofophie, bei Creuzer in der Philologie ein 
mid zu werden ſuchte. Namentlich der Ieptere zog ihm fachlich und perfönlic aus⸗ 
nen an, während bie Vefchäftigung mit der Philofophte ihm vorzugsweiſe die Un- 
Ripfeit feiner theologifchen Ueberzeugnngen umd zugleich die Beſtimmung feines Geiftes, 
vom Allgemeinen aufs Befondere, fondern vom Befonderen aufs Allgemeine zu 
Wa und daher mit eregetifcher und hiftorifcher Erforſchung des Ehriftenthums zu be- 
fen, zum Bemußtfeyn brachte. Im der Theologie zogen nod mehr als Daub's und 
Pinarzens Borlefungen Abegg's Predigten und Umgang ihn an, den er in gleid- 
Kinn Briefen als „einen herrlichen Mann aus Einem Stüde, wie er noch feinen 
Khen, als einen wahren Theologen, voll von feinem Gott und feinem Heiland, auf 
t Kanzel, auf dem Katheder und im intimften Privatleben ſich immer gleich“ Taralte: 
kt. — Nachdem er im Frühling 1819 als Doktor der Philofophie promovirt hatte, 
te ihn eine mehrmomatliche wiffenfchaftliche Reiſe nad; Norbdentfchland, infonderheit 
h Berlin, dem damaligen Heerde der verjüngten Olaubenstheologie, und hier, im 
igang mit Schleiermacdher, de Wette und befonders Neander, gewann fein eigenes 
ſeres Ringen den principiellen Abſchluß, indem er in der hier vertretenen Theologie, 
klhe im Gegenfatz gegen den Rationalismus wie den älteren Supranaturalismus 
Chriſtenthum als Achte Offenbarung umd neue Lebensfhdpfung, aber zugleich ale 
ns gefchichtlich und organifh fi Entwidelndes faßte und daher den chriftlichen 
anbensinhalt mit den Achten und gefunden Bildungselementen der Zeit zu vermitteln 


ten, das Ziel feines eigenen wiflenfchaftfichen Strebens erkannte. 
3 ® 


388- Ullmann, Karl 


Im Herbſt 1819 begam Ullmann in Heidelberg eregetifche und hiſtoriſche Bar 
lefungen zu halten, habilitirte fich bald daranf als theologifcher Privatdocent und echie 
im Yrühling 1821 feine Ernennung zum auferordentlichen Profeflor. Im diefelbe Je 
fallen feine erften Literärifchen Publikationen, zunächſt zwei kritiſche, — bie einzige 
Ulmann’schen Urbeiten diefer Gattung — eine Schrift über den zweiten Petruöhrir 
deſſen erſtes Kapitel er unter Preisgabe der beiden anderen als ein ächt petriniſche 
Fragment retten wollte, und eine Abhandlung über den von Rink aus dem Armeniike 
als Acht Überfetten fogenannten dritten Brief an die SKorinther, deſſen Unächthet a 
überzeugend darthat; dann aber zwei firchengefchichtliche Arbeiten, ein der zweiten Yufky 
bon Creuzer's Symbolik beigegebener Aufſatz über den chriftlichen Feſteykllus m a 
[nteinifches Programm über die Sekte der Hypfiftarier. Diefen kleineren Arbeiten folg 
im Jahre 1825 fein Gregor von Nazianz, eine Frucht feiner bereitd von Bremer u 
geregten patriftifhen Studien, zu deren Ausreifung nicht dogmatifche Sympathie m 
dem Borlämpfer des nicänifchen Dogma's, fondern „die mit voller fubjeltiver. Wo 
heit und fittlichee Hingebung in ihre Weberzeugungen aufgehende Perfönlichteit deſſelben 
ihn beftimmt hatte. Diefe Monographie, die fich den analogen Arbeiten Neander’s ehe 
bürtig an die Seite ftellte, trug ihm einen Ruf an’s Wittenberger ‚Seminar un i 
Folge der Ablehnung defielben die Ernennung zum ordentlichen Profeffor ein (1826) 

Obwohl die Heidelberger Verhältniſſe fir die Wirkfamfeit eines jungen theolog 
ſchen Lehrers von Ullmann's Nichtung entfchieden ungünftig waren, indem die were 
vorhandenen Studenten entweder der fpefulativen Fahne Daub's oder der rationik 
fhen von Paulus folgten, fo blieb Ullmann doch der vaterländifchen Lniverfität u 
fehr befcheivenen Gehaltsverhäftniffen zehn Jahre lang getren, wozu allerdings mie 
liche Bande der Anhänglichfeit an Heidelberg weſentlich mitwirkten. Schon dab dir 
1820 hatte ihn hier feine Braut finden laſſen, Hulda Mereau, die in Heidelbetz © 
zogene Tochter der in zweiter Ehe mit Clemens Brentano verbundenen Dichterin & 
phie Mereau, und 1824 hatte er mit diefer mit ausgezeichneten Gaben des Cr 
und Herzens ausgeftatteten Frau einen glüdlichen Hausftand gegründet, der mit ba! 
ber Nähe lebenden alten Eltern und einem ſchon aus der Jugendzeit ſtammenden FA 
delberger Freundeskreife in innigſter Gemeinfchaft fand. Ferner hatte daffelbe Jahr 182 
ihm im dem jugendlichen Umbreit, der damals als Profeffor der orientalifchen Lite 
nach Heidelberg kam und fpäter zur altteftamentlichen Theologie überging, einen Dt 
freund zugeführt, wie er ihn ſich längft an feiner Seite gewünſcht hatte und mi 
ihn bei reichlicher Verfchiedenheit der ſich austaufchenden Gaben und Studien ein 
Gemeinſchaft der Gefinnung zeitlebens verband. 

Diefem Freundſchaftsbunde verdankte ein Unternehmen feine Eutftehung, das N 
Ulmann’s fchriftftellerifche Entwidelung und weit über die Gränzen des evamg 
Deutfchlands hinausgehende Celebrität don entfcheidender Bedeutung ward, bie 
logifchen Studien und Krititen«. Der Gedanke, jener neuen gläubigen Theologie, 
der ſich Ullmann in Gemeinschaft mit Schleiermaher und Neander befannte un 
weicher auch Umbreit in Heidelberg ſich durcharbeitete, ein Organ zu gründen, in 
chem fie ſich austaufchen, nad) den verfchiedenften Seiten hin fich durchbilden nn 
die praktifch » ficchlichen Kreiſe und Verhältniffe einwirken könnte, war ein hödfl 
licher, und die Wusführung, zu der ſich die im Bonm vereinigten Geſinnungég 
Lüde, Nitzſch, Siefeler und ein fo ausgezeichneter Verleger wie Friedrich Perthet⸗ 
Ullmann und Umbreit verbanden, gedieh nad den erſten mühevollen und beide 
Anfängen fo gut, daß die Zeitſchrift in den erſten zwanzig Jahren ihres Beftehent 
mählih bis an tanfend Abonnenten gewann und noch heute das Leben ihrer 
feäftig überdauert. Der bald beſonders herausgegebene Erftlingsanffag, wit dem 
mann die „Studien und Kritiken“ erdfinete — „Ueber die Unſündlichkeit (fpäter » 
Lofigleit *) Jeſu“, eine apologetifhe Begründung des centralften Punktet der 
Schleiermacher erneuten Glaubenslehre, erwuchs in fieben Auflagen zu einem der 
flußreichſten Werke der neueren gläubigen Theologie. 


Ullmann, Rarl 889 


Ya Iahre 1829 folgte Ullmann endlich einem Rufe, der ihn aus den engften 
‚ade umfaffendflen Berhältnifie einer alademifchen Lehrthätigkeit führen follte: ex ward 
wer den günftigften Bedingungen an die damals von durchſchnittlich achthundert Stu⸗ 
sten befuchte theologifche Fakultät zu Halle verſetzt. Seine Hauptaufgabe war hier 
x fichengefhichtliche Fach, neben dem er aber auch die Einleitungsmiffenfchaft, Sym⸗ 
‚sit amd Dogmatik behandelte. Ex eröffnete feine Vorträge mit der in den „Studien 
m) Kritifene veröffentlichten Rede: „Leber die Aufgabe des Kirchenhiftoriters in un⸗ 
ka Zeit⸗, und gewann durch hiflorifche wie ſyſtematiſche Vorleſungen bald eine 
kietende, weſentlich auf Ueberwindung des noch in Halle vorwiegenden alten Ratio⸗ 
uisend gerichtete Wirkſamkeit. Als aber die bekannten Angriffe der Evangelifchen 
Srhengeitung gegen Gefenins und Wegfcheider flatt der geifligen Ueberwindung jener 
bhale eine obrigkeitliche Unterdrückung derfelben begehrten, trat ex in einem „Theolo⸗ 
Wi Bedenfen« (Halle 1830) für bie gefährdete Freiheit und Wahrhaftigleit der 
babgiich>Tirchlichen Entwidelung entfchieden auf, wie er denn auch die in der bortigen 
khltät vorgefundene gegenfeitige Achtung und Collegialität dee Vertreter verſchiedener 
körmgen ſeinerſeits allezeit zn wahren und zu pflegen wußte. Bon literärifchen Ar⸗ 
kin fallen im dieſe Hallifche Periode, nächſt einer Reihe von Meineren Beiträgen für 
k ‚Studien and Sritilen“, befonder® fein Auffag über „Nicolaus von Methone und 
fe dogmatiſche Eutwickelung der griechifhen Kicche im 12. Jahrhundert« (Stud. u. 
kit. 1833. Hft. 3.); feine Abhandlmg „De Berylio Bostreno ejusque doctrina” 
1835) uud fein Johann Weſſel, der Vorläufer Luther’. (1833), eine Monographie, 
at der er feinen Gregor von Nazianz entfchieden noch übertraf und aus der ihm fpäter 
kin Arhengefchichtliches Hauptwerk, die „ Reformatoren vor ber Reformation“, exe 
wien follte. 

Yaer feinen Collegen namentlih mit Thilo freundfchaftlich verbunden, dem per⸗ 
Ralıter Verkehr mit Schleiermacher, Neander, Füde näher gerückt, durch die der Haupt« 
fe uch von im beforgte Redaktion der „Studien und Krititen« überhaupt zu einem 
Ditchunft theologiſcher Gemeinfchaft geworden und vor Allem durch die Berhältniffe 
m) Erfolge feines Lehramtes auf's Höchfte befriedigt, hätte Ullmann in Halle die ge- 
bite pfalzer Heimath auf die Daner verfchmerzt, wenn ‚nicht eine Reihe von häus- 
Kim Trübſalen und befonder® der im Jahre 1832 erfolgende Zod feiner unvergeß- 
Ken Gattin ihn hier aufs Schmerzlichſte heimgefucht hätte. Nachdem ex aber in fo 
ſiwerer Zeit in der alten Heimoth und bei den alten freunden Troft und Erholung 
Kuht, vermochte er der im Jahre 1836 am ihn ergehenden Aufforderung der badifchen 
Roierung zur Nücklehr nach Heidelberg unerachtet des großen Wbflandes der gu ver⸗ 
Wihenden Wirkungskreiſe nicht zu widerfichen, fondern folgte feinem immer bewährten 
I zum badifchen Heimathlande, in dem er and ein Jahr zuvor mit einer Freundin 
Kür vereiwigten Hulda, Thekla von Teuffel, eine feinem Herzen wahren Erſatz gewäh⸗ 
mbe zweite Ehe eingegangen hatte. Im Heidelberg rechnete er auf eine Umgeflaltung 
& Fakultät und theologifchen Studien in feinem Sinne, wie fle denn auch durch die 
rerufung Rothe's, Hundeshagen’s und Anderer und durch die Stiftung des thenlogifchen 
minor allmählich eintrat, dagegen hinfichtlich der von ihm dringend gewimſchten 
eranziehung einer anregenden philofophifchen Lehrkraft umausgeführt blieb. Die aufs 
kußerfte geſunkene theologifche Studentenzahl gelang es nad und mach zu heben und 
die inländifche theologifche Iugend einen uenen Beift zu bringen, wozu auch die von 
alle mitgebracdhte Sitte des perfönlichen Berkehrs mit den Studierenden beitrug. Ull⸗ 
uum’s Vorlefungen waren auch hier Kirchen- und Dogmengefchihhte, Symbolik und 
iteftamentliche Einleitung, auch wohl Synoptifer und andere Eregetila: namentlich in 
m hiftorifchen Vorträgen war das forgfältige Diktat, das er gab, wie die lebendige 
te Ausführung, die er folgen ließ, durch feine und belebte Karakterifiit und Ausein⸗ 
ıerfegung anregend und feflelnd. 

Inzwiſchen war feine fchriftfiellerifhe Thätigleit duch das im Jahre 1835 er⸗ 


390 Ulmenn, Karl 


fhienene „Leben Jeſu“ von Strauß von der Firchengefchichtlichen Bahn wieder anf 
bie apologetifche zurücdgerufen worden, die er bereits in feiner „Sündlofigkeit Jeſu⸗ 
und hernady in einem kleinen finnigen Auffage: „Was fett die Stiftung der Kirch 
durch einen Öelreuzigten voraus?“ (Stud. u. Kritilen, 1832. Hft. 3) mit fo vielem 
Geſchick betreten hatte. Schon im Jahre 1836 mar aus feiner Feder eine Kritik dei 
„Lebens Jeſu“ erfchienen, und als Strauß auf dieſe ebenfo achtunggebietenden als Ic 
denfchaftslofen Einwendungen in einem friedlihen Sendfchreiben antwortete, fhrd 
Ullmann in derfelben Form und Haltung eine befonders mit der Perfönlichkeit Ir 
und der Glaubwürdigkeit des Wunders ſich befchäftigende Replik, die dann mit jm 
erften Kritik zufammen unter dem Titel „Hiftorifch oder Mythiſch, Beiträge zur Dem 
wortung der gegenwärtigen Nebensfrage der Theologie” (1838) im befonderer Ausgıh 
erfchien.. Die von Strauß hingeworfene Idee, den chriftlichen Gottesdienft duch em 
Eultus des Genius zu erfegen, veranlaßte Ullmann ferner zu der fchönen an Gufa 
Schwab gerichteten Schrift:, „Ueber den Cultus des Genius“ (1840) — umd eek 
riefen die feit Strauß neu erregten Verhandlungen über das Wefentliche und Bleibe 
im Chriftenthum die Abhandlung: „Ueber den unterfcheidenden Karakter des Chriflen 
thums, mit Beziehung auf neuere Ausdrudsweifen (Stud. u. Krit. 1845) — herum 
welche als feparate Schrift unter dem Titel „das Weſen des Chriftenthums“ fetten 
in vier Anflagen srfchienen ift und nächſt dem Buche über die Sündlofigfeit Ifı a 
meiften ein Bild der theologifhen Denfart und Methode Ullmann’ gewährt. Es fal 
die Schleiermacher’fchen theologifchen Grundanfchauungen, die ung bei Ullmann entygm 
treten, aber in einer ähnlichen Temperirung wie bei Neander: Unabhängigkeit von ir 
orthodoxen theologifhen Formen, Unterfheidung von Glaube und Dogmatik, As 
nung des Oottmenfchlihen in Offenbarung und heiliger Schrift, auf der mas 
Seite Betonung der vom Rationalismus verkannten religidfen Ideen des Chriftenttun, 
namentlich der centralen Bedeutung ber Perfon Chrifti als des nothinendigen wi 
ſchlechthin volllommenen Vermittler8 der Gemeinſchaft mit Gott; das alles aber sa 
die einfeitige Subjeltivirung der Glaubenswahrheit und die fonfligen drüdenden Bra 
gungen, die derjelben bei Schleiermacher durch fein eigenthümliches Nebeneinander de 
Muftit und Spekulation auferlegt find, alfo vor Allem ein unumwunden theifiiät 
Gottesbegriff und eine vollere Anerkennung des Webernatürlichen, fowie überhaupt a 
ausgeprägterer hiftorifcher Sinn. Dabei ift Ullmann's theologifche Methode dialchit 
aber durchaus nicht fpelulativ; hiftorifh, aber keineswegs weſeutlich kritiſch; vo k 
fein beobadıteten äußeren oder inneren Einzelthatſache geht er auf allgemeine Badia 
pofitiver Natur aus, ohne aus denfelben ein eigentliches Syſtem zu bauen oder fr ® 
dem Firchlichen Suftem kritiſch auseinanderzufegen, — Eigenfchaften, die ihn fir d 
vorherrfchend anregende Lehrthätigkeit und als Schriftfteller für eine gewiſſe mit 
Gattung zwiſchen fireng wiſſenſchaftlicher und rein populärer Erörterung chriſtlichet « 
ticchliher Dinge vorzüglich befähigten. 

In Ullmann's zweite Heidelberger Periode fällt vor Allem fein Lirchengefchihtid 
Hauptwerk, welches durch die Größe feines Gegenftandes, die Gründlichkeit der 
hung deffelben und die Anmuth und Wärme der Darftellung ihm einen bieibel 
Ehrenplag in unferer hiflorifchen Theologie fichert, feine „Neformatoren vor der A 
mation“. Sie erwuchfen ihm, wie fchon erwähnt, aus feinem „Johann Weſſel⸗, 
er durch Hinzunahme Johann's v. God, Johann's v. Weſel, der Brüder des gem 
ſamen Lebens und der rheinländiſchen Myſtiker zu einer Geſammtdarſtellung der religi 
theologifchen Vorbereitung des deutſchen Reformationswerkes erweiterte. Aber mit hi 
Werte (1842) und dem „Weſen des Chriſtenthums“ (1845) ift feine im enger ©% 
theologifhe Schriftftellerei im Großen und Ganzen auch abgefchloflen; weitere, nam! 
Lich kirchengefchichtliche Entwürfe, die er hegte, famen nicht mehr zur Reife, und anf | 
duch Baur und feine Schule eröffneten Fritifch - biftorifchen Streitfragen über da 
hriftenthum ging er nicht näher ein. Dagegen trat ein Intereſſe an Ppraktifd; - Krdl 





Ulmans, Karl 391 


Ketfengen, das in einem uxciprünglichen Zuge feines Weſens begründet war und fchon 
‚ neines Weihe älterer Beiträge zu den Studien und Kritilen („Ueber einige Mängel 
w Bebärfniffe der proteflantifchen Kirche“, 1832; — „Ueber Partei und Schule, 
Inenfäge und Bermittelung", 1833) ſich befundet hatte, feit den vierziger Jahren im 
Aemmenhang mit der immer mehr auf kirchliche Probleme führenden Zeitbewegung 
uchmend bei ihm hervor und nahm feine fchriftftellerifche Thätigkeit je länger um 
h msihliegliher in Anſpruch. Kraft einer ihm angeborenen Gabe und Neigung 
ze Bermittelung zivifchen Theologie und Kirche, Wiflenfhaft und allgemeiner Bil. 
u ward Ullmann von da an gegenüber ben einfchlägigen Zeitfragen der hervor» 
mendfle Wortführer der in den „ Studien und Sritilen“ vertretenen Theologie, und 
Hit in dem vierziger Jahren kaum irgend eine erheblichere Bewegung auf lirchlich⸗ 
wimalem Gebiete vorgelommen, über welche er ſich nicht in eingehend begutachtender 
Beſe in feiner Zeitfcheift ausgeſprochen hätte. Go über die kirchliche Duldung oder 
Imbtigung des Rationalismus aus Anlaß des Altenburger Kicchenftreites vom Jahre 
I; Aber die durch Straußens Auftreten und Scidfale in Bewegung geſetzte Lehr⸗ 
hieitöfeage in feinen „Bierzig Sägen“, die theologifche Lehrfreiheit innerhalb der 
Sugeiic » proteftantifchen Kirche betreffend“ (1843); über die deutſch⸗latholiſche Bewe⸗ 
wu (1845); über die Nichtannahme des D. Rupp auf der Berliner Hauptverſamm⸗ 
in; des Suflan- Adolfs- Vereins (1847). Den in den legten Jahren vor 1848 fidh 
meeden Gedanken einer deutſch⸗ evangelifchen Nationallirche vertrat er in einem Auf⸗ 
hie der Gotta’fchen „ Deutichen Bierteljahrsfchrift« (1843), indem er ihn den an 
he Stiftung des Bisthums Jeruſalem fich Inüpfenden Unglilanifirungsideen entgegen- 
kl, und als jener Gedanle in dem von den Königen von Württemberg und Preußen 
wenden Entwurf einer allgemeinen dentſch⸗evangeliſchen Kirchenconferenz einen ges 
Sa Untlang fand, verfahte ex im Jutereſſe defielden die Schrift: „Fir die Zukunft 
kr acheliſchen Kirche, an ihre Schirmberren und freunde (Stuttgart 1845 u. 1846), 
» a denn and) als Abgeordueter Badens au der conflituirenden Berliner Conferenz 
u chenſo am den meiften fpäteren (Eiſenacher) Conferenzen thätigen Wntheil nahm. 
die Orundfäge Ullmans hinfichtlic dieſer praktiſch- kirchlichen Frage waren weſentlich 
ihende. Unterſcheidung, aber nicht Scheidung von Staat und Kirche. Alſo von Seiten 
& Staates Duldung für alles fittlich Exträgliche, aber Pflege der anerkannten pofitiv⸗ 
keiflihen Eonfefflonen als der Trägerimmen der tieferen, den Staat tragenden fittlichen 
bifte. Unbeſchränkte Freiheit der wiſſenſchaftlichen Erörterungen in der Literatur, aber 
Kafihtlih dee tbeologifchen Falultäten Bermittelung der NRüdfichten auf die freiheit 
in Bifienfhaft umd auf das Bedürfniß der Kirche; alfo Bindung nicht am die Lehr 
Pen der fymbolifchen Bücher, aber au die Principien des evangelifchen Belenntnifies. 
W dem Boden der Kirche felbft fein geſetzlicher Symbolzwaug, foudern freie geiftige 
Uerwindung unvolllommener Richtungen, aber unter Fefihaltung der Belenntnifie als 
ieildficher Glaubenszeugniſſe und unter Vorbehalt des Rechtsverfahrens gegen Solche, 
e ihr Amt zum Umſturz der kirchlichen Fundamente mißbrauchten. Endlich feine Bes 
Kigung des Inndeßherrlichen Kirchenregiments, wohl aber Ergänzung der conflflorialen 
Emrihtungen durch presbuterial- fyuodale, damit eine Selbfibeflimmung und Selbfient- 
heidung der evaugelifchen Kirche möglich fe. 
Auch in den Jahren 1848—1850, deren wechfelnde flürmifche Bewegungen, in 
® badiſchen Revolution von 1849 ihren Höhepuntt erreichend, ihn in ummittelbarer 
übe umfreiften, fuhr Lllmann fort, diefen Beruf eines Sprechers ber neueren glän- 
ven Theologie gegenüber den Zeitfragen zu erfüllen. Die Anſprache, die er mitten 
a hüfteflen Getlmmel des Aprils 1848 an die Lefer der „Studien und Kritiken“ 
Ötete („Kiniges für Gegenwart und Zulmft“, 1848, 3), iſt ein erhebendes Zeugniß 
ꝛ chriſtlichen Mannhaftigkeit, mit der er, fern von unfruchtbarem Verneinen oder Be- 
agen, dem Chriften und Theologen den aufgewwühlten Boden bes Vaterlandes als ein 
uchtbares Saatfeld zu zeigen ioufite. Cine andere bei Cotta erfchienene Schrift deſ⸗ 





392 Ullmaun, Karl 


felben Jahres („Ueber das Berhältni von Staat und Kirche“) vertrat gegenüber ber 
alle Bande zwifchen Staat und Kirche, Bürgerthum und Chriftenthum Ldfenden Beſtim 
mungen der „Deutſchen Grundredjte” die Idee des chriftlihen Staates in dem oba 
angedeuteten, die volle Toleranz und Gewiſſensfreiheit nicht ausſchließenden Sim, : U 
der Schöpfung des im Herbfl 1848 in's Leben tretenden deutfchen evangelifchen Kirchen 
tages nahm Ullmann eifrigen und thätigen Antheil, indem er überhaupt aus freia 
Bereinigungen lebendiger Glieder der evangelifchen Kirche die beften Fruchte fir 
eine Berjüngung und Einigung der letzteren erwartete; ebenfo ging er mit man 
Herzen auf den eben damals Macht getvinnenden Gedanken der „inneren Miſſion⸗ m, 
für den fi in Baden namentlid) nad; dem völligen Zufammenbrucd, der bürgerlde 
Ordnung und der erſt durch preußifche Waffen ermöglichten Herftellung derfelben eu 
ergiebiger Boden und vielfeitige Empfänglichkeit darbot. Die Revolutionsjahre E 





einen tiefen Eindruck bei Ullmann zurüd, keineswegs einen verbitternden oder v 
büfternden, wohl aber eine Verſtärkung und Vertiefung feines praktifch » veligiöfen 
kirchlichen Ernſtes, die ihm aus dem gewordenen Einblid in bie religids-fttäd 
Haltlofigkeit unferes Volles erwuchs. Wie fern fein chriftlich- kirchlicher Conferbatitum 
ber fich allerdings von da an fchärfer ausprägte, von ben Ausartungen war, die u 
Form einer confeffionaliftifchen Gefeglichfeit und trüben Vermiſchung kirchlicher und ps 
letiſcher Tendenzen damals zu wuchern begannen, bezeugt namentlich die von heilize 
Ernſt und dem reinften evangelifchen Geſinnungen getragene Zeitbetrachtung, mit der d 
den Jahrg. 1852 der „Studien und Kritilen“ eröffnete. Und daß infonderheit in da 
freieren theologifchen Ueberzeugungen Ullmann's durchaus feine Veränderung borgegaye 
war, beivies in demfelben Jahrgang der Zeitfchrift die feine und überlegene Judo 
fung, die er mit dem Motto „Schlage, aber höre“ den vom Grafen Gaspım = 
Sinne einer wenig erleuchteten Orthodorie gegen fein „Wefen des Chriftenthums p 
machten Angriffen mwiderfahren ließ. 
Es entſprach nur den Berhältniffen und Anforderungen der auf die Nebolstink 
jahre folgenden Zeit, wenn fich Ullmann, im Drange praktifch » beflernde Hand im nöd 
Lebenskreife mit anzulegen, von nun an vorzugsweiſe den Angelegenheiten der badiſce 
Landeslirche widmete, auf die er als im Lande geborener Theologe und hervorragehe 
Bildner der jüngeren ©eiftlichkeit einen bedeutenden Einfluß zu üben im Stande mi 
Die evangelifche Kirche in Baden, ein Drittheil der Bevölkerung umfaffend, war s 
altbadifchen Lutheranern und pfälzifchen Reformirten durd die Landesſynode vom FM 
1821 zu einer im vollſten Sinne unirten zuſammengewachſen *). Die Unionknte 
enthielt auch die Idee einer don der Einzelgemeinde aus organifch fich gliedernden =l 
mit dem Staatsorganismus felbftändig fi zufammenfcließenden „Kirche; aber ba 
Fee war nur fehr kümmerlich verwirklicht worden, indem zwar zu dem confifteried 
Kichenregiment presbhteriale und ſynodale Einrichtungen hinzugetreten waren, aber 
an mangelhafter Conftituirung litten, theils durch ein Uebermaß von Staatsber 
dung auf einen geringen Grad von Bedeutung herabgedrüdt wurden. Der landesfirh 
Bekenntnißſtand war unter Nachwirkung der von dem trefflihen Markgrafen und 
herzog Karl Friedrich (f 1811) herrührenden pofitiv gerichteten Kirchenrathei 
duch 8. 2. der Unionsurkunde zwar im Sinne einer aufrichtigen Anerkennung dei € 
fenfus der Belenntniffe feftgeftellt worden, aber indem man die Geltung derfelben \ 
Autorität der Schrift hatte unterordnen und das Hecht der fortichreitenden freien Scri 
forſchung wahren wollen, war ein fo unbehülflicher und gewundener Belenntuißparag) 
entftanden, daß auch Bekenntnißflucht und Lehrwillkür fich nicht ohne Schein auf M 
felben berufen konnte (vgl. Bundeshagen, die Belenntnißgrundlage der vereinigten 1a 
nelifchen Kirche im Großherzogthum Baden. Franffurt a. M. 1851). Nun hatte M 
*) Wir erzählen von hier an. ausführlicher, um zugleich den Art. „Baden“ im erfen gut 


biefer Real» Encyflopäbdie, der mit ber Einführung ber Union abbricht, bei diefer Gelegenhen 
ergänzen. 
















Ulmen, Karl 393 


Animalienns, dem ſchon Karl Friedrich vergeblich zu ſtenern geſucht, durch den Zug 
ia Zeit und die Paulus'ſche Wirkfamteit eine ausgebreitete Herrfchaft unter den Geiſt⸗ 
in und Bebildeten geivonnen und bie unter feiner Mitwirkung entflandenen Kir⸗ 
istüher, der Landestatehismus, die Agende, das Geſangbuch, auch die biblifche 
Whihte, gaben einem pofitiveren Sinn und kirchlichen Geſchmack vielfachen Anſtoß. 
‚Birrerfeit6 war feit den zwanziger Jahren, getragen bon einzelnen originellen Per⸗ 
Relihleiten, ein dem twürttenibergifchen vertwandter Pietionms im Lande anfgelommen 
md nah und nach zu einer vollsthümlichen Bedeutung gelangt: indem fi ans ihm 
guöß der allgemeinen deutfchen Entwidelung hie und da ein firenger Coufeſſionalismus 
awidelte, exfchien in einer Zeit, die, wie die erſten fünfziger Jahre, von. einem flarten 
Itlihen Zuge beiwegt ward, der landeskirchliche Beſtand um feiner Mängel und Aerger⸗ 
u willen ernftlich gefährdet, und fchon waren die Uufänge einer lutheriſchen Sepa⸗ 
wen im Rande vorhanden. Go eröffnete fich der neueren gläubigen Theologie, wie 
Rwfentlih mit durch Ullmann's Verdienſt in der Landesgeiftlichleit Wurzel gefaßt 
ki eine ebenfo Lohnende als dringende Aufgabe: durch eine gefunde Reform den Be⸗ 
km der Landeslirche zu fichern und die Einwirkung derſelben auf Volle. und Staats. 
Be zu ſteigern. Es iſt ein großes und bleibendes VBerdienft Ullmann’s, diefe Aufgabe 
biäne leitende Band genommen und die damalige gefahrvolle Kriſie der badifchen 
Imiellichhe zum Guten gewendet zu haben. 

Er that dieß zunächſt von feiner alademiſchen Stellung aus in ganz freier Weiſe, 
Bm er die reformpgefinnten Freunde der evangelifchen Landesliche in halbjährigen 
kin Conferenzen vereinigte. Diefe „Durlacher Eonferenzen« (wohl zu unterfcheiden 
“a den fpäter unter Schenlel’8 Leitung erneuerten) gewannen für das evangelifche 
Ba eine epochemachende Vedentung, indem hier zuerſt Pietismns und Vermittelungs- 
beige zu einamder Vertrauen fahten, und in gründlicher freiefter Erörterung die Lo⸗ 
fung tr ſchweben den landeskirchlichen Rebensfragen vorbereitet ward. Einer der erſten 
ug den einleitendeu Vorträgen, welche hier von den namıhafteften Männern der Landes- 
Erde gehalten wisrden, war Ulmaun’s Abhandlung: „Ueber die Geltung der Majori- 
Ken in der Kirche“ (Stud. u. Krit. von 1851), ein Programm feiner Behandlung von 
Runen der Kicchenverfafiung. Bald eröffnete der in Baden eintretende Regierungs⸗ 
will (1852) die beften Hoffnungen auf die Durchführung ber augefirehten Reformen, 
® old im Jahr darauf die evangelifche Prälatur durch Hüffell's Rüdtritt erledigt 
wi, erſchien nichts natürlicher, alS daß der Prinz» Regent (der jetzige Großherzog) zu 
aſelben Ullmann berief. Obwohl gewiß mehr ein Daun der Gtudierfiube als des 
Ki Tiiches, war Ullmanu doc durch feinen ganzen immer mehr in’s praltifd- 
Ihliche Intereſſe hineingewachfenen Entwidelungsgang dazu geführt, den Beruf zur 
hienregimentlichen Durchführung der angeftrebten Reformen ſich zugutrauen, und fo 
Ma — im Herbſte 1853 — den Schritt, der fo verhängnikvoll für ihn werben 

‚ 08 dem alademifchen im’® confiftoriale Amt. Allerdings nicht, ohne ein Pro» 
kan feiner kirchenregimentlichen Gruudſätze und Ziele anfgeftellt zu haben, vom deſſen 

gung an entfcheidender Stelle er feine Annahme abhängig machte; den weſentlichen 
thelt deſſelben führte er gleich, nachher in einer Anſprache an die Randesgeiftlichkeit 
W die auch ans der Kirche felbft ihm nur volle Zuflimmung zurüdbrachte. 

Der Eoangelifche Oberkirchenrath in Baden war damal®, abgefehen von wenigen 
h jelten vorfommenden rein» innerlichen Angelegenheiten der Kirche, eine dem Mini⸗ 
Kum des Innern untergeordnete Behörde, ohne das Hecht des Vortrags beim Groß- 
Bog als Landesbiſchof, umd im Oberkiechenrathe felbfi war der Prälat (d. h. eigeutlich 
x Bertreter der ebangelifchen Kirche im der erften Lammer) nichts weiter, als das erſt⸗ 
tirende Mitglied der geiftlihen Bank. Ullmann empfing alfo durch feine Stellung 
r teine wirkliche Ticchenregimentliche Macht und konnte nur durch befondere Zugäng⸗ 
heit des FFürften, des Miniſters und feiner Collegen im Oberkirchenrath für feine 
ſtrebungen etwas auszurichten hoffen. Erſt im Jahre 1856, als der dermalige welt⸗ 






394 Ullmann, Karl 


liche Direktor des Oberkirchenraths zurücktrat, übertrug ber Großherzog aus eigenem 
Antriebe Ullmann auch das feither noch nie von einem Geiftlichen geführte Direlie 
rim, aber die nachträglichen Bedingungen, welche der damals neu eingetretene Miriſte 
bon Stengel diefer Neuerung anzuhängen wußte, machten biefelben für Ullmam che 
zu einem Schaden al8 zu einem Gewinn. Es ward ihm im Oberficchenrath ein weltlihe 
Bicedireltor gegenübergeftellt, deſſen Widerfpruch jeden fonft einhelligen Collegialbeſchlej 
der höheren Entfcheidung des Minifteriums untertwarf, und flatt des beantragten ums 
telbaren Bortrags beim Großherzog erhielt der neue Direktor ſammt jenem Vicedicn 
Sit und Stimme im Minifterium des Imneren, ein Recht, welches bei der ftart bum 
kratiſchen und für geiftliche Gefichtspuntte wenig empfänglichen Stimmung dieſes Cık, 
giums für Ullmann, namentli wenn er Pfarrbefegungsangelegenheiten zu verimea 
hatte, bald zur größten Bein werden follte. 

Das Hauptbeftreben des neuen Prälaten war von Anfang auf die Ansfüheung te 
in den Durlacher Conferenzen vorbereiteten organifchen Reformen gerichtet, behufs das 
die gefeglich alle fieben Jahre zu verfammelude, aber faktiſch immer viel länger ve 
ichleppte und nun feit 1843 nicht gehaltene Generalfunode im Jahre 1855 eimberuim 
ward. Ihr wurden Entwürfe einer neuen Formulirung des Bekennmißſtandes, cd 
neuen Landeskatechismus, einer neuen Gottesdienftordnung und biblifchen Geſchichte vom 
gelegt, Vorlagen, welche eine aus den Mitgliedern der theologifchen Fakultät uud me 
Auswahl angefehener Geiftlichen gebildete Borconferenz faft widerſprucholos gutgeee 
hatte; die Geſangbuchsreform und die Berfafjungsrevifion follten einer folgenden & 
neralfynode vorbehalten bleiben. Die neue Dellaration des Belenntnißftandes lat 
wie folgt: „Die vereinigte evangelifch » broteflantifche Kirche im Großherzogthundu« 
gründet fi anf die heil. Schrift alten und neuen Teftamentes als die alleinige Ir 
und oberfte Richtſchnur ihres Glaubens, ihrer Lehre und ihres Lebens, und hält ui 
voller Anerkennung ihrer Geltung feft an den Belenntniffen, welche fie ihrer Bam 
gumg zu Grunde gelegt hat. Diefe in Geltung ftehenden Belenntniffe find die 8 
vor der wirklichen Trennung in der evangeliſchen Kirche erſchienenen, und unter diſe 
namentlich und ausdrücklich: die Augsburger Confeſſion, als das gemeinſame Gra⸗ 
bekenntniß der evangeliſchen Kirche Deutſchlands, ſowie die beſonderen Bekenntnißſcun 
der beiden früher getrennten evangelifchen Confeſſionen des Großherzogthums, da Di 
techismus Luther's und der Heidelberger Katechismus, in ihrer übereinftinnmendes 
zeugung der Grundlehren heiliger Schrift und des in den allgemeinen Belenntnifla * 
ganzen Chriſtenheit ausgefprochenen Glaubens.“ — In dieſer Aufftellung, die for® 
müthig gebilligt ward, vermißte eine Minorität der Synode und an deren EM 
Hundeshagen und Rothe die im 8. 2. der Unionsurfunde ausgefprochene Balz 
des Nechts der freien Schriftforfchung, während Ullmann beftritt, daß eine folde ! 
den Bekenntnißausdruck gehöre. Sein Standpumtt in diefen Fragen war ala 
nicht mehr der feines 25 Jahre älteren Gutachtens in der Gefenius » Wegfcheider kn 
Angelegenheit, in welchem er eine Tirchenrechtliche Bedeutung der Symbole zur dd 
theilung von Lehrfragen abgelehnt hatte, aber er hatte, wie da8 von ihm berfaßte 9 
achten der Heidelberger Fakultät über den Pfälzifchen Sirchenverfafiungsentivuri W 
Jahre 1849 bezeugt, feine Anficht nicht erft mit dem Eintritt in's Kirchenregiment I 
ändert und wollte auch jett der theologifchen freien Forſchung fo wenig emtgegengeim 
wiffen wie feine fymodalen Gegner, nur daß er fürctete durch Erwähnung derjelb 
im Bekenntnißparagraphen alle rechtliche Anwendbarkeit deſſelben wieder im Zweikl | 
fegen. Ein fchließlich von ihm machgegebener Zufag, welcher Recht und Pflidt ! 
freien Schriftforfchung für alle Glieder der Kirche‘ betonte, den Dienern der Kit 
diefe Pflicht befonders einfchärfte, aber auch ein fpecififches Recht der theofogifchen 6 
fung nicht ausſprach, gewann für die Vorlage zwar nicht alle, aber doch die ba © 
tem mehreren Stimmen. Unbedingter war die Zuftimmung zu den übrigen Extwir 
Der vorgelegte neue Katechismus, eine von Ullmann felbft bearbeitete Berfchmelgung ! 


Ulmen, Karl 395 


feinen Lutheriſchen mit einer Auswahl aus dem Heidelberger, fand nicht nur auf ber 
Spmode, fondern andy in den Gemeinden die dankbarſte Anfnahme, wie er benn auch 
wenige Jahre nachher mit geringen Aenderungen in ber xheinspreußifchen Kirche als 
Usionsintechismn® adoptirt ward. Ebenſo wurde die nene biblifche Geſchichte ohne 
Eiverfpruch, die nene Sottesdienflordunng — eine treffliche Arbeit von D. Bähr — 
ater ganz geringen Modifilationen angenommen und die Einführung der legteren nur 
kur verzögert, daß die Synode ein vollſtändiges Kirchenbuch verlangte, welches in 
zenſelben Style auch die Nebengotteßdienfte und Caſualien behanbelte. 

Gleichwohl follte diefe nene Gottesdienflorduung für das Ullmann'ſche Kirchen: 
ngiment verbängsigvoll werden. Als drei Yahre nad; der Generalfyuode von 1855 
ie Agende, anf deren baldige Einführung noch die Didcefanfgnoden von 1857 gebrun- 
m, endlich vervollftändigt, rebidirt, genehmigt und gedruckt war, hatte fich inzwiſchen 
ie Situation mehr als man ahnte verändert. In Baiern war vor Kurzem eine neue 
ünhümliche Liturgie im Zuſammenhang mit anderen mißliebigen Confiftorialerlaflen 
Biderfland der Gemeinden gefcheitert, in Preußen hatte ein Regierungswechſel ftatt- 
finden, welcher die liberalen Tendenzen auf kirchlichem wie auf politifchem Gebiet in 
m Deutſchland mit neuen Hoffnungen erfüllte, und in Baden ſelbſt war an die Stelle 
kt mohlwollenden proteftantifchen Miniſters v. Wechmar, ber ſelbſt der Synode von 
1855 pröflbirt hatte, der oben erwähnte Hr. v. Stengel getreten, ein Katholik, deſſen 
gipmntes Verhältniß mit dem Direktor des Oberlirchenraths landkundig war. Das 
Us Ind die feit den badifchen Revolutionszeiten faft völlig verſtummten oppofitionellen 
Emente im Rande zu einer nenen Aktion ein, als deren nächſtes Objelt das neue 
Krhenbuch, welches für die von faft aller Liturgifchen Ausflattung des Gottesbienfles 
steitnte fübdentfche und befonders pfäzifche Boltsftimmung immerhin etwas Befremd⸗ 
übe, aufheinend Katholifivendes hatte, fi zur guten Stunde darbot. Während ſich, 
im es ſich de lege ferenda handelte, fo gut wie feine Oppoſition verlautbart 
hate, erhob fich diefelbe jet, wo das Kirchenbuch nur noch durch einen kirchlichen 
Khtäbeuch, chefgängig zu machen war, zuerft in Mannheim und formulirte ſich fofort 
u heidelberg zu der an dem Großherzog gerichteten Bitte, die Einführung nicht etwa 
uber Tolalgemeinde, fondern im der ganzen Landeskirche zu fuspendiven. Mit Hülfe 
ar gedruckten und mafienhaft verbreiteten Flugſchrift und aller fonfligen Mittel der 
luetion verpflanzte man diefe Oppofition and) in andere Landestheile, und bald ge⸗ 
am diefelbe, ermuthigt dich die Konnivenz des Miniſteriums bes Innern und ein 
a hoͤchſter Stelle ſelbſt eintretendes Schwanken die größten Dimenfionen. Die Kirchen⸗ 
Kirde, die an eine gezwungene Einführung nie gedacht hatte, vermochte — von den 
Beren Inſtanzen verlafien — dem anſteckungsartig durch's Land gehenden Schwindel 
Ka Widerfland zu thun, und obwohl die Nichtigkeit der gangen Sache am Ende darin 
alien Tag trat, daß die Mehrzahl der Gemeinden dennoch die neue Gotteßdienftord- 
u annahm und auch die renitenten fidh zum Gebrauch der Gebete und Formulare 
neuen Kirchenbuchs herbeiliehen, fo mar das Reſultat des Agendenſtreites doch eine 
Mlihe Verlegung der kirchenregimentlichen Autorität und die Erfahrung, daß noch 
m andese Dinge zu ertrotzen feyen, als das Wegbleiben eine® Sonntagsevangeliums 
ker Hallelnjah tm Gottespienft. 
Algsbald zeigte ſich auch, daß die Oppofition viel weiter gehende Ziele verfolgte. 
Beit entfernt wit der Erledigung der Ugendenangelegenheit zurüdzutreten, organifirte fie 
& vielmehr nur umfo feſter und nahm zum Ziel den Sturz des Ullmann'ſchen Kirchen⸗ 
giments, da® als ein reaftionäres, hochkirchliches, hierarchifches von da an bie Ziel- 
heibe ebenfo unermüdlicher als unmärbiger Zeitungsangriffe wurde. Nächſt der Agende 
uede befonders die durch Beſchluß der Synode von 1855 an die Stelle eines hödfl 
ongeihaften Wahlfuftem® gefettte Eooptation der Presbyterien ale Beweis der gegen 
teiheit und Recht der Gemeinden feindfeligen Gefiunung der Kicchenbehörde ausge 
tet, obwohl der Antrag auf biefe Veränderung gar nicht von dieſer, fondern von 


396 Hllmann, Karl 


dem fonft oppoſitionellſten Mitgliede der Synode ausgegangen war. Ebenſo verdächtig 
man die Kicchenbehörde der Sympathie mit dem ebendamald von der Regierung u 
der römischen Curie abgefchlofienen Concordat, — ohne allen Orund, indem fe vi 
mehr unaufgefordert der Regierung ihre Bedenken gegen daſſelbe ausfprad; und Une 
infonderheit in der erflen Kammer fich wider dieſe einfeitige Privilegirung der katholiid 
Kirche erklärte. Die Führer des Agendenftveites nahmen nun auch die Apitation gg 
das Concordat in die Hand, und als bald darauf bie zweite Kammer dafjelbe den 
und in Folge deffen ein neues Minifterium aus der Mitte der Oppofttion hervamy 
war auch das Schickſal des Ullmann’schen Kirchencegiments befiegel. Da am die ch 
des Concordats ein gefetggeberifcher Akt trat, der beider Kirchen Selbftändigkeit u 
Selbftverwaltung zufprah, mithin eine Revifion der evangelifchen SKirchenverffie 
(— keineswegs aber, wie hernach gefchah, die Vefeitigung einer feit vierzig Yahın k 
ftehenden, durch die Unionsurkunde verbürgten und jeder Verbeſſerung fähigen 
fung —) geboten war, fo warf fich die kirchliche Oppofition nun auf die * 
frage. Die Loſung, daß dies Kirchenregiment nicht berufen ſeyyn könne, das Princi 
Selbfländigfeit und Selbfiverwaltung der evangelifchen Kirche (für weldes Une 
bon Anbeginn gefämpft hatte) in’8 Leben einzuführen, ward unter gefteigertem forte 
der gehäffigen Zeitungsangriffe ausgegeben, und das vollftändige Gewährenlaſſen verie 
feitens der Regierung, die ſich mit feinem Worte ihrer eigenen Behörde ammahn, gi 
den Gegnern die Gewißheit, daß der Sturz Ullmann’ nur eine frage der Zeit I. 
AS Prälat vor unfreiwilliger Entlaffung gefihert, hielt Ullmann, fo fü 
nnter diefer Situation innerlich litt, fi) doch in feinem Gewiffen gebumden, dal&in 
der Kirche feinen Gegnern nicht zu überlaffen, fo lange es ihm füttlich mögik im 
würde daflelbe zu behaupten. Als aber zulegt ihm die Zumuthung geftellt war, ® 
von ihm felbft in die Kirchenbehörde gezogenes vollkommen untabliges geiftlichet Ft 
glied aus derfelben entfernen zu Laflen, damit eine Miſchung verfchiedener Richten 
im SKirchenregiment ftattfinden Lönne, erflärte er, daß nach feiner Weberzeugum 
Kirchenregiment nicht an der Verfchiedenheit der Richtungen, fondern au dem enheig 
Bekenntniß der evangelifchen Kirche feine Bafls haben müfje, und bat, tvenn ma“ 
jenem Gedanken nicht abfehen und zugleich die Kirchenbehörde gegen die meift von fi 
in Staats. und Kirchenämtern ausgehenden Angriffe und Verdächtigungen nidıt (Cl 
wolle, um feine Entlaffung. Nach vergeblichen Verhandlungen erhielt ex biefelbe, 4 
auf beharrliches Nachſuchen fein Freund und College D. Bähr, und mm tum“ 
Negiment und Berfaofiung der badifchen Landeskirche jene Veränderungen ein, sh 
neuerdings fo viel vom ſich reden gemacht haben und im Betreff deren wir hier cd 
anf unfere feiner Zeit in der Neuen Evangel. Kirchenztg. Jahrgang 1861 geral 
Berichte verweifen können. Es wird micht zu behaupten feyn, daß das Ulm 
Kicchenregiment diefen Ausgang durch feinerlei Mängel erleichtert habe; vor Alam! 
es in der Individualität wie in der Lebensführung des trefflichen Mannes, Di 
viel auf das Wohlwollen des Landesfirften und bes Kirchenregiments baute md 4 
freimüchfigen rechtöfräftigen Entwidelung von unten auf nicht aufmunternd und gabe 
vol genug entgegenfam; aber der Kampf, in dem er umterlegen if, hatte zum til 
Grunde einen ganz anderen Gegenfag, den eines auf beftimmten pofitiven, bekam 
mäßigen Grundlagen geordneten und eines von bdiefen Grundlagen abflrahirende ! 
lediglich auf die vage Gemeinſamkeit proteftantifcher Bildung und Entwickelung bafırca 
Kirchenthums. Die Freunde des Iehteren werden das, ‚was Ullmann Große ! 
Schwerzubefeitigendes in erflerer Richtung durchgeſetzt hat, ihm nicht zum Verdiech 
rechnen; aber Tugenden feines Kirchenregiments, die außerhalb diefes Gegenfaget I 
wie der Kampf gegen bureanfratifche Bevormundung der Kirche, der Verſuch mbglis 
perfönlicher Wechſelwirkung zwiſchen dem Regiment und den Geiſtlichen und Gene 
die wahrhaft geiftliche umd Firchliche Behandlung der Pfarreibefegungen, endlid Br 
durch Ullmann's Bemühungen und unter mühfeligftem Kampfe mit dem Staatsket- 





Ullmann, Karl 897 


ereichte Ticchliche Berforgung und Organifation der evangelifchen Diaspora im Lande 
Kitten auch von den Gegnern anerkannt werden möüfjen, anflatt bon ihnen todtgefchiwiegen, 
is theilweife — wie namentlich die Behandlung ber Pfarreibefegungen — aufs Schub⸗ 
ie mihdentet zu werden. 
As Ullmann, fünfundfechzigjährig, in den Ruheftand trat (Meujahr 1861), war 
wir den unſäglich bitteren Erfahrungen der leuten Jahre feine Geſundheit bereits 
geidt; ein mit ſchmerzhaften Krämpfen verbundenes Gallenfteinleiden hatte ſich angefün- 
Yet und kehrte von da an troß aller Heilmittel und Curverſuche in immer neuen, alls 
ni feine Kraft verzehrenden Anfällen von Zeit zu Zeit wieder. So gingen feine 
Kelähtigen Hoffnungen, die er felbft für eine erneute literarifhe Muße auf feinen 
Lheſtand gefegt hatte, nur kümmerlich in Erfüllung. Abgeſehen von der legten Um⸗ 
skitang feiner „Süudlofigfeit Jeſn⸗ und einigen kleineren Beiträgen zu ben „Studien 
m Sritifen», kam es nur noc zu Anfägen, nicht mehr zu Ausführungen; namentlich 
Am Denfichrift, die er über feine kirchenregimentliche Amteführung im Werke hatte, 
bir unvollendet geblieben. Das befle Theil feiner Zeit und Kraft nahm die Redaktion 
je ‚ötudien und Kritiken“ in Anſpruch, welde während feiner Prälatur vorzugsweiſe 
w Umbreit geführt, nun in feine Hände zurüdging und nadı dem Tode jenes viel» 
Heigen Mitarbeiters, dem Ullmann noch ein ſchönes Denkmal fegte (f. Stud. u. Reit. 
862, Hft. 3.) anfangs unter Rothe’s, dann unter Hundeshagen's und Riehm's Mit- 
rlıng mit alter Liebe und Treue bis an das eigene Ende fortgefegt ward. Schon 
a Hinblick auf fein nahende® Ende hielt er Pfingften 1864 mit deu neuen Mitredals 
ae eine Conferenz über die Stellung umd Aufgabe der Zeitfchrift in der Gegenwart 
ad fuhte ihr eine kräftige Fortdauer fiber fein eigenes Leben hinaus zu fihern. Vom 
Ruumber defielben Jahres an zeigten waflerfüchtige Erſcheinungen, daß fein Leiden an- 
har ufldfend zu werden, und num blieb ihm nur mod übrig, ein in Wrbeit für das 
Heid Opttes verbrachtes Leben durch perfönliche Leidensvollendung zu fednen. Hatte er 
fin mälendes Leiden fchon feither mit mufterhafter Geduld umd ſtiller Seelengröße ge- 
a, fo leuchtete jet in der Außerfien Schwachheit und Hülflofigleit fein inneres 
Yen erſt vecht hervor. Als das Gedachtniß für alles Andere ermattete und ſich ber 
ke, waren die tröftlichften Liederverſe, die herrlichſten Schriftworte ihm deſto le⸗ 
wiger gegenwärtig. Die Seinen und alle die Lehrer und Hirten, an deren Spike 
ef geflanden, feguend und zur Treue im Glauben und in der Liebe ermahnens, 
& feinen Beleidigern vergebend umd für Alles, was er felber gefehlt, Vergebung er- 
zad, feine Zuverſicht fegend nicht auf eigenes Werk und Verdienſt, fondern allein 
fdie freie Gnade Gottes in Chrifto, ging er mit klarem Bewußtſeyn und zuletzt mit 
aſucht feinem Ende entgegen. In diefem Geifte nahm er am 12. Januar 1865 
den Seinigen ben legten Abfchied und äußerte darauf: „So, nun find meine irdi⸗ 
m Pflichten erfüllt; ich kann nicht fagen, mit Erfolg, — Gott hat e8 anders ge 
&; dann bat er, ihm die beiden legten Verſe des Liedes „O Haupt voll Blut 
I Wunden» vorzulefen, ſprach die Schlußmworte noch vernehmlidh mit und wies feine 
e Lebensgefährtin auf den Troſt derfelben hin, und fo verging fein Lebenshanch. 
Ulmann mar feiner von ben fchöpferifchen Geiftern und prophetiſchen Männern, 
es gegeben ift, die Theologie und Kirche in neue Bahnen zu führen, aber er war 
8 der fchönften Talente und einer der edelften Karaktere, die in unferem Jahrhun⸗ 
! der dentfchen evangelifchen Kirche gefchenft worden find. Kin chriftliher Humaniſt 
beften Sinne des Wortes, hat er den Har und warm erfaßten chriftlihen Inhalt 
m feinen Schriften, fo in feinem Leben in edle, reine Formen gefaßt und als chriſt⸗ 
r Gefchichtfchreiber und Wpologet, als beredter Wortführer der chriftlichen Wahrheit 
der evangelifchen Kirche, als anregender und liebevoller führer der alabemifchen Ju⸗ 
d umd als treuer aufopfernd gewiſſenhafter Arbeiter im Kirchenregiment, endlich ale 
Micher Hansvater, Freund und Dulder für die theologifche Richtung, zu der er ſich 





308 Ungnod, Hans 


bekannte, ein Zeugniß abgelegt, das mancher geringichägigen Beurtheilung und leiden 
fchaftlihen Verlennung uneradtet in reihem Segen fortlebt. 

Bergl. die nad; Ullmann's Tode erfchienenen Nekrologe von Grüneiſen m da 
Augsburger Algen. Zeitung (Januar 1865), von Hagenbac im Siccenblatt fh 
die xeformirte Schweiz (März 1865), von Bähr im Bapdifchen Kirchen, und Bill 
blatt (Januar 1865), von Holgmann in der Proteftantifchen Kirchenzeitung (Yhıy 
1865), und des Unterzeichneten ausführlichere Darflelung in dem Extraheft der Stan 
und Rritilen von 1867, welcher aud) die undollendete Denkſchrift Ullmann's über ku 
Theilnahme am Kirchenregiment beigegeben ift (auch befonders erfchienen unter dem int. 
D. Karl Ullmann, eine biograph. Skizze von W. Beyſchlag. Gotha bei Pete, 
1866). — Eine Öefammtausgabe der Bauptfchriften Ullmann's erfcheint foeben in de— 
the®’ Theologifcher Bibliothek. Willibald Beyiäie, 

Ungnad, Hans, Freibere zu Sonnegg. Es war ein glüdlicher Wurf, « 
Luther kurz nach feinem erften Auftreten mit der Schrift „Un den chriſtlichen IM 
dentfcher Nation“ that. Nicht nur daß er die vom Beginn feiner Erhebung m ik 
die Sache des Evangeliums einftehenden Männer vom Adel flärkte und im bie rehle 
Bahnen leitete, — eine Menge von Rittern und Herren zumal im Süden Deutihlat 
fchlug ſich, als der MWächterruf vom Norden erflang, auf die Seite ber Reformatn 
und begünſtigte und beförderte die Predigt ded Evangeliums und die Abjchaffung da 
Mißbräuche der alten Kirche in den weiteften Streifen. Mit der Oppofltion der Kite 
Schaft gegen die fie beengende Fürftenmacht, gegen das das bdeutfche Wefen fo gas ver 
tennende Kaiferthum Karl’8 V. namentlich verband ſich die entfchiedene Abneigunz Kis 
kräftigen Standes gegen die Anmaßungen der Hierardhie und die dem deutſcha ## 
ftenleben entfremdete, der chriftlihen Untermweifung der Jugend wie der Erbaum M 
Erwachſenen in keiner Weife Genüge leiftende höhere und niedere Geiftlicheit. Le 
den zähen Widerftand und die Gewaltmaßregeln des Öfterreichifchen Kaiſerhanſet bite 
die zum Theil großartigen reformatorifchen Beftrebungen des füddeutfchen Adels qm 
andere Früchte tragen müflen. Ein fprechender Zeuge hiefür iſt der gemannte freier 
Hans Ungnad, im Jahre 1493 als Sohn des kaiſerlichen Kammermeiſters glait 
Namens geboren, am Hofe Kaifer Moarimilian’d I. zu einem tapferen Ritter end 
der den Kampf gegen die Ungläubigen zu feiner Lebensaufgabe machte. Nadiies 
fi in den Feldzügen gegen die Türken in den Jahren 1532, 1537 und 1542 3 
[ich hervorgethan und fein Leib mit Wunden und Narben bededt worden, fdhrieb « M 
Kaifer, ex wolle feine Seele dem Herrn Chrifto weihen, der um feinetwillen zeriä 
und gemartert worden. Der Tod feiner erften Gemahlin, einer Gräfin Thum, kit 
derte feinen Entfchluß, dem freien Genuß des göttlichen Wortes und der Sukamm, 
den er in feinem Baterlande Kärnthen, wo fein Bater mit dem Gute Sounegg betr 
worden war, miffen mußte, fich dem Herde der deutfchen Reformation zuzuwenden 
begab fid; im Jahre 1554 nad; Wittenberg und verehelichte fid im folgenden I# 
mit der 25jährigen Gräfin von Barby, die, feit ihrem dritten Rebensjahre im dead Air 
Werden eingefchloffen, ein Jahr zuvor ſich nadı Sachſen begeben hatte und hinfor ® 
ihrem Gemahl ein Herz und eine Seele ward. Auf kurze Zeit nad, Kärnthen 
gefehrt und mit dem Amte eines Statthalter6 von Steyermark betraut, wirkte Un 
für die Verbreitung der von Württemberg ausgehenden religidfen Schriften in ma 
fcher (füdflavifcher) Sprache (Verger's Schr. an H. Ehriftoph von W., 13. Juli 159 
vergl. den Art. „Slaviſche Bibelüberfegungen, Bd. XIV. ©. 479 f.), mußte aber, I 
Kaiſer Ferdinand die von den Ständen wiederholt verlangte freie Religionsäbung © 
weigerte, im Jahre 1557 mit feiner Gemahlin die Heimath verlaffen und begab 
nachdem dem Ritter, „der nicht ohne fonderliche Gefährlichkeit feines Leibs umd 64 
auf’8 Treueſte dem Kaiſer gedient“, ein Onadengefchent von 8000 Gulden zugeni 
worden, nad; Württemberg, wo ihn der edle Chriftoph mit Freuden aufnahm und i⸗ 


Unguad, Hans 399 


in Urach eine geräumige Wohnung, ein ehemaliges Stift anwies. Der uugehinberte 
Gemß der Einkünfte von feinen Gütern geflattete ihm, bier einen kleinen Hof zn 
halten. Er eriwarb fi in Urach wie in dem nahen Xübingen die ungetheilte Hoch⸗ 
shtung. Sein religidſer Eifer fand auf dem feit längerer Zeit durch feinen Landsmann 
deimud Truber (f. d. Art. Bd. XVI. md XXI, fowie d. Urt. „Kärnthen u. Krain® 
&. VIL S. 208 f.) bearbeiteten Felde der Ueberfegung und Herausgabe von Kate 
hiemus, Evangelien und Apoftelgefchichte in wendifcher Sprache, lebhafte Befriedigung. 
Angnad betrieb jet auch die Uebertragung diefer Schriften in’® Kroatiſche und errichtete 
hefüe eime eigene Druderei, forgte für Berufung Txruber’s aus Kempten nad; Württem- 
krg (1562) amd förderte theils durch eigene reiche Beiträge, theil® durch proteftantifche 
Fürften und Städte, an die er ſich mit Erfolg wandte, das von Truber und P. Berger 
kgonnene Werk weſentlich. Bis zum Jahre 1563 hatte Ungnad bereits aus feiner 
bie 3000 Gulden beigefteuert. Sein Stallmeifter, den er an die evangelifchen Stände 
yait einem Eremplare der fertigen Schriften und der Bitte nm chriflliche Beiſtener 
gladt, brachte von dem Landgrafen Philipp von Heflen 200 Thlr., vom Kurfürften Angufl 
m Sachſen 200 Thlr., vom Kurfürft Joachim von Brandenburg O („er fey nicht bei 
held⸗), vom Markgrafen von Küſtrin 100 Thle., von Herzog Albredit von Preußen 
100 Gulden, außerdem für Hans Ungnad „als eimen alten Belannten ein Röoßlin, 
über unfer eigen Leibroß, ein gemaches Pferd für's Alter!“ Noch follte die württem- 
egiſche Kirchenordnung, Luther's Poſtille, die Augsburg. Eonfeffion, deren Apologie, 
it loci communes in kroatiſcher Sprache gedrudt and verfandt werden, wozu er Tru⸗ 
em al der Sprache kumdigen Mitarbeiter, Stephan Confnl und Anton Dalmata, 
orübergehend Georg Zwetzitſch und Georg Yuritfchitfch an die Seite gab, die freilich, 
a Trink⸗ und andere Erceffe gewöhnt, ſchwer im Zaume zu halten waren. Nicht 
wader ſchwierig als die Herbeibringung ſolcher flavifcher Arbeiter war die Fortſchaffung 
da deuchſchriften nach Dalmatien, Krain, Serbien. Nicht allein daß man fie, in fäffer 
padt, anf eigene Koften abfenden und den. Meiſten unentgeltlich verabreichen mußte: 
@ Kampf. mit den jede reformatoriihe Bewegung ängſtlich Nberwachenden Behörden, 
kiflern und Laien mahnte zu äuferfter Vorſicht. Trot diefer Hindernifle hatte jedoch 
# Berk vorerſt gedeihlichen Fortgang. Am Ende des Jahrhunderts betrug die Zahl 
⁊ Evangelifchen in Krain und Kärnten vier Fünftheile, bis nad, Marimilian’s II. 
ode die oſterreichiſch⸗ jefuitifche Reaktion die Meiſten aus dem Lande vertrieb. 

Ungnad follte weder die größeren Fortſchritte des Evangeliſationswerks, noch die 
idihritte und Zerflörung des von ihm mit feltener Thatfraft betriebenen Unternehmens 
eben. Er begab fid im September 1564 mit feiner Gemahlin nad) Böhmen, theils 
tin Wintritz feine Schwefter, eine verwittwete Gräfin Schlid, zu befuchen, theils um 
a bier aus dem Kaiſer Marimilian in Prag aufzumarten. Nachdem er am Sonntage 
t Weihnachten noch die Predigt gehört und mit der ganzen Gemeinde im Schloß 
heil. Abendmahl empfangen, erfranfte er an Lungenentzündung, deren ernfte Folgen 
fi vom Anfang an nicht verbarg. „Möchte man ein vierzig Jahr abziehen, fo wäre 
' Krankheit wohl Rath zu finden, doch wollt er mit das geringft dafür geben, fo viel 
br jünger zu feyn. Ein Ehrift ſoll im diefer jeßigen Zeit wenig Verlangen haben, 
g in der Welt zu leben; es werden ſich in Kurzem wunderliche Zeitungen erheben. 
Üte aber der Herr ihm das Leben erhalten, fo mollt er gern noch einen Zug gegen 
' Türken thun und einen nenen Küraß auf feinen Leib ſchlagen laſſen.“ Inzwifchen 
!er die ndthigen Verfügungen. Seine Gattin bat er, fie möchte fi die Druderei 
Urach befohlen ſeyn laflen; dieſe kroatiſchen und cyralliihen Schriften feyen fein 
jatz. Fordere ihn Bott bier ab, fo fol fein Leib nicht im diefem Lande, da des 
bfled Granel und Abgbtterei herrſche, fondern in Württemberg begraben werden, wo 
Herzog ihm wohl eine pafjende Stätte auweiſe. Bis zu feinem Ende behielt er die 
theit feines Geiftes, die Freudigkeit feines Glanbens. Seine Battin, bie nicht dom 











400 Ungnad, Hans 


feinem Lager wid, tröftete er mit der Hoffnung des Wiederfehens und hbeyeupte ihr, 
daß er ihr nimmermehr genug danken fünne, wie fehr fie ihn fo fchön gewartet. Die 
Umftehenden ermahnte er, ihrem chriftlichen Berufe treu zu bleiben und nicht wide 
Gott und ihr Gewiſſen zu handeln. Einen hohen Herrn erinnerte ex ernftlich, ex fole 
fih Gottes Ehre höher angelegen feyn laffen, denn aller Welt Gut und Gunſt. Dir 
gleichen würde Gott der Kaiferlichen Majeftät mehr Glüd und Gunft geben, denn «id 
hundert Yahr feinem Kaiſer widerfahren, fo man ſich befleißigen würde, daß man mi 
Gott eines fen umd bei feinem Wort bliebe; der wird allen Feinden ſtark und ung 
genug feyn. Dem Arzte, der ihm einige Sprüche der heil. Schrift vorfagte, dank « 
mit den Worten; Ihr feyd ein rechter Doktor, der nicht allein guten Rath Rex 
geben zu des Leibe Gefundheit, fondern auch zu der Seelen! Darauf fpradh m I 
Belenntniß und fang fröhlih: „Mit Fried’ und Freud' ich fahr’ dahin“ — deggleihe 
aud das Baterumfer. Unter Gebet entfchlief er am Morgen des 27. Dezember 154, 
den legten Blid auf feine Gattin gerichtet, die mit den Worten an feinem Bette m 
fant: „Ach, mein lieber Herr Jeſu Ehrifte, kann's ja nit anders feyn, fo nimm mem 
Seele in deine göttlihen Händel“ Die Leiche wurde einbalfamirt. Herzog Ehrifen) 
antwortete unterm 12. Januar auf dad Schreiben, das ihn von Ungnad's Tod benois 
richtigte, e& fen fein Wille, daß die Leiche zu Tübingen in der Gruft in der Nik 
feines Vaters (Herzogs Ulrich) und feines eigenen bdereinftigen Ruheplätzleins beigeial 
werde. So ward bdiefelbe, begleitet von der Wittme und einem Sohne, nad) Bitte 
berg gebracht und am ZXrinitatisfonntage in der Stiftälirche beigefegt. Jalob Aal 
hielt die Leichenpredigt über Matth. 16. 24 ff.: „Will mir Jemand nachfolge, m 
verläugne ſich felbft und nehme fein Kreuz auf fih“ u. f. w. Ungnad habe ÄM, 
was in der Welt fürnehm, anſehnlich und dem Fleiſch angenehm, nicht allein pie 
fondern auch erfahren und („wie ich von Ihro Gnaden vielmal gehöret“) befumte, # 
twunderbarlich der leidige Satan ſich in die Gaben Gottes verfrochen, dadurch die Pa 
fchen von Gottes wahrhaftiger Exfenntniß abziehe und two nur ein Funklein decebe 
in eines Menfchen Herzen aufgehe, alsbald folches Sämlein wiederum durch die ne 
liche Woluft und Pracht erdrüde umd erftide, daß es nit fortlommen könne, m dı 
augenscheinlich zu greifen, daß der Teufel ein Fürft diefer Welt fen, der alle Gue 
Gottes befudle, dadurch die Menſchen von Gott abzuführen. Im diefem Garten ke 
Ihro Gnaden lange Zeit umberfpazieret, bis ihm der Allmächtige feine Exkenntnitr 
offenbaret, daß ihm mit mit äußerer Pracht und Wolluſt, noch mit vermeintem dt 
dienft, welcher mit Gott allein die Ehre gibt, gedient fey, weßhalb er fold, fündii ra 
herzlich berenet und beweint, und nachdem er noch längere Zeit in feinem Amt gebt, 
fich nad; mandem Kampf dahin verfügt, wo er Öffentlich und mit herzlichen drm® 
die Sakrament nad; Chriſti Willen empfahen und fammt der chriftlichen &ement $ 
Gott beten konnt. Dan habe aus diefem Mund nichts gehört, denn ohne Unter; 
Lob umferes Herrn Jeſu Chrifti, die herzliche Dankfagung für feinen geoffen®“ 
Willen, und wie er vordem viel Jahre gegen den Türken im {Feld gelegen, fo hak* 
gegen biefen Feind des chriftlichen Namens nun auf andere Weife kriegen tollen, 
Beförderung des chriftlichen Werks unter dem armen blinden Volt in der Türkis 
an ihren Grängen, ob fie möchten zur Erkenntniß ihrer Abgötterei und rechter 
licher Buß gebracht werden; denn dem böfen Feind vielmehr durch Wushreitung u 
Wortes Gottes, denn mit aller menfchlichen Macht begegnet und abgebrochen märk 

Der Frau Magdalena von Ungnad Sehnfuht, ihrem Gemahl bald nachzafoien 
ward ſchnell geftillt. Auf der Reife nad; Kärnthen anf ihren Wittwenſitz erfunkt 
zu Wien umd flarb dafelbft den 16. November 1566. Ihre Leiche wurde gleid 
nach Tübingen gebradit, two fie an der Seite des Gatten ihre Ruheflätte fand. 

„Ungnad’8 Tod“ — ſagt Schnurrer — „mußte der Druderei der ſlari⸗ 
Schriften in Urach tödtlich werden. Noch war ein beträchtlicher Berlag vorhaw 


















Unferblichteit 401 


viele Werke unter der Preſſe. Eine Zeit lang blieben noch die fremden Arbeiter, aber 
immer fchwieriger wurde der Transport an den Beflimmungsort der Schriften, bis der- 
ſabe bald völlig eingeflellt werden mußte. Nach der Niederlage der Proteflanten im 
eißigjährigen Kriege und der Beſetzung Württemberg6 durch die Kaiferlichen wanderten 
bie Drudichriften nach Rom zu der Congregatio de propaganda fide, als ein Geſchenk 
Ferdinand's IL. — „Ührlicher Hans Ungnad!“, ruft Schnurrer aus, „hätte dir auf 
kinem Sterbebeite, da du, um andere zeitliche Dinge unbellmmert, nur deine Druderei 
ds deinen Schatz der zärtlichen Gemahlin empfahlft, ein feindlicher Dämon zuflüftern 
Binnen; deine Druderei werde einft dem Antichrift verehrt, werde zu Brevieren, Mifla- 
ben, zum Dienft der abgdttifchen Meſſe gebraucht, — wie heiß würde dir dein Zodes- 
kaapf geworden fen! « 

Quellen: Schnurrer, flavifher Bücherdrud in Württemberg im 16. Jahr⸗ 
ksadert. 1799. — Mofer, patriotifhes Archiv, 4r Bd. 1786 (emth. Andred’s Leichen- 
we). — Bfifter, Herzog Chriſtoph J. 1819. — Sattler, Geſchichte Wurttem⸗ 
bugs unter den Herzögen, dr Bd. 1771. — Römer, kirhl. Gefchichte Württem- 
bms, 2te Aufl. 1865. — Tübinger Ehronifl, 1866. Nr. 104. 105 (von Preflel). 

Hartmann, 

Unfterblichleit. — Die Frage nach der Unfterblichleit der menſchlichen Seele 
A fo alt wie der uralte Glaube an fie. Und diefer findet fich bekanntlich bei den ro⸗ 
«fen Nationen auf den unterflen Stufen der Bildung und ivilifation wie in den 
teten Quellen der Geſchichte der Menſchheit. Denn was der Menſch hofft und 
sänfcht, das iſt er andy gemeigt zu glauben. Die Liebe zum Leben, die Furcht vor 
em Tode, der Schmerz über das Dahinfcheiden geliebter Freunde und Verwandte er- 
ragen den Wunfch der Fortdauer, des Wiederſehens nach dem Tode; und dee Wunſch 
zibiert den Glauben daran. Das Gefühl der geiftigen Kraft und Würde wie über- 
jaupt der Bevorzugung des Menfchen vor allen übrigen Gefchöpfen und die religidfe 
Sorftellang von der Ewigkeit, der Unfterblichleit und der höheren vollfonmeneren Da⸗ 
ünöform, des Einen Gottes oder der vielen göttlichen Weſen, melde das Schidfal des 
Renfchen beflimmen, unterftügen und befräftigen den Glauben am feine eigene Unſterb⸗ 
blet. Der Mar vorliegende Unterſchied endlich zwifchen dem imeren pfuchifchen und 
m äußeren phnflichen Leben des Menſchen gewährt die Möglichkeit, gegenüber der 
ſenkundigen Zerflörung des Leibes im Tode eine Fortdauer der Seele nad dem Tobe 
uunehnen. 

Allein in diefen Motiven bes Glanbens an die Uinfterblichleit Liegen zugleich die 
veifel au feiner Wahrheit. Denn alle diefe Motive find rein fubjeltiver, ja egoiſti⸗ 
e Ratur. Selbſt die Annahme eines ewigen, geiftigen, allmächtigen und allweifen 
höpfers der Welt und des Menſchen involvirt an ſich noch nidht die felbftgefällige 
Hinmation einer foldhen Bevorzugung des Menſchen, daß er allein von allen Geſchoͤ⸗ 
m zu einer gleich ewigen (göttlichen) Dauer ſeines Dafeyns beflimmt fe. Im 
gentheil, ift das Gdttliche als folches ewig, fo fchrint gu folgen, daß alles Weltliche, 
il eben wicht göttli, der Zeitlichfeit und Vergänglichleit verfallen fey. Und wenn 
h der religidfe Glaube feftbalten muß an Lohn und Strafe, Heil und Unheil als 
Ige des Sehorfams und Ungehorfams gegen das göttliche Gebot (Sittengeſetz), weil 
Gerechtigkeit eine unabweisliche Forderung des_ fittlichen Bewußtſeyns if, fo folgt 
h wiederum nicht, daß um der göttlichen Gerechtigkeit willen ein jenfeitiges Dafeyn 
ſenommen werden müfle. Um diefe Yolgerung zu begründen, bedarf es vielmehr ber 
teren Borausfegung, daß hienieden ein Mißverhältniß zwiſchen Tugend und Glück⸗ 
gfeit beftehe, zu deſſen Ansgleihung die Verlängerung des menfhlichen Lebens über 
irdiſche Dafeyn hinaus erforderlih ſey. Allein diefe Annahme widerfpriht im 
unde dem Begriffe Gottes. Denn iſt Er nothwendig nicht bloß im jenfeitigen, fon- 
a auch im bdieffeitigen Dafeyn Bott in vollem Sinne des Wortes und fordert bie 
rechtigfeit, daß es überall dem Outen gut, dem Schlechten ſchlecht gehe , jo muß 
Real ⸗ Encpliopäpie für Sheoiogle und Kirche. Suppl. M. 


402 Unſterblichleit 


das damit geſetzte Gleichgewicht zwiſchen Tugend und Glückſeligkeit and) bereits hie 
nieden in vollem Maaße zur Geltung kommen: ſonſt wäre eben die Gerechtigkeit feine 
göttliche Eigenfchaft, keine überall und allgemein herrfchende Macht. 

Man hat daher von jeher nad rein objektiven Gründen für die Unfterblicleit 
der Seele geſucht. Der chriftlihe Glaube findet fie in der Auferfiehung Ehrifti m 
in Seimem nit nur die Yortdauer der Seele, fondern auch die Wiederbelebung des 
Leibes verbürgendem Worte, Allein diefe Gründe haben objektive Gültigkeit nur für de. 
jenigen, der im chriftlihen Glauben fteht, dem der chriftliche Glaube volle lebendir 
Wahrheit if. Auch fragt es fich noch, ob der Glaube an die Unfterblichleit des Mn 
fhen und damit an Lohn und Strafe in einem jenfeitigen Dafeyn nicht feinerfeits cm 
der Bedingungen ifl, um zum chriſtlichen Glauben in voller lebendiger Ueberzengung p 
gelangen. Jedenfalls wird der Unfterblichfeitsglaube, wo er bereits herrſcht, dem driß 
lichen Glauben leichteren Eingang ſchaffen und als eine mächtige Hülfe und Stigt 
deſſelben fich erweifen. 

Daher hat fid) nicht nur die antike, ſondern auch die chriftliche Philofophie be 
mäht, außerhalb des religidfen Gebiets objektive Gründe für die Unſterblichleit da 
Seele zu finden. Man glaubte einen folhen Grund in der gegebenen Natur der Sek 
gefunden zu haben, indem man annahm, daß der Unterfchied zwiſchen dem pfudilde 
und phnfifchen Exrfcheinungen, dem inneren und äußeren Leben des Menfchen auf km 
Gegenfage von Leib und Seele als zweier verfchiedener Subftangen beruhe. Tund 
tonnte dann allerdings die Seele fortbeftehen, während der Leib im Tode zerfid, de 
fie mußte nicht fortbeftehen. Um diefe Nothwendigkeit zu deduciren, mußte bat 
angenommen werden, daß die Seele als immateriell im Gegenfage zur Mater 
(Theilbarleit — Zerfegbarleit) des Leibes ein ſchlechthin einfaches, nidıt » zufome 
geſetztes und fomit untheilbares Wefen ſey. Befteht das Sterben des Leibes mie ie 
haupt alle Zerftörung nur in der Auflöfung eines Ganzen in feine Elemente, jo fi 
allerdings, daß die ſchlechthin einfache Seele auch für unſterblich erachtet werden milk 
Allein zunächft wendete Kant mit Recht ein, daß wenn aud die Seele ſich ſelber a) 
Eins und einfach erfcheine, darum dod) noch nicht angenommen werden durfe, deß ſe 
auch wirklich und realiter einfach fey. Außerdem aber war diefe Einfachheit der Sei 
im Grunde eine bloße VBorausfegung, die auf einer Verwechſelung der Begriffe „Eiute‘ 
und „Kinfachhheit” beruhte. Bis jegt wenigſtens ift es noch keiner Pſychologie gel 
die pſychiſchen Erfcheinungen und die Funktionen der — voraußgefegter Maßen — = 
Leibe verfchiedenen Seele auf eine einzige einfache Kraft zurüdzuführen, die @ 
pfindungen und Gefühle, die Perceptionen und PVorftellungen, die Strebunge = 
Willensalte aus einer einzigen Quelle abzuleiten. Beſitzt aber die Seele nicht um um 
Mannichfaltigkeit von Empfindungen, Vorftelungen, Steebungen (Trieben), fondern ad 
berfchiedene Vermögen, fo kann fie zwar nichtödeftoweniger eine Einheit feyn, fofern der 
Bermögen von Einer einigenden Kraft umfaßt und zufammengehalten werden, vielak! 
auch aus Einer Urkraft ſich enttwwideln; aber als fehlechthin einfach kann fie unmdlk 
gefaßt werden, weil die Einfachheit alle inhärirende Vielheit und Unterſchiedenheit u 
fließt. Jene Einheit, die ihr allerdings durch die thatfächliche Einheit (Spentirät) de 
Bewußtſeyns und Selbſtbewußtſeyns verbürgt if, Tann auch wohl eine ſchlechthin m 
Lösbare feyn, mweil fie nicht eine Verknüpfung von Stoffen, fondern eine Einigung *! 
Kräften if; aber fie muß es nicht feyn. Die Aufldfung derjelben würde vielwen 
implicite erfolgen, wenn die Subſtanz der Seele ſich auflöfte; und ob letztere aujloßon 
oder unauflösbar fey, ift eben die Frage. Endlich ift es auch bisher mod; nid ie 
lungen, die Möglichkeit (Dentbarkeit) nachzuweifen, daß und wie die ſchlechthin einſee 
immaterielle Seele mit der VBielheit der Glieder und Stoffe des Leibes eine fo im! 
Einheit der Wirkung und Wechſelwirkung eingehen könne, wie die Erfahrung fie durt 
gängig zeigt. Der fcheidende negative Gegenfag des Materiellen und Smmmaterickt 
Bielfahen und Einfachen, droht Leib und Seele dergeftalt auseinander zu reißen, N! 
hie thatfächliche Verbindung beider zum unbegreiflihen Wunder wird. 


Unferblileit 403 


Mon hat fi) demnächſt von der Subflanz der Seele an die Thätigleit und Wirk. 
ſamkeit derfelben gewendet. Man hat gemeint: das Ic des Selbſtbewußtſeyns, dieſe 
Einheit des vorflelenden und vorgeftellten Selbft der Seele, beruhe auf einem Alte ber 
Selbſtſetzung, durch welchen die menfchliche Seele ihr eigenes Wefen, das, was fie ſeyn 
ſolle, felber realifixe, durch tweldhen fie alfo, wenn and wicht fich felber fchaffe, doch 
durch füch felber werde, was ihr eigentliches Wefen fey. Denn das Wefen, die unter 
ſcheidende Eigenthümlichkeit der menfchlichen Seele ſey aber ihre nicht bloß phufifche, fondern 
imgleidhh geiftige Natur, ihe Bewußtſeyn und Selbſtbewußtſeyn, ihre Ichheit: Und wem 
fie diefe durch einen fpontanen Alt ihrer eigenen Thätigleit felber ſetze, fo befige fie 
in dem Bermögen der Selbfifegung und Selbfibeflimmung eine Kraft, welche ihr bie 
einige Fortdauer ihres Selbſt fihhere, weil das, was fie allein und felbfifländig, ohne 
Mitwirkung einer anderen Kraft vollziehe, auch don feiner anderen Kraft geftört umb 
vernichtet werden könne. — Ullein wenn man die Ichheit nit vom Selbſtbewußt⸗ 
fegn abläfen und zu einer Realität, die dor dem Selbfibewußtfenn und ohne daffelbe 
beſtehe, hypoſtaſtren will, wenn man einfadh an die gegebenen Thatſachen fidh hält, fo 
iR das Ich nur der ſprachlich abgelürzte Ausdruck für das Selbftbemußtfeyn. Der 
zum Selbſtbewußtſeyyn erwachende Menſch bezeichnet dies Erwachen, diefe Spige eines 
inneren bfychifchen Proceffes, mit dem Worte „Ich“. Das Ich, von dem er fpridt, 
bedeutet daher nur, daß er angefangen hat, fidh felber, fein eigenes Wefen, nicht nur 
von dem ihn umgebendenden Dingen und Menſchen, ſondern auch als Ganzes von feinen 
äigenen einzelnen Momenten und Beflimmtheiten (Empfindimgen, Gefühlen, Vorſtellun⸗ 
gen u. f. w.) zu unterfcheiden und fomit ſich felber zum Objeft feiner unterfchei- 
denden, d. i. feiner percipireuden, auffaffenden, vorflellenden Thätigleit zu machen, womit 
ex implicite die Borftellung feiner felbft gewinnt. Das Id, weil das Selbſtbewußt⸗ 
je, iſt fonac allerdings der Erfolg einer Selbfithätigleit der Seele und bamit einer 
Kraft, die ihr urſprünglich inhäriet und vermöge dexem fie nicht bloß phufifcher (ani⸗ 
malifcher), fondern geiſtiger Wefenheit iſt. Mit Recht läßt fi auch behaupten, daß 
die Seele nicht zum Selbſtbewußtſeyn zu gelangen vermöchte, wenn fie nicht am ſich, 
urſprünglich ein Selbſt wäre, d. h. ein Eines und Ganzes, das von feinen einzelnen 
Beſtimmtheiten und Vermögen ſich zu unterfcheiden und ihnen emtgegenzufegen vermag. 
Über daß jene Kraft und Xhätigkeit, welche das Selbfibemußtfeygn hervorrnft, eine 
ſchlechthin felbfiftändige, unbedingte, an feine Mitwirkung Auderer gebunden fey, ifl eine 
Boransfegumg, der die befammteften nnd unlängbarften Thatfachen widerfprehen. Nicht 
ur Krankheiten, Berleungen, Exrfchütterungen des Gehirns flören umd verwirren das 
Selbſtbewußtſeyn und heben e8 momentan ganz auf, fondern auch fon übermäßiger 
Sera von Wein und anderer narkotifcher Getränke nnd Speifen bewirkt bekanntlich 
saftelbe. Diefe Störungen des Selbfibeiunftfeyns fegen unweigerlich voraus, daß auch 
ne Kraft, durch die es entfleht und befteht, von den flörenden Einwirkungen mitbetroffen 
verde, daß alfo ihre Thätigkeit und deren Erfolg durch die mitwirkenden Funktionen 
es Gehirns bedingt if. Sonach aber fcheint von einer Fortdauer des Ichs, des Selbft. 
ewußfeyns nach dem Tode, aljo nad) der Zerflörung des Gehirns, nicht die Rede ſeyn 
n konnen. 

Aber, meint man, wenn auch das felbfibemußte Ich bloß als ſolches nicht fort 
eftchen Tönnte, fo fordert doch die Vernunft ihrem Wefen und Begriffe nad) die Ewig⸗ 
sit ihres Beſtehens und ihrer Herrſchaft; es iſt unvernünftig, den Untergang der Ver⸗ 
nmft, ihre Aufhebung in Unvernmuft ale möglich anzunehmen. Ein mit Vernunft be- 
abtes Wefen hat mithin in und an feiner Bernünftigfeit zugleich die Bürgſchaft feiner 
lafterblichkeit. Wir wollen gegen diefe® Argument nicht einwenden, daß der Begriff 
er Bernunft und bes Vernünftigen fehr fireitig ift, daß der Menſch auch oft ſehr un- 
ernünftig dentt und handelt, nnd daß die Vernunft in der Natur wie in der Menſchen⸗ 
elt fortbeftehen und fortherrfchen Tönnte, wenn and; der einzelne vernunftbegabte Menſch 


sit dem leiblichen Tode zu Grunde ginge. ebenfalls fordert und involvirt das ewige 
3 ® 


404 Unfterblidleit 


Walten der allgemeinen Vernunft nur infomeit das Fortbeſtehen des Menihen als 
er an ihr Theil hat. Es fragt fid) mithin, wie weit und in welchem Sinne er an ih | 
Theil hat, was es heißt, daß er mit Vernunft begabt ſey? Die Bernunft, rein os 
folche, fchließt alles Befondere, Individuelle, Eigenthümliche aus; ihr Inhalt iR du 
Allgemeine, Nothwendige, Sennfollende, von gleicher Gültigkeit für Alle, jede Mei 
fitation, jede Individualiſirung diefes Inhalts ift im Orunde eine Verkehrung der Be 
nunft, fteht im Widerfpruche mit ihrem Wefen und kann mithin feinesfall® auf befin— 
dige Dauer. Anſpruch machen; alfo auch nicht die menfchliche Seele in ihrer Indin 
dualität, in der Befonderheit ihres Selbfibemußtfenne. Daher die Lehre des Vera. 
Bantheisnus (Hegel’8), daß die Seele nach dem Tode nur als „Moment“ der algı 
meinen Bernunft, in der ihre „Bartilularität“ (Imdidualität) aufhebenden Einigung mit 
dem „MWeltgeifte“ fortbeftehe. Eben damit aber iſt die Selbftfländigfeit, das Yür-fid, 
feyn der Seele aufgehoben; und ihr angeblicyes Fortbeſtehen ift ein bloßer tänfcente 
Name. Denn unter Unfterblichfeit im gewöhnlichen Sinne des Worts wird ja kei. 
wegs jede beliebige Art und Form der Eriftenz, fondern nur diejenige Fortdauer da 
Seele verftanden, welche ihre Selbftftändigfeit, ihre Individualität und dem iefentlide 
Inhalt ihres Bewußtſeyns und Selbftbemußtfeyns umfaßt umd bewahrt. Ginge dlı 
das individuelle Selbftbewußtfeyn mit der Trennung der Seele von ihrem Leibe u 
rettbar zu Grunde, wäre jede Wiederheritellung defjelben unmöglich, fo könnte von In 
fterblichleit nicht die Rede feyn, und fein noch fo allgemeines Walten der allgememz 
Bernunft kann ihr diefelbe verbürgen. 

Man hat endlich behauptet, die Ideen der Ewigkeit und Unendlichkeit, die er 
der Wahrheit und die wahren Ideen (3. B. die Axiome und Säge der reinen Dr 
matik), die wir für ewig wahr, für ſchlechthin unwandelbar halten müſſen, Lönnte « 
Seele nicht faſſen und befigen, wenn fie nicht felbft die Ewigkeit in ſich trüge; dan 
das Zeitliche könne ja unmödglic das Ewige, das Endliche unmöglich) das Unendlite 
fofien. Wir müffen leider auch diefem Argumente alle Triftigkeit abſprechen. Deu 
zunächſt find die Ideen der Ewigkeit und Unendlichkeit wiederum fehr fireitige Begriit 
und Faffung und Beſitz derfelben mithin keineswegs feftgeftellt. Außerdem aber bemk 
alles bewußte Vorftellen auf einem Unterfceiden des (borgeftellten) Dbjekts von v 
deren Objelten wie vom (vorftellenden) Subjelt, — hier alfo auf einer Unterfchritum 
des Zeitlihen und Ewigen, des Endlichen und Unendlichen von einander und von 4 
Seele ſelbſt, — involvirt mithin keineswegs, daß die Seele Alles, was fie fih vw 
ftelit, auch umfaſſe, befige oder felber fe. Sonft müßte fie ja, wenn fie ſich die dr 
materialien eines Haufes vorftellt, Stein und Kalt, Holz und Eifen gleichermaßen fee 
feyn. Jedenfalls find alle Vorftelungen, alle Begriffe und Ideen an die Erhalt 
des Bewußtſeyns und Selbftbewußtfeyns gebunden; fie ſchwinden, fie verdunleln m 
verwirren fich mit dem Schwinden und der Verdunkelung ded Bewußtſeyns. Wieder 
alfo kann keine Idee, fo wenig wie irgend ein Bermögen, irgend eine Wefensbeftinmun 
der Seele, die Unfterblichkeit involviren und den Glauben an fte begründen, wenn M 
Fortdauer (reſp. Wiederherflellung) des Selbſtbewußtſeyns nach dem Tode des Leibet fi 
unmöglich erachtet werden müßte. 

Wir fehen: die Frage nah dem Verhältniß von Leib und Seele in Bid 
auf da8 Bewußtſeyn und Selbftbewußtfeyn drängt fich dergeftalt in den Word 
der Unterfuhung, daß fie vor Allem beantivortet twerden muß, wenn wir zw einem} 
fultate gelangen wollen. Außerdem ift e8 nur der ganze Menſch, das ganze Bei 
des Menſchen, aus dem fich objektive Gründe für den Unfterblichleitsglauben fir 
lafien, und zum Wefen des Menſchen gehört auch feine Leiblichleit und deren Baie 
dungen zur Natur und damit feine Stellung in der Natur. 

In diefer Beziehung fleht es pfuchologifch wie phyflologifc feit, daß es, bis iy 
wenigſtens, unmöglich erfcheint, die pfuchifchen Phänomene (Empfindung, Wahrnehmus;: 
aus den allgemein waltenden phyſikaliſchen und chemifchen Naturkräften berzuleiten; v 





















Unſterblichleit 405 


beeidirteften Materialiften haben diefe Unmöglichkeit anerkannt. Es muß mithin eine be- 
fondere pfychifche Kraft oder eine Mehrheit folder Kräfte ale Urfache jener Erſchei⸗ 
nungen angenommen werden. Nun iſt es zwar richtig, daß erfahrungsmäßig jede Kraft 
mit einem Stoffe verbunden oder an einen Stoff gebunden erfdheint; daher der natur- 
wiffenfchaftlihe Say: eine Kraft ohne Stoff; umd fomit würde die Frage entftchen, 
an welchen Stoff die pfuchifche Kraft gebunden fen, ob an ben leiblichen oder au irgend 
een befonderen Stoff? Allein bei genauerer Betrachtung Idft ſich der fogenaunte 
Stoff felbft im Kraft auf. Denn Alles, was wir von der Materie wiflen, ift eine 
Aenßerung (Wirkung) von Kräften, des Widerflands, der Anziehung und Wbftoßung, 
der Ausdehnung, der Cohäfion u. f. m. Insbeſondere iſt das Handgreifliche, Palpable, 
das erfle Kriterium des Diateriellen, offenbar nur die Weußerung einer flärkeren oder 
Ihwäderen Widerſtandskraft. Da nun die zufammengefeßte theilbare Materie unzwei⸗ 
felhaft aus einfachen umtheilbaren Urelementen, ben fogenannten Atomen, beſteht und 
ſomit alle Eigenfchaften, Kräfte, Wirkungen ber Materien in den Atonıen ihren Grund 
haben müffen, fo ift die Materie befiniet, wenn wir fagen: das Atom if ein Centrum 
von Kräften, zu denen nothivendig die Widerfiandskraft gehört, und alles Stoffliche, 
jeder Körper ift eine Maſſe von Atomen, welche durch irgend eine einigende Kraft zu⸗ 
jemmengeholten werden. Sonach hindert nichts, anzunehmen, daß die Seele ein Cen⸗ 
km jener befonderen Kräfte fen, welche den piychifchen Exfcheinungen zu Grunde lie- 
gen, d. h. daß diefe Kräfte nicht mit den Atomen (Stoffen) des Leibes verbunden feyen, 
ſendern ein Centrum für fich bilden, das nur mit den Stoffen und Kräften des Leibes 
in einem Berhältuiß der Wirkung und Wechſelwirkung auf’s Innigſte verbunden ifl. 
Geſetzt aber and, daß die pfuchifchen Kräfte wicht ein befonderes felbfifländiges Cen⸗ 
tum bildeten, fondern dem leiblichen Organismus angehörten, fo könnten fie doch un⸗ 
mbghd der ganzen Bielheit der organifchen Stoffe (Home), fondern nur einem ein- 
jelnen einzigen Kbrperatome inhärtren. Dieß fordert, für die menſchliche Seele wenig- 
fiens, die unläugbare Thatſache der Einheit des Bewußtſeyns. Denn wenn bie Kraft, 
deren Erfolg das Bewußtſeyyn oder vielmehr das Bewußtwerden (irgend einer Empfin- 
bung, Berception u. f. w.) iſt, an die ganze Bielheit der leiblichen Atome vertheilt 
bire, fo önnten wir von einer einzelnen beſtimmten Erfcheinung (Siunesempfindung) 
Kiht Eine einzelne Borftellung, fondern müßten von ihr eine unermeßlihe Biel⸗ 
jeit bewußter Borftellungen geivinnen. Die Einheit des Bewußtſeyns verbürgt mithin, 
vie ſchon bemerkt, die Einheit der Seele, d. h. die Einigung der phufifchen Kräfte im 
Einem Centrum. Möchte mithin dies Eentrum immerhin ein einzelnes Körperatom fehn, 
d würde die Seele doch nicht nur dem Körper relativ felbfifländig gegemüberfiehen, fon- 
en auch infofern immateriell zu nennen feyn, als alles Daterielle, Stoffliche, Koͤrper⸗ 
Khe aus einer Vielheit von Atomen zuſammengeſetzt erfcheint, die Seele dagegen in 
men einfachen, durch feine pfuchifchen Kräfte vom allen anderen verſchiedenen Atomen 
eſtaͤnde. 
Allein die pfuchologifhen und phyſiologiſchen Thatſachen widerſprechen dieſer An⸗ 
ihme eines einzelnen Seelenatoms ſo entſchieden, daß die Hypotheſe unhaltbar er⸗ 
int. Jede Sinnesempfindung beruht anf einer Reizung ſenſibler Nerven, welche 
re nur zur Empfindung wird, wenn fie auf das Centralorgan des Nervenfuftens, 
4 Gehirn, übertragen wird. Das iſt erwiefene Thatfahe. Dan aber erfcheint es 
ht nur unbegreiflidh, wie ein einzelnes Gehirnatom die ganze Fülle der Nervenreizungen 
fi) aufnehmen könne, fondern and, wie diefe Reizungen das einzelne Atom zu er- 
ihen vermögen. Denn das Gehirn zeigt feine Spur einer ſolchen Eentralifation feiner 
heile und Elemente, welche die Webertragung aller Nervenreize auf Ein einzelnes Ge⸗ 
matom ermöglichen könnte, — im Gegentheil, es flieht phufiologifc fo gut wie feſt, 
5 es die ziemlich ansgebehnten Randwälfte des großen Gehirns find, in welchen bie 
m Gehirn gelangten Nervenreizungen zu Empfindungen werden, während die Willens. 
e, die fpomtanen, vom Wollen und Streben der Seele ausgehenden Körperbeivegungen 





406 Unſterblichleit 


durch das Heine Gehirn vermittelt find. Daraus folgt, daß die Seele durch das gay 
Gehirn ſich ausdehnt, vielleicht das ganze Nervenfyften durchdringt. Diefe und eim 
Anzahl anderer Thatfachen, namentlich die fogenannten morphologiſchen Erſcheinungen 
nöthigen uns zu ber Annahme, daß die pfychifchen Kräfte nicht irgend melden einzelnen 
Körper» (Gehirn:) Atomen inhäriren, fondern ein Centrum für fich bilden, zu melden 
nothwendig auch eine Kraft der Ausdehnung, der Umfchließung und Bufanmenfaflus 
gehört *). 

Sonach aber ergibt ſich gerade aus der Willenfchaft des menfchlichen Leibes, dqj 
die Seele nicht eine bloße Funktion des Gehirns, fondern ein befonderes Centrum be 
fonderer Kräfte und damit als ein eigenthümliches, vom Leibe unterſchiedenes Bla 
anzufehen if. Und zugleich zeigt fi, daß Leib und Seele keineswegs im fchrofien, 
unvermitteltem Gegenſatze einander gegenüberfiehen. Der Begriff der Kraft verbinie 
vielmehr beide: denn der Organismus ift nur eine eng verbundene Maſſe von Alone, 
bon denen jedes ein Centrum von Kräften ift; die Seele ift ebenfalls ein foldes Ca 
teum eigenthümlicher Kräfte, und der Unterſchied zwiſchen beiden befteht mithin nır ı 
den berfchiedenen Funktionen, welche diefe Kräfte mit und auf einander anszuühen hu 
ben, um das Wefen des Menſchen berzuftellen, auszubilden und am Leben zu echaltn. 

In jenem Centrum von Kräften, deren Einigung die Wefenheit der Seele a 
macht, fpielt da8 Unterfcheidungspermögen eine hervorragende Rolle. Denn die Pink 
logie zeigt ihrerfeits, daß das Bewußtſehn und Selbftbemußtfeyn nur der Exrfolz ie 
unterfcheidenden Tchätigleit der Seele ift, wenigſtens ohne bdiefelbe nicht zu Etuak 
kommen kann. Allein eben darum ift das Bewußtſeyn (Bewußtwerden) an ein mer 
bened Material, an gegebene Empfindungen, Gefühle, Strebungen, gebunden, mi 
ohne ein folches Material zu keinem Inhalt zu gelangen vermag. Denn die min 
fcheidende Thätigkeit kann nur thätig feyn, wenn ihr irgend ein Objelt (Stoff) tal 
terfheidung vorliegt: das Unterfcheidungsvermödgen rein als folches vermag diefen Sri 
nicht felber zu fchaffen, noch ſich zu verfchaffen. Je geringer das ihm zugeführt Ks 
terial ift, defto geringer wird daher der Inhalt und damit die Klarheit und Deutlidtet 
des Bewußtſeyns feyn. Daher die Unfähigkeit der Blind- und Taubgeborenen, fi 
ohne künſtliche Beihülfe und forgfältige Anleitung zum vollen menfchlichen Berwußtia 
zu erheben. Denn e8 fteht wiederum pfychologifch wie phufiologifch feft, daß es ım 
nehmlich die Sinnegempfindungen, insbefondere die Geſichts⸗ und Gehdrsempfinduns 
find, welche das Material zu liefern haben, defien die Seele bedarf, um durch Um 
fcheidung derfelben zum Bewußtſeyn der Außenwelt und von ihm ans zum Sk 
bewußtfegn zu gelangen. Eben damit aber fteht impficite feft, daß das Vewußlwerde 
der Seele durch die Funktionen des Nervenfuftems, als deflen Eentralorgan das GSehi 
fi) vorzugsweiſe geltend macht, bedingt if. Je weniger daher das Nervenſhſten v 
insbefondere das Gehirn bei den verfchiedenen Thieren entwidelt erfcheint, deflo fickt 
fteht das pſychiſche Leben derfelben, deflo geringer find die Spuren von Empfieims 
Wahrnehmung u. f. w. die fle zeigen. 

Iſt aber fonad, das Bewußtwerden der Seele durch die Mitwirkung bes Rate 
ſyſtems (Gehirn) bedingt, fo wird es uns nicht Wunder nehmen tönuen, daß and dd 
Bewußtbleiben an diefelbe Bedingung gefnlipft erfcheint, wie die ſchon angeführte 
allbefannten Thatfahen des Schwindens, der Störung und Verwirrung des 
ſeyns in Folge von Störungen der Funktionen des Gehirns beweifen. Diele Ze 
fachen gelten fo allgemein und find fo feft conftatirt, daß fie nicht erſchuttert were 
duch die allerdings ebenfo feftftehende Thatfache, daß die Zuftände der Seele, Gefühl 
Borftellumgen, Streebungen und Gemüthsbewegungen ihrerfeits einen ebenfo bedeutend 
Einfluß auf den Leib und das Nervenſyſtem ausüben. Sie geben eben mm 3 

*) Bergl. zu diefem Satze die Ausführungen und Nachweifungen in meiner Särift * 


nud die Nature, 2te Auflage. Leipzig 1866. S. 300 f. 312 f.; Leib und Seele, Grundzüge mt 
Pſychologie zc. Leipzig 1866. S. 116 f. 131 fi. 








Unfterbiidhleit 4097 


für die durchgängige innige Wechſelwirkung zwiſchen Leib umd Seele. Allerdings folgt 
ons ihnen keineswegs, daß das Bewußtſeyn ein blofes Erzeugniß des Nervenſyſtems 
ſey; fo gewiß vielmehr die pfnchifchen Erſcheinungen überhaupt nur ans dem Wirten 
befonderer pfychiſcher Kräfte erklärt werden Tönmen, fo gewiß ift auch das Bewußtſeym 
an fi nur ein Erzeugniß der Seele, wenn auch die es erzeugende Thätigfeit an bie 
Mitwirkung des Rervenſyſtems gebunden if. Allein da ſonach die Seele das Be⸗ 
wußtſeyn wie ihre einzelnen Empfindungen, Perceptionen, Borftelungen u. f. w. nicht 
ſelbſtſtaͤndig und für fidh allein producirt, da vielmehr wicht nur das Entfiehen, fondern 
auch das Yortbeftehen des Bewußtſeyns wie der einzelnen Vorſtellungen u. f. w. duch 
die Mitwirkung des Nervenfyſtems bedingt erfcheint, fo müſſen wir diefen wiſſenſchaft⸗ 
lihen Thatſachen gegenüber unweigerlich zugeben, daß don eimer Fortdaner des Bewunßt⸗ 
ſeyns und Selbſtbewußtſeyyns ohne leiblichen Organismus nicht die Rede ſeyn Tann. 
Die Naturwiſſenſchaft ift daher in ihrem Rechte, wenn fie die Unfterblichleit in dieſem 
Gimme, d. h. die ifolirte, von aller Leiblichleit abgefchiedene Fortdauer der Seele 
md ihres Bewußtſeyns beharrlich längnet. Indeß diefe Unfterblichleit, fo weit ver- 
breitet auch der Glanbe feyn mag, iſt keineswegs die allein mögliche, noch bie allgemein 
mgenommene Form derjelben. Das Chriſtenthum vielmehr behauptet nicht nur bie 
Fortdauer der Seele nach dem Tode, fondern auch die Auferfichung des Leibes, d. 5. 
vie Wiederherflellung des Leibes oder vielmehr die Wiedervereinigung ber Seele mit 
iner neuen ähnlichen (volllommeneren) Leiblichleit. Nur in und kraft biefer Wieder 
zereinigung befleht nad chriftllihem Dogma die Seele mit ihrem Bewußtſehn mud 
Selbftbewußtfenn unfterblich fort. Diefem chriftlichen Olauben widerfprechen aber die 
yargelegten Ergebniffe der phufiologifchen und pfychologifchen Forſchung fo wenig, daß 
x im Gegentheil durch fie felbft gefordert erfcheint. Denn fo gewiß das Bewußtſeyn 
dar, organifche Vorgänge zeitweife zerflört, verwirrt, aufgehoben wird, fo gewiß fieht 
es thatfächlich feft, daß es fi) nad) Befeitigung der organifchen Hemmung mit feinem 
räberen Inhalt unverändert wiederherftellt.e Demmah aber muß angenommen 
erden, daß, werm gleich mit der Scheidung der Seele vom Leibe das Bewußtſeyn 
Ktoindet, doch ein Wiedererwachen defſelben nit nur möglich ift, fondern nach Ana⸗ 
gie der irdiſchen Zuflände auch jenfeit derfelben wirklich erfolgen wird, fobald die 
Seele mit einem gleichen oder äahulichen Organismus wieder in Berbindung tritt. 
Bir fagen: mit einem gleihen oder ähnlichen Organismus. Denn daß zur Erhal⸗ 
mg und refp. Wiederherftellung des Bewußtſeyns im feiner Identität das Fortbeſtehen 
8 ſchlechthin felbigen, underänderlich gleichen Orgamisınıs erforderlich fen, läßt fi 
tgenüber den phnfiologiich feftgeftellten Thatſachen eines beftändig waltenden Stoff: 
echfel® (d. h. befländiger Nenubilbung des ganzen Organismus) und der fortwährenden 
annichfachen Veränderungen, denen der Organismus unterliegt, nicht behaupten. Die 
iblichleit des Kindes iſt von der des Greifes erheblich verſchieden; und doc, erhält fich 
e Spentität des Bewußtfeyns, nachdem es einmal erwacht if, umberändert das ganze 
ben hindurch. Der Blindgeborene, dee Taubſtumme entbehren fehr wichtiger Organe 
x Entwidelung des Bewußtſeyns und Selbſtbewußtſeyns, und doc, zeigt fi, daß 
wch eine forgfältige zivedgemäße Erziehung diefer Mangel fich erfegen läßt, daß es 
jo nicht fchlechthin derfelbigen Bedingungen und Mittel zur Entfiefung und Erhaltung 
8 Bewußtſehyns bedarf. Die verfchiedenen Sinnesempfindungen find bei dem berfchie- 
nen Thiergefdzlechtern durch fehr verfchieden gebildete Organe verwittelt (die Augen 
e JZuſekten z. B. haben eine ganz andere Conſtruktion als das Auge des Menſchen), 
d doch mäflen wir aunehmen, daß die dadurch bedingten pfychologiſchen Erfſcheinun⸗ 
a, die Sinnesempfindungen und Perceptiouen im Wefentlichen diefelben find, — wie⸗ 
rsım ein Beweis, daß fih — weil zwei verfchtedene Faktoren zuſammenwirken — der 
iche Effekt durch verfchiedene oder doch bloß ähnliche Mittel erreichen läßt. — Es 
gt fi mithin nur, ob jene Wiebervereinigung der Seele mit einem neuen, gleichen 
er ähnlichen Organismus phyſiologiſch annehmbar ſey. Wir behaupten, nicht nur 


408 Unfterblidpleit 


annehmbar, fondern gefordert ift fie, weil fie durchaus in der Conſequenz der die Natır 
beherrfchenden umd von der Naturwiſſenſchaft nachgewiefenen Principien liegt. Dem 
danach geht die Natur überall darauf aus, den bedingten Kräften auch die Möglichkeit 
ihrer Bethätigung und einen Kreis ihrer Wirkfamkeit zu gewähren; alle Sräfte der 
Natur tragen nicht nur ein beſtimmtes Geſetz (eine geſetzliche Form) ihres Wirtens in 
fih, fondern finden auch außer ſich fortwährend die Mittel und Bedingungen, une 
denen fie ſich wirkſam zu eriveifen vermögen. Nur dadurch befteht die im der Nam 
waltende, unausgefegt herrfchende und nach jeder Abweichung ſich wieder herflelakr 
Drdnung und Regelmäßigleit. Confequenter Weife muß mithin die Naturwiſſenſchn 
annehmen, daß auch der Seele ein folcher Spielraum nicht bloß einmaliger, vorähe- 
gehender, fondern dauernder Bethätigung ihrer Kräfte gewährt feyn werde, daß alfo die 
Kraft des Bewußtſeyns, wenngleich zeitweife der Möglichkeit ihrer Bethätigung beralı, 
doch durch Wiederbereinigung mit einem neuen entfprechenden Leibe fich wieder gell 
zu machen beftimmt fey, und daß damit auch der frühere Inhalt des Betouftient 
wieder herbortreten werde, — gefegt auch, daß ein Theil defielben, das fpecifiih Ye 
difche, Zufällige, Unmefentliche, verloren gehen ſollte. Nach naturmwiffenjchaftliher Ins 
logie mag diefer Proceß immerhin als ein ftätig fich wiederholender amzufehen fen, 
und die Naturwiflenschaft als ſolche mag an diefer Anficht fefthalten; fie kann doch ie 
Möglichkeit nicht in Abrede flellen, daß der Proceß ebenfomohl in einem Testen Ak: 
durch Einigung der Seele mit einer nicht mehr trennbaren Leiblichkeit zum ul] 
fommen inne. Die Vernunft aber fordert einen ſolchen Abfchluß, weil ein ziel: m 
zweckloſer Kreislauf unvernänftig if. Und mithin vermag die Naturwiſſenſchaft ir 
Glauben an die Unfterblichkeit der Seele nicht nur nicht zu beftreiten, fondern sd 
ihn confequenter Weife anerkennen und wenn auch nicht feine Wahrheit, bod ie 
Wahrfcheinlichkeit felber behaupten. 

Wir fagen: den Glauben an die Unfterblichfeit der Seel. Dem daß im 
bon einem Wiffen im engeren Sinne nicht die Rede feyn kann, verfteht ſich von jet 
Für den Glauben aber genügt es vollkommen, in dem großen Ganzen der Ratır ie 
haupt wie in der gegebenen twiffenfchaftlich feftgeftellten Natur des Leibes umd ber Ex 
Momente und Beflimmtheiten nachgewiefen und damit objektive Gründe amgeyen w 
fehen, welche uns nicht nur erlauben, fondern veranlaffen und berechtigen, die Ufer 
lichkeit dee Seele anzunehmen. Jetzt, nachdem mir eine folche objektive Grundlage 
wonnen haben, erhalten auch die aus dem religidfen Glauben, der Vernunft md da 
fittlichen Bewußtſeyn quellenden Motive eine höhere Bedeutung. Dem religidfen He 
ben ift Gott nicht nur der abfolute Geift, nicht nur ewig und unendlich, almädtt, 
allwiſſend u. f. m., fondern kraft feiner ethifchen Wefenheit auch die abfolnte Ex: 
denn die Liebe ift das Fundament aller Sittlichkeit. Nicht die Gerechtigkeit, wohl ce 
die Liebe fordert, daß Gottes Schöpfung nicht im befländigen Sreifen, im fiel I 
wiederholenden Wechfel von Geburt und Tod ſchlechthin der Vergänglichkeit verfalu 
ſey, ſondern daß aus der Zeitlichkeit ſelbft Weſen geboren werden, die Gott in gut 
umfaffen, in Liebe mit ſich einigen Lnne. Und folde Weſen können nur get, 
freier, ethifcher Natur feyn. Die göttliche Gerechtigkeit ift nur ein Ausflug, ma * 
Kehrfeite der göttlichen Liebe, nur die Liebe felbft in dem Streben, durch Stufe de 
Ungehorſams, durch Leiden, Schmerz und Mißbehagen, die der Sünde folgen, ben Sine 
zu beffern und auf den rechten Weg zurückzuleiten. Auch fie fordert die Unfterliätt 
des Geiftes, aber nicht, um in einem jenfeitigen Dafeyn das hienieden herrſchende Pit 
verhältniß ziwifchen Tugend und Gfüdfeligkeit auszugleichen, — denn ein ſolchet Di 
verhältniß befteht in Wahrheit nicht, — fondern um dem Sünder auch mod; jenfeit M 
irdifchen Daſeyns die Möglichkeit der Umkehr zu gewähren und ihm biefelben buch © 
böhte, innerlichere, geiftigere Strafen zu erleichtern. 

Zu demfelben Nefultate führt die Vernunft. Denn ein ziel» umd zwedloſer Al 
lauf iſi, wie bemerkt, undernünftig. Herrſcht alfo Vernunft in der Natur und Bi 





Unfterbligteit, Lehre des A. Teſtaments 409 


zeigt ſich eine durchgängige Zwedmäßigleit im Seyn und Werben, bie vorzugsweife in 
ver Couſtruktion, Bildung und Entwidelung der organifchen Weſen herbortritt und end- 
ih in der menfchlichen Seele auch zum Bewußtfeyn gelangt umd mit Bewußtſeyn be- 
folgt und geäbt wird, fo muß angenommen werden, daß die Beinegung des Werbens 
in einem legten hochſten Ziele zur Ruhe komme, d. h. and der Zeitlichkeit des Werdens 
in die Emigfeit des Gens Ubergehe. Nicht ſowohl weil die menfchliche Seele der Ber- 
mmft fähig ift oder am der allgemeinen Vernunft Theil hat, als vielmehr weil fie der 
waltenden Zweckmaßigleit ſich bewnßt wird und felber mit Bewußtſeyn fi Ziel und 
Iweck ihres Steebens fett, iſt anzunehmen, daß fle aud, zum Ziele zu gelangen, im 
enigen Seyn das Ziel zu erreichen beflimmt fey. Denn ein beflänbiges, immer wieder 
erwachendes Streben nach einem unerreichbaren oder ſtets fich aufhebenden (vergänglichen) 
Biele iſt zweckwidrig, unberninftig. 

Zu demfelben Ergebniß endlich führt die richtig erfaßte Bedeutung der ethifchen 
Ren, des Wahren, Guten und Schönen. Nicht weil dee Menſch diefer Ideen fähig 
M oder weil er im ihnen die Idee des Ewigen erfaßt, — denn feine bee, welches 
Jahalts fie auch fen, ale bloße Idee, als Vorſtellung oder Begriff involvirt an und 
fir fi die Unfterblichleit, — fondern weil jene Ideen Ideale find, die er, trotz aller 
ſalſchen Auffoffung ihres Inhalts, feiner Natur gemäß zu verwirklichen firebt und nach 
bern Berwirklichung zu fixeben er (durch das angeborene Gefühl des Sollens) fid, ver- 
ühtet fühlt, Find fie Zengniffe für die ihm verlichene Fortdauer feines Daſeyns jen- 
kit des irbifchen Todes. Denn eben weil fie Ideale find, deren volle und volltommene 
derwirklichimg bienieden als unerreichhar ſich erweift, ift in ihnen feinem Streben ein 
Biel geſetzt, das jenfeit des irdifchen Dafeyns liegt, — in der Idee der Wahrheit (des 
velllommenen Wiſſens) ein Ziel des Forſchens und Erkennens, in der Idee bed Guten 
ſdel volllommennen Bandelns) ein Ziel des Wollens und Wirtens, in der bee des 
Shlam (dev volllommenen Darflellung des Wahren umd Guten) ein Ziel des Schauens 
and Genießens, welches feinen Streben erft volle Befriedigung gewährt. So gewiß 
fo Bernunft und Bmedmäßigfeit in der Natur Überhaupt wie in der Naturbeſtimun⸗ 
beit des menfchlichen Weſens waltet, fo gewiß ift anzunehmen, daß der Seele jenfeit 
des irdiſchen Todes eine Sphäre ſich eröffnet, im der fie zu erreichen beftimmt ift, was 
jene Ideen als Zweck und Ziel ihres Strebens ihr vorzeichnen. 

Somit ergibt fidh zugleich, daß vom fittlichen und religidfen Bewußtfegn aus der 
Unfterblichteitsglaube einen Inhalt getvinnt, der uns beredjtigt, das Fortleben der Seele 
jenſeit des irdifchen Daſeyns feiner Beſtimmung nad; als ein höheres, vollkommeneres, 
hefriedigenderes Dafeyn zu faffen. 

Neuere Schriften über die Unfterblichleitefrage: M. D. Egomet: Life and Im- 
mortality or T'houghts on Being. London, Holyoak, 1860. — ©. Schott: Ster 
kn und Unfterblichleit; eine Studie. Stuttgart, Göpel, 1861. — A. Dumesnil: 
Limmortalite. Paris, Dentu, 1861. — E. Naville: La vie &ternelle. Sept dis- 
»urs. Sme Edition. Paris, Durand, 1863. — 9. Huber: die dee der Unſterb⸗ 
ihleit. Munchen, Zentner, 1864. — Baguenault de Puchesse: L’immorta- 
ilé la mort et la vie. Etude sur la destindge de l’homme. Paris, Didier, 1864. — 
ER. Pfaff: Ideen eines Arztes über die Unfterblichfeit der Seele. Dresden, Türd, 
864. — 8. Bilmarshof: das Jenſeits. Ein wiſſenſchaftlicher Verſuch zur Röfung 
er Unfterblichleitsfrage. 2 Hefte. Leipzig, Amelang, 1863. H. Uriti. 

Unſterblichkeit. Lehre des Alten Teſtaments von derſelben. — 
Bas das Alte Teſtament von der Unſterblichkelt oder, genauer ausgedrückt, von dem 
zuſtande des Menſchen nad; dem Tode lehrt, hängt zufammen mit den Lehren vom 
Befen des Menſchen, vom Urftande, von der Sünde und dem Tode, von der Bergel- 
ng, weßhalb anf diefe Punkte in der Kürze hingewiefen werden muß. Indem bie 
Iteftamentliche Authropologie davon ausgeht, daß der Menſch nad dem Cbenbilde 
dottes gefchaffen und demgemäß als freie Perföulichkeit über bie Natur geflellt, zur _ 


410 Unfterblichleit, Lehre des A. Teſtaments 


Gemeinſchaft mit Gott und zur Herrſchaft über die Übrigen irdiſchen Geſchopfe be— 

rufen ift, erſcheint das menfchlihe Weſen vom thierifchen qualitativ unterfchieden (vl 

1Mof. 2, 20). Zwar ift der Menſch aus denfelben zwei Elementen hervorgegangen, 

wie das Thier, aus der irdiſchen Materie (Hey nIR) und aus dem göttlichen Gef, 

duch die Bereinigung des Geiftes mit dem Stoffe ift bei'm Menſchen wie bei'm Thim: 

die Seele (wn>) im Leibe (HD) entflanden. Aber nicht auf gleiche Weife find dr 

beiderlei Seelen aus dem göttlichen Lebensquell entfprungen. Die Seelen der Thin 

gehen nad 1Mof. 1, 24. vermöge des göttlichen Machtwortes ans der Erde hete; 

in ihnen waltet alfo der Schöpfungsgeift, der im Anfang (1, 2) in die Materie & 

ging, ihr Zufammenhang mit dem göttlichen Lebensquell ift durch die allgemeine Ex. 

ſchoͤpfung vermittelt. Die Menfchenfeele aber geht nicht hervor aus der Exde; fie um 

bermöge unmittelbarer göttliher Schöpfungsthat (1,26), nämlich durch einen befonderm 

At göttliher Einhauchung (2, 7) herborgebraht. Darum hat auch die Yerkinm 

eines DMenfchenlebens eine ganz andere Bedeutung, als die Tödtung eines Thiers (9, 

2—5). Schon hiedurch ift die Frage nahe gelegt: kann, wenn gleich das menfälik 

Sterben wie das thierifche durch die Trennung der beiden „Elemente ſich velkich 
(Pf. 104, 29. 146, 4. Hiob 34, 14f. Pred. 12, 7), das Loos der Menſchenſeele in 
Tode daſſelbe ſeyn, wie das der Thierfeele ? 

Daß in der Idee des Menſchen die Beflimmmng zum ewigen Leben gefeht #, 
lehrt das Alte Teflament dadurch, daß es mit dem Urflande die Unfterblichleit in be 
dingter Weiſe ald posse non mori verknüpft und den Tod erft als Folge der Eink 
eintreten läßt. Zwar Liegt in den Worten 1DRof. 2, 17: „des Tages, da bu mm 
ihm iſſeſt, folft du ftecben“, — nicht nothiwendig der Gedanke, daß der Meuſch, um 
er nicht fündige, überhaupt nicht fterben folle; fie könnten für fi) genommen and Ki 
als Bedrohung mit fehnellem, frühem Tode verftanden werden. Uber wenn bie Et 
3, 22: „damit er nicht nehme von dem Baume ded Lebens und Lebe in Eviz⸗ 
keit“ — hinzugenommen wird, fo iſt deutlich, daß nach dem Sinne der Urkude m 
dem paradiefiſchen Leben die Möglichkeit, die Unſterblichkeit zu erlangen, verknüpft, didt 
alfo dem Menfchen, fofern er in ungeträbter Gemeinfhaft mit Gott verharren wär, 
vorbehalten war. Dem widerfpriht auch 3, 19. nit. Mit Unrecht hat mm ws 
diefer Stelle beweifen wollen, daß nicht der Tod, fondern nur die Mühfal des wilde 
Lebens die Strafe der Sünde fey, daß der Menſch, auch abgefehen von der Eis 
vermödge der Befchaffenheit feines Leibes dem Tode verfallen fey. Denn die Br 
„bis du zur Erde zurüdtehrfl« bezeichnen nicht den Termin, bis zu meldem bie it 
den Menfchen verhängte Steafe währen fol, fondern das Ziel, in welchem bie 2, I. 
ansgefprochene Todesdrohung, deren Erfüllung unmittelbar mit der Sünde begam'ı 
fid) vollendet; und die Worte: „denn von ihr bifl du genommen, denn Staub bl is‘ 
— geben den Grund an, warum das Sterben des Menfchen im ber Form ber de 
wefung, als Rückkehr zu der Erde, fich vollziehen fol. Daß ed beim Menfien sid 
unbedingt zum Sterben, d. h. zur Löſung der Vereinigung von Leib und Geele, m 
duch der erflere der Verweſung anheimfällt, hätte kommen müffen, lehrt das Alte Tr 
ftament an dem Ende Henochs, von dem nicht da8 Wort „ſterben“ gebraucht, fonds 
gefagt wird, daß ihn, weil er mit Gott wandelte, diefer hinweggenommen habe (77 
5, 24); wie auch fpäter die Erzählung von der Entrüdung des Elia (2 Rdn. Kap. :- 
bon einem Aber den Tod hinmwegführenden Lebensweg zeugt. 

Hiemit ift aber die Frage noch nicht beantwortet, ob das Alte Teſtamen mi 
eine Fortdauer des dem gewöhnlichen Todeslooſe unterliegenden Menfchen, aljo = 
Unfterblichfeit der menfchlichen Seele lehre. Diefe Frage zu verneinen, Könnte man f& 
duch Bf. 146, 4. und die verwandten, oben bereitd angeführten Stellen berasish 

*) Ueber bie letztere Stelle |. meine Schrift: Vet. Testamenti sententia de rebus 7“ 


mortem fut. 1846, ©. 21; — und Herm. Schultz, die Borausfegungen der chriſtl. Lehre d 
der Unflerblichfeit. 1861. ©. 121 fi. 


Unferblidhleit, Lehre Des A. Teſtamenis al 


iehen, da diefe neben dem Lebensgeift, weicher von Gott zurüdgezogen wird, und bem 
ver Bertvefung anheimfallenden Leibe ein Drittes, in welchem eben ber Menſch fort- 
dauern würde, anszufchliehen fcheinen. Hiezu lommen Unsfagen, wie Bf. 39, 14. 
„blide weg von mir, daß ich mich erheitere, ehe ich hingehe und nicht mehr bin“; 
Hiob 7, 21: „mm werde ich in den Staub mid; legen; du ſuchſt mich und ich bin 
niht mehr“; ebendaf. 14, 10: „verfcheidet ein Menſch, wo iſt er?“. Allein anf 
der anderen -Seite ift doch in ber durch das ganze Alte Teſtament hindurchgehenden 
Borftellung von einem Reich der Todten, das, wie gezeigt werden wird, bon bem Grabe 
beſtimmt unterfchieden wird, fowie in dem, was über Zobtenerwedungen 1Kon. 17,21. 
2Rön. 4, 81. berichtet ifE und von der Fünftigen Auferſtehung der Todten getveiflagt 
wird, irgendwelche Tortdauer des Menfchen nad) dem Tode unzweifelhaft boransgefekt. 
Doffelbe Bach Koheleth, das 12, 7. die Rücklehr des Geiſtes zu Bott, der ihn ge⸗ 
geben, ehrt, redet 9, 10. auch vom Todtenreich, „wohin bu führe. Daß Hiob 7, 8. 
14,10. nur das Berfchwinden des Menfchen vom irdifchen Schauplag, nicht ein völliges 
Aufbören deffelben meinen, zeigt in beiden Kapiteln die Hinweiſung auf den Aufenthalt 
im Zebtenreige. Mit Pf. 39, 14. iſt dee Ausdruck in Pf. 37, 36. zur Erläuterung 
za vergleichen. Man darf wohl fagen, die Fortbauer des Menſchen nad dem Tode 
werde im Alten Teftament fo fehr als etwas Selbfiverfläudliched behandelt, daß das 
Daß derfelden nicht einmal Gegenſtand des Zweifels wird. Nicht einmal vom Buch 
Hiob gilt, daß hier „ein Schwanten zwifhen den traditionellen Vorſtellungen eines 
Tobtenreich® und der Betrachtung des Todes als bloßen Nichtſehns“ flatifiudet (f. F. 
Bed in Baur's und Zeller’S theol. Yahrb. 1851. S. 475). Nur anf das Wie der 
Gortdamer beziehen fich die Zweifel, mit denen der ifraelitifche Geiſt ringt; je ſchwerer 
aber biefes Ringen eben dadurch wird, daß der Geift ſich der Scheolsvorſtellung nicht 
zu extäußern vermag, um fo weniger ift man bevechtigt, in der letzteren nur etwas 
äußerlih) aus dem Volksglauben Herübergenommenes zu fehen. 

Was das Alte Teftament über den Zufland des Menſchen nad dem Tode aus⸗ 
ſagt, fteht vielmehr im inneren Zuſammenhange mit dem, was es über das Berhältniß 
ver Seele zum Geifte lehrt (f. hierüber Auberlen in dem Art. Geiſt des Menfchen“, 
Bd. IV. ©. 728 f. und die dort citirten Schriften). Die aus der Einigung des goͤtt⸗ 
ichen Geifles mit dem materiellen Gebilde eutfprungene Menfchenfeele vermag ihre 
debensenergie nur infoweit zu behaupten, als der Geiftesodem, den fie als Lebensgrumd 
n fi trägt, fortwährend ans Gott angefadht wird, und fle fo im Zuſammenhange mit 
em Lebensquell bleibt, ans dem fie ſelbſt entſprungen if. Jede Schwähung dieſes 
zuſammenhangs ift Schwächung ber Lebenäfraft der Seele, und eben darum geht von 
er Sünde, durch welche das Walten des göttlichen Geiſtes gehemmt wird, die Ver⸗ 
änglichfeit des Menfchen aus (vgl. 1Mof. 6; 3., eine Stelle, die, wenn fie andy zu, 
achſt nur von der Berfürzung der menſchlichen Lebenszeit handelt, doch für bie alt- 
Mlamentliche Anſchauung von dem Aufammenhange der Sünde und bes Todes befon- 
ers infiruftiv if). Wird vollends ber göttliche Geiſt zurückgezogen und fo der irdiſche 
ebensbeſtaud des Menfchen aufgelöf, fo fluft die des Zufluſſes von Lebenskräften be 
subte und zugleich ihres Leibesorgans entlleidete Seele zu einem kraftloſen, fchatten- 
aften Dafeyn herab; und dieß ift eben ber Zufland des Menfchen im Todtenreich 
IR) Man kaun darüber flreiten, ob dieſer Schemen, als welcher der Verftorbene 
widanert, Seele zu nennen fen. Bon den im Todtenreich bereit? Befindlichen wird 
er Ansdrud Seelen im Alten Tefament ebenfo wenig gebraucht, als der 1 Petr. 
‚ 19. Rlebende Geiſter. Wohl aber wird von ber Seele gefagt, daß fie beim 
sterben ausgehe (1 Mof. 35, 38) und bei der Wiederbelebung des VBerftorbenen in 
nen Leib zurädtehre (1 Rdn. 17, 21 f.). Der durch göttlichen Beiſtand vom Tode 
erettete ſpricht Pf. 94, 17: „um ein Kleines hätte Wohnung gemacht in der Stille 
eine Seele«. Hiemit vgl Pf. 16, 10: „du wirft meine Seele nit dem Todten⸗ 
ich überlafen“, ferner Ausdrüde wie: „die Seele aus dem Todtenreich erreiten, 


412 Unſterblichkeit, Lehre des A. Teſtaments 


heraufführen® u. ſ. w. Pf. 34, 4. 86, 13. 89, 49. Spr. 23, 14. Beſonders winde 
Pf. 49, 20. bieher gehören, wenn dort die Erflärung ficher wäre, welche wian ale 
dritte Perſon faßt und dazu aus dem vorhergehenden Verſe Ans als Subjelt erpänt; 
ober es Liegt näher, aha in der zweiten Perfon zu nehmen, indem die auffallen 
Enallage bei ar mit Böttcher und Deligfch daraus zu erklären if, daß dem 
Dichter die übliche Formel ar dr 55 vorſchwebte. Dagegen ift noch Hiob 14,3. 
hieher zu ziehen, indem diefe Stelle, wenn fle and, im Einzelnen verfchiedene Dentunye 
zuläßt, jedenfalls nach dem Zuſammenhange auf den Zuſtand des Menſchen nad ie 
Zode geht und hiernach von dem dumpfen Schmerze redet, den die abgeſchiedene Erk 
und der Leichnam empfinde. — Anbererfeits ift freilich audy von einem Stechen de 
Seele die Rede (4Mof. 23, 10. Hiob 36, 14), was aus dem belannten Spmd. 
gebrauch zu erklären if, wornach wo> u. f. w. geradezu das Perfonalpronomn ve: 
tritt. WIN man diefen Sprachgebraud auch auf die obigen Stellen anwenden, for. 
heilt immerhin fo viel aus ihnen, daß die menfchlihe Perfdnlichleit dem Xobdtenreikt 
verfällt, alfo eben dasjenige, defien Trägerin die Seele if. Mehr Schiwierigleit med 
die eigenthümliche Bezeichnung des menfchlichen Leihnams duch nn wer 3 Mof.21,1ı 
4Mof. 6, 6 u. a. Daß diefelbe aus einer etwa als Euphemismus zu betradtete 
Metonymie zu erklären fen (wie wir von einer todten Berfon reden können, ohne darm 
den Leib als Träger der Perfönlichkeit zu betrachten), ift im Hinblid auf den m 
4Mof. 19, 13. gebrauchten Ausdrud: „wer berührt einen Todten, die Nepheih a 
Menſchen, welcher ſtirbt/ — nicht anzunehmen. Mehr für ſich hat die Anfſicht, weide 
in biefer Benennung den Eindrud ausgeprägt findet, daß das feelifche Element, IN 
im Blute den lebenden Leib durchwaltet hat, unmittelbar nad; dem Tode fich vom! 
mam noch nicht völlig losgerungen habe. So Delitzſch, Syfl. der bibl. Pſychebp 
2te Aufl S. 447. „Die ganze Inmerlichleit des Menſchen liegt am der Leide m 
nach außen gelehrt vor uns; man ſieht da im die Tiefe des Seelenlampfes und Kl 
Seelenfriedens, unter welchem die Scheidung der Seele und des Leibes erfolgte, m! 
die Seele ſchwebt noch verffärend oder verzerrend über ihrem fo eben verlaffenen & 
bilde. Deshalb macht jede Leiche einen fo unheimlichen, geifterhaften, gefpenftifchen En 
drud und deshalb heißt fie we. Der Leichnam des eben Berftorbenen trägt noch I 
feifchen Spuren feiner Seele, die fi fcheidend auf ihm gleichfam abgebrüdt hat, € 
ift das zurückgebliebene Seelengehäufe, er ift gleichfam die geweſene Seele felber.“ 
Wir gehen über zu näherer Darlegung der altteftamentlichen Scheolslehre. 4 
Wort Scheol (bin, felten defektiv gefchrieben) ift als Feminimumm, nach Anclpt 
anderer Subflantive, melde Räumlichkeiten bezeichnen (f. Ewald, ausführl. Lehetnk 
8. 174. b), zu betrachten; die wenigen Stellen, in denen es als Maskulinum de 
zukommen fcheint, hat Böttcher de inferis $. 139 sq., erledigt. Ueber die Alk 
tung des Worte wird geftritten; eine Wufzählung ber verfchiedenen Anfichten pi 
Böttcher 8. 156 fi. Die Zurückführung des Wortes ouf den Stamm bnd, for 
dern (fo Winer im Lexikon: „orcus haud inepte diei videtur a posoere, qupi! 
qui omnes sine diserimine homines insatiabili quadam cupiditate posoat”, Hin!’ 
ſtenberg u. A.), iſt nicht fo geringfchägig abzuweiſen, wie bon mehreren Ras 
geichehen ift; denn fe flimmt recht gut zu der dem Alten Teftamente fo geläufigen Ir 
ſchauung von der Gier des Todtenreichs (Spr. 1, 12. 27, 20. 30, 16. Ye. 5, 1. 
Hab. 2, 5). Nur das kann man auffallend finden, daß ber eigentliche und of 
Zweifel uralte Name des Todtenreichs hiernad; ein Wort wäre, das doch mehr MM 
Karakter eines poetifchen Epithetons hätte. Unter den anderen etymologiſchen Gil 
rungen iſt die jet verbreitetfte, wornach hr don by, hohl ſeyn, abgeleitet und em: 
Erweichung des * in x angenommen wird, in dieſer Form verfehlt; es ware vielnct 
auf die dem Stamm Sy felbft zu Grunde liegende Wurzel dw, dio — yde, Bi 
zurüdzugehen, und daher als Grimdbedeutung des Wortes yuouu, Schladt, 2 
grund, zu betrachten (f. Hupfeld in der Zeitfchrift für die Kunde des Morger 


Unfterbliteit, Zehre des A. Teſtaments 413 


Imdes, Bd. IL ©. 462, und im Commentar zu den Pfalmen, Bd. J. S. 101): Neben 
sr) erfcheint noch als Bezeichnung des Todtenreichs "ia, d. h. Grube, Jeſ. 14, 14. 
€, 32, 23. Bf. 88, 7., und iſt and, die Redensart ia 777 (Pf. 28, 1. 30, 4. 
Shr. 1, 12. Jeſ. 38, 18. Ez. 26, 20 u. f. w.), die an ſich auf das Grab gehen 
linnte, wahrſcheinlich in ber Regel auf dad Todtenreih zu beziehen (f. Böttcher 
8. 165). 

Die altteftamentliche Vorflellung vom Zodtenreiche geht davon aus, daß baflelbe 
im Gegenſatz gegen die obere Sphäre des Lichts und Lebens (Spr. 15, 24. 3.26, 20 
& 0.) als das Drunten ſchlechthin, als die tieffte Ziefe gefaßt wird. Daher Ansdrücke 
bie na did (5 Mof. 32, 22. Pf. 86, 13), die Tiefen dee Erde (Pf. 63, 10. 
fl 88, 7), das Laud der Tiefe (Czech. 26, 20. 31, 14. 32, 18), noch tiefer als die 
Vaſſer und ihre Bewohner (Hiob 26,5). Hiemit hängt zuſammen, daß es das Gebiet 
kr Finſterniß iſt, das Land des Dunkels, wo es, wenn es hell wird, wie Mitter- 
wär if, und wo darum alle Geſtalten chaotiſch in einander verſchwimmen (Hiob 10, 22). 
Daß in den meift dichterifch gehaltenen Schilderungen nicht eine fürmliche Topographie 
dieſed Jenſeits gefucht werden darf, ift ſelbſtverſtändlich. Darum iſt man aber doch 
nicht berechtigt, die Scheol im Sinne des Alten Teftaments aller räumlidien Beſtim⸗ 
augen zu entlleiden und in das Gebiet des immateriellen Seyns zu verweiſen (f. gegen 
olhe Anfihten Deligfd a. a. DO. S. 408). — Bom Grabe, in welchem der Reid: 
um ruht, wird die Scheol beflimmt unterſchieden; daß beide jemals identificiet werden, 
R nicht zu erweifen. Wenn z. B. Ialob 1 Mof. 37, 35. fagt: „trauernd werde ich 
yı meinem Sohne ok himabfleigen“, fo kann er nicht die Hoffnung ausfprechen, mit 
Jofeph im Grabe vereinigt zu werden, da er ja der Meinung ifl, daß diefer bon 
Tieren zerriffen fey. Daß Züge vom Grabe auf das Zodtenreich übergetragen wer⸗ 
den, iſt richtig, 3. V. Jeſ. 14, 11., wo zu dem in das Todtenreich gefumfenen Er⸗ 
oberer gefagt wird: „unter dir iſt Moder gebetttet, und was di; dedt iſt Gewürm“; 
ja Geh. 82, 23 ff. werden die Pläge in ber Unterwelt geradezu als Gräber be 
Kihnet. Aber im beiden Stellen kann die Unterfheidung der Scheol vom Grabe keinem 
Iweifel unterliegen, denn nach Jeſ. 14, 19. ſoll der Leichnam des Könige unbegraben 
Kugemorfen werden, umd bie beiden bichterifchen Gemälde fehildern eine dem verfchie- 
ken Kationen der Erde und ihren Herrſchern gemeinfame Ruheſtätte. Anch die im 
Pentatench fo häufig vorkommende Formel: „zu feinen Bätern- oder „zu feinen Bolls⸗ 
kaofien (INay=br) kommen, verfammelt werden" — kann unmöglich auf das Grab 
een, nicht aur weil die Beflattung des Leichnams gar oft noch daneben befonders 
ähnt wird (vgl. 1 Mof. 25, 9. mit BE. 8.; 35, 29.; 50, 18. mit 48, 33. u. ſ. w.), 
andern hauptfächlich bewegen, weil die Formel und ebenfo auch die verwandte „fich 
u feinen Vätern legen“ (5Mof. 31, 16. 1 Rn. 2, 10. 16, 28. u. ſ. w.) auch von 
olden gebraucht wird, die gar nicht im Grabe mit ihren Vätern vereinigt wurden, wie 
lbraham, Aaron, Moſes, David und Andere. (S. die vollftändige Darlegung der hie⸗ 
er gehörigen Stellen bei Böttcher $. 112 fi.) Nicht aber wird ſich von der Sitte 
© gemeinfamen Befattung ans exft die Vorſtellung von der Bereinigung der Entſchla⸗ 
men nach Geſchlechtern und Volkern im Todtenreiche gebildet haben; vielmehr wird 
gelehrt jene Sitte der Beflattung in gemeinfamen ®räbern von dem Glauben aus» 
“gangen fen, daß die Gemeinſchaſt der im Leben VBerbundenen duch den Tod nicht 
Sig anfgehoben werden könne. — Für die Annahme eines gewiſſen Rapports zwiſchen 
en im Todtenreich Ruhenden und ihren Leichnamen läßt ſich aus dem Alten Teftament 
in fiheres Zeugniß beibringen. Die bereit erwähnte Stelle Hiob 14, 22. läßt fid 
lerdings fo faffen, „daß der Verweſungoproceß des Leibes fehmerzliche Neflere in bie 
igefchiedene Seele werfer (ſ. Delitzſch 3. d. St.); aber. fie kann and) von bem 
ichmerz, den Leib und Seele gefondert empfinden, verflanden werden. Auch Jeſ. 66, 24. 
ird in den Leichnamen Empfindung vorausgefegt. Die Erzählungen von den Todten⸗ 
wedungen 1 Rn. 17, 21 f. 2Kön. 4, 34 f. kann man als Belege für eine nähere 





— 


414 Unſerblichleit, Lehre des U. Teſtaments 


Beziehung der Seele zu dem erſt kurz zuvor verlaffenen Leibe betrachten. (So Him. 
pel, die Unfterblichleitslehre des Alten Teſtaments. 1857. ©. 32.) Dagegen fakrt 
fich im Alten Teſtament feine Spur von der ägyptiſchen Vorftellung, wornad die Ex 
haltung des Leichnams den Fyortbeftand der Seele fihert (obwohl Tacitus (hist. V,5) 
bon dem Juden fchreibt: corpora condere, quam cremare, e more Aegyptio; eaden- 
que cura et de infernis persuasio); und ebenfo wenig die Vorftellung, daß die Erde 
des Gefchiedenen vor der Beftattung feines Leichnams nicht zur Ruhe komme. Geza 
bie letztere zeugt ſogar beftimmt ef. 14, 15 ff. (Im Uebrigen vgl. weine oben u: 
führte Schrift ©. 28 und Himpel a. a. O. ©. 31; von dem leßteren werden ad 
die Über das Alte Teftament hinausgehenden rabbinifchen Vorſtellungen beigebracht. 
Der Zuftand im Todtenreich wird, wie bereit aus dem Wisherigen ſich an, 
als Privation alles defien gedacht, was zum Leben im vollem Sinne gehört, weh 
die Unterwelt auch als 77 728, d. 5. Untergang, Vernichtung (Hiob 26,6. Spr 15,11. 
27, 20) und als Ir das Aufhören (Jeſ. 38, 11) bezeichnet wird. Kraftlos, in dm 
pfem Brüten, gleich, Schlafenden, ruhen die Todten in der Stille (may) Pf. 94, Ti. 
115, 17). Die Scheol ift das Land des Vergeſſens (Pf. 88, 13; rds if abidijt 
zu nehmen). „Die Lebenden willen, daß fie flerben merden; die Todten aber if 
gar nicht8 mehr, und haben weiter keinen Lohn, denn ihr Andenken ift vergefien. Fet 
Liebe, ihr Haß, ihr Eifer iſt längſt entſchwundne, uud fein Theil iſt ihmen mehr mi 
ewig an Allem, was unter der Somne gefhieht. — Kein Thun, noch Gedanke, mi 
Willen, noch Weisheit ift in dem Todtenreich, wohin du gehſt.“ (Pred. 9, 5. 6. 10 
In folhem Zuftand ift auch Fein Rob Gottes und Teine Betrachtung der götlhe 
Dinge möglich (Pf. 6, 6. 115, 17. 88, 12); reicht aud; die Allmacht Gotte Wi 
bi$ in die Unterwelt, die unverhüllt ihm gegenwärtig iſt (Hiob 16, 5 f. Spr. 151 
Bf. 139, 8), fo fehlt doch den hier Ruhenden jede Erfahrung der Gemeinſchaft ei 
Gott (Pf. 88, 6). Bei dem Allen ift aber ihr Selbſtbewußtſeyn nicht zerftöet, De 
mehr aus feinem Schlummer aufregbar; die Identität dee Perfönlichfeit dauer fm 
(Jeſ. 14, 10, Eye. 32, 21. 1 Sam. 28, 15 ff.). — Wahrſcheinlich bezieht fih cl 
den gefchilderten. Zuftand der Scheolsbewohner der ihnen in einigen Stellen (%ef.14,% 
26, 14. Hiob 26, 5. Pf. 88, 11. Spr. 2,18. 9,18. 21,16) gegebene Name vw“ 
Das Wort hängt wohl mit p7 (mie Dıny5 mit 735) zufammen und bedeutet de 
nad die Schlaffen, Entkräfteten. (Vergl. das mon Jeſ. 14, 10; dor Tr Pl. Ba 
Im Bentateuch fleht es nie von den Verftorbenen, fondern iſt dort in mehreren Sri 
die Bezeihnung eines Rieſenvolkes der Vorzeit (f. d. Art. „Rephaiten« Bd. XII 73: 
Es kann übrigens das Wort in beiden Bedeutungen auf denfelben Stamm zurädgefik 
werden, indem es als Bezeichnung der Berflorbenen die Hingeftredten (im lagır 
rem projecti), als Bollsname die Geftredten im Sinme von proceri bedenten wirt 
(. Ewald, Geh. Ir. Bd. I. Ste Ausg. ©. 327 u. 9). Ganz willläcid # 
dagegen die Annahme Böttcher’ (8. 193 ff.), daß das Wort zumächft die Kia 
gefchlechter als die geſt Urzten bezeichnet habe, und von biefen aus, weil fie die pa 
potior der Scheolsbewohner gebildet, auch auf die Abrigen Üübergetragen worden je} 
Ziwifchen den Todten drunten und der Oberwelt ift fein Verlehr, aus ber 
fein Wiederlommen (Hiob 7, 9). Der nelcomantifche Aberglaube war freilid in Neal 
feit alter Zeit verbreitet, ift aber durch das Geſetz fireng verboten (3 Moſ. 19, 91 
5Mof. 18, 9 ff). Daß, wie Diefiel Bd. XVII, 482 gefagt hat, ſelbſt erimdt 
Propheten an die wirkliche Fähigfeit, Todte zu befragen, geglaubt haben, folgt a 
Jeſ. 8, 19. nicht, wohl aber das Gegentheil. Als in fich miderfinnig, den Hr 
rathloe laffend, erfcheint dort die Nekromantie; an das Offenbarungswort (84. 2. 
vgl 5Mof. 18, 15) ift das Bundesvolk gewiefen; „fe haben Mofen und bie Pr 
pheten, die mögen fie hören“ (Luk. 16, 29), ift ganz aus dem Geiſte des Alten Ik 
ments heransgefprohen. Das Alte Teſtament fennt fein Beifpiel einer tmicflicen er 
fheinung aus dem Todtenreich,. als die Samuel’8 (1 Sam. Kap. 28). Dem bi M# 


Unfterblichleit, Lehre des U. Tehhaments 416 


Eräblung fo verſtanden feyn wolle (wie ſchon LXX. zu 1Chron. 10, 13. und Sir. 
46, 20. [23.) fie gefaßt haben), und daß fie nicht, wie die alten Theologen fie deu- 
teten, ein bloße Blendwerk vorführe, dürfen wir als entfchieden betrachten. (Außer 
ver in Keil's Comm. z. d. St. angeführten Literatur verdient auch die Abhandlung: 
vie Gefchichte von der Zauberin zu Endor“ in der Zeitſchr. für Proteftantigmus und 
Siche, 1851, Bd. XXU. ©. 138 ff. beachtet zu werden). Dagegen iſt in Hiob 4, 
12—15. nicht von Erſcheinung eines Verſtorbenen die Rede, fordern von einer goͤtt⸗ 
lihen Offenbarung ;.in 88. 15. bezeichnet rıym nicht einen Geiſt, fondern das Wehen, 
duch welches die Erſcheinung ſich ankündigt. 

Dos Todtenreich ift (Hiob 30, 3) „der Ort der Aufammenkunft für alles Le 
ber. Denn (Bf. 89, 49) „wer ifi der Mann, der lebte und den Zod nicht fähe 
md rettete feine Seele vor der Unterwelt?« Das Loos ber in dieſer Wohnenden 
if für alle das gleiche (Hiob 3, 17—19). Nach Böllern und Geſchlechtern find fie 
geiondert, fo daß jeder Hinabfleigende eben zu feinen Boll, zu feinen Bätern geſam⸗ 
melt wird; aber von einer Sonderung dee Gerechten von ben Ungerechten wird nix. 
gende geredet. „Morgen wirſt du und meine Söhne bei mir feyn”, fagt Samuel zu 
Em (1 Sam. 28, 19); „ſie haben weiter feinen Lohn“ (Pred. 9, 5), Nur in Jeſ. 
14, 15. & 32, 28., wo den geſtürzten Eroberern die äußerfle Tiefe (13 na?) an- 
geiviefen wird, darf man vielleicht eine Andentung verfchiedener Abfiufungen bes Todten⸗ 
reiches finden, in dem Sinne, wie Iofephus (bell. jud. III, 8. 5.) den Selbfimdrdern 
fen ads oxorıorepos in Ausſicht fell. Der Zuftand in der Unterwelt ift in feiner 
Zurüdführung anf eine möglichft beſtimmungsloſe Eriftenz an fid; weder Seligleit noch 
Unfeligfeit. Anders freilich vom Standpunkte des irdiſchen Lebens umd feiner Güter 
ans betrachtet, während die Lebensfatten ale Ruhe ihn erſehnen (Hiob 3, 18 ff.), liegt 
fir die mitten ine Genuß der Lebenskraft in bie Unterwelt Geſtürzten in dieſer Weg⸗ 
taffung eine furchtbare Strafe (4 Mof. 16, 30 ff. Pf. 55, 16). ber hierin erweifl 
ſih chen die göttliche Vergeltung als eine diefleitige; nirgends greift die göttliche Ber⸗ 
yeltungsorduung, die dee Moſaismus verkündigt, in ein Jenſeits hinliber (f. die Dar- 
egung der mofatfchen Bergeltungslehre in Bd. XVIL ©.255—257). Aud) in 4 Mof. 
3, 10: „meine Seele fterbe den Tod der Gerechten“, melde Stelle früher häufig als 
in Zengniß für den Glauben an ein felige® Leben nach dem Tode betrachtet worden 
R, ifi hievon nichts enthalten; vielmehr ſpricht Bileam mit diefen Worten den Wunſch 
ms, nach einem von Gott fo reich gefegneten Leben fterben zu dürfen, wie die Ge⸗ 
ehten in Hrael flerben, im Frieden, in gutem grauem Baar» (1 Moſ. 15, 15. 
5, 8. u. f. m.). Der Blid, den diefe Gerechten, wenn fie ſich anfchiden, „den Weg 
ber Welt» (1 Kon. 2, 2) anzutreten, in die Zukunft werfen, gilt dem Fortleben in 
& Nahlommenfhaft nnd der Erfüllung der Berheißungen Gottes an bdiefer (1 Mof. 
ab. 49. 50, 24. 1Kdn. 2, 4). Zwar eine Exemtion vom Todes weg kennt nad) 
em früher Bemerkten der Pentateuch, — die Enträdung Henoch's; aber eine Exemtion ber 
im Zode Berfallenden vom Scheols looſe wird nirgends erwähnt. Auch bei Mofes 
ht, dem bie Habbinen, indem fie 5 Moſes 34, 5. unrichtig „er farb am Munde 
choba’3u erflärten, eine befondere Art de Todes, die mors osculi, die eine Befreiung 
om Tode im fich fchließe, beilegten. Es wird 88. 6. geheimmißvoll von feiner Be⸗ 
tung geredet; doch 32, 50. wird vom feinem Hingang berfelbe Ausdruck gebraucht, 
ie bon dem ber Andern: „iverde gefammelt zu deinem Boll.“ Was nad Matth, 
1, 3. Luk. 9, 30 f. (wo befonders das SpdLrres Lv dd&n bedeutfam if) über bie 
ufeitige Vollendung des Mofes zu fügen ift, geht über die altteftamentlichen Ansſagen 
Mans und gehört darum micht hieher. 

Aber die Lehre des Alten Teftaments von dem Zuſtande nady dem Tode ift hiemit 
cht abgeſchloſſen. Es bezeugt, daß auf Seiten Gottes die Beziehung, in die ex zu 
b Gerechten getreten ift, duch den Tod nicht aufgehoben wird. Das Blut des er. 
Hogenen Abel ruft zu ihm (1 Moſ. 4, 10); er nennt fi, nachdem die Patriarchen 





416 Unfterblileit, Lehre des A. Teftaments 


laͤngſt entichlafen find, den Gott Abraham's, Iſaak's und Jakob's (2 Moſ. 3, 6). „Bott 
aber ift nicht der Todten, fondern der Lebenden Gott; denn fie leben ihm alle« (Put. 
20, 38). Was für Gott, den ewig Lebenden, ewige Bedeutung hat, dem if and, eine 
ewige Dauer gefichert. Und das Alte Teftament bezeugt ferner, daß, der die Quell 
des Lebens ift (Pf. 36, 10), auch die Macht hat Über Tod und Unterwelt: mic th: 
und mache lebendig (5 Mof. 32, 39); „Jehova tödtet und macht lebendig, er führt i 
die Unterwelt hinab und fährt herauf" (1 Sam. 2, 6), welhe Macht er bewährt u 
den WFällen, in denen er auf das Gebet feiner Propheten Todte wieder ins Lem 
ruft. Auf dem Grunde folder Erkenntniß des lebendigen Gottes fchreitet eimerjeits ix 


Brophetie fort zur Verkündigung der Auferftehung der Todten, wie ambererfeits di 
ahnungsvolle Ringen der Weifen Iſrael's mit den Näthfeln des Todes und Tom 


reiches dorther feine Impulfe empfängt. 


Wir verfolgen zuerfi die Entwidelung der prophetifchen Lehre von der Auferſte 


hung der Todten. — Die Heilöweiffagung hat es zunächſt nicht mit der periie 
lichen Fortdauer der Individuen, fondern mit der Unvergänglichleit der Gemeint: 
zu thun. Gottes Bolt kann, da der Heilsrath, zu defien Verwirklichung es ermäfl 


ift, auch durch menfchliche Sünde und deren Gericht hindurch ſich vollenden muß (id 
Bd. XVIL ©. 256 Ausgeführte), niemal® untergehen. In der Ewigkeit ihres Bott 


ift der Gemeinde ewige Dauer verbürgt. Er ift für fie, auch wenn fle erſtorben [hen 
ein unverfieglicher Lebensquell (Ief. 40, 28 ff.). Weil Er, auch wenn bie Find 
veralten wie ein Gewand und wechfeln wie ein Kleid, derfelbe bleibt, deshalb kit 


auch der Same feiner Knechte die Umwandlung der gegenwärtigen Weltgeftalt Hier 
dauern (Pf. 102, 28 f.). Eben dieß nun, daß das ſcheinbar dem Untergang m 


fallene Bolt Gottes fi twieder zu neuem Leben erhebt, wird als eine Erweckung % 
felben vom Tode bargeftellt. So in zwei Stellen des Hofen 6, 2. 13, 14. AM 
erfteren wird Iſrael redend eingeführt, wie e8 in der Noth feinem Gotte ſich zuwertd, 
freilich no in mwanfelmüthigem Sinne: „Er wird uns beleben nad; zwei Xagen, 
dritten Tag (d. h. nach furzer Frift) wird er uns eriweden, daß wir vor ihm Ida 


Was hier als Hoffnung des Volkes ausgefprochen ift, welcher bei der Unbefländikt 
deffelben noch feine Erfüllung zugefagt werden kann, das erjcheint als ein Wort Et 


in 13, 14. Der Zufammenhang diefer Stelle ift bei der abgebrochenen Darftelump 
mweife des Propheten, bei der die vermittelnden Gedanken verfchieden ergänzt Im# 
innen, fehr ſchwierig zu beflimmen. Uns fcheint der Gedanfengang von 28. 12.4 


folgender zu feyn: Ephraim's Sünde ift aufgefpart für das Gericht; die Strafleiden eat 
follen die Geburtswehen feyn, burch die ein neues Volk geboren wird. Aber dad u 


will es hiezu nicht fommen laſſen; nes ift ein unweiſer Sohn; wenn es Zeit iſt M 
er nicht in die Mutterfcheide.« Die Todesangft um Mutter und Sind, wenn die &. 
burt nicht zu Stande kommen will, bildet nun den Webergang zu Ws. 14: nous I 


Hand der Unterwelt will ich fie erldſen, vom Tode fie loslaufen; wo find beine Pete. 
0 Tod, wo deine Seuche, o Unterwelt ?« Das will fagen: und doch if Get m 


Stande, fein Bolt auch aus folder Tobesnoth zu erlöfen, mweil gegen ihn alle Zotek 
möchte nichts vermögen. — Nach anderer Erflärung freilich (fo Simfon und am 
handlung in der Zeitfchrift für Proteft. u. Kicche, 1854. Bd. XVII. S. 124) mir 
die Stelle etwas ganz Anderes enthalten; das erfte Glied von Be. 14. foll ald im 
gefaßt werben („aus der Gewalt des Todes foll ic, fie befreien? =), das zweite Gut: 
als Ausdruck des erbittertſten Zornes-über das Volk, gegen das Tod und Hölle ai 
geboten werden (mher mit allen euren todbringenden Mächten!“). Aber gegen die = 
terrogative Faflung des erften Satzes dürfte ſchon die Wortflellung ſprechen; and ’* 
im zweiten ıx anders als in Vs. 10. zu nehmen wäre, iſt nicht wahrſcheinlich · 
Eine unbedingie Verheißung enthält allerdings die Stelle nicht; fie bezeugt, was Gt 
kann und wird, wenn nur fein Volt, auch wenn es auf's Aeußerſte mit ihm gelsun 
iſt, ſich retten laſſen will (vergl. das nor in 7, 13), Weil es aber ber 








Unferblileit, Lehre bes A. Teftamenis 417 


widerfizebt, darum, heißt es weiter, ift für Mitleid bei Bott fein Raum, nnd muß der 
Sturm des Gerichts das prangende Ephraim wegfegen. Und doch weiſt das Wort 
bon der in Gottes Macht liegenden Ueberwindung des Todes, wenn es auch für ben 
Angenblid wieder durch die Gerichtsdrohung zurückgedrängt wird, hinans auf das, mas 
dad Ende ber göttlichen Gerichtswege mit Ifrael fern wird. 

Wie nun die Verkündigung der Wiederherfiellung des erſtorbenen Volles forigeht 
zur Weiffagung der Auferweckung der entichlafenen Glieder deſſelben, exgibt fich durch 
Golgendes. Wenn Ifrael in feinem aus den Gerichten geretteten Reſte wieder her 
geftellt umd verherrlicht wird, bleibt doch noch ein Räthjel ungelöfl. Rad, göttlicher 
Vergeltungsorbunng fleht fe: „der Gerechte wird leben durch feine Treue“ (Hab. 2,4). 
Darum follen ja nach Ezech. 9, 4. alle Berechten durch ein Malzeichen ansgefondert 
werden bon der den Würgengeln verfallen Maſſe; auf das Nachdrücklichſte verkündigt 
derfelbe Prophet in Kap. 18., daß Jedem nach feiner Gerechtigleit werde vergolten 
werden. Und doch fieht er 21, 3. 8,, wie das euer bed Gerichts grüne und bürre 
Bäume, da8 Schwert des Herrn Gerechte und Bottlofe verzehrt. Wo bleibt da ber 
Bott der Gerechtigkeit? — Der Widerſpruch, in melden die göttliche Gerechtigkeit ſich 
zu berivideln fcheint, wird gemildert durch die Erwägung, daß die Gerechten vor bem 
Ungläd weggerafft werben; „er geht zum Frieden; fie ruhen auf ihren Lagern, die ge- 
tade bor fi) hingewandelt“ (ei. 57, 1 f., zu erllären nad 2 Kon. 22, 20). Über 
geldſt iſt hiedurch das Räthjel nicht. Die Löfung lann nur darin liegen, daß die ent- 
Ichlafenen Gerechten an der Erldſung ihres Volles und ber Vollendung bes göttlichen 
Reiches, auf die fle in unerfchätterlichem Glauben gehofft, felbfi auch Antheil befommen. 
Und bier greift num die Weiffagung Jeſ. Kap. 26. ein. Bereits in 265, 7. hat der Pro- 
phet in Bezug auf die Heilszeit verfündigt, daß Jehova den Tod für immer vernichten 
und die Thränen von allen Ungefichtern abwifhen werde. Darin läge zunähft nur 
die Aufhebung bes Todes für die Gemeinde jener Zeit; aber in 26, 19. geht die 
Beiffagung weiter. Der Zufammenhang der verfchieden erflärten Stelle iſt von Bs. 8. 
an diefer. Der Prophet fpricht im Namen der Gerechten die Sehnſucht nad der Boll. 
mdung der göttlichen Gerichte aus, damit die Sünder auf Erden Jehova's Bröße und 
feinen Eifer über fein Bolt ertennen mögen und dem letteren Heil gefchafft werde. 
Das Bolt hatte früher anderen Herren, d. h. anderen Göttern gedient; diefe® abgdttifche 
Defchlecht iſt gerichtet und wird nicht wieder erfiehen. (Nach anderer Auffaffung follen 
ie anderen Herren bie Zwingherren Iſrael's und diefe die in bie Unterwelt Geſtürzten 
eyu, die nicht mehr erſtehen). Jehoba Hat das Boll wieder gemehrt, aber noch iſt 
uch, die Wehen, in denen es lag, ihm das volle Heil nicht gelommen; „nicht wollen 
yeboren werden Bewohner der Welt." (Wie zbp1 zu uehmen iſt, zeigt das brem im 
Be. 19. Wllerdings if >02 nicht Geburt überhaupt, fondern Fehlgeburt. Aber 
er Ansdruck iſt gewählt, weil in ihm das dem Mutterſchooß gewaltfam Abgerungen- 
Derden liegt. Es geht nicht auf dem Wege eines gewöhnlichen Naturproceſſes; bie 
Todten mäflen mit Gewalt and der Unterwelt bervorbredhen, und das vermochten die 
Behen, in denen das Boll lag, nicht zu bewirken). Darum nun Bs. 19. der Wunſch, 
aß die Todten Gottes (fo it mit Böttcher $.445. das yınm zu nehmen, im Gegen⸗ 
ag gegen die Todten des abtrünnigen Geſchlechts), die Leichname des Vollkes erftehen 
sögen; welder Wunſch raſch übergeht in den Zuruf: „wachet auf und jaudzet, ihr 
Stanbbewohner, denn Thau der Kränter if dein Thau“ (d. h. die Kraft Gottes wirkt 
Leid; dem die Begetation neu belebenden Than) „und die Erbe gebiert die Schatten.“ 
318 dahin möge das Volt flille harren; am Tage des Endgerichte, zu dem ſich Jehova 
u fmacht, „enthüllt die Erde ihr Blut und bebedt nicht ferner ihre Gemordeten.“ — 
>aß Ba. 19. nicht tropiſch genommen werben darf, als ob bloß von der Erldſung bes 
zolles aus feinem Elende gexebet würde, erhellt deutlich ans dem Gegenſatz von Be. 14. 
xD ans dem ganzen Zufammenhange ber Stelle. Auch Bs. 21. will nicht bloß fagen, 
aß die unfchuldig Gemordeten in dem legten Gericht au ihren Feinden gerät werden 

Real o Cacyhtlopadie für Ipeologie und Kirche. Suppl. IIL 7 


418 Unſterblichkeit, Lehre bes A. Teftaments 


follen. Nach dem Zufammenhange mit dem Vorhergehenden find die hrarH:7 eben die 
Todten Gottes in Vs. 18.; diefe, deren Blut bis jept ungeahndet geblieben ımd fo 
dem Blute eines um eigener Schuld willen Getöbteten gleichgeftellt war, follen, indem 
die Erde fle nicht mehr dedt, fie vielmehr zu neuem Leben wiedergeben muß, ihre Redt- 
fertigung erlangen. 

Gehen wir in der Prophetie weiter herab, fo fordert zunächft die Vifion bes Eze⸗ 
chiel dom Knochenfelde (Rap. 37.) eine nähere Erörterung. Die Beranlaffung derfelben 
if in BE. 11. angedeutet. Sfrael fpricht: „vertrocknet find unfere Gebeine, verlieren 
iſt unfere Hoffnung, wir find abgefchnitten.“ Das Volt if fo verlommen, daß ned 
feiner Auſicht eine Wiederherflellung, wie fie ihm in Kap. 36. der Prophet verfün- 
digt hat, fchlehthin undenkbar if. Diefer Verzweiflung will die Offenbarung, welde 
der Prophet empfängt, entgegentreten. Er wird im Geiſte in ein Thal geführt, das 
mit vertrodneten Gebeinen angefüllt iſt. Gefragt, ob diefe Gebeine leben werden, ant- 
wortet er: „Herr, Jehova, du weißt es“, und erklärt dadurch die Sache für etwas 
über menfchliches Wiffen Hinausliegendes. Num erhält er den Befehl, über die Ge⸗ 
beine zu weiffagen: „flehe ich bringe in euch Odem, daß ihr lebet, und ich fege is 
end; Sehnen und bringe über euch Fleiſch, und Überziehe euch mit Hant, und lege im 
euch Odem, daß ihre lebet; dann erfennt ihr, daß ich Jehova bin.“ Da nun der Pre 
phet ſolches weifjagt, wird es laut, es entfteht ein Getöfe (nad) anderer Erflärung em 
Erdbeben, das aber nur willtürlich mit dem 38, 19., in welchem die Macht Gog'ts 
untergeht, identiflciet werden Tann); die Gebeine rüden zufammen, umd hieranf erfolgt 
die Wiederbelebung derfelben durch die zwei vorher angegebenen Alte, zuerfi die Wieder: 
berftellung der Körper und dann die Befeelung derfelben durch den von dem vier Anden 
her zugeführten Lebensodem. Nun folgt Vs. 11—14. die Anwendung des Geſicht: 
„Menſchenſohn, diefe Gebeine find das ganze Haus Iſrael⸗, d. h. nad dem Zufam- 
menhang mit Vs. 15 ff. fomohl das Voll Inda, als das der zehn Stämme. Dieſen 
in feinem vermeintlich rettungslofen Zuftande fol der Prophet verfündigen: „fiche, id 
Öfine eure Gräber, und führe eudy, mein Bolt, herauf aus euren Gräbern und brinse 
euch in's Land Ifrael; dann erkennt ihr, daß ich Jehova bin, und ich gebe meine 
Geiſt in euch, daß ihr lebet, und fee euch in euer Rand“ mn. f. w. — Bis in ir 
Zeit der Kirchenväter zurück geht die Controverfe, ob die Schilderung Bs. 1—10. 
eigentlich zu verftehen fen, von der leiblichen Auferftehung, oder ſijmboliſch, von der Re⸗ 
flitution des Bundesvolks, wobei die Einen bloß an die Erweckung Ifrael's vom bär- 
gerlihen Zode zu neuer politifcher Eriftenz, die Anderen an die Wiederherflellung de- 
felben aus dem geiftlihen Tode, die geiflliche Neubelebung defielben, dachten. — em 
Differenz, die dahin auszugleichen ift, daß es fi) nad 36, 27 f. und 37, 21 ff. = 
bie Wiederherftellung Iſrael's als eines Gottesflaates unter der Herrfchaft des Meſſfiet 
eines wahrhaft geheiligten Gemeinweſens handelt. Nachdem im neuerer Zeit die fym- 
bolifhe Deutung lange faft ausſchließlich geherrfcht hatte, haben fid, dagegen die zwei 
neueflen Commentatoren Ezechiel's, Higig und Kliefoth, wieder für die eigentlich 
Anffaffung entfhieden. Nach ihr würde in Vse. 11—14. nicht die Deutumg des Ge⸗ 
fiht8 gegeben, fondern nur (Kliefoth S. 370) meine auf den Imhalt des Gefichn 
fi) bafirende, denfelben auf einen beflinmten Punkt anmwendende Troflrede an Ifrael⸗, 
oder, wie fhon Calov die Stelle gefaßt hat, es fol die Analogie hervorgehoben wer 
ben, welche zwifchen der Reftitution Iſrael's und der Hinftigen Auferſtehung ber Todte⸗ 
ftattfinde. Allein wenn es 38. 11. heißt: „dieſe Gebeine find das ganze Hans Ifroel⸗. 
das feinen Zuſtand felbft als den vertrodneter Gebeine bezeichne, fo kam hierin ned 
einfahem Wortverfländnig nur gefunden werden, daß das Vorhergegangene ſich eben 
auf das Iſrael, welches diefe Rede führt, bezogen habe. Und wenn weiter in Be. 13. 
zu denen, welche ihre Gebeine als vertrodnet bezeichnet haben, gefagt wird: „ich fer 
eure Gräber“ u. f. w., fo ift als reine Willkür anzunehmen, daf nad) dem anerlammte- 
maßen ſyymboliſchen Ausdrud in BE. 11. num Ds. 12. eigentlich zu verfüchen fen. 


Unferbliäteit, Lehre des U, Teſtaments 419 


Dabei iR allerdings zuzugeben, daß Vs. 1—10. nicht ein bloßes Gleichniß if, das 
lediglich der Beranfchanfihung dienen würde. Sondern der Abſchnitt gibt ein vifionäres 
Erlebniß; dee Borgang, den Bott den Propheten fchauen und bei dem er ihn felbft 
weiflogend eimgreifen läßt, hat fo die Bedentung eines unterpfändlichen Seugniffes, wie 
Gottes Macht im Widerfpruch mit menfchlichem Meinen auch das Todte wieder zn bes 
leben vermdge, und zugleich welche Kraft dem von Gott gewirkten Weiffagungsmort 
einwohne. Daß and dem Borgang auch die Gewißheit der Auferfiehung der Todten 
obgeleitet merden konnte, if} nubeſtreitbar; aber von diefer if} eben nad} dem Zuſammen⸗ 
fange hier nicht die Rede. 

Dagegen wird diefelbe im Buche Daniel Kap. 12. verfündigt. Der Prophet 
weiſſagt Bs. 1 f. von einer Zeit der Bedrängniß, wie eine ſolche nicht gewefen, feit- 
dem Bölfer eriftiren. „Im felbiger Seit wird gerettet werden Jeder, der im Buch (des 
Lebens) gefchrieben gefunden wird. Und viele werden ans den im Erdenſtanb Schlum- 
menden erwachen, die einen zum ewigem Xeben, die andern zu Schande und ewigem Ab» 
(den. Und die Berfländigen werden glänzen wie der Glanz ber Veſte, nnd die, welche 
die Bielen zur Gerechtigkeit geführt, wie die Sterne für ewig und immerdar.“ Im 
86. 13. wird fodann Daniel angeredet: „bu geh’ hin zum Ende; du wirft ruhen und 
eufftehen zu deinem Loofe am Ende der Tage.“ Auch hier wird nad) dem Zuſammen⸗ 
bang von 12, 3. mit 11, 33. 35. die Verheißung der Auferflehung zum Leben befon- 
ders in Bezug auf diejenigen ausgefprochen, die ihre Trene gegen Bott durch deu Tod, 
den fie al® feine Bekenner erlitten, bewährt haben. Doch geht das „Biele- nicht dar- 
uf, dag nur ein Theil Ifrael's erfichen werde (nach den Accenten iſt das m vor 
“En bon 379" abhängig); es bildet nicht den Gegenſatz gegen Nicht - Unferftchende, 
jondern bezeichnet eben die große Zahl (f. Hofmann, Weiffagung und Exfällung, 
Vd. J. S. 314; ımd Scriftbetveis, Bd. II, 2. ©. 549). — Nun kommt bei Daniel 
die Auferftehung der Bottlofen hing. Doch bildet den Uebergang hiezu ſchon Jeſ. 
56, 24,, wenn dort von den Leidmamen der Abtrünnigen, die nad Ds. 16. Jehova 
mit Schwert und euer gerichtet hat, gefagt wird, daß fle draußen vor ber Gottesſtadt 
iegend ewige Dual leiden. „Ihr Wurm wird nicht flecben nnd ihr Feuer nicht er⸗ 
dihen md fie find ein Abfchen allem Fleifch." Der Gebrand des Wortes ir“ 
a Dan. 12, 2. macht wahrfcheinlich, daß dieſe Stelle eben auf ef. Kap. 66. Bezug 
tmmt. — Daniel redet nur von Sfrael, nicht von einer Anferfiehung aller Menfchen. 
don diefer handelt das Alte Teflament überhanpt nirgends ausdrücklich; nur in Jeſ. 
4, 22., wo es von dem Heer der Höhe und den Köninen des Erdbodens, die in ber 
Irube (d. h. der Unterwelt) eingefperrt find, heißt, daß fle nach langer Zeit heimgefucht 
erden, if, wie man die dunkle Stelle näher faflen möge, doch wohl davon bie Rede, 
aß die Eingefperrten aus dem Neiche der Todten hervorgeholt werden. Anf der an- 
en Seite wird man auch in Ser. 51, 39. 57., wo von den Ehaldäern gefagt wird, 
aß fie zu ewigem Schlafe entfchlafen und nicht wieder erwadhen werden, die Ausdrücke 
ht in dogmatifhem Sinne faffen dürfen. 

Die Auferſtehung der Gerechten Irael's zum etvigen Leben bildet in ber Pro- 
jetie, twie wir gefehen haben, ein Städ der Bollendung der Gemeinde. Die Ueber⸗ 
indung des Todes ift Ziel der göttlichen Reichswege. Bis dahin dauert die Herr⸗ 
haft des Bades über alle Menſchen; die Prophetie hat, wie aus den früher mitge- 
eilten Stellen erhellt, die alte Scheolslehre beflätigt. Daß diefe auch in den Pſalmen 
ıd den Denkmälern der Chokma enthalten fey, iſt ebenfalls ſchon oben nachgewiefen 
orden. Ob dagegen in diefem Gebiet des Alten Teſtaments doch andy ſolches ſich 
ide, was über biefelbe hinausführt, ob hier die Hoffnung einer jemfeitigen Vollen⸗ 
ng, einer feligen Unfterblichkeit, tie man e8 zu nennen pflegt, aufleuchte, das iſt noch 
her zu erbrtern. Bewegt hat allerdings die Frage nach dem Jenſeits den Geiſt der 
Higen Sänger und Weiſen Irael'e. Sie lag ihnen, fo zu fagen anf bem Wege, 
am fie mit den Räthfeln rangen, in welche bie Erfahrung von dem Glüuck der Frevler 


37° 


420 Unſterblichkeit, Lehre des A. Teftaments 


und dem Unglüd der Frommen fle vermwidelte, und ihre Glaubenspoftulat, daß Gott 
unter allen Umftänden als gerechter Vergelter fi) bewähren werde, fortwährend anf 
widerfprechende irdifche Thatfachen ſtieß. Und auch abgefehen hievon drängte ſich ihnen 
der Widerfprucd auf, der zwifdyen der göttlichen Beftimmung des Menſchen und feinem 
Todes» und Scheolsloofe ftattfindet. Die Klage über Tod und Grab hat im Alten 
Teftament von vorn herein dadurch eine andere Bedeutung als im Heidenthum, daß die 
Hinfälligleit des Menſchen nicht als reine Naturnothwendigfeit gefaßt, ſoudern in Zu ˖ 
fammenhang mit der Sünde und dem Zorn Gottes gefegt wird (Pf. 90, 7—9). 
Hiezu kommt aber, daß die Gemeinſchaft, welche durd die Offenbarung zwijchen dem 
lebendigen Gott und dem Menfchen geftiftet ift, dem letzteren eine ewige Bedentung 
gibt, die zwar zunähft nur in der Gewißheit der ewigen Dauer des erwählten Ge 
fchlechtes fich fundgibt, aber in demfelben Maße, in dem die individuelle Erfahrung der 
Gottesgemeinſchaft fi vertieft, aud) in dem Einzelnen das Gefühl einer umvergäng- 
lichen perjönlichen Beftimmung erwedt. Da tritt nun an die Stelle jener Befriedigung, 
mit welcher die Patriarchen im Hinausblid auf das ihrer Nachkommenſchaft verbürgte 
Heil aus dem durch Gottes Güte gefättigten Leben ſcheiden, an die Stelle des Preiſes 
der in das flüchtige Dienfchenleben ein um fo reicheres Maß ihrer Gaben legenden gött- 
lichen Gnade (Pf. 103, 15—18), in Stunden der Anfechtung ein Grauſen darüber, 
daß die Gemeinfchaft mit Gott, das Schauen des Herrn (def. 38, 11), im Tode auf- 
hören fol; ja unbegreiflich erfcheint es, wie der Gott, der dod don den Seinen ge: 
liebt und gepriefen ſeyn will, felbft diefes Band foll Idjen können. Bf. 30, 10. 
„Welcher Gewinn ift in meinem Blut, in meinem Hinabfahren zur Grube? wird aud 
der Staub dich preifen, wird er verfündigen deine Treue?“ 88, 12 f. „Wird dem 
im Grab erzählt deine Gnade und deine Treue am Vernichtungsgort? Wird in tm 
deenis dein Wunderthun erfannt und beine Gerechtigkeit im Lande des Vergehens?- 
gl. Pf. 6, 6. 

Die Löfung nun, welche die bezeichneten Näthfel in einigen Pfalmftellen finden, 
ift feine dogmatifche; d. h. e8 wird kein Blaubensfag gewonnen, durch welchen dos 
Dunkel des Todtenreichs gelichtet und eine objektive Erkenntniß eines höheren Lebens 
nad) dem Zode begründet würde. Die Löfung ift vielmehr nur eine fubjeltin » perfüe- 
lihe. Die Oemeinfchaft mit Gott, in welcher der Sänger fteht, macht fi im folder 
Stärke geltend, daß er in ihr nicht nur dem Glücke der Frevler gegenüber feine velle 
Befriedigung findet, fondern aud) momentan über Tod und Unterwelt hinmweggehoben, 
fih unaufldslih mit Gott geeinigt weiß. Den Uebergang zu den hieher gehörigen 
Stellen bildet ſchon Pf. 4, 8., wo David in der rathlofen Rage, in der feine Gefährten 
berzagen, doch die Freude, die er in Gott bat, höher ftellt als den Ueberfluß, tim dem 
feine Feinde ſchwelgen. Noch voller aber ergießt fich das Gefühl des feligen, umer- 
ftörlichen Verbundenſeyns mit Gott in Pf. 16. Weil der Herr fein hödfles Gut if 
und er Ihn beftändig ſich zur Seite weiß, fo weiß er auch (B8.10Ff.): du wirft meine 
Seele nicht der Unterwelt überlaffen, wirft deinen Frommen nicht fehen laflen die Grube; 
du wirft mir fund thun den Weg bes Lebens; Freudenfülle iſt bei deinem Antlig, Lich 
liches Wefen in deiner Nechten immerdar.“ Man muß diefe Worte ihres Gehalist 
entleeren, wenn man in ihnen nur die Zuverſicht der Errettung aus einer Gefahr finden 
will. Der Gedanke, daß der Fromme doch am Ende dem Tode und dem Hades rer 
fallen und eben damit feine Seligfeit in Gott ein Ende nehmen werde, iſt für bes 
Pfalmiften in diefem Momente unmöglich; fo redet er ein ahnungsvolles Wort, das bis 
außgreift über die Schraufen des Alten Bundes. — Noch weiter würde Pf. 17,15. führen, 
wenn hier die Worte: „ic, werde in Gerechtigkeit fchauen dein Untlig, will mid ji 
tigen bei'm Erwachen an deiner Geftalt« — nad einer fehr verbreiteten, nod van 
Deligfch gut vertheidigten Anffaffung auf das Erwachen aus dem Todesſchlafe, fez 
es zu himmlifchem Leben, fen es zur Auferfiehung, zu beziehen wären. ber vor 
88.15. den Gedanken zu ergänzen: „wenn ich in der gegenwärtigen Gefahr des Todes 


Unfterblichleit, Lehre bes U. Teftaments 421 


entſchlafen follter — ift man doch nicht berechtigt. Der dringende Flehruf Vs. 13., 
daß Gott fi zur Hälfe des Betenden gegen feine gottlofen Feinde aufmachen möge, 
wird nicht zurüdgenommen. Allerdings enthält num Vs. 14. nicht (mie ich ihn in der 
oben angef. Schrift S. 76 nah Hengftenberg’s PBorgang genommen habe) eine 
Begründung diefes Flehrufe, als ob der Dichter Gott den Widerfpruh des Gläücks 
des Gottloſen mit feiner Würbigleit klagend vorhielte. Sondern B8.14. gibt eine ver⸗ 
ähtlihe Bezeichnung des Güde, mit dem Gott den Gottlofen abfpeift, wogegen der 
vſalmiſt 88.15. das höhere Glüd, das er als Gerechter im Schauen Gottes hat, her- 
vorhebt, worin nun eben die Gemwißheit der Exrhörung des Gebets begründet if. Die 
Sıcle ift verwandt mit der Pſ. 4,8f., und die Bergleichung mit der leßteren legt es nahe, 
$1.17. als ein Abend» oder Nachtgebet zu betrachten, und unter dem Erwachen in Be. 15. 
dad aus dem natürlichen Schlafe zu verfiehen. Das Schauen des Antliges Gottes und da® 
Sich fättigen an feiner Geftalt geht nicht hinaus über die Pf. 63,3. gebrauchten Ausdrücke 
und ift eben die flärffie Bezeichnung des Innewerdens der göttlichen Onadengegentvart. 
Aber wenn auch hiernach die Stelle nicht von einem feligen Leben nad dem Tode han- 
delt, fo begegnen wir doch im ihr, wie Bupfeld mit Recht zu berfelben bemerft hat, 
einer Überrafchenden Vertiefung des Begriffs der Welt und des Weltlebens als eines 
eiteln, nichtigen Gutes im Gegenfag gegen das Geifteßleben in Gott. — Gehen mir 
im Pfalter weiter, fo find zuerft 48, 15. und 68, 21., die Manche (3.8. noch Stier) 
auf die Erldſung vom Tode im nenteflamentlichen Sinne bezogen, zu befeitigen. Weide 
Giellen reden nur von Errettung aus Todesgefahr; wobei wir dahingeftellt laſſen, ob 
in der erfteren die Erfärung: „er führt uns bei'm (oder: zum) Sterben“ — auf rich⸗ 
tiger Lefumg des Tertes beruht. Dagegen find bebeutungsvoll 49, 16. und 73, 23 ff. 
Ben in der erfleren der Sänger fagt: »doch Gott wird erlöfen meine‘ Seele aus 
der Hand der Unterwelt, denn er wird mich nehmen“, fo Tann man freilid, fobald 
man vom Zufammenhang abfieht, hiebei bloß an Wettung aus Gefahr denken. Aber 
dem tm Vorhergehenden enthaltenen Gegenfage wird doch diefe Erklärung in feiner 
Weiſe gerecht, weder dem in Vs. 8 ff., wornach kein Menſch die Seele feines Näcften 
‚om Hades loszukaufen vermag (wogegen nun der Pfalmift die Erlbſung feiner Seele 
yon Gott erwartet), noch and dem in Vs. 15., wornach eben die Weltmenjhen der 
Dede des Hades Überwiefen werden, und nur willlürlih (fo von Hengftenberg, 
Schlugabhandl. zum Pfalmencomm. S.319) ergänzt wird, fofern fie vor der Zeit und 
ſewaltſam im denfelben hinabfahren. Hiezu-Tommt die kaum zu verkennente Anfpielung 
es np auf die Henochftelle 1Mof. 5, 24. Nach der natürlichen Auslegung ſpricht 
er Pfalmift ahnungsvoll die Hoffnung aus, daß es für ihn eine Erhebung aus dem 
Zades zu höherem Leben geben werde. Was ferner Pfalm 73. betrifft, fo mag man 
ei Vs. 24: „in deinem Rath wirft du mich leiten und hernach mic zu Ehren anneh- 
nen“, darüber fxeiten, ob von irdifcher oder jenfeitiger Vollendung die Rede fey; bie 
Borte Bs. 26: „ob geſchwunden ift mein Fleifh und mein Herz, iſt meines Herzens 
jort und mein Theil Bott in Ewigkeit⸗ — ſprechen jedenfalld die Zuverficht des Sän⸗ 
ers aus, daß, ob ihm auch das Herz im Tode breche, feine Gemeinfhaft mit Gott 
icht geläft werden könne. Es ift eine millfürliche Entleerung des Gedanken, wenn 
Jengftenberg nach 26. a. ergänzt: dahin wird es aber durch Gottes Gnade nicht 
sunmen. Aber in dem beiden letztgenanuten Stellen if do, wie Delitz ſch treffend 
rinmert, nicht ein bireftes Gotteswort gegeben, auf das die Hoffnung ſich fügen könnte; 
3 iſt nur das Glaubenspoſtulat ausgeſprochen, daß für den Gerechten fein Dafeyn in 
zerrlichkeit md umverfleglihem Genuß der Gemeinfchaft mit Gott auslaufen müſſe. 
Bie fi) das verwirklichen werbe, Tann nicht aufgezeigt werden. Darum geht neben 
m Triumph des Glaubens über Tod ımd Scheol die Klage einher, für die es noch 
ine Befreiung vom ZTodesbann, noch Feine Loſung der Räthſel des Todtenreichs gibt 
ie namentlid, in Pf. 88). — Die Frage, ob die prophetifche Berlündigung der Auf⸗ 
Mehung von den Todten in den Pfalmen einen Wiederhall finde, glaube ich verneinen 


422 Unfterblicgleit, Lehre des A. Zeftaments 


zu müflen. Daß Pf. 90, 3.: „kehret wieder, Menſchenkinder/ — nicht davon handle, 
iſt mohl jegt unbeftritten. Aber au Pf. 141, 7: „wie man pflägt und fpaltet die 
Erde, werden hingeſtreut unfere Gebeine dem Rachen der Unterwelt“ — vermag ih 
nicht hieher zu ziehen. Auch wenn man das Bild vom Pflügen und Gamenfkesa 
nach dem Zwecke, dem beides dient, ausdentet, führt doc der Zuſammenhang nur anf 
den Gedauken, daß die erlittene Verfolgung und? Mißhandlung zum Siege der Sad 
des Sängers dienen müſſe. Am eheften kann man Pf. 22, 30. geltend machen; ed if 
durchaus zuläffig, wenn auch nicht nothinendig, die Toy 797 u. f. w. auf die Be. 
ftorbenen zu beziehen, umfo mehr, da die Combination des Vs. 27 fi. gefhildetn 
Mahles mit jenem Mahle ef. 25, 6—8., bei dem der Tod verfchlungen wird, no 
genug liegt. — Im Uebrigen vergl. noch über das Verhältniß der Pfalmen zu ta 
legten Dingen Deligfch, Comment. Bd. II. ©. 420 fi. 

Bon den Pfalmen gehen wir zu den Dentmälern der Chofma über, wobei jr 
die Sprüche in Betracht kommen. Diefes Buch, hat zu der Frage über den Zuftn) 
nad; dem Tode die eigenthümliche Stellung, daß der Scheol nur Erwähnung geſchieh. 
fofern von dem Endgeſchick der Böfen gehandelt wird, wogegen es darüber, ob and dt 
Frommen und Weifen ihr verfallen, im Allgemeinen fchweigt. Allerdings laſſen ſit 
Stellen beibringen, die eine pofltive Ausfage darüber, daß des Gerechten ein höhe 
Leben warte, zu enthalten ſcheinen. So 12, 28: „auf dem Wege der Gerechtigkeit il 
Leben, und ihres Pfades Steig ift Nicht-tod.“ (nmbr, Ewald, Unſterblidlew. 
14,32: „durch feine Bosheit wird der Frevler geftürzt, aber ber Gerechte ift im ran 
Tode getroft” (to freilich die LXX. einen anderen Zert, wahrſcheinlich Tanz, m 
ausfegen). 15, 24: „der Weg des Lebens geht aufwärts für den Verſtändigen, um 
zu entgehen dem Todtenreich drunten.“ Aber Bedenken erweckt ed, daß gerade in folk 
Stellen, in denen der Begriff des Lebens, ale des Lohns der Weisheit, mäher bargelıy 
wird, von einem jenfeitigen Leben fchlechterdings nichts angedeutet iſt. 3. B. m 3,18 
wird die Weisheit mit Anfpielung auf 1Mof. 3, 18. für einen Lebensbaum aflit, 
aber al8 feine Frucht erfcheint in Vs. 16. nicht ewiges Leben, fondern nur Länge ia 
Tage. In 2, 18 f. wird von der Chebrecherin gefagt, daß ihr Haus fich zum Tex 
fenfe und ihre Pfade zu den Schatten führen, von denen, die zu ihr eingehen, deß ft 
die Pfade des Lebens nicht erreichen (vgl. 5,57). Dem fieht aber Bs. 21. nur guy 
über, daß die Nechtichaffenen das Land beivohnen und die Unfträflichen darin Alt 
bleiben, während die ©ottlofen aus demſelben getilgt werden (bel. 10, 30 u. |. 15 
Hiernach werden auch von den zuerft angeführten Stellen 12, 28. und 15, 24. @ 
göttliche Bewahrung zu dauerndem und geſegnetem irdiſchem Leben, 14, 325. (va 
man dort den hebräifchen Tert fefthält) entweder auf die Zuverficht des Gerecten ui 
in der Außerfien Gefahr, oder auf die Zuverſicht, wie fle der ſterbende Jalob 1 Mr. 
49, 18. im Hinausblid auf die Zukunft feines Geſchlechtes ausfpricht, zu begiehen fm 
Merkwürdig bleibt immerhin, wie das Buch gleihjam einen Schleier wirft Aber ie 
Scheolsloos des Gerechten; es ſtimmt bieß aber zu der ganzen Haltung beffelben. De 
Weife, der hier auftritt, weiß ſich befriedigt im feinem irdifchen Leben, in welchen U 
dem göttlichen Zwecke dienend, ineinander greift und auch das einzelne Uebel die fu 
monie nicht aufzuheben vermag, da es nur der väterlichen Liebeszucht Gottet ti 
(3, 11 f.). Dem fo Befriedigten liegt e8 nahe, des Gedankens an das, was de Zi 
bringen, ſich lieber ganz zu entfchlagen. 

Anders im Bud Hiob, das den Blid auf den Zuſtand des Menfchen nadı te 
Tode gerichtet hält, wie fein anderes im Alten Teftament. Zwar eine eigentlide Year 
von der Unfterblichfeit des Geiftes fann man dem Buche nur durch Mißverſtaͤndiß p 
fchreiben. Das aber ift richtig, daß in ihm die Vorausfegungen der Hoffnurz dx 
ewigen Lebens Liegen, fofern es in ergreifender Weife den Widerſpruch aufbedt, K 
zwiſchen der göttlichen Beſtimmung des Menſchen und dem feiner wartenden She! 
looſe flattfindet, und zugleich ein Zeugniß dafür ablegt, daß der mit diefem Bir 


Unſterblichleit, Lehre bes A. Teſtameniß 423 


ſpenche ringende Geiſt nicht davon logkommt, eine Löfung defielben zu ahnen, die auch 
einmal, in der berühmten Stelle Kap. 19., im Blauben ergriffen wird. — Es ift hier 
ziht der Ort, näher darzulegen, wie die Frage nadı dem Jenſeits in den Gedanken⸗ 
gang des Buches eingreift (f. Deligfch in dem Art. „Hiob“, Bd. VL ©. 125 f., 
wo auch die ſpeciell hieher gehörige Literatur angegeben ift, und mein Programm: mdie 
Grundzüge der altteftamentlichen Weisheit“, 1854. ©. 28), Es möge hier nur kurz 
en den im Buche hervortretenden Fortichritt erinnert werden, indem noch in 7, 7 fl. 
md 10, 20—22. die Klage über das Zodtenreich, das Laud der Nacht, aus dem feine 
Biederlehr if, ganz hoffnungslos verhallt; ſodann in Kap. 14. mit der Hoffnungslofig⸗ 
fit der abnungsvolle Wunſch ringt, daß doch der Aufenthalt in der Scheol nur ein 
veräbergehender wäre und ein Zeitpunkt einträte, da Bott, nad dem Werke feiner Hände 
fc ſehnend, dem Menſchen fich wieder in Gnaden zuwenden toliebe; worauf endlich, 
vorbereitet durch 16, 18 fi., in Kap. 19, 25—27. die Zuverſicht Hiob's durchbricht, 
vaß er noch Über feinem Grabe Gott ale Bosl erfiehen und ihn durch Gericht über 
Hiob’6 Berbäctiger feine Ehre vor dev Welt herftellen ſehen werde. Die nähere Er- 
Mirmg dee Stelle f. unter dem Art. „Hiob“ ; ich flimme mit dort Geſagten in allen 
weientlichen Punkten überein, namentlich mit ber Beziehung der Worte auf ein jenſei⸗ 
ſiges Schauen Gottes, das, wenn es auch nur al® ein momentanes erfcheint, doch dem 
dortbefland der Gemeinſchaft des Menfhen mit Gott vorausfegt. Die von Hermann 
Schultz (die Boransfegungen der chriſtl. Lehre von ber Unſterblichkeit, S. 222) auf. 
geftellte Erklärung, wornach Hiab nur fagen würde, daß er jetzt im Geiſte Bott nad 
kinem Tode erfcheinen und über feinem Grabe Recht fprechen fehe, flimmt zu ben 
Schlußworten des Bs. 26. weniger gut. Die in der Stelle durchblitzende Hoffnung 
kgründet aber and) feinen Glaubensſatz. Das Buch Hiob hat die Gottesthat noch 
ht zu verfändigen, durch die der Hades überwunden und das ewige Leben geofjenbart 
8 Das Buch IHR feine NRäthfel dadurch, daß Hiob Bott bieffeits zu ſchauen bes 
samt und vom ihm gerechtfertigt wird. Wber nm einen Blick in's Senfeits voll pro⸗ 
Ihetifcher Bedentung if} der Geift bereichert. 

Wir fragen endlich noch, wie ſich das dritte Denkmal der Chokma, das Bud) 
tobeleth, Über die Dinge nad) dem Tode ansfpriht. Es find hierüber ganz ent- 
egengefetste Anfichten aufgeftellt worden, indem nad den Einen der Prediger die Fort⸗ 
aner nach dem Tode ganz längnen, nach den Anderen dagegen die Unfierblichfeit des 
heiſtes und eim Fünftiges, Alles entfcheidendes Gericht lehren fol. Diefe Differenz der 
lafichten erklärt ſich aus der Dialetit des Buchs umd dem durch daſſelbe hindurch⸗ 
ehenden Begenfot der aus der natürlichen Betrachtung der Dinge ſich ergebenden Re⸗ 
ütate und der trotz dieſer fefflehenden Glaubenspoſtulate, melde legteren am Ende 
Feld behalten (vgl. meine Schrift: sent. Vet. Test. ©. 83). Sobald bieß an⸗ 
kannt wird, wird man auch nicht, wie von Manchen gefchehen ifl, den Verfud mas 
en, die Widerſprüche, welche im Buche liegen, ausgleihen und die eine Stelle ge- 
altfam dem Sinne der anderen anpaflen zu wollen. Bom Standpunkte der natür. 
hen Betrachtung ans iſt 3, 18 fi. geredet: daß die Menfchen nicht zu erkennen im 
ande fenen, ob ihr Loos und da® Roos der Thiere im Tode daflelbe fey, oder ob 
= Menſchengeiſt auffleige in die Höhe und der Thiergeift hinabfahre zur Erde. Dem 
genäber hält aber der Prediger nicht bloß den alten Scheolsglauben feft, wie aus ber 
yon früher befprochenen Stelle 9, 10. unzweidentig hervorgeht, fondern, indem zum 
chluß alle für die natürliche Erkenntniß ſich ergebenden Zweifel zurüdgebrängt werden, 
richt ee auch pofitiv den Gay ans, daß der Geift des Menſchen zu Bott zurüclehrt, 
e ihn gegeben hat (12, 7), umd daß Gott alles Thun bringen wird in's Gericht, 
8 ergeht über alles Berborgene, es fey gut oder böfe (12, 14. vergl. mit 11, 9.), 
ie ſich der Verfafier das Verhältniß des zu Gott zurückkehrenden Geiſtes zn dem in 
8 Todtenreich gehenden Schatten gedacht habe, läßt ſich nicht beflimmen; ebenfo wenig 

fiher auszumadıen, in welchem Sinne er ein künftiges Gericht lehrt. Auch im biefer 


424 Unſterblichkeit, Xehre des A. Teſtaments 


Hinfiht fcheint ihm eben das Daß feflzuftehen, ohne daß er über das Wie ſich dußern 
wil. Am nächſten dürfte es liegen, an ein auf den Aufenthalt im Bades, mo ja nach 
9, 5. kein Lohn ift, folgendes Gericht zu denfen. Doch ift die Beziehung der Stelle 
auf ein dieffeitiged Gericht nicht ſchlechthin unzuläffig. Mit Recht verweiſt zur Exläu 
terung des „Verborgenen“ Hengftenberg auf Pf. 90, 8., wo es von dem Gerichte, 
welches durch die Gefchichte geübt wird, heißt: „unfere Miffethaten ſtellſt du vor did, 
unfer Berborgenes vor die Leuchte deines Angeſichts.“ Wie man immer bie Siehe 
foflen möge, ein pofltives Zeugniß vom ewigen Leben findet fich jedenfall nicht in dem 
Buche, fo wenig der Berfafler den Stachel der Ewigkeit, den er in fidh trägt, tm 
läugneet. 

In den Apokryphen des Alten Teflaments, die wir zulegt noch zu berüdfid. 
tigen haben, kann ınan eine dreifache Anſchauung des Zuſtandes nach dem Tode unter 
fheiden (vgl. Schulk a. a. DO. ©. 239 ff), Die Einen bleiben im Allgemeinen bei 
der alten Scheolslehre flehen, ohne dasjenige, worin das Alte Teflament über dieſelbe 
hinausführt, fi) angeeignet zu haben. Hieher gehört vor Allem da® Bud; des Sir« 
ciden, das Folgendes lehrt. Dem Menfchen if der Tod unwiderruflich beftimnt; er 
ift der Ordnung des Hades verfallen. Dort iſt kein Lebensgenuß zu fuchen (14,12.16). 
Wer wird dort den Höchflen preifen? für den Todten, der nicht einmal if, if di 
Danken verloren (17, 22 f. [27 f.]). Ob das Leben lang oder Kurz gemefen fen, if 
dort gleich, weil dort kein ZAsyuös Lwijs if, d. h. feine quaestio de vita flattfinde, 
non exploratur de exstincto, quantum et quomodo vixerit (41,1—4; ſ. Bdttder 
über diefe Stelle $. 485. 487). Weber einen Todten traure man mit Maßen, em 
ihm, für den es feine Rückkehr gibt, nüßt man durch Trauern doch uichts (38, 16—23). 
Wenn dann der Verfaffer im Hinblid auf Tod und Hades 14, 11 ff. ermahnt, de} 
Leben auszunügen, fo erinnert dieß an Kohelet; aber den Stachel der Eimigfeit, da 
welchen diefer nicht loskommt, hat der Sirahfohn nicht, und ebenfo wenig tritt bei iz 
ein Gefühl des Widerfpruchs hervor, der zwifchen der göttlichen Beftimmung und ke 
Habesloofe des Menſchen flattfindet. Die Erinnerung an den Tod wird 41, 1f. au 
geführt, ift bitter für den, der friedlich in feinem Beſitz, nicht durch Geſchaft⸗ hetlut 
und in Allem glücklich iſt, und noch Kraft Hat, Nahrung zu ſich zu nehmen; mogegn 
das Verhängniß des Todes angenehm ift für den Bedürftigen und Schwachen, den Hod⸗ 
bejahrten und Bekümmerten u. f. wm. — Eine Bergeltung nad) dem Tode lehrt it 
Bud nicht, wenn man auch einige Stellen auf den erſten Blick darauf beziehen Mut. 
Die Gerechten haben ihren Lohn in der Fortdauer ihres Gefchlechts und ihres Rum 
44, 10 fi. Wem es 18, 24. heißt: „gedenfe an den Zorn (Gottes) im den Zum 
des Todes“, fo geht das nicht auf ein Gericht nad; dem Tode, fonbern (inden # 
Autgaıg veltvräg mit Iuuod zu verbinden ifl) darauf, daß der Zorn Gottes an du 
Tag tritt, wenn ed zum Sterben geht (ſ. Fritzſche 3. d. St, Wenn 8 9, 1 
heißt: „fen eingedent, daß die Gottlofen nicht bis zum Hades als gerecht behanden 
werden“, fo till das nicht fagen, daß fle erſt im Hades, fondern noch ehe fie im denfehm 
hinabfahren, von der gebührenden Strafe getroffen werden. Wem 41, 9f. [2 .® 
den Gottlofen gefagt wird: „wann ihr fterbet, werdet ihr dem Fluche zugetheilt“, wert 
es ferner von ihnen heißt, daß fie aus Fluch in Untergang kommen, fo geht «6 m 
darauf, daß ihr Andenken verflucht und darum ganz vernichtet werden fol. Di ® 
ef. 66, 24. ſich anlehnende Stelle, wo gefagt wird, die Strafe der Gotlloſen Mi 
Deuer und Wurm, ift mit 32, 18 f. zu combiniren, wornach bei'm Gericht über di 
Heiden, die Feinde Ifrael's, diefen nach ihren Thaten vergolten werden foll, was iM 
Gericht über Berftorbene if. Da es dem Siraciden auch fonft nicht ganz am Anklänze 
an die prophetifche Eſchatologie fehlt, fo follte man irgend eine Bezugnahme auf DE 
Auferftehungslchre erwarten, zumal er den Gedanken der Auferftehung hat (48, °' 
Elias habe einen Verftorbenen aus dem Tod und aus dem Hades durch da# F 
des Hbchſten erwedt). Aber keine der Stellen, die man dafür geltend gemadt ha iß 


Hufterbligleit, Lehre des A. Teaments 425 


ſicher; 48, 8. nicht, weil nicht gefagt iſt, mie ſich der Verfaſſer die Wiederkehr des 
Elia denft; ebenfo wenig 46, 12. 49, 10., wo von ben Gebeinen der Richter ımd ber 
mölf Propheten gefagt iſt, daß fie aus ihrem Orte fprofien mögen, denn nad dem 
Aufommenhange der erfleren Stelle meint der Berfafler nur die fortgehende Berjüngung 
ihres Andenfens. Nur wenn ſich fonft in dem Buche ein beftimmtes Zenguniß für bie 
Auferfichung fände, wäre man berechtigt, die Worte anf die Wiederbelebung der Leich- 
nome zu beziehen. 

Das Und) Baruch fpriht die Scheolslehre in 2, 17. ans: „nicht werden bie 
Berfiorbenen im Hades, deren Geift aus ihrem Eingeweide genommen ifl, dem Herrn 
Ehre und Gebühr geben.” Die vielbefprohene Stelle 3, 4. führt nicht weiter; denn 
dabon, daß die Verflorbenen im Hades beten, iſt dort auf keinen Fall die Rede, fondern 
die Worte gehen entweder anf die Gebete, welche die Verſtorbenen während ihres Lebens 
bargebracht haben, oder if} der Ausdruck „tropiſche — anoAdyevo: BB. 3. zu nehmen. — 
Das Bud Tobi erinnert an das Bud, Koheleth. Der Geift wird zu Gott hinanf- 
genommen, während der Leib zu Erde wird (3, 6.) und der Dienfch felbft in den Babes 
geht (3, 10.). Darans, daß in 13, 2. dee Sprudh aus 1Sam. 2, 6.: „Gott führt 
in den Habes hinab und führt heranf« — angeführt wird, iſt nicht zu viel zu folgern. 
Ganz anders freilich verhält es fich mit dem Buche, wie e8 in der Bulgata vorliegt, 
bon Hieronymm® angeblich ans dem Ehaldäifchen überfett, aber angenſcheinlich von ihm 
mi hriftianifireuden Vorſtellungen ausgeftattet (f. hierüber Fritzſche, ereget. Handbuch 
m den poker. des U. Teſtam. IL. ©. 12 f.). Hier lefen wir 2, 17 f.: Alii sancto- 
rım sumus et vitam illam exspectamus, quam Deus daturus est his, qui fidem 
suam nunquam mutant ab 00; ferner 3, 15.: desuper terram eripias me; ferner 
4, 3.: cum aoceperit Deus animam meam, corpus meum sepeli. In der Stelle 
vom Werth des Almoſengebens 12, 9. (vgl. 4, 10.), wo Errettung vom Tode und 
Eittigung mit Leben als Lohn der Wohlthätigleit bezeichnet wird, fegt die Bulgata: 
fit invenire misericordiam et vitam aeternam. — Das Buch Judith und 
das 1. Buch der Makkabäer bieten für die vorliegende Frage nichts Beſonderes. 
Dos erſtere eignet fi in 16, 17. die Stelle Ief. 66, 24. vom Looſe der Bottlofen 
an; in beiden (Sud. 16, 22; 1Mafl. 2, 69; 14, 30.) begegnen wir bem pentateuchi⸗ 
ſchen Ausdrucke „zu den Vätern gefammelt werden.“ 

Bon den im VBisherigen aufgeführten apokryphiſchen Büchern unterſcheidet fich das 
2. Bud; der Makkabaer dadurch, dag in ihm der Glaube au die Auferſtehung der 
Todten, und zwar mit befonderem Nachdrucke geltend gemacht wird. Die maftabäifchen 
Märtyrer tedften fich damit, daß, wenn fie für das Geſetz flerben, der König der Welt, 
der das AU aus dem Nichts in’ Dafetm gerufen und dem Menſchen Odem und Leben 
gefhaffen hat, auch fie wieder zu neuem Leben erwecken köonne und werde (7, 9. 11. 
14. 28 f.). Das ift die göttliche dındmn aerrdov Long, der diejenigen unterliegen, 
die um des Belemmtniffes willen ein kurzes Leiden erduldet haben (Ws. 36., bei welcher 
ſchwierigen Stelle mir Böttcher’s Exrflärung [8. 500.) den Einwendungen Grimm’s 
jegenüber feſthalten zu müflen glauben). Biemit vergl. 14, 46. die Erzählung von 
Rtazi, der im Berfcheiven den Gern des Lebens und des Geiftes anruft, daß er ihm 
einſt die Eingeweide, die er ſich ausgerifien hat, twieder geben möge. Nach 12, 43 fi. 
ind die Fürbitte und die Gändopfer für die Todten wirkſam in Bezug auf die Auf 
ftehung; was offenbar nicht fagen will, daß ihnen dadurch überhaupt erſt zur Auf⸗ 
ftehung verholfen werben folle, fondern daß fie dadurch eine fröhliche Auferſtehung 
langen und der Beſtrafung ihrer Sünden entgehen mögen. Hiernach wäre das Loos 
nicht bei allen Auferftandenen als das gleiche zu denken. Ein fünftiges Gericht nad) dem 
Tode wird hier jedenfalls vorandgefegt, wie ein ſolches and in 6,26. angedeutet fcheint. 
Fine andere Frage iſt, ob auch ſchon vor der Auferfiehung unter den Berflorbenen eine 
Scheidung eintrete. Die Erzählung 15, 12. fcheint hieftlir zu ſprechen. Wenn dort 
and dem Jenſeits berichtet wird vom der Fürbitte des getöbteten Hohenpriefters Onias 


426 Unfterbligleit, Lehre des A, Teſtaments 


für fein Bolt und feiner Begegnung mit dem Propheten Jeremias, ber bon wunder⸗ 
barer und prächtiger Hoheit umfloffen erfcheint, fo gebt das jedenfalls über die alte 
Sceolslehre weit hinaus, möge man nun an eine himmlifche Vollendung der beiden 
Genannten (in der Weife eines Elia), oder (fo Grimm z. d. St.) daran beufen, daß 
die beiden fih in einer befonderen Ahbtheilung des Hades, dem Paradiefe, befinden. 
Für die lestere Annahme dürfte 6, 23. fprechen, wo der Märtyrer Elenfar in Bezug 
auf feine Perfon von einem rooneuner eis ad redet. — Die Beanttvortung der 
Trage, ob das Buch die Auferfiehung auch anf Nichtifraeliten ausdehne, hängt von ber 
Auffaffung der Stelle 7, 14. ab. „Die wird Heine Auferfiehung zum Leben fen: — 


fagt einer dee Märtyrer zu Antiochus Epiphanes. Der Sinn kaun feyn: Du wirſt 
zwar anferftehen, aber nicht zum Leben, fondern zum Gericht; die Worte können aber 


au fagen: Du haft kein Leben zu erwarten, weil du nicht auferfiehen wirſt. Die 


letztere Deutung ift die wahrſcheinlichere; mit Hecht bemerft Schultz (S. 242), bah | 
den Märtyrer ein ganz anderer Ausdrud nahe läge, wenn er den König an die An 


erftehung zum Gericht erinnern köͤnnte. Was in B8.17. 19. 31. 35 f. vom ber Strafe 
geſagt if, welche den König treffen werde, führt nicht anf eine Anferwedung zum Ge 


richt, fondern auf dieffeitige Vergeltung, anf Qualen, die ihm die Anerkennung des alle 
nigen Gottes abnöthigen werden (Vs. 37.), vielleicht au, auf ein Gequält» werden m | 


Hades. 


Eine einzigartige Stellung nimmt unter den altteſtamentlichen Apokryphen, wie in | 


anderen Beziehungen, fo auch hinfichtlich der Efchatologie da8 Bud der Weisheit 
ein, indem hier platonifche Ideen mit altteftamentlichen Lehren in merkwürdiger Weile 
verknüpft find. Im Vordergrunde fteht die Idee der Unfterblichleit (adavamia) oder 
Unvergänglidteit (ayFapala), die der Verfaffer in prägnanten Sinne ols Um 
endlichfeit feligen Lebens faßt. Diefe gehört urfprünglich zum Weſen des Meunſchen. 
Denn Gott hat den Tod nicht gemacht; er hat Alles zum Seyn gefchaffen; nad) feiner 
wejprünglichen Ordnung ift fein Gift des Verderbens in der Welt und keine Herrſchaft 
des Hades auf Erden (1, 13 f.) So ift auch der Menfcd von Gott zur Unvergäng: 
lichkeit gefchaffen umd der Tod erſt durch dem Neid des Teufels in bie Welt gekommen 
(2, 23 f.). Darnach find die Söhne Gottes, d. h. die Gerechten und Weifen (2, 13. 
18. 5, 5. 9, 4. 12, 19—21) dem Tode entnommen und leben ewig (5, 16); @ered- 
tigkeit, Weisheit, Unfterblichleit find innerlich verfnüpft (1, 15. 6, 18 ff. 8, 17). Das 


Sterben der Gerechten ift nur ein fcheinbares (3, 2), der Uebergang aus biefen Leib, | 


der die Seele befchtvert und den vieldentenden Geiſt belaflet (9, 15), in ein höheres 
Dafeyn, in die Nähe Gottes (6, 19). Dort find die Seelen der Oerechten in Gottes 
Hand, unberührt von jeder Qual (3, 1.), in der Ruhe (4, 7.), ihr Lohn ift im Herm 


(5, 15.), fie herrfchen mit Gott (5, 16. 6, 20). Im Ausblid hierauf iſt unter ben 
Leiden der Erbe, durch welche Gott fie läutert, damit fie feines würdig erfunden ner | 


den, ihre Hoffnung der Unfterblichfeit voll (3, —6). Was das Alte Teſtament al 
höchfte irdiſche Güter betrachtet, langes Leben und Sinderfegen, erfcheint im Lichte biefer 
ewigen Beftimmung der Söhne Gottes als untergeordnet (Kap. 4.. Nur die Thoren 





meinen, daß der frühe Tod des Gerechten ein Unglüd fen; ee iſt ja im ürieden (3, | 


2—4; Anfpielung auf Ief. 57, 2). „Da er“, heißt e8 4, 10 f., augenſcheinlich mt 
Bezugnahme auf Henoch's Ende, „Gott wohlgefällig war, ward er geliebt, und weil a 
unter Sündern lebte, ward er entrüdt; er ward weggerafft, damit nicht Bosheit feinen 


Berfland verfehre oder Argliſt feine Seele berücke.“ — Die Oottlofen dagegen, die dem 


Teufel angehören, erfahren den Zod (2, 25), den fie mit Hand und Wort herbeimufes 
(1, 16); fie haben im Sterben feine Hoffnung (3, 18), Dee Tod aber ifl für fe 
nicht Vernichtung, wie man etwa aus dem armpei yuyrw 1,11. fließen könnte. Wirt 
auch im 2. Kap. die Meinung ber Tsreigeifter, daß, während der Leib zur Aſche werde, 
der Geift wie dünne Luft verfliege (Ve. 3.), nach Ds. 21 f. für einen Irrhum erllirt 
eben infofern, als jene die Geheimmiffe Gottes in Bezug auf den Lohn ber Wrdmmig- 


Unfterbliäteit, Lehre des A. Teſtaments 427 


feit nicht erfenuen; fo erhellt doch aus anderen Stellen, daß der Tod der Gottlofen 
ihre Eriſtenz nicht aufhebt. Nach 4, 18 f. werden fie zum Hohn unter den Todten 
ewiglich (Anſpielung auf Jeſ. 14, 9 fff.), werden auf's Aeußerſte verwüſtet werden und 
im Schmerz feyn; was auf eine qualvolle Fortdauer im Hades hinweiſt, jenem Reiche 
der Nacht, Das nad) 17, 20. die dem Gericht verfallenen Aeghpter aufnehmen fol. — 
Bis hieher ift die Lehre des Buchs Mar. Nun aber redet es weiter bon einem Tag 
der Entſcheidung (quéſgo dınyvwaews 3, 18), don einer Zeit der Heimfuchung (xazeds 
inioxonnc 3, 7 f.) und zwar einer Heimſuchnng der Seelen (3, 13), da über die An⸗ 
ſchläge des Gottlofen Unterfuchung ergehen wird (1, 9), eine Zuſammenrechuung feiner 
Sünden ftattfindet (4, 20), zur Beſtrafung feiner Miffethaten; wogegen die Gerechten 
anfglänzen und wie Funken über Stoppeln einherfahren, die Bölfer richten und über 
Nationen herrfchen werden (3, 7 f.). Au diefem Entſcheidungsſtage wird denn nad 
5, 1 ff. der Gerechte mit großer Freudigkeit denen gegenüberfichen, die ihn bedrängt 
haben. Diefe, die in ihrer Bosheit weggerafft worden find (Vs. 13. — es if alfo 
von Verftorbenen die Rebe —), werden, wenn fie den verherrlicdhten Gerechten fehen, 
heftig erſchrecken und reuig zu einander fagen: „der war ed, den wir einft zum Ge⸗ 
lähter und zu höhnendem Sprichwort hatten u. ſ. w.; wie iſt er nun unter bie Söhne 
Gottes gerechnet und unter den Heiligen ift fein Exbtheill“ Im demfelben Kapitel 
witd dann BE. 16—24. das entgegengefehte Schidfal der Gerechten und Gottlofen 
weiter geichildert. Jene, die ewig leben, erlangen das herrliche Reich nnd bie Krone 
der Schönheit aus der Hand des Herrn, der mit feinem Arm fie befchügen wird, wo⸗ 
gegen er fi} wie ein gewappneter Held zum Strafgericht über die Bdfen aufmacht. 
Wie follen nun diefe verſchiedenen Ausfagen des Buchs, die unvermittelt neben 
einander flehen, unter fi in Einklang gebracht werden? Wie verhält fi die Ent⸗ 
ſcheidung des Looſes der Gerechten und Gottlofen, die unmittelbar nach dem Tode ein⸗ 
kitt, zu jenem allgemeinen Gerihtötnge? Und wie follen in der Schilderung dieſes 
Gerichtstages die dißparaten Züge geeinigt werden, daß er einerfeits in der Weife des 
von den Propheten verfündigten meffianifchen Wölkergerichts exfcheint, durch welches die 
Beltreihe flürzen und das Königthum Gottes auf Erden aufgerichtet wird (3,8. 5,24), 
daß er dagegen andererfeits als eim Gericht über Seelen dargeftellt wird? — Nad der 
Auffafſung der Einen würde das Buch zwei große Gerichtsakte umterfcheiden, „von 
welchen der eine gleich nad; dem Tode eintritt, dev andere aber noch in weiter Ferne 
Regt und von geheimnigvollem Nebel umflofien iſt⸗ (Brucd,, Weisheitsiehre der He 
bräer S. 372). Hiernach müßte ein Zwiſchenzuſtand der zu Bott anfgefliegenen Seelen 
und der in den Hades geflürzten Gottlofen und eine Rückkehr beider zum allgemeinen 
Gericht auf Exden angenommen werden. Eine Wiederbelebung der Leiber der Verflor- 
benen iſt freilich durch den Lehrzufammenhang des Buches ansgefchloflen, nicht aber eine 
Zurückrufung der VBerftorbenen in das ixdifche Leben; denn daß Gott die Gewalt habe 
über Leben und Tod und wie zum Bades hinab, fo auch ans ihm heraufführen könne, 
da8 wird 16, 13 f. ansdrädlich im Gegenſatz dagegeu ausgefprochen, daß der Menſch 
wohl zu tödten, nicht aber den ausgefahrenen Geift wiederzubringen, nicht die (im den 
Hades) aufgenommene Seele zu befreien vermöge. Man müßte eben anuehmen, daß 
die Seelen „in ixgend einer Weiſe finnlich vorgeftelt" (Schulg a. a. D. ©. 244), 
daß namentlich die Seelen dee Gerechten nad 3, 7. mit einem Lichtglang umhüllt (fo 
Böttcher 8. 496) erfcheinen, wogegen Ofrorer's Deutung der letztgenannten Stelle 
auf Bekleidung der Seelen mit ätherifchen Luftleibern jedenfalls zu viel in diefelbe hin⸗ 
einlegt. — Gegen diefe Auffafiung bat Grimm (exeget. Handb. zu den Apolkr. des 
A. Teftam. VL. ©. 60) geltend gemacht, daß der Begriff eines Zwiſchenzuſtandes ber 
Abgefchiedenen bis zu dem letzten Gericht in dem Buche ganz fehle; und fo viel ſteht 
immerhin feft, daß vom einer „weiten Ferne“, bie zivifchen den beiden Gerichtöalten in 
der Mitte liegen fol, in dem Buche keine Spur if. Im Segentheil fcheint von dem 
Berfafier das Endgericht im folder Nähe gedacht zu werden, daß er eben darum die 





428 Unfßerblihfeit, Lehre des A. Teftaments 


Unterſcheidung jener zwei ©erichtsafte gar nicht befonders firirte, wofür fih ja An 
loges aud im Neuen Teflamente findet. Weit eher follte man von dem Berfafler eine 
Erklärung darüber erwarten, wie fidh denn die auf die Erde wieberfehrenten Seelen der 
Heiligen zu dem auf Erden zur Zeit des Gerichts noch lebenden Gottesvolk verhalten 
und wie man fich die Theilnahme der erſterrn an der Völkerherrſchaft denten fol. 
Hier if, wie Bruch ſagt, Alles von Nebel umflofien. — Grimm ſucht die Schwie⸗ 
rigleiten ouf andere Weife zu löfen. Nach ihm (a. a. DO. ©. 61) ift der &erichtäteg 
nur bildliche Bezeichnung der Zeit der göttlichen Entfcheidung, durch welche für jeden 
Einzelnen die Vergeltung in der Weife eintritt, daß er entiweder zu feliger Unfterhlid: 
feit erhoben oder in den traurigen Zuſtand des Hades verfloßen wird. In 5, 1 fl. 
findet Grimm (S. 111) nur eine Dramatifirung des Gedanfens, daß Gottlofe mie 
Gerechte im Jenſeits Bewußtfeyn umd Kenntniß von der durch Gottes Richterfprud 
erfolgten gänzlihen Umwandlung ihres beiderfeitigen Scidfald haben. Daneben aber 
fhildere der Berfafler in 3, 7 f. und 5, 17—23., welche Stellen nicht bildlich zu 
nehmen ſeyen, die dereinftige glüdlihe Wendung des Geſchicks der frommen Sfrar- 
liten auf Erden und die Beftrafung ihrer Feinde (S. 88 ff. und 118 f) Ten 
Sprung, den hiernach der Verfafſer 3, 7. von der Seligfeit der Abgefchiedenen auf 
Ifrael's herrliche Zukunft machen würde, wil Grimm (S. 90) dadurch erflären, bof 
Beides dem Gebiet des Glaubens angehöre nnd folglich der Verfaſſer dur eine m 
türlihe Gedontenverbindung von dem Einen auf da8 Andere geführt werden konnte. 
Aber bei diefer Erklärung bleibt doc auffallend, daß ein Wechſel des Subjetts nm 
3, 7. gar nicht angedeutet ifl. Das wird jedenfall anzımehmen fen, daß der Be- 
faſſer die Vollendung der hingefchiedenen Gerechten und die irdifche VBerherrlichung 
Sfrael’8 bei der Aufrichtung des göttlichen Königthums in Beziehung zu einander gefegt 
habe; in welche, darüber ſcheint er fich felbft nicht Mar geivefen zu feyn, weil er fid 
bon feinem Standpunfte den vermittelnden Begriff, der ihm die prophetifche Auſerſte⸗ 
hungslehre darbot, nicht anzueignen vermochte. Gehört es doc, überhaupt zum Karat 
des Buches, daß die verfdhiedenartigen Elemente, aus denen die Theologie befielben her- 
borgegangen ift, fich nicht völlig ducchdrungen haben. — Die Gewißheit des etvigen 
Lebens war überhanpt nicht auf dem Wege der Spekulation zu gewinnen; fle konnte 
erft erfiehen auf dem Grunde der Thatfache der Todesüberwindung durch den, in bem 
das Leben erfchienen ift und der durch fein Erldfungswert auch die Frommen bes Alten 
Bımdes vollendet hat (Hebr. 11, 48). 

Ueber feinen Gegenſtand der altteftamentlichen Theologie ift die Litteratur fr 
reich, wie über den vorliegenden. Weber ihn befanden verfchiedene Anſichten fchon im 
älteren Iudenthum; ſ. Himpel, die Unfterblichleitslehre des U. Tefl. 1857. ©. 2#.; 
über ihn fteitten die Kirchenväter mit den Häretilern; f. meine Schrift: Vet. Testam 
sententis de rebus post mortem fut. 1846. ©. 1 f. Durch die Socinianer um) 
Deiften erneuerte fi) der Streit; f. meine Schrift S. 4 f. und Himpel ©. 6 fi, 
two auch auf die verfchiedenen Anfichten neuerer Theologen Rüdfiht genommen ifl. — 
Die hieher gehörige Litteratur bis zum Jahre 1844 ift verzeichnet in dem gelchrten 
Merle von Böttcher, de inferis rebusque post mortem futuris. 1846. Wußer des 
bereits erwähnten Monographien erfchienen feittem: H. A. Hahn, de spe immorts- 
litatis sub V. T. gradatim exculta, 1846; Fr. Bed, zur Würdigung der altteft«- 
mentlihen Borftellungen von der Unfterblichkeit, in Baur’s und Zeller’s theolog 
Yahrbücdern, 1851, S. 469 fi. — H. Schultz, Vet. Test. de hominis immort- 
talitate sent. 1860, womit die betreffenden Abfchnitte in der Schrift defielben Ber- 
fafſſers: „die VBoransfegungen der chrifllichen Lehre von der Unfterblichleit, 1861, m 
vergleichen find. — Die neueren Schriften über biblifche Anthropologie und Eſchatologie 
gehen ebenfalls mehr oder weniger auf die alttefiamentliche Lehre vom Zuſtand nod 
dem Tode ein; fo befonders Delitzſch, biblifche Piychologie, 2te Auflage, 1861, wo 
— IH. eine Reihe anderer hieher gehörigen Schriften verzeichnet ifl. K:chler. 


Balentinns, Pabſt, Beefenmeyer 429 


V. 


Valentiuus, Pabft, regierte kaum einen Monat inr J. 827 zwiſchen Eugen IL. und 
Gregor IV. Siehe darüber Einhardi annales ad a 827 bei Pertz monumenta Germa- 
niae I, 216: Eugenius Papa mense Augusto decessit, in cujus locum Valentinns- 
disconusa Romanis et electus et ordinatus, vix unum mensem in pontificatu com- 
plevit, quo defunoto Gregorius presbiter tituli sancti Marci eleotus ete. Herzog. 

Veeſenmeyer, Georg, geboren deu 20. November 1760, aus einer bürgerlichen 
Familie, za Ulm, erhielt feine exfte Bildung auf dem Oymnaflum feiner Baterfladt und 
wurde, nachdem er dasfelbe abfolvirt, nad; damaliger Gewohnheit in Tübingen im Jahre 
1777 inferibirt, ohne jedoch, wegen Mangels au Mitteln, die Univerfität fofort beziehen 
zu lonnen; vielmehr erſt 1786, nachdem er bis dahin feine Studien auf dem aladenti- 
ſchen Gymnaſfium in Ulm fortgefetst hatte, ging er nach Altdorf, um daſelbſt Theologie 
md Philologie zu fiudiren. Im Oftober 1789 erhielt er dafelbft die Magiſterwurde, 
1790 mit der Berechtigung zu firchenhiftorifchen nnd philologifchen Borlefungen. Im 
jeine Baterftadt 1791 zurüdgelehrt, wurde er nacheinauder Lehrer der 5., 1732 der 6. 
(damals oberfien) Gymnaflalflaffe, 1793 zugleich Profeflor der Rhetorik, womit die 
derpflihtung verbunden tar, die Programme der Anftalt, damals jährlich viere, zu 
ſchteiben. Im feiner gefegneten Wirkſamkeit als Gymnaflallehrer war der gründlich ges 
bildete und überaus wohlwollende Mann bis zum Jahre 1826 thätig, wo er in dem 
Ruheftand verfegt wurde, aber, ohne dafür befonder® remunerirt zu feyn, die Stelle des 
Stadtbibliothefaxs übernahm, im welcher ex fich bei feinen außgebreiteten Kenntnifjen 
und feiner großen Liebe zur Sache bleibende, wenn gleich bei feiner natürlichen Befcheiden- 
heit wenig zur Geltung gebrachte Verdienfte erwarb, Er farb den 8. April 1833, 
nachdem er noch zuvor ans Anlaß der Jubelfeier der Uebergabe der Augsburgiſchen 
Eonfeffton von der theologifchen Fakultät zu Iena die Doltortvlirde. honoris causa er- 
halten hatte. Früher noh war er auch Mitglied verſchiedener Gelehrten Gefell- 
[haften geworden. 

Die große Anzahl feiner Schriften, allerdings meift von geringerem Umfang, er 
Hört fi hauptſächlich aus feiner Stellung als Programmatarius. Ihr äußerſt mannid, 
faltiger Inhalt, meift die Frucht fehr fleißiger und gewifienhafter Detailfludien, ift theils 
tbeologifcher und hier wieder hauptſächlich kichenhiftorifcher, theils philofophifcher und 
litterarhiſtoriſcher Natur, theils bezieht er fich mit fichtbarer Vorliebe auf Einzelheiten 
der Geſchichte der Vaterſtadt des BVerfafiere, mas ihm 1797 von Oben, wo man 
Spezialgeſchichte nie fehr Tiebt, den Wink zugog, er möchte doch lieber über andere 
Segenflände fchreiben. Hier müffen wir uns daranf befchränten, die bedeutendern aus 
ben der Theologie angehörigen kurz anguführen: 1) Specimen inaugurale Vicissitudines 
doctrinae de Sacra coens in ecolesia Ulmensi exhibens. 4. Altorf 1789. 2) de 
recto & vario historiae Beformationis Sacrorum usu. 4. Alt. 1790. 3) Beiträge 
we Gefchichte der Litteratur und Reformation. 8. Ulm. 1792. 4) Verſuch einer Ge⸗ 
Idihte der Beichte in der Ulmifchen Kirche. Ulm. 8. 1792. 5) Nachricht von Konrad 
Sams, des erften ordentlich berufenen Ulmifchen Reformators Leben. 4. Ulm. 1795. 
5) Collektaneen von Melanchthons. Berhältnifien, in welchen er mit Ulmern fland. 4. 
Ulm. 1797. 7) Verſuch einer Geſchichte des deutſchen Kicchengefangs in der Ulmiſchen 
Riche. 4. Ulm. 1798. 8) Nachricht von Ulrich Kraft’s, beider Rechten Doftors nnd 
Stadtpfarrers in Ulm, Leben. 4. Ulm 1802. 9) Verſuch einer Geſchichte des Ulmi⸗ 
den Katechismus. 1803. 1804. 1805. 4. Ulm. 10) Litterarifche Nachricht von 
duther's Schriften, die Empfehlung des Schulweſens betreffend. Stuttgart. 1819. 
11) Eittexargefhichte der Vrieffammlungen und einiger Schriften von Dr. M. Luther. 
Berlin. 1821. 12. Sammlung von Auffätzen zur Erläuterung der Kirchen⸗, Litteratur⸗, 
Münz⸗ und Sittengefchichte, befonder® des 16. Jahrhunderts. Ulm. 8. 1827. 13) Lite 


430 Bentura, Joachim 


terarifch » bibliographifche Nachrichten von einigen evangelifchen Tatechetifchen Schriften 
und Katechismen vor und nad, Luther's Katechismen und ziwifchen diefen bon Luthers 
Katechismen. 8. Ulm. 1830. 14) Kleine Beiträge zur Geſchichte des Reichttags zu 
Augsburg 1530 und der Augsburgifchen Eonfeffion. 8. Nürnberg. 1830. 15) Denkmal 
der einheimifchen und fremden Theologen, welche in Ulm zu der wirklichen Einführung 
der Reformation dafelbft 1531 gebraucht wurden. 8. Ulm. 1831. Heßler. 

Ventura, Joachim, den achten Dezember 1792, in einer adeligen Familie in 
Palermo geboren, und vielleicht ſchon vor feiner Geburt von feiner Mutter zum geiftliches 
Stande beftimmt, trat fünfzehn Jahre alt in ein Jeſuitencollegium, Wo man [ei 
feurige Phantafle befonders für die Rhetorik beflimmte. Er trat aber moch jung im ben 
Theatinerorden über; fein Berhältniß zu den Vefuiten wurde dadurch ein fo feinbfefiges, 
daß er 1845 die Schrift Gtobertis gegen diefen Orden infpieirt nammte. In Lobreen 
überfhmänglicdh führte er in feinen erften Schriften die Sache der Regulärpriefter, m- 
mentlih die der Theatiner glänzend und wurde von biefen zu ihrem eneralfecreik 
auf der Infel ernannt. Der essai sur l’indifferencee en matiere de religion da 
de Lamennais erfaßte ihn gewaltig; er überfegte die Schrift des Grafen de Maiſtre fin 
die Unfehlbarfeit und die unbefchränfte Herrfchaft des Pabſtes in Kirchenfachen. Ti 
Theofratie war fein Ideal; einigermaßen gelehrter Theologe hatte er weder von flaff: 
(her Bildung, noch von moderner Civilifation Mare Begriffe Er fuchte am bie Erde 
jener fitr die Jugendbildung eine kirchliche Belletriſtik zu ftellen, indem er 1839 ein 
Anthologie der opera gratiosa et elegantiora der Kirchenväter herausgab. And; di 
ſcholaſtiſche Methode des Philofophirens empfahl er 1828 in einem feiner weitläufigen 
Berle. Am meiften wohl förderte ihn in feiner Laufbahn eine im Herbſt 1828 om 
den fo eben geftorbenen Pabſt Pius VII. gehaltene Lobrede; Pins’ große Erichwifl 
waren em treffliher Borwurf für Bentura’s Talent. Die Worte, welche derfelbe 179 
noch als Bifhof von Imola, damals zu der teanspadanifchen Republik gehörig, gr 
fprochen hatte: die demokratiſche Negierungsform verftößt nicht gegen das vangelins, 
fie bedarf der erhabenften Tugenden, welche man nur in der Schule Chrifti ermirk, 
diefe Worte hob der Panegyriker mit Teuer hervor. Er überfah, daß die Baftorıl- 
ngheit oft aus der Noth eine Tugend macht. 

Im folgenden Jahre von dem Xheatinerorden zu feinem Oeneralvermittler ernamt, 
mußte Ventura feinen Sig in Rom nehmen. Der Lehrftuhl des kanoniſchen Nett 
an der Sapienza wäre ein ficherer Weg zum Kardinalat geivefen, hätte er nicht dit 
Beſchränkungen der Kirche dur den Staat im Namen der freiheit der Kirche de- 
worfen. Die Anklagen mehrerer Gefandten bei der Curie wurden durch die gegen 8 
gerichteten Imtriguen der Jeſuiten unterflügt; felbft der realtionär⸗ romaniſche Feii 
Leo XII. glaubte ihn daher zur Niederlegung diefes Amts veranlaffen zu wmüflen, fr 
aber Ventura insgeheim fein Vertrauen, wie diefer denn die Verföhnung bes franzöfide 
Sefandten Chateaubriand und die Anerkennung Louis Philipps durch den Pabſt tr 
mittelte. Gregor XVI., auch Theatiner, beftieg im Frühjahr 1831 dem pöbſtlide 
Stuhl, während der ganze Kirchenftaat bis unter die Thore Noms die weltliche Priefe: 
herrſchaft abfchüttelte. Die Oeſterreicher fegten jedoch biefe mit ihren Waffen wie 
ein umd es zeigte fich Mar, daß die ganze Prälatenkligue nie freiwillig tm irgend er 
ehrliche bürgerliche Reform willigen werde, welche doch Nothfahe war. Dazu km 
daß Bentura, literarifche Fehden vergeffend, den Mittler auch zwiſchen der Curie = 
dem .indeß entpuppten demofratifchen Theokraten de Lamennais zu machen fuchte, inte 
er Gregor warnte, wenn man biefen entfchloffenen Karakter nicht durch Güte fange || 
werde er aus einem Lobredner eine Geißel Rom's werden. Der Vermittlun 
mißlang, Ventura's zahlreiche Feinde machten darans eine Anklage gegen ihn; er 
den Hof und zog fih in em Kloſter, zum Studium ber kirchlichen Myſtiker ade 
Im Yahre 1839 erjchien fein Hauptiverf delle bellezza delle fede. Er hielt bei 
n dee Regel gegen die Abenddämmerung in der Kirche St. Andrea della Balle Pretigi= 


Beutera, Ioadhim 431 


vol weichen Gefühls und feuriger Bhantafle, an welche ſich Litaneien an die Mutter 
Gottes anfchloffen. Umſonſt ftellten die Jefniten im ihrer Bauptficche gelehrte Prediger 
auf. Ihre unerguidliche Bedanterie war ſelbſt nicht durch die Eiferfucht zu erivärmen; 
Berfoffer diefes beſuchte damals gerade die ihm vom Generalſecretär der Jeſuiten fpeziell 
mpfohlenen Yefmiten- Predigten, wenn er von biefen zu Ventura fam, war es ihm, als 
ob er aus einem Talten Gewölbe in eine faue, duftige Yrählingsluft träte. Da waren 
dürſtige Seelen au® dem Bolle und es war, ala ob die Epangeliften Domenichin's vom der 
Kuppel herab erbant herniederfchauten. (Siehe Bilder und Skizzen aus Rom, feinem 
frhlichen und bürgerlichen Leben. 1844). 

Wir Mnnen nicht fagen, wie viel Wahres an der Behauptung liegt, Ventura habe 
großen Einfluß anf die Wahl Maftais zum Pabſte geübt. Er lag damals, im Imi 
1846, in Folge eimes Armbruche in Neapel; der Erzbifchof- Kardinal fol ihn befucht 
und Benrtura ihm Maſtai ale Mann der Pflicht empfohlen haben. Gewiß ifl, daß 
Pins IX. kurz nad feiner Thronbefteigung Ventura fein Vertrauen ſchenkte. Farini 
fagt vorfichtig: Ventura war geachtet wegen feines fittlichen Lebenswandels, wegen feines 
Talents und feiner Gelehrfamkeit, bekannt durch feinen Gehorfam gegen die geſetz⸗ 
lichen Autoritäten und durch feine Abneigung gegen Revolutionen; feit Pius die 
Amneſtie verfäindigte, hatte Bentura feine Beranlaffung verfäumt, feine Zugenden gi 
vertiindigen. Er galt für einem ihn thenren Rathgeber, zeigte fich eifrig für Reformen, 
ee vähmte die Uebereinſtimmung der freiheit und der Religion, deren Xrimmphe ex 
feierte. Daher flanden feine Worte in hoher Achtung, da durch fle die femrigen Frei⸗ 
beitOfreunde ermuthigt, fromme, änpftliche Sewiſſen von Zweifeln befreit wurden. Mon⸗ 
tagio und der unzuverläffige Bontanelli wiffen viele Einzelnheiten davon zu gryählen. 
Bentura fol den Yubel des Bolts Aber die Ammeſtie, welche Pins im Anfang feiner 
Regierung den politiihen Verbrechern gewährte, diefem damit erfiärt haben, das Bolt 
fehe darin die Bürgſchaft für die Unverlegfichkeit feiner Wohnungen und für die per- 
fönlihe Freiheit, es hoffe, den Bürgern werde nunmehr vergöntt ſeyn, im Ruhe vor 
den Berläumdungen, vor der Spionage und vor den Quälereien der Polizei zw leben, 
man werde micht mehr ohne Schuld in Prozeffe und Kerker gezogen werden. Bins foll 
mit Thränen im Auge fich zu diefer Wbficht bekamt haben. Die goldene Zeit der 
Regierung Pins fand in ihrem Zenith, ale der greife D’Eormell ſich auf bie Reife 
machte, um in ihm den Erldſer der Völker, ben flegreichen Mehrer der Kirche durch 
die friedliche Waffe der freihettlihen Reform zu begrüßen: Aber D’Eonnell flarb den 
15. Mai 1847 in Genua, indem er feiner grünen Heimathinfel feinen Leichnam, Rom 
fein Herz vermachte. Pius wünſchte, er befahl, daß bei der großartigen Todtenfeier in 
St. Andrea della Balle Bentura den Panegyrikus ſpreche. Neben dem prachtpollen 
Ratafalt fanden die Statuen der Religion und der Freiheit; ihre Einheit zu vlühnen, 
ieſes Programm der nenen Pabftregierung aufzuftellen, war Ventura's Abfiht. Sein 
Tert waren die Worte Sirachs: Bimon magnus (der Hohepriefter) qui liberavit 
»opulum suum a perditione et in diebus suis corroboravit templum. Er lobte 
Come, welcher mit der Waffe der Religion feinem Martyrervolke bie pofitifche 
freiheit erobert, vermittelt diefer aber auch den Triumph der Neligion gefichert habe; 
iicht minder rühmte er Bine und feine dem entſprechenden Abfichten und verpflichtete bie 
Römer auch zum paffiven Widerfland gegen die Feinde des bürgerlichen Fortfchritts 
nd zum thätigen Sehorfam gegen Pius. Am Schkuffe erinnerte ex an den Barbaren. 
Sig Theodorich, durch deffen Taufe die Kirche das Wunder der chriftlichen Monarchie 
» bie Welt geftellt Habe; aber, rief ex mit prophetifchem Tone, wenn einmal die 
dachkommen biefer Barbarenhänptlinge in fi dem heibnifchen Elemente das Ueberge⸗ 
icht wieder geben, wenn fte nicht mehr die Lehre von ber religidfen Freiheit der älter 
nd bon der Unabhängigleit der Kicche anerkennen wollen, fo wird die Kirche ihres 
Armes nicht mehr bedürfen; bamm wird fie ſich der Demokratie zuwendend dieſe milde 


jeidin zur Chriſtin weihen und zu ihr ſprechen: herrſchel — und fe wird herefchen! 


432 Bentura, Joachim 


Das war denn für die Diplomatie die Pofaune des jüngften Gerichts; fle verkeimike 
ihre gereizte Angft nicht. Dennod fol der Pabſt nebſt dem ordentlichen Geo ken: 
fein imprimatur unter die Rede geſetzt haben. Ventura war indeß mit Pasunk 
ganz zufrieden, weil diefer zwar mit der „Liebedagitation“ dahin treiben do ka 
Thaten thue, indem er nicht einmal die Gewiflensfreiheit, die Freiheit bes Untenzs 
fefiftelle. Er blieb der Vertraute der freifiimigen VBollshänpter und gleichlem ihr deu, 
mächtigter beim Pabſte. Die Sturmgloden ber flcilianifchen Revolution vom 12. ka 
1848 ſchlugen an fein patriotifches Herz, welches die Bourbonenherrfchaft vereiiäe 
Furchtbar dröhnte die Nachricht von der franzöfiichen Republik durch die Räzze m 
Batilans. Jene berief ihren Gefandten Rofſſi, Ventura's Freund, ab, was Pin mı 
näher ging, als er feines Raths zu praltifchen bürgerlichen Reformen des Kirdırkı 
jegt mehr als je bedurfte und ihm jett gerne Folge geben wollte. Der Palkz 
verzagend: auch Frankreich verläßt uns, twir haben keine befreundete Macht mer - 
Heiliger Vater, entgegnete Ventura, es bleiben Ihnen immer noch die Bäller, G« 
die Gerechtigkeit. Mit diefen Bundesgenofien können Sie and ohne die Dizle: 
ohne die Könige beſtehen.“ — Allein durch den Ausbruch des italienifchen Kia 
kriegs gegen Defterreihh wurde das Pabſtthum in die Collifion der Pflichten dei & 
gerlihen Fürften und des Kirchenfürften, in den Widerfireit der Nationalität m 
Karholizität wie in einen unwiderſtehlichen Wirbel Bineingeriffen. WBentura ſin 
der Seite der Freiheit; aber als Sicilianer war er für die Idee ber italiemifcen % 
nalität weniger zugänglid. Als im Sommer des J. 1848 GSicilien die Bonrbrer 
immer und ewig des Imfelthrones für verluftig erklärten und einen eigenen König 
wurden ihre Geſandten durch Ventura's Vermittlung vom Pabſte freundlich emyie 
Ventura verſah in Rom die Stelle eines außerordentlichen Vertreters der Jahl 
fchrieb für die „Anerkennung Siciliens als eines freien unabhängigen Sta“, 
„die Legitimität der Handlungen (befonder8 ber oben genannten) des ficilionifden } 
ments“, und nod im Jahre 1849 wieder einen biden Band „diplomatiſche — 
Prüfung der angeblichen Rechte, worauf ſich das neapolitanifche Rabinet im derf 
hen Frage beruft.” Das Unterliegen feiner Landsleute in der Vertheidigung Th 
gegen die Bourbonen, die Berwüftung biefer Stadt gingen ihm tief zu Here 
Babft floh im November 1848 ans Rom und zwar nach Gaeta. Farini fag: 
tura fühlte es hart, daß dee Pabſt die Gaftfreundfchaft des Feindes von Eiche 
nahm; er flellte fich freundfchaftlich zu den (proviforifchen demokratiſchen) Regeo 
Rom, ließ fi) aber nie in Handlungen ein, welche eines Prieflers unwärdig ;= 
wären; als die conftituirende Verfammlung vom Pabfl verdammt wurde, von 
fich entfchieden das angebotene Mandat eines Volksvertreters anzunehmen.“ * 
Charwoche 1849 erlagen die undisciplinieten Haufen der Sicilianer dem neapoltz 
Heere, der Kampf zwifchen der römifchen und der franzdfijchen Republik kam jun = 
Ausbruch; Bentura begab ſich über Civita Vecchia, von two aus er hoffnungiis 
vergebliche Verföhnungsverfuche mit den Römern machte, nach Montpellier. Er zum 
ſich jegt dee Berdammung feiner Rede, welche er im März; 1848 über „die 2° 
Todten“ gehalten hatte und iniderlegte in den lettres à un ministre protet= 
Genf, defien Behauptung, daß St. Petrus nie in Rom geweſen fey. Nach zwei 
Vorbereitung trat er in Paris, bald in der laiferlichen Zuilerienlapelle als Per 
franzdfifcher Sprache auf. Der Sturm der Revolution hatte ihn mit der Her“ 
aus feinem Boden geriffen, ex verdammte fie und die Aufklärung ale Gase 
Satans. Les oonferenoes de Paris leuchten von dem düftern Feuer der Ber 
über die Vernichtung feines Ideals; er fucht fich darin felbft zu ——— 2 
Kirche auch Troft dafür biete. Er ach den 2. Auguſt 1861 in Verſailles; m 

nam wurde mit großem Pompe in dem durch die garibaldifche Revoiutica 
Balermo beigefegt. Wir überlaffen es den Lefer zwifchen ihm und zwiſchen San? 
und Lacordaire eine Parallele zu ziehen; man vergefie dabei nicht, daß er 
war. 





Bernunft 433 

Vernunft. Berhältniß der Bhilofophie zur Theologie — Das 
rt „Vernunft“ leitet ſich etymologifc von „Vernehmen“ her und bezeichnet alfo ur⸗ 
inglih ein Vermögen des Beruehmens, der Auffaflung eines Gegebeuen, ſey es ein 
darbietendes Objekt (reelles Seyn) oder ein mitgetheilter Gedanke (ideelles Senn). 
e da bie Etymologie es völlig unbeftimmt läßt, was das Bernommene fen, fo ent- 
die Frage: fällt die Vernunft in Eins zufammen mit dem allgemeinen Ber- 
en bed Bernehmens und Auffaſſens überhaupt, oder ift fie ein befonderes Ber- 
en, da8 von jenem durch einen befonderen Inhalt, eine befondere Beſchaffenheit 
Beflimmtheit des Bernommenen ſich unterfeheidet? — Der Sprachgebrauch, ſtimmt 
die letztere Alternative. Rad) ihm ift die Vernunft nur ein Fragen und Forſchen, 
Bernehmen und Denken des Bernünftigen, alfo ein Auffaflungs- ober Erkenntniß⸗ 
gen, das anf einen beflimmien Inhalt gebt. Nach ihm will aber auch die Ver⸗ 
t da8 Bernüuftige; und da VBernehmen (Huffaflen) und Wollen keineswegs immer 
überall in ins zufammenfallen, fo fcheint der Sprachgebrauch von der primitiven 
zelbedentung des Wortes abgegangen zu fen und ein Glement hineingenonmen zu 
n, das urfprünglich nicht in ihm lag. Umfo mehr fragt es fih, was ift dies Ber- 
tige, das die Vernunft vernimmt und will? 

Die Antworten anf diefe Frage find ſehr verfchieden ausgefallen. Rad dem 
achgebrandy, in welchem das gemeine Bewußtſeyn ſich abfpiegelt, weil es ihn erzeugt 
formulict, gilt e8 im Allgemeinen für vernünftig, Recht und Gefeg wie die gang⸗ 
ı fittlichen Prinzipien und Forderungen zu beobadhten, alſo das Wahre anzueriennen, 
Gute zu wollen, das Schöne zu lieben. Über es gilt auch für vernünftig, nicht 
Weiteres Alles für wahr, gut und fhön anzunehmen, was dafür ausgegeben wird, 
na nach der Beglaubigung defjelben und fomit nad) den Kennzeichen des Wahren, 
n und Schönen, nad den Gründen, warum es dafür gehalten wird, zu fragen: es 
überhaupt für vernünftig, nicht leichtgläubig zu ſeyn, fondern fo viel wie möglich 
Irrthum und Täufchung fi) zn wahren. Danagch ſcheint e8 das ethiſche Gebiet 
ya, welchem die Vernnuft als Erkenntniß⸗ wie als Willensvermögen angehört. 
andererfeits gilt es auch allgemein für vernünftig, die natürlichen Bedürfniſſe na- 
mäß zu befriedigen und überhaupt dem Nothwendigen, Unvermeidlichen, Unabänder- 
ſich zu fügen. Und demgemäß wird nicht nur die Nothwendigkeit, Geſetzlichkeit, 
ung, die in der Natur und Menfchenwelt (Geſchichte) fich kundgibt, fondern auch 
ihr entfprechende Führung und Regelung de eigenen Lebens für einen Ausflug 
saltenden Vernunft gehalten. Insbeſondere gilt es für vernünftig, nicht in's Blaue 
t zu leben und zu freben, fondern überall zeitgemäß zu wollen und zu handeln, 
unte Ziele fich zu fegen und die geeigneten Mittel anzuwenden, um fle zu er- 
u. Schon die Zwedmäßigfeit des Wollend und Handelus rein als folche gilt 
für eine Weußerung des Bernunftvermögens; und wenn dann auch innerhalb ber- 
| wiederum zwiſchen vernünftigen und unvernünftigen Sweden unterjchieden wird, 
xd e8 doch allgemein als ein Zeichen bon Bernünftigleit angefehen, zur Erreichung 
des undbernünftigen Zwecks zwedgemäß zu haudeln. Natürlich wird es demnach 
für vernünftig erachtet werden müſſen, nad, dem rechten vernünftigen Zwecke des 
blihen Daſeyns, Strebens und Wollens zu fragen und zu forſchen. Endlich gilt 
ı Allgemeinen für vernünftig, logiſch richtig zu denken, zu urtheilen, zu fchließen 
n folgen; und die Exiſtenz ber Logifchen Geſetze, Normen und Formen jelbfl, wie 
mane Befolgung derfelben nicht nur im Denen, fondern and im Sprechen, wird 
als Aeußerung und Folge des der menfhlihen Seele einwohnenden Vernunft⸗ 
Igens betrachtet. — Vielfach, wenn nicht allgemein, gilt es and; wohl für ver 
ig, Religion zu haben, an Gott zu glauben und das Dafeyn ber Welt wie ben 
mf der Weltbegebenheiten für eine göttliche That zu halten. Und demgemäß wird 
auch diefer Glaube oder, wie Andere fi ausdräden, dieſe Erlenntuiß für ein 
der Vernunft erachtet. 

als Gucpliopädie für Theologie und Kirche. Suppl. IIL 2 


432 Bentara, Joachim 


Das war denn für die Diplomatie die Pofaune des jüngften Gerichts; fie verheimlichte 
ihre gereizte Angſt nicht. Dennoch fol der Pabſt nebft dem ordentlichen Cenſor ſelbſt 
fein imprimatur unter die Rebe gefegt haben. Bentura war indeß mit Pins nicht 
ganz zufrieden, weil diefer zwar mit der „Liebesagitation“ dahin treibend doch keine 
Thaten thue, indem er nicht einmal die Gewiflensfreiheit, die Freiheit des Unterrichts 
feftftelle. Er blieb der Vertraute der freifinnigen Bollshänpter und gleichfam ihr Bevoll- 
mädhtigter beim Pabſte. Die Sturmgloden der ficilianifchen Revolution vom 12. Januar 
1848 fchlugen an fein patriotifches Herz, welches die Bourbonenherrfchaft vexabfchente. 
Furchtbar dröhnte die Nachricht von der franzdfiihen Republik durch die Räume des 
Batilans. Jene berief ihren Geſandten Rofli, Ventura's Fremd, ab, was Pins um fo 
näher ging, als er feines Raths zu praltifchen bürgerlichen Reformen des Kicdhenftants 
jest mehr als je bedurfte und ihm jett gerne Folge geben wollte Der Pabſt rief 
verzagend: auch Frankreich verläßt uns, wir haben keine befreundete Macht mehr! — 
Heiliger Vater, entgegnete Ventura, es bleiben Ihnen immer nod) die Voller, Gott und 
die Gerechtigkeit. Mit diefen Bundesgenofien können Sie auch ohne die Diplomatie, 
ohne die Könige beſtehen.“ — Allein durch den Ausbruch, bes italienifchen National. 
kriegs gegen Defterreih wurde das Pabſtthum in die Collifion der Pflichten bes bür- 
gerlichen Fürſten und des Kirchenfürften, in den Widerſtreit der Nationalität und der 
Karholizität wie in einen untwiderftehlichen Wirbel Hineingeriffen. Ventura fland auf 
der Seite der Freiheit; aber als Sicilianer war er für die Idee der italienifchen Ratio- 
nalität weniger zugänglid. Als im Sommer des I. 1848 GSicilien die Bourbonen auf 
immer und ewig bes Infelthrones für verluftig erflärten und einen eigenen König fuchten, 
wurden ihre Gefandten durch Ventura's Vermittlung vom Pabſte freundlid, empfangen! 
Bentura verfah in Rom die Stelle eines auferordentlichen Vertreters der Inſel. Ex 
fchrieb für die „Anerkennung Siciliens als eines freien unabhängigen Staats“, über 
„die Legitimität der Handlungen (befonders der oben genannten) des ficilianifhen Barla- 
ments“, und noch im Jahre 1849 wieder einen diden Band „diplomatiſche Lügen oder 
Prüfung der angeblichen Rechte, worauf ſich das neapolitanifche Kabinet in der ſiciliani⸗ 
hen frage beruft.“ Das Unterliegen feiner Landsleute in der Bertheidigung Mefline's 
gegen die Bourbonen, die Verwüſtung diefer Stadt gingen ihm tief zu Herzen. De 
Babft floh im November 1848 aus Rom und zivar nad; Gaeta. Farini fagt: Bes 
tura fühlte e8 hart, daß der Pabft die Saftfreundfchaft des Feindes von Gicilien 
nahm; er flellte ſich freundfchaftlich zu den (proviforifchen demokratiſchen) Regemten vos 
Rom, ließ ſich aber nie in Handlungen ein, welche eines Priefters unmürdig geweſes 
wären, als die conflituwirende Berfammlung vom Pabfl verdammt wurde, weigerte er 


ſich entfchieden das angebotene Mandat eines VBollsvertreterd anzunehmen.“ In da 


Charwoche 1849 erlagen die undisciplinirten Haufen der Sicilianer dem neapolitanifdye 
Heere, der Kampf zwiſchen der römifchen und der franzdfifchen Republik kam zum offenen 


Ausbruch; Ventura begab fi über Civita Vecchia, von wo aus er hoffnungslos ned 


bergebliche VBerfühnungsverfuhhe mit den Römern machte, nad; Montpellier. Ex unterioari 
fihh jegt der BVerdammung feiner Rede, melde er im Dr 1848 über „die Wierer 
Zodten“ gehalten hatte nnd widerlegte in den lettres à un ministre protestant ® 
Genf, defien Behauptung, dap St. Petrus nie in Rom geweſen fey. Nach zweijährige 
Vorbereitung trat er in Paris, bald in der faiferlichen Tuilerienlapelle als Brediger "= 
feanzöfifher Sprache auf. Der Sturm der Revolution hatte ihn mit der Herzwrczel 
aus feinem Boden geriffen, er verdammte fie und die Auflläruug als Gewalten de 
Sataus. Les oonferences de Paris leuchten von dem bdüftern euer der VBerziweifluu 
über die Vernichtung feines Ideals; ex ſucht fi darin felbft zu überzeugen, daß Me 
Kirche auch Troſt dafür biete. Er flarb den 2. Auguft 1861 in Berfailles; fein Leich⸗ 
nam wurde mit großen Pompe in dem durch die garibaldifche Revolution befreiten 
Palermo beigefegt. Wir überlaffen es dem Leſer ziwifchen ihm und zwifchen Savonssola 
und Lacordaire eine Parallele zu ziehen; man vergefie dabei nicht, daß er GSiciliamer 
war. Nerchlin. 


Bernunft 438 

Veruunft. Berhältuiß der Bhilofophie zur Theologie. — Das 
Bort „Bernunft* leitet ſich etymologiſch von „Bernehmen“ her und bezeichnet alfo ur- 
Imänglih ein Vermögen des Bernehmens, ber Auffafiung eines Gegebenen, fey es ein 
fh darbietendes Objekt (reelles Seyn) oder ein mitgetheilter Gedanke (ideelles Seyn). 
Über da die Etymologie es völlig unbeſtimmt läßt, was das Bernommene ſey, fo ent- 
Reht die Frage: fält die Vernunft in Eins zufammen mit dem allgemeinen Ber- 
mögen des Bernehmens und Auffafſens überhaupt, oder ift fie ein befonderes Ber 
mögen, das bom jenem durch einen befonderen Inhalt, eine befondere Befchaffenheit 
oder Beflimmtheit des Bernommenen fich unterſcheidet? — Der Sprachgebranch fiimmt 
für die legtexe Alternative. Nach ihm ift die Bermumft nur eim Fragen und Forſchen, 
ein Beruehmen und Denken des Bernünftigen, aljo ein Auffaffungs- oder Erkenntniß⸗ 
vermögen, das anf einen beſtimmten Inhalt gebt. Nach ibm will aber aud die Ver⸗ 
zurft das Bernüuftige; umd da Bernehmen (Auffaſſen) und Wollen keineswegs immer 
md überall in Sins zufammenfallen, fo fcheint der Sprachgebranch von der primitiven 
Burgelbedeutung des Wortes abgegangen zu feyn und ein Element hineingenommen zu 
haben, das uefpränglich nicht in ihm lag. Umſo mehr fragt es fi, mas ift dies Ber- 
nänftige, daS die Vernunft vernimmt und will? 

Die Antworten auf bdiefe Frage find ſehr verfchieden ansgefallen. Nach bem 
Sprachgebrauch, in welchem das gemeine Bewußtſeyn fich abfpiegelt, weil es ihn erzeugt 
und formulirt, gilt es im Allgemeinen für vernünftig, Recht und Geſetz wie die gang⸗ 
baren fittlichen Prinzipien und Forderungen zu beobachten, alfo das Wahre anzuerlennen, 
das Gute zu wollen, das Schöne zu lieben. Über es gilt auch für vernünftig, wicht 
ohue Weiteres Alles für wahr, gut und ſchön anzunehmen, was dafür ausgegeben wird, 
ſondern nad; der Beglaubigung deflelben und fomit nach den Seungeichen des Wahren, 
Onten und Schönen, nach den Gründen, warum es dafür gehalten wird, zu fragen: es 
gilt überhaupt für vernünftig, nicht leichtgläubig zu ſeyn, fondern fo viel wie möglich 
vor Ircthum umd Täufchung fich zu wahren. Danad; fcheint es das ethiſche Gebiet 
m ſein, welchem die Beruunft als Erkenntniß⸗ mie ale Willensvermögen angehört. 
Aber andererfeits gilt es auch allgemein für vernünftig, die natürlichen VBedürfuifie na⸗ 
urgemäß zu befriedigen und überhaupt dem Nothiwendigen, Unpermeidlichen, Unabänder- 
ihen fi) zu fügen. Und demgemäß wird nicht nur die Nothwendigleit, Geſetzlichleit, 
Aduung, die in der Natur und Menfchenwelt (Geſchichte) ſich kundgibt, foudern auch 
ine ihr entfprechende Führung und Regelung des eigenen Lebens für einen Ausflug 
& waltenden Bernunft gehalten. Indbeſondere gilt ed für vernünftig, nicht in’s Blaue 
mein zu leben umd zu fireben, fordern überall zeitgemäß zu mollen und zu handeln, 
fimmte Ziele ſich zu fegen und die geeigneten Mittel anzuwenden, um fie zu ex- 
eichen. Schon die Zmedmäßigleit des Wollene und Handelns rein als foldhe gilt 
iher für eine Heußerung des Verunnftvermögens; und wenn dann and) innerhalb ber- 
Iben wiederum zivifchen vernünftigen und uubernüuftigen Zwecken unterſchieden wird, 
' wird e8 doch allgemein als ein Zeichen von Bernünftigkeit angeſehen, zur Erreichung 
ich des undernünftigen Zweds zwedgemäß zu handeln. Natürli wird es demnach 
ıd, für vernünftig erachtet werden müſſen, nach dem rechten vernünftigen Zwecke bes 
enſchlichen Daſeyns, Strebens und Wollen zu fragen und zu forfchen. Endlich gilt 

im Allgemeinen für vernünftig, logiſch richtig zu denen, zu uetheilen, zu fchließen 
id zu folgern; und die Exiſtenz der logiſchen Geſetze, Normen und Formen felbfl, wie 
e genaue Befolgung derfelben nicht nur im Denken, ſondern and) im Sprechen, wird 
ber als Aeußerung und Folge des der menſchlichen Seele einmohnenden Vernunft» 
mögen betrachte. — Bielſach, wenn nicht allgemein, gilt es auch wohl für ver⸗ 
nftig, Religion zu haben, an Bott zu glauben und das Dafeyn der Welt mie dem 
lauf der Weltbegebenheiten für eine göttlihe That zu halten. Und demgemäß wird 
m and diefer Glaube oder, wie Andere fi ausdräden, biefe Erkenntniß für ein 
erk der Bernunft erachtet. 

Real »Eucpkiopädie für Thesiogie und Kirche. Guppi. IIL 28 


434 Beruunft 


Diefen unmittelbaren inftinttiven Annahmen des gemeinen Bewußtfeyns nachgehen, 
bat die Bhilofophie ihre Begriffe und Definitionen ber Vernunft formufirt. Schon 
Plato erklärt es für die Sahe und das Weſen ber Bernunft (des row), die all 
Erkennen und Wiflen ermöglichenden Ideen umd unter ihnen insbefondere die hödfe 
derfelben, die Idee des Guten, zu erfaffen, und ihnen gemäß zu denken, zu wollen mi 
zu handeln. Ihm alfo hat die Bernumft vorzugsweife eine ethiſche Bedentung: als dat 
Bermögen dee Ideen, wodurch der menſchliche Geiſt am Göttlihen Theil hat, ver 
mittelt fie die Erfenntniß des Wahren, Guten und Schönen, das twahre Willen, mi 
dieſes wiederum das tugendhafte Handeln, das Wollen nad Thun bes Cuten, deſſen 
vollendete Erſcheinung das Schöne if. — Ariftoteles hob deu Zwecdbegriff herer, 
wem ex tm zEIos umd in der Zvrelfzeın denjenigen (immanenten) Faltor erkannte, durd 
welchen im legten Grunde die unfaßbare, völlig form. und beftinunwmgelofe Meieri 
(din) Form und Beftimmtheit erhalte, fowie das Wirken, die Entwidelung umd dm 
bildung der Welt beſtimmt fey, und wenn er demgemäß die Gottheit ſelbſt für da 
höchften, alle Bewegung und Entwidelung leitenden Zwed, die Bernunft aber für dei 
Bermögen diefer (höchſten) Erkenntniß erklärte. — Die Stoiter hielten fih on ie 
Naturnothwendigkeit und die Naturordnumg, wenn fie behaupteten, die Welt fen m 
fubftanziell einiges, befeeltes, vernünftiges Ganzes, das von Seiten feiner Paffivik 
und Beränderlichleit betrachtet, Waterie, von Seiten feiner thätigen, immer ſich ale 
bleibenden, als allgemeine Vernunft in ihr waltenden Kraft Gott genannt werde; Get 
alfo fey Eins wit der allgemeinen Vernunft und die Bernmft Eins mit der Rem. 
nothivendigkeit, Gefegmäßtgkeit und Ordnung der Welt, und fomit die menſchliche Ber 
muft das Bermögen, dieſe Öefeplichleit zu erkennen und das ganze menfchlide Daſen 
in vollkommene Harmonie mit ihe zu bringen. — Mit Plato flimmen Kant m) 
Jacobi infofern überein, als jener die theoretifhe Vernunft für das Bermiya 
der (tegelmden, einenden, durch den Hülfsbegriff des Unbedingten ergänzenden med ch 
fließenden) Prinzipien des Denkens und Exlennens, die praktifche für die Ds 
des Sittengeſetzes (des Tategorifchen Imperativs) und damit des Glaubens an Freikt, 
Sott und Unfterblichleit erklärte, diefer die Bernumft überhaupt als das Wermödgen fit, 
das Wahre, Gute und Schöne und damit das Göttliche in urfprünglidyen Geiſtetgefthla 
zu bercipiren, zu vernehmen. — Zu Üriftoteles dagegen ftellt füch inſofern Fichte, eb— 
er urfprünglic, den Grund unferes Glaubens an Gott nur in der von der praitiike 
Bernunft geforderten Exiftenz einer altiven, leitenden und beflimmenden Weltorum 
fand, diefe Weltordnung aber nur den Zweck hat, das fittliche Handeln bes Dede 
zu ermöglichen, und fonach mit diefem hödften Zwede des menfchlichen und wellliher 
Dofeyns in Eins zufammenfält. — Mit dem ansgefprochenen Pantheismus der Erin 
ericheint die Grundanſchauung Spinoza’s und Schelling's (im feiner pentiiik 
philofophie) infofern verwandt, al® beide die urfprüngliche Identität des Denlen m 
Seyns, des Ideellen und Reellen (Geift und Natur), des Subjeftiven und Object 
Ewigen und Zeitlichen u. f. w. behaupten, und in diefe Erkenntniß, im Die Anſchercz 
der Dinge unter dee Form diefer Einheit (des Abfoluten — GBöttlicdyen) das Bein 
der Vernunft fegten. — Hegel endlich vertritt den logiſchen Standpuntt, bie log 
Funktion der Vernunft, wenn er die Logik mit der Metaphufif identificirt und des 1. 
ſolute (Bott) für den abfoluten Begriff erklärt, d. h. für die Eine und allgeme, @ 
fid, felbft- umd bewußtloſe, zunächſt nur als reine (logifche) Idee zu faffende Bemmt 
die aber im der Form des Begriffs durch die ihm weſentliche binlektifche Versegung ? 
der er felber befteht, ſich verwirklicht, indem fie, fich felbft dirimirend und damit in de} 
Befondere und Einzelne (in die Natur, die Welt) eingehend, aber andy des Gimp 
und Befondere wieder aufhebend, zum Moment des Allgemeinen herabfegend und dust 
zu fi zurückkehrend, ſich felber als die concxete Einheit des Allgemeinen umd Einzeian 
des Denfene und Seyns, des Geiſtes und der Natur fee und beſtimme, umd LIT 
im Geiſte des Menfchen, im feinem durch die Vernunft errungenen Wiſſen um I 


Beruuukt 435 


Abſolute als dieſe coucrete Ibentität fich ihrer ſelbſt auch beiuußt werde, womit fie zum 
abſoluten Geiſt fi erhebe. Dieſem logiſchen Vernuuft⸗ Pantheismus If es ganz ent⸗ 
ſprechend, wenn Hegel die kühne Vehauptung aufftellt: „Was vernünftig iſt, das iſt 
wirllich, und was wirklich iſt, das IR vernünftig.“ Dem wenn die Welt und Weli⸗ 
gefdichte une der Proceß der Selbſwerwirklichung des Abſoluten (Gottes) als der ab⸗ 
ſelnten Vernunft if, fo kaun auch das. anfcheinend Unvernikuftigfle nur ſcheinbar un⸗ 
vernkuftig, am ſich (in Wirklichkeit) nur Moment und Mittel jener Selbſtverwirklichung 
ver Bermmeft, alfo vernünftig feun. 

Ale diefe verſchiedenen Anfchauungen und Begriffsbeftimmungen haben Ein Moment 
mit einonder gemein, indem fie alle explickte ober implicite die Vernunft für das 
Erimtuigvermögen des Ueberfinnlichen erklären. Denn es iſt Thatſache, daß 
weder das Wahre, Gute und Schone, weder das Redhts- noch das Gittengefeh, weder 
br Zwed noch die Bivedmäßigkeit, weder die Naturnothwendigkeit nod; die Ordnung und 
Gefeglichteit, weder die logiſchen Prinzipien und Normen noch das logiſch richtige 
Denten, Urtheilen und Schließen, durch Auge und Ohr, durch Taſten, Riechen und 
Schmeden fi faflen und erfennen laſſen. Gibt es alfo ein Seyn, das jenen Begriffen 
extipricht, fo muß es infofeen für eim überfinnliches erachtet werden, als es eben den 
Sinnen unerreichbar iſt. In Betreff diefes allgemein anerlanuten Moments im Wefen der 
Bernunft ſtimmt mit dev Philoſophie and die ältere Theologie überein. Nach den Aufichten 
der ansgezeichnetſten Kirchenväter iſt bie Vernunft daS Organ, durch das der Menfch, 
— wenn aud) nur unter göttlicher Einwirkung und Hälfe — die Offenbarung in Chriſto 
als göttliche Offenbarung, und damit das wahre Weſen Gottes, den göttlichen Willen 
als höchſtes Sittengefeg, die Erlbſung durch Chriſtum ale das alleinige Heil (das hochſte 
Gut), die Einigung mit Gott als deu höchſten Zweck des menſchlichen Lebens und 
Steebens, alſo das Ueberfinuliche in feinen verfchiedenen Momenten erfaßt und erkennt. 

Allein es fragt fi nicht nur, ob dem überfinnlichen Inhalte ber Bernunft ein 
wirkliches Senn entſpricht, fondern anch ob es in der That nur Ein Vermögen, nur 
Eine und biefelbige Kraft und Thaätigkeit der Seele if, durch bie wir zur Erlennimiß 
des Ueberfimlichen, zu den Begriffen des Wahren, Guten, Schönen sc. gelangen. Was 
ne erfie Frage betrifft, fo ſteht es pfnchologifch wie erkemtnißtheoretiſch feſt, daß alles 
virfliche (reelle) Ger entweder in den durch das Nervenſhſtem vermittelten finnlichen 
Empfindınsgen oder in ben die Beſtinmtheiten der Seele, ihre Affektionen und Zu⸗ 
Unde, ihe Leiden und Chun rvefleltirenden Gefühlen filh uns fund gibt, und daß wir 
aber dem Inhalt feines Gedankens, keines Begriffs Objektivität und Realität beimefien 
ürfen, der wicht im legten Grunde auf eine Empfindung oder ein Gefühl fich zurüd- 
übren läßt. Dadurch umterfcheiden ſich unfere objektiven Vorſtellungen und Begriffe 
on den fubjeltiven Gebilden der Reflerion und Phantafle, und nur mas aus folden 
bjeftiven Borftellungen kraft der logifchen Denknothwendigkeit gefolgert und erfchlofien, 
ücht aber was von dem f. g. reinen (abfiraften) Denten mit oder ohne dialektiſche 
Nethode ergrübelt und erfpefulist wird, Toms für wirklich und wahr gelten. Sonach 
ber kann vom wirklichen Dafeyn eines Weberfinnlichen nicht die Rede ſeyn, wenn nicht 
efimmte Gefühle ſich nachweiſen laffen, in demem ſich daffelbe kundgibt. Und in ber 
[hat würde ja, was zunächſt den ethifchen Gehalt der Bernunfterfenntniß betrifft, feine 
ee, kein Prinzip, kein Gebot (Geſetz) ale ein fittliches von uns aufgefaßt werben 
Samen, wenn ihm nicht ein Gefühl des Sollens entgegenläme und und bezeugte, daß 
ir Die Wahrheit zu erſtreben und anzuerkennen, das Gute zu wollen und zu thun, 
28 Schöue, Befällige, Unmmthige (als die feynfollende Form des Wahren und Guten) 
2 lieben und gu üben haben. Dem der Begriff, die Idee, das Prinzip find am ſich 
ur Formen des Erkenntnißvermogens, ihr Inhalt ein erlanntes Senn, das nur zu 
nem Seyn-follen werden und damit eine fittliche Bebentung geivinnen Tann, wenn 
e zugleich im der Form des Bebotes, der Forderung auftreten. Aber das fittlidhe Gebot 
vendet fich am die menfchliche Freiheit, und die Freiheit würde es verwerfen und für 

98 #+ 


438 BSeruuuft 


prinzipiell firirte Dispofltion, Gliederung, Berknüpfung der einzelnen Dinge und Er⸗ 
ſcheinungen zu einem Ganzen fi bdarftellt, Aber ba Ordnung, Regel mb Geier. 
mäßigfeit wiederum nicht durd; die Sinne und die Sinnesperception ſich bewirken Lafien, 
fo müſſen wir auch diefe Begriffe bereit? haben, um das ihnen Entſprechende in der 
äußeren Welt erkennen zu Tonnen. Es ift wiederum unfer eigenes Thum und Laflen, 
bon und ans dem wir diefelben gewinnen. Denn wiederum find ces die matklicen 
Bedürfniffe und Triebe, die uns veranlaffen, die einzelnen Alte und Handlungen, melde 
zur Befriedigung derfelben erforderlich find, in einer zmedentfprechenden Folge und Ju 
fammenftellung vorzunehmen und in diefer Folge, wenn fie ſich bewährt, zu wiederholen. 
Es find diefelben Triebe und Bedärfniffe, die uns anleiten, die zu ihrer Vefriebigung 
dienenden, nöthigen und nüßlichen Dinge (Ütenfilien, Werkzeuge ꝛc.) nicht nur und je 
verfchaffen, fondern auch in zwedentfprechender Weife zufammenzuftellen, aneinander za 
reihen, zu gliedern und zu verbinden. Eben damit verfahren wir nad; beflimmten Ge 
fihtspunkten, Abfichten, Zwecken, die als Prinzipien unfere Alte und Handlungen kin; 
unfere Thätigfeit erhält den Karakter der Gefet- und Regelmäßigkeit, unfere Umgebung 
da8 Gepräge der Ordnung. Und indem wir auf diefes Thun refleftiven, es von andem 
beliebigen Willensalten unterfcheiden, fo kommt uns feine Befeg- und Regelmäkigi 
auch zum Bewußtſeyn, d. h. wir gewinnen die erften dunklen Borftelungen von Geſch 
Negel und Ordnung. Diefe Vorftellungen erwachen dann von felbft, mem wir tu de 
Natur ähnlihen Erfcheinungen begegnen oder zu begegnen glauben; andererfeits erwarte 
und wünſchen wir unwillkürlich, auch in der Natur ein ähnliches, ihnen entſpreqhendel 
Sefchehen und damit Ordnung umd Gefeßmäßigfeit zu finden, well diefelbe offender 
unferen Bebürfniffen, Trieben und Sweden günflig und vortheilhaft if. — Sind ım 
diefe Vorſtellungen Bernunftbegriffe umd ift es im Grunde die Bernunft ſelbſt, die = 
einer geordneten, xvegel- und gefegmäßigen Thätigleit uns antreibt und amnleitet, wie a 
den entfprechenden Naturerfcheinungen ſich kundgibt, fo iſt die Vernunft 5) ein geiler 
gebendes Vermögen, eine nicht bloß treibende, fondern zugleich die von ihr anti 
den Bewegungen und Alte orbnende und regelnde Kraft. — Unter diefe Bedeutung de 
Bernunft und deren Berhätigung fallen dann zugleich die Logifchen Gefege und Roma 
al8 Normen und Gefege des Denkens, der Bildung und Berfnüpfung unferer Verſel 
ungen. If die Vernunft überhaupt die gefegebende, orbnende und xegelnde Wat. 
fo müſſen auch die Dentgefege von ihr und ihrer Bethätigung hergeleitet werden. 
Sonad aber ergibt fi: jene verfchiedenen Momente, Alte und Begriffe, die it 
Ausflug und Ausdrud der Vernünftigkeit (Bernmftbegabung) des Meuſchen beit 
zu werden pflegen, laſſen fih nicht auf Ein Vermögen und Eine Thätigfeit zit 
führen. Die Vernunft greift vielmehr in alle Hauptgebiete des Lebens umd Wire! 
der Seele, in die Sphäre der Gefühle, der Vorftellungen, der Triebe, Strebumgen mi 
Willensakte, gleihmäßig ein, indem ſie ſich ebenfofehr als Gefählsvermögen, wie dl 
Unterfcheidungs- und damit Auffafjungs- (Vorftellungs-., Erkenntniß⸗) vermögen, wie ıl 
treibende, ſtrebende, gefegebende und das Gefeg wollende und befolgende Kraft be 
thätigt. — Woher nun dennod die allgemeine Annahme, daß es nur Eine Immt 
und Eine DVernünftigfeit gebe und daß fie, richtig aufgefaßt und verftanden, and a 
allen Menfchen nur Eine und biefelbige ſey? — Offenbar daher, weil bet wähere Br 
trachtung alle die verfchiedenen Funktionen umd Wenßerungen der Bermunft dod del 
Eine mit einander gemein haben, daß fie fänmmtlich im Grunde ethifcher Nam fe 
Denn offenbar find nicht nur die Ideen des echte, des Wahren, Guten and Shim, 
fondern ebenfo auch die Begriffe der Zweckmäßigkeit, der Ordnung, der Regel. mi 
Geſetzmaͤßigkeit (gefeglichen Nothivendigfeit) ethifche Begriffe. Sie find es ſchon beres, 
weil fie nothwendige integrirende Momente jener allgemein anerfannten ethiſchen Ihm 
find. Vom Begriffe der Zweckmäßigkeit haben wir dieß ſchon machgemiefen. Bon de 
Begriffen der Ordnung, Negel- und Geſetzmäßigkeit verficht es fich faſt vom KR 
Keine Schönheit ohne Ordnung (ohne ein gemäß ber Harmonie und Idee des Gma 





Besuunit 439 


georduetes Detail); Leim Recht uud keine Sitilichkeit ohne Geſetz- und Gefegmäßigkeit, 
ie Wahrheit ohne Erlenntniß des Grundes und Zweds der Dinge, leine Zwecker⸗ 
fülung und Zwedmößigleit ohne Orduung, und keine Ordnung ohne Ordaungeprinzip 
(Sefeg); — das leuchtet Jedem, der fi diefe Begriffe zu voller Klarheit gebracht hat, 
mmittelber ein. Auch die Logiichen Gefege und Normen haben ſonach eine ethifche Bes 
deutung, wie es denn in der That and, dem fittlichen Gefühl als Forderung des Sitten⸗ 
gefege® fich kund gibt, genau und forgfältig gemäß den logifchen Normen und Gefegen 
m denlen und zu ſprechen. Sonach aber kann die Vernunft bezeichnet werden als bie 
Eine, an fi, in allen Memfchen gleiche und gemeine Befähigung oder Anlage zur Sitt- 
üchleit und damit zu einem dem ethifchen Ideen entfprechenden Leben, Denten und Er⸗ 
kamen, Wollen und Handeln. Denn das Sitiengeſetz erſtreckt ſich nicht nur über unfer 
Stechen, Wollen und Thun, fondern auch auf ımufer Vorſtellen und Denken (Forſchen, 
Sinnen, Refleftiren): wir follen nicht nee das Wahre, Gute, Schöne wollen und wirken, 
ſondern and) ihm gemäß denlen, es und zum Karen Bewußtſeyn bringen, es erlennen 
und anerlennen, weil wir nur unter biefer Bedingang es in vollem Maße tollen und 
thun Können. Das Sittengeſetz ift es mithin, das die Vernunft in eine theoretifche 
ud praltifche fcheidet, ihr damit die oben aufgezählten verfchiedenen Funltiouen aufer- 
gt, und doch zugleich beide Seiten eng mit einander vereinigt. Mit anderen Worten: 
die Vernunft als Befähigung des Menſchen zur Sittlichleit ſcheidet ſich felbſt hinſichtlich 
des Gegenſtandes im die (feyn follende) Erforſchung med Erkenntniß des Sittengefeges, 
des Wahren, Guten und Schönen, und in das (feyn follende) Wollen und Thun des⸗ 
ſelben; fie imvolvirt zugleich binfidhtlicd der Form nach beiden Seiten hin ein zweck⸗ 
entſprechendes, georbnetes, regel» umd gefeßgemäßes Berfahren, weil nur durch eim folche® 
bie fegufollende Erkeuntniß fid) gewinnen, das femfollende Thun fi, vollziehen läßt. 
Uns denfelben Gründen daher, aus denen der Irhalt des Sittengefeges, der Begriff 
des Wahren, Guten und Schönen von den verſchiedenen Menſchen, Böllern, Bettaltern 
ſo verfchieden aufgefaßt wird, erklärt ſich die Berfchiedenheit in der Auffaffung nnd Be- 
griffsbeſtimmung beflen, was den Menfchen als vernünftig gilt (vergl. den Artikel Sitten» 
geſetz). — Im Wefen und Begriff der Sittlichleit alfo liegt der Eimigungspunft, in 
welchem die verſchiedenen Funktionen der Beruunft als Bethätigungen Einer und der 
felben Kraft exfcheinen und von welchem aus daher die Bernunft als ein befonderes 
Sermögen gefoßt werden kann. Über nur als Trägerin und Vermittlerin der ethifchen 
Ideen kann fie fo gefaßt werden. Und darum läßt fi mit gleichem Rechte behaupten, 
die Bernunft fer) fein befonderes Bermögen der Seele, fondern verſchmelze mit ihren 
drei Srundvermögen des Empfinbens und Fühlens, des Unterfcheidene (Borflellens — Er. 
immens), des Strebens und Wollene, und bezeichne nur die Thatfache, daß diefe Ver⸗ 
mögen bei'm Menſchen nicht bloß in Beziehung fliehen zur gegebenen Beſchaffenheit 
der Dinge und des menſchlichen Weſens ſelbſt, fondern aud zu einer dem Menſchen 
wie den Dingen gefegten Beftimmung, alje nicht bloß zu Dem, was ift, fondern 
und) zu Dem, was ſetn ſoll. 

Ans diefer Foflumg des Wefens der Bernumft ergibt ſich endlich auch das Verhältniß 
derfelben zur Religion und dem religidfen Glauben. Im Gefühl des Sollens, in ber 
Zweclbeſtimmung des menſchlichen Seyns und Wefens, im Bewußtſeyn des GSittenge- 
ſehes Liegt, wie gezeigt (vergl. den Art. Sittengefeg), unmittelbar ein Beweis vom 
Dofeyun Gottes. Denn nur von einem zwedfegenden, alfo geiftigen, ſelbſtbewußten, 
eahiihen Weſen kann die ethifche Zwecbbeſtimmung des Menſchen uud damit implicite 
das Gefühl des Sollens wie das Vermögen freier Eutſchließung herrühren. Eben dieß 
Gefühl aber zuſammen mit der Freiheit des Willens und den ethiichen Kategorieen bildet 
die Grundlage der Befähigung des Menſchen zur Sitilichleit und damit der Vernunft. 
Schon infofern muß mithin die Vernunft als Organ der Auffaffung und Erkenntniß 
des göttlichen Weſens betrachtet werden. Außerdem weifen die ethifchen (vernünftigen) 
Elemente im der Natur, die Zweckmaäßigkeit, Ordnung und Gefeglichleit, bie in ihr 


440 Berunaft 


twalten, ebenfo deutlich auf einen vernünftigen Urheber berfelben zurück. Auch ans der 
Natur fhöpft daher die Vernunft die Exrkenutnig Gottes. Und find die logiſchen Geiey 
und Normen gleichermaßen nur Ausfläffe der VBermmft und Bernumftbegabung tes 
Menfchen, fo müffen auch alle anderweitigen Beweiſe für das Dafeyn Gottes, die aut 
ihnen und mittelft ihrer geführt werden, al® Thaten der Vernunft, als durch fie ge⸗ 
wonnene Erkenntniſſe von Gottes Seyn und Wefen anerlannt werben. 

Allein diefe Vernunfterkenntniß Gottes ift überall eine bloß mittelbare: es be⸗ 
darf der Reflerion und Ueberlegung, ber Schlüffe und Folgerungen, um von den ange. 
führten Prämiffen ans zu der Ueberzengung zu gelangen, daß ein felbft vernänftiger und year 
abfolut vernünftiger (fittlicher — weiſer) Schöpfer des Menſchen und der Welt angenommen 
werden muſſe. Neben dem Gefühle des Sollens, das zum Bewußtſehn gebracht, als Genifien 
fich Außert und neben jenen aus derfelben Quelle ftammenden ethifchen Gefühlen (für des 
MWohre :c.), gibt es num aber noch ein fpegififch religidfes Gefühl, im melden dl 
Seyn und Weſen Gottes unmittelbar ſich kundgibt. Dieß Gefühl beruht m 
beſteht darin, daß die menſchliche Seele durch die ſchaffende, erhaltende und regierend 
Thatigkeit Oottes, welche ebenſoſehr der Menſchheit als der Natur und Welt gilı, 
unmittelbar afficict wird. Darum iſt es zunächſt und prinzipiell ein Gefühl der fhledt 
binnigen Abhängigkeit (Schleiermacher), entfprechend der abfoluten, Alles ſetzenden un 
beftimmenden Macht und Größe Gottes. Es iſt aber auch 2) zugleich eim Gefühl der 
Befensgleichheit des Menfchen, feiner göttlichen Ebenbildlichkeit, und damit eim Gerkkl 
feiner Würde, ein erhebendes und erhabenes Gefühl, entfprehend dem Weſen Hat 
als abfoluten Geiftes, Reflex feiner geiflinen Perfönlichkeit und damit feiner Verwend⸗ 
(haft mit dem Menfchen. Es iſt endlich 3) zugleich ein Gefühl des Sehnens und Streben 
zu Gott hin, nah Einigung mit Ihm, entfprechend der abfoluten (ethifchen wie phyfide) 
Volltommenheit des göttlichen Weſens, in welcher es zugleich die Quelle aller Glid 
feligkeit ift.*) Dieß complicirte Gefühl, das eben deshalb leicht falfch und einſein 
aufgefaßt wird, ift die legte primitive Duelle der religidfen Vorftellungen. Cs feit 
zwar, namentlich in feinem dritten Momente, in unmittelbarer Beziehung zum Gefühk 
des Sollens (Gewiffen) und damit zu den ethifchen Ideen; beide können fid, rät 
aufgefaßt, auch niemal® widerfprechen; dennoch find beide an ſich umd urſprünglich nd 
identifh. Denn das Gefühl des Sollens iſt an fid ein rein fubjektives Gefähl, ca 
Selbftgefühl des Menfchen, eine Affeltion der Seele durch ihre eigene Vehimmay; 
das religidfe Gefühl ift dagegen ein objeltives, ein Gefühl vom Seyn eimes Anden, 
eine Affeltion der Seele durch die unmittelbar auf fie und in ihr wirkende Thätigfe 
Gottes. Darum ift es nicht geflattet, das religibfe Gefühl ebenfalls mur als cam 
Ausflug der Bermmft oder Vernünftigkeit des Menſchen zu fallen. Denn die Bermal 
al8 Vermögen des Menfchen gehört feinem eigenen fubjeltiven Wefen an, iſt ein weſen⸗ 
liches Moment feiner menfhlichen Natur, feine Qualität, fein Beſitz; umd Alles, wein 
bon ihr aus erſtrebt und erforfcht, erkennt und wirkt, erringt er durch feine rigen 
Thätigkeit, durch die Bethätigung bdiefes feines Vermögens, durch die Art und Zar, 
wie er bdaffelbe anwendet. Das religidfe Gefühl dagegen und damit der Urjprusg de 
Religion beruht auf der Thätigkeit Gottes: es iſt nicht ummittelbar in und mit KB 
menfchlichen Weſen felber gegeben, es entſteht vielmehr erſt durd; ein Wirken tel 
in ihm, ein Wirken, das zwar im göttlichen Weſen, nicht aber im Weſen des Maiden 
gegründet if. Durch diefes Wirken gibt ſich Gott dem Menfchen fund; man kem d 
daher als offenbarende Thätigkeit Gottes bezeichnen, und das religidfe Gefühl iR de 
erſte Wirkung und zugleich, das Medium diefer offenbarenden Thätigfeit. Religion w⸗ 
Bernunft, fo in ihrem erflen Urfprung wie in ihrer Entwidelung und Bethätigen 1 
ſchieden, Können ſouach nicht als Eins und identifch gefaßt werben. 

®) Bergl. die näheren Ausführungen und Nachweifungen in meinen angeführten Eds 


über „Glaube und Wiſſen⸗ ©. 829 f.; „Leib und Geele; Grundzüge einer Piydolagit"* 
“einzig 1866. ©. 704 fi. | 


Beraunkt 441 


Demo find ſie amdererfeits fo eng ind innig verbunden und gehören fo um- 
mittelbar zufammen, daß jeder Verſuch fie zu trennen, nur als ein umbernnftiger Alt 
menfchlicher Willtur bezeichnet werben kann. Demm abgefehen bavon, daß ja die Ber- 
nunftbefählgung des Menſchen, die Zwedcbeſtimmung feines Daſeyns und bamit das 
Gefühl des Sollens, kurz alle ethifchen Elemente feines Wefene in und mit der Schöpfung 
des Menſchen vom Bott ſelbſt geſetzt find, hat ja das religidfe Gefühl im dem dritten 
Momente feines Begriffes ale Sehnen und Streben zu Gott zugleich eine ethiſche Be⸗ 
krtumg. Denn das Streben nad) dem Vollkommenen iſt ja zugleich ein Streben nadı 
volllommener Erkennmniß (Gottes) d. h. nach der Wahrheit, wie nad) volllommenem 
Wollen und Wirten d. b. nach dem Guten, wie nach vollfommener Auſchauung und 
Derfiellung des Wahren und Guten d. h. nad der Schönheit. Das alfo, was auf 
Seiten der Bermmft als Gefühl des Sollens und damit ale bloße Hindentung auf das 
Bahre, Gute und Schöne anfteitt, erfcheint auf Seiten ber Religion als Gefühl des 
Sehnens und Strebens nicht zwar nach dem Wahren, Guten und Schönen überhaupt, 
ſondern nach Gott als der perfonifieirten abfolnten Wahrheit, Güte und Schönheit; 
ober der Zielpuntt if} Einer und derfelbe. — Außerdem involviert das religidfe Gefühl 
keineswegs unmittelbar auch ſchon ein Erkennen und Wiſſen von Bott. Es ift vielmehr 
an fi nur eim zartes, leiſes Gefühl, dunkel und unbeſtimmt mie jebes Gefühl, un- 
mittelbar auch keinetwegs im Beſitze des Bewußtſeyns. Nur erſt wenn und nachdem 
et durch forgfältige Unterfcheidimg von anderen Gefühlen zum Benußtfeyn gebracht ifl, 
wird es zu jener erſten Kunde ımb Belundung vom Seyn und Weſen Gottes, welche 
bie Grundlage aller Religion und Neligiofität bildet. Und nur dadurch wiederum daß 
der Inhalt diefer Kunde, diefer Perception, vom Inhalt anderer Wahrnehmungen genau 
und forgfältig umterfchteden wird, gewinnt die Seele die erfte bewußte Borflellung vom 
Weſen Gottes. Über je zarter umd leifer das urfprüngliche Gefühl iſt und je leichter 
es baber von anderen heftigeren Gefühlen und Affekten überfchrieen und unterbrüdt 
tried, um fo ſchwieriger iſt die Unterfcheidung deſſelben von anderen Gefühlen, um fo 
mangelhafter, ungenaner ımd unbeflimmter wird die Auffaflung feines Inhalte ausfallen, 
um fo leichter alſo Jerthum und Tauſchung in die religidfen Borftellungen fich ein» 
mifhen. Gleichwohl darf das religidfe Gefühl an fi, urſprünglich, nicht wohl flärker 
umd entfchtedener fid) geltend machen. Der Grund dafür ift derfelbe, ans welchem das 
Gefühl des Gollens, der mittelbare Ausdrud des göttlichen Willens, fo ſchwach nnd 
leife aufteitt. Denn wie eine laute, energifche, mabweisbare Bekundung des göttlichen 
almächtigen Willens in der Seele felbft die Freiheit der Selbſtbeſtimmung beeinträdti- 
gen und damit die Gittlichleit aufheben würde, fo würde eine ummittelbare flarfe und 
entſchiedene Manifeſtation Gottes im religidfen Gefühl und damit ein ihr entſprechendes 
ſiarles und deeidirtes Abhängigkeitegefühl nothwendig bdiefelbe Wirkung haben. Die 
Freiheit fordert, wie die Möglichkeit des Sündigens, fo die Möglichkeit des Irene 
über Gottes Weſen umd Willen. 

Über eben weil die religiöfe Vorftellung und damit die Religion fo leicht dem 
Ferthum und Mißverſtändniß verfält, tritt ihr die Vernunft fördernd und helfend zur 
Seite. Auch fie iſt zwar keineswegs ficher vor Täufchungen und Allufionen, vor irriger 
Anffoffung umd falfchen Folgerungen. Aber weil fie am menfchlichen Wefen und am 
der Natur der Dinge, on der Belt ımd Weltgefchichte, gegebene fefte, unveränderbare 
Obiefte der Erkenntniß hat, welche als wefentlich diefelbigen Sahrtanfende hindurch der 
menfchlichen Forſchung vorliegen umd Stand halten, fo werden im Foriſchritte der 
geiftigen Entwidelung und Bildung die begangenen Irrthümer corrigirt, die falfchen 
Borftellungen befeitigt, die Wahrheit allgemach fchärfer und Flarer erfaßt werden. Dem- 
gemäß hat die Bernunft und Bernunftforfchung (die Philofophie) von jeher zur Religion 
md ihrem Inhalt eine doppelte Stellung eingenommen: fie ſteht ihr einerfeitS negen- 
über, indem fie ihren Inhalt Fritifiet und berichtigt; le ſteht ihr anderntheile zur Seite, 
indem fie ihre Wahrheiten ftägt, bewährt und bekräftigt. — Eben diefe” Stellung von 


4423 Beraunft 


Religion (Offenbarung) umd Vernunft neben und gegen einander if indeß, Weit ent 
fernt den Glauben an das Dafeyn Gottes zu gefährden, vielmehr nur ein neues Zeichen 
und Zeugniß für daſſelbe, weil ein neues Zeugniß der göttlichen Weisheit. Deun um 
unter den bdargelegten Bedingungen ift ein Fortſchritt in der Erkenntniß Gottes, in der 
ethifchen und intelleftuellen Bildung der Menſchheit möglich, ohne jene Freiheit dei 
Geiftes zu beeinträchtigen, melche die Grundlage des geifligen, fittlichen und religidſe 
Lebens der Menfchheit bildet. 

In diefen Ergebniffen unferer Exdrterung iſt zugleich das fo viel verhandelte mi 
beftrittene Berhältniß der Philofophie zur hrifllihen Theologie im 
plicite mit beftimmt. Jenen Bedingungen, die eben nur Ausflüffe und Vezeugungen 
der göttlihen Weisheit find, ift jede Offenbarung, welche Form fie auch amuchmen 
möge, untertvorfen. Keine kann mit fo zwingender Evidenz und (Entfchiedenheit anf. 
treten, daß Hein Zweifel an ihrem göttlichen Urſprung, ihrer Fafſung und VBedeutu 
auflonmen könnte. Denn feine darf die Freiheit der Selbftentfcheidung aufheben, weil 
nicht der Zwang der Autorität, wicht die Furcht vor der unentrinnbaren Macht, wicht 
die Angſt vor dreohender Strafe, fondern die freie Hingebung des ganzen Herzens, die 
Liebe, zur Einigung mit ©ott, zum Glauben und feiner Seligkeit führt. Keime Ian 
daher ihren Inhalt in fo leuchtender, überwältigender Klarheit anfftellen, daß fie zu 
Verſtändniß, zur Berdeutlihumg und Würdigung deſſelben der Vernunft micht bedkrfke 
Die Stellung, welche die alte Kirche, insbeſondere die patriftifche Theologie zur Phile 
fophie einnahm, flimmt denn auch mit den don um® gewonnenen Reſultaten jo genen 
überein, daß wir une anf fie flügen und berufen ditrfen. Sogleich einer bes ältehen 
Zeugen der nachapoflolifchen Zeit, Juſtinus Martyr, erklärt fidh fehr entſchieden y 
&unften der Philofophie, die er als den höchften Bells, ald das Gott Wohlgefäligk 
fhägt und empfiehlt, aber freilich nicht die zmwiefpältige Philoſophie der bamaligen 
philofophifcen Selten, die erftorbenen Sinnes und verdorrten Herzens um bie Sucdes 
bom Tiſche Plato's und Ariftoteles’ fich zauften, fondern „die Eine allgemeine Wiffeniheh‘, 
die „vom dem göttlichen, die Vernunft aller Menſchen durchdringenden Geiſte auögeh“, 
bon jenem „Adyog anepuarıxög , dem Samen und Duell aller Vernunft, der in Eirike 
geivefen nnd die Welt gebildet babe, nnd der ebenfofehr der Same aller Yrönmigiet 
wie aller wahren Erkenntniß fey. Im ähnlihem Sinne fpreden ſich Athemagorat, 
Theophilus von Antiochien, und Irenäns aus, der zuerft den bedeutfamen Ge 
danfen durchführte, daß die offenbarende Thätigleit Gottes in ihren verſchiedenen Staa 
nur die Erziehung der Menſchheit durch Gott zum Zwed habe. (Erziehung aber # 
nur Anleitung zum rechten Gebrauche der Treiheit und Vernunft). Zertullian, m 
gelegentlich den allerdings fehr unphilofophifch klingenden Ausſpruch that: oredibile est 
quia ineptum, philofophirt doch nicht nur felbft in kühnfter Weife und nimmt rebe 
der chriftfichen Tradition und ber göttlichen Eingebung noch eine dritte Erkeuntnißeuche 
an, welche ex die Natur in uns nennt und für identifch mit der Vernunft erflärt, few 
dern vertheidigt auch dem fehr vatiomaliftifch klingenden Say: suspecta lex est, quæ 
probari se non vult. — Nah Elemens von Alerandrien ift zur vollen deik 
lichen Erkennmniß auch „der wiflenfchaftliche Beweis“ der Glaubenslehren und bei 
das Studium der Philofophie und der griechifchen Wiflenfhaft erforderlich. — Utha⸗ 
nafin®, obwohl er der Philofophie die Fähigkeit das Wefen Gottes zu erkennen a 
fpricht, behauptet doch andererſeite, daß Gott die Kraft feines Logos vom Wnfeng 
dem Menſchen mitgetheilt habe und daß daher der gefallene Menſch mm in ſich bi 
einzulehren brauche, um das göttliche Ebenbild in fidh zu erfennen. — Gregor des 
Nyſſa, jemer hervorragende Lehrer der griechiſchen Kirche, warnt zwar dor dem Hek 
muth des philofophifchen wie des theologifchen Willens, findet indeß doch: wir ſoller 
forschen, ober nur im Bewußtſeyn unferer Geringfügigleit und nachdem wir wafet 
Seele gereinigt und gleichſam auf fich ſelbſt geftellt haben (uovodieas np warm 
dann würden wir auch die Welt erkennen als ein Gleichniß Gottes u. |. m. — 


Berunuit 443 
Angufinus endlih, der Lehrer Luther's, wicht nur der größte Kirchenbater, ſondern 
einer der größten Geiſter aller Zeiten, deſſen tieffinnigen Bedanlen wir durch alle Jahr⸗ 
hunderte hindurch bi® im die meueflen Zeiten begegnen, baflrt feine Theologie auf ein 
ſaſt vollkändig amtgeführte® philofophifches Syſtem, das von dem Sage ausgeht: die 
Fhilofophie habe es wur mit der Erkenniniß umferer Seele zu than; deun dieſe lehre 
uns nicht ur umnfere eigene Schwäche einfehen und unfer Bertrauen auf Gott ſehen, 
fondern auch Gott vermögen wir nur in umnferer Seele zu erklennen. Dazu ſey audı 
unfere Berumaft ſtark genug, wenn fie nur mit ber Liebe verbunden und durch Geties 
Hülfe von ihrem fittlichen Berderben, von Stolz und Hodmuth, geheilt ſey. Er ver⸗ 
zeichnet zuglei mit eindringender Schärfe die Srundlinien des Berhältuiffes zwiſchen 
Bernunft und Glauben, indem ex vom Glauben im weiteren Sinne die Definition gibt: 
credere nihil aliud est nisi cum sassensione oogitare (womit das Undenkbare aud) 
fir unglaublich erlärt if); und demgemäß weiter die Süße aufſtellt: non intelligetis 
nisi eredideritis, — credo ut intelligam, — nemo oredit nisi volens, — nullus 
oredit aliquid nisi prius oogitaverit esse oredendum; etiam oredere non posse- 
mus nisi rationales animas haberemus, und in Betreff des Autoritäteglanbens: 
neque auctoritatern ratio penitus deserit, cum oonsideratur cui sit oredemdum; — 
au der Autoritätoglaube alfo beruht wach ihm im Grunde auf der Vernunft, weil nur 
fie eutfcheiden fan, wen zu glauben feg, oder was baffelbe ift, weil nur berjenigen 
Autorität geglaubt werden darf, die mit Bug und Grund ale Autorität ompnjehen if. 
Uns diefen Unsfprüchen erhellet zur Evidenz, daß die patriſtiſche Theologie die 
Bernunft für des Organ der Auffafſung und Venriheiluug ber geofjenbarten trabitiowell 
überlieferten Wahrheit eradhtete, und daß fie demgemäß der Philofophie, ohne deren 
Selbſtandigkeit anzutaſten, die Unfgabe flellte, das richtige Verftändzig der Offenbarung 
in vermitteln, ihre Wahrheit zu vertheidigen, zu rechtfertigen, zu begründen. Die 
Kichenichre des Mittelalters änderte im Allgemeinen nichts an diefer Faſſung des Ver⸗ 
hältuiffes. Die größten Theologen des Mittelalters waren zugleich die geöfften Philos 
ſophen; die Häupter uud VBollender der Scholaftil, ein Albertus Magnus, Thomas 
von Aquino, Duns Gcotus, waren zugleich die Begrümder der latholifcdyen Kirchenlehre, 
bie erſten theologiſchen Autoritäten, die bei Pabſt und Klerus, in der ganzen Chriften- 
beit im höchſten Unfehen flanden. Erſt als man in hierardhifcher Tendenz feit dem 
fünfzehnten Jahrhundert begann, die Bhilofophie, flatt fie wie bisher als Gehülfin der 
Theologie zu achten und zu ehren, vielmehr vom theologifchen Gebiete gang auszu⸗ 
(hließen, indem man ihr alle Fähigkeit zur Erkenuinißz Gottes abſprach, um fie der 
Theologie allein zu vindiciren, änderte fich die bisherige Stellung beider. Die Phile- 
fophie ſchied ſich nothgedrungen vom der Theologie ab, und warf fich mit berboppeltem 
Eifer auf die Erforfchung der Natur und des natürlichen Menſchen. Und erfi als man 
einen Galilei zum Widerruf wiſſenſchaftlich feftgeftellter Wahrheit zwang und Männer 
wie Giordano Bruno u. U. zum Scheiterhanfen verdammte, reagirte die Freiheit des 
Geiſte, vom der er fo wenig im Denken umd Forſchen tvie im Glauben und Wellen 
Ioffen kann ohne fich ſelbſt aufzugeben, gegen die Kuechtfchaft des Buchftabens und bie 
Vergewaltigung durch Fener und Schwert. Erſt von da ab trat die andere Seite im 
verhaltniß von Theologie und PBhilofophie hervor: das harmonifche Mit. und Neben- 
einander Löfte ſich auf in eim gleichgültiges, nicht felten feindliches Geg emeinander. 
Diefer Bruch ziotfhen Theologie und Philoſophie if allerdings moglich: feine 
Möglichkeit liegt in der felbfländigen Stellung umd der daraus fließenden felbfändigen 
Euttnidelung, die beiden zulommt, und er wird bemgemäß thatfächlich eintreten, wo in- 
folge diefer beiderfeitigen Entwidelung die philofophifche Forſchung zu Refultaten ges 
laugt, die mit den Satzungen der Kixche md den Ergebniſſen der Theologie in Biden 
ſpruch Reben. Über der Bruch if} keineswegs nothiwendig; ja iR die Offenbarung, 
welche die Theologie vorausfegt, in Wahrheit eine göttliche Offenbarung, fo iſt 
nach dem wahren urfprünglidden Verhältnig von Religion und Vernunft der Bruch, im 





444 Beruuuft 


Grunde unmöglich, und Tann daher nur die Folge einer falfchen, einfeitigem Auffafiung 
der Offenbarung oder einer falfchen ungenügenden Röfung der der Bhilofophie und Theologie 
geftellten Aufgabe feyn. Denn ift die Philofophie ihrem Weſen nad) zu faflen und im 
Grunde ſtets gefaßt worden al® die wifſenſchaftliche Sichtung, Verarbeitung und Korn 
lirung (Suflematifirung) der menſchlichen VBernunfterfenntnig und fomit als die freie 
toiffenfchaftliche Forſchung, welche die Quellen aller Erfenntuiß der Wahrheit, woher fie 
auch fließen mögen, aufzuſuchen und den gefammten Inhalt menfchlicher Erkenntniß wille- 
fchaftlich zu ergründen, zu fichten, zu ordnen und abzufchließen hat, fo ift es keineswegs 
ihe Beruf, den Glauben zu befämpfen, zu negiven, zu abforbiren — denn ber Glaube if 
ebenfall® eine Form der Erkenntnig, — fondern zunähft Glauben und Willen zu mut, 
fcheiden, abzugränzen und jedem fein Gebiet anzumeifen, ſodann aber bie Beziehungen 
und VBindeftriche zioifchen beiden darzulegen. Dabei kann ſich der unbefangenen, wahr 
haft wiffenfhaftlihen Forſchung uur ergeben und hat fidy im Grunde flets gezeigt, bei 
die Sphäre des exalten firengen Wiffens im mathematifchen Sinne des Worts ein 
änßerft befchräntte ift, daß ein großer und gerade der wichtigſte Theil felbft der natur 
wiflenfchaftlihen Erleuntniß infofern in das Gebiet des Glanbeno fällt, als er de 
vollen zivingenden Evidenz entbehrt und auf einem Ermägen von Gründen und Gegen 
gründen, von Borausfegungen, Ergänzungen und Hypotheſen beruht, für das es feim 
Waagſchale gibt, deffen Refultat alfo undermeidlih von Begabung, Richtung und Ge 
finnung, Geiſt umd Karalter, kurz von der Subjeltivität de8 Erwägenden beeisfluit 
und bedingt iſt; — daß insbefondere die Philofophie in den hofltiven Reſultaten ihre 
über die Ergebniſſe der exakten Wiflenfchaften hinansgehenden Forſchung, im Gebiet 
der Vernmafterfenntniß im engern Sim, nicht auf den Titel exakten firengen Wifiend 
Anſpruch machen Tann, daß fie vielmehr ebenfalls jenem aus der forgfältigen wife 
ſchaftlichen (objektiven) Erwägung von Gründen und ©egengründen entjpringenden 
und imfofern wiffenfhaftlich zu nemnenden Glauben angehört; und daß dieſe 
ganze Sphäre des wiffenfhaftlichen Glaubens wiederum in das Gebiet der rein per 
fönlichen (fubjeltiven) Meberzeugung ſich verliert, weil an vielen Puukten derjelben die 
Beftimmtheit und Objektivität der zu erwägenden Gründe und Gegeugründe bdergefielt 
ſchwindet, daß das Refultat ganz und allein vom Geiſt und SKaralter des ermägende 
Subjelte abhängt. 

Hier im Gebiete der perfönlichen Ueberzeugung hat an ſich der religidfe Gcak 
feine Stätte. Aber da beide Gebiete fo nahe ſich berühren, daß ſich feine feſte Gray 
zwiſchen ihnen ziehen läßt, fo kommt es auf den Inhalt des religibfen Glaubent az, 
ob und wie weit er fich objeftio begründen und damit zum wiffenfhaftliden 
Glauben erheben Laflen wird. Der Inhalt deſſelben — das beweiſen z. B. die dar 
fchiedenen Formen, in denen das Heidenthum ſich darſtellt, — kann in ſich feld fe 
halt- und zufammenhaltlos, fo unklar, ausfchweifend, phantaftifch ſeyn, daß er der bloßen 
individuellen Meinung, ja der bloßen Einbildung gnleichfieht, die wir mit Recdht a 
Aberglauben bezeichnen, wo fie wiffenfchaftlich feftgeftelten Thatſachen widerfpride. E 
fann aber and fo wohl zufommenhängen und in feinen Grundlagen und Motiven fo weil 
begründet oder doch der Begründung fähig fenn, daß er zum wiffenfchaftlides 
Glauben ſich qualifiziert, und daß auch derjenige Theil deffelben, der einer twiffenfcaft 
lichen Begründung nicht fähtg if, doch anf Anerkennung Seitens der WBifjenfdefl 
(Bhilofophie) Anſpruch hat, weil er eine die wahre fittlihe Bildung der Menſchheit wm! 
damit die Wifienfchaft felbft fördernde Ergänzung des Willens und wiffenfcyoftlihen 
Slauben® darbietet. Als ein folder Glaube hat ſich das Chriſtenthum — trag ale 
Jerthums und Aberglaubens, Yanatisuns und Gewiſſenszwangs, der ihm im Lanf der 
Zeit beigemifcht worden — feit 1800 Jahren bewährt. Und fomit hat die Philoſophie 
weder ihrem eigenen Weſen noch dem Weſen der Religion und des Chriftenthums pe 
mäß ein Intereſſe, der chriftlihen Theologie feindlich entgegenzutreten: fo emtichiet 
fie auch ihre Freiheit und Selbſtändigkeit und damit das Recht fich zu wahren hat, md 


Beruuuit 445 


dab Chriſtenthum in den Kreis ihrer Forſchung hineinzuziehen, fo wenig iſt doch das 
Reſultat dieſer Forſchung nothwendig ein nur negatives; — im Gegentheil, je mehr es 
der Theologie gelingt, ihre Vorausſetzung der goͤttlichen Offenbarung in Chriſto auch 
wifienichaftlich zu erhärten, um fo mehr wird die Bhilofophie bereit feyn, ihre Ueberein⸗ 
ſtinmung mit ihr anzuerlennen und zu bewähren. 

Eben diefe Uebereinſtimmung zu erringen, ift andererfeits offenbar die wiſſenſchaft⸗ 
liche Aufgabe der Theologie. Denn es if klar: wenn die Theologie auf den Namen 
ver Wiſſenſchaft Auſpruch macht, fo hat fie nicht nur den gegebenen Stoff der 
b. Schrift nach wiffenfchaftlicher Methode zu bearbeiten, zu fichten, zu verfnüpfen umd gu 
onen (ſyſtematiſiren), fondern auch die zunächft nur gläubig überlieferte und ange- 
nommene Thatfache der göttlichen Offenbarung wie den Inhalt der enangelifchen Ge⸗ 
ſchichte wiſſen ſchaftlich zu rechtfertigen. Und das wird fie nur vermögen, wenn 
6 ihr gelingt, den au fi nur zeligidfen im ber fubjeltiven Ueberzeugung ruhenden 
Banden zn einem wiffenfhaftligen Glauben zu erheben, der als ſolcher zwar 
immer nur Glanben bleibt, aber in foweit ein Hecht auf wifienfchaftliche Anerlennung 
hat, als ex im oben angegebenen Sinn auf eine objektive wiflenfchaftliche Erwägung von 
Gründen und Begengründen ſich baſirt. Das Organ diefer wiflenfchaftlichen Thätigfeit 
der Theologie kann nur daſſelbe feyn, das jeder Wiſſenſchaft und insbefondere der 
Fhilofophie dient und im Grunde micht bloß Mittel, fondern Kraft und Quelle aller 
Biffenfhoft if, — die Vernunft, die, wie gezeigt, als Erlenntnißvermbgen wit dem 
Vahrheitsfinn und der Wahrbeitsliche, mit ber Tähigleit und mit dem Streben nad) 
Elenntuiß der Wahrheit in Eins zufommenfält. Sonach aber ift die Theologie mit 
der Bhilofophie wicht nur organifc verbunden und philofophiet innerhalb ihres Gebietes 
felber, fondern auch ihre Ziel iſt im Grunde Eines und baffelbe, da, wie gezeigt, auch 
die Bhilofophie nothiwendig zu dem Sage kommt, daß alle Erkenntniß der Wahrheit 
(de$ Grundes und Zweckes der Dinge) in Bott ruhe und aus Gott flanıme. ben 
darum aber Tanz fie ihr Ziel nicht erreichen, wenn und fo lange fie mit ben Ergeb⸗ 
niflen der freien wiffenfchaftlihen Forſchung, insbefondere mit dem gewonnenen Biffen 
im engeren Sinne des Worte, mit den Refultaten der eralten Wiſſenſchaft im 
Widerſpruch fi findet. Denn im Weſen und Begriff des wiflenfchaftlichen Glaubens 
liegt e8, daß ex um fo mehr am wiflenfchaftlicher Kraft und Bedeutung getvinnt, je 
mehr fein Inhalt mit den Sägen exakter Wiſſenſchaft übereinflimmt, daß er twiflen- 
Ihaftlih unhaltbar wird, fo bald ein unlösbarer Widerſpruch ihn vom exalten Willen 
Iheidet: der zwingenden mathematifchen Gvidenz des legteren gegenüber hat das Hell» 
danfel des twiflenfchaftlihen Glaubens eine wifienfchaftliche Berechtigung. Wo ein 
ſolcher Widerfpruch hervortritt, muß daher die Theologie, wenn fie als Wiſſenſchaft 
fi behaupten will, ihre Auffaflung der Offenbarung nothwendig revidiren und zu bes 
richtigen fuchen; fie muß es, weil eim folder Widerfpruc ein ſicheres Zeichen If, daß 
im die biblifche oder kirchliche Auffafſung und Darfielung der geoffenbarten Wahrheit 
Rh ein Irrthum oder Mifverfländniß eingefchlichen haben muß. Denn fo gewiß bie 
Natur im weiteren Sinne und insbefondere die menſchliche Natur als göttliche Schöpfung 
die exfle primitive Offenbarung Gottes ift und bleibt, fo gewiß kann feine folgende 
Offenbarung mit dieſer erſten in Widerfpruch fichen. 

Die proteflantifche Theologie insbefondere lann und darf ſich ſolcher Revifionen 
und Berichtigungen, felbfl der Satzungen der evangelifchen Kirche, wicht entziehen. “Denn 
die evangelifche Kirche darf und kaun nur mit geiftlihen Waffen kämpfen und flegen 
wollen, nicht bloß weil ihr thatfächlich keine anderen zu Gebote fiehen, fondern weil fie 
in ihrem materiellen und formalen Prinzipe alle Beherrſchung der Gewiſſen durch äußere 
Mittel, duch hierarchiſche Bevormundung, durch einen lebendigen wie durd) einem 
bapierenen Pabſt, prinzipiell verworfen, eben damit aber die Freiheit wifien- ® 
ſchaftlicher Forſchung, das Recht der Kritik prinzipiell anerfaunt hat. Für fle alfe 
gilt vorzugsmweife dee Sag Tertullian’s: suspecta lax est quae probari se non vult. 


446 Verſohnungstag 


Ste kann daher auch ihre Herrſchaft nur behaupten, erweitern, und imo ſie ſie verloren 
hat, wieder gewinnen, wenn fie alle geiſtigen Kräfte, auch den Geiſt freier Forſchunz 
und firenger Kritil, für ihren Dienft zu gewinnen weiß, Sie bermag im&befondere dem 
theils fleptifchen, theils materialiftiichen Zuge unferer Zeit gegenüber eine fegendreide 
Wirkſamkeit nur zu üben, wenn es ihrer Theologie gelingt, den weſentlichen Inhalt des 
Chriftenthums gegen die Angriffe feiner Widerfacher wiſſenſchaftlich zu vertheidigen 
Die Wpologetit iſt die wiſſenſchaftliche Bafis der Theologie; nur wenn und ſoweit Re 
in diefem Kampfe den Steg davon trägt, nur wenn umd foweit es ihr gelingt, dem drifl- 
lichen Glauben mit der Wiffenfchaft, der Kunft, den foztalen und politifchen Ideen in 
innige Beziehung zu ſetzen, kann die Theologie fidh als Wifienfchaft behaupten und ver 
mog das Chriftenthum das geiflige Leben der Zeit zu leiten umd zu heben. m ter 
Apologetik aber fteht die Theologie mothgedrungen auf dem gleichen Boden mit ber 
Philofophie: fie bedarf nicht nur der leßteren, fondern fie muß felbft ernft und firmg, 
frei und unbefangen philofophiren, wenn fle ihre Aufgabe Iöfen will. Es ift das Marke 
Zeugniß für die hohe Würde und tiefe Bedeutung des Chriftenthums, daß es nicht am 
eine iwifienfchaftliche Theologie ans ſich erzeugt hat, fondern auch die freie philofophifde 
Forſchung herausfordert und nur im Einklange mit der Wifienfchaft feinen erhabenn 
Beruf erfüllen kann. . Niki, 

Verföhnungstag, area ern, im Talmub an", d. h. der Tag x. &.— 
Die gefeglichen Beflimmungen über denfelben find enthalten in 3Mof. 16, 1—34. 33, 
26— 32. 4Mof. 29,7—11. Die traditionellen Satungen gibt der tafanıdifche Trocat 
Joma, deſſen Mifchnatert befonders herausgegeben ift von Sheringham (wer m 
Jahre 1648) mit Erläuterungen, die auch in die Surenhus’fche Ausgabe der Miſqha⸗ 
aufgenommen find. Die Thofaphta zum Tr. Joma ift abgebrudt in Ugolini the. 
antiq. sacr. vol. XVIII, ©. 153 ff.; ebendafelbft die jerufalem. Gemara dazu. Des 
das Ritual des Verföhnungstages betreffenden Abfchnitt aus Maimonides hand 
hachazaka gibt Überfegt Deligfh im Commentar zum Hebräerbrief S. 749 fi. 
been And zu vergleihen: Lightfoot, ministerium templi, Cap. 15. (opp. vol. L 

. 744 f.); Lund, judiſche Heiligthümer, ©. 1027 ff.; Carpzov, appar. anti 
s. Ba S. 433 ff.; J. A. Danz, functio pontif. M. in adyto anniversaris, 3 
Meufchen’s Nov. ar ex Talm. illustr. ©. 912 ff.; Bähr, Symbolik des we. 
Sultus, Bd. II. S. 664 fi; Winer, bibl. Realwoͤrterbuch, u. d. W.; Hengfler- 
berg, die Bücher Mofe's und Aegypten, S. 146 ff.; Keil, bibl. Archäologie, Bi.L 
©. 400 ff.; Kurg, der altteftamentl. Opfercultus, ©. 335 ff. u. f. w. 

Un dem Berföhnungstage, der am 10. Zage des flebenten Monats zu begehe 
war, wurde der hoͤchſte unter den im mofaifchen Cultus verorbneten Expiationsakten vol 
zogen, die Sühnung nicht nur des Bolles, fondern auch des Heiligthums, weil dieel 
durch die Sünden des Bolkes, in deſſen Mitte es ſich befand, fortwährend verumzeinigl 


wurde. Und zivar bezog fich diefe Sühnung nah 3 Moſ. 16, 16. 21. 30. 3. 
alle Sünden des Volkes. Es ſtimmt nicht zu dieſen Stellen, wenn man (fo Blei 


zu Hebr. 5, 2; Keil, Archäol. I, 404 und im Comment. zu 3 Mof. Kap. 16.) die 
Sühne des BVerföhnungstages bloß auf diejenigen Sünden und Bersmreinigunge be⸗ 
ſchraͤnkt, welche trog der pünftlichften Befolgung der die Opfer und Reinigungen beirtl: 
fenden Geſetze noch unerkannt und ungefühnt geblieben waren. Bielmehr geht nad den 
Wortlaut der angeführten Stellen die Abziwedung diefes Sühnaltes auf bie Gefemmt- 
beit der Siinden des Volkes, alſo auch auf diejenigen, welche bereit® durch andere Al 
gefühnt waren. Iſt es doch den moſaiſchen Cultusordnungen eigenthämlidh, daß die 
Häufung der Sühnmittel dazu dienen muß, die Unzulänglichleit derfelben zum Benufl 
feyn zu dringen (vgl. das Bd. VI. ©. 199 Bemerkte). Würde es fi am Berſo⸗ 
nungstage bloß um die Sühne der noch nicht durch beſondere Opfer und Luficatissen 
gefühnten Sünden und Verunreinigungen handeln, fo twäre dieſer Defelt bereit6 Ka 
die an jedem Neumond nach 4 Moſ. 28, 15. darzubringenden Sundopfer ansgeplihe. 





Derföhunngtteg 47 


Merdinge ergänst der Sühnalt des Verſohnungstages die im Laufe des vergangenen 
Iehreß vorausgegangenen Sündopfer, aber im anderer Welle. Es Tiegt ihm, wie Rurg 
(S. 385) richtig fagt, die Voransfegung zu Grunde, daß die Sihnung, die der Borhof 
bietet, ungmeichend iſt. Deßwegen wird hier eine Sääunng in höherer Potenz ge- 
boten, indem das Blut an bas hödfte Symbol und Behitel der Einwohmmg Gottes 
unter feinem Wolfe, alfo Gott zur Aneignung fo nahe wie möglich gebradit wird. — 
Ach in Bezug auf die Beſchaffenheit der Gümden fcheint nach obigen Stellen 
fine Befchräufung der Sühne flattzufinden. Während die gewöhnlichen Säiubopfer nadı 
3Moſ. 4, 2. u. f. w. auf die „in Berierung“ begangenen Shuben ſich beziehen (j. 
&. X. S. 642), gebraucht das Geſetz des Berfühnumgstages von den am biefem zu 
fühnenden Siümben die allgemeinfien Ausbrkde (neben natırı noch Tıy und Yon); umb 
es wid augenfäheinlich auch durch die Häufung derfelben (jo befonders US. 21.: „alle 
Berfhyuldungen der Söime Ifrael's und alle ihre Miſſethaten nach allen ihren Sünden“) 
die Ansnahemslofigleit der Sühne ausſprechen. Im dieſen Sime hat auch bie jä- 
diſche Tradition die Sache verfiauden. Und bo ergibt ſich eine wefentliche Einſchrän⸗ 
krag aus dem Zuſaunnenhange der mofaifchen Geſetzgebung. IM es nümlicd denkbar, 
deß für dem, der im Laufe des Yahres „mit hoher Hand" (4 Mof. 15, 30), d. h. im 
offener Empörung am Geſetz gefrevelt hat, aber der darauf geſetzten Strafe entgangen 
it, num durch das Opfer bes Verföhnungstages Vergebung erwirkt werde? Über, um 
beifpielsweife eimen befonderen Yall hervorzuheben, darf angenommen werden, daß, wenn 
die nach 4 Meſ. 35, 33. 5 Mof. 19, 13. für ben Mord verordnete Straffühne unvoll⸗ 
zogen blieb, dafür der Sübualt des Verföhnumgstages compenfirend eingetreten täre? 
Ohne Zweifel find diefe Fragen unbedingt zu verneinen. Uber das Geſetz über ben 
Berföhnungstag hat wicht nbthig, derartige Ausnahmen ausdrüdlich hervorzuheben und 
dich cafuiftifche Beſtimmungen, wie fie das fpätere Judenthum aufgeflellt Hat, fich zu 
den fixafrechtlichen Orduungen der Theokratie in Beziehung zu ſetzen, weil es eben als 
jelbfivesfländlich vorausfet, daß nach jenen gehandelt worden ift, und demmad jede 
frevelhafte Uuflehnung wider die Bundesorduung ihre gebührende Ahndung durch Aus 
rottung des Schuldigen gefunden hat. Das Beleg 3Mof. Kap. 16. bezieht fidy über- 
hanpt zumächft auf die Gemeinde im Ganzen (BB. 33. biapıı ny =>), die durch 
diefen At alles defien, was in ihrem Schooße gefündigt worden, fich ſchuldig bekennt, 
aber, indem fie bußfertig die göttliche Wergebung fucht, dartkut, daß fie nicht in grund⸗ 
ſaͤtzlicher Empörung gegen ihren Bott gefündigt hat, fondern am Bunde mit ihm feſt⸗ 
subolten entfchlofien if. Der fo Bott nahenden Gemeinde foll durch die für fie dar 
gebrachte Sühne der Gnadenſtand ernenert umd diefe Erneuerung dadurch beflätigt wer⸗ 
den, daß ihr durch bie gleichzeitige Sühnung ber Priefterfhaft und des Heiligthums 
die Fortdamer einer vor Gott gültigen Vertretung und die Fortdauer der Einwohnrung 
Gottes in ihrer Mitte verbürgt wird. Auch jeder einzelne Ifraelite hat diefe Verföh- 
nungsgnade amf ſich zu beziehen, fofern ex wirklich Mitglied diefer Gottes Gnade fu- 
Hemden Gemeinde ift und bie in der 3 Moſ. 16, 31. 33, 27 f. vorgefchriebenen, feine 
Önßfertigfeit beurtundenden Weiſe bethätigt ; wogegen für ben, der durch bbe⸗ 
williges Gegen der Sünde fi vom Bunde Iokfagt, feine Opferfühne gilt (vergl 
16m. 3, 14). Hiernach find die Ausfagen 8 Moſ. 16, 16. 21. 30. mit Hebr. 9, 7. 
5, 2. in Einflang zu bringen. Wenn der Hebräerbrief den Alt des Berföhnungstoges 
bloß auf die ayvoruara des Boltes bezieht, fo fchließt diefer Ausdruck nicht etwa jede 
ut Bewußtſetjn begangene Sünde von der Sähne aus, fondern er bildet den Degeufag 
gegen dasjenige Sündigen, bei dem es, wie die nachfolgende Unbußfertigleit beweiſt, 
auf Bundesbruch obgefehen if. 

Bas die Zeit des Feſtes betrifft, fo if die Verlegung befielben auf den 10ten 
bes fiebenten Monats theils ans der Bedeutung des letzteren, theils im Beſondern aus 
der Beziehung zu erlären, in welcher der Berföhmumgstag zu dem vom Idten deſſelben 
Monats an zu feiernden Lanbhüttenfeft ſteht. Der fiebente Monat ſchließt die feſtliche 


448 Berföhunngöteg 


Hälfte des mofaifchen Jahres; ex hat als heilige Schlußzeit diefelbe Stellung unter den 
Monaten, wie der Wochenfabbath unter den Tagen. In diefen Monat fällt zagleiqh 
dee Schluß des dlonomifchen Jahres, nad) welchem ſich die Ordnung der Sabbath; 
und Yobeljahre richtet (vgl. über den in den Herbft fallenden Jahreswechſel das Vd. IV. 
©. 387 Bemertte). Hinfichtlich des Yobeljahres ift 3Mof. 25, 9. amsdrädiih ver: 
ordnet, daß es am Berfühnungstage durch das ganze Land angekündigt werden fol, 
Wenn nun überhaupt jede Schlußzeit als folche dem Menfchen die Mahnung nahe kegt, 
die Störungen des Lebens auszugleichen, welche der zu Ende gehende Zeitlanf mit fid 
gebracht hat, fo kommt hinzu, daß das Laubhüttenfeſt, die hoͤchſte, den Feſtcylins ab» 
fließende Freudenfeier des Jahres, angemefien eingeleitet wird durch bie Wufhebung 
alles deffen, wodurd; Ifrael in dem verflofienen Jahre fein Verhältniß zu feinem Bot 
geträbt hat. Denn nur ein mit Gott verjühntes Volt hat das Recht, ſich des: Segen 
zu freuen, mit dem Gott da® Jahr gefrönt hat. „Quae enim enset terrae ot proven- 
ventuum consecratio a populo profano peracta, h. e. communis vitae labe polluto 
nisi antea lustratus et expiatus se denuo sacraverit?” (Hupfeld, de primitin ed 
vera fostorum ap. Hebraeos ratione, part. II. p. 12). Man vergleicdye dagegen dat 
drohend in den Jubel des abtrünnigen Volks über den Ernteſegen hineinfchallende Pr» 
pbetenwort Hof. 9, 1 fi. — ÜBefonders aber fordert das Jobeljahr, das Jahr de 
Gnade, das eine Erneuerung der Theofratie bringen fol, daß zuvor jeder anf der 
Volke laftende Schuldbann gefühnt ſey. Eben diefe Veziehung, in welcher der Ba 
ſohnungstag zum Jobeljahre fteht, zeigt, daß man die Bedeutung deſſelben nicht auf ie 
einer Borfeier des Laubhüttenfeftes befchränten darf. WBollends ihn mit der auf da 
10ten des Rifan fallenden Vorbereitung des Paflahfeftes (2 Mof. 12,3), die gar ken 
feftlichen Karafter bat, zufammenzuftellen, verbietet der hohe Rang, der ibm win 
ben mofatfchen Feſten zulommt. Ueber den Grund, warum das Feſt gerade am 10ta 
des Monats gefeiert werden fol, ift im Geſetz nichts angedeutet. Die vabbinifdes 
Träumereien hierüber (weil Adam am 10ten Zifri gefündigt und Buße gethan halt, 
oder weil Abraham an diefem Tage befchnitten worden fey, oder weil am dieſem Top 
Moſes dom Berge gelommen und die Berfündigung mit dem goldenen Kalbe geführt 
und dergl.) f. bei Carpzov ©. 433; Philo (de septen. II, 297) weiß auf die 
Bedeutung der Zehnzahl ale Zahl der Volltommenheit hin, was er dann im feiner Weiſ 
auf den ethifchen Werth des für den Tag verordneten Faſtens bezieht. Nach Bil: 
(S. 673) wird durch die Zehnzahl der Berföhnungstag als der umfaffendfle, volfm: 
menfte Tag bezeichnet; ähnlid Kurg (S. 336). Es fragt ſich aber, ob das Detm 
des Tages nicht rückwärts weifende Bedeutung hat, und durch baffelbe Die erfle Dein 
des Sabbathmonats als eine Zeit bußfertiger Selbfleinlehr bezeichnet werden fol; wi 
denn das fpätere Iudenthum die Tage vom 1ften bis zum 10ten Tifri für VBuftagt 
ertlärt hat. 

Der Berföhnungstag hat einen höheren Rang als die fabbathlihen Tage der ih 
gen Jahresfeſte. Er ift YınaW naW, mie der Wocenfabbath, und es if deshalb jet 
Arbeit an ihm fireng unterfagt; 8 Moſ. 16, 31. 23, 28 (vgl. Bd. IV. S. 386). dw | 
den Wochenfabbathen aber unterfcheidet ihn das für feine ganze Dauer, vom Abe 
des 9ten bis zum Abend des 1Oten, und zivar bei Strafe der Ausrottung geboten: do 
flen (16, 29—31. 23, 27.29). Diefes, da6 we) nı:y, fol Ausdruck des Leibe Abe 
die Sünde ſeyn. Den Ernſt der Feier zum Bewußtſeyn zu bringen, war diefes Geht 
umfomehr geeignet, da das moſaiſche Gefeg außerdem lein Faſten anorbnet. De 24 | 
erhielt daher den Namen 7 rs vrorelag nulgo (Jos. Ant. XIV, 4. 3), 9 vnorus 
&oorn (Phil. de septen. II, 296) oder kurz 7 vrorein (Apgeſch. 27, 9), bei ben Rab: 
binen, zum Unterfchied don anderen fpäter aufgefommenen afttagen, aan iz, BI 
große Faflen. Gefucht ift es, wenn Philo am der angeführten Stelle dos Faſten m 
gleich, in Beziehung zu der vollendeten Einſammlung des Erutefegens fegt. Es Ich, 
meint ex, zum Zengniß dafür dienen, daß das Boll, fo gern es die Oaben der Koist 











Berlöhunngstag 449 


bingenommen habe, doch den Grund feines Beſtandes nicht in etwas Bergänglichem, 
fondern nur in feinem Gotte fuche, der, wie er die Väter in der Wüſte erhielt, fo fein 
Bolt durch diefe Gaben und ohne diefelben zu ernähren im Stande ſey (vergl. 5 Mof. 
Rob. 8. B. 3). 

Die Berföhnung, die vollzogen wird, ift eine zweifache, zuerft die des Hohenpries 
has und feine® Hauſes (morunter, wie ans Vs. 33, erhellt, die Priefterfchaft zu ver- 
fehen ift, die auch noch fpäter, Pf. 115, 10. 118, 3. 135, 19. das Haus Aarous 
heißt), fodann die der Gemeinde. Die Verführung des Hohenpriefters muß voran 
gehen, weil zuerft der Mittler zubereitet ſeyn muß, der Gott nahen darf, um den Dienfl 
der Berföhnung für die Gemeinde auszurichten; zugleich ſoll dadurch, wie bereits bes 
met worden ifl, dee Gemeinde überhaupt die priefterliche Vertretung, ohne welche fie 
nicht befiehen Tann (f. Bd. XIL ©. 174), auf's Neue gefihert werden. Mit beiden 
Berjöhuungsalten verfnüpft fi die Sühnung des Heiligthums, „das bei ihnen wohnt 
inmitten ihrer Verunreinigungen“ (Vo. 16.), und demnach felbft fortwährend verunrei⸗ 
uigt wird. Ein befonderes Opfer wird für den letzteren Zweck nicht exfordert, weil bie 
ar dem Heiligthum haftende Unreinigkeit von der Schuld des Prieſterſtandes und des 
Boltes nicht verfchieden iſt. 

Das Ritual des Zages if nach 3Mof. Kap. 16. folgendes. Zur Vorbereitung 
auf feine Yunktion foll der Hohepriefter nad, Vo. 4. fih am ganzen Leibe baden (nicht 
bloß, wie bei'm gewöhnlichen Opferdienfte, Hände und Füße wachen), fodann die für 
die Sühnfunktionen des Tages eigens vorgefchriebene Kleidung anziehen, die ganz aus 
weißer Leinwand (72) verfertigt war und aus Leibrod, Hüftlleid, Gürtel und Kopfbinde 
(new) befland. Bei diefer Kleidung wird die Schmudlofigfeit, wodurch fie von der 
fonfligen Amtstracht des Hohenprieftere ſich unterfchied, allerdings auch in Betracht 
tommen. Der Hohepriefter foll bei den expiatorifhen Funktionen dieſes Tags, wie 
Hofmann (Weiffagung und Erfüllung, J. S. 148) richtig bemerit, nicht dem Bolt 
in der Pracht des Betrauten Jehoda's, fondern vor Jehova in der ſchlichten Reinheit 
ſeines gottgeordueten Amtes erjcheinen. Darin iſt aber noch wicht mit Kurt (5.338) 
eine Reduktion anf die Kleidung der gemeinen Priefter, und noch iveniger (nad) der bon 
Knobel z. d. St. ernenerten Anfict) eine Büßertracht zu fehen. Die erſte Anſicht, 
wonach der Hohepriefter an dieſem Tage nicht als Oberſter der Priefterfchaft, ſondern 
nme als der für diefen Tag beftellte Priefter funktionixen fol, flieht im Widerſpruch 
mit der hohen Bedeutung des vorzunehmenden Interceſſionsaktes, ber eben denjenigen 
Mann erfordert, deflen Dignität der des ganzen Volles gleichlommt (ſ. Bd. VL ©. 199), 
md in dem alle Vollmacht des Prieflertbums ruht (ſ. ebendaf. S. 203); wozu noch 
kommt, daß der Gürtel der gewöhnlichen Priefler nicht ganz weiß war und daß die ges 
wöhnlichen Priefler nicht die ne3xn, fondern die ya als Kopfbebedung trugen. 
Der zweiten Auficht aber hat Keil mit Recht entgegengehalten, wo in aller Welt denn 
glänzend weiße Kleider bei Trauer oder als Bußgewänder geiragen werden. Die 
hauptfächliche Bebentung der für diefen Tag beſtimmten Amtekleidung liegt darin, oh 
fe Ausdruck der hochſten Reinheit fenn ſoll, weßhalb das Anziehen derſelben in 
Be. 4. in unmittelbaren Zuſammenhang mit dem Baden gebracht wird. Der Hohe⸗ 
riefen trägt die weißen linnenen Gewänder an dem Tage, an dem er das Allerhei- 
igfie, die Stätte der göttlichen Schechina, betreten fol, aus bemfelben Grunde, aus 
yem diefelben (Czech. 9, 2. 3. 11. 10, 2.6. 7. Sam. 10, 5. 12, 6 f.) den höchſten, 
em Throne Gottes nächfifiehenden himmlifchen Beiftern zugefchrieben werden. (S. hier⸗ 
ber Leyrer in Bd. VIL ©. 715). Umgelehrt ift in der Bifton Sad. 3, 3. die 
Unfähigkeit des Hohenpriefters Joſua, bei Gott für das Voll zu intercediren, durch feine 
eſchmutzten Kleider angebentet. 

Hierauf foll der Hohepriefter den jungen Stier, den er, natürlid aus eigenen 
Mitteln (dx av Idlwr araAwudrwv, Jos. Ant. III, 10, 3), zum Gündopfer für fich 
md fein Hang darbringen will, und die zwei BZiegenböde, die das Sänbopfer der Ge⸗ 

Real » Cachtlspadie für Theologie und Rice, Suppl. W. 


450 Berjöhnungstag 


meinde find, herzuführen. Ueber die beiden letteren ift das Loos zu werfen, ionsd 
der eine zum Opfer für Jehova, der andere zur Abfendung in die Wäfle beflimmt 
wird, oraıy5. In Betreff diefes Ausdruds ift der Artikel m Azazel- in Bd. J. 
©. 634 ff. und die Abhandlung von Dieftel in Niedner’8 Zeitfchr. für hiſtor. Theol 
1860. S. 194 ff. zu vergleihen. Wir betrachten als erwieſen, daß Afafel Name dei 
in der Wüfte haufenten böfen Geiftes if. — Nachdem nun der Hohepriefter den Stier 
gefchlachtet hat, foll ex (während, wie die Tradition beifügt, ein Priefter das Stierbiet, 
um da8 Gerinnen zu verhüten, quirlt) eine Rauchpfanne vol glühender Kohlen von dem 
Alter dor Jehova, d. h. dem Brandopferaltar*), und zwei Hände voll zerriehens 
Raucherwerk nehmen, ımd damit (nach der Tradition, ohne ſich umzufehen) hinter den 
Borbang, d. h. in das Allerheiligfte gehen. „Und ex lege=, heißt es weiter, „dos Räz 
herwert auf die Gluth vor Jehova, daß die Wolle des Näucherwerts die Gaphoreh 
über dem Zeugniß bedede und er nicht flerbe.” Die durch das Raäncherwerk erzeugte 
Wolfe ift nicht identifch mit der in Ds. 2. genannten Wolle, im welcher Jehova Abe 
der Capporeth erfcheint; die letztere iſt nah 2Mof. 16, 10. 19, 9. 40, 34 f. m 
dee Wolle zu verftehen, in welcher die göttlihe Schechina ſich darſtellt (f. über diefe 
Trage Neumann, die Wolfe im Allerheiligften, in der luth. Zeitfchr. 1851. S. 70f. 
Kurtz S. 339; desgleihen Keil und Knobel zu 3Mof. 16, 2.; im Uebrigen vgl. 
Bd. XIII. ©. 476 f.). Die vom Räucherwerk auffleigende Wolle, ein Symbol de 
zu Gott auffteigenden Gebets, fol fich ſchützend zwifchen den SHohenpriefler und di 
wenn gleich verhüllte Exrfcheinung Gottes einſchieben. Wahrſcheinlich Lie der Hohe 


priefter die Rauchpfanne bis zum legtmaligen Herausgehen vor dee Bundeslade ſtehen, 


damit der Rauch ſich weiter entwideln und das Wllerheiligfte erfüllen kommt Da 


Hohepriefter begab fich num, nachdem er der Tradition zufolge rüdmärts aus dem He 
heiligſten herausgetreten war, zu dem Brandopferaltare, um dort das Stierbiat zu hola 
und die eigentlichen Sühnakte zu beginnen. Mit dem Blut in das Allerheiligfte gehend, 
fprengt er von demfelben mit feinem Finger „gegen die Capporeth vornhin«, d. h. ug 
die dordere Seite der Capporeth felbft, fodann fiebenmal „vor die Capporethe, d. & 
anf den Boden vor ber Bundeslade. Diefe legtere Sprengung galt offenbar widt bt 
Eapporeth, fondern dem Raume, in dem fie fich befand, alfo dem Allerheiligfien; ed 


wird demnadh mit Kurt (S. 340) und Keil z. d. St. die erfle einmalige Spam 


anf die perfönliche Entfündigung des Hohenpriefters und der Prieflerfchaft, die zweit 


fiebenmalige auf die Entfündigung des von der fündigen Atmofphäre der Priefler u 
eirten Heiligthum® zu beziehen ſeyn. (Nach anderer Erklärung fol in Be. 14.1 


erfte Glied nur als allgemeinerer Ausdrud gefaßt werden, worauf erft im zweiten Girl 
die Handlung näher beflimmt wäre. Die Bulgata fett diefelbe Auffaffung voraus, i 
dem fie beide Säge in einen zufammenzieht.) Vermuthlich ließ der Hoheprieſter de 
Scale mit dem Stierblut für den fpäteren Sprengungsalt im Heiligen ſtehen. & 
felbft kehrte in den Borhof zurück, fchlachtete den zum Sündopfer für das Boll be 
flimmten Bod und brachte fodann auch deffen Blut in das Allerheiligfte, um dort wi 
Beziehung auf das Volk die gleichen Sprengnngen, wie das erfte Mal, vorzumhes 
Hiemit waren die Sühnafte im Allerheiligfien beendigt. Nun folgte der Sika 
im Heiligen; denn diefes if in VBs. 16b. vergl. mit Vs. 20. 23. 33. (im Unterfäi) 
bon Wıp, das hier das Allerheiligfte bezeichnet) unter dem 91% dirk zu verſtehes. Ihe 
diefen Akt heißt es kurz: „alſo (d. h. ebenfo) fol er thun dem Zelt der Zufammenkaft 
das bei ihnen wohnt.“ Zur Ergänzung dient die Verordnung 2Moſ. 30, 10., mornad) einwel 
im Jahre mit dem Blute des Sundopfers der Verſöhnung der Räucheraltar an feinen Gr 
nern gefühnt werden fol. Wahrfcheinfich follte, entfprechend den im Allerheiligſten vob 
zogenen Sprengungen, zuerft eine einmalige Applifation des Blutes an den Ränder 

*) Denn biefer, auf welchem nah 3Mof. 6, 2—6. immer Feuer bereit war, if gemeint il 
Joma IV, 8.), nit, wie 3. B. Bähr ©. 669 annimmt, ber Räucheraltar, wo keine Reit 
waren. 


Berföhnungsiag 451 


(tur Beftreichung der Hörner), fodann eine fiebenmalige. Sprengung vor bemfelben vor⸗ 
genommen werden, wobei ungewiß bleibt, ob dies getrennt zuerſt mit dem Stier- und dann 
wit dem Bodsblnt geſchah, oder ob, wie die Tradition (M. Joma V, 4. Maimon. II, 5.) 
angibt und auch wahrſcheinlicher if, zum Behuf der Reinigung des Heiligen die beiden 
Ölnte gemifcht wurden. Im 3Mof. 16, 17. wird noch bemerkt, daß während der ex⸗ 
piatoxifchen Funktionen des Hohenpriefterd Niemand außer ihm im Zelte anweſend ferm 
durfte, damit nämlich nicht durch die Antvefenheit eines Anderen das Heiligthum wieder 
berunreinigt werde. — Zuletzt folgte noch die Sühnung des Brandopferaltars, der hier, 
wie in Bo. 12., „der Ultar, der vor Jehoda fleht“, genannt wird. Denn daß auf 
diefen 88. 18. fich beziehe, wird von Keil und Kurtz mit Recht behauptet; wogegen 
die gewöhnliche Erflärung ber Stelle unter demfelben ben Rändheraltar im Heiligen 
verfteht, und demnad in Va. 18. eine nachholende Beſtimmung zu Bs. 16. fieht. Die 
Einwendungen, welche gegen bie erſtere Annahme von Delitzſch und Hofmann er 
hoben morden find, hat Kurtz S. 341 f. befeitigt. Die Sühnung des Brandopfer- 
oltar6 wurde dadurch vollzogen, daß von dem Blute des Stiers und des Bockes ringe 
on die Hörner deſſelben geftrihen und dann anf ihn vom Blute mit dem finger 
febenmal gefprengt wurde, (Der Ansdrud 1759 geflattet nicht, an eine Beſprengung 
des Boden® dor dem Altare zu denken; mas, Inie Knry treffend bemerft hat, ſich dar- 
as erflärt, daß im Vorhof nicht der ganze Kaum, fondern eben nur der Altar göttliche 
Offenbarungsflätte if). Der erflere At gilt wieder der Gühnung der Prieſterſchaft 
und des Bolfes, der zweite der Reinigung der heiligen Stätte. 

Nachdem fo die Sühnung der Priefterfchaft, der Gemeinde und des Heiligthums 
nad) feinen drei Abtheilungen vollendet ift, fol (6. 20. vgl. mit B8. 10.) der andere 
Bod, anf den das Loos für Afafel gefallen ift, herzu, d. h. vor den Brandopferaltar 
gebraht und fo lebend vor Jehova geftellt werden, und zwar 759 "E25, wie in 
88. 10. beigefügt wird. Diefe letzteren Worte find fo ſchwierig, daß es nicht zu ber- 
kunden iſt, wenn man biefelben fdhon als ein ungefchidtes Glofſſem hinanswerfen 
mollte. Won der Erflärung „ut per eum fiat expiatio” kann ebenfo wenig die Rebe 
ſeyn, ald von der ad expiandum eum so. Deum. Aber anch die eher zuläffige Anf- 
foflung, „damit über ihn eine Sühnung gefchehe”, verflößt gegen den herrfchenden Ge⸗ 
brand) des 4 "mn; andy ift, mas in 8. 21. folgt, kein Sühnalt. Die wahrſchein⸗ 
lichſte Erklärung bleibt: „um ihn, den Bock, zu fühnen“, wobei anzunehmen ift, daß, 
wie nach bee Darſtellung des ganzen Kapiteld das br NE» immer durch Veſprengung 
oder Beſtreichung mit Blut erfolgte, der lebende Bock mit dem Blute des geopferten 
beſtrichen worden fey. Hiefür ſpricht and) die Vergleichung der verwandten Ceremonien 
IMof. 14, 6. un. 51. Das Wegbleiben der nad, dem Zufammenhange leicht zu er- 
nänzenden näheren Beſtimmung kamm in einem Stüde, das fo vielfach ablürzend ver⸗ 
fährt, nicht auffallen. Wie der geopferte Bod das zu fühnende Volk vertrat, fo ift der 
(ebende Bock, worüber umten noch weiter geredet werben wird, Vertreter umd Organ 
des gefähnten, göttlicher Vergebung theilhaftig getvordenen Volles. Daß eben mur ver⸗ 
möge der durch das Blunt des erfien Bocks erlangten Sühne das Bolt in Stand geſetzt 
fen, feine Sünden ale vergeben dem Wfafel zuzufenden, wird durch die Beſtreichung des 
zweiten Bode mit dem Blute des erflen deflarirt. An fich freilich find alle Opferthiere, 
ſofern fie fehllo® find, rein. Uber etwas Anderes iſt es, wem das Thier nicht das 
noch ungefühnte, fondern das bereit gefühnte Volt vertreten foll; daß letztere kann nur 
dadurch dargeftellt werben, daß an dem Thiere felbft ein Entfündigungsalt vorgenommen 
wird. — Der Alt der Wbfendumg des Bodes wird BE. 21 f. fo dargeftellt: „Und 
Aaron fläte feine beiden Hände auf das Haupt des Lebendigen Bode“ (nicht bloß eine 
Hand, wie fonft bei dee Semicha gefchah, um, wie Keil bemerkt, die Handlung feier 
licher und ausdruckevoller zu machen); „und er befenne auf ihn alle Berfchuldungen 
der Söhne Iſraels und alle ihre Miffethaten nad ihren Sünden, und er lege fie auf 
das Haupt des Bodes und entfende ihm durch einen bereitftehenden Mann in die Wüfte, 

* 


452 Berlöhnungdteg 


Und der Bod trage auf ſich alle ihre Verfchuldungen in ein abgefchuittenes Land«, 
d. h. im ein folches, woher fein Weg in die Wohnftätte des Volks zurüdführt, fo daß 
nicht zu beforgen ift, daß der Bod fich wieder bei dieſem einfinde. Die dem Bod 
aufgeladenen Sünden follen alfo gleihfam in einen außer aller Berührung wit dem 
Bolt befindlichen Drt gebannt werden. Daß der Bod in der Wüfte umlommen, alſo 
das erleiden folle, was der Sünder, auf dem die Sünde bleibt, ift im Xert in keiner 
Weiſe angedeutet. Nach der fpäteren Ordnung allerdings fleht der Hoheprieſter af 
den Bod die Strafe aller in Iſrael begangenen Sünden herab, und bie Xradition 
(M. Joma VI, 6) meldet weiter, der Bod fey in der Wüfte don einem Felſen herab⸗ 
geflürzt worden, fo daß er zerfchmettert auf den Boden fiel. Aber ein fo wefentlide 
Zug hätte im Gefeg nicht verſchwiegen werden dürfen. — Derjenige, der den Bad 
fortgeführt hat, fol (B8. 26.) feine Kleider wafchen und feinen Leib baden, umd dam 
erſt in's Lager kommen. 

Nachdem der Bod in die Wüfte gefchidt war, begab fich der Hohepriefler (84.23) 
in da® heilige Zelt, zog die leinenen Kleider aus und legte fie dort nieder. (Diefelben 
ſollten durch ihre Aufbewahrung im SHeiligthum vor jeder profanivenden Berährumg 
gefchügt werden). Hierauf badete er ſich nochmals im Vorhof, zog die gemönluke 
Amtstracht wieder an und berrichtete fein und des Volles Brandopfer, beftehend im den 
Vs. 3. und 5. genannten Widdern, und dieß nad; Vs. 24. wieder zur Verführung fir 
fih und das Voll, indem auch da® nad dem großen Exrpiationsakt gebradte Bar 
ehrungsopfer felbft wieder nicht ohne das an jedem Brandopfer haftende eypietoriid 
Moment feyn kann. Mit dem Fleiſch der Brandopfer wurden auch die Fetttheile der 
früher gefchlachteten Sündopferthiere verbrannt. Das Fleiſch der letzteren aber fol 
fammt Fett und Mift vor das Lager hinausgefchafft und dort verbrannt werden Da 
Mann, ber diefe® beforgt hat, fol nad Be. 8. feine Kleider wafchen und ſich badı 
und danuı erft in das Lager zurüdfehren. Und nun erfl, nachdem Alles, was mil dem 
Berföhnungsaft des Tages zufammenhing, vollendet war, wurden, wie die Tradition be 
ſtimmt hervorhebt, die 4Mof. 29, 7—11. für den Tag verordneten Feſtopfer da 
gebracht, diefelben, welche auch für den erflen Tag des 7ten Monats vorgefdriee 
find, nämlich als Brandopfer ein Stier, ein Widder und fieben einjährige Lärm, 
fammt dem entfprechenden Speisopfer, nämlich feines Mehl mit Del gelnetet, drei Zeh 
theile Epha für den Stier, zwei Zehntheile Epha für den Widder, ein Zehntheil pe 
für jedes der fieben Lämmer, endlich noch ein Ziegenbod als Sündopfer. Diefe Opfer 
waren, wie bei den anderen Feſten, unabhängig von der täglichen Thamid-Dla, wi 
welcher der Tag begonnen und befchloffen wurde. Nach der Tradition (M. Jom 
vo, 4. Maimon. IV, 2. am Ende) hätte der Hohepriefter nach dem Abendopfer abe 
mals die weißen Kleider angelegt, um im Allerheiligſten die dort zurüdgeblichne 
Käuchergefäße (Pfanne und Schale) wieder zu holen. Die Tradition behanptet hiemcd 
einen viermaligen Eintritt des Hohenpriefter in das Allerheiligſte, wogegen nach der 
Geſetz 3 Mof. Kap. 16. mindeftend ein zwetmaliger, mit Wahrfcheinlichkeit aber, ned 
der nächftliegenden Yaflung don Vs. 12 ff., ein bdreimaliger Eintritt anzunehmen #, 
der Annahme eines vierten aber wenigſtens nichts Entfcheidendes entgegenfteht. Ans de 
Beſchreibung des Berföhnungstages bei Joſephus (Antt. III. 10. 3.) if über di 
Sache nichts zu ermitteln, da dort der Räucheralt ganz übergangen iſt. Doyegi 
fchließt eine bei Philo (legat. ad Caj. M. II, 591) in einem Briefe des Kouige ft 
rodes Agrippa gegebene Notiz ein drei- oder viermaliged Eingehen beſtimmt ans. © 
heißt dort: x&» auzds 6 dpyupeds dvalv nuloaıs Tod Erovg Hxal vH adız rei 
7 xal rergaxıs elsporrzon, Iarurov inagalınzov vnoueve. Indeſſen iſ de 
Aechtheit der genannten Schrift mit guten Gründen beftritten worden (f. Grätz, 9 
fhichte der Juden, Bd. 3. 2te Aufl. S. 488 fi). Wenn Hebr. 9, 7. von dem fe 
henpriefter fagt, daß er einmal im Jahre in das Allerheiligſte gehe, fo IR Nde 
Ausörud, wie ber gleiche Joseph. bell. jud. V, 5. 7. 3Maft. 1,11. Philo movand. 





Berfühnungstag 453 


M. II, 223., aus dem Gegenſatz gegen dıa narrds zu erflären; ex flieht de uno anni 
die et de uno eodemque ministerio, wie ſchon Deyling (de ingressu summi pontif. 
etc. in den Observat. II. p. 183) richtig gefagt hat. WIN man, was auch ſchon ver⸗ 
faht worden if, die Funktionen der Räncherung und ber doppelten Blutfprengung auf 
eine Anwefenheit des Hohenpriefter® im Wllerheiligften zufammendrängen, fo mnß man 
za unnatürlichen Hypotheſen greifen. — Die verſchiedenen Anflchten der älteren Theo- 
logen über diefen Gegenſtand find zufammengeflellt in der angeführten Abhandlung von 
Deyling; anferdem ift noch befonder® die Erörterung der Sache durch Danz (bei 
Reufhen ©. 954 ff.) zu vergleichen. 

Ueber die Bedeutung bes Rituale des BVerföhnmgetages iſt hier, indem Mir 
dad unter Opfereultus im A. T. Bd. X. ©. 629 ff. ımd 647 ff. Ausgeführte 
vorausſetzen, noch Folgendes zu bemerken. Wodurch beim Opfer die Sühne der 
Sünde vermittelt wird umd welcher Theil der Opferhandlung fpecififch diefem Zwecke dient, 
das muß natürlich in dem Ritual des VBerföhnungstages in höchfter Potenz hervor⸗ 
treten. Wäre für die Idee des SündopferE da8 Moment der poena vicaria weſent⸗ 
ih, fo follte man, wenn irgendwo, hier eine deutliche Hervorhebung deffelben erwarten. 
Aber weder davon, daß der Stier und der Bod, deren Blut in das Wllerheiligfte ge 
bracht wird, noch davon, daß der in die Wüfte entlaffene Bod flellvertretend Sünden 
düße, iſt etwas angedeutet. Was bie beiden erſten betrifft, fo wird ihre Schladhtung 
86. 11. ımd 15. fo kurz wie möglich abgemacht, ohne eine Spur davon, daß bdiefelbe 
ala ein beſonders bedeutungsvoller Akt behandelt worden wäre. Geläugnet foll nicht 
werden (mie dieß bereit? Bd. X. S. 631 bemerkt worden ifl), daß mit der Schladhtung 
der Opfer fich der Gedanke der büßenden Stellvertretung leicht verknüpfen ließ; ja ich 
gebe volftändig zu, daß erſt dadurch, daß der Tod des Opfers nicht bloß als Mittel 
jur Gewimmung des Bluta, fondern als fatisfaktorifhe Leiſtung betrachtet wird, bie 
Sähnopferivee fi vollendet. ber innerhalb der Opferordmmgen iſt nirgends eine 
Begrändung für den Sat zu finden, daß eben nur darum, weil das Opferthier durch 
Rellvertretendes Erleiden der Todesſtrafe etwas für den Darbringer geleiftet, feine 
im Blute dargebrachte Seele als Sühne für diefen habe dienen Fünnen; wie dies nene- 
dinge wieder KAper („das Prieſterthum bes alten Bundes“, 1866. ©. 125) aus⸗ 
gefprochen bat. Hiegegen da® argumentum a silentio geltend zu machen, iſt man 
bei einem Punkte, der don fo entfheidender Bedentung wäre, gewiß beredtigt. Die 
Opfergefeße legen den Nachdrudk anf die Vefchaffenheit des Opferthiers, nicht auf das 
was es thut oder leidet; das Blut wird als ein Sühnmittel bezeichnet, das Gott 
feinem Volke auf den Altar gegeben habe (3MRof. 17, 11), um dadurch dem, der 
bermdge feiner Sündhaftigkeit Bott nicht nahen Minnte, dieſes Nahen dadurch möglich 
zu mahen, daß für feine Seele die fchnldlofe Thierfeele dedend in's Mittel tritt. 
Das Motiv für die göttliche Vergebung liegt hier nicht darin, daß ein fumbolifcher 
Straffuftigakt vorgenommen worden ifl, fondern darin, daß derjenige, den feine wem 
auch in Schwacdhheit begangene Sünde vor Gott mißfällig macht, auf dem ihm von 
Sott verordneten Wege feine Gnade ſucht, indem er — wenn man fi fo ausdrüden 
bil — hinter das Blut fich ſtellend, Bott ein reines und darum ihm wohlgefälliges 
Leben fchauen läßt. Daß hiebet die göttliche Steafgerechtigkeit in's Leere ausgehe, kann 
man nicht mit Grund fagen. Im Gegentheil gibt ihr der Opfernde die Ehre, indem 
er thatſächlich fi als vor dem heiligen Bott der Dedung bedürftig erllärt, fi) dem⸗ 
nad) als einen befennt, der, wenn auch in Schwadhheit fündigend, doch des göttlichen 
Berichts ſchuldig wäre. 

Worin liegt num die Potenzirung der mittelft des Opferbiuts am VBerfühnungstage 
bollgogenen Suhne7 Nicht in einer quantitativen Steigerung des Sühnmittels. Nicht 
des Bluts einer Helatombe bedarf es, fondern für die Sühnung des KHohenprieflers 
und des Volkes je nur des Bluts eines einzigen Thieres. Es ift überhaupt Tarafteri- 
ſtiſch fir die Gündopfer, daß ſie alle fidh je auf die Darbringung eines Thiers be⸗ 


454 Berſoͤhnnngstag 


ſchränken. Der Grund hievon iſt wohl der, daß das Specifiſche des Sündopfers nit 
die Gabe, das Geſchenk von Seiten des Opfernden ift, wobei, tie bie Dantopfer 
zeigen, von einem Mehr oder Weniger die Rede ſeyn kann, fondern die von Gott ver⸗ 
ordnete Dedung durch ein Mittel, das vermöge feiner Qualität (ale Subfituirumg 
einer Seele für die Seele) ſich hiefür eignet, aber eben vermdge diefer Duwalität einer 
Steigerung nicht fähig if. (Auf diefe Weife dürfte die von Kurtz S. 156 amsgefhre: 
hene Anſicht vervollftändigt werden). — Die Sühnung des BVerföhnungstages if vie, 
mehr die höchfte deswegen, weil hier da8 Blut Gott fo nahe wie möglich, vor feine 
Thron und zwar innerhalb des Vorhangs, in die fonft unnahbare Centralſtätte feiner 
Einwohnung gebracht wird, und eben bort, wo das Geſetz in der Bundeslade anflagen 
wider das Volk zeugt, das lettere dedt. Indem das Volk dort mittelft des Blutel 
der Berföhnung ſich wohlgefällig angenommen weiß, ift ihm die Fortdauer der Einst, 
nung ©ottes in feiner Mitte und eben damit die Fortdauer feines Gnadenſtandes ver 
bürgt, umd empfängt von diefem Centrum aus, indem das im Allerheiligften angenem 
mene Blut zur Reinigung der vorderen Theile des Heiligthums dient, auch der gewohr 
tihe im Cultus ſich vollgiehende Verkehr zwifchen Gott und der Gemeinde aufs Nm 
feine Weihe. 

Nah allem biefen kann unmöglich noch ein ſymboliſcher Strafakt bei dem zweite 
Bode folgen. Weldhen Sinn follte e8 haben, daß die Sünden, für welche Bott dr 
Sühne bereitd angenommen hat, nachträglich doch mod; abgeftraft wilden. Das Ale 
dem zweiten Bode nach Vs. 21. abzulegende Sündenbelenntniß lann fich, wie bereit 
oben bemerkt worden ift, nur auf die vergebenen Sünden beziehen. Die Auflegm 
dieſer auf den Bod will fagen, daß das Bolt auch feinerfelts die empfangene Bergebm 
ſich aneigne, indem es erflärt, daß es die Sünden des vergangenen Jahres bermögt 
der vollbrachten Sühne als abgethan betrachte, ihnen darum den Abſchied gebe und fr 
dem böfen Geifte überweife, defien Gebiet außerhalb bes Zuſammenhangs mit dem bi 
figen Lande Jehova's fidh befindet. Die Ceremonie iſt verwandt mit den 3 Mof. 14, 
7. 53. angeorbneten Alten, welche beide die gleiche Bedeutung haben, dag nänld, 
nachdem die Entfündigung des ausfägigen Menfchen und Hauſes durch das Bl bi 
gefchlachteten Vogels erfolgt if, der andere, in das Blut des erfleren getumite Bogl 
die durch die gefchehene Entfündigung weggenommene lnveinigleit mit ſich fort il 
Weite nimmt. Indem aber bei der Ceremonie des Verfühnungstages am die Stelle ki 
unbeftimmten Fortſchickens in die Weite das Fortfchiden an Aſaſel tritt, dem böfen, di 
Sünde als fein Element hegenden Dämon, liegt hierin zugleich eine Abfertigung tel 
lesteren, im Siune des habeat sibi, eine fumbolifhe Erklärung, daß das verjälst 
Bolt Gottes mit ihm nichts zu fhaffen und auch von ihm nichts zu fürchten ha 
Wil man, wozu aber fein Recht vorliegt, auf den Aſaſel bereit die fpätere Satans 
idee übertragen, fo käme noch dee Gedanke hinzu, daß er Ifrael bei Gott nit wein 
berflagen, Gottes Zorn und Strafe über daffelbe nicht provociren dürfe (f. Kart 
©. 359). — Eine folhe Abfertigung Afafel’s iſt das gerade Gegeutheil von der De 
bringung eines Opfers, worauf in früherer Zeit die Ceremonie häufig gedeutet more 
if. Diefe Deutung ift unftatthaft, auch wenn das Opfer im weiteren Sinne des Os 
fhen!8 genommen wird, nach der rabbiniſchen Anficht, daß durch dieſes Geſchenk ie 
Teufel (Sammael) beftimmt werden follte, das zur Verſohnung Iſrael's dargebradt 
Opfer nicht unwirkſam zu laffen, vielmehr aus einem Ankläger ein Furſprecher di 
Bolls zu werden (f. Eifenmenger, entdedted Judenthum, Bd. IL ©, 155 fi: 
Bähr ©. 686). Durch den Geift bes Mofaismus iſt jede don Gott umabhäng 
Macht ausgefchloffen, von deren Gunſt man fich irgendwie zu verfichern hätte ie 
der zweite Bod ift, für fich betrachtet, überhaupt nicht unter den Gefihtspunft ud 
Opfers zu ſtellen. Wenn e8 3 Mof. 16, 5. heißt, die beiden Böde ſehen nam), F 
wird hiemit im Allgemeinen der Zweck bezeichnet, dem die Aufftelung beider zujamem 
dient; fpeciell aber heißt nur der erſte Bod, der gefchlachtet wird, im Be. 9. mb li 


Berföhnungstag 455 


nee, der zweite nicht. Der letztere, an dem bie Conſequenz der erlangten Sühne 
bollgogen wird, tritt an die Stelle des geopferten Bocks. „Die Ziveiheit der Böde beruht 
nur anf dee phnfifchen Unmöglichkeit, die verfchiedenen zu repräfentirenden Momente 
duch ein Exemplar zepräfentiven zu laſſen⸗ (Hengflenberg ©. 171). Der zweite 
Bod iſt alfo gleihfam, wie man ihn häufig bezeichnet hat, der hircus redivivus. Auch 
bie jüdifche Tradition hat diefe Beziehung der beiden Bde auf einander dadurch an⸗ 
etlannt, daß fie (Joma VI, 1.) verordnet, die beiden Bde follen einander glei feyn 
on Farbe, Größe und Werth. — Sehr anfprechend ift die Anfiht Heugſtenberg's 
(6. 178 ff.), wornad die Ceremonie in polemifcher Beziehung zu den Opfern flehen 
würde, durch welche bie Aegypter den in der lybiſchen Wüfte haufenden Typhon fühnten. 
„Im Gegenſatze gegen die ägyptifche Anficht, welche das Eingehen eines Berhältnifies 
auch zu den böfen Mächten durchaus für nöthig hielt, wenn man ſich gegen fie ſichern 
wollte, follte Ifrael duch diefen Ritus zum tiefften Bewußtſeyn gebracht werden, daß 
alles Leid Strafe des gerechten und heiligen Gottes ſeh, den es durch feine Sünden 
erzuͤrnt habe, daß es nur mit ihm ſich abfinden müfle, daß, wenn dieß geichehen, wenn 
die Bergebung der Sünden erlangt fey, die böfe Macht ihm nichts ferner anhaben 
(inner Aber es ift zweifelhaft, ob jene typhonia sacra ſchon der moſaiſchen Zeit 
angehdren. Dieſtel (in der angef. Abhandlung S. 197) ſucht nachzuweifen, daß bie 
deflung Typhon's als böfen Principe viel fpäter anzufegen fen als Mofes, nicht früher 
ala in's 10. oder 11. Iahrhundert v. Chr. — Daf der Mann, ber den Bod in bie 
Wuſte geführt hat, fi baden muß, ehe er wieder in's Lager kommen darf, if natür- 
li, da ja die Wäfte dad Gebiet der Unreinigleit ifl. — Ueber die Verbrennung bes 
dleifches dee Sündopfer |. Bd. X. ©. 648. Da diefelbe außerhalb des Lagers erw 
folgt, fo hat der Wann, der fie beforgt hat, vor feiner Rücklehr ebenfalls fi) zu rei⸗ 
nigen. — Die auf's Höoͤchſte gefteigerte Heiligkeit des Tages forderte, wie Kury 
S. 362 ganz richtig bemerft, daß auch die bloße Möglichkeit Levitifcher Verunreinigung, 
die außerhalb des Lagers leicht eintreten konnte, berüdfichtigt wurde. 

Indem der Berföhnungstag in Bezug anf den Umfang und den Brad der Sühne 
das Höchſte leiſtet, was der mofaifche Eultus mit feinen Mitteln zu leiflen im Stande 
ft, bringt er die Sühnordnungen deffelben zu ihrem Abſchluß und Tann bon biefem 
Geſichtapunkte ans als das höchſte Feſt bezeichnet werben, wofür ihn ſchon Philo (de 
septen, II, 296) erflärt hat. (Darüber, daß der Tag den Namen ar nicht geführt, 
. Bd. IV. ©. 384.) Ohne den Berföhnungdtag wäre eine wefentliche Lüde in dem 
Organismus der Theokratie. Das Gefeß, das die Herflellung eines heiligen Volles 
als Aufgabe fegt und zugleich befländig den Widerſpruch aufdedt, in welchem das Bolt 
durch feine Sündhaftigkeit zu dem heiligen Gotte feht, kann nicht ohne eine Yuflitution 
feyn, welche den Wen der Löfung diefes Widerfpruchs in der DVerföhnung der Ge 
meinde zeigt, auch diefe Löfung velativ gewährt, dabei aber freilich, in ihrer farkifchen 
Unvolllommmenheit hinausweift auf die volllommene Berföhnung, deren Frucht die Her- 
Rellung bee wahrhaft geheiligten Gottesgemeinde feyn wird (Hebr. 9, 6 ff.). In bes 
ſonderer Weife tritt das VBebürfnig einer ſolchen Inftitution herbor in Bezug auf das 
Jobeljahr, das außerdem unvermittelt, ohne einen Abſchluß der alten Periode, wie ihn 
die göttliche Heiligkeit fordert, in das Leben des Volkes eintreten würde. Als ein „äct 
mofaifches Feſt, im welchem ſich mehr als in irgend einem anderen das ganze Beſtreben, 
fowie die volle Strenge der höheren Religion ausdrüdte“, hat Ewald, Alterth. des 
Volles Iſrael, 1. Aufl. S. 368) den Verfühnungstag bezeichnet. Wenn man von ans 
derer Seite gegen den mofaifchen Uxfprung des Feſtes das Schweigen ber übrigen alt- 
teflamentlichen Schriften über daffelbe geltend gemacht hat, fo exhellt das Mißliche einer 
folchen Argumentation ſchon daraus, dag man dann confequenterweile die Entſtehung 
des Feſtes bis in das dritte Jahrhundert v. Chr. herabrüden müßte; denn erft in Six. 
50, 5. (in dee Schilderung ber herrlichen Erſcheinung bes Hohenprieflers Simon beim 
Herauetreten aus dem Allerheiligſten) und in der bereits erwähnten Gtelle 3 Malt. 


466 Berföhnungstag 


1, 11. finden ſich Andeutungen von der Eriftenz des Feſtes. Die ftille Begehung dei. 
felben, die, abgefehen von dem Faſten des Volls, ganz an das Heiligthum gebunden 
war, gab feinen Anlaß zu befonderer Erwähnung. “Dabei ift wohl möglich, daR des 
Feſt, wie andere Cultusordnungen, längere Zeit hindurch abgelommen war. Dem auf 
fallend ift allerdings die Nichterwähnung befielben in 1 Rdn. 8, 65. 2 Chrom. 7, 9 f., 
da es in bie fiebentägige Feier der Einweihung des falomonifchen Tempels hätte fallen 
müflen. Daß Er. 3, 1—7. von dem BVerföhnungstage feine Rede ift, läßt ſich dar. 
ans erffären, daß der hohepriefterlihe Sühnalt vor Erbauung des Tempels gar widt 
in der vorgefchriebenen Weife vollzogen werden konnte. Auffallender ift das Schweigen 
in Neh. Rap. 8. Bielleicht hat der Umftand, daß dem nadjerilifhen Tempel das Be 
hilel der göttlichen Einwohnung, die Bundeslade fehlte, die Wiederherftellung des Feſtet 
verzögert. Daß in Sad. 3, 9. umverkennbar auf den Berföhnungstag angefpielt if, 
beweift nicht, daß er damals wirklich begangen wurde. — In dem prophetifchen Enltus- 
gefege des Ezechiel fehlt der Berföhnungstag. Dagegen wird ein Exrfag für ihn de⸗ 
durch gegeben, daß (45, 18—20.) für den Anfang des Jahres, nämlich dem erſten mu 
fiebenten Nifan, aljo zur Vorbereitung des Paflahfeftes, eine Entfündigung des Heilig. 
thums „wegen der Irrenden und der DBethörten“ angeordnet wird. Ezechiel zimmet 
überhaupt noch die Sündopfer in feine Eultusordnung auf; wogegen im lebrigen bie 
Prophetie, wenn fle don einem Opferdienft der Heilszeit redet, Teine Sündopfer meh 
erwähnt (f. ®d. XII. ©. 228). Denn die Heildgemeinde des Neuen Bundes hat Ber 
gebung der Sünden (9er. 31, 34.), die ihr zu XTheil wird durch eine bolllonnue 
göttliche Verföhnungsthat, auf welche der priefterliche Dienſt des Alten Bundes vor⸗ 
bildlich hinansweift (Sad. 3, 8 f.). 

Nachdem ſchon im VBisherigen die jidifche Tradition mehrfach berdfidhtigt worde⸗ 
ift, follen num noch die mwichtigften traditionellen Beftimmungen, deren Geltung für bie 
fpätere Zeit de8 ziveiten Tempels vorausgeſetzt werben darf, Überfichtlich zufammen- 
geftellt werden. — Für's Erſte enthält die Tradition ausführliche Vorfchriften über die 
dem Feſttage vorausgehende Borbereitung des Hohenprieſtera (f. Joma Kap. L m 
die Thosaphta dazu; vergl. auch Geiger, Lefeftüde aus der Miſchna ©. 14 f;; 
Maimonides I, 3 ff. bei Deligfh ©. 750ff.). Der Hohepriefter ſoll fieben Tagt 
vor dem Teft in da8 Gemach Parhedrin (f. über diefen Namen Sheringham zu d. St 
bei'm Heiligthum verfegt werden, und ſich während dieſer Zeit des ehelichen Umgangt 
enthalten. Für den Fall, dag ihm ein Dienfihinderniß zuftieße, fol für ihn ein Stel. 
vertreter beftellt werden. Während der fieben Tage hat er in dem priefterfichen Ge⸗ 
häften fi) zu üben, und namentlich unter der Leitung einiger der Xelteften des Sr 
nedriums fi, die Funktionen des Verfühnungstages einzuprägen. Am Vorabend Ni 
Tages Übergeben ihn die Aelteften den Prieftern, nachdem fie in ihrer Eigenfchaft dt 
Delegaten des Synedriums ihn, den fie ebenfalls als foldhen (377 na rmbw) bezeichnen, 
beſchworen haben, nicht? zu Andern von Allem, was fie ihm gefagt. Nach der The 
faphta und Gemara hätte ſich die Beeidigung bezogen auf eine Differenz zwiſchen der 
Pharifäern und den Sadducdern hinfichtlich des Verfahrens bei der Räucherung, inden 
nämlich die Tegteren behaupteten, das Räucherwerk folle von dem Hohenpriefter aufkes 
angezündet werden und er dann erft in das Wllerheiligfte treten, wogegen bie Phariföer 
fehrten, daß die Anzündung erft im Allerheiligſten zu erfolgen habe. Die legte Nat 
nun hat der Hohepriefter wachend zuzubringen; um ſich den Schlaf zu vertreiben, bil 
er Lehrvorträge, Tief oder läßt fid) aus den Heiligen Schriften vorlefen m. f. w. — 
Für das Bolt ift eine Vorbereitung auf den VBerföhnungstag im Xractat Joma mikt 
angeordnet; baß die Tage vom erflen Tiſri an Bußtage (aan m) find, wird mod 
nicht erwähnt. (Die fpätere Ordnung f. Orach Chajim, nad der Ueberfegung von 
Löwe ©. 149 f.; Über das auf den dritten Tifri fallende Faſten Gedalja’s |. Ve. IV 
S.387). Die für den Berföhnungstag im Geſetz gebotene Kaſteiung wird Joma c. VIII 
noch näher beftimmt, indem dem Berbot, etwas zu eſſen und zu trinfen, noch daß Berber 


Berföyuungstag 457 


bes Waſchens, Salbens, Unziehens ber Sandalen und der ehelichen Beiwohnung bei⸗ 
gefügt wird. Ausnahmen von Faften werden nur geftattet bei Kindern, bie es wicht 
vertragen Men, bei Kranken, wenn es ihnen Gefahr bringen würde u. f. w. — Hin- 
fichtlich des Berhaltens des Hohenpriefters am Fefltage find die Vorſchriften ebenfalls 
gehäuft; fo iſt z. B. fünfmaliges Baden und zehnmaliges Wachen der Hände umd 
Füße verordnet (Joma III, 3). In Betreff feiner Funktionen wird den gefeßlichen 
Beſtimmungen hauptſächlich Folgendes beigefügt: 1) Ex bat an diefem Tage in feinem 
gewöhnlichen Amtsornat auch den gewöhnlichen Priefterdienft, namentlich die Darbrin- 
gung des üblichen Morgen» und Abendopfers zu beforgen (Joma III, 4. 5.). 2) Er 
bat über dem Stier, der ald Sündopfer für ihn und fein Hans dargebradht wird, zwei 
Sändenbefemmtniffe abzulegen, eines für feine Perſon, das andere fiir feine Perſon in 
Serbindung mit den übrigen Prieſtern. Bon einem über den zu fchlachtenden Bod ab- 
gelegten Bekenntniß meldet die Tradition nichts (während doch daffelbe mit Wahrfchein- 
lichleit voranszufegen iſt); vielmehr fol da8 Sündenbefenntniß für das Boll erſt nad) 
ber Funktion im Allerheiligſten über den abznfendenden Bod ansgefprocdhen worden feyn 
(Joma III, 8. IV, 2. VI, 2. Maimon. II, 6). Die erfle Belennmißformel lautet: 
„Ah Jehova, ich habe übertreten, gefrevelt, gefündigt vor dir, ich und mein Hans; 
ah Jehova, fühne doch die Mebertretungen, Frevel uud Sunden, womit id über⸗ 
treten, gefrevelt und gefüindigt habe vor bir, ich und mein Haus; tie gefchrieben if 
(8 Moſ. 16, 30): an diefem Tag wird er euch fühnen, end zu reinigen; von allen 
een Sünden follt ihr vor Jehova rein werden.“ In der zweiten Formel heißt es: 
„ih und mein Hans, die Söhne Haron’s, dein heiliges Boll“ zc.; in der dritten: „dein 
Bolt, da Hans Sfraele x. (Berg. auch Deligfh, zur Geſchichte der jüdifchen 
Poefle S. 184 ff.). Im jeder der drei Formeln wird der heilige Bottesname dreimal 
onsgefprochen, wobei Briefter und Bolt im Vorhof fich niederiverfen mit den Worten: 
„gebriefen fen der Name der Herrlichkeit feines Reiches immer und ewiglich.“ Da 
außerdem noch, wenn das Roos anf den Bock für Jehova gelegt wird, diefer Name 
gefprochen wird, fo findet die Ausſprechung bdefielben während der Feier des Tags zu- 
ſammen zehnmal flat. 3) Die beiden Looſe (die nach Jom. 3, 9. von Buche, fpäter 
von Gold waren) wurden vom Hohenpriefler ans einer Urne mit raſchem Griff ge 
jogen, während die Böde vor ihm, der eine zur echten, der andere zur Linken flanden 
(Joma IV, 1. Maimon. ITI, 1 ff.). Wenn das Loos für Jehova auf dem zur Rechten 
heraudkam, galt dieß für ein gutes Zeihen. Dem an Wfafel zu entfendenden Bode 
wurde ein Streifen Scharlach an den Kopf, dem zu opfernden einer an den Naden 
gehunden (Jom. IV, 2. weiß nur vom erfleren). 4) Der Rändherungsalt wird Joma 
V, 1. (vgl. Maimon. IV, 1.) befchrieben. Das Wichtigſte iſt diefes: Der Hobepriefter 
betritt, die Pfanne mit Kohlen in der Tinten, die Schale mit dem Räucherwerk in der 
Rechten, das Allerheiligfte und flellt dort die Pfanne (die im alten Tempel zwiſchen 
den zwei Stangen der Bundeslade niederzufegen war) auf die Steinplatte (Mn) am, 
lapis fundationis), auf der im alten Tempel die Bundeslade geftanden haben follte (f. 
die Zhofaphta II, 11. bei Ugol. p. 175). Dann ſchüttet er das Raucherwerk über 
die Kohlen ımd wartet, bis der Tempel mit Rauch ſich angefüllt hat. Hieranf rüd- 
lings ans dem Allerheiligſten herausgetreten, fpricht er ein Gebet, deffen Formel in der 
Gem. hieros. zu Joma V, 3. (Ugol. p. 295) verzeichnet iſt (vgl. Delitz ſch a. a. O. 
S. 187). Er fol aber nicht zm lang verziehen, damit das Bolt nicht feinetiwegen in 
Angft gerathe. 5) Da das Allerheiligfle des nacheriliſchen Tempels ohne Bundeslade 
war, fo erfolgte die Blutfprengung genen Dede und Fußboden, nad der wohl irrthüm⸗ 
lichen Angabe des Joſephus (Antt. III, 10. 3.) fiebenmal gegen die Dede und fieben- 
mal gegen den Boden, nach Joma V, 3. einmal in die Höhe und fiebenmal abwärts. 
Die Tradition bei Moimon. III, 5. laßt außer den zweimal adıt Sprengungen im 
Wlerheiligften noch zweimal acht an den Vorhang erfolgen, und zählt demnach mit ben 
bier Sprengungen an die Hörner des Räucheraltard umd den ſieben an die Mitte defr 





458 Berfühuuugting 


felben im Ganzen 43 Sprengungen. 6) Ueber die Abfendung des Bodes in bie Wäfe 
handelt Joma VI, 3 fj.; Maimon. III, 7. Hiernach wurden vor den Berföhnnugstage 
von Jeruſalem bis zur Wüſte an zehn Stationen Hütten errichtet, in denen für ben 
Mann, der den Bod führte, Speife und Wafler parat war, um etwaige Erſchoöpfung 
defjelben zu verhüten. Bon einer Hütte zur anderen gaben ihm die dort aufgeflellien 
Männer das Geleite. Nach Joma VI, 4. beirug der Weg von Jeruſalem bis zu dem 
Selfen, von dem der Bod herabgefchleudert wurde, 90 om, d. h. 12 römifdhe DReilen. 
Damit der Hohepriefter die Anfunft des Bodes an feinem Beftimmungsorte fogleid er⸗ 
fahren Tonnte, war eine Art Zelegraphenlinie (Warten anf Unhöhen, von denen mit 
Züchern gewintt wurde) von Yerufalem bis zum Eingang der Wüfte gezogen (Jom. 
VL 8. Bergl. dazu Geiger, Lefeftüde aus der Mifhna ©. 16 ff.; dort if amd 
©. 18 zufammengeftellt, was im Talmud über den rothen Streifen enthalten iſt, der, 
am Eingang zum Heiligthum aufgehängt, als Gnadenzeichen dienen, nämlid, fobald ber 
Bol den Felfen binabgeftürzt war, nach Jeſ. 1, 18. weiß werden ſollte). Sobald die 


Nachricht don der Ankunft eingetroffen war, las der Hohepriefter im Vorhof die U 
ſchnitte 3Mof. Kap. 16. und 23,16 ff., wozu noch adıt Berachoth famen (Jom. VII, 7). 
Während des Lefens wurde das Fleiſch der beiden Sündopfer anf dem Aſchenplaze 


verbrammt. Und nun erft vollzog der Hohepriefter im gewöhnlichen Ornat die Darbrin⸗ 


gung der Feftopfer. — Karalteriſtiſch iſt der Schluß bes ernften Tages. Der Hobe | 


priefter, feftlich nach Haufe geleitet, that fich bei einem Gaſtmahl gütlid mit feinen 
Freunden, weil er „wohlbehalten (Tydxja) aus dem Heiligthum gelommen“ (Jom. VII, 4). 


Die Mädchen Jeruſalemse aber zogen weißgekleidet in die nahen Weinberge zum Tan, 


wobei Lieder gefungen twurden, die den jungen Männern empfahlen, edle und goitel- 
fückhtige Bräute fi auszuwählen (M. Taanith IV, 8). 

Der Tractat Joma fließt (VIII, 8 f.) mit einer Erklaͤrung über die Wirkung 
des Verjühnungstages. Die Hauptfäge find folgende: Der Tod und der VBerföhnungstag 
fühnen mit Buße (33V DyY); wenn Einer auf Rechnung des Berföhnungstages fün 
digt, fühnt ihn dieſer nicht. Die Sünden gegen Gott fühnt der Tag alle; die gegen 
die Nebenmenfchen nur, wenn man den, an welchem man gefündigt, zufrieden geſteli 
hat. Weiteres gibt die Thoſaphta (Ugol. p. 187 f.). Nach dieſer gewährt der Ber 


föhnungstag, mit Buße verknüpft, für vorfäglihe Sünden, auf welche die Strafe der | 


Ausrottung gefett ift, Suspenflon; Zücdhtigungen (d. h. von Gott verhängte Leiden) in 
den übrigen Tagen des Jahres vollenden die Verföhuung. Wer aber borjäglich den 


Namen Gottes entweiht hat, dem fühnt der Verſöhnungstag ſammt Buße ein Drittbeil; 
das zweite Drittheil wird durch die nachfolgenden Züchtigungen gefühnt; der Zod fühe 


den Reſt. Ueber das Verhältniß der Sündopfer des Verfühnungstages zu dem übrigen, 


namentlich den Fefl- und Neumondfündopfern, gibt eine Reihe cafuiftifher SGopungn 


dee Tractat Schebhuot I, 2 ff (vgl. auch Geiger a. a. O. ©. 20 ff.). 


Wie ſich die Beier des Berföhnungstages feit der Zerflörung Jeruſalems gefialld 


hat und im Wefentlichen noch von den Juden begangen wird, darüber ſ. Orach Chajim, 


überjegt von Löwe, ©. 150 ff.; Burtorf, synagoga judaica Kap. 25 f.; Schr | 


der, Satungen und Gebräuche des talmudifch-vabbinifhen Yudenthbums, S. 130 fi. 
An die Stelle des Thierfündopfers find die Sühngebete (mırıbo) getreten, in deu 


fich manche fchöne Beftandtheile finden. Doch hat auch das Thieropfer noch fein Sa⸗ 


rogat, in der Capporeth betitelten Ceremonie, welche am KRüfttag bes Feſtes var- 
genommen wird, indem der Mann einen Hahn, die Tran eine Henne (nur bom weißer 
Farbe mit Rücſicht auf Jeſ. 1, 18.) nimmt, und vor der Schlahtung dreimal um ba 
Kopf ſchwingt mit den Worten: „bdiefer Hahn (Henne) ſey eine Auswechslung für mic, 
er fey an meiner Statt! er ſey eine Sühne für mih! Diefer Hahn foll zum Zobe 
gehen, ich aber werde zu guten Leben gehen mit ganz Iſrael. Amen.“ Die Gäfe, 
die dem flellvertretenden Straftod erlitten haben, follen eigentlich den Armen gegeben 
werben; doch kann fie Jeder felbft verzehren, wenn er den Armen ben Werth berfelben 
ı Geld gibt. — Ueber das Kol Nidre f. Bd. VIIL ©. 24. Oebler. 








Villers, Kari Franz Dominique von, gehört zu ber nid großen Zahl 
von geiflretchen und ausgezeichneten Schriftflellern, welche fich, ohne Theologen zu fegn, 
gleihwohl um die proteftantifche Theologie und Kirche bedeutende Verdieuſte erivorben 
haben und deshalb mit Recht eine Stelle in der Real» Encyflopädie in Anſpruch nehmen 
dörfen. — Am 4. November 1764 zu Velden in Deutfch- Lothringen, wo fein Vater 
den Boften eines Töniglicren Raths beleidete, geboren, wurde er gleich den meiſten 
Söhnen der amgefehenen Adelsfamilien des damaligen Frankreich frühzeitig für bie 
militärifche Laufbahn beſtimmt und deshalb in feinem neunten Lebensjahre der Erzie⸗ 
bung und dem Unterrichte der Benebiltiner von St. Yalob zu Mey übergeben, welche 
ihn bald feiner Fähigkeiten und feines Fleißes wegen vor allen feinen Mitfchilern aus⸗ 
yihneten. Funfzehn Yahre alt, trat er als Adfpirant und im Anguſt 1781 ale Zog⸗ 
Img in die Wrtilleriefchule zu Meg ein, wurde nach gründlicher Vorbereitung am 
1. September 1782 zu Straßburg als zweiter Lieutenant im Wrtillerie- Regiment vom 
Toul angeftellt und darauf im Ianuar des folgenden Jahres in das Regiment vom 
Metz verjegt, blieb jedoch fortwährend in der Beſatzung zu Straßburg. Hier erregte 
der damals von Mesmer gelehrte tbieriiche Magnetiemus eine allgemeine Aufmerkſam⸗ 
kit und veranlaßte den wißbegierigen jungen Officier zu feinem erſten ſchriftſtelleriſchen 
Berfuche, fowie zum eifrigen Studium der griechiſchen und hebräifchen Sprache. Ned 
iebhafter ward fein regfamer, an allem Großen und Schöuen theilnehmender Geiſt vom 
der bald daranf beginnenden Revolution exgriffen. Unter mehreren Heinen Schriften, 
bie er im Beranlaflung derfelben erfcheinen ließ, verbient die treffliche Abhandlung sur 
Is libert6 (1791) hervorgehoben zu werden, welche allgemein vom ben Gemaͤßigteren 
als eine der vorzliglichfien Aber bdiefen damals vielbefprodhenen Gegenſtand ihrer Uns 
barteilichleit und Befonmenheit wegen anerlanıt wurde, dagegen den Haß der wäthenden 
Jafobiner fo fehr erregte, daß der Verleger derfelben, ber Buchhändler Eolliguon zu 
Mes, auf das Blutgeräft gebracht, ex ſelbſt aber, machdem er beim Uusbruche des Re⸗ 
bolutionskrieges 1792 zum Hauptmaun in dem Artillerie⸗ Regiment von Beſançon er- 
naunt mar, zur Flucht in's Ausland geswungen wurde. Er nahm mum bei der Armee 
des franzöftfchen Prinzen Condé Dienfle, kehrte nad) dem unglädlichen Anegange bes 
afıen Feldzugs der Verbündeten in feine Vaterftadt zurück, mußte fi) aber, vom bem 
Haſſe der Jakobiner bedroht, auf's Nene zur Auswanderung entichließen. Nach einem 
kurzen Aufenthalte in Holland ging er bei Aunäherung der franzöfifchen Heere nach Lüttich 
md don da mit der Familie, bei der er eine gaftfreie Aufnahme gefunden hatte, nad 
Deutfhland, wo er abwechſelnd zu Münfter, Holgminden an der Weſer, Driburg mad 
Odttingen im Umgange mit gelehrten und vortrefflihen Männern lebte, bis er im 9. 
1797 mit dem Borfage, nach Rußland überzufledeln, nach Lübeck kam. Hier lernte ex 
die berühmte, an den angefehenen Kaufmann Rodde verheirathete Tochter Schlözger’s, 
Dorothea, mit der er ſchon früher zufällig in Göttingen zufanımengetroffen war, genaner 
fennen umd fühlte fi durdy den Umgang mit ihe und ihrer hochgebildeten Familie zu 
dem Entfchluffe betvogen, für immer in Deutfchlaud zu bleiben. So gefhah es, daf 
ex daſelbſt eine Reihe glädlicher Yahre von 1797 bis 1806 im Scooße der Freund⸗ 
ſchaft umd im gefelligen Verkehr mit den edelften und geiftreichften Männern des nord» 
weſtlichen Deutfchlands verliebte und auf diefe Weiſe mit dem Karakter, der Spradye 
und Literatur des beutfchen Volles volllommen vertraut wurde. Bald kürzere, bald 
längere Beſuche bei den Freunden in Eutin, Hamburg und Obttingen, ſowie zwei grö« 
Bere Reiſen mit der Robbe» Schlögerrihen Familie nad; Parts gaben diefem glädlichen 
Leben, das bie fchönften Blüthen feines Geifles zu reifen Früchten entwidelte, eine er⸗ 
wänfchte Abwechſelung und erhöhten den Genuß defielben. 

Um fo tiefer empfand fein edles Gemüth den Schmerz über das Ungläd, welches 
nach den belannten Ereignifſen im Jahre 1806 die Stadt Lübeck, das ganze nördliche 
Dentſchland und bald daranf die ihm fo innig befreımdete Familie Rodde⸗Schldzer 
ttaf, nad in dem er den Schwerbetroffenen tröftend und heifend zur Geite fand, fo 


460 Billers 


biel er vermochte. Er linderte durch feine Fürſprache den Drud des ſtrieges und 
ſchrieb mit folcher Freimüthigkeit über die unerhörten Bewaltthätigleiten der franzdfifchen 
Heere, daß er, als der Kaifer Napoleon im J. 1811 die Hanfeflädte mit Frankreich 
bereimigte, auf Befehl des Marſchalls Davouft verhaftet und fofort ans dem Bezirke 
des Generalgouvernements verwiefen wurde. Um gegen diefe Gewaltmaßregel ſich zu 
bertheidigen und zu rechtfertigen, reife ev nach Paris und bewirkte beim Kaifer nicht 
nur die Aufhebung des Davoufl’fchen Befehls, fondern erhielt auch auf die viel geltende 
Empfehlung des damaligen franzöf. Gefandten Reinhardt in Kafjel eine Auftelung als 
ordentl. Profefior der Philofophie in Göttingen, welche ihn gegen alle weitere Berfolgumg 
Davonft’8 ficher flellte und ihm zugleich die Gelegenheit darbot, durch feine Perfönlid- 
feit und feinen audgebreiteten Ruhm für deutfche Gelehrſamkeit und die deutfchen Uni⸗ 
berfitäten redend und fchreibend mit Erfolg zu wirken. Drei Jahre verlebte er unge⸗ 
ſtöort und zufrieden in diefer fegensreichen Thätigkeit, aus der ihn felbft das wiederholte 
Anerbieten zu dem glänzenden Poſten eines weftphäftfchen Staatsrath® nicht zu loden 
vermochte. Gleichwohl wurde er, der nur für das Wohl Anderer gelebt Hatte, das 
Opfer einer gemeinen Imtrigue, al® im Jahre 1813 Hannover unter feine alte redit- 
mäßige Regierung zurückkehrte. Dur eine Refolution des hannoverſchen Cobinets. 
Minifteriums vom 21. März 1814 mit einer jährlichen Penſion von 3000 Yranten, 
dem Betrage feines bisherigen Gehaltes, in Ruheſtand verſetzt, warb ihm angedeutet, 
daß er fobald als möglich in feine alte Heimath nad Frankreich zurücklehren ſollie 
Zwar erlangte er nad) einer ausführlichen Darlegung feiner Berhältniffe auf die Ber 
wendung des Grafen von Munſter eine Erhöhung feiner Penſion auf 4000 Frankes 
und die Erlaubniß, fi am jedem beliebigen Orte im Hmmoverfchen aufhalten zu dürfen; 
aber die vielfachen Leiden, die in der letztverfloſſenen Zeit fein lebhaft und zart füh- 
Iendes Her; verwundet hatten, zerrütteten fchnell feine Geſundheit und endigten fein 
thätiges und nützliches Leben am 26. Februar 1815. Sein unerwartet erfolgter Tod 
machte nicht nur auf feine vertrauteren Freunde, fondern auf alle Edelgefinnte im der 
Nähe und Ferne einen tiefen Eindrud, und wie es oft gefchieht, erſt jet bergegen- 
wärtigte man ſich lebhaft die Liebenswürdigkeit feines Karafters, feine uneigeunlßige, 
unermädete Dienffertigkeit, feinen zarten Sinn für Recht und Unrecht und bie am% 
gezeichneten Verdienfte, die er ſich als Menſch und Schriftfteller erworben hat (dgl. Keal- 
Enchklopädie Bd. VIII. ©. 525). In der That gehörte Villers zu den WRenfchen, 
bon denen man fagt, fie feyen zu gut für diefe Welt. Stets feinem Wahlſpruche: 
„Sude die Menſchen für beffer zu halten als fle find, um Did) felbft befier zu me. 
hen“, getren, fchentte er Jedem, mit dem er in nähere Berührung kam, arglos wm? 
voll redlichen Eifers fein Vertrauen, widmete ihm bereitwillig feine Kräfte und feine 
Thätigkeit, und fah fich zuletzt nicht felten don ihm getänfcht und betrogen. Uber nidıts 
defloweniger ermüdete ex micht, für das Wohl feiner Nebenmenſchen und für die Um 
erlennung des wohlbegründeten Ruhmes des deutfchen Volles, dem er Rh innig ange 
fchlofien hatte, bi8 an das Ende feiner Tage zu wirken. 

Durd; feine zahlreichen fchriftftellerifchen Arbeiten iſt Villers unftreitig der betes- 
tendfte Vermittler der Deutfchen und Franzoſen auf literarifchem Wege geworden, „der 
fo zuerft“, wie Iean Paul einmal fagte, „zwei Völfer ohne Krieg verband.» Vod 
möüfien wir uns hier auf dasjenige befchränfen, was er für bie richtige Würdigung ber 
von Deutfchland ausgegangenen Reformation und der proteftantifchen Kirche geleiftet hat. 

Obgleich Mitglied der Tatholifchen Kirche und in beren Anſichten erzogen, hatte er 
fich während feines langjährigen Aufenthaltes in Deutfchland mit dem Glauben uw 
den Grundfägen des Proteſtantismus durch Studium und Umgang fo vertramt gemadk, 
daß er, als die hiftorifhe Kaffe des franzdfifchen Nationalinftituts eine Preisfrage 
„Über den Einfluß der Reformation Luthers auf die politifche Rage ber verfchiedenen 
europätfchen Staaten und bie Fortfchritte der Aufllärung“ ausſchrieb, diefelbe zu beat 
worten ſich entſchloß und im Yahre 1804 unter mehreren Mitbetverbern den Preis ge 


[0 





Bincent 461 


wann. Seine Schrift ward fogleih zu Paris 1804 unter dem Titel „Easai sur 
Pesprit et l’influence de la reformation de Luther” gedrudt und fand eine fo beis 
fälige Aufnahme, daf fie noch in demfelben Jahre die zweite, kurz darauf die dritte 
md 1820 bie vierte Auflage erlebte, auch wiederholt, zuerfi von Cramer mit Zufägen 
von Henle in das Deutfche, dann in die fchwedifdye, holländifche und englifhe Sprache 
überfeßt wurde. 

Denn man ſich aller ber früheren umngäufligen Uxtheile der Katholiken über bie 
Reformation and der harten Berfolgungen der Proteflanten in frankreich und anderen 
Linden, von denen die Befchichte erzählt, erinnert, fo muß man es an umd für ſich 
Ion als eine bedeutende Erſcheinung betrachten, daß ein franzdfifcher Gelehrter und 
Mitglied der latholiſchen Kirche das Unternehmen und die fegensreichen Wirkungen der 
Intherifchen Kirchenverbeſſerung, dem ange ber Geſchichte mit Wahrheitsliebe folgend, 
unparteiiſch darftellte und mit den größten Lobfprüchen erhob; aber noch mehr gewinnt 
diefe Thatfache dadurch an Bedeutfamleit, daß eine der gelehrteften und angefehenften 
Körperfchaften, welche unter ihren Mitgliedern mehrere latholifche Geiſtliche zählte, einer 
ſolchen Arbeit den Ehrenpreis zuerlannte.e Die VBeichränttheit des Raumes geftattet 
und nicht, den Inhalt der geiftreihen Schrift hier im Einzelnen darzulegen, wohl aber 
mäflen wir darauf hinweiſen, wie ſehr durch biefelbe die Urtheile über die Reformation 
anch unter den Katholilen berichtigt und eine beflere und mildere Anſicht von ihr be 
fördert wide. Wie Billers durch diefelbe alle Parteien verjühnen und vereinigen zu 
müflen fchien, fo firebte ex nicht minder im gleihem Sinne zur richtigen Würdigung 
des Proteſtantismus in Frankreich durch einige andere Schriften beizutragen, bon denen 
es genügen mag, folgende als die beachtenswertheflen hier anzuführen: Precis histo- 
rique de la vie de Martin Luther, traduit du latin de Melanchthon aveo des 
notes, im Almanach des protestans bom Jahre 1810; Preface & la confession 
d’Augsbourg ; Coup d’oeil sur les universites d’Allemagne protestantes, Kaſſel 1808, 
2. Aufl. 1811, deutfh: Marburg 1813; Bhilofophiiche und biftorifche Briefe über die 
Fichenvereinigung, Amſterdam 1808; Philosophie de Kant, Metz 1801, 2 Bände; 
Rapport sur l’&tat de la litterature ancienne et de l’histoire en Allemagne, 1809; 
und Introduction de l’ouvrage de Mad. de Staäl sur l’Allemagne. — 

Vergl. Zeitgenofien, Bd. IL S. 55—77. Leiz. 1818. — Verſuch über den Geift 
md den Einfluß der Reformation Luthers. Gelrönte Preisfchrift von Karl Villers 
Rad, der zweiten Ausgabe ans dem Franzofiſchen überfegt von K. Fr. Cramer. Mit 
einer Vorrede und Beilage einiger Abhandlungen von Dr. H. Ph. Konrad Heute, 
2te Aufl. Hamburg 1828. Dr. G. 9. Klippel. 

Vincent, Jacques Louis Sammel *), geboren zu Nimes im Jahre 1787, 
Sohn und Enkel von Pafloren der Wüfle (desert), wurde für die geiftliche Laufbahn 
beftimmt. Brühe zeigte er ausgezeichuete Fähigkeiten und leidenfchaftlichen Eifer für 
die Studien. Er findirte die Theologie in Genf, wohin das franzöflfche, von Anton 
Court geftiftete Seminar (f. über diefes Bd. XX. ©. 514. 515) verſetzt worden war. 
E machte ſolche Fortfchritte, daß ex vor der feflgefegten Zeit die Conſekration erhielt, 


*) Die nähere Kenntwiß biefes geifivollen und einflußreichen Mannes hat bei ber hentigen 
Zerfläftung der zeformirten Kirchen Frankreichs neue Wichtigkeit erhalten. Offenbar bat er zu 
diefer Berfiüftung viel beigetragen, fo fehr er andy beibe ſich befehdende Richtungen in der Kirche 
m vereinbaren traditete. In dem Gange, den er felber nahm, fpiegelt fidy die jetzige ab, info- 
ern er mit ber eilt, wie ber Berfafler zeigt, immer mehr die weſentlichen Wahrheiten bes 
Erangelinmıs bei Seite ließ. Wenn er dasjenige, was jet die Franzoſen theologiſchen Indivi⸗ 
dualismus nennen, vertrat und befürderte und Alles auf das Urtheil des Gewiſſens aurückführte, 
© erlennen wir darin ganz dentlich bie Form, munter welcher ber theologiſche Radikalismus ſich 
jegenwärtig in Frankreich Eingang verſchafft. Dieſer Radikaliomus gebt zwar noch viel weiter 
ile Vincent, der immer Suprenaturalif blieb, wie der Berfafler anführt, aber Vincent hat ihn 
sh befördern helſen. Bielleicht wäre feine Richtung eine beffere geworden, wenn er mehr eigente 
ihe Theologie getrieben hätte. 











468 Bincent 


woranf er alfobald nad; Nimes als Katehift berufen wurde in einem Alter von zii 
undziwanzig Yahren. Zu Anfang des Yahres 1810 trat er dieſes befcheidene Amt an 
und feste feine Studien mit Eifer fort. Alte und neue Litteratur, Wiſſenſchaft und 
Kunft befhäftigten ihn eben fo fehr mie die Theologie. Erzogen im Schooße einer 
Familie, die ihn mit frommen Erinnerungen genährt hatte, voll von Hoffnung für 
die Zukunft des Proteflantiemus, wurde er bei dem Untritte feines Amtes tief beinegt 
bei dem Unblide des Zuftandes der reformirten Kirchen. Die Litteratur des 18. Jahr⸗ 
bunderts, die politifchen Umtälzungen, denen bald die Triegerifchen Tirinmphe des erſten 
Kaiſerreiches folgten, hatten den franzöflfch-reformirten Kirchen größeren Schaden zugefigt 
als die biutigen Berfolgungen Ludwig's XIV. An der Stelle ber religidfen Vegeiſt 
fterung, welche durch die Gewaltthätigkeit nicht hatte erftidt werden Lönmen, ſah ma 
nichts als Gleichgüültigkeit oder Yormalismus. „Die Prediger predigten“, fagt Bin 
bon biefer Zeit“, die Gemeinden hörten fie an, die Confiftorien verfammelten ſich, der 
Enltus behielt feine formen bei. Uebrigens kümmerte fid, fein Menſch um dieſe Dinge, 
die Religion nahm in Aller Leben eine Stelle ein“*). Vincent juchte das religit 
Gefühl zu weden, und die Ereigniſſe, welde in Nimes auf den Sturz Napoli 
folgten, indem fie das Andenken der Leiden der Väter auffrifchten, mußten zu jem 
Werte der Wiederbelebung beitragen. Während diefer unglüdlichen Tage, welde mia 
dem Namen „weißer Schredengzeit“ **) belannt find, wurden Proteftanten getöbtet, im 
Häufer geplündert ***), gerade fo, wie in den Zeiten der Religionskriege. Diefe In 
glüdefälle erwedten in den Gemüthern einigen Ernſt und bewirkten eine für velipiiie 
Eindrüde empfänglihe Stimmung. 

Die erfte Predigt, welche Vincent herausgab, handelte „von der Einheit des Ge 
filed“ ; fie teug die Jahrzahl 1814, zu welcher Zeit die Öffentliche Ordnung zu marke 
begann. Im Jahre 1815 ließ er eine neue und mit Anmerkungen vermehrte Antgek 
dev „ Pflichten der Corporationen“ (devoir des communaut&s) von Dſterwalb m 
fcheinen. Im J. 1817 gab er den noch in mehreren Kirchen gebräuchlichen Katehiiml 
heraus, fo wie eine Ueberfegung der Moralphilofophie von William Paley. für em 
andere Veröffentlichung erntete er den einftimmigen Dant des Publikums, nänlid ſu 
die Herausgabe der „Beweiſe und Autoritäten der chriſtlichen Offenbarung im Ya 
1819“. Im demfelben Jahre fchrieb er eine Einleitung zu der „Geſchichte der Em, 
farden“ von Anton Court (f. d. Art.), wovon in Alais ein nener Wbdrud gemait 
wurde. Vom Jahre 1820 an nahm feine Schriftftellerei eine mehr ſelbſtſtändige Hal 
tung. Abgeſehen von einem Bande Predigten von Sintents, die er als litteren 
Uebung überfetste, gab er feine Beobachtungen „über die religidfe Einheit« (Obeern 
tions sur l’unitE religieuse) und feine „Beobachtungen über die Anwendung des Ir 
ritätsprincips auf die Religion“ (Observations sur la voie d’autorit& appliquee & Is 
religion) heraus. In dem erften diefer Werke widerlegt er den VBerfafler des eassi mr 
Pindiff6renoe en matiere de religion und zeigt in fireng geordneter Argumenten 
daß die religidfe Einheit unmöglich ift, man mag fie num durch Unterricht, durd I» 
wifſenheit oder dur, Zwang zu begründen ſuchen. Ebenſo bedt er die Gefahren Ki 
Syſtems von Lamennais für alle Fortfchritte des menfchlichen Geiftes auf; am Shirt 
rechtfertigt er den Proteflantismns gegen den Vorwurf bes Indifferentismus amd fell 
die heilige Schrift hin als Grundlage der refigiöfen Einheit und als Duelle der Br 
figion. Lamennais antwortete in bornehm- ftolgem Tone diefem „Ministre”, mie a i⸗ 
nannte, im 2. Bande feines essai, worin er zeigt, daß die Bibel wicht hinreide F 
Begründung ber religidfen Einheit, ebenfo weift er die drei vom Bincent aufgefelz 

*) Du Protestantisme en France, Reue Ausgabe 1859. ©. 467. — Längere Aaszke 
diefer Schrift finden ſich Bd. IV. S. 566. 
“*) Anfpielung anf bie Scredenszeit 1798, weiß genannt, weil fie unter den Bei 


Rattfand, 
.) Siehe die Schrift von Lanze be Perret: 1792 und 1816 & Nimes, 


Bincent 468 


Alternativen ab; ex behanptet, ba der Slanbe weder durch Unterricht zuwege nebradit 
ud durch Unwiffenheit noch durch Zwang auferlegt werden inne. Der Glaube müffe 
and Gehorfam gegen die Autorität angenommen werden, und für Lamennais ift bie 
größte Autorität diejenige, welche fi aus der allgemeinen Zuflimmung ergibt und welche 
in einem Körper, der ihr als Organ dient, Perfon wird. BBincent flürzte diefe Thefis 
in feinen Beobadhtumgen über das Princip der Autorität. Er zeigte mit firenger 
Logil, daß die Autorität kein untrügliches Kriterium if, daß die am meiften berbreiteten 
Reinmmgen nicht nothwendig die wahrſten, und daß eine organifirte Uutorität diejenige 
f, auf die man ſich am menigften verlafien kann. Jene beiden Schriften führten den 
fronzöftfchen Kicchen einen muthigen Belämpfer ihrer Sache vor, einen Maun, der un 
geachtet dee Furchtſamkeit, welche die Ereigniffe der Zeit ihnen eingeflößt hatten, ſich 
sicht fchente, ernfteren Angriffen Widerfland zu leiften. 

Seit geraumer Zeit erfällt vom Wunſche, in Frankreich den Sinn für theologifche 
Studien zum wecken und zu religidfer Thätigleit anzufpornen, trug fi) Bincent mit ver⸗ 
fdiedenen Projeften herum. Daher er ſich im 9. 1818 über das Grfcheinen der „Ar- 
ehives du ehristianisme” frente, der erflen religidfen Zeitfchrift des proteftantifchen 
Frankreichs. Es finden ſich darin einige Artikel, die feinen Namen tragen. Doch nicht 
longe ging es, bis er ein ausgedehnteres Programm ansfann, als dasjenige mar, 
worauf jenes Blatt fi, beſchränken wollte. Endlich kam er dahin, jene Gedanken zu 
verwirffichen, da ex im J. 1820 feine „Me£langes de religion, de morale et de cri- 
tique saor&e” heramszugeben anfing. Die zehn Bände diefer jeden Monat heftinelfe er- 
Iheinenden Sammlung, die fünf Jahre lang dauerte, enthalten eine beträchtliche Anzahl 
von Kenntniffen, die für jene Zeit in Frankreich volllommen nen waren. Man findet 
darin viele Auszüge aus deutſchen Schriften; denn Bincent's hauptſächlichſtes Streben 
war, die dentſche Wifjenfchaft mit dem franzdftfchen Geiſte in Berührung zu bringen. 
Ankerdem lieſt man darin Analyfen von englifhen und hollandiſchen Werken, verſchie⸗ 
dene Driginalartifel, Anzeigen verfchiedener Schriften nebft Angabe ihres Inhaltes, 
fowie Nachrichten, die hauptfächlich die Thätigkeit der Bibelgefellichaften betreffen. Die 
Birkung diefer Zeitſchrift war fehr verſchiedenartig. Da fie an ein Publikum gerichtet 
var, welches für die darin behandelten Fragen unreif war, machte man ihm bisweilen 
einen Vorwurf daraus, daß er deren Berdffentlichung unternommen. Indeſſen bat fie 
dad, einige gute Früchte gebracht. Wenn einige Perfonen dadurch in ihrer Meberzengung 
re gemacht wurden, fo fanden andere darin einen edlen Anflug von Spiritualismns, 
ver fie geiftig ſtärkte. Jedenfalls wurde die Lieferung immer mit Ungebuld erwartet, 
Bincent hatte dazu wenige Mitarbeiter. Alle Artikel find von ihm, ausgenommen 
finige wenige von Wilm, Cellerier, Cohn und Fontands. Daher er, da feine Be 
ſchaftigungen täglich fich mehrten, die Peitfchrift aufgab, ſeitdem die Revue prote- 
tante anfing zu erfcheinen; diefe von Eoquerel dem Bater 1825 bis 1829 rebdigirte 
Jeitſchrift erfrente fich der vollen Sympathie von Bincent, der darin eine Reihe bon 
Artikeln fchrieb unter dem Titel „Dex veformirte Paftor im 19. Jahrhundert“. 

Nach dem Tode des Herm Olivier-Dermond im Jahre 1825 wurde Vincent 
Präfident des Eonfiftorinms von Nimes (über die Conſiſtorien vgl. Bd. IV. ©. 548), 
Er genoß fo allgemeine Achtung, daß er fchon vorher Mitglied mehrerer adminiſtra⸗ 
wer Behörden und fogar der Tiniglichen Alademie des Departements Du Gard, — eine 
Ür Proteftanten ungewohnte Ehre, — geivorden war. Das Intereſſe, welches er immer 
fie die Kirchen feines Baterlandes gehept, die Stellung, die ex in einer der wichtigften 
defer Kirchen einnahm, die Kenutniffe, die er fich in Beziehung baranf erwarb, trugen 
an bei, daß er der VBerather einer Menge von Eonfiflorien wurde. Unter dem Ein- 
luſſe der Präocenpationen, die ihm von biefer legten Seite erwuchſen, veröffentlichte er 
eine Anſichten (vues) Über den Proteftantismus 1829. 

Im diefer Schrift, wovon einige Kapitel bereits unter dem vorhin genannten Titel 
der reformirte Paſtor im 19. Jahrhundert“ erfhlenen waren, gibt Bincent ohne fyfle- 


464 Bincent 


matifche Ordnung die Refultate feiner Erfahrungen umd feines Nachdenkens. Unter ver 
fchiedene Rubriken bringt er, was ſich auf die proteftantifchen Kiirchen im Allgemeinen 
und auf die franzöfifchen indbefondere bezieht. So fpricht er zunächſt vom Proteftan. 
tismus Überhaupt, von feinem Princip, feiner Berfafiung; darauf betrachtet ex ihn un 
feinem Urfprunge und in feinem gegenwärtigen Zuftande, weiterhin handelt er von dem, 
was auf den Proteftantisinus Einfluß haben kann, nämlich von feinem Verhältniß zum 
Staat, von der Theologie, von der Religion, von der Philofophie, vom Methodisuus 
(unter welchem Namen er die religiöfe Erweckung unferes Jahrhunderts zufanmenfakt) 
und vom Katholicismus. Im legten Kapitel wirft er einen Blick auf die Yukanft des 
Proteftantismus. Man fieht e8 dem Buche an, daß der Berfaffer, wie er felbft be 
merkt, mit ganzer Seele dabei war. Es athmet einen Yreimuth und an manchen Stel 
eine Kraft der Rede, die fchon an fich hinreichend wären, es intereffant zu maden. Be 
fonders iſt e8 voll von lichtvollen appercus, welche ben Zuftand der reformirten Kirchen 
Frankreichs lebendig vor Augen ftellen, wobei er den toleranten Geift bekundet, zu Im 
er fid) in jenen Zagen ber religiöfen Gährung zu erheben wußte. Endlich findet man 
in feiner Schrift richtige Anfichten Aber die rejormirte Kirche, die religiöfe GErwedtung, 
über den Katholicismus, fo wie über die reihen Hoffnungen, die er im Bezug auf den 
Proteftantismus in ſich hegte. 

Er unterfcheidet zwifchen dem Proteftantismus, der berufen ift zu wachſen, um 
zwifchen feinen verfchiedenen Lebensäußerungen, welche ihren Karalter verlieren um 
untergehen können. „tür mic und für viele Undere« — fagt er — mift ber Prate 
ftantismus das Evangelium, feine Form ift die freie Prüfung.“ Weberdieß bedauert er 
die Erſchlaffung innerhalb der reformirten Kirche und das Geſetz vom 18. Germinl 
des Jahres X der Hepublil, wodurd, das Berhältniß der reformirten Kirchen in fi m 
zum Staate geregelt wurde. Nach feiner Anfiht ift die Unabhängigkeit vom State 
die normale Stellung der Kirche. „Daher unfer Streben darauf gerichtet feyn fol, fr 
wieder zu finden. Iſt fie doch ein Fortfchritt, den unfer Sahrhundert auf fein Pr 
gramm gefchrieben und den es vollziehen foll“ (du Protestantisme en France ©. 516jj.. 
Bincent erachtete aber, daß in jener Zeit die Kirchen auf diefe Aenderung nicht gehört 
vorbereitet ſehen. Ex fürchtete für fe die Zertheilung in Selten. Daher er fih be 
fleißigte, ihnen zu zeigen, wie fie vorerſt die Stellung ausbeuten könnten, die das Car 
cordat für fie gefchaffen hatte. In diefer Beziehung fordert er die Verſammlung de 
Stmoden oder vielmehr er wünſcht fie, denn er befürchtet auch die Zwiſtigkeiten, die 
im gegenwärtigen Zeitpunkte bei diefem Anlaſſe hätten ausbrechen Können. Die Ks 
fihten über den Proteftantismus find das Hauptwerk don Vincent, fo wie fie aud de 
wichtigſte find für die Kenntniß des damaligen Zuftandes der reformirten Kirche Fra 
reiche. Diefe Schrift ift nicht veraltet, und gerechteriweife hat 1860 Prevoft > Pıradal 
fie dem Publikum auf's Neue dargeboten, bereicdyert mit einer Einleitung aus fee 
Feder, unter dem Xitel: Du protestantisme en France par Samuel Vincent, are 
une introduction par Prevost - Paradol. 


Eine andere Schrift von Bincent, wie die Anſichten Aber den Proteftantisumd m 


Jahre 1829 erfchienen und ebenfalls vor kurzer Zeit neu herausgegeben, find fein 
„Meditations religieuses”*). Bei ihrem Erſcheinen wurde fie fehr günftig anfgene- 
men bon den einen, mit Mißtrauen von den anderen, die Tendenz dexfelben ift der 
ausgefprodhen, wenn der Verfaſſer fie einen Verſuch nennt, den Spiritualismus, is 


*) Sie find dreimal beransgegeben worben, abgefeben von denjenigen meditations, bie M 
Berfafer befonders oder in ben melanges veröffentlicht hatte Die Angabe von 1863 iR ur 


ſehen mit einer Einleitung von Coquerel, Bater. Sie find auch in's Deutſche überjſetzt ** | 


unter dem Titel: „Das Chriſtenthum ale die Religion des Herzens“, — ſodann wurben fie # 


mals deutſch edirt unter anderem Zitel: „Betrachtungen Über Religion und Chrifentum" - 


Eine der meditations iſt beſonders deutſch erfehienen: „Der weibliche Beruf im Lichte der Kr 
gion, Worte der Liebe. 


Bincent 465 


reinften Sinme des Wortes verflanden, in die praltifche Religion und in bie Regelung 
des Lebens hinüberzuleiten. „Das Gefühl der Pfliht“ — fogt Vincent an einer ats» 
deren Stelle —, „die fittlihe Weltordnung, wovon diefes Gefühl die Aeußerung ifl, 
die göttliche Wiedervergeltung, welche die nothwendige Ergänzung jener Weltordnung 
if, der Kampf jened edlen und mneigennüßigen Principe gegen die Bedürfnifle und Ber: 
ſuchungen der Sinnlichkeit, die Ueberlegenheit, welche diefes Princip dem Dienfchen über 
die übrige Schöpfung verleiht, die damit verbundene Ahnung einer unfichtbaren Welt, 
das iſt es, was ich in diefen Meditationen zu erläutern verfucht habe“ (f. Meditations, 
Ausgabe von 1829 ©. LV). Fontanes hat fie mit Recht einen Curſus über religidfe 
Philofophie genannt. Was die Form derfelben betrifft, fo ift fie fehr mannichfaltig. 
Wir wiffen, daß Vincent einen Band Predigten von Sintenid überfegt hatte, worin 
diefer don ben gewöhnlichen Regeln des Kanzelvortrags abwich. Vincent folgte feinen 
Fußſtapfen. Faſt nie gibt ex die Eintheilung an. Bisweilen behandelt er fein Thema, 
one einen Zert zu Grunde zu legen, und wenn er einen Text gewählt hat, gibt er 
ſelten die eregetifche Erläuterung davon. Eigenthümlich ift die Art, wie manche dieſer 
Meditationen ſchließen; das eine Mal ift es ein Schlußgedanfe oder ein ſolcher, der das 
behandelte Thema in Erinnerung bringt, das andere Mal fließt ex mit der Berufung 
an da8 Gewiſſen des Leſers. Der Styl ift gewöhnlich fehr concis. Einige Parthien 
find mehr entwidelt und mit Eleganz gefchrieben. Aber die eigentliche Predigtweiſe 
des Berfaffers lernen wir daraus nicht kennen. Denn gewöhnlich fchrieb er nur den 
Plan feiner Predigten, und nur diejenigen, die er des Drudes würdig eradhtete oder 
die ihm feine Freunde als ſolche bezeichneten, gab er fidh die Mühe, ganz niederzus 
(reiben. Bedenkt man überdieß, daß ihm die Improvifation nicht leicht wurde, daß 
ein organifcher Fehler an der Zunge feine Rede ſchwer verftändlicd; machte, fo begreift 
man, warum Bincent al® Prediger keinen großen Exfolg hatte. Ueberdieß waren feine 
Predigten nicht von der Art, daß fie ein zahlreiche® Auditorium intereffiren konnten, 
und abgefehen don einigen Anläffen, wo er fih an die Maſſen wendete, war e6 nur 
die Klafſe der gebildeten Leute, die ihn mit Wohlgefallen hörte. 

Es bleibt uns noch eine Berdffentlihung von Bincent zu erwähnen übrig, eine 
Zeitfchrift, betitelt: „Religion und Chriftenthum“, die er in Verbindung mit Fontanés 
in den Jahren 1830 und 1831 redigirte; doch lieferte er nur einige Artikel, theilg 
Meditationen über religidfe Gegenftände, theil® Arbeiten, betreffend die religidfen Ereig⸗ 
niſſe des Tages. Die Iulirevolution und die damit verbundenen Unruhen, gebäufte 
Beihäftigungen und befonders die Symptome einer ſchweren Krankheit bewirkten, daß 
er die Yeitfchrift bald aufgab. Bon diefer Zeit an ließ er nichts mehr druden, als 
eine Meditation Über die Zweifel, und die Zeitfchrift „Der Evangelift“, von Fontanés 
in Nimes herausgegeben, fpäter aufgenommen in die Ausgabe der Meditationen bon 
dontanes 1863 beforgt. 

In den Anfichten über den Proteftantismus fo tie in den Me£ditations hatte 
Vincent das chriſtliche Princip hervorgehoben, daß der evangelifche Geiſtliche nicht 
Priefter if. Seine Anficht war, daß der Geiſiliche ebenfo gut wie alle Anderen Mit: 
glied der Gefellfchaft fey, daß daher das Amt, das er beffeide, ihn nicht von der übri⸗ 
gen Welt ausfchließen fol. Indem das Evangelium dem Geiſtlichen ſolche Stellung 
gibt, legt e8 ihm die Pflicht auf, dem ganzen Menſchen zu entwideln und dehnt fo 
leinen Einfluß auf alle Kreiſe des menſchlichen Lebens ans. In Folge dieſes wichtigen 
und fruchtbaren Princips befchäftigte fi Vincent mit Allem, was den Gang und die 
Vortichritte des gefelligen Lebens betrifft. Doc; läßt ſich vielleicht fagen, daß er hierin 
etwas Über bie ihm gefegten Gränzen hinausging. Wie dem auch ſeyn möge, Vincent, 
bereit Mitglied einiger gelehrten Gefellfchaften, wurde auch in die politifchen und ad⸗ 
miniſtrativen Behörden gewählt. Er wurde Mitglied des Conseil general vom Depar- 
tement du Gard, der commission des prisons, er verfaßte Artifel für den Courrier du 
Gard, ie ſich von felbft verfteht, im Intereſſe der Ordnung. Seine politifche Thätigfelt 

Real Gucpflopädie für Theologie und Kirche. Suppl. II. 20 





466 Bincent . 


war bedeutfam genug, um ihn in der Neftaurationszeit den Zorn eines Stanteminifiers 
zuzuziehen, Heren von Corbieres, der ihm die Präfidentfchaft des Confiftoriums von Nimes 
entzog, teil er feine Mitwirfung für die Wahl der officiellen Candidaten in zwei 
Wahlbezirken verweigert hatte. Die Yuliregierung fette ihn in feine Funktionen wieder 
ein. Im Jahre 1830 hatte ex die Freude, in feiner Vaterſtadt den einige Yugenblide 
geftlörten Frieden wieder herzuftellen. 

Bincent befchäftigte ſich mit dem lebhafteſten Intereſſe mit dem Unterrichte dee 
Boltes. Er war einer der Erften, die in Frankreich die Lancafirifhe Methode ein» 
führten, für die er eigentlich begeiftert war und die er in den Kirchen, die zum Con- 
sistoriale von Nimes gehörten, aufblühen ſah. Die Commiffion des Schullehrerfemt- 
nars ernannte ihn zum Profeffor diefer Anftalt. — So wie in den Zagen der Jugend 
beichäftigte fi Vincent in vorgerücdtem Alter und bis an das Ende des Lebens mit 
Litteratur und Wiſſenſchaft. Vom 9. 1831 bis 1833 hielt er Vorlefungen über Ita- 
lien und die italienifche Literatur. Im feinem Studierzimmer fand man aud) die neue- 
ften Werte über Chemie, Phyſik, Mineralogie, fowie über Differentiol- und Integralrech⸗ 
nung. Mit fo mannichfaltigen Kenntniffen verband Bincent Geſchmad für Poefie md 
Duft. Daher feine Unterhaltung, eben jo anfprechend als lehrreich, immer geſucht 
wurde. Er zeigte dabei die Feinheit feines Geiftes fowohl als die Einfalt und Heiter- 
feit feines Karakters. 

Da er in den legten Jahren feines Lebens aus Gefundheitsrüdfichten gezwungen 
war, viel an der freien Luft zu leben, nahm er die Bebauung eined Landgutes in ber 
Nähe von Nines, das er befaß, in die Hand. Er befchäftigte ſich mit dem Aderbau 
mit dem ihm eigenen Scharffinn und Takt. Die neue Methode, die vervollfommmeten 
Inftrumente, die er anwendete, erweckten die Aufmerkfamteit der TFachmänner. Sein Ruf 
als Mitglied der Gefelfchaft für Aderbau hat ſich vergrößert, als fie die dom ihm ge- 
brauchte Methode rechtfertigte. 

Männer jeglihen Standes, mit denen Vincent in Relation fand, haben von ihm 
ein unauslöfchliches Andenken behalten. Im den gelehrten und adminiftrativen Vehbrden, 
deren Dlitglied er war, galt er immer als ein Mann von Verdienſt; dag Confiftoriumm 


bon Nimes, das er lange Zeit präfidirte, wird noch duch feine Orundfäge regiert. 


Sein Einfluß erfiredte ſich übrigens auf den ganzen franzdfifchen Proteſtantismus. Cr 
farb in Nimes am 10. Yuli 1837 und hinterließ drei Töchter und eine Wittwe, die 
noch am Leben ifl. In dem großen Leichenzuge befanden ſich die erſten Würdenträge 
des Departements und der Stadt. Diefer Umfland verdient eine befondere Erwöh— 
nung, infofern viele Yeitgenofjen fi) der Zeit erinnerten, wo die Proteflanten ihre 
Todten im DVerborgenen begruben. Bald nad feinem Tode hielt Yontanes in eine 


öffentlihen Sigung der Akademie du Gard eine Rede zu Ehren des Verftorbenen, die 


er bor der zweiten Ausgabe der meditations religieuses deſſelben abdruden ließ. 
Bincent bat in feiner Kirche tiefe Spuren hinterlaffen. Er hat eine Bewegms 
hervorgebracht und ihr eine Richtung gegeben, die noch in mehreren Conflftorien fort. 
dauert. Der leitende Gedanke, den er zu verbreiten und zu verwirklichen fuchte, beſtard 
darin, die verfchiedenen Richtungen, die fi) im Schooße der Kirche zu bilden anfingen, 
in derfelben Organifatton zu vereinigen. Erklärter Feind der Glaubensbekenntniffk, 
wollte er, daß die Bedingungen, unter denen man fid in der Kirche vereinigte, moͤglici 
allgemein, negativ und nicht fchriftlic, niedergelegt wären. Seine Theologie, in welde 
man zwei Phafen unterfcheiden kann, knüpft fich zulegt an die individualiſtiſche Erd, 
mung, welche Alles auf die Urtheile des Gewiſſens bauen will. Es iſt Leicht, die 
Fortfchritte zu erfennen, die Vincent auf diefem Wege gemacht hat. Aber diefe ort 
fchritte gefchnhen auf Koſten der objektiven Religion. Die Gottheit Jeſu Chriſti, die 
die er früher für einen fo wichtigen Punkt gehalten, daß er Theil nahm an ber Cenfur, 
welche das Confiftorium von Nimes im Jahre 1812 an Profeffor Safe in Montandın 
richtete, wurde für ihn eine alles Intereſſes entblößte Frage (du FProtestantiame en 


Walther von ber Bogelweibe 467 


France ©. 396). Doch ift:er Supranaturalift geblieben. Im dem Leben und Wirken 
Iefu Ehrifti auf Erden flieht er eine That der unmittelbaren Wirkſamkeit Gottes, mo» 
bei die Kraft der natürlichen Geſetze für eine gewiſſe Zeit aufgehoben war (du Pro- 
testantisme en France ©. 334), Er fonderte ſich von den Männern ab, die zur 
religidfen Erwedung gehörten. Die meiften der von ihnen vertretenen Lehren: Sünden⸗ 
hal, Berföhnung, göttliche Gnadenwahl — lagen von feinem Standpunkte zu weit ab, 
old daR eine Verfländigung möglich geweſen wäre. Seine Anthropologie, die als 
bie eigentliche Grundlage feines Suftems betrachtet werden kann, geht über den Sünden, 
fol und die VBerfhuldung des Menſchen leichten Schrittes hinweg. Am meiften hätte 
er gewünſcht, den Nationalismus, der vom Menſchen ausgeht, und den Supranatura- 
liemus, der Alles an die Erlöfung anknüpft (du Protestantisme ©. 398 ff.), mit ein- 
ander zu bereinbaren. Im Ganzen neigt feine Theologie mehr zum Rationalismus 
bin, | Antonin, Paſtor in Uchand (Garb). 


28. 


Walther von der Vogelweide. — inter ben verfchiebenen Dichtarten, in 
denen die mittelhochdeutfche Litteratur fich bewegt, iſt die Lyrik im mehrfachem Betracht 
als die Hauptfächliche voranzuftellen, als diejenige, welche die zumeift und eigentlich be⸗ 
zeichuende für die genannte Litteratucperiode fei: denn fie hat erſt in diefer ihre Ent 
ſtehung und fofort auch die Vollendung gefunden, fle iſt von der gröften Zahl der 
Dichter geübt und von allem Bolt, niht bloß von den Fürften und Edeln, zu dem 
beften Schmuck des gefelligen Lebens gerechnet worden, und neben ihr und durch ihren 
Einfluß zeigt fi die gefammte übrige Dichtung bald mehr, bald minder und oft bis 
zur Ungebühr mit durchdrungen von Iyrifcher Auffaffungs » und Ausdrucksweiſe. 

Es ift aber jene Vollendung auf einen fchmalen Zeitraum eingefchräntt, auf die 
zwei Menfchenalter vom Ausgange des zwölften bis um die Dlitte des dreizehnten Jahr⸗ 
hunderts, und wenn nun aus den vielen Namen, welche zwiſchen diefen engen Grenzen 
aedrängt daftehen, wiederum die characteriftifchen, die führer und Stellvertreter all der 
Übrigen follen hervorgehoben werden, fo kann diefe Auszeichnung nur auf drei nad, ein» 
ander fallen, auf Reinmar von Hagenam oder den Alten, Walther von der 
Bogelmweide und Reinmar von Zweter. Es gehören diefelben ſchon infofern 
zufammen, al® alle drei Defterreichifche Dichter find, zwar nicht dur Geburt, ſondern 
fo, daß Reinmar von Hagenau alle Zeit nur in Oeſterreich gefungen, Walther aber 
wie auch der von Zweter ebenda feine Kunft erlernt hat, und alle drei verbindet ein 
unmterbrochener Zeitverlauf, zum Theil auch ein Meifter- und Schülerverhältnig: 
Walther war Reinmars des Alten, Reinmar von Zweter wiederum Walther jüngerer 
Zeitgenoß, und fichtbar hat fich je der jüngere an bem Beifpiel, da® ihm der ältere 
gab, gebildet. Aber es ift zugleich eine Zufammengehdrigfeit wie die des Emporfteigene 
zum Gipfel, des Gipfels felbft und wiederum des Hinunterfleigen®, und der mitteninne 
auf dem Gipfel fteht, ift Walther. Reinmar von Hagenau hat zuerfl die voll entwickelte 
zeine Lyrik, voller und reiner al® irgend jemand vor und neben ihm: aber er befchräntt 
fi} damit auf die Liebe als dem einzigen ©egenftand und auf das Lied als die einzige 
Form. Walther von der Vogelweide bleibt nicht fo bei dem Minnegefang allein: er 
zieht auch den Glauben, die Sitte, das Öffentliche Leben der Zeit in den Bereich feines 
Dichtens; und es ift niht bloß die Stimmung des gegentwärtigen Augenblides, aus 
welcher heraus ex fingt, er Inüpft die Empfindung auch an ein vergangenes, frijch ver⸗ 
gangenes gefchichtliches Ereigniß an oder verfolgt, indem er zugleich lehrt, einen noch 
in der Zukunft liegenden Zweck: dergleichen theils epifche, theils auch didactiſche Lyrik 
aber bringt er, mit gut fünftlerifhem Sinn für eine angemefjene Formgebung, nicht in 


Lieder, noch in die freier bewegte Nebenform bed Liedes, den Teich, die er über 
20» 





468 Walther von der Bogelweide 


haupt nur ein einziged Mal gebraucht um Gott und die heilige Jungfrau zum lobpreifen, 
fondern faft ausnahmlos in fogenannte Sprücde, in Strophen, die vereinzelt für fich 
ftehn,, die meift in größerem Umfang und aus längeren Verſen aufgebaut find und bes 
halb nicht den gefangartigen, melodifchen, rein Iyrifchen Eindrud machen wie die Strophen 
der Lieder und der Leiche, Walther hat auch zuerft diefe Form und ſolche Verwendung 
Berfelben feftgeftellt. Endlich NReinmar von Zweter zeigt ſich nach einer dem älteren 
Neinmar gerade entgegengefegten Richtung in Kinfeitigfeit befangen: er auf feiner ſchon 
wieder abwärts führenden Stufe kennt nur noch didactifche oder epiſch⸗ didactifche Lyril, 
Lehre oder Scelte in Bezug auf Glauben und Sitte, auf Staat und Kirche, auf Bolt 
und Fürften, und wo auch ihn die Fiebe berührt, hat er nicht mehr die Lyrik derfelben, 
fondern nur noch Didactif über fi. Demgemäß findet ſich bei ihm auch gar fein Lied 
mehr dor, nur etwa noch ein Xeich, fonft weiter nichts ald Sprüde, Sprüdhe zu Hun⸗ 
derten, und während Walther für die feinigen, gleichwie für feine Lieder, bald dieie, 
bald jene metrifhe Geftaltung abmwechfelnd neu erfindet und nur innerhalb engere 
Schranfen der Zeit und der Bezüglichkeit die gleiche Geftaltung dfter wiederholt, geben 
die Hunderte des von Zweter Yahrzehende lang und bei jeglichem Inhalt eintdniz 
alle auf dasfelbe Vers» und Strophenmaß. Und fo nimmt Walther fchon durch feine 
Mehrfeitigleit den Vorrang vor Neinmar von Hagenau und Reinmar bon Zweter un) 
vor all den vielen Anderen ein, die bloß Liebesdichter und Liederdichter wie der erftere 
oder bloß Lehrdichter und Sprucdpdichter wie der legtere find. Aber auch jede der zwei 
Seiten für ſich allein genommen, übertrifft Walther ſowohl den älteren als den jüngeren 
Beitgenofjen weit, übertrifft im Liede den älteren durch noch gehaltnere Strenge um 
zugleich noch jüßeren Wohllaut im Bau der Verſe und der Strophen, durch noch feinere 
Zartheit, durch noch höheren Schwung, dur die unendlich reichere Mannigfaltigkeit 
der Bezüge, der Empfindungen, der Stimmungen und Töne, in denen bei ihm bie 
Minne fi ausfpricht und ſich felber fingt (die Laune zum Beifpiel und die Boltemi- 
Bigfeit, die eine fo gefund, die andere fo veredelt bei Walther, find jenem gänzlih 
fremb), übertrifft im Spruch den jüngeren durch die Fülle der Begabung, die bei ihn 
auch der Lehrhaftigkeit noch Gehalt und Geftalt von dichterifcher Art zu verleihen weiß. 
durch das Beifeitelaffen folcher Gegenftände, denen, wie der Liebe, die lehrhafte Ani- 
faffung nicht gebührt, durch noch bewegteren Reihthum, vollere Reife, männlicheren 
Ernft der Gedanken und, two es die höchſten Güter des Deutfhen umd des Chriſtes 
gilt, durch noch viel heldenhaftere Gewalt der Rede. Auch NReinmar von Zweter un) 
außer ihm noch mandy anderer Dichter des Jahrhunderts hat die Sache des Reichel 
und die der Kirche felbft gegen das Pabfithum verfochten, keiner jedoch mit ſolchem Ja 
grimm des in feinem Heiligſten verlegten Herzens, feiner mit jo unerfhrodenem Matt, 
während noch wir jegt ob den ungeheuren Worten erfchreden möchten, keiner mit fc 
blanfer und tief einfchneidender Waffe ald Walther von der Vogelweide. Erſt bie Re 
formationgzeit follte wieder ein derartiges Deutfch vernehmen. Und wohl hätte fie ach 
unferen Dichter noch aus dem Grabe ald Zeugen aufgerufen, wäre das nicht im biefer 
fpäteren Zeit fchon längft verfchiittet und überwachſen, wäre, wenn man wohl aud) kie 
und da noch den Namen Walther kannte, doc; diefer fein gewaltigfter Ton nicht Länzil 
berfchollen geweſen. 

Die geſchichtlichen Bezüge, von denen faft die gefammte Spruchdichtung Walthert 
erfüllt if, geben denfelben noch einen andern und in feiner Art auch nicht unerheblicher 
Werth: es ift mit ihrer Hilfe möglih, das Leben des Dichters beinahe Schritt für 
Schritt durd Zeit ımd Raum zu begleiten und, wie wir Regeſten für die Leben 
befhreibungen unferer Kaiſer und Könige befigen, bier eben dergleichen für einen armes 
Edelmann aufzuftellen, der mit unfern Kaifern und Königen gewandelt hat. Es giet 
außer ihm nur noch einen deutfchen Dichter des Mittelalters, über dem wir ebenfo get, 
ja noch befier, noch vollftändigee und überall gewiſſer biographifch unterrichtet fir, 
Ulrich von Lichtenftein, der fogar felbft fein Leben erzählend vorträgt und je am ber 





Walther von ber Vogelweide 469 


gehörigen Stelle Mitteilung macht, unter welchen Umfländen u. f. f. er dieß und jenes 
feiner Gedichte verfaßt habe. Nur reicht dieſer Ulrich weder mit feinem Leben noch 
mit feinem Dichten an die Bedeutung Walthers heran. 

Berſuchen wir jegt nach den fyingerzeigen, die vorzüglich alfo in jenen Sprüchen, 
die außerdem auch in einzelnen Liedern und anderweitigen Quellen uns gegeben find, 
ba8 Leben und Wirken Walthers von der Vogelweide den Hauptzligen 
nach zu überbliden. 

Seine Geburtszeit wird um da8 Jahr 1170 und vielleicht noch früher 
anzufegen fein: denn es läßt fich fein Leben nicht über das dritte Jahrzehend des drei» 
sehnten Jahrhunderts hinaus verfolgen, wir haben aber mehr als ein Gedicht von ihm, 
in welchem er als betagter, von langem Leben gefättigter Mann, als reis vor ung 
fieht, und eines, worin er felbft berichtet ſchon vierzig Jahre oder mehr von der Minne 
und fonft gefungen zu haben (Str. 402). Und der Ort feiner Geburt? Der 
Zuname von der Vogelweide gewährt zu deſſen Auffindung nicht die Beihilfe, 
die man von ihm erwarten möchte. Vogelweiden d. h. beftimmte Pläge, an denen 
wildes Geflügel zu weiden und zu haufen pflegte oder für die Luft und das Bedürfniß 
eines toeltlichen oder geiftlichen Herrn eigens gehegt ward, folder Vogelweiden gab es 
natürlich manche auf dentfchem Boden und fo denn auch hie und da in ber Nachbar» 
(haft von Herrenfigen Höfe, die fo benannt waren, teil fie die Vogelweide in fidh 
Ihloffen, oder weil der Dienflmann, welchem deren Beforgung oblag, fie bewohnte. Wir 
wiſſen z. B. von folchen Höfen in Würzburg und im Tirol und von einem bürgerlichen 
Geſchlechte in S. Ballen, das Bogelweider hieß, dod; wohl nad) eben fold, einem Amte 
oder Hofe. Das nun ift Anlaß geworden, und außer Mängeln der Kritik und ber 
Eregefe haben gelegentlich and; patriotifche, vielleicht felbft politifche und fociale Bor» 
urtheile dabei mitgewirkt, die Heimath Walthers bald in Franken, bald im Thurgau, 
bald auch innerhalb des Kaiferthums Defterreich, in Böhmen ober im Tirol, zu fuchen. 
Die einzige jedoch unter dieſen verfchiedenen Anberaumungen, der außer dem unficheren 
Aunamen noch ein Beweis von größerer Sicherheit zur Seite fteht, ift die nah Würz- 
burg, nach Franken alfo: diefes und unzweifelhaft nur dieſes bezeichnet einmal der 
Dichter felbft als feine Heimath, indem er die fränfifhen Fürften „unfre heimifchen 
Fürſten/ nennt (Str. 95). 

Im Grunde aber ift die Frage nach dem Geburtéorte Walthers und aller Streit 
über denfelben ziemlich müßig, da er, foweit wir feine Gedichte kennen und deren 
Zeugniß reicht, im Thurgan und im Tirol und in Böhmen niemals, in Franken kaum 
jemals gefungen und felbft die erſte Schule biefer Kunft weder bier noch dort, fondern 
im Herzogthum Defterreich durchgemacht Hat, wie wiederum er felbfi es angiebt 
(Str. 36), Was ihn, dem zukünftigen, den angehenden Dichter, beflimmte gerade dort» 
hin fih zu wenden, das konnte, wenn nicht irgendwelche Umftände fonft ihm dazu ver, 
anfaften, nur die Blüte fein, deren ſich ſchon feit langem jegliche Art der Poefle, deren 
ſich namentlich die junge Lyrik dort erfreute, die fchöne Pflege, die fle in den Händen 
Reinmars don Hagenau, die Gunft, die fie am Hofe Herzog Feopolds VI (1177—1194 ) 
und nah ihm Friedrichs I, des Katholifchen (1194—1198), fand. 

Es war da® aber nur der erfte, nicht der einzige Schritt in die Fremde, den 
Balther weitab von feinem Heimathlande that: er machte damit num feines Theils den 
Anfang jenes Wanderlebens, das feine Standesgenoffen überhaupt und zumal die Dichter 
feines Standes, auch die beften darunter, zu führen pflegten. 

Walther war, wie man and den Titeln hör und miles erfieht, deren erfleren 
ex fi ſelbſt (Ste. 28) und Undere ihm geben (Wolfram im Wilhelm 286, 19 und 
die Schreiber der Liederbücher), den letzteren aber die alte Nachricht über fein Grab, 
er war ein Ritter und don Adel (audy dieß ein Grund ihn nicht dem bürgerlichen 
Geſchlechte der Vogelweider in S. Ballen beizuzählen), aber vom dem niederen Adel, 
der nicht fo reich als dex eigentliche, der hohe an alten Exbgütern und fomit meift ge- 


470 Walther von ber Bogelweide 


ndthigt war den Dienſt der Könige, der Fürften, der freien Herren und darin erft den 
Erwerb von Gut und Ehren zu fuchen, falls nämlich feine bereits angeſtammte ander: 
weitige Dienftpflicht dem entgegentrat. Daher finden wie Edle diefer unterſten Stufe 
und finden Dichter, die auf eben derfelben fanden, abwechſelnd bald an dem, bald au 
jenem Hofe; das, womit lettere dem Herren dienten, wofür v ihnen d deffen Suuft und der 
Unterhalt ward, war ihr Gefang und das Saitenfpiel dazu (Str. 21): feine Entwür⸗ 
digung der Kunft und kein Verkauf ihrer Freiheit: unter allen Arten der Dienſtmann⸗ 
ſchaft war diefe die Löslichfte und meift eher nur das Verhältniß von Wirt und Gaft: 
nur darum eben finden wir auch die edeln Dichter bald an dem, bald an jenem Hofe. 

Walther jedoch befaß außer dem Adel und feiner Kunft nod ein Drittes, deflen 
feine Standes» und Berufsgenoffen faft durchweg ermangelten: ihm war, wie Hart 
mann von Aue, außer der allgemeinen ritterlichen auch noch; gelehrte Bildung und 
diefe in nicht geringem Maße eigen, Kenntniß der heiligen Schrift, Bekanntſchaft and 
fonft mit geiftlicher Litteratur und überdieß noch mit der weltlichen des Alterthumes, 
mit der legteren freilich nur in der Ausdehnung und in der Spradye, wie fie damals 
pflegte zugänglich zu fein, namentlich alfo mit dem Lateinifchen Dichtern und hier wieder 
(die Vorliebe giebt fic deutlich fund) befonders mit denen, die fi an Aefop anfchließen. 
Wo ihm diefe Gelehrfamteit mitgetheilt worden, darüber if uns die Vermuthung frei- 
gegeben: ed mag in einer Stifts- oder Klofterfchule zu Würzburg gefchehen fein. Das 
aber ift unzweifelhaft, fo wenig Prunk oder ſonſtigen Mißbrauch Walther mit diefem 
feinem Wiffen treibt, fo fehr die Gelehrfamfeit bei ihm verhüllt wird von der Kunft 
(fo ſehr, daß fie bisher gänzlich unbemerkt geblieben if), ein fo großer Vortheil hat 
dennoch der legteren daraus erwachſen müſſen und ift. ihr eben nur deshalb, weil ex 
das alles fi fo ganz zu eigen gemacht, baraus erwachſen: weſentlich mit von baber 
fam, was ihn über feine Zeitgenoffen und für feine Zeit auf den Gipfel der Elafficität 
erhob, fam feinem Denjen fefterer Halt und reicherer Gehalt, feinen Dichten feinere 
Vollendung der Form und mannigfachere Fülle des Stoffes. 

In folder Art doppelt und dreifach befähigt den Mächtigen im Reich mit feiner 
Kunft fo zu dienen, baß feine noch fo freigebige Vergeltung dem Dienfl an Werthe gleich 
fam, hat Walther von da an, wo er nod) jugendlicd die erfte oder die vollere Aus 
bildung zum Dichter in Oeſterreich fuchte, fein ganzes Leben in beftländiger Wan. 
berfhaft von Hof zu Hofe zugebracht und das Reich nadı allen Seiten hin von 
einer Grenze zur anderen durchmeflen (vgl. Str. 47. 341. 342). Das prägt fih 
felbft, wie die gleiche Exfcheinung bei Berthold, dem Wanderprediger, wiederkehrt, in 
feiner Sprade aus, die auf ſolchem Wege ein wahres Geſammthochdeutſch geworden 
ift: im Allgemeinen fehlt ihr jegliche Färbung nad der Weife einer einzigen beſtinmten 
Mundart; zugleich aber ift bakd diefe, bald jene Mundartlichleit, bald aus Defterreid, 
bald aus Alamannien, bald wieder aus Thüringen oder Meißen an ihr haften geblichen. 
So ganz hat fih Walther, in feiner Lebensführung und felbft feinem Sprechen, da 
Heimath entäußert: auch deshalb follte man kein zu groß Gewicht auf die Frage nad 
diefer legen. 

Es waren in Walthers Zeit namentlich zwei deutfche Fürſten, welche durch ike 
Borliebe für die Dichtung und duch ihre milde Gunft gegen die Dichter derem fäts eine 
befonders große Anzahl um fich fammelten und fo ihre Höfe wetteifernd zu Bremapuntiea 
der beutfchen Fitteratur erhoben, zu Wien Herzog Leopold VII von Deflerreid, de 
Stlorreihe, der Milde (1198—1230), und auf der Wartburg bei Eiſenach Landgrei 
Hermann von Thüringen (1195 — 1216): der Ruhm, der ſich damit innerhalb de 
fitterarifchen Kreife an ihre Namen gefnüpft, fcheint noch um das Jahr 1300 aus m 
ferm älteften Drama, dem Kriege von Wartburg, wieder, two von den Gäugern um ki 
höhere Lob Hermanns oder Leopolds geftritten wird. Walther mm hat am bem eis 
wie dem anderen dieſer Höfe fich aufgehalten und an beiden mehr als einmal, fidılid 
aber mit größerer Liebe an dem zu Wien, wo ex ſich bereits von ‚dem Beginn feinel 





Walther von der Bogelweibe 471 


Dichtens an und ſchon durch die Gunſt von Leopolds Vorgänger, Friedrich I (Str. 21), 
heimiſch gefühlt: es iſt unverkennbar, daß zwiſchen Leopold und Walther, obſchon jener 
zuerſt mit der gleichen Gunſterweiſung gezögert hatte (Str. 10. 21), eine gewiſſe Ver⸗ 
troulichleit und hier auf Seiten des Dichter eine gleichmäßig dauernde Herzensneigung 
maltete: mochte und durfte er doch fogar den Fürſten mit „Du anreden (St. 35.51). 
ya feinem Berhältnifje zu Hermann tritt dergleichen nicht fo zw Tage: da wechſelt 
vielmehr die Befreundung ebenfo mit Entfremdung, wie der Landgraf felbit in feiner 
bolitifhen Wandelbarkeit bald auf der, bald auf jener Seite fland und damit den Dichter 
bald an ſich zog, bald wieder abſtieß. Andere Höfe hat Walther weniger geſucht und 
meift nur foldhe, die in der Nachbarſchaft derer zu Wien und auf der Wartburg lagen, 
wie die von Kärnthen und von Meißen; im Jahre 1212 fehen wir ihn dem Herzog 
Ludwig von Baiern gegenüber in förmlich bezeichneter Dienſtmannſchaft (Str. 29). 

Es fcheint jedoch hier nicht der Pla dergleihen Dinge bis in da® Kleine und 
Einzelne zu verfolgen: für uns hier find das Nebendinge, auf die es genügt fo im 
Borübergehen hinzudeuten. Wichtiger in jedem Betracht und einer mehr eingehenden 
Dorftellung werth und bedürftig find die Beziehungen Walthers zu den Königen und 
Kaiſern des Reiches, ift der Antheil, den er als Dichter und nicht bloß als Dichter an 
dern Thun und deren Gefchiden und fomit an Dingen genommen hat, die der Welt» 
geſchichte zufallen. „Es fol der Dichter mit dem Koönig gehen“: bei keinem fonft hat 
fo wie bei ihm dieſes folge Wort ſich verwirklicht. 

As nad) dem Tode Kaifer Heinrichs VI die deutfhen Furſten in Zwiſt geriethen, 
wem anftatt des noch allzu unmündigen {Friedrich die Krone zu übertragen fei, ob Phi⸗ 
Iipp, dem Bruder des BVerftorbenen, ob Dtto, dem Bertreter des Welfenhaufes, oder 
tem etwa fonft noch, da, im Jahre 1198, legte Walther, der bis dahin noch iu Defter- 
reih gemeilt (Str. 21), fein Dichterwort (und es ift dieß unter allen, die fi von ihm 
erhalten haben, das nachweisbar ältefte) für die Wahl Philippe ein (Str. 3), weil 
er nur don diefem ein einiges umd kräftiges Deutſchland hoffte, nicht von Otto, den die 
Unterflügung durch die römifch gefinnte Geifllichkeit von vorn herein zur Abhängigkeit 
von Rom und damit zur Unliebſamleit bei der Mehrzahl der Deutfchen felbft, alfo 
ſtäts nur zu einem Parteildnigthum zu beflimmen fchien. Und wirklich auch ward dem 
Dichter alfobald jein Wunſch, wennſchon nit ganz erfüllt, da die Fürſten im fort- 
dauerndem Zwieſpalt beide, Philipp und Otto, neben und gegen einander wählten, aber 
doch erfüllt dem fchöneren, mehr Glück verheißenden Theile nah, da Philipp mit den 
ehten alten Reichskleinodien gekrönt ward, und fo fah ihn Walther felbft, er verfünbet 
es uns mit Jubel (Str. 22. 23), unter Krone gehn: denn fein Herz hatte ihn an den 
Hof Philipps getrieben. Und längere Zeit hindurch fehen wir ihn da gaftlich feft- 
gehalten (Ste. 21) und hören ihn, während er die Arglift des feindfeligen Pabſtes und 
die Ungebühr der Geiſtlichkeit mit Schärfe angreift (Str. 4), an den König felbft auf⸗ 
munternde umd ermahnende Worte richten (Str. 24. 25); fein Eifer für defien Sache 
und die vertraute Stellung, die ihm derfelbe eingeräumt (Walther durfte fogar ihn aud) 
dungen), gaben ihm das Recht und die Pflicht dazu. 

Bald aber tritt für diefen Theil von Walthers Leben eine empfindlihe Lüde in 
der Meberlieferung feiner Gedichte ein: aus der ganzen Zeit von 1205 bis 1208 be» 
fitzen wir keines, welches die Geſchichte des Reichs befchlüge, mithin aud feines, das 
Bezug Hätte auf die Ermordumg Philippe. Oder follen wir lieber annehmen, Walther 
habe wirtlih vom Jahre 1205 an Philipp gegenüber und über Philipp gefchiviegen, 
weil er aus irgend einem Grunde fi) von demfelben zurückgezogen? Schwerlich: denn 
felbft gefeßt, daß eine Entzweiung des Königs und des Dichters eingetreten wäre, bürfen 
wir doch, foweit wir das Gemüth des letzteren Kennen, ihm ſchwerlich zutrauen, daß er 
fogae bei dem Tode und bei folhem Tode Philipps noch an der Feindſeligkeit feft- 
gehalten und unverföhnt fein Wort der Klage gewußt hätte über den blutigen Untergang 
feiner politifchen Jugendliebe. So war er ja auch mit Reinmar von Hagenau, einft 


472 Walther von der Vogelweide 


feinen Meifter, in ein gefpannte® Verhältniß gerathen (Str. 154), und doch wie rüd- 
haltslos die dichterifchen Verdienſte anerfennend ſprach er von ebendemfelben bei deſſen 
Hinſchied (Str. 87. 88)! 

Zwei Jahre nach König Philipps Tode zeigt fi uns Walther voll und entichieden 
auf der Seite Ottos, und diefe neue Stellung kommt fo plöglih und auf einmal, 
daß man vermuthen möchte, es fei auch hier noch eine Anzahl von Gedichten verloren 
gegangen, Gedichte, welche dem Webertritt auf die Seite des Welfen zur Borbereitung 
und Einleitung gedient. Dießmal aber liegt zu folher Annahme keinerlei Nöthigung 
bor, vielmehr hat Walther gerade die Ummendung zu Otto hin gewiß nicht anders ala 
wirklich fo mit Plöglichfeit vollzogen. Achten wir nur auf die Zeit und die Umflände 
und auf den Character des Dichters, der gerade hier mit befonderer Deutlichkeit her 
borfrit. Wohl fand mit dem Tode Philippe der bisherige Gegenfönig nım als ber 
einzige und der allgemein anerkannte Herrfcher da, und die echte Krone, für das Ge 
müth von fo entfcheidender Bedeutung (Str. 22), [hmüdte nun fein Haupt: aber um 
Walthers Herz fo zu gewinnen, wie einft Philipp, dazu war Otto in feiner unfeinen 


tugenblofen Urt doch nicht angethan, und immer noch haftete an ihm der Verdacht md 


der Borwurf undeutſch⸗päbſtiſcher Geſinnung. Diefen Makel aber nahm das Sch 
1210 von ihm durch die Entfchiedenheit, womit er da, fofort nad; feiner Kaiferkrönung, 
die Rechte des Kaiſers gegenüber dem Pabfte wiederherzuftellen und aufrecht zu erhalten 
firebte, durch den Bannftral, den er damit aus der Hand Innocenz III auf ſich zo; 
duch die Bedrängniß, in welche der Pabft und die Päbftifchen ihn zu verfegen wußte, 
indem fie zugleich den inzwiſchen herangewachfenen Friedrich, Kaifer Heinrichs VI Eon, 
als den fchon früher gewählten und allein berechtigten König gegen ihn aufflellten. Run 
mehr war Walther ebenfo entfchieden für Otto, al® er bisher deſſen Gegner geweſer 
war. Nicht aus irgendwelcher num erſt erwachten Liebe für die Perfon des Kaifere: fo 
untreu ward er weder Philipp noch ſich felbft; in feinem auch unter all den vielen Ge 
dichten, mit denen er bon jett für Otto einftand, äußert fid) etwas von perjänlihe 
Zuneigung: was ihn hinüberzog, war die Idee, welche Dtto, freilich coh und mwürbdelet 
genug, vertrat, oder um es vielleicht noch treffender zu bezeichnen, es trieb ihm fein 
nationaler Inſtinet. Walther war erfüllt von der wärmſten flolgeften Vaterlandsliebe 
(wie fchön für alle Zeit drückt diefe Gefinnung fi) aus in dem fiede Ir sult spre 
chen willekomen! Str. 339 ff), Frömmigkeit und Sitteneenft gaben berfelies 
noch fefleren Halt, und er empfand und erkannte, daß für die Nationaliät, für de 
Glauben und die Sitte Deutfhlands die Gefahr von Rom her komme und deskal: 
immer derjenige König der befte Freund des Reiches fet, der des Pabſtes Freund nicht 
fei. Darum alſo, wie er darum einft Philipp angehangen, ward er nun der Anhänge 
Ottos und ward das ebenfo plögli, wie Dtto felbft feine Stellung zum Pabflttum 
plöglic; jet geändert Hatte, 

Es iſt eine ganze Neihe von Sprüchen (Str. 13. 39—45. 55—60), mit dea 
nun, von 1210 bi8 1213, Walther auf Ottos Seite oder vielmehr dem Pabſt et. 
gegenfteht: denn’ Otto felbft wird dabei kaum angeredet, umd nirgend auch wird ten 
ihm mit diefem feinem Namen, fondern überall nur von dem Saifer geſprochen. Urt 
es find das eben jene Dichtungen, von denen und bon deren ingrimmiger Gewalt ſcher 
im Eingange unferer Darftellung die Rede gewefen ifl. Einige freilih (Str. 586 
begnügen ſich noch, vol von dem Selbfigefühle des Deutſchen, auf die Stellung bin: 
weifen, die der deutfchrömifche Kaifer ale Richter an Gottes Statt hoch Über den Ei 
fern und Gebieten diefer Welt einnehme, und überlaflen es den Zuhörern zu ergimen, 
was dem gegenüber von der Stellung zu fagen wäre, die dem Pabft gebühre.. WA die 
andern jedoch, d. 5. die Weit überwiegende Mehrzahl, wenden fi rückhaltlos gem 
diefen felbft und allein und rügen mit nationaler, mit religiöfer umd fittlidher Empkrorn: 
bald die Doppelzüngigkeit, die zuerft bei der Krönung den Kaiſer gefegnet und sie 
Chriftenheit zum Herren gefegt, num aber den Segen in Fluch verfehrt und den Cr 


Walther von der Bogelweibe 4713 


horfam twiederum verboten habe; bald beſchuldigen fie den Pabſt (ich fahre fort, nur 
das Bezeichnendfle hervorzuheben), er habe nur darum die zwei „Alemanni” unter 
eine Krone gebracht, damit er die Verwirrung des Reiches benüge ſich und feine wäl⸗ 
(hen Cardinäle mit deutfchem Silber zu bereichern, damit feine Pfaffen ſich mäften 
fönnten, während die deutſchen Narren fafleten; nur darum auch lafle ex vorgeblich für 
einen neuen Kreuzzug Stenern fammeln: das Geld werde in Rom bleiben; feine Hab» 
gier treibe ihn in die Sünde der Simonie, ja er fei mit dem Böfen felbft im Bunde, 
nicht ander® als vor Zeiten Pabſt Gerbert⸗Silveſter und nod viel fchlimmer als 
diefer: denn er jetzt ziehe alle Chriftenheit mit fidh in da® Verderben; wie könne, weh⸗ 
Magt der Dichter, die Laieuwelt noch den rechten Weg finden, da der Pabſt, da alle Geiſt⸗ 
lichkeit durch Beifpiel und Lehre, duch unrechtes Wert umd jett auch umechtes Wort 
fie irre Leite, da der Hirt Chriftt zu einem Wolf in deffen Herde und ein ziveiter Judas 
geworden fet: wer fett nicht in Ketzerei verfalle, den ſchütze davor eine befondere Gottes⸗ 
gnode. Das alles aber habe Kaifer Eonftantin verfchuldet, indem zuerſt er den Pabſt 
reich und übermüthig gemacht; deshalb habe auch bei feiner Schenkung (die Echtheit 
derfelben ward damals noch don niemand bezweifelt, aber wohl erlanbte man fich Zweifel 
on der flaatsmännifchen Weisheit Conſtantins) es habe dabet ein Engel dreimal Wehe 
gerufen und das Unheil prophezeit, das alles don diefer gift noch fommen werde: ein 
Vortfpiel, da gift auf Altdeutfch fo viel ald donum und als venenum if. Den Ein- 
brud, den ſolche Worte der leidenſchaftlichſten Erregung auf die Nation gemacht, bie 
Birkung, die fie, wenn auch nicht gerade für Dito, doch gegen den Pabſt ausgeübt 
haben, Können wir ums nicht groß genug denken; die mündliche Verbreitung, faft bie 
einzige, die bei dergleichen in Anwendung kam, verftärkte noch den Eindruck durch bie 
febensvollere Urt, die einer ſolchen nothwendig immewohnt. Ein Beitgenofie, Thomafln 
in feinem Welſchen Gaft (3. 11191 ff.), bezengt es erlebt zu haben, wie durch den 
von Walther ausgefprocdhenen Verdacht, der Pabft lege die Stenern für einen Kreuzzug 
doh nur in feinen eigenen Kaften, Taufende abwendig gemacht wurden etwas zu geben, 
und da diefer Zenge ein Staliäner if, Liegt e8 am nächſten die Taufende, bie fo durch 
ben deutfchen Dichter ſich beſtimmen ließen, ſich ebenfalls in Italien, wenn auch nım au 
deſſen Grenze, in Friaul, der Heimath jenes Thomafln, zu denken: wie viel mehr dann 
aber in Deutfchland ſelbſt! 
Dtto jedoch war nicht der Dann um durch die Noth zur Größe der Gefinnung 
und der That gehoben zu werden: fobald ihm erſt Friedrich auf deutfchen Boden un. 
mittelbar gegenüber wie ein König dem andern auf dem Schachbrette fand (Str. 46), 
erlofch fein Muth und fein Glück und ſchwand fein Anhang je mehr und mehr vor 
dem nen aufgehenden Geſtirn. Nur Walther hielt ſtäts noch bei ihm aus, mit Un⸗ 
willen ob der vohen Art des Mannes, mit Widertoillen gegen deſſen Perfönlichkeit 
(Sprühe wie Str. 54 und 63 bis 69 gehn doch gewiß auf niemand fonft als den 
Kaiſer felbft und deffen einflußreichere Umgebung), aber aus Treue und in Behauptung 
des einmal eingenommenen Standpunkte; er hielt es fo lange bei ihm aus als irgend 
einer. Endlich jeboh, im Yahre 1216 oder zu Anfang 1217 (Ste. 74), überwand 
Friedrich, mie er länger fchon den Kaifer überwunden, nun aud den Dichter bes 
Kaiſers und zog ihn don befien Seite auf bie feinige. Sollen wir Walther deshalb 
der Gefimungslofigfeit und nad) fo lange und fo geduldig bewährter Trene noch des 
Wankelmuthes befchuldigen? Es wirkte hier zu vieles zufammen, das den Webertritt 
vor des Dichters eigenem Gewiſſen rechtfertigen mußte umd auch vor unferm Urtheil 
ihn wohl rechtfertigen darf: die jugendlicd glänzende Erſcheinung des neuen Königs, die 
fhon fo viele und jest beinah alle fonft ihm gewonnen hatte, die Ueberzeugung, daß 
es unweiſe und unrecht wäre, nachdem Deutfchland endlich wieder ben Mittelpuntt einer 
feften Einigung gefunden, dem gegenüber no im Zwiefpalt zu beharren, die alte Nei- 
gung zu einem Hohenſtaufiſchen' Konigthume, die einflige PBarteinahme für Philipp, der 
ja eigentlich feiner Zeit nur Stellvertreter des noch regierungsumfähigen Friedrich ge⸗ 


474 Walther von ber Bogelweide 


weſen war, endlich die Ahnung und die Zuverſicht, daß diefer Yüngling, wennſchon er 
bom Pabſte auf den Platz geftellt, wennfchon er, wie ihn Otto nannte, der Pfafienkönig 
war (dgl. Str. 13), doch zu viel Geift, zu viel Willen und Kraft befäße um deshalb 
fih und das Reich dem römifchen Gönner dienfibar zu maden: Friedrich II war fo 
früh gereift und in feinem Yugendmuthe offen genug, daß es keines ungewöhnlichen 
Scharfblides beburfte um ihm fchon jet feine Zukunft abzufpüren. 

So mithin wandte fih nun aud Walther ihm endlich zu, und Friedrich wußte 
den neuen Gewinn zu fchägen. Noch eben hatte der Dichter, da er im eigner Bu 
drängniß nicht die fo ofl don Otto verheißene Erleichterung finden Tonnte, fAuer, 
lid erfahren, wie treulos und undankbar der bisherige Schügling feiner Dichtkunft wire 
(Ste. 71. 73); diefer rohe Wortbrud war das legte, was Dtto an ihm that: das 
erſte, was Friedrich that, war, daß er Walther mit einem Lehn bekleidete (Str. 72); 
mochte das aud) feine fonderlich großen Einkünfte abwerfen (Str. 74), es gemährt 
doch dem Dichter einen eigenen feften Heerd und überhob ihn der äußeren Nöthigung 
zum Wanderleben, ded Verdrufjes immer und überall nur Gaſt zu fein umd wiemels 
Wirth (Str. 46. 70). Wo diefes Lehengut gelegen habe, wiſſen wir nicht; die Ben 
muthung, auf die man leichtlich verfallen könnte, es fei etwa jener Hof zu Würzburg, 
der die Vogelweide hieß, gewefen, fo daß Walther erſt von jetzt, vom 1216 oder 1217 
an, den Zunamen von der Vogelweide geführt habe, wird dadurch fehr in Zweifel ge 
flellt, daß er bereits in Wolframs don Eſchenbach heiligem Wilhelm (286, 19), einem 
Gedichte, daß größeren Theil noch vor dem Tode Landgraf Hermanns, alfo nod ver 
dem Frühling 1216 verfaßt worden, umd hier in Beziehung auf einen Spruch bereit) 
vom Yahre 1212 (Str. 26) her Vogelweide genannt wird. 

Friedrich blieb aber dabei nicht flehen: er behielt den Dichter fort und fort m 
auch von weiter ferne und fremde her im Auge, mit einer Vorliebe, um die Unter 
denfelben beneiden durften, umd erwies ihm fläts noch größere Begünftigung, nahm ihe, 
was die höchfle Stufe war, die einer vom niederen Adel erfleigen konnte (ein Bürger 
licher aber niemals), unter die Reihsdienfimannen auf (Str. 94. 100) und be. 
traute ihn fogar, während ex ſelbſt, feit 1220, in Italien weilte, mit einem Antheil ın 
der Erziehung Heinrichs, feines in Deutſchland zurückgelaſſenen unmändige 
Sohnes. Wir wiflen nämlich, daß legterem zwei ergebene Freunde des Kaifers all 
Pfleger gefetst waren, der Reichsverweſer Erzbifchof Engelbrecht von Köln umd ber Ber 
weſer des Herzogthums Schwaben Heintid von Neifen; unferen Dichter aber zeige 
mehrere Sprüche einerfeits mit Engelbrecht irgendiworin (die Sache wird nur finnbiltlid 
angedeutet: Str. 93) gemeinfam wirlend, andrerfeits befchäftigt mit dev Jugendbilbunz 
eines vornehmen Knaben (Str. 102—107), beides in folcher Art, daß werm man ee 
mit dem andern verbindet, nur die Auslegung auf Heinric übrig bleibt. Und weil 
zu beachten, einzig zu Üngelbrecht, dem geiftlich gelehrten Herren, bringt den Dichter 
dieß fein Amt in Beziehung, nicht auch zu dem von Neifen, und ex bezeichnet es jelifl 
mit dem Ausdrud schuole: es war fomit viel mehr die gelehrte als die weltlich 
ritterliche Bildung des jungen Konigs oder gar etwa nur defien Anleitung zu Saite 
fpiel und Geſang, wofür Walther zu forgen hatte: erwünſchte Gelegenheit die Kram 
niffe, die er felbft einft in der Jugend ſich erworben, nun endlich noch in der Reit 
feiner Jahre und fo an höchſter Stelle zu verwerthen. Indeſſen e8 follte ihm das rich 
gelingen: der Schüler vereitelte durch Zuchtloſigkeit jede Bemühung feines Lehre, 
und diefer verzichtete zulegt (Str. 107) auf fernere Verſuche, wir wiſſen nicht, uch 
wie langer Dauer feines Amtes, auf jeden Fall ſchon vor dem Sommer 1224 (Etr.9. 
nicht etwa erſt im Winter von 1225 auf 1226, als Erzbiſchof Engelbrecht, fein bil. 
reich und zunächſt ihm vorgefegter, durch Verwandtenhand umgelommen war (Etr. 96) 

Dieß Aufgeben feines Verhältniffes zu dem Sohne Friedrichs follte jedoch in fen 
Berhältniß zu Friedrich felbft keinerlei Störung bringen, und beide blieben nad, Bit 
vor im beften Einvernehmen. Abgefehen von all dem, was fchon fonft den Würfe 


Waliher yon ber Vogelweide 475 


zu ſolch einem Dichter, den Dichter zu fold einem Fürſten hinziehen mußte, war na⸗ 
mentlich noch ein Punkt, in welchem fie einander mit Uebereinſtimmung begegneten und 
in welchem die Webereinftimmung damals feltener war: ich meine die veligidfe 
Duldſamkeit. Allerdings beruhte diefelbe bei Walther nicht auf eben dem runde 
als bei Friedridy; fie wuchs bei ihm nicht aus deiſtiſcher Gleichgültigkeit hervor, wie 
diefe in der Novelle jener Zeit von Saladin und den drei Ringen, noch weniger gar 
ans der läfterlich frevelhaften Geſinnung, die zuleßt in dem Buche de tribus im- 
postoribus ihren Ausdrud gefunden hat: fie verband ſich in ihm noch mit wirds 
liher Glaubensfirenge: es widerfprad ja auch einer foldhen nicht, wenn ex bereitö in 
einer feiner früheften Dichtungen (Str. 5) Chriften, Iuden und Heiden d. i. Moham⸗ 
mebaner fchlechthin neben einander als Verehrer Bottes genannt, nicht aber zugleich bie 
Oottesverehrumg der -Ehriften als die einzig richtige bezeichnet hatte. Anders jedoch in 
einer der fpäteren, der fpäteflen unter allen, die wir zu datieren wiflen, vom Jahre 
1228. Diefe, ein Krenzfahrerlied und fonft durchweg von dem geziemenden Inhalt, 
endigt mit dem hier doppelt befremdlihen Worten (Str. 146): Juden, coristen unde 
heiden Jehent, daz diz ir erbe si: Got müez ez ze rehte scheiden Dur die sine 
namen dri. Al diu werlt diu stritet her „Wir sin an der rehten ger: Reht 
ist, daz er uns gewer.” Das nun geht allerdings über das Maß jener älteren Aeuße⸗ 
zung hinaus; zwiſchen diefem Gedanken und der ſouſtigen, fogar hier ſich mit außfpre- 
henden Gläubigkeit des Dichters (er beruft fih ja anf Gottes Dreieinigleit) gab es 
laum noch eine Bermittelung: das war etwas ihm felber fremdes, nur von dem Kaiſer 
ber ihm angeflogenes. Friedrich dachte fo und konnte gleichwohl feinen Kreuzzug machen: 
Wolthers eigue und eigentliche Gefinnung bei fold, einem Anlaß war aber gewiß nicht 
biefe: das zeigen deutlich feine anderen Kreuzlieder und zeigen die Sprüche, mit denen 
er bereits Kaiſer Otto zu einer Heerfahrt gegen die Heiden angemahnt hatte (Str. 659 fg.). 
Bir find mit Nennung ber Kreuzlieder Walthers bei dem Ausgange feines Wir- 
tens auf dem Bebiete der Lyrik angelangt. Wohl hatte ſich der Dichter, neben aller 
Heiterfeit des Minnegefangs, aud dem Ernſte des Lebens nie verfchloffen: mit höher 
gereiftem Alter jedoch überwältigte ihn derfelbe völlig: er gab den Minnedienſt auf 
und feste fich mit der Welt, der Gran Welt, wie fie in einem der bezüglichen Gedichte 
zeitgemäß perfonificiert wird, auseinander (Str. 402—410). Davon nun war es bloß 
der natürlich thatfächliche Ausdrud, wenn er zur Bewährung der Reue, zur Vollendung 
der Buße, zur Leiftung des höchflen Nitterdienfies das Kreuz nahm und ſich dem Heere 
anſchloß, das Kaifer Friedrich nach Paläftina führte Uber andy hiebet blieb er fläte 
nod Dichter und begleitete jeden Schritt des großen Werkes mit feinem Worte, von 
da an, wo es noch auf dem Boden der Heimath galt auch Andre zur Theilnahme zu 
gewinnen (Str. 129—135), und von dem Wege zur Seefahrt an (Str. 136—139) 
bis dahin, wo er daufend ausrufen konnte (Str. 140) Mirst geschehen, des ich ie 
bat: Ich bin komen an die stat, Dä got menneschliohen trat. Und wie ganz ans 
ders ertönt diefer fein Kreuzgeſang als der aus dem Munde faft aller übrigen Dichter 
feiner Zeit! Diefe wiflen (beinahe nur Hartmann von Ane macht eine Ausnahme davon; 
als Veifpiel aber, das zunächſt liegt, möge Reinmar der Alte genannt fein) aud auf 
dem Zug nach dem gelobten Lande und noch anf deſſen Boden felbfi allein von ber 
Geliebten zu fingen, die fie daheim gelaflen, und haben für die Hauptſache und für die 
Hauptperfon kaum ein flüchtiges Wort: Walther dagegen if von diefen beiden ganz 
erfüllt, und wem dennod) die legte diefer feiner Dichtungen (Str. 140 ff.) etwas un- 
längbax teodenes und nüchternes bat, wohl nur weil er zu gefliffentlich darauf ausgieng, 
ihr die übliche Haltung der Kriege⸗ und Kreuzlieder des Volks zu geben, fo iſt dafür 
eine frühere, noch in der Zeit der Vorbereitung abgefaßte (Str. 129 ff.) deſto vollen» 
deter und fein ſelbſt würdiger, gehört zu dem fchönften, nicht allein was die Lyrik 
Balthers, fondern was je in irgend einer Zeit, bei irgend einem Volle die Lyrik hervor⸗ 
gebracht hat: wunderbar klingt hier, nur elegifch gedämpft, die Dichtweife Pindars wieder. 


476 Walther von der Vogelweide 


Außer der Liederdichtung ward aber von dem großen Anlaß, der ihm nahe trat, 
auch die andere Seite feiner Kunſt, wennſchon dieſe nur in gebührend untergeorbnetem 
Maße und nicht fo unmittelbar, berührt. Friedrich unternahm feinen Kreuzzug im Bann 
des Pabſtes und hatte ſich ben ganzen Verlauf deflelben hindurch mehr gegen bie Feind⸗ 
feligteit der Geiftlichen ald gegen die der Sarazenen zu wehren. Darin lag für Walther 
jedoch leinerlei Irrung: vielmehr, wie er gewohnt war die Menfhen und die Dinge 
anzufehen, mußte ihm Friedrich nun erft der rechte Kaiſer und Liebe und Treue gegen 
denfelben nun doppelt geboten fcheinen. So nahm denn, noch während der Kaifer trop 
dem Pabft fich rüftete, feine Spruchpoefle (Str. 97. 98. 100) mit frifcher Frendiglen 
den Ton wieder auf, in welchem fie einft für Philipp und für Otto gefochten; da aber 
erreicht fie von neuem ihre ganze Schärfe, wo fie (und dieſer Spruch ift wohl erſt u 
Paläftina felbft, unter dem Eindrude der dort gemachten bitterften Erfahrungen gebiäte) 
Friedrich chriftliche Gegner noch ſchlimmere Feinde Gottes als die Heiden nennt: dam 
die Heiden feien doch wenigftens offen und ehrlich in ihrer Weindichaft, ehrlicher al 
jene, die es nur indgeheim mit ihnen hielten (Str. 101). 

Uebrigens hat Walther, foviel aus dem Wortlaut feines legten Kreuzliedes (Str.140f) 
zu entnehmen ift, wohl da8 heilige Land, jedoch nicht den Boden Jeruſalems beiretn: 
er mochte mit bei dem Heerestheile geblieben fein, den Friedrich in Ptolemais zurid 
gelofien. 

Walthers Kreuzlieder nebft jenen Sprüchen find die Iegten Worte, die wir um 
daraus das Bild feines Lebens zu entiverfen noch aus dem eigenen Mund unferes dı. 
tifers haben, und wir wären zu der Annahme berechtigt, daß ex nicht nach Deufhla 
zurüdgefehrt, fondern mit fo viel Andern in Ptolemais geftorben umd begraben It, 
wenn nicht ein Zeugniß von vollgültiger Zuverläffigfeit dennoch das Erſtere bewieſe: 
eine im vierzehnten Jahrhundert zu Würzburg angefertigte Sammelhandſchrift berigte 
bon dem Grabe Walthers von der Vogelweide im Kreuzgange des Neuen Münfet 
dafelbft und theilt auch die damals ſchon verſchwundene Grabfchrift mit: Pascus qui 
volucram vivus walthere fuisti. Qui flos eloguii. qui palladis os abiisti Er 
quod (d. h. ut) aureolam probitas tua possit habere. Qui legit hio dicat, deu 
istius miserere. Er ift mithin nicht bloß im Baterlande, fondern recht eigentlich i 
dee Heimath, in der Baterftadt geftorben, aber fiherlih bald nad den 
Kreuzzuge: einen längeren Zeitraum ztoifchen bdiefem und dem Tode würde wieder 
auch Iyrifche Dichtung ausgefüllt haben: es ift jedoch mit Gewißheit nichts von Fiedem, 
nichts von Sprüchen nachzuweiſen, das jünger als der Kreuzzug wäre, und and, ba 
man mit bloß zweifelhafter Bermuthung noch hinter denfelben rüden und da in Bas 
auf das Verhalten König Heinrichs bringen Könnte (Str. 89. 90. 110), auch das wirt 
nicht weiter als bis in das Jahr 1230 reichen. 

Die hohe Litterarifche Bedeutung, deren Walther im feiner Zeit gem, 
wird durch die auszeichnende Gunft, die in dargeftellter Weife all die Hohen und Hödfe 
im Reich ihm ſchenkten, file wird auch durch den Ruhm dargethan, den ex anf lag 
Zeiten hinaus bei den anderen Dichtern und felbft bei foldyen gefunden, bie doch U 
der Art und den Gegenftänden ihrer Kunftübung fich weit vom ihm entfernten, wie Gall 
fried von Straßburg, der mit begeifterungsvoller Robpreifung zur Heerführerinn ala 
Nactigallen d. h. der Lyriker Deutfchlands die von der Vogelweide ausruft (Triſte 
4799); fie wird dargethan durch die Vielen in diefem Heere felbft, die fich an Walibet 
Muftern gebildet und ihm nachgeahmt, oft in fo beftimmter Weife nachgeahmt und fd 
an ihm gebildet haben, daß man fie feine Schüler nennen muß und Gedichte von ihsm 
wohl auch irrthümlich für folche ihres Meiſters find angefehen worden, wie Ulrich vo 
Singenberg, ein Thurgauer, und Leutold von Seven, ein Tiroler; fie wird bargethan durd 
die ganze Inrifche Spruchbichtung, wie gleich nad; Walther zumal Reinmar von Zuck 
fie vertritt und neben und nach diefem noch fo viel Andere fie treiben: denn es Det 
ja Walther, dem die Lyrik diefe Form verdanfte; dargethan auch durch bie Urt, M 


Walther yon ber Vogelweide 477 


fogar ein Lehr» umd Fabeldichter, der nicht einmal des Inrifchen Vortrages ſich bedient, 
der Strider, doch wiederholendlich hier aus einem LXiede, dort aus einem Sprache Walt⸗ 
her fchöpft; dargethan endlich durch die zahlreichen, man möchte fagen zahllofen Hand- 
Ihriften, die uns vom dreizehnten Jahrhundert an bis in das funfzehnte, fechzehute 
bald größere, bald Heinere Reihen von Gedichten Walthers, bald eine beinah volflän. 
dige Sammlung derfelben, bald nur eine zufällig getroffene Auswahl, bald gar nur ein 
einziges bieten. Kein altdeutfcher Dichter fonft Tann ſich einer fo fleißigen, fo überall 
hin verbreiteten, fo lang andauernden Ueberlieferung rühmen; für Walther beweift fie, 
wie viel befonders ans ihm hin nnd her an den Höfen gefungen ward (demu die fchrift- 
liche Aufzeichnung von Liedern follte im Anfang namentlich dem Bebürfnig der wan⸗ 
dernden Sänger dienen) und wie gerne man noch in fpätern gejangloferen Zeiten von 
ihm lad. Trotzdem ift durchaus nicht alles aufgezeichnet und uns überliefert, was fein 
beredteer Mund gefungen hat: fo nimmt einmal Wolfram von Eſchenbach (Parzival 
297, 25) Bezug auf ein Lied Walthers, das ſich nocd nicht wieder aufgefunden; wir 
jelbft haben vorher für die Zeit von 1205 bis 1208 einen Ausfall gefchichtlicher 
Sprüche annehmen müflen, und ein Verluſt von noch größerem Umfange dürfte das 
Jahrzehend vor 1198 betroffen haben: gejungen hat Walther bereits in diefem: ich er⸗ 
innere on die mehr als vierzigjährige Frift, die er felbft für die Ausübnng feiner Kunft 
angtebt, und daran, daß fchon Friedrich I von Oeſterreich, der 1198 flarb, fein Gdnuer 
gewefen: dennoch ift 1198 die frühefte Jahrszahl, die wir jetzt bei ihm haben, und 
unter den jahrzahllofen Minneliedern tragen nur noch fehr wenige das @epräge der 
erſten Jugend und des jugendlichen Anfangs. 

Noch aber iſt unfere Darftellung nicht beendigt. Nämlich gegenüber den Gedichten, 
die Walther nachweislich oder doch aller Wahrfcheinlichkeit nad; verfaßt hat, die jedoch, 
für einſtweilen wenigſtens, verloren gegangen find, ſteht mit ungefährer Umkehrung der 
Berhältniffe ein anderes, da® auf uns gelommen, das auch in ungewöhnlich vielen Hand⸗ 
ſchriften uns geblieben if, als deſſen Verfaſſer jedoch bis anf unfere Tage Walther 
von der Bogelweide nicht ift erkannt worden, weil es ihm felbft dabei beliebt hat feinen 
Namen zu verbergen, ein Gedicht, das ebenfo ganz an das Eude feines Lebens fällt, 
tie die meiften jener verlorenen an defien Anfang, und das hier den fonft mit Dichtung 
unbefegten Zeitraum zwiſchen der Heimkehr aus Palaäſtina und feinem Tode zu Würz- 
burg einnimmt. Ich meine nicht das Nibelungenlied, für das Bon der Hagen 
den Einfall gehabt hat auf Walther von der Vogelweide als ben Berfafler zu rathen: 
nichts beſſeres als eben nur ein Einfall, nnd kein befiexer Einfall, aber auch fein ſchlech⸗ 
terer als die andern, die e8 da mit den Namen Wolfram von Eſchenbach oder Heinrich 
don Ofterdingen oder Klinfor von Ungerland u. f. f. verfuhen. Sondern ich meine 
jenes große Gedicht, das in wohlgeordueter Sammlung Zaufende von Lehrfprüchen der 
Lebensllugheit umd der höheren Weisheit des Lebens vorträgt und ſolchem Inhalte wohl 
entiprechend ſich ſelbft Bescheidenheit d. i. Verfländigfeit betitelt. Und ber Ver⸗ 
faſſer diefer Befcheidenheit, zivar giebt er auch feinen Namen an und zivar ‚nicht den 
Namen Walther, fondern Freidank, und das Mittelalter felbft und noch die neuere 
Zeit hat fich dabei um fo leichter beruhigt, da Freidant, altdeutſch Frigedano oder 
Fridano, in feiner Vedeutſamleit (e8 befagt f. v. a. frei denkender) auf das treffendfle 
u der Art der ganzen Dichtung paßt. Aber gerade dadurch verräth er fi als einen 
bloß angenommenen Namen: dieß zuerft deutlicher erkannt und als den wahren Verfaſſer 
Balther anfgeftellt zu haben ift eines der Verdienſte Wilhelm Grimme md nicht 
fein geringfies. Die Gründe, auf die er eine fo geivagt erfcheinende Behauptung (er 
bat fie anfänglich felb nur fragweiſe und dann erft mit wachfender Zuverſicht als 
Uebergeugung außgefprochen) theils ſchon felber flügt, theils auch noch hätte fügen 
men, Laffen ſich hier am beften beibringen, indem wir das Gedicht überhaupt in Bezug 
A Fi und Inhalt und Character, auf Eutflehungszeit und Gntflehungsort kurz bes 
prechen. 


478 Walther von ber Bogelweide 


Die lehrhafte Neigung, die Walther innetwohnte, zeigt ſich uns fchon im der großen 
Anzahl feiner Sprüche, in eben diefen aber auch fein Lünftlerifches Vedürfniß folder 
didaktifchen Lyrik eine andere Form als der reinen und eine ihr mehr angemeflene zn 
geben. Die Befcheidenheit num dient jenem Hang ausfchließlid und leiftet diefem Be 
dürfniß noch vollere und die vollſte Genüge: hier hat die Form auch nicht einmal den 
Schein der Sangbarleit: es ift bie der f. g. Rede, die ſchon feit längerer Zeit für die 
Lehrdichtung galt und zuerft nur für diefe gebraucht, dann aud) auf die Erzählung ver 
übertragen worden, ein Verlauf von paarweis reimenden kurzen Zeilen ohne ftrophifc« 
Gliederung, nahe angrenzend an den profaifhen Vortrag und erwiefener Maßen audh 
ans diefem hervorgegangen. Aber der Dichter bewegt fidh hier mit der Redeform bod 
nicht in all der Freiheit, welche derfelben fonft gelaflen iſt: er handhabt fie ange 
fheinlich mit den Gewöhnungen eines Lyrikers, mit größerer metrifcher Strenge. Der 
gleichen Versart, was nicht minder zu beachten, bedient ſich Walther wirklich and in 
der Lyrik felbft, gerne und wiederholendlich, und hier denn wird fie der lyriſchen Re⸗ 
gelung volftändig unterworfen. Diefem meteifchen Anklange zur Seite fteht ber vol 
Zuſammenklang der Sprache Walthers mit der Sprache Freidanks: Tegtere iſt ebenfold 
ein Geſammthochdeutſch mit einzelnen Mundartlichkeiten des verfchiedenften Urſprunget, 
wie da8 vorher von der Sprache Walthers ift bemerft worden. 

Tumpheit sträfen unde spot, Die werlt erkennen, minnen got, Des libes und 


der sele heil, Wertlicher &ren teil In dirre werlte kurzen tagen Lörte kunstelich 
bejagen Der sinne riche Frigedanc, Dem äne valschen wanc Elliu rede volge jac, 


Swes er in tiutscher zungen sprach: fo mit lobenden Worten giebt ein jlingenn 


Zeitgenoffe, Rudolf von Ems in feinem Alexander, den Inhalt und Zweck der Beide: 
denheit an. Denken wir uns jedoch dieſen Inhalt nicht in der und gemohnten Jom 


eines Lehrgedichtes, nicht als ein Lehrgebäude in Verfen ausgeführt: der Werfaffer war, 


obwohl Didactiker, do zu ſehr Dichter um dergleichen ſich zur Aufgabe zw fegen, und 
ihon das gleichzeitige Beifpiel des Welfchen Gaftes hätte ihn von folh einem Mi 
brauche der Gedichtform abfchreden müſſen. Er zog ein Verfahren vor, dem Abalih, 
das in unferer Zeit Nüdert in feinen Aufgereihten Perlen und in der Weiäheit de 


Brahmanen beobachtet hat. Auch er, indem er nad) allen Seiten hin, auf ®ott mm 


Natur, auf Staat und Kirche und die Sitten der Menfchen blidt und von überall ba 


die Erndte weifer Gedanken fammelt, reiht nur taufend und aber taufend einzelne Sprüdt 


an einander, allerdings jedoch fo, daß immer Verwandtes bei Verwandten fteht, daß fd 


die Maſſe des Ganzen je nad; dem Wechfel der Bezüge gruppenmweife gliedert um 


Gruppe auf Gruppe zugleich frei und fchidlich folgt. Woher nun aber al biefe vida 


Sprühe? Die ©elehrfamteit, die ſchon durch Walthers Lyrik ſchimmert und fid de 
namentlich in biblifcher und kirchlicher Belefenheit und in Belanntfchaft mit der Fabel⸗ 
bichtung verräth, daneben fein vollsmäßiger Sinn, der ihn dort germ altüberlieferit 
Sprihtodrter brauchen und feine eigene Rede in fprichwörtlicher Weife geftalten Akt 
das Eine wie das Andre konnte und mußte fi in der Befcheidenheit noch voller geb 


tend mahen. Was die Befcheidenheit bringt, es find theils Sprichwörter des Boll, 
denen nur hier zuerſt eine geregelte Bers- und Neimform und allen diefelbe angemefe 





wird, theild Sprüche der Bibel, Salomonifche namentlich, theils folche, die fi auf de 


alte Fabel gründen, theild endlich und zu weit überwiegendem Theile folche, die Mt 
Dichter frei und eigen aus fich felber fchöpft, denen er aber den Gehalt, die Künt, 
die Schärfe, die Abrumdung des Salomonifhen Spruches und des deutſchen Sprit 
wortes zu geben weiß. 


Und die Augen, mit denen Freidanf um fi und über fich, anf die Dinge dit | 
Welt und auf die höheren Dinge blidt, es find feine andern, als die uns ans dentir 
dern und Sprüchen Walthers entgegenleuchten: diefelbe Freiheit bes Sinnes, die Ott 


gegenüber keinen Unterfchied mehr zwifchen Herrn und Knecht, felbft keinen durdwe 
trennenden zwifchen Chriften, Juden und Heiden Iennt, derſelbe Eifer für dos Keil 


Walther vom der Bogelweide 479 


und die Ehre des Reiches, derfelbe Zorn und Huf gegen Rom und die Habgier, die 
Herrichgier, all die Anmaßungen des Pabffihumes, diejelbe Unterwerfung unter die Glau⸗ 
benslehren der Kirche und daneben wieder, in ganz ähnlihen Ausdrüden als dort bei 
Walther, wie denn überhaupt nicht bloß in den Formen der Sprache, fondern auch in 
einzelnen Worten und Wendungen beide mannigfachft übereinflimmen, danchen wieder 
jene gleihgältige Verzichtleiſtung auf den Offenbarungsglauben, die es noch dem allei- 
nigen Wifſen Gottes anheimftellt, ob Ehrift oder Inde oder Heide das befiere Recht 
habe (S. 6, 11 ff): Wer kan den strit gescheiden Under cristen, juden, heiden, 
Wan got, der sie geschaffen hät Und alliu dine än iemens rät? Der wiste wol 
ir aller strit, R ers geschüefe, und ouch ir nit. 

Walther ſprach diefen Gedanken einhellig mit der Geflunung feines Kaifers aus, 
als er mit ihm auf dem Boden des heiligen Landes im Ungefichte der Heiden, aber and) 
der riftlichen Feinde fand. Ebendort und ebendamals ift aber auch die Beſcheidenheit 
oder iſt doch an der Vefcheidenheit gedichtet worden: ein Abfchnitt derfelben(S.154—164) 
bezeichnet fich als verfaßt zu Ptolemais, während bort ein Theil don Friedriche Heere 
lag, und ſchildert und beurtheilt die Dinge dort vollfommen fo, wie auch Walther in 
feinem deutfchen und dem Kaifer tren anhänglihen Sinne davon gefprochen hätte. Wir 
wiflen, daß er nicht mit in Sernfalem, daß er ſonach wahrſcheinlich eben nur in Pto- 
lemais war, wiffen aber auch, daß er von Paläftina in feine Heimath zurückgekehrt ifl. 
Hier denn mag er das fern im Oſten nur begonnene, nur flüdiweis abgefaßte Gericht 
vollendet und den Reſt feiner Tage mit diefer VBeichäftigung ausgefüllt, feine Tage 
damit befchloffen haben. Nicht unpaflich noch unmwürdig: es war gleihfam die Sunme 
ſeines Lebens, bie er mit folcher Spruchweisheit zog. Dabei mußte ihm felbfl zum 
abſchließenden Bewußtſein kommen, was den Kern und das Gepräge feines Welens 
machte, ein Denten nämlich, das durch keinerlei äußere und zufällige Beſchränkung fi 
bedingen oder einengen ließ, und fo wollte ex nur ſich felbfl, nur feine Lebensführung 
und Kunftübung characteriftifch bezeichnen, nicht aber etwa mit Feigheit ſich verfteden, 
indem er fidh hier den Namen Freidank gab. Und vielleicht nicht bloß hier, vielleicht 
auch fonft und fchon vorher: denn es drängt fi dem Obre wie ein Wortfpiel mit 
Frigedano auf (Walther aber liebt das Wortfpiel), wenn eine Liedsſtrophe, die er 
auch erft im höherem exrnflerem Alter Tann gefungen haben, mit den zwei Verſen endigt: 
Liezen mich gedanke fri, Son wiste ich niht umb ungemach (Str. 273). Für 
den Dichter der Beſcheidenheit aber war der Name jedesfalls doppelt fchidlich, da ſchon 
er mit Ablürzung ein Sprichwort in fih ſchloß, das alte, bereits damals und auch 
Bolther wohlbelannte von den zollfreien Gedanken: Joch sint iedoch gedanke vri 
(Ste. 283). 

Durch die Beſcheidenheit hat Walther von der Vogelweide ebenfo Epoche machend 
auf die Litteratur des Mittelalters und noch viel weiter und tiefer und dauernder ein» 
greifend auf die ganze geiftige Entwidelung der Nation gewirkt als durch die Lieder 
und Sprüche, die feinen unveränderten Namen tragen. Denn zu derfelben Zeit, wo 
die legteren ſchon längft vergefien und fo gut als verloren und kanm nod einzelnen 
Gelehrten befannt waren, hat man doch den Freidank immer noch gelefen und viel ge- 
lefen, wennſchon allerdings nicht mehr in feiner echten Urgeftalt, fondern fo, wie ihn 
im 3. 1508 Sebaflian Brant der Sprechweife des fpäteren Gefchlechtes angenähert 
hatte: aber gerade diefe Erneuerung, ohme die auch Freidank eine Antiquität bloß für 
die Gelehrten getvorden toäre, verbürgt und den lebendigen und lebendig wirkenden Fort- 
befand, und wir find zu der Annahme, daß an der reformatorifchen Auffriſchung Deutſch⸗ 
Iond® auch diefe freien Gedanken des alten Sängers ihren nicht unmefentlichen Antheil 
haben, um fo mehr berechtigt, wenn wir diefelben dreißig Jahre fpäter in einer Um⸗ 
arbeitung des Brantifhen Textes durch mandherlei Zuſätze umd auch durch Weglaffungen 
noch verflärft und verfchärft und auf flreithaftefle Urt gegen die römifche Kirche ge- 
wendet fehen. Zunachſt aber und noch im Mittelalter felbft hat bie Beſcheidenheit nicht 


480 Weiß 


bloß eine ftäts fich erneuende, ſtäts noch wachiende Verbreitung durch das ganze Gebiet 
der Sprache, in welcher fie zuerft gedichtet worden, und damit allerdings and mannig- 
fache Verderbniß, bald Erweiterung, bald Berlürzung ihrer echten Geftalt erlebt, fon- 
dern auch über jenes Gebiet hinaus den Weg in das niederdeutſche, das niederländiice, 
ja durch Ueberfegung ins Lateinifche gefunden; es hat ihr Vorgang gleich jenem der 
(grifhen Sprüche Walthers genug andre Gedichte ähnlicher Art nad) fd; gezogen, fie 
bat fort und fort auf die ganze Haltung aller Iehrhaften Poeſie den beſtimmendſten 
Einfluß ausgeübt (ich erinnere, um nur ein Hauptbeifpiel anzuführen, an den Rene 
Hugos von Xrimberg), und namentlich ift fie, indem es fchon frühzeitig Sitte ml, 
Blumenlefen aus Freidank zu veranflalten und bdiefen vereingelten Reimfprüchen fofort 
andere neue nadjzubilden, die Grundlage und der Anlaß geworden für eine eigene dat- 
fhe Epigrammendichtung: die Priameln von Roſenblut und Folz haben ihre erfles 
Wurzeln hier. Damit aber, daß ſich auch das deutfche Sprichwort durch die Beſchei⸗ 
denheit gern an den voller tönenden Reimvers hat gewöhnen laffen, nachdem es vorher 
beinahe nur in Profa oder, wenn in mehr dichterifcher Form, dann in der allitterierentes 
geredet, ift fchließlich eine Wirkung des Gedichtes angegeben, die ſich unansgefegt bil 
in unfere Tage forterftredt. 

Es ift jegt nod) übrig die bisherigen Ausgaben Walther und Freidanls und di 
bauptfächlichften Schriften, die fidh auf beide beziehen, namhaft zu machen. 

Walther: Die Gedichte MWalthers v. d. Vogelweide, heggb. v. Karl kadı 
mann, Berlin 1827. 1843. 1853. 1864 (die beiden legten Ausgaben beforgt bes 
Morig Haupt), — Walther v. d. Vogelw. nebft Ulrih v. Singenberg u. Leutold 
Seven, hsggb. v. Wilh. Wadernagel u. Mar Rieger, Gießen 1862 (auf dieſe 
Ausgabe gehn die oben beigebrachten Anführungen). — Walther v. d. Vw., heggl. >. 
Franz Pfeiffer, Leipz. 1864. 1866.— Oloffarium zu den Gedichten Walthers v. d. In. 
bon Auguſt Hornig, Quedlinburg 1844. — Gedichte Walther v. d. Vw., überleg 
bon Karl Simrod u. erläutert v. 8. Simrod u. Wilh. Wadernagel, Bern 
1833, zwei Bände. — Walthers v. d. Vw. Gedichte, überfegt v. Friedr. Koch, Halt 
1848. — von Weisfe, Halle 1852. — von Simrod, Leipz. 1853. 1862, — Baltkı 
vb. d. Vw., ein altdeutfchee Dichter, gefchildert v. Ludwig Uhland, Stuttg. u. 2b 
bingen 1822. — Mimmnefinger v. Friedr. Heinrich von der Hagen, Th. IV (la 
1838, 4°), S. 160—190. — Das Leben Walther v. d. Bw. von Mar Rieger, 
Gießen 1863.— — von Rud. Menzel, Leipz. 1865. — Ueber zwei Gedichte Waltkerl 
vb. d. Vw., ein academifcher Vortrag v. Th. ©. von Karajan, Wien 1851. — Zu 
Lebensgefhichte Walther v. d. Vw. von Anton Daffis, Berlin 1854, — Ude 
Walthers v. d. Vw. Herkunft u. Heimath dv. Heine. Kurz: Programm der Yarge 
fchen Kantonsfchule, Yarau 1863, 4°. — Walther v. d. Vw. identifh mit Ede! 
Walther dv. Schipfe, von Elard Hugo Meyer, Bremen 1863. — Gefchichte der Tut 
ſchen Litteratur v. Wilh. Wadernagel, Baſel 1848, S. 240—245. 

Freidank: Vridankes Befcheidenheit v. Wilhelm Grimm, Odttingen 15%. 
1860. — Ueber Freidant von Wild. Grimm, Berlin 1850, 4°.; Zweiter Nadt:z 
Söttingen 1855, 4°. — Gef. d. Deutfchen Fitt. v. Wil. Wadernagel, S. 279—282.— 
Zur Deutfchen Litteraturgefchichte, drei Unterfuchungen dv. Franz Pfeiffer, Stunger 
1855, S. 37—87. — Sebaſtian Brants Narrenſchiff, hoggb. v. Friedr. Zardı 
Leipz. 1854, ©. 164—169. Wilh. Wackernagel. 

Weiß (Candidus), Pantaleon, und die Einführung der rejor 
mirten Eonfeffion im Herzogthum Zweibrüden. — Bantaleon Weiß, be 
fannter unter dem Namen Candidus, wurde geboren ben 7. Oktober 1540 zu WIM 
Niederöfterreih. Seine Eltern waren proteftantifch, denn die Neformation hatte ft 
troß der firengen Maßregeln Ferdinand's weit verbreitet. Der Vater, Wolfgang, 7 
im Sabre 1576 zu Betenkicchen im hohen Alter von 95 Jahren flarb, erlebte so 
Einfälle der Türken, in denen er ſchwere Verlufte erlitt, was ihn vielleicht deiro@ 


Weiß, Pantaleon 481 


het, Ips zu verlaſſen. Die Mutter, Apollonia, ſtarb 1562, in einem Wlter von 
17 Yahren. Bon ihren 14 Kindern war Pantaleon das jüngfte. Im einer feiner 
Shriften (epitaphia antiqus et recentia, Argentorati 1600) fegt er ihrer treuen 
mötterlihen Sorgfalt ein Denkmal; fie war eine fromme Frau, die den Knaben 
(don in früher Jugend beten lehrte und ihm die biblifchen Geſchichten erzählte. Als 
Candidus 1562 ald Wittenberger Student nad) Haufe lam, war die Mutter todtkrank; 
er tröftete fie aus Gottes Wort und verjah Prieflerflelle, und unter feinen Troftreden 
entſchlief ſie. 

Die Lernbegierde trieb den ſehr begabten Knaben zu Leuten, von denen er etwas 
zu lernen hoffte. So kam er fon in feinem zehnten Jahre zu dem Pfarrer von 
Weißenlirchen, Audreas Enpicins ans Krain, bei dem er drei Yahre blieb. Um 
diefe Zeit wurde der befannte Yefuit Caniſine durch Yerdinand nad, Wien berufen, 
um der Reformation erfolgreicher entgegen zu wirken. Diefer Dann verurfachte es, 
daß der proteflantifch gefinnte Cupicius nad; Wien in's Gefängniß kam; der junge 
Candidus begleitete ihn und diente ihm als Famulus im Gefängniß. Er erzählt, daß 
fein Lehrer da Öfter befucht wurde von Caniſius, der mit ihm disputirte und ihn duch 
Drohungen und Berfprechungen vergeblich zum Uebertritt zu bewegen ſuchte. “Die 
Standhaftigleit des Lehrers hat jedenfalls einen tiefen Eindruck auf den Knaben ge 
maht. Nach zehumonatlicher Sefangenfchaft gelang es dem Befangenen, zu entkommen, 
und Bantaleon floh mit ihm; fie verbargen fi in den ungariſchen Bergwerksbezirken. 
Einige Jahre nachher, als ex zurüdgelehrt war in fein Baterlaud, — über die Zwi—⸗ 
Ihenzeit fehlen uns die Nachrichten —, nahm fi der Abt von Seiſelſtein, Beit 
Ruber, feiner an und gab ihm Gelegenheit, feine Studien weiter fortzufegen. Als 
fi) aber Nuber verheirathete, mußte er aus Oeſterreich fliehen; und wie Candidus 
einſt feinem erſten Lehrer in's Gefängniß gefolgt war, fo folgte er dem zweiten in die 
Itemde. Die beiden Flüchtlinge fanden Aufnahme in Amberg bei dem Herzog Wolf. 
gang von Zweibrücken, der ſich dort als Statthalter des Kurfürften riedrid IL. von 
ber Pfalz aufhielt. Veit Nuber ward Hofprediger des Herzogs, Candidus war ein 
Jahr ang Schüler Georg Agricola’s, der in Amberg eine blühende Schule leitete. 
Us fih Herzog Wolfgang in fein Herzogthum begab, nahm er feine beibtn Schüg- 
linge mit; und fo kam Candidus zuerft nad; Meifenheim umd 1557 nad) Yweibrüden, 
wo er ein Jahr lang den Sohn des edlen und einflußreihen Kanzlers Ulrich 
Siginger ımterrichhtete. Durch defien Verwendung erhielt er vom Herzog ein alade⸗ 
wildes Stipendium, mit dem er ſich nad, Wittenberg begab. Er erzählt auch, daß er 
in Jena findirt habe (f. Faber, Stoff zu einer pfalz⸗zweibrück. Kicchengefh. Bd. U 
©. 198); aber von dem Aufenthalte an diefer im Gegenfage gegen das — 
Bittenberg fireng Iutherifchen Univerfität ift meiter nichts belannt. Candidus blieb, 
um fih eine gründliche wiffenfchaftlihe Bildung zu verſchaffen, fleben Jahre lang 
auf der Univerfität. Großen Einfluß hatte auf ihn, ohme Profeffor zu feyn, Hubert 
Tanguet, einer der erften Räthe des Kurfürften, deflen Amannenfis Candidus war; 
Ponl Eher, Georg Major und Andere waren feine Lehrer, der einflußreichfte jeboch 
Melauchthon, an den er wahrſcheinlich von Ulrich Sipinger, einem Schüler und 
Freunde Melanchthon’s, empfohlen war. Zwei Jahre genoß Candidus noch den Unter 
riht und den Umgang Melanchthon's, der den Jüngling liebte und ihm als ehrendes 
Zeuguiß feiner Sittenveinheit den deutfchen Namen Weiß in den Iateinifhen Candidus 
verwandelte. Durch feinen Fleiß und feine Kenntniffe, die ſich nicht allein auf die Theo» 
logie erſtredten, erwarb ex ſich auch 1564 die wohlverdiente Würde eines Magiflers 
ber Bhilofophie, und in demfelben Jahre erſchienen aud feine beiden erften Schriften, 
zwei lateiniſche Gedichte, nämlich 1) Concio Christi, quam habuit ad duos discipulos 
euntes in Emaus; 2) Carmen de corona Caroli Magni. 

Im Jahre 1565 wurde Candidus von Wittenberg zuruckgernfen und zuerſt an 
der Lateinſchule in Zweibrücken angeſtellt; aber noch in demſelben dehrt wurde er or⸗ 

Real⸗Cuchtlopadie für Theologie und Kirche. Suppl. LIT. 


482 Weiß, Pantaleon 


dinirt und erhielt eine Pfarrſtelle auf dem Lande. Indeß ſchon nach zwei Jahren 
berief man ihn zum Diakonus nach Meiſenheim und ein Jahr darauf im derſelbe 
Eigenfhaft nach Zweibrüden, wo er nad) dem Tode Kunmann Ylinsbad’s def 
Stelle als Stadtpfarrer und Superintendent erhielt. 

Merfen wir einen Blid auf die Kirche, in der Candidus nun eine fo hervor 


rogende Rolle einnahm. Das Herzogthum Zweibrüden mar eines ber erflen Länder, 


welches fich der Neformation öffnete. Schon 1523 berief der Herzog Ludwig IL den 
Johann Schmweblin aus Pforzheim als Prediger nad) Zweibrüden (vergl. Real. Ex. 
Bd. XIV. ©. 57 ff). Im Anfang fah man nicht befonder8 auf die Lehren, welde 
nachher die Scheidemand ziwifchen den Proteflanten wurden, man drang Niemand bie 
eine oder die andere Anſicht auf, e8 fanden fich neben Xutheranern auch Zwingliare, 
und man buldete fie in den erften Jahren, bio Pfalzgraf Ruprecht, der nad Ludmigs 
frühzeitigem Tode (geft. 1532) mit der Herzogin» Wittwe die Vormundfchaft über feinet 
Bruderd Sohn, Wolfgang, führte, firenger gegen die Ziwinglianer auftrat. Schwebel 
fowohl als fein Freund und Nachfolger Caſpar Slafer, der Lehrer Wolfgang’s, waren 
Freunde Melanchthon's und Butzer's und fuchten mit diefen beiden zwiſchen dem ſtreitenden 
Parteien zu vermitteln. So lam es, daß man fpäter fi ſowohl von lutheriſcher wie 
bon reformirter Seite auf Schweblin berufen zu fönnen glaubte, mit gleihem Red 
oder Unreht. Der Kanzler Heinrich Schwebel gab zum Beweife, daß fein Vater re⸗ 
formirt gedacht und gelehrt habe, 1597 und 1598 die centuria epistolarum theole- 
gicarum und deſſen deutfche Schriften heraus; Heilbrunner dagegen (Verantwortung 
des weyland Durchlauchtigen ꝛc. Wolfgange. Laugingen 1604) ſuchte, umd zwar und 
denfelben Schriften, darzuthun, daß er futherifch, und zwar in feinem Sinn Iutherild, 
gemwefen ſey. Unter Wolfgang’8 Regierung (1544—1569) ward es allmählich andert 
Zwar zog er, als er 1557 feine Kirhenordnung herausgab, die fi an bie im 
pfälzifche Ottheinrich’8 und an die württembergifche anfchließt, neben Brenz und Morbad 
auch Melanchthon zu Rath, aber er trat immer mehr, befonder8 auch dem Kurfürken 
Friedrich III. von der Pfalz gegenüber, als Vorkämpfer des entfchiedenen firengen 
Lutherthums auf. Die Zeit der vermittelnden Anficht war überhaupt vorbei Jalob 
Andreä von Tübingen, der ehrliche aber auch fchroffe Marbach wurden mehrfed 
gebraudt, um die Kirche zu ordnen und die Herrfchaft der lutheriſchen Lehre zu be 
feftigen; fie waren nebft dem heftigen Wolfgang von Kdterig und dem Hofprediget 
Seorg Codonius, Wolfgang's Rathgeber. Der flveitfüchtige Tilemann Heßhut, 
ein Mann „von despotifchem, hierarchiſchem Wefen“ (vgl. Schmidt, der Antheil de 
Straßburger an der Reformation in Churpf. S. XLIII) wurde fogar 1565 zum Hol 
prediger berufen. Kein Wunder, daß Wolfgang, umgeben von folhen Männern um 
nach den befannten Ereigniſſen in der Kurpfalz, bei denen Marbach und Heßhns fehl 
betheiligt waren, immer mißtrauifcher wurde gegen Philippiften und Alle, die von der 
damals geltenden Iutherifchen LXehre abwidhen. Immanuel Tremellius, den er zum 
Rektor des neugegründeten Öymnaflums in Hornbach beftellt hatte, ward des Eabi 
nismus angeflagt, in's Gefängniß geſetzt und fpäter entlaflen; ebenfo der Erzieher de 
Prinzen, Konrad Marius, an deffen Stelle ein entfchiedener Zutheraner, Peter Agri⸗ 
cola, kam. Im Jahre 1564 klagte Codonius den Dialonus Hilspad md u 
Superintendenten Flinsbach, einen Schüler Melanchthon's, des Calvinienns m 
Marbach fand die Anflage unbegründet; beide Angellagte erflärten, daß fle den Jwing 
lianismus und den Calvinismus nie für recht und chriftlic erkannt hätten, und bo 
fannten fi zu P. Eber's Buch vom Nahtmahl und zu Brenz's Schrift de maiestste 
filii Dei. Uber es ward doch eine Belenntnißformel von Marbach entworfen, die beit 
unterfchreiben mußten und die man auch den übrigen Pfarrern, deren viele „verdächtig 
tvaren, und den in’8 Pfarramt tretenden Candidaten zur Unterfchrift vorlegte. Auße⸗ 
dem erließ der Herzog ein Mandat gegen die zwinglifche und calvinifhe Meinung vos 
heiligen Abendmahl und verbot bei Strafe den Drud und Verkauf aller wfatrameni- 


Weiß, Pantaleon 483 


riihen und anderer feltirifcher* Bücher. Uber die Eonventsaften aus jener Zeit (Faber, 
Stoff x. IL S. 33—60) zeigen, wie viele Beifllihe jenem Lutherthume widerfirebten 
und zu der philippiftifchen oder calvinifchen Anficht fi) neigten. Wolfgang blieb feiner 
Ueberzeugung treu bis an's Ende; als er im Jahre 1569 mit 6000 Mann zu Fuß 
and 7500 Reitern den Öugenotten zu Hülfe fam, nahm er zahlreiche Exemplare des 
Keinen lutheriſchen Katechismus in franzöftfcher Sprahe mit, um fle unter den refor- 
mirten Öngenotten zu verbreiten. Er erlag den Beſchwerden bes Feldzugs und ſtarb, 
aft 43 Jahre alt, am 11. Inni 1569 zu Neflun im Limonfin. 

Bon den fünf Söhnen Wolfgang's erhielt der zweite, Johann I, das Herzogthum 
Zweibrücken. Im Jahre 1570 gaben die Brüder auf8 Neue ihres Vaters Kirchen⸗ 
ordnung heraus, und Johann erneuerte von Neuburg and, wo er fi in den erflen 
Jahren gewöhnlich bei feinem Bruder Philipp Ludwig aufbielt, die Mandate gegen 
Zwinglianer und Calviniſten. Als er im Jahre 1575, begleitet von Peter Agricola, 
nah Zweibrücken zurüdtehrte, wurden die Mandate bon der Kanzel verlefen und mehrere 
calvinifch gefinnte Prediger entlaffen; Caudidus war dem Agricola ebenfalls „ver⸗ 
dähtig*, aber er gab feine Zuflimmung zu jenen Maßregeln. Un die Stelle der Ent- 
loffenen berief man von Jak. Andreä empfohlene Lutheraner aus Witrttemberg nnd gab 
ihnen die einflußreichften Stellen; Jakob Heilbrunner wurde Hofprediger, Jakob 
Schopper theologifcher Brofeffor in Hornbach, Andere Superintendenten. Diefen Män- 
nern gehorchte der Herzog anfangs und hielt e8 mit den Intherifhen Furſten, befonders 
dem Marfgrafen von Baden und dem Herzog von Württemberg. Trotz der Öfteren 
Abfegungen gab es aber am Hofe und im Lande noch Manchen, der heimlich zum Cal» 
vinismus meigte; fo der Kanzler Heinrih Schwebel und der Superintendent Faber 
von Kuſel; jett mußten fie fich nod fügen. Ws aber vor dem Klaffenconvent im 
Jahre 1575 klagte Über die in's Land gelommenen „Ubiquitiften®, wurde ex vor das 
geiftlihe Gericht nach Zweibrücken geladen, von Heilbrunner zur Rede geflelt, und 
mußte nebft Candidus und den anderen Geiftlihen eine vom ürften felbft aufgefette 
„ubiquitiftifche* Formel unterfchreiben. 

Das waren die Borfpiele des Kampfes; der eigentliche Kampf entbrannte Aber der 
Eoncordienformel. Als Philipp Ludwig feinem Bruder Johann im Auguft 1576 
das torgauer Vnuch zuſchickte, prüfte er es felbft; ex befchäftigte fi, wie überhaupt 
Fürſten und Staatsmänner jener Zeit, viel mit den theologifchen Fragen, wohnte Ge⸗ 
Iprächen bei und entwarf felbft Yormeln. Das Buch ward den Theologen zur Berath« 
(hlagung übergeben und veranlaßte mancherlei Bedenken. Candidus fand den Ausdrud 
„Vermiſchung“ der beiden Naturen Chrifli, der im 8. Artikel vorkam, eutuchianifch, der 
9. Artilel, de descensu ad inferos, fey nicht deutlich genug und habe wegbleiben 
nen. Andere bemerften, der Artikel von der Prädeftination bedürfe beſſerer Exlän- 
terung ; wieder Andere fanden, daß man beim Artikel vom heil. Abendmahl mehr die 
Bäter als die heil. Schrift angeführt habe, fo daß es fcheinen könne, als vermöge man 
nicht himeeichende Zeugniſſe aus der heil. Schrift beizubringen; auch ſey flärfer zu bes 
tonen, daß man die Sakramente geiftlich anzufehen habe. Im Ganzen war man aber 
mit der Formel einverflanden, ja man ſchlug fogar eine Faſſung des Titels vor, melde 
bie Calviniſten von den augsburgifhen Confeffionsverwandten ausfchließen follte. Am 
15. September übergaben die Theologen ihr Outachten dem Fürſten, der ſchon am 
folgenden Tage feinem Bruder fchrieb, daß man die torganifche Formel im Allgemeinen 
den alten und neuen Symbolen fowie der zweibrüdifchen Kirchenordnung gemäß finde 
und annehme (L. Hutterus concord. conc. XII. p. 364). Im fpäteren Briefen an 
feinen Bruder (8. November) und an den Kurfürſten von Sachſen (30. Dezember) 
ſpricht er zwar wieder feine Zuflimmung zu dem Inhalt aus, wünſcht aber, daß die 
Sade einer Berfammlung aller Stände augsburgifcher Eonfeffion und ihren Theologen 
borgelegt werde (f. Hospinianus, concord. disc. XII. p. 70. 71). 

Im Jahre 1577 wurde das fogenannte bergifhe Buch nad Zmweibrüden geſchidt; 

sı° 











484 Weit, Pantaleon 


und da wiederholte fich daffelbe, was bei dem torgauer Buche flattgefumden hatte. Die 
Theologen, unter ihnen wiederum Candidus, fagen in ihrer Erklärung vom 23. Anguf 
1577, daß fle alle Artikel den Belenntnifien und der zweibrüdifchen Kiechenorbuumg 
gemäß finden. „Iſt deromwegen ſolches auch unfer Aller Lehr, Glaube und Belammtmf, 
dero wir herzlich gern, ohne allen Falſch, mit gutem unverlegtem Gewiſſen, mit Mu, 
Hand und Herzen unterfchreiben.“ Sie wollen darnach lehren, micht® dagegen nuter. 
nehmen, den Widerfachern entgegentreten und dabei bi an's Ende verharren. De 
Herzog fammt den Theologen und Superintendenten unterfchrieb darauf die Concordies- 
formel und ber herzogliche Rath Sal Tuſchelin und der Hofprediger Dal. Heil- 
brunner xeiften im Lande umher, um allermärts Pfarrer und Schullehrer die Yormel 
unterfchreiben zu laſſen. Candidus entfchuldigte ſich fpäter (orationes funebres, Bir. 
1606), e8 jey ihm etwas Menfchliches widerfahren; er habe damals diefe Lehren nicht 
fo verftanden als nachher, da er fie aus Büchern und duch Eingebung bes heiligen 
Geiſtes gelernt habe. 

Die Reformirten in Deutfchland merkten gleich von Anfang, daß die Concordien⸗ 
formel gegen fie gerichtet fey; fie regten fich allerwärts; Pfalzgraf Johann Cafinit, 
der in Neufladt an der Hardt die von feinem lutheriſch gefinnten Vruder, dem fur 
fürften Ludwig VI., vertriebenen Profefforen und Geiſtlichen aufnahm und eine tefu- 
mirte Hochfchule gründete, ließ die Concordienformel von feinen Theologen widerlegen 
und förderte allenthalben den Widerftand gegen diefelbe. Auch an Herzog Yohem 
richtete er ein mahnendes Schreiben, fi) vor derfelben zu hüten. Und unterdefien et⸗ 
hoben ſich nicht nur Calviniſten und Bhilippiften, fondern auch Lutheraner gegen di: 
felbe. Am Hofe waren befonders der Hofmeifter Wolfgang Wambold vom Umfet, 
der Kanzler Heinrich Schwebel und Candidus gegen die Concordienformel; ihr Einf 
auf den Herzog wuchs immer mehr. Trieben fie anfangs den Herzog an, fo tm 
man fpäter nicht mehr unterfcheiden, wer borangeht und wer folgt. Durch fie bedeatlid 
gemacht, zögerte der Herzog feine Unterfchrift einzufenden, trog wiederholter Aufforde 
rungen feines Bruders und des Kurfürften von Sachſen; er hatte viele Lnterrebunge 
über die Sache mit Heilbrunner und Candidus, und wurde durch den leßteren imme 
mehr wantend. Man berief eine Berfammlung von Theologen und legte ihr die Ok 
achten und Bedenken der Fürften vor; fogar die Königin von England hatte in een 
Schreiben gebeten, man wolle die reformirte Kirche nicht underhört verdammen. Ze 
Fürſt forderte von den Iutherifchen Fürſten wenigſtens VBerädfidhtigung ber Vedeale, 
feinem Bruder Philipp Ludwig fchreibt er am 20. Mai 1578, er wolle die Her 
bieten zur Herftellung der Einigkeit, weil e8 aber ein wichtiges Wert ſey umd eig 
Stände auf eine allgemeine Berfammlung dringen, wolle er warten und zudor Anden 
Gedanken darüber hören (Hospinian p. 136. Hutterus p. 698). 

Im Yuli 1578 hielten die Räthe und Theologen des Herzogs eine neue Berfumw: 
lung zu Bergzabern in diefer Angelegenheit, und da ſprach fih Candidus zus 
erftenmale calvinifch aus über die Berfon Chriſti: quod divina natarı 
suas essentiales proprietates non effundat in humanam naturam, neque ei commt- 
nicet, quia divina propria nec re nec voce vel veritate naturae humanae tribei 
possint. Heilbrunner focht diefe Behauptung nicht bloß an, fondern fand es and ir 
dentlih, mit Candidus das Abendmahl auszutheilen. Eines Tages ging der Für st 
Heilbrunner, Candidus und einigen Räthen im Scloßgarten fpazieren; er exflärte, Mt 
Streit müffe aufhören, und warf endlich Heilbrunner's Schrift zerriffen in’s Belle. 
Trogdem wandte er fi noch einmal an Marbach, der gerade in Birkenfeld cam 
Brunnenfur gebrauchte, und bat ihn, den Streit zu ſchlichten. Marbach kam und futtt 
natürlich, da er mit Heilbrunner einverftanden mar, Candidus von feiner Deinung b 
zubringen. Nach Heilbrunner’8 Bericht hat Candidus befannt, er habe ans dieſer Ih 
terrebung mehr gelernt, als bisher aus anderen Schriften, und fi drei Monate Bo 
denkzeit erbeten, um die Schriften feiner Gegner fludiren zu lönnen; Sanbibas bagepet 


Weiß, Pantaleon 485 


ſagt, Marbach habe ihm viele Bücher empfohlen und er ſich dazu und über feine 
orafelhaften Ausſprüche drei Monate Bedenkzeit ansgebeten. Wie dem auch ſeyn mag, 
Candidus gab nach drei Monaten feine Erklärung, hielt aber eine Predigt über ben 
72. Pſalm, im ber ex feine Anfiht über die Perfon Chriſti darlegte. Nun folgten 
Steeitfchriften und Disputationen, die den Zwieſpalt nicht beilegten, fondern immer 
mehr vergrößerten und bie Streitenden immer heftiger machten. Die Gefahr eines 
Berluftes ließ die Iutherifchen Firſten, befonders die Brüder und Vettern Johann's, 
sicht gleichgültig. Ende des Jahres 1579 ſchickten die Herzöge von Neuburg und von 
Bärttemberg, jener Philipp Heilbrummer, den Bruder des Zweibrüdener Hofpredigers, 
biefee Ofiander von Tübingen, Kurfürft Ludwig den alten Marbach. Der letztere er- 
fläxte, daß Candidus nicht mit ber aug&burgifchen Confeſſion übereinſtimme, und rieth, 
die Alten an die Univerfitäten Heidelberg, Straßburg und Baſel zu ſchicken; Candidus 
dagegen erzählt, e8 feyen Straßburg, Tübingen und Wittenberg genannt worden, drei 
lutheriſche Fakultäten, deren Urtheil für Candidus jedenfalls umgünftig andgefallen wäre. 
Imdeflen wurde diefer Vorſchlag, fowie der andere, bie formula oonfessionis de coena 
domini vom Jahre 1564 wieder einzufchärfen, nicht angenonmen. Der Herzog glaubte 
den Streit dadurch befeitigen zu können, baß er beiden Parteien Stillfchweigen auf- 
erlegte, ihnen verbot, neue Redensarten zu gebrauchen, und befahl, fi) an Gottes Wort, 
die Belenntniſſe und die Kirchenorbuung zu halten. Während Candidus feine Zuflim- 
mung dazu gab, fo war Marbach ſehr unzufrieden Über dieſe Maßregel, die ihm gegen 
die Lutheraner gerichtet ſchien. Und er hatte nad) feinem Sinne nicht fo unrecht hierin. 
Der Herzog achtete fich nämlich durch feine Unterfchrift nicht mehr an die Eoncordien- 
formel gebunden. Auf einen Brief bin, den ihm Landgraf Wilhelm von Heflen ge- 
ſchrieben hatte, exflärte ex ſchon am 20.November 1578 feinen Theologen und Räthen, 
er habe jene Formel nur bedingt unterfchrieben, fofern fie don allen evange⸗ 
liſchen Ständen zur Stiftung der Einigleit angenommen werde. Diefe Erklärung kommt 
einer Jurücknahme feiner Unterjchrift gleih. Heilbrumer, der es für Ge- 
wifienspflicht hielt, die flreitigen Lehren auf die Kanzel zu bringen und gegen Candidus 
zu polemiſtren, erflärte nad) kurzer Bedenkzeit, er könne fich jenem Befehle nicht gemäß 
halten, und wurde im Februar 1580 feines Amtes entlafien. Zwar gelang es dem 
olten Chriſtoph Landfchad don Steinach, den der Kurfürft Ludwig gefandt hatte, einen 
Vertrag zwifchen Candidus und Heilbrummer zu Stande zu bringen, auf welchen hin 
Heilbrumer wieder in fein Amt eingefegt wurde, aber der Streit erneuerte ſich bald 
wieder. Am Himmelsfahrtöfefle brachte nämlich Heilbrummer die Streitfrage wieder 
anf die Kanzel und ward von Candidus des Vertragsbruchs angellagt; er gerieth mit 
dem Fürften felbft in heftigen Wortwechfel und vergaß ſich, als er noch einmal zur 
Zofel geladen wurde, wieder, fo daß der Fürft den Hofprediger vom Tiſch umd aus 
dem Lande wies, im Juli 1580. 

Mit der Entlafiung des Führers ber Lutheraner war jedoch der Streit keineswegs 
zu Ende. Im Dezember defielben Jahres veichten mehrere Lutheraner eine Klage gegen 
Candidus ein, worin fie ihn des Neflorianismus, des Calvinismus und der Gottes⸗ 
Üfterung befchnldigten. Dan warf ihm befonders vor, daß er feine Lehre von der 
verbalis coommunicatio in naturis den Ingolſtadter Jeſuiten entlehnt habe und jefui- 
tiſche Schriften verbreite. Die Klage blieb ohne Erfolg, und Candidus legte feine An- 
At Aber die Perſon Ehrifi ausführlicher dar in feinem Dialogus de unione perso- 
nali duarum in Christo personarum, secundum mentem ssorse soripturae, ecclesiae 
atque augustanae oonfessionis n. ſ. w., der 1583 in Genf unter dem pfeudonumen 
Autoruamen Palatinus Kednadon a Strasswick erfchten; Beza foll ihn vorher gelefen 
und gebilligt haben, wie ex denn auch die veformirte Lehre enthält. Die Gegenſchriften 
der Lutheraner durften nicht veröffentlicht werden. Im Jahre 1585 war eine neue 
Disputatton in Gegenwart des Herzogs, aus der Candidus flegreich hervorging, umd 
der Herzog gab, nach Candidus Bericht, wieder den Befehl, es folle Keiner neue Rede⸗ 


486 Weiß, Bantaleon 


mweifen vorbringen oder den Genuß ber Unwürdigen vertheidigen, d. h. die lutheriſqhe 
Lehre vortragen. Candidus felbft hatte fi) in der Disputation noch ganz lutheriſch 
über das Abendmahl exllärt: impios suo ore corpus et sanguinem Christi comedere 
et bibere, et illud, ut Augustinus dieit, nos ingredi. Aber aud hierin erfolgte bei 
ihm ein Umſchwung; er verfaßte nämlich in demfelben Jahre Frageſtücke, bie er 
ohne Willen der Obrigkeit bei feiner Viſitation an die Geiftlichen vertheilte, Er fagt 
zwar, er habe fie verfaßt, „daß die Jugend aus ihrem Catechiſmo anf ſonderliche Fragen 
recht zu antworten gewiefen werde, daß fte diefelbigen recht verfiehen“, aba in Birk 
lichkeit enthalten fie nicht eine Erklärung des Kleinen lutherifchen Katechismus, fonden 
die Lehre des Heidelbergifchen. Sieben unter diefen elf Frageſtücken handeln von ben 
Saframenten. Im folgenben Jahre (1586) erſchien dann eine Schrift von Candidus: 
„Klarer Bericht vom heil. Abendmahl." Dan. Toffanus in Heidelberg gab fie ohne 
Nennung ded Druckortes und mit dem Autornamen Nathanael Hodopoeus heraus. Die 
ziweite Auflage erfhien 1602 mit Candidus' Namen in Zweibrüden. 

Philipp Ludwig, über die Schritte feines Bruders erfchroden, bat ihn noch br 
gend, fi vor dem Calvinismus zu hüten, aber es mar fchon zu fpät. Schon om 
10. November 1585 fchrieb Pappus an Marbach: Palatinus etiam Johannes Bi 
pontinus paulatim magis magisque Calvinismum suum detegit. Die meiften &kif- 
lichen ergaben ſich willig oder gezwungen in die neue Ordnung; nur einige berliehen 
lieber das Land, als daß fe ihre Ueberzeugung drangaben. M. 9. Wader in How 
bad; wurde entlaffen und an feine Stelle Barthol. Heramer berufen; ebenfo mußt 
Stug in Zweibrüden weichen, der ſich meigerte, neben Candidus das heil Abendmahl 
auszutheilen. Ihre Anhänger im Volk und fie felbft entluden ihren Unwillen in Schmoͤh⸗ 
worten auf Candidus, der den Fürſten verführt habe; man nannte ihn callidus ile 
veterator, Pantelweiß, Pantaleon Niger; dagegen hielt man zu Neuſtadt umd Ale im 
der Kurpfalz Öffentliche Danfgebete für den Sieg des „wahren Glaubens“ (f. Berast 
wortung Wolfgang’8 S. 77). Uber erft da8 Yahr 1588 kann als das Yahr der Eie 
führung der reforntirten Confeffton angefehen werden, wie Candidus felbit bemert m 


feinen tabulae chronologicae (Argent. 1600) zu diefem Jahre: Joannes Palatinw 


dux Bipontinus ecclesias sui ducatus a reliquiis fermenti Papatus reformst, & 
gefehah dieß durch Herausgabe eines neuen Katehismus: „Chriftliche und nsth 


wendige Erklärung des Catechiſmi, aus Gottes Wort, in kurze Tragen und Antwertn 
geftellt, wie die in dem TFürftenthum Zmeibrüden aus Befelch der hohen Obrigkit w 


felbflen von Kirchen» und Schuldienern bei dem gemeinen Dann und der Yugend ge 


trieben follen werben, fich vor Abgötterei, Überglauben und faljchen Xehren deſto be} 


zu verhüten und zu verwahren.“ Er erſchien zuerft deutfch in Heidelberg, dann deut 
und lateiniſch mit vielen Citaten am Rand in Neuftadt, und in's Franzöfiſche überlet 


in Genf (abgedrudt bei Faber, Stoff zc. II. S.149—188). Der Herzog ſelbſt Ihre 


die Vorrede (Ziweibrüden den 18. März) innerhalb ſechs Stunden; er habe den Rute 


hismus, fagt er, „durch gelehrte und gottesfürchtige Kirchendiener und Theologen der 
faffen laſſen; daraus, fowie aus dem Umftande, daß die Trageftüde von 1585 pa 


nicht wörtlich aufgenommen, aber hinein verarbeitet find, dürfen wir entnehmen, deß 


Candidus jedenfalls großen Antheil an der Berabfaflung defielben hat. Die Einfülrum 
diefes Katechismus zeigt und Mar das Berhältnig von Staat und Kirche: der Het 
in feiner Eigenfchaft als hriftliche Obrigkeit ordnet die religidfen Angelegenheiten, brandt 


feine bifchöflihe Gewalt und fein jus reformandi. Diefer zweibrüdifge Kate ⸗ 


chismus enthält 71 Tragen, die ſich der Anordnung des Iutherifchen Kutechiämus m 


fließen: Gebote (teformirte Zählung, Iutherifche Abtheilung), Glaube, Baterumfer (et 


Ibfe uns vom MBdfen), Ant der Schläffel, Taufe und Mbendmahl. Nicht bioß im mm 


Lehre, fondern auch dem Wortlaute nad fchließt er ſich an den heidelberger Katedituel 
an, deſſen Kraft und Einfachheit er aber um feiner dogmatifchen Haltung willen äl 
erreicht. Webrigens behandelt er nur diejenigen Fragen, zu welchen eine „Erilänm’ 





Weiß, Pantaleon 487 


für nothwendig gehalten wurde, alfo befonders die Lehre von der Perſon Ehrifti und 
von den Saframenten; zu den Geboten gibt er daher feine Erklärung, bei dem Vater⸗ 
unfer nur die Frage: was lerneſt du aus des Herrn Gebet? Später ward er fanımt 
dem Intherifchen Katechismus, neben dem er als „Erklärung“ bdeflelben gebraucht werden 
follte, abgefchafft umd der heidelberger Katechismus eingeführt. Um die Gemeinden und 
Beiftlihen zur Annahme des Katehismns zu beivegen, reifle der Herzog, der ihn als 
fein eigenfled Wert betrachtete, mit Candidus und mehreren Näthen im Lande 
herum, vertheilte den Katechismus und ließ Candidus Predigten zur Empfehlung befe 
jelben und zur Erläuterung der firittigen Punkte halten. Außer den geiftlihen Mitteln 
wurden zur Ueberwindung der Widerfeglichkeit auch noch leibliche gebraucht, nämlich 
ernfthafte Verordnungen. Jakob Andreä und Bappus fchrieben Streitichriften gegen 
den ziweibrüdifchen Katechiomus; der Herzog befahl, die Verbreiter diefer Schriften zu 
verhoften und alle Exemplare einzufenden. Den Geifllichen aber, die zu Anfang 1589 
den Ratechtiämms noch nicht augenommen hatten, twurde eine dreimonatliche Bedenlzeit 
gegeben, dann wurden die Widerfirebenden, der Superintendent Alex. Met in Berg 
zobern, der erfle Pfarrer Daniel Beyer in Enfel und mehrere Andere entlaffen und 
ire Stellen theild mit vorbereiteten hornbacher Stipendiaten, theile mit Ausländern bes 
ſetzt (ſ. Bachmann, zweibrück. Staatereht S. 194). Da man „den vom Papſtthum 
übrigen Sauerteig ausfegen“ und etliche noch überige Mißbräuch aufheben“ wollte, 
fo wurden num auch die Exrucifire, Chorröde, Bilder entfernt, anflatt der Altäre ein- 
fahe Tiſche, flatt der Kelche Becher eingeführt, die Hoſtien abgefchafft und das Brod 
den Communicanten in die Hand gegeben. 

Der Sieg war getvonnen, aber Ruhe und Zufriedenheit noch keineswegs im Lande 
eingekehrt. Im der Generaliynode vom Yahre 1593 (f. Faber, Stoff x. II. 203 ff.) 
wurden vielfache Klagen über Widerfeglichteit laut; in Hornbach gaben die Profefjoren, 
anderwärts die Amtlente Aergerniß, indem fie das Mbendmahl mieden, ed gab nod 
immer Pfarrer, die den neuen Katechismus nicht einführten, manche Eltern wollten ihre 
Kinder nicht taufen laffen und gingen in benachbarten Iutherifchen Gemeinden zum 
Abendmahl. Noch 1609 kommen foldhe Klagen vor, wenn auch nur vereinzelt. Nur 
an einigen wenigen Orten erhielten die Vaſallen oder die Gemeinsherren die Iutherifche 
Eonfeffion (f. Bachmann a. a. DO. ©. 195 ff.). 

Der Kampf mit den auswärtigen, befonders den nenburgifchen Theologen dauerte 
nad; Einführung des Katehiemns noch einige Jahre fort. Johann's Mutter, Anna, 
der er 1589 „aus chriſtlichem, treuherzigem, kindlihem Gemöth“ auch ein Eremplar 
feines Katechismus sngeichidt Hatte, ſowie feine Intherifchen Brüder fuchten ihn zur 
Wiederabfchaffung deflelben zu beivegen. Es wurden Schriften gewechfelt, Dieputationen 
der Theologen, Zufammenklinfte der fürftlichen Brüder gehalten, natürlich ohne einen 
anderen Erfolg, als daß ſich jede Partei in ihrer Anficht noch mehr befefligte.e Das 
feste Religionsgefpräd fand im Yahre 1593 zu Neuburg ftatt; Candidue 
fonnte nicht kommen und fchidte an feiner Statt Heramer und ben Diakonus Phil. 
Mid. Beuther; das Gefpräd ward abgebroden, ohne daß man fich verftändigt hatte, 
mm baten die Zweibrüder, man möge ihnen nicht die calvinifche Prädeftinationslehre 
boriverfen, mit der fie nichte zu thun hätten. In den folgenden Jahren gab der Kanzler 
Schwebel, wie oben bemerkt, jeine® Vaters Schriften heraus zum Beweiſe, daß bon 
Anfang an daffelbe gelehrt worden jey wie jegt. Er behauptet in der Vorrede zu den 
deutfchen Schriften feines Baters, man habe nur unbefugte Neuerungen abgefchafft und habe 
jetzt keine andere Lehre, als von Anfang an. „Denn“ — fagt Heilbrunner — „man 
bat vor dieſer Zeit auch den Namen zu Zweibrücken nicht haben wollen, daß man gar 
zu den Calviniſten treten umd einen neuen Catechifmum machen follte, fondern man hat 
fürgeben, es fen allein um die Ubiquität zu thun.“ Darum beruft fih Candidus im 
feinem Streit anf die augsburgifche Eonfeffion und die zweibrückiſche Kirchenordnung 
(f. Saber, Stoff II. ©. 189); er gab die elf Frageflüde und den neuen Katechismus 


488 Weiß, Pantaleon 


nur hinaus als „chriftliche und nothivendige Erklärung des (Intherifchen) Cateqhiſmi. 
Nie hat er offen die Aenderung feiner Anficht befannt, fondern feine früheren Schritte 
gegen die calviniſch Geſinnten auf allerlei Weiſe entfchuldigt. 

Die Wirkſamkeit Candidus' erftredte fich über die Gränzen des Tleinen Herzog⸗ 
thums Zweibrücken; noch während des Kampfes mit den Rutheranern dachte man der 
reformirten Kirche einen großen und wichtigen Zuwachs im Reiche zum erwerben. So⸗ 
hann I. reifte mit Candidus, der ihn oft auf Reifen begleitete und ihm während ber 
Reife Predigten hielt, im Jahre 1581 nad; Cleve zu feinem Schteiegerbater, dem 
Herzog Wilhelm von Yülih, um für feine rveformirten Glaubensgenofſſen in Wachen, 
das unter dem Schuge des Herzogs ftand, Freiheit zum Abhaltung ihres Gottes dienſtes 
zu erlangen. Er erlangte das auch wirklih. Unterwegs twaren fie in Bonn bon dem 
Erzbifhof Gebhard von Köln empfangen worden; das war mehr als ein gewöhnlicher 
Beſuch. Die junge Gräfin Agnes von Mansfeld hatte den Exzbifchof gefeflelt; Herzog 
Johann machte ihm den Vorſchlag, fie zu heirathen und als Fürft fein Land zu refor⸗ 
miren, Der Erzbifchof, von den Brüdern der Gräfin gedrängt, wollte fle heirathen 
und bon feiner Würde abtreten, aber feine freunde bewogen ihn zu bleiben. Um biefe 
Zeit kam Herzog Iohanyg abermals mit Candidus zu dem Erzbiſchof; Candidus hielt 
vor ihm, jedoch nicht Öffentlich, zu Bonn und Köln Predigten und traute ihn am 
4. Februar 1583 mit Agnes. Kinige behaupten, Urſinus babe dieſe Zranung voll⸗ 
zogen (vgl. Real-Enc. Bd. XIV. ©. 697); aber Candidus erzählt felbft diefe Sefchichte 
an mehreren Orten, 3. B. orationes funebres: 

atque electorem vinclo tum rite jugali 

conjuge cum cars solenni more sacravi. | 
Bon dem Iutherifchen Sachſen wurde Gebhard im Stich gelaflen; dagegen nahmen fid 
die pfälzifchen Fürſten, und zwar ſowohl die Iutherifchen, Kurfürft Ludwig md fen 
Oheim Richard von Simmern, al8 die reformirten, Iohann Gaflnıir und Johann L, 
feiner an, fonnten ihn aber nicht fchügen. Gebhard zog fi zurüd anf feine Dom 
herrnpfründe in Straßburg, blieb auch ferner mit Herzog Johann umd Candidus em 
verbunden und fam bisweilen zu Befucd nad Zweibrücken. 

Bon feiner amtlihen Wirkſamkeit fagt Candidus felbft — von den Seinen 
ward er übermäßig gelobt — ganz befcheiden, er habe treulih die Kehre der Apoſtel 
und Propheten verfündigt, nad Kräften die Befferung der Sitten gefördert, alle Be. 
trübten und an Leib und Seele Ungefochtenen getröftet. — Er befaß großes Talent, 
Gelehrfamkeit und Gewandtheit, und kann ein Polyhiſtor genannt werden. Man 
zählt Über zwanzig Schriften von ihm, theil® deutfche, theils Tateinifhe. In der letz⸗ 
teren Sprache und in der Handhabung des Lateinifchen Hexameters befaß er große Ge- 
wandtheit. Er dichtete viel, aber nie deutſch; feine Gedichte find auch heute zum Theil 
noch leſenswerth, aber fie reden nicht zum Herzen des Volls und find darum vergefin 
worden. Vielleicht trachtete Candidus, der feine Schriften gewöhnlich angefehenen Man- 
nern oder Fürften und Kaifern widmete, etwas zu fehr, den kaiſerlichen Dichterlorbeer 
zu erhalten. Im feinen theologifchen Schriften tritt, wie überhaupt in der theologifchen 
Literatur jener Zeit, die Polemik fehr hervor. Außer den bereitd genannten Schriften 
bon Eandidus erwähnen wir noch einige der wichtigſten: Elegise precationum ex 
Evangeliis dominicalibus. Additae sunt 1) Summae s. argumenta in singula e— 
pita quatuor librorum Regum carmine comprehensa; 2) Judices populi Isr. car- 
mine descripti; 3) carmen in laudem Wolfgangi Palat. — Loci theologici prse- 
eipui ... . . versibus conscripti, una cum carminum sacrorum libro (19 Gebidkte), 
precibus sacris (28 Gebete) atque Catechesi christianae dootrinae (allein bereits in 
Jahre 1564 in Wittenberg, 1566 in Straßburg erfchienen). Beide Bücher erſchiene⸗ 
zu Bafel 1570. — In proverbia Salomonis paraphrases carmine oonscriptae. Frei. 
1578 und Argentor. 1588. — Gotiberis h. e. de Goticis per Hispaniam regibus 
e teutonica gente oriundis libb. VI; tum Bohemias h. e. de ducibus et regibu 


Wenzeslans 489 


bohemieis libb. VII. Biponti 1597. — Epigrammatum sacrorum libb. XII. Ge- 
nevae 1589. — Conciones funebres. Bip. 1600. — In laudem Joannis Ducie. 
Bipont. a. 1604 die 11. Aug. pie defuncti libb. IV. carmine heroico scripti 
Bip. 1605. 

Werfen wir and einen Blid in das hHäuslihe Neben Candidus. Er war 
dreimal verheirathet: zuerft ſechs Jahre mit Margaretfa Sturz in Iinderlofer Ehe. 
Als fie 1573 geftorben war, verheirathete er ſich 1574 mit Sibylla Kneugel. Bon 
den fleben Kindern aus diefer Ehe blieben nur zwei am Leben, eine Tochter und ein 
Sohn, von dem die noch heute lebende Familie Candidus abſtammt. Im Jahre 1594 
verheirathete fih Candidus zum dritten Mal mit Anna, der Wittive des Geometers 
Tilemann Stella, die ihn überlebte. Frühzeitig dachte er an feinen Tod. Im Herbfle 
1607 hielt ex noch Bifitatiouen und Synoden in Eufel und Meifenheim — die Synoden 
waren während ber Zeit des Streites in ben 70er und 80er Jahren nicht gehalten 
worden und wurden 1592 wieder erneuert —, machte einen Ausflug nach Bergzabern, 
fühlte aber nad, feiner Rückkehr die Nähe des Todes. Er fchrieb ſich felbft Predigten 
zur Borbereitung auf ben Tod und fammelte fie in ein Heft „Troſtſprüche, welche 
mix Pantaleoni Candido in meinen Todesndthen fürgehalten werden follen“ ; allein es 
ging verloren. Im Gottes Willen ergeben, richtete ex ſich mit Bibelſprüchen auf, ge- 
brauchte viel Melanchthon's Bebetsformeln, verfertigte auch felbft deren mehrere latei- 
niſche, und miederholte oft da6 Wort: Here Jeſu! mad, daß bein letztes Wort am 
Kreuze fen andy mein letztes Wort in diefem Leben. — Um 3. Februar 1608 farb 
er, nachdem er Tags zubor noch feiner Gattin eine kurze Iateinifche Grabinfchrift 
diktirt hatte. 

Literatur. Mich. Phil. Beuther, Ehriftliche Leichpredigt bey der Begräbnuß 
Pantaleonis Candidi. Nenfladbt 1608. — Melch. Adam, vitae germanorum theo- 
logorum. — B. ©. Struve, pfälgifche Kirchen - Hiflorie. Franff. 1721. — ©. Ch. 
Joannis, Kalenderarbeiten, neue Ausgabe. Zweibr. 1829. — Ph. C. Heing, die 
Alexanderskirche zu Zweibrücken. Zweibr. 1817.— 2. Hänffer, Geſchichte der xhein, 
Pfalz. 2 Bde. Heidelb. 1845. — E. F. H. Medicus, Geſchichte der evang. Kirche 
in Bayern; Supplementband: die Rheinpfalz. Erlangen 1865. — Friedr. Butters, 
Bantaleon Candidus, ein Lebensbild ans dem zweiten Menſchenalter der Reformation. 
zeit in Dentfchland. Zweibr. 1865 (Programm). Joh. Schneider, Bilar in Germersheim. 

FW Wenzedlanud, der heilige, Herzog von Böhmen. Ungeadjtet den über- 
lieferten Nachrichten zufolge fchon unter Ludwig dem Deutfchen, dem Enkel Karls 
des Großen, ewa vierzehn boͤhmiſche Häuptlinge ſich zu Regensburg durch die Annahme 
der Taufe zum Chriftenthume befannten, fo zeigten ſich doc die Bemühungen der Deut- 
jchen, bdaffelbe unter den Slaven zu verbreiten, umfo mehr vergeblih, da bdiefen bie 
Berbindung mit Deutfchland Tängft fehr verhaßt und die deutſche wie die lateinifche 
Sprade zu fremd waren. Nicht von Deutfchland her, fondern bon einem verwandten 
flavifchen Staate follte der chriftliche Glaube vielmehr den Ezechen gebracht werden. 
Zwei griehifhe Mönche, Eyrillus (Conſtantinus) und Methodius, beide der fla- 
vifchen Sprache mächtig, hatten ben Mähren im Jahre 863 mit der Predigt zugleich 
die Heilige Schrift umd chriftlichen Gottesdienſt im diefer Sprache gebracht und an dem 
mächtigen Swatopluk, dem Oberhaupte derfelben, eine fihhere Stüge gefunden. Als 
darauf Methodins um das Yahr 880 in Rom zum Erzbiſchof der Mähren gewählt 
war und die päbftliche Beftätigung des ſlaviſchen Sottesdienftes aus befonderer Begln- 
fligung erhalten hatte, erfchien gegen Ende des 9. Yahrhumderts, durch politifche Zwecke 
beranlaft, der Herzog Borzimot von Böhmen im Glanze männlicher Iugend und 
Schönheit am Hofe Swatopluk's umd ließ fich durch erwünſchte Verheißungen des Me⸗ 
thodin® zur Taufe beivegen. Mit ibm warb zugleich feine Gemahlin Rudmilla ge 
tauft, welche von jett an ihr religidfes Gemäth mit demfelben feurigen Eifer, den fie 
bisher in der Verehrung der ſlaviſchen Gottheiten gezeigt hatte, zur Anbetung des Chri- 


499 Wenzeslans 


ſtengottes wandte. Seitdem gewann das Chriſtenthum vom Tape zu Tage mehr An 
hänger, und dem Methodius wurde der ruhmvolle Name des Apoftels der Böhmen 
zu Theil. Als fi gegen Ende feines Lebens der Herzog Borzitvoi mit feiner Ge 
mahlin Lubmilla, welche ihre Frömmigfeit unter die Heiligen erhob, aus der Welt in 
die Einfamfeit zurückzog, folgte ihm fein in den elterlichen Grundfägen erzogener Sohn 
Spitignemw als zweiter chriftlichee Herzog in Böhmen. Allein fo bereitwillig dieſer 
treffliche Fürſt auch volle Gemiflensfreiheit in feinem Lande einführte und Chriften 
und Heiden feine gleichgeliebten Unterthanen nannte, brach doch nach feinem Tode im 
Jahre 915 ſogleich die wüthendfte Verfolgung des Chriſtenthums durch die Draho⸗ 
mira, die heidnifche Gemahlin feines Bruders und Nachfolger Wratislam’s hervor. 
So lange der Herzog Wratislam lebte, fuchte er freilich feine herefchfüchtige Gemahlin 
in Scranfen zu halten und ihre Abfichten zu vereiteln; da er aber bald flarb umd um 
zwei noch unerwachſene Söhne hinterließ, fo hielt fie ihre Begierde, als Mutter der 
Unmündigen die herzogliche Gewalt an fid zu reißen und durch dieſelbe das Chriften 
thum gänzlich zu unterdrüden, nicht Länger zurüd. Deshalb fahen fid) die Großen det 
Volks und die Geiftlichen, welche ihre heidnifche Wuth fürchteten, veranlaßt, die Exie 
hung des künftigen Herzogs nicht ihr zu überlaflen, fondern der frommen Großmutie 
Ludmilla, die in der Zurüdgezogenheit ein ſtilles, chriftliches Leben führte, enzıe- 
trauen. Nachdem ſich unter ihrer Auffiht und Pflege die chriftliche Religion dem Geife 
und Herzen des Knaben tief eingeprägt hatte, wurde er in der Schule der Stadt Önter 
in den Wiffenfchaften unterrichtet und fo ber feſte Grund zu der Denk⸗ umd Hat 
unge weife gelegt, durch die er ſich fpäter die Verdienſte eines Heiligen in Böhme 
erwarb. 

Während unterdeſſen die edle Ludmilla das Chriſtenthum im Lande auf ak 
Weiſe zu fchirmen und zu befördern firebte, vafete die boshafte Drahomira in ihe 
Berfolgungsmuth fort, verjagte die hriftlichen Priefter Überall und zerflörte viele Kichen 
Da erbot ſich Fudmilla, in der Hoffnung fie zu befänftigen und zur VBerföhnung w 
fimmen, ihr als der Mutter der jungen Herzogsföhne vorläufig bis zur Volljährigkeit 
des Älteren Wenzeslans die Negierung zu überlaffen und fich felbft aller herzogliden 
Gewalt zu entlleiden. Allein anftatt durch diefe Großmuth die Exbitterte zur Milk 
zu bewegen, fteigerte ſich vielmehr der Groll derfelben gegen fie, als fie fah, daß jekt 
Berfuh, den Sohn zum Heidenthbum zurüdzuführen, vergebens war und der Knabe fur 
fuhr, im Dunkel der Nächte den Umgang chrifllicher, frommer Männer eifrig anf 
fuchen. Daher berieth fie fih, um die dem Chriftenthume mit unmwandelbarer Trem 
ergebene Großmutter aus dem Wege zu räumen, mit zweien ihrer Bertrauten, Zumme 
und Gomo, welde ihr verfpradhen, die verhaßte Beſchützerin der Chriften zu tödten. 
In diefer Abſicht begaben fie fich mit einem Haufen Bewaffneter nach deren entlegenen 
Wittwenfige nach Tetin, brachen in nächtlicher Dunkelheit die Hausthär ein und flärte 
in Ludmilla's Schlafgemadh. Obgleich diefe, vorher von ihrem treuen Enkel Beet 
laus geivarnt, den Mördern leicht hätte ausweichen Können, erwartete fie biefelben mi 
hriftlicher Ergebenheit in ihr Schidfal und erinnerte fie nur mit Sanftınuth an ii 
mannichfahen Wohlthaten, welche fie ihnen in früheren Seiten erwiefen hatte. Abe 
keine Vorſtellung vermochte die harten Gemüther der Mörder zu erweichen. Sie rifie 
die hülflofe Fürftin aus dem Bette, warfen fie zur Erde, und kaum wollten fie ik 
auf ihr flehendliches Bitten eine kurze Frift zum legten Gebete gewähren. Knieend de 
tete Ludmilla mit ausgebreiteten Armen zu Gott. Dann fprad fie geflärft und ge⸗ 
foßt: „Seyd ihr nun herangelommen, mie das Leben zu nehmen, fo fchlagt wir dei 
Haupt mit dem Schwerte ab, damit id) nach dem Beispiele fo vieler Blutzengen dei 
Heilandes fterbe umd feines Reiches würdiger werde.“ Doc die Mörder, ihrer Bite 
nicht achtend, erwilrgten fie mit ihrem Schleier, faßten gefühllos den Leichnam us 
ſchlugen das Haupt negen einen Stein, der mit dem Blute beffelben beſpritzt wurde. & 
endete die fromme Ludmilla als Märtyrerin für ihren Glauben. Gottesfürchtige Räme 


Wenzeslaus 491 


begruben die Leiche auf dem St. Katharinen⸗Kirchhofe zu Tetin unter vielen Thränen, 
die Gläubigen firdinten dahin, um am ihrem Grabe zu beten, und Jahrhunderte hin⸗ 
durch iſt fie wie eine Heilige verehrt worden. Selb die Frevlerin Drahomira wagte 
es nicht, die Muheftätte der Gemordeten zu fldren und deren ſchnell wachſende Ber- 
ehrung mit Gewalt zu hindern. Das Bewußtſeyn ihrer Schuld an dem BBerbrechen, 
das nur von ihr audgegangen war, und der Widerfiand, den ihre Abfichten trogdem 
überall fanden, zerrütteten ihre Seele und wandten ihre Wuth nicht nur gegen die Chri⸗ 
Ren, fondern bald auch gegen die Mörder, deren fie ſich ale Werkzeuge des Berbre- 
chens bedient hatte. 

Indeſſen kam die Zeit heran, in welcher der junge Wenzeslaus das achtzehnte 
Lebensjahr erreicht hatte und erklärte, daß er die herzogliche Regierung jelbft übernehmen 
wolle. Seine Mutter Drahomira aber, um ihre tyranniſche Herrſchaft nicht fahren zu 
laſſen, ergriff mit ihren Anhängern fofort die Waffen, und erſt nad; einem längeren 
biutigen Kampfe tward er feines Rechtes mächtig, worauf er Drahomira mit Allen, die 
ibz ergeben waren, verbannte. 

Wenzeslaus regierte zum Segen des Landes von 928 bis 936 ober 938. Mit 
trefflichen Anlagen des Geiſtes und einem fanften und frommen SKaralter autgeflattet, 
war er wicht ungefchidt zn dem Geſchäften der Regierung, blieb dabei aber ber Beftim- 
mung für ein religidfe® Leben flets eingeden! und fizebte immer mehr nach der chriſt⸗ 
lichen Bolllommenbeit, den Lehren getren, die er im früher Imgend empfangen hatte. 
Obgleich ex auch jet noch wiederholt mit inneren und änßeren Feinden zu Tämpfen 
hatte, richtete er vor Allem feine Sorge auf die Berbreitung des Chriſtenthums umd 
die Gründung eines feften Kirchenweſens und fand dabei nit nur eine fichere 
Stäbe an dem mächtigen deutſchen Könige Heinrich L., defien Oberhoheit ex bereitwillig 
anerlannte, fordern auch einen treuen Gehülfen an dem Biſchofe Tuto von Regens⸗ 
burg, mit dem er, da derſelbe zugleich Biſchof von Prag mar, in der imigſten Ver⸗ 
bindung fland (f. Cosmae Prag. chron. Boem. I. 1. no. 18. hei Pertz Scriptt. IX. 
p- 46). Mit Eifer flellte er die zerftörten Kirchen wieder her, rief die berbannten 
Geiſtlichen und Mönche zurüd und erbaute mehrere neue Kirchen, unter denen die Kirche 
des heiligen Vitus zu Prag die vornehmſte war. Auch brachte er den Leichnam der 
heilig verehrten Ludmilla von Tetin nach Prag und ließ ihn daſelbſt, nad) dem Berichte 
Chriſtian's de Scala (ſ. Bolland. vita s. Wenc. co. 1.) durch den Biſchof Zuto in 
der Georgskirche feierlich beifegen, eine Handlung, welche nad; der Denkungsart diefes 
Zeitalters zur Befefligung feiner hergoglichen Gewalt ungemein beitragen mußte. Außer⸗ 
dem berief ex, um die chriſtliche Lehre und den chriftlichen Eultus zu befördern, Geift- 
fiche und Mönche and Bayern, Schwaben und anderen Gegenden Deutfchlands nad) 
Böhmen, und diefe kamen in großer Anzahl mit gottesdienftlihen Geräthſchaften, Re⸗ 
liquien und Büchern herbei, fanden bei ihm die ehrenvollfte Aufnahme, wurden reichlich 
beſchenkt und bei Ausübung ihres Amtes kräftig unterftügt. 

Aber er zeigte zugleich fein ernftliches Bemühen, das Chriftentbum in feinem Lande 
völlig zur Herrſchaft zu bringen, auch dadurch, daß ex felbft mit feinem Beiſpiele Allen 
in der Frömmigkeit vorlenchtete. Er hatte immer mehrere Geiftliche in feiner Nähe 
und umterhielt fi gern mit ihnen. Seine Diener und Hofleste ließ er bis zum Ge⸗ 
ringften herab durch feinen frommen umd vertrauten Hanshofmeifter Podivin fo un- 
terrichten, „quod pene nullus curtensium foret, qui psalmographorum hymnos ca- 
nere vel stylo exarare ignoraret vel aliquid ad ecclesiasticum pertinens non ad- 
disoeret”, auch ließ er fi} von ihnen an den BVigilien die ganze Geſchichte des Alten 
Teſtaments vorleſen (f. Bolland. vita s. Wencesl. c. 3.). Die Großen und Üdeligen 
feines Reiches, fo viele ihrer noch dem Heidenthume anhingen, fuchte ex bald durch 
Milde und Berheigungen, bald duch Strenge und Zurückſetzung, menn Güte nicht 
wirkte, vom ihrer heidatfchen Lebensweife abzubringen. Wurde er don ihnen, was nicht 
felten geſchah, zu Weflgelagen eingeladen, die mit dem Gbtzendienſte in irgend einer Be⸗ 


492 Wenzeslans 


ziehung ſtanden, fo erſchien er nie; hatte er bei anderen Gelagen, die ex ſchiclich nicht 
bermeiden konnte, nach damaliger Sitte mehr als gewöhnlid, getrumlen, fo eilte er om 
folgenden Zage in die Kirche, fchenfte dem Geiftlichen, der den Gottesdienſt beforgte, 
das Beſte von feinen Kleidungsſtücken und flehte ihn an, zu Gott für ihn um Verjei⸗ 
hung feiner Sünden zu beten. Uebrigens war er im Eſſen und Trinken äuferft mäßig 
und trug unter feinem Herzogsmantel beftländig ein wollenes Hemd und ein Cikicum. 
Seine Keufchheit bewahrte er, wie ausdrüdlich erwähnt wird, gewiſſenhaft bis am fein 
Ende. Nach dem Zeugnifle feines Lebensbefchreibers Gumpold (f. bei Berk «.a.D.) 
befuchte ex felbft in der ſtrengſten Winterzeit, nur von feinem treuen Podivin begleitet, 
des Nachts baarfuß die Kirchen und „drüdte dem Boden die heiligen Spuren femeb 
flammenden Eifers ein.“ Oft bereitete er in frommer Glänbigleit eigenhändig bie par 
Meſſe erforderlihen Opfergaben, indem er von feinem fteten Gefährten Podinin be 
gleitet zur Zeit der Exnte in nächtlicher Weile auf das Feld ging, dem Weizen mhk, 
ihn auf feinen Schultern nah Haufe trug und aus den bon ihm zu Mehl gemahlen 
Körnern Brod but, ebenfo ben Wein eigenhändig zubereitete und Beides umter die Geiſ⸗ 
lichen des Landes vertheilte. | 


Auf das Volk wirkte er durch die mildthätigfte Unterflügung der Armen und Hält 


bebürftigen jeder Art, fo daß er es fogar nicht unter feiner Würde hielt, wothleibenden 
Familien felbft Brod zur Speife und Holz zur Feuerung zu bringen. Nicht mine 
bewies er feine große Herzensgüte und Menfchenfreumdlichleit durch das Loslaufen heil 
nifcher Finder, die er taufen und im Chriftentfum unterrichten ließ, durch Mildermy 
der Geſetze und Strafen, fowie dadurch, daß er gebot, alle Galgen im ganzen Lan 
zu entfernen, und niemals bewogen werben konnte, in das Todesurtheil über ein 
feiner Unterthanen einzuwilligen. Um das Blut feiner Unterthanen zu fchonen, jehk 
er ſich felbft lieber den größten Gefahren aus. Als der eroberungsfüchtige Für R 
dislav Baurzini's, eines Nachbarlandes von Böhmen, mit einem ſtarken Heere plünder 
und verheerend in fein Gebiet einfiel, fchidte er demfelben einige Abgeordnete mit ka 
Anfrage entgegen, weßhalb ex feindlich gegen ihn heranziche, und exbot fich, ihm, mem 
er ihn untiffendlich beleidigt haben follte, Genugthuung zu leiften umd ihm zu befc® 
digen, wofern er nichts begehre, was der chriftlihen Religion oder dem Wohle feine 
Unterthanen twiderfprehe. Da jedocd; der übermüthige Radislav verlangte, daß er fh 
und fein Sand ihm unbedingt übergeben ſolle, fo zog ex ihm mit den Seinigen wohl 
gerüftet und muthig entgegen. Schon flanden Beider Heere kampfbegierig einande 
gegenüber; da bot der Herzog dem Gegner einen Zweikampf am, um durch dieſen De 
Sache zu entfcheiden und das Leben fo vieler Unfchuldiger zu fchonen. Radislan, ir 
den Sieg leicht zu erhalten hoffte, nahm da® Anerbieten an, und beide Fürſten fdrrtie 
im Ungefichte ihrer Heere zum Kampfe. Der Herzog Wenzeslaw, defien Waffenchflung 
fehr leicht war, bezeichnete fich mit dem Kreuze und ging muthvoll auf feinen Gegse 
108. Als aber Radislav ihm mit feinem Wurffpeere zu durchbohren trachtete, glauirt 
er, wie böhmifche Gefchichtfchreiber erzählen, plöglich zwei fehügende Engel ihw 
Seite zu erbliden, Iegte feine Waffen nieder und warf ſich dem frommen Herzog X 
furchtsvol zu Füßen, indem er ihn um Berzeihung bat und es ihm überließ, die Ir 
dendbedingungen feftzuftellen. 

Unterdeffen ſchaltete fein jüngerer Bruder Boleslam, dem er grofmäthig des Ge 
biet von Bunzlau als deſſen unbefchränttes Eigenthum eingeräumt hatte, im einem dor 
dem feinigen ganz verfchiedenen Geiſte. Denn auf diefen Bruder war ber herrſqhſte⸗ 
tige und rohe Geiſt feiner Mutter Drahomira übergegangen; er neigte ſich dem de 
denthume zu und befchäftigte fich mit dem Gedanken, in feinem Tleimen Gebiete m 
fefte Hauptftadt zu gründen. Er verfammelte daher alle freie Männer feines Leid 
und fprad zu ihnen: „Ich befehle, daß mir eine hohe Ringmauer, wie um bie Gial 
Rom, hier aufgeführt werde.« Ein tiefes, mit Zittern verbundenes Stillſchweigen feier 
diefer kurzen Rede; es war, wie ein Chroniſt verfichert, den Verſammelten, als wei 


Benzeslaus 493 


Boleslaw taufend beivafinete Arme an einem einzigen Körper hätte. Und als er diefen 
Eindrud bemerkte, und ein angefehener Greis, der in feiner Nähe ſaß, es dennoch end⸗ 
lich wagte, ſich beſcheiden wider ihn zu äußern, faßte er benfelben mwäthend an umb 
durchſtach ihu mit den Worten: „Ich will e& fo, und nur mein Wille ift mein Geſetz.⸗ 
Jetzt ward ihm ohne Widerrede fogleid, Sehörfam geleiflet, und in Kurzem fland bie 
hohe Ringmaner da; ja man bat ihn fogar unter Thränen, es zu verzeihen, daß man 
anfangs gewagt habe, ihm zu widerſtreben. 

Nun vermochte er auch nicht länger fi) der offenen Feindſchaft mit feinem älteren 
Bruder, dem er die Herrfchaft nicht gonnte, zu enthalten. Diefer hatte gutmüthig, mie 
er war, längft der Mutter ihre Frevel verziehen und ihr geftattet, an feinen Hof zu- 
rdzufehren, und fie ift gewiß nicht ohne entfcheidenden Einfluß auf den Eutſchluß ihres 
jüngeren Sohnes geblieben. 

Beinahe zehn Jahre hatte der Herzog Wenzeslans die Regierung bes Landes mit 
Ruhm und zum Segen feiner Unterthanen geführt, als er theil® ans Haug zum flillen, 
befchaulichen Leben, theild aus Schen vor dem herrfchfüchtigen Streben feines Bruders 
und feiner Mutter ſich entichloß, nad, Rom zu wandern und in den Mönchsftand zu 
treten. Kamm hatte Boleslaw dieß erfahren, fo überzeugte ex ſich bald, daß der noch 
lebende Bruder als rechtmäßtger Herzog, wenn auch abwejend, feiner angemaßten Macht 
flets gefährlich ſeyn werde. Er Ind ihn daher, da die Mordluſt in feinem Bergen ge- 
weckt war, noch vor deſſen Abreiſe auf den 27. September zum Feſtfeier der Märtyrer 
Eosmas und Damian, denen eine Kiche zn Bunzlan geweiht war, dorthin zu ſich ein. 
Zwar ahnte der Herzog eine hinterliftige Tide, nahm aber dennoch die brüderliche Ein- 
ladung an. Nach dem Gottesdienfte ging man zum Mahle, an dem die Berfchtivorenen 
mit verborgenen Waffen Theil nahmen und nicht undentlidh in ihren Mienen die Luſt 
verriethen, über ihr Opfer herznfallen. Vergebens warnte einer feiner Getreuen ben 
Herzog vor dem Berrathe, aber diefer adhtete fo wenig darauf, daß er unbefangen am 
Ende des Mahles dem heiligen Erzengel Michael der Sitte gemäß einen Liebestrunt 
mit dem Wunſche ansbrachte, „derfelbe möge Allen nach dem Zode ein Führer in das 
Paradies feyn“, und fämmitliche Gäfe aufforderte, in diefen Wunſch einflimmend ihre 
Becher zu leeren. Am folgenden Morgen ging er, feiner Gewohnheit nad, in aller 
Frühe auf das erfle Olockenzeichen in die Kirche, um zn beten. Als er nad, verridy- 
teter Andacht in feine Wohnung zurüdfehren wollte, trat ihm Boleslaw, der ihm be- 
waffnet nachgefchlichen war, entgegen. Nach gegenjeitiger Begrüßung umarmte und 
tüßte der Herzog feinen Bruder und dankte ihm für die geftrige glänzende Bewirthung. 
In demfelben Augenblide zog jebocd der heimtüdifche Boleslam das Schwert und fchlug 
ihm zwei Wunden, indem er erwiderte: „Heute till ich dich noch beſſer bewirthen! « 
Indeſſen gelang es dem flärteren, obſchon wehrlofen Wenzeslaus, dem Gegner das 
Schwert ans den Händen zu winden und ihn zu Boden zu werfen; dann zufrieden da⸗ 
mit, daß er dem Morder zu gerechter Strafe daB Leben hätte nehmen können, wenn er 
gewollt, ließ er ihn frei und gab ihm mit den Worten: „Das verzeihe dir Bott, mein 
Bruder! — die Waffe zurüd. Doch ungerührt von bdiefer großmüthigen Schonung, 
zief er jetzt, als wäre er der Augegriffene, feine in der Kirche verfledt lauernden Mit. 
helfer um Hülfe herbei. Mit Schwertern und Spießen drangen fie allenthalben aus 
ihren Schlupfwinkeln hervor, und ber Herzog, der fi), der Uebermacht unterliegend, 
durch die Flucht zu retten fuchte, fand die Kicche durch die Vorſicht der Mörder ver 
ſchloſſen; von Wunden zerfleifcht und entkräftet, ſank er fterbend an der Thür nieder. 

So endete der fromme, von feinem Bolte geliebte Herzog Wenzeslaus an heiliger 
Stätte durch die Hände von Berräthern, au deren Spige fein eigener Bruder fiand. 
Sein Todesjahr wird verfchieden angegeben; die meiſte Wahrfcheinlichleit fpricht für 
das Yahr 936. Drei Jahre nad feinem Martyrthum wurde feine Leiche nad Prag 
in die von ihm erbaute St. Bitusfiche übertragen, wo fie ihre bleibende Ruheſtätte ge⸗ 
funden hat. 


494 Whately 


Wenzeslaus ward bald, wie feine Großmutter Ludmilla, eine Hauptgeſtalt in der 
äfteften chriftlihen Gefchichte Böhmens und fpäter unter die Heiligen verfekt. Seim 
Andenken feiert die Tatholifche Kirche alljährlid, am feinem Xodestage den 28. Sepibr. 

Gleiches Scidfal mit Wenzeslaus theilten die meiften feiner treuen Diener und 
faft alle Geiſtlichen; als die Häupter der Chriflen und die eifrigften Anhänger des ex- 
mordeten Herzogs wurden fie theil® verjagt, theils hingerichtet. Indeſſen blieb das 
Beifpiel der heiligen Ludmilla und die Thätigfeit ihres Enkels Wenzeslaus nicht ohne 
fegensreiche Folgen im Wolfe, wenngleich das Ehriftenthum erſt nach ſchwerer Verfol⸗ 
gung unter Boleslam (IL) dem Frommen, der feit 967 regierte, einen bintigen 
Sieg erlangte und im Jahre 973 mit der Gründung des Erzbisthums Prag, für wel⸗ 
ches der Pabſt die Einführung des xömifchen Ritus bedingte, eine feſte Kirchenverfafjung 
erhielt. 


Vencezlavi ducis Bohemiae bei Pertz M. H. G. Scriptt. T. IV. p. 211—223. — 
Vita 8. Ludmillae et S. Wenceslai auct. Christanno de Scala Mont. int Act. 88. 


Literatur: Gumpoldi (Bifhofs von Mantua zwiſchen 968 bis 973) vita 


Sept. T. V. p.354. T. VIL. p.825. — Cosmas Prag. (geft. 1125) Chron. Bohemor. | 
libri II. in Soriptt. rerum Bohem. Prag 1784, T. I, befier in Menckeniü Seriptt 


rer. Germ. T. I. p. 1967, am beften bei Pertz Scriptt. Tom. IX. p. 46 sqq. — 
Dobner, Abhandl. der böhmischen Geſellſch. der Wiſſenſch. auf 1786, S. 395 ff. — 
Dobromfty, krit. Berfuhe Prag 1803. — Deffen Cyrill und Methodins, der 
Slaven Upoftel. Prag 1823. — Fr. Balady, Geſchichte von Böhmen. Prag 1836, 
Bd. I. — Damberger, ſynchron. Gefh. Bd. IV. Dr. G. 9. Klippel. 





Whately, Richard, Erzbifhof von Dublin, war am 1. Februar 1787 m 
London geboren, wo fich feine Eltern vorübergehend aufbielten. Sein Vater hatte em 


Präbende in Briftol und hier erhielt er feine Borbildung bis zum Abgang auf bie 


Univerfität Oxford. Er trat in das Oriel College ein, welches, nachher fo berütm 
als Pflanzfchule des Tractarianismus, damals einen ganz anderen Saralter Hatte. E— 


war das erſte College in Oxford, in welchem eine freiere Richtung und ein reges willen 
ſchaftliches Streben fich zeigte. Es dankte feinen Anfſchwung hauptfählih Eoplefton, 
dem nachmaligen Bifchof don Llandaff, der viele Jahre als Fellow und von 1815 bi 


1828 als Vorſtand des College einen Kreis hervorragender Schüler und Anhänger um 


fi fammelte, zu welchen außer Whately deſſen etwas jüngere Zeitgenofien Kehle, The 
mas Arnold, Milman und fpäter 9. H. Newman und Pufey gehörten. 
Whately entiwidelte ſich nicht raſch. Bei aller Wißbegiexrde und eifernem Fleiß 


ſah er ſich doch anfänglich von vielen Studiengenofſen überflügelt. Erſt 1810 trat ex 


in die vorderen Reihen, als er die Preisaufgabe: Was waren die Künfte des Friedent, 


in welchen die Alten den Neueren nachflanden? — gewann. Das Jahr daramf wurde 


er zum Fellow von Driel gewählt. Während er aber nur langfam ſich die Wnerten- 
nung feiner wiflenfchaftlichen Tüchtigkeit anbahnte, hatte er durch feinen ſcharf out 
geprägten Karalter von Anfang an eine Stellung unter feinen Genofien gewonnen. & 
war eine kräftige biederbe Natur, vol Wahrheitsliebe und Rechtlichkeit, aber rückfichtele? 
und im hödften Grade formlos. Disputiren war feine Leidenfchaft, fey es, daß er im 
Ernſt eine Sache verfocht, oder nur um zum Widerſpruch zu reizen oder den Gegne 


zu verblüffen, Paradoren aufftelltee Wenn er, fagt ein Zeitgenoffe, den Kopf zuräd 


geworfen, ſchweren Trittes in der Halle des College einherfchritt, war es, als wolle a 
allen Widerfpruch niedertreten, wie der Elephant das Geftrüpp. Er Hatte viel Mutter— 
witz und ließ ihm frei fpielen, gleichgültig ob er verletze oder nicht. Zahlloſe gute mm) 
fchlechte Wie werden von ihm erzählt, meift eigene, aber auch viele traditionäre, dee 
fi, als herrenlofe ihm anhängten. Bewunderer feiner Originalität fand er viele, ade 
Freunde hatte er wenige; denn die Meiften fürchteten ihn, ımd die er verlegt hate, 
zogen ſich zurüd. 

In feiner Stellung als Fellow hatte Whately die vollite Muße für wiffenfäaft 


Whately 495 


liche Arbeiten und die befte Gelegenheit, feine Kenntniſſe zu verwerihen. Einen Einblid 
m den Gang feiner Studien gewährt fein Commonplaoe Book (aus feinem Nachlaß 
von feiner Tochter beransgegeben), eine Art Tagebuch, in welchem er bon 1810 an 
Gedanken und Bemerkungen über Berfchiedenes aufzeichnete — ein Slizzeubuch, ans 
dem er fpäter manches Blatt herausnahm, um die flüchtigen Umriffe auszuführen. Man 
icht darin ganz den Mann, der er von Jugend anf bie in's ©reifenalter war, kein 
wigmellee fchaffender Kopf, aber einer, der über Alles felbfifländig denkt, forgfältig 
wüft und, was damals Wenige wagten, auch theologiſche Fragen ernſtlich unterſucht 
md durchaus mac Erkenntniß der Wahrheit ringt, dabei lieber mit Wenigem aber 
Siherem ſich begnügen will, als Etwas fiehen Lafien, bloß weil es allgemein angenom, 
nen oder zwedmäßig ifl. Andererſeits widerte ihn nichts fo an, als die deftruftive 
Tendenz des Hume'ſchen Stepticismus, der Manchen als die Spike ber Philofophie 
fhien. Er unterfuchte defien Principien und legte feine gefährliche Tendenz bloß in 
er Brofchüre „Historic Doubts relative to Napoleon Buonaparte, 1819.— Es war 
eine erſte Schrift, die and die popnlärfte geblieben if. Eine wifienfchaftliche Wider. 
egung des Hume'ſchen Stepticiemns iſt es nicht und will es nicht ſeyn. Whately 
volte nur den Hume’fchen Orunbfag, daß kein Zeugniß genügen könne, um die Wunder 
u beweifen, in der Anwendung auf unbeftrittene Thatfachen ad absurdum führen, und 
ne if ihm im feiner humoriftifchen Weife vortrefilich gelungen. Um diefe Zeit fing 
t au an, Beiträge in die „Edinburgh Revien“ zu liefern. Whately hatte ſchon 
men bedeutenden Einfluß in Oxford geivonuen, namentlich unter den Studirenden, and) 
vorn ihm wiederholt Predigten vor ber Uuiverfität und im J. 1822 die Bampton 
ectures Übertragen worden, als er in Folge feiner Verbeirathung (1821), die ihn zum 
Iufgeben feines Fellowahip’s nöthigte, eine Pfarrei in Halesworth, Suffoll, annahm, 
hue jedoch den Verkehr mit Oxford zu vernachläffigen. Als Paſtor war er thätig mad 
eigte fi freundlich und allezeit hülfebereit gegen feine Pfarrlinder. Seine Predigten 
voren meiſt in populärem Tone gehalten. ine Frucht feiner theologifhen Stubien 
n8 diefee Zeit find feine „Essays on the difficulties in the Writings of St. Paul”, 
n denen er die Schwierigfeiten in der Schrift anerkennt und zu heben fucht, befonder® 
ber bei der Ermählungslehre verweilt, die er im anti-calviniftifhen Sinne auffaßt. 
Im biefe Zeit erfchien auch eine anonyme Schrift „Letters on the Church by an 
ipiscopalian”, in welcher die Unabhängigkeit der Kirche verlangt wurde und die großes 
lufſehen erregte. Sie wurde allgemein Whately zugefchrieben, uud diefer hat dem nie 
ireft widerſprochen. Es war bdiefe Schrift, welche Newman den erflen Gedanken an 
ine Neugeftaltung der Kirche eingab. 

Whately’8 Abweſenheit von Orford war von kurzer Dauer. Er wurde im Sahre 
825 zum Präfidenten von St. Alban's Hal erwählt. Hier trat er bald mit feiner 
Jauptfchrift „The Elements of Logic” hervor, ein Bud, das ihm in England und 
Imerifa einen großen Namen gemadt bat und in beiden Ländern faft allgemein ale 
ehrbuch eingeführt worden if. Das Studium der Logik war in Orford feit Rode faſt 
anz vernachläffigt worden, Diefes wieder zu Ehren gebracht zu haben, ift Whately's 
zerdienſt. Die Anregung dazu halte er von Copleſton empfangen und Bieles in feinem 
Berfe benutzt, was er aus deſſen Borlefungen nnd Geſprächen darüber in ſich auf- 
enoınmen. Bei der Ausarbeitung fland ihm Newman zur Seite, der auf kurze Zeit 
jicepräfident von St. Alban's und dazumal Whately fehr befreundet war. 

Whately Hat in feinem Werke zivar weder ein neues Syſtem aufgeftellt, noch auch 
en Fortſchritt in dieſer Wiſſenſchaft in anderen Rändern beachtet, vielmehr die ariflo- 
fifch »fcholaftifche Logik wieder zu Grunde gelegt, aber diefe duch klare Auseinander⸗ 
gung umd treffliche Erläuterungen anziehend zu machen gewußt. So viel fi aud 
egen diefe Logik einmwenden läßt (vgl. Sie W. Hamilton’8 ſcharfe Kritil in der Edin- 
urgh Review 1838), fo hat fie doc; einen großen Einfluß auf die Behandlung ver 
hiedener Disciplinen ausgeübt und zu weiteren Forſchungen (&. C. Lewis und Man⸗ 





496 WBhately 


fell) angeregt. Im einem anderen Schrifthen — Easy Lessons of Ressoning — 
ſuchte Whately die Logik populär zu machen. 

Auf diefe Logik und im engen Anfchluß daran folgte Whately’8 Rhetorik, ehenfals 
ein fehr geſchätztes Bud, und dann feine Borlefungen über Nationalöfonomie. Es war 
ihm nämlic) im Jahre 1830 die Profeffur für diefe Wiſſenſchaft übertragen worden — 
damals noch etwas jo Neues, daß er ihre Berechtigung namentlich religidſen Bedenken 
gegenüber darthun mußte. Weber diefen Studien verfäumte Whately jedoch bie theolo- 
gifhen nicht. Er ließ eine Schrift über die Irrthümer des Katholicismus (Errors of 
Bomanism) erfcheinen, die mit großer Mäßigung und tiefer Menſchenkenntniß geſchrieben 
ift und noch heute als beſte Schugfchrift gegen die römische Kirche gilt. Hat er nd 
aber hiemit viel Dank erworben, fo zog er fich auch wieder viele Feinde zu durch ein 
Broſchüre über den Sabbath, welche der in England herefchenden Auffaffung bes Sm 
tags entgegentrat. 

Whately hatte ſich duch feine Schriften einen bedeutenden Namen gemadt IN 
durch feine Lehrgabe auch als Docent fich ausgezeichnet; und obwohl er manden Stun 
zu beftehen hatte, auch mit feinen kirchlich⸗ und politifch liberalen Anſichten ziemlih 
iſolirt ftand, jo ſchien er doch nirgends ſich wohl zu fühlen als in dem alademifcen du 
rufe, und für kein anderes Amt fich fo zu eignen. | 

Wie groß war daher das Erftaunen, ald im Herbft 1831 Whately’s Erke 
bung zum Erzbifhof von Dublin in Orford vernommen wurde. Es war fıl 
unerhört, daß ein Geiftlicher vom Katheder unmittelbar auf einen Erzſtuhl erhob 
wurde. Dean konnte nicht begreifen, wie die Regierung es wagen mochte, flatt eine 
Iren einen Engländer, ftatt eines Confervativen einen Liberalen, einen, der ber Trw 
nung der Kirche dom Staat da8 Wort geredet, nach Irland zu fenden, wo Alles as 
den Fugen zu gehen fhien. Und das Schlimmfle war, daß Whately im Gemd kı 
Heterodorie ftand. Einmüthig wurde gegen diefe Wahl proteftirt. Die Prälatental 
der Bifchof von Ereter an der Spite, erhob ſich gegen ihn, von den Kanzeln und wa 
der Preſſe wurde der verderbenbringende Schritt der Negierung beflagt und berdumei 
Ebenſo wenig konnten e8 Whately’8 Freunde begreifen, wie er feine hohe und eiuwflr 
reihe Stellung auf der Univerfität aufgeben möge, um einen verlorenen Poſten zu be 
fegen, ſtatt des gefeierten Lehrers eine Tirchenfürftlihe Null zu werden; wie er, da 
aufrichtigfie Mann, eine Stellung einnehmen könne, weldhe nur mit Grunden za ve: 
theidigen war, die er bei Anderen ficher würde verdammt haben. Denn bei all da 
idealen Auffaffung der anglilanifhen Kirche in Irland als einer Miſſionskirche, tust 
man ſich doch nicht verhehlen, daß fie folhen Beruf in der That nie erfüllt habe, m 
daß ihr befter Nechtötitel der Grundſatz fey: cujus regio, illius religio. Aber ca 
die abnorme Stellung der irifchen Kirche fhien den paradoren Mann zu reizen, m 
gewiß auch die Hoffnung, auf einem ausgedehnten, wenn auch noch fo ſchwierigen & 
rufsfelde feine Kräfte zum Wohle feiner Mitmenfchen in großartigem Maßſtabe de 
wenden zu können — ein Wunfd, den er felbft feine Hauptleidenfchaft nennt und Le! 
mit fich herumgetragen hat (f. Commonplace Book 3. 9. 1818). 

Man kann fi) die Aufnahme denken, die Whntely in Dublin fand. War iX 
ſchon ein boͤſes Gerücht vorangegangen, fo that er auch Yahre lang gar nichts, = 
das Vertrauen der Geiftlichkeit zu gewinnen. Auch im exzbifchöflihen Talar bie © 
unverändert der witige, derbe, unbelümmerte Yellow. Statt falbungsvoller Anfpredz 
und väterlicher Rathfchläge bekamen die Geiftlichen, wenn fie im erzbiſchöfllichen Far’ 
fi einfanden, Wige zu hören; logiſche Fallen wurden ihnen geflellt, und mem Fi 
darein gingen, wurden fie tüchtig ausgelacht. — Auch das Außerft unbekünmerte few 
loſe Weſen des Erzbifchofs fiel unangenehm auf. Man konnte 3.8. den hochwärdize 
Heren gemüthlic feine Thonpfeife rauchend und auf den Sperrketten, die ſeinen de 
abgrängten, figend oder hemdsärmlig im Garten arbeitend finden. Doch dat mu 
nur Nebenfachen und von keinem Belang dem Anſtoß gegenüber, den feine theologiſco 





Bhately 497 


Anfihten der Geiftlichkeit gaben. Hatte er diefe ſchon zuvor durch feine liberalen An, 
Ihauungen und befonders durch feine Anficht über den Sabbath und die Präbeftination 
gegen ſich eingenommen, fo erweiterte ſich die Kluft durch die rüdfichtslofe Art, mit der 
er fortfuhr, Schwierigkeiten hervorzufuhen, Gegengründe gegen den Glauben aufzu- 
ftellen, ohne fie, wie man glaubte, ernftlich zu widerlegen, und wohl am meiften durch 
feinen offen ausgefprocdhenen Widerwillen gegen die Kinfeitigleiten der evangelifchen 
Richtung, gegen die fanatifche und doch oberflädjliche Weife, in der der Katholicismne 
im Bauſch und Bogen verdammt wurde, und gegen die Profelgtenmacherei, in der Biele 
die Hauptaufgabe der anglikaniſchen Kirche in Irland fohen. Da konnte er wohl manch⸗ 
mal einen eifrigen Profelgtenmader auf's Korn nehmen, ihm die Gegengründe, die ein 
Katholik aufftelen würde, haarſcharf vorhalten umd ihn auffordern, diefelben ebenfo fcharf 
zn widerlegen, und den Armen fo in bie Enge treiben, daß er kleinlaut abzog. Und 
old wäre es damit nicht genng geweſen, fo rief er zur Zeit der Cholera im Jahre 1832 
einen Sturm der Entrüftung hervor, als er fidh gegen die Todtenbettrene und die Wirk. 
fomleit des Sakramentes bei Sterbenden, was von ber legten Delung der katholiſchen 
Kirche wenig verfchieden fey, ausſprach und fogar es für unndthig erflärte, daß bie 
Geiſtlichen fi der Gefahr der Anftedung ausſetzen! Whately war fo ganz das Ge. 
genftüc feines Vorgängers, der nicht bloß in religiöfen Anfchaunngen mit feinem Klerus 
harmonirte und jeden Anftoß vermied, fondern auch äuferfi zubortommend und herab- 
loffend gegen feine Geiftlihen war und der Würde des Kicchenfürften nie eiwas vergab. 
In friedlichen Zeiten wäre gewiß ein ähnliher Dann viel mehr am Plage ge- 
wefen als Whntely. Aber Irland befand ſich dazumal in ber gefährlichften politifchen 
und kirchlichen Krifie. Wohl war kurz zubor durch die Katholilenemancipation eine 
wichtige Concefflon gemacht worden, aber wie diefe nur als Abfchlagszahlung angefehen 
wurde, dad zeigte die Repenlagitation und der blutige Zehntenfampf. Durch beide war 
die Eriftenz der bifchöflichen Geiftlichen und ber Kirche felbft gefährdet. Die Regierung 
mußte weitere verfühnliche Schritte thun, und Whately war ganz der Dann dazu, ihr 
dabei die Hand zu bieten. Er war kein PBarteimann. Gerecht und billig nad allen 
Seiten, ruhig und befoımen, aber feft und fiher ging er feinen Weg, völlig unbelüm- 
mert um das Urtheil Anderer. Er flimmte für die Reducirung der 30 Bisthümer 
auf 12, fo heftig auch die englifchen Prälaten dagegen proteftirien, und ebenfo für die 
Uebertragung ber Zehntpflicht von den armen katholifhen Pächtern auf die wohlhabenden 
meift proteftantifchen Grundbeſitzer. Obwohl er den Rechtsbeſtand der anglilanifchen 
Kirche aufrecht halten wollte, fo hielt er doch Billigkeit und Mäßigung den Katholiken 
gegenüber für dag wichtigſte Erforderniß, trog der Unzufriedenheit der ebangelifchen 
Partei und der Orange loge, welche feit dem Jahre 1828 ſich neu organifirt hatte 
und immer größere Theilnahme unter dem proteftantifchen Adel fand. Wuf feiner 
Pfarrei Stillorgan machte er keinen Unterfchied in der Unterftägung katholiſcher und 
proteftantifcher Familien. Auch fand er e8 nur zwedmäßig und billig, die Heran- 
bildung katholiſcher Geiftlicher im Lande felbft zu fördern, und flimmte beshalb für bie 
Mahnoothbill. Sein Ziel war, ein ſolches Verhältniß zwifchen Proteflanten und Katho- 
lilen herzuftellen, wie es ſich fonft im paritätifchen Rändern findet und auf gegenfeitige 
Achtung gegründet if. Deshalb war er auch entfchieden gegen Profelytenmacherei, zu⸗ 
mal wenn fie äußere Vortheile als Lockmittel gebrauchte. Wie war er nicht entrüftet 
über jenen abenteuerlichen Kreuzzug, den anfangs der fünfziger Jahre 100 Pre 
biger verfchiedenecr Denominationen nad Irland nachten, um, jeder durch 100 Pre 
digten, das Katholifche Land für das Evangelium zu erobern. Er fah darin nicht bloß 
einen unbefugten Eingriff in die Didcefanredhte, ein offenes Mißtrauenspotum gegen die 
angeftellten Geiftlichen, von deren Diiffionsberuf man ja fonft fo viel zu rühmen wußte 
— da8 Unreife und Verfehrte des ganzen Plans twar ihm in ber Seele zuwider, zumal 
da fich herausftellte, daß einzelne Proteftanten die Nolle des Katholiten übernommen, um 


NH ſcheinbar von dem Prediger befehren zu laflen. Nein, von einem blinden Bekeh⸗ 
Reale Eucpliopäpdie für Theologie und Kirche. Suppl. IIL 3 


498 Whately 


rungseifer hoffte und wollte er keine Evangeliſirung Irlands. War ſolche zu hoffen, 
fo konnte fie nad; feiner Anſicht nur auf dem Wege gründlicher Belehrung und larer 
Ueberzeugung gefchehen, und das Mittel dazu war die Bollserzgiehung. Ob ihm 
jenes Ziel als erreichbar vorgeſchwebt, ſoll hier nicht erörtert werden, aber als naͤchſte 
und allerwichtigſte Aufgabe, um das tiefgefuntene Land wieder zu heben und eim beſſeres 
Einvernehmen zwifchen Proteftanten und Katholiken anzubahnen, erfchien ihm’ die gemein» 
fchaftliche Erziehung der Kinder in Volksſchulen. Die englifhe Regierung hatte fen 
borher den Verſuch einer Bollderziehung auf Grund religiöfer Gleichſtellung gemacht, 
aber der Widerftand Seitens der Biſchofe und Geiftlihen mar zu mächtig geivefen; 
auch hatte fi, Niemand gefunden, der die Sache energijch in die Hand genommen hätte. 
Da war nun Whately ganz der Mann auf den Platz. Er warf fi mit aller Kraft 
und Liebe auf diefe hochwichtige Sache. Zwanzig Jahre lang war er die Seele ber 
Erziehungscommiffton. Er regelte und überwachte nicht mur das Schulwefen, fondern 
berfaßte auch die meiften Schulbücher, alle ausgezeichnet durch Einfachheit und Klarheit. 
Selbſt die Sprüche auf dem Umfchlage der Schreibhefte hat er ausgewählt. Im öffent- 
lihen Reden und zahlreihen Brofchüren entiwidelte und vertheidigte er das noch neue 
und hart angefochtene Syſtem der Nationalerziehfung. Selbft das Mißtrauensvotum, 
das ihm die iriſchen Proteflanten gaben, al® die Sache vor das Parlament zur Unter- 
fuhung kam, madte ihn nicht irre. Hatte er fi doch das Bertrauen der Katho- 
lien erworben und war mit dem katholiſchen Erzbifhof Dr. Murray fortwährend im 
beiten Einvernehmen geweſen. Dit Zuflimmung des leßteren waren drei Kleine religidfe 
Scriftchen eingeführt worden: „inleitende Lectionen über das Chriftentfum* (Intro- 
ductory Lessons on Christian Evidences, — ein Werfen, das in fieben Spradyen 
überfegt und in zahllofen Auflagen verbreitet worden if); ferner „Lectionen über die 
Wahrheit des Chriſtenthums“, fowie eine Heine Liederſammlung, — alle forgfältig fo 
gehalten, daß fte den Katholifen keinen Anftoß geben konnten umd doch die Grundfehren 
des Chriſtenthums enthielten. Die Sache nahm einen erwünſchten Fortgang; im Jahre 
1851 gab es über 4800 Nationalfchulen mit mehr als einer halben Million Kinder. 
Aber der Tod Dr. Murray's gab der Sache einen gewaltigen Stoß. Im Jahre 1850, 
bemfelben Jahre, in welchem die römifche Curie es wagte, in England 12 Bisıhüme 
zu errichten, war in Irland Dr. Cullen zum Erzbiſchof von Armagh und apoftolifchen 
Delegaten ernannt worden. Unter feinem Borfig wurde eine Synode in Thurles ge 
halten und unmittelbar darauf ein Aufruf an die Katholifen zur Gründung einer katho- 
lifhen Univerfität erlaffen, wobei die Erziehungsfrage zur Erörterung kam. Es wmte 
geltend gemacht, die Erziehung könne nicht in weltliche und geiftliche getrennt werdes, 
fie fen ein Ganzes. Zugleich wurde ein Angriff auf die Mufterfchulen und Qusen's 
Colleges gemacht. Nah Murray’8 Tode verfegte der Pabſt Cullen nad Dublin. Um 
nur zu bald mußte Whately, der auf jene Angriffe in einem Öffentlichen Bortrage ge 
antwortet hatte, erfahren, wie raſch in aller Stille die ultramontane Richtung um fih 
gegriffen hatte. Bei dem Beſuche einer Mufterfchule fand er, daß jene drei Bäder 
trog der Verordnung gar nicht eingeführt waren. Er klagte deshalb bei der Krziehunge 
commiffton, aber diefe- ſtrich in Whately’8 Abmwefenheit einfach jene Schriften aus der 
Lifte der Schulbücher. Whately erllärte hierauf feinen Austritt aus der Commiſſion 
Später fam die Sache vor das Haus der Lords, wo Whately fidh bitter beflagte, daß 
jene Bücher, die einflimmig don der Commiſſion angenommen worden und als zum 
Syftem der Nationalerziehung gehörtg betrachtet werden müſſen, verworfen worden feyen. 
Es wurde ihm erwidert, daß die Commiffion eben fo gut das Recht habe, Bücher at. 
zufchaffen als einzuführen. Zudem hatte ſich die Mehrzahl der Epiflopalen längſt gegen 
jene Bücher erklärt, weil fie die fpecififchen Lehren des Proteftantismus nicht enthalten, 
und fchon 1840 die kirchliche Erziehungsgefellfhaft gegründet. Die Nationalfchızlen de- 
ftanden freilich fort, aber mit völlig getrenntem Religiondunterriht, alfo mit Ausser 
zung bed Elementes, das Whntely ald das Wefentliche des Syſtems angeſehen hatte. 


hately | 199 


Dos Mißlingen feines Lieblingsplans war für Whately der ſchwerſte Schlag, der ihn 
bisher getroffen hatte. Bis am fein Ende hat er ihn nicht verſchmerzt. Und doch hat 
diefer Streit mit der Fatholifchen Partei, in welchem Whately das Opfer der ultramon- 
tanen Umtriebe geworden zu feyu fchien, viel bazı beigetragen, ihn in der Achtung ber 
Spiflopalen und der Proteflanten überhaupt zu heben umd ein freundliches Berhältniß 
zum evangelifchen Partei heranftellen. 

Whately Hatte fich feine Stellung Schritt für Schritt erlämpfen und ein volles 
Moß von Haß, Mißtrauen und Berläumdung tragen müſſen. Auch das hat man ihm 
vielfach zum Vorwurf gemacht, daß er fidh von Schmeichlern und Stellenjägern leiten 
loffe. Über der edle Kern feines Weſens lenchtete doch immer heller burd die rauhe 
Schale hindurch. So rädfihtslos er auch gegen feine Geiftlichen erfcien, fo hatte er 
boch ein warmes Herz für fi. Er bat fie und andere Familien in den Seiten des 
Zehntenfampfes und der Hungersnoth reichlich unterftügt und in der Stille unendlich 
viel Gutes gethan. Wie fchön flach feine Lneigennügigfeit gegen den Nepotismns 
einiger anderen Prälaten ab, die als Häupter der evangelifchen Partei galten! 
Whately Hat nie reihe Pfründen den Seinigen gegeben. Alles was er that, ivar, 
do er feinem Sohne, einem verdienten und fehr tüchtigen Geiſtlichen, eine Pfarr- 
Relle mit mittelmäßigen Einkommen in Dublin gab. Allmählich hatte fi au ein 
billigeres Urtheil über feinen theologifchen Standpunkt Bahn gebrohen. Man fah dodh, 
daß er fein fo fchlimmer Steger fen, daß es ihm tenigftens mit Allem, was er als 
feine Ueberzeugung ansfprad;, völlig Ernſt ſey. Und bei aller Milde, die ex gegen die 
Katholiten am den Tag legte, wußte man doc, daß er der Legte ſeyn würde, ihrem 
Syſtem zn huldigen. Im einer Zeit, wo die Fluth des Tractarianismus hoch ging und 
auch einige englifche Bifchdfe mit fich zu reißen drohte, konnten ſich die trifchen Epiflo- 
balen rühmen, in ihrem Erzbiſchof den tüchtigften Belämpfer diefer Richtung zu haben. 
Die Geiftlichen waren in fo vielen Punkten anderer Auficht, als ihr Erzbiſchof. Und 
doch Tonnten fie viel von ihm lernen, ohne ihrer Ueberzeugung etwas zu opfern. Cr 
gab bei fo manchen Gelegenheiten (Bifltationen, Ordinationen ꝛc.) treffliche praftifche 
Winke und allegeit eine hödift belchrende Ueberfhau über die kirchlichen Zeitfragen. 
Seine Bünkilichkeit in Amtsgefchäften war muſterhaft. Allerdings waren diefe feine 
große Lafl. Seine Provinz umfaßte in 6 Didcefen nur etwa 200000 Epiftopale, fo 
daß auf eine Didcefe nicht fo viele Kirchenmitglieder kamen, als auf mande Pfarrei in 
London. Auch das Tonnte das gute Einvernehmen nur erhöhen, daß feine Fran und 
Töchter fi; mit Eifer mwohlthätiger Anftalten annahmen, Armenſchulen gründeten und 
die lirchliche Katholikenmiſſion unterftügten, wenn auch Whately ſich felbft dabei nicht 
betheifigte. Doc, zur allgemeinen Freude, intereffirte er ſich fpäter für eine Gefell- 
[haft zur Unterflügung der vom Katholicismus Uebergetretenen, und ging einmal als 
Vertreter derſelben nad) Birmingham. Nicht zu vergefien ift, daß er fich auch durch 
öffentliche Vorträge, 3. B. in Iünglingsvereinen, populär machte und durch Betheiligung 
bei der iriſch⸗ſtatiſtiſchen Gefellfchaft, fowie durch Gründung eines Lehrſtuhls für Natto- 
nalöfonomie in Dublin fein allgemeines Imtereife für die Hebung Irlands an den Tag 
legte. Er war nicht bloß Kicchenfürft, er gehörte überhaupt zu den erften und angefe- 
benften Männern des Landes. Hatte er doch in Abwefenheit des Rord » Lientenants bor- 
übergehend auch deſſen Stelle verfehen. Es führt uns die auf Whately's vielfeitige 
Thätigfeit außerhalb feines nächſten Berufe. 

Alle wichtigen Fragen in Staat und Kirche, in der Erziehung und in der Wiſſen⸗ 
(haft faßte er in's Auge. Als Vertreter der irifchen Prälatenbank ift er dfters im 
Haufe der Lords gewefen und zu vielen &ommiffionen hinzugezogen worden. Theils 
in feinen Reden im Parlament, theild in Broſchüren hat er feine Anfichten über bie 
berfchtedenften Zeitfragen ausgefprochen und dabei immer feinen unabhängigen und frei⸗ 
fimigen Standpuntt behauptet. So ſprach er ſich bei der vielbemegten Frage über 
Revifion der Liturgie für zwedmäßige Wenderungen im Einzelnen aus, eben fo für 

s 


500 Whately 


Verbeſſerung der autoriſirten Bibelüberſetzung, für die Aufhebung des Verbotes einer 
Heirath mit der Schweſter der verſtorbenen Frau, für Judenemancipation, wie früher 
für liberale Behandlung der Katholiken. 

Er hatte viele ſtaatsmänniſche Tüchtigkei. Schon in Orforb hatte er ſich ein— 
gehend mit allen Fragen des Stuatshaushaltes befchäftint und Vorlefungen über Natio: 
nalöfonomie gehalten. Ein großes Verdienft und viele Anerfennung erwarb er fidy durch 
die Reform des Armentefens, zu der er mit feinem früheren Collegegenofien Sevior 
den Plan entwarf. Ferner hat er fih mit dem Transportationsfyften genau bekannt 
gemacht und auf defjen Aufhebung angetragen, da e8 im Einzelnen äußerft ungerecht 
und im Allgemeinen verfehlt fey, fofern e& von Verbrechen nicht abfchrede. Denn nur 
das legtere fah er als den Zweck der Strafe an, nicht auch Genugthuung für das Geſetz 
und Befferung der Sträflinge. Aus gleichem Grunde hat er fi) auch gegen die Todes- 
ftrafe ausgefprodhen. 

So bvielfeitig und gleihmäßig tüchtig zeigt ſich Whately, daß es ſchwer ſeyn möchte 
zu fagen, in welcher Eigenſchaft er am meiften Berühmtheit erlangt hat, ob als Logiler 
oder Theologe, als Gelehrter oder Praktiker, ald Kirchenmann oder Staatsmann mm) 
— nicht zu vergeſſen: als Schriftfteller oder als ächt englifches Driginal. 

Doch nur ald Theologen haben wir ihn hier noch näher in's Auge zu fallen: 

MWhately’s theologifher Standpunkt ift im Wefentlichen der des rationalen 
Supranaturalismus. Insbeſondere fchliegt er ſich an Paley an, defien Evidenzen und 
Moralphilofophie er herausgegeben hat. Jedoch hat er auch hier die Selbſtſtändigleit 
feines Denkens bewahrt, Vieles fchärfer und richtiger beftimmt und fit vom Palen's 
Nüglichfeitäprincip in der Moral losgefagt, während er deſſen Horae Paulinae olt 
unübertroffenes Meiſterwerk anerkennt. Gin fchöpferifcher Theologe mar Whately nidt. 
Er hat nie ein größeres Werk unternommen, dagegen in zahlreihen Abhandlungen, 


Univerfitätspredigten, Ordinations» und Paftoralreden die wichtigften Punkte und be | 


fonders die Zeitfragen vorgenommen. Es würde zu weit führen, fie alle aufzuzählen. 
Die wichtigften find: „Essays I. II. III. Series’;— „The Kingdom of Christ”; — 
„Thoughts on the Sabbath”; — „Seripture Doctrine concerning the Sacraments”’;— 


„View of the Seripture Revelation respecting a future state.” — Alle Abhandlungen | 
find in dem meifterhaften Eſſayſtyl, in klarer bimdiger Sprache gejchrieben und da 


Segenftand nüchtern und unpartetifc behandelt. Direkte Polemik vermeidend, hat Bi: 
tely doch immer die Gegner verfchiedener Art, befonders die Tractarianer im Auge ua 
befämpft fie mit ruhiger Würde und logifher Schärfe. So wenig Whately eine the: 
logifhe Schule begründet hat, fo hat doch die Art feines Denkens auch auf die enı- 
(tfche Theologie einen großen Einfluß ausgeübt. Man denfe nur an die belannten 
Männer der breitficchlihen Richtung. 

Verſuchen wir es, Whately’8 fo vielfach angefochtene Anſichten kurz darzulegen. 
Was zunächft das Verhältniß von Bernunft und Offenbarung betrifft, ſt 
fagt er: „Man hält die Vernunft für flarf genug, eine Wahrheit zu entdeden, weil 
nachdem eine Xehre durch die Offenbarung unferem Glauben vorgehalten worden if, 
die Vernunft die MWahrfcheinlichfeit derjelben fieht. Und fo gefchieht «8, daß ein Syfen 
fogenannter natürlicher Religion mit der Beute der Offenbarung ausftaffirt wird — ım 
Syſtem, wie e8 der Menſch für ſich nie hätte aufftelen lönnen. Und biefe natürlik 
Religion wird nun don Manchen zum Maßſtab gemacht, um die Ausſagen der heiligen 
Schrift darnad) zu prüfen, was nichts Anderes ift, ald wenn man ein Original uch 
einer incorrelten und mangelhaften Copie verbeffern wollte.“ 

Was die Vernunft felbft entdeden kann, ift nicht geoffenbart. Was von ihr mit 
entdedt werden kann, aber auch nicht im Widerfprucdh mit ihr fteht, dafür genügt du 
Betätigung durch einzelne Stellen der Schrift. Was aber gegen die Vernunft if, uf 
auf's Stärkfte bezeugt feyn, um Oegenftand des Glaubens werden zu können.» — „Ti 
Bernunft muß felbft anerkennen, daß es im Rathe des Höchften Vieles geben müs, 





Whately 501 


jas über den Bereich der Vernunft gehe. Allerdings muß Alles, was den Begriffen 
er Vernunft zuwider ift, mit der äufßerften Behutſamkeit angefehen werden. If es 
ber Mar und entfchieden in der Schrift ausgefprochen, fo muß es angenommen werben, 
nd es ift eben zu dem Zweck da, den Glauben zu prüfen.“ 

Diefe und viele ähnliche Ausſprüche zeigen deutlich, twie Whately das echt und 
ie Nothwendigkeit einer Übernatürlichen Offenbarung anerkennt, aber auch dem Denen 
ine Stellung wahrt. „Die Sade der Wahrheit Überhaupt" — hatte ex ſchon im 
iner Logik gefagt — „und nicht am menigften die rveligiöfe Wahrheit gewinnt durch 
Ües, was gefundes Denken fördert und die Entdedung von Trugſchlüſſen erleichtert.“ 
unerhalb des von der Offenbarung umfchloffenen Gebietes ift die Vernunft angetviefen, 
e Wahrheit zu finden und Falſches oder Unficheres auszufcheiden. Aber in das meta» 
hyſiſche Gebiet darf fie fich nicht wagen, nicht nad den letten Gründen fragen. So 
‚gt Whately z. B. über ben Opfertod Ehrifi: „Warum das unfchuldige Blut Chrifti 
ir die Erlöfung der Menſchen vergofien werden mußte, wiſſen wir fo wenig, tote 
braham wußte, warum ihm Gott die Aufopferung feines Sohnes befohlen; auf dieſe 
rage Warum? gibt e8 nur die Antwort: weil die Schrift fagt, daß es gefchehen ift 
ner thatfächlichen Umftänden, fofern nämlid die Juden Jeſum verwarfen und kreu⸗ 
gten. Wir haben aber fein Recht, zu fagen, daß fein Tod unter der entgegengejeßten 
orausfegung der allgemeinen Anerkennung Chrifti nothivendig geweſen wäre. Man 
je. 1Kor. 2, 8. Apgeſch. 3, 17. — Es kommt alfo Alles auf das äußere Zeugniß 
1, das gleich einem firengen, wenn auch unverftandenen ®ebot, Unterwerfung fordert. 
ine Bermittelung für das Denten, eine Ueberzeugung mittelft tieferen Exforfchens der 
ihrift wird weder verlangt noch verſucht. Whately ift darin der ächte Jünger der 
ten Evidentialfchule. Der Glaube ift nichts Anderes als ein Schluß, der aus hifto- 
ihen Prämiffen gezogen wird. Und dann ift e8 freilich die toichtigfte Aufgabe, bie 
oidenzen, durch die der Glaube vermittelt wird, zum Gemeingut der Ehriften und den 
ingen wie den Alten mundgerecht zu machen, wie das Whately als feine befondere 
fgabe angefehen hat. Ex fah aber nicht, wie das weder praftifch noch wiſſenſchaftlich 
nügen kann, und tie er felbft auf halbem Wege ftehen blieb, wenn er das Zeugniß 
e heiligen Urkunden als unmittelbar fiher annahm, flatt zuvörderſt auf deren Urs 
rung und Compoſition zurückzugehen. 

Den Inhalt der Schrift betreffend, macht er zunächſt geltend, daß diefelbe 
ne ſpekulativen, fondern praltifche Wahrheiten und zivar in populärer Sprache ent» 
(te. „Die Bibele — fagt er ſchon in feiner Logik — „iſt nicht ein Geſetzbuch, 
dern ein Syſtem der Motive und Principien.“ Cr unterfcheidet fodann zmifchen 
m religidfen oder eigentlichen Dffenbarungsinhalt und den anderen Beftandtheilen 
ftorifchen, naturgefchichtlichen u. f. w.), welch letteren er nur relativen Werth zu⸗ 
weibt, daher auch die Wiffenfchaft, durch fie unbehindert, ihren eigenen Weg gehen 
me. Der religiöfe Inhalt aber hat abfoluten Wert. Er ift göttlich eingegeben, 
tweder wörtlich oder nur dem Inhalt nad. Dabei wird "großes Gewicht gelegt auf 
: leitende und bewahrende Thätigfeit des heil. Geiſtes. Daß 3. B. die heil. Schrift 
ne Formularien enthält, wie Glaubensbelenntnig, Katechismus, Liturgie, daß Paulus 
n den Aelteften in Antiochien und nicht von den Apoſteln ordinirt wurde, ift der ſpe⸗ 
len Borfehung des heil. Geiſtes zugefchrieben. Und fo tritt derfelbe auch überall 
ehrend ein, wo ein Mißverfländnig möglich wäre, wo aber etwas nicht näher bes 
mmt ift, muß die nächſtliegende Anffafjung genommen werden. Damit ift ſchon Wha⸗ 
iys Imterpretationsprincip ausgefprohen. „Man muß" — fagt er — „die Schrift 
ht bloß für fih und im Zufammenhang fludiren, fondern auc überall die Worte fo 
ien, wie fie die Perfonen, an welche fie zumächft gerichtet waren, verftehen konnten — 
Ber wenn die teiftigften Gründe dagegen ſprechen. Wohl mag, was jener Zeit als 
: nächftliegende Auffoffung erfchien, uns als die entferntere dünken, oder umgelehrt, 
er doch iſt diefe Auffaflung die allein richtige, und bewahrt uns davor, daß wir nidıt 


502 Whately 


das VBildlichgeredete wörtlih, das Wörtlichgemeinte bildlich verſtehen. Was ſich den 
erften Chriften als der nächte Sinn bot, muß das Nichtige feyn, denn fonft würde der 
heil. Geiſt oder. die infpirirten Apoftel dem Mißverſtändniß vorgebeugt haben (das ar- 
gumentum ex silentio, da8 er überhaupt gar oft anwendet). Um nun aber die Aufs 
fafjung der Apoftel und erften Chriften zu ermitteln, müſſen theild die Umflände, unter 
denen etwas gejagt wurde, theild ihre vorhergehende Erziehung in der Gefeßreligion 
und ihre daher flammenden Begriffe und Anfchauungen über heilige Gebräuche u. f. w. 
in's Auge gefaßt werden. So kann man zu dem urfprünglichen Berftändnig der Schift- 
worte gelangen. Eine infallible Autorität für die Schrifterllärung gibt es nicht, es be- 
darf auch feiner folhen. Die heil. Schrift erklärt ſich felbft und ift die höchſte un 
völlig genügende Autorität für die Kirche wie für den Einzelnen. Auch die fcheinbaren 
Widerſprüche ſchaden ihrem Anſehen nicht; fie find da, um zum Forſchen zu veigen, 
und heben ſich bei forgfältiger Vergleichung. 

Es ift unmöthig, auf die Mängel in den obigen Auseinanderfegungen hinzuweiſen, 
vielmehr foll nur daran erinnert werden, wie zu der Zeit, da Whately zuerft mit dieſer 
Anſchauung über die Schrift und deren Erklärung auftrat, der flarre Inſpirationsbegriff 
und die Gewohnheit, aus der Schrift nur dieta probantia heranszuziehen ohne ale 
NRüdfiht auf den Zufammenhang, das Herrfchende war. Whately war einer der erfien, 
die ed wagten, die Schrift nad) hiflorifch » grammatifchen Principien auszulegen. Dod 
bat er diefen Grundſatz nicht immer rein zur Anwendung gebracht, fondern bei Heraus 
ftellung des Lehrgehaltes der Schrift durch feine praktifch » fittliche Anſchauuug beeinfluffen 
laſſen. Um nun die Lehren zu erwähnen, im denen er entiveder von der Lehre feine 
Kirche oder den herrjchenden Anfichten abwich, fo war es hauptfächlich feine Erwöh⸗ 
Iungslehre, wodurch er zuerft Anftoß gab. „Die Erwählung- — fagt er — vl 
in der altteftamentlichen Delonomie ganz arbiträr, aber fie bezieht fid dort wicht auf 
Individuen, fondern auf das ganze Voll. Sie hat die Segensverheißungen zum In⸗ 
halt, die Allen im Volke nahe gebracht werden, damit fie fie durch Gehorſam verdiemen. 
Ebenfo find im neuen Bunde alle Mitglieder der chriftlichen Kirche berufen und ans. 
erwählt aus allen Völkern zur ewigen Seligfeit, fofern ihnen das Evangelium gepre 
digt und die Önadenmittel gefchentt werden. Es hängt aber von ihnen ab, ob fie dies 
felben zu ihrer Seligfeit benugen. In Beziehung auf den Einzelnen beftimmt Gottes 
Borherwiffen nicht nothwendig fein Thun. Es bezieht ſich alfo die Erwählung auf die 
Ermöglichung des Heils, nicht deffen Erlangung — außer in der einen Stelle: „Biele 
find berufen, aber Wenige find auserwählt“, wo auf die borausgeblidt wird, welche 
die Heildmittel zu ihrer Seligleit benugt haben.“ 

Seine Chriftologie hat Whately ausführlicher dargelegt in der Schrift „The 
Kingdom of Christ”. Für die ottheit Chriftt fpricht das Zeugniß des ganzen Reuen 
Teftaments, am ftärkften das Selbfizeugniß Jeſu. Daß er fi) Gottes Sohn in einem 
viel höheren Sinne genannt, als diefer Name im Wlten Bunde verflanden wurde, if 
außer Frage. Auch feine Feinde faßten es fo, daß er fich die Sottesjohnfchaft im emi- 
nenten Sinne beilege. Am wichtigſten aber ift Chrifti Zeugniß vor dem Symedrim 
und Pilatus. Nicht daß er fih als Meſſias befannte, fondern daß er fich Gottet 
Sohn nannte, wurde ihm als Blasphemie angerechnet. Um den Auſpruch, den er anf 
nöttlihe Ehre macht, dreht ſich die Frage Über feine göttliche Sendung und die Wahr 
heit des Chriſtenthums. Cr hat ſich aber entfchieden als Gottes Sohn befannt, ww 
dieß für Blasphemie zu erklären, würde unendlich mehr Schwierigleit haben, als feim 
Berechtigung dazu anzuerkennen. Steht aber die Oottesfohnſchaft durd die Selbftausfage 
Ehrifti und das Zeugniß der Schrift feft, fo ift die Incarnation als ein auferoxrdem: 
licher Alt der Offenbarung, als „Manifeftation der göttlichen Natur an die Menſches 
anzufehen, um 1) die Gottheit unferem Verfländniß näher zu bringen, und 2) ein voß- 
endetes Borbild menſchlicher Vollkommenheit zu geben. — Hierin findet Whately bie 
wefentliche Bedeutung der Menſchwerdung. Er hält zwar die Lehre vom Opfertod 


Bhetely . 508 


Chriſti feſt, weil die Schriftſtellen dafir fo Mar und zahlreich ſeyen, weil bie erſten 
Ehriften den Tod Chriſti entſchieden fo aufahen, und weil der heil. Geiſt diefer Auf- 
foffung im Falle des Irrthums ficher entgegengetreten wäre. Uber wenn der Tod 
Ehrifti, wie Whateli fagt (f. oben), nur unter gewiſſen Umfländen finttgefunden hat, fo 
fält die ſchlechthinige Nothivendigfeit des VBerföhnungstodes weg. Ganz ähnlich if es 
bei dee Rechtfertignugslehre. Auch da hält Whately feft, daß nad Paulus der 
Tod Ehrifti, der Grund unferer Erlöfung fen, er will aber nichts von einer justitia 
imputata twiffen, fondern legt alles Gewicht auf das fittlihe Moment. Die chriftliche 
Offenbarung ift ihm wefentlich eine Offenbarung der Wahrheit im Wort und Vorbild 
Chriſti. Nach der anderen Seite iſt das Chriftenthum eine fociale Religion, das Reich 
Chriſti eine beſtimmte Geſellſchaft, deren Mitglieder zugleich anderen Gefellfchaften an- 
gehören Tönnen; damit ift die Löfung der Frage über das Verhältniß von Kirche und 
Staat gegeben. Die Gruudverfafiung dieſer Gefellfchaft hat Chriſtus felbfi gegeben, 
aber die Ausführung der Anordnungen Chriſti fällt diefer Geſellſchaft, d. h. der Kirche 
m. Sie bat, wie jede Gefellichaft, ihre Beamten mit dem Recht, Regeln aufzuftellen, 
Mitglieder aufzunehmen und anszuſchließen. Dieß ift das Schlüffelemt, defien Gewalt, 
m binden umd zu Löfen, fidh nicht auf Sündenvergebung bezieht, fondern nur auf Kir⸗ 
henbußen. Das Weientlihe unn, das in der Schrift enthalten if, hat allgemeine 
Geltung, das Untergeorbnete, was der Selbfibeftimmung des Kicchenregiments über- 
laſſen ift, bat num relative Gültigkeit. Dem gegenüber gibt es aber auch Solches, 
was von der chriftlichen Gemeinſchaft ala ihr fremdartig, ſchlechterdings auszufcließen 
if, wie weltliche Macht, Opfercultus, Opferpriefter, die Uniformität der ganzen Kirche 
und päbftliche Oberhoheit. Anch die Autorität der allgemeinen Concilien iſt nicht durch 
die Schrift gerechtfertigt, vielmehr die Unabhängigfeit der einzelnen Kirchen von einander 
im Nenen Teſtament gezeigt (namentlich durch die Ordination des Paulus). Somit 
pibt es andy Feine Appellation von einer Kirche an die andere, 3. B. die primitive, fon- 
deru nur am die Schrift. Die apoflofifche Succeffion, fofern fie die Geiflesmittheilung 
fortleiten und die Wirkfamleit der Salramente gewährleiften foll, ift ganz ungenügend. 
Denn wenn aud) 3. B. bei 50 Gliedern in der Kette der Succefflon in jedem einzelnen 
Halle die Wahrfcheinlichkeit, daß fie rite vollzogen ſey, wie 99 : 1 wäre, fo fieht man 
doch Leicht, inte mit jedem Glied jene Wahrfcheinlichleit fchiwinden würde. Die rechte 
aboftolifche Sueceffion tft das Feſthalten an den apoftolifchen Principien. 

Den Grundſatz, auf die den Yüngern nächftliegende Auffaflung zurückzugehen, bat 
Whately beſonders auf die Lehre von den Salramenten angewendet. Es lag den 
Apoſteln am näcften, die Taufe, analog der Beſchneidung, als Aufnahmeritus anzu⸗ 
fehen. Aus der altteftamentlichen Proris mußte fi) ihnen die SKindertaufe von felbft 
als das richtige ergeben, außer wenn es ihnen ausdrücklich verboten wurde. Und eben 
jo felbfiverfländlich war es, daß die Eltern beim Darbringen der Kinder die Verpflich⸗ 
tung übernahmen, fie den Lehren und Bränchen ihrer Gemeinſchaft gemäß zu erziehen. 
Die Säindenvergebung in der Taufe Tann fich nicht auf Thatfünden oder Sündhaftigfeit 
beyiehen, fondern fagt nur aus, daß die Betauften nicht mehr Kinder des verdammten 
Adam oder Kinder des Zorns feyen, fondern Gottes Kinder, die die Verheißung ber 
Sündenvergebung und Geiftesmittheilung haben. Die Taufe ift alfo die Verſetzung 
ans dem Zuſtande der VBerdammmiß in den Zufland der made; umd Wiedergeburt 
(die falſchlich mit Belehrung und Erneuerung zufammengetvorfen wird) ift die Aus⸗ 
ſtreuung eines Samens, aber nicht die Frucht. 

Auch für das Abendmahl ift bie apoftolifche Auffafiung maßgebend. Die Yünger 
mußten die Einſetzungsworte bildlich verflehen. Denn fie konnten nicht vermmthen, daß 
Chriſtus buchſtablich feinen Leib in feinen Händen halte. Hätten etwa bie Jünger nad) 
dem Tode des Herrn das Abendmahl auf die Weifung bes heiligen Geiſtes eingefekt, 
fo wäre es vielleicht möglich geweſen, daß Etliche au eine wunderbare Wandlung der 
Subſtanz gedacht hätten. Aber wie um eine ſolche Borftellung zum Voraus abzu« 


504 Whately 


ſchneiden, hat Chriſtus den Ritus ſelbſt eingeſetzt. Alſo find Brod und Wen nur 
Symbole — oder vielmehr Symbole von Symbolen, da Chriſtus (Joh. 6.) feinen Leib 
und Blut für Zeichen bes lebendigmachenden Geiftes erklärt. So verflanden es bie 
Apoſtel. Wäre das falfch geweſen, fo hätte Chriftus fie belehrt, wie jo oft, 3. B. über 
den Sauerteig der Phariſäer. Uebrigens ift die Wandlumgslehre nicht aus falfcher 
Scrifterflärung entftanden, fondern aus menfchlicher Lehre, die die Kirche als infallible 
Führerin binftellen wollte. 

Es ift kaum nöthig, zu bemerken, wie Whntely bei Allem, was er Über Kirche 
und Sakramente fagt, die Tractarianer im Auge hat, deren romanifirendes Suflem den 
nüchternen Logiker ebenfo zurüdftieß, wie ihe unwahres Wefen fein fittliches Gefühl 
embörte. 

In Betreff der künftigen Dinge hat Whntely den Sat durchgeführt, daß erfl 
Chriftus Leben und unvergängliches Wejen an's Licht gebracht habe. Die alten Bhile- 
fophen haben kein Wiffen, höchflens eine Ahnung von der Unfterblichleit gehabt. Ueber. 
haupt Tann die Philofophie weder die Wirklichleit noch die Unmöglichkeit der Unſterb⸗ 
lichkeit beweiſen. Denn das Argument von der Vergeltung hat ohne die Erklärung 
über die Entflehung des Uebels wenig Werth, und die Perfektibilität beweiſt im beften 
Falle nur ein Fünftiges Dafeyn, aber keine Unfterblichleit. Auch im Alten Zeftamente 
war eine Offenbarung darüber nicht gegeben. Stellen wie Matth. 22, 29., die nachher 
Licht erhielten, waren ganz ungenügend, um diefe Wahrheit zuerft bekannt zu machen. 
Erſt in der Maffabäerzeit tritt der Glaube an ein Fortleben deutlicher hervor und mag 
bei den Iuden im Verkehr mit anderen Völkern angeregt worden fen, worauf fie dann 
nad; Beweiſen dafür in ihren heil. Schriften ſuchten. Über der einzige feſte Grund 
dee Unfterblichfeit ift die ausdrüdliche Verheißung derfelben als einer freien Gnate 
Gottes durch Chriftum. Bei der Auferftehung, welcher ein Zwiſchenzuſtand borangeht, 
ift nicht am die Herftellung jedes Atoms zu denken, was auch keine Bedeutung hat, ba 
der Leib des Menfchen einem fteten Wechfel unterworfen ift. 

Zum Schluſſe ift noch Whately’3 Anficdht über den Sabbath zu erwähnen. Daß 
er „Gedanken über den Sabbath“ nicht bloß zu hegen, fondern zu publiciven tagte, 
ift ihm nie verziehen worden. Über der ehrliche Forſcher konnte ſich mit der herföum. 
lihen Begründung der Sonntagsfeier nicht befriedigt fühlen. Denn, das find kurz feme 
Gedanken, e8 fe inconfequent zu fagen, das mofnifche Gefeg fey zivar im übrigen au 
gehoben, aber gelte noch für den Sabbath; eben fo unrichtig fen es, dieſes Gebot unter 
die moralifchen zu zählen. Doch gefeßt, es wäre noch gültig, fo hätten wir fein Recht, 
den Sabbath auf einen anderen Tag zu verlegen, oder e8 fo auszudenten, daß 
eben ein Tag aus fleben gefeiert werden müſſe. Nicht minder falfch fey die Behanp- 
tung, der Sabbath fey im Paradied eingefegt worden. Moſes fpiele bei der Erzählumy 

der Schöpfungsgefchichte für die fraeliten, die da8 Sabbathgebot hatten, begreiflicher- 

weife darauf an, fage aber nicht, daß es Adam gegeben worden ſey. Chriftus felbi 
habe den Sabbath gebrochen, aber feinen Jüngern keinen beftinmten Befehl über wi 
Sabbathfeier gegeben, e8 fe demgemäß der Kirche überlaffen worden, den Tag bei 
Herrn fo gut wie andere Feſte einzufegen. | 

Faſſen wir zum Schluffe noch einmal Whately's Bild in's Auge, fo erſcheint er 
als ein Dann aus Einem Guſſe. Der Grundzug feines Wefens ift Wahrheitsliche, 
bie fich ebenfo in feiner Aufrichtigfeit, feinem unbeugfamen Rechtsfinn, wie im dem 
Streben offenbart, alles auf's Genauefte zu erforfchen und gründlich zu verſtehen. S 
nahm nichts auf bloße Autorität hin an, fondern ließ nur das gelten, was er felhk 
Mar erfannt hatte. Was ihm aber einmal als Wahrheit feftftand, das hielt ex m 
erfchütterlich feft, unbefümmert um die Yolgen, das fpradh er unverhohlen "und rüd 
fichtslos aus. Niemand war weniger Barteimann als er, und lam er einmal in irgen) 
einer Sache mit einer Partei in Berührung, fo war er der unbequemſte Genoſſe, deu 
bei der geringften Meeinungsverfchiedenheit konnte er neutral twerden und gar auf bie 


Whatel 505 


gegnerifche Seite ſich flellen. Andererſeits ließ er and) den Gegnern allegeit Gerechtig⸗ 
feit widerfahren. Aber nichts war ihm fo in innerfler Seele zuwider als Unwahrheit 
in irgend einer Form, Zurüdhalten der Wahrheit, pia fraus, Unentfchiedenheit und Un- 
flarheit. So war er nicht bloß über das tractarianifche Treiben entrüftet, fondern and) 
wohlgemeinte Abfichten konnten ihn mit der Halbheit und Hohlheit eimer Sache widht 
verföhnen, wie er denn über die halbreifen Plane der Evangelifchen Allianz und mancher 
Belehrungsgefellfchaften tadelnde und beißende Worte geredet hat. 

Als ficherfie Führerin zur Wahrheit und zur Aufdedung von Halbheiten und Irr⸗ 
thämern in Wiſſenſchaft und Leben galt ihm die Logil. Sie beherrfcht fein Denken 
und ıft ihm das Maß aller Dinge. Er bat fie auf allen Gebieten zur Anwendung 
gebracht und in allen Kreifen heimiſch zu machen geſucht. Es war freilich eine ebenfo 
große Täufchung, wenn er hoffte, den Schulfindern Logik und ben Banernknechten Na⸗ 
tonaldlononsie beibringen zu können, als wenn er meinte, daß Evidenzen nothwendig 
zum Glauben führen müflen. Gerade in der Theologie tritt die infeitigfeit feiner 
formalen Logik am färkften hervor, und der Mangel an fpefulativem Denken Hat ihm 
das Eindringen in den tieferen Sinn und Zuſammenhang der Dogmen unmöglid ge- 
meh. Und wie ihm überhaupt der Sim für das Erhabene fehlte, zeigen feine An⸗ 
merkungen zu Bacon's Eſſays, die er herausgab. Aber innerhalb der richtigen Graͤnzen 
hat ihm die Logik die Dienſte gethan, die er von ihr erwartete. Sie hat feinem Style 
den präcifen, klaren, örnigen Ausdrud verliehen, der ihn zu einem Muſter englifcher 
Profa macht, ihm zur fcharfen Unterfuchung und Scheidung wullarer Begriffe und Re⸗ 
densarten geführt, wodurd; er ebenfo der englifchen Sprache überhaupt (vgl. feine Syno⸗ 
numen) wie der englifchen Theologie genügt hat. Sie hat ihm die Meiſterſchaft in 
Biderlegung irrthümlicher Anſichten und falfcher Syfleme gegeben und überhaupt feinen 
Blid für Beurtheilung aller Fragen in Wiflenfchaft und Leben geichärft. Bon ber 
Hoͤhe feines Logifchen Standpunttes herab ſchaute er mit ruhiger Befonnenheit auf das 
beivegte Reben und vaftlofe Parteitreiben. Er ließ fich durch keinen Glanz bienden, 
duch feine Verwirrung entmuthigen. Ueber alle wichtige Fragen der Zeit hatte er ein 
wohlerwogenes, beſonnenes Urtheil, dem auch feine Gegner die Achtung nicht verfagen 
lkonnten. Er hat oft, was kommen mußte, Mar vorausgefehen, während es Anderen 
noch verborgen blieb, wie bei den Xractarianern, und dadurch eine Berühmtheit ale 
Prophet erlangt. 

Die Waffe der Logik hat Niemand mit folder Gewandtheit und Luft geführt 
wie er. Im Collegeſaal wie auf dem Erzſtuhl, an der heiteren Tafel wie im Amts⸗ 
‚immer hatte ex fie zur Hand und brauchte fie in Ernſt und Scherz — ale mollte er 
das Schwert nie in die Scheide fleden, damit es nicht verroſte, als fände ex im Spiel 
mit diefer Waffe die angenehmfte Erholung von feinen ernften, angeflrengten Studien. 
Allerdings bat er Viele damit verletzt und zurückgetrieben. Der Kreis feiner Freunde 
bar nicht groß. Aber die, welche feinen Werth kannten, wie z. B. Arnold, hielten 
tren zu ihm, und er nahm fich ihrer auf's Treuefle an, wie bei der Vertheidigung Ken 
Hampden's. Whately's ganzes Auftreten erinnerte lebhaft an Johnſon, auch darin, daß 
ſeine Originalität nicht naiv, ſondern bewußt war. Unerfchöpflich in witzigen und ba 
toden Einfällen, wie jener, erheiterte er ganze Gefellichaften, aber neben ihm konnte 
Riemand zum Worte fommen. Um liebften fah ex einen gewählten Kreis in dem gafl- 
freien ergbifchdflichen Palaſt um fi. Da fprühte es mit Witen und Geiſtesfunken. 
Aber im Gewand des Scherzes wurde manche Wahrheit, manch treffliher Wink ge⸗ 
geben. So liebte ex es, eine Anekdote auf ein Blatt anfzufchreiben und feinem Nachbar 
zu geben, der fie in der Stille feinem Nebenmann erzählen mußte, und fofort, bis fie 
den Kreis durchlaufen und in faft unfenntliher Form von dem Letzten in der Reihe 
laut erzähft wurde. worauf der Erzbiſchof das Original vorlas und es leicht hatte, eine 
Nutzanwendung auf Tradition u. ſ. w. zu machen. Wie geſucht Whately's Geſellſchaft 


506 Whately 


war, läßt fich denken. Fürchtete ex aber bei einer Einladımg bie Abficht, ihn zun 
Glanzpunkt der Gefellfchaft zu machen, fo kam er nicht oder blieb ſtumm. So einmal 
als der König von Belgien ihn zu fih Ind. Es mar nichts aus ihm heranszubringen 
ımd die Stimmung wurde peinlih. Nur beim Gehen fagte er: „Ein. Mojeflät hat 
allen Königreichen auf Erden den meiften Schaden gethan.“ Nach einem Moment größte 
Beſtürzung der Hofleute fuhr er fort: „Weil Sie die Leute den Segen einer conflitı. 
tionellen Monarchie gelehrt haben.“ 

An jedem Ort und zu jeder Zeit war Whately derſelbe — unbelümmert m 
formlos im höchſten Grade. Eine Anekdote ift karakteriftifch. Ein Fremder fahr einmal 
auf einem Dampffchiff über dem irifchen Kanal. Auf dem Hinterdeck getvahrte er einen 
geiftlichen Würdeträger inmitten von Klerikern, die ihn ehrfurdtspoll umftanden. „Ber 
ift diefer hohe Geiftliche ?“ fragte er. „Das ift der Yatholifche Erzbiſchof von Dublin 
— „Und wer Jener dort auf dem Räderkaſten, die Beine übereinandergefchlagen md 
die Cigarre im Mund? „Das ift der proteftantifche Exrzbifhof von Dublin — 
Mar Whately’8 Gleichgültigkeit gegen Weuferliches mehr oder minder bewußt, fo finden 
ſich andererfeit8 in feinem Wefen auch unbewußte Paradoxen. Er, der are Denke, 
war doch oft leichtgläubig und hielt viel auf Mesmerismus, Clairvoyance, Phrens- 
logie, Tifchrüden und Geifterflopferei. Während er fich felbft nur durch gute Gründe 
Überzeugen ließ, konnte er fich verlett fühlen, wenn Andere feine Grümde nicht ſogleich 
ebident fanden. So gleichgültig er fonft gegen Urtheile Anderer war, fo empfänglid 
zeigte er fich wieder für das Lob eines kleinen Anhangs, deſſen Meinung eigentlich mr 
das Echo feiner Worte war und die er doch wieder wie eine unabhängige Autorität pm 
Deftätigung feiner Anflchten anführte. Ein Verfechter der perfönlichen Freiheit in rei 
gidfen Dingen, hat er doh — auf Grund leichtfertiger Vebertreibungen bes Kofler 
zwangs — für die Regierungsinfpeltion der Klöfter geftimmt. Und ebenjo, obwohl a 
gegen die Ecolesiastical Title Bill (welche den Öffentlichen Gebrauch bifchdflicher Til 
den englifchen Katholiken verbietet) feine Stimme abgab, fo verlangte er, nachdem be 
BIN ducchgegangen, daß fie auch auf Irland ausgedehnt werde. Er, der fih dırd 
nichts von der Erfüllung feiner Pflicht abhalten ließ, hat doc; einmal feinen Geiftlicen 
gerathen, die Sterbebetten der Cholerafranten nicht zu befuchen. — Solche Incomfeguene 
find der Tribut, den auch der firenge Logiker und karatterfefte Mann der menſqhliche 
Schwachheit zollte und der ihm theuer genug zu ftehen kam, da dieſe vereingelt dafle 
henden Schwächen von feinen Gegnern über Gebühr betont wurden. Es find Schatten, 
die das wahre, edle Wefen des Mannes kaum verdunfeln. Uneigennügig, wie Wenig, 
hat er feine Mittel für gemeinnügige und mwohlthätige Zwecke verwendet — and hir 
nach feften Grundſätzen handelnd. Er hat nie einen Pfennig einen Kettler gegeben, 
aber Hunderte von Pfunden, um eine Familie zu retten, da ließ ex ſich denn imme 
eine Handfchrift geben, aber des Inhalts, daß der Empfänger die Summe einmol a 
andere Hülfsbedürftige zurüdbezahle. Ueber 50,000 Pf. St. find von ihm für wohl 
thätige Zwecke ausgegeben worden — und zwar in aller Stille. 

Sein Gefühl verfchloß er meift in feiner Herzenskammer. ber mie ſchon tel 
e8 dann hervor, wenn er 3. B. bei dem Tode feiner Freunde ein tröftendes Wort e 
die Hinterbliebenen richtete. Im Jahre 1860 verlor er feine Frau, die ihm eine tra 
Lebensgefährtin gemefen war. Als die Stunde ihrer Auflöfung nabte, fegte er fd 1) 
die Treppe vor ihrer Thüre und meinte wie ein Sind. Auch fein religidies Gefühl 
verfchloß er. Aber Arnold, der wohl am tiefften im fein Herz hineingeſchaut, nam 
ihn einen eminently holy man. 

Whately hatte ſich einer ungemein träftigen Gefundheit, die er durch äuferf = 
face, regelmäßige Lebensweife erhielt, bis in's hohe Alter zu erfreuen. Zulett ahe 
unterlag er einer qualvollen Krankheit, die er mit Mannhaftigkeit und chriſtlicher Ee 
bung trug. ALS man ihn einige Tage vor feinem Tode damit zu teöften fuchte, uf 


Wildenipacher Krenzigung 507 


feine Geiftesfräfte noch ungeſchwächt feyen, erwiderte er: „Redet mir nicht dabon, es 
gibt jet nichts mehr für mid, als Ehriftus allein.“ — Er ſtarb am 8. Oftober 1863. 
Seine Leiche wurde amı 15. Oktober in der Kathedrale zu Dublin beigeſetzt. 

Bol. über Whately's Leben: Fitzpatrick, Memoirs of RB. Whately, 1864. Eine 
Aneldotenfommlung. — Sein Leben und Briefwechſel wird von feiner Tochter heraus⸗ 
gegeben werden. €. Scholl. 

Wildenfpucher Krenzigung, die, im Jahre 1823, gehört zu den erſchüt⸗ 
terndften Ausbrüchen religiöfer Verirrung in neuerer Zeit. Sie erfcheint zunächſt als 
ein vereinzelte® Creigniß, deflen befondere Geſtaltung durd individuelle Gründe beftimmt 
wor, fteht aber hinſichtlich ihrer entfernteren Veranlafiungen im Zufemmenhange mit 
den religidfen und kirchlichen Gefammtzuftänden jener Epoche. Die religidfe Erregung, 
weiche durch die mapoleonifchen Kriege und beſonders durch die dentſchen Freiheitökriege 
in einem großen Theile Deutfchlands u. f. w. eintrat, ließ and die Schweiz nicht um- 
berührt. Hier hatten die franzöfifche Revolution umd die politifchen Umgeftaltungen, bie 
m Folge derfelben eintraten, mannichfach anflöfend und erfchütternd eingewirft und im 
tieferen Gemüthern bie und da eine Sehnſucht nad; höherem Geiftetleben und religidfer 
Befriedigung gewedt. Die Noth der Hungerjahre (1816 und 1817) trug ebenfalls 
dazu bei. Ungefähr feit dem Jahre 1818 finden ſich an verfchiedenen Orten religidfe 
Berfommlungen von Erwedten, zum Theil im Anfchluß an die Herrnhuter, die ſchon 
Inge ähnliche Zufammentkünfte gehalten hatten, jet aber mehr hervortraten. Nächtliche 
Abhaltung derfelben wurde indeß polizeilich verhindert. Auferordentlichen Anklang fanden 
überdieß in weiteren Kreiſen einzelne Prediger, deren belebte, eindringlich - gläubige Pre⸗ 
digt ſich von der verfländig »Ichrhaften Predigtweiſe, die bei Geiſtlichen rationaliſtiſcher 
oder orthodorer Richtung vorherrſchte, unterfchied. Bilar Ganz in Stanfberg (Kanton 
Aargau) und Pfarrer Heimih Heß im Dättliton (Kanton Zürich) mögen als folde 
hier genannt werden. Auch die Erfcheinung der Frau don Krüdener in den Jahren 
1817 und 1818 erregte hie und da die Gemüther. Die Imbiläumsfeler der Refor- 
mation, welche in biefen Gegenden in’ Jahr 1819 fiel, verflärkte den Umfchmung. 
Schon zuvor hatte im Kanton Schaffhauſen, vorab in Buch durch Pfarrer David 
Spleiß, dem nachherigen Antiſtes (f. deffen Peben von Stoder, 1858), eine heftige 
teligidfe Erregung begonnen, die fich dafelbft ziemlich weit ausdehnte. Im Kanton 
Züri, finden mir im Jahre 1820 in Stammheim, einer Gemeinde des nördlichen 
Theiles, Sonvulfionäre, theild Erwachſene, theils Kinder, die felbft im Bffentlichen 
Öotteßdienfte ihre Anfälle befamen. Gerade bei dem, ungeachtet ehrwürdiger Ausnahmen, 
wie Antiftes Joh. Jakob Heß und Georg Geßner (f. deffen Leben von Finsler, 
1862), herefchenden Rationalismus, Tonnte der dunkle Drang nad; religidfer Innigkeit 
und Lebendigkeit leicht irre gehen und zumal bei der damals unter Weltlichen und Geifl- 
lichen durchgängig vorhandenen Neigung zu gewaltfamer Unterdrädung zu bedenflichen 
Eonflikten führen, die fich eher äußerlich befeitigen als innerlic, überwinden lichen. 
Doch achten wir zumächft auf die befonderen Verhältnifſe des vorliegenden Falles. 

Im nördlichfien Theile des Kantons Zürich liegt der Weiler Wildenfpucd, aus 
eva zwanzig Häufern beftehend, eine halbe Stunde vom Pfarrborfe Trälliton, eine 
Stunde von Schaffhaufen entfernt. Bier lebte die wohlhabende Familie Beter, wie 
Me übrigen mit Landbau befchäftigt, ein hochbetagter Bater mit einem Sohne und fünf 
Tochtern, von denen zwei verheirathet waren, eine an den Schufter und Landbauer Io» 
Hannes Mofer im benachbarten Dörfchen Derlingen. Die jüngfle, Margareta, geboren 
1794, zeigte vom früh auf ausgezeichnete Gaben des Geiftes nud Gemüthes, fo daß bie 
Ihrigen fanden, fie habe etwas Göttliches an fi; fchon im fechften Sahre, hören mir, 

abe fie den Leuten, die den Vater befuchten, aus dem Neuen Teftamente vorgelefen 
md dabei weinen müflen, menn fie anf die Leiden Chriſti gelommen. Mit fenriger 
Inbrunft feierte fle im Jahre 1811 ihre Eonfirmation. Durch Geſchidlichteit und Fleiß 
zeichnete fie ſich in allen vorlommenden Geſchäften aus. Lebhaften, feinen Geiſtes, auf⸗ 


508 Wildenſpucher Krenzigung 


getwedt, dabei freundlicd; gegen Jedermann und einnehmenden Weſens, ward fie der 
Liebling ihres elterlichen Haufe und gewann das Zutrauen der Ihrigen mit den Jahren 
in immer fleigendem Maße, ja fie erregte deren Bewunderung fo fehr, daß der Vater 
überzeugt war, Gott habe diefe Tochter zu etwas Außerordentlichem beſtimmt. Ein be 
fonderer Vorgang mußte dergleichen Erwartungen verftärten. Es trat eine mehrjährige 
Kränklichfeit bei Margareta ein; fie wurde fo ſchwach, daß man beforgte, fie am der 
Schwindfuht hinfterben zu fehen, indem auch Hufterifche Zufälle ſich dazu gefellten. 
Ale Heilmittel blieben fruchtlos, ebenfo der Beſuch austwärtiger Bäder; die gefchicteften 


Herzte der benadjbarten Städte wurden vergeblich confultirt. Da erfchien ihr im Sommer 
des Jahres 1817, als fie an einem fchönen Nachmittag in den Weingärten ihres Ba 


ters fih an der Sonne labte, ein freumdlicher Engel in glängendem Gewande und zeigte 
ihr eine Gegend, ungefähr eine Stunde entfernt, wo fie ein Kraut finde, das fie nis 
Thee genießen folle. Sie fand es, trank täglich davon, ohne weiter Arznei zu nehmen, 


und genas völlig. Derfelbe Engel erſchien ihr fpäter noch zweimal in der Wohnftube 
ihres Vaters; hier trug er ein Schwert und zeigte ihr fehauerliche Geſichte der Zukunft, 
wovon fie aber nur einen Theil Anderen eröffnete. Auch fchon bei den hyſteriſchen 


AZufällen hatte fie, wie fie fagte, Blide in ein höheres Reich. Meber die wunderbar | 


Heilung war fie nun fo von Dank erfüllt, daß fie faft nie davon ſchweigen konnte; je 
weihte fi ganz dem Herrn und wollte von nichts mehr willen und hören, als vos 
ihm und feinem Reihe. Mit ausnehmender Eindringlichkett legte fie Allen das alle 
nige Heil in Chrifto an's Herz und ermahnte fie mit bündigen Beweiſen und biste: 
Bender Gewalt, ſich mit Gott verfühnen zu laffen durh Buße und Glauben. Seltil 
Widerftrebende mußten ihr unwillkürlich gehorchen und alle Unanftändige in ihrer Um- 
gebung fahren laſſen. Die Ihrigen, die mit fo zärtlicher Liebe ihr anhingen, väumte 
ihr gern und mie von felbft eine Herrſchaft über fid; ein und gewöhnten ſich immer 
völliger, ihr in unbedingtem Vertrauen ſich hinzugeben. Auch fie wurden nun bon dem 
religiöfen Zuge, der ohnehin in der Zeit lag und in der Nähe mwaltete, ergriffen. Schor 


feit dem Jahre 1816 fland fie mit frommen Perfonen in Schaffhaufen in Verbindung | 


und befuchte bisweilen die herenhutifchen Verſammlungen dafelbft. Kifrig las fie Cor 
ner’8 Herzbüchlein, Stilling's Siegsgeſchichte, die fieben letzten Poſaunen, die Hauft- 
fahen der Offenbarung Johannis u. dergl. Oft fand man fie in Thränen; rtt 


{ließe ihr, fagte fle, durch chriftlihe Freunde immer mehr da8 Herz auf, fo daß fe 


ihr Sündenelend täglich Tebhafter fühle. Durd ihren Schwager Mofer, der feine Er— 
wedung ſchon vom Jahre 1815 datirte, veranlaßt, ging fie feit 1817 in die hermio- 


tiſche Verſammlung zu Derlingen, wohin fodann, von ihr aufgemuntert, auch die Ihriges 
famen. Das Elend der damaligen Theuerung bemog fie, diefe noch dringender a | 


Buße zu mahnen, in der Erwartung, daß das Ende aller Dinge mit Macht heramrüde, 
der Tag des Gerichts eilends komme und die Sorglofen unverſehens überfalle, weßhalt 
wer fich retten molle, hohe Zeit habe, da die Ankunft des Herrn vor der Thüre ſtehe 
Ihre natürliche Wohlredenheit entzüdte die Hörer. Häufig hatte fie Erfcheinungen mi 
Kämpfe mit dem Teufel und den höllifchen Geiftern. Im Spätjahr hielt fi Fre⸗ 
bon Srüdener, die in Luzern und Zürich nicht geduldet wurde, in dem nahen badiſchen 
Dorfe Lotftetten eine Zeit lang auf. Zahlreiche Beſucher ſtrömten ihr zu. Auch Mar 
gareta Peter, durch natürlichen Anftand befähigt, auch mit Gebildeten zu verkehren, 
ging in Begleitung ihres Schwagers Mofer und ihrer Schweftern Elifabeth und Ex 
fanna dorthin; fie wurde von der vielbewunderten Dame durch eine dreiſtündige Privs:- 
audienz ausgezeichnet. Margareta fand, diefe verkündige diefelbe Lehre wie fie; am 
fie predige nichts Anderes, als Chriftum den Gekreuzigten. Margareta fchlng es n!c; 
ab, Begleiterin der Krüdener zu werden, obgleich dieſe fie dazu durch fehr günftige Ber 
ſchläge zu bewegen ſuchte. Bei diefem Anlaß lernte Margareta den Bilar Ganı 
fennen, der, vertrieben, damals fi der Krüdener angefchloffen hatte, eine Belanntfhir 
die für fie verhängnißvoll wurde umd der wir den weſentlichſten Einfluß auf ihr fer 











Wildenfpucher Krenzigung 509 


neres Leben beizumefien haben, daher es nöthig wird, bier deſſen Lehre und Perfön- 
lihfeit näher zu beachten. 

Jalob Ganz, im Yahre 1791 in Embrach (Kanton Zürich) geboren, von ganz 
armen Eltern, der bis in fein zwanzigſtes Jahr dem Schneiderhandwerk oblag, dabei 
aber einen flarfen Trang nad) dem Predigerftande empfand, Tonnte, durch dhriftliche 
Gonner gefördert, etwa vier Jahre bei einem Pfarrer im Aargau, fodann in Bafel den 
Studien obliegen und erhielt Vilariate im Aargau; ungemeines Aufſehen erregte er be- 
ſonders dich feine Strafpredigten, in denen er die damals herrfchende Theuerung als 
ein Steafgericht Gottes und als eine Vorläuferin der Peſtilenz und bes nahen Welt 
endes darſtellte. Er foll inmitten oder am Ende folder Borträge auch in heftige Pa⸗ 
roryemen gerathen feyn, was ihm von feindfelig Gefinnten ala BVerftellung ausgebeutet 
wurde. Er gewann begeifterte Anhänger, die den flrengen Bußprediger mit dem Pros 
bieten Elias umd mit dem Täufer Johannes verglichen. Bornehmlich der weibliche 
Theil der Bevdlferung hing völlig an ihm. Stundenweit firdmten Zuhörer herbei. 
Jumer meiter breitete fein Auf fich aus zum großen Aerger der geiftlichen und welt- 
lichen Behörden, biß er befonders in Folge eines Beſuchs, den er mit einer Anzahl 
weiblicher Perfonen der Krüdener machte, im Februar 1817 auf Befehl der aargaui- 
(hen Regierung aus dem Stanton Yargau polizeilich weggeführt und in feinem Heimaths⸗ 
orte unter ſtrenge polizeiliche Aufficht geſtellt wurde. Nachdem er eine Zeit Lang bie 
Krüdener begleitet hatte, hielt er fich in den Jahren 1819 bis 1821 meift in Baſel 
auf und unterhielt von da aus durch häufige Befuche, die, um polizeilichen Nadhfiels 
lungen zu entgehen, meift insgeheim ftattfanden, ſowie durch vielfachen Briefmechfel 
Reten Verlehr mit Gleichgefinnten in der dftlihen Schweiz; er befuchte auch Bern, 
Lanſanne und Straßburg. Seine Lehrmeinungen waren indeß, wie fehr fie dem gang« 
baren Rationalismus mwiderftritten, deshalb den Rationaliften verdrießlich vorfamen und 
biefe ihn der Orthodorie befchuldigten; weit entfernt vom ficchlich. orthodoren Lehrſyſtem; 
fie fanden vielmehr mit dem von ihm beftrittenen Rationalismus infofern auf derfelben 
Linie, als fle ebenfalls dem Subjektivismus entfprangen, nur in anderer Weile, indem 
er der bloß verflandesmäßigen Einfeitigleit gegenüber ſich in einen eben fo einfeitigen 
Myſticismus hineintwarf, der fi an den Schriften der Frau von Guyon nährte. Im 
Widerſpruch wit der kirchlichen Lehre fleht er dor Allem in Hinfiht anf die Sund⸗ 
haftigleit des Menſchen und deren Berhältniß zur Erneuerung defjelben. Dem Weſen 
nad, lehrt er, haben wir Menſchen von nnferer wahren unfterblichen Natur (im höheren 
Sime) nichts verloren; fie liege noch in uns, aber nur im Samen; der Menſch be 
dürfe alfo, meint er gleich den Rationaliften, um felig zu werden, uicht einer wirklichen 
Umwandlung, fondern nur einer Entwidelung des Guten in ihm. Gleich den Ratio 
naliften will er nichts vom Zorne Gottes wiflen; Gott zürne den Sündern nie, fey 
teime Liebe; es bebürfe daher keiner Sühnung der Süude, denn „der gefunde Berftand“ 
anerfenne Überhaupt keine Strafen der Sünde, melde nicht ihre natürlichen folgen 
ſeyen. Das Vertrauen auf den Opfertod Chriſti verwirft er als einen „fremden Gna- 
dengrund“ und ftellt, mit Hintanfegung des Chriftus für uns, Alles als auf den 
„Chriſtus in uns.“ Chriſtus in uns müfje mit dem Satan fämpfen, leiden, flerben 
und auferfiehen. „Es war mein feuriger Ernfte — fchreibt er an Mofer —, meinen 
Gott kennen umd lieben zu lernen; ich fuchte unaufhörlich den, den meine Seele liebte, 
und fand zulegt diefen großen, herrlichen Schag: Jeſum Chriftum in mir Selbſt! Ich 
balte ihn nun und will ihn ewig nicht laſſen. Nun if mein Herz gründlich erquidt 
und göttlich beruhigt. Und mer es mit mir wagen und ſich Gott auf ewig zum Opfer 
darbringen will, wird auch fo felig, unbeſchreiblich felig vergnügt felbft mitten in Drang- 
jalen und Leidenl« Bon fich felbft fagt er auch (November 1820); „Nun berührt 
mich weder Lob noch Tadel mehr; ich, als ein Nichts, muß mich ſtets in das emige, 
oöttliche ALL verjenten und verlieren; ich ſinke von Tiefe zu Tiefe; ich fehe weder An. 
fong noch Ende mehr in diefem gelobten Lande Kanaan, worin Mild und Honig flieht. 


510 Wildenſpucher Krenzigung 


D bu flille Ewigkeit! du undveränderlicher Ruheſtand! du ſtilles leer, worin ich einig 

ruhel® Demgemäß beurtheilt er auch Andere, insbefondere die Prediger. mXaufendes, 

klagt er, „werfen ſich zu Lehrern auf und Ichren, ehe Ehriftus in ihnen gelommen md 

zum Leben auferftanden if. Diefe nennt Chriftns Diebe und Mörder; Diebe, teil 

fie ihm die Ehre rauben, indem fie nur von ſich felbft kommen, aus ihrer eigenen Ber: 

nunft lehren, flatt in Ehrifti Geifl, — Mörder, weil fie Chriftum im ©eifte töten, 

in ihnen felbft und in Anderen; und fie find alfo auch Seelenmörder! Im allen Kirchen 

und Verſammlungen, wo Chriftus in uns nicht gelehrt wird, da iſt nur eitle 

Gottesdienft und Widerchriſtenthum, wie Jedermann es begreift, der das wahrhaftige 

Licht hat, und wie unfer Herr und feine Apoftel felbft es karakteriſiren.“ — „O Kirde! 

o Chriftenheit!« — fährt er fort —, „dein Schaden iſt verzweifelt böfe; er ik fo 

groß wie ein Meer; wer Tann und will ihn heilen! O wenn man mid; einmal bie 

Wahrheit frei, Öffentlich und fonnenflar ausfprechen läßt! Gott wird mid; flärkn m 

mir Freiheit verfchaffen, die Satanstiefen und den Widerchriſt zu entlarven, iorin fi 

viel taufend Seelen gefangen liegen und nah Erlbſung fhmadten! D Sohn des le. 

bendigen Gottes, wie wirft dur in deinen Gliedern mißkannt, geläftert, geifllicher Weiſe 

gefreuzigt und getÖdtetl« Mach einer weiteren Reihe folher Ergüffe fchließt er, offenter 
mit Hinmweifung auf fpecielle Verhältniffe: „Nun habe ich mid; meiner Pflicht entledigt. | 
Der einft in Unmwiffenheit begangene Fehler wegen der ungebührlichen Lobpreiſungen 
einiger Herren Geiftlichen ift nun auch Öffentlich wieder gut gemadt. Mein Genifes 

ift befriedigt und geftillt und der Herr if zufrieden!“ Angeweht vom Pantheisums, 

der bei einem feiner gebildetften Anhänger, einem Arzte in Rafz (Kanton Yäridı), nah 

gerade in Wıheismus überfchlug, zielt er darauf hin, „daß Alle mit ihm im das gem 

lofe Meer der ewigen Gottheit hinabfinten und ſich darin auf etvig verlieren, wie 

Waflertropfen fi im Strome verlieren und nicht mehr unterfchieden werden Fine, 

and alles Sinnliche, Kreatürliche, Bildlihe und Eigene verſchwinde“, oder mie er fiä 

auch ausdrückt: „in das ewige Nichts, in den ewigen Urgrund verfinten.“ ande 
Aeußerungen, wie feine Robpreifungen: „O feliges Nichts! o du unveränderliche Kate! 
o ſeliges Verſteinertſeyn!“ u. dergL bezeugen ſtark genug feine völlige Befrenndang mit 

dem Quietismus. Auch die Enthaltung von der ehelichen Beimohnung gehörte zu feine 

Lehrpunkten, entfprechend feinem überfpannten idealiftiichen Subjektivismus. 

Alles Derartige fand nun bei Margareta Peter einen überaus empfänglihe 
Boden. Seit der erften Belanntfchaft mit Ganz war fie in ihrer Weife bedeutend fert 
gefchritten. Namentlich hatte fie fchom feit 1818 die Herrnhuterverfammlungen in Or 
fingen unbefriedigt verlaffen, angeblich twegen Scheinfrömmigfeit und Herrſchfucht ı- 
zelner Theilnehmer, zugleich aber wohl in der Meinung, felbft Höheres und Befee 
bieten zu Lönnen, morin fie ſich vornehmlich auch durch Vifionen beftärkt fand, te 
gleichen ihr Ödfter zu Theil wurden. Um fie felbft fammelte fi nun eim Kreis vos 
Frommen, deffen Herrin und Seelforgerin fie von felbft wurde. Zu dem Predigtes 
und Bibelerflärungen, welche fte im elterlichen Haufe hielt, ftrömten befonder® and cu} 
dem, wie oben bemerkt, von einer mächtigen Erwedung durdzogenen Kanton Eich 
haufen „heilöbegierige Seelen“ zahlreich herbei, von denen fie bewundert md ce m 
„heilige Gret« vielfach gepriefen ward, fo daß ihr Auf in immer weiterem Umfunt 
die frommen Kreife durchdrang. Manches Schmeichelhafte, mas ihr als einer von Okt 
Erkorenen und Hochegnadigten, als einem „wahren Glaubenskind und anserwähle 
Werkzeug zur Ehre des hochgelobten Gottes nnd feines Sohnes Jeſu Chriſti tm 
ihren Bewunderern, aud von Leuten höheren Standes, ſowie von Seiten eines file 
liſchen Geiftlichen, gefchrieben wurde, war ganz geeignet, fie zu verbfenden, fie in feel 
gefährdende Sicherheit einzuwiegen und ihre ſtarkes Selbfigefühl zu umfeligem Ho 
zu fteigern. So fhreibt ihr ein Freund (im Januar 1820): „Im Gott erfansit 
Schwefter! Ich armer und verdammungstürdiger Sünder komme mit ein poor Jaltt 
an Did, um Dir zu zeigen, was des Heren Gnade durch Dich am mir Glenden tie 


Wildenipucher Krenzigung bil 


feit ich bei Die geiwefen. Ich empfehle mic in Dein Gebet! Alle, die Dich kennen, 
bitten Di um Deine Yürbitte bei dem Herrn!“ — Mit innigflem Vertrauen ſchloß 
ſich ſet 1817 Urſula Kündig, im Yahre 1798 geboren, aus dem nahen Dorfe Lang⸗ 
biefen, an fle an, nahm nad) längeren Befuchen ihren Wohnfig im Haufe und beforgte 
die Hausgefchäfte, deren fie felbft fich immer weniger annahm, da es ihr hiefür je länger 
je mehr an Zeit und Luft fehlte. Die armfelige, früher ungüchtige Margareta Jäggli, 
die lange von epileptifchen Convulfionen geplagt war, zumal von einem Halskrampfe, 
der fle oft dem Erſticken nahe brachte, fand durdy das Gebet der Margareta, melde 
diefe Mebel der Einwirkung des Teufels und böfen Geiftern zuſchrieb, zeitweife Heilung 
oder Linderung nnd wurde bon ihr in's Hans aufgenommen als dankbare und hoch⸗ 
erfeente Dienftmagd. Indeß veranlafte die Wiederkehr ihrer Anfälle die Margareta zu 
fogenamnten „Kämpfen“ mit dem Teufel und feinen Regionen, wobei fie ſelbſt die Angen 
tolte und untere heftiger Beſcheltung der höllifchen Geiſter wie rafend auf fi und nm 
ſich flug, damit dieſes Schäflein ihr vom Seelenmdrder nicht entrifien werde. Wie 
hoch ſie fich erhob, darin wohl Ganz noch überbietend, und felbft Seelenretterin zu ſeyn 
fh dünfte, zeigen manche ihrer Biflonen, wie fie 3. B. fi einft entrüdt fand vor 
Gottes Thron, den fle von Engeln, den Patriarchen, David, Elias und anderen Män- 
nern Gottes umgeben ſah. Die zmdlf Apoftel faßen auf den zwölf Stühlen Sfraels. 
don Bott erging nun am fie die Aufforderung, neuerdings Chriſtum in ihr leiden 
zu lofien; die Apoſtel machten dagegen lebhafte Einwendungen, die aber fogleich nieder» 
geihlagen wınden. Da fle ziwifchen Gott dem Vater und dem heiligen Geiſte den 
Sohn nicht erblicte, fo erhielt fie anf ihre Anfrage den Aufſchluß, der letztere fey nım 
in ihr, um mit ihr zu leben, zu leiden, zu fterben, und werde fo Lange in ihr bleiben, 
is fie felbft in den Himmel werde aufgenommen werden. Sodaun in die Hölle ent- 
tüdt, fah fie in den Klüften viele taufend arme Seelen, wobei ihr zugleich offenbart 
wurde, fle werde diefelben erretten lönnen. Wir finden fie and; bier völlig im Einklang 
mit Gauz'ſchen Ausſprüchen, nur noch einen Schritt weiter gehend. 

Durch den Eifer, auf arme hüffsbedürftige Seelen ale Retterin zu wirken, wurde 
Margareta auch bewogen, feit dem Jahre 1820 oft das elterlihe Haus zu verlaffen 
und häufige Reifen zu machen, „Miffionsreifen“, wie ihre Anhänger fi ausdrüdten, 
ebenfo theils Längere, theils kürzere Beſuche bald bei Freunden in Züri, bald am 
Biriher See u. f. w. Bon Zürich) ans fchreibt fie (November 1820): „Bier iſt viel 
zu thım. Aber freut Euch: mitten und in allen Eden der Stadt Züri; ift der wahre, 
einige Gottes» Grund angenommen, und die Ihn angenommen, denen gibt er jetzt Ge⸗ 
walt, Kinder Gottes zu werden. Mit einer gewiſſen Fit wußte fie, angeblih „vom 
Beifte getrieben“, auch Ganz in Baſel zu befuchen in Gemeinfchaft mit der Kündig bei 
Anlaß einer Kur in Baden (im Aargau), zu welcher diefe ihrer Gefundheit wegen bie 
Erlanbniß erhalten hatte. Alle auffleigenden Bedenklichleiten der Kündig, welche bes 
forgte, der Bater möchte über diefe ohne fein Wiffen zu unternehmende Reife unwillig 
werden, ſchlug fie mit den Worten nieder: „Man muß Gott mehr gehorchen als den 
Menſchen⸗ und „Wer Bater oder Mutter Über mich liebt, if} meiner nicht wert. — 
Hinwieder fand Ganz fidh wiederholt in Wildenſpuch ein. 

Durch Bilar Ganz wurde auch der fchwermüthige Schuſter Morf an fie ge 
wieſen, der, verehelicht, und Water zweier Kinder, feit Jahren ſchon angefochten, fich 
bom Jahre 1818 an zur Herrnhuterverſammlung feines Wohnortes Illnau (etwa vier 
Stunden von Wildenfpuch entfernt) hielt und in diefer feine Furcht vor der Berdammmiß 
durch die Lehre von der Berföhnung Jeſu Chrifti twefentlich gehoben fühlte. Höchft be» 
zeichnend if die Wet, wie Ganz, der im Herbfle 1819 nad) Illnau Fam, ihn behandelte. 
Da Morf feinen Troft darin fand, allegeit Ehriftum am Kreuze ſich bildlich vorzuftellen 
und ihn um Linderung feiner Leiden anzuflehen, verwies ihm Ganz ſolches, bemerfend, 
„der Menſch dürfe keine Bilder haben, um zur reinen Erkenntniß zu gelangen“, und 
trwiederte ihm, dba Morf ſich anf Job. 3, 14. 15. berief, er (Morf) befinde fih uoch 


512 Wildenſpucher Kreuzigung 


in der Wüſte, die Yfraeliten aber hätten vorwärts geftrebt, worauf Morf eutgeguete, 
„werm er ihm (Ganz) glauben würde, fo hätte er nichts mehr, woran er fi halten 
inne.“ Zugleich war es ihm, als ſehe er das Kreuz Chriſti zur Erde finfen. So 
tief exfchütterte ihn dieß, daß er fi) Chriſtum nicht mehr deutlich vorftellen konnte und 
dadurch für lange allen Troſt verlor. Morf fühlte, wie wir fehen, etwas davon, daß 
er in Gefahr fchwebe, durch Ganz nicht bloß etwa don zu greller Berfinnlichung der 
objektiven chriftlichen Wahrheit, fondern von diefer felbft abgelenkt zu werden, umb den⸗ 
uoch vermochte der unfichere, geängftete Mann dem Zureden feines neuen Lehrers uict 
zu widerſtehen, der ihm geiftig Überlegen war und ihm, wie er hernach fagte, immerhin 
den Eindrud machte, tiefer zu dringen und ihm weiter zu führen, als die Brüdergemeinde 
und die Predigten feines (gläubigen) Pfarrers. Ganz, der durch Öftere Schreiben ihn 
bearbeitete, insbefondere auch Enthaltung von ehelicher Beitvohnung als nothiwendig zum 
Abthun des alten Adam einfchärfte,.twies ihn im November 1819 an Margareta Peter; 
doch trat erſt feit Mai 1820 dfterer Verkehr zmwifchen ihr und Morf ein. Als be 
einem der erften Befuche Morf’s in Wildenſpuch Margareta ihm und feinen beiden Be 
gleiteen ihre eigenen früheren Leiden und ihre furchtbaren Kämpfe mit dem Satan ſchil— 
derte, war es ihm, als fpreche fie au8 feinem Herzen, und er mußte vor rende Weinen 
im Bewußtfeyn, daß es noch Menſchen gebe, die Empfindung hätten wie er. Im De: 
zember 1820, als fie in der Nühe von Zürich in einem ihr befreundeten Hauſe weilte, 
beſuchte er fie und blieb, von ihr aufgefordert, fünf Tage bei ihr, da fie ihm erklärte: 
er müffe bei ihr bleiben, damit feine Seele einmal erlöft und ein neuer Menicd aut 
ihm werde. Chriftus werde dieß durch fie bewirken, indem fie in ſich ſelbſt ein 
geiftigen Zug nad feiner Seele wahrnehme. Nach diefen fünf Tagen, währen: 
. deren er auf ihre Geheiß völlig unthätig hatte bleiben müflen, erklärte fie ihm, fein 
Geift fey nun durch ihr Kämpfen erlöfl. Sofort fühlte er einen Strom unant- 
fprechlicher Liebe aus ihrem Herzen in das feinige übergehen. Wiederholte, zum Xheil 
längere gegenfeitige Beſuche machten dieß vermeintlich geiftlihe Verhältniß immer w- 
niger und ließen es unvermerft auch in finnliche Liebe übergehen. Eine ſtarke Bei- 
mifchung hievon gab fich in ihren gegenfeitigen Briefen fund, die Morf's Gattin w 
ihrer fchlichten Einfalt mit Recht als „Liebesbriefe“ bezeichnete, während ihr am, 
ſich täufchend, fie beruhigte, e8 fey nur eine geiftige Liebe. Bon Liebe gezogen zu ihrem 
„erviggeliebteften Herzen“, kam Margareta zu Morf nad) Illnau und blieb hier fommt 
ihrer Schwefter Elifabeth ftatt zwei Wochen, wie anfangs beabfichtigt war, anderthalt 
Jahre (vom 13. Yuli 1821 bis zum 11. Januar 1823), beide Schweftern, abgefchen 
von zeitweifen veligiöfen Geſprächen — den quietiftifchen Lehren ihres Freundes Gum 
gemäß — in völliger Unthätigkeit und aller Welt verborgen, fo daß nur die Ihrigen 
ihren Aufenthalt wußten, ihn aber vor Jedermann, auch dor den nadfplirenden Xk- 
hörden verheimlichten. Nach den eriten ſechs Wochen eröffnete Margareta dem BRorf: 
ein Engel habe ihr, nachdem fie num ſechs Wochen mit dem Satan gefämpft, geofien- 
bart, Gott werde fie und ihm mit einander bei lebendigem Leibe von der Erde zes 
Himmel nehmen, wir er dem Enoch und Elia gethan.— An einem Donnerflag Morgze⸗ 
zeigte fie ihm fodann an, der wichtige Tag fey nun da; er folle feine Sonntagstleiset 
anziehen, gleich wie fie gethan habe. Nachdem man den ganzen Tag nmfonft auf ta 
Ereigniß gewartet hatte, erflärte Margareta, fo eben habe fie eine Offenbarung a: 
halten, daß es fpäter erfolge. Sie blieb indeß feft in ihrer Erwartung mad ließ tu 
Ihrigen zu fich einladen, um Abſchied zu nehmen, was diefe ungeadjtet der zieml:ä 
weiten Entfernung ganz heimlich auszuführen mußten. Stets in ſich verſenkt, fert: 
Margareta, fie verfehre einzig mit Gott, Ehriftus in ihr lämpfe unaufhöriidh mu 
dem Satan; bald würden große Dinge gefhehen. Wenn die in ihren Rechten vieffet 
verfürzte Hausfrau, die gern beim alten einfachen evangelifchen Glauben bleiben mwodt, 
ihres Mannes Entjremdung vom Gottesdienfle ungern fah, im Hausweſen fih % 
ſchränkt fühlte und des Müſſiggangs mie des myſtiſchen ihr underfländlichen Gereid 


BWildenſpucher Krenzigung 513 


(. B. dee menfhliche Geift müfje fid mit feinem Urgrund verſchmelzen) überdrüfſig 
ward, ſich beflagte, twurde fie als eine gottlos Verſtockte von Margareta mit Hige zu⸗ 
rehtgewiefen. Am 10. Jannar aber gebar Margareta, Allen, nad dem beftinimteften 
Bengniffen auch ihr felbft ganz unerwartet, ein Mädchen, als Frucht eines ſchwachen 
Augenblides in ihrem anfangs nur geiftigen Liebesverhältuig zu Morf. Deſſen Gattin 
wurde vermocht, nngeadhtet aller vorangegangenen Kränkungen, fi als Wöchnerin zu 
Rellen, um, wie man meinte, die Ehre des Haufes zu retten und die VBeflrafung wegen 
Ehebruchs von ihrem Wanne abzuwenden. Der Betrng gelang. Die beiden Schwe⸗ 
Rern fehrten ganz heimlich in der kalten Winternadit vom 11. auf den 12. Januar 
ws eiterlihe Haus zuräd. Margareta haderte anfangs laut und heftig mit Gott, daß 
e (der nach Ganz's Meinung nicht zürnen kann) ihre, feinem lieben Finde, feiner Hei- 
figen, Solches habe gejchehen laſſen; auch nachher gab fie kein Schuldgefühl fund, in- 
dem fie alles Derartige nur dem Teufel, der fie ängfligen wolle, beimaß, über ihr Ber- 
gehen aber ſich damit bernhigte, Bott habe es gethan. Mit großer Frende wurde fie 
von den Ihrigen, denen der Grund ihrer Heimkehr verborgen blieb, aufgenonmmen, er» 
Märte indeß, fie wolle jegt in der Stille leben und ſich anf da® große Ereigniß vor⸗ 
bereiten, daS Gott durch fie bald werde eintreten laſſen. Sie erzählte ihnen ihre Bis 
fionen, deren fie auch in Illnau gehabt, und redete viel von ihren Kämpfen mit den 
hoͤlliſchen Geiſtern. Befuche nahm fie durchaus nicht mehr on. Ein Knall in der 
Bohnftube zehn Tage nadı der Rückkehr der Schweflern, dex dem Teufel zugefchrieben 
wurde, erregte nenerding® bei der Jäggli ihre epileptifchen Zufälle, die fich bis in den 
März oft im fürchterlichen Barorysmen äußerten und von Margareta als Teufelseinwir⸗ 
fingen in der oben bezeichneteu Weiſe behandelt wurden, unter Zurufen an den Wider ' 
jeher, wie: „Du in’s höllifche Feuer Verfluchter, du Seelenmödrder, wilft du mir ein 
Shäflein entreißen, für das id; mid; verbirgt habe?“ Bald fah fie das Sünden- 
tegifter der Yäggli vor Gottes Throne dem Satan zuwider von den Engeln zerrifien, 
bald wurde ihr offenbart, der alte Napoleon komme nun twieder, an feine Stelle trete 
der junge Napoleon, als der eigentliche Autichrift (wie ähnliche Einbildungen damals 
in frommen Kreifen vielfach vorfamen, vgl. den Art. „Kornthal« Bd. XIX. ©. 736); 
fie müffe kämpfen, daß er micht obflege; der große Kampf breche alsbald los. Auch in 
diefer Zeit blieb fie und ihre Schwefter Elifabeth müſſig. — Morf, der heimlich 
lam, wurde von ihr in der Erivartung ihrer baldigen gemeinfhaftlichen Himmelfahrt 
beſtärkt. Endlich verſammelte fie Mittwoch den 13. März ihr Haus ſammt ihrem 
Schwager Mofer und deflen Bruder, damit fie Alle in dem harten Kampfe gegen dem 
Zenfel fie unterflügen möchten, den fie beftehen müffe zur Errettung ihrer Seelen, ſowie 
jur Errettung fo vieler Verdammten, von denen manche fchon zwei= bi® bdreihundert 
Jahre in des Satans Gewalt jenen. Mit dem Öfteren Rufe „du Schelm, du Seelen- 
mörder! fchlug fie mit dee Fauſt und dem Hammer an die Wand, auf den Tiſch, 
den Fußboden; auf ihren Befehl thaten Ale mit Hämmern und Werten ' baffelbe im 
bermeintlichen Kampfe wider den Satan von Morgens 8 bis Abends um 9 Uhr zum 
Erſtannen derer, die vor dem feft verfchloffenen Haufe das feltfame Gelärm hörten. 
Am folgenden Tage nad) 10 Uhr wiederholte fich daffelbe noch heftiger bis Übends 
8 uhr umter aufregenden Biſionen Margareta's und ihren ſteten Mahnungen: „Schlagt 
su im Namen Gottes! lat euer Leben für Ehriftus! fchlagt zu, bis ihr Blut ſchwitzt!“ 
jo daf der Fußboden zertrünmmert wurde ımd ein Theil- des Fachwerks zerfiel. Darauf 
ſchlug Margareta mit der flachen Hand auf Eliſabeth los, um die Geiſter, die in ihe 
waͤren, zu vertreiben; ebenfo that fie ihrem Water und befahl Allen, ſich felbft mit 
Fauſten zu ſchlagen. Endlich wurde auf Befehl der Polizei, die feit einigen Stunden 
das Hans bewachte, die Hausthüire gefprengt und die Rafenden, die ſich feft umfchlungen 
hielten, auseinondergerifien. Nach dem Präcoguitionsverhöre, in Folge deſſen von 
Zürich aus befohlen wurde, die beiden Schweftern in's Irrenhaus zu bringen, wurden 
Alle einftweilen wieder entlaffen, diejenigen, welche nicht zu den Hansgenoffen gehörten, 
Real Encpliopädie für Theologie und Kirche. Suppi. 111. 


514 Wildenſpucher Krenzigung 


heimgefchidt. Letztere gehorchten diefer Anordnung, kehrten aber wieder unverſehens in’s 
Haus zurüd. Ehe jener Befehl von Zürich her anlangte, begannen die Aufgeregien, 
nunmehr fi ald Märtyrer felig preifend und nur noch flürmifcher geworden, nad) einer 
im Gebet durchwachten Nacht ihr Treiben auf's Neue, und zwar in ernflerer Weiſe als 
zuvor, da Margareta ihnen eröffnete: damit Chriftus fiege und der Satan völlig über- 
wunden werde, müfle Blut fließen. Nachdem fi) Alle nad) ihrem Befehl auf Bruf 
und Stien gefchlagen hatten, ſchlug fie zuerit ihren Bruder Kaspar mit einem eiſernen 
Keil in Ohnmacht, indem fie rief: „Der böfe Feind will Deine Seele; eher lafje ich mein 
Leben!" Da Elifabeth auf ihre Trage, ob fie fi opfern wolle, fich bereit erklärte, 
indem auch fle für viele Seelen ſich verbürgt habe und, felbft fid) auf das Bett legend, 
begehrte, daß man fie fogleich todtjchlage, fo geſchah dieß durch Margareta, und auf ihr 
Zureden durd die Kündig, der Margareta verhieß, die Schwefter am dritten Tage aufe 
zueriveden, fowie fie auch am dritten Tage auferfiehen werde. Nun erklärte IRarga- 
veta, jet erſt ſey's an der Hauptfache, Ehriftus in ihr habe für fo viele tamfend 
Seelen Bürgfchaft geleiftet; es müffe noch mehr Blut fließen; fie müſſe ſterbend ſich 
aufopfern. Die Kündig, welche fchauderte, auch dieß zu vollfireden, fuhr fie an: „Wie? 
Du willſt alfo nichts für Chriftus thun? fchlag zu! Gott ſtärke Deinen Ami“, wos 
fie hernach Öfter wiederholte. Als ihr Blut aus einer Kopfwunde rann, fing fie es im 
ein Beden auf, fprechend: „Died Blut wird zur Rettung vieler Seelen bergofien®; 
eben dafür ließ fie fich hierauf mit einem Scheermefler einen Kreisfchnitt um den Hals 
und einen Kreuzſchnitt in die Stirne machen, indem fie ſprach: „Nun werden die Seelen 
erlöft und der Satan überwunden! * Sie äußerte dabei nicht den geringfien Schwer 
uud erklärte dann, jest wolle fie fich Treuzigen laffen. Sie verlangte von der Kündig, 
die jchon bei den bisherigen Dualen nur mit Schauder und Entfeken ihr gehorcht hatıe, 
daß fie ihr diefe Marter anthun ſollte. Diefer Befehl verfegte die Unglückliche faſt 
in Dermeiflung. Allein vergebens war es, daß fie fich dagegen firäubte und unter 
einem Strom von Thränen flehte, fle mit diefer Chat zu verſchonen. Wargareta lieh 
nicht nad) mit Befehlen; „die Stunde nahe“, redete fie die Freundin an; „ob fie es ihr 
abfchlagen dürfe, Gottes Wert zu thun? ob fie die Seelen auf dem Gewiflen haben 
wolle, die unerlöft blieben, wenn fie die Kreuzigung nicht vornähme?“ m. ſ. w. Sofort 
befahl fie, Nägel zu holen, legte fich auf's Bett, ließ auf unter fie gelegte Holzbiöd 
ſich Nägel fchlagen dur die Füße, die Hände, die Ellbogen und in die Brüfle, mit 
einer Standhaftigkeit, die einer befjeren Sache werth gewefen wäre, immer die Künbig 
ermunternd: „Gott ftärke Deinen Arm! ich werde die Schwefter auferweden und in 
drei Tagen felbft auferftehen!“ und verfihernd: „Ic fühle keinen Schmerz! «6 iſt wir 
unausſprechlich wohl! fey Du nur ftark, damit EChriftus Üüberwindel« Wirklich zeigte 
fie aud jest nicht da8 geringfte Zeichen des Schmerzes, ſprach vielmehr: „ijreuet end 
mit mir! Gott im Himmel freut fih aud mit euch!“ Ein Meffer, auf ihren Befehl 
bon der Kundig unter Deihülfe des jüngeren Mofer ihr in den Kopf gefchlagen, madate 
zulegt ihrem Leben ein Ende. — Die Polizei wurde durch den Vater Peter getönſcht 
Abends 10 Uhr zog die Kündig und der jüngere Moſer die Nägel aus den Wunden in 
der Meinung, das Auferftehen dadurch zu erleichtern, um welches die Nacht hinturd 
Ulle beteten. Da bis Dienftag dieß nicht erfolgte, fo machte der Vater dem Bfarzer 
die ZLodesanzeige, ohne daß die Hoffnung darauf ganz aufgegeben wurde. Rum erf 
wurde den Behörden das Gefchehene offenbar, die Theilnehmer insgefammt verhaftet, 
nad Zürich geführt und eine langwierige Unterfuchung angeftellt. Das Züricher WMalefiz 
gericht veructheilte ſodann alle Beteiligten zu Zuchthausftrafe von 6 Mongaten bis pe 
16 Jahren, welches legtere Strafmaß die Kündig traf, mit Vorbehalt fpäteren Begse- 
»onng- Das Haus wurde miedergeriffen und verordnet, der Plag folle nubemohet 
eiben. 

Ueberfchauen wir diefe Vorgänge und fuchen wir uns gemäß dem Karalter er 

gareta's, wie er allmählich ſich geftaltet hattte, die Motive zu ihrer getvaltfamen Gelbſt⸗ 


Sildenſpucher Krenzigung 515 


hingabe durch bie im engen Kreife der Ihrigen vollgogene Krenzigung wit möglichfler 
Beſtimmiheit vorzuhalten, fo werden wir zunähft zur Berichtigung fchiefer Auffaffung, 
weiche diefen Vorgängen vielfach zu Theil geworden, wohl mit Sicherheit fagen können: 
Margareta war nicht eine Heuchlerin, die mit bewußter Schlanheit durch bloße Vor⸗ 
fpiegelungen Andere getäufcht hätte, um fich felbft ein Auſehen zn geben. Bielmehr iſt 
zuzugeben, daß das religidfe Leben bei ihr in beſonderer Kräftigleit erwacht und eine 
Zeit lang andanert, daher auch energifche veligidfe Anregungen von ihr ausgehen auf 
ihre näheren Umgebungen, wie fodann in weiteren Kreifen, Anregungen, die bei ein- 
getretener Erſchlaffung für Manche wohlthuend werden mochten, wiewohl Phantaftifches 
amd Ungefundes fich einmifchte, fo daß wir viel Wahres darin finden, wenn (in den 
Blättern für höhere Wahrh.) als Urfadye ihres traurigen Endes bezeichnet wird: „Geiſt⸗ 
licher Stolz Margareta’ auf empfangene Genefung und Erkenntniß, genährt durch bie 
Beimunderung, welche ihrem anfänglid; aus Lauterem Danke, nachher ſchon aus trüberem, 
ambitiofem Eifer geführten Predigtamt zu Theil wurde; Leerheit an dee Kraft bes 
Wortes durd, defien fortwährendes Ausreden ohne flilles Dulden und Ueben; darans 
erfolgte Sicherheit umd Berädung durch die Sünde des Fleiſches, nadı dem Ball Heu 
chelei flatt aufrichtiger Buße und dann Untergang in Gewiflensbiffen einer Seele, die 
fhon vom Reid) des Herrn eines ausgezeichneten Borgefühl® gewürdigt worden.“ Das 
Letzte if indeß, fo weit es die Gewiſſensbiſſe anlangt, einzufchränten. Jedenfalls iſt 
die Auffafſung keineswegs zutreffend, als ob fie nad ihrem Fehltritt aus Furcht vor 
allfälliger Entdedung fid einen Plan erſomen hätte, um moͤglichſt glorreich aus ber 
Belt zu gehen. Wohl mnßte der innere Aerger über ihre Niederkunft, den fie fich 
nicht geliehen mochte, und allenfalls auch jene Beſorgniß zu ihrer Verdüſterung bei- 
tragen. Doch iſt wohl zu erfenmen, daß ohnehin in der Seftaltung des fie beherr- 
ſchenden Wahnes, namentlih in der nah Ganz's Manier confequent ausgebildeten Ainn« 
lichen Mebertragung der Vorgänge au Chriſtus auf fich felbft in ihrer fubjektiniftifchen 
Bereinzelung und anf ihresgleihen Momente genug vorhanden waren, die anf einen 
folhen Weg führen konnten, zumal bei der Einbildung, als ob von ihr der Weltlampf 
mräffe ausgefämpft werden. Offenbar ift es aber keineswegs eigenes Schuldgefühl, was 
fle zu ihrer Hinopferung treibt und babei befeelt, ivie wenn fie verzweiflungsvoll oder 
al zerknirſchte Sunderin gewähnt hätte, ein fo ſchweres Leiden und qualvolles Sterben 
auf fich nehmen zu müflen, um folchermaßen für ihre eigene Berfündigung zu büßen; 
auffaflender Weife findet ſich dieſes hier nicht vor, auch nicht bei den heftigften Dualen, 
die fie fi und ihren Liebften anthım läßt. Vielmehr fühlt fie fich dazu beivogen, nad) 

allen ihren Aeußerungen, durch das Mitleid mit Anderen, die der Erlbſung barren, mit 
„armen Seelen“, über die fie fich hoch erhaben dünft und die fie der Erlöfung durch 
fie, durch den Ehriftus in ihr, durch deffen Opfertod erfi noch bedürftig mähnt. 
Wohl zu merken — ift ſonach durchaus nicht die chriftliche Verſohnungslehre das, mas 
fie dazu bewegt, am wenigften in ihrer proteftantifchen Faſſung, vielmehr im Gegentheil, 
wie ſich mit Recht fagen läßt, gerade die Entfremdung davon, der Unglaube in Bezug 
Darauf, der Wahn, als ob durd; das Eine Berföhnmgsopfer Ehrifti nicht gemug gethan wäre 
für die Sünden der Welt. Deshalb finkt fie zurück in den allgemein menſchlichen Zug 
nach anderweitiger, felbfterdachter, mwillfürlicher Sühnung für die Sünden der Menfd)- 
beit, und zwar mit wefentlihee Verzerrnug der hriftliden Wahrheit gemäß 
ihrer auf dem Grunde des Pantheismus, den Ganz feinen Schriften nach unverlennbar 
eingefogen hatte, beruhenden Berblendung, in einer Art Bergottung, wornad fie nm 
des Chriſtus in ihr mwillen, als ob ihre Perfönlichkeit völlig in Chriſtus aufginge, der 
Sündentilgung für fich nicht mehr zu bedürfen, vielmehr Anderen, „armen Seelen“ 
Re fpenden zu Innen wähnt. uch eine gewiffe Annäherung an Irrihimer der römifcdh- 
Tathofifchen Kirche, von welcher fie, wie oben bemerkt, nicht unberührt blieb und im 
welcher wir um bdiefe Zeit manche verwandte Regungen (wie Poſchl; f. d. Art.) an⸗ 
treffen, iſt hiebei wahrzunehmen, als ob, ähnlich wie dort Mefien gelefen werden zum 

8 ® 


516 Wildenſpucher Krenzigung 


Heile armer Seelen von BVerftorbenen, fie erſt vermdge des ihr inwohnenden, gleichfam 
incarnirten Chriftus die Erlöfung jener bewirken, alfo mehr als Jeſus Chriſtus für 
fie leiften, nämlich dasjenige für fie wollführen müßte, was er durch feinen Opfertod 
nicht vollbracht hätte. Indeß liegt ſchon darin, daß fie auch ihre Schwefler dafür 
ſterben läßt, das unwillkürliche Geftändniß der Unzulänglichleit folcher Sähnung. Wie 
fie dabei vom pofitiven Chriftentgum eben nur tingirt ifl, zeigt ſich befonders auch darin, 
daß fie, während ihr das, was Ehriftus für uns vollbradt hat, vor dem Chriſtus in 
ihr fo fehr erblaßte, ſich einbildet, diefen auf künftliche Weife, von außen her, durch 
finnlihe Qual auf's Neue zum leidenden Chriſtus machen zu müffen, in eitler Selbſi⸗ 
verblendung überfehend, wie der alte Menſch fammt feinen Lüften in ihr noch jollie 
innerlich überwunden werden, damit Chriftus in ihr auflebe, und mie fehr diefer mod 
durch die ihr anhaftende Sünde entftellt werde. Auch hier fehen wir fie fomit, zu ſehr 
nach außen, auf Andere, flatt nad) innen gerichtet, und daher über der ſelbſterwählten 
priefterlichen Stellung, die eben doch nicht von einer organifixten chriftlihen Gemein 
ſchaft getragen war, die eigene Jüngerftellung einbüßen, wenn wir gleich ſelbſt immitten 
ihrer Verirrung das Moment fürforgender Liebe, das ihr noch im Xodesröcheln ein 
Wonnegefühl gewährte, nicht verfennen mögen. 

MWerfen wir noch einen Bli auf ihre Anhänger, die Theilnehmer an jener Gräuel- 
that. Im langem, zum Theil hartem Unterfuchungsverhaft, während deffen Mehrere 
bon ihnen in ihrer bäuerlihen Einfachheit älterer Yuftiz gemäß nichts Anderes als ihr 
Todesurtheil erwarteten, ſowie durch vielfältige feelforgerlihe Bearbeitung fuchte men 
die „Schwärmer“ von ihrem „Überglauben“ abmwendig zu machen und zu vernünftiger 
Einfiht in Religionsſachen zu bringen. Exft jest wurde Margareta's Niederkunft durd 
Morf’s freimilliges Geſtändniß entdedt und bildete begreiflid) ein Hauptmittel für bie 
geifllihen Lehrer, um bei den Betheiligten ihre Anhänglicdjleit an fie und ihre Zuver- 
ficht auf deren höhere Berufung zu erfchüttern und ihnen das Gefährliche und Sitten- 
verderbliche ihrer bejonderen Meinungen und ihres onventifelmefend oder, wie man 
als ganz gleichbedeutend auch fagte, ihrer Seltirerei einzujchärfen. Doc blieben die 
Erfolge unbefriedigend und zweifelhaft. Um fo meniner konnte es gelingen, diefen Ber- 
irrten innerlich aufzuhelfen und ihnen einen feften Halt zu geben für ihr religidfes Leben, 
da es den Beauftragten zwar nicht an einer gewiffen Menfchenfreundlichkeit fehlte, wie 
man fie in neueren Zeiten Geiſteskranken insgemein angedeihen läßt, wohl aber einer⸗ 
feit8 an demüthig - ernftlihem Eingehen auf ihren „Wahnwig“, daher auch an eigemt- 
lichen Berfländnig ihrer Verirrung umd andererfeitd gemäß der damals herrichenden 
rationaliftifchen Zeitrichtung insbefondere auch an eigener tieferer Erfaſſung der chriſt⸗ 
lichen Heilslehre felbfl, wie man ſich davon bei näherer Prüfung der Hauptquelle, ber 
die meiften Data zu entnehmen find, leicht Überzeugen mag. Während nämlich der 
Berfaffer in feiner Darftelung von Klagen über „religidfen Unfinn, fanatifhen Wahn⸗ 
finn, verrüdtes Zeug, Tollheiten, Berrüdtheit, Geiſteszerrüttunge überfließt, gibt er 
durch die Art, wie er von der Satisfaltionslehre redet, fie anfchuldigt und befeitigen 
möchte, deutlich genug fund, wie fehr ihm die chriftliche Verföhnungslehre felbf fremd 
artig geworden. Auch ift e8 bezeichnend genug, wie er, der Zwingli erhebt, es be 
dauert, daß dem Bolfe die Bibel in die Hand gegeben werde, flatt nur Auszüge aut 
ihr, und ohne Erklärungen ftatt mit den Anmerkungen Dinter’s, damit unvermerft mehr 
den Marimen des römifchen Katholicismus ſich nähernd, ala dem von ihm gebriefenen 
Zwingli folgend. Sein gleichgefinnter College aber, der, faft noch weniger fähig, felb 
die zarteften Regungen des Gemüthes bei feinen Pflegbefohlenen auch nur einigermaßen 
zu würdigen, in kaltem Verftandesftolge daran vorübergeht, räth dur fchulmäßigen Un 
terricht in der Naturkunde „die lebhafte Phantafie des Landmanns“ zu zügeln md „daß 
bange Sehnen nad; dem Himmel“ zu dämpfen. Bon welcher Art die Erfolge ihrer 
Wirkſamkeit waren, läßt fih aus manchen Kundgebungen der Gefangenen entnehmen. 
Die Klindig äußerte, als man ihr die „Borurtheile benehmen wollte, „an demen fe 


Bildenſpucher Krenzignug 517 


mit fo vieler Liebe hing“, mehrmals mit Unmwillen: „fo entreiße man ihr ja Alles, 
woran fie fi gehalten umd worin fie Troft gefunden habe»; die „Berfiherung, daß 
man ihr nur morſche Stügen wegnehme, wollte ihe zumeilen nicht genügen”, und un» 
geachtet fie zeitiweife Ruhe und Faflung zeigte, fiel fie nicht felten in eine Traurigkeit, 
die an Verzweiflung gränzte. Der Knecht des Peter’fchen Haufes erklärte häufig: „Nun 
glaube ich mein Lebtag keinem Menſchen ein Wort mehr“, nahm indeß refpeltvoll jedes 
Mol den anmwefenden Pfarrer aus. Die Yäggli verfiel völlig in ſchwermuthigen Wahn- 
fin. Bei Barbara Peter, der Schweiter Margareta’s, welche Aberzeugt war: „Oott 
habe durch die Margareta gewirkt in großer Kraft, in feiner Gnade bis anf die Stunde 
ihres Todes“, blieb die Umflimmung durchaus fraglih. Die Eonceffionen, welche Moſer 
fange machte, erwieſen fich gegen Ende der Unterfuhung als bloß fcheinbar. Den 
beharrlichen Boransfegungen des Vaters Peter über die hohe Berufung feiner Margareta 
var Schon wegen feines Alters und übeln Gehdre, aber auch wegen feiner Hartnädigleit 
faft nicht beizufommen. Morf, dem fein Ehebruch vorgehalten wurde, behanptete den⸗ 
noch, „Fleiſchliches fe nichts geivefen in feinem Umgange mit Margareta, fie habe fich 
ganz Gott Übergeben und nie geglaubt, daß fie diefes Weges müßte.“ Ueber die 
Totung der beiden Schiveftern wollte er, gleichwie die meiften Angeflagten, nicht ur⸗ 
theilen: wer habe da® Bott dem Herrn überlaflen; er wünſchte, e8 wäre nie begegnet; 
es ſey eine Gbernatürliche That ; er könne fie nicht verdammen und nicht felig preifen; 
thöricht fen fie, aber doch müſſe er fie laſſen fichen.“ Etliche der weiblichen Gefan⸗ 
genen zeigten im Zuchthauſe, woſelbſt fie Jahre lang mitten unter Berbredherinnen leben 
mußten, vorzägliche Eigenfchaften. 

Der Kicchenrath erließ im Jamar 1824 ein Reſtript an die Geifllihen des Kan⸗ 
ton Zürich, worin „Seltengeift, Schwärmerei und Fanatismus einzig umd allein ala die 
Uuellen der fhredlichen That“ bezeichnet und die Hoffnung auögefproden wird, „daR 
e6 den vereinten Bemühungen des weltlichen und geiftlichen Armes in Berbindung mit 
dem Eindrucke diefer Begebenheit gelingen möge, dem vielgeftaltigen Sektenweſen („der 
Erwedten") feine offentundige Schädlichkeit für Staat und Kirche immer mehr zu be- 
nehmen.“ Zugleich werden die Pfarrer aufgefordert, gemeinfam mit der Polizei auf's 
Nachdrücklichſte die Verordnung zu handhaben, weldhe von der Regierung fchon vorher, 
im Jahre 1822, gegen religiöfe „Nebenverfammlungen* erlaflen worden war, fowie die 
fie verſtaͤrkenden Beſtimmungen von 1823, wodurch die Aufldöfung foldher religidfen Ber- 
ſammlungen verfügt war, mwofern fie des Nachts oder während des Öffentlichen Gottes- 
dienftes oder allzu zahlreich flattfänden, Undere dazu geworben oder Familienzwiſt da» 
durch veranlaßt, Minderjährige dazu zugelafien oder darin aus dem Herzen gebetet, 
Bibelerflärumgen oder Bredigteu gehalten, aus Miffions - oder muflifch - religiöfen Schriften 
darin vorgelefen werde, und nur geftattet iſt: „einfaches Borlefen der heil. Schrift oder 
der Lieder des Zürcheriſchen Geſangbuchs und das Singen diefer Lieder.“ „Unbefugte 
Redner, die fid) ans der Nähe oder Ferne einfinden würden, follen weggewieſen und 
der verbotenen Berbreitung fchädlicher Schriften über religidſe Gegenflände („Xraf- 
tate⸗ n. dergL) Einhalt gethau werden.“ 

Wie begreiflich, gab dieſes Ereigniß auf Jahre hinaus den Imdifferenten und Un- 
glänbigen die willkommenſte Handhabe, um jede irgendwie hervortretende Regung eines 
innigen religidſen Lebens im Kanton Zürich ſofort als feltireriſch und ſittenverderblich 
onzufchtwärzen. Selbſt auf Yahrzehnte hinaus erſtreckte ſich dieſe einſchuchternde Rüd- 
birtung. Die Freunde der Miffionsfahe mußten ſich äußert behutfan in enge Gränzen 
zurückziehen, auch die Bibelfache wagte ſich nur ganz allmählich an's Kageslicht (f. Fin s- 
ler, Georg Geßner S. 117). Doch ließ fich der überall auftretende Aufſchwung auch 
bier nicht auf die Dauer unterdrüden, fo wenig im religiöfen Volksleben ale in der 
Theologie. Zudem trat mit der politifhen Erneuerung vom Jahre 1830 auch für das 
religiöfe Gebiet freiere Bewegung ein. So Manches don chriſtlichen Wahrheitsele- 
menten, das in Leinen Kreifen unverhältnißmäßig im verzerrter Geſtalt ſich erhielt, in 





518 Wilsnad, das heil. Blut in 


größeren aber damals faft allgemein aufgegeben war, hat daher feither in ber theolo- 
gifchen Wiffenfchaft wieder Anerkennung erlangt und in der Predigt wie im allgemeinen 
religidfen Bewußtſeyn angemeffene Geltung getvonnen. Auch wurde es dem oben er- 
wähnten Ganz, der feine Entwidelung felbft darftellte („Die Yugendjahre des Jalob 
Ganz, von ihm feldft befchrieben.« Neue Aufl. Bern 1863) und Kleinere Schriften audı 
weiterhin herausgab, zu Theil, gemildert und in ftiller Zurüdgezogenheit auf Einzelne 
zu wirken, die fich zu ihm hingezogen fühlen. Bon feinen gejammelten Schriften er 
ſchien Bd. 1. im 9. 1866. 

Näheres findet fih in: Joh. Ludw. Meyer, fchmärmerifche Gränelfcenen oder 
Krenzigungsgefchichte einer religiöfen Schwärmerin in Wildenſpuch. Zweite Wuflage, 
Züri 1824. Darin find auch die Berichte des Zuchthauspredigers Schoch enthalten. 
Auf demfelben Standpunkte fleht ein Artilel in Roͤhr's Predigerbibliotkel vom 1823. 
In entgegengefegter Richtung C. E. Jarcke in Hitzig's Annalen der Kriminalrechtt- 
pflege von 1830, wieder abgedruckt in Jarcke's „Vermiſchten Schriften“ Bd. 2. 1839, 
feine römifch - katholifche Auffafjung nicht verläugnend. Simig und umfidtig Johann 
Frieder. vd. Meyer, Blätter für höhere Wahrheit. Samml. 5. 1824. ©. 282 fi. 
Samml. 6. 1825. ©. 377 fi. — Befonders beachtenswerth if ein Artikel im der 
„Evangel. Kirchenzeitung“, Berlin, B. 8. 1831, Nr. 20—23. — Auf dem Staub. 
punkte Daumer’3 und Ghillany's hinfichtlich der Berfühnungslehre (f. d. Urt. „Molody- 
Bd. IX. ©. 720) bewegt fih die Novelle von Joh. Scherr: „Die Gekrenzigte oder 
das Paffionsfpiel von Wildisbuch“, 1860, und darf, obwohl fie die Originalaften citirt, 
in feiner Weife als Geſchichtsquelle angefehen werden. Carl Peſtalozi. 

Wilsnack, das heilige Blut in. Es verdankt feine Entflehung zunächfi dem 
Kaubritter Heinrid) von Bülow und dem habgierigen Priefter Johannes zu Wilsnad. 
Iener Ritter hatte am 16. Auguft 1383 das Dorf Wilsnad in der Priegnig durch 
Drandlegung zerfiört. Nach dem Brande fuchte der Priefter Johannes an dem Orte, 
wo die Kirche geftanden hatte, nad, ob er noch brauchbare Ueberreſte finden könnte 
In einer Deffnung des fteinernen Altar fand er eine Büchfe mit drei Hoftien in mm 
verfehrtem Zuſtande. Er nahm fie an fich und erklärte, daß die Hoftien geweiht und 
mit Blut gefärbt geweſen feyen, das fie ausgeichwigt haben müßten. Kine Reihe 
von Wundern, die Johannes theils bei der Auffindung der Hoflien, theils bei dem 
Gottesdienſte, theil8 an Kranken wahrgenommen haben wollte, erhöhten und verbreiteten 
bald genug die ungewöhnliche Kraft der angeblich blutigen Hoftien. Der Bifchof Diet: 
rich behauptete fofort mit dem Domprobfi von Havelberg und dem Pfarrer zu Alt 
ruppin die Wunder auch gefehen zu haben, die nun fogar im ein befonderes Buch anf. 
gezeichnet wurden. Legt wurde Wilsnad ein ſtark befuchter Wallfahrsort, beſondert 
für Kranke, umfo mehr ald (1384) der Erzbiſchof Peter von Magdeburg und ber Bi. 
[hof Dietrich mit den Bifchdfen Johann zu Lebus und Dietrich zu Brandenburg alles 
Walfahrern nah Wilsnad einen reihen Ablaß zufagten, der durch den Pabſt Urban VL 
beftätigt und erweitert wurde; überdieß fchenkte der Erzbifchof Peter angeblich ein Städt 
bon dem Arme der heiligen Barbara als Reliquie nah Wilsnack. Der Auf von ter 
Wunderkraft des heil. Blutes, durch das auch Blinde fehend gemacht, felbfi Todte auf- 
erwedt feyn follten, verbreitete fich fo, daß fogar Wallfahrer aus Norwegen, Schweden 
und Dänemark, aus Polen und Ungarn nad) Wilsnad zogen. Bon den reichen Gaben 
die fie fpendeten, wurde die Kirche prachtvoll faft ganz wieder aufgebaut, um aber bie 
Einkünfte noch reichlicher zu machen, führte der Bifchof Yohann von Havelberg de 
Sitte ein, daß jeder Wallfahrer auch ein bleierned Zeichen in Geſtalt einer Hoſtie kaufe 
mußte ; von dem Gelde überließ er ein Drittel der Kirche, ein Drittel dem Capikel 
und ein Drittel behielt er für fi, ja er ließ fogar eine fogenaunte Simdenmage iz 
der Sakriflei aufftellen. Der Sünder mußte fih auf die eine Wagfchale fielen, wi 
die andere feine Gaben legen; unter diefer Schale war ein in die Sakriſtei herei. 
gehender Draht angebracht, um nad) der Größe der Gaben und Abmeſſung der Säuder 


Bol, Chriſtiau 519 


das Gleichgewicht beider Schalen entweder abzuhalten oder herbeizuführen. Durch den 
geiſtlichen Betrug hob ſich der Wohlfland des Dorfes, das der Biſchof mit Wall und 
Mauern umgab und mit Stadtrecht verfah. Mochten andy von Einzelnen die Wunder 
vieleicht in Zweifel gezogen nnd befiritten worden fen, fo finden wir doch, daß erſt 
Rhann Huß dffentlich gegen die Betrligerei auftrat in feiner Schrift: De omni san- 
guine Christi glorifieato, und wahrſcheinlich wurden durch diefe Schrift die Articuli 
Ottoni Havelbergensi Episoopo in Magdeburgensi Concilio anno 1412 praepositi 
(m Josephus Hartsheim Concilia Germanise. T. V. Col. 1768. Pag. 35 sq.) ver- 
anlaßt. Ein böhmifcher Edelmann war mit einer lahmen Hand nad; Wilsnad gekommen 
md hatte eine filberne Hand als Geſchenk mitgebracht; der Priefter zn Wilsnad ver- 
Mindigte das durch da® heilige Blut beiwirfte Wunder der Heilung des Belähmten, in- 
deß ſtrafte ihn derfelbe fogae vor dem verfammelten Volle der Lüge, indem er zeigte, 
daß feine Heilung nicht erfolgt war. Daranf verbot der Erzbiſchof Stinfo zu Prag 
die Wallfahrt nad) Wilenad. Im gleiher Weiſe erhob fidh audh der Dominikaner Io» 
hann Emo umd ber Franziskaner Johann Calbe in Meißen gegen die Wilsnader Be⸗ 
trögerei; beide wurden zwar deswegen verfolgt und vertrieben, doch beiwirkten fie durch 
eine Disputation zu Burg im Magdeburgifchen in Gegenwart des Domherrn M. Hein⸗ 
ih ade von Magdeburg, daß die Univerfitäten zu Leipzig und Erfurt (1444) In 
einem Gutachten die Wilsnader Wunder für verdächtig erflärten. Bald darauf bezeich- 
nete auch der Dominikaner Johanm Wünfchelberg zu Hamburg in einem Tractate („Bon 
folfhen Zeichen uud WBundern") jene Wunder ale Werke pfäffifcher Habſucht. Ein 
Hanptgegner war und blieb Tacke, der and; den Kurfürften Friedrich II. von Brandens 
burg zu Überzeugen ſuchte, aber dafür in Ungnade fiel. Eben fo wenig gelang es ihm, 
die Bifchdfe von Brandenburg und Bavelberg gegen den Betrug einzunehmen, dagegen 
überzeugte er den Exrzbifchof Friedrich von Magdeburg, der die Sache auch auf einigen 
Syuoden zur Sprache bradte. Der Unfug dauerte indeß umfo mehr fort, als von 
Seiten des päbftlihen Stuhles immer wieder Schritte geſchahen, ihu aufrecht zu er- 
halten. Pabft Eugen IV. ertheilte (1446) den Wollfahrern nad) Wilsnad mehrjährigen 
Ablaß und berorbnete fogar, um die Hoftien angeblic, biutig zu erhalten, daß zwiſchen 
biefe eime geweihte Hoftie gelegt wurde (f. Raynald. Annal. ann. 1447. Nro.9u.10). 
Im gleicher Weife nährte Pabſt Ricolaus V. den Betrug, indem er die Verordnungen 
Eugen’s wiederholte (f. Literse indulgentiarum Pontificis Nicolai ob hostiam conse- 
ratam sanguineis superpositam in Jo. Petri de Ludewig Reliquise Manuscripto- 
ram omnis sevi. Tom. VIII. Froft. et Lips. 1727. Pag. 366 »q.), obfchon er dod), 
mf Tales Veranlafſung, den Biſchof Arnold zu Lübed mit einer firengen Unterfuhung 
jeanftragte, der darauf die Bifchöfe in der Mark aufforderte (1450), von der Fbrde⸗ 
rumg des Betruges abzuflehen. Auch der bekannte päbſtliche Legat Nikolaus von Eufa 
tferte gegen die Walfahrten umd veranlaßte den Erzbiſchof Wriedrich zu Magdeburg zu 
inem Berbote derfelben; auch gegen fie erhob fich ferner Joh. Capiſtranuns und ber 
Angufliner Iohann Dorfen (in ſ. Tractate: Consultatio de ooncursu ad Wilsnack). 
Bleichwohl dauerte der Unfug fort, weil vou hohen Geiftlichen den Wallfahrten nad) 
Vilsnack immer wieder nene Abläffe verlichen wurden; erſt mit der Reformation hörte 
ie Unfitte auf. Vergl. noch: Historia don der Erfindung, Wunderwerken und Zer⸗ 
ſbrung des vermeinten heiligen Bluts zu Wilfsungl zc., durch Matthaeum Ludecum. 
Bittenb. 1786; dazu: Fortgeſetzte Sammlung von alten und neuen theolog. Sachen. 
748. Leipz. ©. 166 — 108. — Siehe Lengen’s Stiftshiftorie von Habelberg. Halle 
750. ©. 43 ff. — Berfud; einee Geſchichte der Churmark Brandenburg zc. von Sa⸗ 
mel Budolg II. Berlin 1765. ©. 693 ff. Mendeder. 
Wolff, Ehrifian, und die Wolff’fhe Theologenfhule — Der Dua⸗ 
smus des Cartefius zwifchen res coogitans und res extensa ivar überwunden wor⸗ 
en durch Spinoza’s Pantheiamus, indem die beiden Subflangen des Cartefins herab- 
eſetzt wurden zu Attributen der Einen Subſtanz. Indem Spinoza Alles verſenkte in 


520 Wolff, Chriftien 


den Abgrund der Einen Subflanz, blieb Eins ihm unerllärbar — die Ymdividsaität. 
Er kennt nur Modifilationen der Subftanz, nichts wahrhaft Individuelles. An diefem 
Punkte greift Teibnig ein mit dem berühmten Worte: Spinoza hätte Recht, wem «8 
teine Monaden gäbe. Er zerfplittert die Eine Subſtanz Spinoza's in eine Welt har: 
monifcher Monaden (Individualismus). Statt der (einfachen) Subflanz werden die Mo 
naden (individuelle Subftanz) fein metaphufifches Priucip. Leibnitz hat die neuere Bhi- 
Lofophie auf deutfchen Boden verpflanzt, aber in undentfhem Gewande und umjufieme- 
tifcher Form, im Fluge feiner Ideen dem gewöhnlichen Bewußtſeyn zu had. Ex be 
durfte eines Commentators, welcher feine Philofophie, in die Feſſeln des Syſtems ge- 
fchlagen, dem Volksverſtande anpaßte und ihre Gedanken in allgemeine Eirkulation feste, 
womit zugleich eine VBerblaffung und Bernüchterung derfelben gegebeu war. Nach einem 
legten Aufflammen des theologifchen Zornes Hat die proteflantifche Theologie diefem 
popularifirten Sufteme ſich mit Begeifterung in die Arme geworfen. Vroteflantismus 
und Philofophie erfannten ihre Wahlverwandtſchaft. Die Ehe zur linfen Hand, vie 
Mesalliance, wie fie zwei Jahrhunderte hindurch ziwifchen beiden beflanden, wurde jest 
förmlich und in allen Stüden als legitime Bermählung anerkannt. Der Philoſoph, 
welcher in diefer Richtung und mit diefem Erfolge feine Thätigleit entfaltete, war Chri⸗ 
fian Wolff, eines Breslauer Gerbers Sohn, ſchon vor feiner Geburt den Wufen 
verlobt *). Er fiudirte in Jena Theologie und Mathematik, diefe um ihrer Methode 
willen, und wurde Magister legens in Leipzig. Als ihm ein doppelter Auf vorlag 
nad; Halle und Gießen, zog er Halle vor (1706). Es begann jeine alademifche Bik- 
thezeit. Unter ungeheuerem Zulauf las er über Mathematik und Philoſophie. Die 
Theologen, deren Hörfäle fich leerten, fahen durch die neue Philofophie ihre principium 
revelationis bedroht. Ein Zufammenftoß war unvermeidlich. Wolff's Rede „de Si- 
narum philosophia practica”, worin er die Moral des Heiden Confucius pries, ranbie 
den Hallefhen Theologen den Schlaf. Auch Thomaftus entſetzte ſich über die Thor 
heit diefes neuen Confucianerd. Die Theologen reichten gegen Wolff, der den Leuten 
bloß Dubia in den Kopf fege, eine Klage bei Hofe ein, melde die präftabilixte Her. 
monie als ein neues Fatum hinfteltee Der König fragte im Tabakscolleginm feinen 
Hofnarren Paul Gundling nad dem Sinne diefer Lehre. Der antwortete, von feinem 
Hallefhen Bruder geflimmt: wenn einige große Grenadiere in Potsdam bdurdhgingen, 
fo Könnten ſie nad) des Profeſſor Wolff’ Meinung nicht geſtraft werden, weil da6 un 
vermeidliche Verhängniß ed wollte, daß fie durchgingen. Das hieß den Soldaten: 
tönig bei feiner ſchwachen Seite faflen. Eine Cabinetsordre vom 8. Nov. 1723 be: 
deutete Wolff, binnen 48 Stunden die Stadt Halle und alle Töniglichen Lande p 
räumen bei Strafe des Stranges **). Zu gleicher Zeit wurde der Wolffianer Gabriel 
Fiſcher aus Königsberg verbannt. ine zweite Cabinetsordre verpönte atheiflifche Bücher 
bei lebenslänglicher Karrenſtrafe; wer über Wolff’ philofophifche Schriften leſen würde. 
follte in eine Strafe von 100 Speciesdulaten genommen werden. Dieſe Sewaltmaf- 
regel war felbft den Theologen zu ſtark, Einem von ihnen verging der Schlaf und eler 
Üppetit zum Eſſen drei Tage lang. Wolff’ Schickſal erwedte allgemeine Theilnahne 
glänzende Anträge wurden ihm gemadt. Die heififche Regierung fette gegen das Pro 
fefjorenthum feine Anftelung in Marburg durh. Im Berlin felbfi fand er einen ein⸗ 
flußreichen Gönner an Probft Reinbed, welcher die Stimmung allmählich umwandelt. 
Eine koͤnigliche Commiſſion erklärte die Wolff'ſche Philofophie von den ihr zugemeſſenen 
Irrthümern frei, eine Cabinetsordre deſſelben Königs, der den Philofophen entfegt haue. 
befahl da8 Studium feiner Schriften den Candidaten des Predigtamtes. Er hätte ike 
felbft gern wieder gehabt, am liebften nad; Frankfurt, denn das fey reich, da Wene a 


*) Biographieen von Goetten im „Gelehrten Europa“ II, 692; Baumeifter [Leipzig 173 . 
Gottſched [Halle 1755]; Büuſching in Beitrr. zu d. Lebensgefchichte gel. Männer, I, 1,58 
Kluge [Brest. 1831], H. Wuttke ſWolff's eigene Lebensbefchreibung. Leipz. 1841]. 

**) E. Zeller, Wolff's Vertreibung aus Halle [Preußifche Jahrbücher 1862, &. 47). 


Bel, Chrikian 531 


an Befeldung friegen, was er wolle. In Marburg fühlte ſich Wolff feit dem Tode 
des Landgrafen Karl nicht mehr heimisch, er werde fich hier, fo klagt ex, noch zu Tode 
arbeiten müflen. Seine Zurädberufung nach Halle war die erſte Großthat Friedrich's II. 
Wolff's Einzug in Halle (6, Dezbr. 1740) war glänzend wie die Huldigung eines 
Könige. Bor feiner vierfpännigen Earoffe ritten 50 Studenten und vor den Studenten 
6 blaſende Poſtillons. Alle Ehren, die nur einen Gelehrten zu heil werden koͤnnen, 
find amf fein Haupt gehäuft worden. Er wurde in den Neichöfreiherrenftand erhoben 
und mit der Sanzlertvürde betraut, 7 Univerfitäten hatten ihn begehrt, 4 ihn zu ihrem 
Mitglied ernannt. Er war der gefeiertfie Univerfitätslchrer feiner Zeit. Democh er- 
füllte ex die gefpannten Erwartungen nicht, welche fih an feine Wiederfehr Inkpfien. 
Es machte gleic, einen widrigen Eindruck, daß er in feinem erflen Programm erklärte, 
er würde fich weniger den mündlichen Lehrvorträgen, fondern feinen Schriften widmen, 
um als professor generis humani mehr Nutzen zu fiften. Im Alter verfiinmt, iſt 
er im J. 1754 geftorben, die Klage des Confucius auf den Lippen: doctrina men 
contemnitur. Wolff wor ein fehr profaifcher Philofoph, ganz ohne die Genialität und 
die polita humanitas eines Leibnig, eine phlegmatifche Ratur, der es gelang, viele and 
didde Bücher in die Welt zu fenden. Jedes Jahr bradite von ihm ewas Neues, nur 
das Jahr 1714 macht eine Ausnahme, woraus fein alter Biograph den voreiligen 
Schluß zieht, es möge in felbiges Jahr feine Verheirathung gefallen ſeyn. Die Did. 
leibigkeit feiner Bücher entſchuldigten begeifterte Anhänger damit: Werke, die der Dauer 
dev Welt trogen follten, dürften nicht, wie Närnbergerarbeit, unter einen Mücdenflügel 
Raum haben. 

Wolff war fein fchaffender, fondern eim commentivender, fleißig ordnender Geiſt. 
Materiell iſt er abhängig von Leibnig, obwohl feinem philofophifchen Gelbfigefühl die 
Behauptung diefer Abhängigkeit ebenfo zuwider var, ald die von Bilfinger aufgebradhte 
Bezeichnung Philosophia Leibnitio- Wolffiana. Formell war fein Vorläufer der große 
Meptünftler Walther v. Tſchirnhans (+ 1708), der in feiner Medicine mentis, als einer 
Algebra der Bhilofophie, durch mathematifche Procebur die Auffindung der Wahrheit Ichrte. 
Wolff hatte Theologie und Mathematik ſtudirt: er wollte gern jener die unwiderſprechliche 
Gewißheit von diefer geben, die Theologie fo zivingend machen wie die Mathematil, 
ut non haberent homines profani, quod contra religionem naturalem ac veram mo- 
rum honestatem objicerent. Nachmals dehnte er die mathematifche Methode auf bie 
ganze Philofophie aus. Alles wird in bie Form der Demonftration gelegt. Alles wird 
deutlich erklärt, gründlich erwiefen nud eine Wahrheit mit der anderen befländig ver⸗ 
fmäpft. Zreten wir nun ein in dem prächtigen umd regelmäßigen Palaſt, welchen Wolff 
zum Nuten des menſchlichen Geſchlechts auferbant hat. Weltweisheit ift ihm die 
Biflenfhaft aller möglichen Dinge, wie und warum fle möglich find, oder die Wiflen- 
ſchaft vom Möglichen als ſolchem. Was ift möglich? Tſchirnhans hatte geantwortet: 
quod concipi potest. Wolff erflärte daS concipere durch cogitationes se mutuo po- 
nentes d. 5. möglich ift das Widerſpruchsloſe. Alſo Gegenſtand der Philofophie iſt 
das Mögliche, d. h. das ohne Widerfpruch Denkbare. Die logifche Denkbarkeit wird num 
von Wolff ohne Weiteres mit der wirklichen Wefenheit der Dinge identifc genommen. 
Essentia entis possibilitate eius intrinseca absolvitur. Diefe Pbilofophie meint die 
Wirklichleit zu begreifen, wenn fie diefelbe zu einer vorgeflellten Möglichkeit macht. 
Das eigentlihe Syſtem Wolff’s, dem die Logik als Propädentif vorausgeht, umfaßt 
nad) feiner theoretifchen oder metaphuftfchen Seite die Ontologie, d. h. die Lehre vom 
Weſen der Dinge im Allgemeinen, Kosmologie, Biychologie und natürliche Theologie. 
In der letzteren werben Welt und Seele als zufällig befchrieben, fie müſſen ſonach dem 
zuxeichenden Grund ihrer Eriſtenz außer ſich haben in einem abfoluten Weſen (Ens a 
se), weldhes den Grund feiner Erxifienz in fi hat. Das iſt dad argumentum vene- 
rabile a contingentia mundi, quod rigorom demonstrationis prao oeteris optime su- 
stinet. Aus dem Begriffe Gottes als des felbftftändigen Weſens, darin der Grund 


522 Wolff, Ehriftian 


von der Zufälligleit der Welt zu finden, folgen feine Eigenfchaften. &s müflen näm- 
lih Gott alle diejenigen Eigenfchaften beigelegt werden, welche erforderlich waren, daß 
die Welt, welche if, wirklich wurde. Faßt man die Alles zuſammen, fo kan Gott 
beftimmt werden als das allervolllommenfte Wefen, welches alle compoffiblen Realitäten 
im abfolut höchflen Grade in ſich vereinigt. Diefe rationale Theologie will der offen- 
barten Wahrheit nicht widerſprechen. „Daraus, daß man Etwas nicht aus der Ber 
nunft demonfiriven kann, folgt nicht, man müfle es längnen.“ Die Möglichleit einer 
übernatürlihen Offenbarung wird zugegeben, aber fie darf nur offenbaren, was bem 
Menfchen zu wiſſen höchſt nöthig ift, darf feine Widerfprüce gegen Gottes Eigen⸗ 
ſchaften oder gegen nothwendige Vernunftwahrheiten enthalten, den Menſchen wicht zu 
folhem Thun und Laſſen verbinden, welches dem Geſetze der Natur zumiderläuft, nid 
das offenbaren, wozu man ‚auf natürlichem Wege gelangen kann, nicht mehr Worte 
brauchen, als noͤthig find, und die Worte felbft müſſen verfländfich feım, die Art ber 
Offenbarung muß die Kräfte der Natur fo viel als möglich beibehalten haben, ihre 
ganze Einrichtung mit den Negeln der allgemeinen Sprach⸗ und Redekunſt überein 
fommen*). Wer die Offenbarung unter ſolche Controle ftellen Tann, der if} ein ver 
ſchämter Läugner derfelben. Wolff gibt auch die imere Möglichkeit der Wunder ya. 
Aber eine Welt, wo Wunderwerlke gefchehen, ift bloß ein Wert der Macht, nicht aber 
der Weisheit Gottes, daher if eine Welt, wo die Wunder fehr fparfam find, höher zu 
achten, al® wo fie häufig find. Die Frage nad der Wirklichkeit der Wunder zu bes 
antworten, wäre ein Eingriff der Weltweisheit in die geoffenbarte Gottesgelahrtheit. 
So mar ihm als Philofophen auch die Zrinitätslehre ein unbelanntes Wild, von dem 
die Jäger reden. Sein Hauptverdienft liegt aber auf dem Gebiete der praktiſchen 
Philoſophie. Nicht allein weil Leibnig hier feinem Nachfolger den freieften Spielranm 
gelaffen hatte, fondern meil dad praltiihe Moment am meiften dem SKaralter biefer 
Philoſophie der Nüglichkeit entfpriht. Ihre Tendenz gebt auf menſchliche Städfelig- 
keit. Diefe wird duch die praftifche Philofophie, als eigentlihe scientia felicitatis, 
mehr gefördert, als durch die theoretifche, welche dem Menfchen nur nügt, indem fie 
den Verſtand aufflärt. Die praftifche Philofophie mit dem Zwecke, den Willen zum 
Guten zu lenken, zerfällt in: Ethik, welche den Menſchen ala Menſchen, wiefern er sui 
juris if, betvadhtet und das Princip aufftellt, daß man thun fol, was die Bolltommmen- 
heit des Menſchen befördert, hingegen unterloflen, was ihr entgegen ift; Politik, welche 
die Handlungen des Menſchen als Glied eines Staates, Oekonomik ale Mitglied 
einer kleineren Genoſſenſchaft regel. Das Naturrecht, worin er Pufendorf's Meinung, 
daß vor dem Gefeg feine Handlung gut oder böfe fen, ſammt Pufendorf's Bermi- 
{hung des Naturrehts mit der Ethik angenommen bat, hat bei ihm eine ſchwankende 
Stellung. 

Wolff's Philoſophie ift neuerdings fehr herabgefegt worden. Wichelet redet von 
der Bornirtheit des Wolffihen Räfonnemente. Seinem Zeitalter war er der Phi 
loſoph. Kant nannte ihn den größten unter den dogmatifchen Philofophen. Wllerbings, 
Wolff ift der Philofoph des gewöhnlichen Mienfchenverflandes. Indem er aud; dos 
©ewöhnlichfie, wie da® Pudern der Haare, in den Bereich feiner philofophifchen Arbeit 
zieht, wird er trivial, und indem er andy das Belanntefte in die Form von Defiui- 
tionen, Aromen und Theoremen legt, wird er pedantifh und abgefhmedt. Uber a 
bat, zuerft deutſch philofophirend, Deutfchland eine eigene Philofophie gegeben, ex hat 
zuerft verfucht, die gefammte Wirklichkeit in das denfende Bewußtſeyn aufzunehmen wad, 
wie Hegel fagt, den Gedanken in der fyorm des Gedankens zum allgemeinen Eigentkum 
zu moden; feine Philofophie hat für Deutfchland den franzöfiichen Materinlisurm® ver- 
bhütet und der englifchen fyreidenferei, fo behauptet Wolff ſelbſt, einen feflen Damm 
entgegengeftelt. Daher ſahen Viele in der Verbreitung diefer Philofophie eine Ge 


) Bernünftige Gedanken von Gott, Welt und Seele. Bte Aufl. Halle 1726. &. 638, 


Wolf, Chrikien 588 


wifienspflicht. Im allen Wiffenfchaften flanden Wolffioner auf. Es ging eine Sucht 
durch jenes Zeitalter, Alles nach fcientivifcher Methode zuzurichten und bie klarſten 
Dinge noch klater zu machen (praritus definiendi). Man heilte, dichtete, predigte, la⸗ 
techiſitte Wolffiſch. Es erfchienen hebräifche Grammatilen und Accentlehren nach mas 
thematiſcher Methode. Auf der Kanzel wurde der Say vom zureichenden Grunde er⸗ 
lautert. Raum lann eine andere Philoſophie einer ſolchen Menge Anhänger ſich rühmen. 
Richt allein durch ganz Europa, bis nach Batavia und Neuholland hin, wie Gottſched 
rähmte, landen Wolffianer auf. Wolff's Metaphufit galt ihnen als das beſte Bad, 
nad; der Bibel, die ganze Literatur des Beitalterd wurde eingetheilt in Wolfffche und 
in Nichtwolfffche, ganze Bereine (die Wlethophilen in Berlin) gaben fih das Wort 
darauf, nichts für wahr zu halten ohne hinreichenden Grund. 

Der Beifall, den die Wolff’iche Philofophie erhielt, hat andy eine weit verzweigte 
Oppofition wach gerufen. Bis zum Jahre 1740 waren über 70 litexarifche Gegner 
aufgetreten. Noch 1789 wird in Wittenberg nachgefragt, ob ein Candidat, der Wolff's 
Säriften fiudire, nicht vom Predigtamte auszuſchließen fey. “Der Gegenſatz ber prote⸗ 
Rantifchen Theologie gegen Wolff war nicht bloß ein perjönlic, bedingter, fondern ein 
ſachlich nothwendiger. Der Pietiomus in feiner Gefühlemäßigkeit und bei feinem 
öngflich beichräntten Beifte mußte feinen natürlichen Feind eriennen in der nüchternen 
Mathematit diefer Bhilofophie, wie U. H. Frauke es ausfprady: er konne keinen zu 
einem Chriften machen, ber den Euolidem findire. Darin find beide verwandt, daß 
beide eine Befreiung der Subjeltivität find, aber der Pietiemus hatte nur das religidfe, 
nicht das rationale Subjekt frei machen wollen und reagirte, darauf befdwänlt, gegen 
einen weiteren Fortſchritt, durch den er felbft bedroht war. „Das von Wolff angezün⸗ 
deie philoſophiſche Licht flörte diefe Männer im dem Schatten der muftifchen Dunkel⸗ 
heit« Im Halle, dem Sige des Pietismus und der Schurtöflätte der Wolff’jchen Phi⸗ 
Iffophie, trafen beide am heftigflen aufeinander. SBtudiosi theologiae, Magten die Halle» 
(hen Theologen, vorher gottergebenen Gemüthe, feyen durch die leotiones Wolffisnas 
ganz aus der Art gefchlagen und Berächter aller guten Ordnung, auch Gottes ımd 
jeineg Wortes, getworden, hätten einen Ekel an Lefung geiftreicher Bücher bezeuget, in⸗ 
fonderheit gegen Arndr’s wahres Chriftenthum, daß einige davon auch wohl in specie 
nefagt, daB 4te Buch halte nur eine Bauernphilofophte in ſich. Wolff fugillive bei 
aller Gelegenheit die theologon, infonderheit wenn er etwas recht veräcdtlic machen 
ode, jo nenne er's ein argumentum theologicum s. homiletioum. Ben Kampf gegen 
ihn führte das Schwert der Pietiften, Joachim Range (f. d. Urt.), ein grammati⸗ 
tolifher und armfeliger Philosophus, vor deffen feindfeliger Andacht Wolff aus Halle 
weichen mußte. Wolff hat von ihm gefagt: auch Bott müßte feinen Proceß verlieren, 
ven er Hrn. D. Lange zum Advolaten hätte. Wolfe Rede über die Moral der 
Ehinefen hatte Lange fo verfianden, als ob Moralität mit Wtheisums befichen tönne, 
wozu jener bie Anmerkung macht: „Gewiß der famdfe Atheiſt Spinoza ift ein viel ehr- 
licherer Daum geweſen ala Hr. D. Lange, und es fehlt demfelben noch gar viel, ehe er 
ſich mit dem Confucio vergleichen kann, ob der gleich nichts als bie ſchlechten Funken 
eines natürlichen Lichte gehabt.« Mit Lange flimmten. feine Eollegen Breithaupt 
ud Franke (f. d. Urtt.), der die Vertreibung des Philofophen als die Erhbrung 
feines Gebetes pries. Der Eclecticismns des Thomafins konnte ſich nicht im diefen 
Confucianer fchiden, weicher die Philofophie nach mathematifchen Grillen reformiren 
wolle, fie aber in der That rechtfchaffen verhunze. Bon Lange angeſtachelt und mit 
feinen Waffen Magte Buddens (f. d. Art.) gegen die nene Philofophie auf Atheis- 
mus, auf Umſturz aller Religion und Moralität. Wolff erhob fidy ganz handfeft gegen 
Hen. D. Budden, als einen einfältigen Schall und Narrenphilofophen, und gegen die 
Mißgeburten des verrüdten Buddeanifchen Gehirnes. Als nun für Buddens fein 
Schwiegerfohn Joh. Georg Wald; (f. d. Art.), aber anonym, in die Schranfen trat, 
derſuchte Wolff den Beweis, daß Bnddeus diejenigen Meinungen, welche ex bei ihm 


524 Wolff, Ehriftian 


gefährlich finde, ſelbſt hege, und entfchuldigte die Heftigkeit feiner Polemik damit, def 
er D. Budden nicht al8 einen Contravertenten, fondern als Verfolger, Ketzermacher und 
unbefugten Richter traltirt habe, der ihn um feine Ehre umd zeitliche Süd habe brin 
nen wollen. Noch andere Streitfchriften folgten, bis Wolff die Controverſe wit bem 
Worten abſchloß: „Gott befehre die Läfterer, er vergebe es denen, die nicht wiſſen, 
wos fie thun, und beffere die Andern, die mit Vorſatz das Gute hindern. Der & 
tanthropie ward in Jena eine Zeit lang Einhalt gethan, die Studenten aber wollten der 
Hydra philomoriae Wolffianae nit entfagen. In Gießen freute fih Rambach (f. 
d. Urt.), als ein Wolffianer Zweifel gegen Wolff’s Logik und Metaphufit verdffent- 
lichte, daß diefes philofophifche Reich gegen feine eigenen Eingewveide wäthe Im Zi 
bingen urtheilte die theologifhe Fakultät (Pfaff und Weismann), daß in alle Wege bie 
Einführung diefer neuen Philofophie auf Univerfitäten mehr Schaden als Nuten bringe, 
weil da6 Studium philosophise ſolcher Geftalt immer bdiffictler gemacht werde. Ya 
Gottingen wunſchte Mosheim (f. d. Art), der bisherigen Spiegelfechtereien müde, 
daß Wolff einen Widerfacher befüme, der ihn aus dem Grund angreife. Die Orte 
dorie mochte fi, fchon ans Abneigung gegen den Pietismus und aus wahlverwandter 
Berfländigleit, mit dieſer fchematifchen Philofophie eher befreunden, aber Weiterblickenden 
war es auch hier nicht verborgen, daß die Wolff’fche Philofophie, angeblich eine Gtäge 
der Orthodoxie, deven endlichen Ruin in fich fchliege. Hatte doch Wolff ſelbſt den 
Grundſatz aufgeftellt: „ad rationem tanquam ad Lydium lapidem omnia debere 
examinari”, und fein Schüler H. Köhler in Jena es ausgefprodhen: „Die dyriffide 
Religion kann den zwei Haupttwahrheiten des Lichts der Natur, nämlid; dem prinei- 
pium contradictionis und rationis sufficientis, nicht zuwider feyn.“ Die Religion 
geheimniſſe der Vernunft preisgeben, hieß fie vernichten. Den orthoboren Gegenfag 
vertrat Loͤſcher (f. d. Art). Diefer unermüdliche Kämpfer gegen das von England 
und Frankreich her in Deutfchland eindringende Aergerniß hat, gegen Wolff loszuſchla⸗ 
gen, zehn Jahre lang gezdgert. Die methodifche Gefchlofienheit feiner Philofopkie hatte 
für ihn etwas Imponirendes. Erſt im Jahre 1735 ruft ex der philoſophiſchen Jugend 
ein: quo ruitis? zu. Kin neuer Sturm komme durch die Philofophie über die Kirche, 
und ein gefährlicherer, als die früheren. Die cartefiihe Philofophie habe zuerſt die 
Menſchen lüftern und zweifelfüctig gemaht. Mit der zunehmenden Berbreitung ber 
Lehre vom Stillſtand der Sonne habe die Achtung vor der heil. Schrift abgemommen. 
Die Berfiherung der neuen Bhilofophie, fie wolle die geoffenbarte Wahrheit verthei⸗ 
digen, fchließt die Unterwerfung diefer Wahrheit ein. Die geoffenbarte Religion kam 
ohne Geheimniſſe nicht beftehen; der Wolffianisums will die Geheimniffe mathematifc 
demonfiriren. Dan fchnappt, wie der äfopifhe Hund, nad) dem Schatten umd läßt 
das Fleiſch fahren. Sein Determinismus zerflört Freiheit und Freudigkeit des Geben 
Ferro resecandum est hoc malum. ine fpätere Zeit wird das Schwert gegen die 
Religiofität wenden, die Raifonneurd werden die Xeligion mit Füßen treten. O we 
grauet mir dor diefen heranrüdenden bdfen Zeiten! Quo ruimus? Mit den Theologen 
raſten die Freigeiſte Dippel und Edelmann (f. d. Ürtt.) gegem Die einreißende 
Zufanthropie, jener, wie man fagte, um eigener Sicherung willen (se seourum non far 
in Germania, nisi Wolffium roderet). — Dem Wolff’fchen Syſtem, als einer Yufam- 
menſetzung aus materialiftifchen und idealiftifchen Philofophemen, wurden von Ponge 
nachfolgende Grundirrthümer beigemeflen: 1) die Lehre von der präftabiliten Harmonk, 
welche den Menfchen nad) Leib und Seele zu einer geboppelten Mafchine mache, zu 
einem doppelten Rädlein in der großen Weltuhr, hebe Freiheit und moralifche VBeram- 
wortlichkeit auf. Wolff erklärte die harmonia praestabilita für eine feine Gufteme 
unmejentliche Hypotheſe, die er als die wahrfcheinlichere dem Systema influxus physki 
des Ariftotele6 und dem Systema causarum occasionalium 8. assistentiae der (st. 
tefioner nur zur Erklärung des commercium corporis et animae borgezogen habe. 
Da diefe HHpothefe nur die Gemeinfchaft des Leibes und der Seele extlären will, aber 


Belf, Chrinian 536 


gar nichts mit dem Urfprung der Willensalte in der Seele zu thım hat, fo iſt es um. 
gereimt, bier die Frage mach der Willensfreiheit einzumifhen. Dagegen gründe ſich 
Range'8 Moral anf bloßen Zivang. Durch Zwang fucht er die Studiosos Theoologiae 
in Blindheit und in feinen Leltionen applausum zu erhalten, den er durch Ertheilung 
dee testimonioram nnd beneficiorum ausübe. 2) Die faliche Beichreibung Gottes 
als Substantia, quao universa possibilie unico actu distinote sibi repraesentat, wo- 
nach Bott als ein Weſen ericheine, das fich Ideen von der Welt macht, fonft aber 
nichts weiter mit ihe zu thun hat, ein Bott, den andy ein Atheiſt bei feiner Atheiſterei 
moehen Dune. Wolff entgegnet: mit bdiefer Definition werde die Schöpfung biefer 
Belt durch Bott nicht etwa gelängnet, fondern begründet und ermöglicht, da in Gott 
der Grund zur Eriſtenz gerade diefer Welt gar nicht zu finden wäre, wem er nicht 
alle möglichen Welten auf einmal überfehen und die gegenwärtige ala die befle er⸗ 
lamt hätte. Uebrigens gehöre eine fchlechte Definitiou vor das Forum der Logik, nicht 
der Imguifition. Aber D. Lange pflege feine Worte anzuführen, wie der Teufel die Schrift. 
3) Daß Wolff die Welt den Atheis zn nicht geringem Frohlocken für ewig erkläre. 
Diefer hatte nur gefagt, es fey ex principiis rationis fchwer zn demonſtriren, auch 
Sfientlich noch von Riemand eriviefen worden, daß, bie Exiſtenz Gottes einmal nicht 
boraußgefeßt, die Welt einen Anfang genommen habe und daraus wider die Atheiflen 
ein Argument für die Exriftenz Gottes zu machen. 4) Beftreitung der grünplichfien und 
ſolideſten Argumente, fo bisher zum Beweis der Exiſtenz Gottes gebraucht worden. 
Wolff exflärte das für offenbare Berläumdung, er habe nur den Beweis ans der Zu⸗ 
fälligfeit der Welt als den tüchtigſten, als eigentliche demonstratio, allen übrigen ratio- 
nes probabiles vorgezogen. Soweit aber fey felbfi die fpanifche Imauifition nicht ge- 
gangen, daß fie Jemanden verfeßern wollen wegen des Mobns bei einer Beweisführung. 
Ws Lange das Wolff’jche Argument obſenr nnd verwidelt nannte, entgepnete Wolff: 
des Gegners Manier zu demonſtriren, gefalle ihn audı nicht. 5) Die Behauptung, 
daß nicht die Atheiſterei felbft, nur ihr Mißbrauch, zu einem böfen Leben verlelte. 
Bolfj hatte damit nur fagen wollen, daß feibft ein Atheifl, wenn er gleich wicht zugeben 
wil, daß ein Gott fey, doch wegen der intrinseca honestas aotionum nit wie ein 
Schwein leben und alle Ungerechtigkeit ausüben dürfe (f. 3. Zange, ansführlide Re» 
cenſion der wider die Wolff'ſche Metaphyſik auf 9 Univerfitäten edirten Gchriften. 
Halle 1725). Wolff's Gegnern kam eine literarifhe Erſcheinung bequem, in welcher 
die argen Früchte feiner PBhilofophie unmittelbar zu Tage traten. Dies war das im 
ganzen römifchen Reich verfchrieene und mit veichefistalifcher Aktion bedachte Werthei- 
mer Bibelwert*). Wolff und die Wolffianer haben, durch das allgemeine Ketzer⸗ 
geſchrei erſchreckt, diefe nene WBibelverfion ſchwächlich verlängnet oder doch nur als eine 
wurwflichige Frucht ihrer Bhilofophie gelten Lafien. 

Wolff hatte einen mirus inter suns demonstrationes et dogmata scripturae na- 
erae consensus behauptet, er hatte auf dem augenfcheinlichen Nuten einer feinen demon- 
Rrativifchen Verknüpfung der geoffenbarten Wahrheiten hingewieſen. Man würde die 
Theologie in ihrem Zufanmenhange bentlicher als voll göttlicher Weisheit einfehen und 
dadurch nicht allein für fic vieles Vergnügen daran finden, foudern and Anderen die 
Augen eröffnen, die, duch Borurtheile verbiendet, deren Göttlichleit nicht erkennen 
wollen. Manche vermochten num diefe fchöne Harmonie von Bernumft und Offenbarung 
wicht einzufehen. Wie man früher von der heil. Schrift ein copernixare umd carte- 
Sianizare ansgefagt habe, fo jeht ein leibnizianisare.e Dan trug Bedenken, die ortho« 
dore Dogmatik anf ein ihr inadäguates Fundament zu ſtellen. Uber andererfeits fah 
diefe Theologie ihren Untergang durch dem hereinbrechenden Naturalismus dor Augen, 
wenn fie den Rettungsanker diefer wahrheits⸗ und fiegeögewifien Philofophie verfchmähte. 

)I NR. Sinnhold, Hif. der verrufenen fogen. Wertheim. Bibel. Erf. 1789. Diefe 


Sammelſchrift beſteht aber nicht aus 8 Heften mit 217 Seiten, wie E. Reuß in biefer Ency- 
Nopidie Bh. XVIL ©. 718 meldet, fondern aus 5 Heften mit 851 Geiten. 


526 Wolf, Chriſtian 


Mit dem Einzug der demonſtrativiſchen Methode ging ein nenes Leben, ein ſriſcher 
Muth duch die Theologie. Furchtlos ſah man dem Naturalismns in's Auge, umd nie, 
fo hieß es, jenen die Häretifer beſſer eingetrieben worden, als durch die Wolffichen 
Orundfäge. Die heilige Schrift, als Duelle des bogmatifchen Beweiſes, und bie 
Schriftauslegung traten in den Hintergrund, die philofophifhe Argumentation an ihre 
Stelle. Denn ohne die Grundwahrheiten der Vernunft könnten die Wahrheiten der 
heil. Schrift nicht einmal ala Wahrheiten erkannt werden. Die Studirenden wollten 
nicht mehr lac ignorantiae bei den Profefloren der Theologie einfangen und Theolo- 
gica tractiren ante Philosophica. Die offenbarten Dogmen wurden allefammt bei- 
behalten, aber auf das Stativ der Wolffichen Philofophie geftellt, d. h. mit wahrfden- 
lihen Vernunftgründen zu erhärten gefucht. Der eigentliche Tummelplatz für die Maſſe 
war die Theologia naturalis und in diefer die Beweiſe für das Daſeyn Gottes. WBalfi 
hatte gejagt: „Gott hat die Welt gemacht, um darans fein unſichtbares Weſen, infor- 
derheit feine Weisheit, Macht und Güte zu erfennen, und daher wäre ed gut, wenn 
man fi in Erlenntniß der Natur hauptſächlich darauf legte, was zu diefem Awede 
diente.“ WUmeifenartig trugen feitdem die Paſtoren, ihren naturwifienfchaftlichen Lieb 
lingsarbeiten ein theologifche® Colorit verleihend, aus allen Naturreichen die Beweife 
für die Erifienz eines allmächtigen, allweifen und allgütigen Gottes zuſammen, als des 
zureihenden Grundes, warum die Dinge vielmehr find, als nicht find, und warum fie 
vielmehr fo und nicht anders find. Alle Theile des menfchlichen Körpers, alle möz- 
lichen Thiere, Pflanzen, Mineralien und Lufterfcheinungen wurden zum Beweiſe heran. 
gezogen. Es erfchienen Petino⸗, Ichthyo⸗, Akrido⸗, Teſtaceo⸗, Infelto-, Phnte-, 
Litho-, Hydro⸗, Pyro⸗, Aſtro⸗, Bronto⸗, Chiono-, Sismo:, Melitto » Theologieen, 
über Schnee und Regen, Berge und Steine, Schnaken und Mäufe wurden geiflide 
Betrachtungen und Lehrſchulen gefchrieben *), die Monftra und felbft die Dämonen zu 
Zeugen für Gottes Dafeyn aufgerufen. Diefe andächtige Naturbetrachtung flreifte nicht 
felten an das Komifche. Aber es gehört unter die Zeichen jener Zeit, daß proteſtan⸗ 
tifche Prediger, ftatt die ſymboliſchen Bücher zu lefen und mit allerlei Ketzern ſich her- 
nmzufchlagen, lieber den Spuren ded Emigen nachgingen in der Ereatur. Das bedes- 
tete den Verfall der offenbarten, den Sieg der natürlichen Religion. 

Unter den neuen philofophifhen Chriften, die einen Ekel vor dem Mana hatten, 
nahm eine bevorzugte Stellung der durch gute und böfe Gerüchte gegangene Magiſter 
Jakob Carpov (F 1768) in Jena ein, der gern die ganze Welt zu Wolffiazers 
gemacht hätte und dem Wolff felbft bezeugte, ex verftehe feine Philofopbie wohl, ſe 
nur in Methodo nicht genug geübt, weil er feine Mathematit fiudirt habe. Er war 
der Erfie, welcher ein Syſtem der ganzen Theologie in algebraifhem und mathemat⸗ 
fhem Gewande herausgab, womit er das Licht, fo die Menfchen zum ewigen Leben a- 
leuchten fol, gar geſchickt zu putzen vermeinte, daß es noch viel heller fcheine als bike. 
Die Orthodoren, weldye die große Diana der Wolffianer nicht anbeten wollten, fregem 
zweifelnd, ob man nicht unvermerkt durch diefe Lehrart von der Einfalt und Lauterfeit 
des göttlichen Wortes ablomme und zum Philofophiren in göttlichen Dingen angeinötst 
werde. Weil er daneben die Untrüglichkeit der heil. Schrift behauptete und überheapt 
feinen Finger breit vom alten Lehrbegriff abwid, urtheilten fixengere Wolffianer: er 
ſchmeichle den Orthodoxen allzu flar. Er hat allerdings nur einen untergeorbneten 
Bernunftgebraucd, ftatuirt. Das Myſterium ift ihm eine veritas supra rationem. Die 
Bernunft nad) ihrem organischen Gebrauch dient zur gefchidten Ableitung der Ryfteruen 
ans der Schrift, nach ihrem materiellen, um die vermittelnden Gedanlen auszubrüde. 
Die geinnde Vernunft ift daher nicht Richterin Über die veritas mysteriorum, wel 
aber über bie falsitas. Quod repugnans est, verum mysterium ess6 nequit. Faryer 
mınfte ob iniquam Facultatis theologicae Jenensis inseotationem und weil er ci: 


*, Die betreffende Literatur ift sufgefährt bei 3. &. Wald, Biblioth. theolog. I, 697 22? 
in Zeller's Theolog. Jahrbb. 1848, ©. 3 


Wolf, Thrifien 537 


berüchtigte Weibsperfon, von den Studenten M. Carpob's Ontologie genannt, als Haus⸗ 
hälterin zu fich genommen hatte, aus Jena entweichen, aber der Herzog Ernſt Auguſt 
berlich ihm das Rektorat am Gymnasium illustre in Weimar und ein gebrudtes Di- 
plon, mit der fyreiheit, nach akademiſchem Gebrauch in Weimar Collegia zu halten ®). 
Neben ihm war der Magister legens in Jena, Joachim Georg Darjes (+ 1791) eim 
fo eingefleifchter Wolffianer, daß er Yeden, welcher ihm etiva6 wider die Wolffifchen 
Lehrſätze fogte, für feinen Feind und für einen Menſchen von blodem Berflande hielt. 
Ueber einen philofophifchen Tractat vom ihm (Traotatus philos. in quo pluralitas per- 
sonarum in deitate, qua omnes coonditiones, ex solis rationis principiis methodo 
mathematicorum demonstratur. Leovardiae 1735), worin Behauptungen der Art auf⸗ 
getelt werden, daß trinitas in se gar fein Myſterium feh, die actiones Dei ad intra 
gehörten theil8 in die theologia naturalis, theils im die Pſychologie, die drei Perſonen, 
es wären aber auch vier und mehr möglich, ſeyen brei essentiae relativae, wie ber 
Menſch deren zwei, Berfland und Willen, habe, erhob fid ein großer Lärm. Die 
tbeologifche Falnität in Jena fand darin 22 Irrthumer, weiche Darjes, deu fein Rehrer 
Karpovp bei biefer Arbeit nicht unterflügt haben wollte, als AdeAvyuara puriori doo- 
trinse adversa abfhwören mnfte. (Facultatis theologiese Jenensis theses ortho- 
doxse, erroribus tractatus philosophiei, in quo pluralitas personarum in Deitate, 
gua omnes conditiones ex solis rationis principiis methodo mathematicorum de- 
monstrata, oppositae, ab auctore dicti tract. iam ante privatim subscriptae; iam 
vero ad tollendum, quod publice datum fuit, soandalum ab eodem editae. Jen. 
1735.) GSpäterhin hat Darjes, übergehend aus dem Wolffianismns in die PBopular- 
philofophie, unter den Schmähungen einer gefchäftigen Eiferſucht, das Streben nad) 
Gluckſeligkeit als das Ziel der Weltweisheit bezeichnet und als ihre Pflicht, dfters an 
Bott zu denken, welcher die Quelle der wahrhaften und zugleich fortdauernden Glüd- 
feligfeit if} *%). Dex eigentliche Repräfentant einer Coalition der Theologie eines gemä- 
Bigten Wolffianiemus in Iena war Johaun Peter Renfh (+ 1758), ein Oottes⸗ 
gelehrter, vor dem der Naturaliſt flüchtig ward, der Freigeiſt zitterte, der Aberglaube 
die Waffen firedte. Er hat Baier’3 Eompendium mit einer Brühe Wolff'ſcher Demon- 
ſtrationen übergofien. Sein eigenes bdogmatifches Syſtem, von den Zeitgenofien als 
eine Bormauer der chriftlichen Religion gepriefen, ift begründet anf das Princip ber 
Olüdfeligkeit, welche, nm wahr und dauernd zu feyn, die Religion poflulirt. Die na» 
täxlihe Religion, weil fie Ein Requiſit zur Glüdfeligleit, die Berfühnung des Men⸗ 
ſchen mit Gott, nicht gewährt, leitet zur religio revelata. Unter allen offenbarten Re⸗ 
ligionen befigt allein die chriftliche die volle Sufficienz zur Glückſeligkeit. Sein Ber 
haltniß zu den geoffenbarten Wahrheiten beſtimmt er, wie Earpov, negativ: non re- 
pugnare queunt ea, quae in revelatione prostant, sibi ipsis aut aliis veritatibus, 
quas naturaliter oognoscimus. Demgemäß und gegenüber den fsreidenfern und Neli- 
gionsſpottern macht er überall die rationelle Begreiflichteit der chriftlihen Dogmen gel⸗ 
tend. Bom Mufterium der Trinität im Beſonderen meint er: intelligi et concipi 
potest aliquatenus, nom item oomprehendi. (Er hat daffelbe piuchologifh nad dem 
menfchlihen Willens- und Vorftellungsvermögen zu erläutern geſucht. Wie dieſes drei 
Grade hat, deren erfter alle Möglichkeiten in ſich faßt, dee zweite diefe Möglichkeiten in 


%, Earpon’s Gauptwerl: Revelatum 88. Trinitatis mysterium, methodo demonstrativa 
propositum et ab obiectionibus variis vindicatum. Jen.1785; Biographieen in Mofer’s Beitr. 
in einem Lerico der jetztlebenden Theologen S. 140142; und in Strobtmann’e N. gel. 
Europa, Th. 2. ©. 48-580. — 3. S. ©. Schwabe, Commentarii’de Schola Vinariensi. 
Vinar. 1816, p. 31. | ’ 

° 8. MR. Hauſen, Darjes als akademiſcher Lehrer geſchildert. Frkf. 1791. — Herrmann, 
Gebähtnigrebe von den vornehmſten Lebensumfländen bes geb. Rathes Darjes. Frkf. 1791. — 
Schlichtegroll's Nekrolog auf das Jahr 1792. Bo. 2. ©. 279-810. — Dentwilrpigleiten 
ans dem Leben ausgezeichneter Teutſchen des 18, Jahrhunderte, S. 317—8L0, 


528 Wolff, Chriſtian 


beftimmter Ordnung, während der dritte Grad eine Möglichkeit ale die befte wählt, fo 
find drei folche Alte auch im göttlihen Weſen, bier aber fimultan und fubftantiell*). 
Reuſch berief ſich, als auf feinen Vorgänger, auf Israel Gottlieb Canz (11753), Pro- 
fefior und Ephorus am Stift zu Tübingen, der, indem er die Wolff'ſche Philoſophie 
widerlegen wollte, zum Wolffianer wurde. Sein Werk: Philosophise Leibnitianae et 
Wolffianse usus in Theologia (1728), in Zübingen verboten, bahnte zuerſt der Wolff. 
ſchen Philofophte den Weg in die Theologie, alfo daß fie aud in Tübingen Schutz 
fand. Die von Gott vermittelt der Vernunft vorgelegte Wahrheit der unmittelbar 
offenbarten Lehre unterordnen, nehme fich, meint er, gerade fo aus, ald wollte Jemand 
das Wofler, welches wir mit unferem Fleiß and der Exde graben, einen Suedht des 
Regenwaſſers nennen, welches Gott, ohne unfer Zuthun, unmittelbar vom Himmel 
fallen läßt. Unfere tägliche Nahrung fol uns nicht geringer fcheinen, al® das unmmit- 
telbar vom Himmel gefallene Manna. Bon den Berfonen in der Zrinität hat er die 
erfte als die ratio von Allem, die zweite als Herſteller der geflörten Weltharmonie, die 
dritte als die das Gute aktuell ertheilende Liebe befchrieben. Dabei neigte er fo wenig 
zu Neuerungen, daß er dor Gottes Angeſicht bezeugte, er wolle das nicht gefchrieben 
haben, was in feinen Büchern der heil. Schrift und den Glaubensbüchern der edange⸗ 
Lifchen Kirche zuwider ſey **). Neben ihm fand in Tübingen der vielgerähmte Georg 
Bernhard Bilfinger (7 1750), fünf Jahre lang vom Herzog zu Würtemberg der 
Petersburger Alademie geliehen, nach feiner Rückkehr zum Profeflor der Theologie er 
nannt. Seine philofophifchen freunde nannten ihn das Vergnügen der Gelehrten, einen 
der gefundeften Nachfolger Wolffii; Spangenberg, der Herrnhuter, pries ihn als red ˖ 
Iihen Dann, der viel mehr Realität habe, als mandye feiner Tadler; Weisuaun fchägte 
fein Zalent und beflagte feine Philofophie ***). Durd Georg Henrik Ribor 
(+ 1774), einen Mann von gravitätifch - fcholaftiichem Anfehen, hat die fchmwälftige Be 
griffmacherei die Odttinger Kanzel eingenommen. Seine philofophifchen Predigten waren 
gründlich aber troden und wegen des pilöglichen Weberganges ohne Abfeg von einem 
Periodus in den andern unangenehm zu hören. ALS Profefior der Philofophie hat er, 
ſeitdem er zu lefen angefangen, die Göttinger Theologen ganz aus dem Sattel geivor- 
fen, diefe hingegen fpannten den Bogen und wollten mit Herrn D. Langen fi ver 
einigen, diefen gottlofen Ketzer unter die Füße zu bringen, worüber er bei feinem Göme 
Mosheim in recht Käglichen Figuren klagte. Er war aber ein bedächtiger Wolfftaner, 
der den Beweis führte, daß die geoffenbarte Religion nicht könne aus der Vernunft er- 
wiefen werden. Daher Wolff feinem Zeugniß, daß Herr Ribom in feiner Philoſophie 
wohl verfiret fey, den Anhang beifügte: „allein ex agiret nun einen Theologum um 
Prediger“ 7). Auch Iohann Ernft Schubert (71774) in Jena, Helmflädt und Greift- 
wald, diente unter Wolff’s Fahne, aber fo, daß die fpecififhen Sätze der Wolff ſche 
Philofophie bei ihm weniger hervortreten und ihm philofophifche Definitionen für die 
Kanzel unangemefien erfcheinen. Er hat über mancherlei Dogmen vernunft» und fcrift- 
mäßige Gedanken herausgegeben und war durch feine vierbändige Polemik vortheilheit 
befannt. Er getraute ſich die Ewigkeit der Höllenftrafen aus des Vernunft zw ertveifen, 


*) Reuſch's Hauptwerk: Introductio in Theologiam revelatam, qua dogmatum Christina 
religionis concordia cum veritatibus naturaliter cognitis in luce ponuntur. Jen. 1744. tr Url 
1762, Bol. C. G. Müller, Einladung zu ber feierlichen Gebächtnißrebe zum Andenkes as 
Hrn. 3. P. Reuſch. Jena 1758, 

”) Mofer, Beitr. zu einem Lerico der Theologen, S. 138—140. — BB, Geſch. d. Us 
verfität Tübingen, S. 169—171. 

”.) W. ©. Tafinger, Leichenrede über den hochbetraurenden Todesfall bes großen Fir 
Tofopben, gründlichen Theologen und vortrefilihen Staatsminifter ©. B. Bilfinger’s. Stuttg 
1750. Erlang. gel. Zeitung, Jahrg. 1750. Beitr. S. 701704. 

F) Mofer a a. O. S. 880-883, — Strodtmann, Gecſchichte jetztlebender Gelehrte 
a —S — Bitter, Gelehrtengeſch. der Univerſ. zu Göttingen. Th. 1. & 7 1 

b.2. S. 27. 


Wolf, Chrikien 539 


dem nur fo erhelle die Nothmendigkeit eines Mittlers, und befchrieb die Kraft des 
göttlichen Wortes als eine moralifche, wofür ihn der Danziger Rektor Bertling einen 
Pajoniſten nannte. Schubert antwortete mit dem Vorwurfe des Rathmannianismus. 
Auh er hat ſich bitter Über Lange befhwert, der ans Müden Elephanten mache, die 
Schärfe der Bemeife durh Schimpf- und Schmähreden erfege *). Als ein Haupt⸗ 
wolffianer, obwohl anfangs dem Wolff'ſchen Syfleme fremd und auch fpäterhin nie ein 
Anhänger von der ſtrikten Obfervanz, galt der hochangeſehene und hochgeachtete Theo⸗ 
logus Johann Guſtav Reinbed (41741), Probſt zu Colln an der Spree. Im feinen 
aus Montagepredigten entflandenen „Betrachtungen über die in der Augsburgifchen Con⸗ 
feffion enthaltenen göttlichen Wahrheiten" (9 Theile. Berlin 1731 ff.; vom 5. heile 
on bearbeitet von @anz) wollte ex den heutigen Raiſonneurs gegenüber zeigen, wie viel 
göttliche Wahrheiten der heiligen Schrift aud aus vernünftigen Gründen hergeleitet 
werden fönnten. So fand er die Zrinität möglich, weil das höchſte Gut ſich gern mit⸗ 
tbeilt. Die befondere Lift und Klugheit der Paradiefesichlange war ihm nicht auf- 
fallend, da wir von unferen hiefigen Schlangen ebenfo wenig einen Schluß auf alle 
Schlangen machen dürfen, ald don einem dummen Bauernhunde auf jeglichen Hund. 
Diefed Chef d’oeuvre, welches zuerſt im Damme der Vorurtheile ein Meines Loch 
machte, auf Löniglichen Befehl für alle preußifchen Kirchen angefchafft, wurde gerühmt 
wegen feines kettengleihen Zufammenhangs und wegen der tieferen Einſchauung in die 
Abgründe der göttlichen Bolllommenheiten. „Warum“ — fragt begeiftert ein Wolffianer 
— „erblafjet die Lafterfeder unferer Gegner vor dem Geifte des großen Herrn Dr. Rein⸗ 
bedens, wenn ex ihnen die Nichtigkeit der Augsburgifchen Confeſſton mit den fehärfften 
Beweiſen vorleget?“ Dagegen hielt der ſächſiſche Oberhofprediger B. W. Marperger 
(f 1746) in einer anonymen Schrift ihm vor, daß feine Augen ummebelt wären von 
dem finflern Grunde der neueren Bhilofophie, und fen er darum in verfchiedene Grund- 
irrthümer verfallen. Die traurige Erfahrung habe gezeigt, daß, wenn man die reine 
Lehre des Wortes Gottes mit den Meinungen der menfchlichen beträglichen Weltweis- 
beit nur erſt vermiſchet nnd umlouter gemacht, es hernach überaus bald dahin komme, 
daß fie and) gar davon verdorben und vergiftet tworden if. Reinbed in feiner Abfer- 
tigung erwiderte: „Bei mir gilt nichts als die Wahrheit und begehre ich Yeinen Irr⸗ 
tum zu bertheidigen.“ Der Freigeiſt Edelmann urteilte: der Herr habe ihn mit einer 
doppelten fehr harten Plage heimgefucht, nämlid mit dem Wahnfinn ber Tutherifchen 
Orthodorie und mit den Mräftigen Irrthümern der Wolffianiſchen Philofophie, daher auf 
diefen armen Bruder Gef. 1, 5. paſſe **). Die Wolff'ſche Philofophie mit Pietismus 
und Orthodorie firebte zu verfühnen Siegmund Jalob Baumgarten in Hall (f. d. 
&rt.), feiner Zeit da Drafel der Theologen. Auch Johann Anton Trinius (71784), 
Boflor zu Braumroda und Walbed in der Grafſchaft Mansfeld, der befannte Berfafler 
des Freidenker⸗Lexikons (Leipz 1759), war Wolffianer, doch lein blinder Nachbeter diefes 
Beltweifen ***), Im die Reihe der Wolffioner gehört endlich Hermann Sam. Reima- 
a8 (f. d. Art), nachmals als Wolffenbüttler Fragmentift berüchtigt. Seine „Abhand⸗ 
langen von den vornehmften Wahrheiten der natürlichen Religion (Hamb. 1754. 5te 
Auflage 1781), entgegengefegt den wüften Dienfchen, welche nicht ſowohl das Chriften⸗ 
thum, al8 vielmehr alle natürliche Religion und Sittlichleit verlachen, konnten auch fteif- 
orthodore Theologen nicht genug anpreifen. Ex ſey fo weit von Edelmann's Gedichten 
entfernt, al® der Himmel don der Hölle. In der reformirten Kirche trat als Wolffianer 
hervor Johann Friedrich Stapfer (+ 1775), Profeſſor in Bern (f. d. Art.), bekannt 





*) J. G. P. Möller, Rebe beim Sarge bes Hru. Oberkirchenraths J. E. Schubert. Greifsw. 
1774, Aota hist. eceles. nostri temp. I, 967—99%. 

*®) Acta hist, eccles. VI, 85. — 1. F. Büſching in feinen Beiträgen, I, 189. — ©. v. 
Reinbeck, Leben I. ©. Reinbee, Stuttg. 1842. 

.s) zamer| u Dee. jeßtieb. Gottesgelehrten, S.383—3%0, — Dietmann, Kurſächſ. 
Prieerjchaft. Bp. 2 of. 

Heat + Eucpklopädie für —— und Kirche. Suppl. 111 7) 


530 Wolff, Chrifion 


als Dogmatiker, Moralift und Polemiler (Chriftliche Sittenlehre. 6 Theile. Zürich 1756 
—1766. Institutiones Theologiae polemicae universae, ordine soientifico dispositae. 
V Tomi. Turic. 1743—47). Der Peft des Deismus gegenüber hat ex, feſt äber- 
zeugt, daß weder Leibnitz noch Newton, weder Grotius nod Haller Deiften ſehn Inn 
ten, fehr viel auf die demonftrativifhe Methode (die in feiner Zeit ſchon anfing, außer 
Mode zu kommen) gehalten, nur müſſe fie wirklich in überzeugender Dentlichkeit und 
natürlicher Verknüpfung beftehen und mehr auf die einzelnen Stüde (wie er z. B. die 
Zrinitätslehre algebraifch erläutert hat), al8 auf das ganze Suflem der Gotteßgelakt- 
heit angeivendet werden. Uebrigens ift er ſchon fo weit vorgefcritten, daß er einen 
wefentlichen Glaubensunterfchied zwifchen den beiden proteftantifchen Confeffionen nidt 
mehr findet. Jeder fol Freiheit haben, ob er der Xehre von der allgemeinen oder von 
der befonderen Gnade Gottes beiftimmen will. ingehendere Aeußerungen fiber dieſes 
Lehrſtück hinderte die Eenfur der theologifchen Fakultäten zu Züri) und Ben. Danid*) 
Wyttenbach (+ 1779) in Bern und Marburg benugte die mathematifhe Wethobe, 
den Lehrbegriff "feiner Kirche ebenfo fehr gegen den Skepticismus zu vertheidigen als 
im Punkte von der Gnadenwahl zu mildern (Tentamen theologise dogmaticae me- 
thodo seientifica pertractatae. Vol. I—III. Bernae 1741—47)**. Au ihn ſchloß 
Samuel Endemann (T 1789) in Hanau und Marburg, das Dogma verdeutlichen 
und abfhwächend, ſich an (Institutiones theologiae dogmaticae. IITom. Hanov. 1777. 
Institutiones theologiae moralis. II Tom. ‚Francof. 1780)***). Heinrich Wilhelm 
Bernfan’s (f 1763 als Profeffor zu Franeder) Dogmatif begleitete Wolff felbft wit 
einer Vorrede (Theologia dogmatica, methodo scientifica pertractata. Cum praefa- 
tione Christiani Wolfii, universitatis Halensis Cancellarii. Hal. 1745. Sectio po- 
sterior de trinitate et decretis divinis. Lugd. Bat. 1747)}). Jatob +4) Chriſtoph 
Bed (7 1785) in Bafel, den der confeffionelle Hader anelelte, ftellte die wätärlihe 
Religion mit Nachdrud vor die offenbarte (Fundamenta theologiae naturalis et re- 
velatae. Basil. 1757. Synopsis institutionum universae theologise naturalis et 
revelatae. Basil.1765) r}f). Endlich ift unter den reformirten Wolfftanern noch ber 
hard Heinrich Daniel Stofch (} 1781), Trofeffor in Duisburg und Frankfurt an der 
Oder, befannt als Dogmatiler, zu nennen (Introductio in Theologiam dogmaticam. 
Francof. 1778. Institutiones Theologiae dogmaticae. Francof. 1779) 8). 
Literatur. B. Bauer, Geſchichte der Bolitit, Cultur und Aufllärung bed 
18. Yahrh. Charlottenb. 1843. I, 237. — 8. Biedermann, Deutfchland im 13. 
Jahrh. Leipz. 1858. II, 402. — Hettner, Titeraturgefh. des 18. Jahrh. 3 Thle 
Braunfhw. 1856—62. III, 212. — Erdmann, Geſch. der Philof. II, 2, 249. — 
Ritter, Gef. der Philoſ. XII, 515. — ©. ©. Ludoviei, Hiftorie der woll. 
Philofophie. 3 Thle. Leipz. 1737. — Derfelbe, Neuefle Merkwürdigkeiten der 
Leibn.-Wolf. Philofophie. Leipz. 1738. — Derfelbe, Sammlung und Auszüge der 
fänmtlichen Streitfchriften wegen der Wolf. Philof. 2 Thle. Leipz. 1737. — ©. 8. 
Hartmann, Hift. der Leibniz-Wolf'ſchen Philofophie. Frankf. u. Leipz. 1737. — 
Shrödh, Kirchengeſch. feit dee Reformation. VIII, 28. — Bland, Geſchichte der 
proteft. Theol. von der Soncordienformel bis in die Mitte des 18. Jahrh. ©. 253. — 


*) Nicht „David, wie Gaß, Geſch. ber proteft. Dogmatik, Bd. III. S. 278 feinen Ber- 
namen nennt, 
**) M. C. Curtius, Memoria Dan. Wyttenbachii. Marb. 1779. — Joh. Chr. Bang. 
Elogium D. Dan, Wyttenbachii, Prof. Tlıeol. nuper in Acad. Marburg. primarii. Bernse 1781. 
»*) Strieber, Grundlage zu einer Heſſiſchen Gelehrten und Schriftftellergefchichte, Br. 9. 
©. 342—346. Bd. 9. 371. 
r) Vriemoest, Athenae Frisiacae p. 859. Neues gelehrtes Europa. Th. 20. &. 866-871 
tr Nicht „Johann“, wie Gaß a. a. DO. fchreibt. 
trf) Herzogii Athen. Raur. p. 64—67. 
5) Neues gelehrtes Europa. Th. 9. S. 30—60. Lebensbefchreibungen jetztlebender Bottet- 
gelehrten in den Preuß, Landen. Samml. 2, S. 1-8. — Saxii Onomast. litter. VII, 139. 


Wort Gottes Würzburg 531 


Gap, Geld. d. prot. Dogmatil. ITI, 110. 160. — Tholud, Geſch. des Rationalis- 
und. Berlin 1865. I, 119. — ©. Frank, Geſchichte der proteft. Theologie, Bd. II. 
©. 384—410. G. Franl. 

Wort Gottes, Logos, f. Jeſus der Gottmeuſch. 

Würzburg. Geſchichte der Verbreitung des PBroteflantismus in 
diefer Stadt und gegenwärtiger Beſtand deffelben. — Die Geſchichte 
hievon läßt fich füglich im drei Perioden theilen: 1) Ausbreitung des Proteſtautismus 
m Würzburg bie zur Einmahme der Stadt durch die Schweden; 2) von da an bis 
zur Sälularifation des Bisthums im Jahre 1802; und 3) vom Jahre 1802 bis auf 
die neueſten Zeiten. 

Erſte Periode. — Die kirchlichen und politiſchen Bewegungen, welche im 
16. und 17. Jahrhundert unſer deutſches Vaterland in Aufregung brachten, mußten 
natürlich auch in einer Stadt wie Würzburg herportreten, die, in dem Herzen Deutſch⸗ 
lands gelegen, in fletem Verkehr mit anderen deutfchen Staaten ftand, die von jeher 
duch eine intelligente Bevdlferung fich auszeichnete und ihren Einwohnern die nach ben 
Zeitverhältniffen möglichen Bildungsmittel reichlich bot. 

Die vielen feit longer Zeit geführten Streitigkeiten der Würzburger Vürgerfchaft 
mit ihren VBifchdfen, welche daher zu ihrer Sicherheit ihre Reſidenz auf den Frauenberg 
verlegten, der zahlreiche Beſuch der glänzend ſich erhebenden Univerfität Wittenberg von 
Seiten lernbegieriger fränlifcher Yünglinge, der Ruf, der von Beflergefinnten auch in 
Virzburg nach einer Sirchenverbeflerung erfcholl, das theilweife ungeiftliche Leben der 
Beiflihen dienten zur Vorbereitung der evangelifchen Lehre in der Frankenſtadt. 

Mit Verehrung ſprachen die von Wittenberg heimlehrenden Studirenden von Quther 
und Melanchthon, fo daß felbft der nachmalige Biſchof Melchior von Hobel nad; feiner 
Zurädtunft von diefer Univerfität äußerte, er habe feine Theologie bei einem Mönche 
gehört, der die ganze Welt in Gährung bringen könne. 

Merkwürdig ift außerdem, daß viele Beforderer der Reformation, wie Ullrich von 
Hutten, Andreas VBodenflein, nad feinem Geburtsorte „Karlfladt« genannt, Martin 
Pollich, Johann Drad n. A. alle aus dem Würgburgifchen flammten, ja felbft die 
Mutter Luther's, eine geborene Lindemann, ward in Neufladt a./S. geboren. 

Im Jahre 1518 kam Luther auf einer Reife mit feinem Prior Staupig zn einer 
Ordensverfammlung nach Heidelberg in Würzburg an und hatte eine längere Unter- 
redung mit dem Bifchof Lorenz von Bibra, einen ehrlichen, frommen Manne, der Lu⸗ 
then auf's Freundfchaftlichfte aufnahm. 

Die Berhandlung Luther's mit ihm bezog ſich befonders anf die Sittenverbeflerung 
des Klerus und Boltes und auf mehrfache Aenderungen im Cultus, denn Luther dachte 
damal® nicht daran, mit der römifch-»Latholifchen Kirche ganz zu brechen, fondern hielt 
noch eine Reformation vom oben durch den Pabſt und ein allgemeines Concil für möglich. 

Wie fehr Lorenz von Bibra Luthern hochſchätzte, ſehen wir aus einem Briefe an 
den Rurfürften von Sachſen, worin er äußert, „Eure Liebden wolle ja den frommen 
Mann Dr. Martinns nicht wegziehen laffen, denn es gefchehe ihm Unrecht.” Die freiere 
Anfiht dieſes Biſchofs erhellt aus feinen Heußerungen gegen manden Vater: „Sieb 
Deine Tochter einem Manne und fhide fie in kein Kloſter; — fehlt Dir's an Geld, 
fie auszuftenern, fo will ich es Die geben.“ 

Nach den befannten Vorgängen in Wittenberg verbreiteten ſich die veformatorifchen 
Orundfäge and in Würzburg; freilich wurde die evangelifche Lehre von Manchen zum 
Dedmantel der Bosheit gebraucht und evangelifche Freiheit artete im Zugelloſigkeit be- 
ſonders auch bei einzelnen Geiſtlichen aus. Daher fah ſich Biſchof Konrad IIL im 
Jahre 1521 veranlaft, eine ernftliche Verordnung an feine Geiftlichkeit zu erlaffen, ihre 
Sitten ımd ihren Wandel zu erneuern. Die Beſſeren unter ihnen verehelichten fid 
formlich, während die Mehrzahl einem ausjchweifenden Lebenswandel fich hingab. — 
Konrad trat mit aller Strenge gegen die VBerehelichten auf. So wurden bie zwei Chor⸗ 

51 ® 








632 Würzburg 


herren Friedrich Fifher und Doktor Appel, ba fie ihre Weiber anf Zureden ve & 
fchof® nicht entlaffen wollten, gefangen genommen. Obgleich das Reicjögeriät fd * 
fie beim Bifchof verwandte, wurden fie erft am 27. Sept. 1523 ans der Of 
ſchaft entlaffen, doc, ihrer Pfründen für verluftig erfürt und zur Unstivantenn; > 
zwungen. — Befonders ſprach für die Priefterehe der Domherr Fucht ef ui 
im Domcapitel und dann fchriftlich in einem Briefe von Bamberg and, wohin a k 
begeben hatte. Diefer wichtige Brief erlebte bald vier Auflagen. 

Zu derfelben Zeit predigte in Würzburg das Evangelium der belannte erasgis 
Liederdichter Speratus (als Domprediger geftorben im 9. 1554) und widmete 1524 ' 
MWürzburgern das von ihm in's Deutfche überſetzte Buch Luther's: „Bon dem Ik 
nötbigften, wie man Diener der Kirche wählen und einjegen fol. 

Im Monat Auguft des J. 1523 erhielt Biſchof Konrad vom Pabfte Harz a 
Schreiben, worin derfelbe feinen Eifer für Ausrottung der Ketzereien fehr bt = 
Gott bittet, daß er auch dem übrigen Bifchdfen in Deutfchland den nämlichen Sm « 
Eifer einflöße, anf daß der große Schandfleden des jetzigen Zeitalters ausgeliik z 
die von lügenhaften Autoren verführten Seelen zur Erkenntniß des Irrihmns ce 
zurüdgeführt werden Tönnten. 

Nicht ohne bedeutenden Einfluß anf die Gefinnung dee Würzburger bil ® 
Bauernkrieg. Die Bürger empörten fi) gegen ihren Bifchof und verbanden fie r 
den fanatifchen Bauern. Am 9. Mai 1825 fchloß die Stadt Würzburg ein Bir 
mit den Bauern, daß fie mit Leib und Gut zu einander halten wollten umd faı ir 
den anderen vexlaffen folle, bis das Schloß Frauenberg genommen feg. Un dark: 
Zage fündete die Stadt Würzburg dem Bifchof den Gehorfam auf und bie Berl 
buldigten dem Bürgermeifter und Rath, nachdem Bifhof Konrad von Thlngen bei! 
gefährlichen Unruhen aus der Stadt geflohen und feine Zuflucht bei dem Pal“ 
Ludwig in Heidelberg genommen hatte. 

Als der Bauernfrieg geendet hatte, wurden 295 Bauern in Würzburg we” 
Umgegend enthauptet, und auch die ſich verbreitenden Wiedertäufer wurden mi de- 
unterdrädt, da vier Männer gelöpft, zwei Weiber und ein Ordensprofoß verbrant 5 
eine Mutter mit ihrer Tochter ertränft wurden. 

Die evangelifche Lehre breitete fi immer mehr aus, und merkioärbigerseit ? 
Konrad, obgleich ein Feind derfelben die päbftliche Bannbulle gegen Luther in 8: 
burg nicht verfündigen, beadjtete Überhaupt die päbſtliche Verordnung uidt, st” 
Anhängern der neuen Lehre keinen Umgang zn pflegen, da er mit Heflen, de * 
und Sachſen Verträge abſchloß. 

Während des Banernanfftandes hat ein Karmelitermönd, Scheided, die war= 
Lehre in Würzburg anszubreiten gefucht; im Jahre 1526 widerrief er im Tem ? 
biöherigen Lehren, Gin härteres Loos traf den Profoß, den Angufliner Fried 
Schmaltalden, der aus dem Kofler trat, ſich verehelichte und ſich den Grumtiige ® 
Wiedertäufer näherte. Derfelbe wurde zum euertode verurtheilt umd auf dem ter 
Erercierplage verbrannt, nachdem er unter fürdhterlichen Qualen fein Bei m! @ 
Kinder dem allmächtigen Gott empfohlen und mit heller Stimme das Lied * 
hatte: „Nun bitten wir den heil'gen Geiſt⸗ xc., ein Lied, das — an dem 13. 
bundert ſtammend — fchon fo Viele in Noth und Tod erquidte md ein Japd:, 
die chriſtliche Geſinnung des Verurtheilten war. 

Die ebangeliſche Kirche wuchs deſſenungeachtet immer mehr, beſondert dB 
1544 Melchior von Zobel Fürftbifchof wurde. Er hatte 
und pflegte bon der Reformatian zu urtheilen: „iſt fie nicht von Gott, fo wir ſe 
felhft vergehen.” Bon der römifchen Eurie äußerte er, fie habe den ihr wir 
Abbruch ſich felbft zugezogen. — Ihm folgte im Jahre 1558 mad; feiner Gue 
durch Grumbach's Reifige Friedrid; von Wirsberg, der Alles anfbot, feine Um“ 
der katholiſchen Eonfeffton zu erhalten und die Abgefallenen zum wömifchen Kirk == 

















Wuürzburg 538 


zuführen, obgleich er im J. 1564 dem Babfte die Dispensertheilung wegen der Priefter- 
ebe umb des Abendmahlskelchs empfahl. 

Das zügellofe, rohe Leben vieler Kleriter gab zu häufigem Abfall Veranlafſung. 
Bergebens berief der altersſchwache, gutmüthige Friedrih den berühmten Sefniten 
Cauifius nah Würzburg, vergebens trug er den Klofler- Bifitatoren auf, darauf 
zu fehen, daß weder vom Abte noch von Kloftergeiftlichen ketzeriſche Bücher gelefen 
werden, und mo fie ſich fänden, audgeliefert werden follten; vergebens publicirte er die 
Beichläffe der Synode von Trient (1569), vergebens fuchte er die früher geftiftete hobe 
Schule zu Würzburg wieder herzuftellen ımd die Gefinnung und den Wandel ber Geift« 
lihen zu erneuern, er hatte nicht Kraft, dem tiefen Berderben Einhalt zu thım. Mit 
dem innigen Gebete, daß es befler werde umd die katholifche Kirche zu größerem Glanze 
in Würzburg wieder gelange, farb er im Jahre 1573. 

An feine Stelle trat Yulius Echtern von Mespelbrunn, biöher Domdechant, ein 
Mann von Geiſt und ſeltener Energie, groß als Staatsmann, Regent und Kirchenfürſt. 
In den erften Jahren feiner Regierung war er gegen die Evangelifchen noch fehr mild 
gefinnt; im 9. 1576 ıumterflügte er die Stände in Fulda, um ihren der enangelifchen 
Kirche feindlichen Abt zu bewältigen, wodurd ihm mit dem päbfllichen Wanne gedroht 
wurde. Der belannte Erzbiſchof von Köln, Kurfürft Gebhard von Truchſeß war mit 
ihm befreundet und hoffte bei feinem Uebertritt zur evangelifchen Kirche ebenfall® von 
Zulins einen Abfall vom Pabſtthume. — Mit dem Jahre 1585 begannen die Bent. 
humgen des Bifchofs, in feinem Lande den Proteftantismns zu vernichten. Kifrig im 
feinem Glanben, feft überzeugt, daß nur in der römifch- fatholifhen Kirche das Heil zu 
finden fey, wandte er nun alle, auch die gewaltfamften Mittel an, die evangelifchen Lehrer 
aus feinen Landen zu verbannen, die ohne fein Bemühen wohl alle der proteftantifchen 
Kirche zugefallen wären. Diefe auffallende Veränderung in den Gefinnungen des Julius 
läßt fid) nur durch das tranrige 2008 feines Freundes Gebhard erklären, den die Pro- 
teftanten verließen und dadurch in große Noth braten. Aus Würzburg und feiner 
Umgebung vertrieb ex 120 proteftantifche Beiftliche, die evangelifch gefiimten Lehrer in 
den Schulen, fowie alle die Beamten, die der Reformation verdächtig waren, verloren 
ihre Stellen. Dabei erlannte er die Macht der Wiffenfchaft an; er war überzeugt, daß 
die gewaltigen Kämpfe der Zeit nicht durch die Schärfe des Schwertes, fondern durch 
die Macht des Geiſtes am beften geführt würden. Er errichtete daher eine ganz neue 
Univerfttät in Würzburg mit Berufung der Yefniten im Jahre 1582, ebenfo Semina- 
rien, da er der evangelifchen Lehre am meiſten durch nene Bildumgsinftitute entgegen- 
treten zu möüflen glaubte. Merkwüuͤrdig iſt e8, wie Julins in dem Stiftungsbriefe ber 
Univerfttät fi über die Borlefungen folgendermaßen äußerte: „Was fie betrifft, fo 
glauben wir vor Allem diejenigen fordern zu müflen, welche zu dem von uns geſetzten 
Zwede, das ift: zum Heile der Seelen am meiften beitragen, nämlich die Vorleſungen 
der Theologie und der mit denfelben verbundenen Borlefungen über Philofophie.* — 
Auch für Errichtung von Volksſchulen auf dem Lande forgte Julius väterlich, um unter 
feinen Unterthanen wahre Bildung des Geiſtes und Herzens zu verbreiten. Aber auch 
durch Miffionen und Bifitationsreifen war Julius bemüht, das Volt wieder zur vömifd- 
latholiſchen Kirche zu bringen. 

Der evangeliſche Olauhe war fhon feit mehreren Generationen im Bisthum und 
in Würzburg verbreitet. Im legterer Stadt verfuhr Julins bedachtſamer und ruhiger 
gegen die evangeliſch Befinuten, als an anderen Orten Unterfranfens. Im Jahre 1586 
ließ ex den Rath in Würzburg verfammeln, ermahnte ihn, dem Glauben feiner Väter 
treu zu bleiben; allein viele evangelifch gefinnte Rathoglieder beharrten auf ihren er- 
langten Anfichten und vier derfelben mußten deshalb fogleic auswandern. Er ließ nım 
die Bürger Würzburgs einzeln durch geiftliche und weltliche Räthe verhören. Es zeigte 
fi, daß Biele dem evangelifchen Glauben anhingen, ein guter Theil kehrte zur Tatho- 
tifchen Kirche zurüd, bei Manchen blieben alle Bekehrungéverſuche vergeblih, und fie 


534 Würzburg 


mußten daher auswandern, Mehrere zogen in das benachbarte enangelifche Schweinfuri. 
Der kluge und einſichtsvolle Bifchof erkannte wohl, daß mit Gemaltmitteln nicht dos 
evangelifche Leben und die evangelifche Lehre ausgetilgt werden Könnte; ex fuchte daher 
auch feinen Klerus zu rveformiren; er drang auf Wegfchaffung der Conkubinen, auf ge- 
wwiffenhafte Erfüllung der geiftlihen Gefchäfte, und führte eine firenge Kirchenzucht ein®). 

Die harten Maßregeln, die Julius gegen die evangelifch Gefinnten in feinem Bis 
thum ergriff, blieben nicht ohne große Erfolge für die xömifch- fatholifche Kirche, daher 
fagt der Chronitenfchreiber Gropp, Yulins habe eine große Reformation vorgenommen, 
wodurd er 100000 Seelen innerhalb zwei Jahren, von 1585 bi 1587, zur wahren 
Kirche befehrte. Allen Evangelifchen wurde die Wahl zwifchen Mefie und Auswande⸗ 
rung gelafjen, erwählten fie die letztere, fo fiel ein Drittheil des Erldſes der verkauften 
Güter der Reichen dem Bifchofe zu. 

So eifrig Yulius für Ausrottung der evangelifchen Lehre in Würzburg wirkte, fo 
founte er doch nicht biefelbe gunz verbannen, denn nod unter Biſchof Philipp Adolph, 
der befanntlich 219 der Hererei angellagte Perfonen verbrennen ließ, umter denen and 
manche evangelifch Gefinnte fich befanden, ergingen ftrenge Verbote gegen evangeliſche 
Lehrer und mandye evangeliſch gefinnte Geiftliche wurden unter ihm verbannt. 


Zweite Periode. — Doc bald änderte ſich die Lage der evangeliſch Gefimie 
in Würzburg. Am 15. Oftober 1631 zog der Schwedenktönig Guſtav Adolph in be . 


Stadt Würzburg ein und ficherte den Einwohnern freie Religionsübung zu. In einem 


fpäteren Patente verſprach er allen Bemohnern Treiheit in Mebung der Confeffion w | 


drohte denen mit Strafen, die dom evangelifchen Gottesdienſte abmahnten. Der latho⸗ 


liſche Gottesdienft verflummte beinahe ganz in Würzburg, die meiften Fatholifchen Geiſt | 


lichen waren geflohen, der Dom und die Neumünfterlirche gefchloffen, manche Kirchen 


waren in Magazine umgewandelt und die evangelifchen Feldprediger benugten die Bürger 


fpitallirche und Sefuitenfirche zu ihren ©ottesdienften. Nur die Bettelmönche fepten 


ihre Gottesdienfte ununterbrochen fort und der Pfarrer von St. Peter verrictete ale 


geiftlichen Funktionen wie zuvor. 

Daß jedody die Gewiſſensfreiheit von dem ſchwediſchen Behörden aufrecht erhalten 
wurde, fleht man aus einer Antwort des Reichskanzlers Orenftierna an eime magiflre 
tifche Deputation, worin er ſich beklagt, daß die Pfaffen durch öffentlichen Anſchlag ein 
40tägiged Gebet für Ausrottung der Ketzer abgehalten hätten; er äußerte, er wolle die 
Katholiken in ihren Religionsübungen nicht flören, dagegen follten die Pfaffen ſich met 
eine folche aufreizende Ungebühr erlauben, daß fie auf den Kanzeln ‘gegen die Evang. 
lifchen predigten und das Volk aufhesten, und es fen Pflicht des Magiſtrats, Sort 
dafür zu tragen, daß papiftifche Bürgerhaufen auf dem Marftplage nicht Lügenhahte 
Zeitungsnachrichten verbreiteten und zum Ungehorfam aufforderten. — Später ſcheim 
diefe Religionsfreiheit bejchränft worden zu feun; es erfchien am 25. TFehrmar 1693 
wieder ein Öffentliches Mandat, das zum fleißigen Beſuch des evangelifchen Gotiet: 
dienfle8 ermuntert und auf Befehl des Reichskanzlers vom 1. Yuli 1633 den ebange 
liſchen Hauptgottesdienft in den Dom verlegt, doch war es anfangs ein Simultm 
gottesdienft, da von Seiten der Katholifhen Morgens von 6—8 Uhr, von Seiten de 
Evangelifhen in der folgenden Bormittagäflunde Cottesdienft gehalten wurde. Die 
Tiebfrauenkicche auf dem Markte wurde den Evangelifchen zum alleinigen Gebrond; fir 
ihren Gottesdienft überlafſen. Als eneralfuperintendent wurde mit Erlaubniß dei 
Markgrafen Chriftian von Bayreuth Dr. Schleupner von Hof nad Würzburg berufen, 
um „das heilfame Werk der Reformation vermittelfi der Gnade Gottes dafelbfl art⸗ 


*) Auf die Proteftantenverfolgung wurde von einem Anhänger bes evangelifden Bauten! 
folgendes Chronoſtichum 1586 gemacht: 


QVID Mo perseqVerls, IVLI, astV, VI, rabIeqVe 
Quid me persequeris Juli, astu, vi rabieque. 











Bürzburg 535 


richten.“ Am 4. Juli 1633 hielt er die erfle Predigt im Dom, worin er Gott 
denkt, „daß er. endlich in die finfteren Räume des uralten Kiliansdoms das Licht der 
Augeburgifchen Eonfeffion nach einem Jahrhundert ihre befeligende Eriflenz habe ein» 
dringen lafien.“ Am 23. Yuli 1633 hielt Schlenpner bei Huldigung der Stadt Würz⸗ 
burg für den neuernaunten Herzog don Franken, Bernhard, die Iuthronifationepredigt. 
Der Magiſtrat in Würzburg benutzte diefe feierliche Gelegenheit, eine Bittfchrift dem 
neuernannten Herzog zu übergeben, worin er für alle Bürger und ihre Nachlommen 
um freie Uebung des Glaubens, Meßleſen, Adminiftration der heiligen Sakramente, 
Proceffionen, feftliches Begehen der Feiertage nad) dem neuen Kalender bat. Hierauf 
erwiderte Bernhard: „Ich bin nicht Willens, Jemanden von feinen Rechten, wenn fie 
nicht gegen mich gerichtet find, zu entziehen.“ Der Magiſtrat folle ſich uicht fo viel 
nit den Geiſtlichen einlafien, den Grundſatz aufgeben, daß man den Ketzern Wort und 
Treue brechen dürfe. „Bon mir — fagt der Herzog — „fol und wird Niemand 
in dem Gewiſſen beſchwert werden, denn ich will mir feine Berantwortlichleit bei Gott 
enfladen.“ 

Am 29. Yuli wiederholte eine Depntation des Magiſtrats bei Herzog Ernſt, dem 
Bruder Bernhard's, die frühere Petition; derfelbe ſprach fi ebenfalls im chriftlichen 
Geiſte gegen die Gewiſſensbeſchränkung ans, äußerte jedoch hiebei, er wiſſe nicht, was 
fein Bender binfichtlich der Domlirche verlangen würde. Am 9. September wurde dem 
Magiſtrat eröffnet, daß der Dom von den Katholiten geräumt und allein dem ebange- 
liſchen Sottesdienfte Aberlafien werden müfle Die Proteftation des Stadtmagifirats 
dagegen half nichts. Schon am folgenden Tage wurden unter zahlreicher Begleitung 
der Bevölferung die Ornate, das Sanctiffimum, Eiborium u. f. iv. aus dem Dome in 
andere Kirchen geſchafft. Auf's Neue ließ Herzog Ernſt eine fchriftliche Erklärung an 
die Einwohner Wurzburgs ergehen, hierin wurde wiederholt Gewiſſensfreiheit den Eiu⸗ 
wohnern zugefichert, jedoch follten die gewöhnlichen offentlichen Proceffionen durch die 
Stadt eingeftellt und in den Kirchen abgehalten werden; der alte Kalender fey beizu- 
behalten umd der Landesherr müfle, fowie auch die Bürgerſchaft, in's Kicchengebet ein» 
geihloffen werden. 

Die Bruderſchaften, die um Ausrottung der Ketzerei ihre Andachten hielten, follten 
anfgelöft werden; in den Rath follten Minftig eine gleiche Zahl evangelifche Religions- 
vertvandte, wenn fie qualificirt wären, aufgenommen werben. 

Es wurde viel Über diefe Punkte mit dem Magiſtrate debattirt, wegen Einftellung 
der Öffentlichen Proceffionen und Beſchränkung derfelben auf die Kirche gab der Ma⸗ 
giſtrat nach, proteftirte aber energifch gegen Beibehaltung des alten Kalenders, da bier- 
duch große Störungen und Unordnungen entflehen würden. — Der Mogiftrat bat um 
Beibehaltung der bisherigen Elementarfchulen, erkannte es als Pflicht, für den Herzog 
beten zu Laffen, läugnete aber das Borgeben, ale ob geheime Zufammentünfte wider bie 
ebangeliſche Eonfeffion eingeführt worden fehen. 

Der Herzog beſtand anf Beibehaltung des alten Kalenders, er erllärte, daß nur 
eine Schule errichtet werden folle, worin Lehrer beider Eonfeffionen lehrten, und nur 
der Tönue ein Stipendium erhalten, der diefe Schule befucdt habe. Der Kath dürfe 
fi nicht in Beſtrafung, VBerpflihtung der Welt. und Urdensgeiftlihen einlaffen, da 
Herzog Bernhard die Epiflopalrecdhte befige. Der Magiſtrat beiprah fi nun, um 
wicht eigenmächtig zu handeln, mit der Bürgerfchaft. Diefe flimmte gegen Beibehaltung 
des alten Kalenders, wollte aber andy die dffentlichen Proceffionen abgefchafft wiſſen, 
fie banfte dem Herzog für feine Abfichten, Seminarien, Untverfität und Bürgerfchule 
einzurichten, bat aber auch um Erhaltung der Klofterfchulen. Wegen Beibehaltung bes 
alten Kalenders Tonnten der Magiflrat und der Herzog fich nicht einigen, dagegen fehte 
lezterer es durch, daß ein Evangelifcher, Namens Georg Morig in den Magiftrat aufs 
genommen wurde, auch leiftete der Magiſtrat den gewöhnlichen Rathseid, was biäher 


536 Bürzburg 


unterblieben war. Ebenfo mußten jegt die Geiftlichen ben Eid ber Treue dem herzogl. 
Haufe leiften, das gefchah, jedod; unter Wahrung der Gewiflensfreiheit, am 31. Ditober 
1633. Die Geiftlichen erklärten, es widerſtrebe ihrer religidfen Anſicht, daß fie im 
allen geiftlihen und weltlichen Dingen Gehorfam leiſten und hiezu alle Eonventuales- 
Pfarrgemeinden öffentlich ermahnen follten; fpäter mußten auch die Kloſtergeiſtlichen den 
Eid der Treue ablegen. 

Eine große Bewegung nicht allein in Würzburg, fondern auch im ganzen Flrſten⸗ 
thume bewirkte da8 Patent vom 9. November 1633, worin Herzog Exrnft befichlt, daß 
zum Andenken feines geliebten Vetters, des Königs Guſtav Adolph, zwei Bet-, Bub» 
und Faſttage gefeiert werden follten, mit Verbindung eines Gebets, da Gott beuen, 
die den Krieg wider die Feinde des göttlichen Wortes führten, jederzeit Glück nud Segen 
verleihen möge. Dagegen proteflirten die Vorſtände der Kleriſei als eine Berlegung 
der berfprochenen Neligionsfreiheit; endlich kam man überein, daß in der katholiſchen 
Kiche in Würzburg und auf dem Lande die Todtenfeier für den König von Schweden 
befannt gemacht werde; damit folle ein dffentliches Gebet für die Wohlfahrt der Landes- 
obrigfeit und aller deutfchen Fürften, fowie um den öffentlichen Frieden im Reiche ver- 
bunden werden. Es wurde nun ein Conſiſtorium errichtet, das das proteſtantiſche 
Kichen» und Schulweſen beauffichtigen umd leiten follte, Bräfident deffelben war der 
obengenannte ©eneralfuperintendent Dr. Scleupner. Eine Gottesdienflordnung für 
ben Dom ward feftgefest. Der Oeneralfuperintendent follte alle drei Wochen da» 
feldft predigen, an den übrigen Sonntagen der Specialfuperintendent und noch andere 
Geiſtliche. 

Die Errichtung eines evangeliſchen Oymnaſiums, zu deſſen Direktor ſchon Johaun 
Georg Hochſtätter ernannt war, verzog ſich durch beſondere Umſtände und namentlich 
dadurch, daß der Genannte einen längeren Termin zu feinem Aufzuge ſich erbat und 
dann fpäter diefe Stelle nicht mehr übernehmen wollte. 

Während fo die evangelifche Lehre fich gewaltig in Würzburg amöbreitete md 
Herzog Ernft für ihre Verbreitung eifrig wirkte, änderte ſich plöglich die Lage der 
evangelifhen Einwohner dafelbfl. Durch die für die Schweden und ihre Verbündeten 
unglüdlich gefchlagene Schlaht bei Nördlingen am 5. und 6. November 1634 ging 
die Hauptfladt des Franken-Herzogthums für Bernhard verloren und die fett 15 Mu 
naten von feinem Bruder Ernſt verwaltete Regierung erlofch. Die Mitglieder des Con. 
fiſtoriums und die anderen evangelifchen Geiftlichen flohen zuerft nad Königshofen und 
dann weiter nach Sachſen. Am 29. Dftober wurde unter großer Theilnahme der Be. 
völferung der Tatholifche Sottesdienft in der Domkirche wieder gehalten, ein Rapıziner 
hielt eine kurze Kanzelrede, der ein Hochamt folgte. Am. 12. November wurde im 
Dom ein Dankgebet wegen des twieder eingeführten Tatholifchen Gottesdienſtes ange 
ordnet, welches von früh 6 Uhr bis Abends 4 Uhr dauerte und das mit einer großen 
Proceffton ſchloß. Außerdem mar an allen vier Adventfonntagen ein zehmftäindiges 
Danfgebet wegen Befreiung der Hauptfladt und des Landes verordnet. Am 23. Des 
zember 1634 zog der geflüchtete Fürftbifchof Yranz ohne Gepränge in Würzburg ein; 
am 21. {ebruar 1635 capitulirten die Schweden auf der Feſtung Marienberg mi 
MWürzburg ward von denfelben ganz befreit. 

Nun war das evangelifche Belenntniß in der Stadt ganz verſtummt, die ebange- 
liſchen Geiftlihen waren geflohen, mit ihnen die eifrigen Anhänger der evangelifchen 
Lehre; die Bifchdfe fahen mit dem Magiſtrate darauf, daß kein Evangelifcher ſich nieder- 
laſſen konnte, die ohnedem der freien Religionsübung entbehrten, ba das Zugefländnif 
bürgerlicher und kirchlicher Rechte nicht unter die herrfchenden Grundfäge ihre® Negi- 
ments gehörte. 

So traf e8 fich, daß im ganzen 18. Sahrhundert nur wenige Evangeliſche, keiner 
als Bürger, keiner als Angeftellter (höchftens mit einigen Ausnahmen im — ** fon» 


Bürzburg 587 


bern we einzelne, zeittveife privatim fich anfhaltende oder als im perjönlichen Dienfl- 
verhältniß ſtehende oder als Studirende bei der medicinifchen Yalıltät in Würzburg ge- 
funden wurden. An eine kirchliche Einrichtung für diefe war bei ihrer geringen Zahl 
und bei dem Grundſatze der Zeit und der herrſchenden Kirche nicht zn denken. Es 
machte daher ein großes Auffehen, als unter dem edlen Fürftbifchof Franz Lndiwig ein 
Broteflant, deffen Familie noch immer in Würzburg domicilirt war, zum Bürger bex 
Stadt am Schluffe des vorigen Jahrhunderts gemacht wurde. 

Dritte Periode. — Geſchichte des evangelifchen Lebens vom Jahre 1802 
bis 1865. — Mit dem Jahre 1802 beginnt die Befchichte des Kirchlichen Lebens und 
der kirchlichen Einrichtungen der Proteftanten in Würzburg auf's Neue. Das Bisthum 
war durch Reichedeputationsreceß im Jahre 1802 fälularifirt und dem Kurfürften von 
Bayern zur Entfchädigung für die jenfeite des Rheind verlorenen Befigungen zugewiefen 
worden. Die firengeren Rüdfichten auf die Erhaltung einer rein katholischen Einwohner⸗ 
{haft und eines rein Yatholifhen Enitus fielen von felbft weg. Der bayerifche Kur⸗ 
fürft, fpätere König Marimilian Joſeph I. nnd feine Regierung waren von toleranter 
Gefimung bei einem großartigen Strebeh nad; Befbrderung wiſſenſchaftlicher Cultur 
befeelt. Mit der Befignahme zogen nad; Würzburg viele Ungeftellte ans dem Civil⸗ 
und Militärflande, aus den früher fchon proteftantifchen Gemeinden des Kurfürftenttume 
Bayern ein, die Anfälfigmahung von proteftantifhen Bürgern ward ermöglicht, ja die 
Regierung verivandelte die Univerfität in eine paritätiihe. Am 30. Juli 1804 wurde 
dahier ein Eonfiftorinm und eine proteflantifche theologifche Fakultät errichtet. Viele 
Proteftanten wurden ale Profefioren bieher berufen, die zugleich Confiflorialräthe waren, 
Paulus, Niethammer, Martini und der bisherige Feldprediger Fuchs, der am 31. Oft. 
1802 den erften proteftantifchen Gottesdienfl vor den verfammelten Truppen in Würz- 
burg hielt und bisher alle pfarramtlichen Funktionen beim Milttär und bei Eivilperfonen 
verrichtet hatte. Daub war auch hieher berufen worden, hatte aber abgelehnt. 


Die liberale religidſe Geſinnung der damaligen bayerifchen Regierung unter Mont: 
gelas erhellte aus dem Auftrage an Profeffor Paulus, er folle auch für die katholischen 
Theologen im Seminar theologifche Encyllopädie lefen, und da im erften Semefter 
feines Auftretens in Würzburg kein proteftantifcher Theologe anmwefend mar, fo waren 
die katholiſchen Stubdirenden feine einzigen Zuhörer. 

Den Proteftanten wurde nunmehr zu ihrem Gottesdienfte die Karthäufer » Kapelle 
eingeräumt, da diefe aber zu Hein ward, wurde ihnen durch Dekret vom 18. Dez. 1803 
die fchöne Stephansficche übergeben. 

Kaum Hatte die evangelifche Lehre dahier wieder Wurzel gefaßt, fo wurde fie auf’8 
Neue mächtig erſchüttert. — Bayern mußte im Jahre 1806 nah der Schlacht bei 
Aufterlig dad Würzburger Land dem bisherigen Großherzog von Zogfana abtreten und 
erhielt dafür nebſt der Köonigswürde Tyrol und andere Beflgungen. 

Mit dem Aufhören der bayerifchen Regierung hörte auch das proteftantifche Kon. 
filorium und der proteftantifche Gottesdienft dafelbft auf, indem die vier Confiftorial- 
räthe und Geiftlihe der Gemeinde in Würzburg anderwärts in Bayern befördert wurden. 
Die Proteftanten in Würzburg behaupteten doch ihr Recht auf die Stephandficche und 
Ließen fid), fo lange fein proteflantifcher Studirender mehr anweſend war, der predigen 
koimte, fonntäglicy eine Predigt von einem Bürger aus ihrer Mitte vorlefen und das 
Abendmahl don Zeit zu Zeit von dem Pfarrer in Kipingen [penden. 

So verfirihen zwei Yahre umd drei Monate, bie endli anf Bitten der Prote⸗ 
ſtanten durch den Großherzog Ferdinand fdrmlich eine proteflantifche Pfarrei wieder 
hergeftellt wurde. Ebenfo machten die vielen im Großherzogthum Würzburg borhan- 
denen proteftantifhen Pfarreien die Errichtung eines proteftantifchen Eonfiftoriums nd» 
tbig, das den 8. April 1808 feine Funktionen begann, Die Pfarrei in Würzburg 


538 Yale College 


erhielt alle Parochialrechte, außer dem Pfarrer wurde ein Bilar und ein Lehrer für die 
Schule nebft Kirchner angeſtellt. Die Karthaufe wurde wieder das Gotteshaus der 
Proteſtanten bis zum Jahre 1818. 

Die kirchliche Einrichtung blieb beftehen, als im Jahre 1814 das Großherzog 
thum Würzburg anfgelöft und mit der Krone Bayerns bereinigt wurde, wo der prote⸗ 
ftantifchen Gemeinde die Stephanskirche wieder übergeben ward. Das Eonftflorium 
hörte im Jahre 1818 auf, die Pfarrei wurde zuerſt als unmittelbare extlärt, dan mit 
einem Delanate sc. verbunden, fo daß im Jahre 1840 ein zweiter Bilar angefielt 
werden mußte und bei fortwährender Vermehrung der Gemeinde umd der Gefchäfte im 
Jahre 1851 ein dritter Bilar. Im Jahre 1862 wurde das eine Bilariat im eime 
zweite Pfarrftelle umgewandelt und ftattt einer Schule find jetzt drei, deren Ueber⸗ 
füllung bereits die Errichtung einer vierten Schule erheifht. Die Gemeinde iſt im 
ſtetem Wachfen begriffen, fie zählt gegenwärtig 4072 Mitglieder mit Ausflug bes 
oft fehr zahlreihen Militärs proteftantifcher Confeſſion. 

Quellen. Lorenz Fries, Gefchichte, Leben und Thaten und Abſterben ber 
Bischöfe von Franken. 1 Bd. Wurzb. 1848. Fortfegung nad; Gropp und amderen 
Onellen. II. Vd. Würzb. 1849. — 8. ©. Scharold, Geſchichte der ſchwediſchen 
und fäcfifchen Zmwifchenregierung zu Würzburg, 1681—1635. Würzb. 1864. — Yel, 
Nepomuk Buchinger, Yulius Echter dv. Mespelbrunn. Würzb. 1843. — Heppe, 
über die Reſtauration des Katholicismus in Fulda, Eichsfeld und Würzburg. 1850 u. 
1863. — Luther’8 Reformation in nächſter Beziehung auf das damalige Bisthum 
Würzburg; hiſtoriſch dargeftellt von 8. G. Scharold. 1 Boch. Magdeb. 1824. — 
Hiftorifches Archiv don Unterfranken. V. und VI. Bd. — Ignatz Gropp, Neuefle 
Sammlung von allerhand Geſchichtchen, Begebenheiten und Denfwürdigleiten, welche m 
den legten 300 Jahren von 1500 bis anher in dem Hodftift Würzburg und Franken⸗ 
land bei Geiftlihh und Weltlihen Wefen ſich zugetragen. Würzburg 1748. — Deſ⸗ 
felben collectio novissima scriptorum et rerum Wirceburgensium a saeculo XVI, 
XVII et XVIII hactenus gestarum. Franoof. 1741. Fabri, Dekan in Würzburg. 


9. 


Yale Eollege, eins der älteften und blühendſten Colleges Amerika's, befinde 
fi in Newhaven im Staate Connecticut. Die Gründer waren zehn congregationali- 
ſtiſche Geiftliche, die fi im Jahre 1700 zu diefem Zwecke vereinigt hatten und im ſol⸗ 
genden Jahre eine Alte von der legislativen Verſammlung ber Colonie, die damals 
umter der Hoheit von Großbritannien fland, erhielten. Im Jahre 1716 wurde bie Au 
Halt von der Stadt Saybroof, wo fie zuerft war, nad; Newhaven verlegt. — Ihren 
Namen erhielt fie von dem Umflande, daß Elihu Dale aus Newhaven fchon früh 
ihr freigebige Geſchenke gemacht hatte. Dale kam als Knabe nach England und flieg 
bis zur Stellung eines Präftdenten der Oftindifhen Compagnie. Das College hat 
ſich fletig zu Kraft umd Einfluß entiwidelt und viele Führer zum Dienfte der Kirde 
und des Staates gebildet. Vier Abtheilungen oder Fakultäten find dem College bei- 
gegeben worden, welches, wie Ameritanifche Eolleges überhaupt, einige der Grundzuge 
des deutfchen Oymnaſiums und der dentfchen Univerfität vereinigt. Die mebizinifct 
Schule wurde 1813 gegründet; die theologifhe Schule 1822, bildet eime getremste 
Abtheilung; die Rechtsfchule faft zur felben Zeit und die wiflenfhaftlide 1846 — ı 
Ehren ihres großartigen Wohlthäters jest die Sheffield scientific School genannt. S 
dieſer Schule werden die Naturwiffenfchaften in einem amsgebehnten Curſus gelckt. 
Unter den ausgezeichnetfien Präfidenten des College find Eza Stiles (177795), ein 
Theologe von ungewöhnlihen Wiflen, und Timothy Divight (1795 — 1817). Unter 


Zacharias, Sqcholaſtitus 639 


den Wohlthätern des College iſt Biſchof Berkeley, der berühmte engliſche Bhilofoph. 
Die Zahl der regelmäßig Gradnirten des College vor dem Yahre 1863 war 6996. 
Theologifche Studien find immer eifrig in Yale College getrieben worden. Faſt alle 
Hührer der fogenannten Ne - England» Theologe — Jonathan Edwards, Hopkins, 
Delay, Dwight, Emmons, Becher, Taylor — find in diefer Anflalt gebildet. 
Die gegenwärtige Zahl der Lehrer in allen Abtheilungen iſt ungefähr 50, die der 
Studirenden circa 600. 

©. Baldwin’s Annals of Yale College. 2. Ed. 18388. — Prof. Fisher’s hi- 
story of the College Church. Prof. ©. P. Fiſcher. 


8. 


Zacharias, Scholaſtikus, wohl zu unterſcheiden von einem Rhetor gleiches 
Romens und Biſchof von Meletina in Kleinarmenien, welcher einen nicht mehr vorhan- 
denen Auszug and der Kicchengefchichte des Sokrates umd Theodoret lieferte, — war 
Bilhof von Mytilene auf der Iufel Lesbos und zugegen bei dem Concil vom I. 536 
zu Conſtantinopel, durch welches der Patriarch Anthimus abgefegt und der Preöbyter 
Mennas zn defien Nachfolger erhoben wurde. Er wurde an diefen Anmthimus mit Au- 
deren abgefandt, um ihn zur Buße und Mechenfchaft vor die Synode zu laden; daß er 
au dem fünften dfummenifchen Eoncil vom 9. 553 beigewohnt Habe, ift unbegründet. 
E hatte feine philofophifchen Studien zu Alexandrien gemacht nnd fi dann nad Be- 
rytus begeben, wo er ſich als Rechtslundiger und beredter Advolat auszeichnete und den 
ehrenden Beinamen „Scholasticus” erhielt; Tugend und Gelehrfamkeit werden ihm nach⸗ 
gerühmt. Im der Einleitung zu feiner Hauptfchrift bezeichnet ſich Zacharias felber ale 
Schüler des Ammonius Hermeä, welcher am Ende des 5ten und zu Anfang des 6ten 
Jahrhunderts zu Alerandrien Platonifche und Wriftotelifche Philofophie lehrte, und er 
erzählt weiter, daß ein Anhänger des Ammonius, der heimlich zum Hellenismus ab» 
gefallen und in Berytus Rechtskunde treibend, feine philofophifche Weltanficht einem 
größeren Kreife mitgetheilt habe. Dem Zacharias, welcher in Alexandrien mit dem 
Ammonius und dem Arzt Geflus ähnliche Unterredungen gepflogen hatte, wurden biefe 
Meinungen hinterbraht und der Wunſch geäußert, daß der Gegenſtand ſchriftlich ver- 
handelt werden möge. So entfland der Dialog „Ammonius“ über das Thema: 
daß die Welt nicht gleich ewig fey mit ®ott, fondern deffen Wert 
und Schöpfung, daß fie einen zeitlichen Anfang habe und vergehen werde, fobald 
ed Bott gefallen werde fie umzuwandeln, und daß endlic das Princip der göttlichen 
Güte durch diefe Behauptung nicht beeinträchtigt werde. Zacharias übernimmt hier 
ſelber die Rolle des chriftlichen Lehrers, der die Einwürfe des Helleniften beanttoortet; 
nachher werden Ammonins und Geſius redend eingeführt, und am Schluß kehrt das 
Sefpräch wieder zu feinem Anfange zurüd. Mit Recht wird diefes philoſophiſch⸗ theo- 
logifche Gefpräch gewöhnlich mit dem des Aeneas von Gaza (Theophraftus) zuſammen 
geſtellt; beide find ihrer Form nach dem Plato ſichtlich nachgeahmt, beide mit ſtiliſtiſcher 
Zierlichleit und Gewandtheit abgefafit, auch berühren fie fi häufig in ihren Beweis⸗ 
führungen, ne mit dem Unterfchied, daß Aeneas fich befonders mit den anthropologi« 
[hen Fragen über Urſprung der Seelen, Unfterblichkeit und Auferftehung befchäftigt, 
während Zacharias das kosmologifche Problem zur Hauptſache macht. Auch den hiſto⸗ 
riſchen Standpunkt dieſer Schriften wolle man beachten, damals war die Blüthe des 
bhilofophifchen Hellenismus längſt vorüber, dennoch war bderfelbe noch nicht auf eine 
bloß gelehrte und Literarifche Eriftenz herabgefegt; daher wollte auch Zacharias nicht 
todte Bücher beſtreiten fondern Anfichten, die in einigen Köpfen und Kreiſen ihren 
letzten Zufluchtsort gefunden hatten. Die Controverſe wird mit Ernſt und Lebhaftigkeit 


546 Zacharias, Scholaſtikus 


erwogen, wenn man auch geſtehen muß, daß die Beweisführung der chrifilichen Lehre 
fehr ungleich ausgefallen if. Einige der wichtigeren Argumentationen find folgende: 
Gott ift der Oute, fagt der Philofoph, und die Welt ift fchön, das Schöne aber muß 
dem Guten ſtets begleitend oder unmittelbar nachfolgend zur Seite fiehen; denn jolte 
es fpäter hinzutreten, fo könnte befien Urfprung nur aus einer nachträglichen leber- 
Legung erflärt werden, und wir hätten in bdiefem Alt entweder Unkenntniß oder eine 
Regung des Neides anzunehmen. Folglich kann Gott im VBerhältnig zur Welt ur 
Priorität der Würde, nicht der Zeit zufommen. ben fo unhaltbar ift aber audı die 
Borflellung einer vergänglihen Welt; denn Gott konnte da8 gut Gefdhaffene weder ber 
befiern noch verfchlechtern oder aufheben, noch in gleicher Art erneuern wollen; das Erſte 
wäre unmöglich, das Zweite widerrechtlich, das Dritte nur eim kindifches Beginnen, und 
mit der Unvergänglichleit der Dinge ift zugleich deren zeitliche Anfangslofigfeit gegeben. 
Dem gegenüber will ber Chriſt zuvörderſt das Vorurtheil zerfireuen, als ob fein Stand⸗ 
punkt ſich überhaupt auf Gründe nicht einlafien dürfe; nein, die chriſtliche Religion 
beruht nicht auf bloßem Glauben, fondern auch auf ficheren Beweiſen, welche durch 
Reden und Handlungen offenbar werden und gleichfam zur Blüthe kommen. Sodann 
auf die Sache eingehend antwortet er, daß jened Argument zu viel beiveife, denn dar- 
nad zu fließen müßten auch einzelne Perfönlichleiten wie Sofrates und Plato ewig 
gelebt haben, und dod find fie geftorben ohne Gefahr für die göttliche Güte; der Unter 
gang des Einzelnen fließt auch den des Allgemeinen in fidh, ihr müßtet denn bie 
Bäter diefer Denfchen zu ihren Schöpfern machen wollen oder die Sonne zum Gott. 
Das abfolute Vermögen ift nicht mit defien Ausübung erſt vorhanden, Gott ift dabardı 
Schöpfer, daß er fchöpferifche Kräfte in ſich trägt, nicht deren Anwendung macht ilm 
erft dazu, fo wenig der Künftler und Arzt durch Unthätigleit aufhört zu feim, was er 
if. Denken wir die göttliche Güte als fchöpferifches Motiv: fo muß gerade alles 
Nothivendige und Zwangsmäßige aus ihrer Bethätigung hinweggedacht werden, und da 
mit verändert fich auch der Begriff der Schöpfung im chrifllihen Sinne. Euch if fe 
nur Geſtaltung aus einer fchon vorhandenen Materie, alfo abhängig von einem Üs- 
deren, uns dagegen freie Herborbringung und Verbindung der Formen mit dem ent: 
fprechenden Stoff ; leiten wir die Schöpferthätigleit aus der Freiheit des göttlichen 
Willens her: fo fällt jeder Grund hinweg, fie al® anfangslos zu denken. Andere Br 
meismittel ergeben fih aus der Wefensbefimmung Goite und der Welt: hir 
eine endliche, begränzte, firmliche und greifbare, dort eine unendliche, unermeßliche und 
überfinnliche Natur, — wie können bei diefem weſentlichen Abftande beide dennoch im 
dem Einen Attribut der Gleichewigkeit zufammentrefien? Weder kann der Begriff 
der Gottheit durchgeführt werden, wenn Gott mit dem aus ihm Gewordenen bie Be 
fimmung des Ewigſeyns theilen fol, noch auch der Weltbegriff feflgehalten, mens 
mit den inneren Eigenfchaften der Welt, mit ihrer Theilbarfeit, Zufammenfegung us) 


Bergänglichkeit noch eine ihr ganz fremdartige Ewigkeit oder Anfangslofigteit verbunden 


gedacht wird. Vergebens beruft man fich auf das Verhältniß des Körpers zum Schatten, 
fofern beide zugleich auftreten, ohne an Würde einander ebenbürtig zu feun; bemm das 
ift ja nur eine durchaus natürlihe Zufammengehörigkeit, on welcher der Wille gar Teinen 


Antheil hat, und die noch dazu durch das hinzutretende Licht, alfo durch eine zweie 


Urfache bedingt wird. Es bleibt dabei, daß das Schöpferifche, als ein freies Prirci 
gedacht, jedem Gefchaffenen urſachlich und zeitlich vorangehen muß. Allerdings halte 
an der Annahme eines Zeitanfangs immer noch eine Schwierigkeit. Ammonius werk 
ein, daß für die Zeit gar Fein Anfang gefetst werden Mume, folglich auch wich fir 
daßjenige, was zeitlich exiflirt; denn fie fey die Torm der Dinge, und damit bie Zen 
fen, habe auch Zeitlihes vorhanden ſeyn müſſen; und wenn jene ſich ſtets felber ver: 
angehe: fo gebe es auch keinen Anfangspuntt für dieſes. Daraus folge der Sag: 


ö ur yüp Hedg nomzsızdv dorıv aldıov, 6 dE xdouog aidlwg yYırduvor, beun u 
der Zeit, in welcher der Kosmos entflanden, ift auch deffen Ewigleit ſchon emtfchieken | 





Zebelie 541 


Rein antivortet Zacharias, wiht in der Zeit, fondern im Aeon iſt die Welt ge- 
haften, der Aeon aber iſt das Vorbild der Zeit. Diefe Erklärung hängt damit zu- 
fommen, daß der chriftlihe Denker der gegneriſchen Behauptung nicht jede Wahrheit 
abfprechen wild. Er if fo weit Platoniker, daß er die Präerifienz der fchöpferifchen 
Ideen im göttlihen Verſtande feinesiwegs in Abrede flellt. Der Idee und Potenz nad 
reicht die Schöpfung in alle Emigkeit zuräd; der Rathſchluß und die Vereitwilligkeit 
des Schaffens geht allem Gewordenen voran. Wille und Neigung find ewig, nicht bie 
That, Gott alfo ewiger Schöpfer im dynamiſchen, nicht im energifchen Sinne, 
aber eben darum iſt er Wohlthäter durch fich felbft, auch che der Begenfland feines 
Wohlthuns faktifch vorhanden war. Auch aus der fphärifhen Geſtalt der Welt 
täßt fi deren Anfangslofigfeit nicht herleiten, denn diefe ift zwar die bollendetfte, aber 
fie hat im Gentrum ihren Anfang. Wie vielfeitig man and) das ganze Verhältniß 
betrachten man, flet® wird das Reſultat beflätigt: rrür yap nolnua Toü nomoarzog 
devregeve: alrla xal yoovw. Am Schlufle weift der Verfafſſer noch darauf hin, daß 
der Welt eine einflige Verklärung bevorſtehe und daß auch diefe zufünftige Veränderung 
der Dinge als freier Alt des göttlichen Willen® aufgefaßt werden müfle Denn indem 
der Menſch dereinft in ein unvergängliches Leben eintritt, fol ex erfahren, daß er dieſe 
Unfterblichleit, deren er ſich durd die Sünde verluflig gemacht, auch nur als göttliches 
Onadengefchent zu empfangen habe. Dafſelbe ſchopferiſche Wort wird andy der Urheber 
eines neuen Lebens werden, aber nicht aus phyfiſcher Nöthigung, fondern aus berfelben 
Freiheit und Güte, welcher alle Dinge ihr Dafeun verdanken. — Die ganze Argumen- 
tation leidet, wie Ritter richtig bemerft, an mandherlei Schwähen, aber in der Be- 
hauptung einer freien Schöpfung und in der Ausfcheidung der Ewigkeit von dem Welt. 
begriff vertritt fie flegreich da® chriftliche Princip. Der Lefer wird bemerkt haben, daß 
der philofophifche Standpunkt des Zacharias von dem eines Drigene® zwar fchon Weit 
abweicht, dennoch aber noch einige Platonifche Gedanken in fi trägt. Er bemerft 
daher gelegentlich, daß in Bezug auf die wichtigflen Tehrfäge Plato und Ariftoteles nicht 
zufanmengeivorfen werden dürfen, nad fucht den Grundirrtfum, melden er befämpfen 
will, übertviegend auf Seiten des Letteren. 

Außerdem fchrieb Zacharias noch eine kurze Abhandlung gegen den Dualisnus der 
Manichder, die aber bis jet nur in lateinifchem Text bekannt it: Disputatio contra 
ea, quae de duobus principiis a Manichaeo quodam scripta et projecta in viam 
publicam reperit Justiniano imperatore, latine interpr. Turriano in Bibl. PP. max. 
Lugd. IX. p. 794 et in Canis. Leot. antq. ed. Basnage I. p. 425. 

Der Dialog Ammonius sive de mundi opificio erjchien zuerſt cum versione lat. 
et notis Tarini c. Origenis Philocalia. Par. 1619; dann in Fr. Ducsei Auctar. L., 
in Bibl. Patr. Par. XI., dann cum Aeneae Gas. De immortalitate animae, et cum 
animadversionibus C. Barthii, Lips. 1655. — Die befle Ausgabe if: Aeneas Ga- 
zaeus et Zacharias Mitylenaeus, De immortalitate animae et mundi consumme- 
tione, ed. Joh. Fr. Boissonade, Par. 1836, mit reichhaltigem gefehrten Commentar. 

Bergl. Brucker, Hist. crit. philos. II. p. 528. Deffelben ragen ans der phi- 
loſophiſchen Hiftorie. IV. S 1402. — Ritter's Geſchichte der hriftlichen Philofophie 
Br. IL ©. 495. Gef. 

Zedekia, aııpıx, LXX. Zedexias, war der dritte Sohn (1 Ehron. 8, 16.) 
des Königs Joſias von Juda nnd der Hamital, Tochter des Jeremia von Fibne, alſo 
leiblicher Bruder des Joahas (2 Rön. 23, 31.) und Halbbruder des Jojalim, und 
hieß urfprünglihd Mathanja (Jer. 1, 3. 87, 1.). Bei feines Vaters Tode war er erft 
10, bei feiner Erhebung anf den Thron 21 Jahre alt. Nachdem Nebuladnezar feinen 
Neffen Yojahin (2 Ehron. 36, 10. Bruder im weiteren Sinne, wenn nicht hier viel- 
mehr eine Verwechfelung anzunehmen ift, vgl. Keil, Ehron. S. 172 f.) im Jahre 597 
v. Chr. abgefegt hatte (Bd. VI, 787), erhob er ihn, da der 18jährige Jojachin noch 
feinen regierungsfähigen Sohn hatte, als Bofallen Babyloniens (Ezech. 17, 13.) auf 


542 Zebelia 


den Thron (2 Rdn. 24, 17. 2 Chron. 36, 10 f.), und änderte feinen Nauen, wie 
zubor Neo den Namen feines Halbbruders Eliakim in Iojakim geändert hatte. Keil 
vermuthet, da Jojalim und Zedelia theokratifche Namen find, während fonft die Fuürſten 
ihreu Untergebenen, Herren ihren Sklaven bei diefer im Altertum gebräuchlichen Ra- 
mendänderung (1Mof. 41, 45. Eſr. 5, 14. Dan. 1, 7. vgl. Bd. X, 194) gemwöhnlid 
von heidnifchen Gottheiten entlehnte Namen gaben, daß diefen Königen erlaubt wurde, 
ihre Namen felbft zu wählen und Necho und Nebuladnezar diefelben zum Zeichen ihrer 
Oberhoheit nur beftätigten. Die Wahl des Namens Zedelia, d. i. bem die Gerechtig⸗ 
feit Jehova's wird, geſchah vieleiht mit ARüdfiht auf den unmündigen Sohn Yoj- 
chin's, TrpTE (1 Chr. 3, 16.); doch mochte er zugleich leiſe eine Hoffnung auf Be 
freiung vom Fremdjoch andeuten. Die Bedeutung des Namens aber verſtand und den⸗ 
tete in jener Zeit allein der Prophet Jeremia (33, 15 f.). Die Regierung bei 
Zedekia mwährte 11 Yahre und unterfchied ſich von derjenigen feiner Vorgänger, na: 
mentlich Jojakim's, nur darin, daß er noch viel unfelbfiftändiger war als diefer (der. 
38, 5. 24 f.) und von feinen Fürften, nyeuores und Pfendopropheten (Jer. 28.37,19), 
andy untheofratifchen Prieftern (Ier. 34, 19. vgl. Ezech. 8, 6 f. 2Chr. 36, 14) ſelbſt 
wider befiere Ueberzeugung fich ganz beherrfchen und leiten ließ. Bon der im Folge 
davon Überhand nehmenden anardhifhen Willfür f. ein Beiſpiel Jer. 34, 11., vergl 
Bd. XIV, 470. XII, 212. DBefonders hatte der Prophet Jeremia (ſ. Kap. 37—39) 
darunter zu leiden, der „zu ihm redete aus dem Munde des Herrn, vor dem er fid 
aber nicht demüthigter (2 Chron. 36, 12), wenn er fhon je und je heimlich (Jer. 37, 
17 ff.) ihn um Rath fragte (Bd. VI,481). Im vierten Jahre feiner Regierung reife 
er in Begleitung des Seraja, des Reiſemarſchalls (msn Hi), eine® Bruders Ba— 
ruch's, de8 Schreiberd Jeremiä (Jer. 51, 59 ff.), nad Babel, um dem Nebufadnezar 
zu buldigen, vielleicht and um fi von Berdäctigungen feiner Treue, da ihm benad- 
barte Bölter, Ammoniter, Moabiter, Phönizier, zum Abfall zu verleiten fuchten (Bd. X. 
254. Jer. 27.), zu reinigen, oder um, wenn auch nicht die Nüdtehr der Weggeführten, 
doch Erleichterungen des Vaſallenverhältniſſes auszuwirken. Uber Verſprechungen von 
Aegypten her, wo der kriegsluſtige König Hophra (Bd. X, 254. XI, 490) gemaltig 
gegen Nebuladnezar rüftete und Vertrauen auf Aegyptens Macht (Ser. 37, 5 ff. Ezech. 
17, 15. Joſeph. Alt. 10, 7. 3) verleiteten ihn nun doc, das babylonifhe Joch ab» 
zufhütteln (2 Fön. 24, 20.) und den Eid der Treue (2 Chr. 36,13. Ezech. 17, 13.) 
zu brechen. Pldtzlich aber fiel Nebukadnezar in Judäa ein (Ier. 32, 1.) im nenntes 
Jahre der Regierung Zedekia's. Nach Eroberung der anderen feften Städte des Landet 
(Ier. 37, 7 fi.) begann die Belagerung Jeruſalems, die vom 10ten Mongt des 9tes 
Jahres bis zum Aten Monat des I1ten Jahres (2Rbn. 25, 1. Ser. 39, 1. 52, 4. 
Ezech. 24, 1. 21, 24 ff.) währte und damit endete, daß die Shaldäer bon Norden ber 
die Stadt erfürmnten. Zedekia aber, der, als die Feinde in die Unterfladt einbrachen 
und fie befeten, mit nicht unbedeutendem Gefolge durd; die fündftlihen Stadtmanes 
zu entlommen und fich durchzufchlagen fuchte (2 Rdn. 25, 5. Jer. 39, 5. 52, 8.), wird 
auf der Flucht in der Jerichonue ergriffen, worauf ſich der ihn begleitende Haufen zer- 
ſtreute, mit feinen Söhnen in Ribla, wo ſich das babyloniſche Hauptquartier befand. 
vor ein Kriegsgericht geftellt und, nachdem feine Söhne und die Fürſten Juda, die mit 
ihm, geflohen waren, vor feinen Augen gefchlachtet worden, geblenbet (eine bei Babtlo- 
niern und Perfern gewöhnliche Strafe für abtrünnige Fürften) und in ehernen Dopped 
fetten, ormörns, nadı Babel abgeführt, wo er ftarb, nachdem er, wie die Sage lautet, 
bis zu feinem Tode die Mühle getrieben. So ging bie räthfelhafte Weifſagung &e 
chiel's in Erfüllung: Ich will ihn gen Babel bringen in der Chaldäer Laub, bad a 
doch nicht fehen wird (12,13.), und die andere: So wahr id) lebe, fo will iq meiner 
Eid, den er verachtet hat, und meinen Bund, den er gebrochen hat, auf feinen Korl 
bringen (17, 19. vgl. 2 Chr. 36, 13). Leyrer. 


Zeitrechnung, nenteftamentlide 543 


Zeitrechnung, nentefomentliche. Da im Artilel „Zeitrechnung, bibliſche⸗ 
(®bd. XVIII.) nur die altteftamentlihe Chronologie behandelt ift, fo follen bier zur 
Ergänzung der betreffenden Artitel einige auf die Geſchichte Jeſn und der Apoſtel, be 
fonder6 des Paulus bezügliche chronologifche Erdrteruugen angeflellt werden. 

L Zur Chronologie des Lebens Jeſu. — Hierüber iſt beſonders der Art. „Jeſus 
Chriftus* (Bd. VI.) zu vergleichen, wo unfere Frage ſchon ansführlid, und in gewiſſen 
Hanptpunkten in weſentlicher lebereinfiimmung mit den Reſultaten der Schrift des 
Unterzeichneten: chronolog. Synopfe der vier Evangelien, 1843, — behandelt wird, fo 
daß wir uns trog der Wichtigkeit der Sache kürzer fafien können. 

Zur Literatur über die Chronologie der Geſchichte Jeſu ift noch hinzuzufügen: 
Seyffarth, Chronologia sacra, 1846, dgl. dazu meine Necenfion in den Gdtting. 
gel. Anz. 1846. Nr. 157—159; Anger, zur Ehronol, des Lehramts Chriſti, 1848. 
Abth. J.; Roſch, zum Geburtsjahr Jeſu, Jahrbb. f. deutſche Theologie, 1866. Heft. 

Was das Geburtsjahr Jeſu betrifft, fo wird im angeführten Artilel „Iefus Ehri- 
flus mit un® angenommen, daß bdafjelbe etwa vier Jahre vor dem Epochenpunft der 
dionpfifchen Wera und einige Zeit vor dem Tode Herode®’ des Großen, welcher um das 
Bafla 750 u. co, 4 vor Chr. eintrat, flattgehabt habe, nur nicht erſt im Winter 
749/750 u. e. im Dezember bis Februar, fondern unter Berüdfichtigung des auch von 
uns beadıteten Datums bon der Prieftertlafie Abia Luk. 1, 5. bereits im Sommer 
749 u. c., woflir a. a. O. ©. 592. Zul. 2, 8. angezogen wird, wonach die Heerden 
in Bethlehem zur Zeit der Geburt Jeſu im Freien übernachteten. Es wird and im 
Zalmud erwähnt, daß dieß gegen die paläſtinenſiſche Sitte feg. Indeſſen ift diefes 
Datum problematifcher Natur; der fyftematifivende fpätere Talmud kann an ſich nicht 
wohl eutfcheiden (vgl. meine Synopſ. S. 146 fi), Es konnte damals ferner ein be- 
ſonders mildes Jahr feyn, und die außerordentlihe Maßnahme einer anoypapı; außer 
ordentlihe Maßregeln, um für die Fremden Raum zu gewinnen, vgl. Zul. 2, 7., her⸗ 
vorrufen. Namentlich in den Monaten Dezember und Februar war überdieß dort das 
Klima etwa milder, und wenn die alte Fixirung des Geburtstages Jeſn am 25. De- 
zember oder 10. Januar auch keinen fireng hiftorifchen Grund hat, und namentlich er⸗ 
ftere fymbolifch mit Bezug auf das an diefem Tage wieder wachſende Sonnenlicht zu 
faſſen ift, fo fcheint doch die Annahme wenigſtens des 10. Yanıtar auf wirklicher Be- 
rechnung dee Geburtszeit Jeſu zu beruhen, vgl. meine chronolog. Symopſe ©. 144, 
und die Zeit des Winters dabei keinen Anſtoß gegeben zu haben. Für unfere Behanp- 
tung ſprechen aber namentlich noch folgende Gründe. Die Taufe Iefu if, wie wir 
namentlich auf Grund von oh. 2, 20., vgl. Tut. 3, 1., behampten, etwa im Sommer 
780 u. c., jedenfalls nicht früher gemwefen. Run heißt es Lul. 3, 23., daß Jeſus 
Anfangs (dpydweros), d. h. zur Zeit feiner Taufe, im Anfang feiner öffentlichen 
Wirkſamleit, ungefähr 30 Iahre alt war; e6 muß daher das wge/ ſtrilt gefaßt werden: 
ungefähr 30 Jahre, d. h. nicht 29 oder 31, fondern 30 Yahre und etwas darüber 
oder darunter. Denn da Jeſus im Ganzen nur zwei Jahre und einige Zeit darliber 
öffentlich wirkte, fo hätte Lukas fonft nicht fagen können, daß er im Anfang feiner Lehr. 
thätigleit ungefähr 30 Yahre alt war. Rechnen wir nun die 80 Jahre vom Sommer 
780, wo er getauft wurde, zurüd, jo kommen wir zum Jahre 750, und da Jeſus min- 
deften® nod; 50 Tage dor dem Zode des Herodes (Anfang April 750 u. c.) geboren 
feyn umß, fo fehen wir, daß das wce/ volle 30 Jahre und darüber bezeichnen mnß. 
Nach Lichtenſtein's Anficht wäre Jefus bei feiner Laufe ungefähr einunddreißig Jahre alt 
geweſen. Indem wir nun auch das Datum von der Prieſterklaſſe Abia, welche um die 
Zeit von Luk. 1, 5. fungirte, berüdfichtigen, und da Jeſus nad, Luk. 1,36., vgl.1,23.24., 

nicht ganz ſechs Monate jünger war als ber Täufer, beachten, daß derſelbe jeden- 
falls nicht früher ala im fünfzehnten Monat nad dem 9. Oktober 748 u. o., an wel. 
chem der Schlußtag der damaligen Funktionen der Priefterklaffe Abia war, geboren feyn 
kaun, erhalten wir als früheften Termin feiner Geburt den Dezember 749 u. co. 


544 | Zeitrechnung, nenteſtamentliche 


Es ergibt ſich ſchon hieraus, wenn wir die Zeit, welche bie zur Darſſellusg Sefu im 
Tempel verfloß, den darauf folgenden Beſuch der Magier, die Flucht der Eltern uedı 
Aeghpten, mo fie den Tod des Herodes vernehmen, in's Auge fallen, daß Seins jeden. 
falls andererfeits nicht fpäter ale Februar 750, mithin während des Zeitraums Des 
zember bis Februar 749—750 u. c. geboren feyn muß. DBeflätigt und näher beftimmt 
wird diefe Annahme durch das, was über den Beſuch der Magier und die aroypagr; 
in Bethlehem berichtet wird. Auch wir bringen die Ankunft der Magier ans dem 
Morgenlande, wahrfcheinlich dem benachbarten Arabien, wo es auch ned, Plinins hist. 
nat. 30, 1. Magier gab, mit der für die Aftrologen fo fehr bedeutfamen Eonjunktien 
des Jupiter und Saturn in dem Sternbild der Fifche im Jahre 747 (am 29. Mai, 
1. Oftober und 5. Dezember), worauf zuerft der Aftronom Keppler anfmerkfam made, 
zufammen, welche den Magiern um fo bedeutfamer erſchien, al® der zur Zeit der 
Geburt Jeſu leuchtende aorrp, ein neuer Stern oder auch Komet (vergl. Orig. comtr. 
Cels. I, 58 eqq.), zwei Jahre fpäter (and dueroög), Matth. 2, 16., vgl 2, 7. 
hinzulam, wonach die Geburt Jeſu nicht im Jahre der Conjunktion felber (Ipeler, 
Huſchke 747 u. c.) oder 1 Jahr nachher, wo noch der Mars hinzutrat, Keppler 748 
u. c., in welchem Jahre nad; diefem, wie zu feiner Zeit 1604, auch ein neuer, d. h. 
zuerft in die Sichtbarkeit tretender Stern hinzugelommen feyn fol, fondern jedenfalls 
zwei Jahre fpäter, 749 bie 750, eingetreten ift. Höchft merkwürdig ift die Wenßeruug 
des gelehrten Rabbinen Abarbanel in feinem Commentare zum Daniel MIO ya 1547 
(vgl. meine Synopfe S. 66) über bie aftrologifche Bedentfamleit einer Aufammentunft 
ber Planeten Yupiter und Saturn, und zwar gerade in den Fifchen, deren Beziehung 
zu den Sfraeliten er durch fünf kabbaliſtiſche Gründe darthut. ine folche habe ſich 
auch drei Jahre vor Moſe Geburt in den Fiſchen zugetragen und werde ſich ebenis 
wie der bei der von ihm als bevorftehend erwarteten Geburt des Meffias zutragen. Anch 
hiernach find drei *) Jahre zu der erften Conjunttion 747 bis zur Geburt des Meifios 
hinzuzurechnen. Diefer aftrologifche Glaube des Abarbanel über die Geburt des Diefflas 
eriftirte in diefer Yorm im MWefentlichen wahrfcheinlich ſchon zur Zeit Jeſu. Zu den 
übrigen in meiner Synopſe ©. 61 angeführten Stellen ift nod; Joſephus Ant. 2, 9. 
2. u. 7. hinzuzufügen, wo diefer die, wie auch aus der erläuternden Bemerkung über 
die noch fortblühende ägyptifche Weiffagelunft hervorgeht, gewiß aftrologifch begründete 
Weiffagung eines ägyptifchen tepoyoauuorevs oder Magiers, vgl. Bd. VIII, 682, über 
die bevorftehende Geburt des Moſe berichtet, da der Meſſias nad; der jüdifchen in- 
fhauung nur da8 höhere Nachbild Moſes war in der Zeit Jeſn wie des Abarbanel. 
Im Uebrigen hat der Unterzeichnete in feiner Synopfe S. 69 aus einer nad) dem Ber. 
gange des Aftronomen Pingré (cometographie, Tom. I. p. 281) auch von Humbalt: 
im Kosmos Bd. 1. ©. 389. Anm. 12. Bd. III. ©. 561 als hiflorifh anerkanuten 
hronologifchen Tafel der chinefiſchen Geſchichte die Thatfächlichkeit eines ſolchen Stemt 
im Februar bis April 750 u. ce. nachgewiefen. Erſt um diefe Zeit darf alfo bei As. 
nahme der Ipentität diefes Sternes mit dem Geburtsſtern **), Jeſu der Beſuch der 
Magier in Bethlehem, welcher aber erft nad der Darſtellung Jeſu im Tempel Stat 


*) Die obigen brei Jahre gehen vielleicht auf bie etwa drei Vierteljahre vor der Geber 
fallende Eonception bes Kindes, deren Konftellation bei den Aftrologen für faſt noch bebentjamer 
gift, al8 die der Geburt; vergl. Ublemann, Grundzüge der Aftronomie u. Aftrologie S. 79 nzr 
Roth zu dies genitalis ejus Tac. An. 16, 14. Bgl. den Art. „Oeflirndeutung«. 

e*) Das Refultat der Abhandlung Anger's, der Stern der Weifen und das Geburtsick 
Chrifti in Niedner’s Zeitſchr. für hiſtor. Theolog. 1847. Hft. 3., daß die Kombination des Sternt 
der Weifen mit der Planetenconjunftion eregetifch wie biftorifch unbaltbar fey, bat feine Bered⸗ 
tigung gegen Ideler'8 Behauptung, daß unter dem dorijo bloß bie Planetenconjunftioz zu ser» 
ſtehen fey, nicht aber gegen die bier noch entjchiedener ale in meiner Synopfe vertretene Arksı 
daß unter demfelben bloß der zu der Planetenconjunftion fpäter binzulommende neue Sturz 5 
verſtehen iſt. Letzterer if, weil von Aftrologen beobachtet, ſelbſtverſtändlich ein natürlicher Ster— 
Auch Anger gelangt übrigens zu dem Reſultat, daß Jeſus im Anfange bes Jahres 4 vor Er 
geboren if. 


Zeitrechnung, neniefhamentlidhe 645 


hatte, geſetzt werden. Endlich betrachten wir für unferen Zweck nod die Erzählung 
der Schagung um die Zeit der Geburt Jeſu, Zul. 2. Es wäre ein großer chronolo-- 
giiher Schniger, wenn Lukas diefe Schagung mit der fpäteren Schagung unter dem 
fgrifhen Statthalter Ouirin, duch welche Iudda nad dem Tode des Archelaus im 
Yahre 6 m. Ehr. römifche Provinz wurde, verwechſelt hätte. Wer die fonflige chrono⸗ 
logiſche Kunde des gewiß nicht ungebildeten Arztes Lulas, 5. B. in der Apoftelgefhichte 
bedenkt, wird einen folchen Fehler ihm nicht zutrauen können, zumal aud er die Ge⸗ 
burt Iefu in die Zeit Herode® des Großen, Zul. 1, 5 u. 26., fegt, den fpäteren 
Genfus des Quirinus fehr wohl kennt und zu feiner Zeit Judas den Galiläer, wie 
aus auch Joſephus berichtet, fid) gegen die Römer erheben läßt, Apgeſch. 5, 37., nnd 
and don der Geburt Jeſu bis zu feiner Taufe, wie wir fahen, richtig 30 Jahre be- 
schnet, ja die Schagung zur Zeit Jeſu, Luk. 2, 2., ausdrücklich als die erfle (zewz>,) 
bezeichnet, zur Unterfcheidung bon einer zweiten, der unter Quirinus, welche er Apgefch. 
a. a. O. erwähnt hat. Eben dieſe Unterfheidung unſerer Schatzung von jener be» 
fonuten, die er dort deshalb auch die anoypagn fchledhthin nennt und mit welcher die 
unfere darum leicht verwechſelt werden konnte, ift zugleich in der Faſſung unferes Verſes 
hervorgehoben. Diefer Vers nämlich, in welchem 7 nah aus auch auf Grund der 
Handſchriſten zu flreichen ift, iſt zu erllären: eine derartige Schagung, d. h. eine Scha- 
kung, die in Folge des unach Vers 1. von Auguflus ergangenen doyum fich vollzog, 
geihah (in Judäa) als erfle, bevor Quirin in Syrien regierte. Der Superlativ 
zen mit dem Genitiv bezeichnet hier wie auch fonft, daß etwas an fidh das Meifte 
und mehr als etwas anderes if; vgl. 2 Mall. 7, 41., Hermann ad Viger. p. 717; 
fo alfo hier, daß jene anoypapr in Judäa überhaupt als erfle, und eher ald Duirin 
Statthalter von Syrien war, fi) vollzog. So *) kommt vowrr mit dem Genitiv be- 
fanntlich dfter vor, vgl. Soh. 1, 15. 30. 15, 18., und es kann keinen LUnterfchied 
machen, ob der in der Comparation flehende Genitiv der Genitiv eine® Nomen oder 
Participialſatzes iſt; vgl. Ier. 29, 2., LXX. und Iofeph. Ant. 2, 15. 2., wo es heißt: 
die Juden verließen Aegypten era E77) Toıudxovsa xal rergaxdoıu % Toy no6yovor nur 
"1oupor zig iv Xuvavalav Heiv, Tüg de TaxWPov ueravuaoraosmg &ig 
nv Alyuvnrov yevoulvng diuxoolog npög rois Ilxa nvre dviavroig vore- 
00v, d. h. 430 Yahre fpäter als unfer hoher Bater Abraham nad) Kanaan ging und 
215 Jahre fpäter, als die Meberfiedelung Jakob's nah Aegypten ge- 
Ihehen war. Wie aus dem Parallelismus der Säge hervorgeht, fo ift hier der 
Benitiv des Barticipialfages dem 7 mit dem Sufinitiv dem Sinne nady durchaus ent- 
ſprechend. Bei der Schagung zur Zeit der Geburt Jeſu hat nun aber wahrfceinlich 
der Aufruhr dee Juden unter Matthias Joseph. Ant. 17,6. flattgefunden, welcher mit 
dem Apgeſch. 5, 36. in einer Parallele mit Judas dem Galiläer erwähnten Theudas, — 
denn beide find gleihe Namen (Oevdäs = Geodwpog —= mınn) — ibdentifh zu 
feyn fcheint, und da, wie wir aus Joſephus a. a. O. wiflen, der Wufftand bald ge 
dämpft und Matthias während einer Mondfinfternig am 12. März 750u.c. hingerichtet 
ward, fo muß auch aus diefem Grunde die Geburt Jeſu etwas früher in die von uns 
angenommene Zeit gefegt werden. 

Was nun die dffentlihe Wirkſamkeit Jeſu anlangt, fo ift diefe beſonders 
durch die jüdifchen Feſte, innerhalb welcher fie verlief, chronologiſch beftimmt nicht bloß 
an ihrem Schluſſe durch das Zodespafla, fondern aud ſchon vorher namentlid im 
vierten Evangelium. Die jüdifchen Feſte nämlich find an fefle Monatstage des jüdi. 
ſchen Kalenders gefnüpft, fo daß, wenn man ihre Yahr kennt, ſich der betreffende Feſttag 
nad) dem Datum des Sulianifchen Kalenders feftftellen läßt. Zu diefer Reduktion bient 


9) Dagegen kommt porn auch geradezu als gleichbedeutend mit zgorepa vor bei Chryſoſt. 
im Vorwort zu den Paulin. Briefen, wo ber Mömerbrief dr ara 'Pouns xeWrn und zporepa 
heißt, wie man alfo aud bei Lukas mit demfelben Reſultat, obwohl weniger wahrſcheinlich er- 
Nären tönnte. 

Neal⸗Queytlopadie fir Theologie und Kirche. Suppl. II. 3 











546 Zeitrehunng, nenteſtamentllche 


der von dem Unterzeichneten chron. Synopf. S. 482 ff. für den Zeitraum vom 1. Rifan 
des Jahres 28 n. Chr., 781 u. c., bis zum 21. Niſan 30 n. Ehr., 783 u. a, mit 
mitgetheilte jüdifche Feſtkalender, welcher unfere® Erachtens den beiden letzten Jahren 
der Öffentlichen Wirkſamleit Jeſu Joh. 2, 13 fi. entſpricht. Derfelbe baflrt auf einer 
Unterfuhmg über die Form des jüdifchen Jahres 'zur Zeit Jeſu, welches ein gebu- 
denes Mondenjahr war, an welchem die Bauptfefle durch den Lauf des Mondes ge- 
regelt wurden. Es wird bier die Anſicht nachgewieſen, die fi immer mehr geltend 
madıt, daß die Firtrung der jüdifchen Feſte damals bereits auf Berechnung beruhte; vgl. 
namentlich, die Stelle bei Eufebius (hist. ecales. 7, 32), wornach bereit® die Inde⸗r 
Ariſtobulns u. U die Früuhlingsnachtgleiche beim Bafla berückfichtigen. Aber ſelbß 
wenn ſtets das Mondlicht erſt hätte geſehen werden müſſen, bevor in Jerufalem der 
betreffende Fefttag feflgeftellt wäre, um danı dich Fenerzeichen an die fernexen uben 
verfündet zu werben, fo würde gerade um die Zeit des Paſſa, wo in Yubäa bag Wetter 
fehr beftändig war, der wirfliche fihtbare Bollmond mit dem berechneten regelmäßig 
zufammengetroffen feyn, fo daß es nicht zu billigen ift, daß bon der fonft eutſcheibenden 
afteonomifch » mathemathifchen Chronologie, nachdem das früher von den großen Ehro- 
nologen Scaliger, Petavius u. U. fchom gefchehen if, auf biblifchem Gebiet verhält- 
nigmäßig mır wenig Gebrauch gemacht wird. Aus dem Evangelium des Iohannet 
ergibt fi num, daß Jeſus nur etwa dritthalb Jahre Öffentlich wirkſam geivefen if, da 
während diefes Zeitraums incl. des Todespafja nur drei Paſſa, vgl. Joh. 2, 13. 6,4. 
— denn das Joh. 5, 1. genannte namenlofe er war kein Paſſa, — gefallen find. 
Der Öffentliche Auftritt Iefu muß etwa in den Sommer bis Herbfi 780 u. co. geſetzi 
werden, wie ſchon aus Joh. 2, 20. folgt. Nach diefer Stelle waren, feit Herodes den 
Tempel zu reflauriren begann, was nad Joſephus Ant. 15, 11. 1., vergl beil. Jud. 
1,21.1., in feinem 18. Regierungsjahr gefchah (1. Nifan 734 bie 1. Niſan 735), am Xempel 
46 Jahre gebaut. Nach Joſephus Ant. 15, 11. 5 u. 6. ward der äußere Tempelban 
in 8 Jahren, und darauf das Innere deffelben, welches die Priefter allein anfbauten, 
in einem Jahre und fehe Monoten, zuſammen alfo in 9 Yahren und 6 Monaten, 
vorläufig fertig, worauf ein Dankfeſt veranftaltet ward, und zwar an demfelben Tage, 
an welchem Herodes feine Herrſchaft antrat, d. i. im dritten Monat oder Sivan; Yo- 
fephu8 Ant. 14, 16. 4., dgl. meine Synopfe S. 50. Hiernach ergibt fi der Kisler 
734 u. c. als derjenige Monat, in welchem der Zempelban unter Herodes begonnen 
wurde. Voͤllig fertig wurde der Herobianifche Tempel aud; nad; unferen 46 Jahren 
noch nicht, fondern erft kurz vor dem Anfange des jüdifchen Krieges, Joſeph. Ant. 20, 5.7. 
Wenn wir nun 46 Jahre zum Kislev 734 hinzurechnen, fommen wir bis zum Sisiee 
(ettva Dezember) 780, fo daß alfo das Pafla, an welchem 46 Jahre am Herobiazi- 
fchen Tempel gebant war, nur das Paſſa des Yahre® 781 u. co. oder 28 n. Chr. ferm 
kann, unmdglid, das Paſſa 782, wie Anger im Intereſſe feiner Anficht vom Xodesjahr 
Chriſti 784 u. co. will, and ebenfo wenig das Paſſa 780, wie Tichtenflein im Imereſſe 
feiner Anficht über die Geburt Jeſn umd über das Feſt Joh. 5, 1., welches ein Lanb- 
hüttenfeft feyn fol, annimmt. Das Feſt Johannes 5, 1. tft deutlich feine® der hohen 
Tefte, weßwegen es auch nicht mit Namen genannt wird, wie denn and) der Urtifel r 
vor &oprn nach guten Handſchriften zu ſtreichen if. Es ift, wie jebt fehr Viele aus. 
legen, das Feſt Purim zu verſtehen, mweldes in den dem Niſau vorhergehenden DRowat 
Kar fällt, kurz vor dem Paſſa Joh. 6, 4. und innerhalb der vier Mongate, welche 
Joh. 4, 35. bis zur Ernte gerechnet werden. Nach unſerer chronologifchen Befim- 
mung des Paſſa Joh. 2, 13. war es das Purim des Yahres 782, 29 n. Chr. Dies 
Jahr war ein Schaltjahr, in melden das Purim auf den 14. Veadar oder 16. Min 
fiel, und diefer war, wie Joh. 5, 9. vorausgeſetzt wird, twirflid ein Sonnabend, ne 
durch unfer chronologiſches Refultat rüdfichtlih des Pafla Joh. 2, 13. von Rewen 
beflätigt wird. Das ZTodespafla Jeſu fiel danach in's Yahr 80 n. Chr., im welchen 
der Todestag Jeſu, der 15. Nifan oder 7. April, wirklich ein Freitag war. Iohemmes 


Zeitrechnung, nenteftamentliche 647 


ſtehi aber ruckfichtlich dieſer Hauptepochen des Lebens Jeſu auch im Einflang mit den 
ſynoptiſchen Evangelien. Wir haben das bereits bei der Beflimmung der Tanfe Jeſu 
durch wel Zrar Toıdxorra Lut. 3, 23., weldye übereinflimmend mit oh. 2, 20. 
etwa in den Sommer 780 u. c. als Termin der Taufe führt, gefunden. Nehmen wir 
nun an, daR Johannes der Täufer, welcher nach Lukas etwa ſechs Donate älter war, 
wenigfiens ſechs Donate früher, ungefähr 30 Yahre alt öffentlich aufgetreten if, fo 
würden wir al8 Anfang feines Auftritts etwa Herbſt 779 u. o. erhalten, eine für feinen 
Bußeruf fehr paflende Zeit, da gerade dann das Sabbatjahr von Herbſt 779 bis da- 
bin 780 begann, dgl. chronol. Synopſe S. 204 fi. Eine ausprüdliche Ausſage hier- 
über erhalten wir Luk. S, 1 fj., wo der Unterzeichnete jegt bei dem Ibten Jahre der 
Regiernug des Tiberius an da® Jahr der Mitherrfchaft, nicht der Alleinherrfchaft denten 
möchte. Verſteht man das 15te Yahr feiner Alleinherrfchaft oder das Jahr 29, fo 
lann man im Zuſammenhange der Chronologie der Evangelien dadurch nur ba ber 
Sefangenuahme des QTäufere, welches Zul. 3, 20. erwähnt wird, unmittelbar borher- 
gehende Wirfen deflelben, nicht fein erſtes Auftreten bezeichnet finden. 8 Liegt aber 
on fi) näher, daß man Lul.3,1u.2. nad der hier herrfhenden Ausdrndsweife an den 
erften Wuftritt des Täufers denkt, da man fonft eine fehr große Abhängigkeit des Lukas 
von feiner Quelle, zu welcher er da® chronologiſche Datum hinznfügt, annehmen muß. 
Sind nun Jahre der Mitregierung des Tiberins zu verſtehen, fo entiprad, fein 15te® 
Yahr, da jene um den Anfang *) des Jahres 765, 12 n. Chr. (vgl. befonders Vellej. 
Patere. 2, 121., ferner Suet. Tib. 20 n. 21., Dio 56, 23. 25., die Fasti Verrü 
zam 16. Jannar nnd Unger, zur Chronologie des Lehramts Chriſti S. 17 ff.) dekretirt 
wurde, etwa dem Januar 779 bis Jannar 780 u. o., umd der Beginn des Sabbat⸗ 
jahres Herbſt 779 fiel wirklich in das 15te Hegierungsjahr des Kaiſers Tiberius. Das 
Bedenten, welches man gegen dieſe Exflärungsweife geltend madt, daß ſich die Regie⸗ 
rungszeit des Tiberine font nur nad Jahren feiner Alleinherrſchaft beftimmt finde, 
tonn, ſoweit e8 in den Thatſachen einen Halt hat, nicht entfcheiten. So gut der be 
rähmte Kanon des Btolemäus, der im damaligen Sige der Wiflenfchaft Ulerandrien 
gefchrieben ward, die Jahre feiner Herrſcher regelmäßig nad; ihrer Mitherrfchaft datirt, 
fo gut Founte dieß auch don einem nichtrömifchen Schriftfieller Lukas gefchehen, obwohl 
die zömifchen Schriftfteller dieß bei ihren Kaifern nicht thun. Es finden ſich im der 
That aber in den Provinzen andy noch fonft andere Datirungen des Tiberiuß als von 
feiner Alleinherrſchaft. So datiren fich alerandrinifhe Münzen ſchon von der Mdoption 
des Tiberius 757 u. c., und der alexandriniſche Clemens hat Strom. J. p. 147 ed. 
Pott. feiner Regierung 26 Yahre 6 Monate 19 Tage, alfo etwa 4 Yahre mehr, als 
wenn man file vom Tage feiner Alleinherrfchaft an, 19. Auguft 14 n. Chr. batirt, bei- 
gelegt. Der Beſchluß des Senats und römijchen Volle, daß dem Tiberins in allen 
Provinzen und Heeren daſſelbe Recht fey, wie dem Auguſtus felber (Vellej. Paterc. 


2) Unger jet fie fhon vor ben Herbſt bes Jahret 764. Doch bat er nicht erwielen, daß 
dex betreffende Beihlu bes Senats und römifchen Volles ſchon zur Zeit der Rückkehr bes Tibe⸗ 
rius aus Dentihland,, bie er nah Dio am Geburtstage bes Auguſtus (23. Geptbr. 764) au⸗ 
trat, gefaßt war. Geinen Trinmph hielt Tiberius am 16. Januar 765, au welchem Tage einſt 
auch Dctavian den Titel Augufus annahm, uud vorher if jener Beſchluß jebenfalle zu 
jegen. Daß übrigens Tiberins bamals and ſchon (wergl. Buet. Tib. 42. Plin. hist, nat, 
14, 22. mit Tec. Ann. 6, 11.) den Zitel princeps erhielt, iſt bei feiner großen Macht unter bem 
alten Auguf and In den bürgerlihen Sachen nicht unwahrſcheinlich, vergl. Hoeck, römifche 
Geſchichte Bd. 1. &. 112 ff. und namentlih anch nach der Bezeihuung feiner Ceuſnegewalt im 
Monument. Ancyr. ed. Mommsen ©. 24. vgl. &. 14fj. nad richtiger Auslegung. In dem kai⸗ 
ferlichen Confilium ber principes coivitatis Dio 56, 28, Buet. Tib. 5b. war er mit Anguſtue ber 
princeps, gleichſam ber noch fiber die Conſuln erhöhte andere princeps senatus, wie das in 
dem Buet, Tib. 17. erwähnten vorläufigen Triumphe durch feinen Sit neben Anguſtus zwifchen 
den beiden Eonfuln in der Senateverſammlung momentan vorgebilbet warb. Leber den Ausbrud 
princepe und des Tiberins Borliebe für ihn vergl. Mommien a. a. DO. ©. 100 nud Bauly’s 


Meatencyliopädie unter pripoepo. 
z5 + 


548 Zeitrechnung, nenteftamentlide 


2,121., vgl. Suet. Tib. 21.), mußte befonders die Provinzialen zu obiger Datirung 
veranlaſſen. Auch iſt myeuoria der allgemeine Ausdrud, wie er auch dom dem Bit. 
herrfcher gefagt wurde, während der beflimmtere Begriff der Alleinherrfchaft durch 
novopyla hätte bezeichnet werden müſſen. Beſonders wichtig if auch das Vorkommen 
von Münzen des Statthaltere Silanus in dem furifhen Autiochien, two auch Yatas 
berweilte, mit dem Kopfe des Tiberius und der Inſchrift KÄuoup. Zeßaoros. I 
Puorov., ferner der Jahrszahl IM. DM. EM., die von ber aftifhen era datirt, vgl 
Eckhel III.276 ff. Tiberius heißt bier auf der erflen Dünze ſchon Seßaaros (Augı- 
stus), welcher Name auf da8 numen divinum des imperator hinweifl, im Jahre 43, 
welches von Herbft 765 bis dahin 766 Tief. Es wird hier nicht nur von Neuem 
die don und oben gefundene Zeitbeflimmung für die Diitregierung des Tberius be. 
ftätigt, fondern es erhellt audy, daß man dort, wenn man die Zeit nad) den Regierung 
jahren des Tiberius als Kusap Seßuoros, nit nad einer Aera, wie auf den Münzen 
gewöhnlich gefchieht, beſtimmen wollte, dies leicht in der Weife wird gethan haben, wie 
von Lukas gefchehen ıfl. Die Jahre des Auguftus werden felbft von noch mehreren An- 
fangspunften ab datirt, aber namentlich auch von der Annahme des Auguſtustitels, vergl 
Beer - Marquardt, röm. Alterth. 2, 3. ©. 299. 

Die Sefangennahme des Täuferd muß einige Zeit vor dem Purim, 19. Min 
bed Jahres 29 n. Chr., ftattgefunden haben. Wie aus dem Präteritum Joh. 5, 35. 
nämlich hervorgeht, fo war der Täufer wenigſtens an dem Joh. 5, 1. erwähnten Tee 
bereits gefangen und nicht mehr im Öffentlicher Wirkſamkeit, während ex das vorher 
noch war, wie der Cvangelift Joh. 3, 24. 4, 1. ausdrücklich bemerkt. Weberhanpt ent- 
fpricht die nad der Sefangennahme des Täufers fallende Anmwefenheit Iefu in Galiläc 
oh. 6, 1. ſynoptiſch durchaus der Rüdlehr Jeſu nad Galiläa Matth. 4, 12. Mark. 1,14. 
Luk. 4,16., welche an diefen Stellen ausdrüdlid nad; der Gefangennahme des Täufers 
gefett wird. Auch nad den Synoptilern erfolgte einige Wochen nad jener Rückkehr 
der Sabbath, an welchem die Jünger Aehren rauften, Darf. 2, 23. Luk. 6,1. Mattb. 
12, 1., welcher anerlanntermaßen um die Zeit des Pafla fiel, an defien Garbenfeft, 
16. Nifan, die Ernte inangurirt wurde. Das fchon durch feine Schwierigfeit umflrettia 
ähte devrepönowror Luk. 6, 1. gibt uns aud) noch einen Wink für das Jahr jenes 
Sabbathe. Es ift darunter, wie auch vielfach erfannt ift, jedenfalls der erfle Sabbat 
(Sonnabend) zu verftehen, welcher wegen feiner Heiligfeit bei den Juden Isa raS, 
vergl. den Ürtilel „Feſte“ Bd. IV. ©. 392, griehiih oaßßurov neWror (im xrer- 
yua Il£roov bei Clem. Alex. strom. VI, 5. p. 760) genannt wird. Es fragt fid 
nur, warum diefer Sabbath hier devrspongwrov heißt. Der Name fcheint darauf kin 
zumeifen, daß er in einer Neihe „erſter Sabbathe“ der zmweiterfte war, wie denn in bem 
befannten flebenjährigen Sabbatheyklus der Juden natürlich fieben erfie Sabbathe ver. 
kamen. Der erfte Sabbath im erften Jahre diefes Cyklus mar erftererfier Sabbatt 
(0EßP. newrongwror), der erfte Sabbath im zweiten Jahre zweitererſter (0d92. der- 
tepönpmror) u. f. w. Es war nun aber (vgl. ©. 547) das Jahr 29 wirklich tas 
zweite Jahr eines foldhen Eyflus, in welchem der erfte Sabbath auf den 6. Rifun 
— 9, April fill. Was diefe unfere Erklärung des oaßp. devrep. noch beflätigt, if 
der Umftand, daß vom Purimfefle, 14. Beadar oder 19. März, Joh. 5, 1., wo Vefn | 
nach der Gefangennahme des Täufer nad; Galiläa zurüdtehrt, gerade drei Woda 
bis zu unferem o«a3ß. devreo. am 9. April verflreichen müffen, und wirklich erwätz 
Lukas für diefe Ziwifchenzeit gerade zwei Sabbathe, Tul. 4, 16. 31. Zu unfen 
Chronologie der Oefangennahme des Täufers flimmt auch die Notiz bei Joſeph. An: 
18, 5. 4., wonach fihh Salome, die Tochter der Herodiad, mit dem Tetrardien Pti⸗ 
lippus verheirathete. ALS der Täufer nämlich hingerichtet ward, war fie nad; art. 5, | 
22 ff. Matth. 14, 11. noch unverheirathet (xoocioiov). Da nun Philippus bereits Enx 
33 n. Chr. geftorben ift, fo muß des Täufers Tod auch deshalb geraume Zeit vorda 
gefegt werden. Die Gefchäftsreife nad Rom, auf welcher Autipas nad Joſeph. Art | 


Zeitrehuung, uenteftamentlidhe 549 


18, 5. 1. ben Blau feiner Verbindung mit Herodias faßt, iſt ferner in den Anfang 
bes Jahres 29 n. Chr. zu fegen, vgl. meine chronol. Synopſe S. 242 ff. Das Feft 
der yarkcım des Antipas endlich, Mark. 6, 21. Matth. 14, 6., an welchem der Täufer 
hingerichtet ward, ift nach Sprachgebrauch, dgl. auch Wettftein zu Matth. 14, 6., und 
Zufanmenhang von feinem Regierungsantritt zu verflehen, welchen unftreitig auch ex 
feierte, wie das ſchon fein Vater Herodes d. Gr. regelmäßig pethan hatte, Joſeph. Ant. 
15, 11. 6.; vgl. 12, 4. 7. Diefe yerdoıa werden bei Marl. 6, 30. Matth. 14, 13. 
unmittelbar dor der Speifung der Fünftaufend erwähnt, welche nad Joh. 6, 4. um 
die Zeit des Pafla 29 flatthatte, wozu auch flimmt, daß Antipas, da fein Vater He- 
rodes d. Gr. um das Pafla geftorben ift, feine Regierung wirtlih um die Zeit des 
Bafia angetreten hat. Der Täufer faß hiernach mindeflens von Purim bis etiva Pafſa 
29 auf der Feſte Machärus gefangen, kann indeß fchon etwas vor Purim gefangen 
genommen jeyn. 

Zur Erkenntniß der thatfächlichen. Entwidelung bes Lebens Jeſu, welches ja im 
Zeit und Raum verläuft, fo daß ohne deren forgfältigfte Erforſchung von einer wiflen- 
ſchaftlichen Reproduktion diefer Eutwidelung gar nicht die Rede ſeyn kann, ftellen wir 
hier die Reſultate unferer chronologiſchen Zufammenfhauung der evangelifchen Berichte 
harry zufammen, wobei wir befonders die Evangeliften Johannes und Lulas (vgl. Luk. 
1, 3.), welcher in der Anordnung mit Markus, wo dieſer nicht fchweigt, faſt zufam- 
menfällt, zu unferen aloluthiſtiſchen Yührern machen. 

J. Abfchnitt. Die Kindheitsgefhichte Jeſu. Lul. 1, 5—2, 52. vgl.3,23—28,.; 
Matt. 1 u. 2. 

I. Abfchnitt. Don dem Öffentlichen Auftreten zuerſt Johannes des Täufer (etwa 
Herbft 26) und dann Jeſu (Sommer 27) bis nad der Gefangennehmung des Exfteren 
und Rückkehr des Letzteren von feiner Reife zum PBurimfefl 19. März 29. Luk. 3, 1— 
4, 15. Marl. 1, 1—13. Matth. 3, 1—4, 11. Joh. 1, 19—5, 47. Diefe Zufam- 
menordunng der evangelifchen Berichte Über diefen Zeitraum beftätigt ſich nicht nur im 
Ganzen umd Großen, wie wir gefehen haben, fondern auch im Einzelnen. Da Lulas 
4, 23. in den folgenden Ubfchnitt gehört, fo erklärt fi das hier erwähnte Wunder aus 
oh. 4, 47 ff. Dan kan dagegen Joh. 4,44. mit Zul. 4,24. als eigentliche Parellele nur 
combinixen, wenn man Überfieht, daß das Zuuprvonoer bei Johannes a. a. O. ein thats 
ſächliches Zeugen Jeſu für die Wahrheit des betreffenden Spruche, alfo eine Reflerion 
des Evangeliften enthält, die Synoptiker aber jenen ald Rede Jeſu felbft anführen. 

DI. Abſchnitt. Bon der Rucktehr Jeſu aus Judäa nad Galiläa nad; der Ge- 
fangenmahme des Täuferd und dem Purimfefte 29 n. Chr. bis zu feiner Reife zum 
Höttenfefle 29 (15. Tifhri —= 12. Oftober) nah Jeruſalem. Luk. 4, 16—9, 50, 
Marl. 1, 14—10, 1. Matth. 4, 12—19, 1. Joh. 6, 1— 7,2. Sämmtlide Stüde 
des Johannes haben hier ihre Parallelen bei den Synoptikern a. a. O., und auch Jos 
hannes macht bier erſt die gelegentliche Bemerkung über die dwdexu Joh. 6, 67., 
welche auch bei den Synoptikern während der von der Gefangennahme des Täufers 
datirenden andaueruden galiläifchen Wirkſamkeit Jeſu ausgewählt werden. 

IV. Abſchnitt. Bon der Reife Iefu zum Hüttenfeft 29 n. Chr. bis zu feinem 
legten königlichen Einzuge in Jeruſalem am 10. Niſan — 2. April, einem Sonntage, 
30 n. Chr., Zul. 9, 51 —19, 28. Marl. 10, 1—52. Maotth. 19, 1— 20, 34. Joh. 
7, 2—12, 11. Johannes und Lulas haben hier die drei legten Reiſen Jeſu nad) 
Fudäa und Iernfalem, während Matthäus und Markus nur die legte Reife Jefu dort- 
hin, welche mit feinem Tode endete, berichten. Der ganze Zeitraum umfaßt etiva ein 
halbes Yahr. 

Die drittlegte Reife Jeſu Luk. 9, 51 —13, 21. Joh. 7, 2— 10, 42., wo Jeſus 
zum Ööttenfeft und Enkänienfeſt Joh. 10, 2. (25. Kislev — 20. Dezember) 29 nad 
Chr. nad Ierufolem und dann in das peräifche Bethanien geht. Die num ri 
Graimpens avrov Lut. 9,51. bezeichnen nicht, wie man gewöhnlich annimmt, die Tage 


660 Seitsehhnang, uenizhamenilhe 


feiner Himmelfahrt, in welchem Falle etwa eis ougaror hinzuzufügen war ud tuogegen 
auch der Pluralis 7ulon: fpridt, fondern die Tage feiner : Mufnahme, d. h. mp ihm die 
Menſchen aufnehmen konnten, vgL zu ürdimpıs Philo (Mang.) II,70u.363.,Dio60,8. 
Auch fonft wird in den Evangelien hervorgehoben, daß die Zeit des Wirlens Jefa md 
feiner Annahme von den Menſchen von Bott vorher beſtimmt war Lul.19,42.44. Daß 
Jeſus damals auch nad; Lukas nach Bethanien kam, fehen wir aus ber Schönen Sxyäh- 
Iung über Maria und Martha, die Schweftern des Lazarus, Luk. 10, .38 He vergl. 
Joh. 11, 19 ff. 

Die zweitlegte Reife Jeſu Zul. 13, 22—17, 10. Joh. 11, 154. von Beröo 
nach Bethauien bei Ierufalem und dam nad; Ephraim ſüdlich von Samarien. Wudı 
bei Lukas befindet ſich Jeſus beim Beginn biefer Reife wieder im Gebiete des Herodes 
Antipas, etwa 3 Xagereifen von Ierufalem Luk. 13, 31 ff. 

Endlich die legte Reife Jeſu don Ephraim durch Samarien, Solitn, Bexda jum 
ZTodespafla (15. Nifan — 7. April, ein Freitag) im Jahre 30 n. Ehr., wo and) bie 
anderen Synoptiler wieder eingreifen, Luk. 17, 11—19, 28. Joh. 11, 55 —12, 11. 
Matth. 19, 1—20, 34. Marl. 10, 1—52. Daß die Teiste Reife, wie. bei Zohaunes 
fo auch bei Lulas, fudlich von Samarien ausgeht, erhellt aus Luk. 17,1., wo das dm 
uloov Zauapelog vor IoAdalas ſonſt keinen Sinn gibt. Jeſus wollte alle jene Ge 
biete auf dieſer feiner Reife nod wieder befuchen, bevor er in Ierufalem den Tod litt. 

V. Abfchnitt. Die Leidenswode, Tod und Auferfiehung Jeſu, Luk. 19, 29 |. 
Mark. 11, 1 ff. Matth. 21, 1 ff. Joh. 12, 12 ff. 

Daß duch obige Zufammenfchauung der 4 Evangelien die contronerfe Frage nad 
Zeit und Raum der Öffentlichen Wirkfamleit Jeſu und überhaupt nad der Geſchicht 
Lichleit der Evangelien und ihrem Verhältniß zu einander vielfach beantwortet wird, 
fann hier num angedeutet werden. Dabei erhellt zur Genüge, daß auf dem Gebiete der 
zeitlichen Entwidelung des Lebens Jeſu ohne Exrforfhung der chronologifhen Grundlagen, 
ohne Fritifche Kunde und eregetifche Umficht kein irgend ficheres Refultat zu erreichen iſt. 

Indem wir zur weiteren Rechtfertigung unferer obigen dhronologifc - fynoptifchen 
Zufommenfaffung der evangelifchen Berichte der Kürze wegen auf unfere chronologifce 
Synopfe der vier Evangelien hier verweiſen müffen, wollen wir nur noch Einiges über 
die vielbefprochene Trage nad; dem Todestage nnd Todesjahre Yen Hinzufügen 

Wie der Berfofier des Artileld „Iefus Chriftus“ behaupten wir, daß Jefus mach 
den Evangelien, und zwar nicht bloß nad; den Synoptilern, wo bernünftigertneife fein 
Streit darüber feyu kaun, fondern auch nad) dem Evangelium des Johannes am 15. 
Nifan — 7. April des Jahres SO n. Chr. gekreuzigt if. Diefe im Borbergehendes 
aus den vier Evangelien bewiefene Thatfache läßt ſich auch noch durch folgenden djeass- 
Logifch » mathematifchen Grund beflätigen. Iu meiner dhronologifhen Symopſe ©. 446 
ift eine Tafel über den 15. Nifan für die Jahre 28 bis 36 muitgetheilt, ans welcher 
erhellt, daß der 15. Nifan im Jahre 30 nicht bloß wirklich ein Freitag war, fonbers 
daß in den Jahren 28 bi 34 der 15. Nifan nur noch im Jahre 34, wenn dieſes eis 
Schaltjahr war, welches Jahr aber jedenfalls zu fpät if, auch auf den Freitag gefallen 
iſt. Der 15. Nifan ift dagegen auf den Sonnabend, wie diejenigen wollen, welche in 
dem wichtigen Punkte des Todestage® Jeſu einen Zwiefpalt zwiſchen Sohammes um) 
den Synoptikern für möglich, halten und ſich dabei auf die Seite des Iohammes flellen, 
nur im Jahre 33 gefallen, welches fchon deshalb zurüdzumeifen ift, weil Iefus, de, 
inie wir fahen, im Sommer 27 aufgetreten ift, dann beinahe 6 Sahre lang dffentlid 
gewirkt haben müßte, was gegen die evamgelifchen Berichte angenfcheinlidh fireitet, 
Wenn man ſich auf Joh. 18, 28. für die Anficht beruft, daß der Todestag Chrifi 
der 14. Nifan geweſen fe, weil das Paflaefien noch zufünftig war, fo iſt au beachten, 
daß das Paflaefien 7 Tage lang dauerte, weil 7ö ndoxa im weiteren Giune wi 
5 Mof. 16, 2., bekanntlid, und namentlich auch bei Joh. 2, 13. 23. 6, 4. 11, 55 5. 
bom ganzen Feſte fleht, und daß die Lefer des Johannes, welche wie ex mit ihren 


Zeitrechmung, wenteftamentktdhe 551 


Gedaulten beit Morgen bes 15. Nifan find, nur an das damals noch zukünftige 
Baftaeffen, alſo an die Ehagiga *) denken konnten. Daß bie Lefer des vierten Evan- 
gelium® mit der evangelifhen Zraditton im Allgemeinen befanut find, wird allgemein. 
zugeftanden und erhellt für diefen Abfchnitt des Lebens Jeſu auch aus dem Weglaffen 
der Einſetzung des heiligen Abendmahls. Uebrigens hat Johannes den laufenden Tag 
gelegentlich auch als Pafſa bezeichnet, Kap. 18, 39. (dv zw ndaoya). Auch wurden 
die in daS heidnifche Prätorium tretenden Juden nur bis zum Abend berumreinigt umd 
konnten das Baflalamm effen, während die Ehagiga mit dem Morgenfeſtopfer bereitet 
wurde md eine Verunreinigung für ihren Genuß am laufenden Tage wirklich hinderlich 
war; dgl meine Anz. von Bleeks Beitr. zur Edangelienkritik in Reuter's Repert. 1849. 
3.65. Hft.L Die Stelle Joh. 19, 14. kann ſchwerlich mit Hofmann fo erklärt werden, 
dag man hinter napaoxevn interpungirt. Die ſechſte Sunde des Bafla kann unmöglich 
ohne Welieres von Mitternadht des 15. Niſan datiren und das PBaflalauımsfeft am Abend 
des 14., wovon der ganze damit beginnende Tag feinen Namen Bafla hat, ausſchließen 
JIopvoxsun bezeichnet bier, wie Joh. 19, 31 u. 42. Marl. 15, 42. Joſeph. Ant. 16, 6.2. 
m. 5. einen Freitag als Vortag des fabbathlihen Sonnabends. Es iſt verwunder⸗ 
Tich, anf der entgegengefeßten Seite von eregetifchen Gewaltſamkeiten fprechen zu hören, 
da fie Flärlich dort zu fuchen find, fo Lange keine einzige Veweieſtelle für die bei 
ihr behauptete Bedeutung von nagaoxeun beigebradht oder auch nur deren Möglichkeit 
twahrfcheinlich gemacht wird. Der Name hat, wie auch Bleek zugibt, feinen Grund in 
dem Zubereiten dee Speifen (>, napammevaleır) am ſechſten Wochentage, weil 
am Sabbath nad 2Mof. 16, 5. kein Feuer angemacht werden durfte. Er Tann hie 
nad; gar wicht dom Näfttage anf da® Pafſa (npoLopros) ftehen, da die Speifen für 
diefes am Feſttage felbfl, wo das Kochen erlaubt war, 2 Mof. 12, 16., bereitet werben 
fonnten. Und welde Zweidentigkeit in ber Rede, wenn doch augeflandenermaßen napa- 
oxevn fonft der terminus für den fechflen Wochentag iſt und diefe Bedeutung gerade 
zum Todestage Jeſu, ber ja auf den Freitag fiel, paffend if. Im Uramäifchen ent- 
fpricät dem rapaoxeun anaın9, nit non ss. Es if einfach zu erflären: ein in 
die Paflnzeit: fallender Freitag; vergl. die ähnlichen Formeln bei Hippolytus in ber 
Dftertafel ai xuguaxai rou ndaya, Solrat. hist. oocles. 5, 22. rd odfßara ix 
&opric, Iguat. epist. ad Philipp. Kap. 13. odAßarov Toü naoxga. Aunch die alte 
Peſchito verfieht Joh. 19, 14. einen im den Sabbath fallenden Freitag; vergl. auch die 
inſtruktive Darlegung von Wichelhaus, Eommentar zu der Geſchichte bes Leidens Jeſn 
Chriſti. 1855. &. 210. Iſt mum aber hier der Todestag Jeſu als ein in das Pafla- 
feft fallender Freitag bezeichnet, fo mar auch nad Johames damals das Pafſalamm be» 
zeit gegeflen, und das Yoh.13. erwähnte Abendmahl das Baflamahl, wie fi) aud aus 
oh. 13,1. ſelbſtſtäͤndig erweiſen läßt, mag man das neo Fig fopris ou ndoxa bloß 
auf eldusc oder andy anf ayanraas beziehen. Uns ber Geſchichte der chriftlichen Pafja- 
ſtreitigkeiten läßt fich dieſes Refultat über das Evangelium bes Johannes nur beftä- 
figen; vgl. meine Recenfion von Weigel in Renter's Repert. 1849. Bd. 64. Heft 2. 
Denn nad) einer alten, felbf von Polykarp, des Johannes Schüler, bezeugten glaub» 
würdigen Tradition bei Euseb. hist. eoclL 5, 24. haben der Apoftel Johannes und bie 
Abrigen Upoftel, wit denen jener in Aflen verfchrte, Die XIV luna des Bafla flets mit 
den Juden nad; dem Edangelium gehalten, und auch fpäter haben die Quartodecimaner 
fi, für ihre Feſtſitte auf den Borgang des Johannes berufen. Cs iſt nicht richtig, 
wenn in dem Wrtifel „Pafcha, chriſtliches⸗, behauptet wird, daß der Name zacya im 
zweiten und dritten Jahrhundert nur die Feier des Todes Chrifli, feit bem vierten 
Jahrhundert aber die Feier feines Todes und feiner Auferſtehung zugleich bezeichne; 


*) Dieſe Anſicht wird fon von Chryſoſtomus zu Ich. 18,28, vorgetragen, welcher noch bie 
andere Anficht daneben erwähnt, daß die Iuben in Folge ihrer Beruureinigung damals das 
Baffalammseffen anf den 15. Niſan verſchoben hätten, wobei er aber immer von ber Auflht ans» 
geht, daß Iefus am 15. Rifan gekrenzigt iR; |. unten. 


562 Zeitrechnung, nenteitamentliche 


vgl. dagegen z. B. die Formel in der Oftertafel des Hippolytns: ui xupazal ei 
zooya; nnd wie unwahrſcheinlich, da der Ausdruck zuoyu nicht bloß bei Joſephut 
Ant. 14, 2. 1. 17, 9. 3., ſondern befanntlid) au in der Schrift Allen mb Neuen 
Teftaments, 5 Moſ. 16, 2. Joh. 2, 13. 23. 6, 4. 11, 55. 12, 1. 18, 1. 18, 28, 
19, 14. das ganze fiebentägige Feſt bezeichnet, fo daß die Namen des nasya'aravps- 
o0v und avooracınov an diefen Sprachgebraud; unmittelbar fich anſchließen. Es if 
unbaltbar, zu behaupten, daß die kleinaſiatiſchen Quartodeeimaner tm zweiten Jahre 
hundert den Todestag Jeſu auf den 14. Nifan gelegt haben, und dafür anch den 
Grund anzugeben, daß fünmmtliche Väter des zweiten und dritten Jahrhunderts dieß 
gethan hätten. So hat Yuflin, dial. cap. 111., die Kreuzigung Chriſti unflreitig auf 
den 15. Nifan gelegt, weun er hier fagt: xai orı &v —XR zoü ndoya oureldßer: 
avrov xul Önolwg Ev To na0xa EoravgWoore yıygansaı. Auch Deigenes thnt es tract. 
33. in Matthaeum, Hieronymus, Chrufoftomus zu Matthäus Kap. 26. und zu Iohannes 
Rap. 18, 28., wo er, wie wir fahen, die Hnpothefe aufftellt, daß die Juden entweder 
den gefeglichen Tag der Paflamahlzeit, welchen der Herr einhielt, verlafien und jeme am 
15. Nifan gefeiert hätten, oder das Pafla vom Chogigaefien zu verfiehen ſey. Erferes 
hatte fchon der Hauptvertreter der occidentalifhen Feflfitte und gewane Kenner der Bafle- 
fireitigleiten Euſebius in der catena Corder. in Luc. cap. 22. 8.12. behauptet, welcher 
ebenfalls Jeſum am 15. Nifan flerben Hißt; vgl. Wichelhaus S.189 ff. Kurz die: tärd- 
tigſten Eregeten und Kenner des Altertfums unter den Kirchenvätern fegen den Todestog 
Jeſu auf den 15. Nifan. Wie fi dabei die occidentalifche Feflfitte rechtfertigen fie, 
hat Origene® am angeführten Orte angedeutet, der dabet ganz in den Spuren bon 
Gal. 4, 9—11. Sol. 2, 16. Röm, 14, 5. Hebr. 13, 9ff., wo unter den Opferfpeifen 
namentlich auch die jüdifchen Paſſalammsmahle zu verftehen find, gegangen if. Die 
Anficht von Neander, Weigel u. 4. kann ſich namentlich auf Apollinaris, Siemens Mer. 
und Hippolytus berufen, die ihre typifche Deutung der altteftamentlicherr Baffainftitution 
an die Stelle der wirklichen Gefchichte fetten, indem fie meinten, daß, da Chrifies dos 
wohrhafte Paſſalamm fey, er an demfelben Tage, wo das altteftamentlihe Baffalemm 
getddtet fen müſſe und, wie Clemens hinzufügt, auferftanden fey an bemfelben Tage 
(16. Nifan), an welchen die Erfilingsgabe dargebracht wurde, wodurch fie zugleich den 
Einwurf der Gegner, daß auch Jeſus mit den Juden das Feft gehalten habe, zu wi» 
derlegen fuchten. Dieſe Auffaffung ift aber zu fehr im Geifle der Allegorifer des 2ten 
Jahrhunderts, fo daß wir fle, verglichen mit der anderen, auch ſchon deshalb nicht für 
die richtige erachten können. 

Zur Bergleihung mit den Refultaten unferer Chronologie der Geſchichte Chrifti 


ftellen wir bier die Anfichten einiger anderer Chronologen über einige Hauptthatfachen 
feines Lebens zuſammen: 























Sufe- ur Seatiger. — Ufber. | Bengel. Ideler. | Anger. — 2 ' mr 
| 
Geburt Iefu 5 bie 4 | a a u ] 
v. Bea , Dez. bis | 
Ber... ... 20.65.30. Ch. 88.Cb. 8v. Ch. ‚BB. Ch. 4 v. Ch. 7 v. Ch.4 v. Ch.4 v. Ch. 52.0 
6. Jan. | 25. De. | Oktbr.?:25. Dez. | 35. Dez. 28. Des. | im Dez. im Anfe. |Ninfo. (?) ? 
Zanfe Iefu 27 n. Chr. 
Sommer . 29 & 29 | 30 | 27 IR 3 2 
d.in. Chr. 
n. Sr. n. Chr. n. ir. n. Chr. n. Ehr.n. 1. Chr. Ss: Fer —28 2. Ir 





Zod Jeſu 30 n. Chr., 
7. April... . s3 | sı | 33 29 83 
n. 3. n. .. n. Ebr.n. Chr.n. Chr. n. Chr n. Chr. in. Chr. u &he|a 0% 
| 3. Upril. |28. März. 3. April.| 7. Apr. |15. April.) 87.9pr. 
O. Zur Chronologie des Paulus. — Abgefehen von dem Artikel ‚Beulas- find 
die Artilel über die Briefe an die Galater Bd. XIX. ©. 523 ff., Römer Bob, XX. 
©. 583 ff., Timothens und Titus Bd. XXI. ©. 276ff. und über Aretas Bd. L zu 


31 





Zeitweiuung, nenteſtamentliche 553 


vergleichen, ferner Unger, de temporem in actis apostolorum ratione, 1833; 
Biner, biblifcyes Realwörterb. unter „Paulus“ und des Unterzeichneten Chronologie 
des apoftelifchen Beitaltere, 1848. — Es brauchen mit Rüdficht auf die erwähnten 
Urtilef von dem Unterzeichneten aus der Chronologie des Apoſtels Paulus nur noch 
zwei Buufte erdrtert zu werden: die beftinmitere chromelogifche Firxirung feiner apoflo- 
liſchen Wirffandkeit feit dem Apoſtelconcile und die Frage nach der fogenammten zweiten 
tömifchen Gefangenſchaft Banli, namentlich fofern fie auf dem Zeugniſſe der kirchlichen 
Tradition zu beruhen fcheint. 

Ad 1. Im Urtitel „Bataterbrief Bd. XIX., wo als Jahr der Belehrung des 
Paulus das Iahr 40 n. Chr. von ums extwiefen wird, behaupteten wir ©. 582, daß 
fi in ſelbſtſtändiger Weile aus der relativen Chronologie der Mpoftelgefchichte im Zu⸗ 
ſammenhange mit gewiſſen Daten der abfoluten Chronologie für die Apgeſch. 18, 22. 
berichtete Reife des Paulus nad Ierufalem das Jahr 54 n. Chr. ergebe. Es läßt 
fid; wämli für den Abſchnitt Apgeſch. 18, 1—28, 31. anf Grund der hier mit» 
getheikten Daten eine unmterbrochen gliedlich in fi zufammenhängende relative Chro⸗ 
nologie, d. h. eine gename Beſtimmung des zeitlichen Wbftaudes der berichteten That⸗ 
ſachen vom einander heuftellen, fo daß durch Fixirung irgend eines Gliedes mittelſt einer 
fonft belannten Beitäve zugleich die ganze Reihe dee zufanımenhängenden Glieder zeitlich 
beſtimmt wird. Die Aufftelliung der relativen Ehronologie jenes Abſchnitts erhalten wir 
in folgender Weiſe. Da Paulus nah Apgeſch. 18, 11., vgl. Be. 18., etwas über 
anderthalb Jahre in Korinth war und von da Über Ephefus nad) Ierufalem reife, um 
bier zu einem Feſte (Pfingitfefle) Apgeſch. 18, 21. (nach der unftreitig richtigen Lesart 
des ua mdyrwg ırv bopenv Tüv koxoubsnv noaaı eig Tepoodivua) einzutreffen, fo 
umfaßt der Abſchnitt Apgefh, 18, 1—21. 12 Jahre. Bald nad Pfingften verlieh 
Parlus Yerufalem, um über Balatien nad) Ephefus zurückzukehren und dort beinahe 
3 Dahre, vgl. Apgeſch. 19, 8. 10. mit Apgeſch. 20, 31. (roırlar), zu wirten. Da 
er nad 1Kor. 16, 8. Epheſus damals um Pfingften verlieh, fo kommen auf den Ab⸗ 
ſchnitt Apgeſch. 18, 22— 20, 1., welcher von einem Pfingften zum anderen reicht, 
gerade 3 Jahre. Apgeſch. 20, 1—6. geht von der Abreife Pauli von Ephefus um 
Bfingfien, wo er Macedonten ind Achaja wieder befuchte, bis zu feiner Wbreife um 
das nächſte Ofterfeft nnd umfaßt alfo %, Jahre. Gleich nad; dem Feſte der ungefänerten 
Drode Apgefdh. 20, 6. verließ Paulus Philippi, um zu Bfingften in Iernfalem einzu. 
treffen, Upgeih. 20, 16. Nach feiner Ankunft wurde er im Tempel zu Yerufalem ge: 
fangen genommen und darauf nach Cäfaren gebracht, Apgeſch. 21, 27 ff., wo er unter 
dem römifchen Lamdpfleger Felix bis zum Antritt des Randpflegers Yeftus 2 Yahre als 
Sefangener zubrachte, Apgeſch. 24, 27. Gleich im erften VBerhödre, welches Feſtus bald 
nach feiner Ankunft in der Provinz, Apgeſch. 25, 1 ff., mit Paulus hielt, appellirte 
diefer an das Gericht des Kaifers und ward noch in dem Herbfte dieſes Jahres dor 
dem großen Berföhnungstag (10. Tiſchri) Apgeſch. 27, 9. („norela) nad) Rom abge- 
führt. Der Abfchnitt Apgeſch. 20, 7— 27, 1ff. umfaßt alfo 25 Jahre. Da Paulus 
Schiffbruch litt und fih in Folge defien in Malta 3 Monate aufhalten mußte, Apgſch. 
28, 11., fo langte er erſt im nächften Frühjahr in Rom an und war um die Yeit, 
womit bie Mpoftelgefchichte abfchließt, fhon 2 Jahre in Rom tm Gefängniß getvefen, 
Apgeſch. 28, 30. Für Apgeſch. 27. u. 28. erhalten wir mithin noch einen Zeitraum 
von 24 Jahren. Alſo die 13 +3 +3 + 24 + 24, zufanmen 104 Jahre, die wäh. 
rend Apgeſch. 18, 1— 28, 30. verfirichen, fubtrahirt von dem Frühjahr, mit welchem 
das Geſchichtswerk des Lukas 2 Yahre nach der Ankunft des gefangenen Paulus in 
Rom abſchließt, führen im den Herbft, in welchen Paulus 104 Yahre vorher in Korinth 
anlangte. Da ſich nun eriveifen läßt, daß Feſtus im Sommer 60 n. Chr. als Land. 
pfleger in YIudän eingetroffen, alfo der Apoftel Paulus Frühjahr 61 in Rom ale Ge» 
fangener angelangt ift, fo folgt, daß der Letztere Herbft 52 in Korinth zu predigen be» 
gonnen bat und noch einige Zeit vorher (vgl. Apgeſch. 15—17.) um 50 n. Chr. das 


554 Zeitrechnung, nentehamentlöde 


Apoſtelconcil ia Zeruſalem tattgehabt bat, daß Paulus Herbſt 54 Wis Pfingften 57 a 
Ephefns miſſionirte, Pſingſten 58 im Tempel zu Jernſalem gefangen genonmten: wurde 
u. f. w. Bgl. meine Chronologie des apoftoL Zeitalters S. 21 ff. und meinen Com 
mentar zum alaterbrief S. 580 ff. Den Regierungsantritt des Feſtus ſetzen in 
neuerer Zeit in's Jahr 60 mit mir Pearfon, Unger, Winer, Biefeler, Wurni, Ebrard 
Schaff, Hnther, überhaupt die Dkeiften, in's Jahr 61 Hag, Meyer, wald u. Und. 
zwifchen 60 md 61 ſchwanken de Wette, Bleek, Gerlach (die rim. Statthalter in -Sirten 
und Judäa ©. 78). Für die zuerfi genannte Auficht fprechen folgende Gründe. ler 
bings muß Feſtus fein Amt fpäteflens 61 angetreten haben und Panlus fpätelens im 
Frühjahr 62 in Rom eingetcoffen ſeyn, da er nad Apgeſch. 28, 30. 31. dort zwei 
Jahre lang ungehindert in einer Mietwohnung das Evangelium predigte, was wid 
deufbar wäre, wenn er erſt Frühjahr 63 in Rom angelangt wäre, weil er als eines der 
angefehenften Häupter der Chriften bei der nach Tacit. Ann. 15, 44., vgL Bio 63, 
16—18., im Jahre 64 auf Anlaß des Brandes der Stadt Rom, welcher vom 19. Yalı 
an 6 Tage und 7 Nächte dauerte, vgl. Buet. Nero 38., verhängten Ehriftenverfolgung 
nicht hätte verſchont bleiben können. Daß Felix fpäteflens 61 abgegangen und Feſtes 
damals fpäteftend gefolgt fen tönne, ergibt fi) ferner ans Joseph. Ant. 20, 8. 9, 
wornach jener durch den Schny feines bei Nero in hohem Anſehen ftehenden Bruders 
Pallas, welcher nach Tacit. Ann. 14, 65. im Jahre 62 don Nero bereit® vergiftet iß 
bon der Anklage der Juden gerettet ward, umd aus der bort ſich findenden Notiz Aber 
Burrus, falls hier diefer und nicht BrovAdog zu lefen und derfelbe mit dem befannten 
praefectus praetorio Burrus, welcher fpäteftens Febrnar 62 flarb, vgl. m. Chromel, 
S. 83, identiſch ifl, in welchem Falle ihn Iofephus, der ihn Ant. 20, 8.2. richtig eilt 
praefectus praetorio Tarafterifirt, ohne Rüdweis auf diefe Stelle irrig als Hofureifier 
(nuıdaywyös) und Sekretär Nero's bezeichnet haben würde, vgL indeß auch den kt. 
„Nero“ in Pauly's Realenchkl. S. 477, wo die Lesart Brjovälog befolgt teird. Allen 
wenn hiernach Felix andı nit nad 61 aus Indäa abgerufen feyn kann, fo if dieß 
doch ſchwerlich erft im Sahre 61 gefchehen. Es werden von den Bertheidigern dieſer 
Anfiht befonders zwei Gründe geltend gemaht. Mau glaubt die Flucht des Pankes 
aus Damaskus und fomit die mit ihr umgefähr gleichzeitige erfle Reife des Paulus 
nach Serufalem Gal. 1, 18 ff. Apgeſch. 9, 25. 26. 2 Kor. 11, 32. 33. mit Raucſicht 
darauf, daß nach 2 Kor. a. a. O. damals ein Ethnarch des Aretas über Damatine ge 
bot, durch die Hypotheſe, daß Legterer den Römern unter Vitellius diefe Stadt durch 
einen kriegeriſchen Angriff momentan entriffen hatte, chronologifd dahin beflimmen zu 
tönnen, daß jene beiden Thatfahen in’ Jahr 38 zu fegen fegen, und erhält num, m 
dem man die 14 Jahre Sal. 2, 1. von jener erſten jerufalemifchen Reife Pauli rechnet 
md die Sal, 2, 1. erwähnte Reiſe Pauli mit feiner Reife zum Apoſtelconcil Apgſch. 15. 
identificiet, für diefe letztere bereits das Jahr 52. Hieraus ergibt fidh dann bie netl 
wendige folge, daß die Predigt des Paulns in Korinth erſt 53 n. Ehr. oder 1 Jahr 
fpäter, als von uns gefchehen, gefett werden fann und von da ab alle Thatfadhen Inegen 
ihres glieblichen Inſammenhangs 1 Sahr fpäter, alfo auch die Ankunft des Feind tm ber 
Provinz nicht 60, fondern 61 geſetzt werden müſſen. So namentlih Weyer, Apgefch 
(3. Aufl.) S. 17ff. Aber felbfi wenn im der hier verfuchten Weife für die Reife Pauli nad 
Jerufalem, Gal. 1, 18., das Jahr 38, alfo für die Belehrung des Paulus das Yahr 35 
fi, erweifen ließe, fo würde, da die 14 Jahre Cal. 2, 1. jedenfall® vom ber Welch 
zung Pauli datiren, bei der BVorausfegung, daß Gal. 2, 1. die Reiſe Pauli um 
Mpoftelconcil zu verftehen ifl, dieſes legtere fhon 49 n. Ehre. zu fegen fee, weithin 
ans diefem Datum nichts gegen uufere chronologiſche Feſtſtellung von Apgeſch. 18, ı F. 
fich ergeben. Indeß haben wir in den Artt. „Aretas⸗ und „Galaterbriefe S. 880 ſt 
gejehen, daß die ganze von dem Bhilologen Heyne zuerſt aufgeftellte Bafis diefer den 
nologifchen Combination, die momentane kriegeriſche Befigergreifung des den Räömmers 
zugehörigen Damaskus durch Aretas ſchwerlich haltbar ift und Damaskus ihm als deu 


Beitschuung,; uentoamtwibhdhe 565 


fruheren ‚Beier ‚von: Ealigula geſchentt ward. Ehronologifch erhalten wir Abrigens 
Da& ‚gleiche -Refsltet, wenn wir ut Becker, Marquardt, zön. Alterthumer 8,1. S. 184 
hehannten, aß Aretas, wenn anch unter römiſcher Oberhoheit, von feinen Vorfahren 
her · ahne Neterbreiumg im Befig son Damaskus: fich befunden habe. Abgeſehen von 
bes Nichte heweiſendes Stelle (vergl. meinen Balaterbrief &. 581 ff.) Joseph. vit. 
8. 4. fann: men fi num onf Joseph. Ant. 20, 8. 11. berufen, wo die Boppfia be⸗ 
seits zum: Zeit des ˖ Feſtus als Frau des Nero erſcheine, was fie nach Taeit. Ann. 14,59. 
Buch. Ner, 86.57. ei im Mai (f. Anger, ratio tempp. p. 101.108) des Jahres 62 
gewmordan ſey. - Due, wenn auch si7 yural a. a. O. ®) gleichbedentend mit feiner, 
des: Nero Fruu (vi ywvamı abros) gefagt fen und nicht wie Joseph. Ant. 1, 16.3. 
Dowier .Zli0h:.3, 204, Ehrentitel der damals mit Otho verheiratheten Poppäa feyn 
follte, -20 Yoſenhus wenigftens an zwei anderen Stellen, Ant.20, 11. 1., vit. 8.3., wo 
diaſe zuirkhich Nero's Gemahlin war, your Niowroc fagt, fo würde hieran⸗ telnet» 
weg® ‚Etiya® gegen unfeze Annahme, ba; Feſtus bereits Soumer bis Herbſt 60 jübl- 
ſcher Landpfleger murde, felgen. Bei jener Faffung wird nämlich 77 yurasziı nicht for 
wohl, wie Anger will, proleptiſch, als vielmehr von der Mattreffe **) Nero’s, wae 
fe, und zwar mit dem größten: Einfluffe anf den Kaiſer, nuch Tac. Ann. 13, 45. 46. 
14, 1, bereita feit 58 wer, zu verſtehen feyn; fo tommen uxer und femina, welchen 
Unsdrüden des griechifche yurr gleicher Weife entfpricht, 5. ®. Buet. Ootev. 69 (hier 
vom der Kleopatra, welche Antonius als feine uxor bezeichnet, zu einer Zeit, wo ex 
fein meirizsoniame mit der Detavia noch nicht gelöft hatte), und Tao. 13, 46 (bou der 
Poppäa) vor; ‘ja es findet fi) uxor in obigen Sinne ſogar in ber dem Joſephus, 
welcher feine Archäologie umd feinen judiſchen Krieg befanntlic in Rom namentlid; auch 
füg xömifche Leſer verfaßt hat, vgL den Urt. „Iofephus- Bd. VII, faft gleichzettigen, 
db. 5. bon Anguſtus 17 v. Ehe. erlaffenen ımd fortwährend gültigen lex Julia, indem 
hier uxor justa and injusta unterfdieden werden, unter welcher letzteren Nein a. a. O. 
S. 481. Note *), weine in einer nur nach jus gentium (alfo ohne connubium), wicht 
nad) jus civile gäftigen Che lebende Fran“ verfteht, vergl. auch den correfpondirenden 
Anadrud avrp Joh. 4, 16. 18. ber feld wenn unter 77 yurazıl die uxor justa 
Nero’S zu verſtehen wäre, was die Poppäa im Mai 62 wurde, fo würde aus der 
Stelle des Jofephus nur folgen, daß Feſtus noch um jene Zeit jüdifcher Landpfleger 
war, wicht aber, daß er diefes Amt erſt Sommer 61 angetreten hat. Denn jener fagt 
boxt nick, daß Poppäa um die Zeit des Regierungs autrittes des Feſtus die be- 
treffeude yunıf war, fondern gebraucht den umbeftinmteren dwomologifhen Ausdruck wurd 
Tor seupöw zoüror, d. h. um die Zeit, da Feſtus Landpfleger in Judda war, und läßt 
in ben gemeinten xasods zmähft die Exbomung eines fehr großen Bebäudes in feinem 
Palaſt in JZernſalem von Geiten des Agrippa, von wo er Alles, was im Innern des 
Tempels geſchah, Überfehen Tomate, dann den Gegenbau einer fehr hohen Mauer von 
Seiten der Inden, darauf deu Befehl des Feſtus, die Mauer wieder einzureißen, und 
da bie Juden das nicht wollen, die Abordnung der Juden nach Rom zum Raifer und 
endlich auch den Sieg der Letzteren durch die Fürſprache der amgefehenen Poppäa 
fallen. Daß Feſtus zur Zeit diefes Abſchluſſes der Angelegenheit nod am Leben war, 
wird „war nicht ausdrücklich berichtet, es iſt aber daxan fchwerlich zu zweifeln, da von 
Sofephus (Ant. 20, 8. 11.) die Einſetzung eines neuen Hohbenprieflers in der Stelle 


e) Es beißt hier: Svvezienae (Nega» tois 'Iovdaloıs) ovros där or olnodoulo», 1 
yvvaın! Iloxxnla (®eooeßns yap nv) undp ıcv 'Iovdalar dendelon zapızoneros. Daß ber 
bloße Urtilel, fobald die Mede deutlich bleibt, genfigen Tann, if nicht zu fängnen, vergl. Jos. Ant. 
1, 17. In der von Meyer Apgeſch. 24, 24. angeführten Stelle IR aber mit Lachmann nad guten 
Handfriften wohl (dia vor yuraıx! zu lefen; vgl. 1Kor. 7, 2, und zur Erläuterung ben von 
Hein, das Criminalrecht ber Römer (1844) S. 886 erörterten Begriff des adulter als deſſen, ber 
die Ehefrau eines Anderen (alterius) hat. 

, Der griechiſche Ansdrud bei Iofephne, 7 yvrn, ift weniger beflimmt gefaßt, als wir ihm 
oben wiedergeder. 


56 Zeitredhnung, nenteftamentliche 


des damals von der Poppäa als Geißel in Rom zurüdbehaltenen exzählt und damm exf 
Ant. 20, 9. 1. die Abfendung des neuen Landpflegers Albinus, welchen der Kaiſer er⸗ 
nennt, nachdem er den Tod des Feſtus erfahren hat, berichtet wird. Diefer tft in Ju 
däa indeß noch nicht angelommen, als fchon ein ziweiter neuer Hohepriefter, Annas, des 
aus dem Neben Yefu bekannten Annas Sohn, weil damals fein Landpfleger in Jubäe 
geivefen fey, unter Anderen den Bruder des Herrn Jakobus hinrichten ließ, wofür er 
bon Herodes auf Anlaß des inzwifchen über Aegypten herbeieilenden Albinus nad, einer 
dreimonatlichen Anıtsführung entfegt ward. Indem wir jetzt die Gründe zufammenflellen 
wollen, welche fpeciell für das J. 60 als Zeit des Dienflantritts des Feſtus ſprechen, 
heben wir hervor, daß mit Hecht gegenwärtig ziemlich allgemein diefes Jahr zugleich als 
feühefter Termin defielben angefehen wird. früher jegten in alter Zeit z. B. Eufebins *) 
und Hieronymus den Dienftantritt des Feſtus, in neuerer Zeit namentlich Lehmann, chronol. 
Beftimm. der in der Apgſch. 13—28. erzählten Begebenheiten (Stud. u. Krit. 1858. Heft 2.); 
diefer nimmt das 9. 58 an, weil mit der Tödtung der Agrippina, der Günnerin dei 
Ballas, im März 59, auch das Anfehen des Legteren bei Nero, auf welchem nad) Jos. Ant. 
20, 8. 9. die Freiſprechung feines Bruders Felix beruht habe, fofort geftürzt fey, Ivo 
gegen fchon das fpridt, daß Tacitus Ann. 14, 65. den Pallas no im Jahre 62, 
wo er ermordet wird, unter die potentissimos libertorum redjnet. Dafür, daß 
die Abberujung des Felix nicht wohl früher als 60 gefegt werden kann, fpricht ſchon, ab- 
gefehen von den 14 Jahren Gal. 2, 1, weldye von der Belehrung des Paulus 40 n. Chr. 
in der im Ürtifel „Oalaterbrief* S. 532 ff. erörterten Weile zu datiren find, umfer 
obiges Reſultat der relativen Chronologie, wenn man das Apoftelconcil um 50 fallen 
läßt, das &x nor Erwv Apgeſch. 24, 10. mit Bezug auf den Dienflantritt des Yelz, 
ferner der den gefangenen Apoſtel nad; Nom escortirende centurio der oation oefaner, 
Apgeſch. 27, 1., d. i. der Eohorte der Augustani (dgl. meine Chronol. S.389 Not. 1), 
welche nad Tacit. Ann. 14, 15. Dio 61, 20. 63, 8. Suet. Ner. o. 25. vgl. e. 20. 
bon Nero erft im Jahre 60 n. Chr. gegründet if. Bon vorn herein if die Um 
nahme, daß Feſtus im Jahre 60 Landpfleger von Judäa wurde, deshalb mahrfeheinlic, 
weil damals nad) Tacitu® (Ann. 14, 26.) nad; dem Tode des Quadratus Eorbalo 
Statthalter in Syrien wurde und wenigſtens in diefer Zeit, fo oft ein neuer Statt. 
halter von Syrien kam, aud ein neuer Landpfleger über Judäa beftellt zu werden 
pflegte (vgl. meine Ehronol. ©. 97), was damit zufammenhängt, daß diefer jenem (vgl 
Joseph. Ant. 18, 4.2.20, 6. 2. u. 3. bell. jud.2,14.3.) untergeordnet war, und wos 
in diefem alle umfo natürlicher war, als einerfeit8 Corbulo durch feine Bedeutung als 
Veldherr und feine edle Geſinnung nad Tac. Ann. 15, 25. Dio 63, 17. Ammien. 
29, 5. 4. unſtreitig zu den allerangefehenften Römern feiner Zeit gehörte und anderer 
ſeits Felix fich bereits durch fein felbfiflichtiged Verhalten den Unwillen feiner ihm un- 
tergebenen Provinzialen zugezogen hatte, Feſtus aber auch nad, dem Zeugniß des Io- 
fephus unter den jüdifchen Landpflegern jener Zeit fich fo vortheilhaft auszeichnet, daß 
er auch deßwegen unter Mitwirkung von Corbulo ernannt zu feyn fcheint. Gin ander 
Grund ift folgender. Da Paulus um Pfingften gefangen genommen wurde und nach 


*) Sufebins fett im Chronikon den Antritt des Felix in's Ile, den Antritt des Feſtas in's 
l4te Jahr des Claudius oder 54 n. Ehr. (vergl. meine Chronologie S. 68), womit die bem ler 
teren unter Nero fetende Angabe des Eufebius hist, ecel. 2, 22. nicht flreitet, da tiefer ım 
Chronikon das letste laufende Regierungsjahr eines Kaifers ſtets voll beredgnet; die Ernenmnn: 
des Albinus fett er in's 6te und feine Ankunft in Judäa in's Tte Jahr Nero’. Der Haur! 


grund, weßhalb Paulus den Feſtus ſchon fo früh zum jübifchen Landpfleger macht, if abgeſeder | 


davon, daß ber früher befreite Apoſtel nmſo weiter das Evangelium verkünden fonnte, unſtreita 
in der Notiz Über den apzıspsvs Ananias Apgeich. 24, 1. zu fuchen, nad welder Panins zer 
bemfelben im Synedrium erſcheint, während er nach Joseph. Ant. 20, 6. 2 u. 3, vgl Ant 3 
5. 2. bereits 52 n. Chr. von Quadratus nah Rom gefanbt warb, feit weldyer Zeit ihn Earichiue 
nicht mehr ale fungirenden aeyısgevs in der Weife, wie dieß Apgeſch. a. a. O. voransgen di 
wird, fich gedacht hat, vgl. darüber meine Chron. S. 77, 


Zeitrechnung, wentefiamentliche 668 


Apgeſch. 24, 27. zwei Jahre vergangen twaren, als Porcins Feſtus dem Felir folgte, 
fo maß Erſterer nach Pfingſten in Judäa angelangt ſeyn. Bergleichen wir hiermit 
Apgeſch. 25, 1. 6 ff., fo vergingen feit feiner Ankunft bis zur Appellation des Paulus 
hochſtens 18 Tage, und nach dem ſich daran anfchliegenden Beſuche Agrippa's und ber 
Berenice, Apgeſch. 25, 13 ff., wird er nach Apgeſch. 27, 1. zu Schiffe nah Rom 
trandportirt nnd langt nach Apgeſch. 27, 9. um die Zeit des großen Berföhnungstages, 
etwa im Öftober, in Kreta an. Feſtus muß hiernach zwifchen Pfingflen und dem Ber- 
föhnungstage im Sommer bis Herbft in Judäa eingetroffen feyn. Paulus wird nun 
im nähflen Frühling, ale er von Malta aus bei offenem Meere, etwa Anfang März, 
nah Rom fegelnd, dort eintrof, nach Apfigefch. 28, 16. 16 orguronsdapın (Sin«- 
gularis) dem praefeotus praetorio (da8 6 Exurdvrapyos napedwxe Teds deauloug 
109 orparonsddoryn iſt unflreitig ald ächt feitzuhalten) übergeben. Wie ans dem Stu 
gular hervorgeht, fo gab es damals nur einen Präfelten des Prätoriums, was in jener 
Zeit wirflich der Fall war, während gemäß der urfprünglichen Beftimmung Dio Cafſ. 
62, 24. 55, 10. Herodian 1, 9. fonft gewöhnlich zwei Präfelten des Prätoriumd zu 
erifiiven pflegten, vergl. Pauly's Realenchkl. im Urt. „Praefeotus praetorio”. Diefer 
eine Präfekt des Prätoriuns war Burrus, nach deffen Tode wieder zwei Präfelten er- 
nonnt wurden, der fehändliche Sophonius Zigellinus uud Fenius Rufno, Ann. 14,51. 
Da mm Burrus, wie wir fahen, bereits im Februar 62 verftorben if, fo kann ihm 
Paulns nur im Frühling 61 überliefert feyn, vgl. andy Unger a. a. O. ©. 100 fi. 
Es ift gewiß nicht natürlich, mit Meyer den Artikel hier zu erlläcen — dem betref- 
fenden Präfelt“, was Lukas foll haben fagen können, aud) wenn damals zwei Präfelten 
waren; denn abgefehen davon, daß dieß jedenfalls nicht die zunächſt liegende Erklärung 
ift, fo fcheint, da es ein Collegium war, dann regelmäßig der Plural gefagt zu ſehn, 
wie durch Plin. ep.10,65. Philostr. vit.soph.2,32. Tert.deooronaß. 1. beflätigt wird. 
Im Art, » Zimotheus u. Titus, Briefe Pauli an“, S.336 ff. haben wir ferner gefehen, 
daß der zweite Brief an Timotheus, deſſen Aechtheit nicht zu bezweifeln ift, nicht im bie 
Apgeſch. 28, 30 ff. erwähnten zwei Jahre des römifchen Aufenthalts Baulı fallen kann, 
fondern in den darauf folgenden Herbft gefeist werden muß, was aber wegen ber fonft 
hinderlichen Neronifchen Ehriftenverfolgung nur möglih if, wenn Paulus nicht erfl 
Frühling 62, fondern fchon im Frühling 61 in Rom eingetroffen ifl. ferner zwingt 
uns der Bericht des Joſephus Aber die Ereigniffe unter Feſtas und über die folgenden 
Landpfleger, deſſen Ankunft in Judäa in's Jahr 61 zu fegen. Der Landpfleger Florne 
hat wahrfcheinlich im Sahre 64 fein Amt erhalten, da der Monat Artemifins (etwa Mai) 
des Jahres 66, in welchem nach Joseph. Ant. 20, 11. 1. bell. jad. 2, 14. 4. ber 
jüdifche Krieg ausbrach, in fein zweites Jahr geſetzt wird. Wlbinns, fein Vorgänger, 
it nach den bell. jud. 6, 5. 3. angeführten chronologifchen Merkmalen nicht etwa, wie 
der diefe Stelle überſehende Gerlach a. a. D. ©. 81 fagt, erſt 63, fondern fon zur 
Zeit des Hüttenfefle® 62 Landpfleger in Judäa, vgl. meine Ehronol. ©. 89 fi. Er 
muß dieß aber ſchon früher geworden feyn, und zwar nicht bloß wenn man mit Euſe⸗ 
bins die Erzählung des Hegeflpp von Yalobus, dem Bruder des Herrn, ber ben Bei- 
namen der Gerechte hat und an einem Baffa getötet feyn foll (bei Euseb. h. eool. 
2, 23) mit dem Berichte über Jakobus, den Bruder des Her, bei Joseph. Ant. 20, 
9.1., der, ale Albinus auf dem Wege nad; Iudäa ifl, von der Partei der Sudducäer 
unter Annas hingerichtet ſeyn fol, combinirt. Es würde Albinns dann nämlich bald 
nad; dem Pafla 62 in Judäa eingetroffen feyn. Da indeß die Nachricht des Hegefipp 
über das Martyrium bes Jakobns, des Bruders des Herrn, augenſcheinlich eine Ber- 
mifhung der Traditionen über Ialobus, den Bruder des Herrn, umd den Mpoftel Ja⸗ 
tobns Alphät mit dem Beinamen des Gerechten enthält, vgl. meinen Commentar zu 
Gal. 1, 19., fo läßt es fi, wenigſtens nicht ficher behanpten, daß das Paffa als 
Zeit feines Marthriums ſchon urfprünglich dee Tradition über das bei Joſephus be. 
sichtete Martyrium des Yalobus, des Bruders bes Herrn, angehörte. Indeß laͤßt ſich 





558 Zeiterinung, ueuteftamentktche 


auch fonft nachweiſen, daß die von Joſephns in bie Zeit des Feſins bis’ zur Ankunft 
des Albinus gefegten Begebenheiten einen längeren Zeitraum erfordern, ala hnen bei 
der Annahme, daß Feſtns im Sommer bis Herbſt des Jahres 61: fein Hurt angetreten 
Bat, zugewieſen werden kann. In jene Zeit fol nämlich "fallen der größe Bau dei 
Herodes, von wo er dad Innere des Tempels überfah ımd eine ſehr Schöne "Ausfiht 
auf die Stadt hatte, der Gegenban der von den Juden fo hoc, aufgeführten Mäauer, 
daß ſowohl Herodes als aud, die Römer auf der Burg Antonia das Innere des Tem⸗ 
pels nicht überfehen konnten, die Steeitigleiten der Juden und des Feſtus, welcher ihuer 
den Abbruch der Mauer gebot, die Abordnung der Inden nach Rom, Ihe Erfolg‘ buch 
die Würfprache der Poppäa und ihre Ruckkehr nad) Iernfalem, die Ernennnug det 
nennen Hohenpriefters Joſephus, des Sohnes Simow’s, an der Stelle des in Rom 
zurüdbehaltenen Ifmael, endlich noch die Ernennung des Hohenprieflers una, welcher 
bei dem Eintreffen bes Albinus wach drei Dionaten feines Amtes entſetzt ward, — und 
das Alles, felbft wenn man den Albinus erſt fur; vor dem Hüttenfeſte 62, 'nio ume 
feine Anmefenheit in Yerufolem zufällig ansdrücklich berichtet if, in Yuıdlla ‚eintreffen 
läßt, in 12 bis 14 Monaten! Wer baut ferner im Winter? und wie wenig: wahr⸗ 
fheinli), wenn man bem hohenpriefterlihen Amte des Joſephus Kabt use einen 
Monat zuteift, während Joſephus es gleich darauf als auffallend berichtet, baf ber 
Hohepriefler Annas ſchon nad drei Monaten von feinem Amte entferttt wurde? vgl. auch 
Anger rat. tempp. p. 103ff. Da nämlich die Poppäa im Mai 62 Gemahlin Rero’s 
wurde und der erfle Tag des Hüttenfeftles (dev 15. Tifchri), auf melden Mlbimms 
jedenfalls in Jeruſalem fchon zugegen war, in jenem Jahre wahrjcheinlich dem 7. Oltbt 
entfpradh, fo muß innerhalb diefer Zeitgränzen mindeftens die Amteführung des Joſe⸗ 
phus Kabi, welcher an die Stelle des als Geißel zurüdbehaltenen Hohenprteflers ernannt 
ward, und die dreimonatliche Amtsführung des Hohenprieftere Annas NRaum finden 
kdunen. Daß dagegen aller Anftoß ſchwindet, wenn wir den Feſtus Sommter bis Gerbfl 
des Jahres 60 antreten laffen, braucht nur bemerkt zu werden. Dieſe unfere Unnahere 
wird auch noch durch die Thatfachen der legten jerufalemifchen Reife des Paulus, 
Apgeſch. 20, 6 ff., in fehr merkwürdiger Welfe beftätigt. Paulus reifle nach Apgeſch. 
20, 6. don Philippi nad den Tagen der ungefäuerten Brode, d. h. nach dem 21. Niſan, 
ab. Der 12te Tag feiner Reife und lebte feines Aufenthalts in Troja wer nad 
Apgeſch. 20, 7. ein Sonntag, folgli muß er nach dem Feſte der ungefänerten Brobe 
an einem Mittwoch von Philippi aufgebrochen feyn. Er hatte alfe das Oflerfek im 
der chriftlichen Gemeine zn Philippi mitgefeiert und wegen der großen Eile, sufolge 
welcher er fo reifte, daß er trog feiner Todesahnnungen felbft das geliebte Ephefus nicht 
befuchte, um, wenn es ihm möglich wäre, das Pfingfifeft in Jeruſalem zuzubringen, 
Apgeſch. 20, 16. 17., werden wir erwarten düurfen, daß er am erflen oder doch zweiten 
Zage nach Oftern Philippi wird verlaffen haben. War der Mithwoch, an welchem er 
abreifte, der 22. Nifan, fo war der 15. Rifan in jenem Jahre ein Mittwoch; war er 
der 23. Nifan, fo war der 15. Nifan damals ein Dienſtag. Die weitere Reife des 
Paulns iſt im Einzelnen von Lukas fo genan erzählt, daß ſich mittelft derſelben eimer- 
feits jene unfere ımmittelbare Wahrnehmung prüfen und zu unbebingter Gewißheit er⸗ 
heben und andererfeits ſich höchft wahricheinlichh machen läßt, daß von ben genammten 
zwei Möglichleiten die letztere flattgefunden, Paulus am 23. Nifan von Philippi abge» 
reift und mithin der 15. Nifan in jenem Jahre auf einen Dienflag gefallen iR. [Pantzt 
ward damals an einem Mittwoch bei beginnendem Pfingftfefte im Tempel gefangen ge 
nommen im 9. 58 am 17. Mai.) Der Kürze wegen vermweife ich hier namentlich auf 
meinen Commentar zum Oalaterbrief S. 585 fi. Das erflere Refultat findet ſich be» 
reits bei Unger a. a. O. ©. 106 f. ausgefprohen. Unterfuchen wir nun, in welchen 
der concurrirenden Jahre der 15. Nifan, der im jüdifchen TFefllalender durch den Boll. 
mond nach der Frühlingsnachtgleiche beftimmt ward, auf den Dienflag und ebentmell 
Mittwocd, gefallen if. Aus der in meiner Chronologie S. 115 mitgetheilten Xefel 


Zeiteehuung, nenteſtamentliche 6659 


deh 15. Rifan für die vier Jahre 56-59 m. Chr., an welche die nenere Chronologie 
hochſtens denfen Tönnte, ergibt fi, daß bloß das Jahr 58 ben verlangten chronologi⸗ 
(hen Karalter hat, indem damals der 15. Nifan wirklich auf einen Dienflag gefallen 
iR wodurch über die oben erwähnte Möglichkeit, daß der 15. Niſan eventuell ein Mitt- 
woch fen Känme, auch auf aflronomifch- mathematifchen Wege entfchieden wird). Im 
Jahre 58 nu. Ehr. fiel nämlich der aſtronomiſche Neumond für Ierufalem auf den 13. 
März 6 Uhr Morgens, der fihhtbare Neumond oder die Numenie — 1. Nifan anf 
den 14. März, der 15. Niſen alfo auf ben 28. März, und biefer war wirklich ein 
Dienflag. Der 15. Niſan im Jahre 59 fiel anf den 16. April, und bdiefer war 
ia Montag (dev aflronomifde Neumond fiel damals auf den 1. April 4 Uhr Mor- 
gas, die Numenie — 1. Nifan auf den 2. April). Iſt mm aber Paulus Pfingften 
58 gefangen genommen nnd bis zur Ankunft des Feſtus volle zwei Jahre gefangen 
geweſen, fo bat diefer 60 n. Chr. fein Amt angetreten. Daffelbe Reſultat läßt fidh 
no auf. folgende Weife gewinnen. Paulus muß etwa tm Herbfte 52 in Korinth das 
Evangelium zu predigen begommen haben; denn die Apgeſch. 18, 2. erwähnte Bertrei- 
bung dee Inden ans Rom durch Elaudius, welche damals vor Kurzem gefchehen war 
(npoopkrus), iſt wahrfcheinlich gleichzeitig mit dem Edilt de6 Tacitus de mathema- 
tieis Ann. 12, 52., welches er 52 ſetzt, ergangen (vgl. mı. Ehron. S. 125). Das 
Gal. 4, 10. erwähnte Beobachten des Sabbathjahres erinmert ferner mahrfcheinfich an 
ein damals fallendes Sabbathjahr (vgl. m. Comm. 3. d. St). Ein foldes ward vom 
Herbſt 54 bis dahin 55 gefeiert. Da der Brief an die Balater bald nah der An- 
hınft des Paulns in Ephefns (Apgeſch. 19, 1.) gefchrieben ward (vgl. den Art. „Ga⸗ 
laterbrief· Bd. XIX. ©. 526), fo erhellt von Neuem, daß diefe Herbft 54 zu ſetzen 
ft Nach 2 Kor. 12, 2. if die Flucht des Paulus aus Damaskus 2 Kor. 11, 32.38., 
welche hier von Panlus als hiftorifche Einleitung zum Folgenden erwähnt wird, vgl. 
2.0.0. S. 529 ff., 14 Jahre vor Abfaffung des zweiten Korintherbriefes zu fegen. 
Benn man Lestere ein Jahr fpäter als wir in den Sommer 58 verlegt, fo würde bie 
Flucht des Panlas aus Damaskus umd die daran ſich fchließende erſte Anmwefenheit 
beffelben in Jernſalem Apgfch.9,25 ff. in's 3.44 geſetzt werden müffen, was nad) Apgſch. 
12, 1. 23. vgl. 11, 30. 12, 25. augenfcheinlich zu fpät if. So führt die felbfiftän- 
ige Beſtimmung dieſer einzelnen Glieder der von uns für den Abſchnitt Apgefch. 18,1. 
bi6 28, 81. gefundenen relativen Ehronologie ſtets zu dem gleichen allgemeinen chrono- 
logiſchen Reſultat, wie es hier rüdfichtlid des Dienftantritts bes Feſtus von uns aufs 
gefellt if. 

Ad 23. Der zweite Hanptpunft unferer Erörterung bezieht fi) anf dag Marty» 
tiam des Panlus, namentlich auch auf die Frage, ob eine fogenannte zweite rd« 
miſche Gefangenſchaft defielben zu ſtatuiren if. Diejenigen, melde die leßtere behaup⸗ 
ten, berufen fich dafür befonder® auf die fogenannten Paftoralbriefe, von denen ber 
ee Brief an Timothens und der Brief an Titus während der Befreiung des Apoſtels 
aus der erſten römifchhen Gefangenſchaft, der zweite Brief an Zimothens aber während 
feiner fogenannten zweiten röomiſchen Gefangenſchaft, als er nme noch feinen Tod er- 
wartete, verfaßt fenn fol (vgl. die betreffenden Artikel). Wir haben Bd. XXL a. a. O. 
©. 387 ff. gefehen, daß dieſe Briefe Panli feine Befreiung aus feiner von Lukas er 
wähnten xömifchen Sefangenfchaft, obwohl fie unſtreitig Acht find, durchaus nicht vor⸗ 
ausfegen, daß vielmehr gerade der eine biefer Briefe, der zweite Brief an Timotheus, 
Kap. 4, 16 ff. 4, 6 ff. 2, 9., feine Befreinng auszufchließen feheint, fofern nämlich 
der Apoſtel nad) feiner erſten aotio vor dem kaiſerlichen Tribunal, welche er nad, einer 
mehr als zweijährigen Unmwefenheit in Rom erlangt hat und in welcher er noch nicht 
definition verurtheilt ift, doch feine Lage fo verichlimmert flieht, daß er nur noch den 
Tod vor Augen flieht. Oder find die Zuſtände am kaiſerlichen Hofe zn Rom im Herbſt 
des Jahres 63, um welche Zeit der zweite Brief an Timotheus verfaßt ward, Angeſichts 
ber Neroniſchen Ehriftenverfolgung etwa der Urt, daß fi mit einiger Wahrfcheinlichkeit 





560 Zeitredhuuug, neuteſtamentliche 


trog der damals eingetretenen, alle Hoffnung abfchneidenden Entwidelung feines Appel- 
Intion®procefjes, in welche uns dieſer Brief hineinführt, doch noch eine güuflige Wen⸗ 
dung defielben erwarten läßt? Bevor wir hierauf nod; näher eingehen, entnehmen mir 
aus dem Gebiete der neuteftamentlichen Schrift, und zwar aus der Apoſtelgeſchichte, 
noch einen neuen Grund, wodurch unfere Zweifel an der Befreiung Pauli aus feiner 
‚in ihr berichteten römifchen Gefangenfchaft noch verftärkt werden. Lukas; ihr Verfafler, 
ift in diefem Punkte als Begleiter des Apofleld bis zuletzt 2 Tim. 4, 11. ein befon- 
ders zuverläffiger Gewährsmann. Wie wir fahen, fchließt dies fein Werk mit dem 
Frühjahr 63 n. Chr. zwei Jahre nach der Ankunft des gefangenen Apoflele in Rom, 
Apgeſch. 28, 30. 31., alfo mit demfelben Sabre, im deſſen Herbfl der zweite Brief au 
Zimotheus gefchrieben ward. Damals hatte fidh eine Wandlung in dem @efchide des 
Gefangenen zugetragen, wie aus den Präteritiß Euewer und aneddyero ftatt der betref- 
fenden Präfentia hervorgeht. Die mildere Haft in einer eigenen Mithwohnung unter Be⸗ 
wachung durch einen Prätorianer (vgl. Apgfch. 28, 16) und die Erlaubniß, Alle anzunehmen, 
die zu ihm famen, und ihnen das Evangelium zu predigen, hörte auf und es trat damals 
eine fchärfere Haft etwa im Prätorium unter Aufhebung jener Erlaubniß ein, wenigftens m 
gleicher Strenge, wie früher in Cäfaren, vol. Bd. XXI ©. 335. Daß die damalige 
Wendung in der Rage des Apoftels eine Wendung zum Schlinmeren war, erhellt nick 
bloß aus der Eriftenz des zweiten Briefs an Timotheus, fondern auch aus dem gamyen 
Pragmatismus der Apoftelgefchichte in der befonders forgfältigen Darftellung des letzten 
Lebensabfchnittes des Paulus von Apgeſch. 20, 6. an, wo Lukae wiederholentlich Ap⸗ 
Geſch. 20, 25. 36—38. 21, 4. 11. 12—14,. don ihm felber und Anderen, insbefos- 
dere auch der chriftlichen Prophetie, auf feinen unzweifelhaft bevorfiehenden Tod hin 
mweifen läßt. Wie man auch über das Eintreffen diefer Prophetieen urtheilen mag, Yulns 
felber muß durch ihre Hervorhebung feine Lefer auf diefen Tod Haben vorbereiten 
wollen und nod bei Abfaſſung feines Werkes an diefelben geglaubt haben, wie ex deum 
auch Apgeſch. 21, 14. ſich felber einfchließend fagt: „Wir fchwiegen fpredend: het 
Herrn Wille gefhehe.” Hätte er mit feinen Präteritis Apgefch. 28, 30. eine Wen⸗ 
dung zum Befleren, die Befreiung des Apoftels aus feiner Gefangenſchaft amdenten 
wollen, fo mußte er nad; der ganzen Anlage feiner Darftellung dieß nothwendig ans 
drüdlich fagen, weil der ihr folgende Lefer fo Etwas nicht im Mindeflen erimartes 
fonnte. Dies Refultat bleibt, wie man auch über die Abfaffungszeit bex Apoſtelgeſchicht⸗ 
urtheilen mag, vgl. den Art. „Lukas“. Indeß fpricht der exegetiſche Augenfchein za 
fehr für die alte Annahme ihrer Abfaffung dor der Zerſtörung Jerufalems, und zwar 
genauer in dem Zeitpunkt, mit welchem fie fhließt (nah Frühjahr 63), als 
daß man daran zweifeln könnte. Die Hypotheſe, daß fie aus irgend einem Grunde, 
ſey's weil Lukas noch einen rolroç Adyos habe fchreiben wollen, oder durch Zufall 


unvollendet geblieben if, da über den Tod Pauli oder auch Über feine vorhergehende 


Befreiung und feinen Tod nichts berichtet werde, ift wie in ſich unhaltbar, vgl. be- 
gegen auch meine Chronol. S. 398 ff., fo bei unferer Auſicht über ihre Abfaflunge 
zeit ohne Motiv, da Lukas nichts berichten konnte, was noch nicht gejchehen war. Ra, 
mentlich Tann auch der Tod des Apoſtels im Laufe feiner damaligen xömifchen Gefan- 
genſchaft noch nicht eingetreten feyn, da er diefen nad) feinem Pragmatisuus unmöglich 
berfchweigen und nad; der ganzen Art, wie er Über diefen Lebensabfchnitt des Apoſtel⸗— 


borher berichtet, auch die weitere Entwidlung des Proceſſes Pauli in der exflen a 
zweiten gerichtlichen actio vor dem kaiferlihen Zribunal ſchwerlich übergehen koumte 
Wenn man in der neueren Zeit trogdem für die Abfafjungszeit der Apoſtelgeſchicht | 


fogar nach der Zerftörung Ierufalems fi, befonders auf Luk. 21, 20. berufen will, weil 


in der Chriſto auch nach Matth. 24, 15 ff. nicht abzufprechenden Prophetie der Zerflörue; | 


Serufalems von Lukas die Erfüllung der xupoi 2Ivar erwähnt wird, fo überficht mu 


die Gleiches ausfagenden Stellen Röm. 11, 25. 12. Offend.11,1—83. in Schriften, de 


anerfanntermaßen ebenfalls vor der Zerflörung Jeruſalems verfaßt wurden. Es ergibt 





Zeitrechuung, mnteflamentliche 561 


fi hieraus, daß Lukas bei Wbfaflung: deg Schluſſes der Apoſtelgeſchichte, nach dem 
Wchhjahe 63, zwar den Tod des Apoſtels als Ausgang feiner römischen Gefangenfchaft 
wicht berichtet, aber doc eine folche Wendung feiner Lage zum Schlimmeren andentet, 
daß em ähnlich wie des Apoſtel im zweiten Briefe an Timotheus nur noch deflen Tod 
evwartet. Endlich haben Solche, welche den Hebräerbrief dem Apoſtel Paulus bei- 
legen, wegen Hebr. 13, 24. wohl auf eine Befreiung beflelben aus feiner vömifchen 
Gefangenſchaft gefchloffen, indeß nad jetzt faft allgemeiner Annahme iſt derfelbe nicht 
von Paulns, und zwar meines Erachtens von Barnabas an alerandrinifche Chriften 
geichrieben. Lehteres ergibt fich namentlich auch aus der Beichreibung bes jüdifchen 
Heiligthums Hebr. 9, 3—5., da fid in deflen Allerbeiligften der goldene Räucheraltar 
wed die Bundeslade mit Zubehör befinden folleu, wie dieß nad, Philo de sacrificant. 
$. 4. (II, 253. Mang.), de animal. sscrifice. $. 10. (II, 246 ff.) im jüdifchen 
Tempel zu Leontopolis in Aegypten wirklich der Fall war, vgl. meine Abhandlung: 
"Weber die Leſer des Hebräerbriefes” — in den Theolog. Stud. u. Krit. Yahrg. 1867. 
Die nenteftamentlihen Schriften bezeugen fomit zwar nirgends ausdrückich, 
daß Die römifche Gefangenfchaft Panli bei Lukas mit dem Martyrium endete und 
feine einzige war, wohl aber laſſen fie, namentlich der zweite Brief Pauli an Zimo- 
theus und die Apoftelgefchichte, kaum einen Zweifel an diefem Ausgange der Sadıe 
übrig, zumal wenn wir nun noch die damaligen Zuſtände am Luiferlichen Hofe zu Rom 
binzunehmen. Wenn Baulus bei feiner Ankunft in Rom dom edlen Burrus eine mildere 
Haft nad Apgeſch. 28, 16. 30 ff. erlangt hatte, als die im Cäſarea war, fo hing das 
gewiß damit zufammen, daß die litterae dimissoriae des Feſtus, welche dem Kaiſer 
den ganzen Stand der Sache und die Aullagepımlte wider den Gefangenen zu bezeichnen 
hatten, Apgeſch. 25, 26. 27., eine Andentumg der von Ugrippa, dem Juden, und ihm 
ſelber getheilten Weberzeugung enthielten, daß er hätte losgegeben werden Tönnen, wenn 
er nur nicht an den Saifer appellirt hätte, Apgſch. 26, 31. 32., und daß, was vor 
dem faiferlihen Gericht in Rom beſonders entfcheidend war, namentlich der Vorwurf 
eines Berbrechens gegen den Katfer, Apgeſch. 25, 8., grundlos fey. Indeß fland es 
nach damaligem römischen Rechte den anklagenden Yuden frei, den Proceß in die Fänge 
zum ziehen, da, wenn der Richter, hier der Kaiſer, für den fpeciellen Fall eine beftimmte 
Friſt vorgefchrieben hatte, der verzdgernde Ankläger damals noch nicht geſtraft ward, vgl. 
Hein, Criminalrecht der Römer S. 806. Andere Verzögerungen, die in der Natur der 
Sache lagen, |. Bd. XXI, 337 ff. — Schlimm war es für dem Verlauf des Procefles, 
daß Burrus, das gute Princip des Nero, vgl. Tacit. Ann. 14, 52., im Unfange des 
Jahres 62 n. Ehr. flarb und an feine Stelle der ſchändliche Sophonins Tigellinus 
und Fenins Rufus als Präfekten traten, welcher letztere durch jenen bald allen Einfluß 
beim Kaifer verlor, Tac. Ann. 14, 57. Mit dem Tode de Burrus war auch der 
Einfluß des Seneca auf Nero gebrochen und diefer ſank fittlihh immer tiefer. Durch 
Tigeſlinus ward feine Maitreſſe Boppäa, die jkdifche Proſelytin, jegt mit dem Kaifer 
vermählt und micht lange darauf, am 9. Zuni 62, feine frühere Gemahlin, die Octavia, 
getödtet. Jene beherrfchte fortan den Kaifer, der von einer Luſt in die andere flürzte. 
Im Brief an die PBhilipper, welcher wahrſcheinlich 62 n. Chr. gefchrieben if, ſehen 
wir, wie das Chriftenthum in Rom felbft unter den Prätorianern, welche ſchon ale 
feine Wächter mit Panlus zu verkehren hatten, und im Haufe des Kaifers, Phil.1, 13. 
4, 22. ſich ausbreitete. Wie leicht konnte das zur Kunde des Kaifers und der eifrigen 
Fudenfreundin, dee Boppäa, kommen und feinen Zorn gegen den Apoſtel erregen. An⸗ 
deutungen hierauf finden ſich auch in der driftlidhen Sage bei den Kicchenvätern. Nero 
fo, durch die Belehrung feines olvdxoog oder einer zullweis wider Panlus auf 
gebracht, diefen verurtheilt haben, vgl. 3. B. Chryſoſt. hom. 46 in Acta, hom. 10 in 
2 Tim., advers. oppugnat. vit. monast. 1, 3. Beſonders fehen wir dann auch ver- 
fchiedene jüdifche Deputationen in Rom, Joseph. Ant. 20, 8.11. 20, 11.1. Vit. 8. 8., 
welche durch die Fürſprache der Boppäa flets ihre Abfichten durchſetzen. Es iſt gar nicht 
Real. Encyllopädie für Theologie und Kirche. Suppl. IT. 36 





562 Zeitrechnung, neuteſtamentliche 


anders zu denken, als daß die Juden, welche den Paulus in Jeruſalem feſtgenommen 
hatten und auf's Grimmigſte haften, dieſe ihre mächtige Fürſprecherin gegen ihn werden 
angerufen haben, wie denn Paulus ſchon gleich bei ſeiner Ankunft in Rom eine Com⸗ 
munilation der paläſtinenſiſchen und roͤmiſchen Juden zu feinen Verderben Upgeld. 
28, 21. vorausſetzt. Bei dieſer Lage der Dinge am kaiſerlichen Hofe kann man ſchwer⸗ 
(ich annehmen, daß der Appellationsproceß des Paulus in dem hoffnungsloſen Stadium, 
in welchem wir ihn 2 Tim. im Herbſt 63, wo auch die Poppäa bereits in der Blüthe 
ihrer Macht fand, antreffen, noch eine günftige Wendung hätte nehmen follen. Hiezu 
fommt, was wir gleid; vorweg fagen wollen, daß Paulus jedenfalld um die Zeit ber 
Neronifchen Chriftenverfolgung im Jahre 64 bereits Märtyrer wurde, alſo feine Ge 
fangenfchaft leicht nod; bis zu feinem Martyrium dauern konnte. — Unterfuchen wir 
nun, ob die kirchliche Tradition der älteften Zeit wirklich eine Befreiung des Panlns 
aus feiner römifchen Gefangenſchaft ausſagt. Es if befonders Eufebius im feiner 
Kirchengefchhichte und feinem Chronifon, welcher aber erſt in der erften Hälfte des 4ten 
Jahrhunderts fchrieb, auf den man ſich für diefe Anficht berufen hat. Dieſer fpridt 
hist. ecel. 2, 22. von einem Aoyos *), eine Sage, es jey der Apoflel nad; feine 
Bertheidigung zur Verlündigung des Evangeliums abgereift und dann zum zweiten Mal 
nah Rom kommend dort Märtyrer geworden. Diefe zu feiner Zeit in der Kirche fih 
findende Sage oder mündlich cirkulivende Rede fucht er dort dann aus dem zweiten 
Briefe an Timotheus 4, 16ff. zu beweifen, indem er die zewsn uov Anoloyia auf die 
gerichtliche Vertheidigung des Apoſtels in feiner vermeintlich erften römifchen Gefangen 
Schaft bezieht, zufolge welcher er freigefprochen fei, welche Auslegung mit Recht jegt 
allgemein verworfen wird, vgl. Bd. XXI. ©. 338 ff. Den Beweis, welcher ihm aus 
dem Schluſſe der Apoftelgefchichte dafür, daß fehon damals das Martyrium des Paulus 
erfolgt ſeyn müſſe, entgegengeftellt werden konnte, widerlegt er in eben fo nnhaltbarer 
Weife. Er folgert aus dem vvdeis nor ovunapeylvero 2 Tim. 4, 16., daß audı 
Lukas, welder in feiner zweiten römiſchen Gefangenſchaft nad 4, 11. allein bei Baulns 
gewefen fey, während feiner noozeou anoAoyiu don Rom abweſend war (die Läugnmg 
ded ovunupeyevero bezieht fid) dagegen augenſcheinlich bloß auf den Beiſtand vor dem 
faiferlichen Gericht und zwar während der prima actio in der römifhen Gefangen: 
Ichaft, in welcher fi) Paulus noch bei Abfaffung ſeines Briefes befindet). Deshalt 
wahrjcheinlich habe Lukas feinen Bericht nur bis zu der oordon unoroyla fortgefährt, 
indem er die Geſchichte bis zu der Zeit erzähle, in welcher er in der Umgebung Raulı 
war (sEyrors Orte rw Ilaviw ovriv). Man könne aus dem Schluffe der Apoſtelgeſchichte 
daher nicht folgern, daß fein Martyrium in den von Lukas befchriebenen römifhen Auf 
enthalt Pauli gefallen fey (mas alfo Undere behaupteten). Eufebius ſucht feine Un 
nahme des Martyriums Pauli bei einer zweiten vömifchen Gefangenfchaft noch darch 
den Hinweis darauf wahrfcheinlich zu machen, daß bei dem anfänglidh milden Regiment 
Nero’8 (dem befannten quinquennium) die Vertheidigung ded Paulus Leichter ange 
nommen ſey, al® er aber zu gottlofen Freveln fortfchritt, fey unter Anderem auch des 
wider die Apoflel nnternommen worden. Hier fehen wir fein auch von Hieronyams 
de vir. illustr. 5. erwähntes hauptſächlich chronologifches Motiv, weßhalb er den Regir- 
rungsantritt des Feſtus in fo unhaltbarer Weife vorausdatirt, vergl. and) S. 566 Rote, 
da die Freilaſſung des Paulus und der Schluß der Apoſtelgeſchichte noch immer hal: 
jened Quinquemiums fallen follen (die Ankunft des gefangenen Paulus in Rom fest 
er ſchon in das erfte Jahr Nero's 55 n. Chr), Das andere Motiv, welches ven 
Eufebius überhaupt zur Annahme einer Freigebung des Wpoftels trieb, iR, jeme fird- 
liche Sage zu rechtfertigen und das Evangelium möglichft weit durch den Apoſtel felker 


*) Daffelbe Aoyos Forı findet ſich hist. eccl, 2, 17. bei Anführung der Gage, daß ber N- 


fannte Philo, nach Euſebius afcetifcher Iudencrift, mit Betrus in Rom unter Claudine julan- 
mengetroffen fey. 


Zeitrechnung, neuteftamentlide 563 


verbreiten zu laſſen, hist. ecel. 2, .3. Auf wie unhaltbaren hiftorifchen Gründen bie 
Chronologie des Eufebius, welchem Hieronymus mit geringen Modiftlationen folgt, in 
diefem Punkte beruht, fieht man auch daraus, daß er das Martyrium des Paulus und 
Petrus zwar ansdrädlihh in die allgemeine Neroniſche Chriftenverfolgung, hist. ecel. 
2, 25., diefe aber erſt in’s 13te Jahr Nero's, 67 nach Ehriflus fegt,. weil er fie irrig 
bon ihrem Zufammenhange mit dem Brande der Stadt Rom im Jahre 64 u. Chr. 
(gl. Tac. Ann. 15,38 ff. Dio 62,16— 18.) loegeldſt hat, und doch pflegt man fidh noch 
immer für die hier befteittene Anficht auf Euſebius zu berufen, ohne vielleicht einmal fein 
hronologifches Syftem und defien Gründe geuauer zu kennen, vgl. dagegen auch meine 
Chronologie S. 539 ff. 571 fi. Im neuerer Zeit weift man aber namentlich, auf das 
zeggem rqᷓ— Svosws Kap. 5. im erften Briefe des römifchen Clemens an die Korinther 
bin. Diefer Brief des apoflolifhen Vaters ift höchſt wahrſcheinlich bald nach der Ne- 
roniſchen Chriftenverfolgung und noch vor der Zerflörung des Tempels in Serufalem 
geichrieben, vgl. m. Unterfuchung über den Hebräerbr. I. S. 3ff. Wenn man ihn trotz 
feiner deutlichen Ausfagen erſt nad) der Zerfldrung des Tempels fett, fo hängt das be- 
fonder® mit der Annahme, daß Paulus etwa erſt 67 oder noch fpäter Martyrer wurde, 
zufommen. Leider iſt er uns aber nur in der hier gerade fchadhaften Handfchrift des 
cod. Alex. erhalten, deſſen öftere Lüden von dem Ausleger zu ergänzen find. Eine 
ſolche Läde ift audy vor 70 zepua Tg do. von feinem erſten Herausgeber Junius 
angezeigt, welche diefer durch ri, ich durdy v0 auszufüllen vorgefchlagen habe, wobei 
ih dann reoum (vgl. 1000, nepus, unfer „Spige) von dem oberflen Magiftrat verflaud, 
alfo bei zEguu zig dvoswg an das oberfle Gericht des Abendlandes, das kaiferliche 
Zribunal dadıte, Ehronol. S. 531 ff. Imdeflen bezeugen Jacobſon, pattr. apostol. 
ed. IV. Tom. I. p. 28 und Dr. Peterfen nady Laurent, neuteflamentl. Studien 1866, 
S. 105) nad) perfönliher Einfiht der Handfchrift, daß fih am angeführten Orte 
feine Lücke, fondern deutlich Er finde; nur daß noch nicht entfchieden ift, ob nicht 
unfere Stelle zu denjenigen gehört, vo Junius, wie Wotton fagt, feine Zertesände- 
rungen willtürlid mit neuerer Dinte hinzufügte, wie 3. B. 1Xim. 3, 16., fo daß diefe 
Stelle nach diefer Beziehung noch von einem tüchtigen Paläographen näher zu unter» 
fuchen feyn dürfte. Indem wir jegt uun die Lesart dr annehmen, fagt der römifche 
Clemens 0. a. D. Folgendes: „Wegen Zorn und Neid wurden die größten und ges 
rechteften Säulen verfolgt und kamen zum Tode. Wir wollen vor unfere Augen bie 
guten Üpoftel nehmen. Petrus erduldete wegen ungerechten Zorns nicht eine oder zivei, 
fondern mehrere Mühfale und ging fo,. nachdem er gezeugt hatte, in den gebührenden 
Drt der Herrlichleit. Wegen Zom erlangte aud; Paulus der Geduld Kampfpreis; 
nachdem er fiebenmal Feſſeln getragen hatte, vertrieben, gefteinigt ward, Prediger im 
Morgen» und Abendlande geworden war, trug ex den edlen Ruhm feines Glaubens 
davon; nachdem er Gerechtigleit gelehrt der ganzen Welt und zur Zieljänle (meta) des 
Weſtens gekommen war und vor den Fürflen gezeugt hatte (zu uagrvoeir vgl. Apgſch. 
23, 11, 1Tim. 6, 13. 2Tim. 4, 16. 17), fo ſchied ex von der Welt und ging in 
die heilige Stätte, indem er ein größtes Muſter der Geduld ward.“ Es iſt dieß bie 
ältefle Stelle über das Martyrium der Apoftel Petrus und Paulus in Rom, welche 
von dem begeifterten Schüler und Augenzeugen dieſes Yaltums, bald nachdem es ge- 
fchehen, gefchrieben ward. Man hat hier nun das repua zig dvoews, indem man es 
geographifch von der Gränze des Abendlandes faßte, auf Spanien (Hug, Biefeler, 
Neander, Eredner, Bleel, Huther, Wiefinger), ja Britannien (Uſher) bezogen und fo ein 
Zengniß für die Befreiung des Apoſtels aus der römiichen Sefangenfchaft, der damals 
ja freilich in Spanten noch nicht geivefen war, vgl. Rom. 15, 24., an dieſer Stelle 
gefunden. Dean fagt mit einem gewiffen Schein, daß wenn hier Clemens, um dem 
Ruhm des Paulus hervorzuheben, fonft auch etwas panegyrifch vede und im feiner Dar⸗ 
ftelung feinen Standpuntt im fernen Often nehmend diefen an die Gränze des Weftens 
als Prediger des Evangeliums gehen laſſe, doch nicht wohl Kom, wo er felber jchrei- 
36 L 


564 Zeitrechnung, neuteftamentliche 


bend fich befand, unter der Gränze des Weſtens verftehen konnte. Indeß finden fid 
wenigſtens ähnliche Stellen bei Paulus, wo das Evangelium der ganzen Welt ver- 
fündet, Kol. 1,6. 23., zu den Enden der Erde gefommen ſeyn oder kommen’ fol, Röm. 
10, 18. Apgeſch. 1, 8. 2, 5. 10. 13, 47. Apgefh. 24, 5., zu einer Zeit und In 
einem Zuſammenhange, wo die für jene Zeit allerdings außerordentliche Berbreitung 
deffelben vornehmlich bis Rom damit gemeint wird. Was aber die Hauptſache ifl, fo 
ift hier da zfpuu in der Verbindung mit zig dvoewg weder dem Zuſammenhange 
noch dem Sprachgebrauche nach geographiſch auszulegen. Wenn nämlich Otto, Paflo- 
ralbriefe S. 160 ff. über den Spracdhgebraud; von 160400 auch Manches nit genan 
erörtert und, was die geographifche Bedeutung des Ausdruds anlangt, wohl mit der die 
entgegengefegte Anficht vertretenden Darlegung Credner’s, Geſchichte des neuteftamentl 
Kanon S. 52 ff., kaum befannt geweſen feyn kann, wo neben Herod. 7, 54. (Tepuara 
Evgwnns) aus fpäterer Zeit folgende bemertendwerthe Beifpiele Euseb. vit. Const. 1,8. 
(reouara rs olovu. nus.), Cyrill von Jeruſ. Catech. 6, 2.3. (reeuura ne yik), 
Philostr. vit. Ap. Tyan. $. 3. (156̃c Eve. r£puu), aus Strabo 3, 5. wenipſten 
seomoreg riiç olx. angeführt werden, fo jcheint doch fo viel zu erhellen, daß der 
Ausdrud Tepıa um die Zeit des Clemens bei Profuilern im geographifden Sinne 
jedenfalls nur felten fic findet und dann vornehmlich durch die orphifchen Gedichte, aus 
welchen Otto Orph. hymn.10,23.13,13. 70,11. 82,7. citirt, erft ſpäter wieder in Uebung 
kam. Wie der Zeitgenoffe Auguſt's, Strabo, welcher mit geographifchen Begriffen viel 
verfehrt, fo viel ich weiß, ihn nidyt gebraucht, abgefehen von dem einmaligen repuörss, 
fo wenig haben ihn namentlich auch die LXX. zurlieberfegung des im Alten Teſtamente 
nicht felten vorfommenden Begrifjs der Enden, Gränzen der Erde gebraucht, fondern 
jagen dann reous, axgov, Eoyaror; reouw kommt bei ihnen nur Weish. 12, 27. und 
zwar im tropifchen Sinne vor. Auch in der neuteftamentlihen Schrift findet es ſich 
nicht, fondern es fleht dann, wie fihon Homer Od. 4, 563 fagt, dgl. Steabo III, 150 
II, 104, neoura (Röm. 10, 18) oder &oxurov und axgovr rs yrs u. dergl. Dina 
fommt, daß der Ausdrud 1740,000 in der Regel fo nur vorlommt im Plural (der Sin 
gular repuw bei dem fpäteren Philoſtr. a. a. O. ift überdieß durd den Zuſammenhang 
gefordert, da von der Lage von Gades, alſo einem einzelnen Orte die Rede fl) nund 
verbunden mit einem beftimmten allgemeinen geographifchen Begriff wie y7 und Erowar. 
In der griehiichen Profa war aber der Ausdrud zigsm damals befonders in zivei Beten: 
tungen üblih, vom Lebens ziel *) und von dem durd; eine Säule (meta) oder durdı 
ein andered Zeichen (vgl. Hom. Od. 8, 191.192. J1.23,757 ff. 23, 309 ff.) tn alter Zeit 
etwa durch einen Stein bezeichneten Zielpunlte (=xuunrro,vvcou) in der Wenn 
bahn, fowohl dem innddgonog als dem arddıor. In dem legteren Sinne iſt es nad 
dem Zufanmenhange unftreitig hier zu verftehen. Denn es herrfht hier auch fenk 
das befannte Bild des Wertlämpfers, mit welchem der wider alle Fährlichteiten 
im Glauben unverdeoffen ringende Chriſt, refpeltive Apoftel verglichen wird, vgl. vorher 
“Ins und dann gerade bei Paulus kurz vorher Unouoviis Boußeior und To Yarraur 
ts niotewg xAog Außer, und gleich wieder Kap. 6. fehr ähnlich zor ri miore; 
PfBuov dpduor» (vergl. 2 Timoth. 4, 7.) und Aupor yervalov ylpas (zu Act daru 
beim Wetttampf vergl. 1 Nor. 9, 24. 25. u. Phil. 3, 12). Namenitlich ſcheui der 
römifche Clemens in feinem Briefe an die Korinther hier mit feinem Apapeiow wie and 
anderwärtd auf den Brief des Üpofteld an die korinthifche Gemeine 1 Kor. 9, 24 (vgl 
Phil. 3, 14) hinzumweifen, wo er felber fein apoftolifhes Wirken unter bdiefem Bilte 
borgeftellt hatte. In der Rennbahn des Apoftels, welche ja nad) den vorhergehende 


*) Bei diefer Bedeutung müßte man zo zepua ı75 dvoeos am leichteflen noch als „Dasjena: 
Abendland, welches das zepua if“, vgl. zepuia zupa bei Sophocl. Oed. Col. 89., ſaſſen, fe 2:5 
das Pronomen arrod auch fehlen könnte, freilich für einen Proſaiker eiue nicht eben wahrjqen ˖ 
lie Wendung. Verſteht man nicht das natürliche Lebensziel Bauli, fondern das ihm im Abent ˖ 
lande geftellte Ziel (Schenkel, Baur), jo würde das Pronomen gar nicht fehlen löuwem. 





Zeitredhiuung, wenteftamentlidhe 565 


Morten bes Clemens xüovE yerduerog Er ve 17 avaroin xai dv ın ddaeı daß 
Morgenland und das Abendland umfaßte (von Verufalem und Umkreis im Often Röm. 
15, 19, his Rom im Weften fich erflredte), gab es, wie in anderen Rennbahnen, meh- 
rere mehr zurhdliegende Punkte, welche der Wettläufer erft paffiren mußte, bis er als 
Sieger zur äußerſten Zielfäule, jenen mehr öftlihen*) Punkten gegenüber die Ziel⸗ 
läule des Weſtens geheißen, vordrang. Da der Wettlampf der apoflolifchen Berfün- 
digung ein lange anhaltender, mühfamer ift, fo hat Clemens wohl an den doAydv ge- 
dacht, bei welchem man fiebernmal lief, nämlich dreimal hin umd zurüd und einmal zum 
Ziele. Die Hinderniffe, welche fi, feiner Predigt in Rom, dem Ziel feiner langjäh- 
rigen Sehnfucht, hindernd entgegenflellten, bis ex es durch feine unverdroffene, muthige 
Ausdauer erreichte, Roͤm. 1, 10. 11. 15, 19 ff. vgl. Apgeſch. 13,47. 19,21. 20,24. 
23, 11., hat Clemens unter dem Bilde feines von Oſten nad; Weften gehenden Wir⸗ 
kens als eines Wettlaufs nah dem rfoua riißç ddasmc treffend hervorgehoben 
und es kann diefer Auslegung kein trivialee Sinn vorgeworfen werben, wie Credner 
a. a. DO. mit Recht der Baur'ſchen Auffaffung thut, da man von jedem Menfchen ohne 
Ausnahme fagen könne, daß ihm irgendwo fein Lebensziel geftellt fen. Uebrigene paßt 
onch das euzw ünnAldyn ou xdonuov nicht recht, wenn durch röpza bereits auf feinen 
Zod hingewieſen wird. Jedenfalls muß aber ımter dem rloua vis ddceus Rom ver- 
fanden werden, wie aud) aus dem ſich unmittelbar anfdhließenden Satze xal uaorv- 
onoas Eni zwr Tyovevor hervorgeht, welches in dem ripua vis dudoems feine Oert- 
lichkeit empfangen muß und anerfanntermaßen von dem gerichtlichen Zengniß Pauli in 
Rom zu verfiehen if. Dabei ifl Zumı **) zor nyovulvwr angenfheinlih nicht chrono- 
logiſch — man müßte dann ja nothiwendig eine nähere Benennung der syoyg., nicht 
die bloße Bezeichnung ihrer Kategorie erwarten —, fondern coram principibus zu 
erflären, fo daß die Perſonen des Laiferlihen Tribunal in Rom, der Kaifer als prin- 
cops ſchlechthin und deſſen Beifiger, hier oi zyodgeeror heißen, weil das kaiferliche con- 
eilium (ovaußovlsor) auß lauter principes civitatis Suet. Tib. 55. Dio 53, 21. 
Taeit. Ann. 14, 62. Philostr. vit. Ap. VII, 18 (Unaroı ävdoes) gebildet ward, vgl. 
meine Chronologie S. 384. 526 fi. Bel unferer Erflärung des T/pua Tic duaewg 
beweiſt diefe Stelle des römifchen Clemens nicht nur Nichts für eine Befreiung des 
Paulus aus feiner bei Lukas erwähnten vömifchen Gefangenſchaft, fondern fie ſchließt 
letztere aller Wahrfcheinlichkeit nad ans, da Clemens, indem er das gefammte von Often 
nach Welten gehende Wirken des Apoſtels mit einem Laufe in der Rennbahn vergleicht, 
wenn er wirklich noch weiter nad; Weften bis nach Spanien gelommen wäre, bei con« 
fequenter Ausführung des Bildes nur Spanien, nicht das räumlich zurldliegende Rom 
als rigua zig dvoeog bei feinem Wettlanfe hätte bezeichnen Finnen. Sehr zu beachten 
iſt noch, daß Eufebius a. a. D. [überhanpt, fo viel ich weiß, fein SKirchenvater], welcher 
doch den erften Brief des römifchen Clemens fo hoch fiellt ımd wie überhaupt die alte 


*), Im Stadinm gab es außer der das feste Ziel bezeichnenben meta eine zweite meta, ba 
an beiden Enbpuntten des doouos metae waren, und eine britte noch in der Mitte zwifchen 
beiden, vgl. den Art. „Stadium“ in Panly's Realencykl., ferner Guhl und Koner, das Leben ber 
Griechen und Römer, ©. 121 fi. Den anderen, mehr nad DOften gelegenen metae gegenfiber 
beißt bier in der Rennbahn des Paulus Rom die meta bes Weſtens, alfo ber äußerfte Bunt, 
dis wohin diefelbe im Weften reichte. Bei unferer Faflung bes ripua mußte das anf Paulus 
bezügliche Bronomen natürlich fehlen. Es if die Rennbahn, welche der Apoftel burdyläuft, nad) 
ihrem objektiven ripua bezeichnet, aber daß jene bie Rennbahn feines eigenen apoſtoliſchen Wir- 
tens fen, barüber hat Clemens feine Lefer ſchon vorher 3.8. bei bem Urouorfis ABpaßelov ansaoyer 
durchaus nicht in Ungewißheit gelaflen unb Tonnte darüber bei dem hier vertbeibigten bild- 
lichen inne von ripza kein Zweifel ſeyn. 

*®) Drigenes fagt bei Eufeb. h. e. 2, 1. dafir 4x! (coram) Nöpwvos usnapruenaoros, vrgl. 
1 Zim.6,14 (dx! Ilovziov Ilddrov). Daß Clemens fein Zengniß vor dem Laiferlihen Zri- 
bunal meint, nicht vor gewöhnlichen Richtern, erhellt auch daraus, daß bei Petrus an der par. 
ralleien Stelle bloß kaprupnoas ſteht. 





566 Zeitrechnung, neuteſtamentliche 


Kirche den kanoniſchen Schriften faſt gleich achtet, hist. ecol. 3, 16. 38. 4, 23. dieſe 


Stelle für die Befreiung des Paulus nicht anführt, was er bei dem Gewicht, das jene 
in feinem ganzen Syſtem der Chronologie einnahm, unftreitig gethan haben würde, wenn 
fie diefelbe für ein griechifches Ohr wirklich und fo Mar ausfagte, wie da® nenerdings 


mehrfach behauptet wird. Die fogen. epist. Clem. ad Jacobum c. 1, ift allerdings ein 


Anklang unferer Stelle, fagt aber Kom nur als Ort des Wirkens und Martyriums des 
Petrus, nicht, wie Meyer (Römerbr. S.15) angibt, ded Paulus aus, beweiſt alſo audı 
nicht, daß Paulus nur bis Rom gelommen if. Bon ungleid geringerer Wichtigleit 
ift die Stelle aus dem fogenannten Kanon von Muratori; denn jene iſt von einem m 
mittelbaren Augenzeugen des Lebens und der letzten Schidfale des Paulus verfaßt, 
diefe ift von einem unbefannten, wenn auch für feine Zeit mwohlunterrichteten, wahr 
fcheinlih in Italien lebenden Manne etwa um 170 n. Chr. gefchrieben. Leider ift der 
betreffende Text, wie überhaupt der des ganzen Fragments, fehr verderbt im einer Hand⸗ 
fehrift, welche fi in der Umbrofiana zu Mailand befindet, auf uns gelommen. Rad; de 
Stud. u. Krit. 1847, Heft 4. vgl. 1856 Hft. 1. befindlichen weſentlich richtigen Tertescollation 
(denn was kann der Unterzeichnete als Heraußgeber dazu, wenn Neuere ihn dfter midt 
dort nadjlefen und meine Emendationen, dort forgfältig unterfchieden, ohne WBriteret 
als Text anfehen) fagt der Fragmentift, nachdem er den Lulas früher als Verfafler des 
Evangeliums, ohne doch Augenzeuge de Lebens Jeſu zu ſeyn, bezeichnet hat: Ada 
autem omnium apostolorum sub uno libro scribta (scripta) sunt. Lucas obtime 
(optimo) Theophile(0) conprindit (comprendit), quia (quae) sub praesentias 
ejus singula gerebantur, sicuti et semote(a) passionem (passione) Petri eri- 
denter deolarat, sed (sed et oder et) profectionem (profectione) Pauli ab urbe ad 
Spaniam proficiscentis. D. h. „Die Thaten aber aller Apoſtel find unter Einem 
Buch gefchrieben. Lukas faßt für den beften Theophilus das Einzelne zufammen, wol 
unter feiner Gegenwart gefhah, wie er auch durch die Weglaffung der Polfion 
des Petrus, aber aud) der Reiſe des von der Stadt (Rom) nad) Spanien reiſender 
Paulus, deutlich anzeigt” (die betreffenden Thatfahen waren nämlich nicht bei ſeiner 
Gegenwart geſchehen). Daß die Paffton des Petrus, fowie die Reife des Paulus nad 
Kom und Spanien in der Apoftelgefchichte nicht berichtet werden, gebraucht der drug 
mentift zum Beweiſe dafür, daß Lukas da 8 Einzelne berichtet habe, was unter feine: 
Gegenwart gefchehen ſey. Wenn mir alfo den Zert des Kanon richtig hergeficlt 
und erflärt haben, fo hält fein Verfaffer die Neife des Paulus von Rom nad Spanim 
feinerfeits fie eben fo faltifch, als die Baffion des Petrus, nimmt aber an, daß Yulos 
nur fein Augenzeuge derfelben gewefen fey, Eine ähnliche Erklärungsweiſe der Apofkl 
gefchichte haben wir auch bei Eufebius wenigſtens rüdfichtlich des Schluffes diefer Schaft 
gefunden. Der Fragmentift ſtellt diefed Erklärungsprincip aber noch allgemeiner au. 
Obwohl nım wenig daraus folgt, wenn auch der Tragmentift, welcher um 170 lebt, 
die Befreiung des Paulus aus feiner römifchen Oefangenfchaft behauptet haben folk, 
fo läßt fi da8 aus der von ihm als Thatfache behaupteten fpanifhen Reife Kb 
Paulus doch noch keineswegs mit.Sicherheit erſchließen. Denn fo gewiß ſie auch dad 
die Erzählung der Apoftelgefchichte vor der in diefer berichteten xömifchen Gefangen 
haft des Paulus ausgefhlofien ift, fo ift fie doch in der alten Kirche dielfach, ad 
ſelbſt von einem fo umfichtigen Exegeten wie Chryſoſtomus, für die frühere Zeit be⸗ 
hauptet (f.unt.) und ließ fich bei dem obigen Erflärungsprincip leicht genug in die Apofel- 
gefchichte eintragen, ebenfo leicht wie die Reife des Petrus nad) Rom in eig Frepav sono 
Apg. 12, 17. Das öuooe bei Dionyſius von Corinth, Euseb. h. e. 2, 25., if nid 
temporell, fondern local, „an demfelben Orte“, zu deuten, vgl. m. Chronol. ©. 534 |. 
Es ift daher, wie gefagt namentlich Eufebius, welder fpäter die Behauptung einer Be 
freiung des Apoſtels aus der römischen Gefangenſchaft zur Geltung bringt und fi, 
obwohl mit Unrecht, befonders auf 2 Tim. 4,16 ff. ftügt. So ſteht e8 auch bei Ehrt- 
foftomus, welcher ebenfalls fi auf 2 Tim. a. a. DO. beruft und dabei nur eime Reit 


Zeitrediunng, nenteftamentlidhe 567 


des befreiten Paulus nach Spanien behauptet, die aber nad) Kleinaſien und Philippi 
ausdrüdlich bezweifelt umdb ebenfo die beiden anderen Paftoralbriefe vor der römifchen 
Gefangenſchaft fett; ebenfo Theodoret. Ya felbft Theophylakt fpricht diefe Zweifel zu 
2 Tim. 4, 20. aus und kann deshalb den erſten Timothensbrief, welchen er aus Laodicea 
gefhrieben ſeyn läßt, nicht nach feiner Befreiung aus ber römischen Gefangenſchaft geſetzt 
haben, vgl. den Art. „Briefe an Timoth. u. Titus” XXI, 316.328. 339. Die neuere Anſicht 
über eme fo fpäte Abfaſſung der Paftoralbriefe ift mit Ausnahme des zweiten Timo⸗ 
theusbriefes befonders erſt durch Uſher umd Mill behauptet worden. Dagegen nehnıen die 
genannten griechiſchen Väter, von Eufebins an, eine Reiſe des befreiten Apoftel® nad 
Spanien an, während diefe dagegen von den benachbarten römiſchen Pähften, Innocenz I. 
and Gelaflus, entfchieden geläuguet wird umd Einzelne wie Hieronymms und Iſidorus 
Hispal. den Griechen beiſtimmen, vgl. meine Chronologie S.539 und Kunze, praecipua 
patrum eooles. testimonia, quae ad mort. Pauli ap. speotant, wo die meiften betr. 
Zeugniffe der Zrabitton überhaupt überfichtlich zufammengeftellt werden. S. 49 fi. So 
widerfprechen ſich die Bertheidiger der Befreiung des Apoſtels felber rüdfichtlich der 
Gegenden, wo er gepredigt haben fol. Dabei findet ſich die merkwürdige Exfcheinung, 
daß Paulus ſchon vor feiner römifchen Gefangenfchaft in den fernſten Gegenden, numentlich 
auch ſchon in Spanien das Evangelium verfündigt haben fol. Beſonders wird diefe 
Anfiht auf Rom. 10,18. gegründet, wo bie Enden der Exde (rd ndpara rg olkovudvng) 
nicht wie gegenwärtig auf Rom, fondern wie in der altteflamentlihen Grundſtelle, 
Bf. 19, 5. auf den äußerflen Weſten, namentlih Spanien, bezogen werden. So hat 
nach dieſer Stelle Paulus ſelbſt nad Chryſoſtomus bereits vor Abfafiung des Römer- 
brief8 im Spanien gnepredigt, ferner in Sicilien und Italien, bei den Saraceuen, Perſern, 
Armeniern u. f. w.; vgl. Chryſoſt. zu Röm. 1,5. 13.15. 16. 15, 19. 2 Kor. 10, 16. 
Die frühzeitige Predigt des Evangeliums in aller Welt wird nämlich auch als Erfüllung 
der Weiſſagung Chriſti, Matth. 24, 14.angefehen, daß das Evangelium, wie man es deutet, 
noch dor der Zerflörung Jeruſalems anf ber ganzen olxovusrn werde verlündet werden, 
Chrys. hom. 75 al. 76. in Matth., wo zu Matth. 24, 14. die Stellen Kol. 1, 23. 
Km. 10, 18, eitirt werben, vergl. auch Eufeb. hist.. eccles. 2, 3. Auch Theodoret, 
der wie wir fahen, ihn nach feiner Befreiung namentlich nach Spanien, in feiner Aus⸗ 
legımg von 2 Tim. 4, 17. auch nod) zu andern Völlern gehen läßt, läßt ihn befon- 
ders in feiner Auslegung von Pfalm 116 nach Spanien und ben im Deere dazwi⸗ 
fchen liegenden Inſeln, etwa Sicilien und Korſika u. f. w. gehen; denn die &977 &v ueow 
dtoxsisera und deaxemlva vjooı find nad; dem ganzen Aufammenhange und teil 
fonft flott 6 n&uyos (das mittelländifche Meer) wxearug ober TO Eu nälayog Strab. 
III, 137. Philostr. vit. Ap. 4,47. 5,1. zu fagen war, von Völkern und Inſeln diefietts 
Spanien, nicht etwa don Britannien zu verftehen, vgl. aud) Graec. affect. curatio disp.IX. 
und den Zuſatz des ood. Laud. II. zu Euthalius prolog. in Pauli epist. bei Mill N. Test. 
p-252ff. Durch falfche Deutung des rloua vis dvasıg bei Clemens und Herbeiziehung 
foldyer Stellen hat man neuerdings betveifen wollen, daß das Evangelium von Paulus 
ſelbſt im England verfündigt fey; vgl. Saville, The introduction of Christanity into 
Britain, 1861. Uebrigens darf man von Paulus, felbft mern er aus feiner römifchen 
Sefangenfchaft befreit wäre, eine Reife gerade nad; Spanien und den Ländern bes 
äußerften Weſtens weniger erivarten, da er nach feinen in der Gefangenfchaft gefchrie- 
benen Briefen vielmehr zunächſt die von ihm in Aſien und Europa gegründeten Ge- 
meinen nach fo langer fhwerer Zeit wieder auffuchen wollte Dagegen findet ſich die 
richtige Auſicht, Daß Paulus in feiner bei Lukas berichteten xömifchen Gefangenſchaft 
das Martyrium erlitt, auch im der älteſten lirchlichen Tradition ansgedrüdt. Abgefehen 
von der richtigen Anffafiung der Grundſtelle des römifchen Clemens, 1 Kor. 5., iſt dieß 
wahrſcheinlich der Fall in der Stelle des apoftolifchen Vaters Ignatine ad Eph. c. 12, 
two auch Bleek, die Lesart der kürzeren Recenfion zupodds dare ur els Heov arın- 


568 Zeitrechnung, nenteftamentliche 


oovusswr als richtig voransgefegt, des Zufammenhanges wegen eine Anfpielung auf den 
gewaltfamen Tod des Apofteld Paulus finde. An der Richtigfeit der Lesart fcheint 
mir faum gezmweifelt werden zu können. Die ephefifchen Chriften, welche, Polykarput 
an der Spite, zu dem nad Rom deportirten Ignatiu® nach Smyrna kamen, werden 
hier ein zagodos der für Gott Getödteten, Paulus und Ignatius genannt: denn andı 
Paulus zog auf feiner legten Reiſe bei ihnen vorbei; fie famen aber damals zu ihm 
nad Milet, Apgefch. 20, 17 ff., wie jet zum Ignatius nach Smyrna. Iſt diefe Deu: 
tung richtig, fo folgt aber weiter, daß Paulus nad diefem feinem zapodos nicht wieder 
befreit ward, fondern in Rom hingeridhte. Dann heben wir als befonder® wichtig dat 
Zeugniß des gelehrten Origenes hervor bei Euseb. hist. eccl. 3, 1., der auf fein 
Wirkſamkeit in Illyrien als die mweftlichfte fofort fein Jeunnig vor Nero in Rom folge 
läßt; vergl. auch Tertull. Apologet. 5. Scorpiace 15. Lactant. de mort. persecut. 
cap. 2.; Sulpit. Sever. hist. sacr. 2, 29. (und dazu m. Chronol. ©. 542), überhaupt 
faft alle älteren Lateiner, ferner Idatius, Pſeudo-Abdias, histor. apostel 2, 7. 8. 
Nah den römifhen Confularfeften des Chronographen vom Sahre 354 warden die 
Apoſtel Petrus und Paulus 33 n. Chr. Bifhöfe in Rom umd erlitten 55 n. Chr. om 
29. Yunius das Martyrium. Selbſt Euthalius bei Zacagn. Tom. 1, 425 fi. 535 |. 
fcheint für fich die Anficht des Origenes zu theilen, hält es aber für ndthig, auch die Is 
Eufebius hinzuzufügen. Bei dem nachgewiefenen Streben, die apoftolifcdye Wirkſamleit dh 
Paulus möglichft weit auszudehnen, läßt ſich diefer Widerfpruch felbft in fo fpäter Zeit räd- 
fihtlicd) der Befreiung des Apoſtels aus feiner römischen Haft nur fo verfichen, daß ter 
Apoftel aus der römifchen Gefangenschaft nicht frei geimorden ifl. — Was num aber die Zei 
feines Martyriums betrifft, fo wird diefes von faft Allen, welche Anficht fie über fer 
Befreiung auch haben mögen, im Allgemeinen in die Neronifche Verfolgung gefegt, ſo 
namentlich auch von Eufebius felber, hist. eccl. 2, 25. (dewyre., za 6» x.r.1.). Die 
Losldfung des Martyriums der Apoftel von der Neronifchen Chriftenverfolgung, fo da 
man diefe zur Zeit des römifchen Brandes, und jenes weit fpäter fett, ift im alter Jeit 
unerhört. Dieſe aber hatte nach Tacitus Ann. 15, 44. Sulpit. Sever. 2, 29. Statt 
im 9. 64 n.Chr. nicht lange nah dem Brande Roms, während der weniger dire 
nologifch fchreibende Sueton den Brand Roms (Nero 38.) von der Chriftenverfolgung 
(Nero 12.) losreißt. Doc, erwähnt auch er die pestilentia unius auctumni (ohtt 
nähere chronologifche Formel) gleich nad dem Brande (Nero 39.), welche Peft ned 
Tac. Ann. 16, 13. in’8 Jahr 65 fiel. Die Zeit des Brandes 64 wird auch dad 
Dio 62,16—18. beftätigt. Syncellus fett wie Tacitus die Verfolgung in das der Fıfl 
borangehende Jahr. Daß die Neronifche Verfolgung mit dem Brande Roms, der dadurdı 
sätfhlich auf die Chriften zurüdgeführt werden follte, zufammenhing, ergibt ſich and u 
fiherer Weife daraus, daß Petrus damals auf dem Vatikan, wo heute noch feine Ge 


beine (ſ. unt.) ruhen follen, da8 Martyrium erlitten hat. Nach Tacitus nämlich hatte dr 


Erelution der Ehriften, bei welcher auch die Sreuzesfirafe erwähnt wird, in den Re: 
ronifhen Öärten flatt, die auf dem Batilan lagen (vgl. m. Chron. ©. 545) 
Für das Jahr 65 fpricht nichts als das Zeugniß des chronologiſch auch fonft nicht p- 
verläffigen Berichtderftattere Orofius, wenn man nicht ‘etwa dieſes fo auslegen til, 


daß die Chriftenverfolgung in den Provinzen, die er noch erwähnt, erft im Sabre #5 


oder doch nad) dem Herbſte 64 ftatthatte, in weldhem Falle das insequenti auctumne, 
wo die Peſt als göttliche Strafe auftritt, auch bei unferer Chronologie feine Kedı- 


fertigung finden würde. Das Jahr 67 beruht auf der Autorität des Euſebins und ih | 


wie wir ©.562 fi. fahen, fchlecht genug begründet. Darüber, daß man diefes Jahr mr 
irrig auf da8 Eni rwv myoyuvwv Clem. 1 Ror.5. gründen würde, vgl. S. 566. Ponlut, 
wurde mit dem Schwerte auf dem Wege nach Oftia hingerichtet, Tertull. praescript 
haeretic. 36; der Presbyter Cajus bei Euseb. hist. ecel. 2, 25; Hieronym. de virö 
illustr. c. 5. Oros. hist. 7, 7. Sulpit. Sever, a. 0.D. — Der Tod durch das Schwen 





Zeitrehunng, nenteflameniliche 669 


war der eines xömifchen Bürgers, die Kreuzeöftrafe, welche deu Petrus traf, bie eines 
Stlaven und Provincialen, extra ordinem aud) die der Ehriflen, vergl. Rein, Criminal 
echt dee Römer ©. 913 fi. Der Ort feines Martyriums waren nicht die Neronis 
ichen Gärten, wo die Hinrichtung der Chriften in der allgemeinen Chriflenverfolgung 
unter Nero nad) Tacitus Statt hatte, fondern der Weg nad Oſtia. Endlich waren and 
die Richter bei den Apofteln Petrus und Paulus verfchieden, da jener nah Clemens 
1Ror. 5. uapsvorons, dieſer uaprvojoas Zni Twr Nyovuelrwr geftorben ifl. 
Daßz Paulus vor feinem Martyrium nody vor dem kaiſerlichen Tribunal in Rom ge- 
zengt hat, alfo von diefem gerichtet ifl, wie wir fchließen müflen in Folge feiner bei 
Lukas berichteten Apellation an den Kaifer, bezeugt uns ausdrüdlich der römifche Cle⸗ 
mens nach unferer Auffaffung feinee Worte. Es ift nicht mwahriheinlih, daß Nero, 
ala er in Folge des römifchen Brandes die Vollswuth auf die Ehriften ableiten wollte, 
die Rechte des Paulus als xÖmifchen Bürgers refpektirt hat, und deshalb haben Nean⸗ 
der, der Unterzeichnete und Andere angenommen, daß er nicht während jener allgemeinen 
Neronischen Berfolgung, alfo auch nicht ganz gleichzeitig mit dem Apoſtel Petrus das 
Martyrinm erduldete. Nach unferer Anfiht muß er einige Zeit vorher im Jahre 64 
hingerichtet ſeyn, wozu ſtimmt, daß er fpäter ſchwerlich eine Appellation an den Kaiſer 
erlangt hätte. Die Yreilaffung des nach 2 Tim. 4, 21. wahrfcheinlidd im Herbft 63 
in Rom enlangenden Zimotheus, welche Hebr. 13, 23. berichtet wird, mag fie bor 
oder nad) dem Martyrium des Paulus geſetzt werden, iſt jedenfalls vor die allgemeine 
Neronifche Berfolguug zu fielen, weil fonft Timothens gewiß nicht verfchont wäre. 
Das Martyrium des Apoſtels umd die Bigotterie der jüdifchen Profelytin Poppäu md» 
gm den Nero wie weiland Agrippa Apgſch. 12, 3. zu der darauf folgenden aus egoi« 
ſtiſchen Zwecken verhängten Chriftenverfolgung noch ermuntert haben. In der That 
wird auch in der Tradition anfangs nur die ungefähre Öfleichzeitigleit des Martyriums 
des Petrus und Paulns ausgeſagt. So im Zeugnig des Dionyfius bei Euseb. hist, 
eocl. 2, 25: LZuapripnoar xara Tov uurovr xugor. Als aber die romiſche Kirche 
die Feier ihres*) Martyriums auf denfelben Tag, den 29. Iuni 67 n. Chr., verlegte, 
follten beide Apoſtel auch einſt wirflih an demfelben Lage Märtyrer geworden feyn. 
®oL Hieronym. de vir. illustr. c. 5. Gelasii deeret. bei Mansi acta VIII. pag. 157. 
Daneben ward von Wrator, Cedreuus, Auguftin u. And. noch ein Zeitunterfchied, pe- 
wöhnlid, von einem Jahre, aber dody in der Hegel mit der Beftimmung, daß ihr Tod 
auf deufelben Tag falle, feftgehalten. Wäre jene Bellimmung liber das Peirud- und 
Panfusfeft zuverläffiger, fo würde daraus folgen, daß aud) Petrus nicht während der 
allgemeinen Neroniſchen Berfolgung litt, da der Brand Home, der ihr voraufging, erft 
im Juli flattgefunden hat. Eine foldhe Annahme rüdfidytlic des Petrus wäre nun je- 
denfalls unhaltbar. Diöglicherweife mag indeh jener Feſtbeſtimmmung die Erinnerung 
zum Grunde liegen, daß das Martyrium menigftiens des Paulus noch vor dem Brande 
Roms Statt hatte. 





— —— — 


*), Der Peter⸗ und Banlstag vom 29. Juni wird zuerſt in einem alten Märtyrercalenda⸗ 
rinm mit den Worten Tertio Kald. Jul. Petri in Catacumbas et Pauli in Ostiense Tusco et 
Basso Cons,, d. i. 258 n. Chr. erwähnt. Die Römer feierten an biefem Tage die Debilation bes 
templum Quirini in colle nach Beder-Marguardt a. a. O. Bo.4. &.453. Nad jenem Ealendarinm 
wurden die wirklichen oder vermeintlichen Weberrefle bes Petrus damals ale in ben Katalomben 
beſtndlich gebacht, in welchen bie Iuden und Chriſten, während bie tobten Leiber der Richtchriften 
Roms noch verbrannt wurden, beftattet zu werben pflegten, vgl. de Rossi, La Roma Sotteranea 
Christian. 1864 und dazu die Anzeige in Qnaterly Review Jul. 1865, Pagan and Christian 
Sepulchres S. 398. Die reoxara dee Petrus anf dem Vatikan, welche ber Presbyter Cajus bei 
Euseb. h. e. 2, 25, erwähnt, fagen baber nicht ans, daß dort bamals die Ueberreſte des Apoflele 
ruhten, fondern weifen anf Erinnerungezeihen an dem Ort des Mortyriums, wie bie oryin bes 
Jalobns bei dem Tempel zu Jernſalem Euseb. h, e. 2, 23; vgl. meine Chronol. ©. 549 ff. 


570 Zeiter, Chrift. Heinr. 


Auch hier flellen wir zum Schluffe eine Tabelle verfchiedener chronologiſcher An- 
ſichten zur Bergleihung mit der unferigen auf: 











I s | | ) | 1 
siEıs E | 5! | 

3 2 = Ss 8 * a ER 
ar Eu u En Zen Er nu Eu nn ze 
“ b-} nD “ Ps = had 
|81'5:8 8|8.95:ı8:23ı8|5;,6,65 

2 1 _ u . Jahre nad ee DEE — 

Bekehrung des NRau- — | | | 
ME... u“ | s Is Is was un 'weiswis 


e a Tau nach 





























j | 
) | | t 
erufalem 48 | 37 48 88 ss 41 Moda 45 | a7, u | 8 
Zmeite Reife auli na | | | 
Serufalem © 4 44 4 4 | [1 ucbasl 45 uns 5 4 
Dritte Reife Pauli nad) | | | | 
rufalem um’8 3.60 
Apoftelconclt) 49 58 49 52 51 (500651, 46 51? 53 * 
Ankunft Pauli in Ro- | 
zinth 52, Herbſt | so |5?7?| 5 58 sg [5206.53 sn Pe 58 z 
Dierte Ic Bault, nad) | | | 
auf alem 54, Vfing- | 
en, Apaldh. 18, 22. . 52 5? 54 5um 54 5300.54, 1, 5 55 5 
Binpft. Bngft| 
Paufi an —A— | 
56, am BAngieh | | | 
PER 56 59 68 | 98 00.59 58 58 um | 59 
| | im Juni Bfnsft. Vfingſt. Pfingft. 
Pauli Ankunft in Rom | | ' 
61, Srüblinn . . .| 55 , 57 957 Mail 61 61 so MT! Mr a 
| Brühfe, Gräbt. Frühlg, Zrübig.) Brüble.: Baibl- 
Befreiung P. aus der 
Behengenihaft fa fand | ' | | | | | 
zwei Jahre 59 63 64 fand wohl hatte 63 oder u, Su 
nachher | | niet ſtatt nicht Ratı!Anfe. 64! zii Reit 
Pinzihtung des Pau⸗ | | | 
lus 64, in der erften | | 
Hälfte des Jabıs .. ı | ı 68 | 68 67 647 64 7 
ind Ner. Ale. 29. uni, 22. Kbr. ' t 
Kreuzigung des Petrus | | | | 
64, in der Neronifchen ' ih | | | 
Ghriftenverfolgung n. ’ ’ 
dem Brande Rome. | 67 eodem 67 ſand nicht 68 67 6? | hatte . 64 in d. 
ı die ,29. Junt flatt |22. debr | init Ratt, | ‚wer. Bi. 
8. Wieſeler. 


Zeller, Chriſtian Heinrich, Inſpektor der Beuggener Anftalten, iſt geboren 
am 29. März 1779 auf der bei dem Dorfe Entringen Groifhen Tübingen md Hera 
berg) gelegenen alten Nitterburg Hohen - Entringen (jet im Befitze des Grafen von 
Tanbenheim), welche ſammt den zugehörigen Gütern fein Bater, der Hofrath Chrifim 
David Zeller, gefauft hatte, um Landwirthfchaft zu treiben. Das Neben im dortigen 
Eiternhaufe befchreibt Zeller jelbft in einer Reihe von Schilderungen, die das Beug- 
gener Monatsblatt von 1864, Nr. 5. bis 1865 Nr. 11. aus feinem Nachlafie mit: 
getheilt hat. Der Vater war, wie wir hieraus entnehmen, ein unternehmender origie 
neller Mann; den tieferen Grund zu dem jedoch, mas aus Heinrich getvorden iſt, ſcheint 
weniger die väterliche Erziehung, als zunächſt die Einwirkung einer in's Hans genom- 
menen Erzieherin, Namens Knab, gelegt zu haben, die ganz befonder® die Gabe be} 
Erzählens befaß und den Sinn des Kindes für die Schönheit der umgebenden KRatır 
zu wecken verftand ; fpäter aber gab vornemlich feine in Böblingen lebende Großmattr, 
die Wittwe eines Pfarrerd Zeller, feinem Gemüth die entjchieden religidfe Richtung 
Nachdem endlich 13 Jahre die Familie auf Hohen. Entringen gelebt hatte, verlanftt 
der Vater Burg und Gut an den Herzog Karl von Württemberg und zog in die jo» 
eben genannte Stadt, um feinen Rindern die Wohlthat regelmäßigen Schnlunterrihtt 
zu gewähren. Aus diefer Periode zeichnet Zeller a. a. O. ergögliche Bilder don feinen 
Schulleben; Manches davon ift ihm als frühe Erfahrung in feiner eigenen fpäteren mi 
bahn als Erzieher zu Statten gelommen. Im Jahre 1787 fiedelte die Familie nah 
Ludwigsburg über; die ſehr verwilderte Schule, in die Heinrich dort zuerſt Tam, erhielt 
in der Folge einen Lehrer, der von den neuen philanthropiftifchen Ideen Einiges anf 


Zeller, Chriſt. Heim. 671 


gefangen, es aber in ziemlich roher Weiſe zur Anwendung gebracht zu haben ſcheint. 
(Seine ſeltſamen Strafgeſetze find a. a. O. 1865 ©. 78 mitgetheilt; z. B. wer un⸗ 
deutlich las, dem wurde der Mund mit altem, hartem Brode vollgeſtopft oder eine alte 
Tabadöpfeife dareingefledt; wer viele Lefefehler machte, wurde mit einer Brille ohne 
Öläfer geziert). Hier, bezeugt Zeller, habe er in der Augſt vor ber Lolation oder vor 
Schulftrafen zum erflenmal brünftig aus eigenem Herzen beten gelernt; ebenfo habe 
ifn, wenn er etwas verloren, diefe Roth zum Gebet getrieben — eine Art dom geifl- 
licher Kindheits - Erfahrung, der wir auch bei Underen fchon hie und da begegnet find; 
der alte Prälat Platt in Stuttgart 3. B. hat noch ans feinen fpäteren Jahren Aehn⸗ 
liches geſtauden. Seller blieb in den Ludwigsburger Lehranftalten, bis er im 18. Jahre 
die Univerfität Tübingen bezog. Hier fludirte er, ganz gegen feine eigene Neigung, ge 
horfam dem Willen bes gefitengen Baters, die Rechte. Was ihn dabei guten Muthes 
echielt, war neben feinem eigenen frommen Sinne der Umgang mit trefflichen Freunden, 
dem nachmaligen Rektor in Nürtingen, zuletst Pfarrer in Stammheim bei Calw, Handel, 
und dem nachmaligen Imfpeltor der Basler Mifflonsanftalt, Blumhardt, wie auch mit 
Bahnmaier, dem fpäteren Tübinger Profeffor, zuletzt Dekan in Kirchheim. Das juri⸗ 
Rifche Studium hinderte ihm auch nicht, bereits diejenige Neigung zu befriedigen, im 
welcher fidh fein wahrer, innerfler Beruf anküntigte; er gab ale Student, lediglich 
feines Herzens Zuge folgend, fleißig Unterricht in Familien; noch heute leben Schüle- 
rimen von ihm, die in hohem Alter noch Zeller's Lehrgefchid und Liebenswürdigkeit in 
(ebhaftefter Erinnerung haben. Es muß diefer pädagogifche Trieb, vielleicht auch flärker 
erregt durch den pädagogifhen Zug der Zeit umd das erfle Auftreten Peſtalozzi's — 
bon dem übrigens damals in Deutſchland nod Wenige Notiz nahmen —, ihm im 
Blute gelegen haben, denn auch fein älterer Bruder, Karl Auguft, iſt zu einer pädago- 
giſchen Eelebrität geworden: es war dies der eifrige Peftalozzianer, der die abfolute 
Methode von Sfferten durch Deutfchland nad) Königsberg trug und preußifcher Schul. 
rath wurde. Die Wege beider Brüder waren fehr ungleich; wenn der ältere, um recht 
elementarifch zu verfahren, feine Schäler zuerſt eine Weile als Heiden, dann als Juden, 
zulegt als Chriſten erzog, fo ftellte der jüngere, dem Spruche Marci 10, 14. folnend, 
die feinigen fchon don Anfang mitten in's EChriftenthum hinein. Doch traf das Paar 
am Ende infofern wieder zuſammen, als in feiner Ießten Lebensperiode auch Karl Anguft 
in Lichtenftern (bei Weinsberg) eine der Benggener ähnliche Rettungs⸗ und Armen⸗ 
ſchullehrer Anftalt gründete, die, wie diefe, im beften Gange if. Und als Peſtalozzi 
jelh im Jahre 1826 Beuggen befuchte, rief er mit Freuden aus: „Das iſt's, mas 
ih gewollt habe!» — 

Bir haben damit dem Lebenslaufe C. H. Zeller's ſchon vorgegriffen. Nachdem 
er im Jahre 1801 fein Studium beendigt hatte, gelangte ein Ruf nad Augsburg an 
ihn, Hofmeifter in einer Patrizierfamilie zu werden, zu deflen Annahme felbft der Vater, 
ob auch mit Selbflübertvindung, feine Zuſtimmung gab. Ex bewährte ſich auf diefem 
Poflen fo trefflich, daß er ſchon 1803 von einer Anzahl chriftlicher Familien in Gt. 
Gallen zur Grumdung einer hriftlichen Privatfchule begehrt wurde; er folgte und wirkte 
dort 6 Jahre in großem Segen. Sofort (im Jahre 1809) berief man ihn nach Zo⸗ 
fingen, um dort die Leitung des Schulmefens im ganzen Bezirke zu übernehmen; er 
nahm an und arbeitete dort unter großer Anerkennung bis zum Jahre 1820; dort auch 
verehelichte ex ſich mit einer Predigerstochter, Sophie Siegfried, einer ausgezeichneten 
Iran, die ihm 1858 im Tode vorangegangen iſt. Als er im Herbſte 1816 auf Beſuch 
bei feinem freund und Landsmann Spittler in Bafel war, brachte die eben in's Leben 
tretende Basler Wiffionsfchule die Freunde im Gefpräch auf den Gedanken, daß in 
Dentfchland und der Schweiz viele Gemeinden feyen, in denen eine Mifftondarbeit 
eben fo nöthig twäre, wie ımter heidnifchen Völkern, — denen wenigſtens durch tüchtige, 
freiwillig als Mifftonare arbeitende Schnliehrer follte geholfen werden. Zeller hatte 
diefen Gedanken ausgeſprochen, in Spittler zündete derſelbe; und nachdem weitere Freunde 


872 Zeller, Chrift. Heine. 


für die Idee gewonnen, allmählich auch namhafte Beiträge zugefagg waren, und nad 
einigen vergeblichen Verſuchen, ein Lokal zu gewinnen, ſich endlich der Großherzog Ludwig 
vom Baten dazu herbeigelafen hatte, das — freilich nach den Berwüflungen des Krieges 
ext mit großem Aufwand herzuftellende Schloß zu Beuggen, drei Stauden oberhalb 
Bafel auf dem rechten Rheinufer, um einen geringen Miethzins einzuräumen, jo iurbe 
Zeller — zum großen Leidwefen der Zofinger, die ihm namentlich borfiellten, wie fehr 
er ſich pefuniär zurüddiene — berufen, die Leitung der neuen Anftalt für verwahrloße 
Kinder und freiwillige Armenfchnllehrer + Zöglinge zu übernehmen. Am 17. April 1820 
zog er ein und mit ihm Gottes Gegen. 

Es ift Hier nicht der Ort, die Einrichtimgen, den Fortgang umd die Leitungen 
dieſes Inſtituts zu befchreiben; all das iſt aus den von Zeller geſchriebenen, oben ge 
nannten „Donatsblättern aus Beuggen“, die er vom 1. Januar 1829 an ohne Unte- 
brechung herausgab, befonder8 aus den denfelben einverleibten regelmäßigen Johres- 
berichten vollſtändig Tennen zu lernen. Wan darf wohl fagen: Benggen hat, wenn uud 
in weniger großartiger Yorm, als das Haller Waifenhaus, doch in feiner Cinfachheit 
gleich Treffliches geleiftet; e8 war daher auch für eine Menge ähnlicher Untersi- 
mungen eine vechte Muſteranſtalt. Zeller fonnte im Monateblatt 1855, Nr. 6. ©. 4 
bezeugen, daß er niemals für fein Imftitut habe Schulden machen oder collektiren müſſen 
gebettelt für daffelbe hat er nie. Ein treuer Spiegel feiner perfönlichen Xchätigfeit um 
Inſtitut find feine fchriftftellerifchen Arbeiten. Die bedeutendfte derfelben find die ım 
Jahre 1827 zum erftenmal erfchienenen „Lehren der Erfahrung für chriſiliche Land⸗ 
und Armenfchullehrer“, ein Buch, das unter befcheidenem Titel und ia anfprucztlofehe 
Geſtalt, zunächft auch nur einem praltifchen, befchränfteren Zwecke dienend (als „Anki- 
tung für die Zöglinge und Lehrfchüler in Beuggen“) ein wirkliches Syſtem der Erie 
hungs⸗ und Unterrichtsicehre enthält, deffen Bedeutung darin liegt, daß es, nad it 
duch die Namen Rouſſeau, Baſedow, Peftalozzi ſich faralterifizenden Sturm: wm 
Drangperiode zum erſtenmal in fuftematifcher Form die Idee einer fpecififch chriſilichen 
Pädagogik ausgeführt hat, die fi auf die Bibel gründet und auf die Erfahrung fügt 
Bon dem Wortfchwall Baſedow's, von der ſich drängenden Ideenfülle Pefaloyzi's, ven 
dem gelehrten Apparat Niemener’s fticht das Werk durch feine Einfalt fehr ab; gleid- 
wohl iſt nicht nur überhaupt Bieles und Reelles daraus zu lernen, fondern es malt 
dem Leſer durch die Klare, überfichtliche Anordnung nad) einfachen Kategorien und dark 
die beftimmte Faſſung jedes LTehrfages das Lernen leicht, ſchärft aber deſto zehr dal 
Gewiſſen. Jene Darftellungsmeife if} überhaupt in Allem bemerklih, mas Heller ar 
fchrieben; Alles theilt fich ihm fogleich in beftimmte Momente, die ex numerirt; fo lat 
er überall den Nerv der Sache bloß, meidet unnügen Ballaft und gibt leicht Behalt 
bares. In der zweiten und dritten Auflage (1850, 1855 — die vierte, 1865, dor 
feinem Sohne beforgt, ift ein unveränderten Abdrud der beiden vorangehenden) bil 
Zeller den mittleren Theil, der die Methodil der einzelnen Elementar⸗VLehrfächer wi 
hielt, weggelaffen, weil, wie er in der Vorrede zur 2ten Auflage fagt, die fpecielle Ye 
thodil des Unterrichts am meiften der wechfelnden Mode ausgeſetzt ſey. Er hat diejes 
Zweig feiner Aufgabe dem mündlichen Unterrichte feiner Zöglinge vorbehalten, gmii 
dem richtigen Gefühle, daß ein gedrucktes Meihodenbuch, das in’s Einzelne eingeht, mm 
riöfirt, im einigen Jahren ſchon veraltet zu feyn, wogegen die Grundlagen aller Mr 
thodif, das eigentlich Vädagogifche am Unterricht, ſich wefentlich immer gleich bleibt. — 
Neben diefem Werke find die mehrerwähnten Deonatsblätter hervorzuheben. Sieht 
zunähft Rundfchreiben an alle ehemaligen Zöglinge von Beuggen, enthalten darum neben 
den allgemeinen Erdrterungen häufig Correfpondenzen mit diefen, namentlich Untworks 
auf ihre Fragen und Roth für ihre Anliegen. Gerade in diefen ift ein wahrer Ede 
gefunder Weisheit für den Lehr« und Crziehungsberuf, wie für die Selbferziehun 
als Vorausſetzung defielben, enthalten. Aber auch die allgemeinen Abhandlunges Mb} 
eine Fundgrube fiir biblifche Pädagogik, fofern fie meift biblifche Abſchnitte zum Te 





Bin Bear 578 


Baben, die dam, eiwa wach Vengel's Weife aufgefaßt, anf praltifche Fragen und Poo- 
bleme angetvendet werden, und das in einer Urt, die audy dem Seelſorger viel Lehe 
teiche® darbietet. Zeller fieht die Gegenwart als eine Zeit des Abfalls, der Entſut 
lichung, des focialen Uebelbefindens an, welchem allem une durch's Evangelium, durch 
Zucht und Bildung nach und dund Gottes Wort eutgegengearbeitet tverden könne. Er 
trägt auch darin die Signatur der Bengel'ſchen Schule, daß jene Wnfichten von ber 
Zeit, in der wir leben, and die daran fidh Iuüpfenden Befürchtungen umd Hoffnungen 
eine weſenilich chiliaſtiſche Färbiumg haben. Die biblifch» dogmatifchen Abhandlungen, 
die den Zweck haben, den Lehrerftand auch in das tiefere Verſtändniß der Schrift ein- 
zuführen, geben davon Zengniß, daß In dem ehemaligen Juriſten von Haus aus eigent- 
Lid) ein Theolog fledte. Seine weiteren Schriften find: 1) „Kurze Seelenlehre, ge- 
gründet auf Schrift und Erfahrung“, herausgegeben vom Calwer Berlagsverein, 1846. 
Er lehnt ih darin an Roos und Bed an, verfteht es aber die Sache zu hopularifiren 
mit fpecieller Rũckficht auf das, was Lehrer und Erzieher in diefem Gebiete zu wifſen 
nöthig Haben. 2) „Sdttlihe Antworten auf menfchlihe Tragen“, Baſel 1840; eine 
Art Bibellatechismus, in welchem die Antworten anf die, nah den fünf Hauptflüden 
des Iutherifchen Katechismus (mit fehr angemeſſener WBeglaflung des ſechſten) geordneten 
Fragen ans lauter Bibelſprüchen beftehen. 3) „Weber Kleinfinderpflege*, 2te Auflage. 
1840, nenerlih in der edangelifchen Gefellſchaft in Stuttgart wieder herausgegeben ; 
„eine Anleitung für Mütter, Kinderwärterinnen und Kleinkinder » Erzieher“, ganz nad) 
Zeller's Art recht in's Detail eingehend umb doch nirgends ſich verlaufend. — Noch iſt 
zm erwähnen, daß Zeller auch in die Reihe der evangelifchen Liederdichter eingetreten 
if; neuere Geſangbücher und Brivatliederfammlungen enthalten verjchebene, gern ge⸗ 
fungene hymnologifche Produlte feiner Hand. 

Im frifcher Thätigleit, weit und breit wie ein Patriard) verehrt und geliebt, er- 
reichte Zeller ein hohes Alter; er flarb in Beuggen am 18. Mai 1860.— Prof. Auberlen 
von Bofel, der auch am Grabe feiner Frau geſprochen hatte und der felber ſchon nad, 
vier Iahren im Tode folgte, hielt ihm die Trauerrede. Im feinen Beruf trat als Nadı- 
folger fein Sohn, Reinhard Zeller, ein. Als Scwiegerfühne waren Biſchof Bobat in 
Jeruſalem, Prof. Heinr. Thierfch, früher in Marburg, jet in Münden, Pfarrer Bölter 
in Suffenhaufen (Herausgeber des ſüddeutſchen Schulboten, früher Inſpeltor in Lichten- 
fiern) und Pf. Werner in Fellbach bei Cannſtadt (Herausgeber der Basler Sammlungen) 
mit ihm verbunden. Balmer. 

Fin, Wüfe (72 7272) an der Südgränze Paläfina’s, weſtlich vom Edom, 4 Moſ. 
13, 21. 34, 8. of. 15, 1, 3., in der Kades liegt, 4 Mof. 20, 1. 27, 14., womit 
Zin geradezu identifieirt wirb 4Mof. 33, 36. Bgl. daher den Kt, „Rades Bu. VII. 
S. 207. Wenn ich dort S. 208 die Frage über die Lage von Kades mit Winer 
und Tuch durdy die Entdedung Rowlaud's für endgültig entfchieden eradhtete, fo iſt diefe 
Meinımg durch das von Robinfon in feinen Notes on biblical Geography (in Biblioth. 
Sacra. Bd. VI. ©. 377. vgl. Beitfchr. der D. M. Geſellſch. Bd. IV. ©. 280) da⸗ 
gegen Borgebrachte gänzlich erfchüttert, und ich trete nummehr der Auſicht Robinſon's, 
weicher Kades in Yin el Waibeh findet, oder v. Raumer's, der es in dem etwas nörd- 
licher liegenden Am Hasb fucht (Batäfl. 4. Aufl. S. 209. 483) bei. Arunold. 

Zoar, "wir, Meine Stadt am Südende bes Todten Meeres, 1 Moſ. 13, 10. 
5Mof. 34, 5., früher Bela, y53, genmat, 1Mof. 14, 2. Der Name Zoar 
(Keinheit) wird 1 Mof. 19, 20 ff. mit Lot's Flucht aus Sodom in Verbindung ge- 
bracht, anf defien Bitten Gott die Stadt verfchonte, daß fie nicht mit in dem Untergung 
der Pentapolis gezogen tourde, bamit er dorthin aus Sobom fliehen Tönne. Bei an- 
brechender Morgenröthe zog er von Sodom aus und mit Aufgang der Sonne in Zoar 
ein, beide tönnen daher nicht allzu weit von einander gelegen haben. Später gehört 
Zoar zu Moab Jeſ. 15, 5, Ierem. 48, 34., womit das Onomast. unter Zogora, Ne- 
merim u. Hieron. zu Jef. 15, 5. übereinſtimmt; Joſephus (Archaeol. XIV, 1, 4. 


874 Zürcher Confens 


Bell. Jud. IV, 8, 4.) und Ptolemäus (V, 17, 15.) rechnen fie zw Arabien. Steph. 
Byzant. (©. 131, 23. ed. Westermann) nemt fie xuWun ueyaln 7 vooco⸗ und 
ebenſo ſagt Enfebius im Onomaft. (u. Bala, ©. 94, 11. ed. Larsow.) xai gpor'pıor 
dazi oroarı@nzar, Hieronymns: praesidium in ea positum est militum romanorum, 
habitatoribus quoque propriis frequentatur. Das Onomaſt. ' berichtet ferner, daß fie 
Palmen und Balfam erzeuge, wie fie denn auch im Talmud (Tract. Jebam. 16, 7.) 
oraan 99, Balmenftadt, und bei dem Schriftfielleen der Kreuzzüge Villa Palmarum, 
Paumier oder Palmer (Belege bei Robinfon IT, ©. 758) genannt wird. Die arabi- 


fhen ©eographen Tennen den Ort als Zogar, ;S;, fegen ihn in die Nähe vom Keraf, 
geben feine Entfernung von Yerufalen auf drei, von Jericho auf zwei Tagereiſen an, 
und fennen auch feinen Reichthum an Datteln, f. Meräs. I, 514. Istachri ©. 35. 36 
(in meiner Chrest. arab. ©. 101), Edrisi ed. Jaubert I. ©. 338. Kazwini I, 191. 
D, 61. Alle diefe Andeutungen fegen Zoar an die Oftfeite des Todten Meeres, umd 
mit Recht fuchen e8 daher Robinfon (Paläft. III, 21f. 755— 758), und mit ihm über- 
einftimmend Tuch (Zeitfehr. der D. M. Geſellſch. L ©.191) und Senobel (die Benefis 
©. 174 f.) nad; dem Porgange von Yrby und Mangles (Travels ©. 448) bei ber 
Mündung des Wadi Kerak auf der Halbinfel. Ebendort fand auch Lynch alte Ueber- 
refte, die er die Ruinen von Zoar nennt (Bericht u. f. w., überfegt von Meißner 
©. 214 f.). Wenn dagegen de Saulcy e8 feiner Hypotheſe vom aufgefundenen Sodom 
zu Liebe an die Weſtſeite und den Namen Zoar im jetzigen Ezzuweira wiederfindet. ſo 


ſpricht dagegen ſchon der Umſtand, daß dieſe beiden Namen (My%, 55 u. 32° B) 
gar nichts mit einander gemein haben. Auch Fallmerayer's Einwand (das todte "Die 
©. 124 f., vgl, Sepp ID, 670), daß, da Lot beim Schimmer der Morgenröthe aus 
Sodom zu fliehen begann und beim erften Strahl der Morgenfonne durdy das Xhor 
bon Zoar oder Bela einging, diefe Stadt unmöglih 7—8 Stunden, wie Mezraa, fon- 
dern höchften® eine, wie das kleine Dafenfaftell Zoeira, entfernt geweſen fen könne, 
hat, wenn wir Sodom eben nit mit Saulcy nad; Usdum verlegen, fondern feine Lage 
als nnbefannt in dem jest ſüdlich von der Halbinfel fich erfiredenden Theile des Meeret 
annehmen, gar fein Gewicht. Bol. die Bemerkungen Ban de Velde's (Heife Bd. IL 
©. 130) zu den Saulch'ſchen Entdedungen. Arasld. 

Zürcher Conſens, consensus Tigurinus, heißt diejenige im Jahre 1549 ver: 
faßte, 1551 herausgegebene Erklärung in Betreff der Abendmahlsiehre, durch welche bie 
„Uebereinfiimmung“ oder nad älterem Ausdrude „Einhelligleit" der zürcherifchen und 
genferifchen Kirche in Folge einer in Zürich gehaltenen VBefprehung fund gethan und 
damit die Eimheit der fchweizerifch veformirten Kirchen mit derjenigen Genfs dokumentirt 
wurde. Als förmliches Zeugniß der völligen Einigung der beiden Hauptzweige der re. 
formirten Kirche hat er feine bedeutfame Stellung in der Lehrentwidelung bes Pro. 
teftontismus. Es ift daher der Mühe wert, auf feine Entflehung näher einzugehen. 
Der Beranlaffungen dazu waren, wie indgemein bei ähnlichen Dellarationen, mehrere. 
Lag es überhaupt in Ealvin’s Sinne, unermüdlich die Vereinigung der ganzen evange⸗ 
fifchen Kirche zu erſtreben, fo gab es für ihn noch befondere Motive nad fefler Ber 
bindung wit der ſchweizeriſch reformirten Kirche zu trachten. Seine ganze Stellung m 
Genf und Genfs zur Schweiz bradte dieß mit fi, uamentlich aber die Berhäftnifie 
der franzöfifch »reformirten Kirche der Waadt (und der damals Bern ebenfall® ımter. 
worfenen Landfchaft Ehablais, füdlich vom Genferfee) zu der deutfch-reformirten Kirche 
Berns, unter deſſen Herrfchaft die Waadt feit dem Jahre 1536 ſich befand. 

Die Einführung der Reformation in der Waadt hing auf’ Imigſte mit der Er⸗ 
oberung von Seiten Berne zufammen. Begreiflich wünſchten die neuen Herrſcher die 
reformirte Kieche diefer Landfchaft derjenigen ihres deutfchen Gebiets völlig gleichformiz 
zu halten. Ebenſo begreiflich lehnte fich aber die Bendlferung und befonders die Seif- 
lihen der Waadt einem natürlihen Zuge gemäß lieber an das ihnen mäher liegende 


Bärder Conſens 675 


und durch die Sprache mit ihnen verbundene Senf, weldyes feine politifche wie kirch⸗ 
liche Selbfifländigleit Bern gegenüber behauptet hatte, wenn auch als deflen fchwächerer 
Bundesgenoffe, und daher von diefem mit einem großen Mißtrauen überwacht wurde, 
wiewohl Bern und Genf ale Verbündete gegenüber der Macht Savoyens und des Bi, 
ſchofs vom Genf einander nicht entbehren konnten. Diefem Mißtenuen fahen ſich auch 
die Träger der Reformation in diefen Gegenden, der fogenannte romanifche Trimwirat, 
Calvin, Farel, Viret, ohne welche die Reformation hier weder ein- noch durchzuführen 
war, ausgeſetzt. Einzelne Differenzen, wie über Kirchenzucht, Gebrauch der Tauffteine 
des ungefäuerten Brodes beim Abendmahl, die Feier der Feſte erhöhten daſſelbe, führten 
zu Heibungen und im 9. 1587 zur Vertreibung Ealvin’s umd Farel's aus Genf, die 
indeß weit über Verns Abſichten hinausging, daher diefes ſich fofort für fie verwandte 
und zu Calvin's Rüdtehr (im Herbie 1540) gern mitwirlte. Jedoch fah Bern die 
fofort damit eintretende Feſtſtellung des felbfifländigen Kirchenthums in Genf ungen, 
da fie auch Geufs politifche Unabhängigkeit von Bern befefligte und Berns wandtlän- 
difche Unterthanen um fo mehr in Genf das Muſter chriſtlicher Kicchenverfaffung, das 
Vorbild der erfien Yahrhunderte, vor Augen zu haben glaubten. Dem Verlangen ber 
waadtländifchen Beiftlichen im November 1542 nad Einführung der Kirchenzucht und 
Wahlart der Beiftlihen nad geuferiſchem Mufter konnte Bern nicht geneigt feyn zu 
entfprehen. Bielmehr wurden die Berhältniffe in Folge dieſes VBegehrens nur ge- 
fpannter. Diefe Spannung fleigerte ſich noch wegen der Zerwürfniſſe innerhalb ber 
bernifchen Kirche, die in Folge von Butzer's Einflüffen eingetreten waren, da eine An⸗ 
zahl von Iutheranificenden Predigern, deren geheimes Streben in nicht geringem Wider⸗ 
ſpruche flaud mit den anerlanuten Örundlagen der bernifchen Kirche, bei ihren Amta⸗ 
brüdern ein deflo ſtrengeres Feſthalten an Zwingli's Lehrweiſe hervorrief. Als nad) 
Luther's letztem Losbrechen wider die Zwinglifhien und der zürcherifchen Bertheidigungs- 
fhrift von 1545 ihre Stelung völlig uuhaltbar ward und die Hanptführer befeitigt 
warden (1546 bi 1548), bedrohte ihr Fall nicht bloß Calvin's und Farel's Anſehen 
bei den Bernern auf's Neue, fondern namentlid auch Biret's Stellung. Um fo mehr 
mußte diefen Männern daran liegen, Biret in Lauſanne zu halten und nichts zu unter 
lafjen, um aus diefer ungüuftigen Stellung herauszulommen, der gegen fie erhobenen 
Verdächtigungen loszuwerden und im wahren Lichte zu erfcheinen. Diefes Ziel war 
am eheflen zu erreichen, wofern fie in Zürich, dem kirchlichen Mittelpuntte der zefor- 
mirten Schweiz, fid zu rechtfertigen wußten ihrer Lehren und Grundfätze halber umd 
von dort aus al® ganz zuperläjfige Ölaubensbrüder und wahrhaft Befreundete bezeichnet 
wurden. Nur durch ein näheres Eingehen aber auf die Einzeluheiten in dem Gange 
und Zufommenhange diefer Mißhelligleiten und Berwidelungen in der berniſchen Kirche, 
wie ed Hundeshagen, die Konflikte des Zmwinglianismus, Lutherthums und Calvi⸗ 
nismus in der Vernifchen Landeslicche von 1532—1558 (Bern 1842), diefem Gegen⸗ 
flande zugeivendet hat, mag ein richtige® Verſtändniß diejer Berhältnifie gewonnen wer⸗ 
den, wobei zu beachten ifl, was Schweizer, Gentraldogmen Bd. L ©. 254, mit 
Hecht warnend bemerkt, „daß jene Conflikte bereit in Gefahr fliehen, einer modernen 
Ueberfhäßung zu verfallen.“ 

Indeß würde man irren, wenn man bie Entſtehung des Züricher Eonfenfus ledig. 
lich aus folden ſtaatlich-kirchlichen Verhältniſſen herleiten wollte. Bielmehr lag ein 
tiefere® inneres DBebürfniß zu runde, und zwar auf beiden Seiten, fowohl bei Bul- 
Linger als bei Calvin. Dieß zeigt ihr Jahre lang in Betreff der Abendmahlslehre 
genflogener Verklehr. Längft war fi) Bullinger feiner wefentlihen Einſtimmigleit mit 
Calvin binfichtlich derfelben bewußt; ſchon im J. 1544 äußerte er fich in dieſem Sinne. 
Als im I. 1545 die zücherifhe Schugfchrift gegen Luther erfchienen war, fand ex fi 
durch mehrfache Wünfche Befrenudeter veranlaßt, den Hanptgegenfland ber Differenz noch 
näher zu erörtern. Er that dieß im einer lateinifchen Schrift „De sacramentis”, die 
er zu Anfang des Jahres 1546 vollendete und nun verfciedenen Freunden mittheilte, 











676 Zürder Confens 


um ihre Urtheile zu vernehmen, wie dem Polen Johann Lasfi, der damals in England 
weilte, und Calvin, welchen Beiden die Darlegung in jener Schuefchrift, melde den 
Segenfag gegen Luther ſcharf zu betonen, fid) auf die urfprüngliche Lehrfaffung Zwinpli's 
zurüdzog, nicht genügt hatte. Balvin erhielt fie im Februar 1547 bei Anlaß eine 
furzen Reife, auf welcher er eilig die Städte Bafel, Bern und Zürich befudte mitten 
im Sammer der Unterwerfung Süddeutſchlands unter den gewaltigen Arm des fig 
reichen Kaifers Karl's V. und mit renden fich überzeugte, wie eifrig man hier am 
Scidfal der Bedrängten Theil nahm. Bullinger gab ihm die Schrift nad Genf mir, 
damit er Muße habe, fie zu lefen und ihm fchriftlich feine DBemerkungen mittheilen m 
fönnen, doch unter der ausdrüdlichen Bedingung, Stillſchweigen darüber zu beobachten. 
Und nun entfpann ſich zioifchen ihnen darüber ein fchriftlicher Verkehr, der, zwei Jahre 
lang ungeachtet aller äußeren Hemmungen fortgefegt, Schritt für Schritt zur völligen 
Berftändigung führte. Kaum dürfte ein erfreulicheres Beiſpiel eines folchen Audtanſchet 
zu finden feyn unter Männern, deren jeder feine ganz beftimmte Bergangenheit, fen 
gewichtige® Anfehen in feiner Umgebung und bedeutende Tyeftigfeit des Karalters hatte, 
Um fo mehr ift die Geduld und Ausdauer Beider, ihr gegenfeitiges feſtes Vertrauen und 
ihe aufrichtiges Verlangen nach mwahrhafter Uebereinfiimmung zu bewundern. Widt mw 
niger verdient die männliche Offenheit, die kräftige Entfchiedenheit und der Ernfl der 
Geſinnung, womit fie fi, unverhohlen ihre Ueberzeugung mittheilten, Anerkennung, aud 
wenn es dabei mitunter an faſt verlegender Schärfe nicht fehlte. Gerade das Gegen 
theil davon, die doppelfinnige Geſchmeidigkeit Bugers, welche in der Schweiz md u. 
mentlich in Bern fo viele Trübungen herbeigeführt hatte, bildete anfänglich ein Haupt: 
hinderniß der Verftändigung. Bei dem nahen Berhältniffe, in welchem Calvin lange 
Zeit mit Butzer geftanden, ruhte auch auf ihm der Verdacht, daß er und fein Gtrebm 
nah Zufammenftimmung von derfelben Art feyn möchte, bis es ihm gelang, dieje Wollen 
zu zerfirenen. Sobald er nämlid; mit der von Bullinger empfangenen Schrift in Gen 
wieder angelangt war, fehrieb er an Farel, nun habe er etwas in Händen, das er aber 
bald zurüdfenden müſſe, Farel folle kommen, ihn zu beſuchen. Schon nad; weniga 
Tagen ließ er an Bullinger ein fehr einläßliches Schreiben abgehen, worin ex ha 
Bunft für Punkt feine Ausftellungen mittheilte. Er tadelte 3. B., daß Bullinger mod 
Zwingli's Vorgang den Gebraud des Wortes „ Salrament“ gemäß dem Haffihe 
Sprachgebrauche vom Soldateneide herleitete, anftatt e8 als Ueberfegung des griechiſcher 
Ausdruds „Myſterion“ aufzufaflen u. ſ. w. Erſt zu Anfang des Jahres 1548 erhielt 
er Bullinger's ziemlich fcharfe Widerlegungen, die ihn keineswegs befriedigten. Es ha 
delte fich eben darum, die Bedeutung der Saframente, ihre Kraft und Wirkjamteit, de 
befondere Förderung, welche dem Chriften duch fie zu Theil wird, in vollem Der 
zue Geltung zu bringen, ohne die Wirkſamkeit der freien Gnade Gottes, das alten 
des heiligen Geiftes, die Rechtfertigung durch den Glauben nad; irgend einer Geik 
hin zu gefährden. Wohl war dieß für Bullinger nichts Neues, da er ſelbſt md wit 
ihm die fchmeizerifchen Kirchen ſchon 1534 umd in der erften helvetifchen Coufejſer 
1536 in eben diefer Richtung ihr Belenntniß abgelegt hatten. Allein nad) den jet 
herigen bitteren Erfahrungen über die Fruchtloſigkeit aller Berfuche, mit den Latheranem 
fi zu verfiehen, war er zu doppelter Behutfamfeit aufgefordert hinfichtlich der Hal 
nahme folcher Ausdrüde, die wohl eine innigere Gemeinfchaft der Gläubigen mit Cheife 
in der Sakramentsfeier bezeichnen mochten, aber irgend etwas der lauteren evangelifchen 
Wahrheit Zumwiderlaufendes in ſich fchließen konnten. Daher war es ihm bei den 
plöglichen VBefuche, den Calvin und Farel im Mai 1548 in Züri) machten, um dad 
die Fürſprache der Züricher den bedrohten Viret in Laufarme zu fchügen, fo gern @ 
diefem Wunfche entfprach, nicht gelegen, beiläufig auch auf die Fragen über das Abel 
mahl einzutreten, da man nicht darauf borbereitet war und ihm der fchriftlihe Fu 
als der ficherere erfchien. Calvin verficherte indeß in feinem folgenden Briefe, eis® 
Theaterftreic, zu fpielen habe er ducchaus nicht beabfidhtigt, freute fi des ernewria 


Zürcher Conſens 674 


negenfeltigen Vertrauens, wozu jener Beſuch dienlich gemwefen, und legte nım (26. Juni) 
in furzm Zügen auf's Bänpdigfte feine Abendmahlsiehre dar, fo daß er durchs 
gehends zeigk, wie Die Ueberzeugung der Züricher völlig mit der feinigen überein- 
Rissme. Ueberdieß bezeugt er, daß fein nahes Verhältniß zu Buter für ihn. keinesinegs 
ein Hinderniß fen, felbflitändig und frei ofjen feine Ueberzeugung auszufprechen. . 

Damit war ein neuer kräftiger Schritt zur Weiteren Berfländigung gethan. Bul- 
langer theilt in feiner Antwort Calvin's bündige Säge, wie fie in diefem Vriefe raſch 
hingeisorfen ſich vorfauden, in 24 Punkte ab und bemerkt auf’ Neue über jeden ein- 
zelnen, wie weit und in welchem Sinne er mit Calvin einverflanden fey oder nicht. 
Er antworte nicht, fügt er bei, um ihn zu belämpfen, fondern um ihn zu noch deutr 
licherer Auseinanderfegung feiner Aufiht zu veranlaffen, „ob es uns wohl möchte ge- 
geben werden, ein und daffelbe zu denken und zu reden." Calvin gab fodaun über 
jeden der 24 Puntte näheren Beſcheid, wiewohl es ihm faft nicht mehr nöthig fchien. 

So war num weſentlich das Ziel erreicht. Bullinger erklärte ſich völlig befriedigt. 
In feiner denlwürdigen Erwiederung vom 15. März 1549 fogt ex: „Flirwahr, viel 
haft Du bei mir ausgerichtet, theuerfter Bruder. Jetzt verfiche ich Dich beſſer aus 
Deiner legten Antwort als bis anhin, wie Du hier aus meiner Erwiederung (betreffend 
alle die 24 Punkte) fehen wirft... ... Du fagft, nur fo weicheft Du von uns ab, daß 
Du dem Sinne nach gar nicht von uns verfchieden ſeyeſt. Da fehe ich in der That 
nicht, morin Du bon uns abweicheſt. Ich hoffe, wenn Du meine Erwiederung lieſeſt, 
werde Du jegliche Abweichung in diefem Punkte (in Betreff des Abendmahle) 
fallen laſſen.“ — Calbin's Freude darüber war außerordentlih. Er war eben durch 
den Tod feiner Gattin niedergedrüdt; die traurigen ©efchide, welche in Deutfchland, 
in Frankreich, in Genf felber über die Kirche hereinzubrechen drohten, Lafteten auf feiner 
Seele; „aber in dem Allen“, ruft er Bullingern zu, „hat mich Dein Brief wunderbar 
ergnidt und getröftet. Nie erinnere ich mid, ein erfreulicheres Schreiben erhalten zu 
haben. Wir find demmad in der Sache fo viel als eins, und nichts ſteht im Wege, 
daß wir auch über die Ausdrüde uns verfländigen. Man fpricht mir zu, wich zu dies 
fem Ende perjönlid in Eure Mitte zu begeben, und ficherlich werde ich nichts unter» 
Laffen, was dazu dienen kann, uns in einem dauernden Frieden zu einigen“; doch jett 
fchreibe er, um die Zürcher zum Eintritt in das franzöfifche Bündniß zu beivegen, zu- 
meift um dev in Frankreich zahlreichen Proteftanten willen. Bullinger lehnt in feiner 
Antwort vom 21. Mai Calvine Anerbieten einer perjönlichen Zuſammenlunft freundlich 
ab*). „Schriſtlich“, fagt ex, if ja bit anhin Alles auf's Befle von Statten ge- 
aangen.“ Er, der von einem Bündniß mit Frankreich für die evangelifche Schweiz 
alles Unheil erwartete, erklärt Calvin gegenüher, welcher fi) davon großen, wohl zu 
großen Gewinn verfprad; für die Proteftanten Frankreichs, mit der größten Entfchie- 
benheit, davon wolle das Zürcher Bolt nichts wifien. 

Doch Calvin hatte Gründe, auch nbgefehen vom Erfolge feiner Bemühungen um 
ein Bundniß mit Frankreich, die willlommene Gelegenheit zu benugen, um perſoͤnlich 
nach Zürich zu kommen und gerade jegt noch einmal den Verſuch zu machen, ob es 
ihm gelinge, die lange gewünſchte ansdrüdliche Kundgebung feiner Kinftimmigleit mit 
den Zürhern zu Stande zu bringen. Er hatte dazu aber eine befondere Ermunterung. 
Auf Betrieb des Iohannes Haller, Zöglings von Bullinger, der nad) Beſeitigung der 
Intheranificenden Geiftlichen nach Bern berufen worden und feit Yahresfrift hier eine 
wohlthuende Wirkſamkeit begonnen hatte, war nänlidy im Mär, 1549 wieder einmal 
eine bernifhe Synode einberufen worden, um die von den Vorgängern verfäunte 
Zudt über die Geiftlichen von Neuem kräftig in die Hand zu nehmen. Calvin fammt 
feinen Freunden hatte fich längſt nach einer folchen Synode gefehnt. Sie hielten diefen 

*) Die Angabe bei Hundeshagen, Eonfl. &.247, die and bei Ebrard, Abendm. Kap. 2. 
&. 502, vorlommt, Bullinger habe Calvin im Mai 1549 nah Zukich eingeladen, if nicht 
richtig; ſ. Peſtalozzi, Bullinger ©. 639. 

Real Eucnkiopädie für Theologie und Kirche. Euppl. 111 97 








518 Zürcher Confend 


Anlaß für ganz geeignet, um ſich des Verdachts einer Abweichung in der Abendmohls. 
lehre zu entledigen. Daher ließ Calvin diefer Synode bärdy Viret in zwanzig kurzen 
Sägen ein Bekenntniß hierüber einreichen, welche dem Sinne mad; ganz mit dem oben 
erwähnten 24 Punkten übereinftimmten, aber forgfältiger georbnet waren, während biefe, 
bloß einem Briefe entnommen, eben nur aneinandergereiht waren. Die Synode, mit 
dem zunächft liegenden Zwede hinreichend befchäftigt, trat nicht darauf ein, Haller fandte 
aber dieß Belenntniß an Bullinger, fo daß die Züricher ſchon genaue Kenntnig davon 
hatten, als Calvin plöglich ſich entfchloß, den fortgehenden Aufforderungen des rüfligen 
und ſtets hoffnungsreihen Farel Gehör zu geben, ihn, deu in Züri fo hochgeſchätzten 
Helden der Reformation, in Neuchatel abholte und in den legten Zagen des Maimoncts 
in Zürich anlangte*). 

Es jchien, als habe Gott felber die Wege vor ihnen gebahnt, wie Calvin an Mu⸗ 
konius fchreibt. Ueber Erwarten raſch und glüdli ging die Verhandlung van Statten, 
obgleich fie anfangs fehwierig fhien. Schon in den erften zwei Stunden lam man über 
die Hauptfache in's Reine, indem die Zürcher ihre herzliche Zuflinmnng zu ben zwanzig 
Artikeln, die Calvin der Berner Synode eingefandt hatte und ihnen hier vorlegte, er- 
Härten. Dadurch, daß die Züricher diefelben ſchon feit zwei Monaten kannten, erledigt 
fi) die Einfprahe Ebrard’s, Dogma vom Mbendmahl, Bd. IL ©. 502 f. Note. 
An den folgenden Tagen bejhäftigte man ſich dann, unter Zuziehung einiger Ratha— 
glieder, mit der genaueren Formulirung des in diefen Sägen feftgeftellten Inhalts und 
Abfaffung einiger Zufäge oder Erläuterungen, die namentlich aus Rüdfidht auf die übri- 
gen glaubensverwandten Kirchen für nöthig erachtet wurden. Als das Reſultat dieſer 
Berathungen ergab fich das Belenntniß, welches wir gewöhnlich Consensus Tigurinus 
nennen oder nad, damaliger Bezeichnung die Consensio mutua in re sacramentaris 
ministrorum Tigurinae ecclesise et Joannis Calvini. Diefes Altenftüd war geeignet, 
aller Welt zur zeigen, daß Calvin’ Lehre von der der fchweizerifchen reformirten Kirchen 
keineswegs abweiche, vielmehr damit eine und diefelbe fey, und demnach die Lirchen der 
reformirten Schweiz und die Genfs nicht verfhiedene Kirchen feyen, fondern eine und 
diefelbe Kirche ausmaden. Die zwingli’fche und die calvinifche Reformation vermählten 
fi) dadurch für immer zu der einen „reformirten Kirche“. 

Worauf man bei dem Confenfus befonders zu achten hatte, ergibt fi) ſchon aus 
dem Briefe Calvin’ an Bullinger vom 26. Juni 1548. „Ihr beflehet darauf, fagt ex 
darin, „daß Chriftus nad, feiner menfchlihen Natur im Himmel fey, und daffelbe be- 
haupten auch wir. Ihr läugnet, daß der Leib des Herrn räumliche Unbefchränktheit 
babe, und mir flimmen von Herzen diefer Meinung bei. Ihr mwollet nicht, daß die 
Zeichen mit der Sache verwechjelt werden, und wir laſſen nicht ab, darauf zu dringen, 
daß man das Eine don dem Anderen unterfcheiden müfle. . . Unfere Lehre hält mut 
aller Beſtimmtheit darauf, daß das Heil bei Ehrifto allein zu fuchen ifl, daß nur Got 
es wirft, daß es nur empfangen wird durch die innere Wirkſamkeit des heil. Geiſtes 
Dann aber erflärt er: „Das allerdings Laffen wir uns nicht nehmen, daß Chriftuß bei 
feinem Mahle unter uns gegenwärtig ift, ja daß feine Gemeinfhaft uns wirt. 
lich und wefentlih dargereiht wird mit den äußeren Zeidhen, fo dag 
wir Theilbaber werden feines Tleifche® und Blutes und er mit allen feinen Gütern 
Wohnung in uns macht und wir in ihm“ u. f. w. Go finden wir in dieſem Briefe 
bereit8 den gefammten Inhalt des Confenfus. Daher wird andy in jenen 20 Sägen 
Calvin’s, die er im März 1549 der bernifhen Synode einreichte, auadrücklich betomt, 
daß der Gläubige im Abendmahl eimas Reelles empfange, daß hier mehr fey als 


*) Unrichtig id die Angabe Ranle’e, deutſche Geſchichte im Zeitalter der Meformatien, 
Bb. 5. ©. 355, „Juli 15494 flatt: Mai 1549, fowie das, was daſelbſt betreffend die „Unmwär- 
digen“ mit Bezug auf den Züricher Conſenſus bemerkt if. Die dort beigebradte lateiniſqe 
Stelle: „Fatemur dignis sifhul et indignis”, gehört nicht dem Züricher Eonfenfus an; f. Bel 
lozzi, Bullinger S. 640.. 


Zärdger Conſens 679 


leere Zeichen ; hinwieder gibt er fid; aber auch die größte Mühe, gegenüber ber luthe⸗ 
rifchen und papiftifchen Vorftellungsweife den fnmbolifchen Karalter der Elemente beim 
Abendmahle beftimmt feftguhatten. So fagt andy) Joh. Heinrich Hottinger, hist- 
eocles. cap. 6. ©. 831 von Calvin: „Consensum in dootrina Sacramentaria ... . 
ita institait, ut et suspielone se, quasi consubstantiationi mimium favisset, liberarit, 
et nostras Koclesias ‘a reatu vatuorum Symbolorum mascule asseruerit.” 

Betradjten wir näher den Gedankengang des Confenfus, der in feiner fchließlichen 
Faflung aus 26 Artikekn befteht, die fi) aus jenen 20 Sägen durch einige Beifügungen 
und forgfältigere Abtheilung ergeben hatten, fo werben ſich füglich ſechs Gruppen unter- 
fcheiden laſſen: 1) Urt. 16. Bezeichnend ift es, daß der Erklärung über die Sa⸗ 
framente, um die es laut des Zitel® zu thun war, ein allgemeiner Abfchnitt voraus 
geſchidt if, um dem Sakramente die richtige Stellung anzumweifen zum ganzen Chriften- 
glauben und ja nicht etwa das chriftliche Geiſtesleben hinter die Saframentshandlung 
angebähelid, zurüdtreten zu lafien. Wusprüdlic wird hier anegefprodhen: Auf die geiſt⸗ 
liche Gemeinſchaft mit Chriſto kommt Alles an für unfer Heil: Unum cum ipso nos 
effici et in ejus oorpus cooalescere nos oportet, fagt Art. 5. Er macht durch dem 
heil. Geiſt uns intwohnend alle Gläubigen aller in ihm liegenden Heilsgüter theilhaft. 
Solches zu bezeugen, ift fowohl die Predigt angeorbnet als ber Gebrauch der Sakra⸗ 
mente uns anbefohlen (Art. 6.). Diefe Artikel find größtentheils nen hinzugefügt zu 
jenen 20 Artikeln, enthalten indeß nichts Wefentliches, mas nicht ſchon in dem er- 
wähnten Briefe Calvin's vorgelomen wäre. Sodann wird 2) in den Artikeln 7— 9. 
der Werth der Sakramente dargelegt. Sie werben vorerfi (Artilel 7.) bezeichnet ale 
notse ac tesserae Christianae professionis et societalis sive fraternitatis, incita- 
menta ad gratiarum actionem et exerecitia fidei ac piae vitae. Daum aber wird 
extlärt, daß fie noch mehr feyen, nämlich Stegel der Gnade Gottes, indem es heißt: 
Sed hic unus inter alios praecipuus (eorum finis est), ut per ea nobis gratiam 
suam testetur Deus, repraesentet atque obsignet. Wiewohl es fidh babei nicht 
am eime andere oder neue Gnadenwirkung handle, fo haben fie doch ihren befonderen 
Werth: Nam etsi nihil aliud significant, quam quod verbo ipso annunciatur, hoc 
tamen magnum est, subjici oculis nostris quasi vivas imagines, quae sonsus no- 
stros melius afficient, quasi in rem ducendo. .. . deinde, quod ore Dei renuncie- 
tum erat, quasi sigillis confirmari et sanciri. Hierauf hebt Art. 8. noch aus⸗ 
drũcklich hervor, wie fie nicht leere Zeichen, nicht wirkungslos ſeyen: Quum autem 
vera sint quae nobis Dominus dedit gratias suse testimonia et sigilla, vere 
procal dubio praestat ipse intus suo Spiritu, quod oculis et aliis sensibus 
figurant Sacramenta, hoc est, ut potiamur Christo . . . reoonciliemur Deo, Spiritu 
renovemur ıc. Daher iſt Aenßeres und Inneres beim Sakramente zu unterfcheiden, aber 
nicht zu fcheiden; es kommt der Saframentöfeier reale Bedeutung zu für das Heil der 
Slänbigen laut Art. 9.: Quare etsi distinguimus, ut par est, inter signa et res 
signatas, tamen non disjungimus a signis veritatem; quin omnes qui fide ample- 
ctantur illic oblatas promissiones, Christum spiritualiter cum spiritualibus ejus donis 
rocipere, sdeoque et qui dudum partieipes faoti erant Christi, communionem illam 
continuare et reparare fateamur. Nachdem foldiermaßen der pofitive Werth ber 
Sakramente feftgeftellt ifl, wird hinmwieder 3) Art. 10—15. gezeigt, daß hiemit durch⸗ 
aus nicht den trdifchen Elementen als folchen eine göttliche Kraft zugefchrieben werbe, 
vielmehr beruhe ihre Kraft anf der göttlichen Berheißung. Daher (die Titel): Promissio 
maxime in Sacramentis spectanda. In elementis non obstupendum. Saoramenta 
per se nihil efficiunt; und Art. 13.: Organa quidem sunt, quibus effioaciter, ubi 
visum est, agit Deus, sed its, ut totum salutis nostrae opus ipsi uni aoceptum 
ferri debeat; auch Art. 15.: Vocantur sigilla .... et tamen solus Spiritus pro- 
prie est sigillum u. f. w. 4) In den folgenden Artikeln 16—18. wird demgemäß 
die Nothwendigleit des Glanbens betont, wofern Jemand beim Saframent nicht bloß 

s. 


580 Zärder Couſens 


die Zeichen fondern auch die Sadye empfangen fol, und damit die Ertählung in ge 
naueften Zuſammenhang gebradit. Sedulo docemus, fagt rt. 16., Deum non pro- 
miscue vim suam exoercere in omnibus qui Sacramenta recipiunt, sed tsntum in 
electis. Nam quemadmodum non alios in fidem illuminat quam quos pres 
ordinavit ad vitam, ita arcana Spiritus sui virtute effieit, ut percipisnt olewti 
quae offerunt Sacramenta. Als commentum wird Art. 17. die Meinung beyeikmet: 
Sacramenta conferre gratiam omnibus non ponentibus obicem peecati' mortalis.... 
Nam reprobis peraeque ut electis signa administrantur; veritas autem signoruu m 
hos solos pervenit. Dabei bemerft aber Art. 18.: Ex Dei parte nihil mutatır; 
qnantum vero ad homines spectat, quisque pro fidei suae mensura adeipit 
Ebrard, das Dogma vom heil. Abendmahl und feine Geſchichte, Bd. IL ©. 512}, 
findet den faulen Tled des „Conſenſus“, mie er ſich ausdrückt, in der Eimmiſchung der 
Prädeftinationslehre, in der Befchräntung der heilfamen Wirkung des Saktaments anf 
die Erwählten. Hiegegen hat fhon Yul. Müller, die evangel. Union, ihe Befen 
und ihr göttl. Recht (Berl. 1854), ©. 280 mit Necht bemerft: „Hier. (im Art. 16) 
tritt ja ganz unzweidentig dev Gedanke heraus, a) daß eben nur an den glänbigen 
Empfängern die Kraft Gottes fich vermittelft der Sakramente bethätigt, b) daß Gen 
eben nur die Erwählten zum Glauben führt. Wenn nım der erfte Say ricdtig iR, 
und wenn Calvin nirgends lehrt, daß die Erwählten auch, während fe nmoch im Un 
glauben dahin leben, von dem Empfang der Salramente einen gegenwärtigen Segen 
haben, jo kann vermöge des zweiten Sates die Einmifchung der Prädeftinationsickt 
in der Ordnung der Saframente und ihrer Wirkſamkeit im Wefentlicyen nichts Anden.“ 
Ehrard nimmt auch befonders Anſtoß an den Schlußworten des Art. 18., daß ehr 
Chriſtum empfange „pro fidei suae mensura”, indem er ©. 516 aus dieſen fdlickt, 
e8 werde dadurch „eine magifche, irrefiftible Geiſteswirkung flatwirt, durch welche der 
Glaube vorher, ehe er Chriſtum empfing, follte dahin nefteigert werden, um Chr: 
flum bis auf einen gewiffen Grad aufnehmen zu Lönnen.“ Allein von eimer foldes 
Steigerung findet fid; weder im Confenfus felbft etwas, noch im Galvin’s Expositiv 
deſſelben. Bielmehr anerkennt Calvin auch in diefer, S. 208 bei Niemeyer, „in ip 
(Sacramentis) fidem nostram exerceri, foveri, adjuvari, confirmari”, und befreit 
immer nur die Realität eines Empfangens Chriſti ohne Glauben, wie er ©. 211 fi 
ansdrüdt: „Christum absque fide recipi non minus portentum est quam semen iB 
igne germinare”*), Dies wird auch 5) in den folgenden Artikeln, 19 u. 20. fir 
gehalten, worin von der utilitas der Sakramente gehandelt wird, doch fo, daß die Be 
fensgleichheit der Gemeinfchaft mit Ehrifto in umd außer dem Sakrament behanpkt 
wird: Fideles ante et extra Saramentorum usum Christo communicant, md his 
wiederum: Fructus eorum pereipitur aliquando post actionem, was in&befondere am 
dem Saframent der heil. Taufe nachgewieſen wird. 6) Die ſechs leßten Artikel, 21-26, 
enthalten nächſt Exegefe der Einfegungsworte Chriſti noch ausprüdliche Widerlegunge 
der Transfubflantiation und Konfubftantiation, der Ubiquitätslehre und der Wdoratien 
der Hoftie: „Praesertim tollenda est, begimmt Art. 21., quaelibet localis pracsentise 
imaginatio. Nam quum signa hic in mundo sint, ooulis cernantur, palpentur mr 
nibus: Christus quatenus homo est, non alibi quam in coelo, neo aliter qus= 
mente et fidei intelligentia quaerendus est. Quare perversa et impia super 
stitio est, ipsum sub elementis hujus mundi includere. Hinfichtlich ber Cie 
ſetzungsworte fährt Art. 22. fort: Proinde, qui in solennibus Coenae verbis, Ho 
est corpus meum, Hic est sanguis meus: praecise literalem, ut loguuntur, sen 
urgent, eos tanquam praeposteros interpretes repudiamus. Nam extra oontrorve- 


*) Auch aus Stellen in anderen Schriften der beim Eonfenfus Betheiligten ließe fi net 
weifen, daß ber Sinn nicht der von Ebrard angegebene fey, 3. B. Calvin's Insit LT. 
ec. 17. 8. 40-42, Bullinger’s Compend. christ. relig. L. 8. C. 10., und deffelben Zuktrk 
vom Nachtmahl an A. Moift, f. Peſtalozzi, Bullinger ©. 654 f. 


Bärder Confens 681 


sisım ponimus, figurate aocipiends esse, ut esse panis et ‚vinum dicantur id quod 
significant. 

Man fieht durchgängig, wie die zwingliſche Satramentslehre im Conſenſus nicht 
aufgegeben, aber unter Salvin’s Einfluß und Mitwirkung, ihrer Anlage entfprechend, 
weiter entwidelt und angemefien fortgebildet if gemäß der Geftaltung, die fie ſchon im 
Anhang zu der erſt nach Zwingli's Tode (1536) erfchienenen Schrift Christianae fidei 
expositio, fowwie in der Confessio Helvetica prior von 1536 und deren „Erläuterung“ 
bom. Deyember 1536 gewonnen hatte (ſ. Peſtalozzi, Ballinger S.178—198). Anch 
nad; den Seiten bin finden wir fie nun weiter geführt, die von Zwingli weniger ber 
rhdfichtigt worden waren. Ein Fortſchritt lag darin für die Züricher allerdings umfo 
mehe, da fie nach Luther's Leuten harten Angriffen fich im ihrem Bekenntnifſe vom 9. 
1545 veor jeder Annäherumg an ihn noch mehr gehätet, alle myſtiſch Flingenden Ans⸗ 
teäche behutſam vermieden und fid, möglihft auf die von Zwingli anfangs ſchon ge- 
brauchten Wendungen befchränkt hatten. Daraus allein, daß beide Theile, Calvin fo- 
wehl als dis eutfchiedenen Anhänger Zwingli's ehrlicher Weife fi mit den Beſtim⸗ 
mungen des Bonfenius einverftanden erflären konnten, läßt fich die Feſtigkeit und Dauer 
biefer Bereinigung begreifen, von der fchon Beza (im Leben Calvin's) mit dankbarem 
Radblil wie in fefler Zupverfiht für lommende Zeiten fagt: „Und diefe Berfländigung 
ift von da au mie mehr geflört worden; wir dürfen hoffen, daß fie fortdauern werde 
bis an das Ende der Welt.“ 

Mo bedurſte es aber, nachdem diefer Eonfenfus im Mai des Yahres 1549 zwi⸗ 
ſchen den Sirichern und Calvin gu Stande gekommen war, der größten Vorſicht und 
Befonnenheit, um wirklich den erwänfchten Gewinn daraus zu ziehen, einerfeite nämlich, 
nm diefem Conſense in möglichft weiten Kreifen Eingang zu verfchaffen, da befonder®, 
mo ex zunchſt wohlthuend wirken follte, und auf der anderen Seite, um ftörende Ein- 
flüffe fern zu halten, befonder® lüguerifche Gerüchte, wie fie indgemein von Uebelwol⸗ 
kextben bei folchen Beftrebungen ausgeſtreut wurden, als ob der eine oder ber andere 
heil von der Wahrheit abgefallen umd feiner UWeberzeugung nntreu geworden wäre. 
Bor Allem kam es darauf an, den Conſens den reſormirten fchiweizerifchen Kirchen und 
Mogifiraten auf die geeigneiſte Weife mitzutheilen umd deren Auflimmung einzuholen. 
Senaue Keuntniß der PBerfonen und ber Berhältuiffe war hiefür wnerläßlih. Daher 
war verabredet worden, nicht Calvin umd Farel, die befonders in Bern bei Manchen 
im Mißtredit landen, fondern die Zürcher follten den Bernern, fowie den übrigen re» 
formirtn Schweizerfiäbtn Mittheilmg davon mahen. Und ließ man die Feftftellung 
der Form, des Bor- und Nachworts, fowie die legte Redaktion des Ganzen bis dahin 
ausgefekt.. Schaffhbanfen und St. Ballen unterfchrieben fofort mit Freuden, 
ebenfo die Bündtner. In Lanſanue erregte die Kunde von dem herrlichen Frie⸗ 
benswerte bei Biret md feinen Yreunden, wie leicht zu erachten, den größten Subel; „in 
unglaublicher Frende erhoben fie fi“, fchreibt Calvin an Bullinger, „und dantten dem 
Herrn, der Soldyes gewirkt“ ; einige Berbefferungen, die von hier aus vorgefchlagen 
wurben, theilte Calvin ben Zürichern mit, welche diefelben billigten und gern aufnahmen. 
Zu Reuenburg fand der Conſenſus nur ganz vereinzelten Widerfland, der bald ge- 
hoben war. Die Basler dagegen zeigten fi anfänglich dadurch gekränkt, daR fie zu 
dem Beratungen nicht zugezogen worben waren, ließen fich aber durch die entfchnidi- 
genden Erklärungen Calvin’s und Bullinger’8 befäuftigen; gegen die Sache ſelbſt er⸗ 
hoben fie feinerlei Einwendungen; fie zum förmlichen Beitritt eingnladen, hielt man für 
unudtbig, da fie bereitö in ihrem eigenen Belenntnifie ſich völlig in demfelben Sinne 
ausgeſprochen hatten. In Zürich felbft zeigten einige Rathsglieder wegen der früher- 
hin mit dem Lutheranern gebflogenen, aber fo arg mißlungenen Eoncordienverhandlungen 
Dedenten gegen foldhe Vereinigungen überhaupt; dieſe Bedenken erledigten fidh aber 
bald im Folge der von den Predigern gegebenen Erläuterungen. Am meiften ftellten 
fich aber Schwierigkeiten, wie fi erwarten ließ, in Bern entgegen. Wohl fprachen 


582 Zürder Couſens 


die Prediger Johannes Haller, Wolfgang Musculus, der erſt kürzlich dahin gelommen 
war, und ihre Freunde ihre freudige Zuflimmung aus und hätten ſehr gewünfdt, ben 
Eonfenfus unterfchreiben zu dürfen. Allein fhon am 2. Juni exflärte- ſich ver Kath 
in ablehnendem Sinne: „man halte ein neues Belenntniß nicht für erfprießlid, da in 
der Berner Disputation (von 1528) und dem zürcerifchen Beleuntniß. gegen: Luther 
(von 1545) Alles zur Genuge auseinandergefegt fey. Auch fe zwiſchen der berniſchen 
und der Genfer Kirche nie ein offener Ziwiefpalt gewefen, welcher nötig machen ‚Konnte, 
öffentlich, aud, Angefihts der Papiften, ihre Uebereinftimmung zu bezeugen.“ Diele 
Erklärung, die deutlich den officiellen Styl an ſich trägt, konnte nicht eben befremden 
Denn nach all den betrübenden Erfahrungen, die der Rath bei den langwierigen Abend» 
mahlshändeln bis vor Kurzem gemacht Hatte, fchente derſelbe begreiflich jeden wene 
Schritt aus Furcht vor abermaligen Berwidelungen. Bereitwillig fuchte Vullinger den 
Bernern die Zuſtimmung zu erleichtern durch Umgeftaltung des Einganges uud Schinfie. 
Das Borwort bildete nun ein Brief Calbin's an die Züricher Geiſtlichen vom 1. Aug. 
1549, der die Beranlaffung zu der Reife Ealvin’s und Farel's nad Zürich, zu deu 
dort gepflogenen Verhandlungen und der Aufftellung der vorliegenden Artifel des Com 
fenfus angibt, die nichts enthalten, al® was von den genferifchen und neuenburgifden 
Geiftlichen gutgeheißen fey. Die Nahfchrift ift eine von Bullinger verfaßte Ant 
wort der züccherifchen Prediger und Profefforen vom 30. Auguſt, worin übereinſtim⸗ 
mend mit dem Vorworte Mar hervorgehoben wird, daß nicht ein Streit die Urſache der 
Abfaſſung und Veröffentlichung des Confenfus fen, fondern der Wunſch, daß bie hie 
und da beargwohnte Einftimmigkeit überall anerfannt werde aud von den Sirchen 
anderer Nationen. Es finde fich darin diefelbe Lehre ausgedrückt, die ſchon feit 
vielen Jahren in den fchiweizerifchen Kirchen verfündigt worden ſey. Schließlich wird 
noch, wie in ähnlichen früheren Erklärungen, die Willigleit fund gegeben, befiere Be: 
lehrung anzunehmen: „Si quis evidentiorem Sacramentorum explicationem protu- 
lerit, malumus ea ipsa uti cum piis omnibus, quam hortari unum hominem, ut 
subscribat nostrae consensioni, in qua Scripturae sanctae verba usurpsvimus et 
expressimus apte, quo sensu accipiamus, et cum Ecclesia Catholica nos faoere pro 
compertissimo habemus.” 

Ungeachtet dieſes Entgegenkommens beharrte jedoch der Rath zu Bern bei feiner 
Ablehnung, fo daß nur von der Zuflimmung der übrigen Kirchen und der Befefligung 
der Ruhe in der bernifchen Kirche mit der Zeit eine günftige Ruckwirkung auf Ban 
fid) allenfalls hoffen lief. Man hielt e8 daher für rathfam, auch jegt noch den Drad 
zu verfchieben, tie Bullinger Calvin am 30. September meldet, während ex ihm zw 
gleich bemerkt, Calvin oder Farel möge den Confens nunmehr zuverläffigen Yreunden 
in Frankreich oder anderwärts mittheilen, gleichwie er felbft denen in Dentſchland iha 
zufommen Laffen wolle und ihn bereit® unter der Bedingung des Stillſchweigent am 
einige vertraute Männer in England überfandt habe, nämlid an John Hooper, de 
vom April 1547 bi8 zum März 1549 in Zürich gelebt hatte und alsbald (1550) 
Bifchof von Gloceſter wurde, an den gelehrten Bartholomew Traheron, weide 
früher bei Bullinger gewohnt hatte, Hofmeifter des Herzogs von Suffoll (1550), we 
an Johann Utenhove, den Bufenfreund Johann Laski'a. Auf diefe Anregung hie 
erfolgte nun gegen Ende November die Unterfchrift des Confenfus von Seiten fämmt- 
licher Prediger in Genf und um bie gleiche Zeit derer in Neuenburg. 

So waren zu großer Freude aller Betheiligten bis zu Ende des Jahres 1543 
ſechs — oder Bafel hinzugerechnet fieben — Kirchen der Schweiz den Coufenſus bei» 
getreten. Auch Buger hatte von England aus feine Billigung und rende barüber 
bezeugt. Biel lag Bullingern aud; an dem Urtheile Laski's; an ihn wandte er ſich 
daher ebenfalls, um feine Anficht zu vernehmen. Da diefer aber, von den durch das 
Imterim erregten Stürmen aus Oftfriesland verdrängt, umbherreifte und die MRittheilung 
erft etwa ein Jahr nach ihrer Abfendung erhielt, ließ feine Amwort lange auf fd 











Zürcher Corſens 683 


werten. Evudlich langte im Januar 1551 feine Zuſtimmung aus London bei Bullinger 
au, was diefer im Februar freudig Calvin meldet mit dem Bemerlen, jetzt, halte ex 
dafür, follte der Confenfus in Zürich und in Genf gedrudt werden. Calvin, noch 
ehe ex den Brief erhielt, fprach gleichzeitig Bnllingern den Wunfc ans, „um dem 
Treiben Uebelwollender zu begegnen, mödrte Died ummehr gefchehen, wofern Bullinger 
die Zeit dazu geeignet finde; er hoffe, die Herausgabe werde auch für die fächfifchen 
Kicchen von großem Nupen fern.“ — „Sicherlich nicht ohne höhere Fügung ift es 
fo gelommen“, erwiedert ihm Bullinger, „daß Du gerade die Herausgabe begehrteft, 
ale wir uns eben damit befchäftigten“ *). 

Zu Uufeng März 1551 konnte Bullinger den Eonfens gedrudt verfenden, wobei 
er voll froher Hoffnung an Oswald Mylonius fchreibt: „Ich weiß, es werden fehr 
Biele num richtiger Aber und urtheilen, die uns bis jeßt als „m Salramentirer”* ver⸗ 
Dammıten®, und dem betagten Badian meldet er: „Bor dem Drude haben ihn mehrere 
ausgezeichnete Männer Englands, Preußens, Frankreichs, Raliens, Ungarns gefehen 
und gebilligt“ (audy Niederländer hätte er binzufligen können); „daher fchien es endlich 
gut, ihm hexamözugeben und zwar gerade jetzt, da unfere Gegner (die Papiſten, durch 
Grueuerung des tridentinifchen Eoncils) Alles wider uns aufbieten « — Bald nach der 
lateiniſchen Ausgabe erfchien der Eonfenfus and deutſch, von Bullinger überfegt. 
Die größte Freude an diefem glücklichen Fortgang bezeugt auch Calvin, der dabei voll 
Yubel Bullingern zuruft: „Das eben ift die rechte brüderliche Gemeinfchaft, wenn wir 
anertennen, daß die Geiftesgaben fo unter uns vertheilt find, daß Keiner allein ſich 
felbft genäge.“ Ludwig Lavater fagt über den Erfolg des Conſeuſus in feiner Ge⸗ 
fchichte der Abendmahlsſtreitigkeiten (1564): „Es wurden auch im Ausland viel herr- 
liche, gelehrte Leute dadurch erfreut und im Glauben nicht wenig geflärtt.- „Ich habe“, 
— fügt er bei — von einem vornehmen, ehrenwertben Wanne, der viel nm Melandı- 
thon gewefen, gehört, daß Melanchthon erſt aus diefer Conſenſion die Abendmahlsſache 
recht und gründlich verfianden oder doch von der Zeit an recht angefangen, fich zu den 
Zwingli'ſchen zu ueigen, fo daß er nie wider fie reden oder fchreiben wollte, wie heftig 
man ihm auch zufete.“ 

As das bedeutendfte Ergebniß aber, das wir fchon in dem ertoähnten Briefe an 
Badian angedentet finden, haben wir wohl zu betrachten, daß die reformirte Kirdje 
in den verfhiedenen Rändern Europa’s, welde von nun on ihren Umkreis 
bilden follten, fich ihres inneren Aufammenhanges mehr beivußt ward und deshalb das 
Band der chriſtlichen Gemeinſchaft und des Vertrauens, welches die Kirchen ihrer ba» 
maligen Ausgangs⸗ und Hauptpunfte, Zurichs und Genfs, verfnüpfte, in zunehmen- 
den Maße ihre weit auseinauder liegenden Glieder, wenn auch unter Beibehaltung 
ihrer Selbfiftändigkeit, Träftiger umfchlang und fefter vereinigte. Gewiß hätte fich, wie 
Calvin in dem angeführten Schreiben hofft, ein großer Segen davon auch für das Ber- 
hältniß der Reformirten zu den Iutherifchen Glaubensbrüdern In Deutfhland erwarten 
Laffen, wofern die unbefangene Beurtheilung eines Melanchthon dafelbft die Oberhand 
behalten hätte. Bei der heftigen Befeindung aber, die fich gegen die milderen Luthe⸗ 
rauer erhob, war es ihren Gegnern erwünjcht, auch gegen den Consensus Tigurinus 
foßzubrechen, wobei Zoachim Weftphal befonders hervortraten. Ein heftiger Schriften- 
wechfel, anf melden hierorts nicht näher einzugehen iſt, wurde dadurch hervorgerufen 
zwifchen ihm, Brenz, Schnepf ꝛc. einerfeitd und Calvin, Laski, Bullinger, Beza ande: 
rerfeits (f. die Urtifel „Weftphal“, „alpin“, „Laski” u. f. w.). Wiewohl die Züricher 
eine Zeit lang geneigt waren, zu Weſtphal's Angriffen zu ſchweigen, anerfannten fie 
nachgerade die Nothwendigkeit einer kurzgefaßten Widerlegung. Da der Eonfenfus eine 
gemeinfame Sache der fchmeizerifchen Kirchen und derjenigen Genfs zc. war, beabfid- 


*) Alle Angaben, die fi bei Neueren finden, als ob der Konfenfus früher im Drud er- 
fehienen wäre, Niemeyer, coll. Conf. pag. XLV, find falſch, |. Peſtalozzi, Bullinger S. 639 f. 


584 Zwiſchenzuſtand 


tigte man anfangs, die von Calvin entworfene Vertheidigung bdeffelben gleich dem Con⸗ 
fenfus ſelbſt von allen diefen Kirchen unterzeichnen und im Namen Aller erfcheinen zu 
laſſen. Calvin fchidte daher im Dftober 1554 feinen Entwurf den Zürihern zur Be- 
gutachtung und arbeitete ihn bereitwillig ihren Ausftellungen gemäß um, worauf fie be- 
veit waren, die Schrift zu unterzeichnen. Indeß fand man überhaupt rathfamer, nicht 
erft von den einzelnen fchmeizerifchen Kirchen die fchriftlihe Zuſtimmung einzuholen, 
fondern ſich mit der einfacheren Form einer Zufchrift Calvin's an fie und die mit 
ihnen verbundenen Kirchen zu begnügen, ſ. Niemeyer, coll. Confessionum, ©. 199 
bi8 217. Somit haben wir fie als eine authentifche Erläuterung umd nähere Begrün- 
dung des Consensus Tigurinus zu betraditen. Henry's Ungabe, Leben Ealvin’s 
Bd. 3. ©. 305, als ob diefelbe von den fchweizerifchen Kirchen unterfchrieben worden 
fen, ift irrig; ſ. Peſtalozzi, Bullinger ©. 640. 

Die erfte lateinifche, im 3. 1551 gedrudte Ausgabe, betitelt: Consensio mu- 
tua in re Sacramentaria Ministrorum Tigurinae ecclesiae et D. Joannis Calrvini, 
Ministri Genevensis Ecclesiae, Tig. R. Wissenbach, — ift ohne Yahrzahl. Der 
Titel der deutſchen Ausgabe lautet: „Einhälligfeit der Dienern der Hilden zır Zürich 
und Herren Joannis Calpinj Dieners der Kilchen zu Genff, deren ſy fih imm hantel 
der heyligen Sacramenten gägen einandern erklärt und vereinbared habend.* Ari, R. 
Woffenbah, 1551. — Die franzöfifche Ausgabe ift betitelt: L’Accord passe et 
conclud touchant la matiere des Sacremens entre les Ministres de l’Eglise de 
Zurich et Maistre Jehan Calvin Ministre de !’Eglise de Geneve; Geneve, J. Cres- 
pin, 1551. — Übgedrudt findet fid) der Consensus Tigurinus in Ludov. Lavater, 
historia de origine et progressu controv. sacram., Tig. 1563; in Rod. Hospi- 
nian, hist. sacram., Bund 2. Tig. 1602; ferner in Calvini Opp. ete., in Nie- 
meyer, collectio Confessionum in ecelesiis reformatis publicatarum, Lips. 184%, 
u. f. w. — Ueber denfelben vergl. Hundeshagen, Conflikte des Zwinglianismus x. 
in der bernifchen Kirche, 1842. — Ebrard, Dogma vom heil. Abendmahl, Bd. 2. 
1846. — Schentel, Weſen des Proteftantismus, Bd. 1. 1846. — Schweizer, 
Olaubenslehre der evang. » reform. Kirche, Bd. 2. 1847; Centraldogmen, Bd. 1. 1854. — 
Hagenbad, Geſchichte der erflen basler. Confeffion. Bafel 1827. — 9. I. Hot. 
tinger, helvet. Kicchengefh. Bd. 3. 1708. — J. C. Füsslin, epistolse Reform. 
1742. — Henry, Leben Salvin’s, Br. 2. u. 3. 1838 u. 1844. — Beftalozsi, 
Bullinger, 1858. — Stähelin, Calvin, Bd. 2. 1863. — Kirchhofer, Leben 
Farel's, Bd.2. 1833. — Ruchat, histoire de la reformation de la Suisse, Mb. 5. 
1836. — Nach dem Geſagten ift zu berichtigen: Möndeberg, Joach. Weſtphal und 


Joh. Calvin, 1866. Carl Peſtalozzi. 
Zwiſchenzuſtand, ſ. Hades. 


Es folgen bier noch einige Artikel, auf die an früheren Stellen ver- 
wiefen worden ifl, ohne daß ſolche Berweifungen bis jett erledigt worden 
find. 


Ambrofius, der zur Zeit des Origenes in Wlerandrien lebte, gehörte wahr⸗ 
ſcheinlich einer der gnoftifchen Parteien, wahrfcheinlich derjenigen des Balentiu oder des 
Bafifides an. Ungezogen durch den Ruf, den ſich Origenes durch Selehrfamfeit umd tiefes 
Wiſſen erworben hatte, befuchte er defien Vorträge. Es gelang dieſem, ihn von feinen 
Irrthümern zu überführen; fortan wurde ex des großen Theologen immiger freund, 
und hat ſich weſentliche Berdienfie um ihn fowie um die Kirche eriworben, indem 
er es war, der Origenes aufmımterte, als Schriftfteller aufzutreten, und ihn fort 
und fort zur Abfaffung neuer Schriften antrieb, fo daß Origenes ihn feinen 2oyo- 
duserng nannte, ja einen der Zoyodıscra roü Hsod. Ambroſius befoldete ans feinen 
reihen Gatern fieben Schnellfchreiber und fieben Abfchreiber nebft einigen Schönfchrei- 
berinnen für feiuen Freund und ſcheute Teine Koflen, um, als Drigenes an bie Bor- 
bereitung der Herapla ging, für ihm Eremplare der LXX. umd anderer griechifcher 
Ueberfegungen des U. Teſtaments, die Juden (Symachus, Theodotion) gemacht hatten, 
und andere werthvolle Schriften anzufchaffen. Er fland feinem fyreunde bei in Ber» 
gleihung der Texte. An ihn find viele Schriften des, Drigenes gerichtet. Ambroflus 
belleidete ein Staatsamt, welches ihn zu Öfteren Reifen veranlafte; daher finden wir 
ihn Öfter außerhalb Alexandriens; einmal, in der Verfolgung des Marimin im 9. 235, 
welcher Origenes zu entgehen fo glüdlid, war, faß Ambrofius als Belemmer des dhrifl- 
Lihen Glaubens im Gefänguifie. Ob er, wie Hieronymns meldet, Diakon geweſen if, 
laſſen wir dahingeftellt. Er iſt vor Origenes geftorben. — Bol. über ihn Euseb. H. 
E. VL 18. — Epiphanius haeres. oc. 64, 3. — Hieronymus de viris illustribus 
c. 56. — Redepenning, Origenes, passim. 

Bajophorie, Palmzweigtragen (von Bass, Palmzweig, daher Auiopdeos und 
Auipbgos, Palmenträger, und Aaipdoın, da8 Tragen von Palmzweigen), bezeichnet 
denjenigen Theil der Lanbhüttenfeflfeier, der in dem Tragen des Rulabh (des Fascikels 
aus einem Myrthen⸗, einem Palm. und einem Weidenzweig) beftand. früher zog die 
tfraelitifde Gemeinde an jedem der fleben eigentlichen Raubhüttenfefttage, den Träger des 
Lulabh an der Spige, in die Synagoge; jetzt wird damit nur noch ein Umzug in der 
Stmagoge gemadt. Die Bedeutung jenes Fascikels iſt in dem Artikel „Laubhüttenfeft“ 
angegeben. Br. Wilh. Preſſel. 

Bardeſanes kann nur im uneigentlichen Sinne ale Schüler Balentin’s angefehen 
werden. Die Ungaben über ihn, fein Leben, feine Lehre und Schriften haben in ber 
neneften Zeit durch die Schriften von Merx und Hilgenfeld eine mefentliche Modi. 
fitation erlitten. Bis dahin hielt man fich an die Angaben bei Eufebius und Epipha- 
nius, doch bereits in einigen Punkten berichtigt durch Ephräm den Sure. Darnadı 
gehört Bardeſanes der zweiten Hälfte des zweiten Yahrhunderts an, lebte in Ebdefia in 
Mefopotamien, daher Bar, Sohn des Daifon, Name eines Fluffes bei Edeffa, genannt. 








586 Bardeſaues 


Er ſtand in frenndſchaftlichem Verhältniſſe zum Fürſten von Edeſſa, Abgar am, 
zwiſchen den Jahren 152 und 187. Als der Kaiſer Aut. Beras in dem Parther⸗ 
kriege nach Syrien kam, disputirte Bardefanes mit den heibnifchen Phllofophen, bie 
ihn begleiteten, und er foll an diefen Kaifer einen Dialog über die siuapuirn ge 
richtet haben. Nach Eufebins (praeparstio ev. VI, 10.) foll er zuerft dem Lehren des 
Balentin ergeben gewefen, nachher zur katholiſchen Lehre zurüdgelehrt ſeyn, doch fo, 
daß er mande feiner früheren Lehren beibehielt und fo der Stifter einer eigenen Gelte 
wurde. Nach Epiphanius trat er von der Tatholifchen Kirche zu deu Balentinianern 
über. Allein von Allem diefen weiß Ephräm der Syrer, der gegen Bardeſanes ſchrieb, 
(. Bd. III. ©. 90) nichts. Das Wahre an der Sache if, daß Bardeſanes nicht ans 
der fatholifchen Kirche austrat, auch in der Kirche Vorträge hielt, worin er fid im Uns 
drude an die herrfchende Kirchenlehre anſchloß, ſoweit überhaupt damal® von einer 
ſolchen die Rede fegn konnte. Er fuchte auch durch Hymnen feine Lehren zu ver 
breiten und gewann dadurch in der That viele Anhänger in der Tathofifchen Kirche. 
Er fchrieb gegen die Marcioniten und gegen andere Gnofliler, welche ein die moraliſche 
Freiheit beeinträchtigendes Verhängniß lehrten, woraus alfo gefcloflen wurde, daß er 
bei Abfaffung diefer Schriften redhtgläubig gewefen fey, in Wahrheit aber war «8 
uur eine amdere Form der Gmofis, die er in dieſer Beziehung vertrat. Außer den 
Auszügen, die Euſebius a. a. O. aus der Schrift über die eizzapsdvn gibt, iſt die 
wichtigfte Duelle die Sammlung der 56 polemifchen Reden des Ephräm Sys, 
worin auch Bardefaues, auf Grund feiner Schriften, woraus der Berfafler Fragmente 
anführt, angegriffen wird. Es ergibt fidh daraus, daß Bardefanes, wenn er aud 
in feiner Lehrmweife ſich mit Valentin verwandt zeigt, doch in anderer Hinficht von 
ihm abweicht und fich den Sufleme der Ophiten nähert, fo daß es die wahr: 
fcheinlichfte Annahme ift, Bardeſanes habe aus Einer Duelle mit Valentin umd deu 
Ophiten geſchöpft. Beſondere Beachtung fcheint dies zu verdienen, daß ex, wie be 
borwortet, die moralifche Freiheit nicht nur emtfchieden zugab, fondern audy alle 
Ernftes lehrte und hervorhob und ein blindes Verhängniß fir die Menſchen aufs 
Beftimmtefte verwarf (f. Eufebius a. a. DO.) Nach den genannten neuen orfchuugen 
fällt aber die Lebenszeit des- Mannes ziemlich, ſpäter. Die Edeſſeniſche Chronik bei 
Affemani läßt ihn unter Abgar Manu erft geboren werden. Moſes Chorenenfis läßt 
ihn unter Elagabal blühen und beruft fi, für feine armenifche Kirchengeſchichte bis anf 
die Zeit des Ehosroes (Kosru I, 212— 259), auf ein ſyriſches Geſchichtswerk des Ber 
defanes, welches in's &riechifche überfeßt worden. Dazu kommt die Ausſage des Bar. 
phyrius (+ 305), daß VBardefanes zur Zeit „unferer Bäter“ gelebt habe. WUußerdem 
lafien die Philofophumena auf Gleichzeitigkeit des Bardefanes mit Hippolhyt fchließen. 
Was die Schriften betrifft, fo ift der genannte Dialog über das Schickſal erfiens nicht 
bon Bardeſanes felbft verfaßt, und zweitens ift er neu aufgefunden und veröffentfidt 
worden in @ureton’8 Spicilegium Syriacum, und von Merr mit erläuternden Bewer 
tungen in dentſcher Weberfegung in feine Schrift aufgenommen; er trägt den Kite: 
Geſetze der Länder; ein Schüler des Bardefaned referirt darin über eine Greiner: 
redung feines Lehrers mit einem gewiflen Awida über Freiheit und Schickſal. Den 
bat darin den von Eufebius und Epiphanius erwähnten “Dialog wieder erkannt umd bie 
Bruchſtücke daraus in der praepar. Evang. des Euſebius wieder gefunden. Derfelbe 
Dialog erhält neue Bedeutung durd) fein Verhältniß zu den clementinifchen Recogri⸗ 
tionen. Derjenige Theil defjelben, der die Berfchiedenheit der Geſetze der Yänder und 
ihres couflanten Einfluffes auf die Sitten der Völker ald Argument gegen das Schidfal 
gebraucht und der bei Eufebius a. a. D. fich findet, ift aud; in den BRecogmitionen 
IX, 19 ff. Merr und Hilgenfeld weichen nun von einander ab in der Befliummm 
des Berhältniffes der verfchiedenen Terte des Dialogs zu einander. Während Ber 
bei Eureton das Driginal findet in fyrifcher Sprache, mas bei Eufebins nnd im ben 
Recognitionen überfegt und zugefchnitten erfcheine, meint Hilgenfeld, der ſyriſche Zert 


Beccarelli Biſchofswahl 587 


fer) eine Weberfegung and dem Griechifhen, wovon Enfebins Yragmente gibt. — Was 
die Behre des Bardeſanes betrifft, fo meint Merz freilich, ihr eine ganz neue Geftalt 
geben zu mäffen, als welche man bisher kannte; allein es if von Hilgenfeld uud von 
Möller a. a. D. dagegen eingeivendet worden, daß er ſich zu fehr anf den Dialog, der 
ger wicht dom Bardeſanes felbft herrührt, geftägt und auch den gnoftifchen Gehalt diefer 
Schrift uicht gehörig gewürdigt habe. Hilgenfeld kommt, was bie Lehre des Barde⸗ 
ſanes betrifft, zu dem Ergebniß, daß fie ein Hauptziweig des morgenländifhen Balen- 
tinianismus geweſen fey, während Möller a. a. D. darin die Formen der Gnoſis der 
Ophiten wieder erkennt. 

Siehe Neander, gnoſtiſche Syſteme, ©. 190. — A. Hahn, Bardesanes Gno- 
sticus Syrorum primus hymnologus. Leipz. 1819. — Kuehner, astrologiae et 
astrenomiae in doctrins Gmostioorum vestigia. P. I. — Bardesanis Gnostici nu- 
mins astralie. Hildburghausen 1833. — Merr, Dr., Bardefanes von Edeſſa nebft 
Unterfuchungen über das Berhältniß der clementinifhen Recognitionen zu dem Buche 
dev Gefege der Länder. Halle 1863. — U. Hilgenfeld, Bardefanes, der letzte 
Snoftiter. Leipzig 1864. — Außerdem E. W. Möller’s Anzeige beider Schriften in 
ben Zahrbb. für D. Theol. 1865. ©. 559. 

Beccarelli, Jofeph, matländifcher Geiſtlicher, Anhänger des Molinos, verdient 
durch feine Thätigkeit für Erziehung der Jugend erwähnt zu werden. Er wurde wegen 
feier moliniflifchen Lehren im Jahre 1708 von der Imquifition verhaftet, ſchwor fie 
1710 zu Benedig ab und wurde darauf zu den Galeeren verurtheilt. 

Berntid, Franz Joachim, geboren im Jahre 1715 zu St. Marcel im Schooße 
eimer adelichen, aber wenig begüterten Familie, deshalb für den geiftlichen Stand be- 
flinmt, von durchans weltlicher Sefinnung, wurde durch die Marquife von Pompadour 
bei Ludwig XV. eingeführt, der ihn 1751 als Befandten bei der Republit Benedig 
gebranchte; ebenfo vermittelte er da8 Bündniß zimifchen Frankreich und Oeſtreich und 
trat 1757 an Rouille’s Stelle in das Miniflertum der auswärtigen Angelegenheiten 
ein, dem er bis 1758 vorfland. Im demfelben Jahre erhielt ex den Cardinalshut. Er 
"verlor das genannte Minifterium, weil er fi dem Willen des Königs und feiner Mai⸗ 
treffe nicht in Allem fügen wollte, wurde aber nad) fünfjähriger Verweiſung in feine 
Abtei St. Medard dom König wieder aufgenommen und 1764 zum Erzbiſchof von 
Albi beidedert. Im Jahre 1769 ging er in das Gonclave und bewirkte die Wahl 
Siemens XIV., des Iefuitenfeindes, zum Pabſte. Er blieb fortan in Rom als fran- 
zöftfcher Geſandter und erwarb ſich fo fehr die Zufriedenheit feines Hofes, daß ex von 
Ludwig XV. den ungewöhnlichen Titel eines protecteur des 6glises de France erhielt. 
Er farb im Jahre 1794, durch die franzöftfche Revolution aller feiner Güter beraubt. 

Bernis ift feiner Zeit als angenehmer, gewandter Dichter bekannt getvorden. Seine 
Gedichte find mebft feinen Epifteln als oeuvres oomplätes, Paris 1797, herausgegeben 
worden. Bon den Gedichten pflegte ex zu fagen: „Es find die Sünden meiner Im 
gend.” 

VBerthold, Eiftercienfermönd aus dem Kloſter Lodum in Niederfachfen, wurde 
nad dem Tode des frommen Meinrad im Jahre 1196 vom Erzbiſchof von Bremen 
zum Biſchof gewählt und als mifftonirender Bifchof nad; Lievland gefchidt, wo er an 
der Spige der Kreuzbrüder kämpfend umd bald fliehend von den heidnifchen Lieben er- 
eilt umd getöbtet wurde, im 9. 1198. Siehe Blumhardt, Mifftonsgefchichte Bd. III. 
2. ©. 518—520. 

Biſchofswahl. Da feit der Gründung der Kirche die Vorſteher von den Ge⸗ 
meinden unter Mitwirkung der Apoftel angenommen wurden, erfolgte auch nad) ber 
Entftehung des Epiffopats in den erften Jahrhunderten eine analoge Art der Beftellung. 
Inden man die Bifchöfe überhaupt als successores Apostolorum zu betrachten ange» 
fangen hatte, fchien es angemeflen, daß neue Epiffopen nicht ohne Beirath bereits vor⸗ 
hamdener eingefegt würden, umd fo bildete fidh der Gebrauch, daß bei der Answahl 











688 Bilhefewahl 


geeigneter Perſonen Bifchöfe aus der Nadjbarfchaft zugezogen wurden und daß der von 
einer Gemeinde Gewunſchte von ihnen genehm gefunden, oder ein von ihnen ſelbſt als 
geeignet der Gemeinde Enipfohlener von berfelben für gut erflärt wurde. Da, wie man 
überzeugt war, die Berufung von Gott felbft ausging, fo fonute man in der Ueberein⸗ 
fisımumg der fänmtlichen bei der Anftellung VBetheiligten nur ein Zeugniß für dem 
Willen Gottes felbſt anerfennen. Im folhem Sinne fchreibt Eyprien im 9.252: 
„Kaotus est Cornelius episcopus de Dei et Christi eius judicio, de clerioorum paeme 
omnium testimonio, de plebis, quae tunc affuit, suffragio, et de sacerdotem amti- 
quorum et bonorum virorum collegio. . .” (epist. 67 in co. 5. Cau. VII. qu. 1.) 
Ein auf diefem Wege angeftellter Bifchof galt auch für alle willfommen, da man boranf 
hielt, das Aufdringen eines Vorſtehers zu vermeiden. Daher wurde noch fpäter em 
Berbot dagegen erlaſſen. „Nullus invitis detur episcopus. Cleri, plebis et ordimis 
consensus et desiderium requiratur. .. .” (Coelestin L a, 428, in e. 13. dist. LXI. 
0. 26. dist. LXIII. vgl Hegel Gefchichte der Städteverfaffung in Italien Bd. L S. 
189). Im Zufammenhange mit der Enttwidelung der Kirche im Ganzen erlitten diefe Vor⸗ 
fhriften nach zwei Seiten hin eine Modification, indem die DMetropolitanderfaffung un» 
die veränderte Stellung des Volks zum Klerus ihren Einfluß äußerten. Die Metropoliten 
erhielten darnadı die entfchetdvende Stimme, zumal wenn Streitigfeiten bei einer Wahl emt- 
ftanden waren : „Si forte vota eligentium in duas se diviserunt partes, metropoliteui 
judicio is alteri praeferatur, qui majoribus studiis adjuvatur: tantum ut nullas 
invitis et non petentibus ordinetur, ne civitas episcopum non optatum aut oontem- 
nat aut oderit” (Leo I epist. 14 a. 446, in c. 36. dist. LXIIL, verb. dafelbfi epist. 
167 a. 458 oder 459, in c. 1 dist. LXID, die Laien traten aber überhaupt mehr 
zurüd, bald fo, daß nur ein Theil derfelben, die Notabeln, fürmlich mitſtimmten, bald 
fo, daß fie höchſtens Widerfpruch erheben durften und nur beifallende Zuftimmung ze 
erlennen neben fonnten. „Vota civium, testimonia populorum, honoratorum arbı- 
triam, electio clericorum in ordinationibus sacerdotum exspectantur. . ... Per 
pacem et quietem sacerdotes, qui praefuturi sunt, postulentur, teneatur subsoriptio 
clericorum, honoratorum testimonium, ordinis consensus et plebis” (Leo I. epist. 
10. a. 445, in co. 27. dist. LXIIL). Zum Beweiſe ſolcher Beſchränkung dient befon. 
ders auch ein Schreiben des Gelaſius (in c. 11. dist. LXIII.), deflen Inhalt fpäter 
mit den Worten angegeben wurde : In electione episcopi populus debet adense —. 
Daß ouferdem fchon zeitig die Obrigleit bei den Bifchofömwahlen eine gewiſſe heit. 
nahme bejaß, erhellt aus den Berichten über bdiefelben in den bedeutenderen Kirches, 
namentlih in Rom (M. f. den Art. Papſtwahl Bd. XI. ©. 93). In vorzäglidhen 
Grade und allgemeiner wurde died aber nad; der Einführung des Chriſtenthums im den 
germanifchen Reichen üblich; entfcheidend war dabei das Verhälmiß, welches fich zw 
fhen dem Staat und der Kirche überhaupt bildete : denn fo wie häufig die Kirche dw 
Herrſchaft in allen Öffentlichen Annelegenheiten gewann, hatten die Bifchöfe den größten 
Einfluß auf die Königswahlen, wie umgelehrt wo der Staat die Obernewalt befa, die 
Könige Über die Befegung der Bifchofeftühle entſchieden. So war e8 in Spanien, wo 
während der Regierung der arianifchen Könige die Biſchöfe das Uebergewicht behaup 
teten. Wuch feit der Anertennung der orthoboren fatholifchen Lehre behauptete fich fofl 
ein Iahrhundert die ältere Weife der Beftellung, doch wurde öfter über willlährlice 
Eingriffe des Volks geklagt, fo daß der Epiſkopat ſich gemöthigt fah, denfelben durd 
Einräumung des Rechts an den König zu begegnen. Ausdrücklich beſchloß daher dr 
zwölfte Synode zu Toledo 681 in can. 6. (in c. 25. dist. LXOL) „— ut... kc- 
tum maneat deinceps Toletano pontifici, quoscunque regalis potestas elegerit, et... 
Toletani episcopi judieium dignos esse probaverit, in quibuslibet provinciis .... 
praeficere praesules —”, was auch die folgenden Synoden wiederholt beflätigten (m. I. 
Thomassin vetus ac nova ecol. disciplina P. II. lib. II. cap. XV.) Im fränt 
hen Reiche fcheinen feit Beginn her die Könige die Wahlen beflimmt zu haben zu 





Biſchofowahl 589 


Aber dobei ſtattgefundene Simonie wurde gellagt. Daher hielt ſchon das Concil. Aurelian. 
H. vom %. 533 im can. 7. die Renovation der früheren Norm ein und zwei Jahr 
fpäter decretirte die Synode zu Elermont 535 (Concil. Arvernensel.) oan. 2. „— Epis- 
copatum desiderans electione clericorum vel oivium, consensu etiam metropolitani 
ejusdem provincias pontifex ordinetur, non patrocinia potentum adhibeat .. .” md 
mehrere Sypnoden ſchärften unter Antrohung des Bannes die älteren Canones wieder ein, 
indem ſie ſich gegen königliche Befehle dawider ausſprachen. So das Concil. Aurelian. 
LI. vom 9. 538. oan. 3, Concil. Paris. III. vom J. 575. can. 8. (.... Nullus 
civibus invitis ordinetur episcopus . . . ., non principis imperio .... ingeratur. 
Quodsi per ordinstionem regiam honoris istius oulmen pervadere aliquis ..... prae- 
sumpserit, a comprovincialibus looi ipsius episcopus reeipi nullatenus mereatar, 
quem indebite ordinatum agnoseunt . . . .”). Nur vorübergehend hatte das Cono. 
Aurelian. V. vom 549. can. 10. fidh gefügt („cum voluntate regie”)., Ver vom 
Coneil. Paris. V. vom 614. im can. 1. wieder eingefhärfte Wahlmodus erhielt hierauf 
von Chlotar II. die Fönigliche Beſtätigung, freilich unter Hinzufügung des Erſorder⸗ 
niſſes der töniglichen Betätigung, welches Seitens der Synode nicht aufgeftellt worden 
wor. „Definitionis nostrae est, ut canonum statuta in omnibus conserventur, et 
qwod per tempors ex hoc praetermissum est, vel dehinc perpetualiter observetar, 
ita ut episcopo decedente, in loco ipsius, qui a metropolitano ordinari debet cum 
provincialibus, a clero et populo eligatur; et si persons condigna fuerit, per ordi- 
nationem prineipis ordinetur, vel certe, si de palatio eligitur, per meritum per- 
sonae et doctrinae ordinetur, (in Pertz Monumenta Germanise T. III. pag. 14.) 
Auch nachher erneute aber die Synode zu Rheims 625 in can. 25, fo wie die Synode 
zu Chalons 649 (? 664) (Coneil. Cabilon.) im can. 10. den frühern Schluß, ohne 
des Rechte des Königs zu gedenken, diefer aber machte don der refernirten Befugniß 
vollen ®ebrauh (Dan f. 3. B. das Praeceptum Dagobert’8 über die Beförderung 
feined thesaurarius Desiderius zum Biſchof von Cadurca (Cahors) im Jahre 636 in 
den @apitularien von Baluze Tom. I. pag. 14, Walter corpus juris Germ. T. IL 
pag. 16 u. dv. a. Damit verb. man die von Marculf mitgetheilten Formeln lib. 1. 
form. 5. 6. 7. a. a.), fo daß fortwährend über die Willkühr und Bewalt der Herrſcher 
gellapt : werden mußte (Beifpiele bei Rettberg Kirchengefhichte Deutfchlande Bo. 2 
S. 605. 606, vgl. Thomassin a. a. O. lib. II. cap. XIII. XIV.) Durch die 
Einrichtungen, welche Bonifacius traf, erfolgte faltiſch, aber nur vorübergehend, eine beſ⸗ 
ſere Ordaung, im Princip wurde nichts geändert und bald wurden die kaum beſeitigten 
Mißbraͤuche um fo mehr zur Regel, als die Übhängigkeit des höheren Klerus als Ba- 
fallen des Königs für die Beſtellung derfelben in den Bisthiimern den Ausſchlag neben 
mußte. So übten die Könige ein fürmliches Ernennungsrecht und auch Karl der Große 
bediente fic defjelben ohne Bedenlen. Für die entgegengeſetzte Meinung, daß nämlich 
der Koiſer die freie Wahl nad) den kanonifchen Regeln anerkannt habe, bermft man ſich 
auf das Capitulare Aguisgranense von 803. cap. 2. (Baluzius T. I. pag. 379 
Walter T. 2. pag. 171.). Daſſelbe ift aber nicht für Acht zu halten (e8 fehlt auch 
bei Pertz) und die Bezugnahme auf die Sammlung des Unfegifus lib. I. cap. 78, 
wiederhoft im erſten Buche der Solleftion des Benedict cap. 213, ift unzulaſſig umd 
geht vielmehr auf die gleich zu erwähnende Borfchrift Ludwigs des Frommen. Dafür, 
Daß Karl nicht andere Grundſätze, als fein Vorgänger befolgt habe, ſprechen nicht wur 
fonftige Berichte (Rettberg a. a. O. ©. 606. 607), fondern andy die Thatfache, daß 
derfelbe einzelnen Dibcefen befondere Privilegien ertheilt hat, ihre Bifchdfe frei wählen 
zu bürfen (Richter Kirchenrecht 8 183 Anm. 6 Citate). Darnach erfcheint Thomaf- 
ſin's a. a. DO. cap. XX. ausgeſprochene Anſicht nicht begründet. Uebrigens iſt fpäter 
ja felbft behanptet worden, Pabſt Hadrian habe Karl das Inveftiturrecht förmlich über 
Bifchdfe und Erzbifhdfe zugeflanden. (Die aus Siegebert von Gemblours entichnte 
Nachricht ift in das unächte Document in c. 22. dist. LXIIL übergegangen. Vergl. 








699 Biſchofowahl 


Hirsch de vita et scriptis Bigiberti. Berolin 1841. pag. 42. f.). Anch Laudwig 
der Fromme hielt zuerft an dem Nominationsrechte feft (vergl. Wahlprivilegia ven 
ihm bei Richter a. augef. Q.), verzichtete aber bald hierauf und verordnete im Concil. 
Aquisgran. von 817. cap. 2. (Pertz Monumenta Tom, III. pag. 206.) die Wahl 
duch das Boll umd den Klerus. (m. ſ. Thomassin a. a. O. cap. XXI); indeflen 
wurde diefe Vorfchrift doch nicht als allgemeines Geſetz befolgt : denn nad; wie vor 
wurden fortwährend einzelnen Kirchen befondere Wahlprivilegien ertheilt (ſ. Riditer 
a.a.D. verb. Böhmer Regesta Karoling. nr. 343. 986) und dafür felbft ein allge 
meines Formular aufgeftellt (f. Formulae Alsatioae nr. 6, bei Walter a. a. O. 
T. III. pag. 529. Dümmler das Formelbuh Biſchof Salomo’8 TIL von Konſtanz. 
Leipzig 1857. ne. I. v. Wyyß allemannifche Urkunden und Formeln des neunten Jahrh., 
in den Mittheilungen der antiquarifchen Gefellfchaft zu Zürich. Bd. VII. Heft 2. 1850. 
4. ar. 19 ©. 38.) und fortwährend veranlaften die Könige die Wahl vom Biſchöfen, 
wenn diefelben ihnen irgend dienftbar geworden (Man f. 3. B. die Empfehlung zu einer 
Didcefe, weil ein Geiftlicher den König einmal bewirthet hatte, von 878, in ben For- 
mulae Alsaticae nr. 13, bei Walter a. a. DO. pag. 535. Dümmiler aa. O. 
ne. XXVIL). Das alfo fortwährend von den Sönigen angewendete Recht fand wem 
auch die Anerkennung der Päbſte (Belege bei Richter a. a. O. Anm. 7), gerade 
bon diefer Seite erhob fich aber fpäter der Widerfprud) um fo entfchiedenee. Die 
Abficht der Curie war auf bie völlige Unabhängigkeit der Kirdye von der weltlichen 
Macht gerichtet, während die Forderung nur auf den angeblichen Uebergriff des Staats 
in das Tönigliche Gebiet und das Aufhören deflelben geftellt wurde. Das Nefuliat des 
hierdurch herborgerufenen Kampfes (über diefen felbft f. man den Art. Inveſtitur ums 
Streit darüber Bd. 6. S. 708. f.) war nun allerdings für die Zufunft der Bifchofe- 
wahlen beftimmend, indem in dem zmwifchen Heinrich V. und Galirt. II. im Jahre 1122 
vereinbarten Concordate zu Wormd (Pertz Monumenta Tom. IV. pag. 75. 76.) 
„eleetio canonica et consecratio libera” feftgeftellt wurde. Kanoniſche Wahl ift aber 
nicht mehr die urfprüngliche mit aktiver Theilnahme des Volks und des Klerus, fondern 
die Wahl durch die betreffenden Domtlapitel. Dies ift als gemeine Recht anerkannt, 
mit befonderer Zurückweiſung der Laien. (cap. 51. 56 X. de eleotione 1, 6, von 
Gregor IX. Die erſte Stelle ſpricht von einer Collegiatlicche). Diefes Recht iſt aber ım 
Laufe der Zeit vielfach mobdificirt, indem nicht nur bisweilen die Päbſte ſich die Veſe— 
gung felbft vorbehalten, fondern auch dfter den Landesheren, fobald diefe der kacholi⸗ 
fchen Kirche angehören, die Nomination zugeftanden, außerdem aber den Capiteln bie 
Weiſung ertheilt haben, in den Fällen, wo ihnen felbft die Wahl überlafien if, ſich 
mit den betreffenden Regierungen in Cinvernehmen zu ſetzen, damit von denſelben die 
Betätigung der Gewählten ficher zu erwarten fe. 

Die für die Wahl felbft geltenden Beftimmungen find im allgemeinen folgende. 

Wo die Wahl (electio) einem Capitel zufteht, ift jedes ordentlihe Mitglied def- 
felben dazu berechtigt, mit Einfluß der Ehren Kanoniker (canonici honorarii, im Un 
terfchiede der numerarii), welche vorzugsmeife für diefen Zweck manden Capiteln beige- 
geben find. Ausgefchloffen find die einer ſchweren Kicchenftrafe Unterliegenden, namentlich 
Ercommunicirte und Suspendirte. Die Berechtigten müfjen dazu gehörig eingeladen 
werden und die ohne gerechten Grund (zu große Entfernung, Gefahr im Borzuge) 
Mebergangenen können auf Annullirung des Wahlalt6 antragen. (c. 28. X. pr. de ele- 
etione (1. 6). Imnocent. III. a. 1202.) Die Wähler follen perfönlich erfcheinen, Stimm⸗ 
zettel einzufenden ift nicht geftattet, (c. 46. $. 3. de elect. in VI. 1. 6. Bonifae. 
VIII.) einen Stellvertreter darf aber derjenige beauftragen, welcher felbft auweſend zu 
feyn außer Stande ift (c. 42 X. de electione Innoc. III. a. 1215) —. Bahlfähig iR 
nur derjenige, welcher die einem Bifchofe erforderlichen Eigenfchaften befigt (vergl. den 
Art. Bischof Bd. II. ©. 244.) und, wenn er noch nicht Priefter if, fi) den Ordo in 
feftzufegender Friſt ertheilen läßt. Iſt die Perfon fonft mit einem fanonifchen Binder: 


Dühsiswahl 59: 


nifie behaftet, aber jedenfalls ein würdiges Subjelt, dem alfo nicht eine Irregularität 
wegen eines Delikt’8 enigegenfleht, jo kaun fie nicht gewählt, fendern nur erbeten wer⸗ 
den, fie iſt nicht eligibilis, fondern postulabilis (c. 6. X. de postulatione praelat. 
1, 5. Honorius IU. c. 20. X. de elect. Innoc. IIL). Hierher gehört vornehmlich 
der Fall, wenn der Borzufchlagende bereits beflätigter Biſchof einer anderen Diöcefe ifl. 
Wenn damm nicht fchon im Borans vom Pabſt ein ‚Breve .eligäbilitetis exwirkt worden, 
fo erfolgt fpäter nicht feine Beflätigung (oonfirmatio), fondera nur feine Zuleflung 
(admiseio), dexen Wirkung übrigens mir jener diefelbe if. Im Wilgemeinen ſteht der 
postulabilis aber dem eligibilis nad, fo daß wenn gleichzeitig das Capitel auf Weide 
fine Angen gerichtet hat, jener noch einmal fo viel Stimmen haben muß, als diefer. 
(Daher gebt der von Neun Gewählten dem von fünfzehn Poſtulirten vor. c. 40. X. de 
elect. Innoo. IIL. a. 1212.). In neuerer Zeit ift indeflen der Unterfchied der electio 
und postulatio unter anderen für Preußen aufgehoben, nachdem fchon früher die Adwif. 
fan der Poſtulirten nur aus gewichtigen Urſachen verweigert zu werden pflegte. 

Die Wahl felbft, der eine Meſſe unter Anrufung des heiligen Geiftes vorhergehen 
foß (eap. 14. X, de elect. Coelestin IIL cap. 18. X. eod. Innec. IIL), wird in 
einer der drei üblichen formen vollzogen, entweder durch fchriftliche Abflimmung (per 
scrutiniam) aller Botirenden oder durch VBeanftragung einiger, ja ſelbſt une Eines Ca⸗ 
pitularen (per compromissum) ftatt aller, in welden Faͤllen die abfolute Wajorität 
entſcheidet, oder durch einhellige Bereinigung über eine Perfon, ohne Abſtimmen (per 
quasi inspirationem). (MM. f. die fpeciellere Ausführung im Art. Bapfiwahl Bd. XI. 
S. 96.) Früher pflegten befondere Vorverhandiungen flattzufinden, nawentlich gewiſſe 
Berpflichtimgen feftneftellt zu werden, zu deren Erfüllung die Wähler fich obligirten, 
Falls einer dom ihnen exloren werden follte (Wahlcapitulationen). Begenwärtig iſt ein 
tractatus praevius nothiwendig, wo im Boraus eine Lifte von Perfonen vereinbart wer⸗ 
den muß, welche überhaupt nur gewählt werden dürfen, indem es daranf anfommt, nur 
ſolche Candidaten zu bezeichnen, welche als personae regi gratae auf die Beflätigung des 
Gonvernement’s, deren es bedarf, rechnen fünnen. 

Die Bacanz eines Bistums fol der Regel nad; nicht über drei Monate dauern 
(ap. 41. X. de elect. Innoc. III. a. 1215). Läßt das Capitel dieſe Frift unbenugt 
verftreichen, oder verlegt es die geltenden Canones bei der Wahl felbfi (cap. 42. X. de 
eleot. Innoc. IIL a. 1215. o. 18. de elect. in VI°, Bonifac. VIIL), fo bebei- 
birt das Recht an den nächſten Rirchenoberen (cap. 41 X. cit.) d.i. gegenwärtig den Pabfl 
(vergl. den Urt. Devolutionsreht Bd. III. ©. 364). Das Kapitel ifl verpflichtet, dem 
Gewãhlten ſchleunigſt feine Wahl anzuzeigen. Diefer erlangt dadurd den Anfprudy auf 
die Stelle (jus ad rem), über deren Annahme er fid, innerhalb eines Monats erflären 
muß. (oc. 58. X. de. eleot. Gregor IX. cap. 6. de elect. in VI°®. Gregor X. a. 
1214). Derfelbe fol nun binnen drei Monaten die päbftliche Genehmigung nadhfuchen 
(cap. 6. eit. in VIP, verb. cap. 44. X. de eleot. Innoc. III. a. 1215). Nach vorange- 
gangener Prüfung der Zulaͤfſigkeit am Wohnorte des Exforenen (processus informativus) 
und nochmaliger Unterfuchung in Rom felbfi (processus definitivus) (M. f. den Art. 
Biſchof Bd. II. ©. 244) erfolgt die Eonfirmation und damit erwirbt der beflätigte 
Biſchof das Recht am Bisthum felbft (jus in re), das er aber vollfländig auszuüben 
erſt befugt if, fobald ihm die Konfecration eriheilt worden. (MR. f. den Art. Biſchofsweihe). 

Nachdem die kanoniſche Wahl durch die Capitel eingeführt war, ift doch dfters ein 
Iandesherrliches Nominationsrecht der VBifchdfe pähfllicher Seite anerlannt worden. 
Dies gefchah ſchon früher bisweilen zu Gunſten einzelner Fürften, welche in Zeiten 
großer Gonflikte ſich der römifchen Curie anfchloffen, wie für Brandenburg hinfichtlich 
der drei Zandesbisthümer im Jahre 1447, fpäter für Frankreich, Ungarn, Oeflerreich, 
Bayern u. a., was durch die neueren und neneften Concordate vielfach beflätigt if. 
Nichtkatholiſchen Hegenten if} diefes Ernennungsrecht niemals zugeftanden nnd beim Con⸗ 
ſeſſionswechſel romiſch⸗katholiſcher Fürften oder beim Eintritt einer nichtlatholif—hen Megies 


592 Biſchofsweihe 


rung in die Stelle einer katholiſchen die Nomination zurückgezogen. Da, wo das Red 
befteht, hat der Inhaber wegen der zu ernennenden Perfon diefelben Grundfäge zu befol- 
gen, wie die wahlberechtigten Eapitel. Ueber den Nominirten werden die Prozeſſe fo 
angeftellt, wie über die Eligirten oder Poſtulirten. Der genehm Gefundene erhält die 
Inſtitution und Confecration. 

Außer der bereit3 mehrfad, angeführten Titeratur vergl. man beſonders die Angaben 
im Urt. Bifhof. Dazu Phillips, Lehrbuch des Kirchenrechts. Megeusburg 1859 
8. 150 und bie dafelbft citirten Schriften. 9. &. Jacobſon. 

Bifchofdweihe. Die Sitte, Beamte und Vorſteher einer Gemeinfchaft auf eine 
ihrer Stellung angemefjene folenne Weife in ihr Amt einzuführen und ihnen die Ver— 
waltung befjelben zu übertragen, iſt fo natürlich, daß zu allen Zeiten und bei allen 
Volkern ſich gewiſſe Anordnungen und Einrichtungen vorfinden, welde für diefen Zwed 
getroffen find. Bornehnilicd gilt die® bei Beftellung von Dienern religidbſer Gefell: 
Ichaften, indem gerade bei diefer, dem Weſen der Religion gemäß, irgend welche Alte 
des Cultus zw vollziehen, fi als ein unabweisliches Bedürfniß an den Tag legen 
mußte, aber fo, daß zugleich die eigentliche Abfiht der Handlung ſich darin ansfprad, 
daß nämlich die anzunehmende Perfon als die wirklich gewünſchte bezeichnet mud aner- 
kannt, fo wie, daß ihr die für ihre Wirkſamkeit erforderliche Gewalt übertragen wurde, 
fowohl die Befugniß und Berpflichtung zu den beflimmten Functionen ihres Amts, ole 
die Autorität, mit der fie ihre echte und Pflichten gegen die Gemeinſchaft geltend zu 
machen habe. | 

Diefe Gefichtspunfte Loffen ſich daher auch bei denjenigen Vorſchriften nachweiſen, 
welche für die Eultusdiener bei den Juden, alsdann für diefelben in der Kixche gar 
Anwendung famen. Borzliglich fchien aber ein Alt geeignet, ſowohl deu Gedanken ter 
Verleihung des Amts, als dem von der göttlichen Gnade hierbei zu erflehenden und zu 
erhoffenden Segens zu entfprechen, die Handauflegung. (M. vergl. den Art. Bd. 5. 
©. 502 f., verb. Kliefoth Liturgifche Abhandlungen Bd. 1. Karften die Handanfle- 
gung auf biblifchem Gebiete, infonderheit bei Acten der Benediction und Ordination, 
in Dieckhoff und Kliefoth kirchliche Zeitfchrift Bd. V. (1864) Heft 1. S. 84 folg.). 
Sie bildet daher das Hauptmoment bei der Ueberweifung des Amts, fo daß anch 
wohl die ganze Handlung diefen Namen erhielt. Man unterfchied aber nachher zurpe 
rovia und xapodeoie. Indem man der Auflegung der Hände eine ausgezeichnete 
Wirkung beilegte, beſchränkte man diefelbe auch bald auf die höchſten Aemter und wen 
dete fie vorzüglich bei der Webertragung des WPrieftertfums (sacerdotium) am. Als 
sacerdotes betrachtet die fatholifche Kirche episcopi und presbyteri. Die erfleren bedir- 
fen außer der ſchon vorher erhaltenen Ordination zum Presbyterat noch einer befonderen 
Confecratton. 

Urfprüngli erfolgt die Annahme der Biſchöfe auf einfache Weife, indem bie 
Wahl der PBerfon und ihre Beftellung zum Amte miteinander verbunden find. De 
zum Vorſteher Beftimmte wird von einem der Üpoftel, welcher mit der Gemeinde ſelbß 
zum Gebete verfanmelt if, derfelben vorgeftellt und empfohlen. Sobald diefe fd für 
ihn entfchieden hat, folgt die Handauflegung unter Gebet. YZur-würdigen Borbereitung 
foftete man. M. ſ. Apoftelgefch. 14, 23. 2. Timoth. 1, 6. f. verb. 2. Timoth. 4, 14. 
5, 22. Titus 1, 5. Da die Wahl eined neuen Biſchofs von großer Bedeutung er 
und die benachbarten Gemeinden innigen Antheil daran nahmen, wurde es bald üblich, 
daß diefe ſich durch Abgeordnete bei der Einführung betheiligten und namentlich bie 
Bischöfe aus der Nähe hinzulamen. Daß dies im dritten Jahrhundert zu gejchehes 
pflegte, aber auch gefchehen follte, berichtet Cyprian (F 258) epist. LXVIIL : „Propter 
quod diligenter de traditione divina et apostolica observatione servandum est et 
tenendum, quod apud nos quoque et fere per provincias universas tenetur, ut ed 
ordinationes rite celebrandas ad eam plebem, cui praepositus ordinatur, episcopi 
ejusdem provincise proximi quique conveniant, et episcopus deligatur plebe prar- 








Biihofsweihe 593 


sente ... . .” WAusführlicher ift die fpätere Schilderimg in den apoftolifhen Conſtitu⸗ 
tionen lib. VIII. cap. 4, 5. Hiernach follten, wenn ein Bifchof von der ganzen Ge- 
meinde gewählt worden, fid; diefe mit dem Presbhterium und den gerade anmwefenden 
Biſchofen an einem Eonntage verfammeln. Der Auserlefene der Uebrigen (6 nodxgırog 
Toy Aoınov) fol dann das Presbyterium und das Voll fragen, ob der Gegenwärtige 
die don ihnen verlangte Berfon ſey. Wenn fie dies bejaht haben, foll er fie nochmals 
fragen, ob fte demfelben ein gutes Leumundszeugniß ertheilen Fönnten, und wenn auch 
dies gefchehen, foll er zum drittenmal fragen, ob fie ihn wirklich für würdig hielten. 
Wenn dies von allen erflärt worden, dann ſoll einer der erften Bifchdfe zugleich mit 
zwei anderen fid; anden Altar ftellen, die Diakonen follen dem Erkorenen das geöffnete 
Evangelium auf da8 Haupt legen, und jener Bifchof ein Gebet fprechen, in welchem er 
Gottes Segm um Mittheilung des heiligen Geiſtes für den neuen Bifchof erflehe. 
Nachdem ein Amen aller Uebrigen erfolgt, wird dem Geweihten das Opfer negeben 
(ef row Enıoxöonwv üvagsoftn rıv Fvolur Eni Tv yeıoav Tod zEI0TovnFLvtog) 
er wird auf einen Thron geführt, mit dem Bruderkuße begrüßt, worauf er ſich fchließ- 
fih mit herzliher Rede an die Gemeinde wendet. Der Handauflegung ift nicht an: 
drücklich gedacht. Daß diefelbe aber angewendet worden fen, kann nicht wohl bezmeifelt 
werden, da fte felbft bei der Presbpterweihe in den Conftitutionen hervorgehoben ifl 
(lib. VIII. cap. 16). Weber die Zahl der anmejenden Biſchofe iſt feine Beflimmung 
getroffen, das Concil von Arles 314 verordnet aber bereit# in can. 20. (Bruns 2, 
109), daß fieben zugegen feyn follen, nicht aber unter drei. Das Concil von Nicäa 
325. can. 4. (im cap. 1. dist. LXIV.) legt die Angelegenheit dem Metropofiten bei 
(potestas vel confirmatio) und fordert die Vollziehung der Ordination des Bifchof's 
durch alle Provinzialbiſchöͤfe. I das nicht möglich, dann follen mwenigftens drei zuge⸗ 
gen fein, die übrigen aber fjchriftlich ihre Zuſtimmung ertheilen. Dies imiederholte 
das Concil von Antiohia 341. can. 19. (c. 3. dist. LXV.); da aber die Berfamu- 
fung aller Bischöfe ſich als nicht thunlich herausftellte befchränfte man fidh auf die For 
derung von dreien. Die dies ausfprechende Vorfchrift der apoflolifchen Konftitutionen 
lib. VIII. cap. 27. und der apoſtoliſchen Canones can. I. wird nun befländig wieder- 
holt (Concil. Aurisican. I. von 441. can. 21. in can. 3. dist. 64, Arelat. II. a. 451. 
can. 5, Coneil. Martin. Bracar. in can. 7. dist. LXIV. u. d. a.). Hierauf ergingen 
auch nach und nach weitere Beftimmungen wegen der Ausführung im Einzelnen. So 
hinfichtlich der Seit, daß die Beſtellung in drei Monaten nad) eingetretener Bacanz 
erfolgen folle (can. 25. Conc. Chaloedon. vom 451), daß mur an beftimmten Tagen 
die Weihe geftattet fey nämlich an einem Sonntage oder Apoſteltage (fo fhon nad) dem 
ordo Romanus), oder mit Genehmigung des Pabſtes an einem anderen Feſttage, daß 
in der Kathedrale des Tünftigen Biſchofs oder in der Provinz in einer anderen Kirche 
confecrirt werde (ec. 6. dist. LXXV. ans bem ordo Romanus) u. a. m. Die früher 
den Metropoliten zuftehende Entfcheidung über alle hierher gehörigen Punlkte, die eidliche 
Verpflichtung des Biſchofes gegen denfelben n. f. m. find in Folge päbflliher Referate 
erft in einzelnen Fällen, dann allgemein auf den Pabft felbft übergegangen und die 
verschiedenen Sagungen haben ihre endliche Teftfegung im Pontificale romanım gefunden. 
Aus dem Abfchnitte deffelben: de consecratione electi in episcopum theilen wir bie 
jetzt zur Anwendung kommenden Borfchriften mit. 

Der ordentlich gewählte und beftätigte Bifchof bedarf noch der Eonfecration. Wenn 
diefelbe in Rom gefchieht, indbefondere von einem Cardinal vollzogen wird, bedarf e® 
dazn eines mündlichen Auftrags des Pabftes am den Confecrator, fonft eines ſchriftli— 
chen Commiſſoriums. Zur Afiftenz des Weihenden find wenigſtens zwei Bijchdfe oder 
andere hohe Kleriker, insbefondere canonici, erforderlich. Der weihende und confecrt« 
rende Biſchof müffen fi) durch Faſten vorbereiten. Die heilige Handlung beginnt mit 
der Borlefung des apoflolifhen Mandats durch den Notar des Confecrators, worauf 
der Conſecrandus den Eid nach der vorgefchriebenen Form leiftet. Es ift die von Gre— 

Healr Cucytlopadie für Theologie und Kirche. Suppl. 11, ” 


594 Brüder, die langen Calvarienberg 


gor VII. (cap. 4. X. de jurejurando. 2, 24.) aufgeftellte und fpäter mehrfach ergänzte 
Berpflichtungsformel. Hierauf folgt da8 Eramen des neuen Biſchofs, indem derſelbe auf 
alle einzelnen ihm genau vorzulegenden ragen über Glauben und Amtövertvaltung, 
welche der Confecrator ablieft und die Affiftenten leiſe mitfprechen, die nöthige Antwort 
giebt. Nachdem hierauf eine Meſſe begonnen ift, wird der Confecrandus an einen day 
beftimmten Altar geführt und mit dem ihm gebührenden Kleidern und Jufignien ve 
fehen (Sandalen, Brufttreuz, Stola, Zunicella, Dalmatica und Manipulus RM. |. 
den betr. Artilel Bd. 7. S. 734.) Zu dem zu ihm Zurückgekehrten fpricht der Bas 
hende die Pflichten des Biſchoſs in den Worten: Episoopum oportet judieare, in 
terpretari, consecrare, offerre et baptizare, fingt dann die große Litanie, nad, dere 
Beendigung dem Confecrandus das geöffnete Evangelienbuch auf den Naden und de 
Schulter gelegt wird. Darauf folgt die Handauflegung durch den Weihenden und bie 
Affiftenten mit den Worten: Accipe spiritum sanctum. Neue Gebete (dem Sacra. 
mentarium Gregors des Großen entlehnt) fchließen fi hieran, fodann die Salbung det 
Hauptes (auf der Tonſur) und der Hände mit dem heiligen Chrisma, die Ueberreichung 
des Hirtenftabes und des. Ringes, alle unter entiprechenden Yürbitten, wie fie ih 
bereitd im Sacramentarium und im Ordo Romanus finden. Vest wird das Evangeliun 
bom Haupte des Biſchofs weggenommen und ihm zugemacht überreicht (aceipe evange- 
lium et vade, praedica populo tibi commisso). Er empfängt den Yriedensluß und 
jest nunmehr mit dem onfecrator die inzwifchen weiter geführte Meſſe fort; beide 
empfangen das heilige Mahl und vollenden die Meffe bis zum legten Segen. gt 
erhält der Geweihte die Jufula (die Bifchofsmüge) und die Handfchuhe und wird af 
den Bifchofsthron geführt. Nach diefer Inthronifation Tehrt der Bifhof zum Altar zurüd 
und ertheilt der Verſammlung den Segen. 

M. vergl. Loch erer die Bifchofsmeihe, in den Iahrbücern für Theologie und 
hiftorifche Philofophie. Frankfurt a. M. 1835. Bd. 5. Heft 2. ©. 241. f. umd vergl 
Ültenftüde, die Inthronifation des Bifchofs zu Hildesheim 1829 betreffend, in Span 
genberg : Neues vaterländifches Ardiv 1830. Bd. 1, ©. 23. f. 

9. 3. Jatobſor. 

Brüder, die langen, adeApoi uuxgoi, fratres longini, fo werden in Betradi 
ihrer Körperlänge vier ägyptifhe Mönche, Euthymius, Eufebius, Diosfurus und An 
monius, genannt, die ald Gegner der Anthropomorphiten den Zorn des getvaltthätigen 
Patriarchen Theophilus reisten, von ihm viel zu erdulden hatten, fich deshalb nebfl vie 
anderen Mönchen, die ebenfalls Gegner der Anthropomorphiten waren, an Chrhfoflomst 
wendeten und dadurd; dem Theophilus Anlaß gaben, gegen den Patriarchen von Cor— 
ftantinopel aufzutreten und ihn zu ftürzen. Nach dem Sturze deſſelben nahm The 
philus die langen Brüder in die RKirchengemeinfchaft wieder auf. 

Burg, angeführt Bd. IL. ©. 457, heißt eigentlih Bury, Arthur; von ibm 
ift die Rede im Artikel „Latitudinarier« Bd. VIII. ©. 216. Giehe über ihn Lehe, 
Geſchichte des englifchen Deismus S. 145. 146. 

Galvarienberg, 1) Name für Golgatha, nad der Vulgata, melde xpwier 
uf. 23,33. durch Calvaria (Cels. 8, 1. fonft calva, Hirnfcjädel) überfett. Das Weiter 
über Golgatha f. unter dem Art. „Grab, das heil.“ Bd. V. ©. 296 ff. 

2) Salvarienberge heißen Nachbildungen, für die Wallfahrer gewiſſerweßes 
Surrogate der wirklichen Kreuzigungsftätte in fatholifhen Ländern, Wuhöhen wit fe 
pellen und Grucifiren (gewöhnlich drei, mit dem Heiland und den zwei Schäcern) anf 
dem Gipfel, wohin man befonders in der Faftenzeit zur eier des Leidens Chrifi m 
wallfahren pflegt. An der Seite des MWegs, der zum Gipfel führt (Krenzweg, vi 
erucis, calvarii) find in angemeſſenen Zwifchenräumen Bilder und Meine Kapellen si 
Infchriften angebracht, die Hauptmomente der Paſſion darflellend, Stationen genoss 
(Bd. XV, 10). Gemöhnlich find e8 folgende 14: Verurtheilung durch Pilatus, Krem- 
aufnahme, erfter Fall Jeſu, Zuſammenkommen mit der Mutter, Darreihung des Schweiß⸗ 





Ciborinum Dreieinigkeittsfeſt 695 


tuche der Beronila, zweiter Fall, die weinenden Töchter Jeruſalems, dritter Fall, Ent⸗ 
kleidung, Kreuzigung, Tod am Kreuz, Kreuzabnahme, Grablegung; bie und da kommt 
als 15te Station die Kreuzauffindung durch Helena dazu. Verſchieden davon find die 
don erzbifhöfl. Ordin. von Wien vom 25. Febr. 1799 verordnneten Stationen (f. Hnogek 
Liturg. I, 570). Solche „Kreuzwege“ find häufig aud in den Kirchen fo angebradit, 
daß fie im der Nähe des Hochaltars auf der Epiftelfeite beginnen und auf ber entgegen- 
gelegten Evangelienſeite fließen. Die Franzislaner haben diefe fogenannte Kreuzweg» 
andacht in Aufnahme gebradt als Erfag für die Wallfahrten in's heil. Rand und ebenfo 
bolllommene Abläffe für die ihre Kirhen und Kreuzwege Beſuchenden von den Päbften 
Innocenz XI. u. XII, (Breve nobis von 1694), Benediktt XIII. (Inter plurima bon 
1726), Clemens XIL (Exponi nobis von 1731) zu gewinnen gewußt. Berühmt ift 
der fonft Mont Valerien genannte Calvarienberg bei Paris, auf melden fonft ſich die 
verfchiedenen Pfarreien von Paris während der Krenzwoche ſich zu begeben pflegten 
(f. Bo. U. ©. 510). Leyrer. 

Giborium , zur Berichtigung des betreffenden Artilels iſt hier zu bemerken, 
daß diefer Ausdrud gebraucht wird vom Schränfchen oder Behältuiß, worin conſakrirte 
Sakramentsſachen, Hoftien, Chryfam u. f. w. aufbewahrt werden; andere Ausdrücke 
dafür find: Tabernaculum, Canopeum, Umbraculum, Turris, Turrienla, Perifterium, 
Sacramentshäuslein. Die Ableitung von cibus ift entſchieden unrichtig. Nach Heſychius 
ift das Wort ägyptifchen Urfprunges. ©. d. Art. „Altar“ im (Suppl.) XIX.Bb. S.45. 

Clinici hießen in der alten fatholifchen Kirche die auf dem Strantenbett (xA/vr Eufe- 
bins VI, 43.) Getauften. CEyprian (ep. 76.) und Auguſtin de adult. conj. lib. I.) 
erflären eine foldhe Nothtaufe für gültig, ebenfo Cyrill von Alexandrien in Joa. II, 26. 
und andere Kirchenlehrer. Doc; wurde in der alten Zeit darüber verhandelt, ob eine 
folge Zaufe, wenn der Kranke ſich erholte, wiederholt werden müflee Wlan befchied 
fi dahin, eine nachträgliche Feiftung aller von den Zaufcandidaten geforderten Oblie- 
genheiten zu verlangen. Hingegen beanftandete man die Weihe eine® olinicus zum 
Presbyter. ©. Euseb. H. E. VI, 43, wobei der Umfland, daß es fi nm den Schie- 
matiler Novatian handelte, den Ausfchlag gegeben haben mag, So kam es, daß die 
Synode von Neo» Cäfarea vom Jahre 314 in ihrem 12ten Canon verbot, einem cli- 
nieus die Priefterwürde zu ertheilen, meil, wie die Synode ſich ausdrüdte, fein Olaube 
nicht aus freier Wahl, fondern aus Nothwendigkeit herrühre. — Mit der allgemeinen 
Einführung ber Kindertaufe fielen Streitfälle folcher Art weg. Doch wiederholen fpätere 
Kicchenorbnungen unter den 13 Punkten, welche die Wahl zum Bifchof unmöglid; mas 
chen, auch diefen, ne quis eligeretur Clinicus s. Grabbatarius. 

Collation, kirchenrechtlicher Ausdruck für die freie Verleihung (provisio) der 
niederen Pfründen durch den Biſchof. Ste ift nicht frei, collatio non libera, wenn der 
Biſchof an das Recht eines Patrone, ein beftimmtes Subjekt für das Amt zu bezeichnen 
oder zu präfentiren, gebunden iſt. 

Confiftortum, bifhödflidhes, f. Offizial. Bd. X. ©. 590. 

Definitoren geiftlicher Orden. Jeder Orden begriff im Mittelalter mehrere 
Congregationen, und jede Congregation war in mehrere Bezirke getheilt, welche Defini- 
tionen hießen und alfo eine gewiſſe Anzahl von Klöftern umfaßten; die Borfteher der 
Klöfter jeder Definition fanden unter der Aufficht von Bezirlöoberen, die Definito- 
ren hießen; diefe ftanden unter der Leitung der Provincialen oder Oberen ber Pro⸗ 
binz, diefe unter dem Orbenögeneral. Yet find die Definitoren meiften® nicht mehr 
vorhanden. 

Dreieinigkeitöfeft, festum 88. trinitatis. Der erſte, der bon einer, jedoch) 
noch nicht allgemeinen feier dieſes Feſtes redet, ift Durandus, rat. div. off. VI. 104. 
107. Nach Prosperi Lambertini de festis Dom. I, 12. hat erft Johann XXII. im 
Jahre 1334 die Feier dieſes Feſtes allgemein verordnet, und zwar für den Sonntag 

38 ® 





596 Eleale Fleetheirathen 


nah Pfingſten, als dogmatiſchen Schluß der vorausgegangenen hohen Felle. Die In- 
therifche Kirche hat bekanntlich diefes Feſt beibehalten, nicht fo die reformirten Kirchen. 

Eleale, Tar58 immer in Verbindung mit Hesbon (f. Bd. VI. ©. 21) genannt, 
früher dem Stamme Ruben gehörig, 4Mof. 32, 37., fpäter moabitifh, Jeſ. 15, 4. 
16, 9. Ser. 18, 34. Zu Eufebius und Hieronymus Zeiten wird fie noch als eine 
große Stadt (xwun ueyiorn, villa grandis) erwähnt, eine römifche Meile von Hesbon, 
f. Onomast. u. d. W. (S. 180. 181 ed. Larsow.). Die Lage des alten Eleale ent- 
deckte Seegen zuerft (f. Zach's Monatl. Eorrefp. Bd. X VIII. S. 432) in dem heutigen 
el: A, wol, eine halbe Stunde von Hasbaän, beide auf Hügeln gelegen. Nachher 
beſuchten Burdhardt (der die Entfernung zwiſchen Hesbon und Eleale auch nur auf eime 
halbe Stunde und nicht, wie Winer durd; einen Uebereilungsfehler meint, auf 64 St 
angibt, Reifen in Sur. II. ©. 623), Irbn und Mangles (Travels ©. 471), ent 
(Bibl. Repos. Oct. 1833. ©. 650) diefe Gegend. Robinſon (PBaläfl. II. ©. 522) 
hörte davon bei Jericho. Arnold. 

Famillares der Klöſter find das Geſinde und die Handwerker der Klbſter; fie 
wurden in den Verband derfelben aufgenommen und hatten demgemäß gewiſſe relintöfe 
Uebungen zu verrihten. Im Mittelaltee machten fi) mande durch ihren Uebermutb 
bei Mönchen und Laienbrüdern verhaßt; ſie beförderten auch in den Möndyen tie 
Liebe zur Bequemlichkeit, daher mehrere Päbfte einzelnen Klöftern, 3. B. Clugny, ſolche 
ferner au halten verboten. 

Familiaritas, dajjelbe, was commensalitium, Tifchgenoflenfchaft, ift einer der fano- 
nifhen Gründe, worauf die Sompetenz des Biſchofs beruht, einen Dann, der wicht zu feiner 
Didcefe gehört, zu ordiniren. Es wird zwar nicht ftreng gefordert, daß der Ordinend 
Haus- und Zifchnenojfe des Biſchofs geweſen fey, aber er muß doch aus dem bi- 
ſchöſlichen Zafelgute feinen Unterhalt bezogen und drei Jahre lang mit dem Biſchof in 
ſolchem Verkehr geitanden haben, daß diefer die Sitten des Drdinanden fennen zu lernen 
©elegenheit hatte. Auch muß der Bifchof dem ratione familiaritatis oder commensa- 
litii Ordinirten in Monatsfriſt ein Beneficium verleihen. — Siehe Weger und Welt 
8. v. commensalitium. 

Feuertaufe, darunter verftcht Ambroſins don Mailand in feiner Auslegung der 
119. Pſalms die Taufe, wovon der Täufer fpriht Matth. 3, 11. 12, und die am 
Ende der Zuge durch die Engel vollzogen werden wird, felbfi an den Apoſteln. Alle 
müflen durch das Feuer geprüft und gereinigt werden. WUmbrofins bezeichnet den Ge 
danfen durch die Stelle 1 Mof. 3, 24., in Wahrheit aber ift er aus Drigenes ge⸗ 
ſchöpft; ſ. Drigenes von Redepenning Bd. II. ©. 445. 

Fleetheirathen. Bon je ber finden fit) bei allen Bölfern gewiſſe Formen 
und Tseierlichfeiten, deren man ſich beim Abſchluße einer Ehe bediente, und welche dazu 
geeignet fchienen, den Wille der Nupturienten und ihrer Angehörigen zu conflatiren und 
die wirklich eingegangene Berbindung zur allgemeinen Kenntniß zu bringen. Die Kirde 
refpeftirte dieje form und nahm nur darauf bedadht, duß nicht aus materiellen rim» 
den ihr eine Ehe unjtatthaft ericheinen mußte, weshalb jle ihre Mitwirkung im jedem 
Falle für wünſchenswerth erflärte und endlich diefelbe auch fchlechthin forderte. Yänaere 
Zeit befchränfte man ſich daher auc darauf, die Contrahirung geheimer Chen (matri- 
monia occulta, clandestina) zu unterfagen d. h. folcher Ehen, welche nidht der Kirche 
und don diefer der Gemeinde angezeigt waren und ohne Ertheilung des kirchlichen Se 
gend zu Stande famen. Nichtig war eine clandeftine Ehe blos wegen Unterlafjun: 
der PBublicität aber keineswegs und die Folge war im Allgemeinen nichts meiter, als 
die Verhängung firchlicher Strafen. Selbft, nachdem das Lateranconcil vom Jahre 
1215 die dreimalige Proclamation befohlen hatte, führte doch die Verachtung diefer Bor 
fchrift eben fo wenig zur Nullität, wie die nicht ertheilte priefterliche Benediftion. Sei! 
ein Verlöhnif mit Ausdrücken des Präſens geſchloſſen (ego te accipio, ich heirathe di— 
oder für die Zulunjt (ego te accipiam u. f. w.) galt für unauflöglihe Che, wenn im 


sleetheirathen 597 


leßtern Falle Beimohnung hinzugefommen war. Es genüge die Verweiſung auf ben 
Art. Ehe Bd. 3. ©. 684. f. und die Anführung des Schlußes der Ermländiſchen Synode 
von 1495 (Hartzheim Concilia Germaniae Tom. 5. pag. 665) : Contrahentes 
matrimonia per verba de praesenti, vel futura, carnali copula subsecuta, non pos- 
sunt se invicem propria authoritate diecedere, licet per sacerdotem matrimonium 
non sit authoritatum vel solemni benedictione roboratum. Debent igitur rectores 
ecclesisrum, dum eis constiterit, per confessionem vel alios ipsos inducere et coer- 
cere, ut ad suas conjuges redeant —”. 

Die Ueberzengung, daß die bisher befolgten Grundfäge die geheimen Ehen und 
die daraus fließenden Nachtheile nicht verhindern konnten, beimog das XTridentinifche 
Concil zu einer neuen Borfchrift. Es beflimmte, daß zwar die früher gefchloffenen 
heimlichen Chen nicht für nichtig erflärt ſeyn follten, daß aber für die Zukunft jede Che 
null feyn folle, welche nit vor dem eigenen Pfarrer und zwei Zeugen eingegangen 
werden würde. (sess. XXIV. cap. 1. de reform. matrim.). Die ſchwierigen Verhält⸗ 
nifle jener Zeit und die Rüdfidht auf die Evangelifchen nöthigten aber, die ©eltung 
diefer Beftimmung davon abhängig zu machen, daß fie in jeder Parochie befonders publi- 
cirt mürde, fo daß alſo mo dieß nicht geſchah, das Bor» Zridentinifche Recht fortbe- 
fand. Demnach gab es noch fortwährend Gegenden, in welchen die geheimen Chen 
wirkfam gefchloffen werden konnten und dies war vornehmlich in mehreren Rändern der 
Fall, wo die evangelifche Kirche die Herrfchaft befaß, wenn nicht etwa von Seiten des 
Staats dem Uebel abgeholfen war. So war es namentlih in Schottland (f. den Art. 
Ehe Bd. 3. ©. 687), wo erft durch Statut 19 und 20 PBictoria c. 96. vom 29. Juli 
1856 eine indirekte Beſchränkung folcher fchottifhen Chen dadurch eingetreten iſt, daß 
Brautleute, welche fi dort verheirathen wollen, wenigſtens 21 Tage in dem Lande 
gelebt haben müſſen, fo daß menigftens in Fällen der Entführung leichter eine ſolche 
Ehe verhindert werden kann, ald dies bis dahin der Fall war (M. f. Friedberg das 
Hecht der Ehefchließung. Leipzig 1865 ©. 428 verb. ©. 425 f. 444 f. 

Eine andere Art von Winkel ehen find die fonenannten Fleetheirathen. 

Bis zur Reformation galt in England über die Form der Eheſchließung das oben 
bezeichnete gemeine Tanonifche Recht. Seit der Religionsänderung wurden Modificationen 
beabfidtigt, jedoch nicht ausgeführt. Selbft der 1540 ausgeſprochene Grundfag (St. 32 
Henr. VII. c. 38) der: for marriages to stand notwithstanding Precontracts : 
nach welchem sponsalia de praesenti sine copula einer fpäter gefchlofienen aber einge- 
fegneten und durch copula vollzgogenen Ehe nadhftehen follten, wurde 1548 wieder auf- 
gehoben (St. 2 und 3 Edward VI. c. 23). Es konnten daher Ehen in formlofer und 
bürgerlicher Art nach wie vor eingegangen werden. Weder Mangel des Uufgebots, noch 
des Conſenſes der Eltern oder dead Bormundes bildeten einen Grund zur Anunllirung 
einer einmal gefchloffenen Ehe, meshalb oft darüber bitter geflagt werden mußte, daß 
wider Willen der Angehörigen ihre Kinder entführt fi) im Geheimen verheiratheten. 
Um dem Uebel zu begegnen und zugleich im ©egenfage gegen die Kirche befchloß man eine 
neue Geſetzgebung, Abfchaffung der kirchlichen und Einführung der bürgerlihen Trauung 
durch die FFriedensrichter ald Givilftandsbeamte (Berordn. der Commonwealth vom 24. Aug. 
1653), und übertrug diefelbe auch auf Irland und Schottland. Ohne foͤrmlich diefes Gefeg 
aufzuheben fchaffte Karl II. gleich nad) feinem Regierungsantritt 1660 diefe Art der Ehe: 
fchließung wieder ab und flellte das frühere Hecht wieder her, wobei befonders im Intereſſe 
der Steuerechebung die forgfälfige Führung der Kirchenbücher umter Androhung harter 
Strafen angeordnet wurde. Die Möglichkeit der Eingehung geheimer Ehen war hierdurch 
aber nicht aufgehoben, beſonders da es viele Kirchen gab, mweldye auf Grund ber bon 
ihnen behaupteten Exemtion von den Bifchdfen ohne borangegangenes Aufgebot ununter- 
brodyen oopulirten. In ganz befonderem Umfange wurden ſolche geheime Ehen aber in 
London im Sprengel des Gefängnifies Fleet gefchloffen. Das Gefängniß war vor: 
nehmlich für nicht zahlende Schuldner beftimmt, deren es ftets in der großen Stadt 


598 Fleetheirathen 


eine bedeutende Menge gab. Obgleich von bedeutender Ausdehnung war daſſelbe doch 
nicht ausreichend, um die vielen Schuldgefangenen aufzunehmen und mon ſah ſich gend: 
tbigt, denjenigen, welche in dem Gebäude nicht mehr Plag fanden, in der Nähe inne, 
halb eines beftimmten Umkreiſes ihre Wohnung anzumweifen, damit fie jeder Zeit vor 
den Richter fiftirt werden konnten. Zu den Oefangenen gehörten auch ſtets nicht wenige 
Geiftlihe. Diefe aber mwünfchten während der Entfernung von ihren Pfarreien ihr Amt 
zum Mittel des Erwerbs benugen zu fünnen und dazu ſchien ſich vorzugsweiſe die 
Bollziehung von Ehen zu eignen. Ohne Rüdfiht auf die fonft erforderlichen Bedingen: 
gen, tie Alter der Brautleute, Ledigkeit, elterlicher Confens, Aufgebot n. ſ. w., bene 
dicirten fie die fi) an fie Wendenden ohne Bedenken. Hierbei trat bald ein formlicher 
Handel ein, indem fidh eine Concurrenz erhob, einzelne Perfonen auch formlich dımd 
Contrakt Geiſtliche der Art verpflichteten, gegen beftimmten Preis Geirathende ein 
fegnen und dann Öffentliche Aufforderungen erließen, daß man bei ihnen Ehen fhliehen 
möchte, durch ein Schild anı Haufe : Hier kann man heirathen, einladen und del 
Die Bemühung des Geſetzgebers, den Unfug abzuftellen und den vielen traurigen Job 
gen deflelben zu begegnen, wie Strafbeftimmungen gegen ſolche Geiftliche und gegen die 
Beamten des Fleet, blieb ohne Erfolg, und die verfchiedenen Geſetzentwürfe, melde feit 
1666 bereit8 proponirt wurden, um das Uebel in der Wurzel auszurotten, wurde nicht 
zu bindenden Vorfchriften erhoben, der Mißbrauch wuchs inzmifchen ins Ungehenere — fo 
hatte ein Geiftliher Namens John Gayeham, der fogenannte Höllentenfel, während feine 
Haft von 1709—1740 im Fleet 36000 Ehen eingefegnet —, daf man endlich tucd- 
greifen mußte. Das Oberhaus befahl am 31. Januar 1753 die Einbringuug einer: 
Bill for the better preventing of elandestine marriage : und beauftragte die zwäll 
Richter Englands eine folche zu entwerfen. Da bie Vorlage aber fehr unbefriedigend 
tar, unterzog ſich der Lord Kanzler Hardiwide felbft diefer Arbeit. Nach lebhaften Dr 
batten, welche mehrfache Uenderungen veranlaßten, ging die Bill durch beide Häufe 
des Parlaments und wurde am 6. Juni 1753 bindende Norm, welche vom 25. Min 
des folgenden Jahres an in Kraft treten ſollte. Dieſe Hartwicke's Alt fette Folgen⸗ 
des feſt: 

Der Ehefchließung müſſen drei Aufgebote in einer Kirche der Parodie des Bohr 
ort8 der Verlobten vorhergehen und wenn fle in verfchiedenen Kirchſpielen tmohnen, in 
beiden. In derfelben Kirche muß auch die Einfegnung in dem kanoniſchen Stunde 
erfolgen. Sieben Tage vorher müfjen dem Geiftlichen fchriftlih Namen, Wohnort ua 
Zeit des Aufenthalts der Brautleute angezeigt werden. Wenn ein Geiftlicher nad er⸗ 
folgten Aufgebot Perfonen unter 21 Yahren copulirt, ift er nur dann flrafbar, team 
ihm dee Widerfpruch der Eltern oder des Vormundes befannt wird. Perſonen, Mr 
ohne Aufgebot getraut werden, follen auf 14 Jahr beportirt werden, die Ehe ſelbſt f 
nichtig. Eben fo ift die Ehe null, wenn Perfonen über 21 Yahre nicht den Eonjen 
der Eltern, beziehentlich des Vormundes haben. Die Trauung muß vor zwei Zengen 
gefchehen, in’8 Kirchenbuch eingetragen und von allen VBetheiligten unterfchrieben werden, 
Fälfhung und Vernichtung des Kirchenbuch® wird mit dem Tode beftraft, das Oder 
gilt nur für England und Wales, aber nicht für die Lönigliche Familie, für Juden 
und Quäfer, welche unter einander heirathen. | 

Biele Stimmen wurden gegen das Geſetz bald laut und machten auf verfätedem 
Mifftände deffelben aufmerffam, welche nach und nach durch befondere Statuten bee 
wurden. Beſonders kam es darauf an, daß nicht nur in den Kirchen getraut mut 
wo es fchon vor 1754 geftattet war, fo wie Schwierigfeiten, welche ſich bei der Rod: 
weifung des Conſenſes u. f. w. ergaben, aufzuheben. Es gefchah dies, nachdem md) 
rere Erlaſſe vorgegangen waren, duch St. 4. Georgs IV. o. 76 vom 18. Yali 1833. 
und durch fpätere Verordnungen, welche, nachdem auch die übrigen heile des Brit 
ſchen Neiches die erforderliche Berückſichtigung gefunden hatten, in dev Gewährung M 
acultativen Civilehe, ihren Abfchluß fanden. (St. 4. 5. 6. 7. Williem IV. ap. '6. 
85. 86. vom 14. Auguft 1834 und 17. Auguſt 1836.) 





Gögenbienft 599 


Die fpeciellen Detaild der über diefen ganzen Gegenftand gepflogenen Berhandlun- 
gen finden ſich in dem vorhin angeführten Werke von Friedberg S. 309 f., über 
die Wleet- Ehen ©. 335. f. Damit verb. Oppenheim die Berhandlumgen des Engli- 
(hen Parlaments über Einführung der Civilehe, in Dove's Zeitfchrift fin Kirchenrecht 
Bd. I. Berlin 1861 ©. 8. f. Stälin die Form der Eheſchließung nach dem neueren 
Sejegebungen. mr. V. 8. 38, in Dovde's Zeitfchrift Bd. V. (1865) ©. 438 f. 

9. F. Jatobſon. 

Gõotzendieuſt iſt im Verhältniß zu dem abſtrakteren und mehr negativen, den Ab⸗ 
fall vom wahren Gott und feiner Verehrung im Allgemeinen bezeichnenden Begriff der 
Abgbtterei der ſpeciellere, pofitive und concrete Begriff, eine ſpecifiſche Form und 
Stufe der Abgdtterei, etymologiſch gleichbedeutend mit Bilderdienſt, da „Götze“ 
nicht als Derivatum von „Gott“, f. v. a. Aftergott, falfcher, nichtiger Gott, fondern ale 
Derivotum von dem mittelhochdeutfch. giezen das gegoffene Bild bedeutet. S. Bar- 
laam 320, 40: din got ist, swie du machest in, ein göz. So noch bei Luther 
5Mof. 12, 3: die Gotzen jrer Götter. Nach gemwöhnlichem, andy biblifhen Sprad)- 
gebraud) verfteht man jedoch unter „Gdge“ überhaupt jede Gottheit neben dem wahren, 
lebendigen Gott, allerdings meift mit dem Nebenbegriff bildlicher Darftellung derfelben, 
and Goötzendienſt iſt demnad Alles, was zum Cult einer foldhen Gottheit gehört. 
Da in dem Artikel „Abgdtterei (Bd. I. ©. 58f.) das Vorkommen des Gbtzendienſtes 
bei den Hebräern nur kurz berührt, unter „Bilderdienft« hauptfächhlicd nur der Jehova⸗ 
bifderdienft berüdfihtigt und unter „Boll Gottes“ das Betreffende mr beiläufig er- 
wähnt ift, fo möchte eine überfihtlihe Zufammenftellung der Epochen und 
Tormen des immer wieder im Volke Ifrael einreißenden und den patriarchalifchen und 
mofaifchen Monotheismus gefährdenden Odtzendienſtes nicht Überfläffig fegn und zugleich 
Uebergangenes ergänzen. 

Schon die Verbindung mit ihren Stammperwandten, den Therachiten in Haran 
(of. 24, 2. 1Mof. 31, 19. 30 ff. 35, 2.4), welche dem Dienfte der Theraphim 
(ſ. ®. XVL ©. 31 ff., Familienfhusgdtter, Hausorakel und Spender häuslichen 
Städs, vielleiht urſprünglich Uhnenbilder, |. Meier, Wurzelm. S.382) ergeben waren, 
bradte da8 religidfe Familienleben der Erzväter in Gefahr des Berfallens iu Aber» 
glauben, der Trübung reinerer Gotteserkenntniß durch diefe Form aramätfdı- haldäifcher 
(Seh. 21, 21), mit Mantik und Magie verbundener Idololatrie. Weiterhin blieb 
auch der Aufenthalt in Aegypten, mochte er auch wegen der Abgefchlofienheit äghptiſchen 
Lebens dem Volle verhältnigmäßig weniger Gefahr bringen, al8 das Wohnen unter den 
homogeneren aramäifchen oder Tanaanitifhen Stämmen, doch nicht ohne nachtheilige 
Einwirkung. Es handelt fi Hier nicht nur von einer unverfänglidyen Uebertragung 
von Formen und Symbolen ägyptifcher Eulte auf den Jehovadienſt (f. Kurz, Geſch. d. 
A. Bundes II, 39 f.), fondern neben dem aus ihrer Heimath mitgebrachten Theraphim- 
dienft, der, tie das Vorkommen deffelben zu verjchiedenen Zeiten e8 mahrfcheinlich macht, 
bis auf Ioflas (2 Kön. 23, 24) nie gänzlich aus dem Volle verſchwunden iſt, ja noch 
von dem nachexiliſchen Sacharja (10, 2) geftraft wird, und von welchem der je und je 
auftauchende Eult der ehernen Schlange eine Abart gemefen zu ſeyn fcheint (2 Kdn. 
18, 4), tft das Bolt nad) den Joſ. 24, 14. Ezech. 20,7 ff. u. 23, 3. 8. 19. 21. 27. 
gegebenen Andeutungen fchon in Aegypten nicht frei geblieben von dem bier in mannid)- 
faltigſter Weife einheimifchen Thierdienft, namentlich don einigen Formen defjelben, 
dem Dienfte der typhonifhen Wüftendämonen, by (3Mof. 17,17. wohl gleich⸗ 
bedeutend mit den DıTW*) 5Mof. 32, 17. Bf. 106, 37., Luth. Veldteufel), die man 
durch Opfer zu verfühnen fuchte, ferner dem Dienfte des in einem Bock **) verehrten, 
dem griechifchen Ban entfprechenden Mendes, der mit gräulicher Unzucht verbunden 

®) Im Syriſchen und Chaldäiſchen bedeutet dieſes Wort „ſchädliche Dämonen“. 


*®) Auch ber von dem ſamaritan. Miſchvolk verehrte hamathitiſche Gotze Aſtma ſoll nach den 
Mabbinen das Bild eines Tablen Bockes geweſen ſeyn. 


600 Gösendienft 


war (Her. II, 42. 46. 145. Strabo 17, 802. 813. Diod. Sic. 1, 18. Joseph.c.Ap. 
II, 7.) — endlid) dem Apis- oder Mnevisdienft, was aus der Geſchichte vom gol⸗ 
denen Kalb oder Stier ſich fchließen läßt (f. Bo. VIL ©. 215 f. Hengſtenb. Beitr. 
II, 155 ff.). Bier kündigt fich, fofern man unter diefem fihtbaren Bilde den unfiht- 
baren Iehova und nicht da8 don den Aegyptern vergötterte Symbol der zeugenden Natur- 
kraft verehren zu wollen ſich einredete („Morgen ift das Feſt Jehova's!“ läßt Aaron 
außrufen 2 Mof. 32, 5.) — zuerft jene für die fernere Gefchichte des Bdhendienfles 
bet den Iſraeliten Tarakteriftifhe und noch in der Öräcomanie der Mallabäerzeit, zulett 
in edlerer Geftalt im alerandrinifchen Judenthum und Philoniomus (f.d. Artı.) 
erfcheinende Religionsmengerei an (vgl. Bd. XVIL ©. 248). Der Eingang, 
den gerade jene beiden {Formen ägyptiſchen Thierdienftes im ifraelitifchen Volksleben 
gefunden haben, mag theils daraus ſich erllären, daß in der Gegend, wo Ifrael unter 
den Aegyptern wohnte, diefe Eulte die vorherrfchenden waren, theils daR fie im täglichen 
Leben eines vorzugsmeife Viehzucht treibenden, aber im Uebergang zum Aderbau begrif⸗ 
fenen Volkes manche Antnüpfungspunfte fanden. Auf den Mendesdienſt deutet nament- 
(ih aucd, das Berbot des Yiegens beim Vieh 3 Mof. 18, 23. 20, 15. 2 Moſ. 22, 19. 
vgl. Herod. II, 46. Dagegen ift aus den Verboten des Molochdienſtes 3 Mof. 18, 21. 
20, 2. noch nicht zu ſchließen, daß derfelbe auch fchon in Aegypten vorgelommen fen. 
Während des Zugs durch die Wüfte war diefes Verbot ſchon hinlänglidy motivirt durch 
die bald eintretenden Berührungen mit Böllern, bei welden der Molochsdienft herr- 
fchend mar, namentlih den Kanaanitern und Ammponitern. Daß die Stellen Yur 5, 26. 
Apgeſch. 7, 42. nicht nothwendig auf einen in der Wüfte oder fchon in Aegypten in's 
Volk eingedrungenen Moloch- oder Saturndienft zu deuten find, oder gar auf den 
Molochsdienſt als die urfprüngliche Geſtalt der ifraelitifchen Religion, wie Batle u. U 
darüber ſ. Bd. IX. ©. 719. Bd. XII ©. 736 ff. Düfterdiel, theol. Stud. 1849. 
©. 908 ff. und Keil zu Am. 5, 26., der an den ägypt. Sonnencult denkt, den bie 
Sfraeliten in der Wüfte getrieben haben, worauf aud die Warnung 5Mof. 4, 19. 
deute, für welche Moſes in der Gegenwart hinreichende Beranlafiung gehabt haben 
müffe. Vgl. Kurz, Geſch. des U. B. IL, 410 ff. Jedenfalls werden wir nicht irren, 
wenn wir annehmen, daß auch nad) dem mwarnenden Vorgang mit dem goldenen Kalb 
mährend der 40 Jahre in der Wüfte wenn auch nicht ein fürmlicher, allgemeiner und 
öffentlicher Götzencult doch mancher mit den vorderaftatifchen und ägyptifchen Culten 
verbundene Aberglauben und Gräuel unter dem Bolt im Schwange ging „al® Grund⸗ 
fünde und geheime Urſache alles anderen Ungehorfams“ (Gerlach zu Hef. 20, 16.). — 
Dus erfte Vorkommen einer allgemeinen, Öffentlichen gößendienerifhen eier begeguet 
und erſt gegen das Ende der bierziger Jahre, das mit Unzucht verbundene Feſt, das die 
Moabiter und Midianiter dem Baal Peor feierten und zu welchem fie nach Bileam’s 
Rath die Ifraeliten einluden (4 Mof. 25, 1 ff. 31, 16). Diefer Baal Peor, der in 
der Stadt Beth Peor (5 Mof. 3, 29. 4, 46. 4 Moſ. 23, 29) verehrt murde, var 
eine Modififation des fanaan. Baal, dem zu Ehren ſich Yungfrauen und Frauen preie- 
gaben, eine Art Priapus- oder Phallusdienft. Schon die Etymologie von "198 (Mrz, 
ps aperuit) deutet Solches an. Hier: adv. Jov. 1, 12. Hos. 4, 14.: oolentibus 
maxime feminis Baal Phegor ob obscoeni magnitudinem, quem nos Priapum pos- 
sumus appellare. ®ergl. Selden, de diis Syr. p. 157. Die anarchiſchen Inter⸗ 
regna der Richterperiode (Richt. 17, 6. 21, 25) vom Tod Joſua's an bis zur Zeit 
Samuel’8 (Bd. XII. ©. 23 ff.) waren wegen des Untereinanderwohnens bon Kanaani. 
tern und Iſraeliten (Richt. 3, 5 ff.) und des Mangels an politifcher Einheit, melde 
das auch nicht immer auf würdige Weife verwaltete (1 Sam. 2, 12 ff.) gemeinfame 
Nationalheiligthum nicht zu erfegen vermochte, dem Eindringen Tanaanitifher Culte be. 
fonders günſtig. Es werden hier namentlih genannt Nicht. 2, 11. 3, 7. eras27, 
die berfchtedenen Modififationen des Baalcultus (Bd. I, 637 ff.), die weſentlich jedod 
eine und biefelbe Gottheit darftellen, daher Vs. 13.: 5ya, und in Verbindung damit 


Bötendienft 601 


nnB3r, Bezeichnung verſchiedener Modifitationen der langanitiſchen Hauptgottheit, der 
Mondgöttin, über melde, fowie über ihr Verhältniß zu den nimm vergl. Bd. J. 
©. 565 f. Daneben erſcheint wieder die bereits erwähnte Weligionsmengerei in dem 
Ephoddienft Gideon's und Micha’s, auch in der Verehrung des Baal Berith zu Si⸗ 
chem, dem die Ifraeliten nad; Gideon's Tod nachhurten (Richt. 8, 27. 33. 9, 27. 
17, 1 ff.), wo der Jehovacult auf gögendienerifche Weife nachgebildet wurde. Es fand 
hier gauz daffelbe flatt, was nach dem Unterganne des Zehnſtämmereichs bei dem Miſch⸗ 
vol der zurädgebliebenen Yifraeliten und der aflyrifch-babylonifhen Koloniſten (2 Kön. 
17, 26 ff.) — eine gegenfeitige Anerlennung der verfchiedenen Gottheiten und Culte, 
jo daß die Hiraeliten neben Jehova al® ihrem Stammesgott auch die Götter der ihnen 
benahbarten Stämme (vgl. Richt. 10, 6., was ohne Zweifel nicht fo zu verftehen ifl, daß 
alle Iſraeliten die hier genannten Gdgendienfte getrieben hätten, fondern nur je die 
Graͤnznachbarn, 3. B. die Philiftäa benachbarten Stämme den Dagonsdienft) verehren 
zu fönnen und fich günftig macen zu müflen wähnten, bald fo, daß fie Jehova in 
heidniſcher Weife, bald fo, daß fie heidnifhe Gottheiten mit den Formen des Jehova⸗ 
cultus verehrten. Bol. Keil zu Richt. 2, 11 ff. S. 202. Ef Samuel gelang «8, 
amd zwar auch nicht im Anſange feiner Richterzeit, die gößendienerifchen Eulte aus⸗ 
zurotten, nachdem zuvor durch feine Wirkſamkeit eine innere Umkehr des Bolles zum 
Herrn feinen Gott ſich angebahnt hatte (1 Sam. 7, 1 ff.). Die erftien Zeiten des 
Königthbums, über ein Jahrhundert lang, zeigen un® die ungetheilte Herrſchaft rei- 
neren Jehovadienſtes (hinſichtlich Saul's vgl. 1 Sam. 28, 9). Aber an dem höchflen 
Gipfel des äußeren Glanzes deffelben fchließt fi fofort aud) wieder das Eindringen 
des Götzendienſtes an, zwar nicht fogleich in's Volksleben, fondern zuerft nur als tole⸗ 
rirte Pridvatreligion der ausländifchen Weiber Salomo’8 und ihres Gefolges, woraus 
allmählich eine Begünftigung (Bauen von Altären 1 Fön. 11, 7f.) folcher der Sinnlich⸗ 
keit und den Gelüſten fchmeichelnder Culte wurde; und nachdem ber pradtliebende Sa 
lomo felbft, ohne äußerlic; dem Jehovacult etwas zum vergeben (1 Kon. 9,25), feinen Wei⸗ 
bern zu Gefallen je und je demfelben angemohnt, vielleicht felbft mitgewirkt und ein folcher 
verfhwommener Religionfgnkretismus duch ihn, je mehr fich bei ihm die Altersfchmäche 
fühlbar machte, am Hofe herrſchend geworden war, fo mußte diefer fchlimme Borgang 
wie anf Viele aus dem Volke, fo befonders auf feine nädften Nachfolger auf dem 
Thron den verderblichften Einfluß ausüben. Ueber die pfychologifche Dentbarfeit diefes 
Abfallo Salomo’8 zum Gdgendienft vgl. Keil zu 1 Rön.11. Es wird hier fein ägypti- 
ſcher Gotzendienſt, fondern neben der ftdonifchen Afthoreth namentlich nur der ammoni⸗ 
tifche Milcom und Moloch und der moabitifche Chamos genannt (f. die Artt. „Chamos“, 
„Moloch“). Aber nad BE. 8. fcheinen auch noch andere Gottheiten an Salomo's 
Hofe verehrt worden zu feyn, etwa hethitifche und edomitifhe (VBs. 1.), wenn je diefe 
Bölfer (vgl. 2 Chron. 25, 20.) andere Gottheiten verehrten, als die bereits genannten. 
Als vornehmfter Eultalt wird bier, vor den Schladtopfern, das Räuchern genannt, 
weil es bei den vorderaflatifchen Naturculten, namentlich dem Geftiendienft, neben Speis- 
und Tranlopfern (Ier. 7, 18. Gef. 65, 11.) der vorherrſchende gottesdienſtliche Alt 
war (2Kön. 21, 7. 23, 5. Jer. 1, 16. 7, 9. 11, 12 f. 18, 15. 32, 29.f. ®d. XII. 
S. 505), — Mit Jer obe am beginnt im Zehnflämmereid nidt nur ein ſyn⸗ 
kretiftifcher *) Iehovabilderdienft, eine Repriftination des Stiercults am Sinai (1 Kön. 
12, 26 ff.), fondern nad 2 Chron. 11, 15. kam dur ihn auch der Dienſt der 


=) Die ſynkretiſtiſche Uebertragung der Formen des Jehovacult auf bie Stierbilder wird 
2 Kön. 17, 9. mit den Worten bezeichnet: fie deckten Worte, die nicht richtig waren, über Jehova, 
ihren Gott; entweder: fie fuchten durch willkürliche Verdrehungen ber göttlihen Worte das wahre 
Weſen Jehova's zu verbüllen (fo Keil zu d. St. und Hengftenberg, Beitr. II, 176), oder: fle ent⸗ 
fchuldigten 5. B. den Stierdienfi burch die Leberlieferung von Aaron ber, durch bie SHeiligfeit 
Bethel's, die Nothwendigleit eines bejonberen Heiligthums im Norden, Roth der Zeit, bie eine 
Befreundung mit benachbarten Völkern erfordere u. f. w. 


602 Götzendienſt 


BYNND wieder in Iſrael auf. Hier aber gilt dee Gdtzendienſt im den genaunten For⸗ 
men nicht, wie im Reiche Yuda zu allen Zeiten, als religio illicite, fondern al® bie 
officiel eingeführte Volks- und Staatsreligion. Deßmegen heißt es auch nicht von 
Salomo, fondern nur von Serobeam: Norm 1Rön. 15, 26 u. d. Mochte auch diefe 
förmliche Einführung des Gdtendienftes anfangs bei einem Theile des Volls noch ent. 
fhiedenem Widerftande begegnen und Auswanderungen in's Reich Juda veranlafien 
(2 Chron. 11, 16) — fo verwuchs doch allmählich der Jehopaſtiercult mwenigfiens fo 
fehr mit dem Volksleben, daß andy Jehu zwar mit der Dynaftie Ahab’8 den unter der- 
felben herrfchenden phönizifchen Baalsdienſt wieder ansrottete, aber nicht den Kälber 
dienſt in Dan und Bethel (2 ſtön. 10, 29. 31. 13, 6. 11. 14, 24. 15,9. 18.24.28. 
ſ. Bd. VI ©. 465. 496), der auch unter feinen Nachfolgern fortdauerte. Doch anch 
an Spuren des Baals- und Aftartedienftes im Reich Sfrael fehlt es nicht nach Jehn, 
2 Köon. 13, 6. Hof. 2, 13. 15. Die zufammenfaffende Schilderung der im Zehn 
ſtaͤmmereich berrfchenden Arten des Gögendienftes ſ. 2 Kön. 17, 7—17., wo aud die 
mit den abgöttifchen Eulten verbundene Wahrfagerei und Zauberei (f. diefe Axtt.) 
erwähnt wird. | 

Im Reiche Juda dagegen wurde zu feiner Zeit der Gdgendienft zur officiell 
eingeführten Stantöreligion, nicht allein wegen der vielen hier wohnenden Prieſter und 
des in feiner Mitte befindlichen wahren Heiligthums, das body von einigen Königen, 
wie Ahas, Manafie, audy dem Gdgendienft eingeräumt wurde, fondern au, weil fo- 
wohl das Bolt als das Königshaus, auf welchem der Segen und die Berheißung Gottes 
borzugsweife ruhte, durch die Propheten immer wieder auf's Neue zum Glauben zurüd- 
geführt wurde (Bd. XII, 223. XVII, 267 f.). Auf das vorübergehende Eindringen 
des Gbtzendienſtes folgt immer eine mehr oder weniger energifch und bdurchgreifend 
durchgeführte Reaktion und Reformation. So folgt auf die Zeit Rehabeam's und 
Abiam’s, in welcher in ähnlicher Weife wie in Salomo’s letzter Zeit, der Gdgendieuft 
neben dem Jehovadienſt herging (1 Rn. 15, 15), doch fo, daß jener fhon tiefer in's 
Bolfsleben eingedrungen zu ſeyn fcheint („die Hurer im Lande 1Koön. 15, 12), die 
Reformation Affa’s, der am eigenen Haufe anfing, indem er feine Großmutter 
Maacha ihrer einflußreichen Stellung als Königin » Mutter entfegte, weil fie eine Afchero- 
fänle (nxben, Gräuelbild) ſich gemacht hatte, die er fofort umbauen umd im Kidron 
verbrennen ließ. Unter feiner Aljährigen und feines Sohnes Joſaphat Z5jährigen Re: 
gierung (f. Bd. VII. ©. 15) verfchwindet der Gögendienft gänzlich aus dem Heide 
Juda (1 Kön. 22, 47. 2 Chron. 17, 3. 6). Nachdem hierauf die VBerfchmägerung 
feines Sohnes Ioram mit dem Haufe Ahab's felbft die Thore Jeruſalem's dem Baal. 
dienft geöffnet hatte (Bnalstempel 2 Kön. 11, 18), und als die Tyrannei der Athalja, 
der Wittive Joram's, den Jehovadienſt mit gänzlicher Ausrottung bedrohte (2 Ehron. 
24, 7), ging von der Priefterfchaft, den Jojada an der Spige, eine Reoltion ans, 
deren Frucht eine feierliche Erneuerung des Bundes zioifchen dem Voll und Ychova umb 
die gründliche Ausrottung des Baalsdienftes war (2Kön. 11, 17 f.). Der Abfall des 
ſchwachen Joas, nach Jojada's, feines Bormünders und Berathers, Tode zum Aſtarte⸗ 
dienft gefchah durch den Einfluß der weltlichen Großen, die gegen die Priefterfchaft 
agitirten und den König fogar zur Ermordung des Sadjarja, des Sohnes Jojada's, ber 
wider den einreißenden Götendienft eiferte, verleiteten (2 Chron. 24, 17 ff.). Unter 
Amazja’s 29jähriger und Ufle’s 52jähriger, Jotham's 16jähriger Regierung, alfo fufl 
während eines Jahrhunderts, erfcheint zwar der Gdgendienft, weil von den Regenten 
berpönt, ganz ausgerottet unter dem Volke, aber Stellen wie Am. 5, 5. 8, 14. Rica 
1,3. deuten doch darauf hin, daß wenigſtens der Jehovaſtierdienſt an einigen Ortem des 
Reiches, wie Berfaba, Lachis, ſich eingeniftet hatte (vgl. Bd. XVIL ©. 270). Die 
Briefter diefes Cults ſowie des widergefeglichen Höhencults hießen u22 nad) Hof. 10,5. 
vgl. Zeph. 1, 4. 2Rön. 23, 5. Der Name "nb ift ſyriſch, ungewifler Bedentung 
nach Geſenius thes. 693 die Schwarzen, Fürft |. v. a. die eine geheime Kunſt treiben, 


Gösendienft 003 


E. Meier, Dietr, Keil = Opferer von “n>, vollbringen, wie dodor. Erſt unter 
Ahas, dem Sohne Yotham’s, kam zu biefem Vilderdienft and) wieder der Baal⸗ ımd 
Molochdienſt (2 Kön. 16, 3 f. 2 Chron. 28, 2 f.) auf, und nad) 2 Rn. 23, 12. auch 
der chaldäifch -affyrifche Geſtirndienſt. Er ließ zuerſt dem Moloch feinen eigenen Sohn 
ſchlachten und verbrennen im Thal Hinnom, ja er hob fogar gegen Ende feiner Regie- 
rung den ordentlichen Tempeldienſt auf nnd fchloß die Thüren des Tempels (f. Keil 
zu 2 Rdn. 16, 8). Zauberei und Wahrfagerei gingen damit Hand in Hand Jeſ. 2, 
6. 18 ff. 8, 19. Die Anfänge von ſolchem heidnifchen Unmefen find freilich ſchon in 
der änßerlid, glanzvollen Zeit Ufia's und Jotham's zu ſuchen. Ueber den Cult ber 
ehernen Schlange f. Bd. XIII. ©. 565. Auf die ürzere aber umfaffende Reſtau⸗ 
rationsperiode des Hisfias (Bo. VL ©. 151 ff.) folgt die lange Regierungs⸗ 
zeit Manaffe’s, in welcher zu all den früheren Formen des Gdgendienftes noch als 
die Hauptart der jet herrfchenden Abgdtterei der fchon von Ahas begonnene Geſtirn⸗ 
dienft kam. „Diefer Cultus umterfchied fi) don dem furophönizifchen Geſtirncultus, in 
welchem Sonne und Mond als Zräger der männlichen umd weiblichen Naturkraft im 
Baal und Aftarte verehrt wurden und war reiner Geſtirndienſt, aus der Anſicht von 
der Unmandelbarfeit der Geſtirne im Gegenſatz zur Bergänglichkeit alles Irdiſchen ge- 
floffen. Die Geſtirne wurden nicht bloß als Urheber alles Werdens und VBergehens, 
fondern zugleich als Leiter und Ordner der fublunarifhen Dinge verehrt. Es war eine 
fpätere Entwidelung des uralten Sfabismus, in welchem die Geſtirne ohne Bild unter 
freiem Himmel und auf Dächern durch Eontemplation verehrt wurden, die ältefle und 
verhältmigmäßig veinfte Form der Natumvergötternng, welcher die alten Araber und bie 
Sonnenandbeter ımter den Sfabiern ergeben waren und die ſchon 5Mof. 4, 19. 17,3. 
erwähnt und verboten iſt.“ Keil zu 2Kön. 21. Bol. Bd. XIX. ©.559. Jeruſalem, 
ja der Tempel felbft wurde mun ein Pantheon. Altäre wurden für den Geftirndienfi 
(neben Sonne und Mond befonder® die Zeichen des Thierfreifes) in deſſen Borhöfen 
errichtet, auf welchen mit gegen Sonnenaufgang gefehrtem Geſicht Räucheropfer gebracht 
wurden, eine Aicheraftatue im Heiligen felbft aufgeftellt, im Vorhof ferner nad 2 Kön. 
23, 7. Zelttempeldhen für die männlichen und weiblichen Tempelhuren (oöpT ın2); 
in einem Anbau der Weftfeite des äußeren Tempelvorhofs wurden der Sonne geheiligte 
Wagen und Roffe gehalten (2 Fön. 23, 11), um damit in Proceffion der aufgehenden 
Sonne entgegenzufahren, Sterndeuter, Todtenbeſchwörer u. f. w. wurden angeftellt, die 
Berehrer Jehova's aber verfolgt und getödtet 2 Fön. 21, 16. Wenn auch Manafie 
nah 2 Chr. 33, 11 ff. nach der Rückkehr aus Babel Tempel und Stadt wieder rei- 
nigen und den Jehovadienſt wieder herftellen ließ, fo fcheint doch die Einwirkung dieſer 
Neformation auf's Volt keine tiefere gewefen zu feyn, umfo weniger, als fein Sohn 
Amon bald darauf den Odtzendienſt wieder in umfaflender Weife herſtellte. Auch die 
fetste äußerlich mwenigftens durchgreifende und nad, Auffindung des Geſetzbuchs nod 
energifcher durchgeführte Reformation des Yofias (Bd. VII. ©. 33 ff.) konnte 
die in's Volksleben eingedrungenen und duch alle Stände, felbft den Lehrer- und 
Briefterftand (Jeph. 2, 2. Ser. 2, 26. 8, 8 f.) fi ausbreitenden Wurzeln und An⸗ 
Inüipfungspunfte der Wbgötterei, die fittliche Erfchlaffung, den fleifchlihen und irdiſchen 
Sim, den Mangel an lebendigem Vertrauen auf Jehova, das falfche Vertrauen auf 
menfchliche und weltliche Macht nnd Hülfe, die eitle Sucht, Ausländifches nachzuahmen 
u. f. w. nicht ans den Herzen tilgen. Die Geſchichte der Nachfolger Joſiae erwähnt 
zwar den Odtzendienſt nicht mehr ausdrücklich, er wucherte aber ohne Zweifel in diefen 
legten Zeiten nad; 2 Chr. 36, 8. Czech. Kap. 8. in jeglicher Form und unter allen 
Ständen und wurde nicht nur insgeheim, fondern wieder frech Öffentlich im Tempel 
felbft getrieben. Bol. den Art. „Thammuz“. 

Dos babylonifhe Exil wurde, wem auch nit für Alle (Ezech. 14, 3 ff. 
33, 31. Jer. 44, 8. 17 ff. vergl. Ief. 65, 3 ff.) doc für den Kern und Grundflod 
des Volks das Zucht⸗ und Länterungsmittel, wodurch demfelben ein tiefer Abfchen vor 


604 Gottmenſch Kettler 


allem Bilder- und Obtzendienſt eingeimpft und der Hang zu gröberer Abgotterei we⸗ 
nigſtens nachhaltig getilgt wurde. Vgl. Baruch 6. Weish. 13. 14. (f. Bd. I, 651). 
Dem nachexiliſchen Judenthum mar Gögendienft identiſch mit Teufeld-» und Dämonen 
dienft (Bar. 4, 7. und LXX. zu 5Mof. 32, 7. Pf. 96, 5. 106, 37. Jeſ. 65, 11), 
eine Anfchauung, die wir bei Paulus wiederfinden (1 For. 8, 5. 10, 20. vgl. Offenb ˖ 
9, 20), und die ihre tiefere Wahrheit darin hat, daß nicht nur überhaupt aller Obdtzen⸗ 
dienft als Abfall vom mahren, lebendigen Sott in legter Inflanz auf den Teufel zurüd- 
zuführen ift, fondern daß, wenn aud die einzelnen Oötzen als folche keine wirklichen 
Weſen find, noch, wie mande Kirchenväter annehmen, identifch mit böfen Geiſtern, die 
felben doch dämonifchen und diabolifchen Potenzen, unreinen Geiſtern entfprechen und 
ihr Dienft in Rapport mit dem Reiche der Finſterniß brachte. Vergl. Kurz, Geſchichte 
des U. 2. II, 86 ff. Crusius, hypomn. I, 129 sqq. — Merfwürdig ift, daß bie 
legte nacherilifhe Spur vom Götendienft (Sad). 10, 2.) bei den Ifraeliten mit dem⸗ 
jelben Namen bezeichnet wird, wie die zuerft bei ihnen vorfommende Form, nämlich die 
Theraphim. Sind doch die Meberrefte des Gögendienftes bei chriftionifirten Heiden- 
bölfern, die media der Zauberei und Wahrfagerei überall auch etwas den Theraphim 
Achnliches. Nicht nur im den wahrfagenden und zanberkräftigen Klögen, Pfählen, Puppen 
des Fetiſchismus und Schamanismus wiederholt ſich freilich in roheſter Geſtalt jem 
altaramätfch - haldäifche Form idolatrifher Magie und Mantik, nit nur find die Gläd 
fpendenden, Unglüd abmehrenden (Hoi owrngss, akzkixuxoı, dnonounaidı, GTLOTEO- 
naioı, averrunci) und weillagenden chthonifchen Gottheiten, fhügenden Puppen bei den 
Griechen (Nägelsb. nahhom. Theol. S.110ff.) und die lares und penates der Römer, 
auch al® dii vieles, compitales, was nady Richt. 18, 5. Ezech. 21, 21. auch die 
Theraphim find, ſowie namentlich die germanifchen Alrunen nahe Verwandte der bibli- 
ſchen XTheraphim, fondern wir finden die Defcendenten berfelben auch noch in chriſt⸗ 
licher Zeit, in den fünfretiftifchen Neligionsmweifen der noftiter, Neuplatoniler, Neu 
pythagoräer, den Abrarasbildern, in Jamblichs uyaauaru Felus uerovolug avdalıa, 
ngogeyyiocıg, appropinquationes daemonum, Bildern, in die Geiſter gebannt find, bem 
Ring des Apoll. v. Tyana, in den der Familiengeiſt gebannt ift, und felbft innerhalb 
der Chriftenheit in den wunderthätigen Heiligenbildern, Röden, Gebeinen, den orafelnten 
Tiſchen, den ſchutz- und heilöfräftigen DMeetallplättcdyen mit dem Jehovanamen oder an- 
deren Amuleten diefer Art. Auch die Juden haben aus ihren Phylacterien und Me 
fufen (Bd. XI. ©.639.642) vor Unheil fhügende Theraphim gemacht und die Talie- 
mane der fpäteren muhammedan. Drientalen find nichts Anderes, al® Surrogate für 
die altorientalifchen Theraphim, in welchen die gegen die durch den Islam aufgendthigte 
Bildlofigfeit veagirende, finnliche und bildlihe media der höheren Mächte verlangend 
Natur der Orientalen immer wieder bervorbridt. Leyrer. 

Gottmenſch, |. Jeſus Chriſtus der Gottmenſch. Bd. VI. ©. 596. 

Harmonius, Sohn des ſyriſchen Gnoſtikers Bardeſanes, hauptſächlich befanıt 
als Dichter und Componiſt von Liedern, worin er die Lehren feines Vaters vortruz, 
und die fehr vielen Eingang fanden, felbft bei Solchen, welche keineswegs Anhaänget 
diefer Lehren waren, bis ihnen Ephräm der Syrer andere Lieder entgegenftellie. 

Deliand, Name, welcher der Evangelienharmonie des Moͤnches Otfried gegeben 
wurde. S. d. Art. „Evangelienharmonier. 

Hucarius, engliſcher Diakon, fol um das Jahr 1040 einen Autzug aus dem 
Pönitentialbucne des Erzbiſchofs Egbert von Port gemacht haben. 

Kettler, Sotthard, Heermeifter des deutfchen Ordens, iſt es, der die Bd. XIIl 
©. 179 erwähnte Unterwerfung Lievlands unter den König von Polen vollzog, uni 
der, wie an demfelben Orte gezeigt ift, ſchwer verlegten Bedingung, daß in den ab 
getretenen Landfchaften die Reformation aufrecht gehalten werden follte. Kettler behiel 
einen Theil des Landes, das bdiefleits der Düna zmwifchen Samogetien und Litthaue 
liegt, für fi und feine Nachkommen, aber als Lehen der Krone Polen. 





Kirchenamt Omophorium 605 


Kiechenamt. Bd. II. S. 49 iſt gefagt worden, daß die fpirituelle Seite des 
beneficium im Art. „Kicchenamt" beleuchtet werden fol; indeflen tft dieß gefchehen im 
Artikel „Seiftliche, geiftliches Amt, geiftliher Stand» Bd. IV. ©. 749, 

Läſtern, Läſterung. Es ift die ſchwere Zungenfünde, bei der man Einem 
wider die Wahrheit ein Lafter Schuld gibt, etwas entfchieden Böfes und Schänbdliches 
nachfagt oder in feindfeliner Abſicht das wirklich vorhandene Böfe übertreibt. Dan 
taftet feine Ehre an, indem man ihn böswillig der Beradjtung oder dem Haſſe preis. 
zugeben ſucht. Mehrere hebräifche Ausdrücke für Läſtern (sap, ap, 273) bedeuten 
fehr begeichnend ein Zerreißen, Schneiden, Durchbohren, wie wenn man Einem das 
Haupt durchbohrt, wodurch der gegen die Eriftenz des Anderen gerichtete giftige Haß 
veranfhanlicht wird. Vergl. 3Mof. 24, 11. 16. Hab. 3, 14. Der griedhifche Aus. 
drud Auoprueiv (MAarnrev gun) weift einfach auf Schädigung der Ehre bin. Das 
Dbjelt der Läfterung kann Gott oder der heilige Geift (vgl. die Artt. „Sottesläfterung« 
und „Sünde wider den heil. Geiſt) oder Menſchen und heilige Dinge feyn. Iſt das 
Laſtern fiberhaupt eine Sünde, welche einem Gläubigen fern bleiben muß, Spr. 4, 24. 
Eph. 4, 81. Kol. 3, 8. 1 Tim. 6, 4. dgl. Matıh. 15, 19., fo wird dieſe erfchwert, 
wenn fie gegen Perfonen neht, welchen man vor Anderen Ehrfurcht ſchuldig if. „Den 
Sdttern ſollſt dir nicht fluchen und den Oberften in deinem Volt ſollſt dir nicht läſtern.“ 
2Mof. 22, 28. Pred. 10, 20. Wpgefh. 23, 5. vgl. 2 Petr. 2, 10. Ind. 8. Bor 
dem Läſtern des Heiligen werden twir Spr. 20, 25. vgl. 1 Sam. 2,17. al® vor einem 
Follftrid gewarnt. Den Fäfterern wird gedroht, daß der Herr fie zerfchmeifen erde, 
Pf. 72, 4.; fie werden namentlid in dem Regiſter der Perjonen anfgeflihrt, welche 
vom Reiche Gottes ausgefchlofien werden, 1 Kor. 6, 10. “Daher hat ein Ehrift nichts 
mit Yäfterern zu fchaffen, I Kor. 5, 11. val. Eph. 4, 57. Wenn es in legterer Stelle 
heißt: Gebet auch nicht Raum dem Läfterer, — fo ift es wohl richtiger zu überfegen: 
„dem Teufel”, und ebenfo 1 Tim. 3, 6., wo von dem Gericht die Rede ift, das an dem 
Teufel wegen feines Hochmuths vollzogen wird. Vergl. Lange's Bibelwerk zu dieſen 
Stellen. Fronmüller. 

Legenda aurea, |. Jakob de Voragine. Bd. VI. ©. 399. 

Makpela, f. Höhlen Bd. VI. ©. 177. 

Manuel Paläologus, griechiſcher Kaifer, hat das Concil von Ferrara Florenz 
nicht mehr erlebt, aber die Unionsverhandlungen mit Rom mit Eifer betrieben; er ftarb 
bereit8 im Jahre 1418. | 

Maranod nannte man in Spanien die äußerlich befehrten Juden, welche inner- 
Lich ihrer Religion treu blieben. Siehe den Art. „Bolt Gottes Bd. V. ©. 354. 

Marcella, Afcetin in Rom, freundin und Schülerin des Hieronymus, — iſt 
zu leſen ſtatt Marcellus, wo dieſer Name mit Verweiſung auf Hieronymus aufge- 
führt wird. 

Noviciat iſt die Probezeit derjenigen, welche die Aufnahme in einen Orden ver- 
fangen. Es beginnt mit der Einfleidung und endet mit dem Profeß, d. h. der Ab. 
legung der Ordensgelübde, dauert getöhnlic ein volles Jahr, in einigen Orden auch 
zwei und drei Jahre (nur hödft felten wird eine Abkürzung geftattet) und war befon- 
ders in älteren Zeiten mit den niedrinften und widerwärtigfien Uebungen und Befchäf- 
tigungen verbunden. Während des Noviciats ift noch ein Austritt aus dem Kloſter⸗ 
verbande möglich, anf da® Vermögen der Nobizen hat daher das Kloſter noch feinen 
Anſpruch. 

Nuntiaturſtreitigkeiten (ſ. Bd. IV. ©. 316) find die durch die päbſtlichen 
Nuntien oder Legaten veranlaßten Klagen und Einfchreitungen der Landesherren 
und der Landeskirchen, welche Schmälerung der Gewalt der Nuntien herbeiführten, 
morüber d. Art. „Legaten und Nuntien der rÖmifchen Kirche“ einzufehen ift. 

Omophorium, ein Stüd ber bifchöflihen Kleidung in der griechifchen Kirche, 
entjpricht dem abendländifchen Ballium, nur mit dem Unterfchiede, daß es, der urſprüng⸗ 


606 Oneſimns Roſinfarbe 


lichen Sitte gemäß, länger und breiter if. Es wird nicht bloß von Wolle, ſondern 
auch von Seide und anderen koſtbaren Stoffen verfertigt. Auch darf es jeder Biſchof 
teagen, während das PBallium ein Vorrecht der Erzbifchöfe if. So Augufti, Handbud 
der chriſtl. Archäologie Bd. III. ©. 506. 

Oneſimus, f. Philemon, Brief an. (SupplL) Bd. XX. ©. 400. 

Pantaleon, Märtyrer zu Nilomedien im J. 305, defien Acta bei Surins mit 
Tabeln angefüllt find. 

Pfarrzwang oder Bfarrcompetenz, f. Bd. II ©. 466, 

Polocz. Ueber die im Art. „Polen Bd. XII. ©. 15 erwähnte Zufanımen- 
kunft (nicht Synode) der Rutheraner in Pofen im 3. 1563 gibt Fiſcher (Berſuch einer 
Gefdichte der Reformation in Polen, I. S. 54) einige Auskunft. Der Zweck ivar, 
Mofregeln zum Schuge der Evangelifchen gegen die Katholiken zu verabreden und eine 
geordnete Verfaſſung vorzubereiten. Die erfte Iutherifche Synode in Pofen zu Goſtyn 
im Sahre 1565 iſt die Frucht diefer Verſammlung. Auf diefer Synode wurde bie 
Kicchenverfafjung der Yutheraner angenommen und eingeführt. Erblam. 

Polocz, Synode in. Auf diefer im Jahre 1839 gehaltenen Synode erflärte 
der höhere Klerus von Litthauen und Weißrußland, wo unter freilich fehr milder Be- 
dingung die Union mit Rom feit längerer Zeit angenommen worden war, das Ber. 
langen feiner Heerden, in die alte Mutterlirche zurüdzulehren, und auf Befehl bes Kai- 
ſers empfing fie die heilige Synode wieder in die RKirchengemeinfchaft auf. Nach Hafe, 
Kicchengefh. Tte Ausg. ©. 703. 

Nofinfarbe, roſinroth (nidt bon Kofinen, fondern von dem mittelhochdeutſch 
rosin — rofentoth) überfegt Luther die an den meiften Stellen (2Mof. 25, 4. 26, 1. 
31. 36. 27, 16. 28, 5 ff. 15. 33. 35, 6. 23. 25. 36, 8. 35. 38, 18. 23. 39, PT 
4Mof. 4, 8 .), Wr sohn, dagegen 3 Diof. 4. 6. 51. 4Mof. 19, 6. —* v, 
1Moſ. 38, 28. 30, Joſ. 2, 18. 2 Sam. 1, 24. Hohesl. 4, 3. bloß 5 *) und Jeſ. 
1, 18. Ragl. 4, 5. bloß‘ yban, 2 Chr. 2, 6. 18, 3, 14. —* und Offenb. 17, J 
KuRxıvOV genannte rothe Farbe, die feurigrothe, hellglän jende (die yAuudg xwnurr, 
Matth. 27, 28. heißt, daher Luk. 23, 11. Auunoa) Sarmefinfarbe Der Kame 
yon, xd nom bezeichnet diefelbe als das Produft des Kermeswurmes, der meib: 
lichen Schildlaus, coccus ilicis. Linn., die gegen Ende Aprils auf den Aeſten oder 
Blattwinkeln der in Klein» und Vorderaſien, auch Sübdenropa wachſeuden Stecheiche 
(noivos, aud) x0xx0s, ilex aquifolia, coceifera, Theophr. plant. 3, 16. Plin. 16,12. 
Paus. 10, 36. 1.) ihre zwifchen der Bauchhaut hervorfommenden Cier abfegt umd dar⸗ 
über abflerbend mit ihrem vertrodneten Körper eine fchügende Eierhülle bildet in Ge 
ftaft runder, vöthlich » brauner oder bioletter Beeren (Cuvier, Thierr. III, 604. 608). 
Aus diefen pulverifirten Eierneftern, cocci, wurde die Farbe bereitet, und zisar waresn 
darin, wie in der Bereitung des Purpurs (f. d. Art.) die Phönizier im Witerthum 
die Meifter (2Chr. 2, 7. Plin. 9, 65), wenn auch die Heimath der Farbe Indien 
gewefen feyn mag, wo fie söna, auch crimig’ä, die Wurmerzeugte, heißt (Paxtfchatantra 
I, 107). Den Namen 3 hat die Farbe von ihrem Glanze nad; dem Arabiſchen 


-.- 


Lu, she, leuchten, glänzen; fie heißt daher aud; im Aramäifchen hr, bie Glanz. 
farbe. Schwerlich if der Name aus 2, wiederholen, zu erflären „boppelgefärbtes®, 
denn nur der Purpur war d/dugor. Uebrigens Scheint die Karmefinfarbe fpäter unter 
den generellen Begriff „Purpur“ fubfumirt worden zu feyn, vgl. Marf.15,17.20. Joh. 
19, 2. mit Matth. 27, 28. (Gatacker adv. posth. 840 5q.). Auch der nacherilifcke, 
erſt 2 Chr. Kap. 2. u. 3. vorkommende Name 5Ya7>, woher unfer Carmin, carminio, 
Sarmefin, engl. erimson, neugr. xgerele, xorueLe, xıprebı, fcheint, wie das franzkſ. 
vermeil, auf die Etymologie „ Wurm" zurlidzuführen zu feyn, nämlich nach Lorsbach 


*) 1Mof. 38, 28. Iof. 2, 18, von Luther bloß durch „roth“, Ier. 4, 80. dur „Barpur- 
überjegt, 





Ganbmeer Sarah 600 


(Archiv II, 805) auf das perſiſche Kup (Sanakr. krimi), Burn, mit der Rominal- 
endimg 5° _ (f. Delitzſch, Zeitfchr. d. D. M. Geſellſch. XVII, 676). ine abivel- 
chende Erklärung f. Meier, Wurzelm. S. 697 f. Der ooecus ilicis wurde in fpäterer 
Zeit, wo man andy durch Beimifchung von allerlei Kräuterfäften Varietäten der Purpur⸗ 
farbe erzeugte, zur Bereitung einer folchen verwendet. — SKarmefimothe Fäden und 
Sdmire kommen fchon 1Mof. 38, 28. Joſ. 2, 18. ale in die Augen fallende Er⸗ 
kennungszeichen vor. Karmefineothe Teppiche und Kleider find, fo wie purpurrothe, 
Attribute des Neichthums und fürftliher Praht 2Sam. 1, 24. Ver. 4, 30. Das 
Spruchw. 31, 21. vorkommende DI dagegen {fl wohl dem Zufammenhange nad, mit 
Vulg. durch Veränderung der Punkte zu überfegen: duplicibus so. vestibus, jedenfalls 
aber nicht (wie Harenberg, Ugol. thes. XIIL) von roth angeftrichenen Häufern zu ver⸗ 
fiehen. Wegen des grellen, fchreienden Sarakter der Farbe mird die Sünde mit ihr 
verglichen Jeſ. 1, 18. Es fragt fi, ob auch bier (f. Delitzſch z. d. St. „Farbe des 
felbftifchen Lebens, des Zorns, der Sünder) an die fumbolifhe Bedeutung der farbe 
zu denfen ift, in welcher fie offenbar tm ifraelitifhen Cultus vorkommt. S. Br. I, 
©. 629. XV, 111. 114. Leyrer. 
Sandmeer, Bd. XIII, 424, weiſt zurüd auf I, 460, wo bie aus dürren Sand⸗ 
ebenen beftehende ſyriſch . mefopotamifche Wüfte kurz gefchildert und namentlich ein Phä- 
nomen erwähnt wird, auf welches Jeſ. 35, 7. hindeutet, nämlich der 2715, die Wofler- 
fpiegelung, in Folge welcher am Horizont (dafer Kimmung, von Kimm — Horizont) 
durch die Lichtbrechung in übereinanderliegenden Luftichichten von verfchiedener Dichte 
über dem von der Mittagsfonne erhigten Wüftenfand das Zrugbild einer bald fanft 
wogenten, bald fpiegelglatten WBafferfläche entfieht, eine® Meeres oder einzelner Seen, 
welche die lechzenden Reiſenden äfft. Dieſes Trugbild, wird an der angeführten Stelle 
verheißen, fol zur Wahrheit werden, die Erſcheinung der SHerrlichleit des Herrn fchafft 
an der Stelle der Trugbilder und Scheinbefriedigung wirkliche Erquidung für die lech⸗ 
zende Seele. Etwas dieſem „Wüflenleuchten" (f. Delitzſch z. d. St.) Aehnliches ift die 
Fata Morgana (fjee Morgana, cell. — Meerfrau) an der ficilian. Küfle, die mirage 
im füdlihen Frankreich. Diefe ſchon von Curtius 7, 5. 3. gefchilderte, im Koran 
(24, 39.) mit den Werten der Gottlofen berglichene Erſcheinung, fonft im Arabiſchen 
auch "Sonnenfpeidhel* genunnt, wird häufig im Arabiſchen ſprichwörtlich gebraudht: 


trüglich wie der wi teüglicher ald Mittagsdunft u. ſ. w. Sie if aber nicht nur 
in den genamnten Gegenden, fondern auch in Indien, Südrußland und Südafrika fchon 
beobadjtet worden. Bol. Winer unter „Sandmeer, Geſenius zu Jeſ. 35. umd 
Thesaur. es. v. 31% und die dort citirten Schriftfieller. Bon neueren Reifenden vergl. 
befonders Rußegger, Reif. I, 232. II. I, 424. Xobinfon I, 67. 71. 290. Wilfon, 
lands of the bible I, 47. Xhomfon, Bidl. saor. V, 670 ff. Erdmann und Frühe in 
Gilb. Ann. XVIO, 1, 1 ff. Leyrer. 
Sarah, Sarai, Abraham's Weib, hat zwar nach den Hauptmomenten ihrer 
Geſchichte in dem Art. „Abrahbam" ihre Stelle bereits gefunden. Es möge jedoch, da 
Bd. I. ©. 72 f. auf einen Artikel „Sara“ hingewiefen wird, 1) hinfichtlic der Nas 
mendäuderung nod; eine von S. 73 abweichende Erklärung des Namens erwähnt 
werden, wonad 7% als Eigenſchaftowort die Fürftliche, ty als Hauptwort die Flurſtin 
bedeutet (vergl. Delitzſch zu 1Mof.17,15). Ewald dagegen erflärt "A als Kriegerin, 
don id, ſtreiten. Das Sagen der LXX. tweift auf die Wurzel Eur.) bin. 2) Hin⸗ 
fichtlicdh des Berwandtfchaftsnerhältniffes zu Abraham wird Sarah von den 
Habbinen identificirt mit Jisla, Tochter Haran’8 (1 Mof. 11, 29.), was jedoch fireitet 
mit 20, 12., wo Sarah Tochter des Vaters Abraham's, aber nicht der Mutter heißt. 
Sie war alfo feine Halbſchweſter und 11,'31. heißt fie Schwiegertochter Tharah’s, eben 
fofern bei der Auswanderung mehr ihr Verhältnig zu Abraham als zu Tharah in Be» 
tracht kommt. 3) Zur Erklärung ihrer von den Wegyptern gepriefenen Schönheit 


608 Schulbrüder und Schulſchweſtern 


(J Moſ. 12, 14.) kann geſagt werden, daß fie bei der Einwanderung in Aegchpten im 
6öften Jahre ihres Alters ftand, alfo, da fie 127 Jahre alt wurde, in der Mitte ihrer 
Jahre und einer 30- bis 40jährigen twohlconfervirten Frau unferer Zeit geglichen haben 
mag, umfo mehr, da fie nicht durch Geburten geſchwächt war. Im Vergleich mit den 
von Natur häßlichen und frühe verblühenden Wegyptierinnen konnte fie wohl und ale 
jugendliche Schönheit gelten. 4) Sarah wird in der heil. Schrift noch melmmals er 
wähnt, im Alten Teftament nur noch Jeſ. 51, 2. als die twafferlofe Brunnengruft pie 
Eifterne, an derem wunderbar gefegnetem Glauben fid) Zion in feiner jetigen Dikre und 
Unfruchtbarkeit aufrichten fol. Im Neuen Teftamente kommt fle vor Hebr. 11,11. vgl 
Röm. 4, 19. 9, 1. Gal. 4,22. ala Glaubensſchweſter Abraham's in ihres Hoffnung, 
Mutter zu werden, und 1 Petri 3,6. als feine unterthänige Gehülfin, in beiberlei Hinfich 
als leuchtendes Borbild für chriftliche Frauen, die fi in der Nachfolge ihres Glaubens 
und Liebesgehorſams als ihre geiftlihen Sinder beweilen. 5) Die Trage, ob Sarah 
um die Aufopferung Iſaak's wußte, und der Umftand, daß ihr Tod unmittelbar auf 
jenen Vorgang folgt, erzeugte die rabbinifche Sage, daß fie vor Kummer darüber gr. 
ftorben und daß Abraham bei feiner Heimfunft fie todt gefunden habe. (Targ.Jon.Jarchi 
ad Gen. 23, 2. Pirke Elief. 52.. — Ueber Sarah, das Weib des jungen Tobias. 
vergl. die Artt. „Asmodi“ und „Tobias“. Leyen, 

Schulbrüder und Schuljchweitern. Im Artikel „Ignorantius.“ if} mia 
den vielen männlichen Congregationen, die fich dem Unterrichte der Jugend im der lo⸗ 
tholifchen Kirche widmen, nur eine genannt worden. Es gibt aber noch mehrere andere, 
Schulbrüder von Ya Mennais, gefliftet 1820 in der Bretagne, — 600 Mitglieker. 
200 Schulen in Frankreich, Afrifa und Weftindien. Sculbrüder don Chaminade mi 
5 Schulen, die von Put, die von E. Nice, diefe legteren in England, Irland, Wadras, 
Calcutta u. a. Congregationen. Guizot zählt 25 männliche Congregationen folder Art 
in Frankreich mit 7590 Schulen. 

Die mweiblihen Congrepationen diefer Art find ebenfalls zahlreich und haben ein 
fehr ausgedehnte Wirkſamkeit. ongregation der armen Schulſchweſtern in Babe, 
1834 geftiftet, mit 278 Mitgliedern und 48 Yiederlaflungen, — wovon 36 in Bam, 
4 im Übrigen Deutfchland, fodann in einigen Städten Nordamerifa’e. Congregation 
der Schulfchweftern zu Ruille fur Roire in der Diöcefe Mans — mit 209 Mitgliedem 
und 57 Niederlaflungen. Congregation der Schulſchweſtern von Rouen, zunächſt nur 
für diefe Erzdiöceſe. nglifche Fräulein, f. den Artikel — Töchter U. 8. Fr. in Bel: 
gien, — Töchter des guten Heilandes, mit dem Haupthaufe zu Caen. Zwei Gong 
gationen von Schweſtern des heiligften Herzens Jeſu, die eine in Frankreich gefiftet, 
mit nahezu 2000 Mitgliedern, die andere hat: zu Verona ihr Haupthaus — die Schnur 
ftern des heiligen SIofeph, — die Schweftern der chriftlihen Lehre von Naucy, mil 
400 Mitgliedern, die Damen des heiligen Maurus, Haupthaus zu Paris, — die Tv 
men von Never mit mehr ald 200 Schulen, — die Scweitern von ber Borfehum, 
— die Schweftern vom Kinde Jeſu, vor 8 Jahren geftiftet. — Dazu kommen bie Ui 
felinerinnen, Vifitantinnen, die ſich aud) mit dem Ulnterrichte der Jugend bejcäftigen: 
oufßerdem find in der Neuzeit die Nonnen der befchaulichen Orden, die Cfariffinen, do 
minifanerinnen u. U. in diefe Thätigfeit eingetreten; ebenfo manche der Congregationen, 
die fich mit der Kranfenpflege abgeben, fo ſchon feit alter Zeit die barmherzigen Schre. 
ftern des Bincenz von Paula. Freilich herrfchte unter diefen ſchon in alter Zeit groit 
Unwiffenheit. So wollte eine Oberin derfelben einem proteftantifchen Gefangenen weiß 
machen, daß Moſes ein großer Betrüger geweſen. Siehe die Erlebniſſe eines au da 
Galeeren Frankreichs verurtheilten proteitantifhen Glaubenszeugen von den Fahren 1700 bit 
1713, Weberfegung einer alten franzöfifchen Schrift, welche foeben in Erlangen bei Le 
chert erfchienen ift*). — Guizot zählt 85 Congregationen von Frauen, die fid dem 

*) Mir empfehlen diefes höchſt intereffante Dokument au® ber Leidensgeſchichte der rar 
fiihen Proteftanten der Aufmerkſamleit der geehrten Leſer. 





Etift Therapeuten 609 


Bollsunterricdhte im Fraukreich twidmen, mit 8300 Schulen, — rechnet man dazu die 
7590 Schulen für Kuaben, fo erhält man die Summe von 15890 Schnlen, in welchen 
ungefähr 980000 Kinder beiderlei Geſchlechts Unterricht empfangen; rechnet man dazu 
die Riederlaffungen diefer und anderer Eongregationen im übrigen Europa, in den 
anderen Welttheilen, fo belommt man einen Begriff von der teitverzweigten Thatig⸗ 
feit der Tatholifchen Kirche und von dem Einfluffe, den fie nody immer ſich zu ver- 
ſchaffen weiß. 

Stift, |. Eapitel Bd. II. ©. 554; Kanoniler Bd. VIL ©. 322. Stifter 
nennt man die vom 12ten Jahrhundert an unter dem Namen collegia, capitula cano- 
nieorum herbortretenden Corporationen. Hochſtift oder Erzſtiſt if} das Stift an einer 
exzbifchdflihen Kirche. 

Storch und Stübner find die Namen von zweien jener fogenamnten Zwidaner 
Propheten, melde zu Anfang des 2. 1522 ben Kirchenfrieden in Wittenberg ftörten. 
Siehe Bd. VIII. ©. 583. 584. 

Theodornd Abukara wird ale Bifchof von Cariä oder Eharran in Mefopo- 
tamien genannt, von den Einen als Schüler des Iohannes von Damascus angefehen, 
bon den Anderen, 3. ®. Gretfer, in die Zeit des Photins geſetzt, defien Partei er er- 
griffen, nachher wieder verlafien haben und vom Patriarchen zu Eonftantinopel im J. 
869 don der über ihn verhängten Ercommunilation befreit worden feyn fol. Imdeflen 
betrifft dieſe Nachricht höchſt wahrfcheinlich einen Anderen Abukara. Theodorus Abn- 
fora lebte wahrfcheinlih im 8. Jahrhundert und mar ein hoͤchſt fruchtbarer Schrififteller; 
feine Schriften, apologetifchen und polemifchen Inhalte, find theils gegen die Muham- 
miedaner, theil gegen Haäreliker gerichte. Man zählt 43 derfelben (Fabr. bibl. gr. 
Vol. IX. 178 sqq. Harless X, 365 sqq. — 22 fliehen in ber Bibl. patrum. Paris 
1664, im Supplementbande;, — das Werl de unione et incarnatione bei Gallandius 
T. XoOL 

Therapeuten, jübifc; »afcetifche Sekte in Aegypten, zur Zeit Philo's blühend, 
über welche diefer in der Schrift de vita contemplativa berichtet. Was Enfebins in 
feiner Kirchengeſchichte B. II. c. 17 über fie mittheilt, ift gänzlih aus Philo ent- 
nommen, worauf er dann den vermeintlich chriftlichen SKarakter der Sekte zu erhärten 
ſucht. — Es iſt wohl wahr, was Neander (Kirchengefh. I, 105) fagt, daß wir uns 
die Therapeuten, ſowie auch die Eſſener nicht ala bloß vereinzelte, nur gewiſſen Län, 
dern angehörende Exfcheinungen zu denfen haben. Es liegen allgemeine Tendenzen zu 
Grunde, deren Einfluß weit über Aegypten und PBaläftina hinausreichte, wie denn Philo 
ſelbſt dieß bezeugt, werm er fagt, daß man überall in der Welt biefer Art von Leuten 
begegne, indem es ſich gezieme, daß Hellas und die Länder der Barbaren des volllom- 
menen Önten theilhaftig werden. Indeſſen ftehen die Therapenten im nächſten Zuſam⸗ 
menhange mit der alerandrinifhen Religionsphilofophie, wovon fle ald die Verwirklichung 
nad) einer Seite hin erfcheinen. Philo, der eigentliche Kepräfentant jener Philofophie, 
ftellte denjenigen, die ſich mit der Philoſophie befchäftigen, ein doppeltes Lebensziel 
vor Augen, das eine die regeren Kräfte der früheren Jahre leitend, aber mit bdiefen 
felbft vorübergehend, daB andere zwar erſt dann wahrhaft begehrensiwerth, wenn bie 
phnfifchen Kräfte ſchwänden, aber dann auch andauernd fogar für alle Epochen eines 
fünftigen Dafeyns, das exfte das praltifche, thätige Leben, da8 zweite das beſchauliche, 
theoretifche Leben, beide durch den höheren Zweck zufammengehalten, das Körperliche 
fo viel als möglich zurüdzuftellen und das Beiftige zu feiner urfprünglichen Reinheit 
und Heiligfeit, Bedürfnißlofigkeit und Seligleit zurüdzuführen. Weil aber Bhilo ein 
fah, daß die Durchführnng diefer ethifchen Örundfäge im Ganzen der Menſchheit fid) 
nicht durchführen laſſe, fo forderte er fle im ihrer ganzen Strenge nur bon denen, bie 
fich dem theoretifchen Leben oder der philofophifchen Befhäftigung mit Gott wibmeten, 
deren einziges Ziel ifl, Gott zu fchauen, wie er ifl. Diefes beſchauliche „eben wies er, 

Jeal » Enchkiopädie für Theologie umd Kirche. Euppl. IIL 


610 Therapeuten 


wie bevorwortet, dem Alter an, während er von dem im Alter minder Bergarkdim 
verlangte, daß fie fuchen follten, die Weisheit, die fie erlangt haben, umter ihren Wit 
menfchen zu verbreiten und geltend zu machen. 

Diefe beiden Richtungen find, wie Philo lehrt, in den Selten der Eee einel⸗ 
theils, der Therapeuten anderntheils verwirklicht Jene vrepräſentixen ba praltijhe 
Leben, die Therapeuten und Therapeutinnen (Feoanevrgides) das theoretiſche. Gi 
nannten fi) fo als die ächten geiftigen Gottesverehrer, als die eigentlichen Kontenpk- 
tiven, wie denn Philo die Ausdrüde Acpuntotiy Hedv udrov, Fegameirar mal: · 
örroc, Iepanela Scov gebraudt, um dies eigentlich contemplative Reben zu bezaichnen 

Abfonderung von der umgebenden Welt, ja felbft karthänferartige Nolirung gegm 
einander ift die Eigenthümlichkeit, die zuerft an ihnen herbortritt — „nicht eiima“, jagt 
Philo, „in Folge eines ungebildeten und erfünftelten Menſchenhaſſes, ſondern weil fe 
wiflen, daß der Umgang mit Menfchen, von denen fie fidy in ihren Lebenägeundfjägen 
unterfcheiden, unnüg, ja fchädlich if. Das fagt Philo von Allen, die ſich bem ca 
templativen Leben widmen; darauf geht er zu den eigentlichen Therapeuten übe: „Di 
Ausgezeichneteren kommen von allen Orten, gleihfam als wanderten fie in das Bat: 
land der Therapeuten, an einen Ort, der allerdings fehr dazu geeignet ift und übe 
den See Maria (Mareotis in der Nähe von Alerandrien, nicht der See Möorit) binoat 
auf einer niedrigen Anhöhe fehr gut liegt, indem er Sicyerheit und eine angenehme 
Temperatur der Luft darbietet. Die Wohnungen derer, die dort zufammengelomme 
find, find fehr dürftig umd gewähren Schuß gegen die Sonnenhige umd gegen bie Kühe 
der Luft. Sie nähren ſich auf die einfachfle, ärmlichfle Weife, denn die Mäfigknt 
(&yxodreia) legen fie, fagt Bhilo, den übrigen Tugenden zu Grunde. Speife und Traul 
berührt Keiner dor Sonnenuntergang, weil fle meinen, daß nur die Philofophie würdig 
fey, an das Licht geftellt zu werden. Mehrere deuten kaum alle drei Tege einmal us 
Nahrung, Einige genießen faum innerhalb fech® Tagen die nöthige Nahrung. Am fe 
benten Tage, den fie für fehr Heilig und feftlich halten, geftehen fie nach der Serge für 
die Seele auch dem Leibe etwas mehr zu. Ihre Speife ift Brod mit Salz und ieh, 
ihr Trank ift Quellwaffer, ihre Kleidung im Winter ein dichtes Oberkleid nem woligen 
Tele, im Sommer ein Gewand ohne Aermel und ein Leinwandkleid. — Zu ihnen ge 
hören auch weibliche Perfonen, wovon die meiften ältlihe Jungfrauen find; es verſich 
fi, daß Alle, Männer und Weiber, ehelos find. — Im jever Wohnung iR an bi 
(iger Ort, osveior, povaoırpıov, in diefem üben fie vollfonımen abgefchieden hie Pr 
fterien ihres heiligen Lebens, mit Gebet und der Betrachtung göttlicher Dinge beiak- 
tigt; allegorifche Schrifterflärung lag ihren VBetradhtungen zu Grunde; im altem their 
phifchen Schriften fuchten fie Anleitung zur tiefen Erforfchung der heil. Schrift; fehl 
Tage lebten fie alfo allein; am flebenten kamen fie zufammen und hörten Vorträge iken 
Borfteher an; der Ort, wo fie zufammenlamen hatte zwei Abtheilungen, die eine fir 
die Männer, die andere für die Weiber. Eine noch feierlichere Zuſammenkuuft hieles 
fie alle ſieben Wochen; fie feierten dabei gemeinſchaftlich eine Mahlzeit, fo eimfad we 
bie gewöhnliche, es wurden Vorträge gehalten, Hyumen, die fie aus alter Zei a 
halten, gefungen und unter Chorgefang Tänze von müuftifcher Bedentung bis tief in die 
Nacht hinein fortgefegt; der Durchgang der Sfraeliten durch das Rothe Meer folk 
dadurch ſymboliſch dargeftellt werden. 

Wie alt die Therapeuten find, das läßt ſich nicht genam beflimmen; fle entſtande 
wahrfcheinlich zu der Zeit, als die alerandr. Religionsphilofophie im ihren Zweden be 
ſtimmt erkannt und confequent feftgehalten ward. Die Hymnen und owpygauude 
naralov ardowr, aus welden fie bie allegorifche Erklärung der Schrift fchöpite 
önnten auf das zweite oder dritte Jahrhundert v. Chr. zurüdzuführen fee. Es fine 
fih in Aegypten eine Geſellſchaft, die als die- praftifche den Therapeuten, als The 
tikern gegenüberftände; nicht als ob es an folhen Praktikern gefehlt hätte, Philo felR 


son Til, Salomon 611 


gehbete dazu, aber fie traten nicht in eine förmliche Gefellſchaft zuſammen oder ſchloſſen 
ſich feglekh am die Therapenten art, wie tote denn beftimmt wiffen, daß die Therapeuten 
wünfchten, die Jüngeren möchten gleich zu ihnen übergehen, — entgegen den Grund» 
foye Philvs, daß vor dem beſchaulichen das praltifche Reben geübt werden folle. — Die 
Anficht, die Euſebius a. a. O. aufgeftellt und die ſeitdem vielfach angenommen worden, 
daß die Dherapeuten Chriften fenen, ift jet als veraltet anzufehen. — Unter den Be- 
arbeitangen heben wie hervor Dähne, gefchichtl. Darftellung der jüdifch -alerandrini- 
ſchen Religionsphiloſophie Bd. I. S. 439. 

yon U, Salomon, ein berühmter holländifcher Theologe des 17. Jahrhun⸗ 
ver, gehorte zur coecejaniſchen Schule. Den 26. Dezember 1643 zu Weesp, einer 
Meinen Stadt in Holland, geboren, warb ex fchon frühzeitig für den Dienft am Worte 
befiummt, zu Utrecht unter Boetins, Gfienius und Burmann für feinen zukünftigen 
Beruf: harangebildet. Gin Fehler an feinen Sprachorganen bemog ihn indeflen, auf 
einige Zeit dem Studium der Gottgelehrtheit zu entfagen und ſich auf das der Me- 
dien zu legen. Er verfafite fogar ſchon einen „hortus sanitatis”, der jedoch un- 
nedendt- blieb. Imbeflen glüdte e8 Burmann, ihn von feinem Plane abzubringen und 
ihn fo der Kirche zu erhalten. Trotzdem aber van Til von der größten Hochachtung 
gegen Voetins erfüllt war, zeigte er doch bald eine befondere Vorliebe für die cocce⸗ 
jawifche Theologie, und begab ſich dem auch nad Leyden, um den berühmten Meifter 
fel6R zu hören. Als er dort feine Studien vollendet hatte, berief ihn das kleine 
Dürfen „Huisdainen⸗ au feinem Prediger; dort feßte er in der Stille des Land» 
pfarrerlebens feine Bibelſtudien mit unverbroffenem Eifer fort. Nacheinander befleidete 
er hierauf das geiſtliche Amt in den Gemeinden de Ryp, Medemblit und Dordrecht, 
wo er wit Energie und Talent die coccejmifhen Brincipien vertrat und im Jahre 
1684 zum Brofeffor an der „illustre school” letzterer Stadt ernannt wurde. Endlich 
wurde er im S. 1702 zum Profefior der Theologie an der Univerfität Leyden er- 
hoben und trat fein Amt an mit einer „oratio, qua exitus ecclesiae reformatae 
ex Babylone spirituali justificatur et a schismatis crimine liberatur.” In bdiefer 
Stellung verblieb er bis zu feinem Tode, den 31. Oktober 1731. 

Ban Til wird von feinen Zeitgenofien gerühmt als trefflicher Menſch, reihbegabter 
Prediger und tädhtiger Gelehrter, der in allen Fächern der Theologie zu Haufe tar 
und im verſchiedenen fich amszeichnete. Anch die Naturtoifienfchaften und die Bhilofophie 
warden bon ihm mit Eifer betrieben; in Ießterer folgte er Cartefius, und er war der 
erſte niederländifche Theologe, der die theologia naturalis, getrennt von der dhriftlichen 
Dogmatik, ale befondere Disciplin behandelte Auch als Apologet trat er ein für die 
Wahrheit der chriſtlichen Religion, und was er auf dem Gebiete der Archäologie und 
der Chronologie leiften konnte, zeigte ex durch feine Schrift: „Over de digt-zang-en 
speeikonst, z00o der Ouden, als bijzonder der Hebreouwen” (1692), undin feiner 
Abhandlung: „De Johannis baptistae incarceratione” (L. B. 1710). Bon der 
größten Bedeutung aber war van Til als Exeget des U. T. und als bdogmatifcher 
Theologe. Er fchrieb eine „Inleiding tot de proff. der heilige schriften” (auch 
in das Deutfcdhe Aberfeht 1699), eine „Commentarie op de Psalmen” (deutſch, 
Frankf. 1697; Leipz. 1707); ferner „Phosphorus propheticus, seu Mosis et Ha- 
becnci vatieinia illustrata” (1700), — Malachius illustratus (L. B. 1701), — 
„Opns Analyticum, oontinens introductionem 8. 8. ad J. M. Heideggeri Enchei- 
ridion”, Traj. 1720, correotior Bas. 1722, — „Dieta Apostolica ad annales revo- 
cata”, und andere Schriften. Als Dogmatifer vertrat er die coccejanifchen Principien, 
aber in mildem, teenifchem Geiſte, mit dem fichtbaren Streben, ſich dem eifernen Joche 
der Scholaſtik zu entwwinden und zu biblifcher Nüchternheit zurückzuklehren. Großes Auf- 
fehen erregte fein „Theologiae utriusque compendium, cum naturalis, tum revelatae, 
una cum appendioe de origine controversiarum,, etc. L. B. 1706; fpäter erfchien 

29 ® 


612 Verlöbniß Werdenhagen 


„Theologia paracletica, et variae conciones profeticae, emblematiose, dagmakicse. 
Traj. 1724. Auch feine „Methodus concionandi”, Franeg. 1712, und „Homilise «- 
techeticae et festales”, Traj. 1714, enthalten viel Treffliches. In feinem „Amtadotzm 
viperinis morsibus D. Joncourt oppositum”, L. B. 1707, veztheibigte ex bie coccejs- 
nifche Hermenentit gegen dagegen erhobene Bedenken. Auch gab er die Werle audeun 
Gelehrten heraus, fo 3. B. die von A. Junius (1686), ©. Wittichins (1681), Zydias 
(1691), und verfuchte fi) als Dichter nicht ohne Glück und Verdienſt in niederdentſchen 
und lateinifchen Verfen. Seine Predigten endlih, zwar nicht frei bon een er 
Allegorie und Typik, waren doc; biblifch, praktifh, voll hohen Ernftes, wid gereicten 
Bielen zum Segen. So verdient denn fein Name in den Yahrbichern dev Kirche und 
der Wiffenfchaft fletd mit Ehren genannt zu werden. 

Man fehe noch über ihn „Saxii onomast. V. p. 301 und H. van de Wal, vita 
Sal. van Til. % 3. var Osfiekzee. 

Verlöbnig, f. Bd. III. ©. 691. 

Vitalis, eigentlich Orberid, erft fpäter Vitalis genannt, geboren im 3. 1075 
zu Attengeſham in England, Mönd in St. Evroul und Priefter, if der Verfeſſet einer 
historia ecclesiastica in 13 Büchern, worin er hauptfächlidh die Thaten der Nosmannen 
erzählt bis zum Jahre 1141. 

Ein anderer Vitalis war Biſchof der Apollinariften in Antiochien, Bowem. VA, 25 
Theodoret H. Ecel. V, 4. 

Ein dritter Vitalis, don dem es ungewiß ift, ob er geiftlich geweſen, if Au 
Auguftin (ep. COX VIL) befannt geworden; er wollte felbft nicht Pelagianer fen, be» 
firitt aber manche Säge, womit YAuguftin die Pelagianer befämpfte. 

Werdenhagen, Johann Angelius von, gehört zu den gelcheten Wichtihes 
logen, welche in der Iutherifchen Kirche des 17. Yahrhundert8 vor Spener dee har- 
chenden fcholaftifchen Nechtgläubigkeit als Myſtiker und den Unfprücen des geiflichen 
Amtes als Chriften aus der Gemeine zu widerfprechen und zu widerſtehen fidy für be 
rufen hielten. ®eboren zu Helmſtädt am 1. Auguft 1581 wurde er dort zuerſt im 
Unterricht der Humaniften, welche am Ende des 16. Jahrhunderts diefe Uniwerfität ve 
gierten, ein fo ausgezeichneter Schüler derfelben, daß z. B. von Joh. Caſelius (f. d. Art.) 
Lateinische Verſe auf diefen feinen Zögling vorhanden find. Dennoch erregte andı des 
2008 Daniel Hoffmann's (f. d. Art.), welcher damals für feinen Angriff gegen die Phi. 
lofophie von feinen humaniftifchen Collegen verdrängt wurde, fo viel Theilnahme ba 
ihrem Schüler, daß er nicht für fie, fondern für Hoffmann Partei nehm. Er iheilte 
rüh deſſen Weberzeugung, daß alle Philofophie Heidentbum und darum Abfell von 
Chriftentfum und Lutherthum zugleich fey, und daß es auch keinen anderen Grund babe, 
wenn feine humaniflifchen Lehrer jede Geringfhägung ihrer Lieblingsfludien ale Bar- 
barei bezeichneten und verfolgten; wenn noch nicht in größeren Schriften, doch in latei⸗ 
nifchen Gedichten fprach er feinen Unwillen aus über ihr Verfahren und über ilme 
Veberfhägung des Bernunftgebrauches, wofür er (mohl eins der erſten Beiſpiele) bie 
Namen Rationistae und Ratiocinistae gegen file anwandte. Bon hier an blieb ea auch 
foft für MWerdenhagen’8 ganzes Leben gültig, was auch fhon Daniel Hoffmaum ber: 
geworfen war, daß „feine Hand wider alle und aller Hand wider ihn fey“ ; wenigflens 
bie Iutherifhen Theologen, und nicht bloß, wie hier zuerft, gemäßigte aus ber heim- 
fädtifchen, fondern auch die fireng lutheriſchen aus der kurſächſiſchen Schule wurden 
feine Gegner und ©egenftände feiner Invectiven; aber freilich wurde es fein befondexsr 
Beruf, ihre gefährlichfte Einfeitigkeit ihnen vorzuhalten, ihr ausſchließliches Intereffe für 
die reine Lehre, ihr Herunterziehen des Chriſtenthums zu einem Gegenſtande des theo 
logiſchen Streites und ſchon dadurch zu einer Verſtandesſache, und gegen ſie das gute 
Recht der Herzensfrommigkeit, welche auch neben unvollkommenem und ungleichems 
Schriftverſtaͤndniß beſtehen kann, doc mit energiſcher Anhänglichkeit an die heil, Schrift 


Werdenhagen 613 


und am Luther zu bertveten. Go wurde er, ähnlich wie Gottfried Arnold, welcher ihn 
dafiir vor Underen rähmt, ſchon in entfernter und jüngfivergangener Vorzeit für alle 
diejewigen eingenommen, weiche von ſtolzer Rechtgläubigkeit verfolgt und unterbrüdt zu 
fegu ſchienen, für Tauler, Savonardla, Servet, Bal. Weigel, Jakob Böhme, Joh. Arndt, 
nub eu wurde, wie unter feinen Zeitgenoſſen Meyfart, Bal. Andreä u. U, geneigt, die 
gegenwärtigen Scäben in ber Intherifchen Kirche, befonders das Sittenverderben bei 
den Geiſtlichen und Nichtgeiftlichen, das Auseinandergehen hochklingender Doktrin umd 
widerſprechender ſchlechter Praxis, von diefer Erſtorbenheit ihrer Lirchlichen Theologie, 
wor Berloflen des einfachen Wortes Gottes und von noch übriger heidnifcher Bildung 
and Geſtunnug, ‚abzuleiten. 

Daueben warb denn auch fein Auferes Leben unruhig genug. Dom Jahre 1601 
bis 1606 war er Privatbocent in Helmflädt, dann Begleiter junger Edellente nach 
Jena, Zübingen, Heidelberg und Straßburg, 1607 Conrektor zu. Salzwedel, dann bis 
1610 drei Jahre mit einem Freiherrn von Warberg im Leipzig und fpäter auch in 
Gießen. Geit 1612 wurde er auch ſchon zu Ddiplomatifchen Sendungen nad Straß⸗ 
burg, Dänemark umd zur Kaiſerkrbnung gebrandt. Im 9. 1616 machte ihm Herzog 
Friedrich Ulrich von Bramfchiweig zum Brofeflor der Ethik in Helmftädt, aber da man 
hier 1617 zur Dubelfeier der Reformation in Reden, melde 1618 in feiner Schrift 
„verus Christianismus” gedrudt erfchienen und in Dispntationen gegen die noch lebenden 
Gegner Hoffmann’s deſſen Streit gegen Philofophie und VBernunftgebraud von ihm er» 
neneet fand, fo wurde ex 1618 gendthigt, Helmſtädt und fein dortiges Lehramt wieder 
zu berlaflen. Nun wurde er Syndikns der Stadt Magdeburg zu einer Zeit, wo hier 
neben dem jungen Adminiſtrator des Erzſtifts Chriſtian Wilhelm von Brandenburg 
reiche Imiherifche Domherren das größte Anfehen hatten; aber mit diefen verdarb er es 
durch zwei tm Jahre 1622 unter dem Namen Chilobert Jonas herausgegebene deutſche 
Gutcchten vvom unnügen ungeifllichen Weltftande der Domherren und heibnifchen Pha⸗ 
rHfüer" und wie eine „ordentliche Wahl eines Biſchofs wieder zum rechten Stande zu 
beingen ſeye; ein Gutachten, welches fie von den Wittenberger Theologen darüber ver⸗ 
langten (es fleht in der Sammlung ihrer Consilis, Frankf. 1664. Th. 2. ©. 187), 
joımnekte, „daß er darin das evangelifche Miniſterium fo fhändlich Übel tractiret, ale 
wenn 'eitel Helden und gettlofe Leute darin lebten, die ex Säue nennet“, während doch 
„die Kraft und Wirkung des Wortes nicht an ber Würdigleit des Prediger hänge“, 
und vieth, Yon dafiir nach den nöthigen Admonitionen „kraft des Bindefchlüffele von 
allen sacris außzufchließen“. Bon 1626, wo er feine Stelle in Magdeburg wieder ver» 
Ior, bis 1628 beachte ex bin auf Miffionen des Adminiſtrators zu den Kreistagen und 
sad, Hamburg, und damn, dort wieder verfolgt, ſechs Jahre ohne Amt in Leiden, wo er 
feine Hamptfchriften vollendete und herausgab; endlich nach mancherlei Geſchäften für 
Bremen und Magdeburg wurde er vom Kaifer Ferdinand ILL. zum Rath und Gefandten 
bei der Hanfefkäbten ernannt und brachte als folder feine letzten Lebensjahre von 1637 
bis 1652’in Lubeck zu; er flarb auf einer Reife in Ratzeburg am 26. Dez. 1652. 

Ale feine Schriften, andı die, welche zunächſt hiftoxifche oder philofophifche Auf⸗ 
gaben Haben, darımter die vornehmſten de rebusp. Hanseatieis earumque confoedera- 
tione (juerſt 1631, dam 1641, Sol), universalis introductio in omnes resp. seu po- 
litioa generalis (1632), synopsis in Bodini libros de rep. mit einem Wnhange de 
vero modo educationis, 1635, ebenfo die Verbreitung der Lehren Yalob Bohmes in 
der Psychologia vera J. B. T. (d. i. Jao. Böhmii, Teutonici) rerump. vero regimini 
spplicata (Amſterd. 1632) verbreiten ſich oft und gern über die —* Zuſtaͤnde ſeiner 
Zeit und über das, was darin durch die .‚sacri ordinis artifioos“ verſchuldet ſeyn ſoll. 
Er dringt im zoſihrigen Kriege auf die Unvereinbarkeit des Kriegs mit den Vorſchriften 
Chriſti und anf die Nichtigkeit der dafür aus dem Alten Teſtament angeführten Gründe ; 
ee fordert eine beffere Erziehung, ald wo bie Jugend „in oaeco ethnicismo ad phi- 


614 Zahl, goldene 


lautiam retrahitur” und in dem caput malorum beftärft wird: „ordinate catitas in- 
cipit a semetipsa”; von den Alten nimmt er nur den Plato ven feinen Widerwillen 
gegen fie und die Philofophie aus, und findet, daß deſſen Kepublil „proxime ad Chri- 
stianismum accedat et prae reliquis quam commodissime ad veram caritatem ne- 
duci possit” (de rebusp. Hanseat. I, 12.). In Leiden fchrieb er aber auch unter bem 
Namen Angelus Marianus eine Heine Schrift: „Offene Herzenspforte zum 'malzen 
Reiche Ehrifliv (1632, und fpäter nod in drei Ausgaben), welche num aud. im beut- 
ſcher Sprache die Iutherifchen Geiftlihen und die Beſchädigung der Kirche durch ihre 
Scholaſtik und Polemik und das dadurch eingeriffene Sittenverderben anflagt. „Darum 
werden”, heißt es darin, „viel Juden, ja aud Türken und Heiden auftreien am jewem 
Zage, und uns Unchriften verdammen, denn fie find in ihrem Aberglauben viel erafi- 
licher, emfiger und andäctiger als wir, und an guten Werken viel reicher als wir.“ 
„Chriftus wird Did) an jenem Tage nicht fragen, wie viel Ölaubensartifel Du gehabt, 
wie Du habeſt gelehrt und gepredigt, wie fleißig Du zur Predigt gegaugen feufl; ber 
Modus des Gerichts iſt Dir fchon deutlich und deutfch genug vorgeſchrieben von Chriſto 
felbft, nämlich die Werke der Liebe werden ums richten, beides zur Geligleit und Ber- 
dammniß, und Chriftus wird Dich da nicht fragen, was Du von ihm geglaubt haſt, 
oder welcher Selte Dein Sinn gewefen. Nein, denn das Willen, Erkenntniß und 
Weisheit des Buchftabens macht nicht felig, wie auch das Unwiffen des äußeren Bud) 
ftabens nicht verdammet.” ine Anzahl Iutherifcher Theologen, welche fih mın gegen 
ihn erhoben, warfen ihm hiernach nit nur „Enthuflasmus*, wogegen Nic. Hmanins 
damals auch fonft zu flreiten hatte, fondern auch Atheismus vor und daß er lehre, man 
Tonne auch ohne Chriftus felig werden, wovon er doc fehr weit entfernt war. Auch 
gegen bie Yefuiten und für den Frieden hatte er noch im Jahre 1648 zu flreiten, und 
nad feiner Verficherung vertraute ihm Kaifer Ferdinand III. hier oft mehr als jenen. 
Nachrichten über ihn nad den Perfonalien aus der Leichenpredigt in Moller’s 
Cimbria literata T. 2. p. 966—970, und ſchon in deſſen früherer Introductio ad 
hist. Cimbr. lit. Cap. 6. $. 11. p. 510—516. In ber erfleren Schrift and eine 
Aufzählung und Beurheilung der Schriften Werdenhagen’s; ein noch längeres Verzeichniß 
derfelben aus Werdenhagen's Juvenilis in 9. 5. v. Seelen's deliciae epistolicae 
©. 180—189, wo auch Briefe Werdenhagen’8 aufgenommen find. Vieles auch in Sfr. 
Arnold’8 Kichen- und Kegerhiftorie Th. 3. Kap. 9. und Th. 4. Selt. 8. Nr. 3m.13, 
wo lange Auszüge aus Werdenhngens offener Herzenspforter. Stellen aus anderen 
Werken befjelben auch bei E. Sclee: der Streit des Dan. Hoffmann (Marburg 1862) 
S. 46 ff., und in der Schrift über Ge. Calixtus Th. 1. ©. 247 fi. von Hemte. 
Zahl, goldene, heißt da8 Datum der Neumondstage der einzelnen Zahre des 
neunzehnjährigen Mondzirlels, deflen Ablauf die Neumonde und demgemäß aud 
die Übrigen Mondphafen wieder zu denfelben Tagen des Sonnenjahres zurüdführt, im 
immerwährenden julianifhen Kalender des Mittelalters, berechnet 
nach dem beliebig gewählten Anfang des Mondzirkels mit einem Jahre, deſſen erfler 
Neumond auf den 23. Januar fill. Da unter anderen das Jahr 1 dor der diomtyfifchen 
Aera ein ſolches war, fo gefchieht die Berechnung der goldenen Zahl für einzelne Jahre 
unferer Aera durch die Addition von 1 zu der Jahreszahl und durch die Diviflon ber 
Summe mit dem Jahrcompler des Mondzirkels 19: ber Reſt, oder wenn keiner bleibe, 
die Zahl 19 ſelbſt if dann die goldene Zahl für das betreffende Jahr. So hat 
3: B. das Jahr 1867 die goldene Zahl VI, denn (1807 + 1) : 19 läßt 6 im Re 
Belanntlic dient die goldene Zahl zu der Beftimmung ber jedesmaligen aleran- 
dbrinifh-dionyfifhen Oſtergränze, f. Piper’s Artikel „Kalender Bd. VIL 
©. 227. 228. Alter und Urfprung des Namens find noch nicht feſtgeſtellt. Ideler 
bermuthet in feinem „Handbuch der mathematifchen und technifchen Chronologie”, Ch. IL 
©. 197 Anm. hinſichtlich des erfteren, der Name fey jünger, ale Beda, und cite 


Zahl, goldene 615 


hinfichtlich des legteren einen italienifchen Hechtögelehrten des 13. Juhrhunderts, Dur 
randns oder Duramtis, der in feinem rationale divinorum officiorum L. VII. 
c. 11, fage: dieitur aureus numerus per similitudinem, quia sicut aurum superat 
oxania metalla, ita iste numerus omnes alias rationes lunares excellit; er meint 
aber dabei, die Benennung !dune auch ganz einfach von der goldenen Dinte ber 
goldenen Zahlen in den mittelalterlihen Kopieen des immermwährenden julianifchen Ka⸗ 
lenders herrühren. Beide Bermuthungen über den Urfprung des Namens finden fidh 
auch bei Dufreane unter „Numerus Aureus”: aureum autem numerum appellari 
aiunt, seu quod olim aureis literis inscriberetur, seu propter in- 
ventionis et usus ejus excellentiam. Guſtas Röſch. 


— — —— — — — — — - 


Druckfehler. 
Dd. XXL ©. 385 Zeile 3 von unten lies „Beten Zamolris* ſtatt Goeten Zamolxis. 
er 8, 138, nn „Bebräer briefe“ flatt Galater brief. 
nr 5,0 3, nn „entgegen zu verfündigen” flatt; zu verfünbigen, 
„ : 83, MM. nn „Leler” ftatt Lehrer. 


Verzeichniß 


der 


im einundzwanzigſten Bande enthaltenen Artikel. 


Ubiquität. 


Seite 
Schwarzenberg, So rei⸗ 
eg 3 ‚Seh re Ullmann, Karl 


berr zu. 


Schyn, Hermannus SiUngnad, Hans v. 
Secularismus Yünfterblihlet . . . . 
Selten . . 11jUnfterblichfeit, Lehre des A. 
Selbſtliebe 22| Teſtaments von derſ. 
Sendomir . 24 Valentinus, Pabſt.. . 
Servatius, der heil. 45| Beefenmeyer, Georg . 
Servet 


.. 46 Ventura, Joachim 
Spetlantsinfeln, —. Hrkney⸗ Vernunft 


Verf öhnungstag 


und Sprtlande-Infein 

xX, 21 ,. 551 Billers, Karl Fr. D. 
Sibel, Casp.. H5| Vincent, 3.2.6... . 
Eimler, Iofias . 71 Walther v. d.Bo elweibe 
Simonie . 73| Weiß (Candidus), Bantaleon 
Sittengefet 77|Wenzeslaus, der heil. 
Sohn, Georg . 861 Whately, Rich. . 
Spifame, Satob Bafıl. 83 | Wildenfpucher Kreuzigung 
Spiritualismus . . 91 Wilsnack, das Heil. Blut in 
Spitta, K. J P.. 93] Wolff, Chriftian, und die 
Staat und Kirche . 9 Wolff'ſche Theofogenichule 519 
Stahl, Fr. Iul.. . 139| Wort Gottes, Logos, ſ. deſus 
Staphylus, Friebr. 152] ver Sottmenfch 
Steffens, H. 1564| Würzburg, Reformation . 


Steinhofer, M. $. €. 163] Yale College . 

Stier, Rudolf Ewald. . 172 Fadariae, Scholaſtikus 
Stuttgarter Synode v. 3.1559 Schelia . 

Sünde wider den heil. Geift 182] Seitredhnung, neuteſianienil. 
Suündloſigkeit Jefu . 190 | 3eller, Ehrift. Heint. 
Suidas 214 a Wifte . . . 


Fauferorcismus u. Abre- 
nunttation . . . 218]; ürcher Conſens 
Tereſia, die heil. .. 227 
Teſchenmacher, Werner „ 246 
Theater, Berhältniß zur Ambrofius 
Kirche . 259| Bajopborie 


Theffalomicher, 2 Briefe an 


Eimotbens‘ u. Titus, Briefe 
Zieftrunt, I. H.. 
Zimann, Sob. n. 


Vardeſanes . . 
269] Beccarelli, Xofepb . 
Bernis, Franz oachiem 
271128ertbold . 
273 Biſchofswahl. 


Pauli an 2761 Biidyofsweihe 
Todesſtrafe . . 342|Brilder, die langen . 
Tritheiſtiſcher Streit . 355|Burg . . . 
Truber, Primus, und bie Salvarienberg 


360|Eiborium . 
379 1Clinici . 


Reformation in Krain . 
Zutilo von St. Gallen 


9 
3 


. Fr Collation . 
386 Confiferinm, biihäft, ſ . 

3 Offizial . 

401 | Defititoven geiſti Oben 


409 


Niinigteitsfen .. 
Eleale . . en 
429|Familiares . . . .. 
429|Familiaritass . -. . . . 


4350| Fenertaufe.- . . . :% 
433| Sleetbeiratten . -. . 
446/Sdtendienfi . . 

459] Gottmenſch, f. Iefas der 
461] Gottmenih -. 


467|Harmonius .. . 
48015cland . .. .» 
4891 Hucarius . . 
494 | Kettler, Gotth. 
507 Kirdhenamt . . 
518jLäftern, Läfterung . . 
Legenda aurea, |. Jacob de 
oragine . 
Matkpela, ſ. Bd. vi. 177 
531] Manuel Paläologus .. 
531] Dtaranos . . . 
5381 Marcela . -. . . 
53gNoviciet . . . 
541 Nuntiaturftreitigfeiten . .. 
5431 Dmophorium. . 
570one Onefimus, f Bhilemon x2, 


573 Buzialemn- . 
574 Blarrgwang, ſ. Dr. 11.6, 466 8% 
Poloez . . . 

Bolocz, Synode . ... 
585Roſinfarbe...66 
585/Sandmeer. ... sr 
5855| Sarah . - 

587 Sculbräber n. Söuligte or 
587|Stift . 


28 agezaaze BE22222 SRBBEBESE | 


587 )Stor m. Stübner .. 8 
587 Theodorus Abulra . . HOW 
592/Therapenten - - » . . * 


594 van Til, Salomon 
594 Berlöbniß, [.Bb. 216. 691 ir: 


594 Vitalis . . oo. R 
694 Werbenhagen 2000. 6R 
595 Zahl, goldene . . . 614 


Verzeichniß 


der 


Herren Mitarbeiter mit den von ihnen verfaßten Artikeln. 


Ahlfeld, St, Dr. , Arneld, Fr. Aug. Dr., |Henichrede. 


Baflor in Leip tof. in Halle. Hierapolie. 
Boos, Martin. Aas. Brot. in Da Hillel, Rabbi. 
Budanan, Claudins. Aben Eira. Höhlen in BPaläfina. 
Bunyan, John. Abgaben bei den Hebräern. Jericho. 
Abrabanel. Jordan. 
Alt, Heinr., Dr., Aelteſte bei den Sfraeliten. Ituräa. 
Baflor in Berlin, Alto. Kades. 
Abendläuten. Arabien. Kameel. 
Acoſta, Uriel. Baſan. Kaphtor. 
Alexander Newety. Bethabara. Karkemiſch. 
Alerianer oder Celliten. Bethauia. Karmel. 
Allerheiligenfeſt. Bethel. Kedes, Kedeſch. 
Aller Seelentag. Bethesda. Kidron. 
Ambon. Bethoron. Kifon. 
Amun, Amon. Bethlehem. Kiriath. 
Antimensium. Bethphage. Korach. 
Antiphon. Betbjaide. Korinth. 
Ayuileja. Betbzur. Lensden, Iob. 
Aſchermittwoch. Bethulia. Libanon. 
Baptiſterien. Bibeluberſetzungen. Libyen. 
Beiameibung Chriſti, Feſt der | Eäfaren. sub. 
ilderwan Eanftein, 8. H. Sehr. v. ycien. 
Bona, Johannes. ne Zu Lydda. 
Bußtag. Chaldãa, Chaldäer. eyſtra. 
Cãcilia. Cilicien. Maacha. 
Damianus. Concordanz. Maale, Maalzeichen. 
Diptychen. Cypern. Machanuaim. 
Doxologie. Cyrene. Machior. 
Dreilönigefeft. Damascne. Dlagdala. 
Exorciomnus. Derbe. —ã bei den Hebräern. 
Dodanim. Mandelbaumı. 
Amon, t, Der. Maon. 
„. Rabbiner in Greglingen. Edeſſa. Mara. 
Achija. Emmans. Maranatha. 
Akiba (Rabbi). - | &pbeins, Stadt. Mareſa. 
Abo (Rabbi Joſeph). Gaftmähler bei den Hebräern. | Maforab. 
Arba Kaupboth. Ga; Maaße und Gewichte bei den 
Aſche (Rabbi) Selb "bei den Hebräern. Hebräern. 
Geographie, bibliſche. Medien. 
Antonin, Sethiemane. Memphis. 
VPaſtor in Uchaud. Goſan. Metalle in der Bibel. 
Bincent, Sacg. &. Sam. (Suppl.) Goſen. Mord bei den Hebräern. 
Grab, das heilige, in Sernfalen. | Moriah. 
Arhinerd, Andre, Haar bei den Hebräern. Delberg. 


bei Don ceegiel. ne Baläftine. 
Spanheim, Friedrich, u. e rodes. 
Tronchin. —* erodianer. — Albert, 


618 


©idon, Sidonier. 

Sinai. 

Spencer, John. 

Oh und Ortfchaften in Pa⸗ 
ing. 

Syriſche Kirchen - Bibelüberfe- 


Enke in Paläftina. 
Thamar. 

Thimna. 

Thimnath Serah. 

Tychſen, Olaf Gerh. 

Pa — Thom. Chriſt. 
r. 


Vatablus, 
Vater, J. 
Vitringa, Campegius. 
re in Baläftina. 


ran. 


ion, 
Im Supplement : 
Lowth, Rob, 
Zin, Wüſte. 
par. 
leale. 


Auberlen, Carl Aug. Dr., +, 
Prof. Sar op ologie in Bafel, 
Böhme, I 
Deuer mb Boltenfänte, 
abriel. 
Geiſt des Menſchen, im bibL 
inne. 
Gerehtigteit bes Menſchen, ur» 
ſprüngliche. 
Geſchlechtsregiſter. 
Gog und Mago a 
Del im biblifhen Sinne. 


Sat, Sohn Saale. 


— Sohn Ialobe. 
Ismael. 

Kainiten. 

Lot. 

Detinger, F. Chr. 


Baum mgarten, Michael, Dr., 
Prof. der Zheologie in Roftod, 
En ofiege lirchliche. 


Ezechiel. 
Jojada. 
Solnn. 


Bud), 
Baur, Wilh., 


Paſtor in Hambuͤrg. 


Stolberg, Graf Fr. Leop. 


$ aan des Evang. Stifts in Bonn. 
effobrunner Gebet, 
Wicelius, ©. 

Bittenberger Concorbie. 
Gentiliacum (Supplm.) 


Bel, Carl, 
Dekan in Reutlingen, 
Enthuſiasmus. 
Ergebung. 
Eudämonismuo. 


| K 


Fanatismus. 
Fatalismus. 


ürbitte. 
ebet im 
Gut, das 


Allgemeinen. 
höchſte. 


Kryptocalvinismus. 
Majoriſtiſcher Streit. 
Meritum de condigno, de con- 


gruo. 
Naturgeſetz. 


Schwaͤrmerei. 


Berg, }, 


Paſtor in Barmen. 


Tractatgeſellſchaften. 


Berfier, Sup, 


Aubigné, Agrippa en (Suppi.) 
Bertheau, Ernſt, Dr., 


ibl. Sprachen in Göttingen 
Burtorff, verſchiedene bes 


Prof. der 


mens. 


Cappel, Louis. 


Drufius, Io 


Eichhorn, 
Hebräifche 


Beher, 
Vaſtor in Neddemin (Medien Strelid). 


h. 
Joh. Gottfr. 
Sprache. 


Franz, 


Unfehlbarkeit der Kirche, 


Pabſtes. 
Werle, 


ute. 


Lohn, (Supplem.) 


Beyſchlag, Willib. Dr., 


Prof. der Theologie in Halle. 


Ullmann, 


Karl. (Suppl.) 


Birkner, Fr. 4, 


Pfarrer in Nuͤrnberg. 
Dievianus, Kaspar. 


Böhner, Eduard, Dr., 


Prof. in Halle. 


Engel. 


©eiftesgaben. 
Baldes, Juan und Alonfo. 
Aftruc (Suppt.) 


Böhringer, Friedr. 
Ambrofius, Biinot v. Mailand, 
Boetticher, Paul, Dr., 


Privatdocent in Halle. 
Abulfaradich. 


Bonnet, L., Dr, 


Pfarrer in Sranffurt aM 
Barmann, Rud., Lic. theol., Dionob, Adolphe. 


Saurin 
Borrel, +, 
Paſtor in Nismes. 
Chandieu, Anton, (Suppl.) 


Bouterwel, Carl Wilh. Dr. 


Prof. und Direktor des Byninafi ums 


tn Elberſeld. 


Evangelienharmonie. 


Kero 


aroliniſche Bücher. 


Verzeichniß der Herren Mitarbeiter u. deren. Aztifel 


. Im Supplement: 
Cãdmon 
Cuthbert. 
Monheim, Joh. 
Sibel, Caspar. 
Tefchenmadher, Berner. 


- Brauer, Joh. Hartw, 
Katechet in Hamburg. 
Baptiften. 
Carey, William. 
Egede, Hans. 
Eliot, John. 


Broder, Oscar, Dr. 
Lehrer an der Gel. Schule in Hamburg. 
Aichſpalt, Peter. 

Adam 9. Bremen. 


"Sur uger, Earl 8: Helur. ur. Ang, 
Rote, Karl Sop, Krieb, (Guppl) 


Bur obstyj ob. Dr 
8 —* 
Ungarn. 


Burfharbt, G._ 


Lehrer am Theol 
Gna 


Seminart ir 
eid. 
Zinzendorf und die Vrüberge- 
meinde. 


Gafiel, Parlus, Dr. 
Rrof. in Bert 
Jannarius. 
Japhet, Sohn des Noah. 


Jehn. 
Jephia, Jiphtach. 
Isboſeth. 
Merodach Balaban. 
Midraſch. 
Weihnachten. 
Weihnachtsfeier. 


Chlebus, Lic. theol., }, 
m Berlin 


Alcantara-Orben. 
Alerander, Batrlar dv. Nieren» 


— en autinopet 
— Bifcof v. BSierapolit. 
Anachoreten. 
Anaeletus. 
Anna, die heilige. 
Anaftafia, 
Anaflaflus. 
Anatolicus. 
Athenagoras. 
Auguftiner. 


Chriftlieb, 5 —— Dr n 


Scotus a ahehen 

Smith, Sohn Pye. 

< 2703 — alb. 
illingfle 

| Barburton, Fr 

Barblaw, Ralph. 





Dergeichnih der Herren Blitasbeiter u, deren Urtilel 


Waterland Daniel. 


Wilfeid, Bifchöfe. 
Bilhelm v. Malmesbury. 


&lemen, Dr., 
rorector bes Spmuafums” in Lemgo. 
Sippe, Furſtenthum. 


Coſac, €. J. Dr., 
Prof. der Theologie in Königebere. 
Dad, Simon, und die Könige- 


berger Dichterfchute. 
Cunitz, Ebnard, Dr., 


Prof. der t ologie in Etrafburg. 
offmann, Melchior. 
übmaier, Balthaſar. 

alten, Reformation in 


Curtze, Lonis, Dr., 
Gyumaflal-Dizestor a, D. in 
Waldeck, Fürſtenthum. 


Daniel, 6. A. Dr., 
Prof. am Pävagogium in Halle, 
Kirchenagende im Allgemeinen, 
und preuß. Kirchenagende im 

Befondern. 


Deine, | 


Daniel. 

Siob. 

Pſalmen. 

Sprüde Salomo's. 
Zephanja. 


Dieckhoff, A. W., Dr., 


Theol i * 
— he n 2 


Comtenins, rl Amos. 


Dieftel, Ludw., Dr., 

Prof. der Theologie in Greifswald. 
Salomo, 
Schauen Bottes. 
Simeon, SohnJalob's u. Staınm. 
Simfon. 
Thomaſin v. Zirklaria. 
Zräume. 
Urim und Thummim. 


Wahrfager. 
Welt im bibliſchen Sinne 
Dietlein, 


PVaftor in Egeln bei Magdeburg. 
Deutſchlatholicismuso. 


Dillmenn, A, Dr. 


Betiopiide "Bibeißberfe 
Dibeltert dee U. T. ..ö 
Chronil. 


Pſeudepigraphen des U. T. 


ranz, Dr., 


ogie in Belangen. 


Dülgeg. Sitz. ‚Dr, 


Lapfl. 

Leriunm Klofter. 

Lorente, Don Inan Antonio. 

Loen, Joh. Mid. v. 

Lütlemann, Joachim. 

Marcion, Guoſtiler, und ſeine 
chule. 


Döring, Im. Sur, Dr., t, 
Nöfſelt, 3. a 


Dörtenbad, ‚ge 


Sünde, 
Sünbenvergebung. 


Dorner, A. Uing., Dr 
Prof. der T 

Ethik, Sittenichte, — 

Theolo “ ſpeculative. 


Pelt, 2 (Suppl.) 


Dose, Rich., Dr., 
Prof. der Rechte in Kiel, 
| Sacramentalien. 
Scheidungsrecht, evangel. 
Secularifation. 
Sende, Sen bperichte, 
Richter, Aemil. Julius. (Suppl.) 


Dryander, Herm., 

Superintendent in Halle. 
Bogatzky, Karl Heiur. v. 
Breit aupt, Joach. Juſt. 
3363 angeine Sileſins. 
Schmolck, 
Diecrins , ——— 

(Suppiem.) 


Ebrarb, 3.  Heint.Yug., Dr., 


angen 
Coccejus. 
Dämouifche, 
Evangelifche Allan. 
Gebet des 

— im amen Sein. 
Gericht, goͤttliches. 
Harmonie der Evangelien. 
Era ah Chriſti. 

eſus Chriſtns, der Gottmenſch. 
Jeſu Chriſti dreifaches Amt. 


Johannes, ber Apoftel, und feine 


Sgriften 

Kritik, ibfifche. 
Offenbarang Johannis. 
Wendelin, Mark. Fried. 
Witſius, Herm. 

Wolleb, Joh 

vurmann, Kran (Suppl.) 


——— 
ende, Gottfr. Chriſt. — 


Elze, Theodor, 


Dfarrer in Meran. 


j Tender, Primus, und die Re⸗ 
formation 9. Krain, (Suppl.) 





619 
⸗ „D 1" 
Gngelgerd, 2.@g.B,.Dr. + 


Dun“ Sobannes, Scotuß. 
Durand de St. Pourqain. 
Evangelium, ewiges. 
Frauz von Aſſtſi. 


Engelfieft, Gpeift. Th., Dr. 
Dänemöärt. 


Erbkam, 8. ®., Dr., 
Prof. der Theologie in Königeberg. 
Karifiadt, Andreas Rud. 
Dünger, Thomas. 
Schönherr und feine Anhänger 
in Königeberg. 
Schwentfeldt, a6par. 
Supplement: 


Erbmaun, Dabid, Dr., 
Gen -Buperintenbent, ber Bob. Schieſien 


Polen. 
Bolianber, Graumanı.! 
Breußen, Orbensflaat, Herzog- 


thum. 
Speratus, Paul. 


Euler, C. Dr. 
Civil·Lehrer an ber Kin. Gentrat- 
Zurnanftalt in 


Willigis, Erzbifhof * Mainz. 
Mölln 


Yabri, Brian. D Dr., 
Miiffions-In ector in Barmen. 
| Baumgärtner, Aug. 


ı Materialiemu 
| | Anberien, Karl Ang. GSuppl.) 


Farber, K. Theod. 4a Bace., 


Pfarr-Sollaborator in 


Mörlin, Marimilian. (Suppt.) 


Sarcerins, Fra P 
6, 
309 n — ierica). 
Dwight, Thimothy. (Suppt‘) 


ale College. 
Floto, Hartw. Dr., 
Gregor VL VII 


Frank, Buſt, Theol. Lic., 
. in Jena 
Möhr, 30. 7 — 
Synergismus. 
Tzſchirner, H. ©. 
Im Supplement: 
Chin, D. G. C. 
Danovins, Eruſt Jakob. 


Dany, or. Andr. 

—, Joh. Traug. Lebr. 
Doctor Theologiae. 
Hausmann, Mit, 
Hoffmann, Andr. Gottl. 
Dlajor, Joh 
Ppufendor Zum 

plement: 
Röhr, ch Fr Nachtrag. 
Wolff, Ehriftian, und die Wolff’ 
Ihe Theologenſchule. 


Friedberg, Emil, Dr., 
Prof. der Gh in Halle. 
Spolienredt. 
Subdialon. 


Fritziche, Otto Fridol, Dr., 
rof. der Theologie inZuͤrich. 
Alexandriniſche — 
Deutſche Bibelüberſetzungen. 
Exegetiſche Sammlungen. 
Vulgata. 
—328 — Carl Ar. Aug. 

Im Supplement: 
Hegius, Alex. 
Lee, Eduard. 
Mutianus, Ruf. Conr. 


Fronmüller, ©. F. C., Dr., 
Pfarrer in emdath 

Bacon, Roger. 
Beſchaulichkeit. 
Betrachtung. 
Beweggrund. 

elix der Manichäer. 

ranz Xavier. 

enügſamleit. 
Sottesläfterung. 
gottiofigteit, 


Nächfter. 

Tod, 

Zöllner, Joh. Gottl. 
Triumphus, Auguſtinus. 
Tyana, Synode. 
Tychicus. 
Tyrannus. 
Läſtern, Läſterung. 


‚Gauife, 


Prof. in Genf. 


Bonivard, Franz, (Suppi.) 


(Suppi.) 


Berzeichniß der: Herren Mitarbeiter u: den: Miutkfel 


Evagrius der F inonter. Suites. 


Gregor v. Nazian ritheiftiicher Streit. 
—2 und diſch⸗ruffſche —— Scolafticu®. 

irche 
Sefyhenen. Gefiten, Joß., Dr. 

Serufalem, Batriarchat. iiten, Joh, Di tı 

Johannes Philoponus, Winckler, Io 

— Presbyter. 

— ——— auch Cli⸗ Geihſler, 38 

macus. Lehrer am Seminar 

— der Batriard. Steinhofer, M. Fr. — 
Kabaſilas. 
Klöſter. Gelberi, 
Lucaris, Cyrillus. Pfarrer u 2 
Märtyrer und Belenner. Bader, Joh. (Sunpl.) 
Menaion. 
Menologion. Gelpte, E. T. Dr. 
Metaphraſtes. Prof. der Theologie in Sem 
Metrophanes, Kritopnius. Mauritius und die thebätide 
Möndtbum Legion. 


Darius v. Aventicum. 


Mogilas, Beteus, . 
Sequenzen und Sequentidle. 


Nektarius, Patriarden. 


Neftor, ruffiiher Aunalifi. Sintram. 
Nicänifhes Eoneil. Theodulns. 
Nicephorus, Calliſtus. Im Guppiement: 
— v. Tonflantinopel. Beruhard v. Menthon. 
Nicetas Choniates. intan. 
— Paphlago. ridolin. 
— Peectoratus. einrad. 


Nicolaus, Biſchof v. Methone. Tutilo v. St Ballen. 





— Biſchof v. Myra. 
Nikopolis. Gfrörer, A., Dr., t, 
Nikon, Patriarch. Prof. der Geſchichte in Freiburg 
Nilus. Adalbert v. Prag. 
Ophiten. — v . Bremen. 
Palamas. Adalga 
Pammachius. aba ad und Wala, 
Panagia. 
Banenyrifon. Agapetus. 
Paphnutius. 
Parakletike. Gillet, J. F. A. Dr. 


Koͤnigl. 888 in Breslan 
Urſinus, Zacharias 
Crato von Eraftheim. (Surpi) 


Petrus v. Alerandrieır. 
Phileas, Biſchof v. T 
Philo, Carpathius. 


Philepatris. 

Pbiloſtorgins. Göbel, Garl, Dr. 
—R Krafft, Io. Mean Eon 
Raskolniken. Göbel, M N 
Schleiermader, Fr. Dan. Ernft. arim., ’ 
Soiltarius —R Brill, „gem in Goblen, 


Sophia, Heilige des Namens. | Bromiey, Thomas. 


Se ——— Buttlar — v., und bie Batt- 
a ilh., Dr. oſthene lariſche Rotte. 
Prof. 2b, With in Gießen. Symphorianne. Zuſaren Abdertime, Pfalzgräfie. 
Athos⸗Berg. Symphoroſa. Goar, Sankt. 
Bonaventura. Syropulos, Sylveſter. Guido (Guy, Wido) de Bret 
Gärularius, Michael. Theodorus Graptus. Guyon, Frau von 
Chryſanthus. — Lector. Hamelmann, Hermann. 
Chryfippus. Tbeophanes v. Byzanz. Zeſentamp, Joh. Georg, Friedi. 
Chryſologus. Tbeophylakt. Arnold urd Joh. Heint 
Confantin d. Große und feine Wafferweibe in ber griechiſchen Horb, Joh. Heine. 

Söhne. Kirche. Horch, Dr. Heine. 
Conſtantinopel. Im Supplement: Inſpirirte und 
Euchologion. Barkhauſen und ber Streit Aber emeinben. 
Eudorius, ber Arianer. die allgem. Gnade. Joch, Dr. Joh 
Eulogia. Gaß, J. eben Ihre —& J art. 
Eunomius und Ennomianer. Heineccius, I . Mid. Kollenbuſch, Dr. re 
Euſtathins. Heſychius. Krummacher, Gottfr. 
Euthymius Zigabenns. Leontius v. Byzanz. Labadie und die Serie 
Evagrius, Möonch. Menter, Balthafar. | 2ampe, Friedr Abolph 


Bergeklguiß: der. Seren WMiterbeiter n.: deren Arulel 


Lasko, Johannes a 
Leabe —— Jane, und die Phila⸗ 


delphi 
godenfeim, Jobocus von 
Marburger Bibel. 


». Grüneifen, Earl, Dr., 
Oberbofprediger im Stuttgart. 
rueifir. 
Eliſabeih, die heil. 


Evangeliſche Kirchen Conſerenz, 


arfay. die bentiche. 
Menken, Dr. Gottfr. Keonieihmamefef. 
aehlihen Drama. 
Gäfdel, Gar! Br, Dr., }, 9 
R.-Präfbent Slödne: 
Dante —— — —* "| Gnabenbit, 
Eid. Gondimel, Claude. 


Georg IIL, Furn Yon Audau. 


— don 


Sral, & vo. eadfen. 


Serberger, Balerins, 
Hermann v. Lehnin. 


Nenmeiſter, Erbmann. 


Nürnberger Religions - Friede. | Schwartz, 


Ozanam. 
—* — Vertrag. 
atron, Patronat. 
Piſtorins. 
Reservatio mentalis. 
Renb Bbersbor), MarieBenigne, 


af 
Nienzo, Cola di 
Ringwaldt, Barthol. 
Rintart, Darin. 
Rodigaſt, M. 
—— © 
Seele. 
Seelenſchlaf. 
Stafortiſchet Buch. 
Stieffel, Eſaias. 


Goſchen, Otte, Dr., 
Ehe Brof, der Rechte n Halle 


Gothe, Mati., 
Euperintendent in Melbourne. 
Auftralien. (Suppl.) 
v. b. Belt. Aller. reiß,, 


a. D. mn 6 
Wigenmonn, Thom. 


Goſche, R. U. Dr. 
Eber ge der —2* Sprachen in Halle. 


Eee, 
Eliſäns. 
Esnit, 
upplement: 


Bertgobk 1 br. Teonb. 
Erpenius, Thomas, 


Graul, Carl, „Dr. „H 
Heber, Reginald,Bifcho(Suppt) 
Berl, 





Habu, Michael. 


ehrung. 
Sn eit im der chriſtl. Kirche, 
often, auch Oblaten, 
Labarum. 
Manuel, Niclaus. 
Bofer, Joh. Jal. 
Orgel. 


Gundert, H. Dr., 
in Salto, 
Chriſt. Friedr. 


Gueride, 9. €. Ferd. Dr., 
of. der Theologie in Halle. 
Archäologe, lirchliche. 


Güber, Ednard, Dr., 
Pfarrer in Bern, 

Glaubensregel. 
Hades. 
Hemmerlin, Feli 
Dölenfabrt brifti. 
Höllenftrofen. 
Jernſalem, das nene Bisthum 

St. Jalob. 

Johaunes der Tänfer. 
Kindſchaft Gottes, Kinder Gottes. 
Leben, ewiges. 

Limbus. 

enkas der Evaugeliſt. 

Zub (Luci 0) amuel. 

— Joh. Ludw. Sam. 
Marcne, Evangelift. 

Matthäus, Apoftel u. Evangelifi. 
Megander, Kaspar. 

Musculus, Wolfgang. 
Nikodemus. 

Opus Su a dteni— 

FA im 


— Winflibrung des Chri⸗ 
Rent ume bis zur Nefors 
mation. 


ı Stand Sn Doppelter. 


Stapfer, Joh. 
tapfer, 3 ER Fr. 


ſieri. 
—** Huldreich. 


Bagenbai), Karl Rub., Dr., 


der Theologie in Bafel. 
Agnoeten. 
4a ephaler. 
Aloimeten. 
ander, dieronymue. 


Apologeten. 

Shologeit 

| Anignon. 

Azymiten. 

Baden im Aargan. 

Bekler, Balthaſar. 

Borromeo, Karl. 

| Pape und die Boyle'ſche Stif⸗ 


ung. 
| Brabkearbine, Thomas, 
Bretichneiber, Kari Gottl. 
Cäfarius v. Aries. 
v. Ra kan. 


— 


Martgr. v. Brandenburg. Fe deren Anrufung und | br Wolfg. 


odor, — Are 
<aellio, Sebaſtiau. 
Cerinth. 
Gellarius, Martin Borhans. 
Chaleedon. 
Collegianten. 
Christo sacrum, 
Ehryfoftomus, Johannes, 
Clandius, Matthias. 
Clericus. 
Copiaten. 
Cotelerius, Joh. Bapt. 
Eyprianus, cu Eicilins, 
Cyrillus v. Jeruſalem. 

— v. Alexandrien. 
Danut, Joh. Retimiliar. 
Dinter, Gu 

Dippel, Joh. 
Döderlein. 
Drabicins, Nicol, 
Drei» Capitelftreit. 
Encyklopädie, heelegige 
Erasmus, Deſideri 
Erneſti, Jod. Ang. 

aenudus, Biſchof v. Hermiaue. 

arel, Wilh. 

elgenhauer. 

mentarii. 
eßler, Ignaz Anrel. 
I altchriftlihes Symbol. 


ellert. 

Gerdes, Daniel. 
genifiener. 

Gifttheil, Ludw. Friebr. 
Glareanus, H 
Gottſchallk. 

GSrotius, Hugo. 
Haller, Albr. 

Karl Ludw. 
—* (Heid. Caspar). 
erd 

ieronymue, u obhrenins Euſeb. 
Hochmann, Ernſi Chriſt. 
Hofmeiſter, Sebaſtian. 
Hoyer, Anna. 

Huber, — 


Fe Fr. Wilh. 
Jonas, Biſchof v. Orleans. 
Sudä, Leo. 


Jude, der ewige. 
Karg, Georg. 

Kelch im Abendmahl. 
Kepler, Job. Iat. 
Kirchengeichichte. 
Kirchenväter, 


gerufalen 
i 


Kirchhofer, Melchior. 
König, Job. Fr. 
Samuel. 
Kortbolt, Chriſtian. 
Krain, Erzb. Aubreas v. 
Kuhlmann, Quirinus. 
Lilienthal. 

Lobwafler, Ambroſius. 
göffler, Iof. Ir. Chr. 
Denander. 

Munſter, Sebaftian. 
Myconins, Dewald. 
Oberlin. 

Patriſtik. 

Pellican. 

Ruchat, Abraham. 
Nufinus Tyrannius. 
Schmid, Konrad. 
Schnultheß, Johannes. 
Spalding. 

Scriver, Chriffian. 
Statiſtik, lirchliche. 
Snlzer, Simon. 
Symbolit. 
Theophilanthropen. 
Zillotfon. 

Watt, Joady. von 
Wereniels, Samuel. 
de Wette, S a L. 
Wettſtein, I 

Zwinger, Eben, 
„Im Eupplement: 
1, J. €. ©. 


3. €. 
—RX im Elſaß, Refor⸗ 
mation. 
Murner, Thomas. 
Theater, Verhältniß zur Kirche. 


Hahn, Heinr. Ang., Dr., t, 


Nrof. in Greifswald. 


Rinleitung in das 4. Teſt. 
Hahn, Gg. Ludw., Dr., 


Brof. der T eologie in Breslau. 
Schulz, David. 


Haller, 
Pfarrer in Biel, 


Wyttenbach, Thomas. 
Hamberger, Inlius, Dr., 


Prof. in München. 
Staudenmater, Fr. Anton. 
Stigmatifation. 
Swedenborg, 
Theologia, dentich. 
Verklärung. 
Verzuͤdung. 

Im Supplement: 
Baader, Franz. 
Malebranche, Mit. 
Möſer, Inſtus. 
Steffens, Heinrich. 


Hartmann, Julins, 
Dekan in Tuttlingen. 
Adam, Dieldhior. 
Aepinns, Johann. 
Agrippa I 


Berzeiänig ber Herren Mitarbeiter m. deren Artllel 


Althamer, Andreas. ausmeifter, 4, 
Andrei, Zatob. ® Riffioner in 8 h 
— Joh. Val. Miſſionen, —— * unter 

Ansbach, Reformation don den Juden. 
Augsburger — berle, Urb 

— eligionefriede. eberle, Urb. 
Baden, Reformation von © Dekan ta Fr 
Bayern. ı Barnabas, 
Bebel, Heinrich. ' Barfabas. 


 Bengel, Joh. Albr. 
Beſold, Ehriftopb. 
Blaurer, Ambrofine. 
| Brenz, Iobanı. 
Caraccioli, Galeazzo. 
Kelir V. 

Im Eupplement: | 
Barth, Chr. Sottt. | 
Hahn, Phil. Matth. 
Hartmuth von Cronberg. 
Hofacker, Ludw. 

Wilb. 


Otther, Jakob. 
Stuttgarter Synode von 1559. 
Ungnad, Hans von. pr 


Hartwi twig DS. Dr., 
ıgenbaufen. 
Marburger Neligionsgefpräd). 
Moritz, Landgraf vou Heflen. 
Pius I. II. III, Päbfte. 


Ha ler, D., Dr., 
Überftudienrath in Ulm. 


Beefenmeyer, Georg. (Suppl.) 
Hauber, Yriedr. Alb. 


Praͤlat in Ulm, 


Heidenheim, A. Dr., 
| , in Zürich. 
Kimdi, David. ( ) 


Ferrer, Bincentins. 
aßner, Job. Jeſeph. 
Hauge, Hans Rielſen, und bie 
Hangianer. 
Hayıno. 
Hunnius, Nilolaus. 
Märtyrer, die vierzig. 
die 10,000. 
ister sacri palatii. 
ie eftätsbrief, böhmifcher. 
Malomsli, Maccovins. 
|Mamadi, Thon. Maria. 
| Mamas, der heil. 
Mamertus, ber heil, Erzbifchef 
| 9. Bienne, 
Manft, Ich. Dominicus. 
Maranns, Prudentins. 
Hiarcelin⸗ Märtyrer 
Dtarcus, Engenins, Erzbifchef D 
Ephefus. 
Maria von Aegypten, die beil 


— — — — — — — 


Abſentgelder. 

Abfegung. u na von Bragt 

yeceh. R Platina, 

acc amation. Bortiuncnla + Abiaf. 

x F u Poſſidius. 

Amer iſation. Rathmann und der Rathmann'⸗ 
nni cleri. ide Streit. 

Annus carentiae. Im Eupplement: 

— elaustralis. Eurtius, Valentin, und bie fe- 
a — b deservitus und gratiae. Pe eübediige Bormel 
ufgebot. Zumpers (Springer), Geht. 

Erpectanzen. gübed, kirchlich. 


Ivo, Biſchof von Chartres. 
Kirche, Verhältniß zum Staate. — — Rejormation. 
Kirhenverfaffung, Kirchenregi⸗ Roſenbach, Joh. Georg. 


ment. 
Krieg, ob den Chriſten erlaubt, ne B. 


Kriegsdienſte der Geiſtlichen. 
Henle, Ernſt Low. Th. Dr 


rdination. 

Ordines. Bus be ebene in Rartarı 
pfis oder fie 

Saufl, Gottfr. Aug., Dr., | Bautunf, rififice. 


Stadtpfarrer f Waldenbuch 


(Württemberg. ) Braunſchweig. 
Aaron. Calixtus, Georg. 
Abſalom Caſelius, Johann. 
Adamiten Conring, Hermann. 
Ahia. Cordus, Euricius. 
Baladan Crocius, Iohamm, 
Balak. Enreus Joadim. 
Barak. Diaconicum 
Barſillai Duräns, Fohann. 
Bethuel abricius, Iohaum. 
Boas. abler, Johann Phifipp. 


Bergtichnißz der Herren. Miterbeiter n. baren. Hutilel 


ee. a Bepft. 


Er Heinr. Phil. Konzad, 
Hefbufen, Tilemann.. 

Heren nnd Herenprocefe. 
Hoffmann, Daniel. 

Holfte oder Holſtenius, dukas. 
Horney ober Hernejuß, Keurad. 
Hunnius, de idins. 

vfart, I. Matth. 


Wolannse, Ser — 
Mosheim, Joh. Lorenz. 
Rujẽ us, Joh 


eter. 
Bacca, Bartt., Karbinal. 
Parene, Hi, 
Banlinus, 1 Bde] don Nola. 
Pine VI - LK. ſte. 
Planck, Gottl. Jal. 
Heine. Ludw. 
age Friedr. Zitb. 


p C 
Stäublin, Karl —* 
Synkretismus. 
Synkretiſtiſche Streitigtelten. 
Zbilo, Joh. Kar 
Thorn, Religion ag 
Werdenhagen, 3.. (Suppt.) 


Beppe, De Heiur. 2. Jul., Dr., ar 


beologie in Marburg. 
Caffeler Religtonegeipräch, 
Corpus Evangelicorum. 
Dortrecht, Synode zn. 
Episcopine, Simon. 
lewient: 

Bickell, 838 Ib. 

Corpus doctrinae. 
Eglinne. 
Sohn, Georg. 


errmaun, E. Dr., 
tof. der Rechte in Bättingen. 
Schwarzenberg, Joh., Freiherr. 


Abeliten, Abelonier. 
Abraham a St. Elara. 
Abrabhamiten. 

Abfalon, 

Acacins. 

Adeodatus. 
Adrammelech. 
Advocatus Dei. 
Legidins. 

Argidins von Rom. 


Agreda, Maria von Jeſus. 

Aguirre, Joſeyh Sacus be. 

Amoin ober Aymoin, 
Albrecht, Sohn des Kurfürften 
Johann von Brandenbnrg. 

Alegambe. 

Allatins, Leo. 


Allerrifl. Känig, 
Allergläub. König. 
Almojenier. 

Aloyfine nen Gonzaga. 
Amalarins. 


Bartholomãns von Brescia. 
Bartholomiten. 

Baſtlius, Biſchof v. Selencia. 
Bafilius von Ancyra. 
Basler Confeſſion. 


Anmbrofiafer oder PBienbo-Am- | Baflholm, Dr, theol. 


Ambrofine Camaldulenſis. 
Amolo oder Amulo. 
Ampbilohine. 

Anapbora. 


Baumgarten, Siegm. Safob. 


| Belgiſche Conſeſſton. 


Benignus. 
Bernardin von Siena. 
Bernhard, Erzbiſchof v. Toledo. 


ne Abt eines römischen , Bernhard —— Clande. 


Anathema. 
Andronicns. 
Augelikenorden. 
Annnnciaden. 
Aufelm, Biſchof v. Hawelberg. 
Anfelm von Laon 
Antivifomarianiten. 
Antiocheniſche Schule. 
Antoninus Pius. 
Antoninus. 
Antonius, ber beil. 
Antonins von Padna. 
Apbartobofeten. 
Apollinaris der ältere. 
ber jüngere. 
Apollonia, die heilige. 
olloniue. 
eher Rn 
oftoliicher König. 
—8 und Prisc Da. 
Arabien, Ehriftenthum in. 
Archierens, 
Archimandrit. 
Arcimboldi, Joh. Angelus. 
Arles, Synoden don. 
Armeniſche Kirche. 
Arnobtus. 
Arnobins, der Zungere. 
Arnold, Gottf 
Arnoldi, —2 
a der heil. 


ace®. 
Arſenins, röm. Diakon. 
von Nicäa, 
Afceten, afcetifches Leben. 
n. 


Aſterius. 

Atto oder Hatto. 
Andianer. 

Ave Maria. 

Avisorden. 

Avitus, Alcinıns Eecdidins. 
vabyias, der heil. 
Baccanariften, 

Bader, Anguft. 

Bahrdt, Karl Fr. 
Baldachin oder Baldelin. 
Barabbas. 

Barbara, die heil. 
Barclay, Robert. 
Barfügermönde. 
Barnabiten. 

Barnes, Robert. 
Barſumas, oimandrit. 
Bartholomans. 


Berno, auch B 

Bernward, der 13. Biſchof von 
Hildesheim. 

Berruyer, Franz, Jeſuit. 

Bertbier, Wilh. Franz. 

Berti, Stop. Lor. 

Bethelemiten. 

Bettelmöndhe. 

Beza, Theodor v. 

Bibellefen der Laien nnd Bi⸗ 
beiverbote in der katholiſchen 


Kirche. . 
Biberach, Nikol. v. 
Bibiana, die heil. 
Bibliſche Philologie. 
Biddle, Bidellus 
Biel, Gabriel. 
Bilderverehrung in der latholi⸗ 

ſchen Kirche. 
Bingham, Iof. . 
Bittgän 
Blair, usb. 

Blandina. 
Blafien, St. 
Blafins, der Keil. 
Blemmydes ober Blemmida. 
Boetins, Anic. Dianl, 

— Sebaſt. 
Boni homines. 
Bonofus und die Bonoflaner. 
BVBorborianer, Borboriten. 
Borel nnd die Boreliften. 
Borri, Fr. Iof. 
Brigitta, bie Heil. 
Brigittenorben, 
Brittiniauer. 
Brodbrechen im Abendmahl. 
Brüberfchaft. 
Bulgaren. 
Bu Deore 
Bursfelder Kongregation. 
Bußpialmen. 
Cajus oder Gajus. 
ber beit. 
römiſcher Presbyter. 
Calatrava, Ritterorden. 
Callenberg, J. H. 
Calvariſten. 
Calvin. 
geputiati. 


Cav 
—RRX Fett 


der heil. 
Chriſtorden. 
Ciborium. 
Eilicinm. 
Clandianus. 
a anbiue, röm. Kaiſer. 


Bartholomasus de martyribus. Cletu 


624 


CEbleſtiuerorden. 
Collyridianer. 
Commodianus. 
Commodus. 
Competenz. 
Compoſtella. 
Concomitanz. 
Cooperator. 
Cornelius, Pabſt. 


Coronati quatuor. 








Verzeichniß der Herren Mitarbeiter m. deren Artikel 


Epiphanienfek, Feft der Erfchei- ' Darcellina, 


zung. Mariana, Juan. 
Goipfanins, eiaei dv. Pavia. Martha. 
Scholafticus. ‚ Maruthos. 
Equinus. Mathefins, Johannes. 
Erasmus, der heil. Melchiten. 
Erlöſerorden. Miltiades. 
Eudiſten. Neander, Joachim. 


Enftathins, — v. Antiochien. | Nilolaiten. 
Biſchof v. Sebaſte. Nikolaus I. — V., Pähfe. 





Corporale. Eutyehianne, Nonne. 
Credenz oder Credenztiſche. Bean Ang. Herm | Nothhelfer. 
Crescens tanzöfifches Ölaubensbetennt. Oblaten, 
Griepus. niß. DOelolampab. 
Damaſus. —— Oekumenius. 
Daniel, Mönch. ructuoſus, Biſch. v. Tarragona. Ziargee Synode. 
David von Dinant. Gardiner. Oroſius, Paulus. 
Decan. Geißelung in der chriſtl. Kirche. Pallavicini. 
Decauiſſa. Geißler. Papebroch. 
Demas. Geiſt, Orden des heil. Parabolani. 
Deputaten. Gennadius, Presbyter. Paulinus von Aquileja. 
Dereſer, Thad. Ant. Gernler, Lukas. Pavillon, Biſchof von Alet. 
Deurbofi. Geſtirnkunde bei den Sebräern. Pelagius, Alvarus. 
Deusdedit. Gibea. — der heil. 
Derter, Flav. Luc. Gieſeler, Joh. Karl Ludwig. — Legat. 
Diakoniſſa. Gislemar. Pirkheimer. 
Diaspora, Gnadenbriefe. en. 
Didymue, der Blinde. | Gotteefurt, Petrus von Alcantare. 
Gabriel. Gregor der Erleuchter. — von Lampſakus. 
Dietrich von Apolda, | Orönland. Pfenninger. 
— von Niem. ı Ouarbian. Pflug, Julins. 
— Bat. Qulibert, der heil. Philſppus, Apoſtel. 
Dieu, de, Louis. | Zeinric III. Bicarden 
Dimoeriten. Heinrich von Langenftein. Bine, Biſchof v. Krrofine. 
Dionyſins von Korinth. | Siterins, ber beil,, von Arles. | Biscator. 
_ Biſchof von Ron. — Dialon v. röm. Kirche. Placidus, der heil. 
— der Kleine. Hilarus, Biſchof von Rom. Plymouthbrũder. 
— der Karthäuſer. Himmelsanbeter. Bocode. 
Diffenters. Firien. Poiſſy, Religionsgeſpräch. 
Diſſidenten. Dinenbricle. Bontianus, ärtyrer. 
Diugofius, Höfling, I. Wild. Friedr. Boftille. 
Doctrinarier. Holland, Nachtrag. PBotamiäna, Märtyrerim. 
Dodwell, Heinr. ı Hooper, Sohn. Brötorius, Addias. 
Dotet. Sutter, Elias. — tephan. 
Dominicum. ndult Prieſtley, of 
Domitian. Inquifition (Anhang). Proclus, Gegner bes Neforine. 
Donus I. u. I. Inthroniſation. Prodiens und die Prodiciauer. 
Dorothea, die Kalenderheilige. Zutaſten. Prosper von Aquitanien. 
Draconites, Job. Joachim. Protepresbyter ober Protopope. 
Dreyeinigleit, Congregation. Jogſaph. Publicani. 
Drexelius. Johannes eleemosynarius. Quadratus. 
Drodo. — von Monte Corvino. Quäcker. 
Drufilla. — von Paris. Quietismus. 
Druihmar, Chriſtian. — Xx.. Patriarch v. Con | Duintomonardianer. 
Dudith, Andreas, ftantinopel. Rabulas von Cpefia. 
Du Fresne, Seigneur bu Cange. — Partrr.v. Theſſalonich. | Babegumdis, die beit. 
Duperton, Jacques David. Kammer, a apoftolifche. —— 
admer a 
Ebbo. Katholiſche Briefe. | Rautenftrand. 
Eberlin, Anton. Konon, Pabft. Raymund, Martin. 
Edilthryda. Kononiter. — Non⸗natus. 
Egbert, der heil. Lamech. Recollecten. 
Egbert (Ergbert). Lammiſten. Regis, Joh. Franz. 
Elentherus. Lateinifche Sprade in der Ber- | Religionsfreipeit, 
Elvixa, Kirchenverſammlung. 6; „maltung der Saframente. Reliquien. 
minenz. ibertiner naubo 
Empfängnig Mariä, Orben. Luciferianer. Rettig, Dr. 


Encyllifche Briefe. 
Engelbredht, Hans, 
Englifche Fränlein. 
Ennodius, Magn. Felir. 


Maͤrlkiſche Confeffionen. 


Nhemoboth oder Sarabaiten. 
Ricci, Scipio, Bil. v. Piſtoija 
| Rofa von Lima. 

— von Biterbo, 


Magarita, Magarites. 
Maudeville. 
Mappa. 


Berzeihniß der Herren Mitarbeiter u. deren Artikel 


Rofalia, 

Ruedinger, Esrom. 

Ruinart. 

Sailer und feine Schule. 

Salbung. 

Salome. 

Salvianus. 

Sardica, Synobe. 

Sarpi, Paul. 

Schürmann, Anna Dlaria von. 

Schugengelfelt. 

Schwegler, Albert. 

Schweiz, Reformation u. lirchl. 
Statiftil. 


Schweftern, barmherzige. 
Seekers, engl. Selte. 
Severianus, Biſchof. 
Severinus, Biſchof v. Rom. 
Severus verichiedene. 

—  Gulpicius, 
Siebenfhläfer. 
Simonitifche Kekerei. 
Sirmond, Ialob. 
Sifinnius. 
Standinanifche Bibelüberfetung. 
Slawiſche Bibelüberfegung. 
Socin, Fanftus, und die So⸗ 


Zastlobrugiten. 
Theodoret. 

Theodorus Astidas. 
Theopafditen. 
Theophanes Cerameus. 


Theophilus. 
— Biſchofv. Antiochien. 
Critheiſsmus. 
Unigenitus, Bulle. 
Union in ber bayeriſchen Rhein⸗ 


pfalz und im dieſſeitigen 
Bayern. 

Utenheim, Chriſt. v., Biſchof 
von Baſel. 


Bergerins, Petrus Paulus. 
Biſitantinen. 

Waldenſer. 

Waldhauſen, Konr. von. 
Weſten, Thom. von. 
Wetzer, H. T. 

Wild, Joh. Ferus. 
Zimenes, Yranz. 


abarella. 

achãus. 

acharias, röm. Biſchof. 

‚za Supplement: 

Archoutiler. 
Bayern. 
Calvin. 
Dictatus Gregorii VII. 
Difibod, der Heil. 


Dutoit, Membrini, I. P. 
Engelhard, Dr. 3. & 8. 
Eucherins, der heil. 
Heynlin, Johann, de Lapide. 
Refuge, Eglises du. 
Servet. 

Ubiguität. 


Geh, Seh. Datob, 
Heß, Joh. Ialob. 





| 
| Atheismus, 
Sochhuth, C. W.H., Lic. th. 


Metropolitan in Frankenberg (Heſſen). 


Aegypten, das neuere. 


| Affemani. 


d, Wilh. 
Prof. ve, B DD ansarı 
Mongolen, Chriſtenthum unter 


denfelben. 


| Heyder, Karl Low. W., Dr., 


Ptof. der Philoſophie in Erlangen. 
Schelling, F. Wilh. Joſ. 


Hintel, Dr., 
in Amerika. 
Altar. 
Anthropomorphismus und An⸗ 
thropopathismus. 


Ring, Melchior. 
Thamer, Theob. 

Im Supplement: 
Nollius, Heinr. 
Borbage, Ioh. 


Hoffmann, Wilh., Dr., 
Generalſuperintendent in Berlin. 
Abeffiniiche Kirche. 


Abaötterei. 
Fr 


dam und feine Söhne. 


Aethiopiſche Kirche. 


| Hoffmann, J.A. G. Dr., }, 


of. der Theologie in Jena. 


Druiden. 


Sofa ae —X —* 
toſ. DET Do € ig. 
Apotropben den Di. Team. 


ollenberg, W. A., Dr., 
ymmafial-Diceetor in Saarbrüden. 
Seilneccer. 
Sigiemund, Kurfürf v. Bran- 
denburg. 
Sokrates, Kirchenhiſtoriker. 
Sozomenos. 
Bincentins de Paula. 
Wiener Friede für Ungarn. 
Wilhelm von St. Amor. 
Wucher bei den Hebräern. 
Im Supplement: 
| Albrechtsieute. 
; Arnold, Thomas, Dr. 
| Kihbern, Joh. Albr. Friedr. 
Goßner, Joh. Evang. 
Herbart, Joh. Friedr. 
Hosbach, Pet. Wilh. 
Loniſe Henriette, Kurfürſtin von 
Brandenburg. 


1 
i 


Holtzmann, Heinr. Jul., Dr., 


Brof. der Theologie in Heidelberg. 
Tradition. 
Im Supplement: 
Apollos. 
Korintherbriefe. 
Beilipperbricf, 
beffalonicherbrief. 


— 


Sache, Haus. (Suppl.) 


Neal » Encyliopädie für Theologie und Kirche. Guppl. IIL 


| Abbo von 








625 


Humbert, 
Prof. in Senf. 
Bonnet, Karl. (Suppl.) 


; Oundeshagen, C. B., Dr., 


Prof. der Theologie in Heidelberg. 

von Fleury. 

Adoptianismus. 

Agobard. 

Alcnin. 

Communismus u. Socialismus. 
lodoard oder Frodoard. 

Fulbert von Chartres. 
ulcher (auch Fullard) von 
Chartres. 


Schnecenburger, Matth. 


— 


Schwarz, Fr. Hein. Chr. 
Im Supplement: 


Boquin, Peter. 


Diller, Joh. Deich. 
Jacobſon, Heinr. Fr., Dr., 


Prof. der Rechte in Königsberg. 


Apoftolifche Kanones. 
Apoſtoliſche Eonftitutionen. 


Apoſtoliſche Kirchenordnung. 


Aſyl, Aſylrecht, Aſylſtädte. 

Balſamon (Theodorus). 

Bann, Kirchenbann, Excommu⸗ 
nication. 

Bafiliken, Rechtsbücher. 

Baulaſt kirchlicher Gebände. 

Bebenburg, Leopold von 

Begräbniß bei den Chriſten. 

Beichte. 

Beichtgebot. 

Beichtgeld. 

Beichtſiegel. 

Beichtſpiegel. 

Beichtſtuhl. 

Beichtvater. 

Beichtzettel. 

Benedictionen. 

Beneficium. 

Beneficium ecclesiasticum. 

Beneficium competentiae. 


| Beveridge. 
Biſchof. 
Bisthum. 


Blaſtares Matthäus). 
Böhmer, Juſt. Henning. 
Brautexamen. 
Brautführer. 
Brautlranz. 
VBrautring. 
Breve und Bulle, 
Brevier. 
Brocardum. 
Snwercenjur. 
Bücherverbot. 
Bulla in coena domini.- 
Bupbihder, Bußordnungen, 

Beichtbücher. 
Bußgrade. 
Capitularien. 
Caplan. 
Cardinãle. 
Casus roserrvati. 
Coadjutor. 
Chrodegang. 

4«d 


626 Berzeihniß der Herren Mitarbeiter n. deren Artikel 





Epiflopal-Syftem in der röm.- Pfiugſten. 
katholiſchen Kirche. Placet. 
Epiflopal-Syftem in der evan⸗ | Bönitentiarius. 


Sacobi, 3. R., Dr. 


Vrof. der Theologie in Halle. 


Cölibat. ı Mainz, Erzbisthum. Weſtfäliſcher Friebe. 
Collecten. Mansus ecclesiae. Mopitbätigfeitsanftalten, 
Collegialfyftem. Marca, Petrus de Wucher, kirchl. Geſetze darüber. 
Concubinat. ‚, Menses papales,. Zehnten. 
Confeſſionswechſel. | Missi Dominiei. Zonaras, Joh. 
Conſiſtorialverfaſſung. Wonſtranz. | Im Supplement: 
Corpus juris eivilis. ‚Neopbyten. | Altranfläpter Konvention. 
Defensor matrimonii. Nominalelenchus. Aſſiſtenten, kirchliche. 
Dei gratia. | Ybedieng, Blutſchande. 
Demeritenhäuſer. Option. Bullarien. 
Deſſervant⸗ oder Succurſal⸗ Ordo Romanus, Bulle, die goldene. 

pfarrei. ‘Baleä. Staat und Kirche in ihrem ge- 
Diakon, | Balliumt. :  genfeitigen Berbältniß. 
Dignität. Panisbriefe. Biſchofswahl. 
Dimiſſorialien. | Pannormitanus. Biſchofsweihe. 
Dispenſation. Papſt, Papſtthum, Papalſyſten. gleetheiraihen. 
Duldung. Papſtwahl. 
Dunin, Martin von Barität. | Jager, €. Fr. 
Emeritenanftalten. Veterspfennig. —I— rakenheim —R 
Eparchie. pfarrer. Gelũb 
Episcopus in partibus. Pfarrei. fee 

l 


| Bafiliven. 











gelifchen Kirche. — I Berengar von Tours. 
nel Bräbenbe. Bernhard von Clairva 
Espen, Zegas Bernhard von : PBräconifation. Elemens. Titus —R* 
Eractionen. 'Bräfentation. | Onofis, & smus. Snofit 
Ereluſiva. | Bräfentationsrecht. Bofie, : moßici mus, Onoftiler. 
Eremtion. ‚ Bräfenz, Präſenzgelder. | Dippord t f 
Facultäten. Bu BVragmatiſche Santtion. an s 
Baften in ber chriſtlichen Kirche. Preciſt. Kolarbaſus. 
Feſte, kirchliche. Primas. 
Öeheiturrhär. P | Beimieerins, Soft, SR, 1 Dr., t, 
Gemeinde, kirchliche. Probſt. 
Generalbicar. Professio fidei Tridentinae. Maimonides. 
Gerichtsbarkeit, kirchliche. Protonotarius apostolicus. 
Gottesfriede. Provinzial. Kamphauſen Adelf &. © 
Gottesurtheil. Regaue und” Streit darüber in | Umbdreit. 5.8 
Hontheim, Ich. NIE. von. Frankreich. Im Euppiement: 
Immunität, kirchliche. : Regionarius. Bleek, Er. 
Incapacität (Iuhabilität). Religionsfreiheit. Bunſen, Chr. K. Joſ. 
Interdiet. Reſervationen, päbſtliche. Gräber, Fr. Friedr. 
Irregularität. Reſidenz, Reſidenzpflicht. 
Kanoniſation. Rituale Romanum. Keim, Carl Theod. Dr. 
Kirchenbücher. Sedisvacanz. Prof. zer Theologie in Zürich. 
Kirchenfabril. ‘ Simultaneum. ı Heßer, Ludw. 
Kirchengewalt. | Sinecure, Kautz, Jacob, 
Kirchengut. ' Subintroductae. | Rettenbadh, Heinr. von 
Kircheninventar. | Stolgebühren. Lucian von Samofala, 
Kirchenkaſten. Sühne, Sühneverſuch. — der Märtyrer. 
Kirchenlehn. Suffragan. Nerva (Coccejus). 
Kirchenordnungen. Superintendent. | Beipaflanus, it. Flav. 
Kirchenpatron. Syncellus. | Bungenteben. 
Kirchentath. Synodaticum. | Bisid, Dr. 30h. 
enlae Kirhendiebfiabl. | Tancrebus. Sam, —8 Suppl.) 

irchenſachen. Tempus clausum. 
Kirchenſtaat. .. Territorialſyſtem. Kerler, Dietrid, Dr. 
Aiekber und Infignien, geiftliche. | Teftament, tanonifoe Beſtim⸗ Theo (og 1. hefar in tlangen. 

n. | mungen darüber | 

gacticinia, ‚Zoomaltn, Louis. — — 

aiencommunion. rier 

| 
Fi  n Rienlen, OB, Dr. 
aunodi, Jean de. ehme. anzöftich » Int Kir. 
Eegaten un Zuncien ber römi«- gerwanbtjäpaft, — * und ix 
en Kirche icarius. tberi 

Liber diurnus Romanorum Pon- | Visitatio liminum apost. aan e Kine 

tificum. Borbehalt, geiftlicher. rchbo 
Liber pontificalis. Welt eiftliche, — fer Je 


Literao formatae, Weftfalen. Müller, Sch Georg. 


Verzeichniß der Herren Mitarbeiter n. deren Artikel 627 





Klaiber, Karl Ir., Dr., | Macebonien. Im Supplement 
@arnifonsprediger in udiwigeburg. Wäßigleitsvereine. Agatha, die beil. 

eliciſſimus, Schiema des. Markomannen. Alexius J. Comnenus. 

eſtus, M. Porcius. Mathildis, die heil. ı Anna Comnena. 

irmilianus, Bifchof v. Täfarea. | Mechthildie, die heit. Afleburg, Rofamunde Jul. von. 
Gregor I., Pabfl. ı Webarbus, der heit. Autbert. 


| Bentiey, Richard. 


ler, üt 
Moller gen. Heiur. v. 3 phen. Buſch, Zoh., der Kloſterrefor⸗ 


Kling, Er. Sriebr., Dr., #, | Dorig, Herzog v. Sahſen. 








Defan in Marbady Morlin, Joach., Anhänger Lu- | _ mator, 
Anabaptiften. tber’s, Ebbo. 
Anfelm v. Canterbury. Drünfter, Wiedertäufer. Fulco don Nenily. 
Athanaſius. Nero, Verfolgung unter, ‚Johanna von Albret. 
Athanaftanifchese Symbolum. | Bannonien. | Karlomig, Chriſtoph v. 
Auferſtehung Jeſu Chriſti. Paraguay. Ronsdorfer Sekte. 

_ der Todten. Patmus. Sadbrüder, engliſche. 
Auguſtinus. Peterſen, Joh. Wilh. Spitta, Karl Joh. Phil. 
Belehrung. Philippus, Arabe, Staphylus, Friedr. 
Berthold der Franzisfaner. | Bonne, Villers. 

Chriſtenthum. | Bropaganda und die kathol. Miſ⸗ | ı Wenzeslaus, der heil. 
Chriftologie. |" onen. 
Dogmengefiäte, | Rabanne Maurus. Kloſtermann A., Lic.theol. 
Einfalt. Raymund VI. u. VIL, Grafen. Aureli im Göttingen. 
Erbauung. yon Tonloufe. ureltan, 
Erleuchtung. Regensburger Interim. Kloſe, Carl. Rud. W. Dr. 
Erwedung. Rhegius, Urbanus, Bibliothek - Secretair in Hamburg. 
Eſchatologie. Rhodus. Aetius. 
Bent rifriche Ricci, Matth. " nnd die kathol. Antonins de Dominis, Marcus. 
egfeuer. Miſffion in China. Ariantemus, 
Hlacius, Matthias. Rügen, Infel, Belehrung zum Bafilius ber Gr. 
Fleiſch im biblifchen Sinne. hriſtenthum. Belgien. 
Flue, Nilolans von der. Nugier. Betkins, Joachim. 
Friede mit Gott. Sabina, Märtyrin. Bolivia. 
laubensartikel. Salmaſius, Claude de Saumaiſe. Bonifacius, der Apoſtel ber 
Hauscommunion. ‚ Saturninus, Mifftonär im dten Deutſchen 
Hilarius von Poitiers. Jahrhund ext. Bordelum'ſche Motte. 
Irenäus,  Sealiger, Joſ. Juſt. Brafilien. 
Katholicismus. Schall, Job. Adam, Jeſnit und, Braunfchweig. 
Keuſchheit. Mifſfionär in China. ı Bredling, Friedr. 
Kindercommunion, Schmalkaldiſche Artikel. Centralamerifa. 
Kirchenviſitation im Allgemeinen Schrödb, Iob. Mattb. Chili. 
uud erſte ſächſiſche. Schweden, Einführung des Chri- Chriſtenthum. Statiſt. Angaben. 
Kirchenzucht. ſtenthums, Reformation, kirch⸗ Columbien. 
Liebe. liche Statiſtik. Ldelmann, Job. Chriſt. 
Züge. Scytbien. Gase Wolſenbuͤttler. 
Lullus, Raymundus. Seckendorf, Zeit Ludw. von Sictel, Joh. Georg. 
Zupus, Servatus. Severinus, ter beit. Öregor der Thaumaturge. 
Marbeiuecke. Severus, Alexand. u. Septimius. ' Sanfehädte 
Wöbler, Dr. Job. Adam. | Sidingen, Franz von. Irland. 
Origenes. Spangenberg, Cyriacus. Italien, kirchlich⸗ſtatiſtiſch. 
Drigeniftifhe Streitigkeiten. | Stebinger. Kärnthen und Krain. 
Rechtfertigung. Stum, Abt von Fulda. Keller, Jakob. 
Reich Gottes. Zempelberten, Templer. Keßler, Andreas. 
Rene. Theobora, Kaiferinnen. ahleel, Melchior. 


Theodoſins I., röm. Kaiſer. Kilia 
Klippel, „8. Frinr. Dr., Zrojanng, Chriftenverfolgung. Rlüpfel, Engelb. 


ector in Verden Trithemius. Kroatien. 
Corvey. Vandalen. Leipziger Colloquinm im J. 1631. 
re Juſtus. gicelin, Apoſtel von Holſtein. Lucifer, Biſchof von Cagliari. 
Hambu Vives, Job. Lud. de Mecklenburg. 
Hardenberg, Dr. Albert. Wandelbert. Meldenius, Rupertus. 
Heinrich ber Löwe. Welfen und Ghibellinen. Mexico. 
Hermann von der Hardt. Wendelin, der heil. Norwegen, kirchlich⸗ ſtatiſtiſch. 
Heumann, Chriftopb_Aug. — Belehrung zum Chri- Oeſterreich. 
Julianus, Flavius Claudiue. et um. Oldenburg. 
Karl der Große. - FH der beit. Bern. 
Karl V. elm von — ı gortugal. 
Kieufer, Joh. Yriebr. — der heil. Preußen. 
Koppe, Joh. Benjamin. Willibald, der beil., Biſchof von Feimarns, $. ©, 
Krank, Albert Eihfäbt. Neineccius, Sat. 
Kreuzzüge. Wolfgang, ber heilige, Biſchof Rußland. Goangel Kirche. 
Rrummager, Friedr. Aboll. von egenebucg. Kathol. Kirche. 


628 Berzeichniß der Herren Mitarbeiter u. deren Artikel 


Sachſen, Königreich. | Rofenkreuger. ı Oboaler. 
Schiefien. Kammergericht, das, und die’ Oftgotbifhes Reich in Stalien. 
— Einfthrung des ee :  Meformation. (Supp!.) Suibdbert. 
entbums, Reformation, kirch⸗ W Terſteegen, Gerhard. 
uch ftatiftifch, | Knoch, Wilh,, file, 
Spreng, Jakob. \ Oberlehrer in Wolfenbüttel. | Weftgothifches Reich. 
Tirot. | Mugdeburger Genturien. Im Supplement: 
Truber, Primus. | , Haffe, Friedr. Andr, 
Walachei. Koch, Ed. Emil, Klarenbach, Adolph, und Peter 
Zillerthal. | Dekan, Pfarrer in Erdmanshauſen. Flyſteden. 
Mold Im Supplement: —ã— ˖* Kirch ngef 
oldau. oſianiſcher Kirchengefang. | a 
Orkney⸗ u. Shetland» Infeln. | Xınbroftanifcher Lobgejang. Kummer AR 8. Dr- 
m _ Balde. Job. Jafod. Stephan "Mertin und bie Ste 
Klüpfel, K., Dr., Bernhbards v. Clairvauxhymnen. phaniften ' 
c istiotheter in Tübingen, | Sramer, Joh. Andreas. \ 
ornelius a Lapide. ies irae. N . 
Dalberg, Karl Theodor. | Kurg, Joh. Heinr., Dr., 
Deutf&orden. Koch, Ludw., Lic. theol., rot. der Theologie in Dorpat. 
Sudarius. Pfarrer in Wechmar. Abradam. 
Eugendus. Thüringen. Amaleliter. 
Anmoniter. 


— von Toledo. Kögel, Rud., Dr., Amoriter. 


| 

Eugenius. | 
Aller. 
| 


Eulallus. | _ Hof» und Domprediger in Berlin. |. 
Sulogius v. Alerandrien. Stahl, Jul. Friedr. Ausſatz 
— v. Corduba. | . Cham. 

Euphemia. | Kühler, Aug.,, Dr, |&berubim. 

Eupbrofgna. ı  Beof. der Theologie in Bonn. David. 
ei, Joſeph. Opfermahlzeiten. Debora. 
ranfenberg, Job. Heint. ı Birminius. Edom, Edomiter. 
ranz J., König v. Frankreich. Schätzung. Elias. 

— von St. Paula. Schlange, eherne. Eliſa. 

Friedrich II. von der Pfalz. Serubabel. 

— _Anguft L, Kurflrf Stadium. Landerer, Mar Alb., Dr., 
von Sadjen. Theudas. 5 Beof. ber Theologie in T 
iedrich II. fv. Ti 8 erme . 

Brlebrid II, Landgraf v. Heffen Zimotpe Begleiter d. Bauten  Damasens. 
riedrich III., der Weife. Zacharias. Kanon des Neuen Teſtaments. 
riesland. nei Fe Peirne 
ritigild. Köſter, Ado Dr. ommbarbue, Parue. 
ulda, das Kloſter. ſ Vlatrer in Do ft Melanchthon, Philipp. 
erbert, Martin. Naffan, Einführung des Ehri- Novalis. 

Börres, Joh. Jalob. ſienthums, Reformation, kirch⸗ Bbilippifien. 

Gregor von Tours, lich-ftatiflifch. Roscelin. . 

Guſtav Adolf. Salzburger, ewangelifche, im 18, | Schelaftiihe Theologie. 

Heilige Allianz. u. 19. Jahrh. ' Thomas von Aquino unb der 


ermann, Mönch v. Reichenau. Sievelin ‚ Amalie. | _ Thomismus, 
EG Ulrich Genan. g Tübinger Scule, ältere. 


Lambrufgini, Luigi. I Köftlin, Julius, Dr, Daub, Karl. (Suppl.) 
Lanze, die heilige. | Brof. der Theologie in Breslau. 
Lelong, Jacques. Ehalmers, Thomas, Zange, ob. Beter, Dr. 
Kinzer Friede. Gamitien . | _ Prof. der Theologie in Boum. 
Ludwig IX. oder ber heilige. Irving, Irvingianer. Ahnung. 
Ludwig VI, Kurfürſt v. d. Pfalz. Knox, John. Andachtsbücher. 
Lysczynski, Kaſimir. Luther, Martin. Andachtubung. 
Maffei, Regius. Religion. Antichriſt. 
— Bernhard. Schottland. Böſe, das. 
— Joh. Peter. Wiedergeburt. Buße. 
— Francesco Scipione. Wınder. Determinismus, 
Mai, Angelo. Im Guppiement: Geduld. 
Danren in Spanien. | Concursus divinus, Genugthuung des Menſchen. 
Dearimilian Il. Eovenant. Geſpenft. 
Noailles, Erzbiſchof v Paris. Hahn, Aug. Gleichniß. 
Normannen. — Heinr. Ang. Gnade. 
Norwegen, Einführung bes | Heß, Joh. Onabenmittel- 
Chriſtenthums, Reformation. | Reformation, Jus reformandi. | Yımann, Joh. Georg. 
Pfalz, Reformation. Handauflegung. 
euchlin, Jod. In Vrof. der Theologie in Bonn. Salobus im N. Teſtament. 
Revolution, franzdf., im kirch⸗ Gothen. | Imdifferentismng, 


licher Beziehung. Diythologie der alten Germanen. | Sungfrau von Orleans, 


Berzeichniß der Herren Mitarbeiter u. deren Artitel 
Ledderh⸗ je, ©: Earl. FSriedr. —2 


Kalderon. 

Keil, Carl Aug. Gottl. 
Klee, Heinr. 

Kleophas. 

Klopfiod, Fr. Gottl. 
Lamennais, 9. 5. R 
Lope de Vega . 
Lubwig von "Granada. | 
von Leon. 
Luft, Lüſtern heit. 





Maria Magdalene. 

Mofterien. 

Myſtik. 

Dccam, Wilhelm. 
Dccaflonaliemus. | 
Bascal, B. 
Batriarchen des A. Teftam. 


Schriften. 
Dee der Apoſtel u. feine Briefe. 
Biaffenbrief. 
Bhilippne, Eoangelifl 
Boefle, hriftliche. | 
Rapbael, Engel. 
Ronfiean, 3 . : 2 


J. 3 
Schuld und Schuldbewußtſeyn. 
Segen, Segnung. 
Selbfiindt. | 
Selbfiverlängnung. 
Seligkeit. 
Simon, Simonsnamen der bibl. 
Geſchichte. 
Sitte, Sittlichkeit. 
Terminiren. 
Terminismus und Terminiſti⸗ 
ſcher Streit. 
Thadbäne, 
Theophanie. 
Theoſophie. 
Thomas, der Apoſte 
Vorherbeſtimmung 
nation). 
Borſehung. 
Weisheit. 
Wiederknuft Chriſti. 


auberei. 
orn Gott 
dern Gone, göttliche. 
gan, 6. ul Th., 
Sqleeni N öolkein. Suppt) 
Lechler, Gottl. Bict., Dr., 


Brof. der Theologie in Reipzig. 

Deismus. 
Eraftus, Thomas, 
Geneisn. 

ollarden. 
Morgan, Thomas. 
Netter, Thom as. 
Fer, Bresbpterialverfaf- 








I. 
(Bräpdefi- 


Mn — 


enohen, Synobalverfaffung. 
Wiclif, Johannes. 
Winer, G. B. 
Im Supp lement: 
tb, Johann. 
arſilius von? Padua. 


Henhöfer, Dr. "lost “(Suppt.) 


. r. 
Prof. dee in Halle. 
Alfred der ®r. 

Bruno Saroniens. 
Einhard. 


Leopold, Dr., f, 


Lehrer in Torgau. 


Augsburgifche Confeſfion. 
Lepfius, C. R., Dr. —R 
Prof. in Berlin. 
J das alte. 


eyrer, E., 


Sau 
ihon. 
Silas. 
Silo. 
Siloah. 
Sin 


Sinim, 
Siniter, Sint. 
Speifegefeße bei den Hebräern. 


Spezereien ” ” " 
‘ Spiegel "n ” 
Spiele „nm " 
' Steinigung. 
| Stiftebätte. 


Straßen in Baläftina. 
" Suffoth » benotb. 


Pfarrer in ei mingen. (Wirttemberg.) Synagoge, Die große. 
Panlus, der Apoftel, und feine | Oruß grüßen bei den Hebräern. Synagogen der Juden. 


andel 
Handfaß. 
Handwerke bei den Hebräern. 
Heman. 
Hesbon. 


”„ 4 ” 


Hirſch. 
viren bei den Hebräern. 


” ” 


Be” 
Kleider, heilige, b. d. Hebräern. 
Kleider und 

Hebräern. 


een der Ifraeliten in 


Paläſtina. 


Leviratsehe, Schwagerehe. 


Loos bei den Hebräern. 


Maulthier. 
Meer, ehernes. 

Muſil dei den Hebräern. 
Del, Delbaum. 
Parvaim. 

Perlen. 


Peſt. 

Pferd bei den Hebräern. 
Phereſiter. 

Phibeſeth. 

Philippus, Tetrarch. 
Phylakterien. 

Pilatus, Pontius. 

Pirfe Aboth. 

Proſelyten der Juden. 
Purpur. 

Mäuberei bei den Hebräern. 
Räucheraltar. 

Räuchern. 

Reinigungen bei den Hebräern. 
Rimmon. 

Sabbathweg. 

Salbe bei den Hebräern. 
Sauerteig. 

Schaubrode. 

Schaubrodtiſch. 

Schifffahrt bei den Hebräern. 
—— 


Schriftzeichen u. Schreibekunft 


bei den Hebräern. 
Seir. 


Selden, John. 
Sepharad. 
Serug. 

Seth. 


Synedrium. 

Tabea. 

Tanz bei den Hebräern. 

| Tauben in Paläſtina. 
Tetrardh. 

Thorafef. 

Thoraleſen. 

Trauer bei den Hebräern. 
Viehzucht bei den m 

ı Wa en nn 





efhmeibe bei den | Weihrauch (Blanze). 


Bein» und Weinbau bei ben 
Hebräern 

| ggertienge "hei den Hebräern. 

ittw 


bei den Hebräern. 


Zoll, "Zöllner in der Bibel. 
Im Supplement 
Fremdlinge bei ben Hebräern. 
(Heftirndentung bei den Hebr. 
Geſtirnkunde der Hebräer. 
Zedekia. 

Calvarieuberg. 

Götzendienſt. 

Rofinfarbe, 

| Sandmeer. 

Sarah. 


Lichtenſtein, 3.3. Dr. 
| Bfarrer in Kulmbach. 

Jeſus Chriſtus, ſeines 
| Lebens. 


Lindner, Wilb. Bruns, Dr., 
| in Leipzig 
Amalrih von Bena. 
Antitalten. 
ı Aurentius. 
Lommab 

Drof. der vi, 6. ©. 


Anhalt, Reformation. 





. Ed. Dr. 


Wittenberg. 


Lorimer, 
| Brof. an Mel Tieolog. Säule, ber Pres⸗ 


' Linbfay. (Suppl. y 


630 
Lührs, Fr., | 


Hauptlebrer am m eauliehrer: « Seminar 


Meier, Ernſt, Dr., 4, 


Ruf. in Tübingen. 
baddo 
Abia, auch Abiam. 


| 

| 

| Mejer, Otto, Dr., 
Brof. der Rechte in Roftod. 


annover 
Paley, William. (Suppl.) 
Parker, Theodor. 


Luthardt, Chr. Ernſt, Dr., 


Prof. der Theologie in Leipzig. 


ab ! i i 
Graul, Karl. (Suppt.) E gaben lirchliche 
Mallet, Herm. Akoluthen. 
Schechi Paftor in Herm ’ Innmugt 
Schechina. en. 
Shöttgen, Chr. Apokriſiarius. 


Annulus piscatorius. 


Schöpfung, dogmat. B 
chöpfung, dogmat. Begriff. Apoſtaſie, Apoſtaten, 


Scultetus, Abraham. 


Verzeichniß der Herren Mitarbeiter u. deren Artikel 
| Meyer v. Knonam, +, 


Staats »- Arhivar in Zurich. 
St. Gallen, eiuflige® Benedik⸗ 
tinerflofter. 


Möller, Ernft Wilh. Dr., 
Pfarrer in Grumbach. 
Gregor von Nyſſa. 
Iſidor von Pelufinm. 
Sunilius. 
Macedonius, Macebonianer. 
Makrina, die heil. 
Marcellus, Biſchof von Aucyra. 
Rarimus, Biſchof von Turin 
Philoſophus. 
Melenus von Antiochien. 
„Lyklopolis. 
Nethodius, Biſchof v. Olympus. 
Montanismus. 
— 3* 
depos 
Neſtorius und die neſtorianiſchen 
Streitigkeiten. 
Offener. 
Pamphilus. 





Shakers. | gprellationen an den Pabft. 
Sonntagsſchulen. Archicapellanus. 

Spina, de Archidiakonen. 

Spinola. Approbation von Büchern. 
Stark, Joh. Aug. Andientia Episcopalis. 
Stationen. | Bernhard de Botono. 

Staupit, Joh. ı Collogia nationalia oder ponti- | 
Styliten. | fici 

Symbolifhe Bäder. Goncordate u. Eircumfcriptiong- 
Tänzer. 

Tetrapolitana confessio. Sonfalvi. Ercole Marchefe E. | Bantänus, 
Teufel. Eurie, römifche. 

Zunder. 


Merkel, Dr., }, 


Suppi t: 
Im Supplemen Prof. der Rechte in "Halle, 


Eß, Karl u. Leander. 


—— oh, Feceß von 1558. Inegie. 
unf, Joh. M. 
Martinins, Matthias. Zauerini it 
Peucer, Kaspar. Zwtdiet evita. 
Pezel, Chriſtoph. gar et en. 
grolee, Andreas, € 

imann, Joh. uratus. 


Merz, Heinr., Dr., 
Dekan in Marbach. 

Communionbücher. 

Ftant Sebaſt. 

Fußwaſchung am grünen Don— 

nerſtag. 
Jachin und Boas. 
Kalande, Kalandbrüder. 


Mangold, Wilh. Jul., Dr. 
Prof. der Theologie in Marburg. 
Hyperius, Andr. Gerh. 
Dlaldonatus, 

Minutius Felix, Vtarcus. 
Morus, Sam. Fr. Nathan. 
Pachomius, der beil. 

Paulus don Theben. 


Bius IV. u, V., Bäbfte. Katafalt. 
Ru r o D u Katalomben. 
pert bon Deut. Kerzen u. Lichter bei dem Gottes 
Mann, Yulius, dienfte. 
m Wr in Bhiladelppta. Kirchhof. 
ormonismus. Ken rennesaeichen, 
reuzesa . 
Matter, Jacob, Dr., }, Kreuzeserhebung. 
a oeer Theologie in Strapburg. | Kreuzgang. 
rara 
Geonäiiih + tathofifhe Kirche. ı Krenberten. 
allicaniemus. | rer. 8 
Saint Martin, L. €, be Kıopte, 
Saltgmann, Fr. Ru. | 
ı Küfter. 
—A Heim. % Kyrie eleifon. 
Äffre, D * .%. (Suppt.) ung. |Lauda Sion Salvatorem. 
' pp Lichtmeſſe. 
Mauke, Ni, Dr., ' Sinnbilder, chriftliche. 


Gollaborator des geiftl. Min. in Schleiz. Tempel zu Serufalem. 
Reußifche FürftentHämer.(Sppt.)  Bilderbibel. (Suppl.) 


Maurer, Konrad, Meurer, Moritz, Lie. 
Prof. in München. ı Pfarrer in Gallenberg. (Kar. Sochſen.) 
Halitgar. Tabernateil. 
Island. Altar. (Suppl.) 


Pelagius und die pelagianiſchen 
Streitigleiten. 

Beraten. 

PHotinus von Sirmium, 

Pierius. 

Piſtis Sophia. 

Ptolemãus, Gnoſtiker. 

Saturnin, Gnoſtiler. 

Secundus, Schüler bes Ba- 
lentin. 

Semiarianer. 

Semipelagianismus. 

Sethianer. 

Simon Magus. 

Syneſius. 

Tatian. 

Theodor von Mopeveſtia 

Theognoftus. 

Balentinus und feine Schule. 

Walch, Chr. W. Fr. 
— 3. E. J 


Müller, Jul. Dr., 

Prof. der Theologie in Halle. 
Abendmahl, das heil. 
Dogmatil. 


Müller, 3. ©., Dr., 
Prof. der Theologie in Bafel. 
Alerandrinifde Juden. 
Apion. 
Archelans. 
Aſtarte und Aſchera. 
Atargatis. 
Baal, Bel. 
Beelzebub und Beelzebut. 
Caſas, Bartholom. de las 
Chamos. 
Dagon. 


| Drache zu Babel. 
| &infeitung insg Nene Teſtam. 


Er bei den Hebräern. 
Höhen, Höhendienſt der Hebräer. 


1gite goldenes, Kälberdienk. 





Berzeichniß der Herren Mitarbeiter u. deren Artikel 


Kansan und die Rananiter, 
Magier, Magie. 

Moloch. 

Mond, Mondverehrung bei den 


ebräern. 
4 


Nergal. 
Nisroch, afiyr. Abgott. 
Philo. 


Polytheismus. 
Rephaiten. 
Rephan. 
Sem, Semiten, ſemit. Sprache. 
Sonne, Sonnendienſt. 
Thammuz. 
Thiere in religiöſer Hinſicht. 
amſumiter. 
emariter. 


Nägelsbach, C. W. Ed., Dr., 
Pfarrer in Baireuth. 

Eira und Nehemia. 

Eva. 

Seren Frophet, Klagelieder, 
Brief d 

Jona. 

Maleachi. 

Melchiſedek. 

Din, der Prophet. 


ee nt bi ben Hebräern. 
Richter, Buch d 

Ruth, das Such 

Samuel, Prophet. 
Samuelis, Bücher. 

Saul. 

Uſia. 

Weisheit, Buch der. 

Woche. 


Neudeder, Chr. ©., Dr., +, 
Eduldirector in Gotha. 

Sarranza, Bartholomäus, 

Corpus catholicorum. 

Eber, Bau. 

Elias Levita. 

Emifer, Hieronymus. 

Emfer Eongreß und Punltation. 

Epistolae obscurorun virorum. 


Sanı Ficolaue. 


San 

Sebbarb II., Truchſeß. 

Gelaſins I. u. IL 

©enovefa. 

Genovefaner. 

GSranvella, Anten Perrenot. 

Gregor v. Heimburg. 

Gropper, Johann. 

GSrumbadifche Händel. 

Gnualbert, Johannes, 

Habdrian I.— VL 

Harmoniſten oder Harmoniten. 

Heiliger Geiftes - Orden. 

Heiliger Grabe Orden. 

Heiliger Bund. 

Feinzih von Lauſanne, Hen- 
ricianer. 

Heinri von dem Buſch. 

Heinrich v. Wied, Biſchof v. Köln. 


Hieronymiten. 
| Hierongmne bon Prag. 


Hincmar, Erzbiſchof v. Fheims. 


v. Laon. 


Hippolytus, Brüder der chriſtl. 


Liebe vom heil. 
Honorius 1. — WW. 
Hoogſtraten, Jacob von. 


Hofpitaliter od. Hofpitalbrüder. 


631 


'Samfon, gernharbin. 

Sanchez, Thomas. 

Snbemanier, Anhänger bes 
I. Glaß in Schottland. 

Schelborn, Joh. Georg. 

Schelwig, Samuel. 

Schisma. 

Schweißtuch Chriſti. 

Schwertbrüder. 


Hoſpitaliterinnen od. Hoſpital⸗ | Scotus Marianus. 


ſchweſtern. 
Hubertéorden. 


Michael. 
Sebaldus, der heil. 


Humiliatenorden od. Orden der ' Sebaftian, ber beilige. 


Demuth. 
Jatobı bon Süterbod. 


geruliuß, Caj. Et. 
Serapion 
& Sergius i. — IV. Päbſte. 


— von Mies. 
Jeſuaten. Sergiuse, Heil. u. Märtyrer. 
Jeſus⸗Chriſtus⸗Orden. — Confeſſor. 
Jeſuskind, Congregation der Serviten. 
| Töchter dom Sfondrati. 
Ignatins, Patriarch von Con⸗ Sidonius, Michael. 

ftantinopel. Silverius. 

Janorantins. Simeon, Erzbifchof von Thefla- 


Illuminaten (Erleuchtete). 


Index librorum prohibitorum. 


Inguifition. 

Inveflitur und Streit darüber. 
Ichanna, Päbſtin. 

Johann der Beſtändige. 


Simpriaius, Pabſt. 
Sinaita, Johannes Climae. 
Siricius, Pabſt. 

Sirtus, Päbſte. 

Sleidan. 


Johann Friedrich J. der Groß⸗ Soiſſons, Synodeun. 


m üthige. 
| Xobanniter. 
Sofepb II, 


Subeijabr in ber fatbol. Kirche. 


Kanoniler und Kanoniffen. 

Ä Mammillarier. 
Manhartianer. 
Manubduector. 

‚ Margarita, 
Maria 


Soter, Pabſt. 
Soto, Dominicus. 
Petrus. 
Spalatin. 
Spengler, Lazarıe. 
Speyer, Reichstage. 
| Spondauns. 
Stanielans, Biſchof v. Kralan. 
der heil. 
Ste phan, Päbſte. 


‚Vinimen od. Diindefte Brüder. Stielna Konrad. 


Miſſionsprieſter. 
Montanus, Benedict. 
Montes pietatis. 
Morin, Simon, Schwärmer. 
Naumburger Fürſtentag. 
Nürnberger Reichetage. 
| Bad, Dtto von 
Petrus, Feſte zu Ehren des. 
Piariſten, Calafaurier. 
Pins» Verein. 
Pöſchl, Pölchlianer. 
Bolanue. 
Bole, Reginald. 
Pomerius. 
Rabeberger. 
Kibabeneira. 
Romanus, der beil. 

Pabſt. 








Roſe, goldene. 
Rosweyd, Heribert. 
Sabas, Heilige des Namens. 
Sabbatharier. 
Sabinian, Pabſt. 
Bacrificati. 

Sadolet, Jacob. 
Sagittarius, Caspar. 
Salig, Chr. Aug. 
Saliger, Joh. 
Salmanticenſes. 
Salmeron. 


Studites, Simeon. 

Theodor. 

Surius, Laurentius. 

Syivefter, Pabſt. 

Sylveſtriner. 

Symmachus, Pabſt. 

Symmachianer. 

Tauchelm. 

Taraſius, Patriarch von Con⸗ 
ſtantinopel. 

Telespherus, Pabſt. 

Tertiarier. 

Tetzel, Johann. 

Thaborion. 

Theatiner (Cajetaner). 

Thekla. 

Theodemir. 

Theodor, Bäbfte. 

Märtyrer. 


Rn 2 


Theclogal. 

Thomas v. Villanova. 

Tolet. 

Tonſur. 

Toulouſe, Synoden. 

Tours, 

Trappiften 

Trier, der. beil. Rod in, 

Trinitarier. 

| Eemllanifge Synoben. 
uribius. 


— — — — — — — ——— — — — — — — — · — 


632 Verzeichniß der Herren Mitarbeiter w. deren Artikel 


Ubboniten. Gott. | Mifftonen, protefantifche, unter 
Ubertinus de Caſali. Nitzſch, Karl Ludw. den Heiden. 

Uebertritt. Urlsperger. 

Urban I.— VIII. | Nöldeke, Th., Dr., Slunbarti, Chr. Gottl. ( Suppl) 
Unſchuldige Kinder, Feſt. Prof. in Kiel. 

Urſicinus, Pabſt. Muhammed. Overbeck, J., Dr, 
Uſuardus. | Vrof. der deutihen Eprade an d. Kal 
Uytenb ogaert. Oehler, Guſt. Fr. Dr. , Srosbrit. Sf Gollege in Ganpherf, 


Taylor, Jeremy. 


üter des guten Sterbens,. d { 
Bi 8 Prof. der Theologie in Tübingen. Wilberforce, William, 


Väter oder Brüder des Todes. | Blutrache. 





Valeſius, Heinrich. Dekalog. Wolſey, Thom 

Victor, Biſchof v. Antiochien. Feſte der alten Hebräer. | Cave, Wilh. "(Suppt) 
— Dicdhter. efte ber fpäteren Juden. 
— Biſchof von Kartena. edalja. Palmer, Chr. Dr., 
— „v. Capua. Gelübde bei den alten Hebräern. Vrof. der Theologie in Tübingen. 
_ „ zununa. Gerichte u. en un geiftliche. 

n v re PR eörder Srenlingbaufen, Joh. Anaftafins. 
Bictorinus von Bettau. Haggai. | etiche, geiftliches Amt, geif 
Vietricius, der heil, Herz im biblifhen Sinne. | „her Stand. 

Bienne, Eoncilien. die stia. Sean, — 
igilien. oherprieſter. 
— v. Beauvais. —8 | Gottesdienſt, Theorie deffelben, 
Vitalian, Pabſt. Kanon des Alten Teſtaments. Srabreden. 
Bitus, St. ' Könige, Königthum in Ifrael. | Sregerinefef, 
Borftius, Konrad. | Kol Nidre. Guido von Arezzo. 
Boifius, Gerhard. Eevi, Leviten, Levitenflädte. ‚gemitetit 
— Gerh. Joh. Meſſias. ilie. 
Votiftaſeln. Name, bibl. Bedeutung deſſelben. Homiliarium. 
le 5, nrafkränt. ne, 
eſtphal, Joa etbinim. 
Wigand, Joh. | Opfercuftus bes A. T. Kalecheſe, Katechelik, Raten 
Wimpina, Conrad. Prieſterthum im A. T. menen. 
Wulfram, der heil. Prophetenthum des A. T. Katechismus. 
Zoſimus, Biſchof von Rom. RKeihbing. ‚ Kirchenlied. 
Im Supplement: Sabbath. Kirchenmnfit. 
Adrianiſten und Adrianiſtinnen. Sabbath und Jobeljahr. Kirchweihe 
Alverns, Erasmus. Stlaverei bei den Hebräern. | toten Kleriker. 
Angelici, Engelsverehrer. Stämme Iſraels. Kloſterſchulen. 
Angers, Synoden. Steudel, J. C. Br. Leichenpredigten. 
Anſe, Synoden. Tag bei den Hebräern. ı Litanei. 
Anterus, Pabit. "Teftament, Altes und Neues. Liturgie. 
Mrabier, Selte. | Volt Gottes. | £utherifcher Katehismne. 
Chalons, Synoden. Weiſſagung. Magnificat. 
Compiègne, Synoden. Zebaoth. Miſerere. 
Conſtantin, Pabſt. Im Supplement: Mozarabifche Liturgie. 
Gnapheus, Wild. Eiferopfer. Müller, Heinrich, 
Grapheus, Cornelius. | Elohim. | Namensfeft Jeſu. 
Mailänder Synoden. 'Heiligfeit Gottes. ‚Nenjahrefer, chriftliches, 
Marie & la Coque. Unfterblichleit, Lehre des A. T. ‚ Niemeyer, Aug. oerm. 
Moſellanus, Peter. Berföbnungstag. Nikolai, Phit., 
rien van Ooſterzee, X. J., D Drserlum, 
iarier. ee, J. J. r. 
Paris, Synoden. Prof. der — in Ureht. Bädagogif. 
Duelen, Erzbifhof von PBarie. Menno Simons und die Men⸗ Paleftrina. 
Raynald, Odorich. noniten. Paſtoraltheologie. 
Regensburger Bündniß. Royaards, H. J. | Rambady, 3. J., Dr. 
Wilsnad, das heil. Blut in Voetins und feine Schule. | Reinbaro, F. v, Dr. 
equie 
Nitzſch, F. A. B., Dr. hy, en: Refbonferien 
in Berlin. van Til, Salomon. Rieger. 
Lateran⸗Synode. Roos, M. F. 
Lectionarium, Lectionen. Oſiander, Ernſt, Dr., +, Salve Regina, 
Lector. Diakonus in Göppingen. : Schule, Berhältnik zur Kirde. 
Legende. Thadmor. | Seelforge. 
Unionsverfuhe und wirlliche Tbarfchifch. Scnntageiei 
Unionen. Sonntagsfeier. 
ih, Karl 3 Orftertag, „albert, Dr., Spee, Br. bon. 
ar! Amm., D at Mater 
ill Nrof. der Theol. in Berlin Chriftentbumsgefellicaft , bie  Theremin, Dr. franz. 


Bihlifde Theologie. deuꝛtſche. Thomas von —28 


Berzeichniß der Herren Mitarbeiter n. deren Artikel 


Zugenbmittel, 
Berfuhung. 

Wahrhaftigkeit. 
abrbeit. 

Werkmeiſter, B. M. 

Weſſenberg, J ; © Frhr. von. 

Woltersporf, E. ©. 

Bürttemberg, Reformation, kirch⸗ 
lich⸗ Ratio. 


Zollitofer, ©. $. 

Im Supplemmt: 
Andadıt. m Supplemen 
Bad, J. ©. 
Bußlampf. 
Ceremonie. 


Dann, Chr. Adam. 
Decins, Nikol. 
Ehe nad) ihrer ethiſchen Beden⸗ 


Ag Joh. Fr. 

ottfeligfeit. 
Heuchelei. 
Knapp, Albert. 
Beadeleſogu ⸗ Bartholdy, Felix. 
Oftauder, I 
Predigt. 
Schnurrer. 
Sekten. 
Todesſtrafe. 
Zeller, Chr. H. 


aret, Beinr., t, 
iafonus Brakenheim. 

Acceptanten. 
Aderbau in der Bibel, 
Adiaphora. 

Adiaphoriſtiſcher Streit. 
Aeneas. 
Affekte. 
Alerander J. — VII. 
Barter, Richard. 
Barterianismus. 
Benediet J. - XIV. 
Bonifacius J. — IX. 
Berufung. 
Bibel. 
Ethnarch. 

elix, Landpfleger. 

etiſchismus. 

reiheit, ſittliche. 
dewpigten 

oſephus, Flavius. 
Judas der Galiläer. 

— Lebbäus 

— Simons Sohn. 


Beip, Alb., Dr., 
Brof. d der Rhilofopbie in Böttingen. 
Trinität. 


Illgen, 8.2. 
Chr. Friebr. 
Impanatio. 
Srenit. 
Irrtbum. 
Kenotiler und Kryptiker. 
Kirchenſprache. 
Kirchentag, der deutſche evan⸗ 

eliſche. 
Knipſtrow, Johann. 
Lange, Joachim. 
Laſter und Laſterhaftigkeit. 
geroniß, Sottfr. Wild. 
Leß, Gottfried. 
Leſſing, Gotth. Ephr. 
Fr Leonh. 

Limborch, Phil. v. 

Michaelis. 
Molina, Ludw. 
Vünter, Fr. Chr. K 


Mythus mit Beziehung anf bie | 
Särift. 


beit. 
Neologie. 
Olshauſen, Hermann. 
Orthodoxie und Heterodorie. 
Ofiander, Anbreas, 
Sicht, moralifche u, religiäfe. 


Polemik. 

Bolytarp, Biſchof von Smyrna. 
ommern. 

Probabilismus, moraliſcher. 

Saint Simon und die Saint⸗ 
Simoniſten. 

Scholien. 

Schott, H 

———ã— ùſ 


Theologie, Begriff n. Gliederung. — 


veſchen, Chr. Yb., Dr., t, 
Diafonus in Zittau 
| Böhmen, Einführung des Chri⸗ 
ſtenthums, Reformation. 
| Mähren. 


eſtalozzi, Carl, Dr., 
? ſt —* in Zürich. 

Im Supplement: 
Aargauer Kiofterfireit. 
Badener Artikel. 
Breitinger, Iob. Sal. 
Komander. 

Locarno, die evang. Gemeinde in. 
Renato, Camillo. 

Schinner, Matth. 

Simler, Jofias. 

Wildenſpucher Krenzigung 
Zürcher Conſens. 


Peter, Heint, Dr., 


ymnafialſehrer in Berlin” 





Belt, Ant. Fr. 2biw., Dr., t, Suger, Abt von St. Denis. 


Superintendent in Kemnitz. 
Apoftoliihes Symbolum. 
Beitalter. 
Arminius, Arminianismus, 
Bajus, Michael. 
Gemeinſchaft, erdijce. 

ber Heiligen. 
Sereihtigteit und Billigkeit. 
Harms, Claus, 
Hemming. 


Petermann, Sul. Sur, Dr., 


| Meiitkarn und die Dessitharifen. 
Mendäer. 

Moſes Chorenenſts. 
Neſtorianer als Kirchenpartei. 
Samaria und die Samaritaner. 
Twin. 

Zabier. 





Im Supplement: 
Armenien. 


Peterſen, Aug., Dr., 
Oeneralfuperintenden in Gotha 
Myconius, Friedr. 


Pleifier, Fran, Dr. 
Hermann von Fritlar. 


Pfleiderer, 3. G. 


Prof. und Dede —* Knabeninſtituts 
thal. 
Kornthal. (Suppl.) 


Pi er, 1, er erbin., Dr., 
logie in Berlin. 
Alpha und Omega. 
— 


Monogramm Chriſti. 
Theologie, monnmentale. 


v. PFolenz, € Gottlob, 


Broufſon, Elaube, 

alas, Iean. 

Camiſarden. 

Sourt, Antou. 
Dupieffis - « Mornay. 
anzöfihe Reformation. 
anzoſiſch⸗ reformirte Kirche. 
abaut, Paul. 


Pre TIheod., Dr., 


idiatonus in Tübingen. 


Id 


Eredra. 


Grereitien, geiftliche. 
Erfuperius, Biſchof v. Toulouſe. 
gaben (Favre), Beter Franz. 


altenflein, Joh. Heinr. v. 
arnovius. 
— mit dem Zunamen 
Prisens. 
Fauſtinus. 
— Joh. Mich. 
elix, der Märtyrer. 
Feller, Franz Xaver. 
erdinand IIL., der heil. 
Ferrara diorenz Synode v. 
Ficinus, Marfiliue, 
innen, ihre Bekehrung. 
iſher, Iobann. 
lechier, Eſprit. 
leury, Clande. 
— Stadt. 
lorentius. 
loriocenfer. 
onteorand, Orden bon. 
oreiro. 
orfter, Johann 
Balentin. 
Joh. Andr. 
Bartholomäus. 
Forum Appii. 


o&carari. 
—5* Denys Graf v. 
etuoſuse, Erzbiſchof v. Braga. 


634 


Surfens, Milftonär u. Abt. 
alfried von Monmuth. 
Sallienus, B. Licinius. 
Gallus, Bihius Trebenianus. 
Gaudentius, Biſchof v. Brixia. 
Gelaſius der Cycicaner. 
Geneſius. 

Georg von Trapezunt. 
Georgius, Biſchof v. Laodicea. 
Gottfried von Bourbon. 
Gerhard, der heil. 

Germain, St. en Laye. 
Gervaſius und Protaſius. 
Gilbert de la Porré. 

Gildas Cormaec. 

Giraldus von Cambrien. 
Gonzalo von Berceo. 
Georgias. 

Grabe, Johann Ernſt. 
Grandmont, Orden von. 
Gratianus. 

Gregor v. Utrecht. 

Haber 


Hadrian, Kaifer. 
Heinrich von Gent. 
von Gorcum. 
von Hutingdon. 
Heliodoruß. 
Heliogabalus, röm. Kaifer. 
Heracleon. 
Heraclins, Kaiſer. 
Herard, Erzbifhof von Tours, 
Heruler. 
Herväus, Natalie, 
Seflel®, So Leonh. 
Johann. 
Hieralas 
Hita, Juan Ruiz von. 
Hochwart, Laurentius. 
Hohenburg oder Odilienberg. 
Homerit en. 
Honorius. 
Honter, Johann. 
Hormisdas, Pabſt. 
Hoſianna. 
Hoflus, Biſchof v. Corduba. 
Hospital Michael de l'. 
Hottinger, Joh. Heinr. 
Joh. Jakob. 

Huetins, Biſchof v. Avranches. 
Hugo von Flavigny. 
Huß, Johann. 
Huffiten. 
Öubertiner Chroniſt. 
Oydroparaftaten. 
Hyginus. 
Hymenãäus. 
Hypatia. 
Hypfiftarier. 
Sablonsli, Dan. Ernft. 

— Paul Ernſt. 
Jacop 


—8 da Todi. 

Jakob I. u. IL, Könige v. Eng- 
land. 

Jakob von Bitry. 

Janow, Mathias v. 

Iberien, Belehrung ber Iberier. 


.Impostoribus, de tribus. 
Innocenz L—XUI. 
Johannes bon Avila. 

v. NRepomutl. 
Barone. 
v. Turrecremata. 
Jovinianus. 
Iſidorus von Sevilla. 
Julius Africanus. 
Juliauus Ceſarini. 
Julius J. — III., Päbſte. 
Echter von Mespelbrunn. 
Juſtinian I. 
Statharina die Allezeitreine. 
don Siena. 
von Schweden. 
von Bononien. 
von Genua. 
von Ricci. 
von Medicis. 
' Katbarinus (Ambrofiue). 
' Keith, George. 
Kreuzbulle. 
Kumanen. 
Kunigunde, die heil. 
Lactantius, Lucius Cölius. 
Lambert, Märtyrer u, Heiliger. 


.11111 


— ranz. 
Landelin und Landoald. 
Laodicea, Synode zu. 
Laſtus, M. Shriflophorus, 
Lasko. 

Laurentius, Der Seil 


Baer, Belehrung zum Chriſten⸗ 
Leander, der heil., Erzbiſchof 
von Sevilla. 


Lebuin oder Liafwin. 
Lenfant, Iac. 

Leo L.— XII. 

Leopold IV., ber heit. 
Libanius. 

Liberins. 

Liborius, der heil. 

Liga, die katholiſche. 

Ligue, Die beil. 

Liguori, Alphons Maria v. 
Liguorianer od. Redemptoriſten. 
Linus. 

Liemanini, Franz. 
Lubienicki, Stanislaus. 
Lucius J. — III, Päbſte. 
Ludgardis. 





Magdalena de Pazzi. 

Diagdalenerinnen. 

Magnentius, Flavins Magnus. 

Diagnus (Magnoald, 
nald 2c.). 

Maimbourg, Louis. 

— Theodore. 

Makarius. 

Manuel I. Comnenus. 
‚ Marcellinus. 


Seremias II., Patriarch v. Sons Marcelins I. u. II. 


Rantinopel. 
Jeruſalem, Synoden bajelbft. 


Biſchof von Apamea. 
Marcus Aurelius. 


Berzeichniß der Herren Mitarbeiter n. deren Artikel 


Engenient, Erzbiſchof 
von Epheſus. 

Marcus, Pabfl. 

Marina von Efcobar. 

Marinus, Märtyrer in Eäfaren, 

Martianay. 

Dartin I.—V. 
Maternus, Zul, gukemian, 
Maury, Jean Siffrein. 
Marimins, Julius Berne. 

Melchiades. 

Mette. 

Mileve. 

Milicz. 

Monophyſiten. 
Monotheleten. 

Monte Caſſino. 
Montpellianer. 
Müunſcher, Wilh., Dr. 

| Bancratius. 

Paſchalis I. u. II, Pähhe, 
 Baffloniften 
Patriarchen der chriſil. Kirche. 
Paul L— 

Pavia, Synode. 
Pelagius I. u. I. 
Beliffon » Fontanier. 
Petrus v. 2. 

Perpetua und Felicitas. 
Berpignan, Synode. 
— 

Pfaff, Chr. M. 
Philoſtratos. 
Philumena. 

Phokas der Märtyrer. 
Kaiſer. 

| Johannes. 
game Syuoben. 


in® 

Piſa, Synode. 

: Biftoja, Synode. 

Poitiers, Synoden. 

Bort- Royal. 

Prierias, Sylveſter. 

Procopius von Cãſãrea. 

von Gaza. 

Prudentius, Aurelius. 

ı Pfellus, Mich., der Jüngere. 
Pulcheria, Kaiferin. 

Biteoli. 

Quesnel, Pasquiee. 

Quien, Le, Michael. 

Ravenna, Erzbiséthum. 

Reichenau, Synoden. 
Ridley, Nikolaus. | 
Mitter, Erasmus. 

Rupert, der beil. 


Prefiel, Wilhelm, 
Pfarrer in Wankheim. (Bürttemberz) 
Arme bei der Hebräern. 





Mlagi- Bar⸗Cochba. 


Bath Kol. 

Chaſſidim. 

Cyrus. 

Ebzan. 

Eg lon. 

Siienmenger, Joh. Andr. 


er 
Elieſer. 





Berzeichniß der Herren Mitarbeiter n. deren Artikel 


Emaunel. DOetave. | 
Erfigeburt. Perilopen. | 
Esdrelon. 


aſten bei den Juden. 


aum r 
leiſchgenuß bei den Hebräern. Raumer, Carl b., }, 


Prof. in Grlangen, 





Samaliel. eſtalozzi. 
GL DRUM. A ud. 
aumer, Rud. b., Dr. 
Deba, ober Saba. Prof. ——— Sprache u. Literatur 
Geba 
——0 
ebet bei den Hebräern. 
Gerrener. Redepenning Ernfi Rud., 
Geſſur. uperintendent in Ilfeld. 
Gibon. Alerandrinifhe Katechetenfchule. 
Save 3 Rettberg, Friedr. W 
adad Rimmon. ettber riedr. Wilb. 
Haberwafier. Prof. 20, Frie in ailb. ft, 
Karäer, auch Karaiten. Aachen. 
Kosri. Abälard, Peter. 
Lachis Acta Martyrum. 
Laubhüttenfef. Adelbert oder Albebert. 
Lightfoot, Johannes. Advocatus ecolesiae. 
Meara. Albert der Große. 
Meer, rothes Aleranter von Hales. 
Diegiddo Amandus, 
Dteriba Ammianus Marcellinus. 
Milet Angilram, Biſchof von Metz. 
Mitylene. Arno. 
Zrupa und Mizpe. Neuchl 
imro euchlin . D 
—5 — chlin A Sem ‚Dr, 
Omri ER —* hoben. 
On. Abgarn 
Onias Agier, Beter Joh. 
Onlelos Alemannen. 
Ophir. Ansgar. 
Ophra. Arnauld, Anton. 
Othniel. Duguet, Saiot Joſeph. 
Paran. Du Vergier, Job. de Hauraune. 
artbien. Edmund. 
Rabbinismus. Einfiebeln. 
Nabbot. Erthal, Franz Ludw. 
Jagee Eugenia. 
Eulalia, St. 
Ru Garchi). Felicitas, St. 
Nechabiter. ide von Nola. 
Ruben. idelis, St. 
Rüſttag. Fiſch, Fiſchfang bei den Hebr. | 
Saalim. lorian, 
Salmanaffar. ran, St., Graf v. Sales. | 
Salz im A. nnd N. Teftament. Fridolin, St. 
Schabbatäer. eorg, St. 
Simon Ben Jochai. Gerberon, Dan. Gabriel, 
Thalmud. Germanus, St., von Aurerre. 


Bolt Gottes des Alten Bundes 
in der nadhbiblifchen Zeit. 


von Paris. 
Gertrud, die heil. 








086 


er Joſeyb be. 
Neri, Philipp. 
Nicole, Bee 
3m Supplement: 
Berülle, Peter. 
Bubdhismue. 
Lacordaire, Joh. Bapt. Heinz. 
Mailändiſche Kirche. 
Ventura, Joachim. 


Neuß, Eduard, Dr., 

Prof. der ologie in Straßburg. 
Selenine, ilh.. 

Gloſſen, bibtifche. 
Griesbach, Joh. Jakob. 
Hasmonder. 

Hebrätfhe Poefie. 
— Griechlinge). 
elleniſtiſches Idiom. 

Hiſtorienbibel. 

Kabbala. 

Phariſäer. 

Bolyglotten + Bibeln. 
Roman. Bibelüberfegungen. 
Sacy, Syiveftre be 
Sabducäer 

Schleußner, Joh. Fr. 
Seneca, Lucius Aunäns. 
Sibyllen. 

Simon, Richard. 
Stephanue, ghienne. 


Märtyrer. 
Stihometrie. 
Strabo, Walafrid. 


Synopfe. 
Wertheimiſches Bibelwert. 


Reuter, Herm., Dr., 

Prof. der % ologie in Breslan. 
Baronius, Cäfear. 
Bedet, Thomas. 


Revẽbez, Emerich, 


Pfarrer in Debreczin. (Ungarn.) 
Dévay, Matthias Biro, und die 
ungariſche reformirte Kirche. 


Nichter, Aem. Ebiw., Dr., }, 
Prof. der Rechte in Berlin. 
Droſte zu Bifhering, Clemens 

Auguft Freiherr v. 


Niecher, Jul.W. Helf.,Dr., 


eilbronn. 
yana. 


Prof. in 
Apollonius v. 


Kitſchl, Alb., Dr., 


aloe Öertrudis, die beit. Prof. ar Theol. in Göttingen. 
aradieds. (Suppl.) Hamon. Ritſchl, G. K. B. 
Bajaphorie. „ Selen ge u. Roͤdi Gmil, D 
elena, die hei ödiger, Em r. 
Brefienfe, Edm., Dr., Silarion, der beit. Prof. der —* Sprachen in Berlin, 
Paſtor in Paris Hildeg ard. Epbräm. 
Stapfer, Phil. Ab. See Janſens Auguftin, Ian» Jakob von Soc, 
enismus. — von Nifitie 
‚Pronier, June, > beit aa en Sarug. 
‚ %udw. (Suppi. eodegar, ber bei atobiten 
Ganfen, Lu (Suppl.) Leonhard, der Heil. Ibas. 
Ranke, Ernſt, Dr., Loretio. Johannes, Biſchof von Dara. 
Prof. der Theologie in Marburg. Lucins, der beil. — von Epheſus. 
Mozarabiſche Perikopen. Lupus, der heil. Maroniten. 


Rörbansz, 
General a. D. in Münfter. 
Katerlamp, Joh. Theod. Herm. 


Overberg und der Gallitin’fche 


Kreis, 
Röſch, Guftan, 


Pfarrer in Sangenbrand. (Württemb.) 

Zeitrechnung, bibliſche. 
chriſtüche. 

Zahl, ; goldene. Suppl.) 


v. Rohden, L., 


2 Inſpector am Miſſ. Haufe in Barmen, 


Richter, Joh. Heinr. (Suppt.) 
Rothe, Rich., Dr., 


Prof. der Theologie in Heidelberg- 
Arcan » Disciplin. 


Rüetſchi, Rud., Dr., 
Decan in Kirchberg (Bern). 
Abner. 
Adonai. 
Aram. 
Aramãiſche Sprache. 
Archäologie, bibliſche. 
Archippos. 
Arpakſchad. 
Arpharad. 
—*8 
Arzneikunſt. 
Asdod. 
Askalon. 
Babel. 
Babylonien. 
gabylonijäee Eril. 


Bann bei den Hebräern. 
Bart. 


Baruch. 

Baulnnſt bei ben Hebräern. 
Bdellinm. 

Begräbniß bei den Hebräern. 
Benjamin. 

Beſſarion. 

Beute bei ben Hebräern. 
Bienenzucht bei den Hebräern. 
Bilder bei den Hebräern. 
Bithynien. 

Blattern. 

Brod. 

Brunnen bei den Hebräern. 
Zur gerrecht bet den Hebräern. 


an. . 
Diebftabl bei den Hebräern. 
Dreſchen bei den Hebräern. 
Eben » Eger. 

Gbeifteine, 


Ede 
dh eb ben Hebräern. 


es bei den Hebräern. 
Einbalfamiren. 

fron. 
Eleaſa. 
Eleaſar. 
Elephant. 
Eleutheropolis. 
Eltern bei den Hebräern. 
Endor, Hexe von. 
Engebi. 


Ephron. 

Erbe. 

Erndte bei den Hebräern. 

Sehlinge u. Erftlingsopfer. 
Eſel. 


Euphrat. 
Evilmerodach. 
Eziongeber. 


Seflungen u. Feftungsfrieg bei 


den Hedräern. 

grauen bei den Hebräern. 
ad. 

Gadara. 

Galatien. 

Gallim. 

Garizim. 

Gärten bei den Hebräern. 


Saftfreiheit bei den Hebräern. 
Gefängniffe bei den Hebräern. 


Genezareth, See von. 
Gerar. 

Gerſte. 

Gezer. 

Gibeon. 

Gilboa. 

Goliath. 

Gomorrha. 
Granatbaum. 

Gürtel bei den Hebräern. 
Hagar. 

Hagariter. 
Halsketten. 


Hiram. 
Hoſea, König. 
Hund bei den Hebräern. 


Jatebsbrunnen. 
Jaſer oder Jaẽſer. 
— 


Jav 
Sehns und Sebufiter. 
Sfonium. 
Jope. 
Iſſaſchar. 
Kaleb. 
—* 
Kandace. 
Kappadocien. 
Kenilfiter. 
Keniter. 


Kretbi und Plethi. 


Krieg, Kriegabeer b. d. Hebr. 


Kuß bei den Hebräern. 
Ladanum 


Verzeichniß der Herren Mitarbeiter u. deren Artilel 


Melite. 
Menahem. 
Menelaus. 
Mephiboſeth. 
Merom. 
Meſech. 
Meſopotamien. 
Michmas. 


Rapothali. 
Narcifſus. 
Narde. 
Nathan. 
Nazareth. 
Nebukadnezar. 
Nebuſaradon. 


Necho. 


rRieſen im A. Teſtament. 

Salamis. 

Samos. 

Sanballat. 

Sardes. 

Sarepta. 

Scepter. 

| Scyallum. 

| Schild. 

ı Schlaud. 

inte 
Schminte. 

‚ Schur, Wuſte. 

| Sebna. 

| Sebulon. 

| Seleucia. 








ı Thema. 


Fr heiliger, bei den Hebr. — 
Mal 


Manaſſe. 
Maulbeerfeigenbaum. 
Meile. 


Thiglat Pileſer. 
——8 
Thirza. 
Thiobe. 


Verzeichniß 


Thola. 
Thubalkaiu. 
Thyatira. 
Tiberias. 
Tigris. 
Trophimus. 

Im Supplement: 
Alraunſtaude. 
Nadab. 
Obed Edom. 
Pella. 


Sad, Karl Heinr., Dr., 
Db.-Gonfift.-Rath a D. in Bonn. 
Union der beiden evangel. Par- 

teien in Preußen. 
Im Supplement: 
Sad, Aug. Fr. Wilh. 
Friedr. Sam. Gottfr. 


Schaarſchmidt, C., Dr. 
Ach ei opbie in Oomn.. 
Raymund von Sabunde. 


Scha il., Dr., 

A 1, pi e in Rew-Vort. 
Methopiemns in Amerika. 
Norbamerila, Vereinigte Staa⸗ 

ten von 
Savonarola. 
Tertulliauns. 
Beftminfter- Synode. 
Hare, Charl. Jul. 

Im Supplement: 

Ehanning. 
Robinfon, Epuarb. 


Säentel, Daniel, Dr., 
Prof. der Theologie in Heidelberg. 
Abendmahlsſtreitigkeiten. 
Abhängigleitsgefüht. 
Accommodation. 

Agrilola von Eisleben. 
Antinomismne,. 

Billican, Theobald. 

Bucer, Martin. 

Bullinger, Joh. Heinr. 
Chemnig, Martin. 
Communicatio idiomatum. 
Eoncordienformel. 

&d, Johann. 

Senifien. 


Kirche. 

Lavater, Joh. Caspar. 
Paulus, H. E. G. 
Proteſtautismus. 


Scheurl, 0 T. Gettl., Dr., 
Prof. der Rechte in Erlangen. 
Commende. 

Im Supplement: 
Denunciatio evangel. 
Devolntionsrecht. 

u Bin, 2. El. 
Eichhorn, Karl Friedr. 
Jurati ecclesiae. 
Lanbbifchäfe. 

ewider Clauſel. 
Simonie. 


Schmidt, H., 
Diakonus in Calw. 
Simeon, Biſchof von Jeruſalem. 

Stancarus. 


ber Herren Mitarbeiter n. deren Ariilel 637 


Theonas, Bifchof v. Marmarica. Gerſon, Joh. Eharlier. 


Titus, Biel von Boftre. Sottesfreunde. 
Trienter Concil. Goulart, Simon. 
Zrishagion, Hugo von St. Cher. 
Balens, Kalfer. Jakob de VBoragine. 
Bigilantius. Joachim von Floris. 
Vigilins, Biſchof von Tapſus. Katharer. 


Biſchof von Trient. 
alon. 

röm. Biſchof. 

Bincentius von Lerinum. 

Weigel, Baleutin. . 

Weſel, Job. von. 

Weſſel, Job. 


Lukas von Zuy. 

Malvenva, Thomas. 

Marbach, Johann. 

Margaretha von Orleane, 
Marot, Eidment. 

Martin, David] 

Maffillon, Joh. Bapt. 
Windesheim. Veafiuet (Rene). 

Wormſer Religionsgeſpräch. Matthäus Paris. 

Zephyrinus, Biſchof von Rom. | Mauriner, Congregatio 8.Mauri. 





Im Supplement. Maurus. 
Baur, Chr. Fr., und die Tü⸗Meſtrezat, Johanu. 
binger Schule. Montfaucon. 
Dolketiſsmub. Morone, Cardinal. 


Dualismus,. 
Hagenauer Religionsgeipräd. 


Schmibt, C., Dr., 
Prof. der Theologie in Straßburg. 


Rarreufef. 

Nilolaus de Lyra. 

von Straßburg. 
ı Rourry, Nicolas le. 


Ochino, Bernardino. 
Abbadie. Otte Job. Sat. 
d'Ailly, Beter, de Alliaco. Dlivetan, Bet. Rob. 
Alauus. Olivi, Pet. Joh. 
Ancillon. Ofſat, Arnold d'. 
Allix, Peter. Subin. 
Apoſtelbruüder, Apoſtoliker. Paleario, Aonio. 
Arnold von Brescia. —35 
Auto⸗da⸗ Fse. aſtorellen. 
Barletta. Patarener. 
Basnage. Banlicianer. 
Bayle, Beter. Betrus von Blois. 
Beaufobre. — von Bruie. 
Begharden, Begdinen. — von Celle. 
Berthold von Rohrbach. — der Ehrwürdige. 
Blandrata, Georg. — Martiyr. 
Blondel, David. Poiret. 


Bochart, Samuel. 

Boſſuet, Jacques Benigue. 
Bouhours, Dominik. 
Bourdaloue, Ludwig. 
Bourignon, Antoinette. | 
Briconnet, Wilhelm. | 
Brüder des freien Geiſtes. 
Bude, Wilhelm. 


Poſſevino, Jeſuit. 

Rainerio Sacchoni. 

Richard von St. Vietor. 
Richer, Edmund. 

Rouſſel, Gerh. 

Ruysbroeck. 

Simou von Tournay. 
Stephan deBellaVilla d. Borbone. 


— 


Calmet, Auguſtin. Stephan von Tournay. 
Chamier, Daniel. Sturm, Joh. 
Charpentier, Peter. — Jablob 
Eharron. Suſo, Heinr. 


Claude, Johann. 
Clandins von Turin. 


Tellier, le, Michael. 
Clemanges, Nicolaus. 


Thomas a Kempis. 


Clugny. Tillemont, le Nain, Ludwig 
Erespin, Johann. Sebaſtian. 
Cuſanns. Toſſanus. 
Dolcino. Zurinpinen. 
Dubosc, Beter. Bermigli, Peter Martyr. 
Du Moulin, Peter. Viret, Peter. 
Dungal. Walther von St. Victor. 
Ebrard. Bimpbeling. 
Edart. Winkeler, Secte, 
Eſelsfeſt. Yponetus. 
Eudo oder Eon von Stella. — 
Ftricenen ell, Matth. 

eiler von Kaiſersberg. 


Suppl : 
entillet, Innocenz. Er ment 


Beuoit, 


Berguin, Ludw. von. 

Nantes, Edict von. 

Ortlieb von Straßburg. | 
Rivet, Andreas, | 


Schmidt, J. Lic, 


Pfarrer in Frauenfeld. 


Binet, Aler. 


Schmoller, 
Diakonus in Urach. 
Kling, Chr. Fr. (Suppl.) | 


Sänedenburger, Matth.,t, 


tof. der Theologie in Bern. 
Attritio. 


Schneider, C.F. T., Lic. th., | 

Seminardirector in Neumied. ı 
Hugo von St. Victor. 
Jonas, Juſtus. 


Schneider, Joh., | 

‚_ Bicar in Germersheim. 

Weiß (Candidus), Bantaleon. 
(Suppl.) 


Schneider, K., Dr., 
Geminarbirector in Bromberg. 


Schubert, ©. 9. 


Säocberlein ‚2ubw., Dr., Sarmbersigkeit 


of. der Theologie in Göttingen. 
Ebenbild Gottes. 
Erlöſung. 
Glaube. 
Verſöhnung. 


Scholl, Carl, Dr., 
Baftor an der Savoykirche in London. 
Anglilanifche Kirche. 

Beda Venerabilis, 

Bibelgefellihaft, brit. » ausländ. 

Starke. 

Eolumba. 

Eranmer, Thomas. 

Eudbert oder Cuthbert. 

Cudworth. 

Culdeer. 

Doddridge. 

Dunſtan. 

England, Reformation. 

kirchlich⸗ſtatiſtiſch. 

Engliſche Bibelüberſetzungen. 

Lardner, Nathaniel. 

Latimer, Hugh. 

Latitudinarier. 

Laud, William, Erzbiſchof von 
Canterbury. 

Levellers, d. i. Rabilale. 

Lindſey, Theophilus. 

Lingard, John. 

Maſachias, Imarus, Erzbifchof 
von Armagh. 

Maynooth⸗College. 

Methodismus. 

Nangis, Wilhelm von. 

Nennius. 

Neubrigenſis, William. 

Newton, Thomas, Biſchof. 

John. 


Nincan. 
Nouconformiſten. 


mus. 
Uſſher. 


Morata, Olympia. 
Spifame, Jakob Paul. 


Verzeichniß der Herren Mitarbeiter u. deren Artikel 


Palladius. 
Parker, Matth., Erzbiſchof. 
Patricius oder S. Patrick. 


Schweizer, Wler., Dr. 
Ach a ekonie h Ziro 
Alſted, Joh. Heinr. 


Pearſon. Alting, Joh. Heinr. 
Puritaner in England. — Job. 
Teſtacte. | Amefins, Wild. 


Amyraut, Moyſe. 
Aretius Benedictus. 
Arnoldus, Ricolane. 
Bibliander, Theodor. 
Camero, Jacob. 

ı Sameronianer. 


Tractarianismus ober Pufeyis- 


Warham, Wil, 

Sm Supplement: 
Elarenton »- Eonftitutionen, 
Milner, Joſeph u. Ifaat. ı Dalläns, Joh. 

Orforder Eſſays und Reviews. Danäus, Lambert Daneau. 
Whately, Richard. Heidegger, Joh. Heinr. 


Schott, Theod Hoornbeck, Johanunes. 
+ 


* Infralapſarier. 
Religionslehrer in Stuttgart. 
Coligny, Kaspar v. EGuppl.) Zuriu⸗ ent. 


Dubourg, Anna. 
Fromment, Anton. 

Languet, Hubert. 

Marlorat, Auguftin. 

Marnir, Bhilipp. 


Stedermann, Bartholomäne. 
Koolhäs, Caspar. 
Lambethaniſche Artikel. 
Leydeder, Melchior. 
Diazeitus, —— 
Mumpelgarter Colloquinm. 
Renata von Ferrara. ® —ã Bhil.. 


| Neostadiensium admonitio. 
Schwarz, &., Dr. Oſterwald. 
om 1 eologie in Jena. | Bajon, Clande. 
Amsdorf, Nikolaus von. ı glaceue. 
| Suicerns, Joh. Casp. 
Baumgarten » Erufius, Lubw. ı 
Friedr. Otto, 


Schweizer, Friedr., Dr. 
Begehren, Begehrungsvermögen, in Stuttgart. 


Begierde. Euſtachius. 
Berthold, Biſchof v. Chiemſee. Evangeliarium. 
Buddeus, Job. Franz. Evariftus, der heil. 

euillanten. 


Buſenbaum, Hermann. 
Camerarius, Joachim. 
Caniſius, Peter. 

Caquiſtik. 

Chyträue, David. 
Colliſion der Pflichten. 
Consilia Evangelica. 
Cruciger, Caspar. 
Erufius, Chriſtian Anguſt. 


lavianus, Patr. v. Antiochien 
Flavian, Biſchof v. Conſtanti⸗ 

nopel. 

lorus, Drepauius. 
Fonſeca, Peter von. 
—* Pabſt. 
EN) Patriarch. 
Franco, Gegenpabſt. 


Demuth. Frouton, le Din. 
Eifer. Hantwill, Job. v. 
Enthaltfamteit. Hardouin, Jean. 
Karalter. Helmbold, Ludw. 
Klugheit. Helvicus, Chriſtoph. 
Leipziger Interim. Helyot. 

Loci theologiei. Herallas. 

Menius, Juſtus. Higden, Ralph 
Schnepf, Erhard. Hildebert. 


Stiefel, Michael. 
Stigel, Joh. 
Stößel, Joh. 
Strigel, Victorin. 
Tittmann, J. A. H. 


Semiſch, Carl Gotilsb, Dr. 
Prof. der Theologie in Berl 


Tugend. Chiliasmus. 
Venatorius, Thomas. | Corrodi, Hein, 
Diodorus. 


Im Supplement: 
Irenäus, Chriſtoph. 


Diognet, FJiit an. 
Marezoll, Joh. G. 


Epheſus, Räuberſynode. 


Zeitett anti Biſchof von Cor 

eibfitiee Eufebius, Bifchof v. Megandries 

Schwebel, Lic., — mitd. Beinamen Bruue 

in Straßburg. — Biſchof von Täfarer. 
Schwebel, Johann. — vBilqͤof v. Emele. 


Berzeichniß der Herren Mitarbeiter u. deren Artitel 


Eufebine, Biſchof v. Laodicea. 

v. Nikomedien. 
Samoſata. 
v. Theſſalonich. 
v. Bercelli. 


_ Babel, 
Eutychianismus. 
Juſtin, Märtyrer. 


Sigwart, Chr 


Jewel, John. 
Mirandula, Johannes Piens. 
Morus, Thomas, 


Södel, 
früher a in — 
Steiermart. 


„oriegel, Friedr., Dr., 
rof.der oriental. Gpr. in Erlangen. 

Ninive und Affyrien. 
Barfismus. 
Berfepolis. 
Reſen, Stadt Aſſyriens. 
Sanduniathon. 
Ninive und Afiyrien. (Suppt.). 


Stäßelin, „st, Dr., 
Abenbmablsfeier, (Suppl). 


Steiger, 
Pfarrer in Gglishof. 
Steiger, Bilhelm. 


Steitz, Georg Ed., Dr. 
Pfarrer in Branffurt a. 

ankfurt a. M., Breformation, 
eimaurer und Freimaurerel. 

Jeſuitenorden. 

Sefuitinnen. 

Suchofer, Weldior. 

Ketzertaufe und Streit darüber. 

Kirchenjabr. 

Maria, Mutter des Herrn. 

Melito von Sardes. 

Mefie, Meßopfer. 

Dieyer, Job. Friedr. von. 

Miſſionen, katholiſche, in ber 
tatholifchen Kirche. 

Rorbafeifanijeie Kirche. 

Novatianus, Rovatianiiches 
Schisme. 

Dates, Titus. 

Delung, die leßte. 

Dptatue von Mileve. 


Bap 

Halde, geinlichee, und Paſcha⸗ 
reiti 

PH 

MRabbertus, Paſchaſins 

Ratramnne, 

Roſenkranz. 

Sacramente. 

Schluffelgewalt. 


Snare an 
Taufe > 


riftian, Dr., 


übingen. 


Todtencommunion. 
Zraneiubfantlation. 


Ubignität. 
Weihrauch. 


Hermas. 
Weibwaffer. 
Woche, große. 
Im Supplement: 
Deefenins, J. Th. 
eſniten 
Inthroniſation. 
Biefle Meßopfer. 
Pullens, Robert. 
Zauferorcismus und Abrenun⸗ 
tiation. 
Ubiquität. 


Stord, W., 


Prof. in Muͤnſter. 
Jacovone da Todi. (Suppi.) 


Stowe, &. €., 
Brof. der Theologie in Boſton. 
Edwards, Jonathan. 


Streuber, Dr., }, 
in Bafel. 


Örynäus. 
Sudhoͤff, 
Pfarrer in Frankfurt a 

Garaſſe, Kranz. 

Garnier, Johann. 

Julien. 

Carpe, Karl Bernh. 

Gebote der Kirche, die fünf. 

Geiger, Den = Tiburtius. 

Genſer Conſenſus. 

Geſellſchaſt des beit, Herzens Jeſu. 

God, Johann von. 

Godeau, Anton. 

Götze, Joh. Melchior. 

Gomarus. 

Graduale. 

Gregoire, Henri. 

Grelſer, Jakob. 

Heidelberger oder Pfälzer Ka⸗ 

techismus. 

Helvetiſche Confeſſtonen. 

Hermes nnd Hermeflanismne. 


—2— hiſtoriſch⸗ ſtatiſtiſch. 


Carl, 18 


Aergerniß. 

Altenſtein. 

Arndt, Joh. 

Aufklärung. 

Bergins, ob. 

Calov. 

Carpzov, Theologen b. Namens. 

Carteſianiſche Philcfopbie. 

Eyprian, Ernft Salomon. 

Deutfhmann, Joh. 

Dräfede, Joh. Heint. Bernd. 

Eylert. 

Gefühl. 

Gerhard, Joh. 

Gerlach, Otto von. 

Glaffins, Salomo. 

Haberlorn, Peter. 

Hebräerbrief. 

Heibanus, Abraham. 

Heubner, Heinr. Ludw. 

508 von Hohenegg. 

Hülfenenn, Joh. 

Inſpiration. 

Knapp, Georg Chriſt. 

Lichtfreunde. 

Löſcher, Val. Erufl. 

Mayer, Joh. Friebr. 

Meisner, Balthaſar. 

Molinos ‚ der Urbeber des 
Dutetismus. 

Nikolai, Chr. Fr., uub die all» 
gemeine deniſche Bibliothek. 
Pietiomus, pietift. Streitigfeiten. 

Dueuftedt. 

Ramus, Peter. 

Rationalismus und Guprana- 
turalismus. 

Semler, Joh. Salomo. 

Spener. 

Strauß, das Leben Jeſu. 

Teller, Wilh. Abrah. 

Thomafius, Chriſt. 

Univerſitäten. 

Vorbild oder Typus. 

Wegſcheider, I. A. 2. 


Wernsdorf, Gottl. 


Hoſius, Stanislaus Relie 
Hospinian, Rudolph. ——— as preuß. Reli 
Teutſch, G. D., Dr., Zaqariä, ©: mm: 
Pfarrer in gnetbein. (Giebenbürgen) Im Supplement: 
Siebenbürgen, Einführung A Ammon, Ehr. Ar. v. 
Ehriftentbume, Meformation, | Andreä, Balentin. 
tirchliche Statiſtik. An — ag 
Ihelemann, Carl Otte, —* Konr. 
Conſiſtorialrath in Detmold. Göſchel, Karl Kr 
Billegaignon, Nic. Dur. de. Schade, Foh. Casp, 


Thiele, Hnr. Ung. L., Dr., 
gi u. Domprediger in Braunſchweig 
om, 


Stier, Rud. Ewald. 


Tieftrunck, Joh. Heinr. 


Thomas, Dr., 
Pfarrer in —* (&enf,) 


Thierſch, Hur. B. J., Dr., | Turretini. 
Bellarmin, Rob. Ban Romulus. | Tifhender —B 


Caſſianus, Johannes. 


a a 

Aberglaube. 

AbRommung bes 
geſchlechts. 


der bib 
Bibel Itert —F 


—*5 de ER z 


RE. in & or, 


Barnabas. 
Menfchen» | Bibeltert bes N. T. 


Pfenbepigraphen des A Ten. 


640 Berzeihniß der Herren Mitarbeiter u. deren Artilel 
Trechſel, %., Dr., 


gew. Dekan, Pfarrer in Bern. 


|... Vaihinger, 3. ©, 1Hopbra. 


Pfarrer in Kocherfteinfeld (Württernbg.)  Horiter. 
Abdon. 








Antitrinitarier. Horonaim. 
Antoniauer. Abjathar. | Hühner. 
Berner Synodus. Abimelech. Jahr der Hebräer. 
—  Diepitation. Abiſai. Jair 
Goneſius, Petrus. | Ads, | Zannce und Jambres. 
Haller, Berthold. Adonia. FJerobeam. 
Helvetiſche Conſensformel. | Agadue. | Sefreel. 
Kobler, Chriftian u. Hieronymus, | Abab. Je fie. 
Libertiner oder Spiritualen. Ahas. Sie Sirach. 
Mani und die Manichäer. | Ahasia. 
Zaulne von Samoſata. Ahasverus. | Foatas, 
abellius. Ahimaaz. 3006 oder Jehoas. 
Servet, Michael. ı Abimelec. Jojachin. 
Chorgerichte. (Suppl.) a hitophel, Sojafim. 
Alphäus. Joktan. 
Tweſten, Aug. D. Ehr.,Dr., Yan Sonien. 
Prof. der Theologie In Berlin. = 
Union. Anani. | Jofaphat. 


uhhorn deh. erh. Wilh., haha. 


Gonfift.- annover. ' Archevaer. | 

Bora, Katharina von. Ä nen detas. 
Elemens von Rom. Asmodi Iſaak 
Cleementinen. Affe. Iſebel. 
Corvinus, Antonius. Affaph FJuda, Sohn Saloh's. 
Dofitheus. Athalja Juda, Stamm. 
Ebjoniten. Azazel. Judith. 
Elkeſaiten. ach. Kaiphas. 
Eſſener. Backen. Kapernaum. 
Godehard, Gotthard. Baden Könige, Bücher ber. 
Bene Balſam Laban. 

ermas, Paſtor. Belſazer Landpfleger. 
Hermogenes. enaſa Lazarus. 
— Biſchof dv. Antiochien. Yernice. dea 
Zudenchriſten Fudenchriftenthum. veſchneidung. Lebensbanm. 
Lnidgerus. Bileam. Leibesſtrafen bei den Hebräern. 
Natalis, Alerander. Bilha. dentulus. 
Reander, Dr. Foh. Aug. Wilh. Bundeslade. Malkabãer. 

Darius. — ücdher ber. 
Ullmann, Carl, Dr., }, Dekapolis. Mammon ein 
Prälat in Rarlörube. oe " 
Brüder vom gemeinjamen eben. | d Re Wanna, 
Wrici, Herm., Dr, |&latb. Dreufiim. 
Brof. —— — Halle. | Elifabeth, 

Encyklopädie, franzöſiſche. Enabliter. 5 — Geſetz. 
Hegel'ſche Religionsphiloſophie. Epaphras. Moſes 


Kant, nebſt Jacobi, Fries, Fichte. | —— 


3 aulenh von Arimathia. 


Mübten bei den DHebräern. 


Kunft, chriſtliche bildende. phod. Paſcha, ifraelit.-jüdifches. 
Malerei, chriftliche. Ephraim Bentateuch. 
Menſch, Humanität. Galiläi pᷣfandrecht bei den Hebräerz. 
Pantheismus. Gallion Bfingnfef, ifraelit.jüdifchen. 
Religionsphilofophie. Sazelle. Bhara 
Sculptur, chriftliche. Geſchenk Bol. und Philiſter. 
Theismus (Monotheismus). | Getränke Phönizien. 
Theodicee. ilgal. Phul. 

Im Suppfement: Bir afiter Pisga. 
Sittengeſetz Girſiter Bnuel. 
Spiritualismus. Gomer Potiphar. 
Unſterblichkeit. Hadoram Prediger Salomo. 


Vernunft, Verhältniß der Philo- | Hadrach. 


Sklaverei, Verhältniß zum 


ſophie zur Theologie. Fre EChriſenthnm. 
yrien 
Umbreit, Fr. W. &.,Dr., f, Haſael. Tobias, Bud. 
Bol der Theologie in Heidelberg. Henoch. Tyrus, Stadt. 


Herbergen bei den alten He⸗ 


abaknk, der Prophet. bröern. 
a Sr RN 2 Hethiter. — Balentiner, Fr., 
oſea, Prophe eviter. aſtor sohnftorf. (Holftetn.) 
Jeſaja, Prophet. EM Palãſtina, Evangelifation. 


Berzeichniß der Herren Mitarbeiter n. deren Artikel 


Ku Albrecht, Dr., 


der Theologie in Wien. 


Bench von Nurſta. 

von Aniane. 

Benno, Dildo] von Meißen. 

Bilderftreitigleiten, 

Bruno, Erzbiſchof von Köln. 

Bruno, Apoftel der Preußen. 

Burgunder. 

Camalduleunſer. 

Capuziner. 

Chlodwig. 

Ciſterzienſer. 

Columban. 

Cyrillus u. Methodins, Apoſtel 
der Slaven. 

D'Achery. 

Damianus. 


Decius. 
Diocletianns. 
Dominikus und die Dowmini⸗ 
kaner. 
Donatiſten. 
Eftebard. 
Eligine. 
Enimeran. 
Epaon. 
Eugippius. 
Gallus, der heil. 
Gerhodh. 
Qnibert. 
Far 
Sr 
Bean At von Lobbes. 


Farmeliter 
Kartbänfer. 
Martene, Edmund. 
Prämonftratenfer. 
Priscillianiſten. 
Matberius, Biſchof von Berona. 
Roſenmüller, N 


Zoledo. 
Zrautbfon. 
Tychonius. 
Ulrich, Biſchof von Augsburg. 
Birgilius, bayer. Pri Priefler. 
Wazo, Biſchof von cunio. 
Wilhelmiten. 
eno, Biſchof von Berona. 
openloße + Waldenburg - Schil- 
fingsfürft. (Suppi.) 


Bogt, C. Au 
—— der Theo 
en Sodann, 
Nicolaus. 
Diortyfms Areopagita. 
Meunplatonismus. 


B Beigt, O., ‚Dr. 
tof. der ichte in Leipzig. 
Bafeler Eoncil, 

Calixtus .— III. 

@llefin L—V. 

Conftanzer Concil. 
Eugenius I.—IV. 

Felix .—IV. 





ng. = ‚Tran y Dr., 





Gregor I. —VL 
VOL - XV. 


Johanne L— XXI, Päbfe. 


Beigt, Dr 
at der dt I in ln, 


Albrecht, Markgraf von Bran- 


benburg. 


Brandenburg, Reformation. 


Bold., Wilh., Dr. 
Pi der morgen. Epr.. in D 
Thargumim. 


Vuitlliemin Se 8., Dr., 


Rome Oliver j ne Brotector 


von England. 


EBadernagel, ei. Dr,, 
Otto von 


ale o 


—— enent: 
Brant, 
Walther von ie E Bogelweide, 


Brof. Theologie in Göttingen, 


Cunibe 


Dorpat. 





641 


Sobaunes Buridanıs. 
Jejunator. 
v. Salisbury. 
Johannisfeuner. 
Jovianus, Iin Claudius. 
Jnvenens, ajus Vettius Aqui⸗ 

linus. 
Konrad von Marburg. 

ſer, Polycarp. 

aulbroun. 

Im Supplement: 

Hbbias 


Agrippa, Caſtor. 
Albanus, der heit. 
Alger von Lüttich. 
Aurifaber, Johan. 

Audreas. 


Verchold der Franziskaner. 
Curio, Colus Secundus. 
Guibert von Nogent. 

yſtaspes. 


8 Joh. 

Latepre, Jakob u. Bartholo⸗ 
mäuß. 

Marimus ber Belenner. 


| Marcus Eremita. 
| Lydius, Raztin. 


Balth. Joh. Zat. 
Mercator, Marine. 


— Patriarch von Con⸗ Moſchus, Joh. 


ſtantinopel. 
Enkratiten. 
Eutychius. 
Faber, Jon. ungufanne. 


ge a "ober Fabri. 


Johaunes (Fabri). 
Nikolans. 
—8 

(Favre), Guido. 
(Favre Jacques be). 
agius, aul. 

auſtus, der Manichäer. 
von Rhegium. 


—3 
ulgeutins Ferrandus. 
von Ruspe. 


Gennadius, otriarq von Con⸗ 


ſtantinopel. 
— von Marſeille. 


ohannes, vonHeilbronn. 


Wangemann, F., 
Miffions-Director in Berlin. 
Lutheraner, feparirte. 


Waflermann, Dr., 
Monate, die hebräiſchen. 
Neumoude. 


Waſſerſchleben, FJ. W.G. Dr. 
Prof. der Rechte in Oießen. 

Stoffen und Gloſſatoren. 

Incorporation. 

| Interflitien. 

Kanonen ⸗nud Defretalenfamm« 
unge 

Ranontfches Nechtsbuch. 

Kirchenrecht. 








Mißheirath. 


Sottfhalt, Wendenfürft u. Mär⸗ ‚ Nominatio regia. 


tyrer. 

sfeneeen, Batthiae, 
anſiz, 

atto I. u, IL 


atto, Bifchef v. Baſel. 
eerbrand, Jakob. 
Zeermann, Johannes. 
Helvidius. 
Hermann, Nikolaus. 
Hermias. 
Hierokles. 
Hiller, Phil. Fr. u. Konrad. 
Hirſchau oder Hirſan. 
Bora, Paul Friedr. 
ollaz. David, 
Suter, Casp. 
utter, Sand. 


fia 
Idefonfus, Ziſchof v. Toledo. 


Neal-Euncyklopädie für Theologie und Kirche. Euppl. II. 


‚ NRomofanonen. 
Off tal. 
Ordinarius, 
Pſeudoiſidor. 


Weber, Georg, Dr., 
Schuldirector in Heldelberg. 
Abbot. 
| Kelfeic, 
Alten, William. 
Alefins, Alexander. 
Angelſachſen. 
Barton, Eliſabeth. 
Bower, Archibald. 
Browne, Bromniften. 
Burnet, Gilbert. 
Samite, Patrik. 
ubependenten oder Congrega⸗ 
tionaliften. 
4 


642 Verzeichniß der Herren Mitarbeiter n. deren Artikel 
gehn, Mbsiyh, 


miprediger in Halle, 


Weingarten Herm., Lic., Luidprand. 
rivatbocent in Berlin, | Longobarden. | 


Margaretba, die heiligen — Lori, Klofter. Geibel iger i 
Mebler, Nikolaus. | Lucidug, ber Presbyter. eibet, Prediger in Eu 
Martin von Tours. Ludwig der Fromme. —* 
Meffalianer. Lullus. 
Musculns, Andreas. Meinwerk. v. egihmik, 4. Gerh. Dr, 
‚ „Im Gupplement: | Nicolaus L rof. der Theologie in @rlanser 
Ka Synoden. Nitharb. Lukas von Prag und bie Kit. 
farangnfta, Synobe. Dihmar. ger heilige. mifchen Brüder. (Suppl, 
. tto v. Freiſing. 
Weiß, Bernh., Dr. 
S Brof. ß Sera) in Kiel. in armefei Zimmermann, 8, Dr, 
artorius, E. W. ehr. | Brudentius von Troyes. Gufiad Rolf Chiang, 
EIER: aaa | Regino. Suftan » Abolf Berein 
Ratofferbrief | Remigtns von Rheime. 
SR oswitha, Nonne. * 
Prime Brief Pauli an. Sigebert von Gemblonre. p Sadler, Dtto, Dr. 
ei erm. eodulf, Prof. der Theologie in Grritsreat. 
Mn aibingen, Thietmar. Stebenihl, heilige. 
Sünde wider ben heil. Geil. Wichern, J. &., Dr.theol,| Somaslar.. 
Sändtofig eit Sein. I_, 6..Gonff..Kath in, Berlin. ” Stercoraniften. 
Weigel, 8. 8, Diakonen u. Dinfomiffenhäufer. | Subaili, Bar. 
Dekan in Kirchheim a. Ted. Fry, Elifabeth. Urſula, bie heil. 
Apclinaris, Claudius. Miſſton, Innere. Urfulinerinnen. 


3443 Wieſel G Vagantes. 

eisind ‚Dr. iefeler, Karl Georg, Dr. tes 

eisjüder, Carl v nr., Dr ?| Prof. ber Theolonie in ®rei wald, ’ Valentinian IL, 1. D I 
' Abilene. Valentinus, der heil. 





rippa v. Nettesheim. 
——— itbeim Achaja. Balerianus, Kaiſer. 
Beftel. Aelta Capitolina. Ä — ber heil. 
Bodhold, Johann. Here. Berena. 
Bosheit. —5 — L |Berenica 
Brüder, barmberzige. erander . 

iſari Amphipolis. Victor L—IV., Pabſte. 
ien⸗ von Heifterbaqh. Annas | Bincentins von Saragefit. 
Campegius, Lor. Camp. | Antiohus IL.— VII. Im Supplement: 
Eanus, Melchior. Antipas. Agnes, die heil. 
Cochläus, Ich. Antipatris. Brigitta der Irländer. 
Capiſtranus. Areopag. Cataldus, der heil. 
Caffander, Georg. | Aretas. Cazalla, Augufin. 
Sonfirmation. Arimathie. Cordova. 
Contarini, Kasp. | Im Supplement: Credner, Karl Aug. 
Dionnfus von Aerandrien. , Galaterbrief. Hug, Iob. Leonh. 
Gehorſam. Romerbrief. Japan, kathol. Miffien. 
Sefeb. Timotheus und Titus, Briefe Knodel, Aug. Wilh. 
Stidietigteit |. Pault an. Kuhnoel, Chriſt. 

egeſipp. Zeitrechnung, neuteſtamentl. —R — 

o a, die 

Aychei der Theologie in Bafel, f. —5 — 
Weizſäcker, Julius, Dr., |Apclioe rãadamiten. 
„on Apollos. 

zrof. der Geſchichte in Erlangen. ochus, der heil. 
gormanbee. ſchich 8 Apoftelccnvent. Schöpfung. 
Sambert von Hersfeld. Wilden, Dr., | Secularismue. 
Langres, Synode von. Archidiakonus ın Etralfund, Servatius, ber. heil. 
Lebrija, Aelius Antonius von. | Aber, Matthäus. Tereſia, bie heil. 
Leſtines, Synode von. Aquila, M. Caspar. | 


Drud der Gngelbard -Repberichen Hofbuchdruderei ın Gotha.